Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine Damen und Herren, wir haben heute die erste Plenarsitzung seit dem schrecklichen Attentat in Indien. Am 14. Mai ist der frühere indische Ministerpräsident Rajiv Gandhi einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Nur wenige Jahre nach dem Attentat auf seine Mutter, Indira Gandhi, verlor Indien wieder eine herausragende politische Persönlichkeit, auf die sich gerade in diesen Wochen die Hoffnungen weiter Bevölkerungskreise richteten.
Rajiv Gandhi, ein Mann von nobler Menschlichkeit und hohen Gaben, hatte sich vorgenommen, Indiens Aufbruch in das Zeitalter der modernen Technologie und der weltweiten Zusammenarbeit weiterzuführen.
Die Nachricht von dem verbrecherischen Gewaltakt hat in aller Welt Trauer und Bestürzung hervorgerufen. Auch der Deutsche Bundestag verurteilt den ruchlosen Mord an Rajiv Gandhi und denen, die mit ihm starben.
Angesichts der jahrhundertealten, vor allem im geistig-kulturellen Austausch wurzelnden Beziehungen zwischen Deutschland und Indien gilt die Anteilnahme der Deutschen in diesen Tagen dem ganzen indischen Volk.
Das Verbrechen geschah während einer Wahlveranstaltung und verdeutlicht uns aufs neue, wieviel auch in demokratisch verfaßten Staaten - und Indien ist die volkreichste Demokratie der Erde - noch zu tun bleibt, damit Terror und Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung verschwinden.
Sie haben sich zu Ehren der Ermordeten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Müller ({1}) hat am 28. Mai seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich gratuliere ihm nachträglich im Namen des Hauses sehr herzlich.
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Ich habe folgende amtliche Mitteilung zu machen: Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 3. Juni 1991 mitgeteilt, daß der Abgeordnete Lowack aus der CDU/CSU-Fraktion ausgeschieden ist. Der
Kollege Lowack gehört somit dem Deutschen Bundestag als fraktionsloses Mitglied an.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Renten-Øerleitungsgesetz auf Drucksache 12/630 dem Ausschuß für Arbeit- und Sozialordnung zur federführenden Beratung sowie dem Innenausschuß, dem Rechtsausschuß, dem Ausschuß für Frauen und Jugend und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß $ 96 der Geschäftsordnung ohne Aussprache zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991
({3})
- Drucksachen 12/100, 12/494 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 12/501, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Rudi Walther Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Sigrid Hoth
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 12/502, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Jochen Borchert
1842 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 26. Sitzung. Bonn, Dienstag, Gen 4. Juni 1991
Vizepräsident Hans Klein
Dr. Wolfgang Weng ({5}) Helmut Esters
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/638 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Esters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Deutschen Bundestages 1991 ist ein besonderes Zahlenwerk. Es ist der erste Haushalt eines gesamtdeutschen Parlaments. Er spiegelt vor allem die im Zuge des Vereinigungsprozesses bereits getroffenen Entscheidungen wider und hält Optionen für die vor uns liegenden Entscheidungen offen.
Zu den meines Erachtens endgültigen Entscheidungen gehört es, daß der repräsentative Charakter der Volksvertretung des geeinten Deutschlands nicht durch Neueinteilung und Vergrößerung der Wahlkreise, sondern durch Vermehrung der Wahlkreise in den neuen Bundesländern und damit durch Erhöhung der Anzahl der Abgeordneten bewahrt wurde. Die anfänglichen Diskussionen um die Beibehaltung dieser Entscheidung sind verebbt. Sie ist langfristig richtig. Zum einen gibt es ohnehin schon 54 sehr große Flächenwahlkreise zwischen 2 000 und 4 000 km2, in denen die Betreuung der Wähler hohe Belastungen für die Abgeordneten mit sich bringt; zum anderen zeigt der Ruf nach plebiszitären Elementen und unmittelbarer politischer Teilhabe, daß das repräsentative Prinzip nur Bestand haben kann, wenn der unmittelbare Kontakt zwischen Bürgern und Abgeordneten im Wahlkreis gewährleistet ist.
({0})
Mir ist wichtig, diese verfassungspolitischen Hintergründe hervorzuheben; denn die Steigerungsrate des Bundestagshaushalts 1991 im Vergleich zu den Vorjahren beruht maßgeblich auf der Vergrößerung der Abgeordnetenzahl und ihrer Auswirkungen auf Entschädigung, Kostenpauschale, Mitarbeiterpauschale sowie auf der Schaffung hinreichender Arbeitsverhältnisse in Bonn und - in einem freilich noch viel zu sehr beschränkten Maße - in Berlin.
Die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten im gesamtdeutschen Parlament sind bislang entgegen dem Verfassungsgebot ungleich.
({1})
Die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern haben sich nicht nur auf die hochdifferenzierten Regelungen, Tatbestände und Entscheidungswege eines anderen Rechts- und Wirtschaftslebens einzustellen; sie haben zugleich in den Auseinandersetzungen mit den Wählern die Last der gegenwärtigen Umstellungskrise zu tragen und zu verarbeiten.
Überdies leiden sie an technischen Arbeitserschwernissen, die in den Verkehrs- und Kommunikationsproblemen der neuen Bundesländer liegen. Im Haushalt sind Vorkehrungen getroffen, damit die
Amtsausstattung, namentlich im IuK-Bereich, für alle Abgeordneten bis zum Jahresende erfolgen kann. Auch die Wahlkreisbüros werden bis dahin sämtlich mit PCs und Telefaxgeräten ausgestattet sein.
Der Haushaltsausschuß und der Postausschuß haben die Deutsche Bundespost Telekom aufgefordert, alles daranzusetzen, den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern mit Vorrang funktionierende Telefon- und Telefaxanschlüsse bereitzustellen.
({2})
Gewisse Begriffsstutzigkeiten beim Telekom-Management scheinen überwunden.
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- Die Operettenweisheit, Herr Kollege Walther, daß es bei der Post nicht so schnell geht, kann trotz Privatisierung weiter im Refrain gesungen werden.
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Durch Entscheidungen des Ältestenrates und des Haushaltsausschusses, die im dritten Nachtrag 1990 ihren ersten Niederschlag gefunden haben und sich nun ausgabewirksam fortsetzen, ist es durch eine Vielzahl von Anmietungen gelungen, das vergrößerte Parlament in Bonn räumlich unterzubringen. Entgegen den Komforthalluzinationen eines Teils der Presse ist die Bürounterbringung für den einzelnen Abgeordneten mit seinen Mitarbeitern in durchschnittlich anderthalb Räumen bescheiden und entspricht den Normen eines mittleren Katasteramtes.
({5})
Abgeordnete, Fraktionen und Bundestagsverwaltung sind mittlerweile in annähernd 100 Liegenschaften zerstreut, für die die unterschiedlichsten Mietverträge und Mietzinsen - zwischen 19 DM und 39 DM - gelten. Die Mietkosten für die Gebäude des Deutschen Bundestages belaufen sich in diesem Jahr auf 21 Millionen DM. Im Vergleich zur Unterbringung des Deutschen Bundestages muß Wallensteins Lager als ein rationell und ästhetisch geordnetes Gebilde angesehen werden.
({6})
Der Deutsche Bundestag in Bonn kann sich rühmen, im Zeichen seines beleibten Adlers alle Baustile in sich zu vereinen: ein neoromanisches Industriedenkmal mit dem Wasserwerk, Gründerzeit-Villen, ein Bauhausdenkmalfragment in Gestalt des Altbaus der Pädagogischen Akademie, Einfamilienhäuser im Stil der 50er Jahre an der Görresstraße, ein später Eiermann der 60er Jahre - der Lange Eugen -,
({7})
Fließbandarchitektur im Tulpenfeld und im Bonn-Center sowie - zu Lasten des Einzelplans des Bauministers - Perlen anspruchsvollster Architektur in unterschiedlichen Seinszuständen: einerseits den zur Vollendung im Herbst 1992 reifenden PlenarsaalneuHelmut Esters
bau von Professor Behnisch und andererseits die derzeit tiefe Grube der Schürmann-Bauten.
({8})
Selbst die Behelfsbautengeschichte der Bundesrepublik Deutschland kann in Bonn von den Anfängen in Gestalt des Hauses V an der Görresstraße bis zu den ausgeklügelten OFRA-Bauten am Neuen Hochhaus und in der Heussallee 30 studiert werden. Das Provisorium Bonn widersetzt sich der Vollendung. Wie sollte es auch anders sein, ist doch das Original des Bundestagsadlers selbst nur der gipsene Entwurf eines eigentlich massiv gedachten Adlers!
({9})
Daß angesichts dieser Verhältnisse die Arbeit der Abgeordneten, der Fraktionen und auch der Bundestagsverwaltung wirklich schwierig ist, liegt auf der Hand.
Ich darf für die Kollegen und Kolleginnen, die nicht dem Bundestagspräsidium, dem Ältestenrat, dem Bauinformations- und -beratungsgremium der Präsidentin, lieber Peter Conradi, oder dem Haushaltsausschuß angehören, die Beschlußlage für die Arbeitsfähigkeit des Deutschen Bundestages in Bonn und Berlin zusammenfassen, wie sie sich im Haushalt 1991 des Deutschen Bundestages und des Bauministers widerspiegelt. Der Neubau des Plenarsaals mit Gesamtkosten von rund 260 Millionen DM wird im Herbst 1992 - ebenso der Präsidentenanbau - fertiggestellt. Änderungswünsche können, so sie kostenträchtig sind, nicht mehr berücksichtigt werden.
Die Sanierung des Altbaus Pädagogische Akademie mit Kosten von 23 Millionen DM wird zum Jahreswechsel 1991/92 abgeschlossen sein. Die Verteilungskämpfe um die Räume sind bereits im vollen Gang, Herr Kollege Weng.
Für die Erweiterungsbauten an der Kurt-Schumacher-Straße - Schürmann-Bauten - gilt vorerst, daß Erdgeschoß und Magazinflächen fertiggestellt werden. Das Bauministerium ist ermächtigt, die Ausschreibung der Hochbauten europaweit anzukündigen. Ob die Hochbauten - die aktuellen Kosten belaufen sich auf 640 Millionen DM - tatsächlich ausgeschrieben werden, ist nach der Sommerpause im Lichte weiterer Erkenntnisse zu entscheiden. Aus meiner Sicht sollten sie unbedingt fertiggestellt werden.
({10})
Die Bundeshauptstadt Berlin ist - aus jetziger Sicht - neben Bonn Tagungsort des Deutschen Bundestages. Nachdem das Reichstagsgebäude aus Mitteln des 3. Nachtragshaushalts im Rahmen der Möglichkeiten für Plenarsitzungen, Fraktionssitzungen, Sitzungen einer begrenzten Zahl von Gremien sowie mit Büros für Präsidenten und Fraktionsmanagement hergerichtet worden ist, sieht der Haushalt 1991 in Übereinstimmung mit den Ältestenratsbeschlüssen nunmehr zur dringenden Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten in Berlin auf Grund von Vorschlägen und mit Mitteln des Bauministeriums vor, daß die ehemaligen Ministerien für Volksbildung und Außenhandel Unter den Linden in Fußnähe zum Reichstagsgebäude bis Ende 1992 mit geschätzten Gesamtkosten von 38 Millionen DM für Bürozwecke des Deutschen Bundestages - es handelt sich um rund 750 Büros - hergerichtet werden.
Der Ältestenrat will das Gelände im Spreebogen für Zwecke des Deutschen Bundestages sichern. Der Haushaltsausschuß hat deshalb den Bundesfinanzminister und den Berliner Senat gebeten, geeignete städtebauliche Vorkehrungen zu treffen.
Alle diese Maßnahmen in Bonn und Berlin präjudizieren nicht die Entscheidung über den Parlaments- und Regierungssitz. Folgerungen aus dieser Entscheidung, falls sie getroffen wird, sind erst im Herbst bei den parlamentarischen Beratungen des Haushalts 1992 zu ziehen.
Im übrigen sollten Kostengesichtspunkte bei der Entscheidung nicht ausschlaggebend sein, weil es keine verbindlichen Annahmen für darauf aufbauende Berechnungen gibt und weil sich solche Berechnungen nach meinen langjährigen Erfahrungen mit Bonner Planungs- und Bauprojekten bereits nach kurzer Zeit als Makulatur erweisen.
({11})
Wie immer die Entscheidung ausfällt: Sie wird die vorhandene schwierige Finanzlage des Bundes nicht qualitativ verschärfen, und sie wird erst recht nicht Anlaß für Steuererhöhungen sein, wie dies von übereifriger Seite behauptet wird, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
({12})
Den Vorschlag allerdings, Parlaments- und Regierungssitz zu trennen, kann ich nur als grandioses Mißverständnis des parlamentarischen Regierungssystems bezeichnen.
({13})
Wenn sich der Reichstag vor einem Jahrhundert dem Ansinnen Bismarcks widersetzte, fern von Berlin und der Regierung tagen zu sollen, so wird der Deutsche Bundestag nicht jetzt in einem - verzeihen Sie - Treppenwitz der Geschichte eine derartige Machteinbuße durch sich selbst vollziehen wollen.
({14})
Bei aller Beachtung von im Gespräch befindlichen Konsenslösungen muß man wissen, daß Trennungen, welcher Art auch immer, politisch unklar bleiben und finanziell am teuersten sind.
({15})
Die Beratung des Bundestagshaushalts 1991 darf neuralgische Themen allerdings nicht aussparen. Wie viele Kolleginnen und Kollegen bin ich ratlos, wie es gelingen soll, der Bevölkerung eine vorurteilsfreie Bewertung der Leistungen nahezubringen, die die Ab1844
geordneten erhalten. Nicht nur die Sensationspresse neigt in dieser Frage dazu, Ressentiments zu verstärken und auf diese Weise eine billige Zustimmung zu erfahren.
Die Situation ist absolut widersprüchlich. Auf der einen Seite stößt das Parlament, wie Besucherzahlen, Briefe, Petitionen zeigen, auf enormes Interesse und Vertrauen. Auf der anderen Seite werden die materiellen Voraussetzungen für die Arbeit der im Parlament Handelnden negiert. Im Vorfeld der Diätenanpassung dieses Jahres möchte ich deshalb deutlich betonen, daß es sich dabei nicht um Selbstbedienungs- oder Willkürentscheidungen im Halbdunkel handelt. Vielmehr liegen dem öffentlich zugänglichen jeweiligen Bericht der Präsidentin und dem öffentlichen Gesetzgebungsverfahren objektive Kriterien zugrunde, die sich, einzeln aufgeschlüsselt, im wesentlichen am statistischen Durchschnitt der Lohn- und Einkommensentwicklung orientieren und schon von daher gegenüber jedermann auch verantwortbar sind.
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Zu den Reizthemen im Verhältnis von Parlament und Öffentlichkeit gehören die Fraktionszuschüsse, die den Fraktionen und den Gruppen des Deutschen Bundestages zugewiesen werden; 1991 immerhin 104 Millionen DM. Im Unterschied zu den Vorjahren sind im Einzelplan dazu etliche Klarstellungen vorgenommen worden, die u. a. auf Erörterungen mit dem Bundesrechnungshof zurückgehen. So ist im Vorwort zum Einzelplan 02 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen, daß „die Fraktionen notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung sind, der organisierten Staatlichkeit eingefügt und rechtlich selbständig".
Die Erläuterungen enthalten folgende Passage - ich zitiere - :
Nach Verfassung und Geschäftsordnung obliegt es den Fraktionen, an der Gesetzgebungsfunktion, der Kontrollfunktion, der Wahlfunktion und der Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages mitzuwirken. Sie erfüllen diese Aufgaben insbesondere dadurch, daß sie die Arbeitsteilung unter ihren Mitgliedern und im Deutschen Bundestag organisieren, gemeinsame Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie eine umfassende Information der Fraktionsmitglieder und der Öffentlichkeit unterstützen, um auf diese Weise unterschiedliche politische Positionen zu verhandlungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammenzufassen und darzustellen.
Der Deutsche Bundestag hat damit die Aufgabenstellung und die Arbeitsfelder umrissen, für die die Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln verwendet werden dürfen. Insbesondere ist ausgeschlossen, daß Fraktionsmittel verdeckt den Parteien für deren spezielle Aufgaben zufließen. In den neugefaßten Erläuterungen heißt es dazu eigens, „daß die Zuschüsse im Rahmen ihrer Zweckbestimmung nur für die Aufgaben verwendet werden dürfen, die den Fraktionen nach Verfassung und Geschäftsordnung obliegen".
Ausgeschlossen wird ferner, daß die Fraktionen aus den Zuschüssen Rücklagen bilden, um sie zweckentfremdet zu verwenden. Dazu heißt es im Haushaltsvermerk, daß „die Mittel den Fraktionen zur Selbstbewirtschaftung zugewiesen und monatlich abgerufen werden".
Haushaltsgesetzgeber und Fraktionen lassen sich bei diesen Klarstellungen davon leiten, daß die Fraktionen als rechtlich selbständige Teile des Parlaments Eigentum erwerben und in eigener Verantwortung Arbeitsverträge abschließen können. Sie teilen also nicht die im Bundesrechnungshof erörterte Auffassung, nach der die Fraktionen haushaltsrechtlich als „Bund", mithin als Teile der Bundesverwaltung und nicht als Stellen außerhalb der Bundesverwaltung anzusehen sind.
Die SPD-Fraktionen im Bund und in den Ländern werden sich selbstverständlich der erforderlichen Prüfung durch den Bundesrechnungshof unterziehen. Sie gehen davon aus, daß sich diese Prüfung auf die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Zweckbestimmung der Mittelverwendung bezieht und daß die politische Entscheidungsfähigkeit der Fraktionen respektiert wird.
({17})
Als einer der Revisoren meiner Fraktion werde ich empfehlen, in Form eines Wirtschaftsplans öffentlich darzulegen, wozu diese Mittel verwendet werden. Offenlegung ist nämlich das beste Mittel, um unberechtigtes Mißtrauen abzubauen.
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Daß wir alle gemeinsam die uns auf Zeit übertragene Aufgabe hier im Parlament einigermaßen zufriedenstellend erfüllen können, verdanken wir nicht zuletzt den über 2 200 Mitarbeitern der Bundestagsverwaltung. Den sichtbaren und den vielen unsichtbaren Geistern möchte ich namens meiner Fraktion für ihr Engagement, ihre Leistungs- und Hilfsbereitschaft sehr herzlich danken.
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Ich weiß dabei sehr wohl, daß der Hilfe und Unterstützung die Abgeordneten zu Fuß in wesentlich höherem Maße bedürfen als die zu Pferde.
({20})
Wir werden dem Einzelplan 02 zustimmen. Herzlichen Dank.
({21})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundestages wird nicht in jeder Haushaltsplanberatung diskutiert. Vielleicht liegt das an der normalen Routine von Haushaltsplanberatungen, vielleicht liegt es aber auch daran, daß man ungern über eigene Sachen redet, selbst wenn es so gut formuliert ist, wie es Kollege Esters gerade gemacht hat.
Hinzu kommt, daß sich gerade in Deutschland in Sachen Parlament oft intellektuelle Überheblichkeit und gewisse Stammtischvorurteile zu einem breiten Konsens treffen. Wir alle wissen, daß wir für manchen Bürger diejenigen sind - „die da oben im Parlament" -, die sowieso zuviel reisen, zu selten im Plenum sitzen, da vielleicht sogar noch Zeitung lesen, natürlich viel zuviel verdienen und von den eigentlichen Problemen, die einen „da unten" berühren, herzlich wenig wissen. Darauf - das weiß ein jeder von uns - mag man antworten, was man will, der Effekt ist gering, und die Diskussion bleibt meistens unfruchtbar, weil nichts so tief sitzt wie eingefleischte Vorurteile und nichts so wenig hilft wie die ständige Selbstrechtfertigung.
Ich meine, wir Parlamentarier sind an diesem Bild auch nicht ganz unschuldig. Aber weder Selbstmitleid noch Selbstrechtfertigung sind im Umgang des Parlaments mit sich selbst und den Bürgern der richtige Weg. Nur Offenheit und klare Fakten können in solchen Diskussionen helfen, und nur so kann sich der Bürger ein eigenes und ein sachgerechtes Urteil bilden. Ich meine, daß zu dieser Klarheit der vorliegende Einzelplan beiträgt.
Kollege Esters hat bereits darauf hingewiesen, daß die Erläuterungen zu den Zuschüssen an die Fraktionen neu gefaßt worden sind. Sie geben jetzt detaillierter als bisher Auskunft über die Aufgaben und über die Kosten, und sie sorgen - das ist ganz, ganz wichtig - für klare Zweckbestimmungen. Diese Neuerung ist sicherlich von uns allen zu begrüßen. Sie schafft mehr Transparenz.
Insgesamt wird der Deutsche Bundestag natürlich teurer - auch hier hat die deutsche Einheit ihren Preis -, weil der Bundestag mit jetzt 662 Abgeordneten größer geworden ist, weil 18 Beobachter aus den neuen Bundesländern ins Europaparlament entsandt wurden und weil das Tagen in Bonn und Berlin aufwendiger ist. Außerdem sind auf den Bundestag neue Sachaufgaben zugekommen. Wir wissen, es gibt zwei Fachausschüsse mehr, und wir haben - das liegt mir persönlich auch sehr am Herzen - ein Büro für Technikfolgenabschätzung eingerichtet, das uns Abgeordnete in Zukunftsfragen qualifiziert beraten soll.
Jeder Bürger sollte wissen - dies ist eine wichtige Zahl -, daß sein Parlament, daß der Deutsche Bundestag ihn pro Jahr rund 12 DM kostet. Ich meine, das ist wahrlich nicht zuviel.
Diese Aufzählung beschreibt natürlich nicht alle Probleme. Wir haben im Bundestag bereits seit vielen Jahren, ja seit über einem Jahrzehnt über das Thema Parlamentsreform diskutiert und in der letzten Wahlperiode auch gute Ansätze verwirklicht. Aber ich meine, viel wichtiger ist heute, bei dem ersten gesamtdeutschen Haushalt festzustellen, daß es im vergangenen Jahr auch im Bundestag eine fundamentale Änderung gegeben hat. Durch die Wiedervereinigung sind 144 neue Kollegen ins Parlament gekommen. Dies hat - das ist auch gut so - den Bundestag radikal verändert. Die neuen Kollegen haben dieses Parlament mit grundlegend anderen Erfahrungen, mit ihren anderen Lebenswegen und mit neuen Ideen verändert.
Manche von ihnen, so sagen sie mir, sind mit ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen im Deutschen Bundestag zufrieden. Andere fühlen sich und ihre Arbeit hier noch nicht ausreichend angenommen. Ich meine, das ist nur natürlich. Unterschiede und Konflikte, die es in der Gesellschaft gibt, können und dürfen nicht vor den Toren des Parlaments haltmachen. Aber in diesem überschaubaren Haus muß es leichter sein als anderswo, auf den anderen zu hören, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es um die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit geht.
In den letzten Tagen ist in diesem Zusammenhang die Forderung laut geworden, alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit zu überprüfen. Ich gebe zu, es mag auf den ersten Blick verlockend erscheinen, gleichsam mit einem Befreiungsschlag Klarheit zu schaffen, Mißtrauen zu beseitigen und ein Klima der Verdächtigungen zu vermeiden. Ich frage mich allerdings, ob wir mit diesem Schritt nicht genau das Gegenteil erreichen würden.
Wir alle haben in den vergangenen Monaten erlebt, daß Stasi-Akten vernichtet und gefleddert, aber auch gefälscht und ergänzt wurden. Wir wissen, daß bisher nur ein Teil der Akten zugänglich ist und daß diese Akten in vielen Fällen weder eindeutig belasten noch eindeutig entlasten können. Dieser Umstand - auch das wissen wir - hat bereits eine Reihe persönlich und politisch tragischer Schicksale verursacht. Ich frage mich: Würde diese generelle Untersuchung nicht letztlich mehr Zwielicht statt mehr Klarheit zur Folge haben?
Ich weise darauf hin, daß es heute mit gutem Grund in keinem Bereich die Regelanfrage bei der Behörde des Sonderbeauftragten gibt, auch nicht im Parlament. Wir haben im Dezember 1990 im Deutschen Bundestag folgende Regelung beschlossen: Werden entsprechende Vorwürfe gegen ein Mitglied des Hauses erhoben, ermittelt das Präsidium nach Zustimmung des Betroffenen. Die Behörde des Sonderbeauftragten kann beteiligt werden. - Die Fakten und die rechtsstaatlichen Gebote legen es nahe, bei diesem Prinzip zu bleiben.
Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist kein Selbstzweck. Er dient dazu, den Abgeordneten die Ausübung ihres Mandates, wie es in Artikel 38 des Grundgesetzes niedergelegt ist, zu ermöglichen und zu erleichtern. Das freie Mandat war und ist - auch das wissen wir aus der Geschichte - immer Gefährdungen ausgesetzt. Damit - das sage ich ausdrücklich - meine ich nicht den ständigen Prozeß der politischen Beeinflussung des Parlaments. Das ist normal, und das ist legitim. Wir arbeiten ja im Deutschen Bundestag nicht im luftleeren Raum.
Nun haben viele Kollegen in den letzten Wochen über Pressionen und Einschüchterungsversuche im Hinblick auf die Entscheidung über den Parlaments-und Regierungssitz berichtet. Es gab Gerede über unlautere Motive, über Ehrabschneiderei oder über massive politische oder persönliche Drohungen. Solche Vorfälle - das sage ich ausdrücklich - sind keine Bagatellen. Sie betreffen die Substanz des Parlaments.
Entscheidend kommt es - so meine ich - aber darauf an, daß alle Abgeordneten, also wir alle, gemeinsam diesem Druck widerstehen. Zu einer Erpressung gehören bekanntlich zwei: der Erpresser und derjenige, der sich erpressen läßt. Wenn die Pressionen im Parlament selbst keine Resonanz finden, sondern geschlossen Widerstand geleistet wird, dann ist ihnen der Boden entzogen.
Es mag auf den ersten Blick als probates Mittel erscheinen, die Abstimmung über den Parlaments-und Regierungssitz geheim durchzuführen. Aber ich warne davor.
({0})
Wir würden damit einen Präzedenzfall schaffen, und wir würden vielleicht zu neuen Aktionen dieser Art ermutigen.
Das Parlament lebt von der Öffentlichkeit der Abstimmungen und damit von der Öffentlichkeit seiner Verantwortung. Dem können wir, so meine ich, auch in dieser Frage nicht ausweichen. Deshalb wird es mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Frage auch keine Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geben.
({1})
Wir werden uns in den nächsten Tagen, Kollege Esters, wie ich heute mit großer Freude gelesen habe - in dieser Frage gemeinsam um einen Konsens bemühen. Vielleicht sprechen wir dann noch einmal über den einen oder anderen Vorschlag. Vielleicht gelingt es dann auch, den Blick für bestimmte Vorschläge zu erweitern. Sprechen ist ja immer gut; das wissen, wie ich mir habe sagen lassen, gerade die Haushälter. Wie unterschiedlich die Optik bei bestimmten Vorschlägen sein kann, hat eine Geschichte gestern abend bei uns in der Fraktion gezeigt: Es geht um den von Ihnen angesprochenen Vorschlag der Trennung von Parlament und Regierung. Sie haben das mit dem Satz kommentiert, dann könne das Parlament die Regierung nicht mehr kommentieren - ({2})
- Entschuldigung; kontrollieren. Herr Dr. Vogel, darf ich mich für diesen Versprecher ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen?
Lieber Herr Esters, es gab gestern einen Kollegen, einen ganz wichtigen Kollegen mit einem hohen Amt, der die umgekehrte Angst hatte.
({3})
Vielleicht zeigt das, daß man so etwas auch einmal aus einer anderen Sicht der Dinge betrachten kann.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ernst Fraenkel hat einmal gesagt, daß das Kritikbedürftigste am Bonner Parlamentarismus die landläufige Kritik sei, die an ihm geübt werde. Diese Feststellung hat sicherlich vieles für sich. Sie kam mir in den Sinn, als die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE in der vergangenen Woche einen Antrag vorlegte, in dem die Präsidentin aufgefordert wird, in jeder Legislaturperiode zweimal einen Bericht über die Auslandsdienstreisen der Abgeordneten - ein beliebtes Thema - vorzulegen und dort ausdrücklich festzustellen, welchen Niederschlag diese Reisen in der Arbeit des Parlaments gefunden haben.
Nun stört mich an diesem Antrag nicht nur seine praktische Undurchführbarkeit. Mich stört vor allen Dingen das billige Ausschlachten eines Vorurteils in der Öffentlichkeit.
({5})
Mich stört auch, daß ein solcher Antrag von den Kollegen kommt, die eigentlich wissen müßten, welche Bedeutung Reisefreiheit hat.
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Die Kritiker müßten sich schon entscheiden: Man kann nicht einerseits darüber klagen, das Parlament werde in immer stärkerem Maße von Informationen der Regierung abhängig und habe zu wenig Gestaltungsfreiheit, gleichzeitig aber darüber klagen, daß sich die Abgeordneten ein eigenes Bild machen und eigene politische Kontakte - auch im Ausland - haben.
({7})
Von der offenkundigen Notwendigkeit der Teilnahme an Tagungen des Europarates, der Interparlamentarischen Union, der Nordatlantischen Versammlung, der Parlamentarischen Versammlungen von WEU oder KSZE will ich gar nicht weiter reden.
Es ist, so meine ich, wohl kaum ein Beitrag zur internationalen Verantwortung Deutschlands, wenn sich der Bundestag aus dem persönlichen Dialog über Grenzen hinweg verabschiedet.
({8})
Nur am Rande sei bemerkt, Herr Kollege Ullmann, daß die beiden Gruppen, Bündnis 90/GRÜNE und PDS, auf ihren Wunsch hin weit überproportional an diesen Reisen beteiligt werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag hat den Auftrag, in sorgfältiger Beratung und angemessener Zeit seine Arbeit zu leisten. Dabei besteht immer die Gefahr, daß sich das Parlament im Detail verliert und sich so den Blick für das Ganze, für die politischen Linien verstellt. Es besteht immer die Gefahr, daß die Konzentration auf Routine uns Dialogfähigkeit kostet und daß Neues in der Hektik des Tages nicht mehr vermittelt werden kann. Ich meine, der Deutsche Bundestag, d. h. wir alle als Abgeordnete, kann sich aber im ganzen mit seiner Arbeit jedem Vergleich stellen. Das sollte die Zustimmung zu diesem Einzelplan erleichtern.
Vielen Dank.
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Als nächster hat der Abgeordnete Dr. Briefs das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung der Haushaltspläne oberster Verfassungsorgane - hier jetzt des Bundestages und des Bundesrates - gibt Gelegenheit - ich sage das für die PDS/Linke Liste - vor allem ein Wort des Dankes zu sagen, ein Wort des Dankes an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unsere Tätigkeit als Abgeordnete und auch die Tätigkeit der sonstigen Verfassungsorgane dieses Staates unterstützen und tragen und im Grunde erst ermöglichen. Das heißt nicht, daß wir die politischen Ergebnisse der Tätigkeit dieser Verfassungsorgane voll oder in jedem Fall billigen. Immerhin sind wir aber dankbar, wenn sie sich an die wirklich demokratischen Grundregeln der Verfassung halten. Das ist auch und gerade den für diese Verfassungsorgane tätigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu danken. Unser Dank gilt dabei ausdrücklich insbesondere den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die auf den mittleren und unteren Ebenen der Verwaltungshierarchien der Verfassungsorgane in diesem Sinne ihre Pflicht tun.
Diese Beratung gibt aber auch Gelegenheit, ernste Sorgen zu äußern - ernste Sorgen hinsichtich des Umgangs mit staatlich Bediensteten in der früheren DDR, Sorgen hinsichtich der Verfahrensweisen, die im Rahmen der sogenannten Abwicklung, gedeckt von den Verfassungsorganen dieses Staates, gedeckt von Bundestag und Bundesrat, an den Tag gelegt werden.
Viele von uns haben noch in Erinnerung, wie glimpflich nach dem Ende des dritten deutschen Reiches verfahren wurde. Dieses dritte deutsche Reich war verantwortlich für die größten und schwersten politischen und menschlichen Verbrechen in der Menschheitsgeschichte. In ihm ist kalt, planmäßig und - sehr deutsch - ordentlich der Mord an Millionen Frauen, Kindern und Männern geplant, organisiert und durchgeführt worden - geplant, organisiert und durchgeführt doch nicht nur von einer Handvoll SS- und Sonderkommandoangehörigen, geplant, organisiert und durchgeführt bzw. ermöglicht auch von den Angehörigen der Wehrmacht, der NS-Ministerialbürokratie, der Justiz, der Medizinialverwaltung, der Reichsbahnverwaltung usw.
Sind nach 1945 angesichts der historisch in der Vergangenheit und hoffentlich auch in der Zukunft einmaligen grauenhaften Verbrechen des dritten deutschen Reiches die Angehörigen des öffentlichen Dienstes insgesamt „abgewickelt worden", wie es jetzt in der DDR mit den öffentlich Bediensteten geschieht und wie es mit zahlreichen sonstigen Berufsgruppen geschehen soll?
Ein konkretes Beispiel: Ich bin gegen das Militärwesen und gegen das Tragen militärischer Dienstgrade und Bezeichnungen.
Herr Abgeordneter, sprechen Sie bitte zur Sache.
Warum untersagt man aber z. B. den Angehörigen der Streitkräfte der früheren DDR das Tragen ihres Dienstgrades mit a.-D.-Zusatz, während nach 1945 -
Herr Abgeordneter, wir sprechen über den Haushalt des Deutschen Bundestages.
Das gehört in diesen Zusammenhang. Ich nutze hier meine Rechte als Abgeordneter, um diese Aspekte in diesem Zusammenhang anzusprechen.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie einmal unterbrechen. Die Rechte haben Sie offenbar noch nicht richtig studiert. Wir haben hier ein Thema auf der Tagesordnung, über das gesprochen wird. Wenn ich Sie auffordere, zur Sache zurückzukehren, bitte ich Sie, dies auch zu tun.
Ich rede zur Sache. Ich bin bei der Wirkungsweise der Verfassungsorgane, u. a. auch des Bundestages und des Bundesrates, im Zusammenhang mit der Abwicklung des öffentlichen Dienstes. Herr Präsident, ich erlaube mir, das im Rahmen meiner Autonomie als Abgeordneter hier selbstverständlich anzumerken.
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Während nach 1945 Wehrmachtsoffiziere, die z. B. das Hinterland für die Sonderkommandos oder die Transporte in die NS-Todeslager gesichert haben, ihre Dienstgrade sehr wohl tragen durften - sie durften sie tragen, obwohl sie objektiv an den Verbrechen des dritten deutschen Reiches selbstverständlich beteiligt waren - schickt sich das neue Deutschland an, wie die Weimarer Republik nach rechts blind, nach links aber scharfäugig und scharfkrallig zu sein. Wenn das neue Deutschland wirklich ein offenes, demokratisches Land nach innen und nach außen werden soll, dann muß es in einer wirklich demokratischen Weise - das heißt mit dem Nachweis von persönlich verantwortbaren Vergehen - gegen die ungeschriebenen und geschriebenen, allgemein verbindlichen Regeln des Völkerrechts und gegen sonst nichts bei der Überleitung des öffentlichen Dienstes in der früheren DDR vorgehen.
({1})
Ich denke, das ist ein demokratisches Mindesterfordernis. Das mag Ihnen passen oder nicht.
Ich danke, Herr Präsident.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag wird im Jahr 1991 für seine eigenen Belange etwas über 900 Millionen DM ausgeben. Ich glaube nicht, daß diese Kosten für das gesamtdeutsche Parlament unangemessen hoch sind.
Ich will es mir und Ihnen ersparen, allzu viele Details vorzutragen, sondern ich möchte in ein paar Worten etwas zum Selbstverständnis des Parlaments sagen.
Dr. Wolfgang Weng ({0})
Der Bundestag hat aus rechtlichen Gründen etwas vollzogen, was in der übrigen gesamtdeutschen Landschaft noch auf sich warten lassen wird, auf sich warten lassen muß: Er hat die Mitglieder aus den neuen Bundesländern von Anfang an und selbstverständlich in jeder Hinsicht völlig gleich gestellt. Das betrifft die finanzielle Ausstattung - Sie wissen, daß das bei den Arbeitenden des in den neuen Bundesländern sonst nicht so ist, sondern daß hier gestaffelt vorgegangen wird und das Ziel der Gleichstellung erst nach einer bestimmten Zeit erreicht werden kann -, es betrifft aber vor allem auch die tatsächliche Mitwirkungsmöglichkeit. - Das ist mir wichtig, hier festzuhalten, weil das die Arbeit aus dem Haushaltsausschuß darstellt. - Dies bedeutet für die neuen Kollegen natürlich auch eine besondere Verantwortung.
Sie sind vor allem dazu aufgerufen - ich sage dies, ohne die Verantwortung von den anderen Politikern abzulenken -, der Bevölkerung in den neuen Bundesländern zur Verfügung zu stehen, sie mit den demokratischen Systemen bekannt und vertraut zu machen und das Bewußtsein wachzuhalten, daß für die Menschen in der früheren DDR eine wesentliche Verbesserung ihrer Umstände bereits erreicht ist und daß sich diese Besserung entsprechend unseres Verfassungsauftrags so lange fortsetzen wird, bis die viel zitierten vergleichbaren Lebensbedingungen erreicht sind. Hieran arbeiten wir.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie eine Vorbemerkung: Wir haben im Zusammenhang mit der Beratung unseres eigenen Etats im Haushaltsausschuß auch den Bericht des Bundesrechnungshofes in Sachen Dienstwagenbenutzung diskutiert. Sie werden sich erinnern: Die sogenannte Dienstwagenaffäre, ausgelöst durch die Nutzung eines ausgesonderten Dienstfahrzeugs durch die Frau Bundestagspräsidentin, hatte uns Anlaß zum Handeln gegeben.
Der Haushaltsausschuß hatte zunächst die politisch überzogene öffentliche Diskussion auf den Boden sachgerechter Befassung zurückgeholt und den Bundesrechnungshof damit beauftragt, die Rechtsgrundlagen und die Praxis bei der Benutzung personengebundener Dienstkraftfahrzeuge darzustellen. - Dem Bundesrechnungshof soll hierfür und auch für seine sonstige hervorragende Zuarbeit ausdrücklich gedankt sein; das darf ich hier als Zwischenbemerkung sagen. Wir haben den Bundesrechnungshof im Haushaltsausschuß bei vielen Dingen, die wir über die Bundesregierung erfragen müssen, und bei anderem immer an unserer Seite. Der Rechnungshof ist eine wesentliche Stütze unserer Arbeit.
Der Bundesrechnungshof hat uns in der wünschenswerten Sorgfalt eine Darstellung gegeben. Er hat uns klargemacht, daß die verschiedenen gültigen Vorschriften nicht hinreichend aufeinander abgestimmt sind, daß es in wichtigen Fragen keine klaren und einheitlichen Auslegungen gibt und daß Fragen des Entgelts von Fragen der Nutzungsberechtigung nicht klar getrennt sind.
Das klingt alles sehr akademisch, aber es hat einen konkreten Hintergrund: Auf Grund dieses Berichts war klar, daß der Frau Bundestagspräsidentin kein persönlicher Vorwurf zu machen war. Insofern ist bedauerlich, daß durch die Berichterstattung ihr persönliches Ansehen und damit auch das Ansehen des Bundestages insgesamt in gewissem Maße in Mitleidenschaft gezogen worden ist.
Dieser Vorfall zeigt, mit welcher Sensibilität wir an die uns selbst betreffende Ausstattung - Finanzausstattung und sonstige Ausstattung - herangehen müssen. Nicht alles, was rechtlich in Ordnung ist, wird politisch öffentlich akzeptiert. Die künftige Regelung bei Dienstwagen kann nur ein Modell auch für andere Regelungen im Bereich tatsächlicher oder vermeintlicher Privilegien sein. Die Herren Vorredner haben das eine oder andere schon angesprochen.
Bei eindeutiger Beschlußfassung und bei klarer Rechtsgrundlage können wir Parlamentarier uns draußen in der Öffentlichkeit nach meiner Überzeugung jeder Diskussion stellen. Die finanzielle und die sonstige Ausstattung der Parlamentarier im Deutschen Bundestag ist unter Berücksichtigung von Arbeit und Verantwortung im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen nicht unangemessen. Dies sollten wir alle auch durchaus selbstbewußt vertreten.
Die Kolleginnen und Kollegen, die ihr persönlichpolitisches Profil durch kritische Positionen zu einzelnen Fragen verbessern wollen, rufe ich auf, sich zunächst umfassend zu informieren. Herr Kollege Rüttgers, Sie haben ja an einem Teilbereich deutlich gemacht, daß gerade diejenigen, die hier aus gutem Grund am stärksten beanspruchen, nachher als öffentliche Kritiker dieses Beanspruchens auftreten. Das kann wirklich nicht gut sein. Es kann auch nicht toleriert werden, weil es uns alle betrifft, wenn in solcher Weise pauschal abwertend geurteilt wird.
({1})
- Ja, Herr Kollege Struck, gerne.
({2})
- Es sorgt vielleicht für etwas Munterkeit. Der Präsident ist ja hellwach.
({3})
Herr Kollege Weng, sind Sie mit mir der Auffassung, daß das Ansehen des Parlaments, von dem Sie soeben zu Recht gesprochen haben, erheblich dadurch beeinträchtigt wird, daß ein Mitglied des Deutschen Bundestages einen Beratervertrag mit der Treuhand abschließt und erklärt, dieser Beratervertrag liege auch im Interesse der Bundesregierung, und daß er jetzt nach der öffentlichen Kritik, die sich an diesem Beratervertrag entzündet hat, offenbar bereit ist, diesen Beratervertrag wieder zurückzugeben, aber wohl, wenn ich das richtig verstehe, nur gegen die Zahlung einer Abfindung?
Herr Kollege Struck, wenn der Ablauf so ist, wie Sie ihn schildern
- ich kenne den Vorgang nicht, sondern ich habe darüber nur einmal einen kurzen Pressebericht geleDr. Wolfgang Weng ({0})
sen - , ist er sicher nicht dazu angetan, dem Ansehen des Parlaments aufzuhelfen.
({1})
Bitte sehr.
Sind Sie dann auch mit mir der Meinung, daß die Zahlung einer Abfindung für den Fall, daß der Kollege auf diesen Beratervertrag verzichtet und seine Unterschrift wieder zurückzieht, nicht in Frage kommen kann?
Ich kenne, wie gesagt, die genauen Voraussetzungen nicht; ich kenne damit auch nicht vertragliche, rechtliche Voraussetzungen, die im Internen gegeben sind. Deswegen kann ich eine rechtliche Wertung hier nicht vornehmen. Die Frage, was der Kollege gegebenenfalls beanspruchen kann, ist ja keine politische Frage, sondern eine Rechtsfrage zwischen zwei Vertragspartnern. Nach meinem Dafürhalten wäre der Kollege gut beraten, auch dann auf eine solche Abfindung zu verzichten, wenn er einen Anspruch darauf hat.
({0})
Meine Damen und Herren, kein Abgeordneter, der glaubt, seine Einkünfte seien zu hoch, ist gehindert, einen entsprechenden Teil dieses Einkommens für gemeinnützige Zwecke auszugeben. Die pauschale Behauptung, den Abgeordneten gehe es zu gut, ist unbegründet. Sie sorgt für einen Ansehensverlust des Parlaments, und das Parlament ist ein wichtiger Eckpfeiler der Demokratie.
({1})
Im ganzen Bundesgebiet ist es nach der Wiedervereinigung Aufgabe der Parlamentarier, die Bevölkerung stärker an der Demokratie zu beteiligen. Das bedeutet insbesondere zweierlei: zum ersten, Notwendigkeit, Aufgabe und Wert der demokratischen Parteien müssen immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Die Medien neigen ja zu einer außerordentlich kritischen Begleitung der Politik und der handelnden Personen. Dies droht manchmal die Qualität des parlamentarischen Systems zu verdecken. Eine freiheitliche Gesellschaft, in der der einzelne vielfältig gestaltend mitwirken kann, ist ein Angebot, aber auch eine Aufforderung an alle Bürger. Die demokratischen Parteien, die den Staat tragen, sind keine geschlossene Gesellschaft. Eine breitere Beteiligung der Bevölkerung an der Demokratie über die demokratischen Parteien ist ausdrücklich erwünscht.
Es sollen durchaus auch Elemente direkter Demokratie mehr Möglichkeiten finden. Hierüber wird ja diskutiert. Allerdings, die Gründe für die Zurückhaltung der Väter des Grundgesetzes vor zuviel direkter Volksbeteiligung bleiben weiter ernst zu nehmen.
