Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung.
Zunächst einiges Amtliches: Gemäß § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" werden vom Deutschen Bundestag sechs Mitglieder in das Kuratorium entsandt.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt die Abgeordneten Dr. Dorothee Wilms, Wilfried Seibel und Dr. Günther Müller als ordentliche Mitglieder sowie die Abgeordneten Dr. Roswitha Wisniewski, Dr. Volkmar Köhler und Otto Regenspurger als stellvertretende Mitglieder vor.
Die Fraktion der SPD schlägt die Abgeordneten Dieter Schloten und Doris Odendahl als ordentliche Mitglieder sowie die Abgeordneten Gerlinde Hämmerle und Dr. Hartmut Soell als stellvertretende Mitglieder vor.
Die Fraktion der FDP schlägt den Abgeordneten Uwe Lühr als ordentliches Mitglied und die Abgeordnete Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink als stellvertretendes Mitglied vor.
Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Kein Widerspruch. Damit sind die genannten Kolleginnen und Kollegen in das Kuratorium „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" entsandt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem „Gesetz zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und anderer Gesetze" auf Drucksache 12/650 erweitert werden. Der Zusatzpunkt soll am Ende der heutigen Sitzung aufgerufen werden. Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Die Fraktion der SPD hat fristgemäß eine Erweiterung der Tagesordnung beantragt. Dieser Antrag wird nach dem nächsten Tagesordnungspunkt gegen 13 Uhr aufgerufen.
({0})
- Ja.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe auf:
I. Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991
({1})
- Drucksachen 12/100, 12/494 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksachen 12/508, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Nils Diederich ({3}) Hans-Werner Müller ({4})
Werner Zywietz
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 12/527 Berichterstatter:
Abgeordnete Adolf Roth ({5}) Dr. Wolfgang Weng ({6}) Helmut Wieczorek ({7})
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 12/529 Berichterstatter:
Abgeordnete Adolf Roth ({8}) Dr. Conrad Schroeder ({9}) Dr. Wolfgang Weng ({10}) Dr. Gero Pfennig
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 12/520, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Rudolf Purps
Dr. Conrad Schroeder ({11})
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dagegen sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den ersten gesamtdeutschen Bundeshaushalt in zweiter Lesung. Trotz aller Probleme, vor denen wir beim Aufbau der neuen Bundesländer stehen und die wir noch lange nicht überwunden haben, möchte ich eines klarstellen: Ohne die friedliche Revolution, ohne den Fall der Mauer, ohne die deutsche Einheit wäre es heute nicht möglich, einen gesamtdeutschen Bundeshaushalt zu lesen.
({0})
Ich finde, das ist ein Grund zur Freude.
({1})
Die größte politische Herausforderung, vor der wir stehen, ist es, die deutsche Einheit nun auch im Inneren unseres Landes zu verwirklichen und den Aufbau im Osten Deutschlands aktiv zu gestalten. Daher begrüße ich es sehr, daß in den Haushaltsberatungen zusätzliche 11 Milliarden DM für Maßnahmen in den neuen Bundesländern in den Bundeshaushalt aufgenommen wurden. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, auf den wir Sozialdemokraten lange vergeblich gedrängt haben.
Allerdings bedauere ich sehr, daß der gesamtdeutsche Haushalt nicht ordnungsgemäß bereits im Herbst letzten Jahres vorgelegt und verabschiedet worden ist. Dies wäre bei gutem Willen aller Beteiligten möglich gewesen. Wir hatten hierzu unsere konstruktive Mitarbeit ausdrücklich angeboten; denn wir wußten: Ohne umfassende öffentliche und private Investitionen ist der Aufbau in den neuen Bundesländern nicht zu schaffen. Die notwendigen Voraussetzungen für diese Investitionen wollten wir mit einem bereits im vorigen Herbst verabschiedeten Haushalt 1991 rechtzeitig schaffen.
Der Bundesfinanzminister hat aber den Bundeshaushalt 1991 nicht im letzten Herbst vorgelegt, weil er den Bürgerinnen und Bürgern vor der Bundestagswahl die enormen Kosten des Aufbaus und die Notwendigkeit von Steuerhöhungen verschweigen wollte.
({2})
So trägt die Bundesregierung jetzt die Verantwortung dafür, daß der Bundeshaushalt für 1991 aus wahltaktischen Gründen erst sechs Monate nach Beginn des Jahres in Kraft tritt. Sie trägt damit die Verantwortung auch dafür, daß die notwendigen Beschäftigungsimpulse mit großer Verspätung kommen und daß wahrscheinlich - wie im letzten Jahr - die Mittel dafür nicht alle wie vorgesehen abfließen.
Das schadet den Menschen in Ost und West. Ich frage Sie, Herr Finanzminister: Wie konnten Sie es zulassen, daß den Menschen in beiden Teilen Deutschlands durch solche parteipolitische Finessen geschadet wurde?
({3})
Dies ist nicht das erstemal. Schon vor einem Jahr war Parteitaktik für Sie wichtiger als Problemlösung. Jeder, der etwas von Ökonomie versteht, wußte, daß Hilfen und vor allem öffentliche Investitionen für den Aufbau der neuen Länder unerläßlich sind. Wenn Sie uns Sozialdemokraten nicht glauben, warum hören Sie dann nicht wenigstens auf den Sachverstand der Wirtschaft? Der Deutschlandchef der renommierten McKinsey-Unternehmensberatungsgesellschaft hat dazu vor einigen Wochen in der „Zeit" zutreffend gesagt - ich zitiere - :
Daß man in den Straßen- und Schienenbau und die Telekommunikation investieren muß, so wie dies heute geschieht, war auch vor zwölf Monaten schon klar. Ebenso wußte man, daß der Mittelstand und besonders das Handwerk von Investitionen der Städte und Gemeinden leben. Also hätte Bonn die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, daß die ostdeutschen Kommunen schnell investieren können.
Aber als wir Sozialdemokraten dies Anfang 1990 gefordert haben, fiel Ihnen nichts Geschmackloseres ein, als zu sagen, wir wollten Herrn Modrow 15 Milliarden DM über den Tisch schieben.
({4})
Aus rein parteitaktischen Gründen, nur um die SPD auszugrenzen, unterließen Sie es viele Wochen und Monate lang, das Ingangsetzen der öffentlichen Investitionen in der damaligen DDR zu fördern. Dabei war doch jedem Sachkundigen klar: Angesichts der langen Vorlaufzeit für öffentliche Investitionen würde davon nicht eine Regierung Modrow, sondern ein demokratisch gewählter neuer Ministerpräsident profitieren.
({5})
Das Ergebnis dieser langen Untätigkeit der Bundesregierung war, daß Investitionen in den neuen Bundesländern nur schwer in Gang kamen und daß am Ende des Jahres 1990 10 Milliarden DM der Bundesmittel für Ostdeutschland nicht abgerufen worden waren. Dadurch wurde der Aufschwung verzögert. Außerdem wurde dem Steuerzahler dadurch die Zahlung vieler Millionen unnötiger Zinsen beschert. Ich frage Sie, Herr Finanzminister: Ist das nicht ein zu hoher Preis für Parteitaktik?
({6})
Der zweite wichtige Grund, warum Sie die wirtschaftlichen Probleme in den neuen Ländern nicht in den Griff bekommen - auch nicht in diesem Bundeshaushalt - , ist, daß bei Ihrer Wirtschaftspolitik Ideologie wichtiger ist als kompetente Problemlösung.
({7})
Es war reine Ideologie, zu glauben, mit der Einführung der Marktwirtschaft allein werde der Aufschwung in den neuen Ländern von selber kommen.
Wenn Sie uns Sozialdemokraten nicht glauben, dann hören Sie doch - ich wiederhole es - wenigstens auf den Sachverstand der Wirtschaft. Als einen besonders prominenten Zeugen zitiere ich den Mercedes-Chef Edzard Reuter, der nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung" gewarnt hat
vor einem nahezu infantilen Glauben, allein das Inkraftsetzen eines marktwirtschaftlichen Systems werde alle Probleme von heute auf morgen von selber lösen.
({8}) - Infantil! - Reuter erklärte weiter:
Gefordert sei jetzt ein Zusammenwirken zwischen Staat und Unternehmen, um Infrastruktur zu schaffen, um industrielle Ansiedlungen zu fördern und die Qualifikation der Menschen zu sichern.
Ihre Ideologie will einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß die hohe Produktivität und die außergewöhnliche Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft darauf beruhen, daß bei uns Markt und Staat in einer sinnvollen Wechselbeziehung zusammenwirken.
({9})
Unsere moderne Volkswirtschaft ist deshalb so erfolgreich, weil sie eben nicht eine reine Marktwirtschaft ist, sondern ein gemischtes Wirtschaftssystem, das nach dem Grundsatz funktioniert: Soviel Markt wie möglich und soviel Staat wie nötig.
({10})
Dieser unideologischen, pragmatischen Kombination von Markt und Staat verdanken wir unseren Wohlstand. Dieser Wohlstand beruht eben nicht nur darauf, daß die privaten Unternehmen mit ihren Arbeitnehmern immer wieder bessere Produkte und leistungsfähigere Produktionsverfahren entwickeln. Unser Wohlstand beruht genauso sehr darauf, daß der Staat ein modernes Verkehrswesen, moderne Nachrichtenübermittlung, ein leistungsfähiges Bildungssystem und eine qualifizierte öffentliche Verwaltung zur Verfügung stellt.
({11})
Dieses kleine Einmaleins der Wirtschaft müßten doch auch Sie kennen.
Die Unternehmen haben es uns doch gesagt: Wie sollen sie denn in den neuen Bundesländern ohne Telefon investieren? Oder: Wenn die Verkehrswege fehlen, auf denen ihre Waren transportiert werden können, dann investieren sie nicht. Und wenn es keine öffentliche Verwaltung gibt, dann können sie, selbst wenn sie wollen, nicht investieren, weil sie dann nicht einmal eine Baugenehmigung erhalten. Ohne öffentliche Infrastruktur gibt es keine privaten Investitionen.
Ihre Ideologie „Ohne Staat geht alles besser!" hat leider dazu geführt, daß die Bundesregierung die notwendigen wirtschafts- und sozialpolitischen Begleitmaßnahmen zur Währungsunion unterlassen hat.
({12})
- Warum haben Sie denn dann in den folgenden Wochen dauernd nachgebessert?
({13})
Professor Wolfram Engels hat in der „Wirtschaftswoche" mit Bitterkeit festgestellt, daß Ihre Wirtschaftspolitik „keinen auch nur irgend vorstellbaren Fehler ausgelassen hat".
({14})
Der Vorwurf ist hart, aber berechtigt. Bei der deutschen Einigung wurde von Marktideologen versucht, mit den Menschen in den neuen Bundesländern zu experimentieren.
({15})
Das Experiment ist gescheitert. Viel Zeit und viel Geld wurden vertan. Die Leidtragenden sind die Menschen.
({16})
Es war wiederum reine Ideologie, die die Bundesregierung dazu gebracht hat, sich bei der Eigentumsregelung in den neuen Bundesländern gegen unseren Widerstand für das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" zu entscheiden. Jeder Fachkundige weiß doch, daß dann die notwendigen Investitionen ausbleiben. Besonders Graf Lambsdorff hat sich hier als Investitionshindernis Nummer eins in den neuen Bundesländern erwiesen.
({17})
Erneut: Wenn Sie uns Sozialdemokraten nicht glauben, warum hören Sie dann z. B. nicht auf das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Herrn Dr. Cartellieri, der vor wenigen Wochen laut „Handelsblatt" gesagt hat:
Diese Investitionsblockade läßt sich nur dann schnell überwinden, wenn der Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe " absoluten Vorrang erhält.
Recht hat Herr Dr. Cartellieri.
({18})
Die wirtschaftliche Inkompetenz dieser Bundesregierung schadet unserem Land. Sie greifen zwar mit monatelanger Verzögerung immer wieder Forderungen von uns Sozialdemokraten auf, weil Sie erkennen müssen, daß kein Weg daran vorbeigeht. Aber diese Erkenntnis auf Raten können sich die Menschen in unserem Land nicht länger leisten. Jetzt muß an die Lösung der Probleme endlich energisch und umfassend herangegangen werden.
Die Vorschläge dazu haben wir in unserem Nationalen Aufbauplan vorgelegt.
({19})
Diesen Aufbauplan stellen wir in dieser Haushaltsdebatte zur Abstimmung.
Nötig ist erstens eine investitionsfreundliche Regelung der Eigentumsfrage.
Nötig ist zweitens die wirksame Förderung privater Investitionen durch eine Verbesserung der Investitionszulage von 12 % auf 25 % für Investitionen in den neuen Ländern, da von den von Ihnen vorgeschlagenen Abschreibungsverbesserungen die Unternehmen in Ostdeutschland praktisch nichts haben.
Nötig ist drittens ein klarer gesetzlicher Sanierungsauftrag für die Treuhandanstalt; denn die Treuhand muß auch ihrer regional- und arbeitsmarktpolitischen Verantwortung gerecht werden.
({20})
Nötig ist viertens die Befreiung der Treuhandunternehmen von den Altschulden aus der früheren Kommandowirtschaft. Dieser Vorschlag hätte gegenüber der von Ihnen gewählten bürokratischen Einzelfallprüfung den Vorteil, daß für die Betriebe ein klarer Schlußstrich unter die SED-Mißwirtschaft gezogen wird, daß Betriebe aus eigener Kraft investitionsfähig werden und daß den Betrieben - auch Psychologie ist wichtig - ein deutliches Signal für eine bessere wirtschaftliche Zukunft aus eigener Verantwortung gegeben wird. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Wirtschaft, Wissenschaft und Banken haben dieselbe Altschuldenregelung wie die SPD gefordert. Sie ist vernünftiger und letztlich auch billiger.
Nötig ist fünftens die Einrichtung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften in großem Umfang.
({21})
Auch hier gilt: Wenn Sie wieder einmal uns Sozialdemokraten nicht glauben, so greifen Sie doch endlich die Vorschläge der Gewerkschaften und auch der deutschen Arbeitgeber auf, die solche zeitlich befristeten Beschäftigungs- und Auffanggesellschaften durch ihren Präsidenten Dr. Murmann seit Wochen fordern.
({22})
Angesichts der enormen Aufgaben in der Altlastensanierung und beim Städtebau und der Notwendigkeit, die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern zu qualifizieren, ist es doch aberwitzig, Arbeitslosigkeit zu bezahlen, statt die Menschen in solchen Beschäftigungsbrücken für sinnvolle Arbeit und Qualifizierung zu entlohnen.
({23})
Nötig ist sechstens die Förderung der Beschäftigungschancen für Frauen. Frauen müssen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen bei der Vergabe der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Fortbildungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Das ist heute leider nicht der Fall. Außerdem muß sich der
Bund an der Finanzierung der Kinderbetreuungseinrichtungen über den 30. Juni 1991 hinaus beteiligen.
({24})
Nötig ist siebtens die Beseitigung von investitionshemmenden Umweltlasten. Hier muß sich der Bund noch viel stärker engagieren, damit die Umwelt verbessert und dieses Hemmnis für Investitionen beseitigt wird.
Nötig ist achtens schließlich der Aufbau leistungsfähiger öffentlicher Verwaltungen in den neuen Ländern und Kommunen. Bei aller Kritik, die am öffentlichen Dienst zu äußern modern ist, hat die Situation in den neuen Bundesländern klar gezeigt: Öffentliche Verwaltungen sind keine unnütze Bürokratie, sondern ihr Funktionieren ist eine Grundvoraussetzung für die Wirtschaft.
({25})
Die Lehre, die die Bundesregierung aus ihren bisherigen Fehlern ziehen muß, lautet: Hören Sie endlich auf den wirtschaftspolitischen Sachverstand und warten Sie nicht immer monatelang, bis Sie Vorschläge der SPD aufgreifen!
({26})
Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, wird jeden Tag deutlicher: Es sind sozialdemokratische Lösungsansätze, die die Massenarbeitslosigkeit beseitigen können und den Aufschwung in Ostdeutschland in Gang setzen können.
({27})
Es sind sozialdemokratische Konzepte, die unser Land in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik und in der Umweltpolitik voranbringen.
({28})
- Nun regen Sie sich mal nicht so auf! Ich bin doch ganz freundlich.
Genauso war es der sozialdemokratische Ansatz in der Ostpolitik, dem Sie sich lange widersetzt haben, der uns die Entspannung in Europa und am Ende auch die deutsche Einheit gebracht hat.
({29})
Der dritte entscheidende Fehler der Bundesregierung bei der deutschen Einigung war, daß sie falsche Erwartungen geweckt und genährt hat. Diesen Kardinalfehler hat die Grundwertekommission der SPD vor zwei Wochen recht überzeugend so beschrieben:
({30})
Wir Sozialdemokraten tadeln die Bundesregierung nicht für das Tempo der deutschen Einigung,
({31})
- Erst schreien Sie laut, wenn Ihnen etwas nicht paßt,
und jetzt schreien Sie laut, wenn Ihnen etwas gefällt.
Vielleicht hören Sie einfach zu! - Ich zitiere weiter:
also auch nicht für die Folgen dieses Tempos. Die Mehrheit der Menschen in der DDR wollte ihren Staat so rasch wie möglich loswerden. Aber wir werfen der Bundesregierung vor, daß sie die Deutschen in West und Ost wider das bessere Wissen, das ja nicht nur in der Sozialdemokratie vorhanden war, im unklaren darüber ließ, was die rasche Einigung an Gefahren mit sich brachte und an Opfern verlangte. Wer sich aus verständlichen Gründen für die rasche Einheit entschied, mußte wissen, daß dies für den Osten gewaltige Umbrüche, Verluste und Entbehrungen und für den Westen beträchtliche Leistungen und Opfer für mindestens ein Jahrzehnt bedeutete.
So die Grundwertekommission.
({32})
Die bei vielen Menschen durchaus vorhandene Opferbereitschaft wurde von Ihnen nicht eingefordert. Daß die Teilung nur durch Teilen überwunden werden kann, kam nicht von diesem Bundeskanzler, sondern von unserem Bundespräsidenten.
({33})
- Gut; von de Maizière. Es bleibt genauso gut. Aber ich meine, mich zu erinnern, daß in der großen Debatte am Einigungstag, am 3. Oktober, der Bundespräsident diesen Satz wiederholt hat. Ich bin sehr sicher.
({34})
- Wenn es gleich zwei gesagt haben, ist das ja wunderbar. Um so schlimmer ist es, daß Sie das nicht beherzigt haben, meine Damen und Herren.
({35})
Statt auf die politische Reife und die Solidarität unserer Bürger zu bauen, haben Sie sich von der Union und von der FDP aus wahltaktischen Gründen für die Steuerlüge entschieden.
({36})
Dieser Steuerlüge haben die Bürgerinnen und Bürger bei dem großartigen Wahlerfolg der SPD in Hamburg nun zum drittenmal nach den Wahlerfolgen in Hessen und Rheinland-Pfalz eine Quittung erteilt. Ich sage Ihnen, die Bürger werden das auch in Zukunft nicht
vergessen. Diese Steuerlüge ist der Anfang vom Ende dieser Bundesregierung.
({37})
Jedermann weiß es; darum kann ich es kurz machen: Ihre Steuererhöhungen sind nicht nur mit dem Makel der Unehrlichkeit behaftet, sondern auch mit dem Makel der Ungerechtigkeit. Die kleinen Leute werden von Ihnen zur Kasse gebeten, die großen aber wollen Sie zusätzlich mit Milliardensteuergeschenken beglücken. Wer so gegen das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen verstößt, der kann keine Solidarität einfordern.
({38})
Sie können noch so laut rufen; wer den kleinen Leuten in die Tasche greift und gleichzeitig die Vermögensteuer abschaffen oder senken will, der hat von Solidarität nichts verstanden.
({39})
Die Politik muß mit den Menschen ehrlich umgehen, auch wenn die Wahrheiten, die man sagen muß, unangenehm sind. Optimismus ja, Schönfärberei nein. Das Tricksen, das Schummeln, das Mogeln in der Finanzpolitik müssen ein Ende haben.
({40})
Sagen Sie den Bürgern endlich die Wahrheit! Nehmen Sie sich die „FAZ" von gestern zu Herzen, wo es heißt:
({41})
Nach dem neuerlichen Wahldebakel der CDU in Hamburg sollte es die Regierung vielleicht doch mit etwas mehr Ehrlichkeit bei den Bürgern versuchen.
({42})
Da wir gerade bei Ehrlichkeit in der Finanzpolitik sind, greife ich einen Punkt auf, zu dem ich eigentlich heute nicht Stellung nehmen wollte.
({43})
Aber da der Kollege Helmut Esters mich persönlich gestern zu meiner großen Überraschung in seiner Rede angesprochen und gesagt hat, ein Umzug von Regierung und Parlament von Bonn nach Berlin würde auf keinen Fall Steuererhöhungen nach sich ziehen,
({44})
stelle ich für mich ganz persönlich - nicht für meine Fraktion - klar, daß ich dies für absolut unrealistisch halte.
({45})
Die Kosten für den Umzug, für Infrastrukturmaßnahmen in Berlin und Strukturhilfen für den Bonner Raum würden einige zig Milliarden DM betragen.
({46})
Ich stimme Herrn Waigel in diesem Punkt ausdrücklich darin zu - das kommt ja nicht oft vor, Herr Waigel -, daß wir dieses Geld nicht haben. Deswegen besteht für mich persönlich kein Zweifel daran, daß wir bei einem Umzug an spürbaren Steuererhöhungen nicht vorbeikämen. Es gehört für mich zu der Ehrlichkeit in der Politik, das offen zu sagen.
({47})
Frau MatthäusMaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Frau Kollegin, haben Sie oder einer Ihrer Vorgänger in den vergangenen 40 Jahren die Einhaltung des Versprechens, Berlin solle wieder Hauptstadt mit Parlament und Regierung werden, einmal von den Umzugskosten abhängig gemacht?
({0})
Lieber Herr Conradi, ich habe jetzt ein Problem, weil ich hier als Fraktionssprecherin und nicht persönlich als Ingrid MatthäusMaier stehe. Aber da Sie mich schon so lieb fragen, will ich Ihnen persönlich die Antwort geben: Wir haben im Einigungsvertrag in Art. 2 die bisherigen Aussagen zur Hauptstadt und zum Sitz von Regierung und Parlament auf eine neue Grundlage gestellt. Deswegen hat es sehr wohl mit der Glaubwürdigkeit zu tun, daß wir heute zu einer Aufgabenteilung stehen: Berlin als Hauptstadt, Bonn als Sitz von Regierung und Parlament.
({0})
Da durch Herrn Esters dieses Thema in die Debatte eingeführt wurde, will ich wenigstens eines am Schluß deutlich sagen. Das Gute an dieser Debatte ist, daß zum erstenmal, seit ich Mitglied in diesem Parlament bin, die Frage quer durch alle Fraktionen unterschiedlich entschieden wird. Das ist ja ein Positivum.
({1})
Leider kommt auch bei der gegenwärtigen Mehrwertsteuerdiskussion die Wahrheit nur scheibchenweise ans Licht. Niemand von der Bundesregierung sagt deutlich, daß die finanzpolitischen Probleme der nächsten Jahre noch nicht gelöst sind. Herr Waigel, Sie haben die Ergänzungsabgabe auf ein Jahr befristet. Gleichzeitig wird der Fonds Deutsche Einheit in absehbarer Zeit drastisch heruntergefahren. Ihre Finanzpolitik gibt damit Bürgern und Wirtschaft, Ländern und Gemeinden mittelfristig keine verläßliche Perspektive. Die Frage ist, wie Sie die Finanzprobleme der nächsten Jahre in den Griff bekommen wollen.
Diese haben Sie bis heute nicht offen und ehrlich beantwortet.
Nachdem Sie vor der Bundestagswahl noch heftig bestritten haben, daß Sie die Mehrwertsteuer erhöhen wollen, geben Sie mittlerweile zu, daß Sie die Mehrwertsteuer anheben wollen. Dabei versuchen Sie aber schon wieder zu tricksen, indem Sie den Eindruck erwecken wollen, die Europäische Gemeinschaft würde uns zur Anhebung der Mehrwertsteuer zwingen.
Die Wahrheit ist: Hinter der Europäischen Gemeinschaft können Sie sich nicht verstecken. Das bestätigte z. B. vor wenigen Tagen der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, der kürzlich in München zur Mehrwertsteuererhöhung gesagt hat: „Ich bin für Ehrlichkeit in der Diskussion; es gibt keinerlei Handlungszwang auf EG- Ebene."
Tatsache ist, das Harmonisierungskonzept der Europäischen Gemeinschaft sieht bis heute einen Mehrwertsteuersatz von 14 % vor.
({2})
- Wohl! Wenn Sie das bezweifeln, dann denken Sie daran, daß das gestern in der Anhörung noch einmal klargestellt worden ist.
({3})
- Selbstverständlich war ich da. ({4})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Kollege, wenn Sie etwas wollen. Aber ich weiß schon, warum Sie das nicht tun: Ich würde Ihnen die richtige Antwort geben.
({5})
Erst die Ankündigung der Bundesregierung, daß sie die Mehrwertsteuer anheben will, hat die Kommission dazu bewogen, man kann auch sagen: provoziert, jetzt in Richtung von 15 % zu gehen. Daran gibt es keinen Zweifel. Seien Sie doch einfach ehrlich.
({6})
Wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der Europäischen Gemeinschaft ist eine Anhebung der Mehrwertsteuer ohne Ihre Zustimmung nicht möglich. Sie, Herr Finanzminister, haben es also in der Hand, durch die Verweigerung Ihrer Zustimmung die deutsche Wirtschaft und den Verbraucher vor einer Mehrwertsteueranhebung zu bewahren.
Statt durch eine Flut von Steuererhöhungen den kleinen Leuten in die Tasche zu greifen, müßten doch zuerst einmal die Vermögen der Nutznießer des alten DDR-Regimes, die sie sich zu Unrecht angeeignet haben, eingezogen werden. Ich muß Ihnen sagen: Ich halte es wirklich für empörend, daß über anderthalb Jahre nach dem Fall der Mauer die PDS, aber auch die CDU und die FDP als Erben der ehemaligen Blockparteien
({7})
bei der Bestandsaufnahme, Herr Rühe, und bei der Herausgabe ihrer alten DDR-Vermögen immer noch mauern.
({8})
Empörend finden es unsere Bürger auch, daß sich der Stasi-Oberst Schalck-Golodkowski am Tegernsee schöne Tage macht, statt das Milliardenvermögen herauszurücken, das er für die SED weltweit angelegt hat.
({9})
Ich hoffe, daß der Untersuchungsausschuß, der auf unseren SPD-Antrag hin eingesetzt wird, möglichst schnell dieses ehemalige SED-Vermögen aufspürt, damit es endlich den Menschen in den neuen Bundesländern zugute kommt. Ihnen gehört es und sonst niemandem.
({10})
Frau Matthäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rühe?
Ja.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die CDU bis zum letzten Pfennig auf das gesamte Vermögen der Ost-CDU verzichtet hat, und zwar notariell beglaubigt - es ist meine herzliche Bitte, daß Sie Ihre Vorwürfe hier nun wirklich ablegen sollten - , und sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, was Herr Schalck-Golodkowski über die besonders engen Verbindungen zwischen sozialdemokratischen Spitzenpolitikern und ihm erzählt hat?
({0})
Herr Rühe, ich kenne Ihre Erklärung
({0})
vor dem Notar vom letzten Jahr, aber ich weiß genausogut, daß sich die Sonderkommission, die zur Aufspürung dieses Vermögens eingesetzt worden ist, bis heute darüber beschwert, daß die Parteien - inklusive Ihrer - keine ordentliche Bestandsaufnahme vorgenommen haben.
({1})
Herr Rühe, daß der Herr Schalck-Golodkowski nun eher ein Spezi von Herrn Strauß als von der SPD war, das weiß in diesem Lande jedes Kind.
({2})
Eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin!
Frau Kollegin Matthäus-Maier, halten Sie es nicht auch für außerordentlich merkwürdig, daß der Generalsekretär der CDU ausgerechnet Herrn Schalck-Golodkowski als Kronzeugen gegen die Sozialdemokraten bemühen muß?
({0})
Ich habe folgendes gelernt, Frau Kollegin Herta Däubler-Gmelin: Wenn es der CDU paßt, die SPD zu verunglimpfen, dann war ihr bisher immer jedes Mittel recht, auch die SED und ihre Vergangenheit, meine Damen und Herren.
({0})
Frau MatthäusMaier, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Herrn Abgeordneten Lüder?
Frau Kollegin, ich bin in einer schwierigen Lage, weil die Frage ein Wissen darlegt, das ich hier nicht offenbaren darf. Deswegen frage ich Sie nur: Sind Sie bereit, sich von den von Ihrer Fraktion in die unabhängige Kommission entsandten Mitgliedern darüber informieren zu lassen, wie der Sachverhalt, den Sie hinsichtlich des FDP- und CDU-Vermögens eben fälschlich dargestellt haben, in Wahrheit ist?
({0})
Herr Kollege Lüder, bevor ich mir diese Rede so vorgenommen habe, habe ich selbstverständlich mit den SPD-Mitgliedern in dieser Kommission gesprochen. Sie bestätigen ausdrücklich das, was ich hier gesagt habe, daß nämlich bei der Bestandsaufnahme bzw. bei der Rückgabe dieses alten Vermögens nach wie vor gemauert wird. Daran führt leider kein Weg vorbei.
({0})
Wenn Sie das mit uns wollen, dann unternehmen Sie doch endlich die Anstrengung, daß das Geld an den Staat zurückkommt und endlich in die Taschen der Bürger in Ostdeutschland fließt, wo es hingehört!
({1})
- Na selbstverständlich ist es bei der Treuhand. Nur, wenn es die Treuhand hat, dann ist das ein Aktivum, das den Menschen in den neuen Bundesländern zugute kommt, Herr Rühe!
({2})
Meine Damen und Herren, Ihre Politik des Tricksens und des Täuschens setzen Sie leider auch bei diesem Bundeshaushalt fort. Sie sagen, Sie hätten im Bundeshaushalt 1991 35 Milliarden DM eingespart. Tatsache ist aber, daß mehr als die Hälfte dieser 35 Milliarden DM angeblicher Einsparungen durch
Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zustande gekommen ist. Sie haben den Bürgern in die Tasche gegriffen und in dieser Höhe leider eben nicht eingespart.
Sie tricksen auch beim Schuldenmachen. Weil die Bundesbank nicht mehr bereit war, Ihre ausufernde Schuldenpolitik hinzunehmen, haben Sie im letzten Jahr notgedrungen zugesagt, daß die öffentliche Neuverschuldung 1991 140 Milliarden DM nicht übersteigen wird. Damit diese Schuldengrenze nicht überschritten wird, haben Sie nicht etwa die Neuverschuldung entsprechend reduziert,
({3})
sondern mit den Zahlen getrickst. So geschehen, als Sie wahrheitswidrig für 1991 die Neuverschuldung des ERP-Sondervermögens mit 3 Milliarden DM statt 7 Milliarden DM und die Neuverschuldung von Ländern und Gemeinden im Westen mit 11 Milliarden DM statt mit 24 Milliarden DM angegeben haben - alles nur, damit die Zahl 140 nicht überschritten wird. Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Wie heißt die neue Zahl, statt 140 Milliarden DM? - Nennen Sie sie hier endlich!
Aber auch das ist noch nicht alles. Sie versuchen darüber hinaus, Schulden kunstvoll in verschiedenen Schuldentöpfen zu verstecken. Da gibt es z. B. den Sonderfonds Deutsche Einheit mit einem Schuldenvolumen von 95 Milliarden DM. Da gibt es z. B. den Kreditabwicklungsfonds, in dem zusätzlich noch mehr als 100 Milliarden DM Schulden geparkt sind. Da ist z. B. bereits ein neuer Entschädigungsfonds beschlossen, der demnächst mit Milliardenbeträgen gefüllt werden muß. In die Verschuldung des Bundes muß auch die Treuhandanstalt in Berlin einbezogen werden, die allein in diesem Jahr mehr als 22 Milliarden DM neue Schulden macht.
Meine Damen und Herren, ich werfe Ihnen nicht vor, daß diese Schulden bestehen - sie sind zum großen Teil eine Altlast des ehemaligen Regimes in der ehemaligen DDR -, aber ich werfe Ihnen vor, daß Sie das wahre Ausmaß der Staatsverschuldung durch Ihre Schuldentöpfe systematisch verunklaren wollen.
({4})
Noch in diesem Jahr wird die öffentliche Verschuldung auf mindestens 1,2 Billionen DM ansteigen, meine Damen und Herren. Das sind 1 200 Milliarden DM Schulden der öffentlichen Hand. Das sind pro Kopf unserer Bevölkerung umgerechnet rund 15 000 DM Staatsschulden. Für eine vierköpfige Durchschnittsfamilie heißt das, daß auf sie eine durchschnittliche Verschuldung von rund 60 000 DM entfällt. Sagen Sie das doch unseren Bürgern. Es gehört doch zu einer ungeschminkten finanzpolitischen Bestandsaufnahme, daß Sie dies offen sagen. Die Konsequenz daraus muß heißen: Das Ausufern der Staatsverschuldung muß gestoppt werden.
In diesem Jahr haben Sie die Kehrtwende leider nicht vollzogen. Auch Ihre Finanzpolitik in diesem Jahr ist durch hohe neue Schulden gekennzeichnet. Zusammen mit den Sondervermögen und Sondertöpfen wird sich eine öffentliche Neuverschuldung von
über 200 Milliarden DM zusätzlich ergeben. Das sind über 7 % des Bruttosozialprodukts, meine Damen und Herren. Das ist fast das gesamte Sparaufkommen der Bürger in diesem Lande. Das ist eine Rekordverschuldung, die selbst die schlimmsten Alpträume von Finanzpolitikern noch übersteigt.
Sicher ist die deutsche Einigung ein Ereignis, das auch finanzpolitisch Spuren hinterläßt und für das man neue Kredite machen darf. Aber, meine Damen und Herren, auch einmalige und großartige Ereignisse wie dieses dürfen kein Vorwand sein, um die notwendige Solidität der Finanzpolitik außer Kraft zu setzen.
({5})
Mehr als 200 Milliarden DM neue Schulden allein in diesem Jahr sind auch wirtschaftspolitisch riskant. Die öffentliche Kreditaufnahme in diesem Umfang hält die Zinsen hoch und behindert damit notwendige Investitionen in neue Arbeitsplätze und im Wohnungsbau und stranguliert auch die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte. Meine Damen und Herren, quer über die Parteigrenzen hinweg muß es für uns doch außerordentlich beunruhigend sein, daß die öffentliche Hand - Bund, Länder, Gemeinden, Treuhand, der Fonds und die Sondertöpfe - allein in diesem Jahr 100 Milliarden DM Zinsen zahlt. Das heißt: Ehe der Umweltminister eine DM für Umwelt oder der Bildungsminister 10 DM für neue Universitäten zur Verfügung hat, sind erst einmal 100 Milliarden DM für Zinsen an die Seite zu legen, für die der Bürger ja keine Gegenleistung bekommt.
Zu einer wahrhaftigen finanzpolitischen Bestandsaufnahme gehört außerdem, daß Sie auf die voraussichtlichen Mehrbelastungen und Haushaltsrisiken hinweisen. Es sind doch riesige Summen, die wir Mittel- und Osteuropa zur Verfügung stellen müssen. Ich erinnere an die Transferrubel-Geschäfte. Sie wissen doch heute schon, daß von seiten der Treuhand noch zusätzliche Belastungen kommen werden. Frau Breuel hat gesagt: Da werden so manchem Finanzpolitiker die Augen übergehen; so wörtlich Frau Breuel.
Sie wissen doch heute schon, daß für die Enteignung in der ehemaligen DDR vom Bund Entschädigungen zu zahlen sind. Sie wissen doch heute schon, daß das Existenzminimum in unserem Lande verfassungswidrig besteuert wird. Das heißt: Jedermann weiß, daß Milliarden nötig sein werden, um diesen Zustand abzustellen und den Menschen für die Jahre 1990 und 1991 die zuviel gezahlten Steuern zurückzuzahlen.
({6})
Sie wissen doch heute schon, daß nach dem Urteil des Verfassungsgerichts den Familien mit Kindern laufend zuviel an Steuern abgezogen wird, was korrigiert werden muß. Sie wissen doch heute schon, meine Damen und Herren, daß im Zusammenhang mit der Neufassung des Abtreibungs-Paragraphen insbesondere für die Beratung und für soziale Hilfen für Frauen Milliardensummen bereitgestellt werden müssen
({7})
- pro Jahr - und daß die Riesenprobleme in der Dritten Welt nicht ohne unsere Hilfe zu lösen sind, und zwar schon deshalb, weil sonst noch größere Wanderungsbewegungen von Süden nach Norden und von Osten nach Westen erfolgen werden. Das wissen Sie auch, das wollen Sie aber offiziell nicht zur Kenntnis nehmen, nach dem Motto „Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß". Da kann sich kein Vertrauen in Ihre Finanzpolitik einstellen, meine Damen und Herren.
Wir fragen Sie, Herr Finanzminister: Wann wollen Sie endlich anfangen einzusparen?
({8})
Wir haben in mehreren Anträgen, auch heute wieder, in dieser Haushaltsdebatte, umfangreiche Einsparungsvorschläge vorgelegt, deren Annahme Steuererhöhungen in dem jetzigen Umfang unnötig gemacht hätten.
Wir haben z. B. vorgeschlagen, Milliarden im Verteidigungshaushalt einzusparen. Gekürzt werden kann beim Panzerabwehrhubschrauber, bei der Beschaffung und Entwicklung des MRCA Tornado,
({9})
bei der Wehrtechnik, bei der Beschaffung des Panzers Leopard II und bei der Munition. Wenn wir Sie erneut auffordern, auch den Jäger 90 einzustellen, dann weiß ich, daß das bei Ihnen, wie immer, Gelächter hervorruft.
({10})
Aber, meine Damen und Herren, das ist nicht zum Lachen; denn die Menschen - - „Was ist denn die Alternative?" Wir haben doch wohl genug Munition und genug Rüstung. Es dient doch dem Frieden, endlich abzurüsten und nicht aufzurüsten, meine Damen und Herren!
({11})
Aber ich bin bei dem neuen Jagdflugzeug Jäger 90 ganz hoffnungsfroh. Jahrelang habe ich hier vergeblich gefordert: Stellen Sie die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf ein! - Sie haben höhnisch gelacht. Jetzt ist sie eingestellt.
({12})
Jahrelang haben wir gefordert: Machen Sie den Schnellen Brüter in Kalkar dicht! - Sie haben höhnisch gelacht. Jetzt ist er Gott sei Dank geschlossen. Ich sage Ihnen: Ihnen wird es mit dem Jäger 90 ganz genau so gehen, und das ist gut so.
({13})
Wir haben umfangreiche Subventionsabbauvorschläge gemacht, z. B. bei der bemannten Raumfahrt - die selbst in der Regierungskoalition doch keine Mehrheit mehr hat, wenn ich es richtig sehe - , bei der Kernenergie, bei der industriellen Agrarproduktion, beim Flugbenzin, beim Dienstmädchenprivileg, bei dem neuen Tariffreibetrag, bei den Bewirtungsspesen, bei der privaten Nutzung des Betriebs-Pkw und bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Schmiergeldern. Die Liste wird noch länger, wenn man berücksichtigt, daß Sie das Dienstmädchenprivileg sogar weiter anzuheben beabsichtigen und daß zu Ihren Plänen die Senkung der Vermögen- und die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer gehört, was ja nichts anderes ist als die Einführung neuer Steuersubventionen, die wir auf keinen Fall mitmachen werden, meine Damen und Herren.
({14})
Herr Finanzminister, Sie haben bisher beim Subventionsabbau gekniffen.
({15})
- Er wird schon wiederkommen, nehme ich an.
({16})
Der Finanzminister hat also bisher beim Subventionsabbau gekniffen. Wenn man sich genau ansieht, wer denn die Subventionen bekommt, dann wird offenkundig, daß da gespart werden muß. Es ist das Verdienst meiner Kollegin Edelgard Bulmahn, durch monatelange Kleinarbeit nachgewiesen zu haben, daß der größte Konzern in diesem Lande zugleich der größte Subventionsempfänger ist. Ich frage Sie: Ist denn der Daimler-Benz-Konzern wirklich so arm, daß man ihm in diesem Maße unter die Arme greifen muß?
({17})
Da der zuständige Bundesfinanzminister bisher seine Aufgaben nicht gemacht hat, hat Bundeswirtschaftsminister Möllemann die Bundesregierung und sich ganz persönlich auf ein Ziel von 10 Milliarden DM Subventionsabbau festgelegt.
({18})
Das begrüße ich ausdrücklich.
({19})
Damit aber niemand glaubt, er könne sich nach dem 3. Juli herausmogeln, möchte ich hier genau festhalten, was er unter dem Ziel des Abbaus von 10 Milliarden DM Subventionen verstanden wissen will. Herr Möllemann hat in seinem Schreiben vom 19. März an die Präsidenten der großen Wirtschaftsverbände klipp und klar formuliert, daß es ein Beschluß der Koalition sei, „bereits im Bundeshaushalt 1992 10 Milliarden DM Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und subventionsähnliche Ausgaben einzusparen". Ich wiederhole, worum es geht, damit es klar ist: 10 Milliarden DM Subventionsabbau müssen im Bundeshaushalt 1992 kassenwirksam werden.
Meine Damen und Herren, da haben Sie aber noch kräftig zu arbeiten;
({20})
denn von dem Ziel sind Sie noch weit weg. Wenn ich mir die Vorschläge Ihrer Steuerpolitiker anschaue, dann stelle ich fest, daß das noch lange nicht 5 Milliarden DM sind.
({21})
- Das ist beim Bundeshaushalt etwa eine einzige Milliarde, Herr Faltlhauser. Außerdem möchte ich erst einmal sehen, ob Sie das wirklich hinkriegen.
({22})
Der Regierungssprecher hat nämlich einen Tag nach Ihren Vorschlägen diese als - so hat er wörtlich gesagt - aus dem politischen Souterrain kommend bezeichnet. Herr Faltlhauser, wo haben Sie denn da gesessen? Im Souterrain? Der Bundesfinanzminister hat sehr unwirsch reagiert, meine Damen und Herren.
Für uns, die wir 1981 und 1982 zwei umfangreiche Subventionsabbaupakete durchgesetzt haben, ist klar: Subventionsabbau ist ein schwieriges Geschäft. Ich stelle hier auch klar, das kann nicht nach dem Motto gehen: Schlägst du meine Klientel, dann schlage ich deine Klientel.
Selbstverständlich muß bei der Diskussion um den Subventionsabbau auch über die Kohle und nicht nur über die Landwirtschaft geredet werden. Aber eines, meine Damen und Herren, werden Sie bei der Kohle berücksichtigen müssen: Die Steinkohleförderung wurde in der Vergangenheit schon mehr als halbiert. Es ist unstreitig, daß in Zukunft - die nordrhein-westfälische Landesregierung hat das immer wieder gesagt - die Kohleförderung weiter wird zurückgenommen werden müssen.
Frau MatthäusMaier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Herzlichen Dank. Frau Kollegin, der Zusammenhang ist durch Ihre weitere Rede jetzt ein bißchen unterbrochen. Abgesehen davon, daß es auch im Souterrain sehr hübsche Wohnungen geben kann, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Erklärung des Regierungssprechers Vogel am Montag - das Datum habe ich jetzt nicht mehr im Kopf - sich auf Äußerungen und Darstellungen in der „Süddeutschen Zeitung" bezog, nicht auf Äußerungen, die am nächsten Tag vom Kollegen Faltlhauser und mir in der Presse gestanden haben.
Herr Kollege Gattermann, es ist sehr freundlich, daß Sie auf diesen nicht sehr bemerkenswerten Unterschied hinweisen. Ob Sie nun bei dem einen oder bei dem anderen Papier im Souterrain gesessen haben, finde ich letztlich nicht so wichtig. Der Regierungssprecher hat durch diese Antwort klarmachen wollen, daß er von diesem Papier
({0})
sehr wenig hält. Ich habe selber im Fernsehen gesehen, wie der Herr Finanzminister diese Vorschläge doch sehr stark dadurch relativiert hat, daß er gesagt hat, es sei nichts entschieden, es sei nichts beschieden, es sei nichts beschlossen.
({1})
Herr Gattermann, damit eines klar ist: Wenn Sie - einigen wir uns doch darauf - beim Abbau von Steuervergünstigungen - kämen sie aus dem Souterrain oder aus dem fünften Stock - 5 Milliarden DM Bundesanteil kassenwirksam für das Jahr 1992 herausholen, dann halte ich das für eine große Leistung, vorausgesetzt, zwei Bedingungen werden erfüllt: Erstens. Dieser Subventionsabbau muß wirtschaftspolitisch vernünftig sein; zweitens muß er steuerpolitisch gerecht sein. Wenn Sie wieder einen Subventionsabbau mit dem Ziel betreiben, die kleinen Leute zur Kasse zu bitten - das steht nämlich auch in Ihren Plänen - , dann werden Sie bei uns auf erbitterten Widerstand stoßen, meine Damen und Herren.
({2})
Ich möchte meine Ausführungen zur Kohle fortführen. Gerade damit der Abbau der Förderung sozial verträglich geschieht, gibt es doch den Jahrhundertvertrag. Deswegen darf es nicht darum gehen, in einen bestehenden Vertrag einzugreifen, denn dieser macht den geordneten Übergang in der betroffenen Region erst möglich. Lassen Sie die Finger vom Jahrhundertvertrag. Andernfalls werden Sie einen energiepolitischen Konsens mit uns nicht erreichen, meine Damen und Herren.
({3})
Schließlich: Sparen Sie endlich bei sich selber ein. Die Bundesregierung hat das bisher schon bedeutungslose Familienministerium in drei neue Ministerien aufgeteilt - außerordentlich überflüssig und teuer. Die Bundesregierung hat die Zahl der Minister-und Staatssekretärsposten von 61 auf 81 erhöht - überflüssig und teuer.
Dieser Tage war in der Zeitung zu lesen, daß das Bonner Büro der Treuhand als neue Versorgungsanstalt für CDU-Politiker ausgebaut wird. Es ist eine Schande, daß die Treuhand 250 000 DM ausgeben soll, um einen abgehalfterten CDU-Politiker zu bezahlen. Ich hoffe, wir halten gemeinsam dagegen.
({4})
Wie recht hatte doch Robert Leicht, als er in der „Zeit" am 1. Februar schrieb:
Dieser Kanzler kann für sich beanspruchen, das Beutesystem zu Lasten der Staatskasse aus nackter Parteipolitik und purer Gefälligkeit auf die Spitze getrieben zu haben: ein Abgrund von Patronage.
So die „Zeit".
Ich fasse zusammen: Dieser Bundeshaushalt wird den politischen Herausforderungen unseres Landes nicht gerecht. Die Bundesregierung macht beim Aufbau der neuen Bundesländer schwere Fehler und schafft es nicht, die deutsche Einheit solide zu finanzieren. Der Haushalt zeigt: Diese Bundesregierung ist
wirtschaftspolitisch inkompetent und finanzpolitisch unsolide.
Wir brauchen einen nationalen Aufbauplan für die neuen Länder, eine Finanzpolitik, die offen und ehrlich die Wahrheit sagt, und einen Bundesfinanzminister, der endlich die Kraft zu Einsparungen und zum Subventionsabbau hat, damit die vor uns liegenden Aufgaben solide finanziert werden können.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Matthäus-Maier hat sich in einem der Teile ihrer Rede, die sich nicht mit dem Haushalt befaßten, anders als der SPD-Sprecher, der gestern die Offenheit der Kostenrechnung für eine Hauptstadtentscheidung betont hat, wie ich es verkürzt sagen will, geäußert. Sie hat hier eine Steuererhöhungsvision dargelegt und hat sich dabei auf allgemeine Behauptungen bezogen.
Ich halte eine solche Äußerung für nicht tragfähig. Ich halte es für nicht ziemlich, wenn im Deutschen Bundestag eine Steuererhöhungsvision für den Fall dargelegt wird, daß der 12. Deutsche Bundestag das wiederholend beschließen würde, was vom 1. bis zum 11. Bundestag hier Konsens war, nur weil wir es jetzt realisieren können.
Ich möchte insbesondere die Finanz- und Haushaltspolitiker darauf hinweisen, daß die Berliner Bank in einem soliden Gutachten zu einer total abweichenden Zahl kommt, auf die ich mich jetzt genausowenig stütze, wie sich andere auf andere Gutachten hier im Plenum stützen können. Ich halte es für unsolide, daß wir im Plenum darüber diskutieren, welche Zahlen gelten. Es ist aber ebenfalls unsolide, hier Horrorvisionen darzulegen.
Da Sie bei einem Hinweis auf den Bundesfinanzminister gezeigt haben, daß Sie die gestrige „FAZ" gelesen haben, möchte ich Ihnen den Hinweis geben, daß im Feuilleton, ein paar Seiten hinter dem Wirtschaftsteil, ebenfalls gestern ein guter Artikel des früheren Präsidenten Womit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Hauptstadtfrage mit dem Tenor „Die Verlegung würde Bonn weniger zumuten, als Berlin schon lange hinnehmen mußte" steht.
({0})
Frau Matthäus-Maier, möchten Sie antworten?
Ich glaube, wir werden diese Debatte an einem anderen Tage fortsetzen können.
Ich betone noch einmal - ich habe es nur angesprochen - , Herr Esters hat mir gestern unter ausdrücklicher Nennung meines Namens widersprochen. Zu
meiner Vorstellung von Politik gehört es, nicht von Horrorzahlen zu reden. Ich sehe das gelassen. Ein Jahr lang haben mir die Union und die FDP vorgeworfen, Horrorzahlen zu verbreiten. Die Zahlen zur deutschen Einheit vom letzten Jahr sind heute schon Schönfärberei. Ich glaube, es gehört zur Ehrlichkeit in der Politik, die Wahrheit zu sagen.
Herr Kollege Lüder, Sie sprechen von der Berliner Bank. Diese hat ausgerechnet, durch einen Umzug bekommen wir 2,4 Milliarden DM mehr. Wissen Sie, das ist ja eine tolle Milchmädchenrechnung. Herr Waigel, ich muß Sie ausdrücklich dafür kritisieren, daß Sie diese wundersame Geldvermehrung bis heute noch nicht entdeckt haben. Wir ziehen nur ein paarmal um, und damit bauen wir die Schulden des Staates ab. So kann es ja nun nicht sein.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Diskussion über die Hauptstadtfrage Berlin - Bonn lassen Sie uns zum Haushalt 1991 zurückkehren.
({0})
Wir haben für die Beratungen des Haushalts 1991 im Haushaltsausschuß nur fünf Wochen Zeit gehabt. Für die gute Zusammenarbeit und die Unterstützung durch die Bundesregierung, den Bundesfinanzminister, seinen Parlamentarischen Staatssekretär und alle Beamten des Hauses darf ich mich sehr herzlich bedanken. Dies hat die Beratungen wesentlich erleichtert.
In dieser kurzen Beratungszeit hat sich bei schwierigen Erörterungspunkten auch das besondere Klima im Haushaltsausschuß bewährt. Der Vorsitzende des Ausschusses, Rudi Walther, und der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Klaus Rose, haben die Verhandlungen immer fair geleitet. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD waren bereit, den Haushalt unter großem Zeitdruck konzentriert und sachlich zu beraten. Die ganz seltene Teilnahme der Gruppen Bündnis 90/ GRÜNE und PDS haben die Beratungen weder gestört, noch haben sie die Beratungen beeinflußt. Beide Gruppen haben bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß keine Anträge gestellt. Dafür erleben wir jetzt eine Flut von Anträgen in der zweiten Lesung. Es wäre sicher sachdienlicher gewesen, wenn wir diese Anträge bei den Beratungen im Ausschuß hätten mitberaten können.
({1})
Für das gute persönliche Klima und die gute sachliche Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe der Koalition im Haushaltsausschuß möchte ich mich bei allen bedanken, vor allem bei Wolfgang Weng und den Kolleginnen und Kollegen der FDP. Ich finde, die gute Zusammenarbeit in der Koalition ist die Grundlage für die erfolgreiche Beratung des Regierungsentwurfs für den ersten gesamtdeutschen Haushalt, der ganz im Zeichen der Wiedervereinigung steht.
Dieser Haushalt ist durch folgende Kernaussagen geprägt:
Erstens. Der Bundeshaushalt 1991 ist von außerordentlichen Anstrengungen zur Überwindung der schrecklichen Hinterlassenschaft von 40jähriger sozialistischer Mißwirtschaft gekennzeichnet. Zerfallene Städte und Dörfer, schlechte Infrastruktur, extreme Umweltbelastungen, verdeckte hohe Arbeitslosigkeit und geringe Produktivität waren die Kennzeichen des früheren SED-Regimes.
Zweitens. Mit dem Bundeshaushalt 1991 wird das richtige Signal für die wichtigste innenpolitische Aufgabe dieser Legislaturperiode gesetzt, nämlich die schrittweise Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.
Drittens. Von dem Gesamtvolumen des Haushalts, das sich nach Abschluß der Beratungen im Haushaltsausschuß auf rund 410 Milliarden DM beläuft, sind mehr als 90 Milliarden DM einigungsbedingte Ausgaben. Sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite schlägt sich das breite Bündel von Maßnahmen zur schnellen Modernisierung und Sanierung der neuen Bundesländer nieder.
Viertens. Die in den Eckwertebeschlüssen im November 1990 als Obergrenze festgelegte Nettokreditaufnahme von 70 Milliarden DM konnte im Rahmen der Haushaltsberatungen mit 66,4 Milliarden DM deutlich unterschritten werden. Bei einer Nettokreditaufnahme von 66,4 Milliarden DM und Investitionen von 65 Milliarden DM konnte damit auch im Ausnahmejahr 1991 die Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes beinahe eingehalten werden.
Fünftens. Wir bekräftigen unsere Auffassung, daß diese hohe Kreditfinanzierung 1991 nur vorübergehender Natur sein darf und daß dies keine Abkehr von unserer bewährten soliden Finanzpolitik ist.
({2})
Eine konsequente Ausgabenpolitik, die eine gemeinsame Aufgabe aller öffentlichen Gebietskörperschaften ist, erfordert, daß die Ausgabenzuwächse deutlich hinter der Zunahme gesamtwirtschaftlicher Leistungen zurückbleiben.
Meine Damen und Herren, bei den Haushaltsberatungen standen wir auf Grund der Wiedervereinigung in diesem Jahr vor der besonderen Schwierigkeit, keinerlei Vergleichsdaten aus dem Vorjahr zu haben.
({3})
Darf ich vielleicht um eine Rücknahme der Geräuschkulisse bitten. Sonst ist es für den Redner schier unmöglich, sich verständlich zu machen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Dabei haben wir sicherlich den einen oder anderen Haushaltsansatz durchaus großzügig bemessen, um von der finanziellen Seite her das Zusammenwachsen Deutschlands zu erleichtern. Man muß sich auch bei den heutigen Beratungen immer wieder den Zeithorizont der deutschen Einheit vor Augen führen. Seit elf Monaten haben wir die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Seit acht Monaten ist unser Vaterland wiedervereinigt. Trotz der
unbestreitbar vorhandenen Schwierigkeiten müssen auch Sie heute diesen kurzen zeitlichen Ablauf immer wieder beachten. Ich meine, nur Phantasten konnten mehr und schnellere Ergebnisse erwarten. Wir haben stets betont, daß die Einheit Deutschlands nicht zum Nulltarif zu haben ist und auch nicht über Nacht zu vollenden ist. Aber wir haben ebenso betont, daß sich durch die deutsche Einheit große Zukunftsperspektiven für unser Land und für Europa ergeben.
Wer wie die SPD heute beklagt, daß der Haushalt 1991 erst nach der Wahl und damit zu spät eingebracht worden ist und erst jetzt beraten werden kann, den muß man daran erinnern, daß die SPD im vorigen Jahr eine frühere Wahl verhindert hat
({0})
und daß diese Blockadepolitik der SPD dazu geführt hat, daß wir wertvolle Monate für den Aufbau der neuen Bundesländer verloren haben.
({1})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, in der Fernsehsendung „Ich stelle mich" vom 28. April 1991 haben Sie auf die Frage nach dem Karrierewunsch geantwortet: Das, was ich jetzt mache, das würde ich gern weitermachen.
({2})
Ich finde, vor allem nach Ihrer heutigen Rede, ist das eine realistische Einschätzung. Wir werden alles tun, damit dieser Wunsch in Erfüllung geht und Sie noch lange finanzpolitische Sprecherin der Opposition bleiben.
({3})
Frau Kollegin, Sie haben heute erneut den Vertrag, den ein Kollege mit der Treuhand abgeschlossen hatte, angesprochen. Wenn Sie es nicht wissen, dann möchte ich Ihnen hier sagen: Dieser Vertrag ist aufgelöst, und wir sollten das, glaube ich, gemeinsam zur Kenntnis nehmen und nicht immer wieder versuchen, dies erneut hochzuspielen.
({4})
- Ich sagte: Wenn Sie es nicht wissen. Deswegen wollte ich es hier auch in aller Deutlichkeit sagen.
Meine Damen und Herren, im wiedervereinigten Deutschland ist die Konjunktur tief gespalten. Die Wirtschaft in den alten Bundesländern ist mit anhaltendem Schwung ins neunte Jahr des Aufschwungs eingetreten. In der „Welt" von heute heißt es:
... so setzt sich damit eine neunjährige Aufschwungphase - davon drei Jahre Hochkonjunktur - fort. Eine Entwicklung von derartiger Stetigkeit sah dieses Jahrhundert noch nicht.
Meine Damen und Herren, dies ist ein Erfolg unserer konsequenten und soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({5})
Unsere Politik der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft seit Herbst 1982 hat dazu geführt, daß wir auf die Einheit Deutschlands finanziell gut vorbereitet waren.
({6})
Die Frau Kollegin Matthäus-Maier hat heute immer wieder sozialdemokratische Rezepte angepriesen. Ich glaube, wir haben die Auswirkungen derartiger Rezepte bis 1982 gerade im finanzpolitischen Bereich deutlich erlebt. Wir haben keine Sehnsucht nach einer Fortsetzung solcher Rezepte.
({7})
Denn es ist doch unstrittig, daß die finanziellen Mittel Ende 1982 als die Sozialdemokraten in der Regierungsverantwortung abgelöst wurden, nicht in dem Umfang zur Verfügung gestanden hätten, wie wir sie heute zur Verfügung stellen können.
Wir brauchen heute diese große wirtschaftliche Dynamik, um mit den Herausforderungen von mehr als 40 Jahren Sozialismus und dem sicher zunächst steinigen Weg in die Soziale Marktwirtschaft fertigzuwerden.
Ganz ohne Zweifel ist die Wirtschaft in den neuen Bundesländern durch große Strukturanpassungsprobleme gekennzeichnet. Die kurzfristige Umstellung von der Planwirtschaft auf eine Soziale Marktwirtschaft, zu der es keine Alternative gibt, ist eine große und geschichtlich einmalige Aufgabe. Wir müssen den Schutt der sozialistischen Mißwirtschaft wegräumen. Völlig zu Recht schrieb die Deutsche Bundesbank in ihrem Geschäftsbericht 1990:
Die enormen Altlasten in Form von Strukturmängeln, insbesondere eines desolaten Zustandes des Kapitalstocks, von Eigentumsproblemen und Umweltschäden beim Start in die neue Wirtschafts-, Währungs- und Sozialordnung sind eine vom sozialistischen System hinterlassene Hypothek, die jetzt abgetragen werden muß.
Dies sind die rein ökonomischen Fakten, die ein System hinterlassen hat, von dem der saarländische Ministerpräsident Lafontaine im „Spiegel" am 13. August 1990 gesagt hat:
Die DDR war, bis die Mauer fiel, ein führendes Industrieland.
Welch eine eklatante Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Situation der DDR vor zehn Monaten!
({8})
Wir müssen uns dies immer wieder in Erinnerung rufen. Wenn es nach Lafontaine gegangen wäre, hätten
wir heute wahrscheinlich kein vereintes Vaterland. Er wollte diesen Prozeß doch sehr viel langsamer. Ihm war das Tempo der Wiedervereinigung viel zu hoch. Wenn die SPD beklagt, alles hätte schneller gehen müssen, dann hätte die SPD im vergangenen Jahr ihre eigene Blockadepolitik aufgeben müssen und uns bei unserem Tempo unterstützen sollen.
({9})
Die SPD und Lafontaine haben die Chancen der Wiedervereinigung zu spät erkannt und die Risiken einer Verzögerung falsch eingeschätzt. Heute weiß jeder, daß der Bundeskanzler die historische Dimension richtig erkannt und die Chance zur Wiedervereinigung konsequent wahrgenommen hat. Ohne diese konsequente Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung könnten wir heute sicherlich keinen Haushalt für ein wiedervereintes Deutschland in zweiter und dritter Lesung beraten. Wer weiß, ob die Wiedervereinigung unter den heutigen weltpolitischen Bedingungen überhaupt noch möglich wäre.
Ich finde es empörend, wie sich die saarländische SPD-Landesregierung heute verhält. In Bonn erklärt die SPD, der Aufbau in den neuen Bundesländern gehe nicht schnell genug voran; Frau Matthäus-Maier beklagt wortreich, wir müßten mehr tun, es müßte alles viel schneller gehen. Gleichzeitig wendet sich die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Saarlandes im Auftrag der Landesregierung an die Industrie und fragt - ich zitiere - : Ist Ihnen das Risiko zu groß, in Ostdeutschland zu investieren? Ja? Dann sollten Sie fünf Minuten Ihrer Zeit opfern, damit ich Sie auf einen Wirtschaftsstandort aufmerksam machen kann, das Saarland.
({10})
Hier wird die Doppelmoral der SPD-Regierung deutlich. In Bonn wird beklagt, daß alles viel schneller und besser gehen müßte, aber gleichzeitig wird vor den Risiken in den neuen Bundesländern gewarnt und dafür geworben, statt in den neuen Bundesländern doch lieber im Saarland zu investieren. Dies ist wirklich eine schlimme Doppelmoral, die hier praktiziert wird.
({11})
Im Zuge der Haushaltsberatungen haben wir die Mittel aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost in Höhe von 12 Milliarden DM - für 1992 sind ebenfalls 12 Milliarden DM vorgesehen - in den Haushalt 1991 eingearbeitet. Dies ist der entscheidende Grund dafür, daß das im Regierungsentwurf veranschlagte Ausgabevolumen von knapp 400 Milliarden DM auf nunmehr rund 410 Milliarden DM angewachsen ist. Im Rahmen dieses Gemeinschaftswerkes sind 5 Milliarden DM Investitionspauschalen an die Kommunen in den neuen Bundesländern, 2,5 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, 1,4 Milliarden DM für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen sowie 1,1 Milliarden DM für den Wohnungsbau und Wohnungsmodernisierung eingesetzt.
Finanzielle Mittel für die neuen Bundesländer und Kommunen sind jetzt in ausreichendem Umfang vorhanden. Nunmehr kommt es darauf an, daß dort die schnelle Umsetzung in Aufträge, Produktion, Arbeitsplätze und damit Einkommen für die Menschen erfolgt.
Bei allen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern aber dürfen wir zwei Dinge nicht übersehen: Erstens. Wir haben mit unserer Politik, die im Bundeshaushalt 1991 auf der Ausgabenseite, also in der Haushaltspolitik, und auf der Einnahmeseite, also in der Steuerpolitik, ihren Niederschlag findet, die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Neuaufbau und die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse in Deutschland geschaffen.
Zweitens. Die SPD betätigt sich weiterhin als unverbesserlicher Miesmacher, aber ich meine, sie hat inzwischen schlechte Farben für ihr Katastrophengemälde. Die Zeichen der Verbesserung werden immer sichtbarer. Professor Karl Schiller, dem ich von dieser Stelle aus noch einmal zu seinem 80. Geburtstag gratulieren möchte, sagte kürzlich zur wirtschaftlichen Lage in den neuen Bundesländern:
Das Ganze ist überhaupt nicht mit dem Wort Katastrophe zu bezeichnen; das ist völlig falsch. Das ist eine Riesenaufgabe, die wir lösen können, die wir auch schaffen werden. Die Umstellung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern auf eine voll funktionierende Marktwirtschaft wird uns am Ende gelingen.
Bei diesem Zitat von Karl Schiller kann ich nur sagen: Ich empfehle der SPD erneut, doch einige Nachhilfestunden bei Karl Schiller zu nehmen.
({12})
Erste Erfolge des beginnenden Gesundungsprogramms in den neuen Bundesländern sollte inzwischen auch die SPD zur Kenntnis nehmen. Seit der Öffnung der Mauer gibt es über eine Million neuer Arbeitsplätze. Seit Jahresbeginn liegt die Zahl der Gewerbeanmeldungen bei fast 300 000. Nach einer jüngsten Ifo-Untersuchung mehren sich auch in den neuen Bundesländern die Anzeichen einer Stabilisierung. Knapp 40 % der Befragten rechnen mit einem besseren Geschäftsklima im nächsten Halbjahr. Auch bei der vielfach zu Unrecht gescholtenen Treuhandanstalt sind Privatisierungsfortschritte zu verzeichnen.
({13})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum mittelfristigen Aspekt unserer Haushaltspolitik sagen: In dem ursprünglich vorgesehenen Finanzrahmen für den Bundeshaushalt 1991 von 70 Milliarden DM Neuverschuldung konnten die gewaltigen und nicht vorhersehbaren Belastungen des Bundes im internationalen Bereich - Golfkrieg, Hilfen für Mittelost- und Südosteuropa - nicht aufgefangen werden. Ohne Steuererhöhungen hätten diese zusätzlichen Anforderungen von 18 Milliarden DM in diesem Jahr zu nicht vertretbaren Einschränkungen bei den Hilfen für die neuen Bundesländer geführt.
Mit einer Nettokreditaufnahme von 66,4 Milliarden DM für 1991 ist der Bund an die Grenze des Vertretbaren gegangen. Eine noch stärkere Erhöhung der Nettokreditaufnahme hätte negative kapitalmarkt-, zins-, stabilitäts-, konjunktur- und wachstumspolitische Effekte gehabt.
Die stark expansiv orientierte Finanzpolitik 1991 bedeutet keine Abkehr von der seit 1982 erfolgreich praktizierten soliden Finanzpolitik. Von 1982 bis 1989 stiegen die Ausgaben des Bundes jährlich um durchschnittlich 2,5 %. Dies war nur halb soviel wie der durchschnittliche jährliche Anstieg des Bruttosozialprodukts. Der Anteil der Nettokreditaufnahme des Bundes am Bruttosozialprodukt, der 1975 bei fast 3 lag, konnte bis 1989 auf 0,8 % reduziert werden.
Ebenfalls als Anteil am Bruttosozialprodukt gemessen, erreichte die Nettokreditaufnahme des Bundes 1991 nur einen Wert von rund 2,5 %. Dies ist trotz der geschichtlich einmaligen Aufgabe der Bewältigung der deutschen Einheit und der zusätzlichen internationalen Belastungen weniger als die Neuverschuldung, die die SPD, gemessen am Bruttosozialprodukt, 1975 ohne derartige Sonderbelastungen realisieren mußte. Dies führte dazu, daß wir bis heute, bis zum Jahre 1991, neue Kredite aufnehmen mußten, die ausschließlich zur Bezahlung der Zinsen der Schulden der SPD dienten.
({14})
- Herr Kollege, das haben wir schon häufig genug diskutiert.
({15})
Niemand sollte aber übersehen, daß die hohe Kreditfinanzierung 1991 nur vorübergehender Natur sein darf. Die finanziellen Möglichkeiten des Bundes sind nicht unbegrenzt. Ich stimme den Wirtschaftsforschungsinstituten zu, die in ihrem Frühjahrsgutachten 1991 ausgeführt haben:
Bewältigen lassen sich die wirtschaftliche Vereinigung der beiden Regionen Deutschlands und ihre Integration in die Weltwirtschaft nicht, wenn alle Beteiligten die Verantwortung immer wieder dem Staat zuschieben.
({16})
Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, alten und neuen Bundesländern und allen Kommunen. Eine konsequente Ausgabenbegrenzung, bei der die Zuwächse deutlich hinter der Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Leistung zurückbleiben, ist das Markenzeichen unserer bisherigen erfolgreichen Finanzpolitik. Es gibt keinen Grund, diese wachstums- und stabilitätsorientierte Finanzpolitik für Gesamtdeutschland zu ändern.
Mittelfristig müssen wir strenge Ausgabendisziplin walten lassen und die Nettokreditaufnahme deutlich verringern. Der Finanzplan weist hier für 1994 mit einer Nettokreditaufnahme von rund 30 Milliarden DM den richtigen Weg. Um dieses Ziel zu erreichen,
werden wir an vielen Stellen von liebgewordenen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen Abschied nehmen müssen. Bei dem von vielen Seiten immer wieder geforderten Subventionsabbau werden wir Mut, Durchsetzungsvermögen und Standfestigkeit benötigen. Aber mit der Unterstützung der SPD werden wir hier nicht rechnen können.
({17})
Die SPD fordert den Subventionsabbau zwar immer lautstark, solange es nicht konkret wird.
({18})
Wenn es dann aber konkret wird, findet sie bei jeder Position Einwände. Damit wird sie beim Subventionsabbau nicht hilfreich sein, sondern eher blockieren.
({19})
Ausdruck für die Fortsetzung unserer erfolgreichen Haushaltspolitik der 80er Jahre sind auch die Beschlüsse zur mittelfristigen Entwicklung im Personalbereich. Ich denke, die Koalitionsfraktionen haben den richtigen Weg gefunden: Das kurzfristige Aufgabenpensum kann erledigt werden. Mittelfristig ist eine deutliche Reduzierung eingeleitet.
Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf das Personal bei den obersten Bundesbehörden gegenüber 1989 um rund 23 % aufgestockt. Korrigiert man diese Zahl um die Verfassungsorgane, die obersten Gerichte, dann beträgt die Zunahme gut 20 %. Die Koalitionsfraktionen haben beschlossen, diesen Aufwuchs mittelfristig auf 10 % zu begrenzen, also zu halbieren.
Die Umsetzung dieser Beschlüsse wird allerdings nur dann gelingen, wenn der Wegfall von Planstellen und Stellen, die im Haushalt 1991 für die Jahre bis 1996 vorgesehen sind, strikt vollzogen wird und wenn sowohl Regierung als auch Parlament keine neuen Stellen bewilligen.
({20})
Eine vorübergehend höhere Zunahme ist notwendig, da der Bund für kurze Zeit Aufgaben zu übernehmen hat, die eigentlich im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen. Dies ist politisch gewollt, um das Zusammenwachsen Deutschlands schneller voranzubringen. Mittelfristig ist jedoch der rasche und konsequente Abbau dieser nur kurzfristig bewilligten Stellen notwendig. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, diesen Weg bis 1996 durchzuhalten.
Meine Damen und Herren, das Geld für den Aufbau der neuen Bundesländer ist zur Verfügung gestellt. Gemeinsam müssen wir uns im Westen wie im Osten anstrengen, um gleiche Lebensbedingungen zu erarbeiten. Auf dem Weg zur inneren Einheit Deutschlands müssen noch viele Hindernisse überwunden werden. 40 Jahre sozialistischer Erziehung und Indoktrination lassen sich nicht über Nacht überwinden.
Es kommt jetzt darauf an, daß die Menschen aufeinander zugehen und Verständnis füreinander aufbringen. Für das notwendige Verständnis und die erforderliche Toleranz gibt es viele hoffnungsvolle Zeichen - im Osten wie im Westen, in den alten und in den neuen Bundesländern. Mauer und Stacheldraht sind Vergangenheit. Eine gute Zukunft in Deutschland in einem geeinten Europa hat begonnen.
Mit dem Haushalt 1991 haben wir den richtigen Weg für das Zusammenwachsen Deutschlands eingeschlagen. Wir stimmen dem Bundeshaushalt 1991 zu.
({21})
Vielen Dank.
({22})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Verabschiedung im Haushaltsausschuß debattieren wir heute im Deutschen Bundestag über den Etat 1991, der in der Ausschußfassung ein Ausgabenvolumen von ca. 410 Milliarden DM vorsieht und dessen politisch festgelegte Obergrenze von 70 Milliarden DM Nettoneuverschuldung um ca. 3,5 Milliarden DM unterboten wird. Das heißt: Die geplante Nettokreditaufnahme für das laufende Jahr beläuft sich auf 66,4 Milliarden DM.
Dieser Haushalt ist der erste gesamtdeutsche Etat nach der Wiedervereinigung. Wegen der Wiedervereinigung, wegen des Bundestagswahlkampfes und wegen der Koalitionsverhandlungen sind wir erst jetzt in der Mitte des Jahres in der Lage eine entscheidungsreife Vorlage zu debattieren. Wer sich erinnert - ich sage das wegen der vorhin gehörten Angriffe der Opposition -, wie der Ablauf des vergangenen Jahres gewesen ist, weiß, daß es hinsichtlich der Vertagung der Debatte über den Etat keine Hintergedanken gab. Es wäre völlig unmöglich gewesen, in der Phase zwischen Ende September 1990 und dem laufenden Bundestagswahlkampf während des Vollzugs der deutschen Einheit die beiden Etats zusammenzuziehen und sie an Hand von Zahlen, die tragfähig gewesen wären, tatsächlich sorgfältig, ordnungsgemäß zu beraten.
({0})
Deswegen haben wir vertagt. Das ist eigentlich auch ein Beweis ordnungsgemäßen Haushaltens, wie wir es in der Koalition mit der CDU/CSU seit 1983 praktiziert haben. Die Tatsache dieser Terminierungen spricht für sich. Deswegen laufen die Angriffe der Opposition an dieser Stelle eindeutig ins Leere.
({1})
Es ist also das erste Mal seit Bestehen der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP, daß der Etat mit Beginn des Kalenderjahres noch nicht rechtskräftig gewesen ist. Diese Praxis soll sich wieder ändern.
({2})
Der Beschluß der Koalition bezüglich der Beratungen
für das Jahr 1992 macht dies deutlich. Wir werden
schon ab September im Deutschen Bundestag über
Dr. Wolfgang Weng ({3})
einen Regierungsentwurf für das folgende Jahr zu beraten haben, der schon im Juli von der Regierung erstellt werden wird. In diesem Zusammenhang sollte auch gesagt werden, daß allen damit befaßten Beamten aller Ministerien eine hohe Verantwortung zugekommen, aber auch eine hohe Aufgabenbelastung erwachsen ist. Parallel zur laufenden Beratung für das Jahr 1991 und zur Abwicklung mit all den Sonderproblemen dieses Jahres kam dann noch die Vorbereitung für 1992 hinzu. Für diesen besonderen Einsatz gebührt den hiermit befaßten Beamten ein ganz besonderer Dank.
({4})
In Kenntnis dieser Terminlage, aber auch in Kenntnis der engeren finanziellen Voraussetzungen und der geänderten Mehrheiten im Bundesrat geht mein dringender Appell an den Bundesrat, das Mögliche zu tun, damit der Etat 1991 jetzt wenigstens schnellstmöglich in Kraft tritt. Hier darf es nicht zu einer Destruktionshaltung kommen. Es darf nur die Ausnahme sein, daß der Finanzminister über einen so langen Zeitraum des Jahres im Zuge der vorläufigen Haushaltsführung praktisch alleine über die Ausgaben des Bundes entscheidet und das Parlament damit ohne tatsächliche Mitwirkungsmöglichkeit in diesem wichtigen Politikbereich bleibt.
({5})
- Herr Finanzminister, ob es bis hierher ordentlich war, werden wir sehen, wenn die Abrechnung vorliegt. Das wissen wir im Augenblick noch nicht. Wir unterstellen allerdings, daß die vorläufige Haushaltsführung ordentlich ist. Sonst wären wir nicht so ruhig und gelassen. Dennoch können Sie aber relativ freihändig agieren, während wir der Auffassung sind, daß die parlamentarische Beratung und die gesetzliche Festsetzung das Richtige sind, daß also das Parlament sein wesentliches Recht wahrnehmen soll. Hier sind wir eben auch auf die Abwicklung im Bundesrat angewiesen. Vieles von dem, was im ersten gesamtdeutschen Haushalt vielleicht noch nicht endgültig ausgereift erscheint, kann ja in der nächsten Beratung fast umgehend korrigiert und verändert werden. Hier haben wir unsere Aufgaben fest vor Augen.
Meine Damen und Herren, die FDP-Haushaltsgruppe hat im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages engagiert an einem Etat mitgewirkt, der als wichtigste Aufgabe das klare innenpolitische Signal beinhaltet, den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern zu bewältigen. Das, was in über 40 Jahren Unterdrückungsregime an menschlicher Substanz zerstört worden ist, kann nur langsam heilen. Die Erneuerung dessen, was an wirtschaftlicher Substanz ruiniert ist, bedarf ebenfalls eines zeitlichen Vorlaufes. Es wird einige Zeit vergehen, bis für die Bürger der neuen Bundesländer wenigstens angemessene Lebensumstände hergestellt sind. Das, was hierzu kurzfristig von der öffentlichen Seite finanziell geleistet werden kann, haben wir im Haushaltsausschuß mit der Mehrheit der Koalition beschlossen. Daß ein weiter Weg vor uns liegt, bis wir menschlich wie wirtschaftlich in Gesamtdeutschland die verfassungsmäßig vorgeschriebenen vergleichbaren Lebensbedingungen vorfinden, wissen wir. Aber gerade die FDPFraktion - ich erinnere an ihre klare Haltung zur Wiedervereinigung, an ihren konsequenten Einsatz für den Fall der Mauer; Hans-Dietrich Genschers unvergessene Leistung steht hier für die FDP insgesamt - wird es an Unterstützung für die Erfordernisse der Menschen im Osten nicht fehlen lassen.