Zum zweiten. Der Deutsche Bundestag kann und muß seine Position als Teil der getrennten Gewalten in der Demokratie verbessern. Eine Angelegenheit wie z. B. die Frage des künftigen Parlamentssitzes, aber auch die wichtigen Fragen der notwendigen Anderungen im Grundgesetz - Verfahren und Inhalte - sollten weder der Regierung noch der Verwaltung überlassen werden. Das Parlament hat nicht nur die wichtige gesetzgeberische Aufgabe, sondern es muß sie auch inhaltlich nutzen und ausfüllen.
Wenn Sie mir in diesem Zusammenhang eine Aufforderung erlauben: Das Präsidium des Deutschen Bundestages sollte stärker als seither und meiner Überzeugung nach im Sinne parlamentarischer Eigenständigkeit auch außerhalb der üblichen und gewohnten Mehrheits-Minderheits-Rollenspiele initiativ werden. Demokratie heißt Machtverteilung. Die einzelnen Gewalten müssen ihre Rolle eigenständig und selbstbewußt wahrnehmen. Dies gilt im jetzt vereinigten Deutschland für den Deutschen Bundestag mit seinen 662 Abgeordneten in besonderem Maße.
Auch wenn Frau Hamm-Brüchers interfraktionelle parlamentarische Initiative in dieser Wahlperiode nicht mehr aktiv ist, so muß doch der Aspekt des Selbstverständnisses des frei gewählten Parlaments die Arbeit des gesamtdeutschen Bundestags mit bestimmen.
({2})
Meine Damen und Herren, ob in Bonn oder Berlin, die FDP-Fraktion wünscht sich ein starkes und selbstbewußtes Parlament, engagierte, an der Sache orientierte und den Bürgern nahe Parlamentarier. Der erste Haushalt des gesamtdeutschen Bundestags schafft die Basis und die Voraussetzung für ein solches Parlament. Die FDP-Fraktion wird daran mitwirken. Sie stimmt dem Einzelplan 02 zu.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/638. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Antragsteller, der PDS und einiger weniger SPD-Stimmen sowie bei einigen Stimmenthaltungen abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 02 - Deutscher Bundestag - in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltung? - Der Einzelplan 02 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 03 - Bundesrat - auf: Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 12/503, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Ernst Kastning
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung? - Wer
Vizepräsident Hans Klein
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 03 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 11 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - auf :
Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
- Drucksachen 12/511, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das in dieser Woche zur Verabschiedung anstehende Haushaltsgesetz für 1991 ist der erste Bundeshaushalt des vereinigten Deutschlands. Allein das macht ihn vom Rang her unvergleichbar; unvergleichbar mit allen seinen Vorgängern und auch unvergleichbar mit all jenen Haushalten, die ihm nachfolgen werden.
Dieses Haushaltsgesetz müßte unseren Willen, unsere Entschlossenheit dokumentieren, der vollzogenen staatsrechtlichen Einheit nun die gesellschaftspolitische Vereinigung folgen zu lassen.
Die soziale Einheit Deutschlands in Angriff zu nehmen ist nicht nur Aufgabe dieser oder jener Seite des Hauses, sondern gemeinsame Aufgabe der Mehrheit wie der Minderheit. Vor allem aber bei den verschiedenen Politikerfeldern, die dabei von Belang sind, kommt der Sozialpolitik überragende Bedeutung zu.
Ich bedaure es, daß ich feststellen muß, daß die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Wertung nicht die Unterstützung der Koalitionsfraktionen besitzt. Der Bundeshaushalt 1991, so wie die Koalitionsfraktionen ihn ausgestaltet haben, macht vielmehr deutlich, daß zwischen Regierung und Opposition grundlegende Auffassungsunterschiede über Gewicht und Rolle der Sozialpolitik im Konzert der verschiedenen Politikfelder bestehen.
({0})
Sozialpolitik als aktive gesellschaftspolitische Gestaltung oder Sozialpolitik als Restgröße der anderen Politikfelder? Sozialpolitik als wirksames Mittel zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung, zur Beseitigung der Eindrittel-/Zweidrittelgesellschaft oder Sozialpolitik als Instrument zur Befriedung der Menschen mit den bestehenden Zuständen? Sozialpolitik als Fortentwicklung unserer Gesellschaft oder Sozialpolitik als ein sich Abfinden mit bestehenden Strukturen?
Der Bundeshaushalt 1991 belegt: Die Regierung und die sie stützenden Fraktionen von CDU/CSU und
FDP können sich bei diesen alternativen Entwürfen von Sozialpolitik nicht entscheiden, und wo sie es doch tun, entscheiden sie sich zuungunsten eines fortschrittlichen Verständnisses von Sozialpolitik.
({1})
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1991 ist ein Dokument der Unentschlossenheit, ja der Ratlosigkeit. Er ist ungeeignet, das Ziel der sozialen Einheit Deutschlands zu erreichen. Hinzu kommt, er ist in weiten Teilen das Eingeständnis des Scheiterns der bisherigen Regierungspolitik.
Man habe sich in der Einschätzung einer Reihe von wichtigen Fragen beim deutschen Vereinigungsprozeß geirrt, räumt mittlerweile selbst CDU-Generalsekretär Rühe ein. Meine Damen und Herren, das ist eher eine milde Umschreibung des regierungsamtlichen Versagens. Wahr hingegen ist: Diese Regierung hat um des Wahlsieges vom 2. Dezember willen schlicht dem Volk die Unwahrheit gesagt.
({2})
Noch eines: Wenn ich das Eingeständnis des CDUGeneralsekretärs, man habe sich geirrt, richtig deute, dann heißt dies doch wohl auch: Nicht nur die 40jährige SED-Bonzokratie ist für das sich abzeichnende Desaster in den ostdeutschen Ländern verantwortlich, sondern daneben tritt eine originäre Mitverantwortung dieser Bundesregierung wegen des öffentlich eingestandenen Irrtums.
({3})
Es ist richtig, daß die Umorientierung einer Zentralverwaltungswirtschaft auf marktwirtschaftliche Grundsätze zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten, ja zu einem Anpassungsschock führen mußte. Alles, was in der ökonomischen Wissenschaft Rang und Namen hat, hat dies prognostiziert. Nur, Regierung und Koalitionsfraktionen haben dies nicht ernst genommen. Denn was anderes als eine Bagatellisierung bedeutet es denn, wenn CDU/CSU und FDP meinen, diesen Anpassungsschock, diese fundamentalen Umstellungsprobleme mit blindem Vertrauen in die vermeintlichen Selbstheilungskräfte bewältigen zu können? Ihre Politik des Treibenlassens wurde der exemplarischen Herausforderung, die die deutsche Vereinigung bedeutet, nicht gerecht. Das können Sie übrigens selbst in Zeitungen wie der „Financial Times" oder dem „Wall Street Journal" nachlesen. Mit unserem Urteil über Ihre verhängnisvolle Politik, meine Damen und Herren, befinden wir Sozialdemokraten uns also in bester Gesellschaft.
({4})
Vor allem aber die Menschen in diesem Lande, die Ihnen vor genau sechs Monaten, am 2. Dezember 1990, eindrucksvoll ihr Vertrauen gegeben haben,
({5})
merken es und fühlen sich getäuscht. Sie entziehen
Ihnen ihr Vertrauen, wie es die Serie von katastrophalen Niederlagen der CDU bei Landtagswahlen deutRudolf Dreßler
lich macht. Das Augenmaß bei der Herstellung der staatsrechtlichen Einheit Deutschlands will ich dieser Koalition nicht absprechen. Aber eines ist mittlerweile klar: Die Partei der sozialen Einheit Deutschlands, das sind wir, das ist die Sozialdemokratische Partei.
({6})
Mehr und mehr scheint Ihnen in den letzten Jahrzehnten die früher hier doch gemeinsame Erkenntnis abhanden gekommen zu sein, daß unsere Wirtschaftsordnung nicht einfach die Marktwirtschaft, sondern die der Sozialen Marktwirtschaft ist.
({7}) Der Markt allein hat keine soziale Dimension.
({8})
- Die Politik muß sie ihm geben, Herr Rühe.
({9})
Durch aktive wirtschafts- und sozialpolitische Gestaltung, durch einen vernünftigen gesellschaftspolitischen Rahmen kann das geschehen.
Wo sind die Beiträge dieser Koalition dazu? Ich vermag sie nicht zu erkennen, auch nicht in diesem Haushalt.
Das gilt erst recht in dieser einmaligen Situation, die unser Volk derzeit zu bewältigen hat. Die Regierungsparteien schieben das alles beiseite; ob aus ideologischer Verbohrtheit oder aus Unfähigkeit, mag jeder selber beantworten.
Daß die Menschen in Deutschland Ihr Versagen ausbaden müssen, ist das eigentlich Schlimme. Daß in Ostdeutschland viele am Markt nicht wettbewerbsfähige Betriebe bestanden, haben alle gewußt, auch die Koalitionsfraktionen. Daß demzufolge wirkungsvolle Stützungs- und Umstellungshilfen zum Umbau erforderlich sein würden, war ebenfalls allgemein bekannt.
Daß allerdings durch politische Fehler statt erfolgversprechender Umstrukturierung nunmehr der Verfall ganzer Industrieregionen in den ostdeutschen Bundesländern droht, fällt in die Verantwortung dieser Koalition. Ein politisches Versagen bei der Herstellung der wirtschaftlichen und sozialen Einheit Deutschlands gestehen CDU/CSU und FDP ja mittlerweile, wenn auch indirekt und unfreiwillig, selber ein: durch schrittweise Annäherung an sozialdemokratische Vorstellungen und deren teilweise Übernahme. Es ist ja kein Zufall, daß die ideologischen Hardliner in den Koalitionsparteien mit einigem Ingrimm eine schleichende Sozialdemokratisierung ihrer Politik beklagen zu müssen glauben.
({10})
- Nur, Herr Rühe: Jene Damen und Herren Ihrer Fraktion will ich beruhigen. Für eine sozialdemokratische Politik fehlen Ihnen schlicht die konstitutiven Voraussetzungen:
({11})
die Bereitschaft zu umfassender Solidarität und die soziale Substanz. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie bleiben, was Sie sind: eine Partei der großen Ellenbogen mit einigen sozialen Drapierungen von lediglich stimmenfängerischer Bedeutung.
({12})
Die Menschen haben recht: Einer Partei, die den Großen die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer senken will, den Kleinen aber die Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhöht und die die Mehrwertsteuer demnächst erhöhen wird, ist zu Recht sozialpolitisch nicht über den Weg zu trauen.
({13})
Teilung überwinden durch Teilen - das ist wohl notwendig; aber Teilen bei allen und Teilen nicht nur bei denen, die zeit ihres Lebens immer nur geteilt haben, und kein Verschonen oder gar noch Belohnen derer, die ohnehin zu den üppiger Ausgestatteten gehören.
Die sozialpolitischen Einzelpläne dieses Bundeshaushalts belegen in Zahlen die Wertigkeit, die Sozialpolitik bei dieser Koalition hat: Sie rangiert unter „ferner liefen" . Von raumgreifenden, konzeptionell orientierten Maßnahmen, die so notwendig wären, keine Spur! Statt dessen punktuelle unzusammenhängende Eingriffe ohne klares Ziel; Sozialpolitik als Reparaturbetrieb, als Abfallprodukt zur Linderung der Folgen fehlerhafter Politik auf anderen Feldern.
({14})
Hier wird das Herumfummeln zum politischen Prinzip erhoben. Was könnte dies deutlicher machen als die Zersplitterung der politischen Verantwortung für dieses Feld? Mittlerweile vier Ministerien tummeln sich in diesem Bereich. Hier soll nach wie vor Quantität die Qualität ersetzen.
({15})
Das Meisterstück in diesem Bereich lieferte der Bundeskanzler höchstpersönlich. Das bisher schon wenig einflußreiche Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wurde auch noch in drei Ressorts aufgeteilt und - wie könnte es anders sein? - von der CDU/CSU mit Frauen besetzt.
({16})
- Sie fragen, ob ich dagegen bin. Sehen Sie denn eigentlich nicht, daß Sie mit solch beklagenswerten Entscheidungen gerade jenen selbsternannten Hütern des Patriarchats in die Hände spielen, die schon immer meinten, Frauen hätten in der Politik nichts zu suchen?
({17})
Natürlich brauchen wir mehr Frauen in der Politik. Wir brauchen ihre Erfahrungen, wir brauchen ihre
Rudolf Drelller
Tatkraft, und wir brauchen auch den Mut von Frauen. Aber wir brauchen sie in qualifizierten Funktionen und nicht in Funktionen, in denen sie zu politischen Frühstücksdirektorinnen degradiert werden.
({18})
Aber, meine Damen und Herren, es geht bei der Sozialpolitik nicht nur um drei weibliche Kabinettsmitglieder, sondern es geht auch um den Bundesarbeitsminister. Die Zeit seit dem 3. Oktober 1990 belegt - ({19})
- Wenn ich bei den Koalitionsfraktionen jetzt einen Diskussionsprozeß über die Wertigkeit von Ministerinnen bezüglich der Übernahme bestimmter Ministerien in Gang gesetzt hätte, wäre das für die Frauenpolitik in Deutschland von Gewicht.
({20})
Herr Blüm hat die Herausforderung, im Einigungsprozeß soziales Gewissen zu sein, offenkundig weder verspürt noch danach gehandelt. Er hat die Größe der beschäftigungspolitischen Herausforderung nicht verstanden.
({21})
Folglich hat er mit dazu beigetragen, daß die entscheidenden Monate, die für die Beschäftigungspolitik so wesentliche Zeitspanne zwischen dem Ende der Kommandowirtschaft und dem Beginn der wirtschaftlichen Erneuerung, durch entschlußlose Tändelei und starrsinniges Festhalten am vermeintlich richtigen Prinzip der Selbstheilung des Marktes vertan wurden.
Das Verspielen von Chancen hat bei diesem Arbeitsminister Tradition. Er hat sich für den Gedanken einer Sozialunion mit der damaligen DDR nur widerstrebend gewinnen lassen.
({22})
- Lieber Herr Rühe, muß ich Sie daran erinnern,
({23})
daß Ihr Gesetzentwurf zum Zeitpunkt seiner Vorlage das Wort „Sozialunion" überhaupt nicht enthalten hat, daß es die Sozialdemokratie war, in Ost und West, die es in diesen Vertrag „hineinverhandelt" hat?
({24})
Das Verspielen von Chancen hat Tradition. Die Regierung - auch Herr Blüm - hat sich für den Gedanken einer Sozialunion nur widerstrebend gewinnen lassen. Herr Blüm hat Angebote der Arbeitgeber zur forderten Hilfe bei der Umschulung und Ausbildung über ein Jahr lang mißachtet. Er hat die Bundesanstalt für Arbeit regelrecht zurückgepfiffen, als diese im Herbst 1990 mit einem fix und fertigen Qualifizierungsprogramm aufwartete. Der Bundesarbeitsminister hat sich bis weit in den Spätherbst des Jahres 1990 hinein darauf versteift, so zu tun, als lasse sich die Beschäftigungspolitik im Osten aus der Portokasse der Regierung bezahlen.
({25})
Das Fazit seiner Politik: Fehlurteile, Unterlassungen, Beschönigungen, unhaltbare Versprechungen.
Die Menschen spüren das. Schlimm an dieser Situation ist, daß viele aus ihrer eigenen Erfahrung heraus das Versagen solcher Politik hinsichtlich Arbeitsmarkt und Beschäftigung mit einem Versagen der Demokratie gleichzusetzen beginnen, und das darf nicht sein.
Entgegenwirken kann man nur mit einer glaubwürdigen Politik, in deren Mittelpunkt ein klares Konzept für den Umbau der Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern steht, ein Konzept, das neben allen Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, Perspektive vermittelt und das Licht am Ende des Tunnels sichtbar macht. Aber dieses Konzept fehlt.
Kein ausreichend dimensioniertes Qualifizierungsprogramm, keine Veränderung des Auftrags an die Treuhandanstalt, damit das Sanieren endlich Vorrang erhält, und keine angemessene Nutzung des Instruments der Beschäftigungsgesellschaften. Statt dessen: punktuelle Eingriffe, versuchte Korrektur von Versäumnissen, sozialpolitischer Reparaturbetrieb. Man ist geneigt zu sagen: Herr Blüm, Sie wissen nicht, was Sie wollen, aber das wissen Sie recht gut.
({26})
837 000 Frauen und Männer waren Ende April in den neuen Ländern arbeitslos. Über 2 Millionen waren in Kurzarbeit, davon über 1,1 Millionen mit einem Arbeitsausfall zwischen 50 und 100 %. Nach dem Urteil namhafter Fachleute könnte schließlich jeder zweite Beschäftigte in den neuen Ländern seinen Arbeitsplatz verlieren, so daß Ende des Jahres rund 4 Millionen Menschen ohne Arbeitsplatz sein würden. Wissen wir eigentlich alle, was das bedeutet? Dies sind Arbeitslosenzahlen, meine Damen und Herren, die die Frage rechtfertigen, ob unsere Gesellschaft das aushält.
Aber es gibt doch Vorschläge, die uns einer solchen Fragestellung nicht aussetzen. Und ich frage hier heute: Was muß eigentlich noch weiter an Erkenntnissen vorliegen, damit diese Bundesregierung sie endlich aufgreift, meine Damen und Herren?
({27})
Alle Experten sind sich einig: Die gute westdeutsche Konjunktur beginnt sich einzutrüben, die Auftragseingänge in einer Reihe von Branchen sind spürbar zurückgegangen, die Entwicklung der Leistungsbilanz spricht eine deutliche Sprache. Keiner kann mehr ausschließen, daß auch Deutschland - ähnlich wie Großbritannien und die USA - in eine Rezession schlittert oder daß die gravierenden Schwierigkeiten im Ostteil Deutschlands auf den Westteil übergreifen. Haben sich eigentlich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf diesen Fall der Fälle vorbereitet? Ich frage, ob Sie ein Konzept in Ihren SchublaRudolf Dreßler
den haben, wie man dem begegnen könnte. Ich fürchte, nein.
({28})
- Sie fragen nach den SPD-Vorschlägen. Wer regiert denn hier eigentlich? Sollen wir auch noch diese Aufgabe übernehmen?
({29})
Sie haben doch alle Konzepte der deutschen Sozialdemokratie in den letzten Monaten hier niedergestimmt. Greifen Sie doch wenigstens mal den Aufbauplan auf, den Björn Engholm und Hans-Jochen Vogel vor einigen Wochen vorgestellt haben. Das wäre schon ein Schritt vorwärts.
({30})
Ich fürchte, es gibt kein Konzept; man setzt offenkundig hier auf die sozialpolitische Methode des Reparaturbetriebs.
Es muß aber doch klar sein, was die Arbeitsmarktkrise im Osten bedeutet. Es wird ja nicht nur viel Geld kosten, um für die Menschen das Allerschlimmste abzuwenden. Die Krise wird auch den Verfall der dortigen Industriestrukturen bedeuten, wird das Arbeitskräftepotential aushöhlen, die mit den Standorten verbundene menschlich-fachliche Qualifizierung vernichten, und zwar zumeist unwiderruflich; denn wer einmal abgewandert ist, meine Damen und Herren, wer die Arbeit verloren hat, kehrt in der Regel nicht zurück.
Die Regionen um Halle und Leipzig, um Chemnitz und Zwickau gehören seit je zu den klassischen Industrieregionen Europas. Wenn sie verfallen, werden die strukturpolitischen Schäden unwiderruflich sein.
Für alle diese Bereiche haben die Sozialdemokraten alternativ zur Bundesregierung und zur Koalition Vorstellungen entwickelt, die weiterführen. All dies will ich nicht erneut vortragen; denn es geht nicht darum, meine Damen und Herren, ob das parlamentarisch in Ordnung ist, wenn Sie auf die Vorschläge der SPD nicht antworten. Es geht in diesem Diskussionsprozeß überhaupt nicht um die SPD.
({31})
Es geht um die Menschen, für die wir alle, erst recht die Regierung, in der Pflicht stehen, Herr Scharrenbroich. Und hier versäumt die Regierung ihre Pflicht. Das ist der einfache Tatbestand.
({32})
Es geht um konzeptionsloses Durchwursteln. Dieses konzeptionslose Durchwursteln kennzeichnet auch Ihre Rentenpolitik. Auf die historische Herausforderung der deutschen Einheit, die eine Harmonisierung zweier nebeneinander bestehender Rentensysteme notwendig macht, haben Sie keine andere Antwort
gewußt, als das bundesdeutsche Rentenrecht dem Osten überzustülpen.
({33})
Sie haben dabei massiv in Besitzstände eingegriffen und Vertrauenstatbestände verletzt. Bei uns im Westen würde jeder Versuch, die gesetzlich verbriefte lohnbezogene Rentendynamik einzuschränken und einen Teil der Renten nicht mehr zu erhöhen, mit Recht als grober Eingriff in Eigentumsrechte verstanden. Nach Auffassung der Bundesregierung scheint dies den ostdeutschen Rentnern offensichtlich zumutbar.
({34})
Ich frage: Ist das die soziale Einheit?
Aber nicht nur das: Die Bundesregierung verstößt gegen die eigenen Gesetze; denn mit dem Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gilt auch für die ehemalige DDR seit dem 1. Juli 1990 die Nettolohndynamik.
({35})
Jetzt stellt sich auf einmal heraus, daß sich dieses Dynamisierungsversprechen nicht auf die volle Rente, sondern in vielen Fällen nur auf 80, auf 70 oder gar nur 60 % der Rente bezieht und daß die restlichen 20, 30 oder 40 % nur als undynamischer Zahlbetrag weiterlaufen sollen. Dies ist nichts anderes als ein Vertrauensbruch und, in der langfristigen Auswirkung betrachtet, auch eine Rentenkürzung. Da können Sie reden und vernebeln, wie Sie wollen; es bleibt bei dieser Wertung.
({36})
Die Aufgabe, die beiden in Deutschland nebeneinander bestehenden Rentensysteme zu harmonisieren, wäre eine Chance für eine Reform der Alterssicherung in Ost und West zur Beseitigung von Altersarmut gewesen. Diese Reformaufgabe ist die Bundesregierung nicht angegangen. Im Gegenteil: Sie ist dabei, die Chancen zu verspielen. Sie hat vielmehr mit einer massiven Gegenreform reagiert, d. h. mit der überstürzten Beseitigung sämtlicher Regelungen in der ehemaligen DDR, die für Frauen, für Rentnerinnen und Rentner mit niedrigem Einkommen günstiger sind als in den alten Bundesländern.
Bereits im April habe ich die Bundesregierung von dieser Stelle aus darauf aufmerksam gemacht, daß es sich im Falle des Renten-Überleitungsgesetzes um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt.
({37})
Ich habe die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregierung in dieser wichtigen Frage ausdrücklich darauf verzichtet, zu pokern. Nichts ist passiert.
({38})
Die Regierung wartet ab. Sie provoziert eine Situation, in der sie den Bundesrat über die Zeitschiene in die Knie zwingen will. Ich sage Ihnen: Dieser Zeitpoker wird keinen Erfolg haben.
Nachdem Sie die Zeit von April bis heute nicht genutzt haben, unser Angebot, die Regelungen für Witwenrenten, für eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit und für die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten bereits am 1. Juli 1991 in Kraft zu setzen, ignoriert haben, bieten wir die gleiche Lösung in einem Vorschaltgesetz für den 1. Januar 1992 erneut an. So hätten Bundesrat und Bundestag ausreichend Zeit, ein vernünftiges Gesetz zustande zu bringen. Es wäre für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern ein wichtiges Signal, wenn die Bundesregierung endlich begreifen würde, daß die SPD-geführten Länder im Bundesrat eine Mehrheit haben.
({39})
Damit Sie klarsehen und es richtig verstehen, sage ich: Diese SPD-Mehrheit im Bundesrat hat durch ihren Beschluß deutlich gemacht, daß sie genauso wenig wie die SPD-Bundestagsfraktion bereit ist, die unsozialen Vorhaben der Bundesregierung im RentenÜberleitungsgesetz zu akzeptieren.
({40})
Ich füge hinzu: Wenn die Bundesregierung nicht endlich vernünftig handelt, wird sie die volle Verantwortung übernehmen müssen. An Angeboten, an Vorschlägen von seiten der SPD hat es nicht gemangelt.
Konzeptionslosigkeit ist auch das Markenzeichen der Gesundheitspolitik der Koalition. Auch hier zeigt sich Reparaturmentalität statt politischer Gestaltungsbereitschaft. Das, was die Koalition am 25. November 1988 unter dem irreführenden Titel „ GesundheitsReformgesetz " mit ihrer Mehrheit durchgesetzt hat, war keine Reform, sondern es war reine Kostendämpfung. Die dringend notwendige strukturelle Umgestaltung unseres Gesundheitswesens wurde abermals vertagt, und an ihrer Statt wurde eine rein fiskalisch orientierte Leistungskürzungs- und Selbstbeteiligungserhöhungsphilosophie verfolgt, deren Wirkungslosigkeit und deren Sozialschädlichkeit längst erwiesen sind.
Heute, kaum mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, schlagen die Krankenkassen erneut Alarm. Ihre Ausgaben explodieren förmlich. Verglichen mit der Entwicklung der Einnahmen sind die Steigerungsraten bei den Ausgaben bis zu viermal so hoch.
Die nächste Welle der Beitragssatzerhöhungen wird Ende des Jahres Tatsache sein. Die Gesundheitsministerin weiß dies.
({41})
Nicht umsonst ergeht sie sich in sibyllinischen Äußerungen wie - ich zitiere - „Beitragssatzstabilität ist kein absolutes Dogma. " Mit solchen Äußerungen soll doch vorsichtig darauf hingewiesen werden, was Ende des Jahres Sache sein wird. Dank dieses unsäglichen Gesundheits-Reformgesetzes werden den Versicherten nicht nur die Leistungen gekürzt und die Selbstbeteiligungen erhöht, nun erwarten sie auch noch Beitragssatzerhöhungen. Es tritt also genau jene Entwicklung ein, die wir der Koalition von Anfang an deutlich vor Augen geführt haben.
Wer die konzeptionelle sozialpolitische Gestaltungskraft dieser Regierung fair bewerten will, kann dies nicht, ohne ein Wort zu einem der drängendsten sozialen Probleme dieser Zeit zu sagen, dem der Absicherung bei Pflegebedürftigkeit. Dieses Problem muß gelöst werden, und zwar so schnell wie möglich.
({42})
Alle Parteien in diesem Hause haben, jedenfalls wenn sie die Wahrheit gesagt haben, versprochen, es innerhalb der nächsten vier Jahre zu lösen. Mit Blick auf die Koalition ist dieses Versprechen schon erstaunlich. Wir alle haben doch noch die Worte des Bundesarbeitsministers im Ohr, als er die Pflegeregelung des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes als wesentlichen Beitrag zur Lösung des Problems pries, um damit die sozialpolitischen Gemeinheiten dieses Gesetzes zu verschönern.
({43})
Heute ist klar: Dieser Versuch war zum Scheitern verurteilt und ist dann auch gescheitert.
Das Versprechen, meine Damen und Herren, ein Problem zu lösen, beflügelt zumeist die Erkenntnis, daß man dazu ein Konzept brauche. Die Koalition muß offensichtlich sehr beflügelt gewesen sein, denn sie hat derer gleich vier, und zwar dergestalt, daß das jeweils eine alle anderen ausschließt. Die FDP hat eines. Die CDU-Sozialausschüsse haben eines. Die Mittelstandsvereinigung und der CDU-Wirtschaftsrat haben auch eines.
Die traurige Wahrheit in Sachen Pflege ist: Die Regierung blockiert sich selbst. Sie ist zur Zeit nicht handlungsfähig.
Mehr denn je ist in solchen Situationen das Parlament gefragt, einen Ausweg zu suchen. Ich erneuere daher meinen Appell an die Fraktionen des Deutschen Bundestages, zu prüfen, ob man gemeinsam diese Blockade innerhalb der Regierung auflösen kann.
({44})
- Herr Scharrenbroich, Sie sagen, das schaffen Sie allein. Ich möchte Sie, Herr Scharrenbroich, daran erinnern, daß die Sozialdemokraten in Ihrem Wahlkreis Sobernheim am 21. April 52,8 % der Stimmen erhielten.
({45})
Das, Herr Scharrenbroich, wirkte sich so aus, daß heute ein Ministerpräsident Scharping in RheinlandPfalz regiert und daß auch Sie, Herr Scharrenbroich, sich in Rheinland-Pfalz damit abfinden müssen, daß das Pflegegesetz zustimmungspflichtig sein wird. Wir
sagen Ihnen dies rechtzeitig, damit Sie nicht hinterher völlig verblüfft sind.
Das Konzept der SPD ist bekannt. Wir wollen eine Pflichtversicherung für alle Bürger. Wir wollen eine Absicherung sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich und halten dafür Leistungen von insgesamt 25 Milliarden DM für notwendig und finanzierbar.
Wir wollen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese Summe über Beiträge je zur Hälfte aufbringen, was bei einer Beitragsbemessungsgrenze wie in der Rentenversicherung von jedem verdienten 10-DMSchein 7 Pfennig Beitrag für beide Seiten bedeuten würde. Ich sage: Das ist leistbar, meine Damen und Herren.
({46})
Ich füge hinzu: Es darf nicht sein, daß durch wechselseitige politische Blockade die Lösung dieses dringenden Problems abermals verschoben wird und die Pflegebedürftigen die Zeche zahlen.
Die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-geführten Landesregierungen werden noch vor Beginn der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorstellen. Es liegt dann an der CDU/CSU, an der FDP und an der Bundesregierung, unsere Vorschläge konstruktiv aufzunehmen.
Wer nach nur sechs Monaten Amtszeit die Hand-lungs- und Politikfähigkeit dieser Koalition anläßlich dieser Haushaltsdebatte bewertet, kann nur feststellen: Es steht nicht gut um deutsche Regierungspolitik:
({47})
personell glanzlos, konzeptionell ausgelaugt, politisch auf dem Irrweg und vom Wähler verlassen.
({48})
Meine Damen und Herren, diese Regierung ist von ihren unhaltbaren, ja wahrheitswidrigen Wahlversprechen eingeholt - so weit, so gut.
Daß die Wähler die Zeche zu bezahlen haben - so weit, so schlecht.
Keine Regierung vor Ihnen, Herr Günther, hat das in Wahlen errungene Vertrauenskapital so schnell verspielt wie die Regierung Helmut Kohl.
({49})
Allenthalben ist zu registrieren: Die Menschen sind enttäuscht. Sie hatten Besseres erwartet. Sie hatten auch Besseres verdient.
Unser Land braucht eine bessere Politik. Die SPDBundestagsfraktion kann dem Einzelplan des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung nicht zustimmen.
({50})
Das Wort hat der Abgeordnete Hans-Gerd Strube.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schnelles Handeln ist besser als laut meckern,
({0})
und wirksam helfen ist besser als ständig jammern.
({1})
Nach diesem Motto haben wir uns beim Aufstellen des Sozialetats für den vorliegenden ersten gesamtdeutschen Haushalt orientiert.
Die Gesamtaufwendungen des Bundes für die soziale Sicherung summieren sich 1991 auf über 135 Milliarden DM. Das ist immerhin ein Drittel des Gesamthaushalts.
({2})
Der Bund gibt also mehr als jede dritte Mark dafür aus, daß die Bürger in der Bundesrepublik ein stabiles soziales Netz haben.
({3})
Sozialpolitik ist für uns also keine Restgröße.
Eine wichtige Aufgabe sehen wir darin, daß wir die soziale Spaltung zwischen den neuen und den alten Bundesländern überwinden. Angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage im Osten Deutschlands ist das eine gewaltige Herausforderung. Es geht um den Übergang von der sozialistischen Mißwirtschaft mit ihrer verdeckten Arbeitslosigkeit hin zur sozialen und ökologischen Marktwirtschaft mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen.
({4})
Ich freue mich, daß Herr Dreßler hier von der sozialen Marktwirtschaft gesprochen hat. Vielleicht sorgen Sie auch dafür, daß dieser Begriff auch einmal in Ihr Grundsatzprogramm aufgenommen wird, denn da findet man ihn ja noch nicht.
({5})
Dieser Umbruch hat in den fünf neuen Bundesländern einen rasanten Strukturwandel zur Folge. Diesen Strukturwandel müssen wir sozialverträglich abfedern. Dieser Verpflichtung sind wir uns sehr wohl bewußt, und wir werden ihr auch gerecht. Die Opposition redet zwar immer wieder gern von Kahlschlagpolitik, vom sozialen Notstandsgebiet, von Massenarmut und vom Ellenbogenstaat.
({6})
Aber über diese Horrorvokabeln kann man nur gähnen.
({7})
Diese Vokabeln tauchen bei Ihnen so regelmäßig auf wie Schreckensfiguren in der Geisterbahn. Hilfreich ist dieses Katastrophengerede nun wirklich nicht.
({8})
Wir ziehen vor zu handeln. Lassen Sie mich dies an Hand einiger Zahlen verdeutlichen.
({9})
- Warum werden Sie denn so unruhig, wenn ich anfange, von Zahlen zu reden?
({10})
Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erreicht in diesem Jahr fast 71 Milliarden DM. 71 Milliarden DM! Das ist ein Umfang in bisher nicht gewohnter Größe.
({11})
Entscheidenden Anteil daran hat die aktive Arbeitsmarktpolitik nach dem Arbeitsförderungsgesetz.
({12})
Sie läuft in den alten Bundesländern auf hohem Niveau weiter und wird gleichzeitig in den neuen Bundesländern mit aller Kraft auf- und ausgebaut.
Zusammen mit den entsprechenden Mitteln aus dem Bundeshaushalt stehen in diesem Jahr über 35,5 Milliarden DM für die aktive Arbeitsmarktpolitik zu Verfügung, davon fast 20 Milliarden DM für die fünf neuen Länder. Das ist mehr, als jemals im alten Bundesgebiet hierfür vorgesehen war. Das sind nun wahrlich keine Kleckerbeträge.
Aber, meine Damen und Herren, wir stecken nicht nur Geld in die neuen Bundesländer. Das allein reicht ja nicht. Wir haben auch die notwendigen Regelungen getroffen für die soziale Sicherung der Arbeitnehmer, für eine aktive Arbeitsmarktpolitik, um den wirtschaftlichen Wandel im Beitrittsgebiet zu flankieren.
Die Sonderregelungen für Kurzarbeitergeld haben verhindert, daß Hunderttausende entlassen werden mußten. Die soziale Sicherheit vieler Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen konnten wir damit sichern. Deshalb haben wir diese Sonderregelung bis Ende dieses Jahres noch einmal verlängert. Aber wir lassen es nicht bei einer bloßen Verlängerung bewenden. Wir haben vielmehr die Voraussetzungen dafür getroffen, daß die Kurzarbeiter ihre beruflichen Chancen während ihrer Zeit der Kurzarbeit verbessern können. Statt tatenlos zu sein, können Sie sich qualifizieren.
Auf den Bereich Fortbildung und Umschulung richten wir eines unserer Hauptaugenmerke. Hierfür stehen in diesem Jahr insgesamt rund 15,5 Milliarden DM zur Verfügung; davon die Hälfte für die neuen
Bundesländer, so daß dort 500 000 Arbeitskräfte mit Qualifizierungsmaßnahmen beginnen können.
({13})
Diese umfassende Qualifizierungsoffensive ist eine Massenbewegung. Dafür werden in den neuen Ländern berufliche Weiterbildungseinrichtungen gebraucht,
({14})
und zwar flächendeckend und im bewährten westlichen Qualitätsmaßstab. Diesen Aufbau fördern wir seit Mitte 1990 mit einem eigenen Sonderprogramm. Bis Ende des letzten Jahres sind durch die Bewilligung von 180 Millionen DM insgesamt 128 Einrichtungen mit 17 800 Weiterbildungsplätzen entstanden. Für dieses Jahr haben wir hierfür 200 Millionen DM vorgesehen. Komplementärmittel in vergleichbarer Größe hat die Bundesanstalt für Arbeit bereitgestellt.
Den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kommt in Ostdeutschland mehrfache Bedeutung zu. Sie bilden eine Beschäftigungsbrücke für ansonsten arbeitslose Arbeitnehmer. Sie bieten soziale Stabilisierung und Einkommensquelle, und sie helfen, soziale, wirtschaftsnahe und umweltfördernde Infrastrukturen zu schaffen. Das sind entscheidende Grundlagen dafür, daß es im Beitrittsgebiet ständig aufwärts gehen kann.
({15})
Deshalb werden die Sonderregelungen bei der ABM-Förderung in den neuen Ländern bis 1992 verlängert, z. B. die unbeschränkte Regelung über den ABM-Zuschuß in Höhe von 100 % des Arbeitsentgelts.
({16})
Zusammen mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, durch das auch die Sachkosten der ABM bezuschußt werden können und mit dem die Mittel für ABM in diesem Jahr auf 5,2 Milliarden DM verdoppelt werden, haben wir ein arbeitsmarktpolitisches Kraftpaket für sinnvolle und produktive Beschäftigung geschnürt.
({17})
Insgesamt können wir damit in diesem Jahr rund 280 000 ABM-Stellen in Ostdeutschland erreichen.
({18})
Das hilft den Betroffenen mehr als das Lamentieren der Opposition über die schlechte Lage.
({19})
Die SPD - das haben wir eben wieder gehört - nimmt zwar gern das Wort von der Solidarität mit den fünf neuen Ländern in den Mund, aber wenn es
darum geht, konkret zu werden, daß man etwas teilen muß, lehnt sie es jedesmal sehr schnell ab.
({20})
Zur Arbeitsmarktentlastung trägt auch das Altersübergangsgeld bei.
({21})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie so unruhig werden. Wenn ich Ihnen einmal den Spiegel vorhalte, werden Sie gleich unruhig.
({22})
Viele ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern haben hart gearbeitet und wollen jetzt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Diesem Wunsch tragen wir Rechnung.
({23})
- Freiwillig, alles freiwillig, meine Damen und Herren.
Die Altersgrenze beim Altersübergangsgeld soll für Zugänge bis Ende dieses Jahres von 57 auf 55 Jahre gesenkt und die Dauer des Anspruchs entsprechend von drei auf fünf Jahre verlängert werden. Diese Maßnahme ist sicherlich nicht billig, doch ich finde es sinnvoller, einem 55jährigen Altersübergangsgeld zu bezahlen als einem 20jährigen Arbeitslosengeld.
Es zeigt sich also: Geld ist genug vorhanden.
({24})
Am Geld muß keine arbeitsmarktpolitische Maßnahme scheitern.
({25})
Damit diese bereitgestellten Gelder aber auch tatsächlich abfließen, sind jetzt die Maßnahmen vor Ort entscheidend. Gemeinden und Sozialpartner, Verbände und Kirchen, Betriebe und Arbeitsverwaltungen, sie alle sind aufgefordert, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen und das zu tun, was notwendig und auch möglich ist, nämlich Arbeit für alle schaffen.
({26})
Angesichts unserer arbeitsmarktpolitischen Riesenanstrengungen in Ostdeutschland darf eines nicht übersehen werden: Wir haben auch in den alten Bundesländern viel getan.
({27})
Mitte 1989 haben wir ein Sonderprogramm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit aufgelegt. Es zeigt große Erfolge, meine Damen und Herren.
({28})
Im Rahmen der Aktion „Beschäftigungshilfen für Langzeitarbeitslose" wurden bis April fast 57 000 Anträge auf Lohnkostenzuschüsse bewilligt.
({29})
Ursprünglich hatten wir 60 000 bis 70 000 Förderungen bis zum Jahresende erwartet. Dieses Ziel ist schon jetzt fast erreicht. Im Programmteil „Maßnahmen für besonders beeinträchtigte Langzeitarbeitslose und andere schwerstvermittelbare Arbeitslose" wurden bis Ende Februar 346 Anträge von karitativen und öffentlichen Einrichtungen und Verbänden für über 14 000 Teilnehmer bewilligt. Diese Zahlen sollte auch die Opposition endlich einmal anerkennen, statt gebetsmühlenartig immer nur Elendsbilder zu malen.
({30})
Denn diese Zahlen lassen eines bereits deutlich erkennen: Das erfolgreiche Sonderprogramm hat erheblich dazu beigetragen, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen zurückgegangen ist. Von 1989 auf 1990 ist sie um 80 000 gesunken. Das sind immerhin 13 %. Das, so meine ich, sind erfreuliche, positive Erfahrungen.
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit muß weitergehen, denn immer noch gibt es zu viele Langzeitarbeitslose. Darum haben wir mit dem Bundeshaushalt 1991 beschlossen, das Sonderprogramm zeitlich zu verlängern und um insgesamt 890 Millionen DM aufzustocken.
Meine Damen und Herren, über der großen Aufgabe, den einen Sozialstaat Deutschland zu schaffen, dürfen wir eine andere große sozialpolitische Herausforderung der Zukunft nicht vergessen: die Absicherung des Pflegerisikos. Auch ich will dazu gerne etwas sagen; Kollege Dreßler hat dieses Thema angeschnitten. Auch hier werden wir Weichen stellen, damit der Zug fahrplanmäßig in die richtige Richtung fährt.
({31})
Unser Sozialstaat ist gut ausgebaut, doch es gibt eine Lücke: Das Pflegerisiko ist bisher völlig der Eigenverantwortung des einzelnen und der Familie überlassen, und dies, obwohl jeder von uns pflegebedürftig werden kann.
({32})
- Ich würde da gar nicht so dumme Zwischenrufe machen, denn es ist ein sehr, sehr ernstes Thema.
({33})
Finanziell überfordert, werden die meisten Pflegebedürftigen zu Sozialhilfeempfängern.
({34})
Knapp 70 % der in Altenpflegeheimen, Krankenhäusern und anderen stationären Einrichtungen Gepflegten erhalten Leistungen der Sozialhilfe. Das sind derzeit rund 450 000 Frauen und Männer. Etwa 10 % der ambulant Gepflegten - rund 1,2 Millionen Pflegebe1858
dürftige werden in der Familie gepflegt - erhalten Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Herr Kollege Strube, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, wenn Sie so vehement für die Pflegesicherung sind, dann frage ich Sie, warum Sie am Ende der 11. Wahlperiode das hervorragende Pflegegesetz der GRÜNEN mit einer so großen Mehrheit abgelehnt haben?
Ob das Pflegehilfegesetz der GRÜNEN so hervorragend war, vermag ich jetzt nicht zu beurteilen. Dazu müßte man es wirklich würdigen. Aber ich habe gerade deutlich gemacht, daß wir ein Konzept haben und einen Weg gehen. Sie werden sicherlich noch in dieser Legislaturperiode erleben, daß wir dieses Thema meistern werden.
({0})
Wenn wir dabei einen großen Konsens erreichen können - Herr Dreßler hat nicht nur Drohungen ausgestoßen, sondern er hat auch einige Angebote gemacht -, dann wäre das sicherlich eine gute Sache.
({1})
Etwa 10 °A° der ambulant Gepflegten erhalten Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz. Sozialhilfe, meine Damen und Herren, war ursprünglich als Auffangnetz für den Ausnahmefall gedacht. Jetzt ist sie für Pflegebedürftige fast schon zur Regel geworden. Dies entspricht nicht unserem Leitbild einer solidarischen und menschlichen Gesellschaft. Es ist entwürdigend, wenn Menschen nach einem erfüllten Arbeitsleben durch die Pflegebedürftigkeit auf öffentliche Fürsorge angewiesen sind.
({2})
Es darf einfach nicht sein, daß die Heimkosten einen Großteil der Rente schlucken und viele nur mit einem kleinen Taschengeld abgespeist werden. Deshalb muß jetzt die solidarische und soziale Absicherung der Pflegebedürftigen endlich gelöst werden. Hierzu hat die Bundesregierung von uns einen eindeutigen Auftrag erhalten: Bis Mitte nächsten Jahres muß ein erster Gesetzentwurf vorliegen.
({3})
Einen ersten Einstieg zur Verbesserung der Lage der Pflegebedürftigen haben wir bereits mit der Einführung der neuen Pflegeleistungen im Rahmen der Gesundheitsreform, durch den Pflegeurlaub ab 1989 und durch die Pflegehilfen ab Januar dieses Jahres geschaffen. Das größere Stück des Weges liegt aber noch vor uns. Jetzt geht es um ein Gesamtkonzept. Denn Pflege ist nicht nur ein Problem der Finanzierung, meine Damen und Herren, wir müssen auch über andere Fragen diskutieren. Wir müssen den Beruf der Schwester und des Pflegers attraktiver machen.
({4})
Denn wer Menschen betreut und versorgt, darf nach meiner Einschätzung nicht schlechter bezahlt werden als derjenige, der Maschinen bedient, repariert oder wartet.
({5})
Was wir brauchen, ist ein Netz der ambulanten, teilstationären und stationären Versorgung. Wir müssen über die Qualität und Humanität der Pflegeleistungen und darüber sprechen, wie die häuslichen Pflegekräfte sozial abgesichert werden können.
Wir wollen zur Klärung all dieser Fragen einen wirksamen Beitrag leisten. Daher haben wir im Haushalt 1991 ein Modellprogramm - betitelt ,,Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung Schwerpflegebedürftiger" - aufgestellt. Diese Mittel sollen die künftige Absicherung des Pflegerisikos und ihre Umsetzung mit allen Beteiligten vorbereiten. An Hand von Modellen soll ein leistungsfähiges Netz mit Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten erprobt werden, das den ständig wachsenden Bedarf fachgerecht abdecken kann. Gleichzeitig suchen wir nach Wegen, um die Pflegebedürftigen und ihre Familienangehörigen dahin zu führen, daß sie die Einrichtungen nutzen und ihre sozialrechtlichen Ansprüche auch wahrnehmen.
Das Modellprogramm soll in den neuen Ländern den Aufbau einer bedarfsgerechten Pflegeversorgung vorantreiben. In den alten Ländern soll es Engpässe ausgleichen. Daneben sollen vorrangig im stationären Bereich die Funktion und Nutzung von Einrichtungen und Diensten verbessert werden. Auf der Grundlage von Bedarfserhebungen und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sollen neue Formen pflegerischer Versorgung, u. a. durch Tagespflegestationen, erprobt und die bedarfsgerechte Nutzung durch Pflegebedürftige und ihre Angehörigen angeregt werden. Ein wichtiger Bestandteil ist die geriatrische Rehabilitation. Sie kann Pflegebedürftigkeit vermeiden, beseitigen, vermindern oder hinauszögern.
Zur Lösung des Problems Pflegebedürftigkeit müssen alle Beteiligten - Verbände der Betroffenen, Frauen- und Seniorenorganisationen, Leistungserbringer, Verwaltung und Gesetzgeber - beitragen. Wir brauchen Engagement, Phantasie und die Bereitschaft, aus den Trampelpfaden der Gewohnheit herauszugehen.
({6})
Dieses Problem geht jeden an. Ziel muß es sein, eine große Übereinstimmung zu finden. Denn es kann doch nicht richtig sein, daß wir in riesige politische Streitereien um kleinkrämerische Fragen geraten: ob der Zuschuß der Krankenkasse zur offenen Badekur nun 15 oder 25 DM beträgt, ob jedes Schnupfenmittel von der Kasse zu bezahlen ist, ob jeder jederzeit mit dem Taxi zum Arzt fahren kann und ob den Versicherten eine Eigenbeteiligung beim Zahnersatz zuzumuten ist, und gleichzeitig verschließen wir die Augen
vor einem Risiko, das den einzelnen um die wohlverdienten Früchte seiner lebenslangen Arbeit bringt und ganze Familien ruinieren kann. Wir sollten bei der Lösung dieses Problems auf kleinkarierte Beschimpfungen verzichten. Sie nützen niemandem.
Wie Sie sehen, ist der Sozialetat des Haushalts 1991 ein wirkungsvoller Beitrag für den Sozialstaat Deutschland. Wir zeigen damit, daß wir von der CDU/ CSU-Fraktion eine solide, solidarische und gleichzeitig bezahlbare Sozialpolitik leisten. Wir haben die Sozialkompetenz, die zur Lösung dieser Aufgaben nötig ist.
({7})
Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir dem Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung unsere Zustimmung geben.
({8})
Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({9})
Frau Abgeordnete Bläss, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Veröffentlichung der Arbeitsmarktzahlen für den Monat Mai steht unmittelbar bevor. Daß auch mit ihnen noch längst nicht die Talsohle der Entwicklung in den neuen Bundesländern erreicht sein wird, war bereits dem Kommentar des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit zum Vormonatsbericht zu entnehmen.
Noch stehen die schmerzhaftesten Entlassungswellen bevor: Das Ende der Verlängerung der Regelung für Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter und die Tatsache, daß die Warteschleifen-Regelung für den öffentlichen Dienst noch nicht ausgelaufen ist, führen dazu, daß wir es nach wie vor mit einer Situation zu tun haben, die das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit verdeckt.
Bereits heute sind etwa 4 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern von den Folgen schon bestehender oder teilweiser Arbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitslosigkeit im Osten Deutschlands ist nach ihrem gegenwärtigen Umfang und dem Tempo, mit dem sich die Arbeitslosenzahlen entwickeln, zweifellos eine der grundlegenden, wenn nicht sogar die die soziale Verträglichkeit des Einigungsprozesses am meisten beeinträchtigende Erscheinung.
Zweifellos trägt der durch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und durch jüngste Kabinettsbeschlüsse ermöglichte massive Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente, die Zigtausenden Eintritt in Arbeitsbeschaffungs-, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ermöglicht, zu einer Entlastung der Entwicklung bei.
Wir unterstützen die Schaffung von ABM-Stellen als eine Möglichkeit, wenigstens einem bestimmten Prozentsatz der Arbeitslosen vorübergehend Arbeit zu geben, soziale und wirtschaftliche Probleme für die betroffenen Menschen zu mildern und ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Doch so hilfreich ABM-Stellen für die einzelnen sein können: Ein Konzept gegen Massenarbeitslosigkeit, ein Ersatz für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen können sie nicht sein. Ebenso stellen Beschäftigungs- und Arbeitsförderungsgesellschaften zwar eine unmittelbare Hilfe für die darin Beschäftigten, aber keine Gesamt- und Dauerlösung dar.
Auf jeden Fall muß verhindert werden, daß diese Maßnahmen zum weiteren Abbau fester Arbeitsplätze führen und daß sie dazu mißbraucht werden, Tätigkeiten, die zu den Regelaufgaben des entsprechenden Unternehmens gehören, noch häufiger als bisher über ABM, also aus dem Topf der Bundesanstalt für Arbeit, zu finanzieren.
Angesichts der dramatischen Entwicklungen in den neuen Bundesländern durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen und ganzen Produktionsstandorten plant die Bundesregierung heute aber auch einen erneuten Angriff auf die von der Arbeiterbewegung erkämpften Tarifrechte und Schutzrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Es ist sicher kein Zufall, daß ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt unter dem Stichwort „Deregulierung" Vorschläge auf den Tisch kommen, die die abhängig Beschäftigten unter dem Vorwand ihrer individuellen Freiheit zum Verzicht auf erworbene Rechte bewegen sollen.
({0})
Frau Kollegin, ich darf Sie für eine Sekunde unterbrechen.
Meine Damen und Herren, in Teilen des Hauses ist es schwer, zu hören, was die Frau Kollegin hier vorträgt. Ich darf Ihnen wieder das Angebot machen, das ich schon oft gemacht habe: Wenn Sie Besprechungen zu führen haben, dann bitte außerhalb des Plenarsaals.
Fahren Sie bitte fort.
Der/die einzelne soll künftig das Recht auf Arbeit auch gegen den Tarifvertrag durchsetzen können. Was heißt das konkret? Arbeit unter Tariflohn, Verzicht auf besonderen Kündigungsschutz, Ausbau des Systems befristeter und Leiharbeitsverhältnisse. Gleichzeitig sollen die Sozialplanpflicht der Unternehmer und der Bestandsschutz der Betriebe beim Verkauf abgebaut werden.
Es ist sicher auch kein Zufall, daß zur gleichen Zeit die alte Debatte um die sogenannten Karenztage im Krankheitsfall neu entfacht wird. Zufällig ist es sicher auch nicht, daß seit einigen Wochen in den Amtsstuben des Bundesministers für Arbeit verstärkt darüber nachgedacht wird, wie, entsprechend der Koalitionsvereinbarung, der sogenannte Mißbrauch von staatlichen Leistungen durch Arbeitslose einzudämmen ist.
Was fällt den hochdotierten Herren ein? Sie wollen die Bedürftigkeitsprüfung und die Zumutbarkeitsregelung für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe verschärfen. Bei den Ärmsten der Armen setzen sie an. Solche Hinweise - die Liste ließe sich verlängern - nähren die Vermutung, daß jetzt
der Rückwärtsgang in Richtung eines hemmungslosen Manchesterkapitalismus eingelegt werden soll.
({0})
Die Deregulierungsstrategen nutzen die Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern, um in einer Situation allgemeiner Hilflosigkeit all das durchzusetzen, was bislang am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert ist. Sie möchten die wirtschaftliche Not der Menschen im Osten und ihre Hoffnungen auf den freien Markt zur Wiedereinführung einer marktradikalen Politik nutzen und treten im Namen individueller Freizügigkeit für den radikalen Abbau kollektiver Rechte und Verträge ein. Das gipfelt in der Forderung, daß der/die einzelne sein/ihr Recht auf Arbeit unter Umständen auch gegen den Tarifvertrag geltend machen kann.
Meine Damen und Herren, bereits seit 1982 verfolgt die Bundesregierung eine Politik, die auf eine Verbesserung der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation durch stetigen Abbau von Schutzrechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzielt und unverhohlene Angriffe auf die Tarifautonomie beinhaltet.
({1})
Das 1985 verabschiedete Beschäftigungsförderungsgesetz steht dafür ebenso wie laufende Verschärfungen des Arbeitsförderungsgesetzes.
Insbesondere Frauen waren von diesen Neuregelungen massiv betroffen. Zunehmend wurden sie nur noch befristet, in Teilzeit, als Heim- oder Leiharbeiterinnen unterhalb der Versicherungspflichtgrenze eingestellt. Nach jüngsten Erhebungen des DGB gibt es in den alten Bundesländern mindestens 6,3 Millionen ungeschützte Arbeitsverhältnisse. Das bedeutet, daß diese Menschen sozial absolut ungesichert sind.
({2})
Sie haben weder eigene Ansprüche auf Leistungen der Krankenversicherungen, noch können sie eigene Rentenansprüche erwerben. Sie gehen im Falle der Arbeitslosigkeit leer aus. Die ungeschützten Arbeitsverhältnisse geben den Betroffenen nicht die geringste Chance, sich eine eigenständige wirtschaftliche und soziale Sicherung aufzubauen.
Den Sozialversicherungskassen gehen durch die ungeschützten Arbeitsverhältnisse jährlich Milliardenbeiträge verloren. Gleichzeitig werden die Solidargemeinschaft, beispielsweise in der Krankenversicherung, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler mit den Folgen ungeschützter Arbeitsverhältnisse belastet, nämlich dann, wenn für die so Beschäftigten Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Altersrenten anstehen. Hier ist in den meisten Fällen der entwürdigende Gang zum Sozialamt der letzte Ausweg.
Nach wie vor folgt das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik dem Gedanken eines Reparaturbetriebs des Wirtschaftsgeschehens. Darin wird davon ausgegangen, daß neben der eigenen Arbeit zwei weitere Säulen das System der sozialen Sicherung austarieren: das Vermögen und die Familie. Erst wenn auch diese beiden Säulen versagen, greift das System der sozialen Sicherung. Wichtige Sozialleistungen sind in unserem Sozialsystem an Anwartschaften geknüpft, die durch Teilnahme am Arbeitsmarkt erworben werden. Dabei spielen einerseits die Sozialversicherungspflicht des Beschäftigungsverhältnisses und andererseits die Höhe des Einkommens eine Rolle. Alle diejenigen, die nicht eine kontinuierliche Erwerbsbiographie vorweisen können, sind dementsprechend zusätzlich mit hohen sozialpolitischen Risiken belastet.
Für einen großen Teil von Leistungsbeziehern und -bezieherinnen wirkt sich die enge Verknüpfung von sozialer Sicherung und Arbeitsmarkt immer dann in schleichendem Sozialabbau aus, wenn der Arbeitsmarkt die angenommenen sozialen Bedingungen nicht hergibt. Keine Ganztagsbeschäftigung - keine ausreichende Bezahlung - kein Dauerarbeitsverhältnis.
Für Ostdeutschland ist schon heute absehbar, daß durch die von mir beschriebene Entwicklung drei Viertel der Bevölkerung künftig voll oder teilweise von Sozialeinkommen leben müssen, die überwiegende Zahl - wenn die derzeitige Sozialzuschlagsregelung 1992 bzw. 1995 ausläuft - garantiert von Sozialhilfe. Damit ist die finanzielle Belastung der Kommunen vorprogrammiert und die Sozialhilfe ist nicht mehr Einzelfallhilfe in besonderen Problemsituationen, sondern übernimmt de facto die Funktion einer Grundsicherung auf minimalem Niveau zur dürftigsten Abdeckung der eklatantesten Notlagen.
Aus all diesen Gründen treten wir für ein soziales Sicherungssystem ein, daß den Rechtsanspruch auf ein Grundeinkommen garantiert, unabhängig von Tätigkeit auf dem Arbeitsplatz, von Vermögen und Familienbande.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Ich komme zum letzten Satz. - Bei allem Respekt vor dem Volumen des Haushalts des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung: Einer solchen Forderung für ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben für alle trägt dieser in keiner Weise Rechnung.
Danke.
({0})
Frau Abgeordnete Ina Albowitz, Sie haben das Wort.
Frau Bläss, ich hoffe wenigstens, daß Sie selber all das glauben, was Sie hier vorgetragen haben.
({0})
Manchmal frage ich mich bei aller Bescheidenheit, ob Sie sich eigentlich nicht schämen - nicht Sie persönlich, sondern Ihre Partei. Denn wenn Sie uns nicht dieses marode System hinterlassen hätten, müßten
wir uns heute nicht um die Sorgen der Menschen und ihre massiven Probleme kümmern.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, der bereits vor der Vereinigung der größte Einzelhaushalt war, hat weiter an Gewicht gewonnen. Der Ansatz dieses Einzelplans ist auf über 88 Milliarden DM gestiegen. Das entspricht der Größe des gesamten Bundeshaushalts im Jahre 1970 in der ehemaligen Bundesrepublik, also allein in Westdeutschland. Gegenüber dem Haushalt 1990 bedeutet dies einen Zuwachs von fast 20 Milliarden DM, der fast ausschließlich einigungsbedingt ist.
Größe alleine ist jedoch nicht Ausdruck erfolgreicher Sozialpolitik. Weniger wäre mehr; denn es würde signalisieren, daß die schwierigen sozialen Probleme in den neuen Bundesländern gelöst wären.
Zwar gibt es positive wirtschaftliche Anzeichen, aber bevor hier eine wirkliche Wende einsetzt und auf den Arbeitsmarkt durchschlägt, ist noch eine längere Durststrecke zu überwinden. Darüber sollte sich keiner Illusionen machen.
Allein 8,8 Milliarden DM an Zuwächsen entfallen auf Zuschüsse und Erstattungen an die Rentenversicherung in den neuen Bundesländern. Damit wird dem Stellenwert, den wir der schnellen Verbesserung der Situation der Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland beimessen, deutlich Rechnung getragen. - Herr Dreßler, ich denke, auch Sie sollten zuhören.
Mit der Sozialunion am 1. Juni vergangenen Jahres begann die Aufholjagd der ostdeutschen Renten. Das Nettorentenniveau beträgt seitdem wie in Westdeutschland 70 %, und die Renten nehmen an der allgemeinen Lohnentwicklung teil. Betrug die durchschnittliche Rente in der ehemaligen DDR am 30. Juni 1990 erst 493 Mark ({2}), so wird sie am 1. Juli dieses Jahres auf 820 DM steigen.
({3})
Das ist eine Rentenanhebung um 66 % innerhalb von 12 Monaten. Dennoch bleiben die Renten in Ostdeutschland auch dann noch im Durchschnitt erst auf halber Höhe der westdeutschen Renten. Wenn die soziale Einheit Wirklichkeit werden soll, werden die Renten im Osten noch über mehrere Jahre stärker steigen müssen als im Westen.
Über die Rentenanpassung im Beitrittsgebiet zum 1. Juli dieses Jahres um 15 % ist in den letzten Wochen viel und leider häufig auch falsch berichtet worden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal folgendes deutlich betonen: Diese Rentenerhöhung stellt sicher, daß die Renten der aktuellen Lohnentwicklung in den neuen Ländern folgen und damit ihrer Funktion als Alterslohn gerecht werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Wege zur sozialen Einheit ist das Rentenüberleitungsgesetz. Mit diesem Gesetz werden ab 1992 alle Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Beitrittsländer übertragen. Die Rentenüberleitung wird für große Bevölkerungsgruppen in den neuen Bundesländern erhebliche Verbesserungen bringen. Ich möchte hier auf zwei Punkte eingehen.
Zu den besonders Benachteiligten in der früheren DDR gehörten die Witwen. Waren sie erwerbstätig, gab es im Sterbefall des Mannes keine Witwenrente. Erhielt die Frau eine eigene Altersversorgung, so betrug die Witwenrente nur 15 % der Rente des Mannes. Sie alle können mir wohl darin zustimmen, daß so etwas nicht besonders frauenfreundlich war, wie es uns manche in diesem Haus manchmal glauben machen wollten.
({4})
Die Übertragung unseres bewährten Hinterbliebenenrentenrechts wird all diesen Witwen eine Rente in Höhe von 60 % der Rente des Mannes bringen. Auch diese jetzt in ganz Deutschland geltende Regelung ist nicht die optimale Lösung. Die Möglichkeit einer Reform ist ständig zu prüfen. Trotzdem ist die Anpassung von größter sozialpolitischer Bedeutung. 150 000 Witwenrenten werden erstmals gezahlt, 900 000 Witwenrenten werden deutlich verbessert. Nach vorläufigen Schätzungen wird sich die Einkommenssituation der Witwen allein dadurch um durchschnittlich 280 DM im Monat verbessern. Fast die Hälfte der Kosten, die das Rentenüberleitungsgesetz verursacht, entfällt somit auf die Verbesserungen bei den Witwenrenten.
Es gibt aber auch einen Punkt, meine Damen und Herren, in dem meiner Ansicht nach allerdings noch Verbesserungen im Rahmen der Rentenüberleitung notwendig sind. Für Frauen aus den neuen Bundesländern werden die Kindererziehungszeiten nur bis 1995 nach den günstigeren ehemaligen DDR-Vorschriften berechnet. Nach DDR-Recht wurden teilweise mehrere Jahre pro Kind angerechnet, und es spielte keinerlei Rolle, ob die Frauen nach der Geburt des Kindes berufstätig waren oder nicht.
({5})
Frauen aus den neuen Bundesländern, die ab 1995 Rente erhalten, müssen deshalb unter Umständen mit einer geringeren Auszahlung rechnen. Dann werden pro Kind nämlich teilweise nicht nur weniger Erziehungsjahre anerkannt, sondern in den meisten Fällen wirken sich die Kindererziehungszeiten überhaupt nicht rentensteigernd aus, weil die Frauen in der ehemaligen DDR in der Regel durchgehend einer Beschäftigung nachgingen.
Ich empfinde diesen Tatbestand als dringend überprüfungsbedürftig,
({6})
wenngleich die Situation aller Rentnerinnen durch die sonstigen Vorteile der Rentenüberleitung deutlich verbessert wird.
Die Lösung dieses Problems liegt in einer Reform bis 1995, die die gröbsten Ungerechtigkeiten in dieser Richtung beseitigt und zudem eine Forderung berücksichtigt, die von der FDP schon lange vertreten wird: Kindererziehungszeiten müssen anerkannt werden,
({7})
und zwar unabhängig von der Frage, ob die Frauen nach der Geburt des Kindes ihre Berufstätigkeit unterbrochen haben oder nicht. Erst damit wird die Kindererziehung nachhaltig als gesellschaftliche Leistung anerkannt.
({8})
Das gleiche gilt übrigens auch für die Pflege von Angehörigen. Nach Ansicht der FDP muß diese Problematik im Kontext gelöst werden. Ich denke, dies ist eine Aufgabe der kommenden Jahre.
({9})
Meine Damen und Herren, ich stelle zu diesem Punkt fest: 1,3 Millionen Witwen wird es nach Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes bessergehen. Ich stelle weiter fest: Wir haben auch noch Probleme zu lösen. Herr Dreßler, darin sind wir uns wieder einig.
Über den Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert. Im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost hat die Bundesregierung für 1991 und 1992 5,5 Milliarden DM für AB-Maßnahmen bereitgestellt. Damit sollen rund 148 000 zusätzliche AB-Stellen neu bewilligt werden. Zusammen mit den im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vorgesehenen 130 000 neuen Förderungsmaßnahmen können etwa 280 000 Arbeitslose über AB-Maßnahmen beschäftigt werden.
Diesem Vorgehen hat die FDP nur mit einigen Bedenken zugestimmt. Nur die ganz besondere Situation auf dem Arbeitsmarkt der neuen Bundesländer rechtfertigt ein solches Programm. Es muß aber sichergestellt werden, daß über AB-Maßnahmen keine dauerhafte Konkurrenz für die mittelständische Wirtschaft aufgebaut werden darf. Es muß uns allen klar sein, daß der Aufschwung in den neuen Ländern nur über eine funktionierende mittelständische Wirtschaft gelingen kann.
({10})
Deren Entstehen darf nicht dadurch abgewürgt werden, daß ihr Aufträge über die Vergabe von AB-Maßnahmen weggeschnappt werden. Wir brauchen nicht steuerverzehrende Einrichtungen, sondern Betriebe, die Steuern erwirtschaften.
({11})
Wer in diesem Hause Träumen nachhängt, daß die Beschäftigung von Millionen von Menschen über solche staatlichen Eingriffe auf Dauer gesichert werden soll, dem muß klar sein, daß dieses den Bankrott unseres Wirtschaftssystems bedeuten würde.
({12})
Zum einen wäre die öffentliche Hand mit einer solchen Finanzierungsaufgabe völlig überfordert, zum anderen würden dann die produktiven Kräfte in Verwendungsbereiche gelenkt, wo ihr Einsatz nicht effizient ist.
In den neuen Ländern muß sich aber eine Struktur der Beschäftigung herausbilden, die sich an den Erfordernissen des Marktes orientiert. Andernfalls wird die Wirtschaft in den neuen Ländern nie konkurrenzfähig, und der Milliardentransfer von West nach Ost nimmt dann ständig zu statt ab.
Dies muß bei der Einrichtung von AB-Maßnahmen immer berücksichtigt werden und bedeutet, daß diese Praxis in so starkem Maße nur vorübergehend angewandt werden darf.
({13})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch ein Wort zur Pflegeproblematik. Unbestritten besteht Handlungsbedarf. Unbestritten muß die Absicherung von Pflegepersonen weiter verbessert werden. Aber ebenso sollte man nicht vergessen, daß das Risiko, pflegebedürftig zu werden, deutlich niedriger liegt als bei den anderen Risiken, für die die großen sozialen Sicherungssysteme eintreten. Deshalb ist es gerechtfertigt und unseres Erachtens auch notwendig, dieses Risiko anders zu bewältigen als in diesen Systemen.
Deshalb ist es auch notwendig, vor der Überbelastung der nächsten Generation, unserer Kinder, nachdrücklich zu warnen und eine andere Finanzierung vorzusehen,
({14})
die das berücksichtigt, wofür die Koalition einmal angetreten ist, nämlich die Stärkung der Eigenverantwortung und der Eigenvorsorge.
({15})
Wer jetzt den vermeintlich einfacheren Weg wählt, wird schon bald, aber dann wohl leider zu spät, erkennen, daß dies ein Irrweg ist.
Meine Damen und Herren, gerade die vor uns liegenden gewaltigen Aufgaben in Deutschland bei der Realisierung der sozialen Dimension des europäischen Binnenmarkts verpflichten uns, den Anstieg der Belastungen der Bürger durch Beiträge und Steuern zu begrenzen, wenn wir nicht Leistungskraft und Leistungsbereitschaft in unserer Volkswirtschaft hemmen und damit auch die Basis unserer sozialen Sicherung in Frage stellen wollen.
Noch ein Wort zu der Rede von Herrn Dreßler. „Sozial", Herr Dreßler, auf der Parteifahne stehen zu haben und zu meinen, damit habe man die Sozialpolitik allein gepachtet, genügt nicht.
({16})
Sozialpolitik, und zwar eine gute, machen in diesem Hause auch andere. Aber im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege, wissen wir vorher, daß das Geld, das wir ausgeben, erst erwirtschaftet werden muß, bevor wir es einplanen.
Ich danke Ihnen.
({17})
Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Wollenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der ersten Debattenrunde über den diesjährigen Haushalt ist uns von der Regierungsseite folgendes vorgerechnet worden. Die sozialstaatliche Einheit werde in diesem Jahr mit 100 Milliarden DM finanziert. Der auf 88 Milliarden DM angewachsene Sozialetat sei eine angemessene Antwort auf die aktuellen sozialen Herausforderungen. Allein für den Arbeitsmarkt würden 35 Milliarden DM bereitgestellt; davon gingen immerhin 20 Milliarden DM in die neuen Bundesländer. Damit seien die dringlichen sozialen Probleme, vor allen Dingen die weiterhin alarmierend wachsende Massenerwerbslosigkeit, zu bewältigen. Das Geld sei da, nun müßten vor allem Initiative, Innovationsfreudigkeit und Engagement mobilisiert werden. Entscheidend für das Gelingen sei nun der menschliche Faktor, wie Herr Arbeitsminister Blüm es ausgedrückt hat.
Klingt das nicht ein bißchen wie das sprichwörtliche Märchen vom tüchtigen Hans im Glück? Herr Minister, glauben Sie wirklich, daß die Menschen nur die Ärmel aufkrempeln und ihren Grips anstrengen müßten? Das ist sicherlich etwas zu kurz gedacht und läßt vor allen Dingen die Auswirkungen der Erwerbslosigkeit und die damit verbundenen psychosozialen Belastungen völlig außer acht.
In der Tat, derzeit bewegt die Menschen in den neuen Bundesländern vor allem eines: die durch den Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft ausgelöste Krise des Arbeitsmarktes und die unaufhaltsam ansteigende Massenerwerbslosigkeit. Die Regierung tut so, als ob es sich dabei lediglich um die Begleiterscheinungen einer Übergangskrise handle, die in wenigen Jahren zu bewältigen sei. Entsprechend reagiert sie mit Maßnahmen wie der Verlängerung der Kurzarbeiterregelung, die ursprünglich Ende Juni auslaufen sollte, bis zum Jahresende. Desgleichen sollen nun auch die in den neuen Bundesländern geltenden besonderen Regelungen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen um sechs Monate bis Ende 1991 verlängert werden. Die Altersgrenze für die Inanspruchnahme von Altersübergangsgeld soll von derzeit 57 auf 55 Jahre herabgesetzt werden. Ferner sollen die Selbständigen in der ehemaligen DDR nachträglich in die Arbeitslosenunterstützung einbezogen werden.
Qualifizierung und Mobilität werden als Zauberformeln gehandelt. Aber es fehlt eine konkrete Antwort auf die entscheidende Frage, welche Ausbildung, welche Branche und welcher Standort eine Zukunft haben werden. Eine bislang ungekannte Perspektivlosigkeit wird zukünftig insbesondere den vielen Jugendlichen zu schaffen machen, die keine Ausbildungsplätze bekommen.
Die Pro und Kontras der von der Regierung geplanten Maßnahmen sind bereits in der ersten Debattenrunde ausgetauscht worden. Ich möchte daher heute grundsätzlicher die Rolle der Sozialpolitik in diesem Umstrukturierungsprozeß thematisieren.
Der ökonomische Crash-Kurs im Osten geht einher mit einer völligen Umwälzung des gesamten sozialen Gefüges. Dabei werden Lebenschancen und Existenzgrundlagen neu verteilt. Diese Umstrukturierung ist nun bereits unter dem Vorzeichen eines selektiven Prozesses angelaufen, der dazu führen wird, daß die Frauen zurück an den Herd geschickt werden, daß die ältere Generation generell beiseite gedrängt wird und daß die im Sinne marktwirtschaftlicher Bewertung weniger Leistungsfähigen ausgegrenzt werden.
Im neuen Gefüge werden Menschen, die mobil, anpassungsfähig, rundum leistungsfähig und verfügbar sind, schnell oder jedenfalls eher ihren Platz finden. Wer diese Charaktereigenschaften aufweist, wird teilweise auch die Chance bekommen, den materiellen Lebensstandard zu verbessern.
Gleichzeitig werden aber die anderen auf der Strecke bleiben, d. h. materiell an den Rand gedrängt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden.
Herr Kollege Strube hat vorhin gesagt, daß jede dritte DM dafür ausgegeben wird, daß die Bundesbürger ein stabiles soziales Netz haben. Stabil mag das soziale Netz sein; ich fürchte nur, es ist sehr durchlässig.
Die Aufgabe einer präventiv eingreifenden Sozialpolitik wäre es daher, den derzeit ablaufenden ökonomischen und gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozeß im Sinne derjenigen mitzugestalten, die ansonsten zwangsläufig im Konkurrenzkampf um Lebenschancen und Gestaltungsmöglichkeiten den kürzeren ziehen werden. Anstatt jedoch diesem unsozialen Selektionsprozeß entgegenzuwirken, begnügt sich konservative Sozialpolitik damit, diesen Prozeß bestenfalls materiell etwas abzufedern. Mehr noch: Sie befördert ihrerseits die Ausgliederung bestimmter Gruppen aus dem Erwerbsleben mit entsprechenden sozialpolitischen Konzepten. Ich denke hier beispielsweise an Regelungen wie das vorgezogene Altersübergangsgeld, die Ausgleichsabgabe für Behinderte und die konkrete Ausgestaltung des Erziehungsurlaubs.
Ich möchte das im einzelnen kurz erläutern.
Erstens. Was das vorgezogene Altersübergangsgeld betrifft, so wird in den neuen Bundesländern die Möglichkeit angeboten, bereits mit 55 Jahren aus dem Erwerbsleben auszusteigen und vorzeitig in Rente zu gehen. Dabei ist aber der bruchlose Übergang in die Rente nicht gewährleistet, wenn die Person für die letzten sieben Jahre nicht eine Beschäftigungszeit von mindestens 64 Monaten nachweisen kann. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was die Menschen machen sollen, die in dieser Zeit unter Berufsverbot standen und nicht arbeiten konnten. Denen wird dieser Nachweis schwerfallen.
Diese Sonderregelung ist mit Blick auf die hohe Massenerwerbslosigkeit erfolgt. Das heißt, die ältere und nicht mehr so leistungs- und anpassungsfähige Generation soll ihren Platz für die Jüngeren räumen. Hier wird ein Weg beschritten, der sich im Westen als fragwürdig erwiesen hat. Seit längerem schon verweist die Altersforschung nämlich auf die negativen Folgenwirkungen eines verfrühten Ausgliederungsprozesses älterer Menschen aus dem Erwerbsleben. Insbesondere wird deshalb davor gewarnt, weil damit in der Regel auch eine gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung einhergeht und individuell das
Gefühl des Nicht-mehr-Gebrauchtseins aufkommt. Hinzu kommt, daß sich dieser verfrühte Ausgliederungsprozeß auf das spätere Rentenniveau negativ auswirkt.
Zweitens. Auch mit der Ausgleichsabgabe bei Nichteinhaltung der Behindertenquote in den Betrieben hat man im Westen jahrelang Erfahrungen gesammelt. Dieses Instrument taugt nicht, wenn man das Ziel der Integration von behinderten Menschen ins Erwerbsleben tatsächlich verfolgt. Im Gegenteil: Für die Betriebe hat sich dieses Instrument als relativ billige Möglichkeit erwiesen, die Einstellung von Behinderten zu umgehen. Die derzeit anlaufende Umstrukturierung des Arbeitsmarkts in den neuen Bundesländern wird daher mit Sicherheit zu Lasten behinderter Menschen gehen. Wenn es wahr ist, daß die Güte einer Gesellschaft daran gemessen werden muß, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht, ist das sehr beunruhigend.
Drittens. Auf die Situation von Frauen wird meine Kollegin Christina Schenk in einem Beitrag zum Etat des Frauenministeriums ausführlich eingehen. Ich beschränke mich deshalb auf einen Aspekt: Wie die bekanntlich höhere Erwerbslosenquote von Frauen zeigt, ist der Prozeß der Ausgliederung von Frauen aus dem Erwerbsleben bereits voll im Gang. Selbst bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die ja nur eine zeitlich begrenzte individuelle Lösung darstellen, sind die erwerbslosen Frauen mit 38,5 % unterrepräsentiert. Im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost wird nun angestrebt, daß Frauen zumindest bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entsprechend ihrer Erwerbslosenquote von 55,2 % beteiligt werden.
Die Ausgliederung von Frauen aus der Erwerbsarbeit wird grundsätzlich jedoch durch die konservative Sozialpolitik mit Absicht befördert, z. B. durch die Weigerung, ausreichende Mittel für öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, und durch die geschlechtsspezifisch konzipierte Erziehungsgeldregelung.
Diese gegen die ökonomische Selbständigkeit der Frauen gerichtete sozialpolitische Orientierung findet nun eine Entsprechung in der Rentenpolitik. Dort wird nicht auf die eigenständige Altersabsicherung von Frauen gesetzt, sondern künftig sollen auch die Frauen in den neuen Bundesländern verstärkt auf die vom Mann abgeleitete Witwenrente verwiesen werden. Insgesamt wird das demnächst zur Verabschiedung anstehende Rentenüberleitungsgesetz eine Vielzahl von sozialen Ungerechtigkeiten produzieren. Ich zitiere hierzu eine grundsätzliche Bewertung des im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung geladenen Sachverständigen Axel Azzola:
Es ist ({0}) fraglich, ob ein Eingriff in ein im wesentlichen beitragsfinanziertes öffentlich-rechtliches Versicherungssystem, der massiv die Bezieher niedriger Renten und fast alle Frauen, die Renten aus eigenem Recht beziehen, zugunsten anderer Personen und Anwartschaften benachteiligt, einer Nachprüfung unter den Gesichtspunkten der Gleichbehandlung und des Eigentumschutzes ({1}) standzuhalten vermag.
Ich komme zum Schluß. Ihre Sozialpolitik, Herr Blüm, beschränkt sich hauptsächlich darauf, diesen Umstrukturierungs- und Selektionsprozeß materiell abzusichern. Aber auch dies passiert nur unzureichend. Sowohl bei Erwerbslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit als auch im Alter garantiert ihre Politik existenzsichernde Einkommen nicht. Sie ignorieren damit das auch im Westen gegebene Problem der alten und der neuen Armut und die daraus abgeleitete Forderung nach einem garantierten Mindestniveau von Sozialleistungen.
In den neuen Bundesländern geht es derzeit um die Beibehaltung und Dynamisierung des Sozialzuschlags, der dort vorübergehend ein solches Mindestniveau garantieren sollte. Dabei haben sich mittlerweile bereits unterschiedliche Absicherungsniveaus entwickelt. Der Mindestbetrag bei Erwerbslosigkeit nähert sich mit seinen 495 DM der Sozialhilfeschwelle, die im Osten einen Regelsatz von 400 DM - plus Mietkosten und einmalige Leistungen - vorsieht und deren Anhebung derzeit auf Länderebene ohnehin anstünde. Statt die dem Sozialzuschlag zugrundeliegende Idee einer materiellen Mindestabsicherung - ohne Rückgriff auf das Einkommen von Angehörigen und Ehegatten - beizubehalten und auf den Westen zu übertragen, soll dieser nun abgebaut werden.
Gerade in diesem sozialpolitisch so relevanten Punkt zeigt sich der Widersinn einer Handlungsmaxime, die sich völlig der Idee versperrt, es könnte auch einmal etwas Gutes vom Osten in den Westen übertragen werden.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wollenberger, wenn ich der Meinung wäre, die Sie mir unterstellt haben, nämlich es komme nur darauf an, die Ärmel hochzukrempeln und Grips anzuwenden, dann bräuchte ich heute gar keinen Sozialhaushalt vorzulegen.
Wir legen doch einen Sozialhaushalt vor, weil wir glauben, daß es der Solidarität bedarf, allerdings einer Solidarität, die sehr wohl auch auf Eigenverantwortung angewiesen ist. Es ist in der Tat auch eine mentale Revolution, daß der Staat nicht alles absichert.
({0})
- Ja; ganz langsam; Sie können es mitschreiben. Ich übersetze es Ihnen: Durch einen Bewußtseinswandel gegenüber der Planwirtschaft bietet die Soziale Marktwirtschaft den Vorteil, daß sie auf Initiative und nicht auf Kommando von oben reagiert.
({1})
Darunter hat doch Ihre Versorgungswirtschaft gelitten: daß sie nur aufs Kommando reagierte. Sie war nicht fähig, Wohlstand und Freiheit zu schaffen.
({2})
- Ich meine die sozialistische Planwirtschaft, der auch Sie in der SPD, wie ich weiß, lange angehangen haben.
({3})
- Dementieren Sie doch bitte nicht Ihre eigene Geschichte! Sie haben doch noch heute Schwierigkeiten, das Wort „Soziale Marktwirtschaft" in Ihr Grundsatzprogramm hineinzuschreiben, ohne rot zu werden. Schreiben Sie es doch hinein!
({4})
Ich will heute aber nicht über die SPD, sondern über den Haushalt sprechen. Ich will, damit es keinen Irrtum gibt, noch einmal sagen: Geld entscheidet noch nicht über die Qualität des Sozialstaats. Andererseits können Sie nicht zwei Vorwürfe gleichzeitig erheben. Sie können nicht einerseits sagen, das Zurverfügungstellen von Geld sei Ausdruck der sozialen Not, je mehr Geld zur Verfügung gestellt werden müsse, desto mehr Not herrsche, und andererseits den Vorwurf erheben: Ihr laßt die Armen im Stich. Beides können Sie nicht gleichzeitig sagen.
({5})
Jede dritte Mark dieses Haushalts - und damit wiederhole ich die Worte meines Kollegen Strube und auch meiner freidemokratischen Mitstreiterin - geht in den Sozialetat.
Herr Kollege Dreßler, wollen Sie wirklich die Behauptung aufrechterhalten, der Sozialetat sei - ich habe das mitgeschrieben - eine Restgröße anderer Politikfelder? Wollen Sie das wirklich aufrechterhalten? 88 Milliarden DM fließen allein in den Haushalt des Bundesarbeitsministers; davon sind 18 Milliarden DM einigungsbedingt. Hinzu kommen noch 20 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit.
Als wir hier in Westdeutschland nach dem Krieg mit der Aufbauarbeit anfingen, war der Umfang des Gesamtetats der Bundesrepublik geringer als heute die einigungsbedingten Ausgaben des Sozialetats. Damals hat der Gesamtetat 16 Milliarden DM betragen; der Einzelplan 11 belief sich auf 1,7 Milliarden DM. Nun weiß ich, daß absolute Zahlen nichts sagen und daß die Relation wichtiger ist: Damals, 1950, in schlechten Zeiten - es waren schlechte Zeiten auch hier in Westdeutschland - , betrug der Anteil des Sozialetats an den Gesamtausgaben 10 %. Heute hat der Einzelplan 11 mit einem Volumen von 88 Milliarden DM einen Anteil von 20 % am Gesamthaushalt.
Der Haushalt des Bundesarbeitsministers - das trage ich nur vor, um Proportionen klarzustellen - ist mit Abstand der größte Einzelplan. Er ist nicht Restgröße, sondern er ist der finanziell dominierende Plan dieses Haushalts.
({6})
Gegenüber 1990 steigt er um 7 %, gegenüber 1982 - Herr Kollege Dreßler, das ist doch das letzte Jahr sozialdemokratischer Regierung - steigt er um 50 %. Wenn das Restgröße ist, was war das denn zu Ihrer Zeit, als sein Anteil viel geringer war?
({7})
In der Tat - das haben wir hier schon häufig behandelt - haben wir uns hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Wiedervereinigung verschätzt. Wir haben das Desaster der SED für geringer gehalten, als es war; das gebe ich zu. Allerdings: Wir haben die Gelegenheit der nationalen Einheit mutig genutzt. Besser bei den Folgen verschätzt als die Ursachen verpennt!
({8})
Hätten wir gezaudert, hätten wir gezögert, hätten wir konföderiert - das sind doch alles Vorschläge, die von Sozialdemokraten von diesem Pult vorgetragen worden sind; ich entsinne mich an Lafontaine -,
({9})
so wäre die deutsche Einheit schon heute nicht mehr herbeizuführen. Heute wäre die Tür schon wieder zugeschlagen.
({10})
Deshalb bleibe ich dabei: Wir haben die nationale Einheit geschaffen, zusammen werden wir auch die soziale Einheit schaffen.
({11})
Ich habe noch etwas mitgeschrieben und will fragen, ob der Kollege Dreßler das wirklich ernst meint: „Originäre Mitverantwortung für das SED-Desaster". Wollen Sie das der Bundesregierung vorhalten? „Originäre Mitverantwortung für das SED-Desaster"?
({12})
Meine lieben Kollegen, soll ich mich auf das Niveau hinunterbegeben?
({13})
Da müßte ich sagen: Sie haben doch mit der SED gemeinsame Papiere gemacht.
({14})
Da begehen also die einen Fahrerflucht, wir kommen als Rettungswagen, und die Polizei will uns verhaften. So ähnlich ist das doch.
({15})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, hier ist doch niemand im Saal, der die große Aufgabe leugnet, der nicht weiß, daß viele Leute in den neuen Bundesländern, Männer und Frauen, alte und junge, auch Angst um ihre Zukunft haben. Das wollen wir doch
nicht vom Tisch wischen. Nur durch die Beschreibung der Zustände haben Sie die Zustände noch nicht verändert. Sie von der SPD sind Weltmeister der Diagnostik, aber mit der Therapie hapert es ein bißchen. Das ist so ähnlich wie: Der Doktor kann Ihnen sagen, an was Sie sterben, aber er sagt Ihnen nicht, wie Sie geheilt werden sollen.
({16}) Nein, wir handeln.
({17})
Die Sozialunion hat noch keinen Geburtstag, es ist noch nicht 12 Monate her; sie wird demnächst Geburtstag haben. Wir werden doch nicht in 12 Monaten das, was die SED in 40 Jahren angerichtet hat, beseitigen können. Da wollen wir doch einmal die Proportionen wahren.
({18})
Also noch mal: Ich wische das nicht vom Tisch. Aber Sie suhlen sich immer in den schlechten Nachrichten. Heute sagte der Kollege Dreßler: Die westdeutsche Konjunktur trübt sich ein. Er hat sie doch zehn Jahre schwarzgemalt. Die kann sich doch gar nicht eintrüben, wenn das gestimmt hat, was er zehn Jahre von diesem Tisch erzählt hat. Dann kann es nie hell gewesen sein.
({19})
So suhlen Sie sich in die schlechten Nachrichten ein.
Nochmals: Ich will die Ängste und Probleme nicht vom Tisch wischen. Aber richtig ist doch auch: Das Ifo-Institut erwartet für dieses Jahr allein aus dem alten Bundesgebiet private Investitionen - ({20})
- Nein, für das Rotwild sind Sie zuständig, Herr Vogel.
({21})
Auch die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau hat deutlich gemacht, daß sich ihre Erfahrungen in keiner Weise mit dem Pessimismus decken. Man kann einen Kranken auch zu Tode reden. So entfallen von den in diesem Jahr erteilten 60 000 Kreditzusagen allein 45 000 auf den Ostteil unseres Landes, mit einem Gesamtvolumen von 6,2 Milliarden DM.
Ich war vor ein paar Stunden in der Kanzlerrunde mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und den Ministerpräsidenten der fünf neuen Bundesländer. Da habe ich mit eigenen Ohren Ihren Kollegen Stolpe gehört, meines Wissens Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Das war das Kontrastprogramm zu Rudolf Dreßler.
({22})
- Doch. Da müssen Sie sich einmal einigen.
({23})
- Bitte, Herr Kollege Dreßler, wenn Sie vielleicht nachholen wollen, bei Stolpe beidrehen wollen, wäre ich Ihnen dankbar. Dann hätten wir wieder Einheit in der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Abgeordneter, Sie sehen die begeisterte Zustimmung des Arbeitsministers.
Herr Bundesminister, können Sie mir eine Bewertung aus Ihrer Sicht der Überschrift der Nachrichtenagentur „Associated Press" vom gestrigen Tag geben, die da schreibt:
Kohl führt Niederlage in Hamburg auf erfolgreiche Bonner Politik zurück.
({0})
Ich bin nicht für Presseagenturen zuständig. Fragen Sie die Presseagenturen, wie irgend etwas zustande kommt.
({0})
Außerdem bin ich hier eigentlich nicht angetreten, Wahlanalysen zu betreiben. Ich betreibe Analyse der Zustände in der Bundesrepublik mit dem dazugehörigen Therapieteil.
Aber ich lasse mich trotzdem von Stolpe nicht abbringen, auch mit dem Trick nicht, auch wenn Sie noch drei Agenturen haben.
({1})
Stolpe hat heute mittag gesagt, daß die fünf neuen Bundesländer, also auch der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, sehr wohl dieses Gemeinschaftswerk, das wir hier beschlossen haben, begrüßen und als eine Grundlage für Fortschritt betrachten. Also, machen Sie doch nicht alles schlecht!
Ich bleibe dabei: Daß unsere Arbeitsmarktpolitik wirkt, ist unbestreitbar.