({6})
So ist es kein Zufall, wenn - wesentlich durch den Bundeswirtschaftsminister Möllemann veranlaßt - in den ursprünglichen Regierungsentwurf noch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost eingearbeitet wurde, ein über zwei Jahre verteiltes 24-MilliardenDM-Programm, das eine Soforthilfe für die dringendsten Belange im Osten beinhaltet.
Meine Damen und Herren, wenn die finanzielle Ausstattung für ausreichend angesehen wird, so stellt sich jetzt die Frage an die Menschen, wie sie den Start ins gemeinsame Deutschland bewältigen. Pflicht der Politiker ist es, als Ansprech- und Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, für unser bewährtes System Verständnis zu wecken, auch auftauchende Mängel zu erklären, Mut zu machen und konsequent dort aufzubauen, wo Aufbau Sache der Politik ist: öffentliche Verwaltung, öffentliche Infrastruktur, rechtsstaatliche Einrichtungen.
Diese neben den jetzt ja vorhandenen demokratisch legitimierten Parlamenten im Osten wesentlichen Pfeiler eines funktionierenden Staatswesens haben immer noch großen Nachholbedarf, auch wenn es ersichtlich vorangeht. Ich will das auch aus eigenen Erfahrungen der vergangenen Woche sagen: Wenn man sich die Dinge in den neuen Bundesländern an Ort und Stelle vor Augen hält, sieht man, daß es vorangeht. Wenn man mit den Menschen spricht, dann hört man auch von vielen, daß sie dieses Vorangehen sehen und daß sie daran Hoffnungen knüpfen - bei allen Schwierigkeiten, die im Augenblick noch bestehen und die sicher noch eine Zeit bestehen werden.
Meine Damen und Herren, mein Appell und meine Bitte gehen deshalb von hier aus an die Menschen in Gesamtdeutschland: Gehen Sie mehr als bisher gewohnt aufeinander zu! Zwei Gesellschaften in einem Land kann und darf es nicht geben.
({7})
Nur - ich meine das auch wechselseitig gedacht - wenn die Menschen im Osten erkennen, daß es sich bei den Deutschen im Westen auch um ganz normale Leute handelt, dann wird das Gefühl der Gemeinsamkeit wachsen. Ich sage: Sie können das auch umkehren.
Meine Damen und Herren, wenn es zu DDR-Zeiten vielleicht naheliegend war, daß aus Angst vor Bespitzelung und polizeilicher Überwachung Ostdeutsche im gleichen Lokal an einem anderen Tisch saßen als Westdeutsche, dann muß dieses jetzt vorbei sein. Es muß gezielt überwunden werden. Mein Appell an die Menschen: Gehen Sie aufeinander zu; dies ist ein wichtiger Beitrag zur staatlichen Einheit.
({8})
Dr. Wolfgang Weng ({9})
Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost enthält als wesentliche Elemente direkte Investitionen und Unterstützungen, mit denen ein weitgehender Zusammenbruch - man muß vielleicht fast sagen: ein noch weitergehender Zusammenbruch - des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern verhindert werden soll. Die östliche Wirtschaft hat den Schock der Einführung der D-Mark einerseits, des Abbrechens der damaligen Märkte in den östlichen Nachbarländern andererseits nicht verkraften können, zumal die erforderliche Modernität und Flexibilität der Industrie im wesentlichen nicht vorhanden war. Das war eine der wirklichen Täuschungen. Wir waren der Überzeugung, daß hier tatsächlich ein moderner Industriestaat besteht. Das, was wir in diesem Bereich vorgefunden haben, sieht ja ganz anders aus.
({10})
Die strukturellen Probleme, aber auch die anfänglich geminderte Handlungsfähigkeit der Treuhandanstalt taten ein übriges. Daß wir jetzt für das Jahr 1991 schnellstens fünf Milliarden DM als direktes kommunales Investitionsprogramm verfügbar gemacht haben, zeigt, daß wir hier einen wichtigen Notnagel gesetzt haben. Die Gemeinden sind fast freihändig dazu in der Lage, Handwerker zu beauftragen, insbesondere Schulen, Krankenhäuser und Altenheime zu bauen oder zu modernisieren. Wer sich die Situation der Bausubstanz in den neuen Bundesländern vor Augen hält, der weiß, welch massive Notwendigkeiten hier bestehen.
Dazu kommt, daß ein solches Investitionsprogramm eine Sofortbeschäftigung vor allem im mittelständischen Bereich bedeutet, einem Bereich, der während der sozialistischen Kommandowirtschaft fast völlig ruiniert worden war und dessen Aufbau im Sinne einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur ein auch staatspolitisch wichtiges Ziel ist.
Meine Damen und Herren, gerade die Ausgewogenheit zwischen kleinen, mittleren und großen Betrieben hat die gute Situation in der alten Bundesrepublik wesentlich verursacht. Eine vergleichbare Struktur wird zukünftig auch östlich der Elbe sinnvoll sein.
Das kommunale Investitionsprogramm mit einem Volumen von 5 Milliarden DM soll nur in diesem Jahr 1991 eingesetzt werden. Wir hoffen - wir müssen hoffen - , daß die Gebietskörperschaften ihre Auf gaben danach im wesentlichen selbst erfüllen können.
Umfangreiche zusätzliche Ausgaben sieht das Gemeinschaftswerk bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor. Mit zusätzlich 2,5 Milliarden DM im laufenden Jahr werden öffentliche Einrichtungen darin unterstützt, Menschen zu beschäftigen, die sonst ohne Arbeit wären. Die riesige Menge an notwendigen öffentlichen Arbeiten gibt einen breiten Bereich von Einsatzmöglichkeiten. Einen Hinweis allerdings, der auch eine gewisse Mahnung beinhaltet: Die Gemeinden sollten die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Beschäftigten natürlich nicht da einsetzen, wo eine Auftragsvergabe an Handwerk und Mittelstand Arbeitsplätze in der freien Wirtschaft erhalten und schaffen könnte.
({11})
Dies wäre in doppelter Weise kontraproduktiv.
Eine weitere Feststellung: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind ein Notbehelf. Sie sind keine Lösung, schon gar keine Dauerlösung für eine Volkswirtschaft - jedenfalls für eine gesunde Volkswirtschaft. Deshalb wünscht sich die FDP den Abbau dieser Maßnahmen, sowie es die wirtschaftliche Entwicklung im Osten wieder erlaubt.
({12})
Ein massiver Einstieg geschieht bei den erforderlichen Investitionsvorhaben im Verkehrsbereich. 1,4 Milliarden DM für den Straßenbau und den öffentlichen Personennahverkehr, und zwar zusätzlich zu den ohnehin geplanten Baumaßnahmen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition gehen auch hier an die Bewältigung dringlicher Aufgaben heran. Auch dies ist ein Bild, wenn man die neuen Bundesländer besucht. Man sieht, daß es hier vorangeht. Man sieht aber auch, daß noch zahlreiche Mängel bestehen und auch noch eine Weile bestehen werden.
Meine Damen und Herren, die Erfordernisse einer modernen und auch mobilen Industriegesellschaft an den Bau von Verkehrswegen müssen erfüllt werden, ohne allerdings die in der Vergangenheit im Westen gemachten Fehler zu wiederholen. Die FDP-Fraktion hat deshalb frühzeitig - ich erwähne dies ausdrücklich - an die Bundesregierung appelliert, beim öffentlichen Straßenbau mehr Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen, als dies im Westen in den früheren Jahren der Fall war. Die wunderschönen Alleen in den neuen Bundesländern dürfen nicht sinnlos abgeholzt werden, denn hier ist Erhaltenswertes. Ich bin sicher, daß die notwendigen Lösungen auch dann gefunden werden können, wenn man diese Erhaltenswerte bestehen läßt.
({13})
Die notwendige Renovierung und der Ausbau des Schienennetzes der Reichsbahn müssen auch den Belangen Rechnung tragen, nicht allzu viele Güter von der Schiene auf die Straße zu verlagern; denn wo wir im Westen noch stärker daran arbeiten müssen, den Transportweg Schiene besser auszubauen und auch besser auszunutzen, so ist im Osten eine gegenläufige Entwicklung notwendig. Aber gerade für Massengüter und für etwas größere Wegstrecken soll die Schiene eine bevorzugte Alternative bleiben.
Meine Damen und Herren, ein großes Finanzvolumen fließt in den Wohnungs- und Städtebau: 700 Millionen DM für die dringlich erforderliche Modernisierung und Instandsetzung, 200 Millionen DM zusätzlich für die Städtebauförderung, aber auch 200 Millionen DM zur Unterstützung der Privatisierung kommunaler Wohnungen.
Den Deutschen Mieterbund verstehe ich in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.
({14})
Dr. Wolfgang Weng ({15})
Meine Damen und Herren, wenn er den Mietern davon abrät, ihre Wohnungen günstig zu erwerben und damit Eigentümer zu werden, dann müssen bei ihm die politischen Scheuklappen schon außerordentlich eng angelegt sein. Gerade das Eigentum an Wohnung ermöglicht den Menschen ein großes Maß an Unabhängigkeit bei der Gestaltung des eigenen Lebensraums und dazu die Sicherheit bezüglich der eigenen vier Wände.
({16})
Denjenigen, der hiervon abrät, wohl in der fälschlichen Erwartung, daß die Betroffenen als Mieter mehr öffentliche Mittel erwarten könnten, den bezeichne ich als engstirnigen Ideologen.
({17})
Die zusätzlichen Aufwendungen für die Wirtschaftsförderung will ich nur beiläufig erwähnen, zumal wir noch in der Aussprache über den Etat des Wirtschaftsministers über eine Vielzahl wirtschaftlicher Fördermaßnahmen in den neuen Bundesländern auch mit Blick auf die Förderung des Mittelstandes werden debattieren können. Erwähnung aber sollte finden, daß wir in großem Maße für die Ausbildung der jungen Menschen in den neuen Bundesländern zusätzlichen Einsatz leisten. Der Hochschulbau erhält zusätzliche Bundesmittel in Höhe von 200 Millionen DM. Die betriebliche Ausbildung wird massiv gefördert, und auch überbetriebliche Ausbildungsstätten entstehen in großem Umfang. In der jetzigen Situation muß alles getan werden, um für die jungen Menschen Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten.
({18})
Sollte die Zahl der Ausbildungsplätze auch weiterhin nicht ausreichen, muß politische Flexibilität in zusätzlichen Bereichen einsetzen.
Erstens. Ausbildungsfähige und ausbildungsbereite Meister müssen auch dann Ausbildungsberechtigungen erhalten, wenn nicht alle westlichen Formalien erfüllt sind.
({19})
Zweitens. Im äußersten Fall muß auch flankiert werden, daß die zahlreichen freien Ausbildungsplätze im Westen als Angebot für junge Menschen im Osten verfügbar gemacht werden.
({20})
Ich sage dies auch mit Blick auf eine offensichtlich gewisse Radikalisierung unter den jungen Menschen in den neuen Bundesländern, die im Westen leider traurige Vorbilder haben. Nichts wäre schlimmer als eine Generation von Menschen, die ohne Ausbildung und - dann in der Konsequenz - ohne angemessene Arbeit ihr Erwachsenendasein beginnt.
({21})
Der Haushaltsausschuß hat in seinen Beratungen auf der Einnahmenseite die Steuereingänge einbezogen, denen die neueste Steuerschätzung zugrunde liegt. Auf der Basis erforderlich gewordener Steuererhöhungen nehmen die staatlichen Einnahmen natürlich zu. Aber wir wissen, daß wir in den vergangenen
Jahren Steuermehreinnahmen nach Steuersenkungen erzielt haben und daß das Ziel eines möglichst geringen Staatsanteils nicht aufgegeben werden darf.
({22})
Die Deutsche Bundesbank, bei der Personaländerungen für eine gewisse Unruhe gesorgt haben - eine Unruhe, die in der Politik, glaube ich, nicht begründet ist - , ist für uns Garant einer stabilen Währung. Diese stabile Währung ist Voraussetzung für ein vorbildliches Sparverhalten der deutschen Bürger.
Meine Damen und Herren, der Konsumverzicht unserer Bürger, der sich in diesem Sparverhalten ausdrückt, wäre ohne diese Stabilität nicht mehr gewährleistet.
({23})
Gerade dieser Konsumverzicht ist es aber, der uns in der Sondersituation dieses Jahres nach der deutschen Einigung in die Lage versetzt, die Kapitalmärkte kurzfristig mit einer außerordentlich hohen Beanspruchung durch die öffentlichen Hände zu belasten.
({24})
Die Stabilität der Deutschen Mark im internationalen Vergleich zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Ich meine, auch die Zinssituation zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.
({25})
Wer sich vor Augen hält, in welchen Höhen sich der Zinssatz in - ich sage das einmal - schon in ganz normalen Zeiten der alten Bundesrepublik bewegt hat, der muß sagen: Der augenblickliche Zinssatz ist nicht erschreckend hoch. Ich meine vielmehr, daß die Bundesbank im Augenblick, aber auch die internationalen Kapitalmärkte die Regierungspolitik, die von der Koalition getragen wird, als richtig erkannt haben und entsprechend flankieren.
Meine Damen und Herren, es kann keine Gewähr dafür geben, daß die politischen Vorgaben, die wir uns gemacht haben, ausreichend sind. Aber wer den Ablauf der deutschen Einigung einerseits und wer die jetzige Situation andererseits kritisiert, der muß nicht nur sagen, daß er alles besser gemacht hätte. Wir haben hier von Frau Matthäus-Maier wieder den modellhaften Oppositionsvortrag bekommen. Da, wo Mehreinnahmen geplant sind, erklärt man seinen Ausstieg schon vorab. Da, wo Einsparungen gemacht werden sollen, ist man selbstverständlich dagegen.
({26})
Dann gibt man noch lauthals die Erklärung ab, daß die Verschuldungspolitik selbstverständlich des Teufels sei. Wir wissen, wo der richtige Weg liegt. Wir werden diesen Weg ganz konsequent fortsetzen. Wir wissen, daß die Öffentlichkeit ein gutes Gespür dafür hat, wo falsche Versprechungen gemacht werden und wo eine klare Kursbestimmung besteht.
({27})
Dr. Wolfgang Weng ({28})
Es hilft nicht, zu sagen, man hätte alles besser gemacht. Das hilft schon deswegen nicht, weil der Weg bis heute ja so beschritten ist und Räder nicht zurückgedreht werden können.
({29})
Ich bin aber auch der Überzeugung, daß es zum Ablauf des vergangenen Jahres keine Alternative gab,
({30})
wenn man die deutsche Einheit und damit die persönliche Freiheit von 16 Millionen Deutschen östlich der Elbe tatsächlich wollte.
({31})
Bei aller Finanzdiskussion, Frau Kollegin Matthäus-Maier, darf der Aspekt nicht vergessen werden, daß die Menschen von einer unglaublichen Unterdrükkung befreit worden sind. Ich meine, die Höhe unseres Finanztransfers in die neuen Bundesländer zeigt, daß wir nicht nur zur Starthilfe, sondern zur massiven Flankierung des dortigen Aufbaus bereit sind. Es ist eine akademische Frage, ob eine andere Wirtschaftspolitik besser gewesen wäre. Der beschrittene Weg war der richtige, und wir müssen die Konsequenzen des beschrittenen Weges weiter voranschreitend lösen.
({32})
Wenn Sie sagen, die Dinge wären von Ihnen besser gemacht worden, dann müssen Sie sich an folgendes erinnern - in dieser schnellebigen Zeit mit ihren vielfältigen Ereignissen geht das manchmal etwas verloren -: Die Zahl der Menschen, die aus der damaligen DDR nach Öffnung der Grenze abgewandert sind, also die Zahl der Menschen, die dort keine Hoffnung mehr gesehen haben, wäre nach meiner festen Überzeugung ohne die Einführung der D-Mark und ohne die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion höher gewesen.
({33})
Die DDR wäre total zusammengebrochen. Die Menschen wären dort nicht mehr geblieben. Insofern gab es keine Alternative. Natürlich haben Sie dies letztendlich in den Konsequenzen kritisiert. Einen anderen Weg als den beschrittenen gab es vernünftigerweise nicht.
({34})
Herr Abgeordneter Weng, gestatten Sie ein Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Wenn es mir auf die Redezeit, Frau Präsidentin, tatsächlich nicht angerechnet wird, gern.
Herr Weng, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen - das habe ich heute
noch einmal betont - , daß es nicht das Tempo ist, das wir kritisiert haben, auch nicht die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion?
({0})
- Das habe ich heute morgen doch ausdrücklich gesagt. Wir haben sie sogar erfunden. - Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir kritisiert haben, wie Sie es gemacht haben, nämlich mit einer schlechten Eigentumsregelung, mit nicht vorhandener Strukturpolitik und ohne steuerliche Begünstigung von privaten Investitionen? Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie da Fehler gemacht haben? Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, nach bestimmten Entwicklungen zu sagen, daß an irgendeiner Stelle Fehler gemacht worden sind, ist einfach. Die Frage, was gewesen wäre, wenn es anders gemacht worden wäre, kann ja nicht beantwortet werden. Aber gut, wir haben das immer in dem Rollenspiel: Die Opposition versucht, Schwachstellen herauszustellen, auch in der laufenden Debatte.
({0})
Sie ist ja an dieser Stelle nicht in der Verantwortung. Aber bei der deutschen Einigung waren Sie mit in der Verantwortung und haben entsprechend dieser Verantwortung dem Einigungsvertrag zugestimmt, der alle diese Elemente mit beinhaltete. Sich daraus jetzt nach dem Motto zu verabschieden „Wir haben immer gewarnt" , ist Oppositionshaltung, sie hilft aber nicht weiter.
({1})
Herr Abgeordneter Weng, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Seifert?
Wenn es dabei bleibt, daß meine sowieso knappe Redezeit dadurch nicht beansprucht wird, Frau Präsidentin - ich wollte eigentlich die Position unserer Fraktion zum Haushalt darlegen -, gerne.
Sie sehen, daß die Zeit steht.
Die Uhr steht, Frau Präsidentin, nie die Zeit.
({0})
Die Uhrzeit steht. - Herr Seifert.
Ich staune, daß Sie über mangelnde Redezeit reden. Aber das wollte ich jetzt nicht sagen.
Welchen Unterschied sehen Sie in der Abwanderung von Menschen aus der DDR vor der Währungsunion und jetzt? Die Zahlen von Abwanderern sind ja kaum gesunken. Die fehlen doch nach wie vor dort drüben, oder?
Es gibt jetzt keine offiziellen Zahlen mehr, wie es sie vorher gab. Die Frage, ob die Zahlen so geblieben sind, kann ich deswegen nicht beantworten. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied, wenn jetzt Menschen die neuen Bundesländer verlassen. Mein Appell von dieser Stelle aus ist vor und nach der Einigung immer wieder an die Menschen gegangen, sich darauf zu verlassen, daß wir beim Aufbau helfen werden, und ihre Chancen an Ort und Stelle zu nutzen. Dies geschieht u. a. mit dem Etat, den wir heute zur Abstimmung vorlegen.
({0})
Wir helfen in eklatantem Maße beim dortigen Aufbau. Ich appelliere auch an die Menschen im Westen, sich zu überlegen - ich habe das gestern in der Debatte zum Justizetat gesagt -, in den Osten zu gehen und sich dort anzusiedeln. Es gibt zwar im Augenblick noch ein Gefälle. Aber ich hoffe, daß mit unserem Haushalt und unseren Bemühungen dieses Gefälle eingeebnet wird. Der Wunsch ist, daß die Menschen dort bleiben sollen. Was ich gerade zur Frage der Ausbildungsmöglichkeiten und der Unterstützung der Ausbildungsmöglichkeiten ausgeführt habe, zeigt, daß wir alles Erforderliche, was von öffentlicher Seite mit Finanzen getan werden kann, dafür tun, daß die Menschen dort bleiben können.
({1})
- Die Frage, ob die Leute eher vor mir oder vor Ihnen davonlaufen, Herr Briefs, will ich lieber hier nicht stellen.
({2})
Die europäische Integration schreitet fort. Wir wissen, daß bei manchen Partnerländern die Fragen der Geldwertstabilität nicht so gesehen werden wie bei uns. Deshalb bleibt die FDP-Fraktion bei allem Verständnis für den Wunsch nach schnellen Fortschritten in der europäischen Einigung der Auffassung, daß eine gemeinsame europäische Währung eine vernünftige Angleichung der Volkswirtschaften voraussetzt und daß die Stabilität einer solchen Währung unverzichtbare Forderung ist. - Da wollte ich eigentlich gerne einen Applaus der FDP-Fraktion im Protokoll sehen.
({3})
- Vielen Dank. Ich hoffe, das Protokoll hat auch den Applaus des Finanzministers mit verzeichnet; denn man weiß ja, daß sich nicht immer alle einig sind. An dieser Stelle ist es mir doch wichtig, daß Einigkeit besteht.
({4})
- Ich habe den Zwischenrufer nicht genau identifizieren können. Aber wenn er von seiten der PDS kam, dann sollte er nicht dem frei gewählten deutschen Parlament Claque in irgendeiner Form vorwerfen,
weil die Kollegen mit einer scherzhaften Bemerkung zum Klatschen animiert wurden.
({5})
- Wenn bei der SED, Herr Briefs, irgend etwas scherzhaft war, dann würde ich Ihnen raten, dorthin zurückzugehen.
({6})
- Immer dann, wenn man es etwas unterhaltsamer gestaltet, gibt es das Problem, daß einem nachher die Zeit für die Aussagen fehlt, die man eigentlich noch machen wollte.
Ich will abschließend darauf hinweisen, daß die Beratungsatmosphäre im Haushaltsausschuß erneut eine sehr gute war. Ich glaube, auch die Opposition
- die SPD-Kollegen; andere Oppositionsgruppierungen haben nicht stattgefunden - war sich der Tatsache bewußt, daß wir mit dem Etat 1991 den Versuch einer Positionsbestimmung unternommen haben, der viele Unwägbarkeiten und viel Unvorhergesehenes beinhaltet.
Da der Haushalt praktisch erst zur Jahresmitte in Kraft gesetzt wird, werden wir im Herbst bei den Beratungen des Haushalts 1992 Gelegenheit haben, Korrekturen vorzunehmen. Ich bin aber sicher und sage voraus, daß wir mit den Erfahrungen dieses ersten gesamtdeutschen Haushalts für 1991 ein gutes parlamentarisches Fundament geschaffen haben. Ab 1992 werden wir wieder im stärkeren Maße eine Kontrolle der Regierung und auch parlamentarische Gestaltungsfähigkeit und -möglichkeit durch den Haushalt erreichen.
Ich hoffe sehr, daß die Entwicklung in den neuen Bundesländern positiv ist und zu einer gesamtdeutschen Entwicklung führt, die geordnete öffentliche Finanzen ermöglicht.
Die Arbeitsatmosphäre im Ausschuß war - ich habe es bereits gesagt -, wie gewohnt, gut. Ich danke hierfür auch den SPD-Kollegen. Ich danke aber um so mehr den Kollegen der CDU/CSU-Haushaltsgruppe, mit Jochen Borchert an der Spitze, für kollegiale Zusammenarbeit in Vorbereitung und Sacharbeit. Ich danke sehr meinen jetzt vier Mitstreitern in der Haushaltsgruppe der FDP.
({7})
- Mitstreiterinnen, Mitstreitern - da muß die deutsche Sprache noch irgend etwas Besseres erfinden; denn bei „MitstreiterInnen" kommt das großgeschriebene „I" akustisch nicht herüber. Es wird niemand einen Zweifel daran haben, daß ich die Damen hier in ihrer Arbeit mindestens so positiv bewerte wie die Herren, die an meiner Seite mitkämpfen.
Ich danke den Mitarbeitern des Ausschusses und ebenso den Beamten der Ministerien sowie dem Bundesrechnungshof für die vielfältige Unterstützung und - last not least - dem Vorsitzenden des HausDr. Wolfgang Weng ({8})
haltsausschusses, Rudi Walther. Für seine schwere Arbeit unsere Verbundenheit!
({9})
In der Überzeugung, mit dem Bundeshaushalt 1991 auf dem richtigen Weg zu sein, stimmt die FDP-Fraktion dem Etat in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zu.
({10})
Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser erste gesamtdeutsche Haushalt kann nicht die einfache Erweiterung des bisherigen Haushalts sein, sondern er verlangt geradezu auch nach einer neuen Qualität im Ansatz und in den Einzellösungen. Dabei ist uns auch klar, daß dieser Haushalt Kosten tragen muß, die als Altlasten aus der ehemaligen DDR übernommen wurden und die vor allem - neben der völlig anderen Wirtschafts- und Finanzstruktur - aus der uneffizienten Wirtschaft der ehemaligen DDR herrühren.
({0})
Nur sind wir der Meinung, daß diese Bundesregierung vor allem in den ersten Ansätzen nichts dazu getan hat, die Kosten der Einheit dadurch zu begrenzen, daß ein vernünftiger, in Etappen und auf der Grundlage von Analysen vollzogener wirtschaftlicher Anschluß gesteuert wurde.
Herr Borchert hat vorhin die SPD und namentlich Oskar Lafontaine dafür kritisiert, daß er vor zehn Monaten die ehemalige DDR zu den zehn größten Industriestaaten gerechnet hat. Herr Dr. Weng hat gerade gesagt, daß Sie dieser Täuschung erlegen seien. Nun will ich hier nicht untersuchen, inwieweit sich die FDP von der SPD in diesen Fragen beraten läßt; mich bewegt viel mehr, daß Warnungen von Wirtschafts- und Finanzexperten aus Industrie, von Banken und aus der Wissenschaft von einer führenden Partei in den Wind geschlagen wurden. Damit, daß Warnungen von Wissenschaftlern in den Wind geschlagen werden, haben wir nun wieder einige Erfahrung.
({1})
Die Vernichtung von Wirtschaftszweigen und Industrien, das radikale Abschneiden des Osthandels und vieles andere haben die Kosten der Einheit erhöht und das ohnehin vorhandene wirtschaftliche Chaos in der ehemaligen DDR verschlimmert.
Das alles hat natürlich zur Folge, daß viel mehr Geld gebraucht wird. Ich werde im Anschluß über soziale Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten sprechen. Ich sehe eine prinzipielle Grundlage auch darin, Verantwortung dafür zu tragen, Kosten in jeder Hinsicht zu begrenzen und damit einen Solidarbeitrag für alle zu leisten.
Eine gewisse Kurskorrektur in der Arbeitsweise der Treuhandanstalt kam viel zu spät. Zunächst ging es nur um Liquidation. Es sollte und soll sicherlich noch immer alles beseitigt werden. „Sanieren" war ein Fremdwort. Doch das kostet enorm viel und bringt auf lange Sicht keine Einnahmen.
Wir erkennen durchaus die Bemühungen auch dieses Haushalts im Sozialbereich an. Nur: Prophylaxe im Bereich der Erwerbstätigkeit ist viel sinnvoller, sowohl in finanzieller Hinsicht für den Staatshaushalt als auch vor allem für die Betroffenen selbst.
Die PDS/Linke Liste setzt sich deshalb für einen Haushalt ein, der Grundforderungen an eine solidarische Gesellschaft für jede Bürgerin und jeden Bürger gerecht wird. Man kommt nicht umhin, das von der Bundesregierung vorgelegte Finanzierungskonzept für den Haushalt 1991 als unsozial zu werten. Zumindest stellen die Bürgerinnen und Bürger einige Fragen, die - das ergibt sich wenigstens aus meiner Tätigkeit im Wahlkreis - von der Bundesregierung nicht beantwortet wurden bzw. wo die Antworten nicht die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler fanden.
Die Beitragspflichtigen in der Arbeitslosenversicherung wurden mit der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mit einem Sonderopfer belastet. Wo bleibt soziale Gerechtigkeit, wenn die Gruppe von Menschen, die vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht sind, ihr eigenes Risiko selbst tragen muß? Wo bleibt da die Fürsorge der Gesellschaft?
Zugleich ist es doch in höchstem Maße sozial ungerecht, daß Besserverdienende, die in den alten Bundesländern über der Beitragsbemessungsgrenze von 6 500 DM liegen, anteilig viel geringer belastet werden. Die durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer zahlen ab 1. April die bekannten 1,25 % mehr für die Arbeitslosenversicherung, die mehr als 6 500 DM Verdienenden vielleicht nur 1 % und bei höherem Einkommen noch weniger. Bestimmte Gruppen wie Freiberufler werden zu einer Beteiligung überhaupt nicht herangezogen, obwohl es sich ohne Zweifel um eine Aufgabe handelt, die die gesamte Gesellschaft berührt. Wo bleibt da soziale Gerechtigkeit?
Sozial gerechter wäre die Rücknahme der Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und dafür die Erhebung einer Arbeitsmarktabgabe für Besserverdiendende ab einem Monatseinkommen von 6 500 DM.
Die Ergänzungsabgabe auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld von 7,5 % konzentriert die Belastung auf die Bezieher niedriger Einkommen. Die Steuerentlastung bei den Arbeitnehmereinkommen in den alten Bundesländern wird dadurch mehr als rückgängig gemacht. Eine sozial gerechtere Lösung wäre die Einführung von Freigrenzen für die Erhebung des Zuschlags zur Einkommensteuerschuld, nämlich von 50 000 DM für Alleinstehende - entsprechend höher für Alleinerziehende - und von 100 000 DM für Verheiratete.
({2})
Es wäre sozial gerechter, wenn die im letzten Jahr stark, auf jeden Fall stärker als die Einkommen der Beschäftigten gestiegenen Gewinne der Unterneh1940
Dr. Fritz Schumann ({3})
men zur Finanzierung der zusätzlichen Aufgaben im Zusammenhang mit der Vereinigung herangezogen würden. Um sich einer sozialen Symmetrie auch nur anzunähern, wäre eine Erhöhung des Zuschlags auf die Körperschaftsteuerschuld der Kapitalgesellschaften von 7,5 % auf 10 To vorzunehmen; das wäre sozial gerechter.
Selbst die Bezieher von Sozialeinkommen werden durch die Erhebung spezieller Verbrauchsteuern belastet. Andererseits wird über die Senkung der Unternehmensteuern im Zusammenhang mit der Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer in den alten Bundesländern nachgedacht. Die Aussage des Finanzministers über eine künftig mögliche Mehrwertsteuererhöhung macht deutlich, wie mit der Steuerpolitik der Bundesregierung die soziale Einkommenspolarisierung verschärft werden soll.
Die Erhöhung der Mineralölsteuer ab 1. Juli 1991 soll sozial flankiert werden mit der Erhöhung der Kilometerpauschale. Aber wie ist es um die Menschen mit schweren Gehbehinderungen bestellt? Vor allem im ländlichen Raum, in dem der Personennahverkehr nicht so gut entwickelt ist, ist ein Umsteigen von privaten auf öffentliche Verkehrsmittel nicht ohne unzumutbare Einschränkungen möglich. Es wäre sozial notwendig, den Schwerbehinderten mit einem jährlichen Ausgleichsbetrag aus den zusätzlichen Mineralölsteuereinnahmen zu helfen, um eine bessere Nutzung von Kraftfahrzeugen zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration zu ermöglichen.
Auch beim Wohnen wird der Staat den neuen Anforderungen an sozial verträgliche Lösungen nur unzureichend gerecht. Das trifft nicht nur auf die neuen Bundesbürger zu, auch wenn in den neuen Ländern hinsichtlich der Ausstattung und der Werterhaltung von Wohnungen sehr vieles im argen liegt. Der derzeitige soziale Wohnungsbau genügt den Anforderungen der Wohnungssuchenden nicht. Der Weg über den freien Wohnungsbau geht wieder einmal zu Lasten der sozial Schwachen.
Während es auf der einen Seite sozial Schwachen oft auch nur an der einfachsten Mindestsicherung fehlt, gibt es auf der anderen Seite großen Reichtum. Sozial gerecht wäre z. B. eine Abschöpfung der Gewinne aus Bodenspekulation und Steigerung der Bodenpreise sowie eine höhere Besteuerung der ruhenden Vermögen.
Subventionen werden gekürzt. Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern trifft das insbesondere bei Mieten, bei Energie- und Verkehrstarifen. Wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, muß im Gegensatz zur angekündigten linearen Kürzung der Subventionen eine zielgerichtete Durchforstung der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen im Unternehmenssektor erfolgen. Nach einer DIW-Untersuchung hat der Unternehmenssektor 1989 Hilfen und Vergünstigungen in einem Umfang von 86,4 Milliarden DM erhalten. Darüber sollte man nachdenken.
Nach unserer Meinung sind weiterhin Maßnahmen auf der Tagesodnung, welche die Reichen und die Vermögenden in diesem Lande an den Kosten für die Schaffung vergleichbarer Arbeits- und Lebensbedingungen beteiligen, zumindest im Rahmen ihrer im
Zusammenhang mit der Einheit Deutschlands erzielten zusätzlichen Gewinne. Gemeint ist eine Anleihe mit Zeichnungspflicht für Banken, Versicherungen und vor allem für Handelsketten sowie eine Investitionshilfeabgabe durch die gewerbliche Wirtschaft der alten Bundesländer zugunsten von Investitionshilfen in den neuen Bundesländern.
Wir unterstützen die Forderung sozial benachteiligter Bürgerinnen und Bürger nach einem gerechteren Haushalt 1991. In der reichen Bundesrepublik Deutschland ist das möglich. Wir sind dafür, erstens mehr für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun, damit Menschen über Erwerbstätigkeit ein selbstbestimmtes Leben führen können, und zweitens die Kosten für die Schaffung verbesserter Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern nicht über höhere Steuern und Abgaben den bereits jetzt sozial Benachteiligten aufzuerlegen, sondern in erster Linie die Gewinner aus der deutschen Einheit daran zu beteiligen. Drittens ist es dringend geboten, Wohnungsnot zu beseitigen und in den neuen Bundesländern keine entstehen zu lassen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich bin bei meinem letzten Satz.
Dies sollte geschehen, indem die Erhöhung der Mieten, so wie versprochen, nur in Abhängigkeit von der Einkommensentwicklung erfolgen darf.
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, möchte ich eine Bemerkung zum PDS-Vermögen machen, weil das in der Debatte eine Rolle spielt.
({0})
- Wenn ich es hätte, würde ich es gerne bringen.
- Ich persönlich sage dazu, daß uns das Vermögen, das wir von der SED als Erbe übernommen haben, nur belastet und geschadet hat, daß es uns nichts genutzt hat.
Was die Frage der Verantwortung anbelangt, die wir als Erbe übernommen haben, so glaube ich schon, daß es wichtig ist, daß es Leute gibt, die dazu stehen. Es gibt bei den Blockparteien ohnehin genügend Leute, die als neugeboren gelten und die keine Verantwortung tragen wollen.
({1})
Ich glaube, darüber sollte man sich auch einmal unterhalten.
Was das Vermögen anbelangt, so hat die PDS, rechtlich gesichert, 95 % ihres Vermögens zur Verfügung gestellt. Herr Gysi hat hier und auch an anderer Stelle öffentlich erklärt - auch schriftlich - , daß Vermögen, wenn sie irgendwo im Ausland entdeckt werDr. Fritz Schumann ({2})
den, sofort der Treuhand zur Verfügung gestellt werden, da wir darüber keine Kenntnis haben.
({3})
Uns bewegt in dem Zusammenhang, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß bis heute das abgetretene Vermögen eben nicht eingesetzt werden kann für den Aufbau, für ökologische Maßnahmen, für die Sanierung der Wirtschaft, weil es blockiert wird. Dafür trägt die PDS die Verantwortung nicht.
({4})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
- Vielen Dank für den Gruß. Herzlich willkommen - daran sieht man, wie sich die SPD auf den Finanzminister freut.
({1})
Ich habe mich auf den Tag auch gefreut - strahlender Sonnenschein - und habe mir in der Früh' überlegt: Wie wird die Frau Kollegin Matthäus-Maier kommen? Ich hatte ein schickes blaues Kostüm erwartet. Das rote ist aber auch nicht schlecht. Es ist etwas schwarz eingefärbt.
({2})
Sie hatten auch einen guten Beginn. Sie haben auf die friedliche Revolution, auf die Wiedervereinigung verwiesen, darauf, daß wir alle daran Freude hätten. Das war richtig, hat Beifall verdient. Dann haben Sie sich vom Kollegen Conradi leider ein bißchen aus dem Konzept bringen lassen. Das war schade, weil man die Diskussion über die Hauptstadt ernster und tiefer führen muß und diese Frage nicht nur en passant abhandeln kann.
({3})
Man kann sie auch nicht mit nur einer Zwischenfrage abhandeln. Vielmehr sind - wir werden uns dazu ja auch die Zeit nehmen - die Glaubwürdigkeit, die Geschichte, die Kosten, auch die Auswirkungen auf die Menschen und die Effizienz der Verwaltung
({4})
ganz entscheidende Fragen, um die wir uns kümmern müssen. Hier spreche ich nur für mich: Wir sollten alles tun, um eine vernünftige, auch die Funktion gewährleistende Lösung, einen Konsens zu finden. Ich meine, daß die Gedankenelemente, die gestern der
Bundesratspräsident Voscherau dazu beigetragen hat,
({5})
aufgegriffen werden sollten und es verdienen, verfolgt zu werden.
({6})
Danach, Frau Kollegin Matthäus-Maier, wurde es leider wieder langweilig, enttäuschend: das gleiche Ritual,
({7})
leider auch immer wieder Unterstellungen. Bei Ihnen taucht sehr oft das Wort „ehrlich" auf.
({8})
Sie sollten es allerdings nicht permanent mit Unterstellungen, mit Beleidigungen anderen gegenüber verbrämen. Sie können sagen „Die anderen machen eine falsche Politik. ", aber ständig anderen Unehrlichkeit, Lüge und anderes mehr zu unterstellen, das verrät ein schlechtes Gewissen Ihrerseits, Sie haben nicht das Recht, das zu tun.
({9})
Sie haben kritisiert, dieser Haushalt werde verspätet beraten. Natürlich hätten wir ihn auch lieber früher beraten. Sie hätten eine Beratung früher haben können, wenn Sie dem Wahltermin 14. Oktober 1990 zugestimmt hätten.
({10})
Wenn wir in den dramatischen Jahren 1990 und 1991 den Haushalt noch vor Mitte des Jahres verabschieden können und damit in dem Zeithorizont sind, den sozialdemokratische Finanzminister bei insgesamt 13 Haushalten zwölfmal so praktiziert haben, dann haben Sie kein Recht, uns vorzuhalten, daß wir den Haushalt der deutschen Einheit erst im Juni 1991 in zweiter und dritter Lesung beraten.
({11})
Außerdem haben wir auch hier die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Durch die Verpflichtungsermächtigungen im Nachtragshaushalt noch des vergangenen Jahres waren alle Ausgaben, die getätigt werden mußten, möglich. Schneller kann man eine Verwaltungsvereinbarung eigentlich nicht schließen, als wir es bei der Investitionspauschale für die Kommunen getan haben. Am 28. Februar 1991 haben wir uns auf der Konferenz mit den Ministerpräsidenten geeinigt, und am gleichen Tag wurde die vorbereitete Verwaltungsvereinbarung bereits unterzeichnet.
Keinen Gefallen haben Sie sich damit getan, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie nochmals 15 Milliarden DM für Herrn Modrow gefordert haben. Das hätte ich an Ihrer Stelle schon aus taktischer Sicht nicht mehr getan. Einem Mann, von dem heute feststeht, wie verhängnisvoll auch seine Zeit für Deutschland war und was er alles an schlimmen Dingen auch
in dieser Zeit für die Menschen in der DDR getan hat, 15 Milliarden DM hinzuschieben, in ein korruptes, verrottetes System, das gar nicht mehr in der Lage gewesen wäre, 15 Milliarden DM sinnvoll auszugeben, das sie möglicherweise nur in die Abdeckung von Zahlungsbilanzproblemen gesteckt hätte - damit haben Sie sich keinen Gefallen erwiesen. Ich meine, es war richtig, die Milliarden zu diesem Zeitpunkt nicht zu geben, sondern sie später in vielfacher Höhe in den Aufbau der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft zu stecken.
({12})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Bitte schön.
Herr Bundesfinanzminister, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich heute morgen eindeutig wiederholt habe - ich habe ja die Reden vor einem Jahr gehalten -,
({0})
daß es nicht darum ging, Herrn Modrow Geld über den Tisch zu schieben, sondern daß es darum ging, frühzeitig im Jahre 1990 die öffentliche Infrastrukturplanung in Gang zu setzen, weil man weiß, daß das Wochen dauert mit der Folge, daß überhaupt erst ein demokratisch gewählter Regierungschef eine Mark gesehen hätte und Herr Modrow nicht einmal 50 Pfennige bekommen hätte?
Erstens war Herr Modrow dazu gar nicht in der Lage, und zum zweiten wäre es auch politisch der falsche Weg gewesen, diesem Altkommunisten einen Riesenvorteil noch vor den Volkskammerwahlen zukommen zu lassen.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Weng?
Bitte schön; auch weil er vorhin so gut gesprochen hat.
({0})
Herr Minister, erinnern Sie sich - und damit vielleicht auch die Öffentlichkeit - daran, daß die letzte DDR-Regierung ihr von der Bundesregierung zur Verfügung gestellte Mittel in großem Maße nicht für die vorgesehenen Zwecke eingesetzt, sondern zweckentfremdet hat - beispielsweise die Einnahmen aus der Straßenbenutzungsgebühr, die zum Straßenbau eingesetzt werden sollten - , daß jede Menge Mittel nicht wieder auffindbar in Kanälen versickert sind und es insoweit sicher nicht sinnvoll gewesen wäre, dem SED-Regime, der SED/PDS - ich weiß nicht genau, was sie
damals gerade waren - zusätzliches Geld in die Hand zu drücken?
({0})
Ich bedanke mich, Herr Kollege Weng, für diese Frage, die genau dargestellt hat - das müßte zwischenzeitlich jeder wissen, auch die SPD -, daß es der falscheste Weg gewesen wäre, damals Geld zur Verfügung zu stellen. Es war richtig, es anschließend den gewählten Demokraten zu geben, um ihnen die Hilfe beim Wideraufbau ihres Landes zu gewähren.
({0})
Dann hat Frau Kollegin Matthäus-Maier wieder die alte Platte bezüglich Entschädigung und Rückgabe aufgelegt. Sie wissen doch, daß das im Rahmen des Möglichen längst geklärt, längst gelöst ist. Daß es hier Zielkonflikte gibt, werden Sie doch nicht bestreiten. Nur, wenn Sie so für eine schnelle Entschädigung sind, warum wollen Sie es dann bei den SPD-Zeitungen, den früheren SPD-Zeitungen oder möglichen SPD-Zeitungen, anders?
({1})
Warum wird dort geklagt? Warum werden einstweilige Verfügungen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt? Wichtig ist doch, daß investiert wird. Wichtig ist, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Dem nützen Sie durch Ihre Klage nicht.
Die eigene Politik muß schon in sich stimmig sein. Man kann nicht hier auftreten und etwas fordern und vertreten, was man in einem anderen Bereich - was ich nicht zu kritisieren habe - völlig anders praktiziert. Ehrlich muß man sein.
({2})
Was den Treuhandauftrag anbelangt: Das Lesen des Gesetzes befreit von Irrtümern. In diesem steht nämlich genau, daß neben der Privatisierung selbstverständlich auch die Sanierung und die Strukturpolitik eine Rolle spielen.
Sie haben die Grundwertekommission zitiert und dabei eine Passage gebracht - ich zitiere aus dem Gedächtnis - : „Wer sich aus guten Gründen für die rasche Einigung entschied, ... " Frau Kollegin Matthäus-Maier, hätte es eine langsamere Einheit überhaupt gegeben? Das ist doch die Frage. Ich glaube, die Chance für die Einheit gab es nur wenige Wochen und Monate. Wir haben sie, Gott sei Dank, genutzt. Einen Weg der langsameren Einheit hätte es nicht gegeben. Darum war unsere Politik richtig und Ihre zögerliche damals unter Lafontaine falsch.
({3})
Ihre Behauptung in bezug auf die Steuerlüge wird durch Wiederholung nicht wahrer. Sie wissen ganz genau, daß wir bis in den Januar dieses Jahres hinein keine Steuererhöhungen geplant haben und daß wir auch keine durchgeführt hätten, wenn nicht die anderen Lasten auf uns zugekommen wären; Lasten, die es
uns nicht ermöglicht hätten, in diesem Jahr 12 und im nächsten Jahr wieder 12 Milliarden DM für das Aufbauwerk in den fünf neuen Bundesländern zur Verfügung zu stellen. In dieser Abwägung haben wir uns für diesen schwierigen, unbequemen Schritt entschieden. Ich meine, man kann es auch gut begründen. Es ist zumutbar, und es ist ein solidarisches Opfer, das unter diesen Umständen auch alle Deutschen tragen können.
Herr Bundesminister, der Abgeordnete Seifert möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Herr Minister, da Sie jetzt schon von der Erhöhung von Steuern sprechen, frage ich Sie: Warum besteuern Sie die kleinen Leute und nicht die Spekulationsgewinner? Das sind doch die wahren Gewinner der Einheit.
Beim Solidaritätszuschlag
({0})
werden genau diejenigen am stärksten besteuert und mit dem Opfer bedacht, die am meisten verdienen.
({1})
Das ist ein sehr angemessenes leistungsbezogenes und, wie ich meine, auch sozial verträgliches Opfer, das wir von jedem verlangen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie auch noch Zwischenfragen der Kollegen Poß und Horn?
Es wird jetzt allmählich ein bißchen viel. Aber, Herr Poß, Ihnen gestatte ich eine Zwischenfrage natürlich gerne. Ich hoffe jedoch nicht, daß die Fragen vorher im Finanzministerium formuliert worden sind. Sie verfügen über gute Mitarbeiter aus dem Finanzministerium.
({0})
- Ich habe auf den Wunsch der Fraktion hin selbstverständlich hochqualifizierte Leute aus dem Finanzministerium an die SPD abgestellt, weil sich, wenn qualifizierte, gelernte Steuerleute bei Ihnen arbeiten, viel Unfug in der Steuerpolitik vermeiden läßt.
({1})
Herr Minister, wir stimmen darin überein, daß die Qualität der Mitarbeiter des Finanzministeriums durchweg gut ist, was man von Ihrer möglicherweise nicht durchgängig behaupten kann.
Das nehmen Sie aber sofort zurück!
({0})
Ich wollte Sie im Zusammenhang mit dem Ihnen bekannten Thema der Steuerlüge fragen, was Sie von der Äußerung von Herrn Wilhelm, CDU Rheinland-Pfalz, halten, der nach Flugbenzin, Wehrdienstnovelle und Steuererhöhungsdebatte vor einer Fortsetzung der Legende der Lügen warnt.
Ach, wissen Sie, wir führen hier eine Bundestagsdebatte und nicht eine Landtagsdebatte in Rheinland-Pfalz.
({0})
Jetzt folgt eine Zwischenfrage des Kollegen Horn.
Herr Minister, ich glaube, man könnte der gesamten begrifflichen Auseinandersetzung aus dem Wege gehen, wenn Sie das einmal vor dem Parlament sagen würden, was Ihr Kabinettskollege Möllemann draußen gesagt hat, nämlich: Wir haben uns verschätzt, wir haben uns geirrt, und daraus sind dann eben so schwerwiegende Konsequenzen gefolgt.
Herr Kollege Horn, jeder muß selber kommentieren, wie er zu dem steht, was er vor einem Jahr gesagt hat. Ich habe vor einem Jahr gesagt: Ich kenne die Kosten, die entstehen, nicht. Ich weiß nicht, wieviel es sein wird. Da können Sie kritisieren, daß ich das hätte wissen müssen. Ich bin aber weder ein Hellseher noch konnte mir das jemand sagen.
({0})
Wenn ich damals gesagt habe, ich weiß nicht, was es 1991 oder 1992 kostet, dann kann ich auch jetzt nicht sagen, ich habe mich wegen dieser Aussage geirrt. Ich hoffe, daß Sie mich verstehen können.
({1})
Nun noch zur Mehrwertsteuer. Was Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, hier gesagt haben, ist schlichtweg falsch. Sie wissen ganz genau, daß wir immer für den Mindeststeuersatz 14 % oder für die Bandbreite 14 bis 18 % oder 14 bis 20 % eingetreten sind. Sie wissen auch, daß es bereits auf den letzten Sitzungen des Ecofin-Rates sehr starke Bestrebungen gab, auf 15%
({2})
oder auf 16 % zu gehen. Wir haben uns dem bei der letzten Sitzung nicht angeschlossen.
Zwischenzeitlich hat die Luxemburgische Ratspräsidentschaft - Luxemburg ist neben Spanien das einzige Land, das beim Normalsatz noch unter unserem Mehrwertsteuersatz liegt - selber vorgeschlagen, auf 15 % zu gehen. Glauben Sie denn, daß wir in dieser Situation als einziges Land dabei bleiben könnten? Mit Sicherheit nicht.
Unabhängig davon - das will ich klipp und klar sagen - haben wir bereits im Februar gesagt, daß für 1993 auch aus unseren Interessen heraus eine Erhöhung der Mehrwertsteuer notwendig, sinnvoll und zumutbar ist; eine Mehrwertsteuererhöhung übrigens, die alle sozialdemokratischen Finanzminister und -senatoren wollen. Zum Teil haben sie es offen gesagt, zum Teil haben sie es mir unter vier Augen bereits gesagt.
Ich habe auch Verständnis dafür, daß die alten Länder für einen Teil dessen, was sie vor allen Dingen jetzt, im Jahre 1991, für die neuen Bundesländer aufwenden, auch teilweise refinanziert werden wollen. Es ist auch ein Beitrag zur Neufestsetzung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, das wissen Sie ganz genau. Es wird, jedenfalls nach unseren Vorstellungen, beim verminderten Steuersatz bleiben - das ist eine ganz bewußte soziale Komponente -, auch wenn der Normalsatz erhöht wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang dann noch etwas sagen. Was Sie im Zusammenhang mit Schalck-Golodkowski gesagt haben, ist weit unter Ihrem Niveau, Frau Kollegin Matthäus-Maier. Wenn Sie von Schalck-Golodkowski als einem Spezi von Franz Josef Strauß sprechen, dann ist das eine bodenlose Unverschämtheit,
({3})
dann ist das eine Gemeinheit einem Menschen gegenüber, der sich als Toter dagegen nicht mehr wehren kann und von dem die Menschen in den neuen Bundesländern wissen, daß er gerade in den letzten Jahren viel für sie getan hat, daß er viel dafür getan hat, daß Menschen geholfen worden ist, Selbstschußanlagen abgebaut worden und viele Erleichterungen in Gang gesetzt worden sind, die es vorher nicht gegeben hat. Ich weise diese Unterstellungen zurück.
({4})
SPD-Politiker, FDP-Politiker, CDU-Politiker und CSU-Politiker mußten in dieser Zeit, ob ihnen das gepaßt hat oder nicht, mit Machthabern der ehemaligen DDR sprechen, um die Folgen der Teilung erträglich zu gestalten und Menschen zu helfen.
({5})
Ich weiß nicht, mit wem Sie alles gesprochen haben. Ich weiß, mit wem ich gesprochen habe, und ich brauche mich keines Gesprächs zu schämen. Darum sollten Sie diese versteckten, verdeckten und unehrlichen Unterstellungen nicht mehr weiter pflegen.
({6})
Wenn Ihnen die Behandlung des Falles SchalckGolodkowski nicht gefällt, dann setzen Sie sich mit Ihrer Genossin, der sozialdemokratischen Justizsenatorin von Berlin, in Verbindung, die, wie ich glaube, das Notwendige, Mögliche unparteiisch tut, um diesem Fall gerecht zu werden und die Sachen zu verfolgen, wenn sie verfolgt werden können.
({7})
- Selbstverständlich. Aber bisher jedenfalls liegt die Sache in den Händen einer sozialdemokratischen Justizsenatorin. Ich glaube nicht, daß Sie Frau Limbach in dem Zusammenhang tadeln wollen.
({8})
Noch ein Wort zum Fonds-Vorwurf: Auch das war nicht besonders originell. Der Sonderfonds Deutsche Einheit war, wie wir wissen, zwischen Bund und Ländern der einzige Weg zur gemeinsamen Finanzierung. Er ist verfassungsrechtlich, haushaltsrechtlich und ordnungspolitisch vertretbar. Der Kreditabwicklungsfonds ist zeitlich befristet bis Ende 1993. Er verteilt dann die Schulden, deren Verteilung jetzt zwischen Bund, Ländern und Kommunen noch nicht möglich ist. Die hälftige Zinserstattung erfolgt durch Bund und die Treuhand, und die Zinsen sind selbstverständlich im Haushalt ausgewiesen. Es gibt hier kein Versteckspiel.
Daß nicht die ganze Wirtschaft der früheren DDR beim Staat, beim Bund bleibt, sondern über die Treuhandanstalt abgewickelt wird, war doch eigentlich auch unser Wille. Wir wollten, daß diese Wirtschaft entflochten, privatisiert, dezentralisiert wird. Insofern glaube ich auch, daß diese Organisationsform - bei aller Kritik im Einzelfall - die richtige war.
Allgemeinpolitisch - aber das wird sich ja noch morgen zeigen - und finanzpolitisch hat die SPD bisher keine Alternative dargestellt.
({9})
Und es wird in der Außen- über die Sicherheits- bis zur Finanzpolitik mehr notwendig sein, als sich an der eigenen Pfeifentasche wie an einem archimedischen Punkt festzuhalten.
({10})
wie das bisher bei Björn Engholm - ich sage das trotz aller persönlichen Sympathie - der Fall ist. Ich als Pfeifenraucher darf das wohl durchaus sagen.
({11})
- Gar nichts. Ich sagte es doch gerade als Pfeifenraucher, obwohl ich das Rauchen etwas eingeschränkt habe, aber nicht wegen der Erhöhung der Tabaksteuer, sondern aus anderen Gründen.
({12})
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1991, über den wir in dieser Woche abschließend beraten, ist die überzeugende Antwort auf die HerausBundesminister Dr. Theodor Waigel
forderungen der deutschen Einheit und auf unsere internationalen Verpflichtungen. Er enthält die Perspektiven, die heute die Menschen in ganz Deutschland wieder haben, Perspektiven der Freiheit, des wachsenden Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit. Es ist ein Haushalt der Einheit. Die vorübergehende Unterscheidung in einen Abschnitt A und einen Abschnitt B für das Beitrittsgebiet ist aufgehoben; auch das ein Zeichen der wachsenden Einheit, die sich in allen Bereichen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft vollzieht.
Im Zusammenhang mit der deutschen Einheit mußte die Verabschiedung des Bundeshaushalts auf das Frühjahr verschoben werden. Ich habe dazu vorher das Notwendige gesagt.
Auch ich möchte nicht versäumen, den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses für ihre hervorragende Arbeit zu danken. Trotz des engen Zeitrahmens haben sie mit gewohnter Sorgfalt und Sachkunde jede einzelne Position durchleuchtet.
({13})
Ich glaube, es gibt nur wenige Bereiche, in denen die parteiübergreifende Zusammenarbeit so gut funktioniert wie gerade im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages. Ich möchte mich auch beim Vorsitzenden und bei allen - ({14})
- Entschuldigung, was heißt denn da „großes Lasso"? Es muß doch möglich sein, den Respekt gegenüber der Kollegialität zum Ausdruck zu bringen, die hier stattfindet.
({15})
Die Verwirklichung der deutschen Einheit ist eine parteiübergreifende Aufgabe. Selbstverständlich haben Regierung und Opposition in einer solchen Auseinandersetzung unterschiedliche Rollen zu spielen, wie es die demokratischen Regeln vorsehen. Aber leider hat es in der SPD wenig Ansätze zu einer konstruktiven Rolle gegeben.
Sie haben vorhin zitiert, Frau Kollegin MatthäusMaier. Sie haben vergessen, die sehr geschätzte Frau Kollegin Anke Fuchs zu zitieren. Sie sagte:
Wir lagen neben dem Lebensgefühl in Ost und West. Wir waren nicht die Alternative. Man traute uns nichts zu.
Das sind die Worte von Anke Fuchs am letzten Mittwoch auf dem Bremer Parteitag. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die deutsche Einheit war und ist keine Frage allein der finanz- und haushaltspolitischen Machbarkeit. Um es ganz klar zu sagen: Wir hätten sie auch angestrebt, anstreben müssen, wenn sie uns im letzten Jahr statt 30 Milliarden 60 Milliarden DM gekostet hätte und wenn sie uns in diesem Jahr statt der 100 Milliarden DM noch mehr kostete.
({16})
Die Freiheit hat ihren Preis.
Die finanzpolitische Stabilität ist trotz dieser riesigen Herausforderung nicht gefährdet. Die Wiedervereinigungsaufgabe hat das wirtschafts- und finanzpolitische Gleichgewicht unseres Staates zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Wir sind trotz der einmaligen historischen Herausforderungen im Rahmen dessen geblieben, was in früheren Jahren bereits für gemeinschaftliche Aufgaben aufgebracht wurde.
Die Nettokreditaufnahme beläuft sich im Bundeshaushalt 1991 auf 66,4 Milliarden DM. Damit wird im Jahr nach der deutschen Einheit ein geringerer Anteil der Bundesausgaben durch Kredite finanziert als z. B. im Jahre 1975, als es um die vergleichsweise geringere Aufgabe der Bewältigung der ersten Ölpreiskrise ging.
Wichtig ist, noch folgendes festzuhalten: 1991 ist die Nettokreditaufnahme fast vollständig durch die Investitionsausgaben von 65 Milliarden DM gedeckt. Wer hätte es für möglich gehalten, daß wir im Jahre 1991 kaum mehr Schulden machen, als Investitionen im Bundeshaushalt vorhanden sind, d. h. Art. 115 des Grundgesetzes nur tangiert wird, obwohl jeder, mit Sicherheit auch das Bundesverfassungsgericht, in einer solchen Situation Verständnis für ein Ungleichgewicht, d. h. für die Inanspruchnahme der Sonderregelung nach Art. 115 gehabt hätte? Dies beweist, wie stabil unsere Finanzplanung und unsere Finanzpolitik auch in bezug auf die Nettokreditaufnahme im Verhältnis zu den Investitionsausgaben sind.
({17})
Allein im Jahre 1991 stehen für die deutsche Einheit 100 Milliarden DM im Bundeshaushalt zur Verfügung. Wenn die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer von einer ausreichenden Finanzausstattung sprechen, dann kann uns hier mit Sicherheit niemand Versäumnisse vorwerfen. Insgesamt investieren die öffentlichen Haushalte einschließlich Bahn und Post in diesem Jahr 50 Milliarden DM im Beitrittsgebiet. Einschließlich der privaten Investitionen ergibt sich im Jahr 1991 eine volkswirtschaftliche Investitionsquote von über 30 %. Das ist rund die Hälfte mehr als im ursprünglichen Bundesgebiet.
Mit 20 Milliarden DM setzen wir uns für die Linderung der Arbeitsmarktprobleme ein. Allein 6,6 Milliarden DM stehen für die berufliche Fortbildung und Umschulung zur Verfügung. Dadurch bestehen zusätzliche berufliche Chancen für 330 000 Arbeitnehmer. Zur Bekämpfung des Lehrstellenmangels haben wir eine Prämie von 5 000 DM für jeden zusätzlich zur Verfügung gestellten Ausbildungsplatz vorgesehen.
Die 43 wichtigsten Fördermaßnahmen zur Stärkung privater Investitionen und zur Erweiterung des Arbeitsplatzangebots erreichen im Jahre 1991 ein Volumen von 100 Milliarden DM. Das entspricht rund der Hälfte des Bruttosozialprodukts in den neuen Bundesländern.
Wir haben die Fähigkeit zu unbürokratischer Hilfe und Unterstützung gerade bei der Investitionspauschale bewiesen. Auch beim Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost haben wir durch die gegenseitige Dekkungsfähigkeit Vorsorge dafür getroffen, daß flexibel gearbeitet werden kann. Wir werden baldmöglichst feststellen, ob der Mittelabfluß irgendwo nicht wie
vorgesehen laufen kann, und werden dann umschichten, damit das Geld ausgegeben wird. Normalerweise ist der Bundesfinanzminister daran interessiert, daß am Schluß des Jahres etwas übrigbleibt, damit er die Nettokreditaufnahme senken kann. In diesem Jahr bin ich daran interessiert, daß das Geld für Investitionen, für Arbeitsplätze ausgegeben wird.
({18})
Wir wollen auch die Bereitstellung von Grundstükken und Gebäuden für Investitionen und den Wohnungsbau noch weiter erleichtern. So wird es schon durch den Bundeshaushalt 1991 im gesamten Bundesgebiet für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus Preisnachlässe von 15 % oder die Einräumung von Erbbaurechten geben. Im Beitrittsgebiet sind Preisnachlässe von 25 bis 75 % für Gebietskörperschaften möglich, wenn Bedarf für unmittelbare Verwaltungszwecke besteht. Erst in der letzten Woche habe ich mich mit dem Finanzminister von Sachsen-Anhalt, Professor Mönch, eingehend darüber unterhalten.
Aber wir haben hier auch darüber nachzudenken, was wir in den alten Bundesländern in diesem Zusammenhang verbessern können.
({19})
Im Zuge der Abrüstungsmaßnahmen ist in den kommenden Jahren auch im alten Bundesgebiet mit umfangreichen Freigaben von bislang militärisch genutzten Liegenschaften zu rechnen. Wir wollen den von der Konversion besonders betroffenen Gebieten gezielt helfen, die unvermeidliche Strukturanpassung zu bewältigen.
({20})
- Einen kleinen Moment! Auf das Wort „wie" kommt gleich die Antwort. Zuhören, an den Wahlkreis weitergeben, Theo Waigel loben!
({21})
- Hören Sie zu, sonst wissen Sie es nachher wieder nicht und wiederholen das Falsche!
({22})
- Hören Sie zu! Ich glaube, das täte Ihnen gut!
Ich denke hier an die Verdoppelung der jetzigen Vergünstigung von bisher 15 %. Darüber sollten wir bei der Aufstellung des Haushalts 1992 miteinander sprechen.
({23})
Das wird bereits in den nächsten Wochen der Fall sein.
Es ist allerdings - darauf möchte ich hinweisen - nicht unser Ziel, Gemeinden bei Industrieansiedlungen oder sonstigen Vorhaben der gewerblichen Wirtschaft Zwischenerwerbe mit Gewinnspannen zu ermöglichen.
({24})
Hier wird der Bund deshalb unmittelbar an die Investoren verkaufen, sobald die Gemeinden ihre Planungen bekanntgegeben haben. Unabhängig davon werden auch die Verfahren besonders beschleunigt.
Wir sind an einer dauerhaften Stärkung der Finanzkraft der neuen Länder interessiert. Wir stehen zu unserer Mitverantwortung für die Finanzen in den neuen Bundesländern. Die Zuwendungen aus dem Fonds Deutsche Einheit gehen in den kommenden Jahren zurück. Auf der anderen Seite haben wir in den Koalitionsvereinbarungen festgelegt, die Finanzkraft der neuen Länder durch eine Umschichtung der Leistungen nach dem Strukturhilfegesetz weiter zu verbessern. Die Einzelheiten werden derzeit in einer Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern diskutiert.
Wir sind auch bereit, weitere Maßnahmen zu prüfen, um die finanzielle Situation der neuen Länder zu stabilisieren. Eine Entscheidung darüber kann allerdings erst getroffen werden, wenn die Haushaltsentwicklung des Bundes und der neuen Länder für 1992 deutlich erkennbar ist.
Die Opposition wirft uns vor dem Hintergrund der noch ungünstigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten Versagen in den neuen Bundesländern vor.
({25})
Genauso könnten wir einen Bauunternehmer anklagen, der wenige Monate nach Erteilung der Baugenehmigung noch kein Richtfest bei seinem Hochhausprojekt feiern kann.
({26})
- Sie waren doch nicht dabei! Sie haben doch geschlafen, als wir die Dinge beschlossen haben.
({27})
Mit anderen Worten: Der Vorwurf ist absurd und nicht ernst zu nehmen. Sie müssen sich einmal von Ministerpräsident Stolpe sagen lassen, wie zufrieden er mit unserer Finanzpolitik ist.
({28})
- Entschuldigung, Sie dürfen mit jedermann reden. Ich habe mit Herrn Biedenkopf schon wesentlich öfter und sinnvoller geredet als Sie.
({29})
- Erst gestern abend habe ich ihn im Fernsehen gesehen.
({30})
Ein Wort zur Sanierung und Privatisierung. Wo die Sanierung von Betrieben sinnvoll und vertretbar ist, werden wir den Verlust von Arbeitsplätzen begrenzen. Sanieren und Privatisieren sind zwei eigenständige Aufgaben der Treuhandanstalt, wie es sich schon aus ihrem Auftrag ergibt. Wir haben dazu im März gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der neuen
Länder und den Sozialpartnern noch unter Detlev Karsten Rohwedder das Notwendige beschlossen.
Dort, wo der Abbau von Arbeitsplätzen unvermeidbar ist, will die Treuhandanstalt durch die Unterstützung bei der beruflichen Umschulung, durch Hilfe bei Existenzgründungen und durch andere Maßnahmen zum Ausgleich beitragen. Sozialpläne werden innerhalb bestimmter finanzieller Grenzen auch dann abgesichert, wenn in den zu schließenden Betrieben keine ausreichende Substanz mehr vorhanden ist.
Wir müssen - darüber sind wir uns im klaren - eine Durststrecke überdauern, bis die privaten und öffentlichen Investitionen wirken, bis mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als alte vernichtet werden.
Es gibt erste Hoffnungszeichen für das Beitrittsgebiet. Man braucht nur die Wirtschaftsseiten der Tageszeitung aufzuschlagen und die Firmenberichte zu lesen, um zu sehen, wie jeden Tag die Weichen in diese Richtung gestellt werden. Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts planen über 40 % der Großunternehmen bis 1992 Investitionen in den neuen Bundesländern. Dabei verlagern sich die Investitionsschwerpunkte zunehmend vom Vertrieb auf die Schaffung neuer Produktionsstätten.
Die Privatisierungsbilanz der Treuhandanstalt wird mit rund 200 Veräußerungen pro Monat immer länger. Bei inzwischen 1 600 Privatisierungen wurden Vereinbarungen über die Sicherung von 400 000 Arbeitsplätzen und 60 Milliarden DM an Investitionen getroffen.
Angesichts des massiven Engagements der deutschen Wirtschaft und der umfassenden öffentlichen Förderung und Unterstützung ist die wirtschaftliche Trendwende im Beitrittsgebiet eine Frage der Zeit. In der Phase des Übergangs bleibt niemand mit seinen finanziellen Sorgen und Problemen, die wir ernst nehmen, allein.
({31})
Wir haben das soziale Netz ausgespannt. Schon heute übertreffen die sozialen Leistungen bei weitem das, was im sogenannten sozialistischen Arbeiter- und Bauernparadies jemals möglich und finanzierbar war.
Meine Damen und Herren, die Leistungen für die neuen Bundesländer belaufen sich zur Zeit auf rund 3 bis 4 % des westdeutschen Bruttosozialprodukts. Das sind 50 % der selbst erwirtschafteten Leistungen im Beitrittsgebiet. Das - das sagen wir mit großem Stolz - ist wohl die größte Solidarleistung, die jemals in eine deutsche Region geflossen ist.
({32})
Diese Solidarität ist geboten, sie ist notwendig. Wir müssen aber auch das ökonomische Limit sehen. Die Grundlagen für Wachstum und Beschäftigung in ganz Deutschland dürfen nicht gefährdet werden.
Der schwierige, aber erfolgreiche Konsolidierungsweg der 80er Jahre war und ist die entscheidende Erfahrung. Eine Überforderung von Staat und Wirtschaft darf es nicht geben. Wer weitere staatliche Leistungen fordert, muß konkret sagen, woher das Geld kommen soll.
({33})
Andernfalls sind solche Vorschläge nicht ernst zu nehmen.
Wachstum und Stabilität, das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in den großen Industrieländern sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgabe.
Die internationalen Märkte und natürlich auch die internationale Politik haben der Bundesregierung und der Bundesrepublik Deutschland insgesamt eindeutig die Kompetenz zugesprochen, mit den wirtschafts- und finanzpolitischen Folgeaufgaben der Wiedervereinigung fertigzuwerden. Der gewogene Außenwert der deutschen Mark - Gradmesser vielfältiger Stimmungen und Bewertungen - hat sich gegenüber dem Januar 1990 überhaupt nicht verändert. Die D-Mark ist nach wie vor der Anker im Europäischen Währungssystem und begehrte Reservewährung.
Ich wiederhole auch hier: Wir sind zur Integration bereit. Wir arbeiten in der Wirtschafts- und Währungsunion konstruktiv mit; wir haben einen eigenen Entwurf eingebracht.
({34})
Wir sind bereit, bereits 1996 in die dritte Stufe einzutreten. Aber die dann kommende europäische Währung muß so stabil sein wie die Deutsche Mark. Nur dann ist sie der deutschen Bevölkerung zuzumuten.
({35})
Durch die Berufung von Dr. Helmut Schlesinger und Dr. Hans Tietmeyer in der Spitze der Deutschen Bundesbank haben wir deutlich gemacht: Wir werden auch künftig nicht einen Millimeter vom Stabilitätskurs abweichen. Es bedarf keiner besonderen Aufforderung an diese beiden Persönlichkeiten, diesen Auftrag in voller Unabhängigkeit zu erfüllen. Ich freue mich, daß fast alle politischen Sprecher der Parteien diese Berufung positiv kommentiert haben.
Das nahezu unerschütterliche Vertrauen in die deutsche Leistungsfähigkeit zeigt sich auch - für uns nicht ganz unproblematisch - im Zusammenhang mit den großen internationalen Aufgaben, bei denen unsere Beteiligung gewünscht wird.
Das wiedervereinigte Deutschland hat sich auf der internationalen Bühne umfassend engagiert. Wir tragen die Hauptlast für den Abzug der Sowjetarmee aus Mitteleuropa. Wir tun dies nicht nur für uns, sondern dies liegt im Interesse des Westens insgesamt. Wir stehen bei der Hilfe für die mittel- und osteuropäischen Staaten an vorderster Front. 25 Milliarden DM in zwei Jahren. Wir haben zur Lösung des Golfkonflikts beigetragen und den geflohenen Kurden geholfen. Nicht zuletzt ist der Wiederaufbau im Osten Deutschlands selbst ein wirksames Programm zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa.
Ich habe unseren ausländischen Freunden beim G7-Treffen und bei der Tagung des Internationalen
Währungsfonds in aller Klarheit immer wieder eines gesagt: Das, was wir in Deutschland, in Europa gegenüber der Sowjetunion tun, ist mehr als das, was unser nationales Interesse eigentlich ausmacht. Wir engagieren uns überproportional, und wir bitten, dies auch in ein globales, internationales burden-sharing, in eine globale Lastenverteilung mit einzubeziehen, weil niemandem in der Welt gedient wäre, wenn die deutsche Volkswirtschaft in diesem Zusammenhang überfordert würde.
({36})
Wir setzen uns vor allem auch für die marktwirtschaftliche Erneuerung und das Entstehen demokratischer Strukturen in der Sowjetunion ein. Dieser Einsatz liegt in unserem eigenen ökonomischen und sicherheitspolitischen Interesse. Aber der Transfer von Finanzmitteln oder die Gewährung von Krediten kann nicht am Anfang stehen. Zunächst geht es darum, eine tragfähige Konzeption für den schrittweisen Übergang von der zentralen Plan- zur dezentralen Marktwirtschaft zu entwickeln. Dabei müssen die besonderen realen Bedingungen in der Sowjetunion berücksichtigt werden. Erst dann kann in internationaler Abstimmung darüber gesprochen werden, was der Westen materiell beitragen kann, damit im größten Land der Welt der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch verhindert wird.
Staatssekretär Dr. Köhler hat im Auftrag des Bundeskanzlers und in meinem Auftrag letzten Samstag in Moskau mit Präsident Gorbatschow über die Perspektiven der Hilfe und eine mögliche Beteiligung der Sowjetunion am kommenden Weltwirtschaftsgipfel gesprochen. Wir haben damit unsere besondere Verantwortung für die Entwicklung im Osten unterstrichen. Aber die Aufgabe wirksamer Hilfe kann selbstverständlich nur von den großen Industrienationen gemeinsam angegangen werden. Dennoch gehe ich davon aus - es wäre wohl auch gut -, daß Gorbatschow beim Weltwirtschaftsgipfel in London dabeisein wird, um diesen Dialog der Sowjetunion mit der internationalen Wirtschaft fortzuführen. Nur dieser Dialog und die Beteiligung an den internationalen Institutionen können der Sowjetunion und uns gemeinsam weiterhelfen.
({37})
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland gehört in diesem Jahr zu den ganz wenigen Industriestaaten, die nicht von schweren Rezessionserscheinungen betroffen sind. Auch das ist vor allem der Wiedervereinigung zu verdanken. Man soll nicht nur von den Lasten der Wiedervereinigung sprechen, sondern auch von den wirtschaftlichen Vorteilen, die auch im Westen unseres Vaterlandes bei der Konjunktur und bei den Aufträgen spürbar sind.
({38})
- So ist es. Dies gilt auch für Sie, Herr Wieczorek.
Wenn Sie recht haben, haben Sie recht. Allerdings ist
dies bei mir öfters als bei Ihnen der Fall. Bisweilen
kommt es aber auch bei Ihnen vor. Niemand kann das leugnen.
({39})
- Wir haben sehr gute Wahlerfolge in Bayern.
({40})
- Sie sind ja auf dem Parteitag mit dem Kollegen Hiersemann nicht gerade gut umgegangen. Aber vielleicht kommen Sie einmal nach Bayern.
({41})
- Sie seien dauernd da?
({42})
- Niemand kennt Sie!
({43}) Es gibt keinen Anlaß - ({44})
- Ich muß meine Fraktionsfreunde wieder um Aufmerksamkeit bitten. - Es gibt keinen Anlaß, über Belastungen aus der Wiedervereinigungsaufgabe zu klagen, wenn die Tariflöhne in diesem Jahr um mindestens 6 % bis 7 % zunehmen. Was wir an Solidarbeitrag im Bereich von Steuern und Abgaben einfordern müssen, wird durch die Lohn- und Gehaltsentwicklung vollständig ausgeglichen. Auch das muß man sehen.
Es gibt auch keine Vernachlässigung staatlicher Aufgaben im Westen. Im Verkehrsbereich wird die Bundesregierung 1991 die im Beitrittsgebiet nicht benötigten Straßenbaumittel in die alten Länder zurückgeben. Darüber hinaus wird in den alten Ländern zusätzlicher Spielraum beim Straßenbau durch eine Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen im Bundeshaushalt 1991 zur Verfügung gestellt. Damit werden die alten Länder in die Lage versetzt, alle für 1991 geplanten Vorhaben ungeschmälert fortzuführen.
Alle staatlichen Leistungen - im Osten wie im Westen - beruhen auf der wirtschaftlichen Leistungskraft unseres Landes. Das ist das entscheidende Motiv, weshalb wir die wachstums- und beschäftigungsfördernde Steuerreform trotz der Belastungen durch die Wiedervereinigung weiter voranbringen müssen.
Meine Damen und Herren, man muß doch darüber nachdenken: Warum ist es in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre durch eine ständige Erhöhung der Steuerlast nicht gelungen, Wachstum und Konjunktur voranzubringen? Und warum ist es durch eine ständige, konsequente Steuerentlastungspolitik von 1982 bis 1990 gelungen, den längsten Wirtschaftsaufschwung, den längsten Zyklus einer positiven WirtBundesminister Dr. Theodor Waigel
schaftsbewegung in der Geschichte Deutschlands herbeizuführen?
({45})
Ich bin deswegen überzeugt, daß künftige Steuerentlastungen, die notwendig sind, um im Europäischen Binnenmarkt zu bestehen, wie schon in der Vergangenheit bei der Steuerreform 1986 bis 1990 für die öffentlichen Haushalte kein Verlust-, sondern letztlich ein Gewinngeschäft sein werden.
Auch kurzfristig wollen wir keine Lücken in den Haushalten von Ländern und Gemeinden durch die Abschaffung der Gewerbekapital- und durch die Senkung der Vermögensteuer - ich sage nochmals: es geht in erster Linie um die Senkung der betrieblichen Vermögensteuer - aufreißen. Durch die Verringerung der Gewerbesteuerumlage, durch den steuerlichen Subventionsabbau, vor allem aber auch durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1. Januar 1993 wird vielmehr die Finanzausstattung der übrigen Gebietskörperschaften dauerhaft verbessert.
Schließlich haben wir vorgesehen, künftig 3 Milliarden DM aus dem erhöhten Mineralölsteueraufkommen für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs zur Verfügung zu stellen. - Jetzt müßte hier Beifall kommen.
({46})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, die sind von vorhin noch so positiv angetan. - Aber das ist ganz wichtig: Diese 3 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr haben im Interesse unserer Länder und unserer Kommunen eine sehr, sehr positive Auswirkung. Wir wissen, wie es gerade im öffentlichen Personennahverkehr auch an der finanziellen Ausstattung bisweilen mangelt. Ich meine, das ist ein wichtiges und positives Angebot an die Länder und an die Kommunen.
({47})
Wir erreichen damit konkrete Verbesserungen für die Menschen. Demgegenüber hat die SPD in der Steuerpolitik seit Jahrzehnten nichts Konkretes vorzuweisen.