({2})
- Das ist aber nicht zum Lachen. - Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit bringt unsere Arbeitsmarktpolitik in den fünf neuen Bundesländern eine Entlastung von genau 1,8 Millionen Arbeitslosen. Würden wir sie nicht betreiben und die Dinge - wie haben Sie gesagt? - treiben lassen - ich habe noch mehr solche Wörter da; lassen wir sie einmal beiseite - , hätten wir nicht das Altersübergangsgeld, ABM, Qualifizierungsmaßnahmen, Kurzarbeit, dann hätten wir 1,8 Millionen Arbeitslose mehr. Wir fahren das ganze Programm doch optimal. Nie gab es
- selbst in den westdeutschen Ländern nicht - mehr Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den fünf neuen Ländern. Nach der zuletzt vorgelegten Zahl waren es 85 000. In drei Tagen - halten Sie die Luft an! - wird der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit neue Zahlen liefern. Er wird damit all Ihre Miesmacherei widerlegen; denn wir werden auf mehr als 100 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gekommen sein. Das ist doch ein Erfolg, oder?
({3})
Allein im Monat April gab es in den fünf neuen Bundesländern 73 000 Eintritte in Qualifizierungsmaßnahmen. Wissen Sie, es steckt ja auch eine ungeheure Leistung dahinter, so etwas zu organisieren.
Sie sollten die Leistungen der Arbeitsverwaltung, der Unternehmer, der Gewerkschaften, der Betriebsräte, die das zustande gebracht haben, von diesem Pult aus nicht miesmachen.
({4})
Alle, die dazu beigetragen haben, schütze ich vor der Dreßlerschen Miesmacherei. Das ist meines Amtes.
({5})
Ich kann Ihnen ja einmal einige AB-Maßnahmen schildern. So wird in Thüringen mit ABM der bekannteste und längste Wanderweg Deutschlands wieder flottgemacht.
({6})
ABM ist keine Beschäftigungstherapie, sondern es wird Sinnvolles bei der Rekultivierung, im sozialen Bereich geleistet. In Bitterfeld machen 2 100 im Rahmen einer AB-Maßnahme Beschäftigte in einem Großprojekt aus einer verseuchten Gegend wieder eine lebendige Landschaft. Es gibt viele Betätigungsfelder.
({7})
- Ich halte es für besser, wir geben das Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus, als daß wir Arbeitslosigkeit passiv verwalten.
({8})
20 Milliarden DM werden für solche Maßnahmen allein in den neuen Bundesländern und 15 Milliarden DM in den westdeutschen Ländern bereitgestellt, und der sozialdemokratische Sprecher kommt daher und sagt, das sei nichts.
({9})
- Wir sollten einmal festhalten, daß ABM von den Sozialdemokraten attackiert wurde.
Inzwischen sind in den alten Bundesländern über 2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden, davon 800 000 allein im vorigen Jahr. Mit 1,88 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 1990 sind wir endlich wieder unter der 2-Millionen-Grenze. 40 % der Arbeitsämter in den alten Bundesländern verzeichnen eine Arbeitslosenquote von weniger als 5 %, 24 % der Arbeitsämter - das ist ein Viertel - sogar eine Arbeitslosenquote zwischen 2 % und 4 %.
Im europäischen Maßstab liegen wir im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit an der Spitze, auch im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Das ist überhaupt kein Grund - das muß ich immer wieder hinzufügen - , selbstzufrieden die Hände in den Schoß zu legen. Jedem, der sich um Arbeit sorgt, der Angst um seinen Arbeitsplatz hat, muß geholfen werden. Aber wir sind in den letzten Jahren ein großes Stück vorangekommen. Unsere Wirtschaftspolitik war doch erfolgreich. Ich sage noch einmal: Wir haben 2 Millionen neue Beschäftigte. Das ist ein Beschäftigungsrekord. Nie gab es mehr Beschäftigung in Westdeutschland, seit überhaupt Statistiken geführt werden.
Wir müssen uns denen zuwenden, die es besonders schwer haben. Das sind die Langzeitarbeitslosen. Wie der Kollege Strube berichtet hat, haben wir durch unser Langzeitarbeitslosenprogramm erreicht, daß es 7 000 Langzeitarbeitslose weniger gibt. Es hat also gewirkt. Ich finde, wir dürfen nicht nur in großen Zahlen denken. Viele kleine Schritte sind wichtig.
Ich appelliere auch an Unternehmer und an Handwerksmeister, auch denen, denen es schwerfällt, in die Erwerbswelt zurückzukehren, die Hand zu reichen und ihnen bei den ersten Schritten zu helfen. Wer lange Jahre der Arbeit entwöhnt war, der hat es schwer. Dem kann nicht nur mit Geld geholfen werden.
Den Behinderten zu helfen, halte ich für erforderlich, denn auch sie haben ein Recht auf Arbeit. Keine Unterstützung kann ersetzen, daß man sich mit seinen eigenen Händen seinen Lebensunterhalt verdienen will.
Jetzt noch ein paar Worte zur Rentenpolitik. Auch da habe ich Schlimmes gehört. „Entschlußloses Tändeln" hieß es. Soll ich Ihnen einmal die entschlußlose Tändelei der letzten zwölf Monate vor Augen führen?
- „Entschlußloses Tändeln" ist der O-Ton der SPD. - 30. Juni 1990, Eckrente: 602 DM. 1. Juli 1990, einen Tag später, mit der Sozialunion: 672 DM. 1. Januar 1991: 773 DM. 1. Juli 1991: 889 DM. Die durchschnittliche Rente ist in den fünf neuen Bundesländern in den letzten zwölf Monaten um 66 % gestiegen. Das nennen Sie von der SPD Tändelei. Das war handfeste Hilfe für die Rentner.
({10})
Da vertraue ich darauf, daß die Rentner den Schaum der Demagogie nicht mit der Realität verwechseln. Die Realität heißt: Diese Regierung hat den Rentern in den fünf neuen Bundesländern mit einer durchschnittlichen Rentensteigerung von 66 % geholfen.
({11})
Jetzt die Rentenüberleitung madig zu machen
- lieber Herr Dreßler, beschädigen Sie doch nicht Ihr eigenes Werk! Wir übertragen doch nur das, was wir 1989 im Rentenkonsens gemeinsam beschlossen haben. Jetzt plötzlich soll das alles reaktionär und Gott weiß was noch alles sein. Sie haben diesem Rentenkonsens nicht nur Ihre Stimme gegeben, sondern Sie haben ein großes Verdienst daran, daß dieser Rentenkonsens zustandegekommen ist.
(Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]
Machen Sie doch nicht ihr eigenes Denkmal kaputt! Ich muß Sie ja vor sich selber schützen.
({12})
Wir machen nichts anderes, als das, was wir gemeinsam beschlossen haben, jetzt zu übernehmen. Zu einer Systemdebatte und dazu, was man alles noch besser machen kann, fällt mir noch ungeheuer viel ein. Dies sage ich, damit niemand glaubt, ich sei am Ende meiner Phantasie. Aber im Moment geht es nicht um eine Systemdebatte, sondern wir haben im Mo1868
ment nur die Wahl: entweder schnell den Rentern zu helfen oder eine lange Systemdebatte zu führen. Meine Antwort ist: Ich bin dafür, daß wir schnell helfen.
({13})
Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage zu beantworten?
Bitte schön.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete.
Herr Minister, könnten Sie mir bitte die Frage beantworten, was alle die Rentner und Rentnerinnen in Alters- und Pflegeheimen in der ehemaligen DDR von ihren Rentenerhöhungen haben, da sie seit dem 1. April zu fast 99 % zu Sozialhilfeempfängern geworden sind und dies als eine sehr große Demütigung empfinden?
Aber diese Sozialhilfe ist höher, als die Mindestrente im alten DDR-Recht war. Das ist richtig.
({0})
Lassen Sie mich noch eines sagen - darüber will ich keinen Zweifel bestehen lassen - : An einer Stelle war das DDR-Rentenrecht besser, und das müssen wir auch im Zusammenhang mit der Klärung der Pflegefrage bei uns klären. Das alte DDR-Rentenrecht hatte an einer Stelle eine bessere Regelung, nämlich in der Absicherung der Schwerbehinderten. Da war es besser. Das finde ich sehr richtig.
({1})
- Auf die Frauen komme ich gern zu sprechen. Ihre großen Kindererziehungsjahre - wissen Sie, was das war? Sechs Mark für ein Kind! Sie mußten fünf Kinder haben, um auf ein Kinderjahr ({2}) zu kommen.
({3})
Bei uns bringt ein Kindererziehungsjahr 30 DM. In der ehemaligen DDR mußten Sie also fünf Kinder haben, um so viel Kindererziehungszeiten angerechnet zu bekommen, wie man hier mit einem Kind bekommt, und das war damals noch Ost-Mark.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Frau Abgeordnete Würfel, bitte sehr.
Herr Minister,
({0})
stimmen Sie mir zu, daß es nicht so ganz zulässig ist, die Kindererziehungszeiten ({1}) - je sechs Mark pro Kind - mit den Kindererziehungszeiten ({2}) zu vergleichen, wenn bei uns leider nur die nichtberufstätigen Frauen in den Genuß dieser Kindererziehungszeit in der Rente kommen, während es ja in der DDR die berufstätigen Frauen waren
({3})
- fast alle - , die in den Genuß dieser Kindererziehungszeiten kommen? Insofern ist es nicht ganz zulässig, dies so zu tun.
({4})
Ihre Frage bringt mich noch auf mehr. Deshalb bin ich auch sehr dankbar dafür. Ich will noch darauf hinweisen, daß diese sechs Mark statisch und nicht dynamisch waren und nicht die Rente begründet haben. Das ist richtig. Die alte DDR-Regelung hatte noch mehr Nachteile.
Sie hatte bei der Bewertung der Erwerbstätigenzeit eine bessere Regelung. Wie ich weiß, wollen wir uns ja auch bei der weiteren Reform über solche Regelungen unterhalten. Nichtsdestotrotz war die Regelung weder dynamisch noch rentenbegründend, und das sind unsere Kindererziehungszeiten. Deshalb wollen wir sie auch gemeinsam in der Koalition feiern, weil wir sie gemeinsam durchgesetzt haben.
({0})
Sie hatten dann mit der CDU/CSU mehr Glück, denn das haben Sie bei der SPD nicht durchgesetzt.
Herr Bundesarbeitsminister, auch ich bin an dem Thema sehr interessiert, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Sie jetzt normalerweise noch eine halbe Minute Redezeit haben.
({0})
Ich bin weit davon entfernt, Ihnen das grundgesetzlich gesicherte Recht zu beschneiden, aber Sie wissen auch, daß Sie Ihren Kollegen aus der Fraktion die Redezeit wegnehmen. Ich glaube, es ist in Ihrem eigenen Interesse und im Interesse Ihrer Fraktion, wenn Sie den Versuch der Konzentration unternehmen.
({1})
Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir bei der Konzentration dadurch helfen, daß Sie den Saal etwas stiller stellen. Dann
kann ich noch konzentrierter sein, als ich von Natur aus bin.
({0})
Diese Aufforderung nehme ich gern auf.
Mein letztes Wort - das ist ja heute in allen Diskussionsbeiträgen vorgetragen worden -: Ich finde es gut, wenn dieser Bundestag in dieser Legislaturperiode endlich das Pflegethema befriedigend beantwortet, wobei es nicht nur auf die Häufigkeit des Risikos ankommt, sondern auf die Schwere des Risikos. Das Pflegerisiko ist eines der schwersten Risiken. Dafür hat unser Sozialstaat bis zum heutigen Tag keine befriedigende Antwort gefunden. Deshalb lade ich alle ein, daß wir in dieser Legislaturperiode zwei große Aufgaben lösen: die soziale Einheit Deutschlands zu vollenden und der Pflege endlich eine anständige sozialstaatliche Antwort zu geben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung. Wer für den Einzelplan 11 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung - in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Damit ist der Einzelplan 11 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit
- Drucksachen 12/515, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Arnulf Kriedner Dr. Wolfgang Weng ({0}) Uta Titze
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/651 vor.
Interfraktionell wird eine Debattenzeit von 45 Minuten vorgeschlagen. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden, so daß ich das als beschlossen feststellen kann.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat das Wort die Frau Abgeordnete Titze.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, die Arbeit im Bundestag schwächt, aber nur die Sehkraft.
Herr Blüm, es würde mich ja reizen, zu Ihnen einiges zu sagen. Ich habe selten so gelacht, seit ich hier bin.
({0})
- Wenn es immer so zugeht, um so besser. Das ist
erheiternd. Da sagt man immer: Die Frauen fürs Gefühl, die Männer für den Verstand. Bei Blüm ist das gerade umgekehrt.
({1})
Ich komme zu meinem Einzelplan. Die Katze ist heute aus dem Sack. Ich meine damit natürlich nicht Sie, Frau Hasselfeldt, sondern das Haushaltsvolumen des Einzelplans 15 sowie dessen Einzelheiten. Und siehe da, es erweist sich, daß diese Katze ein arg gerupftes und mageres Tierchen ist,
({2})
obwohl - selbst aus der Sicht der sonst so sparsamen Haushälter - die Möglichkeit bestanden hätte, das Tierchen durch etwas Kraftfutter, sprich: Geld, aufzupäppeln.
Die SPD kritisiert massiv, wie auch bereits während der Debatte über die Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Gesundheitspolitik für diese Regierung offensichtlich eine untergeordnete Rolle spielt. - Ein bißchen lauter Herr Kollege, dann kann ich kontern; vom reinen Zwischenrufen, was ich akustisch nicht verstehe, haben wir alle nichts. - Glaubt man allerdings den Märchen und Umfragen
- womit ich natürlich nicht sagen will, daß ich jede Umfrage für ein Märchen halte - , so spielt die Gesundheit eine zentrale Rolle im Leben jedes einzelnen.
({3})
- Ja, ja, ich werde es gleich bestätigen, sogar aus den Reihen Ihrer Ministerin. Zitat:
Niemand stellt ernsthaft in Frage, daß die Gesundheit eines unserer höchsten Lebensgüter ist.
So Frau Hasselfeldt vor sieben Tagen in Mainz vor katholischen Ärzten.
({4})
- Ja, sage ich auch, bravo. Wenn das aber so ist, Frau Hasselfeldt, dann frage ich mich natürlich, warum ausgerechnet beim Einzelplan 15 so kleinkrämerisch um jede Ausgabe gefeilscht werden mußte; ich sage es einmal ein bißchen polemischer und präziser: um ganz bestimmte Ausgaben für ganz bestimmte Gruppen. Da kommen wir an dem gesamten Komplex der Aidsbekämpfung nicht vorbei.
Noch im Jahre 1988 wurden 120 Millionen DM für Aidsaufklärung, Modellvorhaben und angewandte Forschung ausgegeben. Der Ansatz im Jahre 1990 lag nur noch bei rund 102 Millionen DM. In der ersten Kabinettsvorlage des Finanzministers wurde dieser Betrag auf nur noch 85 Millionen DM für 1991 abgespeckt. Warum, weiß der Kuckuck. Verzeihung, Herr Waigel, Sie wissen es sicherlich. Vielleicht weiß es auch Frau Hasselfeldt. Nur hat sie es vorgezogen, die Begründung dafür schuldig zu bleiben.
Die Kürzung der Mittel für die Aidsbekämpfung ist mir deshalb um so unverständlicher als immerhin
16 Millionen Menschen in den neuen Bundesländern hinzugekommen sind
({5})
- ja, ja, kommt gleich, Herr Kollege - , was faktisch nicht nur eine Ausweitung der Aufgaben sondern auch des Finanzvolumens zur Bewältigung dieser Aufgaben bedeutet. Jetzt könnte es natürlich sein, weil Sie sagen: „nicht zu Aids", daß die Ministerin glaubt oder Sie alle, daß in der DDR nur brave Bürger leben, für die Aids ein Fremdwort ist. Daran glaube ich nicht. Es könnte natürlich auch eine andere Erklärung geben. Für diese Bundesregierung, speziell das BMG, ist Aids kein Thema mehr.
({6})
Zitat:
Ein Streit über die Finanzmittel in der Frage Aids ist tödlich.
Das stammt nicht von mir; so der Vorsitzende der Enquete-Kommission Aids Hans-Peter Voigt, einer Ihrer Parteigenossen, nicht von der SPD. Ein CDU-Mitglied.
({7})
Ich teile dessen Einschätzung genauso.
Warum also dann Kürzungen der Mittel, z. B. für die deutsche Aids-Hilfe? Warum denn der Schlußstrich unter die Finanzierung der großen Anzahl von Modellprojekten? Dieses differenzierte, eng verflochtene, langjährig aufgebaute Netz von Hilfen in unseren Großstädten ist massiv gefährdet. Da hilft mir auch nicht der Hinweis von Frau Hasselfeldt auf die zeitliche Begrenztheit der Finanzierung aus Bundesmitteln für Modellprojekte, so nach dem Motto: Die haben ja gewußt, daß das dieses Jahr ausläuft. Das ist für mich nicht mehr als ein schlechter Witz.
({8})
Leidtragende dieses bedrückenden, ja beschämenden Vorganges sind die Aidskranken und HIV-Infizierten, aber auch jene - was habe ich hier gehört? ich traue meinen Ohren nicht, daß hier „versifft" kam -, die sich in den nächsten Jahren anstecken oder erkranken werden.
Aidsexperten hüten sich davor, an Entwarnung zu denken. Das werden wir sinnigerweise garantiert in der geplanten öffentlichen Anhörung am Mittwoch nächster Woche hören. Ich frage mich natürlich, warum diese Anhörung erst nach der Beendigung dieses Haushalts stattfindet
({9})
und nicht jetzt, wo sie hingehört. Dieses Geheimnis kann uns wohl nur die Ministerin persönlich verraten.
({10})
Vielleicht hatte sie Angst, mit unangenehmen Wahrheiten konfrontiert zu werden, auch wenn sie in ihrer
Entgegnung sicher sagen wird: Aber liebe Frau Titze, es handelt sich um die Rolle von Aids in Ostdeutschland und in osteuropäischen Ländern. Ostdeutschland gehört nun einmal mit zu uns und muß mit bedacht werden.
({11})
- Das glaube ich nicht. Ich kenne sie aus dem Wahlkampf. Sie ist eine sehr kluge Frau.
Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht bei der Aidsprävention eine vollständige Streichung der Mittel bis 1994 vor. Ich bin keine Juristin und will Sie daher nicht mit verfassungsrechtlichen Details langweilen.
({12})
- Ja, das finde ich auch. - Meiner Meinung nach ergibt sich die Bundeskompetenz bei der Aidsbekämpfung aber - jetzt hören Sie sehr gut zu - aus Art. 74 Nr. 19 des Grundgesetzes sowie, sofern man sich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Juli 1987 zu Gemüte führt, selbst aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes. Daher fordern wir, die SPD-Fraktion, gemeinsam mit allen in diesem Bereich tätigen Gruppen den Erhalt der Bundesmodellprojekte, und zwar so lange, bis die Bundesländer in der Lage sind, die Anschlußfinanzierung sicherzustellen.
({13})
- Wann das sein könnte? Dann ändern Sie doch Ihre Steuergesetze! Beteiligen Sie doch die Länder an neuen Einnahmequellen! Dann wäre das kein Problem.
({14})
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Würfel zuzulassen?
Ja, gerne. Kann sein, daß ich sie beantworten kann. Sie können es ja probieren.
Frau Kollegin, als ich gelesen habe, daß die Aidsprävention so zurückgefahren werden soll, war ich genauso besorgt; aber dann leuchtete mir ein - ich bitte Sie, mir zu beantworten, ob Ihnen das nicht auch einleuchtet - , daß Modellprojekte es nun einmal an sich haben, an dem Zeitpunkt auszulaufen, bis zu dem sie geplant sind. Jedes Bundesland wußte, daß ab dem Zeitpunkt, für den das Auslaufen vorgegeben war, es die Kosten für die Weiterführung zu übernehmen hätte.
Das ist vollkommen richtig, Frau Würfel, nur hat sich die Situation durch das, was sich im Zuge der deutschen Einigung ereignet hat, historisch geändert.
({0})
Das heißt, die Länder werden mit zusätzlichen Aufgaben belastet. Wenn man ihnen dann nicht die Möglichkeit der Erschließung neuer Finanzquellen - ({1})
- Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden! Daß Männer so dazwischensabbeln, ist für mich eine völlig neue Erfahrung.
({2})
Frau Würfel, prinzipiell haben Sie recht. Aber als die Beschränkung der Modellprojekte bis 1994 anvisiert wurde, war - das liegt in der Natur der Dinge - die Situation eine andere.
Dann kommt noch etwas hinzu. Wenn Sie mit Vertretern der Aids-Hilfe reden, sagen sie - das wäre jetzt ein sehr langes Thema - , daß sich einige Modelle als nicht sehr praktikabel erwiesen hätten, so daß man bei den Selbsthilfegruppen neue Wege gehen muß und die Modelle einen anderen Charakter bekommen müssen bzw. ganz neue Modelle aufgelegt werden müssen. Das heißt, der Modellcharakter bei der Bekämpfung der Aidskrankheit ist faktisch noch da, also kann ich die Finanzierung nicht unter Verweis auf die Beendigung des Modellcharakters abstoppen.
({3})
Heute früh hat mich eine Hiobsbotschaft der Deutschen Aids-Hilfe von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erreicht. Sie sagen, sie hätten heute früh den Bescheid über den Etat 1991 erhalten. Fazit: exakt gleiche Personal- und Sachmittel wie 1990, witzigerweise aber mit einer zusätzlichen Stelle für einen Ostreferenten verbunden. Das ist schön, das verlangen wir auch, aber dann muß man auch mehr Geld zur Verfügung stellen, oder man riskiert, Herr Blüm, daß wieder einer arbeitslos wird; aber das ist dann Ihre Sache.
({4})
- Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Ich wollte gerade sagen: „Wir haben noch einen zweiten Kritikpunkt." Ich habe sogar fünf, wenn Sie aufmerksam zuhören.
Ich komme zu einem zweiten Kritikpunkt: die eingesetzten Mittel für das Notprogramm Trinkwasser. In einer Kleinen Anfrage der SPD der Abgeordneten Susanne Kastner und anderer wurde die Bundesregierung aufgefordert, aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur ungenügenden Umsetzung der EGGrundwasserrichtlinie endlich rechtliche Konsequenzen zu ziehen. Aber damit nicht genug: Sie wissen auch, daß Mitte Mai die Generalstaatsanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofes der Bundesregierung ebenfalls vorgeworfen hat, die EG-Bestimmungen zur Reinhaltung des Trinkwassers nicht ausreichend zu beachten. Schon das ist für mich eine Schande. Jetzt wissen wir aber alle, daß der Zustand des Trinkwassers in Ostdeutschland katastrophal ist. Angesichts dieser Situation ist mir unverständlich, daß für die dringend notwendige Trinkwasseraufbereitung und -analyse statt der etwa 60 Millionen DM, die Experten für notwendig halten, 5 Millionen etatisiert worden sind.
Dritter Kritikpunkt; um den Kollegen zu befriedigen, es geht weiter.
({5})
- Bitte, bitte. - Die Koalition hat in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers eine Sache versprochen - Sie werden es vergessen haben, aber wir nicht - : eine Organisationsreform der Krankenversicherung. Hier erwarten wir klare Zielangaben, Frau Hasselfeldt. Aber Fehlanzeige bis heute auf der ganzen Linie.
Vorletzter Punkt: Aus dem Einzelplan 15 ist nicht zu entnehmen, daß die zuständige Ministerin 15 Jahre nach der Vorlage der Psychiatrie-Enquete des Deutschen Bundestages und sechs Jahre nach Auslaufen des von den SPD-Ministern aufgelegten Modellprogramms Psychiatrie aktiv zu werden gedenkt. Auch hier unerledigte Hausaufgaben.
Letzter Punkt - allerdings nicht, was eine inhaltliche Bewertung und Gewichtung angeht -: die Situation der Beschäftigten aus der Ex-DDR. Der Rudi ist noch da. Rudi, ich will dir oder den verehrten Kollegen und Kolleginnen aus dem Ausschuß für AuS keine Konkurrenz machen ({6})
- ich meine unseren Rudi, nicht Ihren; ich meine Rudi Dreßler - aber als Haushälterin steigt mir die Galle hoch, wenn ich realisiere, wie Sie auch im Geschäftsbereich des BMG mit Menschen umgehen. Da werden Menschen zeitlich befristete Arbeitsverträge zugemutet, die laut Tarifrecht - das wissen Sie genau - gesetzwidrig sind, da die Gründe für die Befristung, also Mutterschutz oder Urlaubsvertretung, überhaupt nicht vorhanden sind. Was ist das denn anderes als eine auf 18 Monate ausgedehnte Probezeit?
Auch der Wegfall der kw-Vermerke - das ist ein Haushaltsbegriff - bezieht sich beileibe nicht nur auf alle Planstellen - ({7})
- Herr Deres, Sie wissen es genau. Ihnen sage ich es deshalb auch nicht.
({8})
Jetzt muß ich aus dem Nähkästchen plaudern. Die Haushälter sind ja gemein, wenn ein Neuer kommt. Sie haben mir erklärt, „kw" heißt „künftig wichtig". Ich dachte: Ja mai, ist ja alles kw. An sich heißt es: kann wegfallen. Das haben sie mir im letzten Moment gesagt, damit ich die Fraktion nicht blamiere.
({9})
- Nein, die Kollegin Konstanze Wegner hat mich in diesem Bereich aufgeklärt.
Ich will noch ganz kurz wegen der Leute, die wir aus dem Osten übernommen haben, ernst werden. Daß die überwiegende Anzahl der Planstellen laut Aussage der Vertreter aus dem Hauptpersonalrat bis 1995
gefährdet ist, ist natürlich keine Perspektive. Das wäre eine weder für Sie noch für diese Menschen.
Frau Abgeordnete, Ihre Selbstbeschränkung, nur noch ganz kurz reden zu wollen, wäre im Hinblick auf das lange leuchtende rote Licht außerordentlich hilfreich.
Ach so. Ich habe nur ein Auge. Das tut mir leid. Ich habe das - Ehrenwort - nicht gesehen. Jetzt komme ich aber zu meinen Schlußbemerkungen.
Mir drängt sich die Frage auf, Frau Hasselfeldt: Mit welchen Konzepten wollen Sie das BMG dazu bringen, die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts, was das Wartenschleifen-Urteil betrifft, zu erfüllen?
Letzte Bemerkung: Die vom Kollegen Klaus Kirschner im Rahmen der Debatte um die Regierungserklärung geäußerte Bewertung der Tätigkeit unserer neuen charmanten Gesundheitsministerin gilt auch heute noch. Da nützen auch keine Ankündigungen für eine nationale Kampagne „Ohne Rauch geht's auch" . Ich wäre Ihnen dankbar, wenn das für alle Ausschüsse gälte. Gesetze müssen her. Ich meine, die Bewertung stimmt bis jetzt. Frau Hasselfeldt, Sie haben leider keinen sehr guten Start gehabt. Ich füge hinzu: Sie haben auch keinen gelungeren gewollt.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Kollegin Titze, auch meinen Glückwünsch zu Ihrer Jungfernrede. Sie haben sehr viel Heiterkeit in dieses Haus getragen. Ich bin manchmal darüber erheitert gewesen, wie man Dinge darstellen kann, die eigentlich ganz anders sind. Aber lassen Sie mich, ehe ich zu dem kontroversen Thema komme, einige Ausführungen machen, die ich für wichtig halte.
Gesundheit ist eines der höchsten unverzichtbaren menschlichen Güter. So definiert die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, die Gesundheit. Weil das so ist, begrüßt die CDU/CSU-Fraktion, daß sich jetzt ein Ministerium um die gesundheitlichen Belange in Deutschland kümmert. Für die Menschen in den neuen Bundesländern füge ich hinzu: Hier wird die Unterstützung des neuen Hauses beim Aufbau eines leistungsfähigen G esundheitswesens besonders dringlich benötigt.
Ich erkenne die Leistungen aller im Gesundheitswesen tätigen Ärzte, Schwestern, Pfleger und Sonstiger in der ehemaligen DDR ausdrücklich an. Die letzten tragen ganz gewiß keine Schuld für das dortige miserable und zusammenbrechende Gesundheitssystem.
Ich sage an dieser Stelle aber auch: Ich kann die hohle Phrase von den sogenannten sozialistischen Errungenschaften, die von manchen noch vorgetragen wird, einfach nicht mehr hören.
({0})
Wer etwa den Alltag eines Krankenhauses für Normalbürger in der ehemaligen DDR kennt, weiß, wie hier mit hochtrabenden Worten Schindluder getrieben worden ist.
({1})
Diese Situation in den neuen Ländern hat uns bei den Haushaltsberatungen bewegt. Frau Kollegin Titze, diese Lage in den neuen Bundesländern war auch Anlaß für eine große Anzahl überproportionaler Ansatzerhöhungen. Ich stimme mit Ihnen natürlich darin überein, daß noch einiges mehr wünschbar gewesen wäre; aber man muß das Machbare tun.
Ich will aufzählen, worum es bei den Ansatzerhöhungen ging: Aufklärungsmaßnahmen über die Krankenversicherung, notwendige Regelungen für den Übergang der nachgeordneten Behörden des ehemaligen DDR-Gesundheitsministers, ein Notprogramm für die modellhafte Aufbereitung von Trinkwasser - für mich zu wenig, aber immerhin ein Einstieg -, Maßnahmen zur Vorsorge und Früherkennung von Krankheiten, Qualifizierung und verbesserte Information der im Gesundheitswesen der neuen Länder Tätigen, Erstattung der Kassenleistung für die Pflege erkrankter Kinder - ein Riesenbetrag -, die Weiterbildung der Ärzte im Beitrittsgebiet - auch ein umstrittenes Thema, bei dem wir im Haushaltsausschuß Erfolg hatten - und vor allem Maßnahmen, die der Versorgung chronisch Kranker und Schwerstpflegebedürftiger dienen, vorgesehen. Allein diese Maßnahmen addieren sich auf rund 400 Millionen DM. Deshalb verstehe ich die Kollegin der SPD-Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht, die hier gesagt hat, das wären alles - ich sage das mit einem modernen Wort - Peanuts. Für mich sind das Leistungen, die sich sehen lassen können.
({2})
Hinzu kommen die in den anderen Ansätzen für die neuen Bundesländer enthaltenen Anteile, insbesondere bei der Krebsbekämpfung, bei der Bekämpfung und Abwehr von Sucht und Drogen und bei der Arzneimittelforschung. Hier werden auch Akzente für eine zukunftsgerichtete Gesundheitspolitik in den alten Bundesländern gesetzt. Ich verhehle nicht - ich sage das noch einmal; Frau Kollegin Titze, auch Sie haben darauf bereits hingewiesen -, daß an Hand der verfügbaren Finanzmittel nicht jede wünschenswerte Verbesserung im Haushalt plaziert werden konnte. Besonders beim Ansatz für Aids-Hilfen hat es eine kontroverse Diskussion gegeben. Eines muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden: Es geht nicht, daß die Länder mit dem Bund Vereinbarungen über Modellversuche treffen und daß sie sich dann, wenn die Vereinbarungen einzuhalten sind, darauf berufen, daß sie damit im Grunde gar nichts zu tun hätten, weil es ja Bundesprogramme seien. Meine Damen und Herren, die alten Bundesländer sind mit
ihren erhöhten Steuereinnahmen bisher die Profiteure der deutschen Einheit!
({3})
Sie hätten in diesem Jahr die Möglichkeit gehabt, in ihren Haushalten Vorsorge zu treffen. Deshalb erwarte ich - ich erwarte das auch im Sinne anderer notwendiger Maßnahmen in den neuen Bundesländern, Stichwort: Trinkwasser, Stichwort: Suchtgefahren - , daß die Bundesländer im Jahre 1992 ihrer Verantwortung für diese Aids-Programme gerecht werden. Denn wir haben in diesem Land eine Aufgabenteilung; dann müssen die Bundesländer ihre Haushaltsmittel dort einsetzen, wo sie hingehören.
({4})
Ich appelliere an die Bundesländer, das zu tun, weil es sich bei solchen Mitteleinsätzen um eine Solidaritätsleistung handelt.
Wir haben nichtsdestotrotz - Ihnen nicht ausreichend, aber immerhin - eine Kompromißlösung erzielt. Der ursprünglich auf 85 Millionen DM reduzierte Ansatz für die Aids-Bekämpfungsmaßnahmen ist auf rund 91 Millionen DM angehoben worden. Das mag für die Betroffenen zu wenig sein, ist aber wenigstens ein gewisser Ausgleich bei den auch von den Berichterstattern beklagten Reduzierungen.
({5})
Der Bund kann nicht - ich sage das noch einmal - und darf auch nicht auf Dauer normale Aufgaben der Länder finanzieren.
({6})
Herr Abgeordneter, die Abgeordnete Frau Dr. Fischer möchte ganz gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Ja, bitte.
Bitte.
Bei allem, was Sie sagen, bewegt mich eine Frage. Sie sind wie ich aus der ehemaligen DDR, fast aus dem gleichen Gebiet. Sie haben eingangs die Situation der Krankenhäuser usw. geschildert. Wie erklären Sie sich, daß die Säuglingssterblichkeit in der DDR niedriger gewesen ist als in der BRD.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr genau, wie man Statistiken über Säuglingssterblichkeit fälschen kann.
({0})
Ich sage Ihnen - das sage ich einmal sehr deutlich, weil ich das sehr genau weiß - : Es kommt nämlich darauf an, welchen Zeitraum nach der Geburt Sie bei der Berechnung der Säuglingssterblichkeit zugrunde legen. Da ich den Schlüssel in der ehemaligen DDR
nicht kenne, kann ich Ihnen auch nicht sagen, ob diese Zahlen überhaupt vergleichbar sind. Ich würde an solche Vergleiche nur mit langen Fingern und sehr vorsichtig herangehen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eine sehr, sehr kurze Redezeit, um hier die Fragen, um die es geht, zu begründen. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich beim Zulassen von Zwischenfragen zurückhaltend bin.
Die Einrichtung eines neuen Ministeriums erbringt meistens auch Mängel in der Infrastruktur. So gibt es in einigen Bereichen des Gesundheitsministeriums, z. B. beim Fahrdienst, beim Botendienst und im Sekretariatsbereich, erkennbare Schwierigkeiten. Der Haushaltsausschuß erwartet, daß die Bundesregierung beim Haushaltsentwurf 1992 Vorschläge unterbreitet, die eine reibungslose Arbeit des neuen Ministeriums ermöglichen.
Einen wichtigen Beitrag leisten im Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland die dem Ministerium nachgeordneten Behörden. Dazu gehören das Bundesgesundheitsamt, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information sowie das Paul-Ehrlich-Institut. Auch hier war bei der Ansatzfindung die veränderte Situation in unserem Land zu berücksichtigen. Besonders intensiv ist der Ruf nach Information, Erfahrungsaustausch und Beratung seitens der in den neuen Bundesländern Beschäftigten. Dieser Notwendigkeit trägt der Haushalt 1991 ebenso Rechnung wie den Erfordernissen nach modernen Apparaten und moderner technischer Ausstattung.
Ich will an dieser Stelle auch bekunden: Nicht alle Notwendigkeiten sind vom Bund leistbar. Wenn ich etwa an die Errichtung neuer Krankenanstalten denke - denn manche sind in den alten Ländern nicht reparabel - , dann muß ich darauf verweisen, daß auch bei den Planungsabläufen der alten Bundesländer mit staatlichen Möglichkeiten allein nichts geschaffen werden kann. Wir werden uns darauf besinnen können, daß frei-gemeinnützige und auch private Träger schneller Leistungen erbringen können. Ich appelliere an die Frau Ministerin, dies in ihre zukünftigen gesundheitspolitischen Planungen mit einzubeziehen.
Ich appelliere in einer Frage ganz besonders an die Solidarität aller hier im Hause. Wir werden uns künftig überlegen müssen, welche zentralen Einrichtungen des Gesundheitswesens in die neuen Lander verlagert werden können oder bei Neueinrichtung dort geschaffen werden können. Der Haushaltsausschuß hat einen entsprechenden Auftrag bereits erteilt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zusammengefaßt kann ich sagen, daß dieser Haushaltsplanentwurf für den Einzelplan 15 den Erfordernissen der deutschen Einheit im Jahre 1 nach Erzielung der Einheit gerecht wird. Ich möchte mich bei allen im Hause des Gesundheitsministeriums dafür bedanken, daß sie uns kooperativ zur Seite gestanden haben, bei Ihnen, Frau Ministerin, für die Erleichterung der Arbeit der Berichterstatter und auch bei meinen beiden
Mitberichterstattern für die sehr konstruktive Arbeit. Ich bitte Sie, dem Haushaltsplanentwurf des Einzelplans 15 in der vorliegenden Fassung zuzustimmen.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An Herrn Kriedner gewandt, möchte ich sagen, daß ich das, was er gesagt hat, als eine Diskriminierung aller Kinderärzte zurückweise, die in den letzten 40 Jahren wirklich sehr viel geleistet haben.
({0})
Ich finde das echt beschämend.
Politische Zielsetzungen einer jeden Regierung kann man wohl am besten an der jeweiligen Höhe der Ausgaben in verschiedenen Bereichen des Haushalts prüfen. Nur liegt es mir fern, Ihnen hier eine komplexe Analyse vorzustellen, um Ihnen die Relation der Einzelbereiche zueinander zu verdeutlichen. Das kann jeder für sich selbst nachvollziehen. Aber ein paar Bemerkungen seien mir dazu gestattet.
Im Einzelplan Gesundheit sind bisher 1,36 Milliarden DM an Ausgaben geplant. Das sind genau 3,4 des Gesamtetats. Oder: Dies ist etwa das Doppelte der veranschlagten Kosten für den Bundeskanzler und das Bundeskanzleramt. Oder auch: 3,4 To sind nur ein Drittel der geplanten Mehrausgaben für den Bundesminister des Innern. Diese Beispiele sollen nur illustrieren, an welcher Stelle die Ausgaben des Bundes für die Gesundheit der Steuerzahler stehen.
Da aber in einer doch begüterten Bundesrepublik der Bürger sowieso die meisten Kosten seiner Gesundheitsversorgung als Kassenbeitragszahler trägt und Gesundheit auch, wie bekannt, mehr ist als das Freisein von Krankheit - da beziehe ich mich auf die WHO - , stellt sich die Frage, ob die Prävention und Sorge der Regierung um das Wohlergehen der Bürger finanziell so gestützt wird, wie es zu erwarten wäre.
Im Ministeriumbereich Gesundheit machen die einigungsbedingten Ausgaben für den östlichen Bereich 34 % aus. Das sind 468 Millionen DM von der veranschlagten Summe.
Die PDS/Linke Liste hat für genau diesen Ausgabenbereich einen Antrag zur Erweiterung des Bundeshaushaltsgesetzes bei Zuweisungen und Zuschüssen eingereicht, für den ich um Ihre Sympathie werbe. Wir beantragen darin, den Krankenkassen für 1991 die Kosten für die unentgeltliche Verabreichung von hormonalen Kontrazeptiva für Frauen in den neuen Bundesländern zu erstatten. Wir begründen dies damit, daß, obwohl Zuzahlungen für Arzneimittel für Bürger in den neuen Bundesländern erst ab 1. Juli 1991 zu leisten sind, Schwangerschaftsverhütungsmittel wie Bagatell-Arzneimittel jetzt von den Frauen selber voll getragen werden müssen, und das angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von Frauen.
Bei etwa 2,7 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter in den neuen Bundesländern und rund 150 DM
Ausgaben für hormonale Kontrazeptiva im Jahr - wir waren noch einmal in vielen Apotheken - wären Mittel in Höhe von 405 Millionen DM bereitzustellen. Angesichts der Summen, die z. B. für den Golfkrieg bereitgestellt worden sind, ist auch das für mich eine Bagatelle. Man könnte dem also ruhig zustimmen.
Der genannte Betrag ist außerdem im Zusammenhang mit den 300 Millionen DM zur Erstattung der Krankenkassenaufwendungen zur Pflege erkrankter Kinder zu sehen. Nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages gelten ja gewisse Leistungen der DDR für eine Übergangszeit fort. Allerdings meinen einige jetzt wohl, der Einigungsvertrag sei gar nicht geschlossen worden.
Wir plädieren für eine massive Erhöhung des Haushaltes im Bereich Gesundheit, der vorrangig die Präventionsmaßnahmen betrifft. Zu Aids wurde genug gesagt. Im Zusammenhang mit den Verhütungsmitteln habe ich mich erst einmal ausschließlich auf Frauen bezogen; an anderer Stelle werden wir das gerne erweitern.
Außerdem sehen wir, daß angesichts der europäischen Einigung in diesem Bereich im Prinzip keine Konzeption vorliegt, die auf dieses Ziel hinausläuft; denn auf europäischer Ebene sind ganz andere Vorschläge gemacht worden. Wir weisen jetzt schon darauf hin, daß angesichts des Haushalts 1992 Änderungsanträge von uns vehementer kommen werden.
Ich bedanke mich.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Kriedner das Wort.
Ich möchte nur zwei Bemerkungen zu dem eben gehörten Beitrag machen. Die erste: Es wundert mich, wie engagiert Sie hier reden, obwohl im Haushaltsausschuß zum Bereich Gesundheitswesen nicht ein einziges Mal ein Vertreter der PDS zugegen war.
({0})
- Offensichtlich auch bei anderen Themen nicht.
Das zweite: Ich weise hier ganz entschieden zurück, daß ich in irgendeiner meiner Ausführungen etwas gegen die in der ehemaligen DDR tätigen Kinderärzte oder gegen andere dort Tätige gesagt habe.
({1})
Ganz das Gegenteil ist der Fall. Sie haben unter miserablen Bedingungen eine hohe Leistung gezeigt.
Was ich kritisiert habe - vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört, Frau Kollegin - ist die miserable Art der Statistik, die in der ehemaligen DDR gang und gäbe war, wo Fälschung das normale Mittel der Statistik war.
({2})
Eine Kurzintervention, Frau Dr. Fischer. Ich bitte aber mit
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Rücksicht auf die gesamte Zeitlage, dieses Verfahren nicht extensiv zu nutzen.
Ich werde mich bemühen, mich wirklich kurz zu fassen. - Ich weiß nicht, worauf Sie sich beziehen. Ich weiß auch nicht, was Sie von Beruf sind. Sie sind jetzt Oberbürgermeister, und dahinter kann sich alles mögliche verbergen. Darunter gibt es im Moment auch viele Ärzte. Ich weiß auch nicht, ob Sie da eine wirkliche Übersicht haben.
Sie sollten wenigstens solche Äußerungen unterlassen. Die Ärzte bei uns - die Suizidrate ist ungeheuer hoch; ich fühle mich da unwahrscheinlich betroffen - werden in diesem Einigungsprozeß wirklich um ihre Berufsjahre betrogen. Sie werden in jeder Hinsicht diskriminiert. Selbst wenn es z. B. um Krippen geht, werden Kinderärzte diskriminiert. Wenn man das dem gegenüberstellt, was in den Krankenhäusern hier passiert, dann würde ich mich an Ihrer Stelle in Zukunft davor hüten, solche Bemerkungen zu machen, die mit Sicherheit unseren Berufskollegen in die falsche Kehle kommen.
({0})
Soweit noch Unklarheiten bestehen, bitte ich die Kontrahenten, diese in Privatgesprächen zu klären.
Der Abgeordnete Dr. Weng hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz an den Beitrag der Kollegin Titze erinnern, den wir hier vor einiger Zeit gehört haben. Ich will sagen: Ich habe erneut bedauert, daß es nicht die Möglichkeit gibt - so wie beim Eiskunstlauf - , zwei Wertungen zu geben: Für die ideologische Pflichtübung konnte sie nur Applaus von der linken Seite erwarten, aber was ihre Kür angeht, den Vortrag und die Lockerheit, in der sie das hier gemacht hat, so hätte ich gerne mitgeklatscht.
({0})
Meine Damen und Herren, die damals ja politisch umstrittene Aufteilung des früheren Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat in einem Teil, nämlich in dem neu entstandenen Gesundheitsministerium einschließlich der aus dem Arbeitsministerium übernommenen Aufgaben, ein sinnvolles Ergebnis gebracht. Der neue Einzelplan 15 setzt dies erstmals haushaltsmäßig um. Wir werden von seiten der FDP-Fraktion dem Bundesgesundheitsministerium große Aufmerksamkeit widmen und die notwendige Ausstattung in Zukunft gewährleisten. Ebenso selbstverständlich stellen wir uns der Aufgabe, das bewährte freiheitliche Gesundheitswesen unter Be - rücksichtigung der dortigen Besonderheiten in den neuen Bundesländern einzuführen. Die Versorgung für die neuen Bürger muß im Sinne von Verbesserungen überall unserem Standard angepaßt werden.