Es bereitet immer wieder Vergnügen, in dem Buch „Der Abstieg" von Hans Apel zu lesen. Da heißt es z. B. zu den Arbeiten an der im Jahre 1984 geplanten Steuerreform: „Doch die Partei sieht es anders. Wenn schon Geld verteilt werden soll, dann nicht an die Steuerzahler. "
Und in den Notizen zum Jahre 1987 heißt es: „Wir rechnen ihnen" - den Steuerzahlern - „vor, wie schlimm sie dran sind. Wir spitzen den Mund und fordern eine konjunkturell wirksame und sozial gerechte Steuerpolitik. Nur pfeifen dürfen wir nicht. "
Das einzige, was von der früheren Steuerpolitik heute noch negativ fortwirkt, ist die damalige Abschaffung der Kinderfreibeträge, die uns auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts heute noch Probleme bereitet.
Meine Damen und Herren, die Fragen der Umschichtung staatlicher Mittel zwischen Ost und West, des Subventionsabbaus, der Ausgabendisziplin sowie der Steuer- und Abgabenlast werden zum entscheidenden Prüfstein für den Fortschritt, den wir bei der Heilung der nationalen Verletzungen durch den kalten Krieg erzielen können. Ost und West können nur zusammenwachsen, wenn die Verwirklichung der Wiedervereinigung in allen Lebensbereichen als gemeinsame Aufgabe begriffen wird. Wir müssen in Ost und West erreichen, daß der Rückzug ins Private - in der Vergangenheit in Ostdeutschland wegen des Regimes notwendig; bei uns aber auch manchmal ein Stück Verweigerung gegenüber der Politik und den Herausforderungen - wieder abgebaut wird und wir die Menschen wieder motivieren.
Herr Präsident, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das rote Licht abstellen könnten. Sonst muß ich die Hand darüber legen. Es stört mich nämlich beim Vortrag meiner letzten Bemerkungen.
Herr Bundesminister, die ausgehandelten Redezeitbegrenzungen gelten auch für Bundesminister.
Ich nehme das mit großem Respekt zur Kenntnis. Lassen Sie mich jetzt aber mit zwei Philosophen schließen, Herr Bundestagspräsident.
Der Regensburger Professor Dr. Ulrich Hommes hat kürzlich geschrieben:
Zahlreiche Untersuchungen verweisen für das Anwachsen der Angst auf den Umstand, daß die Menschen heute ganz allgemein unter einer eigentümlichen Beziehungslosigkeit leiden. Ganz offensichtlich hat gerade Beziehungslosigkeit Angst zur Folge, sowie Beziehungslosigkeit auch zu gesteigerter Aggressivität führen kann.
Ich glaube, indem wir den Begriff der wiedervereinten Nation auch im Bewußtsein der Menschen lebendig halten und zur Nation die große Perspektive Europa fügen, geben wir den Menschen eine neue Identität, die Ihnen einen Teil der Ängste, der Unsicherheit oder der Unübersichtlichkeit, wie es Habermas formuliert hat, nimmt.
Meine Damen und Herren, wir haben die Grundsteine gelegt. Wir haben Grund zum Optimismus. Nach den Worten von Sir Karl Raimund Popper können wir an die Stelle von Utopien Hoffnung setzen. Anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der katholischen Universität Eichstätt am Montag letzter Woche sagte der 89jährige Philosoph Karl Popper:
Da wir es erreicht haben, manche Dinge besser zu machen, ist ein ähnlicher Erfolg in der Zukunft nicht unmöglich.
Nach seiner Auffassung ist bewiesen, daß eine Regierungsform der Freiheit nicht nur möglich ist, sondern daß sie die größten Schwierigkeiten erfolgreich
überwinden kann. Mit der Aufhebung der Teilung Deutschlands setzen wir auf die Gestaltungskraft von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Wir wollen und werden unsere Chance entschieden und entschlossen nutzen. - Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nils Diederich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben soeben den Regensburger Philosophen Hommes zitiert, Beziehungslosigkeit sei auch immer durch Angst verursacht. Da zwischen uns aber offensichtlich keine wechselseitigen Angstgefühle bestehen, so müssen unsere Beziehungen doch sehr viel besser sein, als das in den Debatten hier manchmal zum Ausdruck kommt.
Wir führen die Debatte zu einem Zeitpunkt, zu dem alle unsere Kräfte eigentlich auf die Konzeption der Haushaltspolitik des nächsten Jahres gerichtet sein müßten. Die Bundesregierung hat entgegen ihrer haushaltsrechtlichen Verpflichtung aus wahltaktischem Kalkül heraus den Bundeshaushalt 1991 erst jetzt vorgelegt. Nun gut, dieser Haushalt wird auch den Problemen und Herausforderungen der deutschen Einigung nur ungenügend gerecht; denn er stellt immer noch - so anerkennenswert die Einarbeitung von A- und B-Haushalt auch ist - nur eine Addition überkommener westdeutscher Haushaltsstrukturen dar. Das, was einigungsbedingt notwendig ist, ist angepappt. Das sieht man auch an dem nachgeschobenen und auf zwei Jahre befristeten Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Dies kann kein Konzept ersetzen, um die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den neuen Bundesländern aufzuhalten.
Aber, meine Damen und Herren, der Haushalt für 1991 wird nicht nur außerordentlich spät verabschiedet, er ist auch unordentlicher Haushalt. Die Bundesregierung hat das selber gemerkt; denn wir haben bis zum letzten Augenblick wichtige Dinge nach Minutenbedenkzeit nachschieben müssen.
Herr Kollege, ich darf Sie einen Moment unterbrechen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner. Wenn Sie Besprechungen führen wollen, tun Sie das bitte draußen im Flur.
Es hat einmal jemand gesagt: Es gibt Abgeordnete zu Fuß und Abgeordnete zu Pferde. Wenn ein Ritter geredet hat, dann sind die Fußvölker vielleicht nicht mehr so ganz interessant.
({0})
Ich denke aber, daß wir dennoch etwas zu sagen haben.
Ich möchte übrigens hinzufügen: Unsere Kooperation wird in nächster Zeit sicherlich besser werden, weil sich in einem gewissen Verfassungsorgan des Bundes Mehrheitsverhältnisse verschoben haben. Ich
denke, da wird die Gesprächsfähigkeit erhöht werden.
Meine Damen und Herren, ich wollte im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt darauf hinweisen, daß wir einer Legendenbildung vorbeugen müssen, nämlich der, die neuen Länder seien unfähig, die zur Verfügung gestellten Finanzmittel umzusetzen. Die Hauptverantwortung dafür trägt die Bundesregierung mit ihrer Politik der Verzögerung.
({1})
Ich sage voraus, daß wir, wie im Vorjahr, am Ende des Jahres wieder riesige Haushaltsreste haben werden. Ich sage das nur, damit wir nachher keine falschen Schuldzuweisungen haben.
Meine Damen und Herren, Frau Matthäus-Maier hat Ihnen Ihre konzeptionellen Fehler vorgerechnet. Passen Sie auf, daß Ihnen das Kursbuch der Nation nicht zum Konkursbuch der Koalition gerät!
Herr Waigel, Sie haben in der ersten Lesung gesagt: Niemand konnte die Kosten der Wiedervereinigung voraussagen. Sie haben das jetzt wiederholt. Ich kann dem vorbehaltlos zustimmen. Nur, ich denke: Man konnte sehr schnell eine Ahnung von der Größenordnung haben. Was wir Ihnen vorwerfen, ist, daß Sie bis heute das Problem systematisch unterschätzt und zum Teil auch vor sich hergeschoben haben.
({2})
Ich zitiere Herrn Wolfram Engels, dem die Ohren klingen müssen, daß er zweimal an einem Tag von Sozialdemokraten zitiert wird. In der „Wirtschaftswoche" vom 31. Mai sagte er:
Soweit es bekannt ist, hat die Regierung überhaupt keinen Rat von außenstehenden Fachleuten
- für ihre Wirtschaftspolitik eingeholt. Es sieht so aus, als habe sie nicht einmal ihre eigenen Fachleute gehört ... Bei der deutschen Wiedervereinigung hat der Chef persönlich gekocht.
({3})
Ich nehme an, daß Sie bei dieser Kocherei der Hilfskoch waren. Ich muß sagen, der Mangel an Konzeption, der in diesem Haushalt deutlich wird, ist eine Schande.
Es gibt noch einen anderen Punkt, an dem man das nachweisen kann. Herr Waigel, Sie sind dabei, die Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit unseres Bundeshaushalts auszuhöhlen. Der Einzelplan 60, der ja ursprünglich ein reiner Steuer- und Abschlußhaushalt war, wird mehr und mehr zum Sammelhaushalt für riesige Programmstücke. Diese Ansammlung zeigt übrigens die Konzeptions- und Entscheidungsunfähigkeit in einer Phase von historischer Bedeutung, weil Sie nicht in der Lage waren, zu entscheiden, ob Sie die Titel einzelnen Ressorts zuordnen oder ob Sie das einmal geplante Aufbauministerium realisieren.
Einige Zahlen hierzu: 1989 hatten wir im Einzelplan 60 lediglich 6 % des Ausgabenvolumens des
Dr. Nils Diederich ({4})
Bundes. Das war überwiegend Berlin-Förderung, nämlich 13 von 17 Milliarden DM. Der Ansatz dieses Jahres im Einzelplan 60 weist bereits 11 % der Ausgaben des Bundeshaushalts aus. Das sind 45 Milliarden DM. Das ist der viertgrößte Ausgabenbrocken überhaupt nach Soziales, Verteidigung und Bundesschuld. Man kann doch nicht mehr von einem ordentlichen Haushalt sprechen, wenn nicht mehr an den Fachressorts festzumachen ist, wo die Verantwortlichkeit liegt, sondern wenn die Mittel beim Bundesfinanzminister sind, aber im Haushaltsplan den Ministerien zur Bewirtschaftung zugewiesen werden. Herr Weng hat vorhin davon gesprochen, daß man irgendwann wieder zu einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung übergehen wolle, wenn die Zeit ruhiger geworden ist. Herr Finanzminister, ich bitte darum, schon für 1992 die Überlastung des Einzelplans 60 radikal zu reduzieren.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler, der für bemerkenswerte Worte immer gut ist, hat sich auf dem St. Gallener Managementgespräch am 27. Mai dieses Jahres, also vor einem sachverständigen Publikum, dessen Mitwirkung wir beim wirtschaftlichen Erneuerungsprozeß in den neuen Ländern wirklich brauchen, zu folgender Aussage verstiegen:
Die Investitionsbedingungen in den neuen Bundesländern sind ausgezeichnet.
Er muß sehr lange nicht mehr dort gewesen sein. Sie sollten nach alldem, was uns von Herrn Waigel programmatisch vorgeführt worden ist, ausgezeichnet sein. Aber die Realität ist anders. Nicht nur aus konkreter Anschauung aus meinem Wahlkreis weiß ich, wo die Probleme liegen. Die sachkundigen Zuhörer in Genf haben das auch gewußt. Warum kommen denn die Investitionen so zögerlich? Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundeskanzler z. B. mir dazu verhelfen könnte, daß die für die Verwirklichung von tatsächlich vorhandenen Investitionswünschen in meinem Wahlkreis benötigten gewerblichen Grundstücke auch zur Verfügung stünden.
({5})
Sie sind nämlich bislang durch die geltenden eigentumsrechtlichen Regelungen blockiert.
Herr Weng, Sie haben vorhin gesagt, man solle auch das Positive sehen, man solle nicht Miesmacher spielen. Das ist richtig; aber es darf auch keine Gesundbeterei geben.
Ein wichtiger Indikator ist die Abwanderung. Es gelingt uns eben nicht, die Menschen in den neuen Ländern zu halten, sondern sie wandern in massiver Zahl nach Westdeutschland ab oder diejenigen, die im Umland von Berlin wohnen, pendeln in massiver Zahl nach West-Berlin ein. Wir sollten froh sein, daß jeder, der einen Arbeitsplatz finden will, ihn auch findet. Wir sollten auch über die Mobilität froh sein. Aber wir sollten bedenken, daß wir ein Ausbluten der neuen Länder, wenn die dynamischen und die handlungsfähigen Personen weggehen, nicht auf Dauer ertragen können.
({6})
Deswegen appelliere ich noch einmal dringend daran, gemeinsam zu versuchen, die dem Aufschwung in den neuen Bundesländern bisher noch entgegenstehenden Hemmnisse konzeptionell zu klären. Wir haben zwar das Hemmnisbeseitigungsgesetz verabschiedet. Aber ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, daß es nur Stückwerk bleiben wird. Wir müssen in der administrativen Umsetzung und möglicherweise in weiteren rechtlichen Regelungen noch konsequenter vorangehen.
Lassen Sie mich mit einigen Bemerkungen, die für den Vereinigungsprozeß wichtig sind, auf den Einzelplan des Finanzministeriums eingehen.
Erstens. In den neuen Ländern muß schnell eine wirksame Finanzverwaltung aufgebaut werden. Ich möchte hier die Gelegenheit nehmen, den dort bereits wirkenden Beamten aus westdeutschen Oberfinanzdirektionen, aus der Bundesverwaltung und des Zolls dafür zu danken, daß sie mit hohem Engagement, mit großer Begeisterung und voll von dieser Zukunftsaufgabe erfüllt ans Werk gehen. Aber die Ausstattung muß noch verstärkt werden. Wir sollten nicht vergessen, daß eine wirksame Steuerverwaltung die Grundlage für das Funktionieren der staatlichen Agenturen ist.
Zweitens. Mit dem Aufbau der Zollverwaltung in den ostdeutschen Ländern sind neue, große Aufgaben hinzugekommen. Wir haben nunmehr lange Grenzen zu zwei Nachbarstaaten, nämlich zu Polen und zur ČSFR, die von der Ostsee bis zum Fichtelgebirge EG-Außengrenze sind, an der die komplizierten Bestimmungen der EG-Zoll- und -Steuergesetzgebung anzuwenden sind.
Herr Waigel, ich möchte daher ausdrücklich an Sie appellieren, Ihre Aufmerksamkeit auf die unhaltbaren Zustände an den Grenzübergangsstellen zu richten, die nicht nur durch die zögernde Abfertigung auf polnischer Seite, sondern auch durch den mangelhaften baulichen Zustand verursacht sind. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Staatssekretär Carstens in der vorigen Woche den Übergang Zinnwald zu sehen, und ich kenne aus eigener Anschauung die meisten Grenzübergänge nach Polen. Dort ist dringend Abhilfe geboten.
In der Vorlage Ihres Haushaltsplans vom Januar war von 40 großen Bauprojekten nur ein einziges an den Grenzen der neuen Länder vorgesehen, während mehrere große neue Projekte an westdeutschen Grenzen im Haushaltsplan stehen. Gott sei Dank haben dann Ihre Beamten nach meinem Protest und Drängen im Berichterstattergespräch nachgebessert und eine Liste mit kleinen Projekten, die bereits 1991 begonnen werden können, vorgelegt.
Ich denke aber, daß dies nicht reicht. Ich möchte Sie deswegen, Herr Bundesfinanzminister, auffordern, mit dem Haushaltplanentwurf 1992 mindestens für die wichtigsten Grenzübergänge nach Polen und in die CSFR eine gründliche Planung und eine entsprechende finanzielle Dotierung vorzusehen, die es möglich macht, den Lkw-Stau dort abzubauen,
({7})
und die die Möglichkeiten für die sich verändernden Handelsströme eröffnet.
Dr. Nils Diederich ({8})
Drittens zur Bundesvermögensverwaltung. Herr Bundesfinanzminister, auch hier möchte ich an Sie appellieren. Sie haben eben davon gesprochen, daß der Bund weiterhin verbilligt Grundstücke zur Verfügung stellen will. Das ist richtig. Nur, wenn man sich die Objekte in Ostdeutschland anguckt, dann weiß man, daß sie aufbereitet werden müssen und daß es dort vieler administrativer Vorbereitungen bedarf.
Es ist unheimlich wichtig, daß die Vermögensverwaltung nicht zu einem Engpaß in der Frage der Bereitstellung von bebaubaren und wirtschaftlich verwertbaren Grundstücken wird. Ich denke, daß Sie, Herr Finanzminister, dafür sorgen müssen, daß die Bundesvermögensverwaltung in den neuen Ländern ausreichend ausgestattet wird und auch personell schnell anwächst. In Dresden etwa hat man uns gesagt: Es wird noch bis zum Ende des Jahres dauern, bis wir die Stellen überhaupt besetzen können. Das ist natürlich kein Zustand.
Wir müssen also alles daransetzen, daß die Umsetzung der Grundstücke, die Zurverfügungstellung am Markt schnell erfolgt. Sonst handeln Sie sich den Vorwurf ein, mit Ihrem Ministerium selber ein Investitionshemmnis darzustellen.
Dem nachhaltigen Drängen der Opposition im Haushaltsausschuß ist es zu verdanken, daß nun die verbilligte Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und der Verkauf von Grundstücken bis zu 75 % unter dem Verkehrswert an die Kommunen ermöglicht worden ist. Leider hat die Koalition unseren Antrag, aufgelassene Liegenschaften der Bundeswehr bzw. der alliierten Streitkräfte in strukturschwachen Regionen - also auch in Westdeutschland - für den sozialen Wohnungsbau usw. zur Verfügung zu stellen, erst einmal abgeschmettert. Aber ich habe mich sehr gefreut, daß Sie heute ankündigen, daß Sie uns bei dem, was wir noch vor 14 Tagen im Ausschuß nicht durchsetzen konnten, einen Schritt entgegenkommen. Ich denke, wenn wir nachhelfen, können wir die Prozentsätze für die Ermäßigung noch etwas weiter nach oben schieben.
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Wir haben in der Politik dieser Republik das gleiche Ziel. Ich vertrete hier einen Ost-Berliner Wahlkreis, und ich weiß um die dringenden Probleme der Menschen dort. Ich weiß aber auch, daß es um soziale und wirtschaftliche Probleme in der ganzen Republik geht.
In aller Bescheidenheit: Wir Sozialdemokraten haben Ihnen in der Vergangenheit die Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert. Auch wir sind nicht Doktor Allwissend, aber wir sind in der Lage, Konzepte anzubieten. Frau Matthäus-Maier hat dies hier getan. Das von uns vorgelegte Nationale Aufbauprogramm hat jedenfalls den Charakter einer langfristigen Konzeption und nicht des momentanen Nachbesserns.
Wir fordern Sie auf, mit uns zusammen zu versuchen, die Entwicklung noch zu verbessern; denn sie ist nicht nur verbesserungsfähig, sie ist auch unbedingt verbesserungsbedürftig.
Nach dem, was ich über den Zustand Ihres Haushaltsplanes gesagt habe, können wir den Einzelplan 08 hier nur ablehnen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile dem Abgeordneten Adolf Roth das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat in Bremen neue Fahnen aufgezogen.
({0})
Die Optik ist neu. Die Substanz - wie die Debatte gerade heute beweist - ist wie gehabt.
({1})
Die Platten sind etwas abgewetzt.
Herr Kollege Diederich, der freundliche Hinweis auf ein nationales Aufbauprogramm, das Ihre Hauptrednerin hier angeblich ausgebreitet haben soll, hat mich schon in merkwürdiges Erstaunen versetzt. Außer der Überschrift habe ich zu diesem Thema überhaupt nichts gehört.
({2})
Ich denke, es entspricht schon dem allgemeinen Gefühl der Menschen in der Bundesrepublik, daß Haushalten und Rechnen nie die Stärke der SPD gewesen ist
({3})
und daß die relative Beliebtheit, deren Sie sich nach verlorenen Bundestagswahlen jetzt wiederholt erfreuen, andere Quellen haben muß.
({4})
Sie haben jetzt zum vierten Mal in acht Jahren Ihren Hoffnungsträger ausgewechselt. Auch diesmal wurde angekündigt, jetzt beginne ein neues sozialdemokratisches Jahrhundert. Man darf sehr gespannt sein.
({5})
Jedenfalls haben Sie in dieser Debatte bis jetzt keine Antwort auf die Frage gegeben, was eine sozialdemokratische Bundesregierung eigentlich substantiell anders machen würde.
Ihr gescheiterter Kanzlerkandidat Lafontaine hat im letzten Jahr die zentrale deutsche Entscheidungsfrage mit den Worten „Umbau der Industriegesellschaft West" überschrieben. Völlig neben der Sache! Völlig neben der Sache! Deshalb hat ja auch Frau Fuchs davon sprechen müssen, daß die Menschen Ihnen in dieser entscheidenden Umbruchsituation in Deutschland nichts zugetraut haben.
Genausowenig tragfähig und prinzipiell falsch ist der Ansatz, den Herr Engholm dieser Tage gebracht hat, der letztlich nur darauf hinausläuft, dem Staat
Adolf Roth ({6})
größere Regieverpflichtungen zuzuordnen, weitere Steuererhöhungen als notwendig in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.
({7})
Ich sage: Das ist prinzipiell falsch, meine Damen und Herren, weil nach vierzig Jahren SED-Sozialismus jetzt nicht staatliche Lenkungsvarianten gefragt sind, sondern der Aufbau im Sinne einer wirklich marktwirtschaftlichen Erneuerung.
({8})
Wer Teilung wirklich überwinden will, muß zur Veränderung fähig sein, und darum geht es jetzt.
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1991, wie er in der durchberatenen Ausschußfassung vorliegt, ist eine Antwort auf die heutige Herausforderung. An ihm gibt es in der Sache wenig zu mäkeln. Er wird der Verantwortung des Bundes gerecht. Er entspricht den Empfehlungen des Finanzplanungsrats. Er bewegt sich auch innerhalb der haushaltspolitischen Eckwerte, die die Bundesregierung am 14. November 1990 öffentlich vorgestellt hat.
Trotz der sich verschärfenden Anpassungskrise und der außenwirtschaftlichen Strukturbrüche, insbesondere im osteuropäischen Wirtschaftsraum, auf die wir ja reagieren müssen, aus eigenem deutschen Interesse heraus reagieren müssen, trotz dieser Belastungen haben wir den Ausgabenzuwachs auf 3,6 % begrenzen können. Damit bleibt auch die Zunahme dieses Haushalts deutlich unter der Zunahme des gesamtdeutschen Bruttosozialprodukts. Ich denke, es ist schon wichtig, daß sich die Menschen in der Bundesrepublik diese Zahl der maßvollen Steigerung um 3,6 % einmal einprägen. Angesichts der täglich wechselnden Nachrichtenbilder und der teilweise - wie ich zugeben muß - schwindelerregenden Milliardenkonfigurationen kann man ja manchmal den Überblick verlieren.
Der Haushaltsausschuß hat das jedenfalls nicht getan, Herr Kollege Ullmann. Der Haushaltsausschuß hat von seinen parlamentarischen Gestaltungsmöglichkeiten angemessen und vernünftig Gebrauch gemacht. Wir haben bereits im März dieses Jahres das 12-Milliarden-DM-Programm „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" als Sonderkapitel in den diesjährigen Haushalt eingearbeitet.
Abgesehen davon hat es am ursprünglichen Regierungsentwurf kräftige Umschichtungen gegeben, auch Abstriche gegeben. Wir hatten unabweisbare Anforderungen, Mehranforderungen in einer Größenordnung von über 4 Milliarden DM zu bedienen, z. B. je eine halbe Milliarde DM im humanitären Bereich - Stichwort: Kurdenhilfe - und bei unseren internationalen Finanzierungsbeiträgen.
Aber wir haben auch im Ausgabenbereich konsequent den Rotstift dort angesetzt, wo es möglich war.
Wir haben Ausgabenkürzungen in Höhe von über 5,5 Milliarden DM vorgenommen.
({9})
Das ergibt unter dem Strich eine Einsparsumme von immerhin deutlich über 1 Milliarde DM. Man darf nach all den Unkenrufen aus den Reihen der Opposition doch wohl darauf hinweisen, daß dieser ohnehin schon sehr sorgfältig erarbeitete Regierungsentwurf, was die Nettokreditaufnahme angeht, noch einmal um 3 Milliarden DM auf 66,4 Milliarden DM abgesenkt worden ist.
({10})
In dieser Größenordnung der Kreditaufnahme, Kollege Wieczorek, liegen jetzt auch die Investitionen, die mit 15,4 % des Haushaltsvolumens immerhin eine Spitzenstellung einnehmen. Ich meine, dies deutet auch darauf hin, daß wir die Ausgabenpolitik an der richtigen Stelle verbessert haben.
Gemessen am gesamtdeutschen Bruttosozialprodukt, das für dieses Jahr immerhin - die Zahl ist noch wenig bekannt - auf 2 815 Milliarden DM geschätzt wird - das sind fast 3 Billionen DM - , ist die Kreditaufnahme in Höhe von 2,4 % - es ist leider nicht weniger, füge ich hinzu - doch sehr bemerkenswert. Das ist eine Rate, auf die die SPD in den Jahren, in denen sie regierte, sicher stolz gewesen wäre. Peter Gillies hat heute in der „Welt" kommentiert: Wenn eine sozialdemokratische Bundesregierung solche Leistungen erbracht hätte, hätte die SPD den damaligen Kanzler mindestens für den Nobelpreis, wenn nicht gleich zur Heiligsprechung angemeldet. - Ich glaube, das kann man unterstreichen.
({11})
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Wenn die Uhr gestoppt wird. - Bitte.
Ich will jetzt nicht über die Heiligsprechung der unterschiedlichen Kollegen reden, sondern ich will Sie nur fragen: Welche Quote der Nettokreditaufnahme ist eigentlich in Ihren Augen eine vertretbare und gesunde und unserer Volkswirtschaft zuträgliche Quote?
Lieber Herr Kollege Wieczorek, vertretbar und gut war z. B. die Kreditaufnahmequote des Jahres 1989.
({0})
Da hatten wir beim gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizit sozusagen einen Nullwert erreicht; wenn man
die Überschüsse der Sozialversicherungssysteme mit
Adolf Roth ({1})
einrechnet, war sogar ein geringfügiger Überschuß von 0,3 % zu verzeichnen.
({2})
Der Bund hatte damals eine Quote von 0,8 %. Ich sage: Das war vernünftig. Ohne die Ergebnisse einer siebenjährigen engagierten Konsolidierungspolitik hätten wir in der Stunde der Wiedervereinigung überhaupt nicht den sicheren Boden unter den Füßen gehabt, um die massive Aufbaufinanzierung, Anschubfinanzierung nach Osten hin in Gang zu setzen. Das ist die Situation.
({3})
- Wenn Ihnen bei Ihrer eigenen Finanzgeschichte, die Sie politisch zu verantworten haben, eine NullQuote noch nicht angemessen erscheint, ist das Ihre Sache. Ich bin gar nicht so kühn, zu sagen, wir sollten nur auf das Defizit des Bundeshaushalts achten. Entscheidend ist natürlich das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit unter Einschluß der alten und der neuen Bundesländer, unter Einschluß aller Gemeinden, des Fonds Deutsche Einheit, des Kreditabwicklungsfonds und auch eines Großteils der Treuhandkredite.
Das ist ja das Problem, dem wir als Haushaltspolitiker uns mit Blick auf die Zukunft zu stellen haben. Die gesamte Größenordnung von - sage ich einmal - rund 150 Milliarden DM erreicht ja die Schmerzzone.
({4})
- Gehen wir einmal von realistischen Zahlen aus! Ich will hier ja nicht Ihre Phantasiezahlen zugrunde legen. Eine realistische Zahl liegt bei 150 Milliarden DM. Das sind dann schon über 5 %. Ich meine, da bindet uns alle die gesetzliche Pflicht zur Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Deshalb müssen wir unsere Haushaltspolitik mehr und mehr zukunftsorientiert im Sinne einer Selbstdisziplinierung betreiben, und genau dies haben wir beim Haushalt 1991 gemacht.
Meine Damen und Herren, stabiles Wachstum - gestern hieß es, wir hätten ein schlaffes Wachstum; heute sind die Zeitungen voll davon, daß wir in der Bundesrepublik einen neuen europäischen Spitzenwert von 4,2 % Realwachstum erreicht haben - , aber auch die einheitsbedingte Sonderkonjunktur: Das waren die beiden wesentlichen Quellen - nicht etwa Steuertarife -, aus denen heraus wir die mittlerweile 150 Milliarden DM für die Finanzierung des Aufbaus speisen konnten. Wir haben die Kapitalmärkte nicht überfordert.
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
({0})
Die letzte Bemerkung, nämlich daß Sie die Kapitalmärkte nicht überfordert hätten, bringt mich eigentlich schon zu einer neuen Zwischenfrage. Ich würde dann gern fragen, wieso denn die Zinsen hochgegangen sind und der kleine Mann, der Sparer und der Häuslebauer, davon betroffen sind. - Meine Frage wird Ihnen nicht angerechnet, sondern nur Ihre Antwort, Herr Kollege.
Die Uhr läuft allerdings weiter.
Meine eigentliche Frage ist aber: Ich möchte Sie bitten, mit der gleichen Elle, mit der Sie meine erste Frage beantwortet haben, indem Sie der Nettokreditaufnahme die Entlastung der sozialen Sicherungssysteme zugerechnet haben, zu messen, wenn wir jetzt über die gesamte Nettokreditaufnahme des Staates reden.
Was ist bitte die Frage, Herr Kollege Wieczorek?
Ich möchte ihn fragen, wie hoch denn jetzt ehrlicherweise die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand ist, einschließlich der Schattenhaushalte. Man kann ja nicht innerhalb von fünf Minuten auf der einen Seite so und auf der anderen Seite so rechnen.
Das ist wohl Ihr Problem, wenn Sie meiner Rede bis jetzt inhaltlich nicht gefolgt sind. Ich hatte genau davon eben Zahlen vorgetragen und Ausführungen gemacht und möchte das jetzt nicht wiederholen.
({0})
- Nein, im Moment bin ich dran!
({1})
Sie hatten vorhin ausreichend Gelegenheit. Sie haben Ihre Chance nicht genutzt.
({2})
Heißt das, keine weiteren Zwischenfragen, Herr Kollege Roth?
Also gut, Sie als letzte. Bei Ihnen mache ich noch eine Ausnahme.
Herr Roth, wollen Sie bestreiten, daß Bund, Länder, Gemeinden, der Fonds Deutsche Einheit, die Treuhand, Bahn und Post, der Kreditabwicklungsfonds, das ERP-Sondervermögen, alles dies zusammen, in diesem Jahr um die 200 Milliarden DM Schulden machen, wollen Sie das ernsthaft bestreiten - seien Sie vorsichtig, Herr Kollege,
das kann man nachrechnen, über 200 Milliarden DM! -,
({0})
und daß das über 7 % des Bruttosozialprodukts ausmacht? Wollen Sie diese Zahl bestreiten?
({1})
Ich möchte Ihnen eines sagen. Natürlich bin ich bei Ihnen vorsichtig. Warum nicht?!
({0})
Nur sollten Sie, wenn ich hier ehrlicherweise auf das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit und nicht nur auf das Finanzierungsdefizit des Bundes selbst aufmerksam mache,
({1})
jetzt nicht alles hineinrechnen, was Ihnen dazu passend erscheint.
({2})
Die Sondervermögen des Bundes - da nenne ich jetzt einmal die Deutsche Bundespost, die wir gerade privatisiert haben,
({3})
die sich sozusagen als marktfähiges Unternehmen in der deutschen Wirtschaft betätigt -,
({4})
sollte man jetzt nicht auch noch in den Bundeshaushalt, in das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit hineinrechnen.
({5})
Ich bleibe bei der Größenordnung, die die Deutsche Bundesbank ihren Bewertungen zugrunde legt.
({6})
Hier meine ich schon, daß wir die Verpflichtung haben, mit Blick auf dieses gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit unsere Haushaltsplanungen für die nächsten Jahre sehr sorgfältig vorzunehmen.
Nun will ich Ihnen noch etwas sagen. Ich will jetzt nicht in extenso auf das Thema Subventionsabbau eingehen.
({7})
- Herr Kollege Wieczorek, Subventionsabbau ist ja
keine mutwillige Quälerei. Subventionsabbau ist, wie
in Reden hier an diesem Pult oft benannt, ein Stück
Haushaltsvorsorge, Schaffung von Gestaltungsspielräumen. Für uns ist es immer ein ordnungspolitisches Anliegen gewesen, ein Stück weit dem Grundsatz zur Geltung zu verhelfen: Besser niedrige Steuertarife mit wenig Ausnahmen als überhöhte Steuertarife mit zu vielen Schlupflöchern.
({8})
Das ist ordnungspolitisch unser Ansatz.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine herzliche Aufforderung an die Opposition richten. Wir wollen ja noch in diesem Monat Klarheit über das von uns gewollte und in der Koalition vereinbarte Subventionsabbauprogramm von 10 Milliarden DM schaffen. Sie sind herzlich aufgefordert, Ihren Beitrag dazu zu liefern. Nur öffentlich die Vorschläge zu zerpflücken und polemisch zu verzerren, das ist kein sachgerechter Beitrag zu einer vernünftigen politischen Arbeit. Sie mögen das für gute Opposition halten; eine vernünftige Politik ist es allemal nicht.
({9})
Meine Damen und Herren, ich möchte nur kurz mit Blick auf den Bundeshaushalt 1992, den wir in diesem Parlament bereits in fünf Wochen als Regierungsentwurf vorgelegt bekommen, darauf hinweisen dürfen, daß wir uns mit unserer Politik erhebliche Gestaltungsspielräume geschaffen haben. Da ist zum einen der Bundesanteil aus dem beabsichtigten Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und Finanzierungshilfen. Da sind zum anderen die 17 Milliarden DM aus dem Wegfall von internationalen Sonderkosten - Golfkrieg und ähnliche Aufwendungen -. Da sind ferner 10 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen aus dem befristeten Solidaritätszuschlag für 1992. Da geht es ferner - ich schätze die Größenordnung nur - um 4 bis 5 Milliarden DM aus dem weiteren schrittweisen Abbau der ehemals teilungsbedingten Kosten.
Bereits diese wenigen Positionen ergeben 40 Milliarden DM. Bei diesem Volumen muß es dem Bundesfinanzminister möglich sein, die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehene Rückführung der Nettokreditaufnahme im nächsten Jahr entsprechend zu bewerkstelligen.
Ich möchte für die Haushaltspolitiker der Koalition Bundesfinanzminister Dr. Waigel, der heute hier eine ganz ausgezeichnete Rede gehalten hat
({10})
und in der Sache Punkt für Punkt auf jeden einzelnen Einwand der Opposition sehr sachgerecht eingegangen ist, unsere volle Unterstützung auf diesem Wege versichern, auch im Blick auf eine weiterhin konsequente Begrenzung des Ausgabenzuwachses. Wir nehmen die Empfehlungen des Finanzplanungsrats auch in den kommenden Haushaltsjahren ernst.
Lassen Sie mich mit Blick auf die Risiken, die sich mittelfristig stellen, einen Punkt offen ansprechen, über den wir noch manche Diskussion zu führen haben werden. Ich meine den Kreditabwicklungsfonds, der, wie es im Errichtungsgesetz vom 23. September 1990 festgelegt wurde, Ende 1993 aufgelöst werden wird. Er wird dann, soweit möglich, auf die Treuhand1956
Adolf Roth ({11})
anstalt übertragen, ansonsten zu je 50 To auf den Bund und die neuen Bundesländer.
Jedem, der sich um diese Dinge im Detail gekümmert hat, ist einigermaßen klar, um was es hier geht. Es geht um 28 Milliarden DM übernommene Gesamtverschuldung des ehemaligen DDR-Staatshaushalts. Es geht um mindestens 35 Milliarden DM aus den Verbindlichkeiten des Ausgleichsfonds Währungsumstellung, über den Endgültiges allerdings erst dann gesagt werden kann, wenn die DM-Eröffnungsbilanzen der Geldinstitute und der Außenhandelsbetriebe vorliegen.
Schließlich geht es auch um die Abwicklungskosten aus dem Außenhandels- und Valutamonopol der ehemaligen DDR. Ich nenne hier die Stichworte Deutsche Außenhandelsbank ({12}) und Staatsbank Berlin. Hier geht es z. B. um die Werthaltigkeit von rund 30 Milliarden DM Forderungen in Clearing-Währung, darunter allein 24 Milliarden DM für Guthaben, die im Jahre 1990 aus dem Transferrubelgeschäft mit den Staaten des ehemaligen RGW aufgelaufen sind.
Meine Damen und Herren, ich will hier gar keine Hochrechnung machen - ich versage mir das - , wie Ende 1993 die Gesamtverschuldung dieses Kreditabwicklungsfonds aussehen wird. Die jetzige Zinslast des Bundes, mit 3,2 Milliarden DM eingestellt, wird sich dann vervielfachen.
Das gilt in gleicher Weise für den Komplex Treuhandanstalt mit seinen extrem defizitären Wirtschaftsplänen, und das gilt für einen sehr schwierigen Bereich, nämlich die Hermes-Exportbürgschaften, die Gewährleistungstitel im Zusammenhang mit unseren internationalen Garantieleistungen.
Das Haushaltsdefizit liegt allein im letztgenannten Bereich jetzt schon bei über 3 Milliarden DM. Dabei sind aktuelle Entwicklungen gar nicht eingerechnet. Ich nenne nur Algerien, wo schnell mehrere hundert Millionen Mark Entschädigung fällig werden können, wenn sich die Dinge dort zuspitzen.
Wir wissen alle um das sprunghaft gewachsene Obligo gegenüber der Sowjetunion. Wir wissen, welche strukturellen Veränderungen in Osteuropa dahinterstehen.
Ich denke, niemand in diesem Hause will und wird der Bundesregierung in den Rücken fallen, wenn es im Rahmen der internationalen Verhandlungen beim Weltwirtschaftsgipfel um entsprechende Vereinbarungen geht.
Aber ungebundene Kreditierungen ohne ausreichende staatliche Garantiezusagen der jeweils anderen Seite - etwa der sowjetischen Außenwirtschaftsbank - überfordern jedenfalls die Leistungsfähigkeit des Bundeshaushalts.
Herr Kollege Roth, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Deshalb meine ich, daß wir bei aller Verantwortung für die Industriearbeitsplätze in den neuen Bundesländern, die nach Osten hin orientiert sind, gerade hier der Bundesregierung eine vernünftige Entscheidungslinie abfordern müssen.
Wir stimmen dem Haushalt in seiner vorliegenden Fassung zu. Er ist die richtige Antwort auf die Herausforderungen, die sich mit der deutschen Einheit und mit den Veränderungen in Osteuropa ergeben haben.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzpolitik und die Haushaltspolitik dieser Bundesregierung, die offensichtlich so etwas wie ein Kabinett der Pumpgenies ist, für das laufende Jahr ist unangemessen, unsozial, insgesamt ungeeignet zur Lösung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben, insbesondere ungeeignet zur Lösung der Probleme des Anschlusses der früheren DDR. Sie ist unsozial und unangemessen, weil sie die vordringlichen Aufgaben, die Bekämpfung der Beschäftigungskatastrophe im Osten, die ökologische Sanierung in Ost und West, und die Sicherung des Friedens im Norden und im Süden sträflich vernachlässigt.
Von vielen Seiten wird die Bundesregierung bedrängt - ich nenne nur den CDU-Ministerpräsidenten Sachsens, Herrn Biedenkopf; ich nenne die Memo-Gruppe, Unternehmensberater wie Herrn Berger, den DGB oder das Sofortprogramm der PDS/ Linke Liste - ,
({0})
mit Ernsthaftigkeit und Zügigkeit Mittel in der notwendigen Größenordnung, insgesamt zwischen 150 und 200 Milliarden DM in jedem der kommenden Jahre, für den Aufbau im Osten zur Verfügung zu stellen.
({1})
Die Bundesregierung jedoch kleckert weiter plan-und konzeptionslos vor sich hin,
({2})
statt planmäßig und effizient Abhilfe zu schaffen. Sie, die Bundesregierung und die Koalitionsparteien, treten auf der Stelle, wundern sich, daß nichts Richtiges zustande kommt und lamentieren dann darüber. Ihr ständiges wiederholtes Selbstlob, Herr Weng, Herr Borchert, Herr Roth oder auch Herr Bundesminister Waigel, kann daran nichts ändern. Stereotyp versuchen Sie, Ihre Fehler anderen anzulasten. Daß die DDR unter der Führung der SED und der Blockparteien CDU und Deutsche Bauernpartei - inzwischen bei der CDU - , der LDPD und der NDPD, die inzwischen in der FDP aufgegangen sind, nur halb so produktiv war wie die Bundesrepublik Deutschland, kann man ihr, der DDR, kaum vorwerfen. Eine niedDr. Ulrich Briefs
rigere Produktivität kann nun einmal kein Verbrechen sein.
({3})
- So toll sind Sie in Ihrer Produktivität nun auch wieder nicht.
Wenn die neue, unvorstellbar hohe Massenarbeitslosigkeit auf dem Gebiet der früheren DDR, wie zu befürchten ist, auf bis zu 75 % der früheren Arbeitsplätze steigen wird, dann ist nach den Regeln der - in Anführungszeichen - „Erfolgsaufspaltung" ein Drittel dieser Arbeitslosen - im Klartext: mindestens 2 bis 2,2 Millionen Arbeitslose - im Osten der Plan- und Konzeptionslosigkeit gerade der Finanz- und Haushaltspolitik dieser Bundesregierung zuzurechnen. Die Bundesregierung hat das zweifelhafte Verdienst, in kurzer Zeit auch und gerade durch ihre verfehlte Finanz- und Haushaltspolitik die größte Beschäftigungskatastrophe - läßt man einmal die Dauerkatastrophe in der sogenannten Dritten Welt beiseite - in der gesamten Nachkriegszeit in der gesamten kapitalistischen Welt verursacht zu haben. Parallelen sind eigentlich nur in der Massenarbeitslosigkeit der Wirtschaftskrise der Jahre 1929 ff. zu finden.
Wir fordern Sie deshalb als erstes auf: Ändern Sie die Grundkonzeption Ihrer Wirtschaftspolitik, Ihrer Finanz- und Haushaltspolitik.
({4})
Gehen Sie voran; werden Sie aktiv; legen Sie ein entsprechend dotiertes Sofortprogramm, ein Notprogramm vor, das Ihre Fehler und Versäumnisse der letzten Jahre in einem zumindest mittelfristigen Prozeß zu beseitigen erlaubt.
Wir sagen es noch einmal: Legen Sie ein über fünf Jahre reichendes Programm mit einem Gesamtvolumen von 500 bis 600 Milliarden DM vor,
({5})
das beschäftigungsexpansive Maßnahmen in folgenden Bereichen vorsieht: im Ausbau der Telekommunikation, bei der Modernisierung des Eisenbahnnetzes, bei der Sanierung von Industriestandorten, Wasserreservoirs und Mülldeponien, beim Wiederaufbau des Sero-Systems - bauen Sie das Sero-System wieder auf! - , beim Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, bei der Alt- und Neubaumodernisierung, insbesondere mit Maßnahmen der Wärmedämmung und Wohnumfeldverbesserung, beim Aufbau leistungsfähiger Kommunalverwaltungen und kommunaler Sozialdienstleistungen, beim Ausbau der Hochschulen und der industrieorientierten Forschung, durch Unterstützung von Unternehmensgründungen insbesondere auch in genossenschaftlicher Organisation, bei der Unterstützung von Neugründungen landwirtschaftlicher und auch sonstiger Produktionsgenossenschaften.
({6})
Praktizieren Sie endlich eine branchenbezogene systematische Industriepolitik, die den Betrieben der
ehemaligen DDR neue Produkte und Verfahren sowie
Mittel für Markterschließung und Diversifizierung zur Verfügung stellt! Sichern Sie die Ausdehnung der Kurzarbeitsregelung, der Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen auch in Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften!
Wie Sie sehen, es gibt genug zu tun. Tun Sie es endlich!
({7})
Schaffen Sie mit einer expansiven Finanz- und Haushaltspolitik einen Rahmen, in den die private Wirtschaft oder auch genossenschaftlich oder belegschaftsgetragene Produktionsinitiativen oder ökologisch orientierte Alternativbetriebe von jungen verantwortungsbewußten Leuten hineinwachsen können! Legen Sie die Hände auf Mittel, die ansonsten an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten herumvagabundieren würden! Sichern Sie Mittel für den Aufbau im Osten, die ansonsten nur als direkte Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft in steigendem Maße in die reichen Industrieländer des Westens fließen! Legen Sie die Hände auf parasitäre Maklereinkommen und Spekulationsgewinne!
Herr Abgeordneter Briefs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Borchert?
Bitte schön, Herr Borchert.
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, warum Sie diese Ausführungen nicht einmal zumindest ansatzweise im Haushaltsausschuß vorgetragen haben?
({0})
Herr Bochert, Sie können sich darauf verlassen, daß diese und andere Initiativen von uns, der PDS/Linke Liste, in den künftigen Beratungen im Haushaltsausschuß vorgetragen werden. Darauf können Sie sich ganz fest verlassen.
({0})
Ich weiß aus den Beratungen im Haushaltsausschuß, daß Sie bei solchen konkreten Punkten, wenn es darum geht, eben nicht nur heiße Luft von sich zu geben, wie Sie das tun, in arge Argumentationsnot kommen.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Briefs, Sie haben etwas über den ersten Fünfjahrplan, den Sie vorschlagen, vorgetragen. Werden Sie im zweiten Fünfjahrplan auch wieder sozialistische Kollektive bilden und entsprechende Initiativen einführen?
Herr Kollege, ich glaube, diese Frage erledigt sich von selbst,
({0})
weil sie zeigt, wie platt und wenig greifend sogar ihre Parallelen sind. Sie haben noch nicht einmal ein bißchen Phantasie, um sich eine bessere Parallele einfallen zu lassen.
({1})
- Doch, die haben Sie. Das ist doch auf Ihrem Mist gewachsen.
Legen Sie - ich sage es noch einmal - die Hände auf parasitäre Maklereinkommen, auf Spekulationsgewinne, die ihr Entstehen dem Spiel mit der Not von Wohnungssuchenden oder der Not der Hungernden in der Dritten Welt verdanken! Auch hierbei sagen wir Ihnen konkret - hören Sie gut zu, auch das wird, so hoffe ich, Ihre Phantasie vielleicht ein bißchen anregen -, wo Sie wieviel Mittel für eine ökologisch wirklich nützliche und sozial verantwortbare Finanz- und Haushaltspolitik sichern können. Erheben Sie Ergänzungsaufgaben, Ergänzungsabgaben - ({2})
- Es ist eine Aufgabe, Kollege Walther, da haben Sie recht. Es ist eine wichtige Aufgabe. Auch Sie sollten Sie gelegentlich ins Visier nehmen. - Erheben Sie Ergänzungsabgaben auf höhere Einkommen und Vermögen! Praktizieren Sie Arbeitsmarktabgaben für Beamte, Freiberufler und Selbständige! Verbessern Sie den Steuereinzug, z. B. durch - endlich - Einführung des Quelleneinzugsverfahrens bei Zinseinkünften! Bekämpfen Sie die Wirtschaftskriminalität! Praktizieren Sie häufigere Betriebsprüfungen! Sichern Sie, daß die reiche Wirtschaft im Westen, wie in den 50er Jahren bereits geschehen, eine Investitionshilfeabgabe aufbringt, diesmal für den Osten! Gehen Sie zu einem Mittel wie der Zwangsanleihe für Handel, Banken, Versicherungen und auch gutverdienende Privathaushalte über! Kürzen Sie den Rüstungshaushalt! Wir fordern eine Kürzung von 10 Milliarden DM, davon 5 Milliarden DM für ein umfassendes Rüstungskonversionsprogramm! Praktizieren Sie sozial vertretbare Subventionsstreichungen! Da wird Ihnen jeder in diesem Hause zustimmen.
Gehen Sie ruhig zu weiterer Nettokreditaufnahme über, wenn es für diese Zwecke dient. Aber was Sie machen, ist doch, daß Sie nichts bewirken und gleichzeitig die Verschuldung des Staates in einem Maße hochgedrückt haben, wie wir es bisher wirklich nicht gewohnt waren. Über 200 Milliarden DM insgesamt Nettoneuverschuldung aller Gebietskörperschaften, der Schattenhaushalte usw., das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das kann es doch nun wirklich nicht sein. Und im Osten steigt die Arbeitslosigkeit. So geht es wirklich nicht weiter.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie scheinen ein Müßiggänger zu sein, ebenso wie ich.
({0})
Sie haben nämlich gestern abend um 22.30 Uhr den Fernsehbericht über Biedenkopf angeschaut. Sie haben das in Ihrer Rede leider nicht weiter ausgemalt, sonst hätten Sie berichten müssen, daß der Herr Kollege Biedenkopf eigentlich in sehr harten Worten mit Ihrer Finanzpolitik ins Gericht gegangen ist, wenn ich ihn richtig verstanden habe,
({1})
- wir können das Manuskript gerne anfordern - , als er an einer Stelle in Richtung Bundesregierung davon sprach, daß es sehr wohl illusionär sei, in Bonn zu meinen, daß die wesentlichen Probleme der Finanzpolitik 1994 ausgestanden seien. Ich glaube, daß inzwischen alle, die etwas von der Sache verstehen, diese Einschätzung von Herrn Biedenkopf teilen.
Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Waigel?
Bitte schön.
Ist es, Herr Kollege, nach dem Besichtigen des Fernsehgerätes gestern abend Ihrer Aufmerksamkeit beim Verfolgen meiner Rede heute entgangen, daß ich genau darauf verwiesen habe, daß wir, sobald feststeht, wie sich die Finanzentwicklung 1992 in Bund und Ländern darstellt, hier noch weiter etwas tun werden, daß beim Strukturhilfegesetz umgeschichtet wird und daß darüber hinaus an weitere Erleichterungen für Bund und Länder gedacht ist? Ist also Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß das ausdrücklich Gegenstand meiner Rede war und insofern die Aussage von Herrn Biedenkopf in dem Streifen von gestern positiv durch eine überholende Kausalität der Geschehnisse überholt wurde?
({0})
Herr Kollege Waigel, man muß Ihnen zugestehen, daß Sie die Nacht genutzt haben, wenn Sie die Erkenntnisse, die Sie gestern abend bei der Berichterstattung über Herrn Biedenkopf gewonnen haben, heute schon teilweise umgesetzt haben. Aber Herr Biedenkopf ging mit seinen Formulierungen wirklich weit darüber hinaus. - Ich glaube, daß diese Eingangsbemerkung von mir nicht dazu führen sollte, daß wir den Disput hier endlos fortsetzen.
Aber Sie haben noch eine Frage, bitte.
Herr Kollege Waigel zu einer weiteren Frage.
Ich wollte Sie noch fragen: Es kann doch sicher nicht ein Vorwurf mir
gegenüber sein, daß ich die Nacht positiv genutzt habe?
({0})
Ich finde, daß auch ich - so wie ich festgestellt habe, daß auch ich mich als Müßiggänger sehe, da ich schon um 22.30 Uhr fernsehe - wie Sie versuche, die Nacht produktiv zu nutzen.
({0})
Die Menschen in unserem Lande, Herr Bundesfinanzminister, reagieren auf die Aufschwungtäuschung und die Steuerlüge. Die Diskussionen in Ihren Reihen, in den Reihen von CDU/CSU, zeigen das sehr deutlich. Herr Bundeskanzler Kohl hat - trotz Ihrer Einschränkung jetzt und Ihres Themenwechsels - immer nur von blühenden Landschaften in drei, vier Jahren gesprochen, nicht von längeren Zeiträumen und auch nicht von den tiefen Tälern dazwischen. Nun ist es, meine Damen und Herren, die angeblich erfolgreiche Bonner Politik, auf die Herr Kohl Niederlagen zurückführt.
({1})
Anstatt bei den Bürgern durch Offenheit und soziale Ausgestaltung der Steuerpolitik um Glaubwürdigkeit zu werben und Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, manövriert sich die Regierung immer weiter in eine steuerpolitische Sackgasse.
({2})
Da kann man eben CDU-Leute wie Herrn Wilhelm aus Rheinland-Pfalz zitieren, der davon sprach, daß wir nach Flugbenzindebatte, Wehrdienstnovelle und Steuererhöhungsdebatte vor einer Fortsetzung der Legende der Lüge stehen, vor der er warnt. Das müssen nicht nur Sozialdemokraten sagen, sondern das stellen Leute Ihrer Couleur fest.
Die Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit der Steuerpolitik dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition war erst am 14. Mai dieses Jahres bei Verabschiedung des Steuererhöhungspakets Gegenstand parlamentarischer Debatte. Bereits wenige Wochen danach sind neue steuerpolitische Entwicklungen erkennbar, die Anlaß zu höchster Besorgnis geben.
Ich möchte nur drei besonders wichtige Punkte herausgreifen, und zwar erstens die weiteren Steuererhöhungspläne der Bundesregierung, mit denen sich die Koalition hinter der EG verstecken will; zweitens den sich abzeichnenden Etikettenschwindel beim Abbau steuerlicher Subventionen; drittens den weiteren Marsch in den Lohnsteuerstaat, der durch die jüngsten Steuerschätzungen offensichtlich geworden ist.
Nach dem Willen der Koalition soll die deutsche Mehrwertsteuer ab 1993 erhöht werden. Dabei wird immer klarer, daß sich die Koalition mit ihren Steuererhöhungsplänen hinter der EG verstecken will. Mit ihrem Vorhaben hat die Bundesregierung die sich jetzt auf EG-Ebene abzeichnende Entwicklung verstärkt; sie hat diese Entwicklung sozusagen provoziert. Herr Waigel, Bezug nehmend auf die Passage heute morgen in Ihrer Rede, daß Sie sich jetzt bedauernd dem anschließen, was in der EG passiert, sage
ich: Sie haben in informellen Gesprächen die Tür geöffnet. In Brüssel wurde schließlich gelesen, daß Sie selbst die Mehrwertsteuer ab 1993 erhöhen wollen.
({3})
- Herr Kollege, die letzte Mehrwertsteuererhöhung war 1983 unter Ihrer Verantwortung.
({4})
Mit dieser Mehrwertsteuererhöhung hat sich die Bundesregierung selbst ein Alibi geschaffen, mit dem sie die Steuererhöhungen für die breiten Schichten unseres Volkes später rechtfertigen kann.
Zu Recht hat der Präsident des Deutschen Industrie-und Handelstages, Herr Stihl, heftige Kritik an der Bundesregierung geäußert und für Ehrlichkeit plädiert. Wenn die Bundesregierung für den Aufbau in den neuen Bundesländern weitere finanzielle Mittel benötige, so Stihl, solle sie dies klipp und klar sagen und nicht um die Sache herumreden.
({5})
Auf die unsozialen Auswirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung hat der DGB gestern in einer Anhörung des Finanzausschusses noch einmal eindringlich hingewiesen. Der DGB verwies auf höchst unsoziale Konsequenzen. Die Ergänzungsabgabe wird als einziges progressives Element aus den Regierungsbeschlüssen zur Finanzierung der deutschen Einheit ab Mitte 1992 gestrichen. Gleichzeitig wird eine regressiv wirkende Mehrwertsteuererhöhung beschlossen. Zusammen mit der Mehrwertsteuererhöhung wird für wenige Spitzenverdiener die Vermögensteuer abgesenkt. Weitergehende umfassende Steuersenkungen für den Unternehmensbereich sollen folgen. Gleichzeitig erhalten reiche Eltern durch die Erhöhung des Kinderfreibetrages um 1 000 DM einen Steuervorteil von 530 DM, der mindestens doppelt so hoch ist wie der Steuervorteil von Durchschnittsverdienern. Dieser verteilungspolitischen Kritik durch den DGB ist nichts hinzuzufügen.
Die Mehrwertsteuererhöhung ist unseres Erachtens auch wirtschaftspolitisch schädlich, weil sie die Inflationsrate weiter nach oben treibt und weitere Zinserhöhungen provoziert. Ein weiterer Anstieg des Zinsniveaus würde Investitionen noch zusätzlich verteuern und den Aufbau in den neuen Ländern weiter erschweren. Abgesehen davon würde die mittelständische Wirtschaft Schwierigkeiten haben, diese Mehrwertsteuererhöhung preislich umzusetzen.
All diese negativen Konsequenzen möchte die SPD vermeiden. Deswegen will sie den zusätzlichen Finanzbedarf nicht über eine Mehrwertsteuererhöhung decken, sondern über eine auf vier Jahre befristete Ergänzungsabgabe. Das ist die klare Alternative zur Mehrwertsteuererhöhung.
({6})
Gestatten sie mir eine kurze Anmerkung zum Subventionsabbau. Auch hier arbeitet die Bundesregierung mit dem bereits bekannten Instrumentarium der Unehrlichkeit. Es droht die Gefahr, daß zur Steuerlüge der Subventionsschwindel hinzukommt. Bei den bisher veröffentlichten Plänen der Koalitionsarbeitsgruppe zum Subventionsabbau handelt es sich nämlich zum weitaus überwiegenden Teil nicht um einen Abbau von Subventionen. Angeboten wird vor allem die Einschränkung von Gestaltungsmöglichkeiten, durch die es zu ungerechtfertigten Steuervorteilen kommt. Das Schließen von Steuerschlupflöchern ist jedoch Daueraufgabe einer funktionierenden Steuerverwaltung zur Durchsetzung des gesetzgeberischen Willens und zur Sicherung des Steueranspruchs. Dadurch aber wird die im Subventionsbericht dargestellte Liste der steuerlichen Subventionen nicht kürzer. Vielmehr muß man dem Bundesfinanzminister vorwerfen, daß er die bereits seit einiger Zeit bekannten Steuerumgehungsmöglichkeiten nicht schon längst beseitigt hat.
({7})
Ich glaube also, daß Herr Möllemann, wenn er am 10. Juli eine ehrliche Liste vorlegen will, diese Vorschläge der Koalitionsarbeitsgruppe sehr genau prüfen muß und daß er sein Ziel noch lange nicht erreicht hat. Steuerliche Subventionen können Sie jetzt schon im Vermittlungsverfahren streichen, wenn Sie unseren Vorstellungen zustimmen, z. B. beim Dienstmädchen-Privileg und beim Schulgeld für Privatschulen.
Eine ähnliche bedauerliche Entwicklung haben wir bei den Lohnsteuereinnahmen. Sie werden immer mehr zur Haupteinnahmequelle des Staates. Die Lohnsteuereinnahmen steigen in den nächsten Jahren mehr als doppelt so schnell wie die anderen Steuern.
({8})
Lag der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen im Jahre 1990 noch bei 31,9 %, so wird er sich im Jahre 1995 auf 37,7 % belaufen. Die Belastung durch die Lohnsteuer steigt von 15,7 % im Jahre 1991 auf 18,7 % im Jahre 1995. Das ist eine Rekordmarke und zeigt, daß Sie die Arbeitnehmer einseitig belasten und nicht daran denken, diese Situation, z. B. durch einen höheren Grundfreibetrag, zu verändern.
({9})
Deswegen hat wohl auch Herr Scharrenbroich, der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe, mit bemerkenswerter Offenheit erklärt, daß die CDU ihr Tief nur überwinden werde, wenn sie zur Verbesserung ihrer Glaubwürdigkeit auch mehr Wert auf Stetigkeit in der Steuerpolitik lege.
({10})
Die Steuerpolitik müsse sozial akzeptabler werden. Man kann dieses Bekenntnis von Scharrenbroich nur begrüßen. Aber wo bleiben die Konsequenzen? Wo sind die 100 Abgeordneten der CDU/CSU, die angeblich diese Politik ändern wollen? Wo sind diese 100 Abgeordneten?
({11})
Herr Scharrenbroich hat gesagt, daß für die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU alle steuerpolitischen Beschlüsse der Koalitionsvereinbarungen zur Disposition stehen. Ich frage die Arbeitnehmervertreter der CDU/CSU, die hier sitzen - Herr Scharrenbroich kommt gerade - : Wer löst das denn ein? Wann können wir mit Ihnen zusammen, Herr Scharrenbroich, die steuerpolitische Wende im Bundestag einleiten? - Auf die kommt es nämlich an.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon reichlich überschritten.
Gestatten Sie mir einen letzten Satz, Herr Präsident: Die Zeiten, in denen in der Steuerpolitik nach Gutsherrenart Umverteilung von unten nach oben betrieben werden konnte, sind vorbei, auch dank der Wahlerfolge der Sozialdemokraten in den Ländern. Ich bin ganz sicher, daß sich das fortsetzen wird. Wir brauchen die Wende in Bonn.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gero Pfennig.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß hat hier einen Wunsch geäußert. Wünsche werden sich irgendwann erfüllen. Ab dem Jahr 2000 würde ich mal wieder nachfragen.
({0})
Ich wollte zunächst einmal auf das eingehen, was sich der Kollege Briefs heute morgen - vor wenigen Minuten - geleistet hat. Es lohnt vielleicht nicht, aber mir fallen dazu zwei Dinge ein. Wissen Sie, Herr Kollege Briefs, wenn ich Ihnen im Stil Ihres Ex-Parteigeneralsekretärs Honecker antworten müßte, dann würde ich sagen: Mit Empörung und Abscheu weisen alle Werktätigen in der Deutschen Demokratischen Republik Ihre verleumderischen Vorschläge hiermit zurück.
({1})
Weiter würde ich Ihnen gerne antworten: Sorgen Sie doch endlich dafür, daß die SED/PDS die ersten 2 Milliarden DM des Parteivermögens zur Beseitigung der von ihr verursachten ökologischen Schäden herausrückt. Das wäre etwas Gutes.
({2})
Meine Kolleginnen und Kollegen, heute morgen hat Frau Kollegin Matthäus-Maier von der SPD darzulegen versucht, daß sie jetzt einen Plan entwickelt hätte, mit dem die Probleme des Zusammenwachsens Deutschlands schnell und zügig gelöst werden könnten und mit dem keine Zeit- und Geldverluste mehr
einträten. Ich kann aus meinen Erfahrungen, Frau Kollegin, nur sagen: Wenn Sie selbst und andere im Jahre 1990 nicht versucht hätten, den Termin der deutschen Einheit immer wieder hinauszuschieben, dann hätten wir weit weniger Reibungs- und auch Geldverluste gehabt. Übrigens hätte es mit Sicherheit weniger Probleme gegeben, wenn sich alle westlichen Bundesländer rechtzeitig darauf vorbereitet hätten, daß in der DDR keine Verwaltung und keine Gerichtsbarkeit existierte, sondern nur etwas, was sich so nannte.
Ich will damit sagen: Für mich paßt es nicht zusammen, wenn die Opposition der Bundesregierung und dem Bund einerseits Vorhaltungen macht, nicht genug für den Aufbau in den neuen Ländern zu tun und getan zu haben, und andererseits den Bund wegen der Höhe der Bundesausgaben und der dafür erforderlichen Neuverschuldung kritisiert. Es nährt in mir den Verdacht, daß einige die wirklichen Probleme des wiedervereinigten Deutschlands im sich vereinigenden Europa bis heute nicht erkannt haben.
Ich möchte Ihnen das an drei Beispielen deutlich machen.
Hier wurde heute morgen behauptet, wenn der Bund endlich zum Grundsatz „Entschädigung vor Rückgabe" überginge, dann würde alles besser funktionieren. Ich kann darüber auf Grund meiner Praxis nur lachen. Nicht die Frage „Rückgabe oder Entschädigung" oder „Entschädigung vor Rückgabe" ist das wirkliche Problem, sondern das Problem, das gelöst werden muß, lautet: Was ist der Gegenstand, der zurückgegeben und für den entschädigt werden soll? Wer ist derjenige, der etwas zurückgeben muß, und wer derjenige, der etwas zurückbekommen kann oder dafür entschädigt werden soll?
Ich kann es einfacher ausdrücken: Wenn es keine Rechtspfleger, keine Grundbuchämter und häufig nicht einmal Grundbücher gibt - wie bei sehr vielen Grundstücken, auf denen frühere Kombinatsbetriebe sitzen -, dann kann ich die Probleme nur dadurch lösen, daß ich eine funktionierende Verwaltung aufbaue. Das ist nach dem Grundgesetz Aufgabe der Bundesländer und hat mit finanziellen Ausgaben des Bundes sehr wenig zu tun.
({3})
Ich wiederhole: Die westlichen Bundesländer müssen endlich mehr als bisher Hilfe leisten und dafür sorgen, daß schneller als bisher eine funktionierende Verwaltung in den fünf neuen Bundesländern aufgebaut wird.
({4})
Zweiter Teil der Problematik: Es nützt wirklich nur sehr wenig, wenn wir als Bund viel Geld für verschiedene Aufbaumaßnahmen zur Verfügung stellen, dieses Geld aber nicht abfließt, weil z. B., wie ich seit gestern weiß, in Brandenburg - unter nordrhein-westfälischer Anleitung, aber möglicherweise auch in anderen Ländern so - Zuschüsse zur Wohnungsmodernisierung nur dann erhältlich sind, wenn der Antragsteller ein Formular ausfüllt, das ungefähr 25 Seiten umfaßt - und das für 5 000 DM Modernisierungszuschuß! Da wird beim Aufbau der neuen Bundesländer Verwaltung an der falschen Stelle aufgebläht, statt an der richtigen Stelle anzusetzen. Das sind die Probleme.
({5})
Ich will ein Weiteres sagen. Es nützt überhaupt nichts, sich über Pläne und Planspiele zu unterhalten. Vielmehr kommt es darauf an, daß die Signale, die der Bund mit seinem Haushalt setzt, endlich zum Erfolg führen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß die Landes- und Kommunalverwaltung funktioniert.
Ich möchte Ihren Blick auf folgendes lenken: Deutschland ist keine Insel; wir sind ein Teil der Europäischen Gemeinschaft.
({6})
Schon in der alten Bundesrepublik haben wir uns an dieser Stelle darüber lustig gemacht - übrigens oft zu Unrecht - , daß die Rechtsvorschriften, Verwaltungsstrukturen und Antragsverfahren der EG so kompliziert sind. In den neuen Bundesländern sind das Verständnis für das Rechts-, Verwaltungs- und Finanzsystem der Gemeinschaft und die Erfahrung damit sehr gering. Auch hier muß schnellstens hinzugelernt werden. Denn es fließen nicht nur über den Fonds „Deutsche Einheit" 37 Milliarden DM - aus dem Bundeshaushalt insgesamt 100 Milliarden DM - in das neue Bundesgebiet, sondern die Europäische Gemeinschaft bringt mit ihren drei Strukturfonds für Regionales, Soziales und Landwirtschaft in den nächsten drei Jahren zusätzlich über 6 Milliarden DM für das neue Bundesgebiet auf.
Diese Möglichkeiten wollen erst einmal erkannt werden, und diese Möglichkeiten müssen auch genutzt werden. Dazu muß man die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft kennen. Ihre Anwendung ist besonders kompliziert, weil es mittlerweile zu viele Ausnahmeregelungen gibt.
Ich bin der Gemeinschaft sehr dankbar, daß sie uns nicht nur politisch, sondern auch anderweitig bei der Wiedererlangung der Einheit unterstützt hat und finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Allerdings mache ich darauf aufmerksam, daß der Haushalt der Gemeinschaft in diesem Jahr erstmals deutlich die 100-Milliarden-DM-Grenze überspringt und daß die Europäische Gemeinschaft damit demnächst wieder an die Obergrenze ihrer finanziellen Ziele gerät.
In den Erläuterungen zu Kapitel 60 01 des Bundeshaushalts ist dankenswerterweise eine Übersicht enthalten, aus der sich ergibt, daß die Gemeinschaft bereits im Jahre 1992 die Obergrenze erreicht haben könnte.
Wir sollten uns alle rechtzeitig Gedanken darüber machen, ob hier neue Belastungen auf Deutschland zukommen und wie wir diesen gegenüberstehen würden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es mit einem harten Nein getan wäre, wenn wir, Herr Finanzminister, auf Wünsche der Gemeinschaft reagieren müssen. Schließlich haben wir im Zusammenhang mit der Einheit in den letzten Jahren Hilfen bekommen.
In diesem Zusammenhang ist im übrigen auch die Harmonisierung der Mehrwertsteuer zu sehen. Herr Kollege Poß und auch Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich kann das, was der Finanzminister heute morgen gesagt hat, bestätigen. Ihre Behauptung, daß die Gemeinschaft lediglich deswegen zu einem höheren Mehrwertsteuermindestsatz kommt, weil es angeblich derzeit Steuererhöhungswünsche der Bundesregierung gibt, entspricht nicht den Tatsachen. Ich weiß, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie ununterbrochen von Steuererhöhungen reden. In diesem Fall hätte ich doch empfohlen, durch einfaches Nachlesen von Meldungen festzustellen, wie die Verhältnisse in Europa tatsächlich sind. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sprechen sich für einen Mehrwertsteuermindestsatz von 16 % aus.
({7})
Nur Spanien und Deutschland treten für 14 % ein. - Lesen Sie doch die gestrige Meldung im vwd-Europa!
({8})
Ich kann sie Ihnen gerne vorlesen. Liebe Kollegin Matthäus-Maier, wenn Sie hier schon Behauptungen aufstellen, dann sollten Sie sich vorher wenigstens mit der Wahrheit vertraut machen.
Dies gilt übrigens auch für Ihre Kassandrarufe für den Fall eines Umzuges des Bundestages von Bonn nach Berlin.
({9})
Ich finde, gegenüber der Europäischen Gemeinschaft verhandelt die Bundesregierung in Sachen Mehrwertsteuerharmonisierung derzeit ausgesprochen gut. Sie hat die Bundesländer hinter sich. Zur Bedingung hat sie ein einheitliches System gemacht, in dem eine Übergangszeit genau festgelegt werden wird, nach der zum Ursprungsland-Prinzip übergegangen werden soll. Diese Verhandlungen sind deswegen wichtig, weil sie natürlich auf den Haushalt der Gemeinschaft, aber auch auf den Haushalt der Bundesrepublik Auswirkungen haben werden und weil wir die Europäische Gemeinschaft noch mit Ausnahmen zum Mehrwertsteuersystem werden in Anspruch nehmen müssen.
Wenn wir wirklich mit unserer Absicht Ernst machen wollen, Polen, die Tschechoslowakei und auch Ungarn schneller an das sich einigende Europa heranzuführen, dann müssen wir darüber nachdenken, wie Produktion und Handel in den Grenzgebieten belebt werden können. Eine Möglichkeit besteht darin, daß über die Kooperationsabkommen der Gemeinschaft hinaus ein Zoll- und Steuerbefreiungssystem gefunden wird, so wie dies beispielsweise zwischen den USA und Mexiko existiert und praktiziert wird. Dies wird aber nur möglich sein, wenn es Ausnahmen im Steuer- und Zollsystem der EG gibt.
Sowohl allgemeinpolitisch als auch aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten wie aus haushaltspolitischen Gründen liegt es vorrangig in deutschem Interesse, daß diese Zusammenarbeit gerade in den Grenzgebieten in Gang kommt. Weder Deutschland noch
die EG werden in der Lage sein, ein derart massives Aufbauprogramm, wie wir es derzeit für die neuen Bundesländer fahren, aus staatlichen Mitteln auch für unsere Nachbarstaaten zu finanzieren. Die Summe der beispielsweise jetzt schon im Bundeshaushalt vorgesehenen Gelder für den Stabilisierungsfonds der westlichen Industrienationen zugunsten Polens läßt sich nicht unbegrenzt erhöhen. Deshalb plädiere ich nachdrücklich dafür, daß wir uns auch angesichts der schwierigen Haushaltslage des Bundes schnellstens Gedanken darüber machen, wie wir den wirtschaftlichen Aufschwung bei unseren Nachbarn Polen, Tschechoslowakei und auch Ungarn fördern können. Diese Aufgabe sollten wir beim Blick auf die Probleme der deutschen Einheit nicht vergessen. Dies liegt in unserem Interesse und im Interesse der Europäischen Gemeinschaft.
({10})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Scharrenbroich beantragt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte zu dem Stellung nehmen, was der Kollege Poß vorhin gesagt hat.
({0})
Es ist relativ leicht verständlich, daß die steuerpolitischen Beschlüsse der Koalitionsvereinbarung in der gefaßten Form nicht mehr in der Gänze verbindlich sind, und zwar deswegen, weil wir zu jener Zeit, als die Koalitionsvereinbarung abgeschlossen worden ist, noch nicht daran gedacht haben, die Steuern wegen der zusätzlichen Belastungen erhöhen zu müssen.
({1})
Nachdem wir die Koalitionsvereinbarung bezüglich der Steuererhöhungen verändert haben, gilt die Koalitionsvereinbarung nach Auffassung der Arbeitnehmergruppe meiner Partei auch nicht mehr in dem Teil, der sich mit der Senkung oder der Abschaffung der Vermögensteuer befaßt. Das wollte ich noch einmal ganz klar sagen, damit keiner in der Koalition sagt: Aber das steht schwarz auf weiß in der Koalitionsvereinbarung.
Wir brechen die Koalitionsvereinbarung keineswegs, wenn wir in der Frage der Vermögensteuer eine andere Position einnehmen. Das ist eine Position, die auch schon von einigen Landesverbänden der FDP eingenommen wird. Ich erinnere nur an die Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und der FDP in Rheinland-Pfalz.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie mögen daraus auch erkennen, daß der Vorwurf der Steuerlüge auch deswegen unhaltbar ist,
({2})
weil wir zu jener Zeit eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen haben, die noch überhaupt keine Steuererhöhung vorsah.
({3})
- Nein, meine Damen und Herren, ich muß noch auf einen anderen Punkt aufmerksam machen, wenn es mir die Zeit gestattet.
Herr Kollege Scharrenbroich, Sie haben noch sieben Sekunden.
Sieben Sekunden? - Ich möchte nur sagen, daß man bei dem ganzen Gerede der SPD von der Steuerlüge doch eigentlich davon ausgehen sollte, daß man nur dann lügt, wenn man bewußt anders handelt.
({0})
Unterstellen Sie uns das nicht! Was Sie dem deutschen Parlamentarismus mit Ihrer Hetzkampagne da antun, werden Sie später noch sehr bedauern.
({1})
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Poß.
Herr Kollege Scharrenbroich, Sie wie alle Politiker der Koalition sollten zur Kenntnis nehmen, daß sich unser Vorwurf der Steuerlüge nicht auf die Koalitionsvereinbarung vom Januar bezieht,
({0})
- das haben Sie soeben gerade ausgeführt - , sondern auf die Tatsache, daß Sie auf den absehbaren finanziellen Mehrbedarf nicht in der Weise eingegangen sind, daß Sie unseren Feststellungen und Forderungen, finanzpolitisch sozusagen die Hose runterzulassen, nachgekommen wären und damit eingestanden hätten, daß es zu Steuermehreinnahmen kommen müsse - wie es die SPD und ihr Spitzenkandidat im Wahlkampf gesagt haben. Darauf bezog sich der Vorwurf der Steuerlüge.
({1})
Wenn Sie das Image der CDU jetzt verbessern wollen, indem Sie fordern, daß die CDU redlicher auftreten soll, dann sollten Sie das im Bundestag bitte schön praktizieren.
({2})
Ich freue mich schon darauf, mit den 100 Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe demnächst in diesem Hause für eine sozialere Steuerpolitik stimmen zu dürfen.
({3})
Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen, es ist interfraktionell vereinbart, die Abstimmung über die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 gemeinsam mit der Abstimmung über die Einzelpläne 06, 36 und 33 nach der Debatte über die drei zuletzt genannten durchzuführen.
Wir kommen nun - wie heute früh angekündigt -zu einer Geschäftsordnungsdebatte über den Antrag der Fraktion der SPD, die Tagesordnung zu ergänzen um die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD auf Einsetzung eines Ausschusses für Fragen der Europäischen Gemeinschaft - Drucksache 12/448 -. Die Debatte soll am morgigen Donnerstag stattfinden.
Wird zu diesem Aufsetzungsantrag das Wort gewünscht? - Ja. Frau Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Abstimmung über die Geschäftsordnung entscheiden Sie auch über die Frage, ob es im Deutschen Bundestag einen Europaausschuß geben wird, den wir bereits in der vorigen Wahlperiode beantragt und bei der Konstituierung dieses Bundestags erneut gefordert haben. Dieser Ausschuß und schon die Aufsetzung des seine Einsetzung fordernden Antrags auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages sind von den Regierungsparteien bislang in einem Tauziehen ohnegleichen verweigert worden. Wir appellieren an Sie, heute mit uns gemeinsam dafür zu stimmen, daß der Eurpoaausschuß morgen in diesem Deutschen Bundestag eingesetzt wird, damit er sich konstituieren und seine Arbeit noch vor der Sommerpause beginnen kann.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit einem halben Jahr laufen die beiden Regierungskonferenzen zur politischen Union sowie zur Wirtschafts- und Währungsunion. Wichtige Zwischenergebnisse liegen vor. Ein Ausschuß, der erst im Dezember dieses Jahres eingesetzt werden soll, kann nichts mehr beeinflussen. Er kann nur noch mit dem Kopf nicken oder nein sagen. Der Deutsche Bundestag sollte sich zu schade dafür sein, ein solches Verfahren einzuschlagen.
({1})
Jetzt wird über die europäische politische Union beraten. Jetzt besteht die Chance, Einfluß zu nehmen. Wer jetzt darauf verzichtet, der verzichtet als Mitglied dieses Deutschen Bundestags darauf, in dieser Frage mitzureden.
Die Präsidentin des Deutschen Bundestages Rita Süssmuth, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat doch offensichtlich auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion gesprochen, als sie zu Beginn des vorigen Monats gesagt hat, daß ein Unterausschuß für Fragen der europäischen Gemeinschaft nicht ausreiche, sondern wir einen Europaausschuß bräuchten. Bitte schön, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- Fraktion, stimmen Sie doch für das, was Frau Süssmuth für die Abgeordneten dieses Parlaments zu Recht gesagt hat!
({2})
Nach der deutschen Vereinigung wird die europäische politische Union der nächste wichtige Schritt bei den umwälzenden Veränderungen in unserem Land sein. Das ist eine Stufe, liebe Kolleginnen und Kollegen, die für alle Menschen in unserem Lande tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen wird: eine einheitliche neue Währung, eine neue und andere Sozialpolitik, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Wenn Sie dem Deutschen Bundestag einen solchen Ausschuß versagen und ihm darüber hinaus verwehren, darüber in diesem Bundestag abzustimmen, dann ist das so, als hätten Sie darauf verzichtet, einen Ausschuß für die deutsche Einheit einzurichten, so daß sich der Deutsche Bundestag mit diesen zentralen Fragen nicht hätte beschäftigen können.
Der Bundesrat hat bereits in der vorigen Wahlperiode einen Europaausschuß eingesetzt. Damit hat er sich wichtige Einflußchancen gesichert. Wollen Sie für den Deutschen Bundestag darauf verzichten? Sie wollen das hoffentlich gemeinsam mit uns nicht.
Deshalb appelliere ich an Sie, die internen Spielchen zwischen CDU/CSU und FDP zu unterlassen und im Interesse der Demokratie und der europäischen Einigung ein Votum für den Antrag der SPD-Fraktion zur Aufsetzung ihres Antrags auf Einsetzung eines Europaausschusses zu geben. Ich danke Ihnen sehr.
({3})
Es liegen mir weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Zunächst Herr Dr. Modrow.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für Ihr Wohlwollen, das Sie hier zum Ausdruck gebracht haben.
Gegenwärtig befindet sich der Zug der europäischen Integration auf einem wichtigen Streckenabschnitt. Bei den Entscheidungen über die Vollendung des EG-Binnenmarkts und in den Beratungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion sowie eine Politische Union müssen jetzt die Weichen gestellt werden, wenn das anzustrebende Ziel, die Schaffung eines nach innen und außen friedlichen, kooperativen und solidarischen Europas, nicht verfehlt werden soll. Der vorgeschlagene Ausschuß kann dabei hilfreich sein, um so mehr, da die europäische Integration der parlamentarischen Begleitung und Kontrolle bisher nicht selten entzogen war.
Der Ausschuß wird die ihm zugedachten Aufgaben jedoch nur dann erfüllen, wenn er in seiner Arbeit an der Gestaltung der Europäischen Union stets eine verpflichtende gesamteuropäische Perspektive im Blick hat. Ebensowenig wie die Entwicklung der EG zu einer weiteren Abschottung Westeuropas und damit zur Vertiefung der politischen, ökonomischen und sozialen Klüfte zwischen Ost und West führen darf, kann zugelassen werden, daß die europäische Einigung auf
Kosten der Dritten Welt verläuft und den Nord-SüdKonflikt verschärft.
Schließlich ist die PDS/Linke Liste der Auffassung, daß der vorgeschlagene Ausschuß demokratische Elemente im europäischen Integrationsprozeß befördern und stärken kann.
({0})
Dabei geht es nicht allein um die Entscheidungsbefugnis des gewählten Parlaments, sondern um die demokratische Einbeziehung aller Schichten unseres Volkes in allen, nicht zuletzt in den neuen, Bundesländern.
Die verhängnisvollen ökonomischen und sozialen Folgen der ohne jegliche Übergangsphase erfolgten Ausdehnung der EG auf diese Länder sind bekannt. Sie zumindest mildern zu helfen, darin sollte der Ausschuß im Interesse der Menschen eine vorrangige Aufgabe sehen.
({1})
- Sie haben heute schon einmal nicht zu Unrecht gehört, daß es nicht nur um 40, sondern um 41 Jahre geht.
({2})
Das 41. Jahr haben auch Sie vor allem in dem ganzen Prozeß der Vereinigung mit am Hut. Das bekommen Sie nicht los.
Die Geschichte dieses Landes wird sich nicht als eine Geschichte derart darstellen lassen, daß es nur die DDR und eine Bundesrepublik gegeben hat, die nie mit dieser DDR zusammen existierte. Bleiben Sie mal beim Thema!
({3})
Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß die Herstellung der europäischen Einheit nicht allein den Regierungen zu überlassen ist. Ein europäischer Bundesstaat, zumal mit gesamtkontinentalen Perspektiven, kann aber auch nicht allein vom Parlament beschlossen werden. Er bedarf einer breiten Zustimmung, Gestaltung und Mitwirkung der Öffentlichkeit. Ein friedliches geeintes Europa kann nicht von oben aufgepfropft werden. Es muß vor allem auch von unten wachsen. Das gehört genau zu dem Problem, zu dem Ihre Zwischenrufe kommen.
({4})
Dazu könnte der Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaft einen Beitrag leisten.
In diesem Sinne stimmen wir dem Vorschlag zu.
({5})
Die nächste Wortmeldung zur Geschäftsordnung: Herr Abgeordneter Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist einigermaßen erstaunlich, wie sich an dieser Geschäftsordnungsfrage hier plötzlich Leidenschaften enthemmen. Ich bitte Sie alle, doch zu einer gewissen Nüchternheit der Betrachtung zurückzukehren.
Wir sind gegen die Aufsetzung dieses Punktes in dieser Sitzungswoche, weil wir uns der guten Hoffnung hingeben, daß es interfraktionell zu einer Einigung kommt.
({0})
Wir sind uns in der Sache selbst ja alle einig.
({1})
Wir wollen die Europapolitik hier im Deutschen Bundestag in der Weise behandeln, die ihr gebührt.
({2})
Die Europapolitik braucht politisch den Stellenwert, der ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung nicht nur unseres Landes, sondern des gesamten Kontinents zukommt.
({3})
Hier ist genau der Punkt: Bilden wir uns doch nicht ein, diese Probleme durch einen Querschnittausschuß lösen zu können, der gar nicht in der Lage sein wird, das politische Gewicht zu entfalten, das diesen Fragen zukommt!
({4})
Ich frage die Agrarpolitiker, ob sie bereit wären, sich die Entscheidungen über die wichtigen agrarpolitischen Weichenstellungen aus der Hand nehmen zu lassen. Ich frage die Finanzpolitiker, ob sie bereit wären, die Federführung an einen Europa-Ausschuß abzugeben und damit den entscheidenden Einfluß auf diese Fragen zu verlieren.
({5})
Der dritte Punkt ist wiederum nur ein Beispiel: Der Auswärtige Ausschuß darf nach unserem Grundgesetz die federführende Kompetenz für die Fragen der europäischen Integration überhaupt nicht aus der Hand geben. Die Einsetzung eines Europa-Ausschusses, der die Federführung für die entscheidenden Fragen der europäischen Integration bekäme, wäre verfassungswidrig.
({6})
Im Grundgesetz ist neben dem Verteidigungsausschuß als einziger Parlamentsausschuß der Auswärtige Ausschuß verankert. Dies ist nicht nur eine Formalität, sondern der Auswärtige Ausschuß trägt die Verantwortung dafür, die Entscheidungen des gesamten Hauses federführend vorzubereiten. Der Auswärtige Ausschuß kann sich dies schlicht nicht aus der Hand nehmen lassen. Das ist ganz eindeutig. Zur Arbeitsfähigkeit: Der Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses hat in der vorigen Wahlperiode gute Arbeit geleistet.
({7})
Ich verstehe gar nicht, weshalb die Kolleginnen und Kollegen, die dort an der vordersten Front mitgekämpft haben, jetzt das alles so klein und häßlich machen wollen und so tun, als ob dort überhaupt nichts erledigt worden wäre.
({8})
Ferner wurde das Argument gebracht, wir hätten im Bundestag keine vernünftige Übersicht über die Vorlagen, die aus der EG kommen. Das ist doch keine Aufgabe eines Parlamentsausschusses, das ist eine Aufgabe der Verwaltung. Diese Aufgabe kann die Verwaltung vernünftig erledigen.
({9})
Bitte stimmen Sie dagegen, den Punkt jetzt aufzusetzen. Ich hoffe, daß wir eine vernünftige Einigung erreichen. Ich hoffe, daß wir mit Ihnen die verfassungsrechtlichen Fragen klären können. Ich warne davor, im Schnellschuß eine Entscheidung zu treffen, die mit der Verfassung nicht in Einklang steht.
Ein letztes Wort an meine lieben Koalitionsschwestern und -brüder von der CDU/CSU. Ich bitte Sie, 1 nicht ausgerechnet an dieser eher peripheren Frage eines Unterausschusses oder Ausschusses das Prinzip zu verlassen, tunlichst nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Es liegt eine weitere Wortmeldung vor, und zwar die des Kollegen Bohl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute bei der Abstimmung zunächst um die Frage, ob wir den Antrag der SPD, einen Europa-Ausschuß einzusetzen, auf die Tagesordnung nehmen.
({0})
Es geht also nicht um die Entscheidung in der Sache.
Es gab, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, bisher die gute Übung, in den Haushaltswochen im Grunde genommen keine Sachanträge auf die Tagesordnung zu nehmen.
({1})
Sicher gibt es keine Regel ohne Ausnahme. Wir nehmen z. B. die Empfehlung des Vermittlungsausschusses, damit das Gesetz verabschiedet werden kann, auf die Tagesordnung, ohne darüber eine Aussprache zu führen. Das ist richtig.
Aber Sie haben zu dem jetzt erörterten Punkt in der jüngsten Sitzung des Ältestenrates keinen Antrag gestellt, sondern Sie haben ihn erst nach jener Sitzung nachgeschoben und als Wunsch vorgetragen. Die bisherige Tagesordnung für diese Woche hatten wir im Ältestenrat einvernehmlich festgelegt. Am Montag sind wir mit Ihrem Wunsch konfrontiert worden, den Punkt in dieser Woche auf die Tagesordnung zu nehmen.
Nun ist der Sachverhalt offensichtlich: Es gibt auch in der Koalition - warum soll das hier geleugnet werden? - unterschiedliche Bewertungen in dieser Frage. Wenn ich es richtig einschätze, ist in meiner Fraktion mehrheitlich durchaus der Wunsch vorhanden, einer solchen Überlegung, einen Europa-Ausschuß einzusetzen, näherzutreten.
({2})
Nun wissen Sie aus vielen Jahren der gemeinsamen Mitarbeit - Frau Kollegin Matthäus-Maier lacht besonders wissend - , daß man sich in einer Koalition auch verständigen muß. Es ist auch kein Geheimnis, daß es in den Reihen der FDP gewisse Vorbehalte gibt.
Ich meine, es müßte nun doch möglich sein, unserem Angebot, diesen Tagesordnungspunkt in der nächsten Sitzungswoche zu behandeln, näherzutreten.
({3})
Ich meine, es könnte an einer Woche in der Tat nicht liegen.
Wir, die Fraktion der CDU/CSU, haben gestern diesen Punkt behandelt, und die Fraktion der CDU/CSU hat sich entschieden, mit der FDP heute gegen eine Aufsetzung auf die Tagesordnung - nur darum geht es - zu stimmen.
({4})
Ich bitte, weil ich, glaube ich, Anlaß habe, dieses zu sagen, alle Kollegen auch der CDU/CSU-Fraktion, diese Überlegungen zu verinnerlichen
({5})
und mit der Koalition gemeinsam den Antrag der SPD, dieses Thema heute auf die Tagesordnung zu setzen, abzulehnen. Ich glaube, wir würden uns einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir mit wechselnden Mehrheiten in einer Geschäftsordnungsdebatte hier im Bundestag agierten.
Also, für die CDU/CSU-Fraktion stelle ich fest, daß wir dem Antrag der SPD, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, widersprechen.
Vielen Dank.
({6})
Es liegen mir zwei weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Als nächste hat Frau Kollegin Dr. Renate Hellwig das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche für die hoffentlich nicht zu kleine Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion, die es leid ist, an Geschäftsordnungsfragen die Grundsatzfrage, ob wir einen Europa-Ausschuß einrichten oder nicht, nunmehr seit Januar dieses Jahres scheitern zu lassen.
({0})
Wir wissen alle ganz genau, daß eine Vereinbarung mit der SPD-Fraktion, es statt heute einvernehmlich nächste Woche zu behandeln, möglich gewesen wäre, wenn die Koalition so weit gewesen wäre, sich auf den Europa-Ausschuß zu einigen.
Ich sehe es als unabdingbar an, daß wir heute nicht nur das Thema auf die Tagesordnung setzen, sondern auch in der Sache darüber abstimmen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte - ich spreche jetzt insbesondere in meine Fraktion hinein - nehmen Sie meine Worte ernst. Ich sage Ihnen voraus: Wenn wir heute den Europa-Ausschuß nicht einsetzen, werden wir ihn dieses Jahr nicht mehr bekommen. Er wird in Überweisungen und in Diskussionen um das Für und Wider im Geschäftsordnungsausschuß versacken. Bitte nehmen Sie das ernst.
Ich bin im Mai auf der Tagung der Vorsitzenden der Europa-Ausschüsse gewesen. Ich war als einzige mit einer Sondergenehmigung der Präsidentin dort. Wir sind das einzige Parlament, das nicht mit einem Europa-Ausschuß vertreten war.
({2})
Jedes halbe Jahr finden diese Sitzungen statt. Die Vorbereitung für die nächste beginnt jetzt in der Sommerpause, und wir sind nicht handlungsfähig. Unser Bundesrat war mit drei Mitgliedern voll vertreten; denn der Bundesrat hat schon seit den 60er Jahren einen eigenen Europa-Ausschuß.
Wenn dieses Parlament nicht die Kraft findet, dann hat sich dieser Bundestag von allen Bekenntnissen zu Europa und von der parlamentarischen Kontrolle der Regierungskonferenzen verabschiedet.
Vielen Dank.
({3})
Mir liegt eine letzte Wortmeldung zur Geschäftsordnung vor. Der Kollege Dr. Peter Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Erstens. Die Ausführungen des Kollegen Bohl sind von der Kollegin Frau Dr. Hellwig überzeugend zurückgewiesen worden. Ich schließe mich ihr vollinhaltlich an.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, daß sich die SPD dann, wenn - wie es im Augenblick den Anschein hat - ihr Geschäftsordnungsantrag eine Mehrheit findet, dem Antrag der Kollegin Hellwig anschließen wird und eine sofortige Abstimmung über die Einrichtung des Europaausschusses beantragen wird.
({0})
Nachdem jetzt dieser Antrag noch ergänzt worden ist, gebe ich nach einer weiteren Wortmeldung zur Geschäftsordnung dem Kollegen Friedrich Bohl das Wort.
Frau Präsidentin, dem Hilfsantrag des Kollegen Struck, sofort auch die Abstimmung in der Sache herbeizuführen, kann ich nicht zustimmen.
Geschäftsordnungslage ist, daß dann, wenn dem Antrag stattgegeben wird, dieser Punkt für diese Woche auf der Tagesordnung ist. Es gibt dann keine Vereinbarung darüber, zu welchem Zeitpunkt dieser Punkt aufzurufen ist. Wir müssen uns darüber verständigen, zu welchem Zeitpunkt er aufgerufen werden soll.
({0})
Es ist, glaube ich, unstrittig, daß eine solche Vereinbarung über den Zeitpunkt der Debatte immer unter den Geschäftsführern im Einvernehmen mit der Präsidentin erfolgt ist.
Deshalb bitte ich den Kollegen Struck, doch wirklich zu überlegen, ob das korrekt ist, zumal wir im Ältestenrat vereinbart haben, im Anschluß an den Etat des Finanzministers den Etat des Innenministers aufzurufen und sich die Redner für den Bereich des Innenressorts entsprechend eingerichtet haben.
Ich glaube also, der Punkt sollte aus kollegialen Gründen, sonst hilfsweise aus Geschäftsordnungsgründen heute so behandelt werden, wie ich es gesagt habe: Wir verständigen uns über einen Zeitpunkt, zu dem der Punkt aufgerufen wird.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, um Klarheit über die Geschäftsordnungslage zu schaffen, möchte ich auf folgendes hinweisen: Ich lasse jetzt abstimmen über den Geschäftsordnungsantrag, den Punkt auf die Tagesordnung zu setzen.
Nehmen wir einmal an, dieser Antrag fände eine Mehrheit. - Der Kollege Bohl ist jetzt gerade dafür eingetreten, daß nicht sofort in der Sache abgestimmt wird. Unsere Geschäftsordnung sieht für diesen Fall vor, daß das nicht sofort sein muß. Von der SPD ist beantragt worden, diesen Punkt morgen auf die Tagesordnung zu setzen und dreißig Minuten dafür vorzusehen.
Ich sehe nicht die Möglichkeit, darüber abstimmen zu lassen, ob sofort abgestimmt wird. Wenn dem jetzt entgegengetreten worden ist, muß eine interfraktionelle Verständigung herbeigeführt werden. Ich sehe keine Möglichkeit, anders zu verfahren. So sieht das unsere Geschäftsordnung vor.
({0})
Nun wird also darüber abgestimmt, dies noch in dieser Woche - entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung - auf die Tagesordnung zu setzen. Ich weise nur auf das Begehren der SPD hin, daß am Donnerstag eine 30minütige Debatte dafür angesetzt wird.
Kollege Struck, dazu noch einmal?
Frau Präsidentin, auch auf die Intervention des Kollegen Bohl hin sage ich: Uns liegt selbstverständlich an einer gedeihlichen Zusammenarbeit in diesem Hause in vielen Fragen.
({0})
- Natürlich! Selbstverständlich!
Ich akzeptiere auch die Bitte des Kollegen Bohl. Ob die Abstimmung inhaltlich über diesen Ausschuß dann am Donnerstag oder vielleicht noch heute sein wird, bleibt einer weiteren Besprechung vorbehalten.
Die Präsidentin sieht Ihren Vereinbarungen mit Erwartung entgegen.
({0})
Nun darf ich zur Abstimmung kommen und darf diejenigen um das Handzeichen bitten, die für die Aufsetzung auf die Tagesordnung sind. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? ({1})
Ich darf das Ganze wiederholen; denn der Sitzungsvorstand kann sich nicht einigen.
Ich darf diejenigen, die für die Aufsetzung auf die Tagesordnung sind, noch einmal um das Handzeichen bitten. - Die Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Meine Damen und Herren, nachdem der Sitzungsvorstand über das Ergebnis der Abstimmung nicht einig werden kann, kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der SPD durch Zählung der Stimmen. Ich bitte Sie daher, den Saal zu verlassen, und bitte die Saaldiener, dann die Türen zu schließen.
Sind alle Türen mit Schriftführerinnen und Schriftführern besetzt?
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Die Abstimmung ist eröffnet.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen die Sitzung fortsetzen. Ich möchte auch das Abstimmungsergebnis bekanntgeben.
An der Abstimmung haben sich 463 Mitglieder des Bundestages beteiligt. Mit Ja haben 215 gestimmt, mit Nein haben 235 gestimmt.
({0})
Der Stimme enthalten haben sich 13 Mitglieder des Hauses. Damit ist eine Aufsetzung auf die Tagesordnung abgelehnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen die Haushaltsberatungen fortsetzen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
- Drucksachen 12/506, 12/530 Berichterstatter: Abgeordnete Karl Deres
Rudolf Purps
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
- Drucksachen 12/528, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Rudolf Purps Ina Albowitz Ingrid Köppe
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 12/521 Berichterstatter:
Abgeordnete Adolf Roth ({1}) Rudolf Purps
Ich sage Ihnen zur Erläuterung, daß zu den Einzelplänen 06 und 36 jeweils zwei Änderungsanträge der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN vorliegen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen.
Ich erteile unserem Kollegen Rudolf Purps das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministers des Innern weist mit 8,278 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr eine Steigerungsrate von 26,2 % aus. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Mehraufwendungen bei den Ausgaben für die fünf neuen Bundesländer, dabei vor allem in der Übergangsfinanzierung im kulturellen Bereich, im Aufbau des Bundesgrenzschutzes-Ost und in der Übernahme von Aufgaben aus dem ehemaligen Einzelplan 27 - Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Die Übernahme neuer, einheitsbedingter Aufgaben, die Errichtung neuer Bundesoberbehörden, die Umorganisation beim Bundesgrenzschutz, bei der Deutschen Welle, beim Deutschlandfunk und beim RIAS, aber natürlich auch der Wegfall von Aufgaben haben für alle Bediensteten des Ministeriums große Aufgabenvermehrungen und Arbeitsumstellungen gebracht, deren Erledigung ohne starkes persönliches Engagement und viele zusätzliche Arbeitsstunden nicht möglich wäre.
Ich möchte als Berichterstatter der Opposition allen Bediensteten, den Angestellten, den Arbeitern und den Beamten, meinen aufrichtigen Dank für die bisherige Leistung aussprechen.
({0})
Dies ändert natürlich nichts daran, daß die politischen Vorgaben, wie sie von der Regierungskoalition in der Innenpolitik gesetzt werden,
({1})
in weiten Bereichen kritikwürdig oder schlichtweg falsch sind, wie ich nun durch meine Ausführungen belegen möchte.
Zum sportpolitischen Teil des Haushalts wird im Laufe der Debatte mein Kollege Wilhelm Schmidt Stellung nehmen. Aber soviel sei schon jetzt gesagt: Ich glaube, es stößt bei Millionen Sportlern hier und in den neuen Bundesländern auf völliges Unverständnis, daß nicht einmal eine kleine Summe, eine Art Goodwill-Zeichen, für eine Anschubfinanzierung zum Aufbau des Breitensports, wie wir es im Haushaltsausschuß beantragt haben, zur Verfügung gestellt wird. Hier nützt auch der immer wieder angeführte Hinweis darauf nichts, es sei der Zuständigkeit oder der Kleiderordnung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden halber nicht möglich, daß dieser Bereich gefördert wird; denn dieses Prinzip, meine Damen und Herren von der Koalition, wird ja wegen der deutschen Einheit und der Folgen daraus ständig durchbrochen, auch im Innenbereich, insbesondere im Kulturbereich. Ich sage Ihnen, Herr Innenminister Dr. Schäuble: Was für die Kultur richtig ist und über einige Jahre gewährt haben muß, kann für den Sport nicht falsch sein,
({2})
insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, das große ehrenamtliche Engagement, das wir an allen Orten spüren, nicht in Resignation umschlagen zu lassen.
Die Übernahme von Aufgaben des ehemaligen Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen wird auch in der Zukunft erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Eines ist sicher: Mit dem Wegfall der Teilung entfallen auch auf Dauer Aufgabenbereiche, die dieses Ministerium besonders wahrgenommen hat. Aber ob man, liebe Kolleginnen und Kollegen, über den Bereich der Förderung der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit und der Besucherinformation in Berlin so mit der Sense hinweggehen kann, wie dies die Koalition getan hat, das wage ich doch sehr zu beRudolf Purps
zweifeln. Wir leben nicht im Normalfall Deutschland. Die wirtschaftlichen Blütenträume, die von der Koalition vor der Einheit verheißen wurden, haben sich als Wählertäuschung und schwere Fehleinschätzung erwiesen.
({3})
Der Einheit Deutschlands - das ist deutlich zu erkennen - folgt zur Zeit die ökonomische Teilung, und - das ist für mich erschreckend - in den Köpfen vieler Menschen in den neuen und alten Bundesländern entsteht eine neue, eine psychologische Mauer.
„Ossi" und „Wessi" sind für mich schreckliche Sprachgebilde, die am Anfang wohl liebevoll verniedlichend gemeint waren. Sie erhalten jedoch im Sprachgebrauch immer mehr diskriminierenden Charakter.
In dieser Situation, die auch der Bundeskanzler bei aller ökonomischen Inkompetenz erkannt hat, halte ich es schlichtweg für einen großen Fehler, den bildungspolitischen Teil des Haushalts herunterzufahren. Es geht nicht nur um Vertrauensschutz für diejenigen, die diese Arbeit während der Teilung hervorragend gemacht haben, sondern es geht darum, die Zukunft der deutschen Einheit in den Köpfen und in den Herzen der Menschen, insbesondere der jungen Menschen, zu festigen.
Was aber tut die Koalition? - Sie kürzt im Bereich der politischen Bildung, und zwar zu einer Zeit, in der es darauf ankommt, im geeinten Deutschland gegenseitige Vorbehalte, die noch vorhanden oder wieder neu im Entstehen sind, abzubauen und Verständnis dafür zu wecken, daß die Bürger hüben und drüben sehr unterschiedliche Lebens- und Erfahrungshintergründe haben, aus denen heraus ihr Handeln und Denken bestimmt wird. Wir wissen, nur zusammen können wir Bürger und Bürgerinnen des geeinten Deutschlands Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft erarbeiten.
({4})
Demokratisches Miteinander kann man lernen, aber es muß auch gelehrt werden. Demokratie muß erfahrbar, erlebbar sein, sonst laufen insbesondere die jungen Menschen zu den politischen Rattenfängern.
({5})
Das ist eine Tendenz, die Sie in zunehmendem Maße auch in den Medien in den neuen Bundesländern beobachten können. Wenn Sie die politische Bildung in diesem Stadium radikal beschneiden, dann ist das nicht nur kurzsichtig, sondern politisch vollkommen verfehlt.
({6})
Ich fordere Sie, Herr Minister Schäuble, auf, für den neuen Haushalt ein bildungspolitisches Konzept vorzulegen und dabei der pluralistischen Struktur der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung Rechnung zu tragen.
Ein sehr düsteres Kapitel der deutschen Geschichte, und zwar nicht nur der ostdeutschen, verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Sonderbeauftragter für die
Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes". Die Bespitzelung und Terrorisierung von Millionen von Bürgern, das planmäßige Aussäen von Mißtrauen und Furcht über alle Bereiche der Gesellschaft bis tief in die Familien hinein haben die Entwicklung normaler zwischenmenschlicher und sozialer Beziehungen 40 Jahre lang erheblich behindert und sind genauso scharf zu verurteilen wie die verbrecherische Perversion, Terroristen nicht nur Unterschlupf, sondern auch Ausbildungs- und Operationsbasis zu bieten. Dieser ganze unappetitliche und widerwärtige Komplex muß aufgearbeitet werden. Für diese immensen Aufgaben sollten wir alle Herrn Gauck und seinen Mitarbeitern alle nur möglichen Hilfestellungen geben.
({7})
Das notwendige qualifizierte Personal und die erforderlichen Sachmittel müssen zur Verfügung gestellt werden; denn unsere Mitbürger im Osten - aber nicht nur im Osten - haben ein Anrecht darauf, daß hier lückenlos in einem möglichst überschaubaren Zeitrahmen aufgearbeitet und aufgeklärt wird.
Durch die Umwandlung von Stellen für Wachpersonal in höher qualifizierte Stellen für Rechercheure, Archivare, Aktenaufarbeiter und Sortierer haben wir, meine Damen und Herren von der CDU, im Vorgriff auf den Haushalt 1992 gemeinsam einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit festhalten: Wenn dies nicht ausreichen sollte, dann wird sich die SPD für eine weitere personelle Verstärkung einsetzen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang folgendes sagen, Herr Minister: Wenn die Übertragung der Akten auf EDV, die ja unerläßlich ist, in Angriff genommen wird, so schalten Sie von Anfang an das Ihnen unterstehende Amt für Sicherheit in der Informationstechnik ein, und sorgen Sie für strikte Datensicherheit. Wie wir alle wissen, gibt es höchst interessierte Kreise, die jede Schwachstelle in der Datensicherung nutzen würden, um durch manipulative Eingriffe zu versuchen, Daten, Namen zu löschen oder Vorgänge umzuschreiben.
Da ich gerade beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bin: Ich habe sehr große Zweifel daran, ob das Amt so, wie es offensichtlich seine Aufgabenstellung sieht und in die Arbeit einsteigt, den Erfordernissen nachkommt, aus denen heraus es gegründet wurde. Wie Sie alle wissen, hat der Bundesrechnungshof bei der Informationsverarbeitung in einer umfangreichen Prüfung gravierende Sicherheitsmängel festgestellt. Dies ist der eigentliche Grund für die Errichtung dieses neuen Amtes. Diesen Aufgaben muß es daher vorrangig gerecht werden. Es geht nicht an, daß ein Großteil der Forschungsarbeiten die Weiterführung alter BND-Aufgaben beinhaltet und daß die Beratung der Verwaltung bezüglich der Sicherheit der Informationssysteme nicht stattfindet oder viel zu kurz kommt.
Ich fordere Sie auf, Herr Innenminister, hier im nächsten Haushalt für Klarheit zu sorgen. Man kann nicht mit öffentlichen Geldern Aufträge an die Industrie vergeben und Studien erstellen lassen, die man
selbst zu erstellen hätte. Als Durchlauferhitzer für öffentliche Gelder ist dieses Amt nicht gedacht.
In diesem Zusammenhang ein Wort zu den Anträgen der Kollegen vom Bündnis 90/GRÜNE: Wenn Sie schon an Sitzungen nicht teilnehmen, finde ich es hervorragend, daß Sie hinterher wenigstens die Protokolle lesen und die SPD-Anträge daraus abschreiben, die Sie dann hier zur Debatte stellen. Wir werden Ihren Anträgen zustimmen. Aber ich möchte Ihnen raten: Stil ist das nicht, lassen Sie das sein!
({8})
Die nach der deutschen Einigung notwendige Neuorganisation des Bundesgrenzschutzes und der Aufbau einer Abteilung Ost des Bundesgrenzschutzes muß zügig vorangebracht werden. Hierbei unterstütze ich durchaus die Auffassung, daß neue Aufgabenbereiche - siehe den Bereich Bahnpolizei, siehe Sicherung bei den Flughäfen - dem BGS zugeordnet werden. Wenn aber die Entwicklung des BGS schon in Richtung einer Bundespolizei geht, dann ist zu überlegen, sehr geehrter Herr Minister, ob die Frage des Personenschutzes, bei dem bisher Bundeskriminalamt und BGS gleichwertig tätig waren, nicht zur alleinigen Aufgabe des Bundesgrenzschutzes werden sollte. Ich weiß, daß dies ein sensibles Thema ist. Aber dennoch möchte ich sagen, daß wir dadurch eine große Anzahl hochqualifizierter Beamter aus dem BKA freibekämen, die im BKA dringend gebraucht werden, um die vermehrten Aufgaben bei der Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität, bei der Bekämpfung des organisierten, mafiösen, bandenkriminellen Deliktbereichs und bei der leider auch sehr stark zunehmenden Kriminalität in den neuen Bundesländern und im Terrorismus wahrnehmen zu können. Daß der Personenschutz darunter nicht leiden darf und leiden kann, ist selbstverständlich.
Die Zuwendungen an zentrale Organisationen der Vertriebenenverbände und die Förderung der Erhaltung und der Auswertung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen sowie der kulturellen Bestrebungen der Flüchtlinge werden im Haushalt des Innenministers im Jahre 1991 sehr stark erhöht, im letzteren Fall sogar verdoppelt. Allein sieben neue Zuwendungsempfänger sollen gefördert werden. Die Begründung für diesen unglaublich hohen Aufwuchs, ist, Herr Dr. Schäuble, wie wir immer hören, daß das kulturelle Erbe nach der endgültigen Festschreibung der deutsch-polnischen Grenze erhalten bleiben müßte.
Diese Begründung ist mir zu schmalbrüstig, Herr Minister. Abgesehen von der Tatsache, daß das geeinte Deutschland einen neuen Anfang mit seinem polnischen Nachbarvolk braucht, der nicht durch Reminiszenzen an die Vergangenheit belastet werden darf,
({9})
wird mit dem Begriff kulturelles Erbe ein statischer, ein eher rückwärtsgewandter Begriff und Denkansatz honoriert.
Ich hielte es für besser, den alten Ansatz so zu lassen, wie er ist, und die 20 Millionen DM Aufwuchs in deutsch-polnische Begegnungen, in die Zukunft beider Völker zu investieren, insbesondere in Begegnungen junger Menschen, und damit nicht die Pflege musealer Landschaft zu betreiben.
({10})
Im übrigen, Herr Minister, hat es einen faden Beigeschmack, wenn direkt im Jahr nach der deutschen Einheit die zusätzlichen Zuwendungen für die Vertriebenenverbände und ihre Projekte insgesamt um 100 % steigen. Ich als Vertriebener würde mich des Eindrucks nicht erwehren können, hier solle möglicherweise - in aller Vorsicht gesagt - Wohlverhalten erzeugt und Protest abgekauft werden.
({11})
Um diesem Eindruck vorzubeugen, aber auch aus sachlichen Überlegungen haben wir Sozialdemokraten die Streichung der Ansatzerhöhung gefordert. Daß sich auch die Koalition bei dieser Frage nicht ganz wohl fühlt, zeigt ja die Tatsache, Herr Kollege Deres, daß die Kollegen von der Koalition im Haushaltsausschuß zumindest eine teilweise Zurückführung dieses Ansatzes vorgenommen haben.
Im Einigungsvertrag ist die Hilfe des Bundes zum Substanzerhalt der Kultur und der Kulturdenkmäler in den fünf neuen Bundesländern festgeschrieben worden. Hierfür steht im Haushalt die große Summe von einer runden Milliarde DM zur Verfügung. Kern dieses Programms: 900 Millionen DM für die Substanzerhaltung und Förderung der kulturellen Infrastruktur als direkter Ausfluß des Art. 35 des Einigungsvertrages.
Nun ist eines ganz sicher: daß dies auf Dauer keine Bundesaufgabe bleiben kann. Es ist letztlich eine Länder- und eine kommunale Aufgabe. Es soll auch ganz deutlich gesagt werden, daß ein Abbau der Aufgabe beim Bund - Schritt für Schritt, so wie sich die finanziellen Möglichkeiten der Länder und Gemeinden bessern - erfolgen muß. Aber: Solange der Bund hier tätig werden muß, weil sonst der Zusammenbruch der Kulturarbeit in den fünf neuen Bundesländern sofort bevorstände, hat er auch die Verpflichtung, die erforderlichen Mittel in entsprechender Höhe zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte feststellen, daß diesen Verpflichtungen bisher nur sehr ungenügend nachgekommen worden ist, insbesondere deshalb, weil durch die Einbeziehung Berlins in die Förderung eine Kürzung für die übrigen Länder in Höhe von 150 Millionen DM vorgenommen wurde. Ohne Zweifel stellt die für Berlin vorgesehene Summe nur die untere Grenze dar, wie Kultursenator und Regierender Bürgermeister Ihnen, Herr Dr. Schäuble, vorgerechnet haben. Also muß man die Gesamtsumme fairerweise um diese 150 Millionen DM erhöhen,
({12})
darf also Berlin nicht zu Lasten der anderen Länder in die Förderung einbeziehen.
Dieser Vorstellung, die die Sozialdemokraten voll teilen, hat sich auch der Innenausschuß einstimmig
angeschlossen. Nur, die Koalition im Haushaltsausschuß hat dieses Votum nicht aufgegriffen, und Sie, Herr Minister, haben sich als der für Kultur zuständige Minister bei Ihrem Kollegen Waigel in dieser Frage entweder nicht bemüht oder sind in dieser Situation bei ihm auf taube Ohren gestoßen. Ich nehme an, das zweite war der Fall.
Wie es auch sei: Ausbaden müssen diese Situation die neuen Bundesländer. Ausbaden müssen das Theater, Museen, Orchester, Bibliotheken - möglicherweise mit ungeahnten Folgen.
Wenn ich mir ansehe, Herr Minister, daß Sie im nächsten Jahr nur noch 500 Millionen DM in den Verpflichtungsermächtigungen haben und 1993 nach Ihren Vorstellungen nichts mehr dort steht und dann alles von den neuen Ländern und Gemeinden bezahlt werden soll, dann geht das meines Erachtens an der Realität völlig vorbei. Hinter dieser Finanzplanung steckt die völlige Fehleinschätzung, daß bei uns in kürzester Zeit „blühende Landschaften" - so pflegen Sie sich ja auszudrücken - entstehen werden. Begreifen Sie bitte endlich, daß dies so schnell nicht gehen wird, daß die Steuerkraft der Städte und Gemeinden viel langsamer wachsen wird, als wir alle uns das wünschen. Korrigieren Sie deshalb möglichst schnell diese Ansätze im nächsten Haushalt. Passen Sie sie den notwendigen Erfordernissen an.
Nachdem die Koalition, nachdem Ihre Regierung durch völliges Versagen in der Bewertung der ökonomischen Bedingungen und durch falsche Entscheidungen, die Investitionen eher hindern als fördern, im Osten Deutschlands ein ökonomisches Ödland angerichtet hat,
({13})
warne ich Sie dringend davor, Herr Kollege Gerster, dem auch noch eine Kulturwüste hinzuzufügen.
({14})
Ein auseinandergelaufenes Ensemble, ein sich auflösendes Orchester bekommen Sie nicht wieder zusammen, Herr Kollege. Es ist vielleicht einfacher, eine Fabrik, die nicht mehr konkurrenzfähig ist, an anderer Stelle modern aufzubauen, die Leute umzuschulen - und nach zwei Jahren ist da wieder Arbeit. Aber eine kaputte kulturelle Landschaft kriegen Sie so schnell nicht wieder in Ordnung.
({15})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Eine Übertragung dieser Aufgaben an die Länder vorzunehmen, bevor nicht sichergestellt ist, daß sie diese Aufgaben auch finanziell verkraften können, würde sehr großen Schaden anrichten. Sie haben in der dritten Lesung noch die Chance, unserem wirklich hervorragenden Entschließungsantrag, der auch diesen Punkt enthält, zuzustimmen. Nutzen Sie sie. Es könnte auch Ihnen zum Nutzen gereichen.
({16})
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung zum Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - machen. Nun
hat mittlerweile selbst der hartgesottenste militärische Hardliner begriffen, daß die Bedrohungslage, wie sie noch vor fünf Jahren herrschte, in keiner Weise mehr besteht. Der Zerfall des Warschauer Paktes und die eingeleiteten Reformen im ehemaligen Ostblock haben zu unser aller Freude und zum Nutzen der Menschen in ganz Europa Voraussetzungen geschaffen, die uns die Risiken einer militärischen Auseinandersetzung und ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung ganz anders bewerten lassen als vor einiger Zeit.
Man sollte nun glauben, daß aus diesem Zusammenhang heraus auch wesentliche Veränderungen in der zivilen Verteidigung erfolgen würden. Wenn die Bundeswehr auf 370 000 Soldaten reduziert wird - mit all den Schwierigkeiten und Folgen an den Standorten - , muß dies auch Auswirkungen auf die Mittel für die zivile Verteidigung haben.
Angesichts dieser Situation fordern wir die Bundesregierung auf, die Neukonzeption des Zivilschutzes voranzutreiben. Dabei sollte sie sich an folgenden Grundsätzen orientieren: Schwerpunkt muß in Zukunft der friedensmäßige Katastrophenschutz sein sowie die Abwendung von Gefahren durch Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Großunfällen, z. B. im Bereich der Industrie. Mittlerweile ist es eine simple Erkenntnis, meine Damen und Herren, daß das Gefahren- und Gefährdungspotential auf dieser Erde insbesondere auch gegenüber der Umwelt von Jahr zu Jahr gewachsen ist, während die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung in dem entsprechenden Zeitraum zurückging.
Wir finden es gut, daß nun endlich der Schutzraum-bau beendet wird. Wir halten das für sehr vernünftig. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn nun die Organisation des THW sofort auf die neuen Bundesländer übertragen werden soll,
({17})
ohne daß eine Neukonzeption überhaupt ersichtlich ist. Hier sollen einfach Fakten geschaffen werden, die mit der neuen Entwicklung nichts zu tun haben. Statt die Organisation auf die neuen Bundesländer zu übertragen - wogegen auch der Bundesrechnungshof erhebliche Einwände hat; das ist Ihnen auch bekannt -, sollten sie lieber darüber nachdenken, wie das THW besser ausgerüstet werden kann, um in Zukunft stärker im internationalen Katastrophenschutz eingesetzt zu werden.
({18})
- Das, Herr Kollege Gerster, können Sie ja beweisen, wenn Sie gleich reden. - Meine Damen und Herren von der CDU, ich komme zum Schluß. Die SPD hat den Haushalt des Bundesministers des Innern sorgfältig geprüft, sie hat ihn in seinen Schwerpunkten gewichtet und bewertet ihn insgesamt als unzureichend.
({19})
Wir lehnen den Haushalt des Bundesinnenministers ebenso ab wie den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung.
({20})
Das Wort hat nunmehr unser Kollege Karl Deres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn etwas richtig ist, braucht man es nicht richtigzustellen. Unsere Ausführungen sind richtig; die Ausführungen von Rudolf Purps sind falsch.
Trotz dieser Rede des Kollegen Purps möchte ich mit einem Dank an die Kollegen Mitberichterstatter Frau Albowitz und Herr Purps beginnen. Beide werden genau wie ich die Stunden gar nicht mehr zählen können, die wir mit dem 590 Seiten starken Einzelplan des Bundesinnenministers verbracht haben. Was ist dabei herausgekommen? Eigentlich ein schlechtes Gewissen eines Haushälters; denn, Herr Minister, bei den über 8 Milliarden DM haben wir nur um 40 Millionen gekürzt. Ich gehe mit schlechtem Gewissen nach Hause; aber ich sage Ihnen: Es ist noch nicht aller Tage Abend. Denn im Herbst sitzen wir ja schon wieder zusammen. Ein guter Grund stand natürlich dahinter: die Tatsache, daß es sich um den Haushalt handelt, der im Jahr nach der Vereinigung verabschiedet wird.
Meine Damen und Herren, uns lagen zu dem Regierungsentwurf ca. 150 Berichterstattervorschläge vor. Die meisten davon waren einvernehmlich. Deswegen mein Wort des Dankes. Herr Bundesinnenminister, in diesen Dank beziehe ich Sie persönlich und auch Ihre Mitarbeiter mit ein. Ich bitte Sie, diesen Dank in Ihrem Hause weiterzugeben. Wir haben sehr viel Information erhalten, es ist uns sehr viel zugearbeitet worden, und wir haben sehr viel Verständnis gefunden. Dafür sagen wir Ihnen herzlichen Dank.
Lassen Sie mich aber auch in aller Kürze einige Eckwerte des Innenhaushaltes ansprechen. Für die Kultur im Beitrittsgebiet werden insgesamt 1,22 Milliarden DM bereitgestellt.
({0})
Frau Matthäus-Maier hat heute morgen behauptet, für die Kultur gäbe es nichts. Es sind 1,22 Milliarden DM bereitgestellt worden. Nach Adam Riese ist dies mehr als nichts. Allein für die Erhaltung der kulturellen Substanz und zur Förderung der Infrastruktur in den neuen Ländern einschließlich des Ostteils von Berlin sind 900 Millionen DM veranschlagt. Nach unserem Grundgesetz sind aber die Länder und Kommunen in Angelegenheiten der Kultur grundsätzlich allein verantwortlich. Daß diese reine Lehre im Beitrittsgebiet aus den verschiedensten Gründen noch nicht praktiziert werden kann, leuchtet ein. Der Einigungsvertrag läßt deswegen insoweit ausdrücklich eine Bundesfinanzierung zu. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt diesen Haushaltsansatz ebenso wie die beim BMI im Rahmen des ressortübergreifenden Denkmalschutzprogramms für das Beitrittsgebiet vorgesehenen 50 Millionen DM. Im Haushalt des Bundesbauministers ist ja noch eine ganze Menge mehr hierfür veranschlagt.
Ein Theater- und Orchestersterben - wie befürchtet - konnte verhindert werden. Sobald die Länder und Kommunen im Beitrittsgebiet aber übersehen, was sie pro Jahr für Kultureinrichtungen aufwenden wollen und können, sollte sich der Bund schrittweise aus der kulturellen Substanzerhaltung zurückziehen. Die substanzerhaltende, nur unter dem Gesichtspunkt der deutschen Einheit zu rechtfertigende Bundeshilfe darf nicht dazu führen, daß sich die Länder und Kommunen im Beitrittsgebiet künftig auf den Bund verlassen oder die notwendige Wende - das möchte ich sehr unterstreichen - weg von der Staatskultur hin zur freien, autonomen Kunst und Kultur verschleppt wird.
Ehrlicherweise ist auch in Sachen Kultur eine Strukturreform nicht zu umgehen. So erwünscht kulturelle Vielfalt im Beitrittsgebiet auch ist, die Länder und Kommunen werden auf Dauer - das ist meine persönliche Meinung - 217 Theater und 87 Orchester nicht finanzieren können.
Im übrigen sieht der BMI-Haushalt für 1991 nicht weniger als 329 Millionen DM für Kultureinrichtungen in Berlin vor; das ist nahezu derselbe Betrag, den der Bund für bundesbedeutsame Kultureinrichtungen im alten Bundesgebiet aufwendet. Ich möchte dem Bundesinnenminister ausdrücklich danken, daß er die alten Bundesländer dazu bewegt hat, sich im Rahmen der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" doch an den Betriebsausgaben für die neu hinzugekommenen Teile - das heißt insbesondere auf der Museumsinsel - zu beteiligen.
({1})
Ich halte es für ein Gebot des kooperativen Föderalismus, daß die wiedervereinigten preußischen Sammlungen unter dem Dach der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" als gemeinsames deutsches Erbe von sämtlichen Ländern, den alten und den neuen, sowie dem Bund in angemessenem Verhältnis finanziert werden.
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister, ich hoffe nicht, daß wir im nächsten Jahr wieder den Ärger haben und wir Ihnen den Auftrag zur Verhandlungsführung geben müssen. Ich hoffe, daß wir von vornherein an dieser Stelle im Haushaltsentwurf mit den Ländern einig sein werden.
Die Mittel für die Sportförderung des Bundes werden gegenüber 1990 mit 110 Millionen DM auf 248,2 Millionen DM in diesem Jahr mehr als verdoppelt. Meine Damen und Herren, darin sind noch 15 Millionen DM für Verbandsarbeit und Aufbau des Breitensports vorgesehen. Ihr Erhöhungsantrag, in Höhe von 10 Millionen DM lieber Kollege Purps, hätte - wenn man das über die neuen Länder verteilt - höchstens einen ganz geringen Regen bedeutet. Wir sind nicht in der Lage, nun auch noch den gesamten Breitensport so massiv zu fördern, wie wir bereits den Leistungssport fördern.
({2})
Allein die Mittel für den Sportstättenbau wachsen um 24 Millionen DM; für das Beitrittsgebiet sind insgesamt 135 Millionen DM, für das alte Bundesgebiet 113,2 Millionen DM vorgesehen.
So kann der Kommandosport der ehemaligen DDR, der seine Spitzenathleten unter anderem mit Doping zu Werkzeugen eines geltungssüchtigen Regimes gemacht hatte, in einen staatsfreien Sport umstrukturiert werden, in welchem Breiten- und Leistungssport grundsätzlich in unabhängigen Vereinen organisiert sind.
Die rund 135 Millionen DM an Bundeshilfe werden allerdings versickern, wenn sie nicht auf klare Konzeptionen des DSB und seiner Spitzensportverbände über den Aufbau z. B. von Bundesleistungszentren und Olympia-Stützpunkten im Beitrittsgebiet treffen. Gleiches gilt für das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte; dafür sind 16,5 Millionen DM bereitgestellt worden.
Ich appelliere hier in aller Höflichkeit an diesen DSB und - was die beiden im Einigungsvertrag angesprochenen Einrichtungen angeht - an das Land Sachsen und das Nationale Olympische Komitee, dem Bundesinnenministerium mit den Beteiligten abgestimmte Vorschläge zu unterbreiten und ihre Kraft und ihre Möglichkeiten nicht darin zu erschöpfen, Politiker zu beschimpfen, die sich vor Ort in der ehemaligen DDR entsprechende Sportorganisationen ansehen.
({3})
Für den Aufbau einer effektiv und rechtsstaatlich arbeitenden Verwaltung in den neuen Ländern trifft der Bundeshaushalt die ihm möglichen Vorkehrungen. Aus den Mitarbeiternachweisen des letzten DDR-Haushalts sind für die betroffenen BMI-Behörden - z. B. Statistisches Bundesamt, Bundesarchiv und BGS - die beantragten Stellen ausgebracht worden. Außerdem haben wir die haushaltsmäßigen Voraussetzungen geschaffen, damit das Aus- und Fortbildungspotential der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, der Fachhochschule des Bundes und des Bundesverwaltungsamtes auch für Mitarbeiter der Verwaltung der neuen Länder und Kommunen genutzt werden kann. Daneben kommen aus dem Einzelplan 60 insgesamt 250 Millionen DM für Bundeszuschüsse zur Gewinnung von Bediensteten im Beitrittsgebiet.
Den drei neuen beim BMI eingerichteten Behörden gilt unsere besondere Aufmerksamkeit als Berichterstatter. Zunächst möchte ich die Behörde des Sonderbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes nennen. Diese Behörde muß sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben erfüllen, die vor uns liegen. Die Erfüllung dieser Aufgaben soll dazu beitragen, daß schuldige Stasi-Täter bestraft werden und wir vor den Handlangern dieses unmenschlichen Apparates geschützt bleiben. Zugleich soll sie verhindern, daß die zu Tausenden von Ausspähung, Schikanen und Heimtücke dieses Apparates betroffenen Bürger in den neuen und alten Ländern weiterhin eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte befürchten müssen. Ich weiß von den riesigen Anfangsschwierigkeiten, welche der Sonderbeauftragte
Herr Gauck und seine Mitarbeiter zu bewältigen haben, von den etwa 200 km Aktenbänden in Berlin und weiteren 15 Standorten, die zum größten Teil erst noch mühsam geordnet werden müssen, während gleichzeitig wöchentlich Hunderte von Auskunftsersuchen eingehen.
Die Behörde - meine Damen und Herren, hören Sie jetzt gut zu - verfügt über 979 Planstellen bzw. Stellen, beschäftigt zur Zeit aber erst 485 Personen. Gewiß sind Aufbaustand und Wartezeiten für Auskünfte unbefriedigend, obgleich bereits verschiedentlich eine größere Anzahl von Hilfskräften zur Sortierung der riesigen Papierberge eingesetzt wurde. Ungeduld wäre hier jedoch falsch. Gerade diese Behörde muß überlegt aufgebaut und das Personal äußerst sorgfältig ausgesucht werden. Nach den Erfahrungen der letzten Wochen muß beim Sonderbeauftragten die Auswertungskomponente zu Lasten der Bürohilfsfunktionen und der Bewachungskomponente verstärkt werden, damit insbesondere Rückstände bei der Auswertung der Unterlagen abgebaut werden.
Wir Berichterstatter haben uns deshalb mit einer kurzfristigen Umstrukturierung des Stellenplans einverstanden erklärt. Ich gehe davon aus, daß uns darüber hinaus die Bundesregierung im Herbst dieses Jahres eine weitere modifizierte Stellenausstattung unter Berücksichtigung der anstehenden Gesetzgebung dieser Behörde vorschlägt. Darin sind wir uns, Kollege Purps und Frau Albowitz, durchaus einig.
Die unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR, deren Sekretariat mit 162 Planstellen bzw. Stellen ausgestattet wurde, hat der Präsidentin des Deutschen Bundestages soeben einen Zwischenbericht zugeleitet. Da die Kommission auf Grund der Tatsache, daß u. a. qualifiziertes Personal derzeit auf dem Arbeitsmarkt kaum zu gewinnen ist, in erheblichem Umfang auf externen Sachverstand, z. B. von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, zurückgreifen muß, werden wir im Herbst dieses Jahres eine Überprüfung des Stellenbestandes vornehmen.
({4})
Am 1. Januar dieses Jahres hat das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik, ausgestattet mit 213 Stellen, seine Arbeit aufgenommen. Aus der Arbeit im Rechnungsprüfungsausschuß stehen uns die Ausführungen des Bundesrechnungshofes zu Mängeln bei der Datensicherheit in der Bundesverwaltung besonders lebhaft vor Augen. Das neue Amt wird deshalb schnellstmöglich eine wirksame Beratungskapaziät für den öffentlichen und den privaten Bereich aufbauen müssen. Die Berichterstatter werden dies mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Auch in diesem Punkt herrscht unter uns dreien im Grunde genommen ein großer Konsens, daß das, was gewollt ist, letztendlich auch aufgebaut wird.
Aus dem früheren innerdeutschen Ministerium führt der BMI-Haushalt die Ansätze für die deutschlandpolitische Forschung und die deutschlandpolitische Bildungsarbeit mit einigen kleinen Abstrichen fort. Ein großer Abstrich ist bei der Förderung der Berlinfahrten gemacht worden. Darüber ist ja auch im Ausschuß sehr deutlich diskutiert worden. Von der
Richtigkeit dieser auf den ersten Blick nach Erreichen der deutschen Einheit paradoxen Veranschlagung bin ich jedoch fest überzeugt. Deutschlandpolitische Forschung besteht nicht mehr im Gewinnen von Erkenntnissen über ein mit Mauer und Stacheldraht abgeschottetes fremdes Land. Die Notwendigkeit deutschlandpolitischer Forschung besteht heute darin, 44 Jahre Ostzone und DDR unter möglichst vielen wissenschaftlichen Gesichtspunkten systematisch aufzuarbeiten.
Zum Beispiel wird an Hand der jetzt zugänglichen Quellen die Geschichte der Gleichschaltung der spa-ter sogenannten Blockparteien mit der SED zu schreiben sein, oder es wird die Leidensgeschichte der nach 1945 in Buchenwald, Bautzen und an anderen Orten willkürlich inhaftierten Menschen nachzuzeichnen sein.
({5})
Dazu können sicher die Mitarbeiter und Unterlagen des aufzulösenden Gesamtdeutschen Instituts beitragen.
Aus meiner Sicht sollte die Bundesregierung möglichst bald mit den neuen Ländern zur Gewährleistung einer systematischen Erforschung der ehemaligen DDR eine zweigleisige Lösung prüfen, z. B. in Anlehnung an das Institut für Zeitgeschichte in München, welches sich der Geschichte der NS-Zeit widmet, dazugehörig ein Archiv der Ostzone/DDR, in welches u. a. auch das Archiv der SED eingegliedert werden könnte. Über den Standort sollte man sich mit den neuen Ländern einigen.
Meine Damen und Herren, für den Betrieb von Deutscher Welle, Deutschlandfunk und Rias wendet der Bund 1991 rund 700 Millionen DM auf.
({6})
Mit der deutschen Einheit ist die seit langem als reformbedürftig erkannte Struktur der Bundesrundfunkanstalten noch dringender geworden. Mit Blick auf die Zeit will ich mich hier sehr kurz fassen. Ich hoffe, daß wir baldmöglichst zu Lösungen kommen. Ich sage Ihnen, Herr Bundesinnenminister, ich bin bereit, dabei zu helfen. Notfalls müßten wir das im Herbst bei den Haushaltsberatungen mit Druck versehen, damit es auf diesem Gebiet vorangeht.
({7})
- Ich möchte hier hinzufügen: Der Deutschlandfunk hat gerade in der historischen Zeit der Entwicklung Deutschlands einen hervorragenden Beitrag an Information und Berichterstattung geleistet. Herr Gerster ist Vorsitzender des Verwaltungsrates der Deutschen Welle, und ich bin Mitglied des Rundfunkrates des Deutschlandfunks. Ich sage dies, damit die Fronten hier klar sind.
({8})
Meine Damen und Herren, ich hätte gerne noch vieles zu der Politik der Zusammenführung, der Aussiedlerpolitik und zur Frage des kulturellen Erbes gesagt. Ich meine, wir sollten mit dieser Diskussion aufhören. Auf der einen Seite hat der Kollege Purps beklagt, daß wir viel zu wenig für die Kultur tun. Und wenn es um die Kultur der Vertriebenen geht, dann vertritt er einen kleinlichen Standpunkt. Kollege Purps, Sie sind so groß: Sie müßten das eigentlich mitschaffen können.
({9})
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion stimmt diesem Haushalt zu. Wir bringen damit gleichzeitig zum Ausdruck, daß dieser Bundesinnenminister unser vollstes Vertrauen genießt.
Ich danke Ihnen.
({10})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unsere Kollegin Frau Ina Albowitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Haushalt des Bundesministeriums des Innern sind viele Bereiche etatisiert, die ganz besonders von der veränderten Lage in Deutschland betroffen sind. Das Bemühen um die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland ist eine klassische Aufgabenstellung dieses Hauses.
({0})
Eine unentbehrliche Voraussetzung für dieses Zusammenwachsen ist das Funktionieren des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern. Die Regierungsparteien haben kürzlich die notwendigen Regelungen beschlossen, damit im Beitrittsgebiet der Aufbau einer rechtsstaatlichen, funktionsfähigen Verwaltung erfolgen kann und alle Bereiche die notwendige Unterstützung erhalten, um den enormen Anforderungen besser gerecht zu werden.
Daß es hier Anlaufschwierigkeiten gibt, ist angesichts des Erbes, das uns hinterlassen wurde, unvermeidbar. Die Übernahme von Bediensteten der öffentlichen Verwaltung gestaltet sich nicht so einfach, wie man sich das manchmal wünscht; denn Mitglieder der ehemaligen Staatssicherheit können nun einmal nicht bedenkenlos in den öffentlichen Dienst, in die öffentliche Verwaltung übernommen werden bzw. verbleiben.
({1})
- Auch das nicht, Herr Kollege.
Hier muß noch viel geistige Aufräumarbeit stattfinden, die zwar den Verwaltungsaufbau verlangsamt, andererseits aber unbedingt und dringend notwendig ist.
Zur Bewältigung der unsäglichen DDR-Vergangenheit ist auch die Arbeit der Behörde des Sonderbeauftragten für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit, Joachim Gauck, unerläßlich. Ich möchte hier noch einmal die Unterstützung der FDP für diese
Arbeit betonen, vor allem angesichts der zum Teil persönlichen Anfeindungen gegenüber dem Sonderbeauftragten.
({2})
Herr Kollege Deres, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, daß Sie in Ihrer Rede darauf besonders eingegangen sind. Mit dem Haushalt 1991 sind weitere personelle Verbesserungen für ein Funktionieren der Behörde geschaffen worden.
Ein herausragendes Beispiel für die notwendigen Änderungen im vereinten Deutschland ist der Bundesgrenzschutz. Bis zur Wende in der ehemaligen DDR wurde seine Existenz hauptsächlich mit der innerdeutschen Situation - die Probleme an der ehemaligen Grenze sind noch alle geläufig - begründet. Der Bundesgrenzschutz, der in diesen Tagen sein 40jähriges Bestehen feiert, wird jetzt umstrukturiert und erhält neue Aufgaben. Außerdem sind für die Ausdehnung des BGS auf die neuen Bundesländer neue Organisationsformen nötig.
Ab dem 1. Oktober dieses Jahres soll der Bundesgrenzschutz in den alten Bundesländern zusätzlich die Aufgaben der Bahnpolizei und die Aufgaben zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs übernehmen. In den neuen Ländern wurde das BGS-Tätigkeitsfeld bereits ab dem 3. Oktober 1990 auf diese neuen Bereiche ausgedehnt. Daß die Etablierung des BGS in den neuen Bundesländern auf Grund der Standort- und Personalprobleme nicht leicht sein würde, war jedem klar. Die Konzeption, die die Bundesregierung nun vorgelegt hat, bedarf noch der intensiven Beratung, Herr Innenminister.
Der BGS muß nach meiner Auffassung auf Grund der neuen Aufgabenstellung in seiner heutigen Größenordnung fortbestehen. Die Länder, meine Damen und Herren, haben vielfach Bedenken, daß der BGS zu stark als Polizei des Bundes ausgebaut und dadurch die Polizeihoheit der Länder angetastet werden könnte. Doch ich glaube, daß diese Gefahr nicht besteht, sondern daß der BGS ein wichtiger ergänzender und entlastender Faktor ist. Dabei denke ich vor allem an die Großeinsätze, z. B. bei den vieldiskutierten, auch in diesem Hause schon diskutierten Fußballkrawallen und an die anderen eben genannten Sonderauf gaben.
Bei einem Besuch der Grenzschutzkommandostellen in West und Ost konnte ich mich persönlich davon überzeugen, daß klare und vielversprechende Überlegungen angestellt werden, wie die Rolle des BGS im größer gewordenen Deutschland aussehen soll. Der abschließende Bericht einer Arbeitsgruppe des Innenministeriums über die Neuorganisation wird nach meinen Informationen Mitte dieses Jahres vorgelegt werden.
Nun zu einer weiteren Frage der inneren Sicherheit, meine Damen und Herren. Die Zustimmung zu einer deutlichen Verstärkung des Haushalts des Bundeskriminalamtes ist uns allen nicht leichtgefallen. Denn die Aufstockung der Personenschutzgruppe um 150 Personen, die Bereitstellung von 23 sondergeschützten Fahrzeugen und von 42 Aufklärungsfahrzeugen bedeuten - der Kollege ist eben darauf eingegangen - eine zusätzliche Ausgabe von 17,38 Millionen DM im
Haushalt 1991. Aber, meine Kollegen und Kolleginnen, die Zunahme von terroristischen Anschlägen in jüngster Zeit, der abscheuliche Mord an Treuhandchef Detlef Rohwedder, ließen uns bei der Bewilligung und der Erweiterung des Personenschutzkonzeptes keine andere Wahl. Welche Aufgaben wir dem BGS dabei übertragen, müssen wir noch einmal ausführlich diskutieren.
Nach der Bereitstellung der genannten Mittel erwarten wir aber von Ihnen, Herr Innenminister, daß es nun auch zu Fortschritten bei der Beratung des BKA- Gesetzes kommt. Nachdem man den Referentenentwurf schon überall lesen kann, wird es höchste Zeit, daß die Koalitionsrunde und das Parlament darüber beraten.
({3})
- Wir hätten es auch gern mal. Ich freue mich, daß Sie es auch so sehen, Herr Kollege.
An dieser Stelle eine kurze Bemerkung zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Alfred Einwag hat kürzlich seinen Jahresbericht vorgestellt. Trotz der einzelnen Beanstandungen konnte der Beauftragte der Bundesrepublik ein gutes Zeugnis in Sachen Datenschutz ausstellen. Dieses Fazit fiel nicht immer so aus. Zum einen ist dieser Fortschritt ein Verdienst der unermüdlichen Behörde. Zum anderen hat besonders die FDP immer wieder darauf gepocht, beim Datenschutz nicht nachlässig zu werden. Ich verspreche Ihnen, das wird auch in Zukunft so bleiben.
({4})
Eine besondere Herausforderung stellt sich bei der Zusammenführung des Sports in Deutschland. Die unterschiedlichen Systeme in beiden deutschen Staaten waren am Beispiel des Hochleistungssports besonders gut erkennbar. In der ehemaligen DDR wurde mit unangemessenem Aufwand in den Leistungssport investiert, während man den Breitensport vernachlässigte, um die Überlegenheit eines Systems zu dokumentieren, die, wie wir es heute besser wissen, nie bestand. Eine so geartete Sportförderung ist mit unserem freiheitlichen System unvereinbar.
Trotzdem gibt es auch in den neuen Bundesländern einige Einrichtungen und Trainingssysteme, die es wert sind, weiter durch den Bund gefördert zu werden. Bislang fehlt jedoch - ich fordere das nachdrücklich - ein schlüssiges und überzeugendes Konzept des Deutschen Sportbundes, das eindeutig aufzeigt, wie die gesamtdeutsche Sportzukunft in einem angemessenen finanziellen Rahmen aussehen soll.
({5})
- Ja, darauf komme ich noch.
Daß bis zur Olympiade 1992 die Sportförderung in Übergangsfristen lebt, damit auf den Umbruch nicht der abrupte leistungsmäßige Einbruch erfolgt, ist allgemeiner Konsens.
({6})
Doch es darf keiner darauf spekulieren, daß dies ein Dauerzustand ist und man in baldiger Zukunft von Kürzungen verschont bleibt. Die Selbstverwaltungsorgane des Sports - darauf pochen sie immer wieder - müssen eigene überzeugende Konzepte vorlegen und vor allem klarstellen, welche Maßnahmen der Sport selber ergreift. Zu hoffen, daß mit Mitteln der öffentlichen Gelder alles schon funktionieren wird, ist ein Trugschluß.
({7})
Erhebliche Defizite bezüglich eines klaren Zukunftsprogramms gibt es auch noch bei der Kulturförderung. In diesem Bereich dürfen die Länder nicht immer mehr finanzielle Lasten dem Bund aufbürden, auch wenn die jetzige Situation zunächst einmal dessen größeres Engagement erfordert. Dem haben wir auch mit 1,22 Milliarden DM an Kulturförderung nur für das Beitrittsgebiet in diesem Haushalt Rechnung getragen. Damit können bei vielen der Kulturgüter dringend notwendige Erhaltungsarbeiten durchgeführt werden.
Der Bund ist mit diesen Maßnahmen zur Erhaltung von Kunst und Kultur in den neuen Bundesländern an die Grenze dessen gegangen, was für ihn finanzierbar und was auch verfassungsrechtlich vertretbar ist.
({8})
Deshalb muß diese Unterstützung in den kommenden Haushaltsjahren wieder deutlich reduziert werden. Wie ich in den Zeitungen vom Wochenende lese, Herr Innenminister, haben Sie das auch schon angekündigt. Die Bundesländer sind hier auf Grund ihrer kulturellen Zuständigkeit gefordert.
Hervorheben, und zwar nicht nur dankbar, möchte ich in diesem Zusammenhang die Entscheidung der Länder, ihren Beitrag von 14,7 Millionen DM für die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" doch noch zu zahlen. Ich habe das gestern schon einmal in einem anderen Zusammenhang, in einem anderen Debattenbeitrag gesagt: Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß wir ständig vertragliche Vereinbarungen mit den Ländern machen, und wenn es dann ans Einlösen geht, die Länder sich einen schlanken Fuß machen wollen. Herr Innenminister, wenn Sie Hilfe brauchen, unterstützen wir Sie in Zukunft gerne, und sei es - der Kollege Deres hat das eben angekündigt - beim kommenden Haushalt.
Zudem muß gerade für den Bereich Kultur nach weiteren Finanzierungsmöglichkeiten gesucht werden. Interessant scheint mir der Vorschlag, zur finanziellen Unterstützung der Sanierung historischer Bausubstanz in den neuen Bundesländern Sonderbriefmarken mit Zuschlag aufzulegen. Ich glaube, die Bevölkerung ist durchaus bereit, entsprechende Aktionen zu unterstützen.
Besonderer Handlungsbedarf besteht auf dem Kultursektor vor allem bezüglich der Situation in Berlin. Das Nebeneinanderexistieren von mehreren ähnlichen Einrichtungen kann auf die Dauer in der Stadt so nicht fortgeführt werden. Das ist nicht finanzierbar. Natürlich muß die Auflösung oder Zusammenlegung von Einrichtungen die besonderen Umstände dieser jahrzehntelang geteilten Stadt sowie die Situation der
Menschen berücksichtigen. Trotzdem muß ich an dieser Stelle den Berliner Senat zum Handeln auffordern.
Die veränderte weltpolitische Situation hat auch auf andere Teilbereiche des Einzelplans 06 deutliche Auswirkungen. Der Haushaltsausschuß hat eindeutige Weichen gestellt, daß die Mittel für Vertriebenenverbände gekürzt werden. Wir dürfen unsere Augen nicht vor den geänderten Realitäten in Europa verschließen. Wir können nicht einerseits den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag unterzeichnen und andererseits gleichzeitig die Mittel für die Vertriebenenverbände sogar erhöhen, wie das einige Mitglieder des Hauses fordern. Dann wäre unsere Politik unglaubwürdig. Daß man in einem veränderten Europa nicht weiterhin so wie in den vergangenen 40 Jahren handeln kann, muß doch inzwischen deutlich geworden sein.
Ein anderer Bereich, in dem die Mittel erheblich verringert werden, ist die deutschlandpolitische Bildungs- und Kulturarbeit. Auch hier hat sich nach der Einheit etwas geändert. Es ist doch absurd, Berlinfahrten wie bisher zu bezuschussen. Auch die anderen Ausgaben, mit deren Hilfe man die Trennung der beiden Teile Deutschlands bewältigen helfen wollte - die Trennung, meine Damen und Herren! -, müssen zurückgefahren werden. Ab dem kommenden Jahr müssen dann folgerichtig alle Zuschüsse für politische Bildungsarbeit in einem Haushaltstitel zusammengefaßt werden. Damit wird die teilungsbedingte Differenzierung dieser Ausgaben endgültig beseitigt.
({9})
Wenn die SPD hierbei anderer Meinung ist, Herr Kollege Purps, dann muß sie sich fragen lassen, wenn man denn sparen will: Wenn nicht dort, wo denn dann?
Manchmal habe ich bei der Opposition allerdings den Eindruck: Sie tun allzu häufig so, als hätten wir eine direkte Pipeline zur Deutschen Bundesbank nach Frankfurt und müßten unseren Finanzbedarf dort nur abrufen. - Die Kollegin hat heute morgen davon ja nachdrücklich Gebrauch gemacht.
({10})
Als Folge der politischen Ereignisse muß sich auch im Rundfunkbereich einiges ändern. Nach der Einigung Deutschlands und den veränderten politischen Verhältnissen in den osteuropäischen Staaten ist der Programmauftrag von Deutschlandfunk und Rias Berlin überholt. Wir erwarten, daß die Bundesregierung zusammen mit den Ländern nun ein überzeugendes und den geänderten Verhältnissen angemessenes Konzept zur Rundfunkneuordnung vorstellt. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet. Sparsamkeit muß auch bei allen diesen anstehenden Entscheidungen oberstes Gebot sein. Ausgabenerweiterung im größer gewordenen Deutschland und die Errichtung des deutsch-französischen Kulturkanals dürfen nicht zu einer überhöhten Gebührenanhebung führen. Die
Gebührenanforderungen müssen streng betriebswirtschaftlich geprüft werden.
Einsparmöglichkeiten gibt es genug. Zum Beispiel sollte die Kooperation zwischen den Anstalten ausgedehnt werden. Das ist möglich, ohne daß dabei jemand seine Eigenständigkeit verliert. Die Zusammenarbeit zwischen Süddeutschem Rundfunk und Südwestfunk ist ein beispielhafter Schritt.
Zudem, meine Damen und Herren, muß bei jeder rundfunkpolitischen Entscheidung der Zukunft darauf geachtet werden, daß die Benachteiligung der privaten Sender nicht noch größer wird.
({11})
Deutlich wird diese unterschiedliche Behandlung auch am Einigungsvertrag, in dem in Artikel 36 nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk erwähnt wird, und das, obwohl in den neuen Bundesländern die Vorherrschaft der öffentlich-rechtlichen Sender ohnehin eklatant ist.
({12})
Meine Damen und Herren, ein eigenständiges Kapitel im Einzelplan des Bundesministeriums des Innern umfaßt die zivile Verteidigung. Die weitreichenden politischen Veränderungen innerhalb des Ostblocks und die Auflösung des Warschauer Pakts machen es notwendig, den Zivilschutz der geänderten sicherheitspolitischen Situation anzupassen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß auch in einer nicht mehr von Gegnerschaft geprägten Beziehung zu unseren östlichen Nachbarn eine vernünftige Sicherheitsvorsorge erhalten bleiben muß. In der Zeit des tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Wandels im Osten Europas sind immer wieder Konstellationen denkbar, die bedrohliche Situationen auslösen können. Trotzdem werden die Vorkehrungen gegenüber Gefahren aus technischen Unglücksfällen und Naturkatastrophen zukünftig deutlich mehr an Gewicht gewinnen.
Diese Veränderungen im Zivilschutzkonzept werden auch beim Aufbau des Technischen Hilfswerks in den neuen Bundesländern berücksichtigt. Über die Notwendigkeit einer Ausweitung des THW in die neuen Bundesländer bestand Einigkeit, auch mit den Bundesländern. Nur NRW-Innenminister Herbert Schnoor nahm eine Außenseiterposition ein. - Herr Kollege, ich brauche das nicht zu wiederholen; wir hatten das schon.
({13})
- Ja, da gebe ich Ihnen ausnahmsweise recht. Das ist wirklich so, Herr Gerster.
Im Zusammenhang mit einer Änderung der Strukturen im Zivilschutz ist auch der Arbeitsauftrag der Schutzkommission deutlicher zu definieren. Diese muß die Beratung der Bundesregierung bei der Feststellung des Forschungsbedarfs auf dem Zivilschutzsektor auch daran orientieren, daß keine Doppelforschung betrieben wird. Zudem dürfen nach unserer Auffassung keine Zivilschutzforschungsprojekte mit Hilfe von Tierversuchen erfolgen.
Meine Damen und Herren, wir haben zur Zeit eine Menge Probleme zu lösen, und wir lösen sie - davon bin ich fest überzeugt -, wenn auch manches nicht einfach ist. Aber es steht auch nirgends geschrieben, daß es einfach sein soll.
({14})
({15})
Die FDP-Fraktion unterstützt den Innenminister, seine Beamten im Hause und in den Außenstellen bei der Arbeit im vereinigten Deutschland. Wir wünschen ihm viel Erfolg und den Mitarbeitern ein gutes Standing.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Jelpke.
Meine Damen und Herren! In Ost und West bekommen die Bürgerinnen und Bürger jetzt die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen präsentiert. Für viele Menschen war der Prozeß der Einigung - vor allem zu Beginn - allerdings mit der Hoffnung auf eine friedlichere, demokratischere und solidarischere Entwicklung im Innern und nach außen verbunden. Für sie waren die Gründe für militärische Rüstung und hochgerüstete Sicherheitsapparate im Innern endgültig beseitigt. Die Kosten hierfür könnten für soziale Zwecke wie Bildung, Ausbildung und Wohlstand für alle verwandt werden.
Wollte die Regierung die Hoffnung dieser Menschen erfüllen, müßten Ausgabensenkungen gigantischen Ausmaßes festgestellt werden. Doch im Bereich der inneren Sicherheit, der Geheimdienste, des BKA, des BGS, des Zivilschutzes, der Bereitschaftspolizei usw. ist leider nur das Gegenteil der Fall. Polizeiführer, Verfassungsschützer und deren Datenexperten waren die ersten, die die ehemalige DDR eroberten
({0})
und mit ihrem Netzwerk der sogenannten inneren Sicherheit überzogen. Dieses Netzwerk wird jetzt auch immer engmaschiger.
Hier nur einige Kostproben aus dem Haushalt: Es sind Ausgaben für das Bundesamt für Verfassungsschutz in Höhe von über 210 Millionen DM vorgesehen. Über 56 Millionen DM sind für das neugeschaffene nachrichtendienstlich ausgerichtete Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik veranschlagt worden. Fast 8 Millionen DM mehr sind für Beschaffungsmaßnahmen im Bereich der Bereitschaftspolizeien vorgesehen. Ich verweise ferner auf eine Steigerung um glatte 400 Millionen DM beim Bundesgrenzschutz und auf eine fast bescheidene Erhöhung um 60 Millionen DM beim BKA.
Kurzfristig drohten - vor allem im Jahre 1990 - die Waffen, die geschmiedet wurden, um den Kalten Krieg zu bestehen, also vor allen Dingen BGS, VS, Bereitschaftspolizei und BND, ihren angeblichen Existenzgrund zu verlieren. Die Existenzangst ging um.
Verfassungsschützer und BGS-Führer suchten überall neue Arbeitsfelder.
({1})
- Ja, ist es denn etwa nicht so? - Auch hierfür liefert der Haushalt deutliche Beweise: Der Bundesgrenzschutz wird zu einer umfassenden Bundespolizei ausgebaut, ein weiterer Schlag gegen föderalistische Strukturen. Die Bahnpolizei und die Flugsicherung werden übernommen. Das Grenzschutzkommando Ost ist ausgebaut worden.
Auch östliche Spionagetätigkeit muß weiter und intensiver verfolgt werden. In einem Memorandum des Verfassungsschutz-Präsidenten heißt es - ich zitiere - : „Durch die Verselbständigung der bisherigen Satellitenstaaten verliert die Sowjetunion ihr Vorfeld. Daher wird das Aufklärungsbedürfnis steigen". Das heißt, jetzt organisieren die parlamentarisch verfaßten ehemaligen Vorfeldstaaten ihre eigene Spionage gegen die BRD, und da muß der Verfassungsschutz natürlich auch mehr als bisher ran.
Neue Polizeien müssen nach Meinung des BMI geschult und ausgerüstet werden, neue Grenzen müssen geschützt und gesichert werden. Ein kleiner Posten dazu ist der Zuschuß für das Büro für die zentrale Unterstützungseinheit des Schengener Informationssystems in Straßburg aus dem Haushalt des BKA.
Erheblich teurer dürfte das Datennetz sein, das Polizei, Verfassungsschutz, Sozialämter und Arbeitsämter zur Kontrolle und Aussortierung der Ausländerinnen und Ausländer unterhalten. Ausländerinnen und Ausländer sind ebenfalls Ziel des Verfassungsschutzes und der geforderten effizienteren Personalaufstokkung. Auch der BGS wird verstärkt auf dieses Einsatzgebiet angesetzt.
All das sind nur Momentaufnahmen. Die Planungen reichen weiter. Mit Hilfe des neuen Ausländergesetzes und des Bundeszentralregistergesetzes will die Polizei systematisch bundesweite Lagebilder über die in der BRD lebenden Ausländerinnen und Ausländer erstellen. Man will also die totale Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern; das gilt insbesondere für die als Risikogruppe eingeordneten Jugendlichen.
({2})
- Das können Sie nachlesen.
In dieses Bild gehören die bisher schon in großem Stil vorgenommenen Abschiebungen von Flüchtlingen. „Amnesty international" schätzt, daß ab 30. Juni 1991 mehr als 120 000 Ausländer und Ausländerinnen unmittelbar vor der Abschiebung stehen. Eine effektivere Variante der Parole „Ausländer raus! ".