({1})
Es ist bedrückend, festzustellen, daß insbesondere durch die hohe Umweltbelastung in der ehemaligen DDR in vielen Fällen nicht nur der Gesundheitszustand der Menschen schlechter ist als bei uns, sondern daß es in der Lebenserwartung signifikante Unterschiede zu Lasten der neuen Bürger gibt. Dies muß sich ändern.
Die Koalitionsmehrheit im Haushaltsausschuß hat eine Reihe von Verbesserungen im Etatentwurf der Bundesregierung veranlaßt, die ich hier kurz schildern will, vielleicht, allgemein gesagt, mit dem Hinweis darauf: Mir ist klar, daß die Opposition jede Kürzung in solchen Bereichen angreift, daß sie überall größere Erhöhungen fordert. Das paßt ja immer gut damit zusammen, daß man gleichzeitig auch gegen Erhöhungen auf der Einnahmeseite, also gegen Steuererhöhungen, ist. Im Zweifelsfall stellt man die Gesamtrechnung eben nicht auf, weil man sie nicht verantworten muß. Ich sage das mit Blick auf die Zuhörer, die natürlich immer die Neigung haben werden, eine Verbesserung von Dingen, die man für gut hält und die auch wir für gut halten, zu befürworten. Aber man muß wirklich auch die andere Seite der Medaille sehen, d. h. man muß die finanzielle Gesamtsituation des Staates gerade im Lichte der großen Aufgaben in den neuen Bundesländern und des immensen Finanztransfers in die neuen Bundesländer betrachten. Dieser Gesamtverantwortung haben wir uns zu stellen. Deswegen muß manches - auch aus unserer Sicht - Wünschenswerte eben unterbleiben.
({2})
Ich nenne ein erstes Stichwort: Wir haben ein Notprogramm Trinkwasser verabschiedet. In vielen Bereichen der früheren DDR hat die Belastung des Trinkwassers mit Schadstoffen eine für die Menschen unerträgliche Dimension erreicht. Obwohl das Aufgabe der Länder ist - wir werden auch auf diesen Punkt unter dem Aspekt bestimmter Finanzausstattungen immer wieder hinweisen müssen - , unterstützt der Bund für eine Übergangsphase modellhaft nicht nur die Analysen des belasteten Trinkwassers, sondern auch die Aufbereitung in den Wasserwerken, um eine schnelle Verbesserung der Situation für die Bevölkerung zu erreichen. Ebenso werden Modelle der Abwasserklärung gefördert.
Ich brauche die Situation, die uns noch in alten Zeiten der Zweistaatlichkeit hier schon immer beschäftigt hat, gar nicht zu schildern. Ich erinnere mich allerdings gerne daran, daß wir noch zu Zeiten der Zweistaatlichkeit Umweltprojekte in der damaligen DDR aus dem Bundeshaushalt finanziert haben, denn Umweltbelastungen kennen keine Grenzen. Die Koalition - und mit ihr die FDP-Fraktion - hat diese Notwendigkeiten frühzeitig erkannt, und sie hat ihnen Rechnung getragen. Das Problem bleibt natürlich eine wesentliche politische Daueraufgabe.
Ich nenne einen weiteren wichtigen Bereich. Wir haben den Mittelansatz der Regierung für die Aids-bekämpfung wieder erhöht. Zwar ist es um diese Seuche, die nach meiner Überzeugung eine ernsthafte Bedrohung der Menschheit darstellt, etwas ruhiger
Dr. Wolfgang Weng ({3})
geworden, d. h. die Medien sind etwas ruhiger geworden, aber die Gefahr ist in keiner Weise geringer geworden oder gar gebannt. Die Ausbreitung schreitet fort. Leider hat die gewonnene Freizügigkeit auch in den neuen Bundesländern zu einer Verschlechterung der Situation geführt. Solange es keine Immunisierung oder die Möglichkeit einer konkreten Bekämpfung dieser heimtückischen Krankheit gibt, bleibt Vorsorge der einzige Schutz. Beratung, aber auch Begleitung der Betroffenen sind Aufgabe eines humanen Staates; die Möglichkeiten hierzu haben wir verbessert.
Die Koalitionsvereinbarung beinhaltet, daß das Problem der Versorgung pflegebedürftiger Menschen in dieser Wahlperiode gelöst werden muß. Sie wissen, daß sich die FDP von ihrem ursprünglichen Modell rein freiwilliger Vorsorge zu einem Pflichtmodell hin bewegt hat. Unabhängig davon, welche Lösung letztendlich zum Tragen kommen wird, haben wir von der Haushaltsseite her einen größeren Ansatz zur Entwicklung von Modellen zur Verbesserung der Versorgung Schwerpflegebedürftiger beschlossen.
Den gesunden Menschen ist oft nicht bewußt, wie schlimm Krankheit sein kann. Aber bei Krankheit besteht immer Hoffnung auf Heilung, auf Genesung, auf völlige Wiederherstellung. Noch viel bedrückender ist Pflegebedürftigkeit, die vollständige Abhängigkeit von anderen Menschen, seither auch sehr oft mit wirtschaftlicher Not verbunden.
Wie auch immer die Lösung aussehen wird, ich habe es gesagt: Den betroffenen Menschen muß und wird geholfen werden, und die oben genannten Modellversuche sind hierzu ein Beitrag.
({4})
Herr Abgeordneter Dr. Weng, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie langsam zum Schluß kommen müssen.
Herr Präsident, ich bin Ihnen für den Hinweis verbunden. Ich habe zwei Augen. Es blinkt auch auf beiden Seiten.
Die FDP-Fraktion wird dem Einzelplan 15 zustimmen und wünscht der Ministerin eine glückliche Hand bei der Erfüllung ihrer schwierigen Aufgaben.
({0})
Das gibt mir Veranlassung, der Frau Bundesminister für Gesundheit, Hasselfeldt, das Wort zu erteilen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist Unterstützung von seiten der FDP, Sie sehen es!
({0})
Die Deutschen leben immer länger: In den westlichen Ländern beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer heute 72, die der Frauen 79 Jahre.
({1})
Anfang der 70er Jahre lag sie um fünf Jahre niedriger, und von der Jahrhundertwende bis heute ist sie sogar um ca. 30 Jahre gestiegen.
Ich denke, dieses gibt schon Anlaß, darüber nachzudenken: Wo liegen die Ursachen? Es sind im wesentlichen die verbesserten Lebensbedingungen, die bessere Ernährung, das saubere Wasser, umfassende Impfaktionen, hervorragende Medizintechnik, ein hervorragendes Gesundheitswesen und vieles mehr. All dies, meine Damen und Herren, sind Erfolge unseres auf dem Prinzip der Selbstverwaltung basierenden Gesundheitswesens, sind Erfolge der allgemeinen staatlichen Gesundheitsfürsorge und sind Erfolge der gemeinschaftlichen Prävention. Das sind die erfolgreichen Einflußfaktoren für eine Gesundheitspolitik und für unser Gesundheitswesen. Nicht etwa milliardenschwere Staatssubventionen und staatlicher Gesundheitsdienst haben diesen Weg bereitet.
({2})
Genau dies, liebe Frau Titze, erklärt nämlich, warum der Einzelplan dieses Ministeriums zu den eher kleineren Etatpositionen des Bundeshaushalts gehört. Es ist schon richtig so: Staatliche Gelder allein garantieren eben keine Gesundheit. Wenn Sie sich die Ausgaben des Staates im Gesundheitswesen in der ehemaligen DDR anschauen - sie waren sehr hoch, aber sie haben nicht zu einer besseren Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beigetragen -, dann wird Ihnen deutlich, daß nicht ein staatliches Gesundheitswesen, sondern ein freiheitliches Gesundheitswesen das ist, was unsere Bürgerinnen und Bürger brauchen.
({3})
Meine Damen und Herren, eine der heute vordringlichsten Aufgaben - dies wurde von meinen Vorrednern aus den Koalitionsfraktionen bereits angesprochen - , ist die Angleichung des Gesundheitswesens in den neuen Ländern an das hohe Versorgungsniveau im Westen. Ein Großteil der dortigen Krankenhäuser muß grundlegend saniert, zum Teil neu gebaut und in weiten Bereichen modernisiert werden. Allein in Sachsen - so heute der Kollege Geißler - müssen zwei Drittel der Krankenhäuser neu gebaut werden, und etwa ein Drittel muß grundlegend modernisiert werden.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit all jenen, die in diesen Einrichtungen unter diesen Bedingungen Dienst an den Patienten, an den Kranken, geleistet haben und heute noch leisten, den Ärzten und dem Pflegepersonal, auch von unserer Seite aus ganz herzlich Dank dafür sagen, daß sie unter diesen Bedingungen gearbeitet haben und arbeiten.
({4})
Frau Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Fischer zu beantwoten? - Bitte sehr, Frau Dr. Fischer.
Frau Minister, ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie das gerade gesagt haben. Ich frage Sie jetzt: Werden Sie sich dafür einsetzen, daß die Berufsjahre der Kollegen und
auch der Schwestern des mittleren medizinischen Personals dort anerkannt werden?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß dies eine Entscheidung der Tarifparteien war. Ich verstehe die Sorgen der betroffenen Ärzte und Ärztinnen und des Pflegepersonals. Ich werde mich dafür einsetzen, daß es zu einer sinnvollen Regelung kommt.
({0})
Zur Bewältigung der ersten Sanierungaufgaben in den Krankenhäusern stellt u. a. das Gemeindekreditprogramm des Bundes 15 Milliarden DM zur Verfügung. Hinzu kommen weitere 5 Milliarden DM unmittelbare Investitionshilfen an die Kommunen aus dem Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost". Nun liegt es an denen, die vor Ort Verantwortung tragen, an den Kommunalpolitikern und den Landespolitikern, daß diese Mittel auch entsprechend eingesetzt werden.
({1})
Ich habe mir in den letzten Wochen mehrfach die Situation vor Ort angeschaut und habe dort auch mit Kommunalpolitikern diskutiert. Vorgesehen sind diese Gelder für Investitionen insbesondere für Schulen, Krankenhäuser und Altenheime. In manchen Regionen werden die Mittel auch sehr sinnvoll eingesetzt. Aber im Durchschnitt fließen etwa nur 25 % in diese sozialen Einrichtungen.
({2})
Der Rest landet im Straßenbau, auf Festgeldkonten und anderswo.
({3})
Dabei bestreite ich nicht, daß auch andere Investitionen notwendig sind. Allerdings sollten nun gerade die 5 Milliarden DM, die wir ganz gezielt für die Investitionsförderung der wichtigsten sozialen Einrichtungen zur Verfügung gestellt haben, nicht leichtfertig zweckentfremdet werden.
Nun wissen wir, daß nicht alles mit Geld allein geht, daß dieses aber auch notwendig ist. Die Investitionen, die gerade im Krankenhausbereich erforderlich sind, müssen mit einer langfristigen, bedarfsgerechten Krankenhausplanung der Länder verbunden sein. Nur dann macht es einen Sinn, und nur dann werden diese Gelder sinnvoll eingesetzt.
Frau Minister, der Abgeordnete Kirschner möchte ganz gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Sie rechnen mir die Zeit nicht an?
Nein, ich rechne Ihnen die Zeit nicht an.
Frau Ministerin, da Sie zu Recht darauf hinweisen, daß zu wenig Gelder aus den Programmen in den Krankenhaussektor fließen, frage ich Sie: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, damit entsprechend mehr Gelder in den Krankenhaussektor der fünf neuen Bundesländer fließen?
Herr Kollege Kirschner, es geht nicht darum - bei dieser Analyse wird dies jetzt sehr deutlich -, daß noch mehr Gelder von seiten des Bundes in diese Projekte zu fließen haben, sondern darum, daß die Mittel, die schon zur Verfügung stehen, von den Kommunalpolitikern auch wirklich dafür eingesetzt werden, wofür sie gedacht waren.
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Deshalb habe ich auch immer dort, wo es mir möglich war, mit den Kommunalpolitikern gesprochen und habe auch darauf hingewiesen. Ich bitte Sie alle miteinander, bei allen Gesprächen, die Sie vor Ort mit den Menschen und mit denen, die in den neuen Ländern politische Verantwortung tragen, führen, dies klarzumachen. Vielfach fehlen nämlich Informationen über diese Programme.
({1})
All dies wird durch umfangreiche Qualifzierungsund Beratungsprogramme und Modellprojekte für das gesamte Gesundheitswesen der neuen Länder ergänzt. Hinzu kommen allein 10 Millionen DM, die wir zur Sicherung der ärztlichen Weiterbildung in den Polikliniken bereitstellen.
Daher kann man unter dem Strich sagen: Am Geld liegt es nicht mehr, und es liegt auch nicht mehr an fehlender Beratungshilfe; aber es liegt noch daran, daß wir den Menschen dort sagen müssen, welche Möglichkeiten sie haben, daß wir sie informieren und daß wir ihnen auch das Know-how mitgeben müssen, daß wir ihnen das vermitteln müssen, was für die Krankenhausplanung, die Krankenhausführung und das Zusammenwachsen eines freiheitlichen Gesundheitswesens notwendig ist, daß wir ihnen also Informationen geben. Da ist jeder von uns gefordert.
({2})
Neben der Bewältigung der Aufgaben in den neuen Bundesländern werden wir uns natürlich für die Weiterentwicklung unseres gesamten Gesundheitswesens einsetzen. Die Kenntnisse über Gesundheitsförderung und Gesundheitsgefahren sind ebenso gewachsen wie die Bereitschaft, gesund zu leben. Deshalb spielt die Vorsorge eine immer größere Rolle. Das Gesundheits-Reformgesetz hat nicht nur zusätzliche Leistungen für Prävention im Leistungskatalog verankert, sondern auch den Krankenkassen einen eigenen Auftrag mit auf den Weg gegeben. Er wird auch erfüllt. An uns liegt es nun, auch dafür zu sorgen, daß diese Angebote und Möglichkeiten angenommen werden.
Allerhöchste Aufmerksamkeit - das sage ich mit großer Betroffenheit - müssen wir der Entwicklung der Drogensucht widmen. Das damit verbundene Leid für Familien und für Jugendliche erfordert von
uns allen nicht nachlassende Aktivitäten im Vorsorge- und im Therapiebereich. Aber Aufklärung und Hilfe allein reichen hier nicht aus. Wir müssen darüber hinaus dafür sorgen, daß unserer Polizei die Mittel an die Hand gegeben werden, damit sie die Drogenkriminalität effizient bekämpfen kann.
({3})
Auch in der Aids-Bekämpfung dürfen wir keine Entwarnung geben.
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Der Bund hat sich in Ergänzung der eigentlichen Länderzuständigkeit mit großen Anstrengungen in der Aufklärung, bei Modellprojekten und im Forschungsbereich engagiert. Dies wird selbstverständlich fortgesetzt, muß aber schrittweise dorthin geführt werden, wo die eigentliche Zuständigkeit ist, nämlich zu den Ländern. Das, liebe Frau Titze, war von Anfang an so verabredet. Den Ländern war von Anfang an bekannt, daß sie für die Modellprojekte z. B. in den Gesundheitsämtern, die alleinige Aufgabe der Länder sind, mitverantwortlich sind.
({5})
Mit den für 1991 zusätzlich eingestellten 5,8 Millionen DM für die Aids-Bekämpfung können wir im wesentlichen die Finanzierung laufender Modellmaßnahmen in jenen Ländern gewährleisten, die ab 1992 ihre Verantwortung ernst nehmen
({6}) und die Weiterfinanzierung sicherstellen.
({7})
In den neuen Bundesländern besteht ein erheblicher Aufklärungsbedarf gerade bei Aids. Wir tragen ihm Rechnung durch umfangreiche Informationsbroschüren, umfangreiche personale Kommunikation, Modellprojekte und den Aufbau von Betreuungseinrichtungen.
Ich danke gerade bei diesem Punkt allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses ganz herzlich für die Beratung im Ausschuß, weil zumal hier über den ersten Entwurf hinaus aufgesattelt wurde. Das wird auch im Bereich Aids ganz deutlich.
Den aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen können wir uns gezielt nur deshalb widmen, weil unser Gesundheitswesen einen anerkannt hohen Standard hat.
({8})
Auf diesem hohen Niveau ist es jedermann zugänglich. Es ist wichtig, auch dies festzustellen.
Jedem von uns muß aber auch klar sein, daß diese gute Gesundheitsversorgung nur dann erhalten werden kann, wenn sie insgesamt finanzierbar bleibt und wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch ihre Beiträge nicht überfordert werden. Dies gilt noch mehr vor dem Hintergrund der notwendigen Pflegeabsicherung. Dabei bedeutet Beitragssatzstabilität - auch das sage ich ganz deutlich - nicht Stagnation. Sie bedeutet auch nicht Verzicht auf den medizinischen Fortschritt.
Mit steigendem Einkommen auch steigt das Beitragsaufkommen. Das Ziel der Beitragssatzstabilität, das im Gesetz festgeschrieben ist, verpflichtet uns, vorhandene Wirtschaftlichkeitsreserven, wo immer möglich, tatsächlich auszuschöpfen. Gerade angesichts der aktuellen Ausgabensituation der Krankenkassen müssen wir uns alle dies ganz dick hinter die Ohren schreiben.
({9})
Liebe Kollegin Titze, Sie haben Ihre Hilfe bei der Wahrung der Beitragssatzstabilität angeboten. Sie müssen wissen: Dies ist nur dann möglich, wenn Beitragssatzstabilität nicht gleich mit zusätzlichen Forderungen an die Krankenkassen und mit zusätzlichen Leistungen verbunden wird.
({10})
Frau Minister, Frau Dr. Fischer möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.
Wenn ich hernach noch eine halbe Minute habe, gern.
Ja; Sie behalten eine halbe Minute übrig.
Bitte sehr, Frau Dr. Fischer.
Mich bedrückt doch, wenn Sie sagen, daß das Gesundheitswesen seine Leistungen allen Patienten in gleichem Maße zur Verfügung stelle.
({0})
- Hören Sie doch erst einmal zu! - Jetzt lese ich Artikel, z. B. bei mir in der „Thüringer Presse", über Wahlleistungen. Ich möchte gern wissen, was Sie davon halten, daß man sich im Prinzip erkaufen kann,
({1})
daß man vom Chefarzt betreut und in ein Einbettzimmer gelegt wird, d. h. daß Privatpatienten natürlich anders behandelt werden als Kassenpatienten. Das ist in meinen Augen ein bißchen Demagogie. Das ist eine Medizin, die vom Geldbeutel abhängig ist.
({2})
Liebe Frau Kollegin, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie Ihre Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen im Westen einmal vor Ort machen würden. Dann würden Sie nicht solche Behauptungen aufstellen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich war bei der Beitragssatzstabilität. Mit Blick darauf möchte ich noch einmal deutlich machen, daß dies alles andere als eine leichte Aufgabe ist. In kaum einem anderen gesellschaftspoBundesministerin Gerda Hasselfeldt
litischen Bereich stehen sich so oft so viele gegensätzliche Interessen gegenüber. Um so mehr müssen wir gemeinsam alles daransetzen, daß auch in Zukunft jeder das gleiche Recht auf eine optimale, der modernen Medizin entsprechende Gesundheitsversorgung hat. Dazu lade ich Sie alle herzlich ein.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung.
Zunächst einmal lasse ich über den Änderungsantrag der PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/651 abstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan zuzustimmen gedenkt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Etat mit den Stimmen der Koalitionsfraktion angenommen.
Ich rufe nunmehr auf:
Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend
- Drucksachen 12/517, 12/530 -Berichterstatterinnen:
Abgeordnete Susanne Jaffke Ina Albowitz
Es liegen uns fünf Änderungsanträge der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE vor.
Der Ältestenrat schlägt eine Debattenzeit von 45 Minuten vor. Einspruch erhebt sich nicht dagegen. - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat die Abgeordnete Frau Dr. Wegner das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Probleme von Frauen und Jugend hier besprochen werden, dann ist das Bild doch immer das gleiche: Die Sonne ist schon untergegangen, das Fernsehen überträgt nicht mehr, die Regierungsbank hat sich geleert. Theo ist noch da; das erkenne ich an.
({0})
Aber wir Frauen würden uns freuen, wenn der uns betreffende Einzelplan auch einmal zu dem Zeitpunkt beraten würde, in dem sonst der Verteidigungshaushalt, der Etat des Auswärtigen Amtes oder der Etat für Wirtschaft beraten wird.
({1})
Denn wir meinen, daß diese Themen genauso wichtig sind.
({2})
Das ist ein persönlicher Wunsch. Vielleicht wird dem irgendwann einmal entsprochen.
({3})
- Das dauert noch ein bißchen. ({4})
Es wäre mir daher lieber, wenn der Ältestenrat das früher entsprechend regeln würde.
({5})
Ich rede in verbundener Debatte gleich auch mit zu Einzelplan 18; damit wird es letztlich kürzer.
({6})
- Richtig, das gibt es auch bei den Sozialdemokraten.
Bei der ersten Beratung des Bundeshaushalts 1991 habe ich bereits zur Aufteilung des ehemaligen Familienministeriums in drei Mini-Ministerien Stellung genommen. Ich will mich nicht wiederholen, sondern ich will statt dessen zunächst knapp die wichtigsten Einzelprobleme der Haushaltsberatungen der Einzelpläne 17 und 18 skizzieren. Am Schluß möchte ich aber noch einige grundsätzliche Anmerkungen zur Frauen-, Jugend-, Familien- und Seniorenpolitik dieser Regierung machen.
Anläßlich der ersten Beratung hatte ich die Hoffnung geäußert, daß es gelingen würde, die insgesamt sehr unzureichenden Entwürfe ungeachtet parteipolitischer Unterschiede gemeinsam zu verbessern. Ich muß sagen, im Gespräch der Berichterstatterinnen, liebe Frau Karwatzki, ist das in vielen Bereichen auch gelungen; nicht in allen. Ich möchte ausdrücklich meinen Mitberichterstatterinnen bei diesen beiden Einzelplänen für die gute und faire Zusammenarbeit danken.
({7})
- Nein, es sind alles Frauen. Denkt einmal darüber nach, warum das so ist.
({8})
- Ich will euch einmal sagen: Wir nähmen einen Quoterich bei so einem Plan sehr gerne in Kauf. Aber es meldet sich keiner.
({9})
Zunächst zum Einzelplan Frauen und Jugend: Für die Unterstützung von Kinderbetreuungseinrichtungen in der ehemaligen DDR sieht der Haushaltsplan bis zum 30. Juni 1991 1 Milliarde DM vor; ab dann sollen Länder, Kommunen und Eltern die Kosten alleine tragen. Die würden allein für die neuen Bundesländer pro Jahr 7 Milliarden DM betragen.
Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die Kinderbetreuungseinrichtungen in Ostdeutschland nicht auf den unzureichenden Versorgungszustand
der alten Bundesrepublik heruntergeschrumpft werden dürfen.
({10})
Wir haben deshalb beantragt, daß der Bund zunächst ein Drittel der Kosten übernehmen soll, bis sich die finanzielle Lage der Länder und Kommunen gebessert hat und auch ein neuer Bund-Länder-Finanzausgleich abgeschlossen ist, der ja sowieso kommen muß und der dann den Ländern und indirekt auch den Kommunen genügend Mittel gibt, um auch den projektierten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz vor Ort zu verwirklichen.
Die Koalitionsfraktionen haben unseren Antrag abgelehnt. Vermutlich paßt es auch besser ins Weltbild der CDU/CSU, wenn die Kindergärten schließen, wenn die Frauen zu Hause bleiben und überhaupt nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen.
({11})
- Das ist kein Quatsch, sondern es ist so.
({12})
Der mit 15 Millionen DM wahrhaft mickrig ausgestattete Frauentitel konnte dann einvernehmlich auf 20 Millionen angehoben werden. Das ist gewiß erfreulich. Aber es ist angesichts eines Gesamtvolumens des Bundeshaushalts von über 410 Milliarden DM doch wirklich kein Ausweis einer engagierten Frauenpolitik.
({13})
Unerfreulich ist, daß die Koalition unseren Antrag abgelehnt hat, für die Anschubfinanzierung von Frauenhäusern in den neuen Bundesländern bis 1994 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 7,5 Millionen DM einzustellen.
({14})
Angesichts der schwierigen sozialen Lage, Kollege Weng, in den neuen Ländern wird die Nachfrage nach Frauenhäusern und nach Wohnprojekten für mißhandelte Frauen und Kinder steigen.
({15})
Derzeit existieren etwa 40 Frauenhausprojekte in der ehemaligen DDR, und allein in den letzten Wochen sind 23 Anfragen betreffs Schaffung weiterer Frauenhäuser eingegangen. Der Bund muß endlich seine Hausaufgaben machen und die überfällige gesetzliche Regelung zur Finanzierung von Frauenhäusern auf den Weg bringen.
({16})
Solange es keine gesetzliche Verpflichtung von Ländern und Kommunen zur Finanzierung von Frauenhäusern gibt, so lange müssen eben hinreichend Bundesmittel zur Anschubfinanzierung bereitgestellt werden. Die hier veranschlagten 1,2 Millionen DM sind in der Tat ein Tropfen auf den heißen Stein. Der permanent gebrachte Hinweis auf das Programm Aufschwung Ost zieht hier auch nicht, weil das ein Programm ist, das auf zwei Jahre befristet ist und die Verfügung ausschließlich bei den Kommunen liegt.
Wir halten es für wünschenswert - und das ist eine Bitte an das Haus - , bei dem inhaltlichen Schwerpunkt des Frauentitels, der die Maßnahmen zum Thema Gewalt gegen Frauen behandelt, auch die Diskriminierung lesbischer Frauen einzubeziehen. Wir würden es auch begrüßen, wenn bei dem Schwerpunkt Förderung der Frauenverbandsarbeit nicht nur die im Deutschen Frauenrat organisierten Verbände gefördert würden, sondern auch solche, die dort nicht Mitglied sind, aber bundesweit arbeiten.
Ich glaube, alle Berichterstatterinnen freuen sich, daß es gelungen ist, einen mit 30 Millionen DM bestückten Titel „Sommer der Begegnung" zu schaffen, in dem u. a. Mittel für Ferienmaßnahmen für Kinder aus umweltbelasteten Gebieten der neuen Bundesländer sowie für Erholungsmaßnahmen für Kinder aus Tschernobyl veranschlagt sind.
({17})
Das ist eine wirklich gute Sache, und wir hoffen, daß dieses Programm zügig und erfolgreich abgewickelt wird. Wenn es sich bewährt, gibt es vielleicht auch eine Zukunftsperspektive für dieses Programm. Das gäbe dann den Trägern die Möglichkeit, etwas besser zu planen.
Beim Zivildienst macht dieser Haushalt endlich Schluß mit der unwürdigen Schuldenwirtschaft des Bundes zu Lasten der Zivildienststellen, bei denen er zeitweilig mit mehr als 100 Millionen DM in der Kreide stand. Auch bei den Zivildienstleistenden müssen in Ost und West möglichst rasch gleiche Bedingungen geschaffen werden. Derzeit liegt die größte Diskrepanz beim Entlassungsgeld, das zur Zeit im Westen fünfmal so hoch ist wie im Osten.
Leider steht immer noch unwidersprochen die Drohung des Finanzministers - er ist noch hier - im Raum
({18})
- lieber Theo, hören Sie bloß gut zu; ich habe Sie das gleiche schon im Ausschuß gefragt -,
({19})
die Aufwandszuschüsse für die Zivildienstleistenden mittelfristig ganz abzuschaffen. Sozialpolitisch wäre das eine Katastrophe und finanzpolitisch Schwachsinn.
({20})
- Das steht nicht im Konzept meiner Rede, das habe ich jetzt eingefügt.
({21})
- Nein, keineswegs. Ich werde es Ihnen sagen: Er ist beim Schwachsinn angesiedelt.
({22})
Es ginge zu Lasten des mobilen sozialen Hilfsdienstes und der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Beide Einrichtungen ermöglichen es den Betroffenen nämlich, in ihrer eigenen Wohnung versorgt zu werden. Wenn diese Zuschüsse wegfallen, wäre für viele Menschen die Heimunterbringung unausweichlich. Sie ist nicht nur entwürdigend, verehrter Herr Finanzminister, sondern sie kostet auch Geld.
({23})
Auf meine Anfrage im Haushaltsausschuß konnte mir leider weder Theo Waigel noch der Staatssekretär beim Finanzminister Carstens eine Auskunft geben. Ich warte noch immer auf die mir zugesagte schriftliche Antwort.
({24})
Lassen Sie mich nun zum Einzelplan 18, Familie und Senioren, kommen. Für die Wohlfahrtsverbände gibt es in den neuen Ländern große zusätzliche Aufgaben. Erfreulicherweise konnten die Berichterstatterinnen erreichen, daß die Zuschüsse für zentrale und internationale Aufgaben der Verbände um 30 Millionen DM aufgestockt wurden. Die Mittel zum Aufbau der Sozialstationen konnten wenigstens um 10 Millionen DM erhöht werden.
Die Mittel für Hilfen für Behinderte wurden einvernehmlich um 3,26 Millionen DM aufgestockt. Allerdings muß man sagen, daß die zur Verfügung stehende Gesamtsumme von knapp 8 Millionen DM immer noch viel zu niedrig ist. Dies zeigt, daß die Behinderten im Ministerium einen außerordentlich geringen Stellenwert haben.
Meine sehr soliden und wohldurchdachten Kürzungsvorschläge zum Informationsprogramm „Zukunft der Familie" wurden dagegen von Ihnen abgeschmettert. Neben vernünftigen Maßnahmen wie z. B. einer Aufklärungskampagne über Kindergeld enthält dieser mit immerhin 17,5 Millionen DM bestückte Titel jede Menge ideologisch angehauchter Projekte.
({25})
- Keineswegs, Herr Kollege. Es ist reinste Ideologie, die da transportiert wird. Da wird das angeblich heile Weltbild der bundesrepublikanischen Familie mit Missionstrieb in die neuen Länder transportiert. Das ist der Sinn dieses Projekts.
({26})
Es wäre viel sinnvoller gewesen, wenn auch Sie, die Sie doch sonst ganz vernünftig sind, meinem Antrag gefolgt wären und die gekürzten Mittel - das war ein astreiner Deckungsvorschlag - den Familienverbänden gegeben hätten, die sich um Erziehungsfragen, um Sozialisation und Familienplanung kümmern.
({27})
In diesem Zusammenhang möchte ich einige Fragen zu dem Titel „Zuschüsse zur Förderung von Beratungsstellen nach Artikel 31 Abs. 4 des Einigungsvertrags", der immerhin mit 15 Millionen DM ausgestattet ist, stellen. Trifft es zu, daß hier im wesentlichen nur kirchliche Träger und das Deutsche Rote Kreuz gefördert werden und daß die von der CDU/CSU ungeliebte Pro Familia außen vor bleibt?
({28})
Problematisch erscheinen mir auch die Richtlinien zur Förderung der Schwangerschaftsberatungsstellen, weil dort als ausschließliches Beratungsziel - ich zitiere - „der Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungsrechtliche Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen" vorgesehen ist. Eine echte Beratung muß offen sein. Sie darf deshalb nicht nur für das ungeborene Leben erfolgen, sondern muß auch die Gesamtsituation der Frau berücksichtigen.
({29})
Wenn das nicht der Fall ist, dann handelt es sich nicht
um Beratung, sondern um die Ausübung von Druck.
({30})
Was die Personalfragen angeht, so werden die Berichterstatterinnen beim Haushalt 1992 sehr genau prüfen, inwieweit die zentralen Bereiche der Ministerien möglicherweise überdimensioniert sind
({31})
und der Dienstleistungsbereich möglicherweise unterbesetzt ist. Ganz im Sinne der Mahnung des Bundesrechnungshofs werden wir auch das Problem der Kleinstreferate sowie der vielfachen Kompetenzüberschneidungen sehr gut im Auge behalten.
Gestatten Sie mir nun noch einige grundsätzliche Anmerkungen zur Politik der beiden Häuser.
({32})
- Nein, ich habe Kürzungen im Familienprogramm vorgeschlagen: 17,5 Millionen DM. Kollege Weng, Sie haben nicht zugehört.
({33})
In der Frauenpolitik hat vor allem die CDU/CSU ungeachtet einiger richtiger Maßnahmen den Weg zu einer Anerkennung der vollen Gleichberechtigung
und Selbstbestimmung von Frauen noch nicht gefunden.
({34})
- Doch, das ist sogar noch milde ausgedrückt, verehrter Herr Finanzminister.
({35})
Ich nenne als Beleg nur einmal die von mir aufgeführten unzureichenden Maßnahmen im Bereich Gewalt gegen Frauen oder Kinderbetreuungseinrichtungen. Stichwortartig nenne ich einmal Ihre Vorschläge zur Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten: Frau denkt dabei an die Stichworte: Hoffacker-Kommission, Gebärprämie der Ministerin Merkel
({36})
oder die Idee der Ministerin Rönsch, den Arzt an Stelle der Frau entscheiden zu lassen. Überall zeigt sich hier ein reaktionäres Strickmuster.
({37})
- Das nehme ich nicht zurück, sondern ich zitiere die FDP, die Ihnen im Ausschuß ein antiquiertes Frauenbild bescheinigt hat. Und die Jugendorganisation Ihrer Partei hat Ihr Frauenbild als „angestaubt" bezeichnet.
({38})
In der Jugendpolitik wurde mit diesem „Sommer der Begegnung" ein positives Zeichen gesetzt. Wichtig ist aber auch eine kontinuierliche Förderung der Träger der freien Jugendhilfe, die diesen eine perspektivische Planung ermöglicht. Aber auch für neue Initiativen muß es Förderungsmöglichkeiten geben; nicht nur für Erbhöfe und etablierte Institutionen.
Viele Fragen bleiben auch in der Jugendpolitik noch offen. Beispielhaft möchte ich nur das Problem der Mißhandlung von Kindern und ihres sexuellen Mißbrauchs, vor allem von Mädchen, anführen, dem man unter anderem auch mit der Schaffung von Mädchenhäusern begegnen muß.
In diesem Zusammenhang halte ich es für ein Armutszeugnis, wenn ich in der Zeitung lesen muß, daß die konservative Mehrheit im Bielefelder Stadtrat
- ich weiß nicht, wer von Ihnen dort Abgeordneter ist - die Zuschüsse und die Unterstützung eines solchen Mädchenhauses in Bielefeld abgelehnt hat, obwohl sich die Frauenministerin höchstpersönlich darum gekümmert und um Unterstützung gebeten hatte. Das ist im Grunde eine Schande.
({39})
Die Familienpolitik der Koalition wird vor allem durch einen noch immer unzureichenden Familienlastenausgleich gekennzeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat dies gerade mit einem Aufsehen erregenden Urteil bestätigt. Auch wenn sich die Regierung mit der Verlängerung von Erziehungsgeld und
Erziehungsurlaub auf dem richtigen Weg befindet, so muß doch mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß die Leistungen für die Familie erst jetzt, im Jahre 1991 wieder knapp das Volumen der Leistungen des Jahres 1981 erreichen.
({40})
Bernhard Janz, der Bundesgeschäftsführer des Familienbunds der Deutschen Katholiken, hat mir - ich nehme an: auch anderen Abgeordneten - kürzlich einen sehr bemerkenswerten Brief geschrieben. Ich erlaube mir, ein Stück zu zitieren:
Bedenklich ist für uns jedoch, daß sowohl die Koalition als auch die SPD meist innerhalb des Rahmens denken, den das Bundesverfassungsgericht vorzeichnet. Es wird davon ausgegangen, daß das Existenzminimum steuerfrei zu belassen sei.
Als Familienverband
- und ich würde meinen, auch als Familienpolitiker darf man sich nicht damit zufriedengeben, daß Familien, egal ob über Freibetrag oder Kindergeld, gerecht zu besteuern sind. Steuergerechtigkeit ist die eine Seite, ein gerechter Familienlastenausgleich die andere.
({41})
Der Familienlastenausgleich beginnt erst dann, wenn Steuergerechtigkeit geschaffen ist.
({42})
Ich denke, diese Ausführungen, vor allem die beiden letzten Sätze, sollten sich sowohl die Regierung als auch die Opposition zu Herzen nehmen.
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Zur Altenpolitik der Regierung fällt mir beim besten Willen nichts ein, denn sie kommt in der Regierungserklärung nicht vor, und sie existiert nicht einmal in Umrissen. Im Haushalt wurden die Mittel für gesellschaftspolitische Maßnahmen für die ältere Generation gegenüber dem 90er Haushalt um 2,5 Millionen DM zurückgefahren, und viele der in den Unterlagen aufgeführten Forschungsprojekte tragen immer noch den Vermerk NN. Das ist um so erstaunlicher, als es Aufgaben in diesem Bereich wirklich jede Menge gäbe. Man denke nur einmal an die demographische Entwicklung oder an die Tatsache, daß das Alter, wenn man das einmal definiert und mit dem Zeitpunkt beginnen läßt, wo jemand aus dem Erwerbsleben ausscheidet, sei es freiwillig oder auch unfreiwillig, heute eine riesige Zeitspanne umfassen kann: vier, ja manchmal fünf Jahrzehnte.
Wir brauchen auch, ungeachtet der notwendigen Sofortmaßnahmen, ganz dringend Lebensdaten zur Situation älterer Menschen in Ostdeutschland. Es gibt ja Leute, die sagen, daß die alten Menschen sich dort heute mehr vor den Mietsteigerungen und vor der Heimunterbringung fürchten als früher vor der Staatssicherheit.
Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Dr. Konstanze Wegner
Auch für die neuen Bundesländer gilt mit Sicherheit, was die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen kürzlich gefordert hat: „Wir wollen nicht betreut werden, sondern so lange wie möglich selbständig bleiben und dafür Hilfe bekommen."
({44})
Am Schluß noch ein Wort zur Haushaltslage insgesamt unter Berücksichtigung der Einzelpläne Frauen und Jugend sowie Familie und Senioren. Beide, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören mit Sicherheit nicht zu denjenigen Haushaltsplänen, die das Haushaltsvolumen unmäßig aufblähen, wie das etwa der Verteidigungshaushalt tut oder die dramatisch gestiegene Verschuldung. Dennoch enthalten auch diese Pläne Haushaltsrisiken für die Zukunft. Die sozial flankierenden Maßnahmen für Schwangere - diese Maßnahmen wollen wir ja alle, da stimmt ja das ganze Haus überein - werden, wenn man ehrlich ist, Milliarden kosten; das wird teuer werden. Desgleichen wird es teuer werden, wenn weitere Bürger den Finanzausgleich einklagen sollten.
Angesichts der Risiken in den Haushalten, die wir heute und in den nächsten Tagen zu beraten haben, angesichts der Tatsache, daß die Regierung auch diesmal wieder im Verteidigungshaushalt nicht gespart hat, wo man das hätte machen können
({45})
- Ruhe! -,
({46})
und angesichts der Tatsache, daß euer selbsternannter Drachentöter Möllemann
({47})
- nein, bin ich nicht -,
({48})
daß euer selbsternannter Jung-Siegfried den Subventionsdrachen auch nicht erlegen wird, angesichts dieses Szenarios glaube ich auch dem verehrten Finanzminister Waigel nicht, wenn er sagen wird, daß er die Kreditaufnahme zurückfahren wird, sondern ich denke, uns werden weitere Schulden ins Haus stehen und höhere Steuern.
Am Schluß möchte ich sagen, daß wir beiden Plänen trotz gewisser Verbesserungen nicht zustimmen.
({49})
Vielen Dank.
({50})
Frau Dr. Wegner, Sie haben - sicher unbeabsichtigt - ein wenig zur Verwirrung beigetragen, indem Sie gesagt haben, Sie sprächen in einer verbundenen Debatte. Für die nachfolgenden Redner möchte ich klarstellen:
Es handelt sich nicht um eine verbundene Debatte, sondern selbstverständlich wird der Tagesordnungspunkt 18 gesondert aufgerufen. Die SPD-Fraktion hat nur darauf verzichtet, jemanden für diesen Tagesordnungspunkt gesondert zu melden.
({0}) Dies um der Klarstellung willen.
Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Jaffke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Wegner, ich muß Ihnen zustimmen. Ich bedauere auch, daß das Haus sehr leer ist, vor allen Dingen, weil es um diese so wichtigen Probleme geht.
({0})
- Ich würde mich freuen, wenn Sie sogar noch zuhörten.
Herr Präsident, klären Sie mich in meiner parlamentarischen Unerfahrenheit bitte einmal auf: Wann darf ich eine persönliche Erklärung abgeben? Denn bestimmte Sachfragen aus dem Einzelplan 15 wurmen mich als Ostbürger
({1})
- oder Ostbürgerin -, die ich einmal in der DDR gelebt habe, einfach.
Sie können das anmelden. Ob ich sie dann vor der Abstimmung oder nach der Abstimmung zulasse, werde ich mir dann überlegen. Das obliegt meiner Entscheidung.
Ich werde es jetzt anbringen. Es hat mich sehr gewurmt, daß der Diskussionsbeitrag der Kollegin Kinderärztin recht einseitig war. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Ich bin Bürger der ehemaligen DDR gewesen. Ich habe ein von Geburt an behindertes und schwerkrankes Kind. Es ist mir und den betreuenden Kinderärzten, die samt und sonders nicht in der SED waren, erst im neunten Lebensjahr meines Kindes gelungen, an die lebenserhaltenden Medikamente der Nomenklatur C heranzukommen - mit sehr großem Einsatz des Kinderarztes Dr. Bahlke aus der Universitätskinderklinik Greifswald. Ich sage Ihnen nur dazu: CDU.
Das ist ein Problem, unter dem wir sehr stark gelitten haben. Mein Kind ist mit sehr großer Atemnot dem Tod mehrfach von der Schippe gesprungen. Das sei vielleicht auch einmal in der Diskussion gesagt, wenn es um medizinische Gleichheitsbetreuung geht.
({0})
- Ich beantworte Ihnen keine Frage. Sie brauchen nicht aufzustehen. Es hat nichts damit zu tun, daß sich die Kinderärzte nicht bemüht haben. Ich will Ihnen nur sagen: Beziehungen waren das oberste Gebot und fast das gesamte Leben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will hier auch nicht groß über Kindertageseinrichtungen oder sonst etwas polemisieren. Ich bin hier angetreten, um über den Haushalt zu diskutieren. Die politische Diskussion überlasse ich gerne den Fachausschüssen. Ich werde auch versuchen, mich nicht provozieren zu lassen.
Ich möchte darauf verweisen, daß wir in dieser Woche den ersten gesamtdeutschen Haushalt diskutieren, der uns nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und nach der friedlichen Revolution vom November 1989 ein Grundstein für den Aufbau eines demokratischen Staatswesens, vor allem in den neuen Bundesländern, sein soll.
({2})
Dem Rechnung tragend wurden in den letzten Wochen eine Menge Schritte unternommen. Als einen solchen wesentlichen Schritt betrachte ich persönlich die Schaffung eines Fachressorts, welches sich ausschließlich mit Fragen der Frauen- und Jugendpolitik beschäftigt.
Wir sind uns sicher alle darin einig, daß es in dieser Hinsicht eine Menge zu tun gibt. Meine Erfahrungen mit der Frauen- und Jugendpolitik, die vom totalitären Regime geprägt sind, rechtfertigen eine Neuordnung und Neuorientierung in diesem Bereich genauso wie sicherlich auch die Erfahrungen in den vergangenen Jahren aus dem sogenannten Alt-Bundesgebiet. Ich bin deshalb recht glücklich darüber, daß arbeitspolitische Probleme nicht mehr mit denen auf dem Gebiet der Gesundheit sowie der Frauen und Jugend in einem Haus gemischt und gebündelt werden.
Lassen Sie mich diese allgemeinen Dinge durch wenige Initiativen, die wir in diesem kleinen Haus vorgenommen haben, belegen. Mit seinen Mitteln in Höhe von 3,78 Milliarden DM ist es im Vergleich zu anderen, größeren und gewichtigeren Posten ein bescheidenes Haus. Es sind allerdings Mittel, die samt und sonders im sogenannten sozialen Bereich investiert werden. Da ist es den Koalitionspartnern gelungen, den Tit. 685 03 um 5 Millionen DM aufzustocken. Es handelt sich um den hierbei schon angesprochenen Bereich „Soziale Gleichstellung von Frauen".
Dabei habe ich natürlich Wert darauf gelegt, daß die Aktivitäten zugunsten der fünf neuen Bundesländer verstärkt werden. Besonders zu erwähnen sind eben die Anschubfinanzierung in Höhe von 1,2 Millionen DM für Frauenhäuser. Ich freue mich, daß ein solches Frauenhaus auch in meinem Wahlkreis, im Kreis Uekkermünde, geschaffen wird. Rund 3,8 Millionen DM stehen für die Hilfe bei der Frauenverbandsarbeit zur Verfügung.
Eine weitere Initiative ist die Aktion „Sommer der Begegnung". Ketzerisch lasse ich mich nun doch hinreißen und sage: Es ist eine CDU-Initiative. Vielleicht ist die SPD deshalb dagegen.