Vertretern dieser Politik ist es kaum abzunehmen, wenn sie den Aufbau des Sicherheitsapparats in der ehemaligen DDR mit alltäglich gewordenen rassistischen und faschistischen Anschlägen gegen Ausländer und Ausländerinnen begründen.
({3})
- Das alles können Sie im Haushalt nachlesen, Herr Kollege. - Wenn Bundesminister Schäuble den verstärkten Einsatz verdeckter Ermittler gegen die organisierte Kriminalität fordert und wenn er durchsetzen will, daß die Polizisten auch milieubedingte Straftaten begehen dürfen, dann muß man feststellen, daß hier der Rechtsstaat ausgehebelt wird.
({4})
Hier wird gezielt der Geheimbereich der Polizei ausgebaut, der öffentlichen Kontrolle entzogen.
({5})
Wir schließen daraus, daß auf diese Weise die sozialen und politischen Folgen der Annexion auf polizeistaatliche Art und Weise bewältigt werden sollen.
Daß dabei davon ausgegangen wird, daß der Schwerpunkt der Probleme zunächst in den fünf neuen Ländern liegen wird, macht neben Bedrohungsanalysen auch das Beispiel BGS und BGS-Ost deutlich. Kommt im Westen ein BGS-Beamter auf ca. 2 730 Bürgerinnen und Bürger, so dürfen sich im Osten schon 2 050 Bürgerinnen und Bürger dieser Betreuung erfreuen.
({6})
- Das können Sie im „CILIP" nachlesen.
Kosmetische Korrekturen an diesem Haushalt helfen nicht. Die Finanzierung dieser undemokratischen Politik der inneren Sicherheit muß radikal eingeschränkt werden.
({7})
In einem Bereich werden doch allen Ernstes für den Haushaltstitel „Förderung der historischen Landeskunde in Mitteldeutschland" - interessant wäre einmal zu erfahren, was die Bundesregierung unter „Mitteldeutschland" versteht - „sowie politischer und kultureller Arbeit von Flüchtlingen und Vertriebenen" 5 Millionen DM ausgegeben. Auch der Bund der Vertriebenen, der die bestehenden Grenzen in Europa nicht anerkennen will und damit gegen die friedliche Koexistenz arbeitet, wird nicht nur mit Geld bedacht, sondern kann auch, wie wir gerade erleben, auf die bundesdeutsche Außenpolitik Einfluß nehmen.
Meine Damen und Herren, dem allen gegenüber stehen Organisationen und Institutionen, die sich für eine Demokratisierung der Gesellschaft einsetzen, die gegen die Ausschnüffelung der Bürgerinnen und Bürger durch die Geheimdienste keinerlei finanzielle Unterstützung erfahren;
({8})
ebenfalls nicht antifaschistische Organisationen und
Gruppierungen, die sich gegen die gnadenlose AbUlla Jelpke
schiebungspolitik zur Wehr setzen. Sie sind eher der Anlaß dafür, daß die entsprechenden Positionen im Bundeshaushalt steigen.
Wir lehnen den Haushalt für den Bereich Innenpolitik ab.
Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Köppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem zur Debatte stehenden Bereich Innenpolitik sollen die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um rund ein Drittel, im Bereich der zivilen Verteidigung um mehr als 10 % ansteigen. Wir haben den Eindruck, daß die in weiten Teilen dieser Einzelpläne vorgesehenen Ausgaben oder Ausgabensteigerungen nicht unmittelbar den Menschen zugute kommen werden, sondern an den Bedürfnissen der Menschen, insbesondere an denen der Menschen in Ostdeutschland, vorbeigehen oder sich gar direkt gegen diese Bedürfnisse richten.
({0})
Hier findet die herrschende Neigung ihren finanziellen Ausdruck, den Bürgern und Bürgerinnen in der ehemaligen DDR westdeutsche Einrichtungen und Strukturen überzustülpen, ohne einmal innezuhalten und die Eignung dieser Einrichtungen und Strukturen angemessen zu überprüfen, ohne anläßlich der Vereinigung mögliche Anpassungen und Veränderungen auch in Westdeutschland zu erwägen. Als Beispiele für diese Tendenz nenne ich hier nur den gesamten Bereich der zivilen Verteidigung und insbesondere das Technische Hilfswerk. Ich werde darauf noch zurückkommen.
Ich bedauere sehr, daß der dabei zum Ausdruck kommenden Trägheit, ja vielleicht auch der ein wenig zum Ausdruck kommenden westdeutschen Selbstbestätigung nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Mehrheit in diesem Hause zu erliegen droht.
Meine Kritik, dieser Haushalt berücksichtige zuwenig die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen, ergibt sich auch aus der Struktur und der Gewichtung der verschiedenen Ausgabenzwecke, also aus einem Vergleich mit Ansätzen in anderen Einzelplänen. Dabei gewinne ich z. B. den Eindruck, den Bürgerinnen und Bürgern wird die erhoffte soziale Sicherheit in dem benötigten Umfang vorenthalten und dafür die sogenannte innere Sicherheit im Übermaß versprochen.
Diese Verheißung kann jedoch nicht beruhigend, sondern wohl nur bedrohlich auf Menschen in Ostdeutschland wirken, die gestern, heute oder morgen aus der Kurzarbeit Null in die offene Arbeitslosigkeit
gerieten bzw. geraten, die steigende Mieten und Lebenshaltungskosten nicht mehr bezahlen können und die eine solche tiefgreifende Veränderung ihrer Lebensumstände möglicherweise nicht einfach über sich ergehen lassen wollen.
Ohne soziale Gerechtigkeit kann es auch keinen inneren Frieden einer Gesellschaft geben. Die genannte Schieflage zwischen den fraglichen Ausgabenbereichen habe ich bereits in der ersten Lesung dieses Haushalts festgestellt und um Erläuterungen und Änderungen in weiteren Beratungen gebeten. Vor etwa zwölf Wochen fragte ich an dieser Stelle u. a.: Ist es richtig, daß im Einzelplan 06 die Mehransätze für innere Sicherheit mit am höchsten sind und daß für den Bundesgrenzschutz das meiste Geld aufgewendet werden soll - einer der höchsten Steigerungsraten mit 30 % -, daß für Polizei und BGS mehr ausgegeben werden soll als für die gesamte Jugendhilfe, daß die Bereitschaftspolizei der Länder doppelt soviel Geld erhält wie Drogenmodellprogramme,
({1})
daß der Bund für die Nachrichtendienste und das BKA mehr Geld ausgibt, als für den ganzen Bereich der Berufsausbildung, Berufsfortbildung und Umschulung ausgegeben wird?
Alle diese Fragen müssen leider mit Ja beantwortet werden. Dies ist von Bund und Parlament offenbar ernstlich gewollt.
({2})
Doch wir wollen Ihnen sagen: Wer den Menschen insbesondere in Ostdeutschland heute die Hilfe zur Selbsthilfe in dem benötigten Umfang verweigert, wer insoweit tatenlos dem erwarteten heißen Herbst entgegensieht, also der anstehenden Ausweitung berechtigter sozialer Proteste, oder wer sich im fernen Bonn damit beruhigt, wir hätten für diese Zeiten ja genug Polizei, wir hätten genug Geld für Panzerwagen, Schlagstöcke und Tränengas bereitgestellt - solche Politiker nenne ich unmenschlich und skrupellos.
Dieses Denken hat z. B. vor einigen Wochen der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Lutz auf den Punkt gebracht: Mehr Personal und technische Ausstattung für die Polizei im Osten seien eine Grundvoraussetzung für die Bereitschaft von Investoren, in der ehemaligen DDR langfristig Kapitel zu binden.
Beispielhaft für diesen Bereich haben wir mit dem Ihnen vorliegenden Änderungsantrag gefordert, die Bundeszuwendungen für den Aufbau zusätzlicher Bereitschaftspolizeien in den neuen Ländern zu streichen. Dies ist nicht nur ein politisches Problem unter den bereits skizzierten Gesichtspunkten. Dies ist auch ein haushalts- und finanzverfassungsrechtliches Problem; denn die Bereitschaftspolizei ist ja einschließlich der Finanzierung Ländersache.
Eine Mitfinanzierung durch den Bund könnte nur im Hinblick auf begrenzte Bundeskompetenzen für Polizeimaßnahmen - etwa im Spannungs- und Verteidigungsfall - gerechtfertigt werden. Genau diese
Fälle werden immer unwahrscheinlicher, und schon die bundeseigene Polizei BGS stünde dafür mehr als früher zur Verfügung. Daher hat der Bund rechtlich keinen Spielraum, nun Tausende zusätzlicher Bereitschaftspolizisten im Osten mitzufinanzieren.
Entsprechende Einwände liegen unseren Änderungsanträgen zum Einzelplan 36 - zivile Verteidigung - zugrunde. Deshalb stelle ich sie in einem Exkurs an dieser Stelle vor.
Die Bedeutung der zivilen Verteidigung für einen Krieg in Mitteleuropa nimmt immer mehr ab, damit auch die Rechtfertigung für die hohen Aufwendungen des Bundes in diesem seinem Zuständigkeitsbereich, die aller Entwicklung zum Trotz nun noch einmal um über 10 % ansteigen sollen.
Demgegenüber nimmt die Bedeutung des allein von den Ländern verantworteten Katastrophenschutzes für Friedenszeiten immer mehr zu. Von Verfassung wegen darf der Bund sich in diesem Bereich aber nicht finanziell engagieren, wie er dies seit Jahren jedoch verstärkt tut. Hier fehlt nach wie vor ein von Bund und Ländern getragenes Konzept für beide Bereiche, das der genannten Entwicklung endlich Rechnung trägt und unzeitgemäße Zivilverteidigungsvorkehrungen zurückschraubt zugunsten nutzbringender Zwecke. Ein Beispiel: Wohnungs- statt Bunkerbau.
Frau Abgeordnete, sind Sie geneigt, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster zu beantworten? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Frau Kollegin, ist Ihnen entgangen, daß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates in der letzten Wahlperiode ein Gesetz über den erweiterten Katastrophenschutz und ein THW-Helferrechtsgesetz beschlossen hat, das exakt das vorsieht, was Sie hier bestreiten, nämlich daß z. B. auch das Technische Hilfswerk im erweiterten Katastrophenschutz gesetzliche Aufgaben hat? Ist Ihnen weiterhin entgangen, daß im Auftrag der Bundesregierung z. B. dieses Technische Hilfswerk in der Sowjetunion, jetzt in Kurdistan, in Afrika und in vielen anderen Bereichen humanitäre Aufgaben wahrnimmt? Ist Ihnen das wirklich entgangen?
Es ist mir nicht entgangen, Herr Kollege. Aber zu dem Bereich, zu dem ich mich eben geäußert habe, liegen Stellungnahmen aus den Ländern vor, die sich deutlich gegen diese Sache ausgesprochen haben.
({0})
Solange hier keine Linie erkennbar ist - so sagte ich bereits - , dürfen die alten Strukturen nicht pauschal übernommen werden.
Außerdem gibt es - das ist uns bekannt - seit vielen Jahren auch dringende Mahnungen von seiten des Bundesrechnungshofs, was dieses Gebiet angeht.
({1})
Im übrigen haben wir - das wollte ich noch zu dem sagen, was Herr Kollege Purps vorhin sagte - auch in diesem konkreten Fall keinen Antrag abgeschrieben. Wir haben es auch nicht nötig, Anträge von der SPD abzuschreiben; wir können uns schon unsere eigenen Gedanken machen.
Ich beziehe mich jetzt auf den Antrag zum Technischen Hilfswerk. Wenn man der Auffassung ist, daß das Technische Hilfswerk im Osten nicht aufgebaut werden soll, dann muß man auf die Zahlen in unserem Antrag kommen. Daher haben wir diese Zahlen genannt.
({2})
Unseren Änderungsanträgen liegt also außer dem Bundesrechnungshofsvotum die Aufforderung zugrunde, sich der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erinnern, politische Veränderungen zu überprüfen und über das träge Motto „Das haben wir schon immer so gemacht, und das sollen die Ossis jetzt auch einmal so machen" hinauszukommen.
Ich kehre nach dem Exkurs über die Zivile Verteidigung zu meinem Eingangsthema Ausbau der inneren statt der sozialen Sicherheit zurück. Denn das zuletzt genannte Motto scheint mir auch der Tätigkeit der Nachrichtendienste und deren Ausdehnung nach Ostdeutschland zugrunde zu liegen. Überzeugende Gründe dafür, die Menschen dort gegen all ihre Erfahrungen mit dem MfS nun wieder und sehr schnell mit Geheimdiensten zu beglücken, habe ich trotz aller Bemühungen immer noch nicht vernehmen können.
Der Verfassungsschutz nennt ja neuerdings gern den Einsatz gegen Rechtsextremisten und Stasi-Seilschaften als seine Anliegen, weil diese beiden Bereiche den Menschen viel Sorge bereiten. Doch bei einem Blick auf die bisherige Verfassungsschutzpraxis im Westen überzeugt das nicht. Traditionell war der Verfassungsschutz seit seines Bestehens Staats- und damit Regierungsschutz, vor allem gegen links. Rechtsextreme Gruppen dagegen wurden durch den Verfassungsschützer bei schweren Straftaten beobachtet, toleriert oder durch V-Leute sogar allzuoft tatkräftig unterstützt.
Nicht auf diese Weise und durch einen geheim arbeitenden Nachrichtendienst kann Rechtsextremismus, Hooligans, Ausländerfeindlichkeit begegnet und können Stasi-Machenschaften aufgedeckt werden, sondern nur durch die Information der Bevölkerung und die Förderung einer offenen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Problem.
Das Gegenteil aber geschieht. Damit komme ich unmittelbar auf den Haushalt 1991 zurück. Die Beratung der Haushaltsansätze über die Finanzausstattung der Nachrichtendienste findet in einem geheimen Kreis von fünf Kollegen statt und ist für mich
nicht nachprüfbar, geschweige denn für die Öffentlichkeit transparent.
({3})
- Ich bin nicht in dem Gremium, das über den Haushalt der Nachrichtendienste berät.
({4})
Ihm gehören nur fünf Mitglieder an. Die Öffentlichkeit erfährt davon nichts.
Vorgestern habe ich beim Bundesamt für Verfassungsschutz von Herrn Werthebach auf konkrete Nachfragen ebenfalls kaum Auskünfte erhalten. Daß die Mieten für konspirative Wohnungen in München höher sind als anderswo, das konnte ich mir auch schon vorher denken.
Eng mit dem nachrichtendienstlichen Bereich hängt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zusammen. Die Personalstellen und Mitarbeiter stammen ganz überwiegend aus den Diensten. Sie sitzen sogar zum Teil weiterhin an ihren alten Schreibtischen außerhalb und beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit alten Themen - am Bedarf vorbei, monierte der Bundesrechnungshof mehrfach. Er stieß dabei allerdings bislang bei der Mehrheit in diesem Hause auf taube Ohren. Entsprechend seinen Vorschlägen beantragen wir daher auch die Änderung der Ansätze für das BSI.
Wie steht es mit den Personalaufwendungen und der Übernahme von Stasi-Mitarbeitern im Geschäftsbereich des BMI? Insgesamt seien dort nur 177 ehemalige Mitarbeiter übernommen worden, teilte mir das BMI vor drei Wochen mit. Ich muß das sehr bezweifeln, wenn ich an Hand von Presseberichten und sonstigen mir vorliegenden Informationen einmal nachzurechnen versuche. Allein 163 hauptamtliche MfS-Leute sind beim Bundesverwaltungsamt beschäftigt, schrieb vorgestern „Der Morgen", 1049 weitere ehemalige Grenzabschnittsbevollmächtigte und Paßkontrolleinheiten sind bereits in den BGS übernommen worden.
Beim Sonderbeauftragten Gauck sind MfS-Mitarbeiter tätig, und demnächst sollen 45 als Personenschützer vom BKA übernommen werden. Daher muß die Bundesregierung endlich Öffentlichkeit und Parlament rückhaltlos über die tatsächliche Zahl übernommener ehemaliger MfS-Mitarbeiter und ihre künftigen dienstlichen Aufgaben aufklären, statt immer nur auf Presserecherchen hin Stück für Stück im nachhinein einzuräumen.
Diese Politik macht nochmals sehr deutlich, daß über die weiteren beruflichen Verwendungsmöglichkeiten von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern immer noch keine Verständigung zwischen Regierung und Parlamenten herbeigeführt wurde, geschweige denn ein gesellschaftlicher Konsens besteht. Die Diskussion darüber, welche Bereiche und Funktionen im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft für diesen Personenkreis künftig tabu sein sollten und wo diese Personen beruflich tätig sein sollten und ihr Auskommen finden könnten, muß endlich breit und transparent geführt werden. Hierzu gehört auch, Kriterien und Verfahrensweisen bei derartigen Sicherheitsüberprüfungen, bei Kündigungen und Weiterbeschäftigungen über die Vorgaben des Einigungsvertrags hinaus zu präzisieren und offenzulegen. Dies haben wir bereits vor geraumer Zeit beantragt, und dies wird immer dringlicher.
Es geht nicht an, daß die einen durch allzu laxe Überprüfung quasi weißgewaschen werden - bisweilen etwa im Polizeibereich, wo das Personal dringend gebraucht wird - und andere mit Hilfe dubioser Fragebögen ohne Rücksicht auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte zu politischen Selbstbezichtigungen gezwungen werden. Hier muß ein angemessener Ausgleich zwischen den konkurrierenden Anliegen und insbesondere eine Annäherung und Transparenz der unterschiedlichen Prüfungsverfahren und -ergebnisse erreicht werden, welche auch von der Bevölkerung im Osten akzeptiert werden können.
In diesem Zusammenhang ist eine beschleunigte Gewinnung von Personal für die Gauck-Dienststelle erforderlich, um die Auswertung und Aufarbeitung der MfS-Akten zu beschleunigen; denn diese sind, wie bekannt, in der Berliner Zentrale bisher nur zu 30 % und in den Außenstellen zu 20 % ausgewertet worden. Die Beschleunigung der Aktenauswertung soll meiner Meinung nach die Voraussetzungen schaffen, erstens den Betroffenen Auskünfte und Einsicht zu Rehabilitierungszwecken gewähren zu können, zweitens für die Feststellung und öffentliche Dokumentation von nicht personenbezogenen Strukturinformationen über die Stasi zu Forschungs- und Aufarbeitungszwecken, drittens für Personalüberprüfungen einschließlich der Parlamentsabgeordneten und viertens für Zwecke der Strafverfolgung. Sie bemerken es, die Nachrichtendienste erwähne ich in dieser Aufzählung ausdrücklich nicht.
Dies leitet zur Haushaltsausstattung von Strafverfolgungsbehörden über, im Einzelplan 06 primär des BKA. Ich befürchte, daß auch die hier vorgenommenen Steigerungen keine positive Auswirkung auf einen Bereich haben werden, der uns besonders am Herzen liegt: auf die Ahndung der sogenannten Regierungskriminalität, also die Strafverfolgung der Führungsspitze in der ehemaligen DDR.
Ich fordere die Bundesregierung nachdrücklich auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeit alles ihr Mögliche zu tun, die ermittelnde Berliner Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit Fachkräften des BKA z. B. für Wirtschaftsdelikte zu unterstützen und alle der Bundesregierung vorliegenden Erkenntnisse - z. B. von Überläufern, aber nicht zuletzt auch von Herrn Schalck-Golodkowski - rückhaltslos zur Verfügung zu stellen, soweit dies für die Strafverfolgung dienlich sein kann.
Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE dem Entwurf der Einzelpläne 06 und 36 nicht zustimmen wird.
({5})
Das Wort hat der Bundesinnenminister Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Köppe, es gibt ja viele in diesem Haus - ich zähle mich dazu - , die sich Mühe geben, mit Ihnen eine sachliche Diskussion zu führen, auch bei allen unterschiedlichen Standpunkten. Aber mit Reden wie dieser machen Sie es wirklich schwer.
({0})
Ich würde Ihnen sogar - wenn ich Ihnen einen Rat geben sollte - raten, darauf zu achten, daß Sie sich noch erkennbar von Ihrer Vorrednerin unterscheiden;
({1})
denn Sie tun auch dem keine Ehre an, wofür das Bündnis 90 in der ehemaligen DDR angetreten war.
({2})
Es mutet einem schon absurd an, wenn Sie sich ausgerechnet im Hinblick auf den Bereich der Sicherstellung von Rechtsstaat und Freiheit - das ist nämlich das, dem der Einzelplan 06 in bezug auf innere Sicherheit und inneren Frieden insbesondere dient - darüber beklagen, daß wir, wie Sie gesagt haben, Strukturen aus der alten Bundesrepublik einfach den neuen Ländern übergestülpt haben. Wissen Sie, gerade im Hinblick auf die Sicherstellung von Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit gibt es aus der Zeit der totalitären DDR relativ wenig in das vereinte Deutschland zu übernehmen.
({3})
Wenn Sie den Einzelplan wirklich sorgfältig studiert und auch ein Stück weit sachgerecht gewürdigt hätten, hätten Sie vielleicht im Bereich der Kulturförderung Ansätze gefunden - und zwar mit ganz anderen Steigerungsraten als in allen anderen Bereichen -,
({4})
mit denen wir uns - da bin ich ungeheuer dankbar für die Unterstützung, die wir für diese Arbeit in diesem Hohen Hause erfahren - gerade dafür einsetzen, daß der kulturelle Reichtum der fünf Länder von Mecklenburg bis Sachsen-Anhalt und von Thüringen bis Brandenburg auch in diesem Prozeß, in dieser schnellen Entwicklung zur deutschen Einheit erhalten wird. Dort geht es um Erhaltenswertes; dort haben wir die höchsten Steigerungsraten.
({5})
Aber im Bereich der Gewährleistung von Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat - übrigens auch in dem, was
ein Staat, Regierungen und Parlamente tun können, um inneren Frieden, friedliches Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten, soweit der Staat das überhaupt kann; das kann er alleine ja nicht - können wir wenig aus der Zeit der totalitären DDR übernehmen.
({6})
- Ihre Vorrednerin von der SED-PDS hat von der totalen Überwachung von Ausländern in den fünf neuen Ländern gesprochen. Ich habe mich wirklich gefragt
- sie ist schon gegangen; das schadet auch weiter nichts - :
({7}) Wo kommt sie denn eigentlich her?
({8})
Mit zu dem wirklich bitteren Erbe, das uns die DDR hinterlassen hat, mit dem wir uns herumschlagen müssen und weswegen es u. a. so wichtig ist, daß wir schnell eine leistungsfähige Polizei und auch einen leistungsfähigen Verfassungsschutz in den fünf neuen Ländern aufbauen, gehört die Gefahr, daß nach 40 Jahren totalitärer Herrschaft in der DDR die Menschen noch nicht gelernt haben, mit Ausländern zusammenzuleben,
({9})
und daß es Bösewichte, Rechtsradikale insbesondere, gibt, die mit dem Schüren von Ausländerhaß ihre Suppe kochen wollen.
({10})
Und jetzt müssen wir uns das von der SED-PDS vorhalten lassen.
Deswegen brauchen wir in den neuen Ländern
- das ist ein entscheidender Grund, warum wir uns so engagieren - den raschen Aufbau eines leistungsfähigen Verfassungsschutzes. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes - darüber haben wir in den vergangenen Jahren oft miteinander gesprochen -haben sich, Gott sei Dank, durch eine glückliche Entwicklung in den Ost-West-Beziehungen ein Stück weit verändert. Aber der Verfassungsschutz ist - das sehen wir in den neuen Ländern und in dem, was sich dort an Gewalttätigkeiten in der rechtsextremen Szene und an Ausländerfeindlichkeit zeigt - nicht entbehrlich geworden, sondern er bleibt notwendig.
Deswegen ist es auch nicht richtig, Frau Kollegin Köppe - Sie sollten wirklich noch einmal überlegen, ob Sie es nicht in Zukunft lassen -, den Verfassungsschutz, der die freiheitliche, rechtsstaatliche Grundordnung dieser Bundesrepublik Deutschland zu schützen hat, in irgendeiner Weise subkutan mit dem gleichzusetzen, was in der früheren DDR die Staatssicherheit getan hat, die nämlich die Freiheit der Menschen unterdrückt hat. Sie tun wirklich unrecht.
({11})
Herr Minister, sind Sie gewillt, eine Frage zu beantworten?
Bitte sehr.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Stimmen Sie mir zu, daß sowohl der Staatssicherheitsdienst als auch der Verfassungsschutz konspirativ arbeitende Gremien waren bzw. sind, daß beide mit inoffiziellen Mitarbeitern bzw. V-Leuten arbeiten,
({0})
daß beide konspirative Wohnungen hielten bzw. halten, daß beide mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten, daß beide konspirativ Leute überwachen
({1})
und daß - dürfte ich aussprechen? - mit jeder Art von konspirativer Überwachung und Beschnüffelung Menschenrechte verletzt werden?
Vielleicht darf ich ergänzend noch bemerken: Ich meine, daß es einer Demokratie besser anstehen würde, sich mit den Problemen, die Sie nannten und die durchaus vorhanden sind, besonders im Osten Deutschlands - Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit -, öffentlich auseinanderzusetzen und eine öffentliche Diskussion zu führen, als diese Probleme überwiegend dem Verfassungsschutz zu überlassen
({2})
oder ihn gerade dafür zu fordern.
({3})
Eine weitere Frage: Welche Erfolge hat der Verfassungsschutz -
Frau Abgeordnete, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Geschäftsordnung nicht mißbrauchten.
Frau Kollegin Köppe, Sie haben jetzt noch einmal das vorgeführt, um dessen Unterlassung ich Sie eben gebeten hatte.
Wissen Sie, auch Herr Honecker hat Unterschriften geleistet. Insofern können Sie sagen, der hat dasselbe getan wie ein Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland. Das könnten Sie dann auch vergleichen.
Es kommt doch nicht darauf an, welches die Methoden sind,
({0})
sondern darauf, auf Grund welcher rechtlichen Grundlagen und zu welchen Zwecken Polizeibehörden oder auch Verfassungsschutzbehörden tätig werden.
Übrigens: Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland verletzt keine Menschenrechte.
Ihre gegenteilige Behauptung weise ich mit Entschiedenheit zurück.
({1})
Sie sagen: Die arbeiten mit nachrichtendienstlichen Methoden und mit informellen Mitarbeitern. Dazu sage ich: Das müssen sie natürlich auch tun. Damit setzen Sie gleich, was einander diametral entgegengesetzt ist. Damit verwischen Sie, was nicht zusammengemengt werden darf.
Sie tun damit im übrigen den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes von Bund und Ländern unrecht. Sie reden falsches Zeugnis. Deswegen meine ich: Sie sollten sich so nicht äußern.
Gerade ein freiheitlicher Rechtsstaat muß sich und seine Bürger auch gegen diejenigen schützen, die die Freiheit mißbrauchen wollen und die die innere Sicherheit untergraben wollen.
({2})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann? - Bitte, Herr Abgeordneter Neffermann.
Herr Innenminister, könnte es sein, daß Fragen dieser Art und Auseinandersetzungen dieser Art, so, wie sie im Moment von Ihnen notwendigerweise geführt werden, deswegen permanent in Deutschland wiederkehren, weil zum Ziel der politischen Auseinandersetzung in der Zwischenzeit ganz gezielt in der früheren DDR das Wirken der Einrichtungen des Stasi gemacht worden ist, während dabei ganz gezielt unterschlagen worden ist, daß dies die Einrichtung einer politischen Führung war, die Stasi also Hilfsmittel einer politischen Führung gewesen ist und in der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland die eigentlich Verantwortlichen für die Tätigkeit des Stasi öffentlich kaum noch genannt werden?
Ich glaube, Herr Kollege Pfeffermann, daß dies eine wesentliche Ursache dafür ist, daß wir diese Diskussion wieder zu führen haben. Ich führe die Diskussion in der Tat, weil ich gern möchte, daß verhindert wird, daß hier die fundamentalen Unterschiede verwischt werden, und weil ich finde, daß die Menschen, die in der damaligen DDR eine friedliche Revolution gemacht haben, um Freiheit und Einheit zu erreichen, die uns Deutschen miteinander geschenkt worden ist, es nicht verdient haben, daß in einer solchen Weise die Grenzen zwischen Freiheit und Unfreiheit verwischt werden.
({0})
Herr Minister, Frau Abgeordnete Köppe bittet noch einmal um eine Zwischenfrage.
Gut, bitte sehr. Bitte sehen Sie dann aber ein, daß das dann die letzte Zwischenfrage für den Augenblick ist.
Herr Minister, Sie sagten, daß der Verfassungsschutz gerade im Bereich des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern dringend erforderlich sei. Könnten Sie uns vielleicht die Erfolge des Verfassungsschutzes in der Vergangenheit in den Altbundesländern gerade auf diesem Gebiet nennen, und ist es nicht vielmehr so, daß der Verfassungsschutz in den Altbundesländern in der Vergangenheit sehr wenig gegen Rechtsextremismus unternommen hat, daß der teilweise sogar eher geduldet wurde; ich nenne stellvertretend die Hansa-Bande, aber es gibt etliche Fälle mehr?
Frau Kollegin Köppe, der Verfassungsschutz hat in den über 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland mit dazu beigetragen, daß weder Rechts- noch Linksextremisten in dieser freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie eine nennenswerte Rolle spielen konnten
({0})
und daß diese Bundesrepublik Deutschland eine stabile Demokratie geworden und geblieben ist, die übrigens mit der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im vereinten Deutschland auch den raschen Wandel in Stabilität und in innerem Frieden bewältigen wird. Deswegen hat sich der Verfassungsschutz ein großes Verdienst dafür erworben, daß unsere gemeinsame Freiheit so stabil und verläßlich geworden ist. Daher lasse ich nicht zu, daß Sie über den Verfassungsschutz und seine Mitarbeiter in einer Weise reden, wie Sie das eben getan haben.
({1})
Ich will übrigens gleich hinzufügen, daß ich auch nicht der Meinung bin, daß wir die Gefahren für die innere Sicherheit durch Gewalttätigkeiten, durch Rechtsextremisten und durch Ausländerfeindlichkeit in den neuen Ländern überzeichnen dürfen.
({2})
Aber ich bin dafür, daß wir mit aller Entschiedenheit den Anfängen wehren, daß wir sie benennen, daß wir - auch wir aus den alten Ländern - in aller Offenheit sagen: Die Kriminalität ist in den elf alten Ländern insgesamt immer noch höher als in den fünf neuen Ländern. Wir haben überhaupt keinen Grund, mit den Fingern auf irgend jemand anderen zu zeigen, sondern wir haben allen Grund - das ist die Linie unserer Politik und unseres Handelns - , unsere Verantwortung ernst zu nehmen.
Deswegen bin ich im übrigen dafür dankbar, daß den zuständigen Behörden des Bundes, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesgrenzschutz, den wir dringend brauchen - denken Sie an die Krawalle in den Fußballstadien der neuen Länder, wo jede Woche von mindestens drei Bundesländern der Bundesgrenzschutz ergänzend angefordert wird - und den wir aufbauen müssen, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und auch für die Bereitschaftspolizeien der
Länder mit Einzelplan 06 die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir brauchen sie, damit wir in Zukunft in sicherem inneren Frieden und in Freiheit miteinander leben können. Das ist das Entscheidende.
Aber das ist nicht alles, was wir mit Einzelplan 06 zu entscheiden haben. Frau Kollegin Köppe, Ihr Fehler war, daß Sie den Einzelplan 06 unter diesem Gesichtspunkt völlig verzerrt dargestellt haben.
Ich finde, mindestens ebenso wichtig ist, daß in dem Prozeß der schnellen Veränderungen, die in den fünf Ländern stattfinden, nicht verlorengeht, was dort erhalten werden muß. Deswegen will ich noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen, das Herr Kollege Purps, Herr Kollege Deres und Frau Kollegin Albowitz angesprochen haben und das zentral im Haushalt 1991 des Bundesministers des Innern steht, daß wir nämlich weit über 1 Milliarde DM an Mitteln haben, um in den fünf neuen Bundesländern übergangsweise Kulturförderung zu betreiben.
Wir wissen, daß wir damit - Frau Albowitz hat dies gesagt - an die Grenzen dessen gegangen sind, was dem Bund finanzpolitisch und verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist. Aber wir haben es getan, und es ist richtig, weil wir in dieser Zeit helfen müssen, daß nicht verlorengeht, was in den fünf Ländern an kultureller Substanz nicht verlorengehen darf, und weil der Bund unbürokratisch und flexibel hilft. Daß das Parlament die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung stellt, halte ich für einen der wirklich entscheidenden Akzente im Bundeshaushalt 1991.
Ich möchte mich bei allen, die daran mitgewirkt haben, bedanken. Ich erbitte Ihre Hilfe auch dafür, daß wir den Abbau dieser Mittel, der auf Dauer natürlich erfolgen muß - nach dem Verfassungsgefüge unseres Grundgesetzes kann es keine Dauerfinanzierung des Bundes geben - , nur in einem Maße betreiben müssen, das gleichzeitig die Übernahme entsprechender Verantwortlichkeiten durch die fünf neuen Länder und auch die Kommunen in den fünf neuen Ländern ermöglicht.
({3})
Ich will - weil wir auf Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen sind - in aller Behutsamkeit erwähnen, daß die elf alten Bundesländer, die an den Verhandlungen über den Einigungsvertrag beteiligt waren, die im Bundesrat auch zustimmen mußten, damals gesagt haben: Wenn sich der Bund in der Zeit des Übergangs auch nur für eine Minute Zuständigkeiten anmaßen wollte, die nach dem Grundgesetz nicht dem Bund, sondern den Ländern zustehen, werden die Länder nicht zustimmen. Wir sind heute Gott sei Dank ein Stück weit davon weggekommen. Aber ich bin der Meinung, daß die Länder, auch die elf alten, ihre Zuständigkeiten inzwischen wieder stärker wahrnehmen könnten. Es war in der Tat schon ziemlich nervenaufreibend, die Einigung über die 14,5 Millionen DM Komplementärmittel für die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz" noch zustande zu bringen. Es ist am Schluß mit Hilfe des Bundeskanzlers zwar gelungen, aber ich finde, daß wir es im nächBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
sten Jahr auf der Ebene der Fachminister leisten sollten. Trotzdem bin ich dankbar, daß es gelungen ist.
Ich will übrigens, Herr Kollege Purps, zum Sport an dieser Stelle nur sagen: Es ist nicht zutreffend, wenn Sie - oder vielleicht auch Herr Kollege Schmidt, wenn Sie im Anschluß noch sprechen - den Eindruck erwecken sollten, als würde nicht auch hier Außerordentliches in diesem Bundeshaushalt geschehen. Der Kollege Deres hat die Zahlen vorgetragen: Wir haben im Haushalt 1991, verglichen mit dem Haushalt 1990, mehr als eine Verdoppelung der Sportförderungsmittel; das ist ungeheuer viel. Herr Kollege Schmidt, vielleicht nehmen Sie Gelegenheit, mißverständliche Äußerungen von Ihnen zurechtzurücken, als wollten Sie den Leistungssport gar nicht mehr fördern. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Sie Äußerungen gemacht haben, wie ich sie von Ihnen in Zeitungen gelesen habe.
({4})
Ich finde es schon wichtig, daß es gelungen ist, das, was vom Leistungssport in der früheren DDR erhaltenswert ist, im wesentlichen in das vereinte Deutschland zu überführen, nicht zuletzt durch diese gewaltige Steigerung der Sportförderungsmittel im Einzelplan 06.
Im übrigen sage auch ich - Herr Kollege Deres hat es vorgetragen - : In diesen Mitteln sind nicht unerhebliche Beträge für die Verbände enthalten, um auch für den Breitensport in den neuen Ländern entsprechende Verbands- und Vereinsstrukturen aufzubauen. Und schließlich, meine Damen und Herren, sind die Kommunen in den fünf neuen Ländern nicht gehindert, von den 5 Milliarden DM Investitionsmittel, die sie pauschal haben, auch Teile für die Errichtung, Einrichtung und Sanierung von Sportstätten einzusetzen. Zumindest könnte man das Geld, das man auf Festgeldkonten in London angelegt hat, in die Sanierung von Sportstätten stecken.
({5})
Aber wir können, wir müssen als Bund, wenn wir handlungsfähig bleiben wollen, natürlich ein Stück weit darauf achten, daß wir den Rahmen dessen, was überhaupt möglich ist, nicht völlig sprengen. Deswegen müssen wir Prioritäten setzen. Ich glaube, daß wir sie in diesem Haushalt richtig gesetzt haben.
Ich will im Zusammenhang mit dem, was wir - ein bißchen falsch intoniert durch die Ausführungen meiner beiden Vorrednerinnen, das gebe ich zu; aber ich wollte sie nicht länger als unbedingt notwendig hier im Raum unwidersprochen lassen - zur inneren Sicherheit zu sagen haben, dann doch darauf hinweisen, daß wir die gewaltigen Probleme, die wir auf dem Feld der inneren Sicherheit auch in den elf alten Ländern haben, am ehesten, besser werden lösen können - in der Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität, der Rauschgiftkriminalität -, wenn wir zu einem möglichst hohen Maß an Zusammenarbeit der Verantwortlichen von Bund und Ländern kommen.
Ich bin froh, daß wir in den Beratungen der Innenminister von Bund und Ländern Anfang Mai nach meiner Einschätzung ein Stück weitergekommen sind. Auf der Grundlage des Gesetzentwurfs des Bundesrats zur Bekämpfung organisierter Kriminalität werden wir hier im Bundestag sehr kurzfristig die notwendigen gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen haben. Das ist nicht alles, was hier zu geschehen hat, aber es ist wichtig. Und noch wichtiger scheint mir zu sein, daß wir in der Zusammenarbeit aller Verantwortlichen von Bund und Ländern das Notwendige und Mögliche tun, um unserer Verantwortung und auch den Erwartungen unserer Bürger, die von uns natürlich schon erwarten, daß wir der Geißel des Terrorismus ein Stück weit Herr werden, zu entsprechen.
Zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität haben wir vor knapp einem Jahr einen nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan entwickelt. Wir werden in wenigen Wochen innerhalb der Bundesregierung darüber zu beraten haben, wie wir diesen weiterentwikkeln und wie wir weiter vorankommen. Ich füge hinzu: Unser aller Aufmerksamkeit muß auf die Bekämpfung dieser Geißel der Wohlstandsgesellschaft insbesondere westlicher Demokratien gerichtet werden. Dies ist alleine mit polizeilichen Mitteln nicht zu leisten. Dies ist der geringere Teil. Die Prävention ist wichtiger. Aber alles muß zusammenwirken. Ich denke, wir brauchen die Gemeinsamkeit der demokratischen Kräfte auch in der Bewahrung des Rechtsstaats und übrigens auch in der Bewahrung gewisser Spielregeln von Gewaltfreiheit.
Mich hat wirklich betroffen gemacht - ich bin nicht mehr so leicht zu erschüttern -, daß, Herr Kollege Penner, am Rande des Bremer Parteitages der Sozialdemokraten dieser merkwürdige Eierwerfer aus Halle in einer Weise, die ich wirklich als schamlos empfinde, wieder in die SPD aufgenommen worden ist. Sie hätten ihn ja nicht auszuschließen brauchen; aber nachdem man sich erst so geniert hat, drei Tage später diesen jungen Mann, der da Eier geworfen hat und damit nicht gerade ein leuchtendes Beispiel für die Fähigkeit der SPD ist, zwischen politischer Streitkultur und Gewalttätigkeiten - ({6})
- Das gehört dazu. Wehret den Anfängen!
({7})
So fängt es an. Mit Ihnen rede ich ja nicht über die Gemeinsamkeit demokratischer Parteien. Da können Sie sich gar nicht einmischen.
({8})
Ich rede mit den Sozialdemokraten, die es nicht verdient haben, daß Sie sich in dieser Frage zu ihrem Fürsprecher machen.
({9})
Es hat mich betroffen gemacht. Keine Partei kann
etwas dafür, daß es dumme Jungen gibt. Ich fand auch
die Bemerkung Ihres jetzigen Parteivorsitzenden, daß
er ihm eine gelangt hätte, sympathisch. Aber ich finde es nicht in Ordnung, daß er ihm jetzt wieder eine Beitrittserklärung für die SPD langt. Ich finde, das sollten Sie in Ordnung bringen.
Die Abgeordnete Frau Sonntag möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit zu antworten?
Ja.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß - entgegen anderslautenden Meldungen - der in Frage kommende Bremer Ortsverein erst im Laufe des heutigen Tages über eine Aufnahme von Herrn Schipke entscheiden wird?
Nein, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, es ist mir nicht entgangen. Ich mache diese Ausführungen bewußt, weil ich noch die Hoffnung habe, daß dieser Bremer Ortsverein den Aufnahmeantrag ablehnen wird. Mir ist aber auch nicht entgangen, Frau Kollegin, daß z. B. der niedersächsische Ministerpräsident Schröder am Rande des Bremer Parteitags Äußerungen gemacht hat, von denen ich finde, daß er sie in Ordnung bringen sollte, weil sie nicht in Ordnung sind und weil sie unsere politische Auseinandersetzung und auch unsere Zusammenarbeit belasten. Ich möchte nicht, daß dies so ist.
({0}) Aus diesem Grunde habe ich es so angesprochen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, weil mir daran liegt, daß wir Innenpolitik - also auch den Einzelplan 06 - nicht nur als etwas verstehen, das mit Risiken, Problemen und schlechten Nachrichten zu tun hat, möchte ich auch ein paar erfreuliche Tatbestände ansprechen.
Ich finde es erfreulich, daß sich die Sorgen, die viele Menschen und Verantwortliche gerade in den neuen Ländern - auch in Berlin - im Zusammenhang mit der Einführung der Visafreiheit für Polen hatten, nicht realisiert haben. Unsere Landsleute in Brandenburg und in den anderen neuen Ländern sind vielmehr mit großer Reife dabei, ein besseres Nachbarschaftsverhältnis zu Polen zu entwickeln, so wie wir dies in den vergangenen 40 Jahren auch an der deutsch-französischen Grenze entwickelt haben.
({1})
Ich bin im übrigen sehr stolz darauf, daß es der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland war, der dem Außenminister frühzeitig vorgeschlagen hat, man solle die Visafreiheit für Polen einführen. Ich finde, wir müssen auch in den neuen Bundesländern lernen, problematische Nachbarschaftsverhältnisse zu verbessern und mit Ausländern zusammenzuleben. Ich finde, hierbei sind wir auf einem guten Weg. Frau Kollegin Köppe, dies ist übrigens die Form öffentlicher Auseinandersetzung, die Sie eingefordert haben. Wir führen sie und betreiben sie in konkretem Handeln.
Dazu gehört auch - dies ist für mich ebenfalls erfreulich - , daß der Prozeß der endgültigen Anerkennung der Ostgrenze des vereinten Deutschland den inneren Frieden in Deutschland nicht beschädigt, sondern ihm ein Stück weit gedient hat.
Ich finde, in diesem Zusammenhang kann die Leistung der Vertriebenenverbände gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; sie haben sich um den inneren Frieden in diesem vereinten Deutschland mehr verdient gemacht als viele, die das Wort ständig auf der Lippe führen.
({2})
Sicher, für diejenigen, die in besonderer Weise davon betroffen sind, sind Aussöhnung, Gewaltverzicht und die Bereitschaft zu einer besseren Zukunft eben nicht nur Lippenbekenntnisse, sondern sie stellen einen konkreten Beitrag, der für ein besseres Deutschland und für eine bessere Zukunft Deutschlands wichtiger ist als manche Reden, dar. Deswegen finde ich auch wichtig, daß es uns gelungen ist, den Streit, den wir noch vor einem Jahr zur Frage, ob wir Aussiedler in Zukunft noch aufnehmen wollen oder nicht, hatten, beizulegen.
Es ist uns gelungen, durchzusetzen, daß diese Bundesrepublik Deutschland auch in Zukunft für Menschen, für Deutsche aus uralten deutschen Siedlungsgebieten, die in ihrer alten Heimat nicht mehr leben wollen, die zu uns kommen, offenbleibt, und daß wir sie aufnehmen. Mittlerweile werden wir mit diesen Aufgaben gut fertig. Im übrigen greift unsere Politik inzwischen erfolgreich.
({3})
- Herr Kollege Schmidt, wenn es im Jahre 1990 nach den Sozialdemokraten gegangen wäre, hätten wir 1990 das Tor für Aussiedler zugemacht. Das ist die Wahrheit.
({4})
Das waren Ihre Forderungen, und das war die Position Ihres Kanzlerkandidaten. Das ist die Wahrheit.
Wir haben uns bei der Auseinandersetzung über Aus- und Übersiedler - hätten Sie im Frühjahr 1990 das Tor zugemacht, wäre es anders gekommen - durchgesetzt. Wir brauchen heute nicht mehr darüber zu streiten.
({5})
- Nein, es ist eine Reaktion auf unsere Politik. Wir haben gesagt: Wir müssen die Ursachen in Rumänien, in Polen und auch in der Sowjetunion bekämpfen.
Es hilft nicht, Menschen auszugrenzen, sondern unsere Politik muß darauf gerichtet sein, den Menschen in den Siedlungsgebieten zu helfen, ihnen eine Perspektive zu vermitteln, damit sie dort eine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen. Dann werden die Aussiedlerzahlen aus diesen Gebieten zurückgehen; sie sind aus Rumänien zurückgegangen, sie sind aus den polnischen Gebieten zurückgegangen.
Das zeigt, daß unsere Politik richtig war und erfolgreich ist, und das zeigt auch, daß eine Politik, die Hilfe und Ursachenbekämpfung an die Stelle von Ausgrenzung setzt, durchaus erfolgversprechend ist. DesweBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
gen, meine Damen und Herren, ist übrigens auch die Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung nach wie vor richtig; sie ist keineswegs zur Erfolglosigkeit verdammt, sondern auch sie hat durchaus - auf einzelne Länder bezogen - bereits Erfolge. Wir sind entschlossen, auf diesem Weg weiterzufahren.
Ich finde, daß wir auch in der Art, wie wir in den letzten anderthalb Jahren innenpolitische Diskussionen geführt haben - jedenfalls zwischen den großen Fraktionen dieses Hauses, wobei ich die FDP ebenfalls als eine große Fraktion betrachte - ({6})
- Das ist ein bißchen übertrieben; aber es tut gut, und damit hilft es mir wieder. Das verstehen Sie doch sicher.
Ich würde gern das Bündnis 90 einladen, sich da miteinzureihen. Dann hätte ich es auch leichter, dann würde ich einfach sagen: zwischen allen unbestreitbar demokratischen Kräften in diesem Hause, zu denen ich die PDS nicht rechnen kann. Aber leider schließen sie sich noch ein bißchen aus.
({7})
- Sie zensieren ja auch dauernd. Ich weiß gar nicht, was Sie eigentlich wollen.
Zwischen den drei Fraktionen dieses Hauses haben wir in den innenpolitischen Diskussionen der letzten anderthalb bis zwei Jahre im wesentlichen - dafür möchte ich mich bedanken - einen Stil entwickelt, der auch ein Stück weit zum inneren Frieden beiträgt. Ich werbe dafür, daß wir ihn fortsetzen. Wir müssen uns unserer Verantwortung auch bewußt bleiben.
Ich füge hinzu: Die drei Berichterstatter für den Einzelplan 06, die zu Beginn der Debatte gesprochen haben, haben dies mit ihren Ausführungen noch einmal ausdrücklich vorgelegt. Auch dafür möchte ich mich bei allen dreien bedanken.
Ich möchte mich generell auch dafür bedanken, daß das Bundesministerium des Innern durch die Innenpolitiker sowie durch die Haushaltspolitiker in einer Zeit großer Aufgaben, großer Herausforderungen, aber auch großartiger Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Hohen Hause viel Unterstützung erfahren hat.
Ich bedanke mich dafür und bitte Sie, uns diese Unterstützung auch weiterhin zu gewähren.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu zwei Themen der Innenpolitik einen kurzen Beitrag leiste, möchte ich doch noch ein Wort an Sie, Herr Schäuble, richten. Sie haben Zensuren erteilt. Zuvor sind Zensuren erteilt worden. Also möchte jetzt auch ich Ihnen eine Zensur erteilen.
Sie haben zu Recht moniert, daß hier unzulässigerweise der Eindruck entstehen könnte, daß Verfassungsschutz und Stasi in einem Atemzug genannt werden. Das ist unzulässig. Das geht nicht. Aber haben Sie es nötig, in direkter Linie von Extremisten, Terroristen und Gewalttätern auf einen problematischen Fall von Eierwerfern zu kommen? Ohne Frage „problematisch".
({0})
Ich glaube, daß Sie es eigentlich nicht nötig haben, einen solchen Vorfall einzubinden und hier vorzutragen. Ich finde das nicht gut.
({1})
- Ach, Herr Pfeffermann, quaken Sie nicht immer dazwischen!
Meine Damen und Herren, es gibt einige wesentliche Schwerpunkte der Innenpolitik, die uns im Augenblick große Probleme bereiten. Probleme bereiten der Aufbau der Verwaltung in den neuen Bundesländern und die schwierige Lage der inneren Sicherheit mit steigender Kriminalität und Gewalttätigkeit in den neuen Bundesländern, die dadurch verstärkt werden, daß die Sicherheitsorgane und Sicherheitskräfte in den neuen Bundesländern noch partiell handlungsunfähig sind. Im Westen ist die innere Sicherheit dadurch gekennzeichnet, daß wir auch hier ein hohes Anwachsen der organisierten Kriminalität feststellen und gleichzeitig die Fahndungserfolge im Bereich des Terrorismus ausbleiben. Interessant ist, daß angesichts des Ausbleibens der Fahndungserfolge bei den Regierungsparteien eine merkwürdige Funkstille zu verzeichnen ist. Wenn ich nur einmal daran denke, wie groß das Feldgeschrei der Opposition, der Union, gegenüber der damaligen Regierung war - übrigens bei erheblich größeren Fahndungserfolgen - , dann wundert man sich, warum jetzt eine solche Funkstille herrscht.
({2})
Offensichtlich sind Sie nicht in der Lage, eigene Mißerfolge, eigene überholte Fahndungskonzepte in Frage zu stellen.
Nach diesem Schweigen haben Sie, Herr Schäuble, nun vor etwa zehn Tagen eine Äußerung gemacht, die wohl etwas mit der Ausweglosigkeit zu tun hat, in der wir uns im Hinblick auf die Fahndung derzeit befinden. Sie haben für die Bereiche Terrorismus und organisierte Kriminalität vorgeschlagen, daß verdeckten Ermittlern zukünftig erlaubt sein soll, ein bißchen kriminell zu werden, um sich im Milieu durch Straftaten zu bewähren. Das heißt, den verdeckten Ermittlern soll die Möglichkeit gegeben werden, die sogenannte Keuschheitsprobe zu bestehen. Ich glaube, daß dies ein Vorgang ist, der nicht akzeptiert werden kann. Für uns gilt der Grundsatz: Verdeckte Ermittler dürfen nicht kriminell werden.
({3})
Die Gesellschaft darf ihren Ermittlern nicht erlauben, selbst Straftaten zu begehen. Der Rechtsstaat gäbe sich auf, würde er Unrecht mit Unrecht bekämpfen.
Gerd Wartenberg ({4})
Wir erinnern uns mit Schrecken daran, daß es auch bei uns Vorgänge gegeben hat, bei denen dies ansatzweise versucht worden ist. Wir brauchen nur einmal an das Celler Loch zu denken. So etwas möchte ich in einem größeren Umfang nicht für den Bereich der Ermittlung haben. Das, was der Verfassungsschutz damals gemacht hat, war höchst problematisch.
An dieser Stelle auch ein Wort an Frau Köppe und an andere, die hier etwas zum Verfassungsschutz gesagt haben. Ich stehe vielen Bereichen des Verfassungsschutzes sehr kritisch gegenüber. Trotzdem bitte ich Sie, nicht den Anschein zu erwecken, als könnte man Verfassungsschutz und Stasi gleichstellen.
({5})
Das führte zu einer Exkulpierung der Stasi, gewollt oder ungewollt. Wenn man wie ich die Aktenlage kennt - als Berichterstatter für den Verfassungsschutz habe ich mich beim Datenschutz mit dem Verfassungsschutz beschäftigt, und ich habe in der Normannenstraße gesehen, was auf Hunderten von Seiten über eine Person bis ins privateste Detail hinein steht -, dann kann man nur sagen, daß dies nichts mit unserem Verfassungsschutz zu tun hat, selbst wenn er einige Fehlleistungen aufzuweisen hat. Versuchen Sie bitte nicht, dies gleichzustellen. Das bringt uns auch in bezug auf die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit wirklich in große Schwierigkeiten. Das darf nicht geschehen.
Zurück zu den verdeckten Ermittlern, weil das der Ansatzpunkt war. Ich habe das Gefühl, Herr Schäuble hat diesen Vorschlag gemacht, um der CSU Zucker zu geben. Die CSU hat in der Vergangenheit große Schwierigkeiten mit der Union gehabt. Es hat den Riesenkrach gegeben. Man hat zur eigenen Identifikation bestimmte Dinge erwartet. Nun wurde dieser Vorschlag von Minister Schäuble offensichtlich gemacht, um der CSU einen Punkt zu geben, mit dem sie ein bißchen wuchern kann.
Ich finde es absolut blödsinnig, eine Form der Kriminalitätsbekämpfung einzuführen, die eigentlich darauf schließen läßt, daß einige Leute zu häufig „Miami Vice" gesehen haben. Sich hier an die amerikanischen Vorbilder zu halten ist nicht nur problematisch, sondern abwegig, weil wir wissen, daß überall da, wo verdeckte Ermittler Straftaten begehen können, die verdeckten Ermittler und auch die Polizei sehr schnell auf eine schiefe Ebene kommen können und daß die Nähe zur Kriminalität Polizeien in den Ländern, wo dies möglich ist, häufig sehr belasten. Wir haben in Deutschland den großen Vorteil, daß unsere Polizei keine Korruption in dem Sinne, wie wir es in anderen Ländern kennen, vorweisen kann.
({6})
Ich habe die große Sorge, daß, wenn wir hier einsteigen, die Nähe zur Kriminalität das Ansehen der Polizei bei den Bürgern belasten würde.
({7})
Meine Damen und Herren, in den neuen Bundesländern stellen wir fest, daß sich gewalttätige Radikalität auf brutale Weise darstellt. Man überschreibt das
mit Rechtsradikalität. Es ist wohl etwas mehr. Es ist zum Teil auch das, was an Brutalität bei Fußballspielen im Westen vorzufinden ist, also eine Form von Gewalttätigkeit, die im Ursprung nicht unbedingt politisch ist, die sich aber bestimmter politischer Äußerungen bedient. Sie kann politisch sein. Wir stellen fest, daß insbesondere Rechtsradikale aus Westdeutschland versuchen, diesen Hang zur Gewalttätigkeit auszunutzen.
Es gibt zwei Ansatzpunkte, um das zu bekämpfen. Der eine Ansatzpunkt muß der sein, durch Aufklärung und durch politische Bildung politische Entwicklungen im Alltagsleben in einem demokratischen Land verständlich zu machen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, Konflikte - und es gibt in den neuen Ländern viele Konflikte - so zu bewältigen, wie es in einem demokratischen Staat üblich ist.
Weiter muß - das ist ganz wichtig - für diese jungen Menschen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden. Ohne das wird das Problem nicht gelöst werden.
({8})
Der dritte Punkt ist aber ohne Frage der Aspekt der Repression. Die Repression, d. h. der Einsatz von Polizei, ist notwendig. Da bin in anderer Meinung als Vorredner, die gesagt haben, in den neuen Ländern werde nun wahnsinnig viel Geld in den Polizeiapparat gegeben, und das sei ganz fatal. Man muß wohl eher umgekehrt sagen: Wir stehen vor der Schwierigkeit, daß die Sollstärken eben nicht erreicht sind, weder beim Bundesgrenzschutz noch bei der Polizei. Man muß hinzufügen, daß die Polizei in vielen Bereichen auch aus ihrem Autoritätsverlust heraus nicht einsatzbereit ist und daß das zu einer Verstärkung der Gewalttätigkeit führen kann, weil sich die Menschen, die gewalttätig sind, vor der Polizei sicher fühlen und keine Angst haben.
Insofern würde ich den Innenminister ermuntern, den Aufbau der Polizei zu stärken, die Sollstärke für den Bundesgrenzschutz in diesem Bereich möglichst schnell zu erreichen und auch - das ist für die Motivation gerade bei Einsätzen gegen Gewalttäter wichtig - die Besoldung zu verbessern, da die Besoldungssituation eine große Rolle spielen wird. Wir haben das bei vielen Diskussionen gehabt: Es ist sehr schwierig, wenn ein Ostdeutscher mit seinem westdeutschen Kollegen zusammen die gleiche Arbeit verrichtet und dafür etwa nur 40 % der Besoldung erhält. Das ist ein ärgerliches Problem, aber eines, das viele bedrückt. Da muß man gerade im Bereich der inneren Sicherheit relativ schnell Lösungen finden.
Meine Damen und Herren, ein Punkt noch zur Kultur. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Schäuble, daß Denkmalschutz und die Sicherung des kulturellen Erbes in den neuen Bundesländern vorrangig sind. Ich verstehe allerdings nicht, daß Sie hier nicht auch ein kritisches Wort an den Finanzminister gerichtet haben, warum die 150 Millionen DM nicht zusätzlich für Berlin bewilligt worden sind, um die neuen Bundesländer mehr zu stärken. Das hätten Sie allerdings machen müssen. Kollege Purps hat darauf hingewiesen. Entweder waren Sie zu schwach, oder
Gerd Wartenberg ({9})
Sie hatten kein Interesse daran, es durchzusetzen. Offensichtlich konnten Sie sich nicht durchsetzen. Sie hätten das ehrlicherweise ansprechen müssen.
({10})
Ferner hätte angesprochen werden müssen, daß die ostdeutsche Kulturarbeit zugunsten der Vertriebenenverbände sehr verstärkt worden ist, die meines Erachtens unter dem neuen Aspekt der Entwicklung in Osteuropa nicht das Monopol für diesen Bereich haben dürfen.
({11})
Verbände, die den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag nicht anerkennen, können meines Erachtens keine Kulturarbeit und keine Sicherung des kulturellen Erbes der deutschen Geschichte bewerkstelligen. Selbst wenn sie es wirklich nicht tun - häufig tun sie es aber -, muß ihnen von den anderen Ländern immer unterstellt werden, daß sie eine Arbeit betreiben wollen, die nicht im Geiste der Zusammenarbeit und der Aussöhnung liegt. Deswegen muß die ostdeutsche Kulturarbeit umgestellt werden. Andere Förderungswege und insbesondere andere Institutionen mit anderen Formen von Auslandskulturarbeit müssen im Mittelpunkt dieser Förderung stehen.
Recht herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Johannes Gerster.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege Purps bereits eine Philippika gegen die ostdeutsche Kulturarbeit gehalten hat, hat der Kollege Wartenberg es wiederholt. Ich kann mich darüber nur wundern.
Kulturarbeit ist, wie bekannt ist, Sache der Länder. Wenn es eine Notwendigkeit des Bundes gibt, Kulturarbeit zu fördern, dann ist es die Aufgabe, das, was Teil der deutschen Kultur ist und was in Teilen entstanden ist, die heute unbestreitbar zu Polen gehören, in unsere Geschichte und unsere kulturelle Darstellung einzubeziehen. Wollen Sie wirklich, wenn sich der Bund der Bewahrung des Erbes von Joseph von Eichendorff, von Gerhart Hauptmann, von Adalbert Stifter, von Adolph von Menzel, von Angelus Silesius, von Immanuel Kant und von anderen widmet, dies als Revanchismus bezeichnen? Kurt Schumacher oder Wenzel Jaksch, die in diesen Gebieten geboren sind, würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie hörten, was Sie zu diesem wichtigen deutschen kulturellen Erbe zu sagen haben,
({0})
das wir nicht als völkertrennend, sondern als völkerverbindend ansehen, so wie wir heute zwischen Deutschland und Frankreich das Erbe, das in ElsaßLothringen entstanden ist, als Erbe der Franzosen und der Deutschen ansehen, und zwar nicht um zu trennen, sondern um über den Rhein zu verbinden. Hören
Sie endlich auf, irgendwelche Tabus zu errichten! Das deutsche Kulturelle ist ein Stück Verbindung und hat mit dem, was Sie mit Revanchismus meinen, überhaupt nichts zu tun.
({1})
Herr Kollege Wartenberg - er muß etwas früher weggehen, wie er mir vorhin gesagt hat; ich habe Verständnis dafür -,
({2})
das Problem ist nicht allein die Frage, wie die SPD den Eierwerfer aus den neuen Bundesländern behandelt. Wir alle sollten einen kleinen Moment nachdenken. Wenn wir sehen, wie Menschen, die über 40 Jahre zu Intoleranz erzogen worden sind - das ist das Problem in den neuen Bundesländern, zumindest zu Teilen - und die natürlich Mühe haben, sich in demokratische Spielregeln einzufinden und sich dort zurechtzufinden, und zwar auf einer neuen Rechtsgrundlage, die sie seit dem 3. Oktober haben, Schwierigkeiten bei der Umstellung von einer Kommandowirtschaft hin zu einer Sozialen Marktwirtschaft haben, und wenn wir sehen - ich kann das den Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten nicht ersparen -, wie einzelne - nicht nur, aber auch Mitglieder ihrer Partei -sei es im Deutschen Gewerkschaftsbund, sei es als Sozialdemokraten, die Unruhe und Unsicherheit dort unten zum Teil aus parteipolitischen Gründen schüren,
({3})
dann sollten Sie sehr wohl überlegen, wie Sie im einzelnen mit symbolischen Akten umgehen. Mich hat das empört. Zunächst wurde bestritten, daß ein JusoMann Eier auf den Bundeskanzler geworfen hat. Als es dann peinlich wurde, wurde er sofort aus der Partei ausgeschlossen.
({4})
Als der SPD-Parteitag in Bremen lief, sagte ein Ministerpräsident aus dem Westen, nämlich Herr Schröder aus Niedersachsen, er würde ihn sogleich wieder aufnehmen. Ich finde, das ist nicht die richtige Behandlung, wie man diesem Thema gerecht wird.
({5})
Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß gerade Ihre Partei, hätte sie die Möglichkeit gehabt, mit ihrem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine die Politik zu bestimmen, mit Sicherheit im letzten Jahr nicht die Chance der Einheit wahrgenommen hätte. Es stellt sich die Frage, ob nicht diese Partei in diesem Jahr eine besondere Verantwortung hat und nachdem die deutsche Einheit - es war ein Glücksfall, daß der Bundeskanzler die Chance so schnell ergriffen hat - vollzogen ist, wegen der Fehlentscheidungen im letzten Jahr jetzt doppelten Anlaß hätte, den Menschen drüben ein Stück Hoffnung zu geben, statt Ängste zu schüren, die die Menschen drüben haben kön1990
Johannes Gerster ({6})
nen. Wenn Sie sie aber schüren, stellen Sie durch Ihre Partei wenig verantwortliche Politik dar.
({7})
Ich bin der Meinung, daß es um ein sehr hohes Gut geht, nämlich darum, ob es uns gelingt, daß mit den Menschen, die 60 Jahre - ich wiederhole das - nicht die Chance der pluralistischen Demokratie hatten, die nicht die Chance hatten, Pluralität in ihren Lebensbedingungen leben und erfahren zu können, und die nicht die Chance hatten, das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition erleben zu können, sehr schonungsvoll umgegangen wird. Darauf müssen gerade die westlichen Parteien, und zwar alle, die größte Sorgfalt verwenden.
Wer drüben hinläuft und behauptet, es würde vom Westen zu wenig getan, und - wie es leider Gottes heute noch geschieht - im Westen erzählt, das Ganze sei nach wie vor zu teuer, ist meines Erachtens für die Verantwortung, in der wir hier stehen, nicht reif.
({8})
Lassen Sie mich einen weiteren Gesichtspunkt ansprechen. Ich finde es sehr bedauerlich - ich bin dankbar, daß sich die Kollegen der SPD von dem, was ich jetzt anspreche, klar distanziert haben - , daß man durch die Reden der Sprecherin der PDS, Frau Jelpke, und der Sprecherin des Bündnisses 90 den Eindruck bekommt, als kämen sie aus der gleichen Gruppe.
Frau Köppe, ich will auch hier einmal den Versuch unternehmen - wie in vielen Gesprächen etwa über das Stasi-Unterlagengesetz -, einige Unterschiede, die Sie bisher entweder nicht zur Kenntnis nehmen wollten oder die Sie übersehen haben, deutlich zu machen, auch in der Hoffnung, daß dies die Menschen drüben so nachvollziehen können.
Frau Jelpke stellt sich hier hin und sagt, es gebe eine totale Überwachung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das ist schon eine tolle Sache.
Frau Jelpke, Sie sind in der Nachfolgepartei der SED. Ich will Ihnen nur zwei Dinge entgegenhalten: Ist Ihnen wirklich entgangen, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz, das für jetzt 78 Millionen Menschen gesetzliche Verantwortung trägt, gerade 3 000 Mitarbeiter hat und die Partei, für die Sie in der Nachfolgepartei ein Stück Mitverantwortung tragen, die SED, ein Ministerium für Staatssicherheit unterhalten hat, das für 16 Millionen Bürger über 200 000 Mitarbeiter hatte?
({9})
Da kommen Sie, die Sie als Vertreterin der Nachfolgepartei der SED antreten und damit für eine Partei stehen, die für das Ministerium für Staatssicherheit und seine 200 000 Schnüffler Verantwortung trägt, hierher und wollen diesem Bundesamt für Verfassungsschutz dieselben Methoden andrehen.
({10})
Sie sollten sich da wirklich ein Stück schämen.
Ist Ihnen wirklich entgangen - wenn Ihnen das Argument der Zahlen nichts gibt - , daß der Verfassungsschutz in dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland, der eine gesetzliche Zuständigkeit für Terrorismus, für gewalttätigen Extremismus und für Spionageabwehr hat, ausschließlich die Aufgabe hat, auf Grund der Rechtsgrundlagen Informationen zu sammeln und auszuwerten, daß dieser Verfassungsschutz nicht vorladen darf, daß er nicht verhören darf, daß er keinen verhaften darf, daß er keinen inhaftieren darf, daß er keinerlei exekutive Maßnahmen ergreifen kann und in einer engen Zweckbindung nur auf Grund eines gesetzlichen Auftrages konkret zum Sammeln von Informationen tätig werden kann, die dann z. B. nur zu Maßnahmen führen, die durch ordentliche Gerichte angewiesen werden? Ist Ihnen wirklich unbekannt, daß in der Bundesrepublik Deutschland nach dem G-10-Gesetz nur auf Grund dieses Gesetzes abgehört werden kann, und zwar nach einer Genehmigung durch eine parlamentarische Kontrollinstanz?
Da wagen Sie es, als Mitglied der PDS hierherzutreten und die Methoden, für die Ihre Partei immer noch Verantwortung trägt, auf die Bundesrepublik Deutschland zu übertragen! Das lehne ich ab. Das weisen wir zurück. Sie haben hier keinerlei Anspruch, moralische Grundsätze zu vertreten, die Sie selbst verletzt haben.
({11})
Meine Damen, meine Herren, ich bin auch der Meinung, daß Sie bis zum Jahre 2000 ausgedient haben.
({12})
Sie sollten sich zunächst einmal in den demokratischen Grundsätzen einüben und dann hier den moralischen Lehrmeister spielen.
Meine Damen, meine Herren, lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen - hier sind schon sehr viele Punkte angesprochen worden - und noch einmal deutlich machen. - Frau Köppe, Sie sagen, wir wollten westdeutsche Strukturen überstülpen - der Minister hat das dankenswerterweise schon angesprochen - , und haben als Beispiele den Zivil- und Katastrophenschutz und das Technische Hilfswerk genannt.
Frau Köppe, gerade Ihnen, die Sie für das Bündnis 90/GRÜNE angetreten sind, um - wie viele andere übrigens auch, etwa vom Demokratischen Aufbruch, die heute in unserer Partei arbeiten - Demokratie in der damaligen DDR zu erkämpfen, sage ich: Ich finde, Sie sollten zwei Dinge zur Kenntnis nehmen, wenn Sie etwa den zivilen Katastrophenschutz des THW als Beispiel anführen, nämlich daß wir in den fünf neuen Bundesländern inzwischen demokratisch gewählte Kommunalpolitiker haben - in den Stadträten, in den Kreistagen - und daß wir in den fünf neuen Bundesländern und in Berlin frei gewählte Landesparlamente mit frei gewählten Landesregierungen haben.
- Moment! - Alle diese Landesregierungen sind an den Bund herangetreten mit der Bitte, daß wir das Technische Hilfswerk drüben aufbauen. Alle diese Landesregierungen haben einen Katalog aufgestellt
Johannes Gerster ({13})
mit Angaben darüber, in welchen Orten, in welchen Kreisen, in welchen Städten sie das Technische Hilfswerk wollen. Die Liste ist bedeutend länger, als daß der Bund sie jetzt bedienen könnte. Deshalb werden wir in diesem Jahr 20, im nächsten Jahr 30 und im dritten Jahr noch einmal 30 Ortsverbände aufbauen statt die gewünschten 80 in einem Zug.
Ich finde, Sie sollten eine Sprachregelung „Wir stülpen über" nicht gebrauchen, wenn wir nichts anderes tun als das, was die frei gewählten Regierungen dort von uns verlangen. Wenn wir das also vollziehen, sollten Sie nicht von „Überstülpen" sprechen. Sie sollten so viel Demokratin sein, daß Sie auch das akzeptieren, was die frei gewählten Landesregierungen dort wollen.
Die wollen das auch aus gutem Grund, weil sie vielleicht mehr als andere erkannt haben, daß sich das Technische Hilfswerk aus Leuten zusammensetzt, die sich freiwillig - früher zehn Jahre, jetzt acht Jahre - verpflichten, im Jahr mindestens 200 Stunden ehrenamtlichen Einsatzes zu erbringen - dazu kommen noch viele Schulungen; junge Führungskräfte kommen sogar auf mehr als 300 Stunden - , um Vorsorge zu treffen für die Rettung von Menschenleben, und zwar zur Rettung von Menschenleben im Auftrag der Bundesregierung im Ausland, aber auch auf Grund gesetzlicher Bestimmungen im Inland, also auch in Ihren Ländern.
Ich frage Sie zurück, ob es nicht richtig ist, daß die Menschen in den fünf neuen Bundesländern den gleichen Anspruch auf Vorsorge und auf Katastrophenschutz haben wie die Menschen im Westen. - Ich sage Ihnen: Sie haben den gleichen Anspruch, und weil sie den gleichen Anspruch haben, werden wir das Technische Hilfswerk dort kräftig ausbauen, auch wenn Sie das weiter kritisieren. Wir sind sicher, daß die Menschen drüben das auch verstehen werden.
({14})
Sie sind herzlich eingeladen, wenn wir am 29. Juni in Halberstadt und in Erfurt Ortsverbände gründen. Gucken Sie sich die jungen Leute an. Sie werden von ihnen begeistert sein.
Meine Damen, meine Herren, die Haushaltspolitiker, unterstützt durch die Fachausschüsse, haben den Etat des Bundesinnenministers vorgelegt, einen Etat mit einem Volumen von mehr als 8 Milliarden DM, mit dem wir den neuen Aufgaben in den neuen Bundesländern Rechnung zu tragen versuchen.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bemerkung, weil hier etwas merkwürdige Verbindungen zwischen Sicherheitsausgaben und Jugendhilfeausgaben hergestellt wurden. Frau Köppe, auch hier muß gesagt werden: Sie vergleichen hier natürlich Äpfel mit Birnen. Natürlich haben wir auch drüben den Föderalismus. Natürlich sind drüben für die Jugendhilfe die Länder und die Kommunen zuständig, während für Bundesbehörden im weitesten Sinne etwa über den Bundesinnenminister der Bund zuständig ist. Bitte gucken Sie sich den Haushalt genau an!
Wer die Debatte verfolgt hat, konnte unschwer feststellen: Echte Alternativen zu diesem Paket von über 8 Milliarden DM auf rund 500 Seiten wurden weder durch die SPD noch durch die PDS, noch durch das Bündnis 90 deutlich. Ich glaube, das, was hier an einzelnen Punkten gemäkelt wurde, entsprang zum Teil Mißverständnissen, vielleicht Mißverständnissen über den gesetzlichen Auftrag, vielleicht auch ab und zu einmal ein bißchen der Unkenntnis. Da kann jeder lernen, wir übrigens auch.
Ich bin der Meinung, daß dieser Etat allein auf Grund des Ablaufs der Debatte sehr überzeugend wirken muß; denn Alternativen werden nicht erkennbar. Deswegen werden wir, die CDU/CSU-Fraktion, dem Etat zustimmen; wir werden ihm freudig zustimmen. Wir werden damit die Politik des Innenministers Dr. Schäuble unterstützen. Sie, die Damen und Herren von der Opposition, sind herzlich eingeladen, von dem reichen Schatz der Erkenntnis mit zu profitieren und zuzustimmen. Sie würden damit einer guten Politik Ihre Zustimmung verleihen und deutlich machen, daß auch in die Reihen der Opposition demokratische Reife eingezogen ist.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Kollege Wilhelm Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute in der zweiten Lesung des Haushalts zum erstenmal gesamtdeutsch diskutieren können, dann kann die Debatte naturgemäß auch an den Erfordernissen des Sports nicht vorbeigehen. Ich denke, daß wir auch den neuen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in diesem Bereich der Politik Rechnung tragen müssen. Dabei ergibt sich manches Problem, dies bietet aber eigentlich auch die einmalige Chance, sich mit Grundstrukturen und Grundfragen auseinanderzusetzen, die in der Vergangenheit manchmal leider etwas zurückgedrängt worden sind.
Der Sport im Osten war nicht selten - das ist vielleicht etwas grob skizziert, aber, so glaube ich, doch zutreffend - von einer nahezu pervertierten Hochrüstung gekennzeichnet, und er war von einer viel zu schwach ausgeprägten Beteiligung der Allgemeinheit in Form von Freizeit- und Breitensport unterlegt.
Der Sport im Westen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich mit einer halbherzigen, aber immerhin tendenziell vorhandenen Nachrüstung dieser Art des Sports an einer Aufrüstung beteiligt, die in den letzten Jahren weltweit beispiellos gewesen ist. Er hat auch im Interesse einer medaillenträchtigen Orientierung manche manipulativen und auch inhumanen Eingriffe zugelassen und akzeptiert. Zum Glück hat es der Sport im Westen aber auch immer wieder geschafft, mit einer großen Breitensportbewegung und mit einer guten Vereinssportorientierung die ganz schlimmen Entwicklungen nicht in vollem Umfange mitzumachen. Dies kann, dies soll und dies muß auch weiterhin die selbstformulierte Grundlage für den Sport sein. Dies muß
Wilhelm Schmidt ({0})
auch die Grundlage für die Entwicklung des Sports in Ostdeutschland sein.
({1})
Diesem Ansatz stimmen wir Sozialdemokraten zu. Von daher sind wir der Meinung, daß bei einer Umorientierung in der Debatte natürlich auch an Strukturen gedacht werden muß, die in diesem Haushalt und in der Auseinandersetzung mit ihm durchaus eine gewisse Rolle hätten spielen können.
Tabus darf es bei den künftigen Sportdebatten, bei den Auseinandersetzungen um Strukturen nicht geben. Nicht mehr und nicht weniger - Herr Innenminister, das sage ich, weil Sie mich darauf angesprochen haben - habe ich gemeint, als ich in den letzten Tagen und Wochen eine öffentliche Debatte um diese Dinge angezettelt habe, zumal auch Sie selbst an manchen Dingen dieser Art inzwischen gerüttelt haben. Sie haben dabei an ein ganz bestimmtes Problem erinnert, nämlich an die Folgen der Dopingpraxis und an die Konsequenzen, die wir als Sportpolitiker, aber die auch die Sportorganisation selbst in diesem Zusammenhang ziehen muß.
Meine Damen und Herren, nachdem sich die Regierungsfraktionen in den Ausschußberatungen zum Haushalt 1991 bedauerlicherweise nicht einmal im Ansatz an dieser Strukturdebatte beteiligen wollten, haben wir sie an mancher Stelle - ich will das mit aller Vorsicht sagen - doch zum Jagen tragen müssen. Wir haben die Anhörungen zum Sport in Ostdeutschland durchgesetzt, wir haben die Anhörungen zur Gewalt im Sport durchgesetzt, und wir haben auch die Anhörung zu der Frage der dioxinbelasteten Sportstätten durchgesetzt. Das sind aktuelle Themen im Bereich des Sports, denen wir uns hier im Hause als Parlament sonst wahrscheinlich nicht, jedenfalls nicht in dem Maße, zugewandt hätten. Wir hätten das der Regierung überlassen. Dies ist aber zu kurz gesprungen; denn es ist auch eine Aufgabe des Parlaments, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir haben dabei auch die Erkenntnis gewonnen, daß das Ganze mehr ist als nur eine kurzfristige Auseinandersetzung mit diesen drei genannten schwierigen Themen. Wir brauchen eine Auseinandersetzung mit den Grundstrukturen und eine Zukunftsdebatte. Wir sind deswegen froh darüber, daß im Zusammenhang mit den von uns durchgesetzten Anhörungen auch über diese Grundstrukturen - jedenfalls von den Beteiligten aus der Sicht des Sports - zunehmend gesprochen worden ist.
Ich möchte Ihnen einige Zitate vortragen, damit Sie den Hintergrund erkennen, der uns dazu bewegt, bei diesem Thema nicht lockerzulassen. In der „Frankfurter Rundschau" heißt es nach dem Sitzungsmarathon des Sportausschusses des Bundestages Ende April in Berlin:
Lieber spät als gar nicht, dachte sich der Sportausschuß des Deutschen Bundestages, und eilte, nachdem die SPD heftig gedrängelt und sich endlich durchgesetzt hatte, in den Berliner Reichstag, um sich dort in einem Hearing über den Zustand
des Sports in der ehemaligen DDR im besonderen unterrichten zu lassen . . .
Eines war offensichtlich allen klar . . .
Es ist hier nochmal ganz nachdrücklich zum Ausdruck gekommen, daß die Berichte in den Medien und die Klagen der Betroffenen keine Übertreibungen sind, sondern der Realität entsprechen. Der Ost-Sport droht Mitte des Jahres wirklich zusammenzubrechen.
Ein weiteres Zitat aus dieser Meldung lautet:
Wenn wir nicht bis Ende Mai Gelder erhalten, sagte einer der Landessportbundpräsidenten,
ist der Ofen aus.
Oder das folgende:
Sportpolitiker haben bei der öffentlichen Anhörung des Sportausschusses im Bundestag Kritik am Bundesinnenministerium geübt, das für die Sportförderung zuständig ist ... Spitzenfunktionäre aus Ost-Deutschland zeichneten in der siebenstündigen Anhörung ein dunkles Bild vom Zustand der Sportstätten und des Sportbetriebes in der ehemaligen DDR.
Allein der Aufwand für die Sanierung von Kleinsportanlagen wird mit mindestens 4 Milliarden DM beziffert.
Oder die Aufforderung von Hans Hansen, dem DSB-Präsidenten - Zitat: „Die Sturheit muß weichen" - , der uns alle, die Sportpolitiker, auffordert, daß nun endlich ausreichend großes Interesse für den Sport gezeigt wird.
Oder das Gespräch des DSB-Präsidenten beim Innenminister, in dem zum Ausdruck gekommen ist, daß auch der DSB selbst nun endlich auf den Weg kommt, mehr als bisher Geld für den Sport, zum Aufbau des Sports in Ostdeutschland zu fordern.
Oder - ich will noch einen anderen Teil, den ich mit einem Stichwort schon genannt habe, hier ansprechen - die Frage der Bewegung in Richtung auf die Klärung grundsätzlicher Fragen, gerade im Spitzen- und Hochleistungssport.
Wenn beispielsweise der frühere Aktiven-Sprecher der deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft, Peter Bouschen - ich will von der Rücktrittsforderung gegenüber Willi Daume einmal absehen -, nachdrücklich Konsequenzen aus der nun immer deutlicher werdenden Dopingpraxis fordert, dann sage ich, meine Damen und Herren: Es ist mehr als Zeit, daß wir uns mit den Grundfragen des Sports, insbesondere denen des Spitzensports in seiner pervertierten Form, auseinandersetzen und unsere Konsequenzen in Zusammenhang mit der Sportorganisation auch selbst skizzieren, diskutieren und ziehen, die sich an eine solche Debatte zu knüpfen haben.
({3})
Unsere Haushaltsanträge haben wir von Anfang an in diese Richtung orientiert. Wir haben ein Sonderprogramm für den Aufbau des Vereins- und Breitensports in der früheren DDR gefordert. Wir wissen, daß dort unten bei den Vereinen bedauerlicherweise das Geld immer noch nicht in dem Maße ankommt, wie es dringend notwendig wäre, um die ehrenamtliche ArWilhelm Schmidt ({4})
beit zu untermauern und sie auf den Weg zu bringen. Da uns der große Bedarf nachdrücklich und häufig genug genannt worden ist, haben wir ein Sonderprogramm, ein Sofortprogramm für den Sportstättenbau, gefordert, das wir erneut „Goldener Plan" genannt haben. Jeder, der sich mit dem Sport und mit der Entwicklung des Sports in den vergangenen 40 Jahren im Westen der Bundesrepublik auseinandergesetzt hat, weiß, welche segensreiche Wirkung der von der Deutschen Olympischen Gesellschaft, dem DSB und vielen anderen Organisationen, auch von den Kommunen, entwickelte Goldene Plan in den vergangenen Jahrzehnten gehabt hat. Warum wollen wir denn nicht die Chance wahrnehmen und nicht die Notwendigkeit sehen, für den Aufbau des Sports in der jetzigen Situation in Ostdeutschland ein solches zusätzliches, neues Instrumentarium zu schaffen?
({5})
Unter diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, stehen wir zu unseren Haushaltsanträgen, auch wenn wir sie jetzt nicht mehr in die letzte Debatte getragen haben, weil sie nunmehr in eine Zeitphase hineinragen, in der sie nicht mehr die Wirkung entfalten können, wie wir es alle erhoffen.
Ich kann nur an die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien appellieren, mit uns gemeinsam an dieser Stelle nicht lockerzulassen und sich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten weiterhin mit diesem Thema zu befassen: im Sportausschuß, im Finanzausschuß, im Haushaltsausschuß ; vielleicht zum nächsten Nachtragshaushalt, vielleicht zum Haushalt 1992. Der große Handlungsbedarf und der Finanzbedarf sind vorhanden. Da das Ganze insbesondere im Sportstättenbau auch noch investive und damit arbeitsmarktwirksame Funktionen entwickeln kann, ist dies eine Sache, die uns allen gemeinsam am Herzen liegen müßte.
Meine Damen und Herren, wenn wir um die Strukturen des Sports in ganz Deutschland ringen, dann tun wir dies, weil wir zutiefst davon überzeugt sind, daß sich nun auch der Sport selbst in dieser Frage bewegen muß. 1987 ist bei dem vom Deutschen Sportbund in Gang gebrachten Kongreß „Menschen im Sport 2000" ein erster Ansatz dazu gemacht worden. Ich beklage an dieser Stelle zum wiederholten Mal: Dies ist leider nicht fortgeführt und umgesetzt worden. Ich bitte den Sport dringlichst darum, sich dieser Zukunftsdebatte noch intensiver als bisher zuzuwenden und sie mit uns gemeinsam zu einem Ergebnis zu führen, das man unter den Werteorientierungen erzielt, die der Spitzensport in den nächsten Jahren neu erlangen muß, auch im Interesse der jungen Menschen, die ihn als eine Orientierung, als eine Vorbildfunktion empfinden.
Dies funktioniert offensichtlich noch nicht ganz. Es kommt nicht von ungefähr, daß der Sport in diesen Tagen und Wochen wach wird. Das ist deshalb so, weil er selbst endlich diese Notwendigkeit empfindet.
Lassen Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten und dabei ohne Tabus vorangehen. Wir sollten die Vorbildwirkung des Sports in breite Kreise der Gesellschaft hinein nutzen, wir sollten zum Positiven gerade
für die jungen Menschen die vielfältigen guten Wirkungen des Sports respektieren und ausbauen und damit auch eine Umorientierung der bisher doch sehr belasteten Spitzensportförderung erreichen.
Vielen Dank.
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie sind damit am Ende der Aussprache zu den Einzelplänen 06, 36 und 33. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst zu den Änderungsanträgen der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum Einzelplan 06.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/640? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/641?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Einzelplan ist damit angenommen.
Wir kommen jetzt zum Einzelplan 36. Wir stimmen zuerst über den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/647 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/648?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 36 - Zivile Verteidigung - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist damit angenommen.
Zum Einzelplan 33 liegen keine Änderungsanträge vor. Wer stimmt für den Einzelplan 33 - Versorgung - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 33 ist damit mit großer Mehrheit angenommen.
Nun hat, bevor wir zu den Abstimmungen, die wir heute mittag zurückgestellt haben, kommen, noch die Kollegin Frau Dagmar Enkelmann das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.
Dr. Dagmar Enkelmann: ({0}): Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Herr Minister Schäuble und der Herr Abgeordnete Gerster haben in ihren Reden in hohen Tönen den Rechtsstaat BRD gelobt.
({1})
Zu einem Rechtsstaat gehört nach meiner Auffassung
auch die Akzeptanz Andersdenkender. Das ist eine
Dr. Dagmar Enkelmann
bittere Erfahrung, die wir in der ehemaligen DDR gemacht haben.
({2})
Das schließt auch ein, daß man akzeptiert, daß in diesem Parlament 17 Abgeordnete einer legalen Partei und ihrer Listenpartner sitzen, die in freien demokratischen Wahlen gewählt wurden und denen über eine Million Wähler ihre Stimmen gegeben haben.
Die diskriminierenden Äußerungen von Herrn Minister Schäuble und Herrn Gerster treffen nicht nur die freigewählten Abgeordneten, sondern vor allem ihre Wähler. Sie sprechen der eigenen Beschwörung des Rechtsstaats und der Demokratie hohn. Vielleicht, Herr Gerster, sind Sie auf diesem Gebiet noch lernfähig.
Danke.
Frau Kollegin Enkelmann, ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß der § 30 unserer Geschäftsordnung vorsieht, daß Sie sich ausschließlich mit Angriffen auseinandersetzen, die sich gegen Ihre Person richten. Dies war jedoch eine allgemeine Erklärung. Ich bitte Sie, das beim nächsten Mal wirklich auf Ihre Person zu beziehen. Die Erklärung war kurz. Trotzdem würde ich Sie bitten, das nächste Mal darauf zu achten.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen, die wir heute mittag zurückgestellt haben, und müssen jetzt noch über die Einzelpläne 08, 32, 60 und 20 abstimmen.
Wir kommen zunächst zum Einzelplan 08, zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Wer stimmt für den Einzelplan 08 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist damit angenommen.
({0})
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 32 - Bundesschuld - in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt für diesen Einzelplan? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Einzelplan ist damit angenommen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt für diesen Einzelplan? - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Auch dieser Einzelplan ist angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe!
- Stimmenthaltungen? - Dieser Einzelplan ist mit großer Mehrheit bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 05
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
- Drucksachen 12/505 ({1}), 12/530 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Klaus Rose
Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe
Zu dem Einzelplan und zu den Beschlußempfehlungen liegen ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/639 und ein Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/658 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ernst Waltemathe.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Außenpolitik war es bisher üblich - und es war durchaus eine gute Gepflogenheit und eine Tugend - , ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit zwischen Regierung und Opposition nicht nur anzustreben, sondern auch durchzusetzen, denn das Handeln oder auch das Nichthandeln der jeweiligen Regierung gegenüber dem Ausland betrifft das ganze Volk. Parlamentarische Demokratie bedeutet für uns jedenfalls bei außenpolitischen Debatten nicht eine Auseinandersetzung mit der Regierung um jeden Preis, denn auch, wie sich das Parlament insgesamt und jedes seiner Mitglieder verhält, kann auswärtige Beziehungen positiv und auch negativ berühren.
Wir als größte Oppositionspartei haben uns immer so und damit anders als die damalige Opposition der Regierungen Brandt und Schmidt und anders als der kleinere Koalitionspartner des Herrn Genscher verhalten und uns immer darum bemüht, einen konstruktiven Beitrag zur Entwicklung gedeihlicher Beziehungen zu allen europäischen Nachbarn, zu den USA
({0})
- der kleinere Koalitionspartner sitzt auf dieser Seite von Herrn Genscher - , zu den Ländern des Nahen Ostens, den Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu leisten, und haben uns natürlich auch für gute Beziehungen zu internationalen Organisationen eingesetzt. Gerade die internationale Tradition der Sozialdemokratie hat sich positiv auf Demokratisierungstendenzen, Überwindung von Unterdrückung und Elend sowie Wahrung von Menschenrechten in anderen Teilen der Welt ausgewirkt und den Gedanken der europäischen friedlichen Zusammenarbeit gefördert.
({1})
Weil das so ist, haben wir auch bei Haushaltsberatungen den Etat des Auswärtigen Amtes oft oder sogar in den meisten Fällen einer anderen politischen Wertung als andere Einzelpläne des Bundeshaushalts unterzogen.
Leider ist das in diesem Jahr anders. Auch die amtliche Außenpolitik dieser Bundesregierung ist gekennzeichnet von Streit innerhalb der Koalition, vom zeitweiligen Wegtauchen und dann wieder von plötzlichem Aktionismus des Außenministers, von Taktiererei, Inkonsequenz und zuweilen würdeloser Show.
({2})
Aus dem Bundeshaushalt selbst läßt sich die durchaus als unseriös zu bezeichnende Politik ablesen, wenn zu dem eigentlichen Einzelplan des Auswärtigen Amtes auch noch die Etatansätze mitbetrachtet werden, die sich beim Finanzminister im Einzelplan 60 verstekken, über den soeben abgestimmt worden ist.
Ich will zunächst positiv vermerken, daß der Prozeß der deutschen Einigung von Erfolgen der Außenpolitik begleitet worden ist. Nicht nur die westlichen Verbündeten, nein, auch die ehemaligen Ostblockstaaten wie z. B. Polen, Ungarn, die CSFR und natürlich die UdSSR selbst haben durch ihr Verhalten in den Jahren 1989 und 1990 die jahrzehntealte sogenannte deutsche Frage endgültig beantwortet. Die endgültige Festlegung der polnischen Westgrenze, die Zweiplus-Vier-Verhandlungen, der KSZE-Prozeß, die Vereinbarungen mit der Sowjetunion im Überleitungsvertrag, das alles wird von uns mitgetragen. Die Sozialdemokraten, Hauptinitiatoren der neuen Ostpolitik der 70er Jahre, freuen sich darüber, daß jetzt geerntet werden konnte, was als politische Saat in den europäischen Friedensprozeß eingebracht worden ist.
({3})
Nun scheint das vereinigte Deutschland seine neue Rolle in der Welt zu suchen. Dabei ist schon befremdlich, daß in erster Linie davon die Rede ist, ob, welche und wie viele Soldaten mit welchen Helmen an welcher Stelle für internationale Aufgaben bereitzustellen sind. Aus diesen Fragen unsere Hauptrolle ableiten zu wollen ist schlicht falsch.
Besser wäre es, mit konsequenter Gesetzgebung und Kontrolle gegen Rüstungsexporte endlich ernst zu machen. Aber auf diesem Gebiet kann sich auch der Außenminister nicht damit rühmen - obwohl er durchaus Verantwortung trägt - , daß er in früheren Zeiten seinen Einfluß wirklich geltend gemacht hat, um Lieferungen nach Libyen, in den Irak und in andere Regionen zu unterbinden, noch können wir irgendeine massive Einflußnahme des Außenministers erkennen, nach den negativen politischen Erfahrungen mit solchen Exporten wenigstens für die Zukunft konsequente Gesetze im Inland durchzusetzen und in die europäische Gesetzgebung einzubringen.
({4})
Auch, meine Damen und Herren, das neue Strategiekonzept der NATO kann nicht allein den Verteidigungsministern und dem NATO-Generalsekretär überlassen werden. Bündnispolitik muß immer ein wesentlicher Teil der Außenpolitik sein und unterliegt damit der Einflußnahme durch den Außenminister. Wenn der europäische Einigungsprozeß voranschreitet, der Warschauer Pakt aufgelöst ist, wie es ja der Fall ist, somit eine Konfrontation in Europa gar nicht mehr vorhanden sein wird, dann ist Abrüstung angesagt. Also ist es nicht hinnehmbar, daß ein sich als Verteidigungsbündnis bezeichnendes Bündnis sich mangels eines konkreten Gegenübers neue Aufgabenfelder sucht und vorgibt, die Welt neu zu ordnen und dazu Atomwaffen zu benötigen und Rüstungsprogramme auflegen zu müssen. Bei solchen Phantasien militärischer Strategen handelt es sich keineswegs um eine mißratene Fachpolitik, sondern um einen wesentlichen Teil falscher Außenpolitik.
Das nächste Beispiel: Der Golfkrieg und seine Folgen haben zu erheblichen Verlusten an Vertrauen in die deutsche Außenpolitik geführt. Hektische Reisen zu den arabischen Nachbarn des Irak und Israels, das Überreichen von Schecks im Werte von insgesamt 800 Millionen DM
({5})
und die Finanzierung von Kriegshandlungen durch die Bundesregierung haben nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch erhebliches politisches Ansehen und entsprangen eher einem politischen Dilettantismus als fundierter, durchdachter Vertretung der neuen Rolle Deutschlands.
Auf den Zwischenruf von Herrn Weng: Herr Weng, ich rede im Saal des Deutschen Bundestages nicht anders, als ich vor sechs Wochen in Israel geredet habe - damit das völlig klar ist.
({6})
- Kollege Rose, ich komme dazu.
Die eben erwähnte Überreichung von Schecks an Potentaten, unter anderem an den Präsidenten Assad von Syrien in Höhe von 100 Millionen DM und an König Hussein von Jordanien in Höhe von 150 Millionen DM, und die Tatsache, daß diese beiden Länder Entwicklungshilfe in Höhe von 160 Millionen DM bzw. 350 Millionen DM erhalten, wirft die Frage auf, ob Deutschland damit einen Beitrag zum Friedensprozeß im Nahen Osten beisteuert oder in Wahrheit neue Aufrüstung in eben dieser Region finanziert; denn Jordanien soll 20 französische Düsenjäger vom Typ Mirage 2000 kaufen wollen, und Syrien will bei der slowakischen Panzerfabrik Dubnice offenbar Panzer im Wert von 300 Millionen US-Dollar kaufen. Die pauschale Hergabe von deutschem Geld legt den Verdacht nahe, daß der deutsche Steuerzahler Beihilfe zu Rüstungskäufen leisten soll oder bereits geleistet hat.
Ähnlich muß man im Zusammenhang mit der Politik gegenüber Israel die Unberechenbarkeit deutscher Außenpolitik bewerten. Durch das sträfliche Zulassen von Rüstungs- und Know-how-Exporten in den Irak hat sich das deutsch-israelische Verhältnis bekanntlich sehr stark verschlechtert. Dies konnte auch durch die Zahlung von 250 Millionen DM an den Staat Israel, der von den Scud-Raketenangriffen betroffen war und dessen Tourismuseinnahmen in diesem Jahr bislang fast ausblieben, nur notdürftig repariert werden. Viel dringlicher wäre eine Israel-Initiative zu verstärkten Begegnungsmöglichkeiten der jungen Generationen Israels und Deutschlands. Hierzu hat Herr Bernhard Vogel - der Bruder unseres Fraktionsvorsitzenden - als Vorsitzender der Konrad-AdenauerStiftung im Auftrag aller übrigen politischen Stiftungen konkrete Vorschläge an den Bundeskanzler herangebracht. Es darf wohl vermutet werden, daß der
deutsche Botschafter in Israel gegenüber dem Außenminister ähnliche Anregungen geäußert hat.
Ich bin der Auffassung, daß sowohl die heutige junge Generation in Israel als auch die heutige junge Generation in Deutschland, also die jeweils dritte Generation nach 1945 - ich sage das einmal so, um es nicht noch näher bezeichnen zu müssen - besondere, neue Beziehungen miteinander und zueinander aufbauen müssen und daß dazu ein entsprechendes Programm aufgelegt werden müßte.
Außerdem ist es dringend erforderlich, daß nicht nur die junge Generation, sondern auch andere Menschen, Menschen aus den fünf neuen Flächenländern - allerdings meine ich auch die Berliner - , die bis zur Vereinigung Deutschlands mangels Beziehungen von Staat zu Staat und mangels Beziehungen von Mensch zu Mensch überhaupt keine Kontakte mit Israel hatten, verstärkt in Austausch- und Begegnungsprogramme einbezogen werden.
In Israel wird durch die Zuwanderung - insbesondere aus der Sowjetunion - in einigen Jahren ein weniger „westeuropäischer" Eindruck entstehen als heute. Auch dort wird es Veränderungen geben. In dieser Zeit der Veränderungen kann eine Israel-Initiative neue Impulse geben und neues gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Die Kosten dafür würden etwa 20 Millionen DM pro Jahr ausmachen. Leider haben die Koalitionsfraktionen - vielleicht bedingt durch eine Panne - unseren Antrag, schon für dieses Jahr die ersten 20 Millionen DM zu bewilligen, was der Anregung von Herrn Bernhard Vogel gegenüber dem Bundeskanzler entsprochen hätte, abgelehnt.
Aber, meine Damen und Herren: 880 Millionen DM für die Lieferung von zwei U-Booten nach Israel sind offenbar vorhanden.
({7})
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmte zu, Kosten für die Beschaffung von Patriot-Abwehrraketen und für andere Abwehrmöglichkeiten in der Zeit der Scud-Angriffe auf Israel mitzutragen und aus dem deutschen Haushalt zu finanzieren. Aber bei U-Booten handelt es sich nicht um Rüstungsgüter, die eine ausschließlich lebensrettende Abwehrfunktion haben.
({8})
Vielmehr ist die Lieferung von U-Booten - auch wenn sie nach Israel gehen - in Wahrheit ein verbotener Waffenexport in eine Region, in der Abrüstung und ein Friedensprozeß dringend erforderlich sind.
({9})
Trotz der Auflösung des Warschauer Paktes und des Wegfalls konkreter Bedrohung des europäischen NATO-Gebietes werden ungerührt im Etat des Auswärtigen Amtes für die NATO-Verteidigungshilfe 164 Millionen DM als Jahresrate fortgeschrieben und daneben 75,6 Millionen DM Rüstungssonderhilfen an Griechenland und Portugal bewilligt. Sie haben die Möglichkeit, diese Bewilligung nicht vorzunehmen, indem Sie unserem Antrag auf Drucksache 12/658 zustimmen. Aber so wie ich Sie kenne, werden Sie das
wohl nicht tun. Im Haushaltsausschuß haben Sie es jedenfalls nicht getan.
Diese bloße Fortschreibung solcher militärischer Ausgaben im Etat des Auswärtigen Amtes zeigt weitere Ungereimtheiten einer von uns als falsch angesehenen deutschen Außenpolitik in diesem neuen Deutschland und in seiner neuen Rolle.
Ich habe positiv angefangen, und ich will auch mit einem positiven Beispiel enden, ohne daß das Konsequenzen auf unser Abstimmungsverhalten hat.
Im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik sind Schritte in die richtige Richtung unternommen worden. Dazu hat auch das gemeinsame Drängen aller Fraktionen des Bundestages beigetragen. Wir Sozialdemokraten werden auch in Zukunft gern bereit sein, für verstärkte Aktivitäten der Sprachenarbeit, des Kulturaustausches, der Begegnungen, der Bildung und der Ausbildung zusätzliche finanzielle Konsequenzen im Etat des Auswärtigen Amtes durchzusetzen.
Gerade Kulturarbeit kann mit verhältnismäßig geringem Aufwand sehr viel zu einer friedlichen Zusammenarbeit und menschlichem Vertrauen beitragen und rentiert sich somit.
({10})
Aber auch wenn ich zuletzt dieses Thema positiv hervorgehoben habe und auch wenn die Sozialdemokratie in der Außenpoliltik ihre Oppositionsrolle nicht so versteht, daß sie die Pflicht hätte, jegliches Regierungshandeln zu kritisieren, so werden wir aus der Gesamtbetrachtung der von der Bundesregierung betriebenen Außenpolitik und der vorgetragenen gravierenden Beispiele von Fehlern den Etat des Auswärtigen Amtes in diesem Jahr leider ablehnen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Rose.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand wird bestreiten, daß der Außenpolitik nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle zukommt. Im Rahmen der Haushaltsberatungen fühlen wir uns zwar stark an den Hemmschuh Geld erinnert. Doch vieles geschieht bekanntlich im psychologisch-politischen Bereich, wo nicht unbedingt das Finanzielle, sondern das Atmosphärische bestimmend wirkt.
Ich möchte deshalb zunächst auf einige grundlegende Fragen eingehen, um dann später noch Haushaltsansätze zu beleuchten. Wir tun uns - der Beitrag des sonst sehr geschätzten Kollegen Waltemathe hat das wieder deutlich gemacht ({0})
zur Zeit ein bißchen schwer damit, wie wir die Rolle der deutschen Außenpolitik definieren sollen.
({1})
Vor allen Dingen der SPD-Parteitag hatte plötzlich als Hauptthema die Frage gehabt: Sollen es BlauDr. Klaus Rose
helme sein, oder sollen es gar die Rotkäppchen sein? Man hat sich fast nur mehr um dieses Thema gestritten. Sie wissen ganz genau - in allen ernst zu nehmenden Zeitungen wird die SPD angegriffen - : Wenn man kein anderes Thema hat, als sich damit herumzuschlagen, darum herumzueiern, dann ist wirklich nicht zu verstehen, wohin die Außenpolitik der SPD gehen soll. Meine Damen und Herren, Sie haben keinen Grund, uns zu kritisieren.
({2}) Man fragt sich: Dürfen wir, oder dürfen wir nicht?
({3})
Es mag ja sein, daß bei Ihnen manche vor dem Polizisten-Spiel Angst haben, ob das im Inland oder im Ausland ist; diese Fragen haben wir oft genug kennengelernt. Aber ich glaube nicht, daß das die Zukunft der deutschen Außenpolitik wirklich so wesentlich beeinflußt. Deshalb sage ich zu den grotesken Entscheidungen, die Sie auf Ihrem Parteitag getroffen haben: Das Ansehen der Deutschen haben Sie mit dieser Diskussion bestimmt nicht gestärkt.
({4})
Ich meine, daß wir eigentlich stolz darauf sein können, daß im Jahre 1990, und im bisherigen Jahr 1991, außenpolitisch doch viel erreicht wurde. Wir leben in Europa auf einem Kontinent der supranationalen Zusammenarbeit und des Friedens, zumindest was den Westen Europas beinhaltet. Gerade diese Bundesregierung und gerade auch dieser Bundeskanzler, auch dieser Bundesaußenminister, haben für die Zusammenarbeit in Europa intensiv gewirkt.
Dabei wurde aber der Gedanke an die deutsche Wiedervereinigung niemals aufgegeben. Das politische und diplomatische Meisterstück der Wiedervereinigung ist inzwischen gelungen. Am wichtigsten ist dabei die Tatsache, daß stets die Menschenrechte sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker in den Mittelpunkt gestellt waren. Wir haben uns nie Wandel durch Annäherung vorgestellt, sondern wir haben immer ganz klar unsere Standpunkte gehabt und geäußert: Selbstbestimmungsrecht der Völker, Achtung der Menschenrechte.
Die Bundesrepublik Deutschland war in diesen Fragen immer Vorreiter. Das ist einer guten Außenpolitik dieser Bundesregierung, aber auch, so meine ich, aller im Deutschen Bundestag vertretenen großen Fraktionen zu verdanken. Den Konsens im Einsatz um Menschenrechte in aller Welt sollten wir deshalb niemals aufgeben.
({5})
Wir sollten aber auch einen anderen Konsens nicht aufgeben, nämlich die Weiterentwicklung zum vereinigten Europa. Auch hier haben die Deutschen eine große Vorreiterrolle gespielt. Auch hier kommt ihnen, den Deutschen, in der Zukunft eine wichtige Aufgabe zu.
Die Diskussion läuft vor allem in die Richtung, daß Europa eine Staatenverbindung mit Regionen, mit regionalem Charakter sein muß. In diesem Europa der Regionen haben dann die Volksgruppenrechte Platz. In diesem Europa der Regionen schaut man gerne über die Grenzen, weil man sich auch bisher schon über die Grenzen hinweg begegnet ist. In diesem Europa der Regionen werden Gegensätze ausgeglichen, die wegen komplexer nationaler Vorstellungen bisher als unüberbrückbar galten. Die ganz großen Fragen, wie z. B. die Wirtschafts- oder Währungsunion, von der in diesen Tagen so viel die Rede ist, werden natürlich national gelöst werden müssen. Aber das unmittelbare Zusammenleben der Menschen, die kulturelle Vielfalt, die vertrauensvolle Zusammenarbeit sind im ganz großen Verbund nicht ohne weiteres möglich. Deshalb glaube ich, daß wir auch im Deutschen Bundestag die von verschiedenen regionalen Kreisen stark vertretene These stärker betonen sollten: Ein Europa der Zukunft kann wegen der kulturellen Vielfalt nur dann Bestand haben, wenn es ein Europa der Regionen ist.
({6})
Wir sind dabei, eine allgemeine außenpolitische Standortbestimmung vorzunehmen. Ich muß für meine Partei und meine Fraktion festhalten, daß es Hauptaufgabe unserer Außenpolitik ist, zusammen mit unseren Partnern und Freunden deutsche Interessen auf der internationalen Ebene wirksam zur Geltung zu bringen. Wir leben in einem Land mitten in Europa, mit entsprechender geostrategischer Bedeutung. Unsere Wirtschaft ist in hohem Maß von Rohstoffimporten abhängig.
Auf der anderen Seite hat sich Deutschland zu einem der wichtigsten exportierenden Staaten entwickelt. Wir sind in geradezu existentieller Weise auf eine Öffnung der Weltmärkte angewiesen. Ohne die Bereitschaft der meisten Länder in der Welt, ihre Märkte für deutsche Erzeugnisse zu eröffnen, gäbe es bei uns weder wirtschaftliches Wohlergehen noch sichere Arbeitsplätze.
Uns muß daher daran liegen, möglichst gute Beziehungen zu möglichst vielen Staaten in der Welt zu unterhalten.
({7})
Das ist mit Hilfe eines weitverzweigten diplomatischen Netzes, aber auch durch die Unterstützung der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft, z. B. durch die Außenhandelskammern, und selbstverständlich auch durch kulturelle Einflüsse besonders gelungen.
({8})
Es führt für uns Deutsche daher kein Weg daran vorbei, Beziehungen möglichst weltweit zu pflegen. Das wird in multinationalen Organisationen der Fall sein. Es werden aber auch unmittelbare bilaterale Beziehungen gepflegt.
Ein Teil des Geheimnisses des Aufschwungs der deutschen Wirtschaft und des deutschen Außengleichgewichts liegt jedoch darin, daß wir in eine feste
Bündnisgemeinschaft verankert wurden. Deshalb muß Hauptziel der Deutschen sein, in dieser Bündnisgemeinschaft zu bleiben, aber möglichst vielen anderen, besonders in der Bündnisgemeinschaft der Europäischen Gemeinschaft, die Tür zu dieser Gemeinschaft zu öffnen.
Öffnung - das ist überhaupt das wichtigste Wort unserer neuen Außenpolitik.
({9})
Die Deutschen öffnen sich gegenüber dem Osten und dem Südosten Europas. Sie öffnen sich - Gott sei Dank - wieder, weil es möglich ist. Sie sehen dort ihre traditionellen Märkte, ihre traditionellen Kulturbeziehungen. Dafür ist natürlich noch unendlich viel zu tun, und es lohnt sich, viel dafür zu tun.
Da ist z. B. die unmittelbare Öffnung der Grenzen zu unseren östlichen Nachbarn; wie wir sie - ich sage das als bayerischer Abgeordneter mit großer Freude - am vergangenen Wochenende im Beisein des Herrn Bundeskanzlers bei der Wiedereröffnung der Eisenbahnstrecke im bayerischen Grenzland zur Tschechoslowakei, in Bayerisch Eisenstein, gern erlebt haben. Das war eine großartige Veranstaltung über die Grenzen hinweg.
({10})
Das war das Europa der Regionen, wie wir uns das vorstellen. Den „Kronzeugen" , den Kollegen „Barthel" Kalb, sehe ich hier gerne. Er hat mit klugen Fernsehstatements dazu beigetragen, daß dieser Tag ihm und uns unvergeßlich sein wird.
({11})
An den geographischen Grenzen ist noch viel zu verbessern. Mehr noch muß allerdings gegen die geistigen Grenzen getan werden, gegen neue mentale Stacheldrähte, die sich hüben wie drüben mancherorten wieder spannen.
Der Kulturetat des Auswärtigen Amtes muß sich dieser Aufgabe, nämlich dem Abbau von geistigen Hemmnissen, besonders widmen. Ost- und Südosteuropa gehören in den europäischen Kulturkreis zurückgeführt. Sie verdienen es, vom Westen mit der lange ersehnten geistlichen - Entschuldigung: geistigen - Hilfe versorgt zu werden.
({12})
- Man kann sich versprechen, lieber Kollege von der FDP. Ich als CSU-Mann bin vielleicht doch mehr für das Geistliche und Sie nur für das Geistige.
({13})
Aber vielleicht treffen wir einander. - Im Bundeshaushalt 1991 ist deshalb den verschiedenen Mittlerorganisationen der deutschen kulturellen Außenpolitik ein besonderes Augenmerk gewidmet worden.
Im übrigen ist mehr als eine Milliarde DM für die Aufgaben der auswärtigen Kulturpolitik bereitgestellt worden. Herr Kollege Waltemathe, Frau Kollegin Dr. Hoth, wenn es darum ging, hier etwas auf den
Weg zu bringen, haben wir uns bislang immer gut verstanden. In Zukunft sollten wir in dieser Richtung weiterarbeiten.
Die Mittlerorganisation, ganz besonders das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst, natürlich auch die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die politischen Stiftungen überhaupt, aber auch die Volkshochschulen und andere Träger der Bildung, haben in den Grenzbereichen verantwortliche Aufgaben zu erfüllen. Dies weiß ich von Bayern. Im Sächsischen wird dies im Hinblick auf Polen so sein. Diesen Organisationen gebührt die volle Unterstützung des Deutschen Bundestages.
Trotz aller finanzieller Einengungen sind neue Goethe-Institute gegründet worden. Ein paar erwähne ich, weil ich in der Diskussion draußen immer wieder bemerke, daß der Ruf nach neuen GoetheInstituten, nach neuen deutschen Kulturinstituten laut ist und daß man nicht immer weiß, wo schon erste Schritte unternommen wurden. Ich erwähne deshalb, daß wir in Warschau, in Moskau, in Krakau, in Prag, aber auch in der Slowakei, nämlich in Preßburg, deutsche Kulturinstitute ausbauen werden.
({14})
Zum Teil sind diese Maßnahmen schon angelaufen; personelle Voraussetzungen sind geschaffen, die die langersehnte Chance bieten, die deutsche Sprache erneut als Verkehrssprache zu pflegen. Der Zwischenruf des Kollegen Waltemathe: „In Budapest auch!" ist richtig. Dies liegt schon etwas länger zurück. Deshalb habe ich es in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.
Es zeigt sich auf jeden Fall, daß diese wichtige Aufgabe der deutschen auswärtigen Kulturpolitik in den ostmitteleuropäischen Ländern aufgenommen wird und daß die Menschen dort dankbar dafür sind, daß deutsche Kulturpolitik mit Hilfe solcher Institute verwirklicht und dadurch eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen wird, zwischen Ost und West eine große Brücke zu schlagen.
Jetzt erfüllt sich endlich ein Passus der Regierungserklärung von 1983: Wir werden neue Anstrengungen unternehmen, um die deutsche Sprache im Ausland wieder mehr zu verbreiten.
({15})
Wir haben es insgesamt gewollt, und wir haben jetzt, da sich diese Länder wieder geöffnet haben, die Chance, die deutsche Sprache zu verbreiten. Das Goethe-Institut sieht eine seiner Hauptaufgaben darin, für Deutsch als Fremdsprache zu werben.
Solange das Goethe-Institut in dieser Richtung weiterarbeitet, brauche ich nicht mehr viel Kritik zu üben. Manche werden sich schon wundern, daß ich in letzter Zeit nicht mehr soviel Negatives über das GoetheInstitut sage. Schließlich kann man sich ja auf einen Konsens einigen. Offensichtlich ist die deutsche Sprache wieder in den Mittelpunkt gerückt. Das ist für mich sehr wertvoll.
Wir erinnern uns, daß es auch in diesem Hause herbe Diskussionen gab, in denen die deutsche SpraDr. Klaus Rose
che gar als Instrument nationalistischer Gesinnung verteufelt wurde. Das ist jetzt Gott sei Dank vorbei. Wir wissen, daß nach dem Wegfall des Russischen als der ersten Fremdsprache Deutsch die Chance hat, in Ostmitteleuropa wieder die Lingua franca zu werden. Deshalb sollten wir hierfür einiges tun.
Selbstverständlich können wir in Osteuropa auf manche Erfahrung der früheren DDR-Kulturinstitute oder auch -Botschaften und -Generalkonsulate aufbauen. Wo immer deutschfreundliche Beziehungen entstanden sind, sollten sie gepflegt werden. Ehemalige DDR-Konsulate oder -Botschaften im östlichen Europa wurden von uns übernommen. In gleichem Maß können Kulturinstitute weiter betrieben werden. Weil ich seit rund zwei Jahrzehnten Kontakte zu tschechischen und slowakischen Persönlichkeiten und Organisationen pflege, kenne ich die Chance, auf langjährigen Erfahrungen aufzubauen.
Prag wird sich als eines der neuen Zentren westöstlicher bzw. ost-westlicher Kulturbegegnung herausstellen. Aber die Slowakei und damit Preßburg dürfen nicht hintangestellt werden. In einem Europa der Regionen wird man viel mehr als bisher auf die Vielfalt kultureller Zentren achten und den regionalen und landsmannschaftlichen Aspekten Aufmerksamkeit schenken müssen. Die jugoslawischen Ereignisse lehren uns, daß auch mit Slowenien oder mit Kroatien eigenständige kulturelle Verbindungen eingegangen werden müssen.
Das Goethe-Institut als das besondere Aushängeschild der deutschen auswärtigen Kulturpolitik muß sich besondere Wege einfallen lasen, um dem Wunsch und dem Drang frei gewordener Völker Europas in ihrer kulturellen Vielfalt begegnen zu können.
Das gilt im übrigen auch für andere Gegenden Europas, die momentan in Vergessenheit zu geraten scheinen; ich meine das Baltikum, aus dem in den letzten Tagen wieder schlimme Nachrichten zu hören waren. Gerade deshalb sollten auch wir Deutsche aufgerufen sein, enge Kontakte mit den baltischen Völkern zu pflegen.
({16})
Der Haushalt 1991 ist im Etat des Auswärtigen Amts besonders von humanitären Aufgaben geprägt.
Die Deutschen insgesamt, zahlreiche Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, aber auch andere private Spenderverbände, leisten Jahr für Jahr unschätzbare wertvolle Hilfe für Problemregionen der Welt. Allen diesen Organisationen kann man gar nicht dankbar genug sein.
Trotzdem ist auch der Staat gefragt, der sich in wohlgezielten Aktionen bilateral und multilateral für die Linderung menschlicher Not einsetzen muß.
Allein aus dem Haushalt des Auswärtigen Amts werden bis zu 300 Millionen DM für humanitäre Zwecke ausgegeben. Ich nenne einige Zahlen: 18 Millionen DM für das Kinderhilfswerk UNICEF über den Hohen Flüchtlingskommissar, die direkten Hilfen zur Unterstützung auf dem Energiesektor, z. B. für Ungarn und Rumänien, besondere Hilfen für die
Sowjetunion; in diesem Zusammenhang müßte man auch die 176 Millionen DM, die als Beitrag an die Vereinten Nationen gehen, erwähnen.
Besonders müssen wir - auch dies ist jetzt in dem Etat des Auswärtigen Amts nicht unbedingt enthalten, wird aber über das Auswärtige Amt verwaltet - die Kurdenhilfe sehen. Dabei spielen die Deutschen eine herausragende Rolle.
Das mag zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Trotzdem ist es eine wertvolle Hilfe. Was hier von deutscher Seite geleistet wurde, verwischt hoffentlich den immer wieder auftauchenden Eindruck vom häßlichen Deutschen, dem nur am Materiellen und am Wirtschaftlichen interessierten Deutschen.
({17})
Die SPD hat heute - ich glaube, bei den Grünen gibt es einen ähnlichen Antrag - wieder einmal Streichungsanträge gestellt: bei der NATO-Verteidigungshilfe, bei der Rüstungssonderhilfe; bei den Grünen ist es, glaube ich, auch die Ausstattungshilfe.
Das geschieht alle Jahre. Fast wäre ich geneigt, zu sagen: The same procedure as every year.
Deshalb müssen wir das aus den gesamten außenpolitischen Erwägungen wieder ablehnen. Niemand soll meinen, daß wir da etwas ganz Besonderes machen. Solange die SPD regiert hat, sind diese Positionen selbstverständlich alle unterstützt worden. In der Opposition vertreten Sie jetzt eine andere Meinung. Wer weiß - das wissen wir freilich nicht, denn es wird erst nach dem Jahr 2000 passieren -, was wäre, wenn Sie wieder regieren würden. Auf jeden Fall werden wir diese Anträge ablehnen.
Ansonsten gab es im Haushaltsausschuß viel Gemeinsames, so daß im Interesse der Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes weitere Fortschritte erzielt werden konnten.
Man sollte deshalb den Bediensteten im Auswärtigen Amt und in den Vertretungen in aller Welt einen besonders herzlichen Dank sagen. Ich hoffe, daß die jetzt spürbaren Auswirkungen des Gesetzes zum Auswärtigen Dienst motivieren und beflügeln. Die deutsche Außenpolitik braucht natürlich einen motivierten Dienst.
Zum Abschluß greife ich etwas auf, was der Kollege Waltemathe vorhin etwas kritisch vorgetragen hat, nämlich diese Unterstützung für Israel, die durch einen Stiftungspräsidenten, Bernhard Vogel, zur Sprache gebracht wurde. Es kann und darf nicht der Eindruck stehenbleiben, als hätten das Parlament und die Mehrheitsfraktionen der CDU/CSU und der FDP irgend etwas gegen Israel.
({18})
Im Gegenteil, wir haben im zurückliegenden Jahr eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen auch für Israel unternommen.
Nur als Haushaltspolitiker - lieber Kollege Waltemathe, das müssen wir hier feststellen - können wir nicht damit einverstanden sein, daß man kurzfristig an den Haushaltsausschuß herantritt und daß ohne vor2000
herige genaue Kontrollmöglichkeit plötzlich 10 oder 20 Millionen DM über den Tisch geschoben werden sollen. Gerade Sie, die zuvor kritisiert hatten, daß es eine Scheckbuch-Diplomatie gab, können nicht sagen: Gut, es geht um Israel, und deshalb müssen wir es tun.
Ein geordnetes Verfahren ist angebracht. Der Haushalt 1992 steht vor der Haustür. Wir haben alle Chancen, diese Frage noch zu lösen. Es sollte aber bitte nicht der Eindruck bestehen bleiben, etwas werde gegen ein bestimmtes Land gerichtet.
Herr Kollege Rose, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe den Wunsch bemerkt. Darum habe ich meinen letzten Satz abgekürzt.
Herr Kollege Rose, ich bestätige Ihnen zunächst, daß ich keine Koalitionsfraktion angegriffen habe. Vielleicht war es ein Versehen.
Können Sie mir Ihrerseits bestätigen, daß ich dieses Thema erst am 23. Mai, als der Haushaltsausschuß zu seinen abschließenden Beratungen, zur sogenannten Bereinigungssitzung, zusammengetreten ist, aufgegriffen habe und daß am gleichen Tag, nachdem plötzlich eine Vorlage der Regierungskoalition vorgelegt worden war, 100 Millionen DM, die als humanitäre Hilfe für die Golfregion bezeichnet waren, aus dem Haushalt herausgenommen worden sind, so daß wir den Eindruck hatten, daß man auch 80 Millionen DM hätte herausnehmen können, so daß man am gleichen Tag auch noch über diese Israel-Geschichte hätte entscheiden können?
({0})
- Ich will nur nicht, daß der Eindruck entsteht, daß man am letzten Tag der Bereinigungssitzung nicht auch noch positive Beschlüsse hätte fassen können. Am gleichen Tag haben Sie aus dem Haushalt etwas herausgenommen, was vorher nicht vorgesehen war.
({1})
Auch da mußten Sie entscheiden. Das ist die Frage.
So, wie Sie es dargestellt haben, stimmt es nicht ganz. Natürlich sind 100 Millionen DM anderswohin geschoben worden. Das war aber schon lange vorher ausgemacht, weil diese Mittel ja vom Einzelplan 16 herüberkamen.
({0})
Es war nicht angemessen vorbereitet - darüber sind wir uns ja einig - , diese Millionen herüberzuschieben. Es spricht überhaupt nichts dagegen, mit dem gleichen Antrag zum Haushalt 1992 noch einmal zu kommen. Wir sollten die Gemeinsamkeit, die Sie vorhin so gern betont haben, besonders in der Außenpolitik bewahren und vertiefen.
Deshalb sage ich - ich sehe gerade, daß das rote Licht leuchtet - : Wir stimmen dem Einzelplan 05 selbstverständlich zu. Wir würden uns freuen, wenn auch Sie in ferner Zukunft wieder grünes Licht geben würden.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hans Modrow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man über den ersten Haushalt der Bundesrepublik Deutschland nach dem Anschluß der DDR zu befinden hat,
({0})
überrascht es nicht, daß er mit allen Spannungen belastet ist, die mit den ungelösten Problemen der deutschen Einheit zusammenhängen.
Die Hauptfrage ist aber, ob er dieser neuen Situation gerecht wird oder nicht. Die bisherige Debatte hat voll und ganz gezeigt, daß dies wohl nicht der Fall ist. Der Haushalt spiegelt - je nach Bereich unterschiedlich - alle Mängel, die aus der Sturzgeburt der deutschen Einheit herrühren.
({1})
- Wissen Sie, ich habe an diesem Prozeß ein ganz klein wenig mitgewirkt. Wir wollen hier über die Dinge in gegenseitiger Verantwortung und nicht mit dieser Unkultur reden, die Sie hier hineinzutragen versuchen.
({2})
- Halten Sie sich doch endlich zurück; dann brauchen wir nicht empfindlich zu sein.
Beim Haushalt des Auswärtigen Amtes ist vor allem zu fragen, ob er der neuen außenpolitischen Rolle dieses Staates, seinen Herausforderungen, den gebotenen Chancen wie auch den zu erwartenden Risiken gerecht wird.
Alle politischen Kräfte stimmen darin überein, daß die Vereinigung das politische und ökonomische Gewicht Deutschlands und damit seine Verantwortung in der internationalen Arena erhöht hat. Nach Art und Größe ist diese Bundesrepublik sogar einmalig in der langen Geschichte des Kontinents. In seiner Mitte gelegen, ist sie der wichtigste Partner der USA wie der Sowjetunion und hat die meisten Nachbarn.
Bewertet man den vorliegenden Haushalt unter diesem Aspekt, ergibt sich ein alarmierendes Bild. Im Prinzip bleibt alles, wie es war, sieht man von dem größeren Volumen ab. Dieses Bild wird verstärkt, wenn man den dazu gegebenen Begründungen der Bundesregierung folgt.
Vermißt werden wirklich gravierende Initiativen der Außenpolitik, die den neuen Ansprüchen und Herausforderungen gerecht werden. Wo sind die Aktivitäten der Bundesregierung zum Bau des vor der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags so viel zitierten Europäischen Hauses, zur Schaffung gesamtDr. Hans Modrow
europäischer Sicherheitsstrukturen unter Einbeziehung der Sowjetunion, zur Stärkung der so mühevoll geschaffenen KSZE-Institutionen, z. B. des Konfliktverhütungszentrums? Wo sind nennenswerte Initiativen der deutschen Außenpolitik zur Erleichterung und Lösung der Probleme der Dritten Welt? Wo bleiben wirklich neue Schritte, um mitzuwirken, die sich nicht zuletzt aus der Preis- und Zinspolitik der Länder der „Ersten Welt" zuspitzenden Probleme zu lösen?
Wir vermissen Initiativen zur Reformierung der UNO und zur Lösung der zahlreichen globalen Probleme. Auch hier gibt es offensichtlich keine neuen Denkansätze. Deshalb können ihnen weder der vorgelegte Haushalt insgesamt noch der Haushalt für den Bereich des Auswärtigen Amtes entsprechen.
Noch schlimmer aber ist, daß es eine Ausnahme gibt. Folgt man der Bundesregierung, dann soll, nein, muß das vereinigte Deutschland militärisch - zwar schrittweise, aber schnellstmöglich - Aktionsräume außerhalb des NATO-Gebiets und überhaupt in der Welt erschließen, als wäre nicht bereits zweimal in diesem Jahrhundert von deutschem Boden militärischer Einsatz mit all den sich daraus ergebenden Folgen ausgegangen.
Außenpolitik soll bekanntlich Vertrauen schaffen und berechenbar sein. Um wieviel mehr gilt das für das entstandene größere Deutschland und für seine Friedensverantwortung!
Diese Politik aber, finanziert mit diesem Haushalt, muß Mißtrauen erzeugen, muß die Prozesse der europäischen Einigung erschweren. Mehr noch: Eine solche Politik läßt Weitblick vermissen. Sie führte zur Beteiligung der Bundesregierung am Golfkrieg, der die deutschen Steuerzahler mindestens 17 Milliarden DM kostet. Schlimmer noch: Dieser Krieg hat keines der gravierenden Probleme des Nahost-Konflikts gelöst.
Statt wenigstens jetzt die Konsequenzen aus dieser verhängnisvollen außenpolitischen Aktion des vereinigten Deutschlands zu ziehen, beabsichtigt die Bundesrepublik, auf diesem Gebiet weiterzugehen.
Der Beweis: Ihre Zustimmung zur Schaffung einer schlagkräftigen mobilen Eingreiftruppe der NATO unter Führung der USA, die den atomaren Knüppel dazu beisteuern. Die vorgesehene Beteiligung der Bundeswehr mit bis zu drei Brigaden an dieser „Weltgendarmen" -Truppe, der nach Minister Stoltenberg fallweise weitere Heeresverbände zugeordnet werden können, ist eine eindeutige Verletzung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, nach dem jeder Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes untersagt ist. Sie widerspricht der besonderen Friedensverantwortung des vereinigten Deutschlands, die auch in Art. 2 des Zwei-PlusVier-Vertrages ausdrücklich verankert wurde.
Die PDS/Linke Liste lehnt jede wie auch immer geartete Erweiterung des militärischen Handlungsspielraums der Bundesrepublik ab. Hier darf auch nicht der kleinste Spalt einer Möglichkeit geöffnet werden. Denn viele Menschen in diesem Land, in Europa wie in der übrigen Welt empfinden es nach zwei Weltkriegen als unerträglich, wenn deutsche Truppen in anderen Regionen - sei es im Nahen
Osten oder in Kroatien, sei es im Baltikum oder zwischen Ungarn und Rumänien - im Auftrag der UNO, der NATO oder der WEU tätig würden.
Von dieser Bundesregierung werden aber für den globalen Einsatz der Bundeswehr unter Umgehung dieses Parlaments wie der Öffentlichkeit in der NATO bereits die Weichen gestellt.
Hier sagen wir entschieden: Wehret den Anfängen!
Es ist demagogisch, vor allem aber unmoralisch und mit dem Grundgesetz unvereinbar, wenn diese Haltung als Feigheit und als Ausweichen vor der Verantwortung diffamiert wird. Gerade dem vereinten Deutschland stünde es gut zu Gesicht, als Staat Lehren aus seiner Geschichte zu ziehen und eine qualitativ wirklich neue Rolle anzustreben, die den Erfordernissen der Welt von heute entspricht.
Das kann Deutschland, wenn es seine wiedergewonnene Souveränität und gewachsene Verantwortung für Frieden und Sicherheit dadurch wahrnimmt, daß es sein politisches, ökonomisches, geistiges, wissenschaftlich-technisches und kulturelles Potential für die Konfliktregelungen ohne militärische Gewaltanwendung, für vorbeugende Friedenssicherung, für die Rettung der Völker der Dritten Welt, für die Verhinderung des Kollapses der natürlichen Umwelt, für wirtschaftliche und technologische Partnerschaft und für weitere Abrüstung in die Waagschale der internationalen Politik legt.
Aus dem Haushalt des Auswärtigen sind die Posten für NATO-Verteidigungshilfe, Ausstattungshilfe und Rüstungshilfe unbedingt zu streichen.
({3})
Die Bundesregierung vermag offensichtlich weder aus der Einheit noch aus der bisherigen Entwicklung in Ost-Europa und der Sowjetunion die erforderlichen Schlußfolgerungen zu ziehen.
({4})
Statt nach der Auflösung des Warschauer Vertrags und nach dem Wiener Abrüstungsabkommen für die Aufgabe des NATO-Konzepts der konfrontativen Sicherheit und die Umstellung der strategischen Verteidigungskonzeption auf Hinlänglichkeit zu wirken, betreibt die Bundesregierung einen Kurs der Umrüstung und Modernisierung der Bundeswehr sowie der Verfestigung der NATO. Als hätte es den Beginn nuklearer Abrüstung mit der Null-Lösung bei Mittelstreckenraketen und das Versprechen baldiger Verhandlungen über taktische Kernwaffen nicht gegeben, befürwortet sie in der NATO die Modernisierung der Kernwaffen und die Schaffung modernster Abstandswaffen.
Ich wiederhole deshalb: Die bisherigen Ansätze in der deutschen Außenpolitik, die lediglich alte Konzepte - allerdings militärisch untersetzt - fortführen wollen, werden den Anforderungen nicht gerecht.
Noch eine Bemerkung: Die neue Rolle Deutschlands in der internationalen Politik muß in Deutschland selber beginnen. Es spricht aber für sich, wie sich die Diplomatie im größeren Deutschland ihrer neuen
Aufgabe annimmt. Es wurde soeben hier auf die Arbeit verwiesen, die von Kulturzentren und diplomatischen Vertretungen der DDR geleistet wurde. Warum gibt man jenen, die in dieser Arbeit tätig waren und sie geleistet haben, keine Möglichkeit, darin auch jetzt und künftig weiter tätig zu sein?
Diese Politik, die auch viele andere Berufsgruppen betrifft, führt zu völlig unnötigen sozialen Spannungen. Vor allem aber schadet sie dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik.
Die größere Verantwortung Deutschlands in der internationalen Politik beginnt bei der Korrektur der Haltung gegenüber den neuen Bundesländern und der Vermeidung eines solchen Herangehens beim Zusammenwachsen Europas. Erfolgt nicht bald im Denken und Handeln dieser Bundesregierung eine grundsätzliche Kurskorrektur, dann wird das vereinigte Deutschland seiner neuen Verantwortung nicht gerecht. Die Erwartungen, die Europa und die Welt in uns setzen, und das Vertrauen, das Europa und die Welt uns entgegenbringen, könnten tief enttäuscht werden.
({5})
Das Wort hat Frau Kollegin Dr. Sigrid Hoth.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Haushaltsberatungen sind immer auch ein Zeitpunkt der Bilanz geleisteter Arbeit.
Für den ersten Einzelplan 05 eines gesamtdeutschen Bundeshaushalts bedeutet dies: Die außenpolitische Aufgabe „deutsche Vereinigung" ist abgeschlossen. Herr Modrow - dies ausdrücklich an Ihre Adresse - , ich empfinde es als deutsche Vereinigung und nicht wie Sie als Anschluß.
({0})
Nun geht es an die langwierige und komplizierte Umsetzung dieser Aufgabe im Innern, die unsere Kräfte sicher auf Jahre in Anspruch nehmen wird.
Eine erfolgreiche Außenpolitik, eingebettet in Europa und im westlichen Bündnis, hat entscheidend dazu beigetragen, daß die Überbleibsel von Mauer und Eisernem Vorhang und die Reste stalinistischer Gewaltherrschaft mit all ihren Unerträglichkeiten verschwinden. Nun gilt es, die Trümmer aufzuräumen und ein besseres, ein friedliches Gesamteuropa zu bauen.
Die ersten Gewitter der neuen Weltordnung sind überstanden. Deutschland hat gezeigt: Es ist in vorderster Linie dabei, wenn es um Menschenrechte und Minderheitenschutz gegen brutale Tyrannei geht und wenn Erste Hilfe bei den Folgen natürlicher oder durch Menschen verursachter Katastrophen zu leisten ist.
({1})
Der Auswärtige Dienst hat auch in diesen Zeiten seine Bewährungsprobe bestanden.
({2})
Vor anderthalb Jahren galt es, den Angehörigen der Botschaften in Budapest, Prag und Warschau den Dank dafür auszusprechen, daß sie in den schweren Wochen des Spätsommers 1989 schier Übermenschliches geleistet haben, um den in die Botschaft Geflüchteten aus der damaligen DDR erste Versorgung zu gewähren und eine menschenwürdige Ausreise zu ermöglichen.
({3})
Die Ereignisse haben sich seither fortgesetzt. Vom Umbruch in Bukarest über die Botschaftsflüchtlinge in Tirana bis zu den Ereignissen in Kuwait, Bagdad, Tel Aviv und den Folgen der Bürgerkriege in Liberia, Somalia und, in diesen Tagen, Äthiopien, immer waren es die Botschaftsmitarbeiter und ihre Familienangehörigen, die die Hauptlast von Betreuung und Evakuierung zu tragen hatten.
Das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz über den auswärtigen Dienst hat aus Anlaß dieser Fälle, bei denen oft Hab und Gut Opfer von Kriegseinwirkungen und Plünderungen waren, seine erste Bewährungsprobe bestanden.
Im besonderen Maße zu begrüßen ist es, daß im nun zu verabschiedenden Haushalt eine zusätzliche Stellenausstattung für das Auswärtige Amt beschlossen worden ist, die es in die Lage versetzt, die vermehrten Aufgaben auf Grund der deutschen Vereinigung im zusammenwachsenden Europa und weltweit in bilateraler und multilateraler Form zu übernehmen.
Ich freue mich, in diesem Zusammenhang auch feststellen zu können, daß bei der Auswahl der Anwärter für den auswärtigen Dienst durchweg Bewerber aus den neuen Bundesländern proportional zum Zuge kommen.
Auch bei der Ausstattung mit Sachmitteln konnte den steigenden Anforderungen und den zusätzlichen Belastungen Rechnung getragen werden. Damit sind u. a. die Voraussetzungen geschaffen worden, um den Vertretungen in Stettin, Danzig, Breslau, Minsk, Preßburg, Krakau sowie Pjöngjang, Phnom Penh, Saigon und demnächst auch Alma-Ata - es handelt sich hierbei vorwiegend um bewahrenswerte Erbstücke der ehemaligen DDR - die Arbeitsaufnahme zu ermöglichen.
Generell ist jedoch festzustellen, daß für die Auslandsbediensteten der Ausnahmefall zur Normalsituation geworden ist. Auch nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes sind die Krisen und Bürgerkriege in der Welt nicht weniger, sondern eher mehr geworden. Gewachsene deutsche Verantwortung hat zur Folge, daß unsere Präsenz in Form politischen Engagements und humanitärer Hilfe praktisch überall als Selbstverständlichkeit erwartet wird.
Neben der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit, die sich seit 30 Jahren um die Rahmenbedingungen in der Dritten Welt bemüht und sich mit globalen Herausforderungen wie Umweltzerstörung und Bevölkerungsexplosion auseinandersetzt, spielt die Bewahrung menschlichen Lebens und menschlicher Würde in den Grenzbereichen der Politik eine immer größere Rolle. Weltinnenpolitik bedeutet, daß es uns nicht kalt lassen kann, wenn in der Sowjetunion und in Rumänien die Menschen hungern und frieren, daß
uns das Schicksal der von den Schergen Saddam Nusseins vertriebenen Kurden genauso angeht wie die Opfer in Bangladesch und in den Dürre- und Bürgerkriegsgebieten Afrikas.
Eine besondere Hervorhebung bei der Jahrhundertaufgabe der Schaffung eines neuen Europa in einer friedlichen Welt verdient die deutsche Kulturarbeit im Ausland einschließlich der Tätigkeit der Goethe-Institute. Es gilt, auch die neuen Bundesländer umfassend in die internationale kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit, d. h. in die Programmarbeit der kulturellen Mittlerorganisationen wie die Personenaustauschprogramme, einzubeziehen.
Die wissenschaftliche Kooperation und die deutsche Sprache in Mittel- und Osteuropa soll verstärkt gefördert werden. In allen neuen Demokratien wirken Goethe-Institute an der Aufgabe mit, die große Nachfrage nach deutscher Sprache und nach Informationen über Deutschland zu befriedigen. Wir fördern den Deutschunterricht durch Entsendung von Lektoren an Universitäten sowie von Lehrern an Schulen der jeweiligen Länder. Von den weltweit ca. 16 Millionen Deutschlernenden leben allein 12 Millionen im Baltikum und in Mittel- und Osteuropa.
Wir werden, wie es am 31. Oktober 1990 der Deutsche Bundestag ausdrücklich bekräftigt hat, tun, was wir können, um dieser Nachfrage gerecht zu werden.
Auch das Netz der Auslandsschulen wird nach Bedarf ausgebaut werden. Die Neugründungen deutscher Schulen in Prag und Budapest sind erste Ergebnisse.
Die Spracharbeit der DDR-Kulturinstitute wurde weitgehend vom Goethe-Institut übernommen. Zum erheblichen Teil fördert die Bundesrepublik auch die von der ehemaligen DDR zugesagten Gastspiele und Ausstellungen.
Etwa 11 000 ausländische Stipendiaten befanden sich in der ehemaligen DDR, etwa 4 000 DDR-Studenten im Ausland. Viele Länder haben uns dringend gebeten, ihren jungen Leuten die Fortsetzung ihres Fachstudiums bis zum Examen zu ermöglichen. Das haben wir nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes getan. Etwa 6 500 Ausländer an den Universitäten und Hochschulen der neuen Ländern haben jetzt ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Auch die einst von der DDR ins Ausland, fast ausschließlich nach Osten entsandten jungen Deutschen können und werden weiterstudieren, hoffentlich bis zu einem guten Abschluß.
Die Bilanz der Integration der bisherigen DDR im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik ist allerdings gemischt. Durch die scharfe ideologische Ausrichtung sind viele der entsandten Personen und ein Großteil der Programme nicht zur Übernahme geeignet.
Alle diese Maßnahmen kosten den Kulturhaushalt des Auswärtigen Amts in diesem Jahr rund 105 Millionen DM zusätzlich. Herr Modrow, ich möchte Sie ausdrücklich auf diese Zahl hinweisen; denn sie beweist, daß keineswegs alles beim alten bleibt, wie Sie vorhin ausführten.
({4})
Das sind etwa 9 % des gesamten Kulturetats, gewiß nicht zuviel angesichts der Tatsache, daß das vereinigte Deutschland um ein Viertel mehr Bürger hat als die bisherige Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich folgendes festhalten: Eine verstärkte internationale kulturelle, wissenschaftliche, pädagogische und gesellschaftspolitische Zusammenarbeit zugunsten von Institutionen oder gesellschaftlichen Gruppen und vor allem zugunsten der Bürger der neuen deutschen Länder wird auch den Partnern in den Nachbarstaaten zugute kommen.
Mittel- und Osteuropa bildet seit dem mit dem Namen Gorbatschow verbundenen politischen Umbruch ein sich rasch ausweitendes Feld unseres politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Engagements. Wir werden mit unseren westlichen Partnern Hilfestellung für die jungen Demokratien beim Aufbau offener und demokratischer Gesellschaften geben. Solche Beiträge zum Wandel leisten wir nicht zuletzt durch umfangreiche Programme zur Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft, z. B. aus der Sowjetunion, Ungarn und Polen.
Seit dem politischen Wandel in Mittel- und Osteuropa ist die Unterstützung der dort lebenden deutschsprachigen Minderheiten möglich geworden. Sprachliche und kulturelle Eigenständigkeit soll nicht mehr Trennendes, sondern Verbindendes zwischen den Völkern sein. Auch dies ist auswärtige Kulturpolitik. Der in diesen Tagen ausgehandelte „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit" mit unserem direkten östlichen Nachbarn Polen ist ein beredtes Beispiel für den Weg in eine bessere Zukunft.
({5})
Wir wollen, daß Europa politisch, wirtschaftlich und kulturell zusammenwächst und die Beziehungen zwischen den Staaten unseres Kontinents immer mehr zu einer Sache ihrer Bürger werden.
Meine Damen und Herren, ein in Frieden geeintes prosperierendes Europa, eine neue friedliche Weltordnung zu begründen liegt in unseren Händen. Ergreifen wir doch gemeinsam diese Chance!
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Kollege Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die deutsche Einheit sollte Ausgangspunkt für die Aufhebung der europäischen Teilung sein. Das vereinte Deutschland sollte einen entscheidenden Beitrag zur Friedenssicherung und zur Garantie der Menschen2004
rechte in aller Welt leisten. - So oder ähnlich lauteten die Beteuerungen der regierenden deutschen Parteien im Jahre der Einheit, und zwar beiderseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs.
Und doch ist im Jahr danach zu konstatieren, daß das Aussprechen solcher Sätze inzwischen eher ein schales Gefühl hervorruft. Durch die andauernde Wiederholung werden sie nicht glaubwürdiger. Auch mehren sich die Stimmen, die sagen: Besser nicht daran rühren. Bloß nicht schlafende Hunde wecken. Besser wäre es, wir täten so, als bliebe alles beim alten. Wozu also am Grundgesetz rütteln, mit dem wir seit Jahrzehnten gut leben? Wozu einen Haushalt verändern, der doch seit vielen Jahren einen hinreichenden Rahmen für die Führung unserer Geschäfte abgegeben hat?
Andere, die von der neuen Rolle Deutschlands in der Welt sprechen, meinen damit etwas völlig anderes als die mögliche Mittlerrolle gegenüber Ost und Süd: Endlich wären wir wieder wer. Lange genug hätten wir ja darauf gewartet. Es wäre nun endlich an der Zeit, unsere neue Rolle auch im internationalen Geschehen vorzuführen, z. B. im Rahmen von Out-ofarea-Einsätzen der Bundeswehr. - Manchmal habe ich das Gefühl, daß sich die Verfechter dieser Idee nur allzuschnell beweisen wollen.
Schon werden diejenigen als Drückeberger verteufelt, die ein deutsches Engagement in Krisenregionen in keiner Form wünschen, oder auch diejenigen, die sich Deutsche nur unter blauen Helmen von UN-Friedenstruppen vorstellen können, und auch das nur dann, wenn nach entsprechenden Reformen der UNO die Instrumentalisierung solcher Einsätze für die jeweiligen nationalen Interessen mit Sicherheit auszuschließen ist.
Die vehement geführte Diskussion zu diesem Thema drängt sich mir auf, wenn ich die einzelnen Titel dieses Haushalts nachlese und dann feststelle, daß sich nichts von alledem darin niederschlägt. Während alle in der einen oder anderen Weise von der neuen Rolle Deutschlands reden, bleibt doch alles beim alten.
Die neue Situation in Europa verlangt jedoch keineswegs das sture Festhalten an alten Bedrohungsszenarien. Angesichts der anhaltenden existentiellen Bedrohung von Milliarden von Menschen sind weder fatalistische Ergebenheit noch militärische Kraftmeierei Deutschlands angebracht. Gefordert ist statt dessen, einerseits die zunehmend katastrophale Lage in der sogenannten Dritten Welt und andererseits die veränderte politische und militärische Situation in Europa endlich zur Kenntnis zu nehmen. Das bedeutet im Klartext der heutigen Debatte notwendigerweise, die unnötigen Ausgaben zu streichen und die frei werdenden Mittel so einzusetzen, daß die Einheit der Deutschen tatsächlich einen Hoffnungsschimmer in aller Welt aufkommen läßt.
Lassen Sie mich das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Erstens. Das Verschwinden des Warschauer Pakts hat immer noch nicht zu angemessenen Konsequenzen im NATO-Bereich geführt. Verbal wird seit mehr als einem Jahr von der NATO die Umstrukturierung
und eine neue Strategie angekündigt. Aber die Realität ist: Die gewohnten Feindbilder sind trotz Beendigung des Kalten Krieges immer noch nicht abgebaut. Der im Osten vermutete Feind verschwindet nicht einfach mit seinem Militärbündnis. Statt der Lösung der gravierenden Probleme des ärmeren Südens mittels einer entschiedenen Neuorientierung des Haushalts näherzukommen, wird der Nord-Süd-Konflikt nur auf populistisch verkürzende Weise zur Kenntnis genommen. In schwärzesten Farben ausgemalt, entsteht ein undifferenziertes und unreflektiertes Bild vom islamischen Fundamentalismus einerseits, vom Teufel Saddam Hussein andererseits.
Wo bleiben da die Träume von der friedenstiftenden Rolle des vereinten Deutschland? Im Einzelplan 05
- Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes - haben sie keine Spur hinterlassen. Wie eh und je erscheinen die 164 Millionen DM NATO-Verteidigungshilfe sowie die Rüstungssonderhilfe für Griechenland und Portugal zur Absicherung der sogenannten Stützung der Südflanke des NATO-Gebietes, also reine Militärausgaben. Diese sinnlos verausgabten Mittel haben nichts im Bundeshaushalt und schon gar nichts in dem des Auswärtigen Amts zu suchen.
Zweitens. Entsprechendes gilt für die sogenannte Ausstattungshilfe für Länder der Dritten Welt. Wer glaubt, hier gehe es um eine Ergänzung der Entwicklungshilfe, irrt. Mit solchen Geldern wurden bisher beispielsweise Polizisten in autoritären Ländern ausgebildet.
({0})
- Aber selbstverständlich; das können Sie in früheren Berichten nachlesen.
({1})
In ihren Sonntagsreden relativieren die Außenpolitiker im Interesse der Durchsetzung der Menschenrechte das oberste Gebot des bisherigen Status quo, die Nichteinmischung in die sogenannten inneren Angelegenheiten.
({2})
- Das ist wahr, nicht? Ich hoffe jedenfalls, daß Sie dem zustimmen.
({3})
- Sie stimmen also dem Prinzip der Nichteinmischung in der bisher praktizierten Weise auch weiterhin zu. Habe ich das recht verstanden? - Aha. Die Kollegin hat mich jetzt nicht richtig verstanden. - Sie müssen sich aber sagen lassen, daß Sie die ordnungspolitischen Vorstellungen von Regimes, für die Demokratie und Gewaltenteilung nach wie vor Fremdworte sind, ausgerechnet mit Mitteln des Auswärtigen Amtes unterstützen.
Daß diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, läßt sich leicht an dem Umgang mit der sogenannGerd Poppe
ten Volksrepublik China zeigen. Fast auf den Tag genau sind zwei Jahre seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens vergangen. Noch immer wird die Demokratiebewegung in China kriminalisiert, noch immer werden die Tibeter und die muslimischen Minderheiten unterdrückt. Fast täglich ist von neuen Verhaftungen und von vollstreckten Todesurteilen die Rede, und doch sind die westlichen Demokratien schon längst wieder zur Tagesordnung übergegangen. Ein deutscher Staatssekretär begrüßt die stabile Lage in China.
({4})
Deutsche Exporteure dürfen sich der begehrten Hermes-Bürgschaften sicher sein.
Wir fordern, die drei genannten Titel des Einzelplans 05 zu streichen. Sie ergeben insgesamt eine Summe von etwa 276 Millionen DM. Das sind Mittel, die im Sinne einer neuen Rolle Deutschlands weitaus angemessener eingesetzt werden könnten, z. B. zur Linderung des Elends in Flüchtlingslagern oder zur Katastrophenhilfe in Bangladesch.
Drittens. Die Streichung und Umwidmung der genannten Titel hätte eine Signalwirkung in dem von uns gewünschten Sinne einer deutschen Vorreiterrolle, bezogen auf die Durchsetzung der Menschenrechte, auf die friedliche Schlichtung von Konflikten oder auch auf die Bewahrung der natürlichen Umwelt.
Andere Titel beziehen sich auf die humanitäre Hilfe. Sie ist notwendig, und sie wird es noch für eine lange Zeit bleiben. Sie sollte sogar verstärkt werden. Aber was macht es für einen Sinn, 18 Milliarden DM in einen sinnlosen Krieg zu investieren, um sich anschließend der 470 Millionen DM zur Linderung seiner Folgen für die Betroffenen zu rühmen? So geschehen im Golfkrieg und danach. Dabei sind die massiven Rüstungsexporte, die den Krieg mit ermöglicht haben, noch gar nicht erwähnt, ebensowenig wie die noch zu erwartenden Schäden auf Grund der nach wie vor unzulänglichen Korrekturen in der Außenwirtschaftspolitik und in der Aufarbeitung der Wirtschaftskriminalität.
({5})
Um nicht mißverstanden zu werden:
({6})
Selbstverständlich muß humanitäre Hilfe geleistet werden - für die kurdischen Flüchtlinge reicht sie bei weitem nicht aus - , nur genügt es nicht, im nachhinein mit unzureichenden Mitteln einen Schaden zu begrenzen, der durch den Einsatz wesentlich höherer Mittel, auch deutscher Mittel, zuvor entstanden ist und der in seinen durch militärische Mittel verursachten Folgen sogar provoziert und billigend in Kauf genommen wurde.
({7})
Humanitäre Hilfe bleibt ein Faß ohne Boden, wenn sie nicht von angemessenen politischen Maßnahmen der Bundesregierung begleitet ist. Betrachtet man dies hinsichtlich der Unterstützung des kurdischen Volkes, so ist das Ergebnis doch recht mager.
Auf der Tagesordnung stand die notwendige Unterstützung der Kurden auf ihrem Weg zur politischen und kulturellen Selbstbestimmung und bei ihren Verhandlungen mit dem Regime in Bagdad. Doch mit alldem werden die Kurden alleingelassen, und zwar trotz gegenseitiger verbaler Ankündigungen. In Kürze werden die amerikanischen Truppen aus dem Nordirak abziehen. Niemand weiß, was dann geschieht, außer daß wir in absehbarer Zeit erneut vor der Notwendigkeit stehen werden, in vergleichbarer Weise humanitäre Hilfe zu leisten.
({8})
- Ich bin nicht dafür, daß amerikanische Truppen dort bleiben, aber ich bin für politische Lösungen,
({9})
die z. B. sicherstellen, daß die Kurden tatsächlich in ihre Wohngebiete zurückkehren können, ohne erneut bedroht zu werden.
({10})
Ich bin nicht für die Vorherrschaft von Truppen von Großmächten.
({11})
- Ich bin auch nicht dafür, daß deutsche Truppen das machen. Vielmehr bin ich dafür, daß es Truppen aus kleinen Ländern, aus blockfreien Ländern sind, die, natürlich finanziell unterstützt, solche Aufgaben übernehmen können.
({12})
Viertens. Unzureichend - ich erwähnte das schon - berücksichtigt der Haushalt die tiefgreifenden Veränderungen in Europa. - Natürlich ist es sinnvoll, die Entwicklung einer sozialen Marktwirtschaft in der Sowjetunion und in Jugoslawien zu unterstützen und die Demokratisierung der ehemals so genannten sozialistischen Länder zu fördern. Fragwürdig ist es aber, umfangreiche finanzielle Mittel zur Stützung zentralistisch regierter Staaten bereitzustellen. Hilfe für den sowjetischen Staatsapparat, der die Grenzen seiner Fähigkeit zur erfolgreichen Reform von Wirtschaft und Gesellschaft längst erreicht hat und sich nunmehr in Konfrontation mit fast allen Erneuerungskräften in der Sowjetunion befindet, ist nicht nur in den Sand gesetzt, sondern geht auch an den gegebenen Realitäten vorbei.
Längst haben sich in den baltischen und in den anderen Republiken Kräfte formiert, die tatsächlich in der Lage zu sein scheinen, die Wirtschaft zu sanieren und die Demokratie zu entwickeln. Sie nicht als gegenüber der Zentrale zumindest gleichwertige Partner zu behandeln bedeutet, daß die Hilfe wie in den vergangenen Jahren bestenfalls folgenlos versickert
oder aber daß gar Jahre später einer ohne unser Zutun reformierten Sowjetunion eine katastrophale Schuldenlast aufgebürdet wird.
Noch deutlicher wird das Problem in Jugoslawien, wo der gesamtstaatliche Partner faktisch von der Bildfläche verschwunden ist und somit die Gefahr besteht, ausgerechnet das so unsäglich vom kommunistischen zum nationalistischen gewendete Regime Serbiens an seine Stelle zu setzen.
Die veränderte Gesamtsituation in Europa endlich zur Kenntnis zu nehmen heißt also, nicht einfach Geld oder mehr Geld zur Verfügung zu stellen, sondern heißt vor allem, eine neue politische Konzeption gegenüber dem Osten zu entwickeln, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und dabei vor allem die Kräfte zu berücksichtigen, die zu einer Erneuerung fähig sind.
Wir vermissen die mitdenkende Verantwortungsübernahme des Westens hinsichtlich der osteuropäischen Reformen. Können wir einfach unbeteiligte Zuschauer bleiben, wenn wir erkennen, wie groß die sozialen Folgen der Wirtschaftsreform in Polen, das sich strikt an die Auflagen von IWF und Weltbank hält, sind? Können wir es verantworten, wenn die notwendige Rekonstruktion der Marktwirtschaft in Osteuropa im Stil des Frühkapitalismus abläuft? Können wir es akzeptieren, daß einerseits Geld zur Verfügung gestellt wird, andererseits aber nur unzureichende Bereitschaft besteht, die Schuldenlast zu verringern?
Ist das nicht Wasser auf die Mühlen populistisch argumentierender Demagogen, die Haß auf den Westen schüren?
({13})
Wir wissen, daß es ohne sozialen Frieden im Inneren keinen Frieden nach außen gibt. Ohne wirkliche Anteilnahme unsererseits wird es gewaltsame Auseinandersetzungen, Nationalismus, eine verstärkte Fluchtbewegung, eben die befürchtete Instabilität geben.
Die Rahmenbedingungen für unsere intensivere Mitwirkung sind durch die begrüßenswerten Verträge mit der Sowjetunion, mit Polen und demnächst auch mit der CSFR gegeben. Nun gilt es, die Verträge mit wirklichem Leben zu erfüllen. Dazu bedarf es des Engagements der Gesellschaft, vieler einzelner Menschen und Gruppen.