({3})
Die Aktion „Sommer der Begegnung" wird mit 20 Millionen DM gefördert, und sie wird vor allen Dingen Kindern von arbeitslosen Eltern und aus besonders umweltbelasteten Gebieten einen Vorteil und
eine schöne Erholung bringen. Dem Antrag zur Finanzierung der Erholung „Kinder von Tschernobyl" ist auch mit 10 Millionen DM entsprochen worden. Das alles sind Dinge, die nur nach konsequenter Durchforstung des Einzelplans, nach Prüfung und Umschichtung möglich wurden.
Nach wie vor hat der Bundesjugendplan, der seit 1950 d a s jugendpolitische Instrument zur Förderung der freien Träger der Jugendhilfe ist, mit seinem Gesamtvolumen von 180 Millionen DM eine Schlüsselstellung in diesem Haushalt. Mit einer Ansatzerhöhung gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 einschließlich drittem Nachtragshaushalt um 47,8 Millionen DM ist auch hier ein deutliches Signal zur gesamtdeutschen Jugendförderung gesetzt worden. Über ihn wird vor allen Dingen der internationale Jugendaustausch und jetzt nicht mehr nur mit französischen, amerikanischen oder israelischen, sondern verstärkt auch mit polnischen und tschechischen Kindern gefördert. Vorteile davon haben auch die Jugendherbergen. Vor allem im neuen Bundesgebiet besteht in all diesen Bereichen ein besonders großer Nachholbedarf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen an diesen paar Beispielen, daß es in dem neugeschaffenen Haus eine Vielzahl von Initiativen gibt. Sicher kann man nicht jeden Wunsch von allen sich antragsberechtigt Dünkenden zur vollständigen Zufriedenheit erfüllen. Das ist in meinen Augen normal. Wenn man sich alle Wünsche immer und sofort erfüllen könnte, wäre das Leben in meinen Augen langweilig, und wir könnten hier keinen politischen Meinungsstreit austragen. Das bedeutet nicht, daß sich viele Dinge, die wir heute als gut erachten, in den nächsten Jahren überholt haben werden, aber dafür wird es neue Haushalte geben. In diesem Sinne lassen Sie uns diesen auf den Weg bringen, und fangen wir den neuen an.
({4})
Ich erteile der Abgeordneten Frau Dr. Höll das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Wenn es um die Finanzen geht, zeigt sich immer am deutlichsten, wie ernst eine Regierung ihre eigene Politik nimmt. Daß Frauen und Jugendliche Sekundärprobleme dieses Staates sind, wird ganz offensichtlich, wenn man den Einzelplan 17, Frauen und Jugend, betrachtet.
({0})
Für Arbeiten und Maßnahmen auf dem Gebiet der rechtlichen und sozialen Stellung der Frau sieht trotz harscher Kritik auch der aufgestockte Haushalt nur 20 Millionen DM vor - das ist 1/20500 des Gesamthaushalts -, mit denen Modellvorhaben und Untersuchungen zur beruflichen Wiedereingliederung von Frauen nach der Familienphase, Frau und Erwerbstätigkeit, Frauen in besonderen Lebenslagen, Schutz für Mädchen und Frauen vor Gewalt sowie Teilhabe von Frauen an Politik und Gesellschaft gefördert werden sollen.
Ich möchte hier keine billige Rechnung aufmachen, wieviel Mark und Pfennige für jedes dieser fünf politischen Problemfelder von den veranschlagten 20 Millionen DM abfällt. Aber jedes dieser Probleme ist doch real mit so viel politischem und sozialem Konfliktstoff beladen, daß ihnen nicht mehr mit Modellversuchen zu begegnen ist. Die bundesweit hohe Frauenarbeitslosigkeit, deren zusätzliche Verschärfung durch NullBeschäftigung und Warteschleife, erfordert konkrete und komplexe Lösungen, für die ich im Haushalt keinen Ansatz finde.
Erwerbstätigkeit der Frauen und ihre berufliche Wiedereingliederung nach Erziehungszeiten sind in erster Linie durch eine bundesweit gesicherte Ganztagsbetreuung von Kindern zu realisieren. Dazu braucht man keine halbherzigen Versprechungen, sondern ein konkretes Konzept und die nötigen Mittel für seine Umsetzung. Jedoch brauche ich als Abgeordnete offensichtlich hellseherische Fähigkeiten, um mir vorzustellen, wie die Regierung angesichts des Fehlens eines eigenen Haushaltstitels den proklamierten Rechtsanspruch jedes Kindes auf einen Kinderbetreuungsplatz realisieren will. Denn dieses Problem als Angelegenheit allein der Länder abzutun, mißrät doch angesichts der in den Altbundesländern ca. 500 000 fehlenden Kita-Plätze und einer unter 3 To liegenden Versorgung mit Krippen- bzw. Hortplätzen sowie der leeren Landeskassen in den fünf neuen Bundesländern zur politischen Farce. Hier fordert die PDS/Linke Liste von der Regierung, Farbe zu bekennen.
Hinsichtlich der haushaltspolitischen Untersetzung der Jugendpolitik möchte ich besonders ein Problem hervorheben. Angesichts der eskalierenden Probleme vor allem in den fünf neuen Ländern, wie Jugendarbeitslosigkeit, Zukunftsangst, Anwachsen von Gewalt, vor allem rechtsextremistische Ausschreitungen wie das Randalieren nach Fußballspielen und Skinhead-Überfälle auf Jugendveranstaltungen, sind die Fragen erneut zu stellen, ob im Einzelplan 17 die Schwerpunkte richtig gesetzt sind und ob die geplante Aufstockung des Bundesjugendplanes für den Start der gesamtdeutschen Jugendförderung ausreicht.
Die PDS/Linke Liste sieht neben dem Aufbau der Strukturen freier Träger der Jugendarbeit in den neuen Ländern die dringende Notwendigkeit, daß diese Träger unverzüglich mit pluralistisch angelegten Bildungs- und Freizeitangeboten real wirksam werden können. Darüber hinaus halten wir es für erforderlich, bisher gewachsene und bewährte Formen der Jugendförderung, wie Jugendclubs, Begegnungsstätten und Sporteinrichtungen, den nötigen Bestandsschutz einzuräumen und diese Einrichtungen nicht blindwütig unter den Hammer zu nehmen.
Dies sind für uns wichtige haushaltspolitische Maßstäbe dafür, daß sich die junge Generation im Gesamtdeutschland zum Träger der Zukunft unseres Volkes entwickeln kann.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nun hat die Frau Abgeordnete Ina Albowitz das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für das neu geschaffene Bundesministerium für Frauen und Jugend wird heute erstmals ein Haushalt von 3,8 Milliarden DM verabschiedet. Die FDP begrüßt die Schaffung eines eigenen Frauenressorts, Frau Ministerin, und knüpft gleichzeitig hohe Erwartungen an seine Außenwirkung und an die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung.
({0})
Die Signalwirkungen auf die Öffentlichkeit und die Kompetenz dieses Ressorts müssen in dieser Legislaturperiode unbedingt dazu benutzt werden, um die Lebensverhältnisse von Frauen, vor allem in bezug auf mehr Freiheit und mehr Wahlmöglichkeit, zu verbessern.
({1})
Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, daß sich junge Frauen in ihrer Perspektivplanung nur auf die Familie oder nur auf den Beruf beschränken. Sie wollen vermehrt beide Ziele miteinander verknüpfen, sich dabei während bestimmter Lebensabschnitte verstärkt auf ein Ziel konzentrieren.
Eine wichtige Voraussetzung, um dies zu ermöglichen, ist die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Sich gegen solche Veränderungen länger zu sträuben, ist auch nicht mehr zeitgemäß, zumal es der technische Fortschritt ebenfalls immer weniger erforderlich macht, daß sich Arbeitszeiten und Betriebszeiten entsprechen.
({2})
Um die flexiblere Lebensplanung von Frauen zu unterstützten, werden im Haushalt mit 5 Millionen DM Modellprojekte zum Wiedereinstieg nach der Familienphase finanziert.
({3})
- Ja, Frau Schmidt-Zadel, ich weiß. - Sowohl in der Wirtschaft als auch im Bereich der öffentlichen Verwaltungen müssen dringend noch mehr Erleichterungen für den Wiedereinstieg geschaffen werden, und dafür müssen nun einmal traditionelle Vorstellungen abgelegt und eine offenere Haltung gegenüber Neuerungen gezeigt werden.
In diesem Sinn unterstützen wir auch den Bericht der Bundesregierung zur Frauenförderungen in der Bundesverwaltung. Nicht als starre Quote, sondern im Sinne von gleichberechtigter Teilhabe muß die Entwicklung vorangetrieben werden. In der gleichen Weise muß sich auch der Anteil der Frauen in den Gremien, die dem Einflußbereich der Bundesregierung und des Bundestages unterliegen, entwickeln.
Auch im Einzelplan des Bundesministeriums für Frauen und Jugend sind in vielen Bereichen Ausgabetitel enthalten, die durch die deutsche Einheit bedingt sind. Um mitzuhelfen, daß sich junge Menschen im vereinten Deutschland besser kennen- und verstehen lernen, werden in diesem Jahr mit 20 Millionen DM Begegnungsmaßnahmen zwischen Jugendlichen der alten und der neuen Bundesländer finanziert. Insgesamt 85 000 junge Leute werden an dem „Sommer der Begegnung" teilnehmen. Im Gegensatz zu Ihnen,
Frau Kollegin Wegner, hoffe ich, daß diese Maßnahmen für den Bund relativ schnell auslaufen. Denn die Bezuschussung von Ferienmaßnahmen ist Länderangelegenheit. Dafür stellen wir auch den Bund-LänderFinanzausgleich zur Verfügung.
({4})
Ich würde mich vielmehr freuen, wenn an den Ferienlagern - Frau Ministerin, vielleicht ist das möglich - sowohl Minister aus allen Häusern als auch Abgeordnete teilnehmen könnten, damit wir uns besser miteinander verstehen.
Mit weiteren 10 Millionen DM wird ein Ferienprogramm für rund 9 000 Kinder aus der hart getroffenen Region um Tschernobyl aufgelegt. Diese Kinder haben besonders in den letzten Jahren unter der Katastrophe gelitten, und wir hoffen, ihnen zumindest für einige Wochen Erholung zu bieten.
Mit 1 Milliarde DM beteiligt sich der Bund bis zur Mitte dieses Jahres an den Kosten der Einrichtungen zur Tagesbetreuung von Kindern in den neuen Bundesländern, wie es in Art. 31 des Einigungsvertrages festgeschrieben war.
({5})
Während der Haushaltsberatungen stellte die Opposition weitergehende Anträge, Frau Kollegin - ich gehe darauf ein, wie Sie sehen - , die die Koalitionsfraktionen abgelehnt haben, und zwar nicht, weil wir kein Herz für Kinder hätten, sondern erstens, weil die Geschäftsgrundlage zwischen Bund und neuen Ländern klar war - so klar war sie sonst eigentlich nie -, und zweitens, weil die Meldungen aus den neuen Bundesländern hinsichtlich des Bedarfs an Betreuungsplätzen sehr diffus sind. Hier sollte eine Befragung der Eltern die Situation klären und Daten für weitere Planungen liefern.
({6})
Über private Initiativen in Richtung Tagesmütter zur individuellen Betreuung von Kleinkindern sollte mehr als nur laut nachgedacht werden.
({7})
Im Beitrittsgebiet war bisher kein pluralistisches Angebot an Frauenverbänden vorhanden. Für Frauenverbände, die jetzt neue Strukturen aufbauen, stehen 1991 4,6 Millionen DM zur Verfügung.
Lassen Sie mich zum Ende - ich sehe, meine Redezeit geht zu Ende ({8})
noch zu einem weiteren Bereich kommen: Es ist heute sehr häufig davon gesprochen worden, daß es Taktik geworden ist, vom Bund Anschub- und Modellfinanzierungen in verschiedenen Bereichen leisten zu lassen. Auch in diesem Haushalt ist das so. Später gibt es erhebliche Probleme, die Weiterfinanzierung so, wie vertraglich vereinbart, zu übernehmen. Dadurch erhöht sich der Druck auf den Bund, aus der ehemals vorübergehenden eine dauerhafte Finanzierung werden zu lassen. Eine solche Praxis darf in Zukunft bei
der angespannten Haushaltslage nicht mehr von Erfolg gekrönt sein. Es wird weiterhin die Finanzierung von Modellen bzw. Initiativen geben, doch es muß grundsätzlich bei den einmal getroffenen Vereinbarungen bleiben können.
Ich danke Ihnen.
({9})
Nun erteile ich der Bundesministerin für Frauen und Jugend, Frau Dr. Merkel, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben viele Schwierigkeiten im Prozeß des Zusammenwachsens in Deutschland und auch zahlreiche Probleme. Es gibt Verhältnisse, die uns Anlaß geben zu klagen; es gibt Ungerechtigkeiten und auch Unverständnis zwischen Ost- und Westdeutschen. Bei all dem zeigt sich, daß das Zusammenführen von Menschen mit so unterschiedlichen Lebenswegen und Erfahrungen eben noch schwieriger ist als die Einführung einer Währungsunion oder die Umkehrung von Investitionsströmen. Deshalb ist jetzt eine Tugend besonders gefragt, die die Bürger in den alten Ländern während 40 Jahren der Demokratie in so hohem Maße bewiesen haben, nämlich die Tugend der Toleranz.
Die Schwierigkeiten auf dem Weg zur inneren Einheit sind groß. Aber es gibt auch Anlaß zum Optimismus. Ich spreche nicht von einem überschwenglichen oder unrealistischen Optimismus; ich meine einen Optimismus, der die Probleme erkennt, aber die Anzeichen zu ihrer Überwindung genauso.
Der Wille zum Neubeginn ist in den neuen Bundesländern unübersehbar. Er macht sich nicht nur in der Zahl der Unternehmensgründungen - etwa im Mittelstand, im Handwerk, im Handel und im Dienstleistungsbereich - bemerkbar; er macht sich auch in zahlreichen sozialen Initiativen bemerkbar; ich merke das deutlich. Das sind Initiativen auf allen Ebenen, die sich solidarisch um diejenigen kümmern, die Hilfe am notwendigsten haben, die zum Ziel haben, vorhandene Probleme selbst in die Hand zu nehmen, und die die Vertretung der eigenen Interessen nicht länger anderen überlassen wollen. Auch das ist Wirklichkeit in Deutschland; auch das gehört dazu, wenn wir über den schwierigen Weg der inneren Einheit der Deutschen sprechen.
Frauen- und Jugendpolitik hat, wie andere Felder der Politik, jetzt die vordringliche Aufgabe, auf diesem Weg der inneren Einheit ihren Beitrag zu leisten. Ich halte es für besonders wichtig, daß wir Frauen und Jugendlichen auf diesem Weg Hilfestellung leisten. Denn anders als in anderen Bereichen stehen hier nicht so sehr die materiellen Dinge im Vordergrund, sondern vielmehr die psychologischen Schwierigkeiten der Bewältigung der Folgen der Vergangenheit. Ich gebe zu: Junge Leute und Frauen sind von dem grundlegenden Wandel der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern am stärksten betroffen. Sie brauchen - das ist meine dringende Bitte an alle Bundesministerin Dr. Angela Merkel
die Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen, nicht nur von Frauen- und Jugendgruppen.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle - damit höre ich mit dem Appellieren auf - auf die Kinderbetreuung und die Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen in dieser Frage eingehen. Sie haben es gehört: 1 Milliarde DM wurde im Rahmen des Einigungsvertrages entsprechend bereitgestellt. Ich kann Ihnen heute sagen, daß in diesem Jahr in den neuen Bundesländern kein Kind keinen Kindergartenplatz oder Krippenplatz finden wird. Das beruht darauf, daß die neuen Bundesländer, in ihrer Mehrheit CDU-regiert, jetzt Gesetze verabschieden, die den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bereits in dieser Phase des Aufbaus der Länder festlegen. Das ist in den alten Bundesländern, insbesondere in den SPD-regierten Ländern, bis heute nirgends gelungen.
({1})
In Sachsen-Anhalt ist der Rechtsanspruch bereits Gesetz. In Sachsen ist er in der Verabschiedung. Auch in Thüringen wird es so sein. Die Richtlinien in Mecklenburg-Vorpommern deuten genau darauf hin.
({2})
- Ja.
Die neuen Bundesländer haben uns bei den Verhandlungen im Februar explizit gebeten, daß sie globale Finanzzuweisungen bekommen, um anschließend selbst zu entscheiden, wie sie die Mittel einsetzen werden. Sie haben mit ihren Kindergartengesetzen bewiesen, daß ihnen Kindergartenplätze politisch wichtig sind.
Voraussetzung dafür, daß sich die Menschen unter den neuen Bedingungen zurechtfinden, ist, daß sie, junge Leute und auch Frauen, zu eigenen Interessenvertretungen zusammenfinden. Um ihr Anliegen besser durchsetzen zu können, haben wir für die Jugendlichen den Bundesjugendplan um 48 Millionen DM aufgestockt. Diese zusätzlichen Mittel stehen fast ausschließlich den Jugendlichen in den neuen Bundesländern zur Verfügung.
Im Bereich der Frauenpolitik - das möchte ich hier ausdrücklich sagen - bin ich dankbar, daß der Haushaltsausschuß noch einmal 5 Millionen DM zusätzlich bewilligt hat, damit wir den Aufbau von Frauenverbandsstrukturen und die Anschubfinanzierung von Frauenhausprojekten in den neuen Ländern gezielt fördern können.
Eine freie, pluralistische Frauenverbandsarbeit hat es in der DDR nicht gegeben. Es existierte nur ein anerkannter Frauenverband, und der vertrat die offizielle Politik von Staat und Partei. Frauenverbandsarbeit im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation der Frauen und im Sinne einer unabhängigen Interessenvertretung gab es nicht, wenn man einmal von der schwierigen Arbeit kirchlicher Gruppen abgesehen hat, die sich gesellschaftliche Nischen suchen mußten, um ihre eigentlich normale Arbeit zu tätigen.
Mit den Ereignissen vom Herbst 1989 begannen Frauen, die sich auch aktiv an der friedlichen Revolution beteiligten, nach neuen Formen von Zusammenschlüssen zu suchen. Während auf staatlicher Ebene heute bereits 330 Gleichstellungsstellen in den Kommunen und Ländern existieren, läßt die freie Frauenverbandsarbeit leider noch zu wünschen übrig.
({3})
- Wir haben immerhin eine Kommunalverfassung, die diese Gleichstellungsstellen vorsieht. Diese Gleichstellungsstellen haben in der Kommunalpolitik sehr wohl eine aktive Rolle.
({4})
Wir wären froh, wenn es überall in den alten Bundesländern bereits so wäre.
({5})
Ich kann Ihnen noch etwas sagen: Wir werden bei der Förderung der freien Frauenverbandsarbeit alle Frauenverbände berücksichtigen, auch die, die erst angesprochen wurden.
Heute leisten bereits zahlreiche Gruppen vor allem auf örtlicher Ebene eine engagierte und anerkennenswerte Arbeit. Aber wir müssen zugeben: Es gibt noch kein flächendeckendes Netz von Organisationen, in denen Frauen aus verschiedenen Berufen und von verschiedener Herkunft miteinander arbeiten können. Wenn wir wollen, daß die Demokratie von den Menschen nicht als ein formales, womöglich sogar fremdes Prinzip empfunden wird, dann müssen wir als Politiker einen möglichst raschen Aufbau einer pluralistischen Struktur von freien Trägern unterstützen.
Das ist ohne die aktive Mitgestaltung der Menschen und die aktive Rolle der Bürgerinnen insbesondere in den neuen Bundesländern nicht zu schaffen. Eine freiheitliche Gesellschaft benötigt ihr Engagement. Um ihnen dabei zu helfen, ihre Rechte zu finden, dafür setze ich mich besonders ein.
Wir werden den Aufbau der Frauenverbandsstrukturen mit einer Summe von 3,8 Millionen DM fördern. Wir werden insbesondere Beratungsstellen einrichten. Wir werden sowohl Frauen, die in der Frauenverbandsarbeit in den alten Bundesländern erfahren sind, in die neuen Bundesländer schicken, als auch Frauen aus den neuen Bundesländern in den alten Bundesländern Erfahrungen sammeln lassen.
Ein anderes Thema - es wurde heute schon darüber gesprochen - , das es in der DDR offiziell gar nicht gab, ist die Gewalt gegen Frauen und Kinder. Im Sozialismus wurde Gewalt gegen Frauen sowohl von der Wissenschaft als auch von der Politik als völliges Tabu behandelt. Mit der Wende zu einer offenen Gesellschaft wurde auch die schon immer vorhandene Gewalt gegen Frauen bekannt. Es bildeten sich Fraueninitiativen mit dem Ziel, bedrohten Frauen und mißhandelten Kindern zu helfen. Seitdem hat die Zahl von Initiativen zur Gründung von Frauenhäusern ständig zugenommen. Wir werden diesen Aufbau der Frauenhäuser und Fraueninitiativen mit 1,2 Millionen DM fördern. Sie haben gesagt, das sei zuwenig Geld.
Das mag wohl sein. Ich weiß aus vielen Ländern, z. B. aus Sachsen, daß die Landesregierungen ihren Beitrag dazutun. Wir wissen alle, daß die Kommunen durch die Möglichkeit, ABM-Stellen bereitzustellen, recht gute Voraussetzungen haben, um diese Frauenhäuser in der schwierigen Anfangsphase erst einmal in Betrieb zu nehmen.
({6})
Um zu verhindern, daß die Anschubfinanzierung des Bundesministeriums für Frauen und Jugend bei der Finanzierung dieser Frauenhäuser ins Leere läuft, haben wir in Absprache mit den Kommunen dafür gesorgt, daß diese Frauenhäuser, die wir jetzt fördern, auch wirklich fortgeführt werden.
Sie können sich auf mich verlassen. Ich werde alles tun, um ein Rahmengesetz zur Förderung von Frauenhäusern anzuregen und einzubringen. Allerdings dürfen wir - Sie haben mit dem Föderalismus mehr Erfahrung als ich - hierbei natürlich nicht vergessen, daß solche Frauenhäuser in der Kompetenz der Länder und Kommunen betrieben werden müssen. Ich glaube, wir sind alle Freunde des Föderalismus. Ich zumindest habe lange genug in einem zentralistischen Staat gelebt. Deshalb sage ich: Rahmengesetz durch den Bund, Ausführung durch Länder und Kommunen.
({7})
Ein drittes Beispiel, das ich hier nennen möchte, weil es hoffentlich - das liegt mir besonders am Herzen - sehr dazu beiträgt, daß sich die Deutschen und insbesondere die Jugendlichen besser kennenlernen, ist der Sommer der Begegnung. Wir haben dafür 20 Millionen DM vom Haushaltsausschuß bekommen. Es werden an 1 100 Veranstaltungen etwa 85 000 Kinder und Jugendliche aus den neuen und alten Bundesländern teilnehmen können.
Sie können sicher sein, ich werde auf jeden Fall diese Veranstaltungen besuchen. Jeder der Abgeordneten und auch der anderen Kollegen ist herzlich eingeladen, sich von den verschiedenen Initiativen zu überzeugen.
Die Kinder werden sich in Ferienlagern treffen, sie werden Workcamps zusammen veranstalten, sie werden sich mit Fragen der Ökologie beschäftigen, und sie werden bei Theater, Tanz, Musik und Video gemeinsame Stunden verbringen. Ich glaube, dies ist die Art und Weise, wie wir vorhandene Barrieren zwischen Jugendlichen abbauen können, um Vorurteile erst gar nicht aufkommen zu lassen.
({8})
Insofern sehe ich in diesem Aktionsprogramm einen wichtigen Baustein für die gemeinsame Zukunft in Deutschland. Ich denke, das wird für viele Jugendliche aus den neuen Bundesländern ein erster Schritt sein, sich in einer offenen, freiheitlich organisierten Gesellschaft besser zurechtzufinden. Für die Teilnehmer aus den alten Bundesländern ist es in vielen Fällen sicherlich eine gute Gelegenheit, sich in den neuen Bundesländern umzuschauen und auch hier vielfältig vorhandene Barrierren abzubauen.
Ich möchte mich im Rahmen dieses Berichtes über diesen Sommer der Begegnung insbesondere bei den zahlreichen Initiativen, den Jugendgruppen, den Jugendorganisationen und den Jugendämtern sowie auch bei den Wohlfahrtsverbänden und Kirchengemeinden bedanken, die in sehr kurzer Zeit ihre Projekte angemeldet haben und sich sehr unkonventionell Projekte ausgedacht haben. Ich kann an dieser Stelle sagen, daß die Bewilligungsbescheide für all diese Maßnahmen schon so gut wie abgeschickt sind, so daß all diese Maßnahmen Realität werden.
({9})
Ich freue mich genauso, daß der Haushaltsausschuß über diese 20 Millionen DM hinaus 10 Millionen DM bereitgestellt hat, damit Kinder und Jugendliche aus Tschernobyl Ferien in Deutschland verbringen können. Das wird etwa 9 000 Kinder betreffen. Ich denke, daß sie bei ihren drei- bis vierwöchigen Erholungsaufenthalten in Deutschland eine gute Zeit verbringen.
Abschließend möchte ich mich trotz aller kontroversen und nicht kontroversen Diskussionen bei den Berichterstatterinnen, bei Frau Albowitz, bei Frau Jaffke und bei Frau Dr. Wegner, für ihre Begleitung bei der Erstellung dieses Haushalts recht herzlich bedanken. Ich denke, wir sollten auch weiterhin bei der Umsetzung der besprochenen Etats zusammenarbeiten.
Danke.
({10})
Frau Abgeordnete Jaffke, bevor ich abstimmen lasse, komme ich auf Ihren Wunsch zurück. Sie wollten eine persönliche Erklärung abgeben?
({0})
- Hat sich erledigt? - Danke schön.
Dann können wir zur Abstimmung kommen. Ich lasse zunächst einmal über die Änderungsanträge der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/642? Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/643. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag gegen die Stimmen der PDS/ Linke Liste, gegen eine Stimme aus der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen der CDU/ CSU und der FDP bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt worden.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/644. Wer stimmt dafür? - Die Antragsteller stimmen nicht dafür. Dann brauche ich eigentlich nicht abstimmen zu lassen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist bei Enthaltung der SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 12/645? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({1})
Die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN und die PDS sind für den Antrag, Enthaltungen und Gegenstimmen bei der SPD; dagegen sind die CDU/CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/646. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Für den Antrag stimmten die Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN und zwei Abgeordnete der PDS; die SPD stimmt mit Enthaltung, und es gab eine Enthaltung aus der PDS/Linke Liste. Der Rest des Hauses stimmte dagegen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.
Wer stimmt dem Einzelplan 17 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Frauen und Jugend - zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 17 mit den Stimmen der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste, der SPD und des Bündnisses 90/DIE GRÜNEN - mit Ausnahme des Abgeordneten Weiß, der sich enthalten hat - angenommen worden.
({2})
- Das ist natürlich ein unverzeihliches Verhalten. Ihre Bemerkung, Herr Abgeordneter Weng, wird im Protokoll festgehalten, womit der Schaden geheilt sein dürfte.
Ich rufe auf:
Einzelplan 18
Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren
- Drucksachen 12/518, 12/530 Berichterstatterinnen:
Abgeordnete Irmgard Karwatzki Dr. Konstanze Wegner
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/653 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Diskussionszeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Debatte. Zunächst erteile ich der Abgeordneten Frau Becker-Inglau das Wort. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Ich habe, glaube ich, 20 Minuten Redezeit. Das ist mir jedenfalls gesagt worden.
Frau Abgeordnete, ich hatte mich soeben mit Ihrer Geschäftsführerin geeinigt, daß die Abgeordnete Frau Wegner 5 Minuten Redezeit mehr bekommt. Das geht selbstverständlich zu Lasten Ihrer Redezeit. Ich kann der Fraktion nicht zusätzliche Redezeit zur Verfügung stellen. Das ist klargestellt.
Wir haben gerade besprochen, daß das nach hinten geschoben werden soll.
Das ist nicht möglich. Es mag ja sein, daß Sie das besprochen haben - ich ziehe das auch nicht in Zweifel - , aber eine Verteilung der Redezeiten der Fraktionen auf unterschiedliche Tagesordnungspunkte ist nicht möglich.
Frau Wegner hatte nur 20 Minuten gesprochen.
Ja eben, und es standen ihr 15 Minuten zu. Sie hat also fünf Minuten länger gesprochen. Ich lasse mich da auf keine Diskussionen ein! Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.
Okay. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frauenpower läuft vor die Mauer oder sie endet vor der dicken Wand des Haushalts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schaffung der neuen Ministerien für Frauen und Jugend und für Familie und Senioren, von Ministerinnen besetzt, hat nicht nur Hoffnungen, sondern eigentlich auch Erwartungen geweckt, nämlich die, daß die politische Verantwortung, die die Bundesregierung nun für die Frauen im Westen und Osten zu tragen hat, ein Wendepunkt in der Frauenpolitik hätte bedeuten müssen. Jedoch lassen weder Haushalt noch die frauenpolitische Ausrichtung der Bundesregierung erkennen, wie die neuen Aufgaben im geeinten Deutschland bewältigt werden sollen. Ich stelle fest: Frauenpolitik ist und bleibt ein Randbereich der Regierungspolitik. Das Hinzukommen der fünf neuen Bundesländer war der Bundesregierung keine einzige Mark für Frauen wert. Das heißt: Derselbe Betrag sollte für eine um fast ein Viertel höhere Bevölkerungszahl reichen, und nur mit Hilfe meiner Kolleginnen und Kollegen sind hier 5 Millionen DM, lächerliche 5 Millionen DM, zugelegt worden. Der vorgelegte Etat sieht für Frauenpolitik nach dieser Intervention nun 20 Millionen DM für Untersuchungen und für Wiedereingliederungsprogramme vor, die ganzen 3 000 Frauen in Gesamtdeutschland zugute kommen. Das sind insgesamt 0,0038 % des Gesamthaushaltes - und das Ganze schon aufgerundet. Dazu entspricht dieser Minimalbetrag exakt dem Haushaltsplan für Frauenpolitik des Jahres 1990. Tatsächlich bedeutet das: Der Haushalt wäre sogar wesentlich geringer als früher. Ich sage: Er ist an der Geringfügigkeitsgrenze angelangt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses können wir Frauen nicht widerspruchslos hinnehmen, vor allem dann nicht, wenn wir uns noch einmal die augenblick1890
liche Situation der Frauen im geeinten Deutschland vergegenwärtigen.
Die Erwerbstätigkeitsrate von Frauen im Westen liegt nach wie vor unter 50 %. Die Frauen verdienen dort durchschnittlich 33 % weniger als Männer. In Leitungspositionen der Wirtschaft und des öffentlichen Dienstes sind sie mit weniger als 5 % vertreten. Aber dafür bilden die Frauen in den sozial schlechter oder gar nicht abgesicherten Tätigkeiten der Teilzeit, den sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, die überwiegende Mehrheit. Im Osten hat es da anders ausgesehen.
Frau Bekker-Inglau, gestatten Sie eine Zwischenfrage. - Bitte sehr, Frau Albowitz.
Frau Kollegin, ich habe eine Verständnisfrage. Herr Präsident, vielleicht können Sie mir auch aushelfen. Ich hatte den Eindruck, daß wir über den Einzelplan 17 eben debattiert und abgestimmt haben. Ich dachte, wir wären jetzt beim Einzelplan 18, Familien- und Seniorenpolitik. Ich bin etwas irritiert, weil die Kollegin Wegner eben angekündigt hat, sie rede in verbundener Debatte zu den Einzelplänen 17 und 18. Wenn Sie jetzt umgekehrt zu den Einzelplänen 18 und 17 reden, dann hätten wir das geschäftsordnungsmäßig abstimmen müssen, damit wir gemeinsam eine andere Redezeit verabredet hätten. Ich hätte dann nämlich auch gerne weitergeredet und eine andere Redezeit beantragt.
Wir haben das bei uns so vereinbart. Ich denke, daß das in der Geschäftsführung so geklärt worden ist. Bei uns war sogar noch der Bereich Gesundheit mit hineingenommen worden. Aber den wollten wir nun nicht noch in diese Debatte mit hineinnehmen. Ich denke, daß der Bereich der Frauenpolitik sicherlich doch der Teil ist, der in beiden Ministerien vorkommt. Frau Kollegin, ich denke, daß Sie als Kollegin es vielleicht am ehesten ertragen könnten, wenn die Frauenproblematik, wenn sie schon im Haushalt nicht vorkommt, jedenfalls bei den Debatten von unserer Seite angesprochen wird.
({0})
Darf ich hier einmal eine Klarstellung vornehmen, weil offensichtlich meine Großzügigkeit gegenüber der Frau Kollegin Weyel zu einer beachtlichen Verwirrung beigetragen hat. Ich möchte klarstellend feststellen: Die Geschäftsführerin der SPD-Fraktion hatte mich gebeten, damit einverstanden zu sein, daß von der Redezeit zu dem Einzelplan 18 ein Teil schon bei der Debatte über den Einzelplan 17 in Anspruch genommen wird. Dadurch ist die SPD-Redezeit von 15 Minuten auf 20 Minuten für Frau Dr. Wegner verlängert worden. Entsprechend habe ich natürlich die Redezeit der SPD bei der Aussprache über den Einzelplan 18 - 20 Minuten standen der SPD in dieser Stunde zu - um fünf Minuten gekürzt. Daß dieses nun zu Protesten der Damen führt, finde ich ein wenig unfair, wenn das vorher mit Frau Weyel so vereinbart worden ist.
Die Vermischung dieser beiden Tagesordnungspunkte hat nur dann Sinn, wenn sie inhaltlich gerechtfertigt ist. Ich will nicht darüber rechten, ob bei der Debatte über den Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren nicht auch die von Ihnen, Frau Becker-Inglau, gemachten Ausführungen möglich sind. Aber es wird mir eine Lehre sein. Ich werde solchen Wünschen in Zukunft nicht mehr nachkommen, weil ich mir sonst in der Tat den Vorwurf machen lassen muß, nicht geschäftsordnungsmäßig verfahren zu haben.
Nun bitte ich Sie, in aller Ruhe fortzufahren.
Es tut mir natürlich leid, daß ich Sie jetzt so verwirre, Herr Präsident.
Ich nehme Ihnen das nicht übel.
Andererseits verwirren Sie mich jetzt, denn Sie haben jetzt zwei Minuten geredet, und meine Redezeit ist weitergelaufen.
Sie können versichert sein, daß ich Ihnen das nicht anrechne.
({0})
Ja, gut, wenn er das sagt, was Sie sagen. Aber jetzt bin ich an der Reihe.
Im Osten hat es dagegen völlig anders ausgesehen. Frauen waren zu 90 % erwerbstätig. Sie hatten ein Recht auf Arbeit, und sie hatten ihre eigene soziale Sicherung. Dieser hohe Grad wirtschaftlicher Unabhängigkeit geht den Frauen im Osten jetzt nach und nach verloren, während im Westen die Lage stagniert.
Zur Arbeitsmarktpolitik haben Sie sich, Frau Minister Merkel, schon öfter engagiert und frauenfreundlich, aber leider, ohne daß irgendeine Handlung gefolgt ist, geäußert. An dieser Stelle greife ich deshalb noch einmal zwei Beispiele für die ineffiziente Frauenpolitik dieser Bundesregierung heraus.
Sie selbst beklagen, daß der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen mit über 55 % höher liegt als ihr Anteil an den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit. Aber Sie geben sich mit Appellen zufrieden, wie Sie es auch heute wieder gemacht haben. Ich frage Sie deshalb: Wenn Sie es mit Ihrer Frauenpolitik ernst meinen, warum folgen Sie dann nicht dem Beschluß des Bundesrates, der vorsieht, § 5 des Arbeitsförderungsgesetzes so zu ändern, daß Frauen durch geeignete Angebote und Informationen an den arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten der Bundesanstalt für Arbeit entsprechend ihrem Anteil an den registrierten Arbeitslosen beteiligt werden?
({0})
Dies würde für die Frauen einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung nicht nur bei der Vermittlung in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und nicht nur bei der Bereitstellung von sinnvollen Angeboten zur beruflichen Fortbildung bringen, sondern vor allem auch innerhalb des Programms für Langzeitarbeitslose, bei
denen Frauen wiederum weit überproportional vertreten sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rede hier nicht über irgendeine abstrakte Theorie; nein, ich war wie auch andere gerade in den neuen Bundesländern und habe mich am Beispiel Thüringen vor Ort davon überzeugen können, ja müssen, daß die gerade geschilderte Arbeitsmarktmisere für die Frauen dort bittere Realität ist. Hier waren sogar 56 % der Arbeitslosen Frauen. Die Beteiligung an Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit lag aber nur bei 38 %.
Ein Grund dafür liegt in Erfurt darin, daß z. B. ein großer Teil der ABM-Mittel in den Baubereich geflossen ist. Dort sind Frauen nach den gesetzlichen Regelungen der alten Bundesländer nicht zu beschäftigen. Das heißt, hier werden plötzlich Arbeitsschutzrechte für Frauen zu einem Arbeitsplatzverlustinstrument, und das, obwohl noch vor einem Jahr Frauen in diesem Bereich beschäftigt waren.
An anderer Stelle werden in tarifvertraglich geregelten Bestimmungen Frauen von der Arbeit an bestimmten Maschinen ausgeschlossen, an denen sie über Jahre hinweg gearbeitet haben. Das ist ein Entlassungsgrund, der für die Frauen nur schwerlich nachvollziehbar ist.
({1})
Hier hätten Sie, Frau Ministerin Merkel, Haushaltsmittel in einer den Erfordernissen entsprechenden Höhe einsetzen sollen. Als besonders gute Kennerin der Lage in den neuen Bundesländern hätten Sie sich engagieren müssen, damit das ehemalige Recht auf Arbeit für die Frauen nicht zu einem aufgedruckten zweifelhaften Recht auf Arbeitslosigkeit mit all seinen diskriminierenden Konsequenzen wird, als da sind: Abbau von wirtschaftlicher Unabhängigkeit, Abbau von gesellschaftlicher Anerkennung und Abbau von Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein. Ich glaube fast, Frau Ministerin Merkel, Sie selbst wissen, ja Sie ahnen nicht einmal, was das für die Frauen bedeutet. - Frau Merkel ist gar nicht mehr da.
({2})
Ich habe an keiner Stelle bei den vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Gruppen Frauen gefunden, die froh waren, endlich nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, so wie es hier in Debatten von Unionsfrauen schon vertreten wurde. Aber ich habe reihenweise Äußerungen von Frauen vernommen, die genau der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Infas-Studie entsprachen. Ich zitiere:
... daß für die übergroße Mehrheit der befragten Frauen die Erwerbstätigkeit ein selbstverständliches und obendrein unverzichtbares Element ihrer Lebensplanung ist. Die Alternativrolle „Hausfrau" existiert generell nicht als Lebensperspektive und ist nur für eine deutliche Minderheit im eigenen Wertsystem verankert.
Ich frage die Frauenministerin nun: Was hat sie bisher außer Lamentos an Konsequenzen aus dieser Studie und aus ihren Reisen durch die neuen Bundesländer gezogen? Denn die Förderprogramme für die Wirtschaft im Osten kommen überwiegend Männern zugute.
({3})
Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost ist überwiegend auf die Schaffung von Arbeitsplätzen für Männer ausgerichtet.
({4})
- Sie müssen sich an Ort und Stelle umgucken; dann können Sie mitbekommen, daß das kein Irrtum, sondern die Realität ist.
Die Ausbildungsplätze etwa in Banken und Versicherungen werden fast ausschließlich an männliche Jugendliche vergeben. Die Ministerin hätte dafür sorgen können, daß Frauen wenigstens in die Planungs- und Aufbaustäbe für Beschäftigungsgesellschaften verantwortlich eingebunden worden wären.
({5})
Aber das alles ist bisher versäumt worden. Ich will der Bundesregierung nicht unterstellen, daß das sogar absichtlich geschehen ist.
Inzwischen hat die Ministerin ein sogenanntes Gleichberechtigungsgesetz angekündigt. Über dessen Inhalte hat sie noch nichts Konkretes geäußert. Eine Aussage allerdings war definitiv, nämlich daß eine Quotenregelung für Frauen bei der Einstellung und Beförderung abzulehnen sei. Sie bezeichnete sie als untauglich, obwohl die Erfahrungen uns sehr wohl gezeigt haben, daß eine solche Regelung eine wirkliche Änderung der Situation von Frauen im Berufsleben erreichen könnte.
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Lichtblicke der Erkenntnis hatte sie in der Zwischenzeit, nämlich bei Qualifizierungsmaßnahmen und der Quotierung von Ausbildungsplätzen. Das war ein schwacher Anfang. Dann kam schon das starke Dementi.
Ich hätte gewünscht, daß die Frauenministerin die Quote akzeptiert; denn ohne die Quote läßt sich keine Frauenpolitik machen.
Ein weiterer wichtiger Umstand für die hohe Erwerbstätigkeit der Frauen im Osten, um die wir im Westen immer noch kämpfen, war, daß sie die Möglichkeit hatten, Plätze in Kindergärten, Krippen und Horten zu bekommen. Die Probleme, die Frauen im Westen haben, um Kinderbetreuungsplätze zu erhalten, bestanden dort nicht.
Im Osten werden diese Einrichtungen jetzt verringert. Die Frauen werden nicht mehr in der Lage sein, der Erwerbstätigkeit nachzugehen. Für die Frauen bedeutet das den Eintritt in den Teufelskreis, der den Frauen hier sattsam bekannt ist: Die Frau wird arbeitslos mit einem Kind und steht dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Sie bekommt deshalb keinen Kinderbetreuungsplatz. In den neuen Bundesländern können Frauen Kindergartenplätze nicht mehr
bezahlen, wenn sie arbeitslos geworden sind. Deshalb vermute ich, daß es das Ziel ist, Frauen in die Sozialhilfe zu packen und sie damit zu einem Kostenfaktor für die ohnehin finanziell schlechtgestellten Kommunen zu machen.
({7})
- So ist es.
Die Ministerin hat vorhin behauptet, die Kindergartenplätze gingen nicht verloren. Aber wir haben inzwischen leider andere Informationen: In Mecklenburg-Vorpommern sind inzwischen 10 % der Kindergartenplätze weggefallen, in Brandenburg sogar 15 %, dazu ein Sechstel der Kinderkrippenplätze.
({8})
- Sie können von den Frauen gar nicht mehr genutzt werden, weil der Beitrag von 110 DM von den Frauen schon jetzt nicht mehr zu finanzieren ist.
({9})
Deshalb wäre es mehr als gerechtfertigt, nach dem 30. Juni insbesondere die 2,3 Milliarden DM, die die SPD-Fraktion gefordert hat, für Kinderbetreuungseinrichtungen im Haushalt wieder bereitzustellen.
Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, im Einigungsvertrag ist das Recht auf einen Kinderbetreuungsplatz festgeschrieben worden. Sie können sich also nicht auf den Standpunkt stellen, die Finanzierung der Betreuungseinrichtungen sei ausschließlich Ländersache, zumal Sie sehr wohl wissen, daß gerade die Länder und Kommunen im Osten jetzt und in nächster Zeit nicht in der Lage sind, diese Finanzierung zu leisten. Sie entziehen sich damit bewußt Ihrer Verantwortung.
Ein weiterer Punkt, der die besondere Situation in den neuen wie in den alten Bundesländern gegenwärtig kennzeichnet, ist die notwendige Neuordnung der Schwangerschaftsabbrüche. Dies fand im Haushalt mit 40 Millionen DM, durch die CDU/CSU-FDP-Koalition beantragt, seinen politischen Niederschlag, nämlich als Hilfsfonds für schwangere Frauen in Not. Damit ist in fataler Weise wieder die merkwürdige Praxis der Bundesstiftung „Mutter und Kind" auf die neuen Bundesländer ausgedehnt worden. Wir Sozialdemokraten sind für effektive Hilfe mit Rechtsanspruch für Schwangere. Deshalb wollten wir diese Ausdehnung nicht.
({10})
Frau Ministerin Merkel, wer so oder mit einem Kindererstausstattungsgeld - treffender wäre hier der Begriff „Geburtenprämie" - von 1 000 DM ein Ja zum Kind durchsetzen will, verweist die von ihm vertretenen Frauen schlicht in die Gruppe der Unmündigen.
Frau Kollegin Becker-Inglau, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0}) zu beantworten?
Nein, jetzt bitte nicht mehr; denn ich bin hier heute ohnehin schon sehr gestört worden.