Eine Reihe von Projekten, die in diesem Sinne wirken, sind bereits entstanden, z. B. beiderseits der deutsch-polnischen Grenze. Ich vermisse in diesem Haushalt die Bereitschaft, ein derartiges Engagement zu unterstützen.
Fünftens und letztens soll schließlich noch ein Problem genannt sein, nämlich das der Außenvertretungen des Auswärtigen Amts. Sie sind besetzt von Diplomaten, die im Westteil der heutigen Bundesrepublik aufgewachsen und ausgebildet sind.
({14})
- Ich komme gleich darauf.
Wir achten ihre Arbeit und wünschen uns keineswegs Vertreter der sogenannten alten Seilschaften in der ehemaligen DDR an ihrer Stelle.
({15})
Wir würden es aber sehr begrüßen, wenn in den Botschaften auch Menschen arbeiteten, die von ihren Erfahrungen in der früheren DDR und den heutigen neuen Bundesländern geprägt sind.
({16})
Die Außenvertretung der Bundesrepublik kann, wenn wir es mit der deutschen Vereinigung ernst nehmen, nicht nur durch Westler geschehen. Sicher ist der Einwurf richtig, daß es zur Zeit nur wenige Menschen in Ostdeutschland gibt, die ausreichende Voraussetzungen für eine solche Arbeit mitbringen.
({17})
- Die Hallenser und wir schätzen die Arbeit des Bundesaußenministers. Es gibt aber auch Menschen, die noch längere Zeit in Halle gelebt haben und auch heute noch dort leben. Warum sollten nicht auch sie in diese Arbeit einbezogen sein?
({18})
Wir vermissen ein entsprechendes Förderprogramm, z. B. für Menschen aus den neuen Bundesländern, die seinerzeit ihre persönlichen und politischen Kontakte mit Osteuropäern unter sehr schwierigen Bedingungen knüpften und aufrecht erhielten und die auf Grund ihrer politischen Einstellung keine Chance einer angemessenen Ausbildung hatten.
({19})
Der Osten Deutschlands und Europas ist nicht nur ein finanzielles Problem für den Westen, nicht nur ökologische oder gar menschliche Altlast, sondern in vielem auch eine menschliche Bereicherung. Ich wünschte mir, daß sich dieser Gedanke stärker in westlichen Köpfen einnistete. Ich hätte mir gewünscht, daß er auch folgenreich für den vorliegenden Haushalt im einzelnen wie auch in seiner Gemeinsamkeit gewesen wäre.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Stercken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratung eines Haushalts, der die Wahrung deutscher Interessen im Bereich der Außenpolitik in europäischer und weltweiter Verantwortung gewährleisten soll, gibt Anlaß, auf die langfristigen und die aktuellen Aufgaben hinzuweisen, denen wir uns zur Sicherung des Friedens, zur Wahrung der Rechte aller Menschen und zum Ausbau
der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Verantwortung in der Welt widmen wollen. Hat sich auch die Lage in Europa entspannt, so bedeutet dies keineswegs, daß nicht andere Probleme an die Stelle der bisherigen getreten wären; Probleme, die uns in einer anderen Weise als der bisherigen beschäftigen müssen.
Ich denke an das Wiedererwachen nationalen Denkens, das für einen Bürger der Europäischen Gemeinschaft oft schwer nachzuvollziehen ist, weil der Integrationsprozeß in der Gemeinschaft ein Weg in die übernationale Zusammenarbeit ist, mit dem das Zeitalter nationalstaatlicher Rivalitäten beendet werden soll.
({0})
Die deutsche Außenpolitik wird die Einsicht fördern helfen, daß auch die Interessen der ost- und südosteuropäischen Völker und ethnischen Gruppen nur auf einer gemeinsamen Grundlage zu erfüllen sind.
Die Europäische Gemeinschaft wird nicht alle an sie gerichteten Erwartungen erfüllen können. Der KSZEProzeß vermag aber Strukturen und Zusammenarbeit und damit die Lösung lokaler Konflikte zu bieten. Die bevorstehende Konferenz in Berlin wird nachhaltig von diesen Bemühungen bestimmt sein. Dem Außenminister sollen wir für die Leitung dieser Gespräche Glück wünschen.
Die Frage der Minderheiten und ihrer gerechten Behandlung bleibt auf der außenpolitischen Tagesordnung. Die damit verbundenen Probleme sind nicht nur durch mangelnde Toleranzbereitschaft der betroffenen Menschen, sondern auch durch die Vermarktung ihrer Gefühle zum Zwecke der politischen Agitation entstanden. Gerade die politisch Verantwortlichen müssen daher von uns erfahren, daß wir nicht nur für wirtschaftliche Vorteile und Kredite zur Verfügung stehen, sondern daß diese Zusammenarbeit auch den Willen voraussetzt, die europäischen Maßstäbe zu respektieren, die für eine Zone der Sicherheit und Zusammenarbeit unerläßlich sind.
Zu den langfristigen Aufgaben der Außenpolitik gehört sicher auch das Weltflüchtlingsproblem. Ein immer größerer Teil der Weltbevölkerung befindet sich auf der Wanderschaft im eigenen Land und über die Grenzen hinweg. Diese Menschen wollen dem Elend entrinnen. Ihre Hoffnungslosigkeit läßt sie jedes Wagnis eingehen, auch das des politischen Asyls. Die Europäische Gemeinschaft wird für das Europa der Freizügigkeit neue Maßstäbe festlegen müssen. Damit wird aber das Problem sicherlich nicht an der Wurzel gepackt.
Die neue humanitäre Weltordnung, die Aga Khan einst den Vereinten Nationen empfohlen hat, setzt eine Bereitschaft zum Teilen mit den Habenichtsen dieser Welt voraus, die uns leider illusionär erscheinen muß. Wo ist in der Debatte bei uns oder anderswo die Bereitschaft zu erkennen, etwa den Zugewinn für eine Linderung des heulenden Elends an vielen Plätzen der Dritten Welt einzusetzen?
({1})
Die Wanderungsbewegungen aus Nordafrika haben den Süden Europas schon millionenfach erreicht.
Wie soll es angesichts der Bevölkerungsexplosion in diesen Ländern eigentlich weitergehen?
({2})
- Der Papst ist für die arabische Welt, lieber Kollege Voigt, nun weiß Gott nicht zuständig.
Aber trotzdem darf ich die Frage auch an Sie richten: Mit welchen Maßstäben werden wir im eigenen Interesse zu diesen Lösungen beitragen? Was wird morgen geschehen, wenn die Sowjetunion ihre Schleusen öffnet? Wir werden es schwer haben, meine ich, angesichts unseres gerechtfertigten Verlangens nach Freiheit und Freizügigkeit den Besuch zu begrüßen und die möglichen Folgen zu verhindern.
Hier zeigt sich, wie gerechtfertigt die Politik der Bundesregierung ist, eine möglichst rasche Entwicklung in der Sowjetunion zu fördern, um Zeichen der Hoffnung in der UdSSR zu setzen und um damit diesen Exodus zu vermeiden. Außenpolitik darf ja gelegentlich auch einmal präventiv sein, und ich kann uns nur empfehlen, darüber in stärkerem Umfange nachzudenken.
In der Außenpolitik Deutschlands muß jetzt auch spürbar werden, daß wir nicht fragwürdigen Ambitionen folgen, wenn wir die Verantwortung für diese Welt ernster nehmen, nachdem uns das Vertrauen der Welt den Weg zur deutschen Einheit erleichtert hat.
({3})
Ich spreche nicht von Normalität. Was ist schon Normalität, und wer legt das eigentlich fest? Ich spreche von der Bereitschaft zur Verantwortung. Wer mitredet, Kollege Gansel, muß mithaften. Manche Argumente zu diesem Thema verkürzen diese Ethik allein auf militärische Konsequenzen, etwa unter Hinweis auf den Golfkrieg. Alle denkbaren Konflikte und Bedrohungen haben mit einem solchen Szenario wirklich nichts zu tun. Doch die Strategie der Konfliktverhinderung wird kaum in der Arbeitsteilung bestehen, daß die einen reden und die anderen haften.
In diesem Zusammenhang verdient die immer wieder eingesetzte Formel von der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer eine sehr gewichtige Rolle. Bei allem Respekt vor nationaler Eigenständigkeit sollte für uns der Abschluß von Verträgen so ernsthaft sein, daß wir die Nichteinhaltung derartiger Vereinbarungen auch geltend machen.
({4})
Wir sollten schon bereit sein, uns in die inneren Angelegenheiten Europas einzumischen, besonders bei denjenigen, die sich in der Zukunft wirtschaftlich und finanziell eines höheren Maßes an Solidarität der Europäer bedienen wollen. Daß die Europapolitik, d. h. konkret die Schaffung der politischen und der Währungsunion, das dominierende Ziel der Politik der Bundesregierung bleibt, ist eine richtige Konsequenz aus der gewonnenen Einheit. Einheit und europäische Einigung sind miteinander verflochtene Aufträge der Bundesverfassung.
({5})
Dies in Erinnerung zu bringen gibt Veranlassung zu der Bemerkung, daß die bevorstehenden Verhandlungen nicht nur der Reorganisation der Exekutive dienen dürfen, sondern insbesondere der Zuweisung der längst fälligen legitimen Rechte für das Europäische Parlament.
({6})
Wenn dies nicht schleunigst mit der Hilfe des Bundestags geschieht,
({7})
wird eine neuerliche Wahl zum Europaparlament wenig Interesse finden. Das ist nicht nur eine institutionelle Frage, Herr Gansel.
({8})
Ich denke, ich bringe den Wunsch aller Fraktionen in Erinnerung, daß die der Gemeinschaft bereits oder noch zu übertragenden Aufgaben samt und sonders dem Europäischen Parlament zu übertragen sind und daß daher folgerichtig unser Parlament auf diese legislativen Rechte dann auch verzichtet. Wir schulden diese klare Aussage unseren Kollegen im Europäischen Parlament. Wir wachen darüber, daß die Bundesregierung und der Bundestag für die europäische parlamentarische Demokratie eintreten und nicht nur der bisherige Zustand korrigiert, sondern die längst fällige Erweiterung stattfinden wird.
Nun zu einigen Aktualitäten, die wir bedenken sollten, weil sie den Verlauf der Außenpolitik in den nächsten Jahren beeinflussen werden. Ich denke zunächst an die Resolution 688 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die davon ausging, daß Bürgerkrieg und Völkermord als Destabilisierung einer ganzen Region anzusehen seien. Im Sicherheitsrat ist durch die Enthaltung Chinas und Indiens deutlich geworden, wie Regierungen sich verhalten, wenn Prinzipien zur Debatte stehen, die gegebenenfalls auch auf sie angewandt werden können. Unsere Aufgabe besteht darin, die sich jetzt entwickelnde erweiterte Rechtsauffassung auszubauen. Dies ist dringend erforderlich, wenn unsere Bemühungen künftig stärker auf die Verhinderung von Konflikten als auf deren militärische Lösung gerichtet sein sollen. Wir wünschen ja auch von Herzen, daß den Völkern in Jugoslawien der Einsatz militärischer Mittel zum Zwecke des Erhaltes der Einheit des Landes erspart bleibt.
Die Wertmaßstäbe, die Grundlage des Verhältnisses der Europäischen Gemeinschaft zu Jugoslawien sind, werden nicht nur von dem Wunsch nach Einheit bestimmt, sondern auch vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und von der Achtung der Menschenrechte. Ich möchte für meinen Teil bekennen, daß die Politik der Republik Serbien solchen Maßstäben nicht gerecht wird. Die Lage in Kosovo ist dafür leider ein beredtes trauriges Beispiel.
({9})
Wir, meine ich, sollten auch in diesem Hause mit allem Nachdruck vor dem Einsatz von Gewalt warnen und Demokratie und Menschenrechte einfordern.
Nach den Leiden, die der Golfkrieg für Millionen Menschen in vielen Ländern des Nahen Ostens verursacht hat, stellt sich die Frage, ob nicht alle Betroffenen nun um so energischer nach einer Lösung dieses Konfliktes verlangen müßten. Da wir mit einer europäischen Nahostpolitik nicht aufwarten können, sollten wir dem amerikanischen Außenminister Baker Glück wünschen, der sich mit großem Einsatz um eine Annäherung der Standpunkte bemüht. Ich sehe dabei jedoch auch Ansatzpunkte für flankierende Maßnahmen der Europäer, beispielsweise im Libanon, wo sich trotz Geiseln und weiterer Spannungen doch eine kompromißbereitere Haltung erkennen läßt.
Ich hoffe, daß auch die nächste Phase der europäischen Neuordnung ihre Impulse auf der Grundlage der deutsch-französischen Zusammenarbeit erfährt. Wir sollten damit verdeutlichen, daß diese Grundlage deutscher Außenpolitik durch die Ereignisse des letzten Jahres eher an Aktualität gewonnen hat.
Wir begrüßen daher, daß auch die Beiträge der britischen Regierung einen Weg zu öffnen scheinen, der einer Beschleunigung des europäischen Prozesses zugute kommen kann. Dies könnte auch den Weg zu einer politischen Union erleichtern, für den die gute Zusammenarbeit mit Großbritannien in der WEU zusätzliche Impulse liefern könnte.
Meine Erwähnung einiger konkreter Probleme hat deutlich gemacht, daß wir die enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, insbesondere auch im Bündnis der amerikanischen und europäischen Demokratien, für unverzichtbar halten. Ich denke, wir wollen auch im parlamentarischen Bereich daran mitwirken, in europäischer und atlantischer Solidarität nicht nachzulassen.
Das ist kein Gegensatz zu unserem Wunsch, daß auch die Sowjetunion einen Weg in eine erfolgreiche demokratische Zukunft gehen möge. Wir wünschen das gerade auch um Europas willen.
Dieser Weg in die Öffnung und in die Demokratie wird auch die Voraussetzung für eine freiheitliche Lösung vieler Probleme ermöglichen - von einigen war eben hier die Rede -; dies wünschen nicht nur die Deutschen dringlichst.
Wir erhoffen dies auch, um den Weg Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns in die Europäische Gemeinschaft zu erleichtern und zu beschleunigen.
({10}) Europa ist in vielerlei Hinsicht unterwegs.
Meine Damen und Herren, dies waren einige Gedanken zu politischen Schwerpunkten. An ihrer Umsetzung ist ein Auswärtiger Dienst beteiligt, für dessen erfolgreiches Wirken wir nicht nur deshalb danken wollen, weil wir sehr häufig diesen Dienst in allen Regionen der Welt in Anspruch nehmen. Aber gerade das sollte eine Veranlassung für Parlamentarier sein, auch einmal in diesem Haus zu danken.
({11})
Durch die Diskussionen mit den Bediensteten des Auswärtigen Amtes vor Ort hat sich der Eindruck verstärkt, daß das Gesetz über den Auswärtigen Dienst dort allgemeine Anerkennung gefunden hat. ManDr. Hans Stercken
cherorts hat es den zutreffenden Eindruck vermittelt, daß die oft schwierigen Lebensverhältnisse auch von diesem Hause gewürdigt worden sind.
Ich erhoffe daher auf dieser Grundlage einen konstruktiven Beitrag der Deutschen zur weiteren Stärkung des Friedens, der Entwicklung und der Menschlichkeit in der Welt.
({12})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in dieser Bundestagssitzung muß unsere gemeinsame Sorge den Vorgängen im Baltikum gelten. Die Übergriffe sowjetischer Soldaten auf das litauische Parlament haben Methode. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen.
({0})
Wir fordern die sowjetische Seite auf, wen immer es angeht, die Rechte der Litauer zu wahren. Von den Litauern erwarten wir, daß sie weiter ihr Recht auf Selbstbestimmung auf friedlichem Wege verfolgen.
({1})
Es ist nun auf den Tag genau zwei Jahre her, daß im Westen der heutigen Bundesrepublik viele tausend Menschen auf die Straße gingen, um in Trauer für die Studentinnen und Studenten der chinesischen Demokratiebewegung zu demonstrieren, die in der Nacht vom 4. zum 5. Juni auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking von Panzern niedergefahren worden waren. Wer erinnert sich nicht an die Bilder?
Wir haben damals für die Demokratiebewegung in China und zugleich für die Demokratie in Osteuropa und in der damaligen DDR demonstriert. Nicht wenige von uns fürchteten nämlich, daß auch andere kommunistische Diktatoren versuchen würden, mit der Gewalt des Militärs den Zug der Freiheit zum Stehen zu bringen, der seine Fahrt gerade durch Osteuropa und die Sowjetunion begonnen und die DDR erreicht hatte.
Am 15. Juni 1989 erklärte die außenpolitische Sprecherin der CDU/CSU im Bundestag - ich zitiere - :
Nach diesem grausamen Massaker am eigenen Volk, nach den Massenverhaftungen und dem unverhohlenen Aufruf zur Denunziation darf es nicht bei rein formalen Protesten bleiben. Business as usual muß ausgeschlossen bleiben, solange die grausamen alten Männer, die für das brutale Vorgehen der chinesischen Soldaten verantwortlich sind, an der Macht sind.
({2})
Frau Geiger ist heute Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der beamtete Staatssekretär desselben Ministeriums, Dr. Lengl, hat schon im Herbst vergangenen Jahres China besucht und „business as usual" gemacht: Exportförderung mit Hermes-Bürgschaften und Entwicklungshilfe mit ausdrücklicher Zustimmung der Mehrheit des Bundestages.
Jetzt hat der Staatssekretär bei einem neuerlichen Besuch den grausamen alten Mann umarmt, der bei dem Massaker an der Macht war und noch heute an der Macht ist, den chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng. Während Tausende der damals denunzierten und verhafteten chinesischen Demokraten im Gefängnis sitzen oder vor dem Tribunal stehen, erklärt der Herr Staatssekretär Presseberichten zufolge - ich zitiere -, „die jetzige stabile Lage in China habe ihn tief beeindruckt".
({3})
Wie mögen wohl diejenigen fühlen, die bei den Bürgerprotesten in Leipzig und Prag damals auf die Straße gegangen sind, obwohl sie eine chinesische Lösung fürchteten?
Als Sozialdemokrat habe ich selten Anlaß, die Jugendorganisation der CDU/CSU zu loben,
({4})
aber die Forderung der Jungen Union, Staatssekretär Dr. Lengl müsse zurücktreten, ist nur allzu berechtigt.
({5})
Sie ist ein Gebot des politischen Anstands, und ich fordere den Bundeskanzler auf, dem Bundespräsidenten die Entlassung Dr. Lengls vorzuschlagen.
({6})
Kollege Gansel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rose?
Bitte sehr, Herr Präsident.
Herr Kollege Gansel, ich weiß zwar nicht, was der Herr Lengl in China genau gemacht hat, aber darf ich Sie daran erinnern, daß wir gemeinsam auf einer Reise junger Abgeordneter im Jahre 1978 durch die Volksrepublik China innerhalb von zweieinhalb Wochen durchaus mit chinesischen „Würdenträgern" zu tun hatten und daß Sie damals eine sehr positive Einstellung zu dem dortigen System hatten?
Ja, und es war für uns eine große Überraschung und ein Entsetzen, daß wenige Wochen danach, als wir gesagt haben: Man kann über dieses China sagen, was man will, aber militaristisch ist es nicht!, die kriegerischen Aktionen gegen Vietnam begonnen wurden. Ich habe das öffentlich kritisiert und stehe auch zu dem, was ich in derselben Debatte mit Frau Geiger zusammen gesagt habe: Ich werde denen, an deren Händen Blut klebt, als Außenpolitiker nie die Hand geben, geschweige denn sie umarmen.
({0})
Herr Kollege Gansel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Gansel, ist Ihnen bekannt, daß Staatssekretär Lengl bei seiner China-Reise die dortige bedrükkende Menschenrechtssituation angesprochen hat und daß er möglicherweise in Kürze zu erwartende Erfolge bei der Freilassung politischer Gefangener erzielt haben wird?
Ich habe von den Dementis des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit gelesen. Wer solche Dementis kennt, weiß, daß sie ihn mehr belasten als entlasten. Warum verteidigen Sie den falschen Mann?
({0})
Auf den außenpolitischen Kongressen der CDU und der CSU ist in den vergangenen Tagen viel davon geredet worden, Deutschland müsse auch in der Außenpolitik zur Normalität zurückkehren. Was heißt zurückkehren? Was heißt eigentlich Normalität? Nicht alle in der Union haben sich so nachdenklich geäußert wie heute der Kollege Stercken. Aber wenn der Begriff der Normalität in der Außenpolitik einen Sinn haben soll, dann muß er, und zwar besonders für Deutschland, vor allem Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit vermitteln. Für die Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Bundesrepublik ist es von entscheidender Bedeutung, daß wir unsere Verpflichtungen aus dem Zwei-plus-Vier-Vertrag nach Geist und Buchstaben einhalten, also die Verpflichtungen aus jenem Vertrag, der uns völkerrechtlich die Einheit gebracht hat.
Der Grenzvertrag mit Polen ist immer noch nicht ratifiziert. Der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Beziehungen ist noch nicht einmal unterzeichnet. Der Bundeskanzler lobt den Vertragsentwurf als einen Erfolg. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Hornhues erklärt ihn für unterschriftsreif. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dregger verlangt dagegen Konkretisierung des Vertragstextes. Die CSU verlangt Nachverhandlungen und Zusätze. Jetzt wird in den Regierungsparteien über eine interpretierende Entschließung des Deutschen Bundestages diskutiert - das alles, nachdem die Regierung, aus denselben Personen und Parteien bestehend, den Vertrag mit der polnischen Regierung ausgehandelt hat.
Da geht es nicht um eine berechenbare und zuverlässige Politik. Da geht es nicht um Normalität, sondern da wird das deutsch-polnische Verhältnis zum Gegenstand einer fast manischen politischen Profilneurose gemacht; der Bundesaußenminister trägt dafür die Verantwortung.
({1})
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung auf, den Freundschaftsvertrag mit Polen zu unterzeichnen und ihn zusammen mit dem Grenzvertrag unverzüglich dem Parlament zur Ratifizierung vorzulegen.
({2})
Es ist richtig, daß der Vertrag in bezug auf die deutsche Minderheit in Polen mehr Absichtserklärungen als Garantien enthält. Aber wir setzen Vertrauen in die Entwicklung der polnischen Demokratie, die auch die Minderheitenrechte der in Polen lebenden Deutschen wahren und entwickeln muß. Wir vertrauen auf die europäische Orientierung Polens. Dieses Vertrauen wird um so stärker bestätigt werden, wie wir Polen den Zugang zur Europäischen Gemeinschaft erleichtern können.
Zu einer wünschenswerten Normalität unserer Außenpolitik wird es auch gehören, den bilateralen Vertrag mit der CSFR möglichst rasch zustande zu bringen. Die Verantwortung für das Aushandeln des Vertrages trägt die Bundesregierung, für seine Ratifizierung trägt sie das ganze Parlament.
Der Außenminister ist gut beraten, in der Vorbereitung dieses Vertrages mit den Sudetendeutschen zu sprechen. Aber ihr Verband gehört so wenig an den Verhandlungstisch wie der Freistaat Bayern.
({3})
Es gehört sich nicht - das sage ich an die Adresse gewisser Pfingstredner aus den Unionsparteien -, solches in anbiedernder Weise auf Vertriebenenkongressen in Aussicht zu stellen.
Im übrigen gibt es Anlaß, davor zu warnen, den Vertrag mit Entschädigungsansprüchen zu überfrachten. Das würde doch nur zu einer schlimmen Aufrechnerei führen. Allerdings kann erwartet werden, daß die CSFR, soweit sie in der Aufarbeitung ihrer kommunistischen Vergangenheit und bei der demokratischen Neugestaltung ihrer Wirtschaft alte Rechtsverletzungen durch generelle Regelungen für ihre Staatsbürger zu heilen versucht, die Sudetendeutschen einbezieht.
Meine Damen und Herren, für unsere Sicherheitspolitik gilt, daß sich die Bedrohung mit der Vereinigung Deutschlands grundlegend verändert hat. Tatsache ist, daß nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR sowjetische Armeen nicht länger an den Grenzen zur Bundesrepublik stehen. Ich empfinde die Anwesenheit von mehr als 300 000 sowjetischen Soldaten in den neuen Bundesländern auch jetzt noch nicht als eine Bedrohung.
({4})
Aber niemand hat zu Mißverständnissen Anlaß, wenn ich darauf hinweise, daß es unser primäres sicherheitspolitisches Interesse ist, daß diese Soldaten, wie in den deutsch-sowjetischen Verträgen vereinbart ist, die Bundesrepublik bis 1994 verlassen. Es gehört ja zu den Absurditäten der Politik, daß wir in der alten Bundesrepublik vor dieser Armee mehr Angst hatten, als sie jenseits der Grenze stand, als heute im vereinten
Deutschland, wo sie mitten auf unserem Territorium ist.
({5})
In dem Jahr, in dem sich der von Hitler befohlene Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion zum 50. Male jährt, muß es sich dabei um den Beginn einer Rückkehr der sowjetischen Truppen in ihre Heimat und nicht um einen Rückzug handeln. Wir Deutsche haben ein Interesse daran, daß die sowjetischen Armeen, die als Befreier und Besatzer kamen und Bündnispartner des unfreien Teils Deutschlands und eine Bedrohung der westlichen Sicherheit waren, in Würde zurückkehren können.
({6})
Wir alle sind aufgerufen, daran mitzuwirken. Für die Zukunft des deutsch-sowjetischen Verhältnisses wird das von fundamentaler Bedeutung sein.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht wird und die erforderliche Mischung aus Sensibilität und Weitsicht aufbringen wird. Wenn es möglich ist, die Rückkehr der sowjetischen Truppen noch schneller und reibungsloser zu organisieren, so daß sie vor 1994 abziehen könnten, sollte uns das einiges wert sein.
({7})
Jede Mark, die zu diesem Zweck ausgegeben wird, ist
zehnmal besser in unsere Sicherheit investiert als bei
der Beschaffung neuer Panzer und Kampfflugzeuge.
({8})
Meine Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten sind Streitkräfte nicht Selbstzweck oder gar Manifestation eines Mythos „nationaler Souveränität". Auf dem Bremer Parteitag haben wir eine alte Grundüberzeugung der Sozialdemokraten bekräftigt - ich zitiere - :
({9})
Wir erstreben eine Weltordnung, in der Kriegshandlungen geächtet und unterbunden werden und die Vereinten Nationen das internationale Gewaltmonopol erhalten.
Nationale Armeen durch eine mit Machtmitteln versehene internationale Rechtsordnung überflüssig zu machen bleibt eine Vision, die wir das erste Mal im Godesberger Programm beschworen haben.
({10})
Diese Vision wird uns leiten, auch dort, wo für die Gegenwart praktische Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir haben deshalb in Bremen beschlossen - ich zitiere - :
Deutschland wird auf absehbare Zeit Streitkräfte
zur Verteidigung brauchen. Ziel ist es, sie überflüssig zu machen. Bis dahin müssen deutsche
Streitkräfte in Umfang, Doktrin, Struktur und Ausrüstung so bemessen sein,
({11})
daß sie zur Landesverteidigung befähigt sind und die Bündnisverpflichtungen erfüllen können. Sie müssen so vermindert werden, daß Bedrohung von ihnen nicht ausgeht, sie jedoch weiterhin kriegsverhindernd wirken.
({12})
Wie ist die Lage im Bündnisgebiet? Das Territorium des NATO-Bündnisses hat mit der Sowjetunion nur noch an den Flanken, in der Türkei und in Norwegen, gemeinsame Grenzen. In Zentraleuropa ist es von der Sowjetunion durch die osteuropäischen Demokratien getrennt. Es wäre zynisch, diesen Staaten wieder die Rolle eines Puffers zuzuschieben. Sie müssen sich in eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur gleichberechtigt einfügen können. Die KSZE muß dafür weiterentwickelt werden. Aber Tatsache ist, daß die Bedrohung des NATO-Gebiets der Mitte durch die nach Auflösung des Warschauer Pakts verbliebenen sowjetischen Armeen drastisch zurückgegangen ist. Es ist nicht erkennbar, daß etwa die Bedrohung an den Flanken entsprechend gestiegen ist.
Es ist also Raum für konventionelle Abrüstungsschritte, die weit über den im KSZE-Vertrag geschaffenen Rahmen hinausgehen könnten und unseren Völkern endlich die Friedensdividende gewähren könnten.
({13})
Als eine Bedrohung bleibt allerdings das atomare Arsenal der Sowjetunion, das im Verlauf der Erosion alter Strukturen noch an Gefährlichkeit gewinnen kann. Diese Bedrohung ist nur durch einschneidende Abrüstungsvereinbarungen über Atomwaffen zu reduzieren. Die Bundesregierung hätte sich deshalb bei der vor wenigen Tagen abgehaltenen Frühjahrstagung der NATO-Verteidigungsminister für eine realistische Bedrohungsanalyse und für neue Abrüstungsinitiativen einsetzen müssen. Sie hat kläglich versagt.
({14})
Es ist unbegreiflich, daß die NATO ihre Ankündigung vom Londoner Gipfel, Abrüstungsverhandlungen über nukleare Kurzstreckenwaffen kurz nach der Unterzeichnung eines KSE-Abkommens aufzunehmen, sechs Monate später noch immer nicht wahr gemacht hat. Die Position der SPD ist klar. Wir wollen den Abzug sämtlicher Nuklearwaffen auch aus dem westlichen Teil Deutschlands erreichen. Es stimmt hoffnungsvoll, daß Amerikaner und Sowjets bei ihren Verhandlungen über die Reduzierung ihrer strategischen Nuklearwaffen in diesen Tagen endlich vor einer Einigung stehen; aber es ist beängstigend, daß Europa mit Zehntausenden Nuklearwaffen kurzer Reichweite vollgestopft ist, ohne daß Initiativen zu ihrer Beseitigung ergriffen werden. An Stelle von Abrüstungsvorschlägen enthält das Kommuniqué der NATO-Verteidigungsminister - ich bitte, es Herrn Stoltenberg zu sagen, wenn er nicht gelesen hat, was
er beschlossen hat - die alte Standardformel, nach der an substrategischen Nuklearwaffen festgehalten werden soll, die - ich zitiere - „auf dem gebotenen Stand gehalten werden, wo dies erforderlich ist. " Dahinter verbergen sich Modernisierungspläne, die wir auf das entschiedenste bekämpfen werden.
({15})
Geradezu absurd muß die Absicht erscheinen, im Westen Deutschlands neue Luft-Boden-Raketen mit einer Reichweite von 1 000 Kilometern zu stationieren. Wer an Stelle der gerade abgeschafften bodenstationierten nuklearen Mittelstreckenraketen luftgestützte Nuklearraketen derselben Reichweite einführen will, hat aus Geschichte und Gegenwart nichts gelernt. Wir warnen die Bundesregierung, sich auf solche Pläne einzulassen. Sie würde die NATO damit einer neuen Belastungsprobe aussetzen, die wir dem Bündnis ersparen wollen.
Meine Partei hat in Bremen unterstrichen, daß die Bundeswehr befähigt bleiben muß, die Bündnisverpflichtung zu erfüllen. Das gilt für die Bündnisverpflichtung, die die Bundesrepublik bei der Unterzeichnung des NATO-Vertrages auf sich genommen hat. Der NATO-Vertrag schließt wie das Grundgesetz jeden Einsatz von Streitkräften im Rahmen der NATO zu anderen Zwecken als denen der Verteidigung aus. Jeder Versuch der NATO, eine militärische Aufgabe out of area, also außerhalb des Bündnisbereiches, zuzuweisen, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.
({16})
Die Bundesregierung muß wissen, worauf sie sich einläßt, wenn mit ihrer Zustimmung die Eingreiftruppen, die jetzt innerhalb der NATO zur höheren Beweglichkeit und zum besseren Schutz der Flankenstaaten gebildet werden, so organisiert und mit solch politischer Begleitmusik versehen werden, daß der Eindruck entstehen muß, daß hier schnelle Eingreiftruppen für Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes geschaffen werden sollen. Die Beteiligung von Bundeswehreinheiten an solchen Einsätzen wäre verfassungswidrig.
Auf dem Bremer Parteitag ist die SPD für eine Ergänzung des Grundgesetzes eingetreten, die es der Bundesrepublik möglich machen würde, einzelne Bundeswehreinheiten für friedenserhaltende Maßnahmen der Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen. Für die CDU/CSU und neuerdings auch für die FDP ist das Ja der SPD zu Blauhelm-Einsätzen nicht ausreichend. Sie verlangen auch ein Ja zur Verfassungsergänzung, die die Beteiligung der Bundeswehr an Aktionen unter der Führung der amerikanischen Supermacht auf der Grundlage von UNO-Beschlüssen wie im Golfkrieg ermöglicht. Ich frage mich, warum die Regierungsparteien eine solche Verfassungsänderung nicht während des Golfkrieges vorgeschlagen haben, als die Bundesregierung wegen der militärischen Abstinenz der Bundesrepublik erheblichem Druck befreundeter Regierungen ausgesetzt war. Lag es nur an der ablehnenden Haltung der Opposition, oder lag es daran, daß man die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik fürchtete?
({17})
Bedauern die Regierungsparteien tatsächlich, daß deutsche Soldaten am militärischen Sieg über Saddam Hussein nicht beteiligt waren, daß - zugespitzt formuliert - Reservisten nicht eingezogen und in den Krieg am Golf geschickt werden konnten, daß die Luftwaffe nicht mitgebombt hat? Denn das alles hätte doch dazugehört.
({18})
Herr Genscher, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Sie das gewollt haben. Aber eine Bundesregierung, die während des Krieges die Verfassung als Versteck ihrer wahren Absichten benutzt und nach dem Krieg ihre heimlichen Wünsche offenbart, verdient weder internationales noch nationales Vertrauen.
({19})
Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen werden gänzlich unglaubwürdig, wenn sie nun eine Verfassungsergänzung zugunsten von friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen ablehnen wollen, und zwar weil sie ihnen nicht weit genug geht.
Wahrscheinlich ist, daß sich die UNO erneut an die Bundesregierung wenden wird, um eine deutsche Beteiligung an Blauhelm-Einsätzen zu erbitten. Will die Bundesregierung - wie in der Vergangenheit - solche Beteiligungen mit dem Hinweis auf das Grundgesetz ablehnen, obwohl die Opposition bereit ist, an einer notwendigen Verfassungsänderung mitzuarbeiten? Kann eine Position des Alles oder Nichts wirklich verantwortet werden, wenn es um friedenserhaltende Missionen und um die Stärkung der Vereinten Nationen geht?
Friedenserhaltende Missionen unter den Blauhelmen gehören zu den großen Leistungen der UNO, ohne die es auf unserer Welt mehr Krieg und mehr Elend geben würde. Die Zukunft wird der UNO mehr abverlangen.
Wir Sozialdemokraten haben auf unserem Bremer Parteitag eine Initiative für eine UNO der zweiten Generation beschlossen, mit der die UNO ihrer Aufgabe der kollektiven Sicherheit nicht nur im militärischen Sinn gerecht werden kann.
Wir werden dazu einen Beitrag leisten. Er beschränkt sich nicht auf Blauhelme der Bundeswehr und auch nicht auf ein Friedenskorps, das Soldaten und anderen Helfern bei Einsätzen nach Natur- oder Zivilisationskatastrophen, bei großen Flüchtlingsbewegungen und Hungersnöten die Bewährung, im Ernstfall Frieden abverlangen würde.
In diesem Bereich aber stellt sich zuerst eine gewachsene Verantwortung für Deutschland; in diesem Bereich müßten Regierung und Opposition zu einem Konsens kommen können, und zwar jenseits ihrer fundamentalen Meinungsunterschiede über weltweite militärische Einsätze der Bundeswehr.
({20})
Jetzt ist die Bundesregierung, jetzt sind die Regierungsparteien gefordert. Ich warne Sie: Verweigern Sie sich nicht der Realität der Friedensarbeit, damit
wir gemeinsam helfen können, die Eventualität des Krieges zu bannen. Das ist die Normalität, die nicht nur die Welt, sondern auch die Deutschen vom vereinten Deutschland erwarten.
({21})
Das Wort hat der Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag berät heute den Bundeshaushalt für das vereinte Deutschland und für das - was gelegentlich in den letzten Monaten übersehen wurde - seit dem 15. März 1991 auch voll souveräne Deutschland.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Frage der Konsequenzen der deutschen Einheit und der vollen Souveränität für die deutsche Außenpolitik gestellt und verantwortet werden muß. Auch für das vereinte Deutschland bleibt das maßgeblich, was das Grundgesetz uns aufträgt: als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
Dieser Form der Normalität haben wir schon immer genügt. Alle anderen, darüber hinausgehenden Betrachtungen über Normalität möchte ich mit dem gleichen Unbehagen zurückweisen, wie das der Kollege Stercken hier soeben überzeugend getan hat; ich möchte Herrn Gansel gern einschließen, wenn er dieses Unbehagen teilt.
Meine Damen und Herren, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen ist das Gegenteil von Machtstreben. Verantwortung aber bedeutet das schon, und zwar größere Verantwortung, weil das vereinte Deutschland von der Last seiner Teilung frei geworden ist und weil die Politik der Bundesrepublik Deutschland in ihren alten Grenzen wesentlich dazu beigetragen hat, daß Europa und die Welt von den Belastungen des WestOst-Konflikts frei geworden sind.
({0})
Deutschland braucht sich seiner Beiträge zur Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte in Europa nicht zu schämen.
({1})
Die Menschen in beiden Teilen Deutschlands haben es nach ihren jeweiligen Möglichkeiten getan, die Deutschen in der früheren DDR durch ihren unbeirrbaren Willen zu Freiheit und Einheit, den sie letztlich in einer für unsere Geschichte schicksalhaften Freiheitsrevolution durchgesetzt haben.
({2})
Deshalb, Herr Kollege Modrow: Es war kein Anschluß, sondern die Entscheidung für Freiheit und Einheit, eine Entscheidung, deren Tragweite wir auch in den Auswirkungen für die Menschen in den neuen Bundesländern sehr wohl kennen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir Anlaß haben, den Staaten der Europäischen Gemeinschaft dafür zu danken, daß sie die neuen Bundesländer, das vereinte Deutschland ohne Neuverhandlungen zugleich auch in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen haben und durch eine großzügige Hilfe dazu beitragen, daß wir die schwere Erblast des Sozialismus in den neuen Bundesländern überwinden können.
({4})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Modrow?
Bitte sehr!
Herr Außenminister, wie bewerten Sie die von der schleswig-holsteinischen Finanzministerin im Fernsehen abgegebene Erklärung, daß ein Beamter der Bundesrepublik Deutschland eine „Buschprämie" in Höhe von 2 000 DM erhält, wenn er in die neuen östlichen Länder zum Einsatz geht?
Herr Abgeordneter Modrow, ich weiß nicht, ob die Frau Kollegin aus Schleswig-Holstein das gesagt hat. Mein Wort wäre es aber nicht. Aber ich bin dafür, daß wir alles tun, um möglichst viele Beamte zu gewinnen, die bereit sind, auf Zeit in die neuen Bundesländer zu gehen, damit dort endlich eine funktionsfähige Verwaltung die großen materiellen Leistungen wirksam werden läßt, die wir für den Aufbau in den neuen Bundesländern gemeinsam aufbringen.
({0})
Meine Damen und Herren, die erhöhte Verantwortung Deutschlands drückt sich in unserer Mitwirkung an der Fortentwicklung unserer Europäischen Gemeinschaft hin' zur europäischen Union aus. Es ist unbestreitbar, daß diese Europäische Gemeinschaft von den Völkern Mittel- und Osteuropas heute als die große Hoffnung für ihre eigene europäische Zukunft empfunden wird. Deshalb müssen wir als Deutsche gerade als Ausdruck unserer größeren Verantwortung im vereinten Deutschland die Anwälte Mittel- und Osteuropas bei der Annäherung an die Europäische Gemeinschaft und auch bei der Erfüllung ihres Willens zur Mitgliedschaft in dieser Europäischen Gemeinschaft sein.
({1})
Ich kann Ihnen sagen, daß meine Kollegen, mit denen ich am Sonntag und am Montag in Dresden zusammen war, tief davon beeindruckt waren, daß sich die Landesregierungen derjenigen beiden neuen Bundesländer, die der Tschechoslowakei und Polen unmittelbar benachbart sind, nicht nur über ihr eigenes Schicksal Gedanken machen, sondern daß sie auch ihre regionale Brückenfunktion zu den benachbarten Regionen in Polen und in der Tschechoslowa2014
kei erkennen und diese europäische Herausforderung annehmen.
({2})
Hier wird wahr, was wir Deutschen immer gesagt haben: Die deutsche Einheit wird auch der Schlüssel zur Vereinigung des ganzen Europa werden. Aber sie wird diese Schlüsselfunktion nur erfüllen können, wenn sie gleichzeitig die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft verstärkt.
Wir werden in Europa zu einer neuen Stabilität kommen, wenn wir uns über den Inhalt dieser Stabilität einig sind. Die Grundlagen wirklicher Stabilität in einem Europa der Zukunft, wie es die Charta von Paris vorsieht, sind für uns die Achtung der Menschenrechte, des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Minderheitenrechte. Das bedeutet wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit. Das bedeutet auch ökologische Stabilität, und es bedeutet sicherheitspolitische Stabilität.
Erst alles das zusammengenommen macht Stabilität in einem qualitativen Sinne aus und unterscheidet sich damit von der Unterdrückungsstabilität, die Stabilität vorgibt, während sie bereits die ersten Zeichen künftiger revolutionärer Entwicklungen vorausahnen läßt. Es geht dabei immer um die Revolution für die Freiheit und gegen die Unterdrückung. Das gilt nicht nur für Europa, das gilt für die ganze Welt.
Meine Damen und Herren, es ist nicht verwunderlich, daß das westliche Bündnis in diesen Monaten darüber spricht, wie sich seine Strategie angesichts der grundlegend veränderten Lage in Europa verändern muß. Die Außenminister werden sich morgen und übermorgen in Dänemark damit befassen. Die abschließenden Entscheidungen über die künftige Strategie werden auf dem NATO-Gipfel gegen Ende dieses Jahres gefällt werden.
Aber schon heute können wir sagen, daß das westliche Bündnis als Faktor der Stabilität für ganz Europa auch in Zukunft eine bedeutsame Rolle erfüllen wird. Es wird eine bedeutsame Rolle erfüllen, die vielleicht schärfer als von manchen in Westeuropa gerade von unseren unmittelbaren Nachbarn in Osteuropa und Mittelosteuropa erkannt wird. Für mich ist unvergeßlich, daß der tschechoslowakische Staatspräsident Havel, als er den NATO-Rat besuchte, seine Rede damit begann, daß er sagte: Ich distanziere mich von den Verleumdungen, die meine Vorgänger über Ihr Bündnis und seine Absichten verbreitet haben.
({3})
Meine Damen und Herren, dieses Bündnis war nie eine Bedrohung für andere Staaten.
({4})
Es ist auch heute keine Bedrohung. Es wird auch morgen keine Bedrohung sein. Dieses Bündnis sucht heute nach Beziehungen der Partnerschaft zu allen seinen Nachbarn im Osten, nicht nur zu den Demokratien Mittel- und Südosteuropas, sondern auch zur Sowjetunion.
Es wird morgen ein wichtiger Beitrag in unseren Diskussionen sein, wie wir gerade nach der Auflösung
des Warschauer Paktes als westliches Bündnis auch durch bilaterale Beziehungen, durch Begegnungen, durch Kontakte und auch durch Parlamentarierbegegnungen dazu beitragen können, daß das westliche Bündnis als Stabilitätsfaktor vertrauensbildend sein Verhältnis zu allen Staaten östlich von uns in Europa, die Sowjetunion eingeschlossen, gestaltet. Das ist ein wichtiger Beitrag zu den kooperativen Sicherheitsstrukturen, die in Europa entstehen müssen und in denen die Staaten, die den Warschauer Pakt verlassen haben, ihre Sicherheit suchen und auch finden werden.
({5})
- Im Augenblick geht es darum, daß wir die Atomwaffen, Herr Kollege Glotz, die hier stationiert sind - - Ich weiß nicht, wer den Zwischenruf gemacht hat. Wenn Sie sich, wer immer ihn gemacht hat, davon distanzieren, sehe ich das gerne.
({6})
Es geht im Augenblick darum, die nukleare Artillerie und die landgestützten Kurzstreckenraketen in Europa zu beseitigen. Sie haben keinen Platz mehr hier bei uns, aber sie haben auch keinen Platz mehr im europäischen Teil der Sowjetunion. Deshalb wollen wir, daß auch über diese Frage verhandelt wird.
({7})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel?
Ich würde jetzt gern fortfahren - ({0})
- Wenn Ihnen das einen solchen Lustgewinn bereitet, Herr Gansel, dann mal zu.
({1})
Herr Bundesaußenminister, werden Sie in diesem Sinne auf der morgen stattfindenden Außenministerkonferenz der NATO-Staaten eine Initiative der Bundesregierung zur Abschaffung der atomaren Artillerie und Kurzstreckenraketen vorlegen, oder ist das nur ein Kommentar?
Herr Kollege, Sie sollten mich gut genug kennen, um zu wissen, daß ich einen Vorgang selbst dann, wenn ich ihn nur kommentiere, damit in meinem Sinne beeinflusse. Das ist ja eine gewisse Meisterschaft, die mir nachgesagt wird.
({0})
- Ich weiß nicht, wie es kommt. Es mag daran liegen, daß der Kollege Waltemathe zuerst erklärt hat, daß Sie diesmal den Haushalt ablehnen wollen, aber dann doch nicht verschwiegen hat, daß es ihm eigentlich
leid tut. Das hat mich menschlich angerührt und deshalb bin ich gut drauf.
({1})
- Ich habe Ihnen schon eine Antwort gegeben, nämlich die, daß wir natürlich dafür eintreten, daß diese Waffen so schnell wie möglich verschwinden. Wir wollen aber auch durch Verhandlungen erreichen, daß die landgestützten Kurzstreckenraketen und die nukleare Artillerie nicht nur aus diesem Teil Europas verschwinden, sondern auch aus dem anderen Teil Europas. Wir nehmen auf diese Weise mit solchen Verhandlungen übrigens auch die Sicherheitsinteressen unserer unmittelbaren östlichen Nachbarn wahr, die ja noch in der Reichweite sowjetischer Kurzstrekkenraketen liegen.
({2})
Ich habe keinen Zweifel, daß die Sowjetunion, die sich zu neuen Sicherheitsstrukturen in Europa bekennt, diesen Weg mit uns gehen wird.
Meine Damen und Herren, es wird in diesen Tagen und Wochen in der Welt sehr viel darüber gesprochen, wie es mit der Entwicklung in der Sowjetunion weitergehen wird. Wenn wir den ersten Haushalt des vereinten Deutschlands zu beraten haben, dann sollten wir zu allererst feststellen, daß die neuen Entwicklungen in der Sowjetunion, wie sie von Gorbatschow eingeleitet worden sind, dazu geführt haben, daß wir den ersten Haushalt eines vereinten Deutschlands beraten können.
({3})
Weil das so ist, vertraue ich darauf, daß wir auch in den Fragen der Sicherheitspolitik den Weg weitergehen können, der die Bedrohungselemente in Europa zugunsten kooperativer Strukturen der Sicherheit abbaut, in denen unser Bündnis eine wichtige Rolle spielen wird.
Wir werden dabei umso erfolgreicher sein, je stärker die westlichen Staaten erkennen, daß der Erfolg auch der ökonomischen Reformpolitik in Mittel- und Osteuropa sowie in der Sowjetunion ein wichtiger Beitrag dazu ist, daß die politischen Reformen erfolgreich fortgesetzt werden können. Das ist der Grund, warum sich die Bundesregierung dafür einsetzt, daß die Sowjetunion beim Weltwirtschaftsgipfel vertreten sein wird.
Meine Damen und Herren, nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa - wer wüßte das besser als die Deutschen in den östlichen Bundesländern, die traditionelle Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion kennen - , sondern auch für die gesamte weltwirtschaftliche Entwicklung und damit für die politische Stabilität ist es von größter Bedeutung, ob die schwerwiegenden ökonomischen Probleme in der Sowjetunion überwunden werden können. Wenn wir dabei zur Durchsetzung eines richtigen, eines marktwirtschaftlichen Konzeptes mit unserer wirtschaftlichen Stärke Hilfe leisten können, dann tragen wir auch zu europäischer und weltweiter Stabilität bei.
({4})
Wir sehen eine erhöhte deutsche Verantwortung auch in der Überzeugungsarbeit, die wir bei vielen unserer westlichen Partner zu leisten haben.
Die vor uns liegende KSZE-Außenministerkonferenz - ich bin froh darüber, sagen zu können, daß sie in Berlin stattfindet -,
({5})
wird ein wichtiger Beitrag sein, um nun auf der Grundlage der Charta von Paris nicht nur die Fragen der Konfliktverhütung und Konfliktschlichtung in Europa voranzubringen, sondern auch um kooperativen Sicherheitsstrukturen den Weg zu bereiten und gleichzeitig die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
Das bedeutet auch, daß wir mehr und mehr das ganze Europa als einen Wirtschaftsraum verstehen, als einen Ökologieraum begreifen, daß wir gesamteuropäische Verkehrsstrukturen schaffen, daß wir einen gesamteuropäischen Energieverbund schaffen und daß wir einen gesamteuropäischen Kommunikationsraum schaffen. Denn nur dann, wenn Europa auch auf diese Weise zusammenrückt, werden unsere Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für die Reformpolitik in Mittel- und Osteuropa und in der Sowjetunion ihre volle Wirksamkeit entfalten können.
Die größere Verantwortung des vereinten Deutschlands wird sich auch darin ausdrücken, daß wir zu einer größeren und stärkeren Rolle der Vereinten Nationen beitragen, zu einer verstärkten Rolle, die zuallererst die neugewonnene Kooperations- und Handlungsfähigkeit nutzt, um politische Lösungen möglich zu machen, um die Verantwortung der Vereinten Nationen für die Überwindung der schwerwiegenden ökonomischen Nord-Süd-Probleme und damit unmittelbar zusammenhängend auch der weltweiten Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu erkennen, und um das Instrumentarium der Vereinten Nationen für Hilfsmaßnahmen zu stärken. Ich fand es beschämend, daß es leichter war, in wenigen Wochen 500 000 Soldaten nach Saudi-Arabien, als wenige Hundert Menschen zur Hilfe nach Bangladesch zu bringen. Das darf sich nicht wiederholen.
({6})
Deshalb ist es notwendig, daß die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ihre Möglichkeiten für Hilfe bei Katastrophen der verschiedensten Art den Vereinten Nationen melden, daß dort ein Register über die Ressourcen - über die menschlichen und die technischen - geschaffen wird und daß ein mit großer Autorität ausgestatteter Bevollmächtigter des Generalsekretärs in jedem einzelnen Katastrophenfall diese einzelnen Hilfsmaßnahmen zweckmäßig und koordiniert abrufen und einsetzen kann.
Wir müssen dafür sorgen, daß das Recht, das sich hier in Europa letztlich durchgesetzt hat, das Recht der einzelnen und der Völker, auch weltweit durchgesetzt werden kann. Das verlangt, daß die Menschen2016
rechte weltweit durchgesetzt werden und daß wir mit einem Menschenrechtsgerichtshof der Vereinten Nationen eine Instanz schaffen, an die sich jeder wenden kann, der sich in seinem elementaren Menschenrechten verletzt fühlt.
({7})
Die Vereinten Nationen werden sich nicht länger ernst nehmen können, wenn sie nicht auch eine Institution schaffen, vor der Menschen angeklagt werden können, die für Völkermord, Umweltverbrechen oder Kriegsverbrechen verantwortlich sind. Lassen Sie uns auch hier Vorkämpfer des Sieges des Rechts im weltweiten Maßstab sein!
({8})
Herr Kollege Gansel, Sie haben auch ein Wort zu dem notwendigen Gewaltmonopol gesagt, das die Vereinten Nationen haben müssen. Ich stimme Ihnen zu. Das muß dann auch die Konsequenz haben, daß dieses Monopol durchgesetzt werden kann.
({9})
Ich denke, daß wir in großem Ernst darüber zu sprechen haben, wie wir in unserer Verfassung die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir auch in dieser Beziehung unsere Verantwortung übernehmen können
Meine Damen und Herren, eines steht schon heute fest: Das größer gewordene Deutschland sieht seine Verantwortung in der Verwirklichung der Grundwerte unseres Grundgesetzes nach außen. Seine Außenpoliltik wird von diesen Grundwerten geleitet, und diese stützen sich auf Freiheit und Menschenrechte. Ich denke, daß das Verfassungsgebot unseres Grundgesetzes, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, eine unverrückbare Richtschnur jeder deutschen Außenpolitik sein muß.
Ich danke Ihnen.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/639. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Zustimmung der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
({0})
und Enthaltung bei der Gruppe PDS/Linke Liste ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/658 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei Stimmenthaltung der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
({1})
ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 05 - Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes - in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Bei Gegenstimmen aus den beiden Gruppen und der SPD ist dieser Einzelplan angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung
- Drucksachen 12/514, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Hans-Gerd Strube Hans-Werner Müller ({2}) Kurt J. Rossmanith
Dr. Wolfgang Weng ({3}) Carl-Ludwig Thiele
Rudi Walther
Horst Jungmann ({4})
Einzelplan 35
Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte
- Drucksache 12/522 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/659 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eine Stunde und fünfzehn Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horst Jungmann.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Außenminister ist gerade gegangen.
({0})
- Entschuldigung! Ich hatte ihn nur auf der Regierungsbank vermutet.
({1})
Herr Außenminister, ich wollte Ihnen zum Abstimmungsverhalten meiner Fraktion nur folgendes sagen: Wenn Sie nur einen Teil dessen, was Sie hier an starken Ankündigungen vorgetragen haben, bis zur nächsten Haushaltsberatung auf den Weg gebracht haben, dann können Sie sicher sein, daß wir beim
Horst Jungmann ({2})
nächsten Mal unser Abstimmungsverhalten wieder in eine andere Richtung überdenken.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen vor allen Dingen den Soldaten der Bundeswehr danken, die sich bei der Eingliederung und Auflösung der ehemaligen NVA eingesetzt haben und die den Aufbau der BundeswehrOst unter erheblichen Schwierigkeiten vollziehen.
({4})
Mein besonderer Dank gilt vor allen Dingen den Soldaten und zivilen Helfern, die durch ihren selbstlosen Einsatz helfen, die Not des kurdischen Volkes zu lindern. Ich versäume es auch nicht, den Marinesoldaten am Golf zu danken, die - obwohl das aus unserer Sicht verfassungspolitisch ja sehr bedenklich ist - mit ihrem Einsatz auf den Minensuchbooten dort die Folgen des Golfkrieges beseitigen helfen.
({5})
Ich danke auch den Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums und meinen Kollegen Mitberichterstattern für die gute Zusammenarbeit. Ich denke, wir werden die Beratung dieses Haushalts gemeinsam zum Wohle der Menschen in der Bundeswehr und in der Bundesrepublik Deutschland zu Ende bringen.
({6})
- Herr Kollege, da Sie ja Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses sind, sind Sie, denke ich, Wehrexperte und wissen, wie wir stimmen werden.
({7})
Lassen Sie uns unser Stimmverhalten allein bestimmen, und Sie bestimmen das Ihre.
Der Bundesverteidigungsminister hat einen Entwurf in Höhe von 52,5 Milliarden DM vorgelegt. Er wollte Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten vier Jahre in Höhe von ca. 18 Milliarden DM durchsetzen; das ist ihm nicht gelungen. Er beklagt in der Öffentlichkeit, daß das Geld für die Aufgaben, die er zu erfüllen hat, nicht ausreicht. Er hat sich also in der Bundesregierung nicht durchgesetzt. Er hat, wenn es so sein sollte, auch die Haushälter der Koalitionsfraktionen durch sein Gejammer nicht überzeugt; denn sie haben ihm noch magere 65,3 Millionen DM aus seinem Etat gestrichen.
({8})
- Herr Kollege Müller, auf Sie komme ich nachher noch in einer besonderen Passage zu sprechen.
Wenn man jedoch diesen Etat durchforstet, dann wird man feststellen, daß der erste gesamtdeutsche Haushalt des Verteidigungsministers mit rund 52,5 Milliarden DM weitere Spielräume zur Kürzung bietet. Sie werden der deutschen Bevölkerung in dieser Situation, in der selbst Experten des Verteidigungsministeriums eine Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr erkennen können, nicht klarmachen können, Herr Minister, warum Sie in diesem Jahr Munition für 2,1 Milliarden DM beschaffen wollen. Ich denke, hier ergibt sich ein Streichungspotential.
Sie werden der deutschen Bevölkerung auch nicht klarmachen können, daß Sie, obwohl wir uns im Rahmen der Abrüstungsverhandlungen dazu verpflichtet haben, Kampfpanzer und gepanzerte Kampffahrzeuge zu verschrotten und abzubauen, weiterhin für über 1,6 Milliarden DM gepanzerte Kampffahrzeuge und neue Kampfpanzer Leopard 1 beschaffen sowie Kampfwertsteigerungen beim Leopard 1 vornehmen wollen. Hier ergibt sich aus unserer Sicht ein weiteres Streichungspotential.
Wenn ich mir gerade auf Grund der neuen Entwicklung in Richtung neuer sicherheitspolitischer Konzeptionen den Bereich der Wehrforschung, der wehrtechnischen Entwicklung und sonstigen Erprobung und Erforschung im wehrtechnischen Bereich ansehe, ist festzustellen, daß Sie in diesem Jahr mehr als 3 Milliarden DM ausgeben wollen.
Hier darf natürlich der obligatorische Jäger 90 nicht fehlen. 800 Millionen DM für ein überflüssiges Waffensystem - das müssen Sie sich einmal vorstellen: 800 Millionen DM für ein überflüssiges Waffensystem! -, sind den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land nicht mehr klarzumachen.
({9})
Schon zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bundesregierung über die Beschaffung dieses Waffensystems war die Bedrohungssituation nicht so, daß das notwendig gewesen wäre.
({10})
Warum wollen Sie um keinen Preis zur Kenntnis nehmen, daß sich die sicherheitspolitische Lage in Europa grundlegend geändert hat? Worin sehen Sie nach der Auflösung des Warschauer Pakts noch die militärische Bedrohung, um dieses Mammutprojekt, das ja nicht mit 800 Millionen DM in einem Jahr abgetan ist, sondern das im Endeffekt 100 Milliarden DM kosten wird, zu rechtfertigen?
({11})
Wer soll diese Politik noch verstehen: auf der einen Seite Steuern erhöhen und auf der anderen Seite Millionen und Milliarden verpulvern in sinnlose Rüstungsvorhaben?
({12})
Dem Deutschen Bundestag liegt hierzu übrigens eine Petition vor. Sie läßt sich nicht so einfach erledigen, wie die Koalitionsfraktionen das wollen, indem man sie nämlich an die Fraktionen überweist und sie dann in den Fraktionsschubladen der FDP und der CDU verschwindet, obwohl die FDP nach außen hin immer etwas anderes sagt. Die SPD-Fraktion wird
Horst Jungmann ({13})
deshalb beantragen, diese Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.
Ich stelle fest - Herr Kollege Müller, da spreche ich Sie persönlich an -, daß 20 Jahre lang für die Beschaffung eines Stör- und Täuschsenders mit dem Namen Cerberus sinnlose Milliardenausgaben gemacht werden, daß der Bundesrechnungshof in seinem Bericht der Bundesregierung vorgeworfen hat, die Ursachen dieser Fehlentwicklung seien in der Mißachtung von Vorschriften, in der von den Vorschriften abweichenden Vorhabenbearbeitung und in schwerwiegenden Managementfehlern begründet, daß am Ende für mehr als 1,2 Milliarden DM nichts Brauchbares herauskommt und daß Sie, wenn schon die politische Leitung des Hauses nicht den Mut hat, dieses Rüstungsvorhaben zu beenden, nicht die Kraft besitzen, im Parlament einen Schlußstrich zu ziehen.
Das gleiche gilt für das Führungssystem der Luftwaffe, für das System Eifel. Ich bin Ihnen, Herr Kollege Müller, außerordentlich dankbar, daß Sie trotz aller Bedenken einer qualifizierten Sperre dieser Mittel zum Teil zugestimmt haben und die Bundesregierung mit diesem Vorhaben noch einmal in das Parlament kommen muß.
In diesem Bereich des Entwicklungs- und Führungsinformationssystems der Luftwaffe ist festzustellen, daß der Entwicklungsvertrag im Ursprung eine Höhe von 41 Millionen DM hatte, daß er sich im Laufe der Jahre aber um 75 % erhöht hat. Das ist eine Geldverschwendung sondergleichen. Auch in diesem Bereich sind Sie nicht bereit, Konsequenzen zu ziehen.
Sie wissen, daß viele Bürger in der Bundesrepublik Deutschland die Frage der Truppenreduzierung bewegt. Wir alle sind, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, für Abrüstung gewesen.
({14})
Deswegen kann man, Herr Kollege Esters, heute aber nicht nach dem Prinzip verfahren: Wasch' mir den Pelz, aber mach' mich nicht naß!
({15})
Abrüstung hat ihren Preis - das sage ich hier ganz bewußt - , aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, es geht nicht so, daß der Verteidigungsminister am 24. Mai ein Konzept vorlegt, das vorher niemand kannte, das seine Fehler hat. Niemand kann aus diesem Konzept erkennen, wie viele Grundwehrdienstleistende, wie viele Berufssoldaten und Zeitsoldaten an welchem Standort verbleiben. Niemand kann aus diesem Konzept erkennen, welche Liegenschaften tatsächlich für eine andere Nutzung freigegeben werden, welche Liegenschaften also den Kommunen für eine zivile Nutzung zur Verfügung gestellt werden können.
({16})
Dieses Konzept kann nicht dazu dienen - und wird auch von uns nicht dazu benutzt werden -, daß Sie, Herr Verteidigungsminister, jetzt den Schwarzen Peter den Kommunen und den Ländern zuschieben und
von den Kommunen und den Ländern kurzfristig Stellungnahmen zu Dingen erwarten, die Sie in mehr als einem Dreivierteljahr nicht geleistet haben. Die Kommunen und die Länder brauchen mehr Zeit, als Sie ihnen zugestanden haben.
Hinzu kommt, daß Sie gestern im Verteidigungsausschuß zwar versprochen haben, Mitte dieses Monats das Konzept zur Reduzierung auch der zivilen Arbeitsplätze im Bereich der Kommandobehörden und Truppen - so habe ich Sie doch richtig verstanden? - vorzulegen. Das bedeutet aber, daß in der territorialen Wehrverwaltung, also in den Wehrbereichsverwaltungen, in den Standortverwaltungen und in den anderen nicht truppen- und kommandobehördengebundenen Verwaltungen der Bundeswehr die Unsicherheit weiter Platz greift.
Es ist den Kommunen und den Ländern von der Bundesregierung und auch von Ihnen, Herr Verteidigungsminister, in vollmundigen Ankündigungen versprochen worden, daß Sie bei der Bewältigung der Probleme durch die Reduzierung der Streitkräfte mit finanziellen Zuweisungen helfen wollen. Sie wollen das im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben regeln; so haben Sie dies angekündigt, und so wollen Sie das mit dem Wirtschaftsminister, der dafür zuständig ist, verhandeln. Dies reicht unserer Auffassung nach nicht aus.
Ich glaube, daß es hier um ein besonderes Problem geht, das nicht wie die Aufgaben, die im Katalog der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung und Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur aufgeführt sind, bewältigt werden kann. Deswegen fordern wir Sie auf, sich innerhalb der Bundesregierung dafür einzusetzen, einen Sonderfonds Rüstungskonversion, Beseitigung der Abrüstungsfolgen und Umstellung auf zivile Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen zu erarbeiten
({17})
und dieses Konzept in seiner Förderkulisse so auszuweiten, daß es der Förderkulisse des Strukturhilfegesetzes entspricht. Hier ist, anders als bei der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung und Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, eine Vielfältigkeit der Förderung möglich.
Wir werden gleich - wie heute mittag schon einmal - bei den Koalitionsfraktionen Schwierigkeiten bei der Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses feststellen. Herr Kollege Müller, wenn Sie im Haushaltsausschuß auf mich gehört hätten, hätten Sie sich diese Peinlichkeit jetzt im Plenum ersparen können.
({18})
Wenn wir Ihrer Empfehlung gefolgt wären, dann hätte der Verteidigungsminister zurücktreten müssen. Herr Minister, Sie haben gestern im Haushaltsausschuß selbst zugegeben - Ihre Inspekteure haben das bestätigt - , daß Sie, wenn das, was in der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses unter II steht, Realität würde, Ihre Bundeswehrplanung mit 370 000 Mann nicht umsetzen könnten. Sie müßten den OffenHorst Jungmann ({19})
barungseid leisten, weil diese Durchführung 3,8 Milliarden DM kosten würde.
Herr Kollege Müller, wenn Sie sich das vorher überlegt hätten, wäre alles viel besser geworden. Sie sollten ab und zu - vielleicht etwas häufiger als in der Vergangenheit - auf die erfahrenen Politiker in der Oppositionsfraktion hören.
({20})
Ich glaube, daß es richtig ist, noch einmal klar festzustellen, was mein Kollege Gansel vorhin in der Debatte zum Etat des Auswärtigen Amts gesagt hat: Unsere Stimme für Kampfeinsätze der Bundeswehr überall in der Welt und für finanzielle Mittel zur Beschaffung von Großraumflugzeugen und Versorgungsflugzeugen sowie von Schiffen der Bundesmarine, die deutsche Truppen überall in der Welt hinbringen können, werden Sie nicht bekommen. Wir werden uns durch einen solchen Beschluß, den Sie, Herr Verteidigungsminister, in der NATO mitgetragen haben, nicht die Friedensdividende nehmen lassen. Wir werden Ihrem Haushalt nicht zustimmen.
({21})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hans-Werner Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihr Redebeitrag, verehrter Herr Kollege Jungmann, hat gezeigt, daß in der politischen Diskussion der letzten anderthalb Jahre der Haushalt, den wir jetzt debattieren, zum Steinbruch der Nation erklärt worden ist. Was sollte nicht alles mit dieser sogenannten Friedensdividende finanziert werden? Berufene und Unberufene haben Umschichtungen zu Lasten dieses Haushalts durchgerechnet.
Hinter dieser fiskalischen Betrachtung steht leider - das muß ich zu Beginn sagen - eine Infragestellung der Verteidigungsbereitschaft schlechthin. Hier wird von Ihnen eine gefühlspazifistische Stimmung geschürt, ja es wird regelrecht gegen die Wehrbereitschaft aufgewiegelt. Das ist das, was so gefährlich ist.
Es gibt z. B. einen Pfarrer in Gladbeck, der 3 000 Briefe an seine männlichen Gemeindemitglieder geschrieben und die Aufforderung ausgesprochen hat, den Kriegsdienst zu verweigern. Da wird eine Stimmung „Frieden um jeden Preis" geschürt.
({0})
Das, was auf dem SPD-Parteitag geschehen ist, ist ja lediglich ein weiterer Beweis dafür. Das Ja zum Blauhelm-Einsatz ist ein Nein zur internationalen Verantwortung.
Ich will es einmal mit den Worten eines Ihrer Kollegen kommentieren, mit dem ich in der Kohlepolitik sehr gut zusammenarbeite, nämlich mit den Worten des Kollegen Horst Niggemeier, der in der vergangenen Woche in der Zeitung geschrieben hat:
Die internationale Völkergemeinschaft erwartet von Deutschland mehr außenpolitisches Engagement als nur Blauhelme und Schecks.
({1})
Dem ist nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
Ich will den Satz von Blaise Pascal, der vor über 300 Jahren gesprochen wurde, noch einmal zitieren: „Gerechtigkeit ohne Macht ist hilflos, Macht ohne Gerechtigkeit Tyrannei. " Gerechtigkeit und Macht sind miteinander in Einklang zu bringen.
Deutschland ist keine Weltmacht, und das ist gut so. Aber Deutschland, insbesondere das vereinigte Deutschland, spielt auch keine politische Zwergen-rolle. Deswegen hat unsere Friedenspolitik die Komponente der militärischen Absicherung einzuschließen. Der Haushalt, über den wir debattieren, dient genau diesen Komponenten.
({2})
Erstens. Die Bundeswehr ist eine Armee ohne erkennbaren Gegner. Eine neue NATO-Struktur wird angedacht. Neue Aufgaben werden formuliert.
Zweitens. Die Bundeswehr schrumpft. Bei der Vereinigung von Ost und West hatten wir einschließlich der zivilen Bediensteten rund 700 000 Menschen bei der Bundeswehr. Ende 1994 werden wir nur noch 370 000 Soldaten haben.
Drittens. Die Bundeswehr wird reformiert. Sie ändert ihren Auftrag und ihre Truppenstärke. Sie gibt Standorte auf. Sie ändert ihre Strategie im Bündnis, ihre innere Struktur und ihre Ausbildung.
Herr Kollege Jungmann, ich verstehe auch nicht die Krokodilstränen, die jetzt, insbesondere von Verantwortlichen der SPD, vergossen werden, wenn der eine oder andere Standort aufgegeben werden muß. Wenn man den Plänen meines Ministerpräsidenten, des SPD-Politikers Lafontaine, gefolgt wäre, dann hätten wir nur noch 200 000 Soldaten. Dann wäre das Geschrei über zusätzlich aufgegebene Standorte noch viel größer. Das müssen Sie bei diesen Dingen bedenken.
({3})
Natürlich gibt es eine Diskussion, weil die einen sagen, der Plafond mit 52,5 Milliarden DM sei viel zu hoch - das haben wir eben gehört -, und weil die anderen sagen, dies sei ein Finanzkorsett für die Bundeswehr, das nur dann passe, wenn man andauernd die Luft anhalte. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Mit den Zahlen, die wir nach intensiver Beratung im Haushaltsausschuß verabschiedet haben und die wir auch politisch vertreten können, kommen wir, wie ich überall höre, und kommt auch die Bundeswehr gut hin. Mit 52,5 Milliarden DM ist dieser Haushalt auf ein vernünftiges Maß zurückgeschnitten worden.
Hans-Werner Müller ({4})
Hätten wir die dramatischen, ja die erfreulichen Änderungen im Ost-West-Verhältnis nicht und hätten wir die Wiedervereinigung nicht, so hätten wir, wenn die beiden Staaten nebeneinander weiterexistiert hätten, in der Addition der Verteidigungshaushalte der alten Bundesrepublik und der DDR insgesamt 30 Milliarden DM mehr ausgegeben.
({5})
So beläuft sich der Verteidigungshaushalt 1990, Teil West und Teil Ost, auf 62,2 Milliarden. Hinter diesen nackten Zahlen steht eine ungeheure menschliche Leistung. Sie haben das angesprochen. Ich stehe nicht an, noch einmal ganz deutlich für das zu danken, was bei der Zusammenführung der beiden Armeen geleistet worden ist.
({6})
Der Plafond von 52,5 Milliarden DM beinhaltet die Kosten der Eingliederung der ehemaligen NVA mit immerhin 4,3 Milliarden DM. Ferner ist die globale Minderausgabe von 1 Milliarde DM berücksichtigt. Dies alles wird nur erreicht, indem wir einen ersten Einstieg in die personelle Reduzierung in einer beachtlichen Größenordnung sowohl im militärischen wie im zivilen Teil machen.
Der Anteil der Verteidigungsausgaben an den gesamten Bundesausgaben beträgt lediglich 13 %. Dies ist der niedrigste Anteil seit 1956.
({7})
Meine Damen und Herren, ich will jetzt das ansprechen, was eben in bezug auf den Entschließungsantrag polemisch vorgetragen worden ist.
({8})
Wir haben darin einen politischen Willen formuliert, nicht mehr und nicht weniger. Dies ist im Verteidigungsausschuß querbeet kritisiert worden. Wenn da noch Diskussionsbedarf besteht,
({9})
werden wir uns diesem selbstverständlich stellen. Wir werden natürlich der Rücküberweisung an den Haushaltsausschuß zustimmen, und dann werden wir sehen.
Wenn man bei dem Abschmelzen der Bundeswehr im Vergleich zu früher nun - um es salopp zu formulieren - mehr Häuptlinge bei weniger Indianern braucht, dann muß das erklärt werden. Ich bin auch gar nicht dagegen, daß das dann korrigiert wird. Wir haben die im Entwurf zum dritten Nachtrag 1990 ausgebrachten kw-Vermerke in diesem Regierungsentwurf auch geändert - ich werde nachher noch kurz darauf zurückkommen - , weil wir uns gewissen Erkenntnissen nicht verschließen konnten.
Kollege Jungmann, lassen Sie mich doch einmal von Haushälter zu Haushälter etwas ganz kurz ansprechen. Wir haben alle miteinander geklagt, daß wir
den Eindruck hatten, daß sich die Regierung beim Vereinigungsprozeß im Personalbereich recht ordentlich bedient hat.
({10})
- Das war unsere gemeinsame Klage. - Wir haben gebremst, soweit das in unseren Möglichkeiten gestanden hat, und wir haben z. B. die B-Stellen im Einzelplan 14 gestrichen.
({11})
Wir haben etwas für die kleinen Beamten und Unteroffiziere getan; ich werde das noch ausführen. Insofern verstehe ich überhaupt nicht, wenn wir eine solche Entschließung jetzt neu aufrufen und neu diskutieren. Das ist das Normalste der Welt.
({12})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Bitte schön.
Herr Kollege Müller, es fällt auf, daß Sie im Haushaltsausschuß gemeinsam mit Kollegen der FDP sehr vehement darum gekämpft haben, die von Herrn Kollegen Jungmann und von Ihnen eben angesprochenen Passagen nicht als Entschließung etwa in die Beschlußempfehlung aufzunehmen, sondern Teil des Haushaltsgesetzes werden zu lassen. Es stand eigentlich schon im Haushaltsgesetz, als Sie zurückgepfiffen wurden und es auf diese mindere Form der Rechtsverbindlichkeit zurückgebracht wurde. Jetzt nehmen Sie diese Form noch einmal zurück. Können Sie uns einmal sagen, worin Ihre neuen Erkenntnisse eigentlich bestehen, die dazu führen, diesen Eiertanz mit dem Parlament zu machen?
Herr Kollege Wieczorek, ich habe Ihnen das vorhin erläutert. Der Verteidigungsausschuß hat sich darüber noch einmal ausgesprochen, und es ist neuer Diskussionsbedarf angemeldet worden. Schlicht und ergreifend stellen wir uns diesem Diskussionsbedarf. Nachdem wir diesen politischen Willen formuliert haben, werden wir auf diese Sache noch einmal eingehen.
({0})
- Kollege Jungmann, jetzt nicht.
Ich darf jetzt ein kurzes Wort zur Finanzplanung und zur Ausgabenstruktur sagen. Für 1992 sieht die Planung für den Bundeshaushalt eine Steigerung von 0,8 %, für 1993 von 2,2 % und für 1994 eine gleich hohe Steigerung vor. Demgegenüber geht der Verteidigungshaushalt 1992 um 2,9 %, 1993 um ebenfalls 2,9 % und 1994 um 3,0 % herunter. Die Zahlen sprechen für sich.
Hans-Werner Müller ({1})
Die Ausgabenstruktur ändert sich auch. Der Anteil der Betriebsausgaben steigt auf 71,9 % gegenüber 66,4 %, und der investive Anteil vermindert sich um 5 % von 33,6 % auf 28,1%. Dieses Absinken will ich ganz kritisch ansprechen. Es kann nämlich negative Folgen für die Bundeswehr und ihre Vertrags- und Bündnispartner haben. Dies wird von uns auch so gesehen. Wir werden uns bemühen, die Folgen entsprechend abzufedern. Ich werde das noch kurz ansprechen.
Ich sprach bereits vom ersten Abbauschritt beim Personal. An sich haben wir das im Haushaltsausschuß vorgesehene Kürzungsprogramm im dritten Nachtrag 1990 noch einmal korrigiert, weil ansonsten die anfallenden Arbeiten nicht zu erledigen gewesen wären. Die Mißwirtschaft im real existierenden Sozialismus zwingt uns zu dieser Korrektur. Wir haben uns dies in den Kasernen im Beitrittsgebiet an Ort und Stelle angesehen. Da werden noch Leute zur Betreuung alter Braunkohleheizanlagen, zur Bewirtschaftung total veralteter Gebäude, zur Aufrechterhaltung der Fernmeldeversorgung und vielem anderen mehr gebraucht.
Da müssen z. B. Bewirtschaftungen von Heizanlagen fortgesetzt werden, weil neben den alten NVA-Liegenschaften vom selben Heizwerk aus zivile Wohnsiedlungen bedient werden. Auch dürfen die NVA-Liegenschaften nicht ohne Bewachung bleiben. Das macht an Personalkosten 2 Milliarden DM, an Bewirtschaftungszusatzkosten 1,5 Milliarden DM und an Bewachungskosten 0,5 Milliarden DM aus. Diese DDR-Altlasten stehen nun weiß Gott nicht in der Verantwortung dieser Bundesregierung.
Einen ganz erheblichen Schritt nach vorne haben wir in Ergänzung der Vorlage der Bundesregierung bei der Verbesserung im Personalbereich vorgenommen. Ich freue mich, daß die Kollegen der Koalition hier uneingeschränkt mitgezogen haben. Es wird eine wesentliche Verbesserung der beruflichen Situation einer breiten Schicht von Soldaten und Zivilbeschäftigten geben.
Es handelt sich im einzelnen erstens um die Angleichung der Bezüge der Grundwehrdienstleistenden im Osten und im Westen Deutschlands.
({2})
Es ist als Auftrag an die Regierung formuliert, hier kurzfristig Gesetz- bzw. Verordnungsentwürfe vorzulegen. Wir wollen einheitliche Tagessätze, einheitliches Weihnachts- und Entlassungsgeld und eine Verdoppelung des Verpflegungsgeldes.