({0})
Die SPD-Bundestagsfraktion will noch in diesem Monat über den neuen Entwurf eines Familien- und Schwangerenhilfegesetzes beschließen. Ich hoffe, daß der Bundesfinanzminister mit den Länderfinanzministern dann bereit sein wird, auch genügend finanzielle Mittel für die sozialen Hilfsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, damit sich der Schutz des vorgeburtlich wachsenden Lebens und der Schutz der Kinder realisieren läßt.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß möchte ich festhalten: In den Haushaltsvorgaben der Bundesregierung sind keine finanziellen Voraussetzungen geschaffen, um die Lebensverhältnisse für Frauen und ihre Familien in den neuen Bundesländern zu verbessern oder am Ende sogar anzugleichen, wie es im Einigungsvertrag gefordert worden ist. Für Frauen in den neuen Bundesländern sind die Lebensverhältnisse inzwischen unerträglich geworden. Da die beiden zuständigen Ministerinnen nicht in der Lage waren, die Interessen von Frauen und Familien im Haushalt durchzusetzen, fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf, den Haushaltsanträgen der SPD zuzustimmen, weil wir darauf besonderen Wert gelegt haben.
({2})
Vielen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal klarstellen: Der Haushalt „Frauen und Jugend" von Frau Ministerin Merkel ist soeben verabschiedet worden. Wir diskutieren zur Zeit den Haushalt des Bundesministers für Familie und Senioren.
({0})
Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn sich die weiteren Redner daran halten und den Haushalt, der unter dem Einzelplan 18 ressortiert, behandeln würden.
({1})
Nun erteile ich das Wort der Abgeordneten Frau Karwatzki.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Präsident hat schon darauf aufmerksam gemacht. Sonst hätte ich, Frau Kollegin Becker-Inglau, was ich sonst nicht so gern tue - ich habe nachgeschaut, was Sie von Beruf sind, und herausgefunden, daß Sie Rektorin sind -,
({0})
gesagt, wie in der Schule: Thema verfehlt! Das tun wir hier nicht, weil Sie sich in der SPD entsprechend abgestimmt haben.
({1})
- Nein, ich glaube, es ist so schon korrekt.
Aber ich will noch etwas zur Sache sagen, Frau Kollegin Becker-Inglau: In Nordrhein-Westfalen fehlen 150 000 Kindergartenplätze.
({2})
Um so weniger kann ich verstehen, daß Sie, wenn es für Sie angenehm ist, immer nur die neuen Bundesländer als Beispiel anführen und verschweigen, wenn Beispiele aus SPD-regierten Ländern im Westen nicht so ganz angenehm sind. Ich meine, man muß, der Wahrheit die Ehre gebend, das „Sowohl-Als-auch" sagen.
Das zweite. Frau Kollegin Wegner - ich lobe Sie auch gleich - , ich kann eigentlich nicht verstehen, daß Sie, nachdem wir gemeinsam versucht haben, sowohl für die freie Wohlfahrtspflege als auch für die Familien etwas zu erstreiten, dann hier dem guten Haushalt nicht zustimmen. Fast sieht es so aus, als hätte die SPD so mit Familie und Senioren nichts mehr am Hut. Frau Kollegin Becker-Inglau hat überhaupt nicht dazu Stellung genommen, und, mit Verlaub, Frau Kollegin Wegner, auch Sie nicht so ganz viel. Insofern bitte ich - wir haben ja bald gemeinsam die Beratungen für den zweiten Haushalt, für das Jahr 1992 -, zu versuchen, daß auch die Kollegen von der SPD einem so guten Haushalt zustimmen können. Ich wünsche mir das für die Bürger im allgemeinen.
({3})
Frau Abgeordnete, sind Sie nun bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Ja, natürlich, gerne.
Bitte sehr, Frau Becker-Inglau.
Ich wollte Frau Kollegin Karwatzki gern noch einmal dazu fragen, wie eigenartig sie NRW und die neuen Bundesländer sieht.
({0})
Es geht uns doch darum, daß wir in den neuen Bundesländern nicht die Situation kriegen, die wir in Nordrhein-Westfalen mühsam dabei sind zu bekämpfen. Es geht darum, Kindergartenplätze zu haben, damit ein Recht auf einen Kindergartenplatz möglich ist. Deshalb möchten wir die Einrichtungen in den neuen Bundesländern gern erhalten und fragen Sie, ob Sie daran denken, das dort erst alles abzubrechen, um endlich die gleiche Situation wie in Nordrhein-Westfalen hergestellt zu haben.
Nein. Ich glaube, die Kollegin Merkel hat in ihrer letzten Rede sehr deutlich gemacht, daß sie für den Erhalt der Kindergartenplätze in den neuen Bundesländern ist. Und sie tut ja auch viel dazu. In den Koalitionsverhandlungen - das wissen Sie ist festgeschrieben worden, daß wir uns gemeinsam mit der FDP mühen werden, daß es noch besser wird, als es zur Zeit im Ansatz ist. Insofern glaube ich, ist das Argumentieren mit Nordrhein-Westfalen ein schlechtes, ein ganz schlechtes; denn wenn wir es so machen, wie es in Nordrhein-Westfalen praktiziert wurde, kommen wir drüben nicht weiter.
({0})
Jetzt muß ich aber auch einmal ein bißchen auf meine Uhr schauen. Ich möchte hier auch noch etwas zur Kenntnis geben. - Aber, Frau Kollegin Wegner, wir haben so gut zusammengearbeitet, bitte schön.
Also, Frau Kollegin Dr. Wegner.
Entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident!
Frau Karwatzki, ich habe viel Verständnis dafür, wenngleich uns die Zeit wegläuft.
Nur damit es keine weiteren Mißverständnisse gibt; denn es gab irgendwo ein Mißverständnis: Auch mir ist gesagt worden, man könne diese beiden Einzelpläne in verbundener Debatte diskutieren. Deshalb habe ich auch 10 Minuten von der Gesamtzeit abgegeben. Genau dieses glaubte auch die Kollegin Becker-Inglau. So haben wir beide argumentiert. Ich bitte doch jetzt von weiteren Beiträgen abzusehen, in denen man feststellt, wir hätten nicht zur Sache geredet.
({0})
Nein, das habe ich auch nicht gesagt, Frau Kollegin,
({0})
sondern ich wollte nur sagen: Wenn ich als Lehrerin in der Schule einen Aufsatz aufgegeben hätte -
Meine Damen, vertrödeln Sie jetzt nicht die Zeit mit einer Geschäftsordnungsdebatte! Ich empfehle den Damen, das nächste Mal eine verbundene Debatte zu beantragen. Dann löst sich das Problem ganz von selber.
Sie, Frau Abgeordnete Karwatzki, führen jetzt Ihren normalen Redetext weiter. Dann verlieren wir auch keine Zeit mehr.
Das weiß ich nicht so ganz genau; denn reden darf ich ja, was ich möchte, nicht was der Präsident mir verordnet.
({0})
Meine Damen und Herren, das neugeschaffene Bundesministerium für Familie und Senioren hat eben die Aufgabe, die Verantwortung für Familien und die älteren Menschen einschließlich der gesetzgeberischen und verwaltungsmäßigen Aufgaben wahrzunehmen. So ist der Auftrag umschrieben. Es ist damit auch für Soziales im allgemeinen und für die freie Wohlfahrtspflege im besonderen zuständig. Das sage
ich nur, um das Volumen des Haushalts hier zu umschreiben und damit wir uns für die Zukunft auf den Einzelplan 18 immer so verständigen können.
Den Haushalt dieses Ministeriums haben die beiden Mitberichterstatterinnen, die Kolleginnen Dr. Hoth und Dr. Wegner, und ich aus der Sicht des Haushaltsausschusses kritisch zu durchleuchten und daran gegebenenfalls aus der Perspektive von Parlamentariern Änderungen vorzunehmen und, notwendigerweise, Prioritäten anders zu setzen. Das haben wir getan. Ich möchte mich bei den Kolleginnen herzlich für das gute Miteinander und bei den Beamten des Ministeriums für die sympathische Zusammenarbeit bedanken.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Familie und Senioren umfaßt ein Volumen von 28,2 Milliarden DM, wobei das Kindergeld mit 21 Milliarden DM die größte Ausgabe ist.
Meine Damen und Herren, neben der Schaffung der wirtschaftlichen Infrastrukturmaßnahmen in den neuen Bundesländern ist es mindestens ebenso erforderlich, daß die soziale Infrastruktur den Bedürfnissen der Menschen Rechnung trägt. Aus diesem Grunde haben wir die Zuschüsse für die freie Wohlfahrtspflege von 38 Millionen DM um 30 Millionen DM auf 68 Millionen DM erhöht. Hierdurch soll erreicht werden, daß die Durchführung zentraler und internationaler Aufgaben einschließlich bundeszentraler Fortbildung gerade für die Wohlfahrtsverbände in den neuen Bundesländern möglich wird.
Zentrales Anliegen unserer Gesellschaftspolitik aber ist die Familienpolitik. Es geht hier um die Würde und Freiheit der Menschen, um die Solidarität der Menschen untereinander und um gute Bedingungen für unser aller Zukunft.
Unsere Gesellschaft, die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, zeichnet sich durch ein hohes Maß an Freiheit aus, unser Leben so zu gestalten, wie wir es wollen. Das wirkt sich auch auf eine mögliche Entscheidung für Ehe und Familie aus. Diese Entscheidung tritt oft neben andere Lebensentwürfe. Nicht selten hängt es daher von den gesellschaftlichen Verhältnissen ab, ob sich Menschen für Ehe, für Kinder oder für die Pflege und Betreuung von kranken und älteren Menschen in der Familie entscheiden. Familienleben heißt für uns, über Generationen hinweg Verantwortung zu übernehmen. Politik und alle gesellschaftlichen Kräfte müssen mit dazu beitragen, daß in der Familie zu leben, Kinder zu haben und für andere Menschen Verantwortung zu tragen, nicht an gesellschaftlichen Rahmenbedingungen scheitert.
({1})
Meine Damen und Herren, genau das hat die Union in den zurückliegenden Jahren getan und wird es auch in der Zukunft tun. Die Union hat eine familienfreundliche Politik gemacht und ihre familienpolitische Kompetenz vielfach unter Beweis gestellt.
({2})
- Da die Rückfrage kam, wo das denn gewesen sei, will ich es Ihnen einmal erzählen:
Zum 1. Januar 1986 hat sie ein Familienpaket geschaffen und dieses seitdem ständig weiterentwickelt, nämlich eine Kombination von direkter Familienförderung und familiengerechter Besteuerung. Die Bundesregierung hat erstmals in der hundertjährigen Sozialversicherungsgeschichte die rentenrechtliche Anerkennung von Erziehungsarbeit durchgesetzt und damit die Familienarbeit der Erwerbsarbeit gleichgestellt.
({3})
Ein rentenbegründendes und rentensteigerndes Kindererziehungsjahr wurde eingeführt. Anfang 1991 haben bereits 1,9 Millionen Mütter der Geburtsjahrgänge ab dem Jahrgang 1921 und 3,4 Millionen Mütter der Geburtsjahrgänge 1916 und früher eine Anerkennung der Erziehungsleistung bei der Rente erhalten. Das heißt, sie bekamen pro Kind ein Erziehungsjahr in der gesetzlichen Rentenversicherung gutgeschrieben. Nach dieser stufenweisen Einführung der Anerkennung von Erziehungszeiten haben wir seit dem 1. Oktober 1990 die Erziehungsleistungen aller Mütter finanziell anerkannt. Mit der Rentenreform 1992 ist eine Aufstockung auf drei Jahre pro Kind geplant.
Bedenkt man, daß bis 1985 in der gesetzlichen Rentenversicherung Kindererziehungszeiten überhaupt nicht angerechnet wurden, und bedenkt man, daß für die jetzt verwirklichte Regelung bis 1990 insgesamt fast 10 Milliarden DM aufgewendet wurden, die etwa 5,3 Millionen Frauen zugute kommen, so kann die Anerkennung der Erziehungsleistung nicht hoch genug eingeschätzt werden.
({4})
- Frau Kollegin in der gelben Jacke hier vorne, Sie müßten jetzt eigentlich auch applaudieren, weil ich die großen Leistungen der Bundesregierung im Bereich der Familienpolitik aufgezeigt habe.
({5})
Es geht jetzt aber weiter, und Sie sollten noch ein bißchen zuhören.
Ich habe nicht gesagt, daß Sie reden können, wann Sie wollen. Ich meine aber, wenn Sie nachfragen, wann und wo diese Leistungen erbracht wurden, dann sollten Sie auch zuhören, was derjenige, der darauf antwortet, sagt.
({6})
- Das sind aber Leistungen, die Sie nie erbracht haben. Darum sollten Sie jetzt auch weiter zuhören.
Mit der Einführung des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs seit dem 1. Januar 1986 - in unserer Regierungszeit - haben wir Voraussetzungen geschaffen, die Müttern und Vätern mehr Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und der Erwerbstätigkeit eröffnet.
Frau Abgeordnete, Frau von Renesse will eine Zusatzfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja. Aber halten Sie bitte die Uhr an, Herr Präsident!
Ja, das tue ich.
Bitte sehr, Frau von Renesse.
Frau Kollegin, Sie sagten, die Leistung der Regierung, insbesondere in dem Bereich der Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, sei nicht hoch genug einzuschätzen. Halten Sie es für eine extreme Leistung, die nicht hoch genug einzuschätzen ist, daß eine Mutter von fünf Kindern derzeit eine Rentenanwartschaft von knapp 150 DM hat?
({0})
Frau von Renesse, es wäre nett, wenn Sie sich an die Usancen dieses Hauses gewöhnten.
({0})
Besser wenig als gar nichts.
({0})
Fünfmal 60 DM zu haben ist immer mehr, als nichts zu haben. Insofern meine ich - und Sie wissen, daß wir vorhaben, daß zukünftig drei Jahre in der Rentenversicherung rentenbegründend und rentensteigernd pro Kind angerechnet werden sollen - , daß das eine Leistung ist, die anerkennenswert ist.
({1})
Das sollten auch Sie anerkennen.
({2})
- Ich weiß nicht, ob heute mittag Minister Blüm schon dazu geredet hat.
({3})
Da können wir Ihnen ein paar andere Rechenexempel aufstellen.
({4})
- Bitte hören Sie einmal zu! Ich habe vorhin, als die Kolleginnen Wegner und Becker-Inglau gesprochen haben, auch zugehört.
Im Haushalt 1991, den wir in dieser Woche zu verabschieden haben, führe ich beispielsweise Summen für die Familie auf; auch wenn Sie das nicht gerne hören: Ich tue es. Dort steht: 140 Millionen DM für die Bundesstiftung Mutter und Kind, 40 Millionen DM für den Hilfefonds für Frauen in den neuen Bundesländern, 100 Millionen DM Übergangsgeld Ost ({5}), 226 Millionen DM Unterhaltsvorschußgeld, 570 Millionen DM Mütterunterstützung für die Nichterwerbstätigen in den neuen Bundesländern und 5,8 Milliarden DM Erziehungsgeld. Dieses Erziehungsgeldgesetz wird von 98 % der Bürger angenommen. Ich denke, auch das ist ein großes Verdienst dieser Bundesregierung.
({6})
Obwohl wesentliche Durchbrüche in der Familienpolitik gelungen sind - ich höre das leider nicht, weil Sie alle durcheinanderrufen -,
({7})
stellt dies für uns eine Verpflichtung für die Zukunft dar.
Die Union wird daher weitere Verbesserungen für Familien und Kinder durchsetzen.
({8})
- Entschuldigung, natürlich gilt dies immer auch für die FDP, solange wir zusammen eine Koalition bilden.
({9})
Ich sage das nur vor dem Hintergrund des Landesvorsitzenden von NRW. Nur deswegen sage ich das.
Die Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen für Familien und ältere Menschen im Beitrittsgebiet haben wir um 10 Millionen DM auf 50 Millionen DM erhöht.
({10})
- Ja, das ist ja das Tolle. Wenn man in einer Koalition ist und gemeinsam etwas erreichen will - das tun wir insbesondere bei dem Haushalt, den ich hier mit zu vertreten habe - , ist das überhaupt keine Schwierigkeit. Ich gebe zu: Bei einigen anderen Dingen gibt es schon einmal Schwierigkeiten. Warum soll ich das nicht zugeben? - Das war bei Ihnen nicht besser.
({11})
Insofern sollten wir uns darüber nicht aufregen. Vielleicht können Sie noch einmal ganz kurz zuhören, damit die anderen Kolleginnen auch noch das Wort ergreifen können.
({12})
- Das stimmt.
Die Hilfen für behinderte Menschen konnten wir ausbauen.Dies gilt gleichermaßen für die Menschen in den westlichen als auch für die Menschen in den neuen Bundesländern.
Im Hinblick auf die Aufklärungsarbeit - besonders für die Menschen in den neuen Bundesländern - haben wir die Verbreitung von Broschüren und sonstigen Veröffentlichungen kräftig angehoben. Ferner haben wir die Zuschüsse zur Förderung zentraler Vereinigungen der Behindertenhilfe, aber auch - und das ist mir noch wichtiger - die Zuschüsse zur Förderung von Modellmaßnahmen zur Eingliederung Behinderter erhöht.
Insgesamt beträgt die Summe der Behindertenhilfe 7,7 Millionen DM; allerdings, Frau Kollegin Wegner, die weiteren Hilfsmaßnahmen für behinderte Menschen finden wir ja auch in vielen anderen Ressorts der übrigen Minister.
({13})
- Nein, nicht versteckt, sondern offen. Das kann man ja nachlesen. Wir haben nämlich nichts zu verstekken.
({14})
- Wir machen alles offen.
Dem Mütter-Genesungswerk - eine, so meine ich, segensreiche Gründung von Frau Elly Heuss-Knapp; das Mütter-Genesungswerk ist eigentlich Anwältin der Mütter, die sonst keine Chance haben, eine Kur zu machen - haben wir für Instandsetzungsbauten und zur Ausstattung und Rationalisierung der Heime insgesamt 9 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Ich finde, das ist ein richtiger Weg. Ich hätte, wenn ich ehrlich sein soll, hier gerne viel mehr Geld aus dem Haushalt genommen, aber irgendwo muß man sich ja leider immer begrenzen.
Ich hätte gerne noch etwas zur älteren Generation gesagt, muß aber jetzt aufhören, weil mir nur noch eine Minute Redezeit angezeigt wird. Ich gehe davon aus, daß die Kollegin Rönsch gleich noch etwas zur älteren Generation sagen wird. Ich selbst möchte festhalten, daß ich mich gerade in bezug auf die ältere Generation sehr dafür einsetzen werde, daß wir schnell eine Pflegeversicherung durchsetzen können. Damit Sie dazu auch sofort meine Meinung wissen: Ich gehöre zu der Gruppe, die das Modell von Norbert Blüm favorisiert. Ich bitte Sie alle, mit uns darüber zu diskutieren und zu versuchen, dieses Blüm-Modell durchzusetzen und darüber abzustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Höll.
Verehrter Präsident! Verehrte Abgeordnete! Der heute zur Verabschiedung anstehende Haushalt 1991 für das Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland ist zwar im Plenum und in den Ausschüssen diskutiert und in seiner Anlage kritisiert worden, jedoch hat er in seinen zum Sozialstaatsprinzip im Widerspruch stehenden Prioritäten keine qualitative Änderung erfahren. Diese Tatsache zwingt mich, erneut zu fragen, wie die Bundesregierung vor dem eigenen Volk und der heute nach Frieden, Entspannung und Zusammenarbeit strebenden Völkergemeinschaft diesen aufgeblähten Rüstungshaushalt rechtfertigen will, vor allem mit welcher zwingenden Logik sie begründen will, für Rüstungszwecke ein doppelt so hohes Finanzvolumen ausgeben zu wollen wie die Förderung von Frauen, Jugend, Familie und Senioren zusammen.
Mir ist natürlich aus der Beratung im Ausschuß bekannt
({0})
- ich war dort - , daß es an diesem und jenem Haushaltstitel im Einzelplan 18, Familie und Senioren, noch kosmetische Veränderungen gegeben hat. Jedoch die grundsätzliche Forderung, die in den Koalitionsvereinbarungen und in der Regierungserklärung zum Programm erhobenen familien- und seniorenpolitischen Prinzipien durch konkrete Haushaltsentscheidungen von der Ebene der bloßen Versprechungen auf die Ebene praktischer Realisierbarkeit zu stellen, blieb von der Regierung unbeantwortet im Raum stehen.
Die Regierung erhebt den Anspruch, eine kinder-und familienfreundliche Politik zu betreiben.
({1})
Trotzdem wird an dem untauglichen dualen System des Familienlastenausgleichs festgehalten, und das wohl wissend, daß Kindergeld und die einkommensabhängigen Kinderfreibeträge, außer vielleicht bei Spitzenverdienern, in keiner Weise die Existenzsicherung von Kindern gewährleisten. Vielmehr muß sich die Regierung fragen lassen, ob sie die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz - Art. 2 des Grundgesetzes - gerade für Kinder annullieren will. Durch die einkommensabhängige Förderung werden die Lebenschancen von Kindern auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf ungehinderten, nicht finanziell begrenzten Zugang zu Bildung und Kultur in einem so reichen Staat wie der Bundesrepublik von vornherein
- politisch gewollt und sozial selektiv - beschnitten. Auch mit dem Haushalt 1991 hat das vielgerühmte soziale Netz für kinderreiche Familien, für Kinder von Alleinerziehenden und von Arbeitslosen gefährlich große Löcher.
Noch gravierender ist die Kluft zwischen dem Regierungsanspruch, Seniorenpolitik für Eigenverantwortung und Kompetenz im Alter zu gestalten, und der bitteren Wirklichkeit. Ich frage mich, ob die Bundesregierung meint, daß sie wenn sie „großzügig" einige Haushaltstitel, z. B. die Zuschüsse für die Wohlfahrtsverbände für zentrale und internationale Aufgaben um 30 Millionen DM bzw. die Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen für Familien und ältere Menschen im Beitrittsgebiet um 10 Millionen DM aufstockt, damit die generellen Probleme verdecken kann. Der Schleier ist zu dünn, um uns die vorrangig weibliche Altersarmut, die Alterseinsamkeit auf Grund des Mangels an sozialen Kommunikationszentren für die ältere Generation, den für Rentner kaum erschwinglichen Zugang zu Kulturgenuß, die Entmündigung älterer Menschen durch Taschengeldfestsetzungen für Heimbewohner bzw. die Nichtachtung eines arbeitsreichen Lebens durch Abspeisung mit Sozialhilfe zu verbergen.
Damit möchte ich diese Aufstockungen in keiner Weise in Frage stellen. Jedoch meine ich: Diese Probleme sind nicht mit dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein zu lösen. Ein selbstbestimmtes Alter schließt nach Ansicht der PDS/Linke Liste ein, das jeder Frau und jedem Mann die Wahlfreiheit zusteht, ob sie ihren Lebensabschnitt Alter auf der Grundlage der vOn ihnen erworbenen materiellen Voraussetzungen - ihres Besitzstandes Rente - eigenständig, im Kreis ihrer Familie, mit Unterstützung einer SozialstaDr. Barbara Höll
tion, in einer Wohn- und Pflegegemeinschaft oder in einem Seniorenheim verbringen wollen.
Die politische Umsetzung von Eigenständigkeit und Kompetenz im Alter läßt sich weder in den Alt-Bundesländern noch im Beitrittsgebiet mit Zuschüssen und Hilfsmaßnahmen verwirklichen. Hierfür bedarf es einer soliden politischen Konzeption, die von der gesundheitlichen Fürsorge über ein staatliches Programm für altersgerechten Wohnraum und Einbeziehung der Bedürfnisse der älteren Generation in Infrastruktur- und Verkehrslösungen bis hin zur Förderung altersgerechter kultureller Kommunikation und Selbstbetätigung einschließt.
({2})
Dringlich geboten ist vor allem in der Seniorenpolitik politische Sensibilität. Dabei sollten die gesellschaftlichen Veränderungen in dieser neuen Bundesrepublik ebenso als Einflußfaktoren auf die Lebensqualität älterer Menschen berücksichtigt werden, wie die 40jährigen, unterschiedlichen Erfahrungen und Lebenszusammenhänge der älteren Generation politisch respektiert werden müssen.
Ich danke.
({3})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Sigrid Hoth.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich einige Worte an meine Vorrednerinnen von der PDS und von der SPD richten. Auch ich, meine lieben Kolleginnen, beklage natürlich den ungünstigen Debattenzeitpunkt. Aber bei dem unsachlichen Inhalt mancher Beiträge kommen wir niemals in der besten Fernsehzeit zu Wort.
({0})
- Doch, so ist es.
In der heutigen Debatte möchte ich Ihnen einige Schwerpunkte aus dem Haushalt des Ministeriums für Familie und Senioren darlegen. Der Gesamtetat des Ministeriums für Familie und Senioren beträgt 28,28 Milliarden DM. Ich begrüße dabei besonders die Förderung zentraler Maßnahmen der Familienarbeit in Höhe von 11,8 Millionen DM, die Zuwendungen an das Deutsche Müttergenesungswerk in Höhe von 9 Millionen DM und die Einrichtung des Hilfsfonds für schwangere Frauen in Not für die neuen Bundesländer in Höhe von 40 Millionen DM. Dieser Hilfsfonds erscheint mir besonders wichtig, da so bis zum Aufbau von Schwangerenberatungsstellen verschiedener Träger unbürokratisch und sofort geholfen werden kann.
Aber meiner Ansicht nach muß die neue Qualität in der Familien- und Frauenpolitik, die äußerlich durch die Schaffung eines eigenständigen Ministeriums dokumentiert wurde, durch noch konsequentere politische Entscheidungen untermauert werden.
({1})
Grundsätzlich sollte noch mehr auf Rechtsansprüche als auf Hilfen - so gut sie auch gemeint sind - Wert gelegt werden.
({2})
Ich meine hier in besonderem den Rechtsanspruch der Frauen, gemeinsam mit ihrem Partner über ihre Lebens- und Familienplanung selbst entscheiden zu können und - in logischer Konsequenz - den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz,
({3})
der jeder Frau die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf ermöglicht, wenn sie dieses wünscht.
Die neuen Bundesländer sind hier beispielgebend, wie bereits Frau Ministerin Merkel ausführte. Im übrigen - dies sei an die Adresse von Frau Becker-Inglau gesagt - zahlt man in Sachsen-Anhalt für einen Kindergartenplatz zur Zeit 35 DM. Dies nur, um einmal die Relation darzustellen.
({4})
Die FDP hat bereits in der letzten Legislaturperiode versucht, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Kinder- und Jugendhilfegesetz zu verankern. Wie Ihnen allen bekannt sein müßte, scheiterte dieses Vorhaben jedoch am Votum sowohl der SPD als auch der unionsregierten Länder.
({5})
Im Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur neuen Regelung des § 218 StGB sind diese grundsätzlichen Elemente enthalten, genauso wie z. B. die Ausweitung des Erziehungsurlaubes und des Erziehungsgeldes,
({6})
die Möglichkeiten der Umschulung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Teilzeitformen oder die bevorzugte Vergabe von Wohnungen an schwangere Frauen in Konfliktsituationen. Auch die Ausgestaltung und Weiterentwicklung eines gerechten Familienlastenausgleichs muß uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Die FDP vertritt dabei das Konzept eines dualen Familienlastenausgleichs mit Kindergeld, das allen zugute kommt, und dem Steuerfreibetrag, der den Aufwand für Kinder in einem bestimmten Umfang von der Besteuerung freistellt.
({7})
Meiner Meinung nach bekommen die Frauen und die Familien nur auf der Basis solcher grundsätzlichen politischen Entscheidungen den von uns allen angestrebten noch besseren Stellenwert im vereinten Deutschland.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einige Worte zu einem mir ebenfalls sehr wichtigen Thema, zur Seniorenpolitik, sagen. Hier erscheint mir besonders bemerkenswert, daß im Laufe der Haushaltsberatungen die Mittel zur Förderung besonderer Hilfsmaßnahmen für Familien und ältere Menschen im Beitrittsgebiet von 40 Millionen auf 50 Millionen DM erhöht und die Zuschüsse an die Wohlfahrtsverbände
von 38 Millionen auf 68 Millionen DM aufgestockt wurden. Zieht man noch die Mittel des Revolving Funds in Höhe von 25 Millionen DM in Betracht, so steht meiner Ansicht nach ein beträchtliches Finanzvolumen für effiziente Maßnahmen in den neuen Bundesländern im Bereich der Seniorenpolitik zur Verfügung.
({8})
Frau Kollegin Wegner, es wundert mich sehr, daß ausgerechnet Sie diese hohen Summen übersehen haben.
({9})
Diese Mittel sind in erster Linie zur übergangsweisen Unterstützung der Wohlfahrtsverbände in den neuen Bundesländern und für den Aufbau von Sozialstationen gedacht. Diese sind dringend erforderlich, um die häusliche Versorgung älterer und behinderter Menschen sicherzustellen. Auch die Verbesserung des zur Zeit noch katastrophalen Betreuungsniveaus in Alten- und Pflegeheimen kann in den neuen Bundesländern zur Zeit nur mit Hilfe der bereitgestellten Mittel erreicht werden.
({10})
An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, daß ich für die Beratungen zum Haushalt 1992 erwarte, daß zur Wahrung der Haushaltsklarheit und -wahrheit darauf verzichtet wird, Zuschüsse für die Wohlfahrtsverbände in, soweit mir bekannt ist, drei verschiedenen Einzelplänen in erheblichen Summen zu etatisieren.
Meine Damen und Herren, wie ich bereits ausführte, beziehen sich die im Verlaufe der Beratungen vorgenommenen und von mir unterstützten Änderungen des Ihnen zur Abstimmung vorgeschlagenen Einzelplans 18 im wesentlichen auf wichtige Aufgaben in den neuen Bundesländern. Mit zusätzlichen Finanzmitteln können nun Maßnahmen im Bereich der Familie, der Behinderten und der älteren Menschen entsprechend der gegenwärtigen außerordentlich schwierigen Situation zusätzlich gefördert werden. Der Einsatz von Bundesmitteln in diesem Umfang ist als zeitlich begrenzte Anschub- bzw. als Anschlußfinanzierung an das 1990 begonnene Soforthilfeprogramm und keineswegs als Mittel zur Aufweichung föderaler Strukturen oder zur Übertragung von Länderkompetenzen auf den Bund gedacht.
({11})
Die Verantwortlichkeit der Länder und Kommunen für die Probleme, die regional und ortsnah gelöst werden müssen, bleibt somit bestehen und wird in den kommenden Jahren auch in den neuen Bundesländern wieder stärker in den Vordergrund treten müssen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile das Wort der Ministerin für Familie und Senioren, Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich die Absicht, die mir zustehende Redezeit voll auf den Einzelplan 18, auf den Haushalt für das Ministerium für Familie und Senioren, zu verwenden, muß jetzt aber doch einige Worte für meine Kollegin Merkel sagen dürfen. Kollegin Merkel hatte sich voll auf ihren Haushalt konzentriert. Infolge der Änderung der Rednerreihenfolge mußte sie vorzeitig gehen. Ich meine einiges doch noch klarstellen zu müssen. Frau Merkel konnte nicht ahnen, daß ihre Anwesenheit auch während der Haushaltsdebatte zu Einzelplan 18 erforderlich wäre.
Frau Merkel hatte in ihrer Rede ausdrücklich davon gesprochen und deutlich gemacht, daß bei dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz die fünf neuen Bundesländer beispielhaft sind, daß die fünf neuen Bundesländer diesen Rechtsanspruch schon verwirklicht haben und daß Bundesländer in der Bundesrepublik ({0}), sozialdemokratisch geführt, erheblichen Nachholbedarf haben.
({1})
Ich bitte Sie ganz einfach, das im Protokoll nachzulesen. Ich habe hier die gedruckte Rede von Frau Becker-Inglau. Darin steht, daß die fünf neuen Bundesländer aus finanziellen Gründen nicht in der Lage seien, den Rechtsanspruch zu verwirklichen. Die Kollegin ist ja noch da. Ich bitte Sie also, das im Protokoll nachzulesen. Frau Ministerin Merkel hat ganz deutlich darauf aufmerksam gemacht. Dann sollte man es auch zur Kenntnis nehmen.
Jetzt möchte ich mich sehr gern auf meinen Haushalt, auf den Einzelplan des Ministeriums für Familie und Senioren, konzentrieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt für das Haushaltsjahr 1991 steht voll unter der Überschrift der Angleichung der Lebensverhältnisse für die Familien und die älteren Menschen in beiden Teilen Deutschlands. Ich will Ihnen nur einige Schwerpunkte aus dem Haushalt über die Punkte hinaus nennen, die die Kolleginnen aus dem Haushaltsausschuß schon angesprochen haben.
Lassen Sie mich an dieser Stelle den Kolleginnen aus dem Haushaltsausschuß, die mit den Beamten aus dem Ministerium hervorragend zusammengearbeitet haben, ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Trotz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und des gemeinsamen Bewußtseins, daß für Familien und ältere Menschen gearbeitet wird, ist deutlich geworden, daß an einigen Stellen Haushaltsverbesserungen notwendig waren, und diese Verbesserungen haben auch stattgefunden. Um so mehr hat es mich erstaunt, Frau Dr. Wegner, daß Sie dem Haushalt nicht zustimmen konnten. Ich möchte Sie nämlich ganz besonders in das Dankeschön einschließen. Sie haben doch sehr viele Maßnahmen gerade in den Haushaltsberatungen mitgetragen.
Das Jahr 1991 - das sagte ich schon - steht unter der Überschrift der Angleichung der Lebensverhältnisse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands.
Ich meine, daß es eine zentrale Aufgabe auch der freien Wohlfahrtspflege ist, zu helfen, damit die Strukturen, die es bereits in der alten Bundesrepublik gibt, in den fünf neuen Bundesländern aufgebaut werden können. Wir haben in den Haushalt 68 Millionen DM eingesetzt. Das sind 30 Millionen DM mehr als ursprünglich geplant. Dafür mein ganz herzliches Dankeschön.
Auch bei den Soforthilfemaßnahmen sind es 10 Millionen DM mehr geworden, als ursprünglich geplant waren. Diese Soforthilfemaßnahmen zugunsten älterer Menschen und Behinderter sind zwingend erforderlich. Ich werde mit diesen Finanzmitteln in enger Abstimmung mit den Bundesländern und mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege den Auf- und Ausbau der ambulanten Dienste voranbringen.
In den alten Bundesländern betreiben die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege mit ihren regionalen und lokalen Gliederungen mehr als 68 000 soziale Einrichtungen. Sie beschäftigen rund 750 000 hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und darüber hinaus einen großen Kreis von ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Gerade den Ehrenamtlichen gilt an dieser Stelle mein ganz besonders herzliches Dankeschön.
({2})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Familie und Senioren umfaßt jetzt 28,3 Milliarden DM. Mit diesem hohen Betrag - es ist der viertgrößte Einzelhaushalt - weisen wir aus, daß die Familie und die älteren Menschen in Gesamtdeutschland unsere besondere Wertschätzung erfahren. Wir wollen damit Maßnahmen fördern, von denen ich schon einige angesprochen habe.
Ab dem 1. Januar 1991 gelten die Beträge für das Kindergeld und für das Erziehungsgeld in Gesamtdeutschland. Wir werden diese Beträge in Zukunft ausbauen müssen.
Aber nicht nur die materiellen Anforderungen kennzeichnen die vor uns liegenden Ausgaben. Unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen in den fünf neuen Ländern können von uns zu Recht erwarten, daß wir ihnen ausführliche Informationen über die ihnen zustehenden Leistungen des Staates zur Verfügung stellen. Wir müssen angesichts der Vielzahl der anstehenden Probleme eine umfassende Beratung anbieten. Sie haben bereits einige Beratungsmechanismen angesprochen. Ich sage darüber hinaus, daß wir unter dem Haushaltstitel „Zukunft der Familie" u. a. Gelder für fünf Busse bereitstellen werden, in denen in den fünf neuen Ländern gerade in den mittleren Städten Informationsmaterial bereitgehalten wird, um den Familien und den älteren Menschen, die vielleicht nicht an alle Informationen herankommen können, Material zu geben.
({3})
- Ja, damit sie endlich wissen, welche Ansprüche sie an den Staat haben. Daß das zwingend erforderlich ist, sieht man daran, daß noch bis vor kurzem 300 000 ihren Kindergeldantrag nicht abgegeben haben. Ich meine, daß es zwingend erforderlich ist, daß man die
Familien über das informiert, was der Staat ihnen zur Verfügung stellt.
({4})
Ebenso wichtig ist auch der Aufbau eines pluralen Netzes von freien Trägern in allen Bereichen der Familienarbeit. Ich halte es für ausgesprochen notwendig, daß die Familienverbände in der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen finanziell stärker ausgestattet werden, damit sie ihre Arbeit auch in den neuen Bundesländern aufbauen können und die Familien dann Möglichkeiten ihrer Interessensvertretung vorfinden.
Die Bundesregierung hat unmittelbar nach dem 3. Oktober 1990 mit dem Aufbau von Beratungsstellen im Sinne des Artikels 31 Abs. 4 des Einigungsvertrages angefangen. In Kürze werden wir mit den fünf neuen Bundesländern eine Vereinbarung abschließen, wonach der Bund 90 % der anfallenden Kosten übernimmt, während die Länder 10 % für diese Beratungsstellen zahlen. Diese Beratungsstellen sind in pluraler Trägerschaft.
Vorhin wurde nachgefragt - auch in der Fragestunde taucht diese Frage immer wieder auf - : Wer ist der Träger dieser Beratungsstellen? - Wenn ich von pluraler Trägerschaft rede, meine ich das Diakonische Werk, den Caritasverband, aber selbstverständlich auch Pro familia. Ich will Ihnen die Zahlen ganz genau nennen, weil ich mir gedacht habe, daß diese Frage schon wieder kommt.
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- Wir hatten die Zahlen oft genug, aber ich nenne sie gerne noch einmal: Zwei sind bewilligt; das ist sehr wenig.
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- Zwei sind bewilligt. Ich meine, das ist viel zuwenig. Im Bewilligungsverfahren sind jetzt sechs Beratungsstellen von Pro familia. Vier sind nicht entscheidungsreif, weil die Konzeption und die Kostenpläne immer noch nicht vorliegen. Da muß man Pro familia auffordern, diese Unterlagen endlich beizubringen, damit das Genehmigungsverfahren endlich weiterkommt.
Bei neun Beratungsstellen von Pro familia müssen noch Gespräche mit den anderen Wohlfahrtsverbänden geführt werden, weil dort - wegen der Pluralität - viele Angebote von anderen Trägern vorliegen. Es müssen noch Gespräche geführt werden, weil es an der Stelle nicht zu einer Überversorgung kommen soll.
Ich meine, daß sich die freien Träger der Beratungsstellen miteinander verständigen sollten, wie die verbleibende Fläche aufgeteilt wird, damit jede Frau die Möglichkeit hat, zu einer Beratungsstelle zu gehen, die ihrem Gusto entspricht, wenn sie in einer Konfliktsituation ist.
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- Frau Dr. Wegner, wir sind dabei, die 100. Beratungsstelle zu genehmigen, die - ich sprach davon - in pluraler Trägerschaft - Diakonisches Werk, Cari1900 Deutschei Bundestag - 12. Wahlperiode Bundesministerin Hannelore Rönsch
tasverband - sind. Warum Pro familia nicht in der Lage ist, Konzeptionen und Pläne vorzulegen, nachdem die Finanzierung geklärt ist, müßten Sie dort erfragen. Wir aus dem Ministerium haben das bereits getan. Wir haben Pro familia aufgefordert, endlich die fertigen Konzeptionen vorzulegen, damit sie im Verwaltungsverfahren genehmigt werden können.
Diese Schwangerschaftsberatungsstellen sollen Frauen in Konfliktsituationen beraten. Wer aber Schwangerschaftsabbrüche vermeiden will, muß mit dazu beitragen, daß ungewollte, ungeplante Schwangerschaften erst gar nicht entstehen. Das kann besonders durch eine verantwortungsbewußte Sexualerziehung und durch umfassende Aufklärung über die Möglichkeiten der Familienplanung unterstützt werden.
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Das Ministerium wird deshalb umgehend eine Aufklärungsbroschüre herausgeben, die sich an Jugendliche - vor allem an Jugendliche, aber auch an die Eltern - wendet. Diese Broschüre ist sehr frei verfaßt. Wir werden in der Öffentlichkeit darüber diskutieren müssen. Aber ich bin der Meinung, daß man Aufklärung umfassend gestalten muß und daß man den Jugendlichen Materialien an die Hand geben sollte, die ihnen über ihr Sexualverhalten entsprechende Auskunft geben.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein besonderes Anliegen des Ministeriums für Familie und Senioren ist in der Abteilung Senioren die Altenpolitik. Wir haben in dem kommenden Jahr, aber auch in den kommenden Jahren mehrere Schwerpunktbereiche. Es geht zum einen um die Frage der gesellschaftlichen Beteiligung unserer älteren Mitbürger. Alter und Behinderung dürfen keine Schranke für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bilden. Ich wäre Ihnen ausgesprochen dankbar, wenn die Politik für ältere Menschen die gleiche Aufmerksamkeit erfahren würde wie die Politik z. B. für Frauen oder für die Familie.
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Wir wollen eine Politik für unsere älteren Mitbürger, die von ihnen aktiv mitgestaltet wird. Es geht sowohl um die Frage der Erhaltung und Förderung der selbständigen Lebensführung älterer Menschen, damit sie in eigener Kompetenz, solange sie wollen und können, eigenverantwortlich leben können. Aber es geht auch um Prävention und um Rehabilitation.
Diese Ziele erfordern eine Bündelung und einen Ausbau von Förderungsmaßnahmen. Mit dem geplanten Aufbau eines Bundesaltenplanes, an dessen Konzeption im Ministerium momentan gearbeitet wird, wird dann ein wirksames Instrument zur Verfügung stehen, um Altenpolitik für und vor allem mit der älteren Generation wirksamer gestalten zu können.
Wir alle wissen, daß die Pflegeversicherung jetzt dringend kommen muß, daß sie zwingend erforderlich ist, um auch dem älteren Menschen die entsprechende Absicherung zu geben. Ich will wegen meiner ablaufenden Redezeit nicht weiter darauf eingehen, aber mich doch meiner Kollegin Irmgard Karwatzki anschließen und hier deutlich machen, daß ich den Ministerkollegen Norbert Blüm bei seinen Vorstellungen, dem alten Menschen eine Absicherung der Pflege zu gewähren, voll unterstützen werde.
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Ein weiterer Schwerpunkt dieses Jahres wird sein, daß ein Altenpflegegesetz eingebracht wird. Wir werden die Altenpflegeeinrichtungen gerade in den fünf neuen Bundesländern mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost unterstützen. Hier schließe ich mich meiner Kollegin Hasselfeldt an und bitte jeden Kollegen und Kollegin aus den fünf neuen Bundesländern, nachzusehen, welche Mittel für die Altenpflege und Alteneinrichtungen von den 5 Milliarden DM verwendet werden. Aber es reicht uns nicht, wenn zwar der bauliche Zustand der Altenpflegeeinrichtungen in Ordnung ist, wir jedoch über ein Altenpflegegesetz nicht das nötige Pflegepersonal zur Verfügung stellen können. Deshalb werde ich noch in diesem Jahr ein Altenpflegegesetz einbringen.
Dieses Altenpflegegesetz soll die Ausbildung des Altenpflegepersonals bundeseinheitlich regeln.
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Nach einer dreijährigen Ausbildungszeit soll mit entsprechender Ausbildungsvergütung ein qualifizierter Beruf des Altenpflegers oder der Altenpflegerin geschaffen werden. Mit dieser bundeseinheitlichen Regelung stellen wir sicher, daß der ältere Mensch in einer entsprechenden Einrichtung umfassend versorgt wird.
Aber die Hauptlast der Versorgung alter, kranker und hilfsbedürftiger Menschen wird heute in den Familien getragen. Wir dürfen deshalb den Auf- und Ausbau ambulanter Pflegedienste nicht vergessen.
Obwohl die Lampe hier leuchtet, möchte ich zum Schluß noch den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, aber ganz besonders den drei Berichterstatterinnen mein herzliches Dankeschön für die Arbeit sagen, die für den Haushalt 1991 geleistet wurde. Ich möchte aber auch gleich darauf hinweisen, daß dieses Ministerium mit dem viertgrößten Haushaltsvolumen im personalwirtschaftlichen Bereich ein wenig kurz gekommen ist und man darauf achten sollte - vielleicht darf ich diese Empfehlung geben - , daß im Haushalt 1992 in der Abteilung für die älteren Menschen, für die Senioren personalpolitisch ein wenig hinzugegeben wird, weil Aufgaben vor uns liegen, deren Dimension wir momentan noch nicht ganz abschätzen können, die aber mit Sicherheit sehr groß sind.
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Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie beim Haushalt 1992 in der Abteilung Senioren im Personalpolitischen noch ein wenig mehr gestalten könnten.
Ich will mit dem Dank an den Haushaltsausschuß schließen.
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Meine Damen und Herren, bevor ich Ihnen Gelegenheit gebe, über den Änderungsantrag und über den EinVizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
zelplan 18 abzustimmen, komme ich dem Wunsch Frau von Renesses nach, ihr die Möglichkeit zu einer Kurzintervention zu geben. Bitte sehr, Frau von Renesse.