Zweitens. Die soziale Situation älterer Berufsunteroffiziere wird im Jahre 1991 schnell und spürbar verbessert, indem wir in diesem Haushalt 1991 und im Haushalt 1992 rund 2 800 Hebungen beschließen. Damit ist ein Ärgernis beseitigt.
({3})
Es gibt dann ab nächstem Jahr keine Unteroffiziere mit Portepee mehr im Stau. Die Attraktivität des Dienstes der Unteroffiziere steigt.
Drittens. Über 300 Hebungen bringen wir in den Jahren 1991 und 1992 für den mittleren und gehobenen Dienst in der Bundeswehrverwaltung aus. Die
unausgewogene Altersstruktur der Bundeswehrverwaltung führt zu geringen Pensionierungsraten und damit zu geringen Beförderungschancen. Die Probleme können wir damit als gelöst ansehen. Ich glaube, das ist ein sehr zu begrüßender Schritt.
({4})
Wir betrachten gerade die letztgenannten Maßnahmen als eine Würdigung der friedenserhaltenden Arbeit unserer Soldaten, unserer zivilen Mitarbeiter und auch deren Familien durch die Fraktion der CDU/ CSU.
({5})
Anzusprechen sind auch die Bauerhaltung und die Modernisierung von Truppenunterkünften, wobei wir schwerpunktmäßig die sanitären Anlagen, die Sperrzäune, die Küchen usw. sanieren und modernisieren.
Meine Damen und Herren, ich habe ein kritisches Wort zu dem zurückgehenden Anteil an investiven Ausgaben gesagt. Ich spreche damit an die Mittel für Forschung, Entwicklung, Erprobung und militärische Beschaffung. Will man moderne Ausrüstungsgüter beschaffen, so bedarf es eines Entwicklungsvorlaufes von etwa zehn Jahren. Das, was wir Ende der neunziger Jahre brauchen, muß also jetzt entwickelt werden.
Intensive Forschung und Entwicklung werden notwendig, um unsere Armee in ihrer Ausrüstung innovationsfähig zu halten und auch zu gewährleisten, daß Alternativen zur Verfügung stehen. Dazu zählt auch eine moderne wehrtechnische Industrie, die bereit ist, im westlichen Bündnis zu kooperieren. Es gehört auch zur politischen Unabhängigkeit, daß ein gewisses Maß an Selbständigkeit in der Rüstungswirtschaft erhalten bleibt.
Ein ganz kurzes Wort zu dem Antrag, den Sie vorlegen. Der hochverehrte Kollege Rudi Walther, der ja Mitberichterstatter zu diesem Haushaltsplan ist, hat, als wir auf der Hardthöhe begonnen haben, in diesen Haushalt einzusteigen, bei den Berichterstattergesprächen gesagt: Für das, was die Bundeswehr an Aufgaben zu leisten hat, ist dieser Haushalt insgesamt sehr knapp bemessen. Er hat damit recht gehabt. Und Sie stellen hier noch einmal zusätzliche Kürzungsanträge. Ich kann diese nur als sogenannte Schauanträge titulieren. Deswegen lehnen wir sie ab.
({6})
Ich will zu dem immer wieder vorgebrachten Thema des Jäger 90 etwas sagen. Weil mich das schon lange ärgert, will ich dazu zwei Sätze sagen. Erstens. Nach wie vor wird vergessen, daß wir bis jetzt nur die Entwicklungsphase beschlossen haben.
({7})
Über eine Beschaffungsphase werden wir im nächsten oder übernächsten Jahr beraten. Der Rechnungshof hat dazu ja seine Bemerkungen gemacht.
({8})
Zweitens. Es ist doch völlig unbestritten, daß wir zum Ende dieses Jahrhunderts ein neues Flugzeug
Hans-Werner Müller ({9})
brauchen, weil dann die Phantom über 40 Jahre alt sein wird. Es gibt doch nur zwei grundsätzliche Möglichkeiten: erstens die Kauflösung oder zweitens die eigene Entwicklung. Bei der Kauflösung gibt es wiederum drei Möglichkeiten: Wir können entweder die amerikanische F-18 kaufen und sie germanisieren oder wir kaufen die französische Rafale oder wir kaufen die sowjetische MiG. Wollen wir das ernsthaft oder wollen wir ein eigenes Flugzeug entwickeln?
Mich hat immer ein Argument beeindruckt, verehrter Herr Kollege Jungmann: das industriepolitische Argument. Wie kommen wir denn dazu, an unseren Technischen Hochschulen noch Flugzeugingenieure auszubilden, wenn wir in Europa keine Flugzeuge mehr entwickeln und produzieren?
({10})
Wenn wir dann ausschließlich auf den Weltmarkt angewiesen sind, werden uns die sagen, was die Flugzeuge kosten. Wir haben in Europa schon in vielen Industriefeldern den Anschluß verloren. Verlieren wir ihn bitte nicht auch bei den Flugzeugen.
Ein Letztes will ich Ihnen sagen: Bei diesem ständigen Gerede von den 100 Milliarden DM wird die ganze Lebenszeit dieser Flugzeuge betrachtet, und die Kosten werden mit einem Zinssatz hochgerechnet; sämtliche Betriebskosten, alles wird dazugeknallt.
Das ist genauso, Kollege Jungmann, als wenn Sie sich einen Mittelklassewagen kaufen, der 25 000 DM kostet. Ich sage zu Ihnen: Er kostet 150 000 DM. Wenn sie nämlich diesen Wagen zehn Jahre fahren und die 25 000 DM für zehn Jahre mit 10 % verzinsen und dazu die gesamten Bewirtschaftungskosten rechnen, dann kommen Sie in zehn Jahren auch auf 150 000 DM. Diese Rechnung ist eines Haushälters unwürdig, weil sie unseriös ist, verehrter Kollege Jungmann.
({11})
Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wollenberger?
Nein. Ich möchte jetzt zum Schluß kommen.
({0})
Ich möchte sagen, daß wir uns mit diesem Haushalt erheblich Mühe gegeben haben. Wir haben uns Mühe gegeben, hier aufgabengerecht ein Zahlenwerk vorzulegen, mit dem wir durchaus leben können und mit dem wir vor allen Dingen vor unsere Soldaten treten können.
Mein Dank gilt der Zuarbeit des Ministeriums und den Mitarbeitern des Ausschusses. Wir hoffen zuversichtlich, daß dieser Haushalt dazu beiträgt, über das Gerede, daß die Armee in einer Krise sei, hinwegzukommen.
({1})
Unsere Bundeswehr ist nicht irgendein Arbeitgeber, sondern eine Institution mit einem festumrissenen Auftrag. Weil wir von der Union davon überzeugt sind, daß wir weiterhin eine gut ausgebildete, gut ausgerüstete und gut motivierte Bundeswehr brauchen, stehen wir uneingeschränkt zu diesem Haushalt.
Ich bedanke mich.
({2})
Meine Damen und Herren! Das Wort hat nunmehr die Frau Abgeordnete Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, der vorangegangene Beitrag war erstens ein prägnantes Beispiel dafür, wie man sich selber militärische Sachzwänge schafft,
({0})
und zweitens denke ich, daß nicht die Armee in einer Krise ist und daß das Gegenstand der Sorgen sein müßte, sondern daß sich die herrschende Sicherheitspolitik in einer Krise befindet, die mehr als bedrohlich ist.
({1})
Während der ersten Beratung dieses Verteidigungshaushalts forderte Verteidigungsminister Stoltenberg, noch bevor überhaupt die Debatte begonnen hatte, eine Erhöhung des im Haushalt festgelegten Etats um 16,5 Milliarden DM.
Seit dieser ersten Beratung haben militärische Fragen, nämlich die geplante Erweiterung des militärischen Handlungsspielraums der Bundesrepublik, die außen- und sicherheitspolitische Diskussion bestimmt. Die Rede ist von einer deutschen Beteiligung an Blauhelm-Missionen, an UNO-Kampfeinsätzen und vor allem an multinationalen Eingreiftruppen auf europäischer NATO-Ebene.
Deshalb: Der Verteidigungshaushalt wird hier unter einem neuen Vorzeichen diskutiert. Das neue Vorzeichen lautet: Deutsche Soldaten künftig weltweit im Einsatz - sollen die Voraussetzungen hierfür geschaffen werden oder nicht?
Nicht zuletzt ist dies auch deswegen ein neues Vorzeichen, weil - leider, sage ich - die SPD auf ihrem Parteitag mit der Zustimmung zu deutscher Beteiligung an Blauhelm-Missionen die Tür zumindest einen Spaltbreit für diese Entwicklung mit aufgestoßen hat.
Schon jetzt stöhnen NATO-Militärs auf. Weniger Truppen werden teurer heißt es, und es stimmt wohl auch. So berichtet die „Frankfurter Rundschau", je weniger Kämpfer man habe, desto mehr Hochtechnologie müsse in ihren Waffen stecken, weil man nur so - verwiesen wird auf den Golfkrieg - mit wenigen eigenen Verlusten siegen könne. Das dürfte dann wohl auch auf Bundeswehrebene gelten.
Die Finanzierung des Golfkrieges, die unter dem Titel „Allgemeine Finanzverwaltung" versteckt wurde, ist längst nicht alles, was die Bundesrepublik
als Beitrag zu diesem Krieg geleistet hat. Die Bundesrepublik war - wie man heute der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" entnehmen konnte - Hauptbasis für den Truppenaufmarsch am Golf. Besonders eindrucksvoll - ich zitiere - „stellen sich Umfang und Ablauf der Verlegung der amerikanischen Heeresverbände aus Deutschland an den Golf dar".
({2})
So friedfertige Unternehmen - wie etwa die Deutsche Bundespost - haben einen immensen Beitrag geleistet. Es waren also keineswegs nur 17 Milliarden DM
({3})
- ich werde Ihnen gleich erläutern, warum ich hierauf zurückkomme -, sondern der geschätzte Beitrag der Bundesrepublik zu diesem Krieg geht weit, weit über das offiziell Zugegebene hinaus.
Wenn nun also hier über einen Verteidigungshaushalt entschieden werden soll, dann ist die Berücksichtigung dieser Fakten militärischen Engagements als offenkundiges Zeichen Grundlage für die Zukunft.
Solange die Bundesregierung und damit auch das Verteidigungsministerium daran arbeiten, die vielzitierte sogenannte neue deutsche Verantwortung ausschließlich militärisch zu verstehen und als Legitimation für eine Erweiterung des militärischen Handlungsspielraums zu bemühen, solange sie statt wirklicher Abrüstung - darauf ist der Kollege von der SPD schon eingegangen - eine Modernisierung und entsprechende Umstrukturierung der Bundeswehr in Angriff nimmt, die deutsche Truppen in die Lage versetzen soll, an weltweiten Einsätzen teilzunehmen, technisch perfekt ausgerüstet, mobil und motiviert, solange sich der Verteidigungsminister in eklatantem Widerspruch zu den vielen hier beschworenen historischen Stunden des letzten Jahres wegen der angeblichen Überwindung des Ost-West-Konflikts an der Erarbeitung einer NATO-Strategie beteiligt, die nach wie vor den Hauptfeind in der Sowjetunion sieht, sich deren instabile Lage zur Begründung der alten Abschreckungsdoktrin inklusive der nuklearen Bedrohung zunutze macht und sich ein zusätzliches Aufgabenfeld in der Dritten Welt sucht, solange also nichts, aber auch gar nichts darauf hindeutet, daß diese größer gewordene Bundesrepublik aus der Vergangenheit lernt, aus der Verantwortung wegen zweier von ihrem Territorium ausgegangenen Kriege auf militärisches Engagement verzichtet
({4})
und statt dessen ihren Reichtum ausschließlich für friedliche zivile und humanitäre Zwecke einsetzt, solange also das, was Sie als Überwindung der Blockkonfrontation verkaufen wollen, zum Muskelspiel des leider nicht ebenfalls aufgelösten Militärblocks NATO führt,
({5})
so lange wäre die Zustimmung zu auch nur einem Pfennig dieses Haushalts eine indirekte Unterstützung dieser Großmachtpolitik.
Frau Kollegin Lederer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, weil ich jetzt zum Ende komme.
Die PDS/Linke Liste wird diesen Verteidigungshaushalt daher ablehnen.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern für die angenehme Zusammenarbeit bedanken.
Eine Bemerkung möchte ich noch zu Herrn Kollegen Jungmann machen. Die Bedrohung der deutschen Bevölkerung sei nicht mehr zu erkennen, sagten Sie. Ich bin der Auffassung, daß die Bedrohung der Deutschen Bevölkerung reduziert ist. Aber daß sie nicht mehr zu erkennen sei, dieser Aussage kann ich noch nicht zustimmen. Die Hoffnung allerdings, die hinter Ihren Worten steht, teile auch ich.
Trotz aller Schwierigkeiten bei der Bewältigung der finanziellen Probleme im Zusammenhang mit der Herstellung der inneren Einheit Deutschlands beginnen wir auf einem Feld bereits die Früchte einer sehr langfristig angelegten Politik zu ernten. Die im Harmel-Konzept von 1967 angelegte Politik der Friedenssicherung durch Streitkräfte einerseits und durch das Angebot zu systemübergreifender Kooperation andererseits haben über den KSZE-Prozeß und über Perioden harter Konfrontation bis Mitte der 80er Jahre nun dazu geführt, daß die Mauern in Europa gefallen sind.
Die deutsche Souveränität haben wir in den von Hans-Dietrich Genscher geführten Zwei-plus-VierGesprächen nur deshalb erreichen können, weil unsere Nachbarn, westlich und östlich, von der Friedensliebe der Deutschen seit dem Bestehen der Bundesrepublik überzeugt sind.
Nach den Erfahrungen, die unsere Nachbarn in diesem Jahrhundert mit uns Deutschen gemacht haben, ist diese Einstellung keine Selbstverständlichkeit, sondern Folge einer verläßlichen und berechenbaren Politik, die gerade im Bereich der Außenpolitik seit mehr als 20 Jahren von Liberalen, nämlich von Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher, gestaltet wird.
({0})
- Ich habe auch Bundesrepublik gesagt!
Diese Politik bedeutete eben nicht starres Beharren auf formalen Rechtspositionen, sondern die Suche nach dem Gespräch und demzufolge eine Öffnung der Grenzen. Diese liberale Politik bedeutete ebenfalls nicht, aus populistischen Gründen von gemeinsam getroffenen Entscheidungen abzurücken und unzuverlässig und unberechenbar zu sein.
Diese beharrliche und kontinuierliche Außenpolitik unseres Landes im Rahmen des Nordatlantischen
Bündnisses hat zusammen mit dem Realitätssinn und der auf Frieden angelegten Politik Michail Gorbatschows dazu geführt, daß die Streitkräfte der NATO und des Warschauer Pakts, der ja inzwischen aufgelöst ist, bereits in den Prozeß der Veränderung, vor allem in den Prozeß der Verringerung, eingetreten sind.
Ist uns eigentlich noch bewußt, welch weiten Weg wir in diesem Zusammenhang gegangen sind?
({1})
Wir Deutschen hatten im Jahre 1989 mehr als eine Million Mann unter Waffen. In der Bundesrepublik waren es 495 000 Mann; in der ehemaligen DDR waren zu diesem Zeitpunkt 170 000 Mann bei der NVA. Hinzu kamen mehr als 400 000 Mann Betriebskampfgruppen bzw. paramilitärische Verbände.
Wir Deutschen werden bis zum Jahre 1994 die Bundeswehr im vereinten Deutschland auf 370 000 Mann reduziert haben. Ferner verlassen die sowjetischen Streitkräfte bis Ende 1994 unser Territorium.
Dies alles schafft kurzfristig große Probleme. Aber welche Chancen und Perspektiven öffnen sich dadurch für uns? Deshalb möchte ich auch all denen, die über die Kosten der deutschen Einheit klagen, entgegenhalten, daß der Frieden ein unbezahlbares Gut ist; und dieser Friede ist sicherer geworden.
({2})
Der Verteidigungshaushalt ist reduziert und wird weiter reduziert werden. Die Friedensdividende der erfolgreichen Außen- und Sicherheitspolitik wird schon gezahlt und wird weiter gezahlt werden.
Selbstverständlich beinhalten diese Veränderungen auch Probleme. Viele Mitbürger - aber auch manch einer in der Opposition - übersehen, daß wir mit der Herstellung der deutschen Einheit die ehemalige NVA mit Menschen, Liegenschaften und Material übernommen haben und in einem atemberaubend schnellen Prozeß integrieren müssen.
Auch wenn der Prozeß der Verringerung des Personalbestands bereits angelaufen ist, sei hier deutlich darauf hingewiesen, daß ein großer Teil des Haushalts Personalkosten sind. Ich halte es deshalb für außerordentlich unredlich, wenn einzelne Politiker nach immer mehr Abrüstung und immer weiterer Verringerung des Verteidigungshaushalts rufen, sich aber an anderer Stelle, vor Ort, in den Wahlkreisen, mit gespielter Empörung an die Seite der Soldaten, zivilen Mitarbeiter, Familienangehörigen und der regional zuständigen Politiker stellen und sich gegen die Verringerung oder Auflösung von Standorten wehren.
({3})
Für die FDP ist es auf jeden Fall wichtig, daß die Phase der Unsicherheit für die Lebensplanung betroffener Bundeswehrangehöriger und ihrer Familien ebenso schnell behoben wird, wie die Umstrukturierung der von der Truppenverminderung und vom Abzug von Truppenteilen betroffenen Regionen erfolgt.
Wir appellieren an die Kommunen und Regionen, die vom Abzug betroffen sind, nicht nur die Nachteile der Verminderung, sondern auch die Vorzüge wie zusätzlichen Wohnraum oder Gewinnung von Räumen für Naherholung oder industrielle Umstrukturierung als Chance zu sehen und zu begreifen.
({4})
Ich bin der festen Überzeugung, daß dieser Abbau zu keinem besseren Zeitpunkt hätte erfolgen können. Gerade in den alten Bundesländern, die von dem Stationierungskonzept betroffen sind, hatten wir noch nie eine so hohe Zahl von Beschäftigten wie derzeit. Insofern hilft jetzt nur entschlossenes Handeln aller Beteiligten bei der Bewältigung dieser Probleme.
Aber bleiben wir bei den Menschen. Die Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen ihrer Außen-und Sicherheitspolitik, die wir noch intensiver als europäische Außen- und Sicherheitspolitik gestalten wollen, auch weiterhin Streitkräfte als Element ihrer Politik benötigen. Deshalb steht in diesen bewegten politischen Zeiten bei der Zuweisung der Mittel für die Bundeswehr an erster Stelle der Mensch. Mit dem 3. Nachtragshaushalt 1990 hatten wir im Einzelplan 14 einen Personalausgabenanteil von 48 % erreicht. Die weitere Verringerung der Anzahl der Soldaten der Bundeswehr wird und muß im Personalbereich mittelfristig wieder Mittel freisetzen.
Wie ernst wir es mit den finanziellen Perspektiven für die Soldaten der Bundeswehr meinen, werden Sie daran erkennen, daß wir für 1991 Hebungen für 1 399 Portepee-Unteroffiziere vorgesehen haben. Die gleiche Zahl von Stellenhebungen soll im kommenden Jahr erfolgen.
({5})
Dazu kommt für die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr im mittleren und gehobenen Dienst eine Anhebung von je 455 Stellen im Jahre 1991 und 1992.
Besonders wichtig scheint mir auch die Herstellung der Einheit bei den Grundwehrdienstleistenden zu sein. Ich habe mich persönlich dafür eingesetzt, daß der Wehrsold und weitere Zuwendungen wie Weihnachtsgeld und ähnliches auf das gleiche Niveau wie bei den Grundwehrdienstleistenden in den alten Bundesländern angehoben werden.
({6})
Es erschien uns nämlich nicht gerecht und zumutbar, den finanziellen Ausgleich zwischen den Grundwehrdienstleistenden in Ost und West durch Verkürzung der Zahlung bei den westlichen Wehrpflichtigen zu realisieren. Dies wäre ein Sonderopfer der Wehrpflichtigen West an die Wehrpflichtigen Ost gewesen. Gerade das wollten wir nicht.
({7})
Was wir aber wollen, ist die Aufrechterhaltung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht. Ich halte die allgemeine Wehrpflicht für ein konstitutives Element unserer Wehrgesetzgebung. Die Bundeswehr und die Wehrpflicht sind Teil unseres Staates. Die Wehrpflicht ist jedoch sehr eng mit dem Prinzip der Wehrgerechtigkeit verknüpft. Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit
müssen auch zukünftig unabdingbar im Einklang miteinander stehen.
({8})
Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, daß wir inzwischen mehr Wehrpflichtige haben, als das vor der deutschen Einheit der Fall war. Hinzu gekommen sind die sechs neuen Bundesländer einschließlich West-Berlins. Deshalb hat der Haushaltsausschuß die Bundesregierung aufgefordert, bei der Zurückführung der Personalstärke der Bundeswehr auf 370 000 Soldaten bis 1994 das Verhältnis von Berufs- und Zeitsoldaten zu Grundwehrdienstleistenden so einzuhalten, wie es im Einzelplan 14 des Haushalts 1989 stand.
Ich betone jedoch für meine Fraktion, daß die Streitkräfte Deutschlands im sich weiter integrierenden Europa zukünftig selbstverständlich modern und zweckmäßig ausgerüstet sein müssen, damit wir auch bei unseren Partnern im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse das Gewicht einbringen können, das wir nun einmal haben. Verantwortungspolitik ist auch abhängig von der Achtung und dem Respekt der Partner.
({9})
Verläßlichkeit im Bündnis und Offenhalten zukünftiger Optionen bedeuten jedoch auch, daß wir Forschung und Entwicklung auf militärischem Gebiet weiter betreiben und hierbei nach dem Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda" getroffene Vereinbarungen einhalten.
Ich sage dies deshalb, weil die verehrte Opposition im Rahmen gebetsmühlenartig wiederholter Entschließungen und Beschlüsse zur Entwicklung des Jäger 90 wieder versuchen wird - sie hat es schon getan - , die Regierungskoalition ins unrechte Licht zu setzen. In der Koalitionsvereinbarung ist Einvernehmen darüber erzielt worden, daß die Entwicklung des Jäger 90 fortgeführt und dann zu gegebener Zeit über die Produktion oder über Alternativen entschieden wird.
Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Ich bitte um Nachsicht.
Die SPD tut sich offensichtlich zunehmend schwerer damit, die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland dadurch zu erhalten, daß wir ein verläßlicher Partner für Freunde in West und Ost auch in der Einhaltung von Verträgen sind.
({0})
Es tut mir leid, aber an dieser Stelle muß ich sehr deutlich werden. Auch wenn die SPD nun einen neuen Vorsitzenden hat und ich Herrn Engholm persönlich alles Gute wünsche,
({1})
sehe ich heute bei einem großen Teil der SPD - hier meine ich nicht die leider immer weniger werdenden Kollegen der SPD, die sich zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr bekennen - einen immer größer werdenden Abstand zu Fragen der Streitkräfte in Deutschland, im Bündnis oder in der internationalen Verantwortung.
({2})
Ich erinnere an den NATO-Doppelbeschluß und die anschließend ablehnende Haltung der SPD hierzu. Wir hätten die späteren Verträge und die jetzige Vernichtung all dieser Raketen nie erreicht, wenn wir nicht im Hinblick auf die Bündnissolidarität selbst etwas in die Waagschale geworfen hätten. Diebe Linie setzt sich leider fort bis hin zum Parteitagsbeschluß der SPD in Bremen über den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von sogenannten Blauhelm-Aktionen der Vereinten Nationen.
({3})
Gerade wir Liberalen kennen die deutsche Geschichte und die besondere Verantwortung. Wir wollen an erster Stelle die Stabilität und den Frieden in der Welt. Wir Liberalen wollen, daß im Rahmen der UNO und der NATO eingegangene Verpflichtungen nicht in Frage gestellt, sondern eingehalten werden. Wir wollen aber auch, daß diese Verpflichtungen nicht verdeckt bestehen und Anlaß zu rechtlichen Interpretationen geben, sondern daß diese Verpflichtungen verfassungsrechtlich eindeutig verankert sind. Dies gebieten nämlich die Verfassungswahrheit und die Verfassungsklarheit.
({4})
Wir wollen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Nach unseren Vorstellungen setzt aber die Entscheidung darüber, ob der Einsatzfall gegeben ist, die Zustimmung des Deutschen Bundestages mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder voraus.
({5})
Wer sich dieser Aufgabe verweigert, stellt die eigene Regierungsfähigkeit in Zweifel und gefährdet die Politikfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich fordere daher die nachdenklichen und verantwortungsbewußten Kollegen der Opposition auf, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die keine Frage einer Fraktion oder Partei ist, mit der Regierungskoalition gemeinsam zu betreiben und dem Haushalt zuzustimmen.
Ich bedanke mich.
({6})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Kolbow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Thiele, weite Teile Ihrer Rede, in denen Sie sich mit der SPD befaßt haben, hätten Sie besser draußen in einer Wahlversammlung vorgetragen. Dies wäre besser gewesen,
als hier mit fundamentaler Kritik und falschen Voraussetzungen anzutreten.
({0})
Da Sie den Jäger 90 als Einstieg in Ihre Kritik an uns benutzt haben, sage ich Ihnen: Der Kollege Möllemann hat erklärt, dies sei das sicherste Flugzeug der Welt, weil es nie fliegen werde. So machen Sie Politik vor der Wahl. Jetzt sagen Sie, Sie wollten entwickeln, um zu bauen. Das ist eine Unverschämtheit!
({1})
Meine Damen und Herren, ich wende mich jetzt dem Herrn Bundesminister der Verteidigung zu. - Sie können gelegentlich wieder auf mich zurückkommen, Herr Kollege Nolting. ({2})
Ich darf jetzt in aller Ruhe die „Süddeutsche Zeitung" bemühen und darauf aufmerksam machen, daß diese unlängst geschrieben hat, von Verteidigungsminister Stoltenberg sei keine kritische Bestandsaufnahme zu erwarten; er übe den Primat der Politik nicht aus, er sei kein Reformminister, er wickle ab. Genau diese Philosophie liegt dem Haushaltsplanentwurf, über den wir heute zu reden haben, zugrunde.
({3})
Sie führen das Begonnene fort, Sie planen Minderausgaben, statt Schwerpunkte zu setzen, Sie gestalten nicht neu, Sie verwalten wider bessere Erkenntnisse.
Herr Kollege Kolbow, gestatten Sie jetzt Zwischenfragen?
Nachdem sich inzwischen bereits eine Schlange von Zwischenfragern gebildet hat, will ich jetzt Zwischenfragen zulassen.
Bitte sehr, Herr Kollege Weng!
Herr Kollege Kolbow, die Zwischenfrage bezieht sich auf das, was Sie vor dieser enormen Attacke gegen den Verteidigungsminister gesagt haben. Darf ich Sie darauf hinweisen und insoweit Ihre Erinnerung kräftigen, daß der Kollege Thiele in seiner Rede davon gesprochen hat, daß in der Koalitionsvereinbarung steht, daß der Jäger 90 entsprechend der gültigen Verträge fertig entwickelt wird und die Frage der Produktion offen ist und daß das, was Sie gesagt haben, er hätte gesagt, es werde entwickelt, um zu produzieren, nicht korrekt ist?
({0})
Herr Kollege Weng, ich weiß nicht, wie oft die FDP in dieser Frage noch umfallen will. Es ist schlicht und einfach so, daß auch der Kollege Müller ({0}) in seinen Ausführungen dargelegt hat, daß nach der Entwicklungsphase entschieden wird, ob gebaut wird oder nicht - als Teil der Koalitionsvereinbarungen. Ich habe daraufhin den Herrn Wirtschaftsminister zitiert, der im Deutschen Fernsehen gesagt hat - möglicherweise auch im ZDF bei „Was nun, Herr Möllemann?" - : Er fresse einen Besen, wenn der Jäger 90 gebaut würde und es sei das sicherste Flugzeug, weil es nicht gebaut würde. Es ist doch nun ein nicht unmaßgeblicher Exponent, den ich mir erlaube einzuführen. Das Sie das etwas unsicher und verlegen macht, das allerdings verstehe ich.
({1})
Gestatten Sie, Herr Kollege Kolbow, noch eine weitere Frage des Kollegen Weng?
Soviel er möchte. Sie rechnen es mir ja nicht auf die Redezeit an.
Dazu darf ich noch einmal sagen, bei solchen Zwischenfragen wird nichts auf die Redezeit angerechnet.
Ich weiß, ich konnte mich auf Sie verlassen.
Die Uhr steht still.
Darf ich Ihnen, Herr Kollege Kolbow, meinen Eindruck vermitteln, daß Sie meine Frage nicht verstanden haben?
({0})
Herr Kollege Weng, Ihnen einen Eindruck zu vermitteln ist immer außerordentlich schwierig; denn Sie nehmen nur das an, was Sie annehmen wollen, und nicht das, was schlicht und einfach auf Überzeugung beruht.
({0})
Jetzt hat der Kollege Nolting eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Kolbow, würden Sie mir zustimmen, daß Sie nach dem, was Sie jetzt wieder geäußert haben, offensichtlich zwischen Entwicklungsphase und Produktionsphase nicht unterscheiden können?
Herr Kollege Nolting, ich stelle bei der Beantwortung Ihrer Frage fest, daß es Ihnen höchst unangenehm ist, auf Widersprüche in der Koalition so hingewiesen zu werden, wie ich es hier getan habe.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf mich wieder dem Bundesminister der Verteidigung zuwenden und zum Ausdruck bringen, daß dies im Zusammenhang mit den Zitaten, die ich hier benutzt habe, unserer Meinung nach in diesem Haushalt und in der Ausführung Ihrer Politik, Herr Bundesminister, keine Politik im eigentlichen Sinne, so wie Sie sie für unser Land führen sollten, ist, sondern ein Ausdruck
der Hilflosigkeit gegenüber den Problemen. Es ist Folge der Gedankenlosigkeit, mit der die Bundesregierung insgesamt - dieses Frage-und-Antwort-Spiel hat das auch zum Ausdruck gebracht - an die großen Gegenwartsaufgaben herangeht.
Die Herausforderungen und Aufgaben für die nächsten Jahre haben sich auch - das hat auch in der außenpolitischen Debatte seinen Niederschlag gefunden, und der Kollege Jungmann hat es ebenfalls dargelegt - von Grund auf verändert: Drastische Verringerungen der Umfangszahlen, Neustrukturierung der nun gesamtdeutschen Streitkräfte für aktuelle und künftige Aufgaben, Bewältigung der Abrüstungsfolgen, Standorte und Rüstungskonversion. Wer nun glaubt, der von der Bundesregierung vorgelegte Verteidigungshaushalt würde diese Erkenntnisse aufnehmen und umsetzen, der sieht sich in der Tat getäuscht.
Wir treten - wir haben das auch in den Ausschußberatungen deutlich gemacht - für Umschichtungen ein, die klare Schwerpunkte setzen. Wir streiten für Kürzungen, die dafür die erforderlichen Finanzmittel freimachen können. Die aktuellen Herausforderungen können nicht mit halbherzigem Verwaltungshandeln bewältigt werden.
({1})
Es sind, Herr Minister, Konzepte gefragt. Strategie ist erforderlich, nicht taktisches Verhalten.
({2})
Eine auf 370 000 Soldaten schrumpfende Bundeswehr muß nach sorgfältiger Planung entschlossen umstrukturiert und neu gegliedert werden. Sie muß anders ausgerüstet werden. Sie muß einen neuen Auftrag bekommen.
({3})
Wir halten bei entschlossenem, zielorientiertem Handeln einen Finanzrahmen von unter 50 Milliarden DM für hinreichend und möglich. Um ein politisches Signal in diese Richtung zu setzen, lehnen wir diesen vorliegenden Einzelplan ab.
Der vorgelegte Etatentwurf wird den tiefgreifenden Veränderungen in den außen- und sicherheitspolitischen Fragen nicht gerecht. Er bietet keine Grundlage für einen Umbau unserer Streitkräfte, der sich an den drastisch veränderten strategischen und operativen Gegebenheiten orientiert.
Die großen Herausforderungen und Aufgaben für die nächsten Jahre spiegeln sich in der Ausgabenplanung des Verteidigungshaushalts nicht wider. Im Gegenteil, die bisherigen Ausrüstungs- und Beschaffungsprogramme werden im Grundsatz unverändert fortgeschrieben. Der Kollege Jungmann hat dies ausführlich dargelegt. Unserer Meinung nach fehlt insbesondere ein geschlossenes Gesamtkonzept, das sich auf einen neuen Auftrag oder - wie Sie es im Verteidigungsausschuß formuliert haben, meine Damen und Herren von der Koalition - auf eine Fortschreibung des Auftrags stützt.
Wir fordern die Aussetzung der großen Rüstungsprojekte, da der künftige Auftrag der Streitkräfte nach Wegfall der Ost-West-Konfrontation durch die
Bundesregierung bisher in keiner Weise neu definiert werden konnte.
({4})
Nach dem Golfkrieg - das ist ein zweites wichtiges Faktum - ging es bei diesen Haushaltsberatungen erstmals auch darum, der Bundeswehr Ersatz für das zu beschaffen, was die Bundesregierung für einen Krieg hergab, immerhin Rüstungsgüter einschließlich von NVA-Material im Wert von 2,5 Milliarden DM. Sofern die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr durch diesen Aderlaß eingeschränkt wurde, besteht anzuerkennender Handlungsbedarf im Haushalt. Die Bundesregierung wählte aber den Weg, in Einzelplan 60 einen eigenen Titel mit der Überschrift „Ersatzbeschaffungen zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr" zu schaffen und dort 500 Millionen DM für das Jahr 1991 sowie eine weitere Milliarde DM an Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre 1992 bis 1994 einzusetzen.
Wir haben während der Haushaltsberatungen auch diesen Einzelplan 60 abgelehnt, zu Recht, wie wir meinen; denn der Verteidigungsminister sieht den Einzelplan 60 als Ersatzentwicklungs- und Ersatzbeschaffungsetat für Projekte an, die sich im Einzelplan 14 mangels Masse nicht mehr unterbringen ließen. Am Fachausschuß vorbei definierten Sie, Herr Dr. Stoltenberg, den Bedarf der Bundeswehr wie z. B. die „künftige Panzerhauptbewaffnung", „mudulare Abstandswaffe Luft/Boden", „Kleinfluggeräte Zielortung", „Luft/Luft-Flugkörper AMRAAM" und vieles andere mehr. Hier wurden Forderungen für die Streitkräfte definiert, wie sie sich in Angriffsoperationen der Golfkoalition bewährt haben. Das lehnen wir für die zukünftige Ausrüstung unserer Streitkräfte aber ab.
({5})
Ich merke wiederum an, daß die Bundeswehr keinen den Herausforderungen der Zukunft entsprechenden Auftrag hat. Noch ist der Einsatz der Bundeswehr auf reine Verteidigungsaufgaben im westlichen Bündnis begrenzt. Bei der Änderung dieses Auftrags werden wir auf der Basis unserer Parteitagsbeschlüsse - das hat auch in dieser Debatte eine Rolle gespielt - mitzureden haben.
Für die obengenannten und in dieser Debatte erwähnten Rüstungsprojekte gibt es derzeit kein vernünftiges militärisches Konzept und keine sicherheitspoliltische Rechtfertigung. Hier wird aus politischen und wirtschaftlichen Erwägungen heraus Geld verteilt, das wir für andere Aufgaben dringend benötigen.
Meine Damen und Herren, von der Verringerung der Streitkräfte sowohl der Bundeswehr als auch der Stationierungsarmeen werden viele Soldaten, zivile Beschäftigte, Städte, Gemeinden und Regionen betroffen. Sie, Herr Minister, haben lange Monate hartnäckig den gesellschaftlichen Dialog zur sozialverträglichen Gestaltung für die betroffenen Menschen und die Notwendigkeit zur Strukturförderung in den betroffenen Gebieten verweigert. Der Gipfel ist unserer Meinung nach jedoch, daß Sie nun, nachdem Sie der Öffentlichkeit am 24. Mai Ihr Stationierungskon2028
zept vorgestellt haben, den betroffenen Gebietskörperschaften und Ländern aber nur etwa sechs Wochen zur Prüfung und Stellungnahme zubilligen wollen.
Sie haben nun die Folgen Ihrer restriktiven Informationspolitik zu tragen. Sie - oder Ihr Vertreter, weil Sie dort ja nicht hingehen - werden bei der Abrüstungskonferenz in Hessen am 7. Juni das Entsprechende zu hören bekommen. Jetzt nämlich kommen um so nachdrücklicher die Fragen und Forderungen der betroffenen Menschen auf den Tisch. Der Kollege Jungmann hat sie eindrucksvoll dargestellt. Ich darf sie in einem Satz zusammenfassen. Wie planen Sie, Herr Bundesminister, sozialverträglich für die betroffenen Menschen? Was verstehen Sie unter Sozialverträglichkeit? Erklären Sie uns in diesem Hause, daß Sie gewillt sind, für die Wahrung des Besitzstands der betroffenen Soldaten und Zivilbeschäftigten einzutreten! Erklären Sie auch - das hat auch der Bundeskanzler einmal getan; das ist gefährlich, aber stehen Sie zu Ihren Aussagen - , daß es keinem Soldaten und keinem Zivilbeschäftigten schlechter gehen soll als bisher! Erklären Sie auch, daß Sie Sozialpläne für jede einzelne Dienststelle entwickeln werden und daß Sie einen nationalen Sozialplan und einen Konversionsfonds für die Bewältigung der Abrüstungsfolgen im Bundeskabinett nicht nur vorschlagen, sondern auch durchsetzen wollen, wenn Sie dazu noch die Kraft haben.
({6})
Und bringen Sie endlich das Personalstärkegesetz in das Parlament ein, damit unsere Soldaten wissen, woran sie denn mit Ihnen und mit Ihren Vorstellungen in diesem Zusammenhang sind!
({7})
Meine Damen und Herren, das veränderte politische und militärische Umfeld in Europa hat - das hat hier wiederholt eine Rolle gespielt - traditionelle Bedrohungsszenarien obsolet werden lassen. Es ist besser, von Risikoszenarien zu sprechen. Das bedeutet, daß Sicherheit nicht mehr in erster Linie ein militärischer, sondern ein politischer Begriff ist. Gefährdungen und Konflikte resultieren aus Instabilitäten im globalen Maßstab.
Die Überwindung der Ost-West-Konfrontation und die auf zwei Supermächten austarierte Weltordnung hat in vielen Teilen der Welt neue oder seit langem latente Konfliktpotentiale freigesetzt. Angesichts veränderter Gefährdungen brauchen wir ein erweitertes, internationales Verständnis von nationaler Sicherheit. Da jedoch diese Probleme, meine Damen und Herren, primär aus ökonomischen Verwerfungen und ökologischen Risiken resultieren, sind militärische Mittel zur Konfliktlösung weitestgehend ungeeignet. Dennoch wird Europa als Ganzes oder regional möglicherweise auch künftig Risiken, Konflikten und Gefährdungen ausgesetzt sein, die eine militärische Vorsorge angeraten erscheinen lassen.
Ich will Ihnen in der mir verbleibenden Zeit kurz unsere militärpolitischen und strategischen Folgerungen aus dieser Beurteilung aufzeigen. Deutschland gewinnt mit dem Zusammenwachsen Europas eine strategisch zentrale Lage. Es ist erstmals in der
neueren Geschichte von Verbündeten und solchen Staaten umgeben, die politisch und wirtschaftlich einen vergleichbaren, längerfristig in einem europäischen Sicherheitssystem vielleicht sogar sicherheitspolitisch verbündeten Status anstreben. Die sich für Deutschland herausbildende Zentrallage erfährt durch die amerikanisch-sowjetische Annäherung und den daraus resultierenden Interessenausgleich eine überregionale Einbettung. Angesichts dieser radikal veränderten politischen Landschaft ist nicht einzusehen, daß der Verteidigungsminister noch immer den zweitgrößten Einzeletat verwaltet.
({8})
Dies gilt auch, weil sich um die zentralstrategische Lage Deutschlands eine rundum gelegene Schutzzone gebildet hat und sich aus dieser Mittellage ein weitgehender Schutz gegenüber aggressiven Land-, See- und Luftoperationen ergibt. Dabei ist das Verhältnis zu den regional peripher gelegenen Staaten insoweit von strategisch-operativer Bedeutung, als diese von dem wirtschaftlich starken und sich stabilisierenden vereinigten Deutschland, das hinter dem von ihnen gebildeten Schutzcordon liegt, einen solidarischen Sicherheitsbeitrag erwarten. Es ist vor diesem Hintergrund absolut unverständlich, warum in der neuen Heeresstruktur noch die „Dinosaurier", die gepanzerten, mechanisierten und äußerst kostenintensiven Großverbände, in so großem Umfang überleben.
Unverständlich ist auch, warum Sie, Herr Minister, den Schnellen Eingreifkräften der NATO vergangene Woche in Brüssel in dieser Form zugestimmt haben. Noch im März hatten sie entschieden, daß unter allen Umständen ein britisch geführtes „Einsatzkorps" verhindert werden muß. Sie sind noch vor wenigen Wochen von Ihrem britischen Amtskollegen im Streit geschieden, weil er unbedingt die angelsächsische Dominanz bei diesem Korps durchdrücken wollte. Warum, so frage ich Sie, sind Sie in Brüssel umgefallen? Warum haben Sie diese Strukturvorentscheidungen in der NATO mitgetragen, obwohl es auch die kreativen Köpfe auf der Hardthöhe - davon gibt es nicht wenige, ganz im Gegenteil - schmerzt, was Sie während der NATO-Tagung bei den Verteidigungsministern in der Planungsgruppe und auch in der nuklearen Planungsgruppe getan haben? Meine große Sorge ist, daß die NATO mit Ihrer Hilfe Fakten geschaffen hat, die die europäischen Pläne für eine eigene europäische Sicherheitsidentität konterkarieren. Die derzeit stattfindenden Regierungskonferenzen zur Europäischen Politischen Union, die sich neben der Wirtschafts- und Währungsunion die Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zum Ziel setzen, sind durch diese Entscheidungen weitgehend präjudiziert. Wir haben deswegen heute in der außenpolitischen Debatte den Außenminister aufgefordert, Ihren Fehler, den Sie dort gemacht haben, wiedergutzumachen und deutsche Interessen dort zu vertreten.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Fazit ist, daß die Streitkräfte in Umfang, Struktur und Ausrüstung zur Durchführung einer Vielzahl von wechselnden, nicht nur militärischen Aufgaben, sondern
zunehmend auch humanitären Einsätzen im nationalen und multinationalen Verbund befähigt werden müssen und daß dies eine Task-force-Organisation erfordert, in der Verbände je nach Auftrag kombiniert werden. Wir werden in der Europäischen Politischen Union, die NATO, WEU und KSZE - der gilt unser besonderes Augenmerk - teilweise abdeckend, dafür Sorge tragen, daß sie zum wesentlichen Kristallisationselement der künftigen europäischen Sicherheitsstruktur wird.
Wenn man noch einmal das Zitat der „Süddeutschen Zeitung" aufgreift, dann wird einem mit Ihnen auf dem Sitz des Bundesministers der Verteidigung, Herr Stoltenberg, ein wenig bang. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt:
Bundeskanzler Kohl hat ihn - den Verteidigungsminister Dr. Stoltenberg - bei der letzten Kabinettsumbildung verschont; wahrscheinlich aus Dank dafür, daß er in schweren Zeiten loyal zu ihm gestanden ist. Die Dankesschuld dürfte aber inzwischen abgetragen sein. Sollte der Kanzler das Kabinett im Herbst ohnehin umbilden müssen, dann sollte er Stoltenberg in seine Überlegungen einbeziehen.
Dem habe ich im Interesse der Soldaten, der Streitkräfte und unseres Landes nichts hinzuzufügen.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
({10})
Das Wort hat Frau Kollegin Vera Wollenberger.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verantwortlichen für diesen Verteidigungshaushalt haben noch nicht mit der Denktradition des Kalten Krieges gebrochen. Bei genauerem Hinsehen und in Kenntnis der vielen kritischen Einzelbemerkungen aus anderen Fraktionen ergibt sich für uns aber noch eine andere Bewertung. Aus unserer Sicht stellen der Einzelplan 14 und der Einzelplan 35, die heute hier zur Debatte stehen, einen echten Fall von Betrug und Selbstbetrug dar. Nicht nur hier, sondern auch in den Medien wurde bereits nachgewiesen, daß die im Einzelplan 14 angegebenen 52,6 Milliarden DM nicht die einzigen verteidigungsrelevanten Ausgaben sind. Zu den nach NATO-Kriterien ausgewiesenen weiteren 11 Milliarden DM verstecken sich in den Einzelplänen 05, 07, 30, 33, 35, 36 und 60 noch einmal 10 Milliarden DM.
({0})
An dieses Betrugsmanöver hat sich zwar die Alt-Bundesrepublik gewöhnt. Wir aber vom Bündnis 90/ GRÜNE können und wollen das nicht. Der Herr Kollege Müller hat vorhin gesagt, daß der Verteidigungshaushalt mit seinen 52,6 Milliarden DM auf ein vernünftiges Maß zurückgeschnitten worden ist. Man hätte erwarten können, daß sich die Kollegen von der Regierungskoalition vor allen Dingen gegen die offenbar unvernünftigen versteckten Verteidigungsausgaben aussprechen würden. Leider habe ich so
etwas von Ihnen nicht vernommen. Aber vielleicht kommt das noch.
Über 73 Milliarden DM für die Instrumentalisierung eines Verteidigungskonzeptes, das aus den Zeiten härtester Blockkonfrontation stammt und mit der damals durchaus existierenden Kriegsgefahr begründet werden konnte, passen heute nicht mehr in die europäische politische Landschaft. Im Gegenteil: Das Festhalten an dem bisherigen Konzept der Gesamtverteidigung, das ja auch durch den offiziellen Aufruf zur Ausarbeitung einer neuen NATO-Strategie bereits hinfällig ist, ist sicherheitspolitisch auch schon deshalb kontraproduktiv, weil es die Nachbarstaaten Deutschlands nicht zur Abrüstung stimuliert.
Der Einzelplan 14 und alle anderen Einzelpläne, in denen Verteidigungsausgaben versteckt sind, basieren auf der falschen Voraussetzung, daß die Bundesrepublik Deutschland in einem Krieg erfolgreich verteidigt werden könnte. Der Golfkrieg war hoffentlich der letzte Beweis dafür, daß man ein Land zwar militärisch vernichten, ökonomisch und ökologisch zerstören, nicht aber verteidigen kann. Selbst militärische Insider wissen, daß nach dem Ende des Warschauer Vertrages und im Zusammenhang mit den Zerfallsprozessen in der UdSSR auch 370 000 Soldaten noch zuviel sind und daß der vielbeschworene militärische Abschreckungseffekt nicht mit Kriegsprojektionen à la Zweiter Weltkrieg erzielt zu werden braucht.
({1})
Was sollen also die sinnlosen Ausgaben für die Umrüstung früherer NVA-Schützenpanzer oder die 10 Millionen für die ehemaligen NVA-Schiffe? Was soll der dreiste Griff in die Kasse des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost, um die ehemaligen NVA- Dienststellen zu modernisieren?
({2})
Warum müssen nahezu unveränderte Summen in den Wartime Host Nation Support fließen, wenn es für diese Bundesrepublik keine „war time" mehr geben wird, sondern höchstens eine „end time ", wenn sie die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der deutschen und der europäischen Einigung nicht lösen kann?
({3})
Der Einzelplan 14 macht aber noch etwas anderes deutlich. Das Verteidigungsministerium, nun auch noch gestärkt durch die NATO-Pläne, setzt auf verschiedene Eingreiftruppen. Diese Pläne sind in unserem Verteidigungsministerium, wie bekannt ist, mit ausgedacht worden. Damit wird die alte Linie des Ausbaus der Offensivfähigkeit der Bundeswehr in operativer Hinsicht fortgesetzt.
Warum müssen luftgestützte Abstandswaffen, Jäger 90, Panzerabwehrhubschrauber, Pioniergerät für schnelle Flußübergänge, neue Fregatten und U-Boote sowie 35 ECR Tornados bezahlt werden, wenn sich die osteuropäischen Nachbarn sowie die neutralen und nicht paktgebundenen Staaten in militärischer
Hinsicht am Konzept der nichtoffensiven Verteidigung orientieren? - Ich glaube, der Herr Kollege Müller ist die Erklärung, wozu der Jäger 90 im nächsten Jahrtausend denn notwendig sein soll, schuldig geblieben. Sie haben mir diese Frage leider nicht beantwortet.
({4})
- Warum? Das können Sie mir vielleicht einmal privat erzählen.
({5})
Daraus kann man doch nur ableiten, daß die alte operative Offensivfähigkeit in die neue Weltpolizistenrolle passen soll, von der hier in diesem Hause mancher zu träumen scheint.
({6})
Das Wort Verteidigungshaushalt erweist sich auch in dieser Hinsicht als Täuschung des Steuerzahlers und unserer Nachbarn.
Noch ein Umstand muß hier angesprochen werden, der sowohl den Einzelplan 14 als auch den Einzelplan 35 unannehmbar macht. Truppenreduzierung, Truppenabzug, Standortschließungen und -verkleinerungen, wie sie sowohl aus dem Ressortkonzept des Verteidigungsministeriums vom 24. Mai dieses Jahres als auch aus den Verlautbarungen der Alliierten bekannt sind, führen nicht nur die bisherige Berechnungsgrundlage des Verteidigungshaushaltes ad absurdum, sondern bringen auch völlig neue Kostenansätze hervor.
Dennoch findet aber die ganze Breite der Rezivilisierung bzw. Konversion ehemals militärisch genutzter und vernutzter Menschen, Mittel und Liegenschaften keinen Niederschlag im Etat des Verteidigungshaushaltes. Nicht nur fällt der Punkt Rüstungskontrolle und Abrüstung mit 233 Millionen DM lächerlich niedrig aus, von dieser Summe ist auch lediglich die Hälfte für direkte Abrüstungsausgaben vorgesehen, wenn man einmal die Konventionalstrafen für stornierte Rüstungsaufträge der Ex-DDR als solche ansieht.
Die Abrüstung soll von den Kommunen und Ländern getragen werden, damit der Verteidigungshaushalt nicht nur nicht gekürzt, sondern in voller Höhe für die Reorganisation der Streitkräfte genutzt werden kann. Offensichtlich ist sich das Verteidigungsministerium nicht im klaren darüber, daß selbst die angeblich so reiche Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, gleichzeitig die Kosten für die deutsche Einheit, für die Entwicklung Osteuropas und der Dritten Welt sowie für eine derartige Streitkräftemodernisierung aufzubringen.
Frau Kollegein Wollenberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Nolting?
Nein, ich möchte erst zum Ende kommen.
({0})
Andererseits beeilt sich das Verteidigungsministerium nicht mit dem Verkauf bzw. der Freigabe von Liegenschaften der Ex-NVA, um die Einnahmebilanz positiv zu beeinflussen.
Wie politisch instinktlos und militärisch infantil sich das Verteidigungsministerium benimmt und dazu die Steuergelder mißbraucht, ist an der Aufnahme der Tiefflugübungen über dem Territorium der Ex-DDR zu sehen.
({1})
Einerseits behauptet das Verteidigungsministerium mehrfach, daß es mit der Ausübung der Lufthoheit über dem gesamten Gebiet der Bundesrepublik auch einen Beitrag zum Schutz der sowjetischen Streitkräfte leisten will. Andererseits dehnt die Luftwaffe ihre bisher eindeutig gegen eben diese Streitkräfte gerichtete Übungstätigkeit aus, während die Übungstätigkeit der sowjetischen Luftwaffe radikal eingeschränkt wird. Ist das etwa vertrauensbildend?
({2})
Einerseits behauptet das Ministerium, für den Schutz der Bürger dazusein und die Belastungen in Grenzen halten zu wollen. Andererseits dient als Begründung für die militärisch sinnlosen Tiefflugübungen die impertinente Erklärung, die Bewohner müßten langsam an Tiefflüge gewöhnt werden.
({3})
Haben die Menschen in den neuen Bundesländern nicht genug Belastungen und Belästigungen, an die sie sich gegen ihren Willen gewöhnen mußten?
Einerseits behauptet das Verteidigungsministerium, daß die Luftraumüberwachung über den neuen Bundesländern mit der veralteten, dem Stand der 50er Jahre entsprechenden Radartechnik nur auf Grund des geringen Flugaufkommens und der langfristigen Anmeldeverfahren für den Luftverkehr noch gesichert werden könne, und fordert folglich Mittel zur Neubeschaffung. Andererseits aber erhöht dasselbe Ministerium ohne Begründung die militärische Flugdichte über diesem sensiblen Gebiet. Will man damit etwa den Nachweis für die dringende Modernisierung erbringen und die Steuerzahler unter Druck setzen, eben jene Militärtechnik zu beschaffen, die nicht nur zur allgemeinen Luftraumüberwachung dient, sondern von Anfang an in das NATO-Frühwarnsystem einbezogen ist? Wird damit nicht sogar die NATO- Integration Ostdeutschlands vor 1994 eingeleitet?
Daraus kann sich nur eine Forderung ergeben: kein Geld für den Ausbau der militärischen Luftraumüberwachung, sondern Umleitung dieser Mittel in den Haushalt des Verkehrsministers für eine moderne zivile Luftraumüberwachung.
Die politisch instinktlosen, militärisch sinnlosen und ökologisch nicht zu verantwortenden Tiefflüge müssen aufhören.
({4})
Aus unserer Sicht gebietet die veränderte militärische, politische und wirtschaftliche Situation in Deutschland und in Europa, das der Verteidigungshaushalt 1991 nur ein Nothaushalt sein kann, der mit einem Minimum für die laufenden Ausgaben auszukommen hat und in dem alle die Ausgaben storniert werden müssen, die mit der mittel- und langfristigen Gestaltung der deutschen Streitkräfte sowie des Systems der Gesamtverteidigung verbunden sind.
({5})
Die Bundesrepublik ist weder heute noch in unmittelbarer Zukunft militärisch so bedroht, daß wir nicht in Ruhe über jenes militärische Minimum nachdenken könnten, das wir für die Zukunft wirklich brauchen. Wir haben kein Geld für militärische Fehlplanungen oder veraltete militärische Planungen zu verschenken. Aus dieser Verantwortung heraus lehnen wir die vorgelegten Einzelpläne ab.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung, Herr Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern einige Stichworte aus der außenpolitischen Debatte zu Grundfragen unserer Sicherheitspolitik aufnehmen
({0})
und dabei an das anknüpfen, was schon die Kollegen Müller ({1}) und Thiele bei diesem Einzelplan vorgetragen haben.
Herr Kollege Kolbow und Herr Kollege Jungmann, Sie haben eher - ich will das ganz höflich formulieren - holzschnittartig gesprochen.
({2})
Sie haben, wenn Sie mit den Problemen des Verteidigungshaushalts wirklich im einzelnen vertraut sind, zum Teil auch wider besseres Wissen Vorwürfe erhoben.
Schauen Sie einmal: Sie haben die Haushaltsansätze für die auslaufende Ersatzbeschaffung für den Leopard 2 und für die Umrüstung des Panzers Leopard 1 als Beispiele für die Unfähigkeit der jetzigen Regierung oder für meine Unfähigkeit angeführt,
sich auf neue Bedingungen einzustellen. - Sie sollten wissen, daß es sich hierbei um politische Entscheidungen handelt, die mit Zustimmung des Deutschen Bundestages 1987 diskutiert wurden und mit deren Umsetzung 1988 begonnen wurde. So, wie Manfred Wörner einmal die unbezahlten Rechnungen von Herrn Apel und Herrn Leber finanzieren mußte - zu einem Zeitpunkt, zu dem, relativ gesehen, was den Anteil am Haushalt angeht, ungleich mehr für Rüstung ausgegeben wurde als heute -,
({3})
so müssen natürlich auch wir gewisse Weichenstellungen früherer Jahre heute ordnungsgemäß abwikkeln.
({4})
Weil das zum Einmaleins eines sachkundigen Haushalts- und Verteidigungspolitikers gehört, unterstelle ich, daß Sie hier wider besseres Wissen gesprochen haben, weil Ihnen bessere Argumente für Ihre Polemik nicht einfallen.
({5})
Ich werde natürlich auch nachdenklich, wenn Sie die bekannten Formeln zum Thema Jäger 90 nur wiederholen. Ich will nicht das wiederholen, was die Kollegen aus CDU/CSU und FDP ausgeführt haben über den Stand unserer Meinungsbildung und die Fragen, die wir entscheiden wollen. Mir kam nur in den Sinn, daß ich vor einigen Tagen in einer führenden deutschen Zeitung gelesen habe, daß die sowjetische Regierung unter Präsident Gorbatschow bei der jetzt wieder bevorstehenden großen Luftfahrtschau in Le Bourget bei Paris die MiG 32, die soeben in der Entwicklung fertiggestellte und in die Produktion gehende modernste Jagdflugzeugversion, der westlichen Welt präsentiert. Ich behaupte nicht, daß diese Entscheidung Gorbatschows ein Indiz dafür ist, daß er von der Politik der Kooperation abgeht, aber ich behaupte, daß Sie es sich nicht so leicht machen dürfen mit Ihren Primitivformeln, wenn wir die Welt von heute und das Verhalten anderer Staaten, hier vor allem der Sowjetunion, betrachten.
({6})
Frau Wollenberger, ich will das sehr höflich gegenüber einer neuen Kollegin sagen: Vieles von dem, was Sie sagten, ist ja kritisch zu untersuchen, aber eines ist klar: daß ein Jagdflugzeug keine Offensivwaffe ist und daß die Entwicklung eines Jagdflugzeugs kein Indiz für offensive Absichten ist.
({7})
Ich möchte dies Ihnen gegenüber nur als Fußnote anmerken.
Ich möchte jetzt etwas zu den sicherheitspolitischen und strategischen Grundfragen sagen. Es ist so, daß wir uns in der nationalen Sicherheits- und Verteidigungskonzeption und natürlich vor allem in dem neuen Bundeswehr-Konzept, daß ja nur eine eher oberflächliche Erwähnung durch die Opposition gefunden hat, auf die veränderten Sicherheitsbedingungen in Europa einstellen, freilich nicht in einer eindimensionalen Betrachtung. Wir begrüßen alle miteinander, daß wir schrittweise ein besseres Mitein2032
ander von West und Ost in Europa erreichen und daß der Eiserne Vorhang, der Europa getrennt hat, auch in sicherheitspolitischer Hinsicht allmählich zerfällt. Wir begrüßen das alle miteinander. Bauen wir hier doch keinen Popanz auf in einer Diskussion am späten Abend!
({8})
Wir ziehen natürlich tiefgreifende Konsequenzen für die Reform der Allianz wie auch für die Bundeswehrplanung. Sie können mir ja vieles vorwerfen, aber ich behaupte schlicht, daß wir in den letzten sechs, sieben Monaten im Verteidigungsministerium in der Vorbereitung von Entscheidungen des Deutschen Bundestages wie der Bundesregierung wesentlich weiterreichende Beschlüsse gefaßt haben, als es vorher, etwa in den 70er Jahren, in Ihrer Regierungszeit der Fall war.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben seit August letzten Jahres, seitdem klar war, daß wir - im Gegensatz zu den Vorstellungen der SPD - am 3. Oktober die Einheit Deutschlands erreichen würden, vor und nach dem 3. Oktober an der gewaltigen Aufgabe der Auflösung der Nationalen Volksarmee und der Schaffung neuer Bundeswehrstrukturen mit einer Intensität gearbeitet, daß auch unbefangene Kollegen der Sozialdemokratischen Partei
({10})
anerkennen, daß dies eine ganz ungewöhnliche Leistung der Bundeswehr, aber auch der politischen Führung der Bundeswehr ist, meine Damen und Herren.
({11})
Die Umsetzung der grundlegenden Vereinbarungen des Bundeskanzlers mit Präsident Gorbatschow vom August, die etwas erreicht haben, was Sie nicht für möglich hielten und was viele von Ihnen nicht wollten, nämlich daß wir seit dem 3. Oktober eine Bundeswehr haben und daß ganz Deutschland mit Zustimmung der Sowjetunion Mitgliedstaat der NATO ist und die Umsetzung auch des anderen Teils, der Selbstbeschränkung Deutschlands auf 370 000 Soldaten, ist natürlich mehr als eine mechanistische vordergründige Planung.
Wir haben in den ersten Monaten dieses Jahres die sogenannte militärische Führungsorganisation der Streitkräfte in einem Umfang gestrafft, vereinfacht, der - das behaupte ich - in der Geschichte der Bundeswehr ohne Beispiel ist. Darüber wird gründlicher zu sprechen sein. Wir haben das ja gestern sechs, sieben Stunden im Verteidigungsausschuß miteinander erörtert; übrigens, Herr Kolbow, dort ein bißchen sachlicher als hier, was Sie anbetrifft.
({12})
Die Umsetzung dieser Planung ist natürlich eine der großen innovatorischen Leistungen. Ich behaupte, daß wir mit unserem Konzept immerhin eine gute Grundlage dafür gelegt haben.
({13})
Wenn Sie nun heute sagen - ich kann mich ja nur wundern -, das hätten wir alles schon vor neun Monaten machen sollen, dann will ich sagen: Vor acht Monaten haben wir die Einheit Deutschlands erreicht. Wir haben ein Konzept für alle Standorte im vereinten Deutschland vorgelegt.
({14})
Wenn Sie sagen, das hätten wir vor neun Monaten machen können, dann muß ich wirklich einmal an der Seriosität Ihrer Aussagen zweifeln, übrigens auch mancher Zitate, die Sie hier vorgetragen haben.
({15})
- Ich habe das schon mitgeschrieben. Wir können das ja nachher in Ruhe mit dem stenographischen Protokoll vergleichen, wenn es vorliegt. Ich habe es schon mitgeschrieben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn Sie sie mitgeschrieben haben, Herr Minister, würden Sie mir dann bitte erstens sagen, wer von den Oppositionsrednern von neun Monaten gesprochen hat, und würden Sie mir zweitens zugeben, Herr Minister, daß die Kritik, die ich hier vorgebracht habe, darauf hinausgelaufen ist, daß Sie nicht rechtzeitig die Betroffenen beteiligt haben, einbezogen haben und haben mitwirken lassen und daß von Ihrer Seite - ich meine hiermit die Koalitionsfraktionen - auch die Aufforderung an Sie gerichtet wurde, die Dinge etwas offensiver, bürgerfreundlicher, betroffenenfreundlicher zu handhaben?
Jetzt haben Sie einen dritten Punkt eingeführt, auf den ich später eingehen werde.
({0})
Ich bleibe dabei, daß Sie die seit Monaten immer stereotyp wiederholte Behauptung hier erneut aufgestellt haben, wir hätten das alles viel früher machen können, und Sie haben von einem Dreivierteljahr gesprochen. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist dann wirklich, daß wir das nach meiner Überzeugung sehr schnell gemacht haben; denn wir waren doch erst nach dem 3. Oktober in der Lage, die sogenannte militärische Infrastruktur, die wir, wie vieles andere dort auch, teilweise als Erblasten, übernommen haben, überhaupt zu überprüfen, und wir haben natürlich erst seit Ende Februar die Erkenntnisse, die wir brauchten, um unter Einbeziehung der neuen Bundesländer - ausgehend von zum Teil ziemlich beklagenswerten Tatbeständen auch in diesem Sektor - Folgerungen für eine gesamtdeutsche Streitkräfteplanung zu ziehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Hoyer?
Ja, gern. Ich gehe dabei davon aus, daß das, wie vorhin, die Redezeit nicht belastet.
Herr Minister Stoltenberg, finden Sie es nicht zumindest ganz entzückend, daß die Kollegen von der sozialdemokratischen Seite, die die Bundeswehr vor kurzem noch auf deutlich unter 300 000 Mann reduzieren wollten, jetzt plötzlich zumindest im Zusammenhang mit dem Stationierungskonzept ihr Herz für die Streitkräfte entdeckt haben?
({0})
Ich habe bei der Mehrzahl der sozialdemokratischen Politiker, die sich bisher dazu geäußert haben - nicht bei jedem einzelnen im Bundestag, aber bei der Mehrzahl auch der sozialdemokratischen Bundestagskollegen -, den Eindruck, daß die Bundeswehr und die Soldaten immer mehr, fast nur noch als Wirtschaftsfaktor gewertet werden. Das ist eine völlig unerträgliche Betrachtungsweise, meine Damen und Herren, und zwar auch im Hinblick auf den Dienst, den die Soldaten für unsere Sicherheit und Freiheit weiterhin zu leisten haben.
({0})
Es liegen noch zwei weitere Wortmeldungen zu Zwischenfragen vor, zuerst die des Kollegen Nolting und dann die des Kollegen Kolbow. Ich würde aber bitten, daß es dann mit den Zwischenfragen ein Ende hat.
Bitte sehr.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß wir die Bundeswehr nicht verkleinern dürften, sondern um mindestens 100 000 oder 200 000 Soldaten aufstocken müßten, wenn wir den z. B. in der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses von SPD-Kollegen aus allen Ländern gestellten Forderungen nach massiven Nachbesserungen vor allen Dingen hinsichtlich der Zahl der Soldaten für einzelne Standorte folgten?
({0})
Herr Kollege Nolting, ich habe den Eindruck, daß diese Bewertung zutreffend ist.
({0})
Jetzt noch abschließend Herr Kollege Kolbow. Ich schließe mich hierbei der Mahnung der Frau Präsidentin an.
Herr Bundesminister, würden Sie mir bestätigen, daß ich Ihnen nach der gestrigen Sitzung des Verteidigungsausschusses die Beschlüsse des SPD-Parteitages von Bremen ausgehändigt habe?
Ja, auf die wollte ich gleich eingehen.
Würden Sie mir dann bitte auch das Ergebnis Ihrer Lesebemühungen, wenn es dazu gekommen ist, hier mitteilen und damit dann auch bestätigen, daß es in diesen Beschlüssen heißt: „Deutschland wird auf absehbare Zeit Streitkräfte zur Verteidigung brauchen.
({0})
Ziel ist es, sie überflüssig zu machen."? Besteht Einverständnis einmal darüber, daß damit in diesem Zusammenhang nicht nur von wirtschaftlicher Funktion die Rede ist, und zum anderen darüber, daß der Slogan des Herrn Bundeskanzlers „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" auf das gleiche hinausläuft wie unser zweiter Satz hier?
Die Aussage des Bundeskanzlers heißt „Frieden schaffen mit weniger Waffen" , und zu der bekennen wir uns ausdrücklich. Das heißt aber nicht eine Nullösung mit dem Ziel der Abschaffung unserer Streitkräfte, auch nicht längerfristig, weil das in der Welt, in der wir leben, mit unserer Sicherheit und mit unserer internationalen Verantwortung unvereinbar ist, meine Damen und Herren.
({0})
Nun darf ich mit Ihrer freundlichen Zustimmung fortfahren. - Vieles, was hier an Scheingefechten dargeboten wird, und zwar nicht nur heute abend, beruht doch auf einem Mißverständnis. Meine Damen und Herren, das Bekenntnis zur Zusammenarbeit und zum Dialog mit Blick auf unsere Nachbarn in Osteuropa und vor allem auch mit Blick auf die Sowjetunion - bei all ihren Unwägbarkeiten und Krisenerscheinungen - über die Grenzen von NATO und EG hinaus auf der einen Seite und das Bekenntnis zur Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit auf der anderen Seite ist kein Gegensatz, sondern beides ist notwendig, wenn wir unsere Verantwortung in der Welt von heute und morgen wahrnehmen wollen.
({1})
Ich glaube, das ist der Kernpunkt, über den man sich wirklich verständigen sollte.
({2})
- Es wird nur von einigen von Ihnen nicht mehr wirklich nachvollzogen und klar gesagt.
Nun komme ich zu einem bestimmten Punkt, Herr Kollege Kolbow, weil Sie mich dankenswerterweise gestern mit allen Beschlüssen des Bremer Parteitages zur Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik ausgestattet haben. Da gibt es einige grundlegende wirkliche Widersprüche. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Ein Zitat ist vorhin in der außenpolitischen Debatte schon kurz erwähnt worden. Es ist der Satz:
Wir erstreben eine Weltordnung, in der Kriegshandlungen geächtet und unterbunden werden und die Vereinten Nationen das internationale Gewaltmonopol erhalten.
Das ist ein diskussionsfähiger Satz.
Aber dann sagen Sie wenige Seiten später:
Eine deutsche Beteiligung an militärischen Kampfeinsätzen unter UNO-Kommando oder durch Ermächtigung der UNO lehnen wir ab.
Eine Welt von morgen, in der die UNO entscheidend in ihrer friedenssichernden, friedensstiftenden und das Völkerrecht durchsetzenden Weise gestärkt wird, ist ein Ziel, in dem wir uns einig sind. Natürlich haben wir zum erstenmal durch den Abbau der Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion eine Chance, daß die UNO, 45 Jahre nach ihrer Gründung, diese Aufgabe nachhaltiger übernimmt. Aber wenn Sie sich dann zum Gewaltmonopol für die UNO bekennen, können Sie doch die Konsequenzen dieser Aussage nicht verweigern in einer Zeit, in der in Verbindung mit der Golfkrise die Tschechoslowakei unter Vaclav Havel und Polen unter Lech Walesa im Rahmen der alliierten Allianz Streitkräfte an den Golf entsandt hatten.
({3})
Warum hat denn ein Mann wie Vaclav Havel, über dessen großartige Persönlichkeit und dessen großartige Leistung wir uns wahrscheinlich alle einig sind, diese Entscheidung getroffen, Herr Kollege Gansel? - Weil er damit demonstrieren wollte, daß die Tschechoslowakei jetzt als Mitglied der Völkergemeinschaft und als demokratischer Staat auch in dieser Weise internationale Solidarität übt.
({4})
Ihre Partei hat jetzt - ich habe das sehr wohl verfolgt - , abweichend von einigen ihrer eigenen Aussagen zuvor, die ich mit Interesse und Sympathie gelesen habe, und abweichend von den eindringlichen Mahnungen Willy Brandts eine Position beschlossen, die man als Verweigerung der internationalen Solidarität gegenüber den Vereinten Nationen kennzeichnen muß.
({5})
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Gansel?
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie haben vorhin das internationale Gewaltmonopol der UNO beschworen. Bedeutet ein internationales Gewaltmonopol nicht, daß die nationalen Armeen abgeschafft werden, denn sonst ist es ja kein Monopol? Sind Sie also auch der Auffassung, daß langfristig nationale Armeen und damit auch die Bundeswehr durch die entsprechende Autorität der UNO ersetzt werden können? Wenn ja, dann weiß ich nicht, warum Sie die Formulierung unseres Parteitags kritisiert haben.
Herr Gansel, ich habe sehr genau formuliert. Ich habe Ihre Aussage zitiert und Ihnen dann gesagt: Wir sind uns einig, daß die UNO entscheidend gestärkt werden muß. Ich lege mich jetzt nicht auf die Wortwahl der SPD fest.
({0})
- Es ist auch nicht Ihre Aufgabe, mir die Wortwahl vorzuschreiben. Ich habe eine Gemeinsamkeit in einer politischen Zielvorstellung entwickelt. Für uns ist es nicht vorstellbar, daß wir kurzfristig die Bundeswehr unter diesem Vorzeichen in Frage stellen. Für uns ist es vorstellbar, daß wir nicht von heute auf morgen, aber mittelfristig wirklich im Ausbau der Politischen Union Europas zu einer Situation kommen, in der wir zu einer gemeinsamen europäischen Streitmacht gelangen. Dann könnten wir vereint für internationalen Frieden und Völkerrecht wirksamer eintreten als jetzt rein national.
In Wahrheit haben wir das nationale Stadium bereits mit dem Beitritt zum Atlantischen Bündnis überwunden. Diese Integration im Altlantischen Bündnis kann eine Vorform für noch wirksamere Formen internationaler Organisation sein.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, weil die Zeit voranschreitet, noch weniges sagen. Ich habe erklärt, daß wir mit der grundlegenden Veränderung der Bundeswehrstrukturen, vor allem in den Kommandobehörden, daß wir mit dem Konzept für die Stationierung, wie ich glaube, tiefgreifende Schritte der Erneuerung auch für die Bundeswehr zur Diskussion stellen. Aber die Bundeswehr muß die damit verbundenen Probleme auch meistern können. Das gilt nun nicht nur für die militärische oder politische Führung; es gilt für die Soldaten und zivilen Mitarbeiter, denen natürlich in den kommenden Jahren Enormes abgefordert wird, wenn ein solches Konzept verwirklicht werden soll. In dem Punkt, daß wir hier flankierende Maßnahmen in verschiedenster Form brauchen, Herr Kollege Kolbow, sind wir uns einig; darüber haben wir gestern lange gesprochen, und wir werden weiter darüber sprechen.
Aber es muß neben der Reduzierung auch eine Perspektive dasein, daß wir weiterhin tüchtige junge Leute gewinnen, die bereit sind, als Berufs- und Zeitsoldaten einen wesentlichen Teil ihres Lebens mit unseren Streitkräften zu verbinden. Deswegen haben wir ja in der Koalition vereinbart - der Bundeskanzler hat es öffentlich gesagt - , daß die Personalstruktur eben nicht so bleiben kann, wie sie jetzt ist, sondern daß die Personalstruktur der Bundeswehr grundlegend verbessert werden soll, natürlich auch bei den Stellenkegeln.
({2})
Deswegen begrüße ich die Bereitschaft, die Entschließung des Haushaltsausschusses, die in dieser Form nicht mit den Vereinbarungen deckungsgleich ist, noch einmal zurückzuverweisen und sie erneut - ich hoffe, auch unter Beteiligung der Verteidigungspolitiker und des Verteidigungsministers - freundschaftlich zu beraten.
Wir muten den Soldaten und zivilen Mitarbeitern mit dieser Neustationierung wirklich eine ganze Menge zu. Es ist mit guten Worten und flankierenden Maßnahmen für Kommunen allein nicht getan. Wir müssen vielmehr klarmachen, daß wir eine kleinere, aber auch eine moderne Bundeswehr wollen. Wir müssen klarmachen, daß wir Verteidigungsfähigkeit
auf niedrigem Niveau organisieren wollen, aber daß der Dienst der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter unverändert anerkannt wird und nicht nur dann, wenn es um Standorte geht, sondern auch wenn es im Alltag um die Erfordernisse geht, zu üben und auch ordentlich auszubilden. Daran fehlt es gegenwärtig doch in manchen Bereichen der Bundesrepublik Deutschland sehr.
Wir werden mit diesem Verteidigungsetat gewissenhaft umgehen, wenn er so beschlossen wird. Er setzt uns knappe Grenzen. Ich will das auch zu Ihren kritischen Bemerkungen sagen, Herr Kolbow.
Ich habe auf Anfragen darauf hingewiesen, daß wir in der Vorbereitung dieses Etats noch nicht alle Aufwendungen berücksichtigen konnten, die jetzt aus den neuen Bundesländern kommen. Wir wissen seit wenigen Monaten, daß wir einen dringenden Investitionsbedarf haben, wenn wir dort zunächst 50 000 und nach dem jetzt vorgelegten Konzept im Jahre 2000 66 000 Soldaten stationieren wollen, der auf mindestens 17 bis 18 Milliarden DM zu schätzen ist.
Ich bin der Meinung, daß wir nicht nur in der sozialen Gleichstellung, sondern auch in der Unterbringung, also der Qualität der Kasernen, den Soldaten drüben nicht lange das vorenthalten können, was in den alten Bundesländern seit 20 Jahren selbstverständlich ist.
({3})
Wenn ich hier dafür werbe, daß wir die dafür erf order-lichen zusätzlichen Mittel erhalten, dann ist das nicht mit einem Kriegsminister oder einer unangemessenen Aufrüstung in Verbindung zu bringen, sondern mit der Verantwortung, die wir für die Gleichmäßigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland haben und von denen wir die Soldaten der Bundeswehr drüben in den neuen Bundesländern nicht ausnehmen wollen.
({4})
Meine Damen und Herren, verbale Bekenntnisse zur Bundeswehr und zu Soldaten müssen sich auch in konkreten Entscheidungen widerspiegeln. Insofern hoffe ich, daß wir in jeder Hinsicht unserer Bundeswehr auch eine gute Perspektive zu eröffnen vermögen.
Vielen Dank.
({5})
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Einzelplan.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/659 zum Einzelplan 14. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist damit angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan ist damit bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 12/510, 12/530 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth
Ernst Kastning
Die vorgesehenen Redner und Rednerinnen haben ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben.*) Ich glaube, wir danken Ihnen dafür alle ganz herzlich.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist damit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
- Drucksachen 12/524, 12/530 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Dietrich Austermann
Werner Zywietz
Auch hier haben die Kollegen mit unserem Dank ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben.**)
Wer stimmt für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 30 ist damit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 12/523, 12/530 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Carl-Ludwig Thiele
Hinrich Kuessner
Auch hier haben die Kollegen ihre Redebeiträge zu Protokoll gegeben.***)
Wer stimmt für den Einzelplan 31 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 31 ist damit angenommen.
*) Anlage 2 **) Anlage 3 ***) Anlage 4
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Ich rufe den heute morgen aufgesetzten Zusatzpunkt auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksachen 12/161, 12/404, 12/589, 12/650 Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht?
({2})
- Das habe ich mir beinahe gedacht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungen im Deutschen Bundestag gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/650 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses mit großer Mehrheit angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. Juni 1991, 9 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend. Die Sitzung ist geschlossen.