Ich weiß, Herr Präsident, daß die Zeit sehr fortgeschritten ist. Ich werde mich kurzfassen.
Wenn man die Leistungen der Regierung in Sachen Familienpolitik - Klammer auf: Kindergeld, aber sehr viel Druckschriften und fünf Busse in die DDRMittelstädte - , wenn man diese Großtaten rühmen hört, fällt mir das Wort von der Ministerin Frau Rönsch ein, daß erst Gerechtigkeit für Familien kommt. Wenn die erfüllt ist, dann kann man über Förderung sprechen.
Da von Gerechtigkeit für Familien - jedenfalls nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts - in dem größten Batzen dieses Ministeriums noch nicht geredet werden kann - siehe die Hunderte von Vorlagen diverser Finanzgerichte für die Gegenwart -, kommt mir die Regierung so vor wie ein unterhaltspflichtiger Vater, der seinem minderjährigen Kind den Unterhalt verweigert, ihm aber einen Plüschbären schenkt und ein Bedankemich erwartet.
({0})
Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin von Renesse, das hätten wir auch im Rahmen einer Zwischenfrage erledigen können, und ich hätte Ihnen darauf gerne geantwortet.
Ich meine, daß es, wenn über 300 000 Familien aus den fünf neuen Bundesländern ihren Anspruch auf Kindergeld gar nicht erst wahrgenommen haben, dann zwingend erforderlich ist, diese Familien, soweit es überhaupt geht, zu informieren, damit sie die Leistungen, die der Staat erbringt, auch wahrnehmen.
Ich bin mit Ihnen durchaus einer Meinung, daß man im Bereich des Kindergeldes noch etwas tun muß. Sie wissen ganz genau, daß wir zum 1. Januar 1992 das Kindergeld von 50 auf 70 DM erhöhen. Darüber können wir uns später noch unterhalten.
Auch im Rahmen des Familienlastenausgleichs bin ich, obwohl ich weiterhin am dualen System festhalten werde, mit Ihnen der Meinung, daß man gerade nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes die Freibeträge entsprechend anheben muß. Wir werden uns dann darüber im Ausschuß zu unterhalten haben, wenn das passiert.
Nur ist es für die Zukunft einfach sinnvoller, daß wir, damit man nicht zwei Wege gehen muß - auch wegen der fortgeschrittenen Zeit -, so etwas im Rahmen einer Zwischenfrage erledigen.
({0})
Meine Damen und Herren, nachdem auch dieser Dialog beendet ist, können wir über den Änderungsantrag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/653 abstimmen. Wer ist dafür? - Außer der Gruppe der PDS war niemand dafür. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, bei Enthaltung der SPD und geteiltem Abstimmungsverhalten der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE abgelehnt worden.
Wir stimmen nunmehr über den gesamten Einzelplan 18 ab. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung aus der Gruppe Bündnis 90 und ansonsten Gegenstimmen der Opposition ist der Einzelplan angenommen worden.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
- Drucksachen 12/507, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Hinrich Kuessner Michael von Schmude
Dr. Wolfgang Weng ({0})
Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 12/519, 12/530 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Conrad Schroeder ({1})
Hans Georg Wagner
Es wird eine Debattenzeit von einer Stunde vorgeschlagen. Ich hoffe, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das beschlossen.
Ich eröffne die Debatte und erteile zunächst der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden in diesem Jahr zum drittenmal über die Aufgaben dieser Bundesregierung auf dem Gebiet der Rechtspolitik. Die Debatte über den Justizhaushalt - auf den möchte ich mich im Augenblick beschränken - gibt Gelegenheit zu einer Bilanz - es kann im Augenblick nur eine Zwischenbilanz sein - und zu einer ersten Bewertung, ob wenigstens das, was angekündigt wurde, auf einem guten Weg ist.
Die Debatten zur Regierungserklärung im Februar und auch die Auseinandersetzung bei der ersten Lesung des Justizhaushalts haben, Herr Bundesjustizminister, die Übereinstimmung zwischen den beiden Seiten des Deutschen Bundestages aufgezeigt. Sie haben aber auch die Unterschiede deutlich gemacht.
Ich will das ganz kurz rekapitulieren. Wir alle waren uns einig, daß es zu den Schwerpunkten der Rechtspolitik in dieser Legislaturperiode gehören muß, alles zu tun, damit die Teilung in Deutschland auf dem Gebiet des Rechts überwunden wird. Wir waren uns einig, daß es wichtig ist und ebenfalls zu den Schwer1902
punkten gehören muß, das Vertrauen hauptsächlich der Menschen in den neuen Ländern in die rechtsstaatliche Justiz aufzubauen, dafür zu werben, das Unsere dafür zu tun, damit das gelingen kann. Wir waren uns auch darin einig, daß das Unrecht aus den letzten 40 Jahren wiedergutgemacht werden muß, soweit es irgendwie geht.
Nicht einig waren wir, unterschieden haben wir uns und auch auseinandergesetzt haben wir uns über die Frage, welche Wege hin zu diesen Zielen einzuschlagen sind und was dabei Vorrang haben soll. Wir haben vier Bereiche, die Vorrang genießen sollten, aufgezählt. Wir sagen zum ersten, daß wir schnell eine Entschädigung der Opfer, ein Rehabilitierungsgesetz brauchen. Wir brauchen zum zweiten Klarheit bei den Eigentums- und Vermögensfragen, bei denen wir der Meinung waren, daß unser Weg „Entschädigung vor Rückgabe" der richtige Weg sei, Sie aber an dem Ihren festhalten. Wir haben zum dritten gesagt: Es muß Hilfe her, damit sich die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern in diesem Wust von neuen Gesetzen und Rechtsvorschriften überhaupt zurechtfinden können. Viertens muß alles getan werden, damit in den neuen Ländern möglichst bald eine rechtsstaatliche Justiz entstehen kann, d. h. es muß ein beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz geholfen werden.
Heute stellen wir fest, daß - ich darf sagen: trotz Ihres persönlichen Engagements gerade in bezug auf diese Fragen, Herr Bundesjustizminister, und trotz erster Schritte durchaus in die richtige Richtung - bei der Überwindung der Teilung auf dem Gebiet des Rechts hier in Deutschland längst nicht alles getan worden ist, was möglich gewesen wäre. Wir stellen fest, daß wir nicht so weit sind, wie es möglich gewesen wäre. Das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Es ist noch nicht einmal eine zufriedenstellende Zwischenetappe erreicht worden. Es geht alles viel zäher und langsamer vonstatten, als es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger liegt und als es notwendig gewesen wäre.
Herr Bundesjustizminister und meine Herren Kollegen von den Regierungsparteien, das liegt nicht nur an den objektiven Schwierigkeiten und den objektiven Widrigkeiten, die wir natürlich auch sehen, sondern auch daran, daß Sie zum Teil falsche Wege gehen und wir zwar viele Ankündigungen vorgesetzt bekommen - an denen mangelt es ja nun wirklich nicht - , konkrete Schritte aber immer noch vermissen. Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir nicht in der Lage, dem Justizhaushalt zuzustimmen.
Wir bedauern, gerade was den Schwerpunkt Eigentumsfragen angeht, daß Sie an Ihrem falschen Weg festhalten. Wir haben uns mit Ihnen immer wieder darüber gestritten, warum er falsch ist. Wir haben Ihnen gesagt: Ihr Weg kann nicht vernünftig sein. Er muß Investitionen blockieren, weil diese Flut von Rückgabeanträgen - Sie wissen ja, es sind Hunderttausende, ja, mehr als eine Million - einfach nicht bearbeitet werden kann, ohne die Verwaltungen zu überfordern. Diese Flut von Anträgen muß die Privatisierung und auch Investitionen blockieren. Meine Damen und Herren, das hat sich eben auch nicht geändert, nachdem Sie - gegen unsere Stimmen - das sogenannte Reparaturgesetz verabschiedet haben, allem zum Trotz, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern oder auch in diesem Haus versprochen haben.
Ich will als Beispiel dafür nur eine Meldung der vergangenen Tage zitieren. „Vor Gericht gerät die Privatisierung ins Stocken - Prozesse hemmen die Arbeit der Treuhandanstalt" ; das war am 3. Juni in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen. Das ist völlig richtig. 200 Prozesse hat die Treuhand schon jetzt am Hals, obwohl das neue Recht erst seit dem 1. April gilt.
Meine Damen und Herren, Behörden stöhnen über die Kompliziertheit der Rechtsvorschriften; sie wissen mit ihnen nichts anzufangen.
({0})
- Lieber Herr Weng, wenn Sie nur einmal ein bißchen zuhören würden, dann wären wir alle im Interesse der Bürger wirklich weiter, denn Ihre Einwände, die wir nun schon seit einem Dreivierteljahr hören, führen ja nicht weiter. Wenn Sie sich wenigstens darum kümmern würden, lieber Herr Weng, daß wenigstens die Bundesbehörden mit der Flut der Anträge, die sie zu bearbeiten haben, z. B. nach dem Zuordnungsgesetz, fertig würden, auch dann wären alle schon einen Schritt weiter. Allein bei den Oberfinanzdirektionen und bei den Bundesvermögensämtern sind jetzt über 60 000 Anträge anhängig. Es ist keine Rede davon, daß auch nur Ihre Zusage, die Zuordnung könne in einem vernünftigen Zeitraum bewältigt werden, eingehalten werden kann.
({1})
Wir kritisieren das, meine Damen und Herren, und fordern Sie deshalb auf - obwohl ich schon an Ihrer Reaktion sehe, daß Sie es nicht mehr hören können -, den Grundsatz schnell zu ändern. Ich sage Ihnen: Im Herbst wird das sowieso wieder auf dem Tisch des Hauses liegen, und bis dahin wird wieder ein halbes Jahr verloren sein, bis dahin wird die Investitionsblokkade verlängert, bis dahin werden dann noch mehr Menschen in den neuen Ländern arbeitslos sein.
({2})
Das alles tut der Einheit in Deutschland nicht gut.
({3})
Ich komme zum zweiten Punkt. Wir bedauern, daß es mit der Rehabilitierung so langsam vorangeht. Ich glaube, was den Grundsatz anbelangt, sind wir uns einig. Darüber haben wir in diesem Haus ja schon häufig genug geredet.
Ich brauche Sie auch nicht daran zu erinnern, daß wir Sozialdemokraten wirklich alles getan haben, um hier die schwierigen Probleme mit aufzuarbeiten, den Weg aufzuzeigen und auch zu sagen, wohin die Reise gehen muß.
Am 24. Oktober des letzten Jahres haben wir einen Anfang gemacht, weil wir die Verpflichtung des Einigungsvertrags ernstgenommen haben, der ja festlegt: Es muß die Aufgabe des ersten gesamtdeutschen Bundestages sein, sich um die Opfer von stalinistiDr. Herta Däubler-Gmelin
scher Diktatur und kommunistischem Unrecht, die 40 Jahre dauerten, zu kümmern.
({4})
- Wir haben die Große Anfrage eingebracht, Herr Kollege Kleinert, und es wäre gut, wenn auch Sie sich gelegentlich damit beschäftigen könnten.
Drittens. Dem Rechtsausschuß liegt ein Antrag vor, der Ihre Bewertung „wegweisend" in seiner vollen Bedeutung verdient. Wir sagen dort: Laßt uns doch folgendermaßen vorgehen: Das, was wir jetzt regeln können, laßt uns auch jetzt machen, und zwar durch ein Vorabgesetz, das die Zuständigkeiten begradigt, die Unklarheiten der geltenden Regelungen beseitigt und vor allen Dingen mit der Verhöhnung der Opfer aufhört, die dadurch geschieht, daß wir ihnen - wenn sie zu Unrecht im Gefängnis gesessen haben oder zu Unrecht in psychiatrischen Anstalten eingesperrt waren - gerade 1 DM pro Tag an Entschädigung zuerkennen.
({5})
Herr Bundesjustizminister, wir hören sehr wohl, was Sie uns ankündigen. Aber ich darf Ihnen noch einmal vortragen, was mir Betroffene in Bautzen gesagt haben; Herr Staatssekretär Göhner, auch Sie waren dort. Sie werden mir zustimmen: Die Menschen, die Betroffenen, die Opfer werden älter. Sie können nicht mehr lange warten.
Sie werden ebenfalls zustimmen, daß diese Menschen zunehmend bitterer werden, je länger sie warten müssen. Sie sagen: Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß in diesem Rechtsstaat, zu dem wir jetzt gehören, für alles mögliche Geld oder auch Arbeitskapazität und Ressourcen vorhanden sind - z. B. für den unglücklichen Versuch einer Amnestierung von StasiSpionen, auch für die Erarbeitung eines Entschädigungs- und Ausgleichsgesetzes bei Eigentumsentziehung -, während wir warten sollen.
Sie wissen doch, daß die Menschen genau so argumentieren.
Dieser Bundestag steht in der Pflicht; auch diese Bundesregierung steht in der Pflicht. Deswegen werden wir Sie beim Wort nehmen.
Unsere Forderung heißt: Wir wollen nicht nur unsere Große Anfrage vor der Sommerpause beantwortet haben, sondern - Herr Bundesjustizminister, wir nehmen Sie persönlich beim Wort - vor der Sommerpause soll dieser erste Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden, damit wir den Opfern, diesen alten Menschen, sagen können: Wir haben euch nicht vergessen, wir meinen es nicht nur so, was wir sagen, sondern den Worten werden auch Taten folgen.
Wir fordern Sie auch auf mitzuhelfen, damit die Menschen - ich habe das gerade schon angesprochen - in den neuen Ländern mit dem Recht, das jetzt für sie gilt, besser zurechtkommen.
Auch Sie bekommen doch Briefe, auch Sie lesen doch die Berichte, auch Sie reden doch mit sehr vielen dieser Bürgerinnen und Bürger, wenn Sie in den neuen Ländern sind, und wissen, wie dringend nötig Hilfe ist.
Man hat manchmal den Eindruck, daß alle Geschäftemacher, die es in den westlichen Ländern zu nichts bringen, die neuen Länder mit dem Wilden Westen verwechseln, dort wie die Heuschrecken einfallen und versuchen, möglichst viele Leute möglichst hemmungslos übers Ohr zu hauen.
({6})
Meine Damen und Herren, da muß doch Abhilfe geschaffen werden. Heute ist Rat, ist Hilfe dort kaum einzuholen. Die Menschen kommen auch mit ihren Rechten nicht zu Rande; sie kennen sie meistens gar nicht. Herr Kleinert, sie kennen auch die Zuständigkeiten nicht, und sie wissen auch nicht, wohin sie sich wenden sollen. Und wenn sie das dann herausgefunden haben, sind die Betrüger über alle Berge, oder die Betroffenen kommen mit den Voraussetzungen für Anträge oder schlicht mit unseren Formularen schon gar nicht zurande. Deswegen wiederhole ich hier die Forderung, die wir schon häufig, zuletzt auch in den Arbeitsgruppen, aufgestellt haben: Was wäre denn eigentlich leichter, als in jeder Stadt ein Informations-, Beratungs- und auch Hilfsservicezentrum einzurichten, in jeder Stadt? Warum gibt es die noch nicht?
({7})
Natürlich weiß ich, daß die Zuständigkeit dafür nicht beim Bund liegt. Aber ich sage Ihnen, die Möglichkeit, das zu organisieren, die Möglichkeit, Verbände dafür zu interessieren, vom Mieterbund über Sozialverbände bis hin zum Anwaltsverein, die hat der Bund, die hat der Justizminister besser als jeder andere. Das Geld und die Organisationskapazität dafür könnte er und sollte er auch zur Verfügung stellen.
Daß beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz eine Menge geschehen ist, das wissen wir. Da ist von seiten der Länder eine Menge passiert; das erkennen wir dankbar an. Wir sehen auch, daß der Bund, daß Sie, Herr Bundesjustizminister, sich hier sehr engagieren; es gibt Geld, und es gibt Personalhilfe.
({8})
Aber klar ist auch, daß noch eine Menge getan werden muß; es klemmt ja noch überall. Es klemmt im nichtrichterlichen Personalbereich; es klemmt bei der Aus- und Fortbildung, und es klemmt auch bei der Sach- und bei der Materialhilfe. Wir fordern Sie deshalb dazu auf, die Hilfe festzusetzen und auszubauen. Aber das ist nicht alles.
Wir sagen auch: Wer beim Aufbau der Justiz in den neuen Ländern helfen will, der muß auch überlegen, wie hier im Westen Kapazitäten freigemacht werden können. Und damit bin ich jetzt bei einem sehr heiklen Punkt angekommen.
Die Landesjustizminister haben ja mit ihrem Vorschlag eines - wie sie es nannten - Justizvereinfachungsgesetzes einen Stein ins Wasser geworfen, der geradezu Schockwellen ausgelöst hat. Ich habe mit leichtem Vergnügen registriert, daß Sie, Herr Justizminister, von einer vorsichtigen Befürwortung - ich
habe das der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" entnommen - mehr ins Lager der Kritiker dieses Gesetzes abgewandert sind. Ich verstehe das gut, weil es eine Menge an diesen Entwürfen zu kritisieren gibt. Ich habe auch ein großes Maß an Verständnis dafür, daß die Berufsverbände, sei es nun der Anwaltsverein, seien es die Anwaltskammern, sei es der Strafverteidigertag oder auch der Richterbund, sagen: So geht es nicht.
({9})
Aber, meine Damen und Herren und vor allen Dingen werter Herr Kollege Kleinert, das allein nützt nur sehr begrenzt; Kritik kann nämlich nur das eine sein, was von uns erwartet wird - auch von Ihnen.
({10})
Erwartet wird jedoch erheblich mehr: die Prüfung der Frage nämlich, ob wir in den westlichen Ländern, ob wir im gesamten westlichen Teil die Ressource Recht nicht nur rechtsstaatlich genug und bürgerfreundlich genug einsetzen, sondern ob wir dies auch effizient genug tun.
({11})
Unserer Meinung nach braucht im Westen weder alles so zu bleiben, wie es jetzt ist, noch kann es so bleiben. Denn Realisten, die wir sind, wissen wir ganz genau: Noch mehr Richterstellen werden wir nicht bekommen; noch mehr nichtrichterliches Personal werden wir nicht bekommen. Und die Kompliziertheit unserer eigenen Gesetze - auch der Verfahren - ist ebenfalls nicht immer das Gelbe vom Ei. Deswegen wiederhole ich: Gefragt ist von den Berufsverbänden nicht nur Kritik, sondern gefragt sind auch Vorschläge, wie die Ressource Recht vernünftiger, gerechter, rechtsstaatlicher und bürgerfreundlicher eingesetzt werden kann.
({12})
Wir sind ebenfalls bereit, bis zum Anhörungsverfahren, das wir für den September, wenn ich es richtig sehe, Herr Kollege Dr. de With, im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beantragen werden, unsere Vorstellungen vorzulegen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, Vorschläge werden wir auch von Ihnen erwarten, vor allen Dingen auch von Ihnen, Herr Bundesjustizminister. Ich wundere mich überhaupt, daß dazu aus dem Bundesjustizministerium noch nicht mehr gekommen ist.
({13})
- Sie sprechen von 30 Jahren. Ich bin ein bißchen bescheidener und gehe auf das Jahr 1984 zurück
({14})
- damals waren Sie auch schon beteiligt; sehen Sie sich vor, Herr Kleinert -,
({15})
weil wir lange vor der staatlichen Einheit in Deutschland gesagt haben: Wir brauchen eine Reform der Justiz. Wir haben damals das Justizministerium aufgefordert, uns Vorschläge für eine Strukturreform vorzulegen. Diese liegen doch jetzt vor. Nun müssen sie umgesetzt werden.
({16})
- Jetzt muß gehandelt werden; ganz herzlichen Dank. Sonst wird nämlich alles, was wir sagen, Lippenbekenntnis bleiben.
({17})
Meine Damen und Herren, Herr Justizminister, über diese Schwerpunkte sind wir uns einig. Aber ich glaube, wir sollten uns auch darüber einig sein, daß das nicht alles sein kann, was eine gute Rechtspolitik ausmacht. Wir haben Sorge, daß auf anderen Gebieten der Rechtspolitik derzeit zu wenig passiert. Wir werden Sie deshalb auch in Zukunft bedrängen, andere Bereiche der Rechtspolitik nicht zu vergessen.
Ich nenne eine Reihe von Beispielen, fünf an der Zahl, die ich durchaus fortsetzen könnte.
Die Bekämpfung der Drogenkriminalität. Es ist doch wahr, was wir im Februar festgestellt haben:
({18})
daß wir auf diesem Gebiet das Schlußlicht in Europa bilden.
({19})
Wir haben immer noch keine wirksamen und vernünftigen Strafvorschriften gegen die Geldwäsche, obwohl sie x-mal angekündigt wurden.
Im Jugendstrafrecht liegt vieles im argen. Da gibt es jetzt wieder einen hervorragenden Bericht, der leider bestätigt, was wir schon seit langem sagen: daß man als junger Mensch schneller eingesperrt wird, länger eingesperrt bleibt und häufiger ins Gefängnis kommt denn als Erwachsener. Da müssen doch Änderungen her.
({20})
Als dritten Bereich nenne ich den „modernen Schuldturm". Es geht um die Hilfe bei Überschuldung von Privatpersonen. Wie viele Jahre haben wir schon versucht, Ihnen dabei zu helfen - um es freundlich auszudrücken - , endlich für diese Menschen in Not etwas zu tun! Natürlich, Herr Göhner, haben wir uns gefreut, daß Sie sagen: Da kommt etwas. Aber wir möchten es gern konkret auf dem Tisch liegen haben.
Der vierte Punkt, den ich nennen will, ist das Nichtehelichenrecht. Auch da: Ankündigungen. Auch da: keine konkreten Schritte, obwohl niemand bestreiten kann, daß sie längst überfällig sind.
Im Medizinrecht, beim Transplantationsrecht, in der Justizausbildung, bei den Verfassungsaufgaben: überall da sind große leere Flecken in Ihrer Politik, Herr Justizminister.
Mir macht auch Sorge, daß ich überhaupt nicht sehen kann, wo denn eigentlich Ihre rechtsstaatlichen Konzepte zur Bekämpfung dieser gefährlichen, schrecklichen modernen Kriminalitätsformen wie der organisierten Kriminalität zu finden sein könnten. Ich betone: Ich spreche von den rechtsstaatlichen Bekämpfungsmöglichkeiten.
Statt dessen wird da vieles laufengelassen. Man sieht, daß das Polizeirecht langsam in das Strafprozeßrecht einwandert. Wir sehen, daß die Staatsanwaltschaft langsam, aber sicher die Herrschaft über das Verfahren verliert.
Da streitet sich der Justizminister - in diesem Detailpunkt haben Sie meine volle Sympathie - mit dem Innenminister darüber, ob verdeckte Ermittler Strafgesetze verletzen dürfen, milieubedingte Kriminalität begehen dürfen. Was ist denn das für ein Vorschlag! Das ist doch unmöglich: eine staatliche Lizenz für Polizeibeamte, Straftaten zu begehen. Das darf doch wohl nicht wahr sein.
({21})
Wir wünschen uns einen Justizminister, der hier endlich in die Offensive geht, auch im Grundsatz. Wir wünschen uns einen Justizminister, der mutig unter rechtsstaatlichen und unter Effizienzgesichtspunkten das gesamte Instrument des verdeckten Ermittlers problematisiert. Wir wünschen uns auch einen Justizminister, der endlich einmal Laut gibt, wenn die Bundesregierung rechtsstaatlich außerordentlich problematische Gesetze auf den Weg bringt.
({22})
Da meine ich die Vorschläge zum Außenwirtschaftsgesetz ebenso wie die zum Rentenüberleitungsgesetz.
({23})
Wir lassen uns auch nicht damit abspeisen, daß man nicht alles auf einmal haben kann. Richtig: Man muß gewichten; man muß seine Ressourcen und die Arbeitskapazität richtig einsetzen. Wir wissen, daß die Beamten des Justizministeriums viel arbeiten. Wir anerkennen das auch.
({24})
Aber ein Blick in den Justizhaushalt, Herr Bundesjustizminister, zeigt auch, daß Sie eine Außenstelle mit, wenn ich richtig gezählt habe, 87 Köpfen in Berlin haben, deren Aufgaben, Sachkompetenzen, Zuständigkeit und Sacharbeit bisher nicht so recht erkennbar sind. Ist es nicht so, daß auch Sie die „manpower" in Ihrem Haus besser einteilen müssen? Ich glaube, da muß, da kann noch eine Menge geschehen und verbessert werden.
Ich fasse zusammen: Wir stimmen dem Justizhaushalt nicht zu, weil Ihre Schritte zur Überwindung der Teilung großteils nicht konsequent genug angelegt sind und die übrigen Gebiete der Rechtspolitik nicht so bearbeitet werden, wie wir es uns wünschen. Wir hoffen, das wird in Zukunft anders.
Einen letzten Satz, und zwar zum Einzelplan 19. Ich glaube, Sie werden nichts anderes erwarten: Selbstverständlich stimmen wir dem Haushalt des Bundesverfassungsgerichts zu.
Herzlichen Dank.
({25})
Das Wort hat jetzt unser Kollege Michael von Schmude.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, auch mir geht manches nicht so schnell, wie ich es haben möchte, was den Wiederaufbau der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Bundesländern angeht. Aber wir müssen Realisten sein. Wir können das, was über Jahrzehnte dort eben nicht vorhanden war, nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen.
Der Haushalt, mit dem wir uns hier auseinandersetzen, bringt die notwendigen Voraussetzungen in materieller und personeller Hinsicht mit, um dieser Aufgabe ein großes Stück näherzukommen. Wir haben in der Vergangenheit ein sehr maßvolles Wachstum des Justizhaushaltes gehabt und stehen jetzt vor der Situation, daß die Ausgaben um fast 42 % auf 692,6 Millionen DM anwachsen. Der Planstellenanstieg von 4 586 auf 5 117 macht auch deutlich, daß vor allem die personellen Kapazitäten für den Aufbau des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern ausgeweitet werden.
Mit einem Sofortprogramm von 117,7 Millionen DM ermöglicht die Bundesregierung noch in diesem Jahr die Entsendung von insgesamt 2 300 Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern in den Osten Deutschlands.
({0})
Ich habe das in Ihren Ausführungen vorhin vermißt. Denn hiermit wird natürlich ein ganzes Stück Zuarbeit geleistet, um dieses Aufbauwerk voranzubringen.
Jetzt sind - und da stimmen wir überein - vor allem die alten Bundesländer gefordert, qualifizierte Kräfte für dieses dreijährige Unterstützungsprogramm bereitzustellen. Die Zeit drängt; denn in der Beurteilung gibt es keine zwei Meinungen: Die Situation des Rechtsstaats in den neuen Ländern ist teilweise katastrophal. Negative Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau sind personalbedingt verursacht, insbesondere auch durch den großen Stau bei den Grundbuchämtern. Aber auch in der übrigen Gerichtsbarkeit gibt es ganz erhebliche Schwierigkeiten.
Die alten Bundesländer haben bei der Lösung dieser Probleme zu helfen versucht, in der Tat, aber doch
mit stark unterschiedlichem Engagement. So hat z. B. das vom neuen SPD-Bundesvorsitzenden regierte Schleswig-Holstein im Jahre 1990 - eher halbherzig als hilfsbereit - die lächerliche Größenordnung von vier Richtern für Mecklenburg als ausreichend erachtet. Ich halte das für beschämend.
Die Notwendigkeit einer massiven Unterstützung wird bei einem Zahlenvergleich deutlich: In Nordrhein-Westfalen mit 17 Millionen Einwohnern gibt es allein 5 000 Richter, in den neuen Bundesländern ganze 1 000. In Nordrhein-Westfalen gibt es 1 200 Staatsanwälte, in den neuen Ländern ganze 900. In Nordrhein-Westfalen haben wir 3 000 Rechtspfleger; eine solche Einrichtung gab es in den neuen Bundesländern überhaupt nicht. Wenn man dann noch bedenkt, daß die Überprüfung von Staatsanwälten und Richtern nicht abgeschlossen ist, so muß man bei diesem Personenkreis doch noch erhebliche Ausfälle mit einkalkulieren.
Dramatisch ist auch die Situation bei der Arbeitsgerichtsbarkeit. Hier wird ein rasanter Anstieg der Verfahren registriert, so daß zur Zeit mehr als 10 000 unerledigte Fälle anstehen. Die Aufarbeitung ist von hoher Dringlichkeit.
Bei den Rehabilitierungsverfahren gibt es mehr als 20 000 unerledigte Vorgänge. Hier unterliegen wir in der Tat einer besonderen Verantwortung und Pflicht gegenüber den Opfern der Willkür des DDR-Unrechtsstaates und des Stalinismus in der früheren sowjetischen Besatzungszone.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteilsspruch vom 23. April den Gesetzgeber auch an seine diesbezüglichen Pflichten erinnert. Alle Betroffenen haben einen rechtlichen, moralischen und politischen Anspruch darauf, daß ihre Unrechtsurteile schnellstmöglich aufgehoben werden. Ihr persönliches Schicksal verdient unsere Solidarität und Hilfe auch bei einer Wiedergutmachung, soweit dies materiell möglich ist.
Für diesen Personenkreis ist es in der Tat unerträglich und unzumutbar, daß ein Großteil der Verantwortlichen für die Unrechtstaten von einst wieder - von der Justiz noch unbehelligt - neuen, oft sogar sehr einträglichen beruflichen Betätigungen nachgeht. Über die Weiterbeschäftigung und Eignung früherer Richter und Staatsanwälte der ehemaligen DDR muß deshalb umgehend entschieden werden. An deren rechtsstaatlichem Denken und Handeln darf es in Zukunft keinerlei Zweifel mehr geben.
Durch Stasi-Vergangenheit Belastete sollten deshalb von sich aus die Konsequenzen ziehen, so wie es im mecklenburgischen Landtag soeben sieben Abgeordnete taten. Der dortige CDU-Fraktionsvorsitzende Rehberg hat übrigens zum Fall Modrow festgestellt - ich zitiere -:
Es ist unzumutbar, daß wir in den neuen Ländern unsere Parlamente ausräumen und daß der Deutsche Bundestag mit so einem Mann belastet ist.
Es ist nachweisbar: Die Chefs der SED-Bezirksleitungen waren direkt weisungsberechtigt für die Staatssicherheit in ihren Bezirken. ({1})
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die Lage bei der Strafgerichtsbarkeit, meine Damen und Herren, wird sich weiter verschärfen durch die zunehmende Aufdeckung von Straftaten. Hier geben nicht nur Stasi-Akten Hinweise, sondern auch gezielte Prüfungen bei Unternehmen der Treuhand. Darunter fällt auch in der DDR verübte Wirtschaftskriminalität zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise Subventionsbetrug, wobei in der früheren DDR zumindest mit staatlicher Duldung Ursprungszeugnisse gefälscht wurden, um Zoll- und Steuerhinterziehungen in der Bundesrepublik zu ermöglichen.
Der Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Bundesländern erfordert hochqualifizierte, erfahrene Juristen und Rechtspfleger. Der Wiederaufbau, meine Damen und Herren, darf aber nicht ausschließlich zu einer Angelegenheit der älteren Generation werden. Ich sehe mit großer Sorge, daß nicht nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in der Wirtschaft viel zu wenig jüngere Menschen ihre berufliche und persönliche Lebenschance im Osten Deutschlands suchen.
({2})
Die materiellen Voraussetzungen für den Wiederaufbau des Rechtsstaats im Osten sind nun gegeben. Jetzt gilt es auch, vorurteilsfrei zu prüfen, ob der Sitz des einen oder anderen obersten Gerichtes nicht in absehbarer Zeit von West nach Ost verlagert werden kann.
({3})
In derartige Überlegungen, sehr geehrter Herr Kollege With, muß auch der Bundesfinanzhof mit einbezogen werden. Die Berichterstatter im Haushaltsausschuß haben darüber hinaus einvernehmlich auch eine Untersuchung vorgeschlagen, ob nicht das Institut für Ostrecht z. B. nach Sachsen oder Thüringen verlegt werden kann. An Geld kann und darf eine funktionierende Rechtspflege in ganz Deutschland nicht scheitern.
({4})
- Auch das kann man überprüfen.
Die Menschen in den fünf neuen Ländern haben nicht nur die Freiheit gewählt, sondern wollten nach Jahrzehnten der Unterdrückung auch Recht und Gerechtigkeit für sich.
Diese Erwartungshaltung gilt in ganz besonderer Weise hinsichtlich der Regelung offener Vermögensfragen. Wir haben auf der Grundlage des Einigungsvertrages und, Frau Däubler-Gmelin, auch auf dem Boden des Grundgesetzes gesetzliche Regelungen getroffen, die jetzt nach dem jüngsten Karlsruher Urteil noch ergänzt werden müssen um eine Ausgleichsregelung für die während der sogenannten Bodenreform zwischen 1945 und 1949 entschädigungslos Enteigneten. Dieser Personenkreis, dem im Gegensatz zu den später Enteigneten der Anspruch auf Rückgabe
versagt bleibt, muß angemessene Ausgleichsleistungen erhalten. Hier muß im Einzelfall auch der Rückerwerb des früheren Eigentums möglich sein.
Wichtig ist in der Tat jedoch nicht nur eine umfassende gesetzliche Regelung der offenen Vermögensfragen, sondern auch deren praktische Umsetzung. Inzwischen liegen den zuständigen Behörden, wie hier schon ausgeführt, rund eine Million Anträge auf Rückerstattung vor. Die Bearbeitung verläuft schleppend und führt zu großem Unmut der Betroffenen. Hier sind vor allem Länder- und Kommunalverwaltungen in den alten Bundesländern gefordert, um mit personellen Hilfen zur Lösung der Problematik beizutragen.
Einigungsbedingte Mehrbelastungen ergeben sich aber nicht nur für das Ministerium selbst, sondern auch für dessen nachgeordnete Behörden. Ich will in diesem Zusammenhang auf das Bundeszentralregister in Berlin eingehen. Dort ist die Zahl der täglich eintreffenden Anträge auf Erteilung von Führungszeugnissen von zuvor 8 000 auf jetzt 14 000 angestiegen. Einer derartigen Entwicklung kann nicht allein mit der Forderung nach zusätzlichen Planstellen, schon gar nicht etwa auf der Grundlage von Hochrechnungen, begegnet werden. Hier ist zusätzlich auch die Überprüfung der Organisationsstruktur dringend erforderlich.
({5})
Seit nunmehr fast zehn Jahren wird vor allem durch die Mitglieder des Haushaltsausschusses beanstandet, daß durch die mangelnde oder mangelhafte Erfassung der Anträge von Gemeinden auf Führungszeugnisse fehlerhafte Abrechnungen erfolgen, wodurch dem Bund Millionenbeträge verlorengehen. Trotz mehrfacher Aufforderung und Anmahnung ist das Bundeszentralregister bis heute nicht in der Lage, die Anträge der Gemeinden auf Erteilung von Führungszeugnissen zu registrieren. Man verläßt sich darauf, daß die Kommunen am Jahresende von sich aus die Zahl der gestellten Anträge mitteilen.
Das Ergebnis sieht wie folgt aus: Die beim Bundeszentralregister 1989 ausgefertigten Führungszeugnisse hätten uns Einnahmen in Höhe von 12 409 000 DM bringen müssen. Tatsächlich gingen auf Grund der Erklärungen der Gemeinden jedoch nur 10 948 000 DM ein. Der Fehlbetrag von 1,46 Millionen DM entspricht somit fast 12 % des gesamten Gebührenaufkommens.
Noch dramatischer zeigt sich die Situation 1990. In jenem Jahr gingen uns Einnahmen in einer Größenordnung von 2,65 Millionen DM verloren, was schon 19 % des gesamten Gebührenaufkommens ausmacht. Bei den Registerauszügen ergibt sich ein Fehlbetrag von 312 000 DM. Insgesamt gingen uns 1990 beim Bundeszentralregister also 3 Millionen DM verloren.
Offensichtlich spricht es sich bei den Kommunen bereits herum, daß es bei dieser Behörde keine geordnete Buchführung gibt. Dieser Mißstand kann von uns nicht länger hingenommen werden.
({6})
Der Bundesrechnungshof ist während der Haushaltsberatungen aufgefordert worden, umgehend eine Überprüfung des Bundeszentralregisters vorzunehmen. Man darf nun gespannt darauf sein, ob dieser Zustand, den ich nur als Schlamperei bezeichnen kann, auf Unfähigkeit oder Unwilligkeit zurückzuführen ist.
({7})
Der Bundesjustizminister ist aufgefordert, diese Angelegenheit umgehend zur Chefsache zu machen.
({8})
Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums möchte ich an dieser Stelle für ihren vorbildlichen Einsatz bei der Bewältigung der enormen Mehrarbeit, die durch die deutsche Einheit gerade auf das Justizministerium zugekommen ist, herzlich danken.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen stimmen dem Justizhaushalt ohne Einschränkung zu.
({9})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei kurze Anmerkungen zu einem ganz wichtigen Thema machen, nämlich zum Thema der Justizpolitik.
Der erste Staatsvertrag hat die Aufgabe, um die es geht, auf das Stichwort „Rechtsanpassung" gebracht. Ich denke, daß das nicht das richtige Stichwort ist. Es ging um eine Rechtsunion, eine Rechtsunion zur Erneuerung von Recht und Rechtsprechung in einem Gebiet, in dem beides zerstört gewesen ist. Ich denke, das Stichwort „Rechtsanpassung" hat dazu geführt, daß Recht in den Ländern der ehemaligen DDR bis heute mehr administriert statt praktiziert und gesprochen wird.
Ich sage das mit Blick auf die von mir voll unterstützten Versuche der Bundesregierung und auch des Justizministeriums, Leute zu gewinnen, um den Justizaufbau in den neuen Ländern zu unterstützen. Ich frage mich aber, ob dieses System von Versprechungen, Seniorenregelungen, Beförderungsbevorzugungen und derlei mehr diese wichtige Aufgabe nicht in ein Zwielicht bringt, weil man das anwendet, was man in der ehemaligen DDR das Prinzip der materiellen Interessiertheit nannte.
Ich meine aber, wirklich bedenklich wird diese Vorherrschaft administrativen Pragmatismus, wenn in ihrem Gefolge so tief in die Substanz rechtsstaatlicher Traditionen eingegriffen wird wie in dem Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 24. April 1991. Frau Däubler-Gmelin hat darauf schon hingewiesen.
Wieder sind es die angeblichen Überforderungen der Justiz in den Ostländern und fragwürdige Hin1908
weise auf Verfahrensbeschleunigungen und Erleichterungen, die es rechtfertigen sollen, im Bereich der Strafgerichtsbarkeit drastische Beschränkungen der Rechtsmittelmöglichkeiten, Verkleinerungen der Spruchkörper und Erweiterungen des Sanktionsrahmens einzuführen. Wieso soll es der Erneuerung der Justiz dienlich sein, wenn dort, wo sie besonders erforderlich ist, die Rechte des Angeklagten und der Verteidigung in auffälliger Weise eingeschränkt werden?
Wir stimmen der Kritik der Strafverteidigervereinigungen zu, die besonders darauf hinweisen, daß dieses Gesetz unter Berufung auf die Zwänge der Situation in den fünf Ländern lediglich einen Vorstoß der Justizministerkonferenz von 1982 wieder aufnimmt, der schon damals an den energischen Protesten der Öffentlichkeit gescheitert war. Besonders bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang der Hinweis der Verteidigerverbände, daß das sogenannte Entlastungsgesetz sich in den Bahnen zweier nationalsozialistischer Gesetze von 1935 und 1939 bewegt, die das Beweisantragsrecht im Strafverfahren zunächst einschränken, um es schließlich völlig zu beseitigen. - Herr Kleinert ist wohl auch gegangen? ({0})
Das erinnert mich an seinen Zwischenruf von vorhin. Die Geschichte ist also über 50 Jahre lang.
Ich kann mir schwer vorstellen, daß auf diesem Weg eine Erneuerung einer politisch deformierten Justiz oder auch nur eine wirklich durchgreifende Verwaltungsvereinfachung erreicht werden kann.
Hierfür bieten sich nach meinem Dafürhalten ganz andere Wege an. Frau Däubler-Gmelin hat einiges aufgezählt. Ich möchte an eine mögliche Entkriminalisierung im Bereich des Bagatellstrafrechts erinnern: Verfahrensentlastungen zugunsten des Angeklagten und der Verteidigung statt des Gegenteils. Ich darf auch daran erinnern, daß jemand, der die sogenannte gesellschaftliche Gerichtsbarkeit der ehemaligen DDR samt ihren Bedenklichkeiten nicht zu unterschätzen geneigt ist, doch auch auf positive Erfahrungen verweisen kann, zu denen es Analogien in westdeutschen Schiedsverfahren und in der Gütestellenpraxis gibt, ebenso in allen Bemühungen um einen Täter-Opfer-Ausgleich.
Ich muß hier abbrechen, meine Damen und Herren. Ich möchte das in der Form tun, daß ich sage: Angesichts der grundsätzlichen Bedenken, die ich angemeldet habe, fällt es mir nicht gerade leicht, diesem Justizhaushalt zuzustimmen. Dies gilt auch angesichts der Tatsache, daß ich nur zu genau die Sorgen des Herrn Justizministers kenne. Ich werde aber dennoch den Haushaltsansätzen in der Hoffnung zustimmen,
({1})
daß es doch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Meine Hoffnungen gehen z. B. dahin, daß hinsichtlich des Instituts für Ostrechtsforschung die Strenge der Rotstifte des Haushaltsausschusses nicht in vollem Umfang angewandt wird.
Ich erinnere auch an den einstimmigen Beschluß des Rechtsausschusses, zwei der obersten Gerichte in die neuen Bundesländer zu verlegen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Wolfgang Weng.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freiburger Thesen der Liberalen, die demnächst ihren 20. Geburtstag feiern, haben klargemacht, daß formale Gleichstellung tatsächliche Gleichstellung nicht gewährleistet.
({0})
- Ich muß ehrlich sagen: Ich bin nicht ganz überrascht, daß Sie auf diesen Satz reagieren. Das ist immer ein guter Ansatz.
({1})
- Ich nehme Sie natürlich nicht übertrieben ernst, aber ich nehme Sie ernst, Herr Wiefelspütz, gerade Sie.
Diese Thesen haben klargemacht, daß formale Gleichstellung tatsächliche Gleichstellung nicht gewährleistet. Dies gilt ganz entscheidend im Bereich des Rechts. Die formale Einführung des Rechtsstaats in den neuen Bundesländern genügt also nicht; sie muß der Startschuß zum schnellstmöglichen Aufbau der notwendigen Institutionen dort sein. Sie ist auch der Startschuß dafür gewesen.
Die FDP-Fraktion ist stolz darauf, daß Justizminister Kinkel diese Notwendigkeit nicht nur erkannt hat, sondern mit der ihm eigenen Dynamik die Lösung dieser Notwendigkeit auch in Angriff nimmt.
({2})
Worum geht es? In den neuen Bundesländern ist ein enormer Mangel in allen für die Rechtspflege erforderlichen Berufen gegeben. Es fehlt ebenso an Richtern und Staatsanwälten wie an deren sachkundigem Unterbau, z. B. an qualifizierten Beamten für die Geschäftsstellen der Gerichte. Dieser Mangel muß schnellstens beseitigt werden, wenn die dortige Gerichtsbarkeit nicht zusammenbrechen soll und mit dem vorhandenen Zustand, der hier auch von anderen Kollegen geschildert worden ist, bei der Bevölkerung nicht ein enormer Verlust an Vertrauen in den Rechtsstaat eintreten soll.
Der Haushaltsausschuß hat dieser Notwendigkeit durch Einsatz hoher Finanzmittel Rechnung getragen. In der laufenden Beratung haben wir einen ganz wesentlichen zusätzlichen Beitrag akzeptiert und wollen diesen leisten. Der Bund beteiligt sich an den Ausgaben für all diejenigen Personen, die - oft unter Zurückstellung eigener Interessen und eigener Lebensplanung - vorübergehend in die Justiz der neuen Bundesländer entsandt werden. Er trägt dem NotDr. Wolfgang Weng ({3})
stand auch dadurch Rechnung, daß bereits im Ruhestand befindliche Menschen mit Sachkunde im Bereich der Rechtspflege entweder im Beitrittsgebiet Dienst leisten oder daß sie im Westen erneut tätig werden, um damit Kapazitäten jüngerer Kollegen für die neuen Bundesländer freizusetzen. All diesen Menschen und ihrem Einsatz gilt unser Dank.
Dringend ist ebenfalls der Bedarf an freiberuflich tätigen Rechtsanwälten. Gemessen an der Pro-KopfAusstattung im Westen ist im Osten fast noch die Stunde Null. Ich will von hier aus an all die jungen Juristen appellieren, die im Westen auf einen eher überfüllten Arbeitsmarkt stoßen. Ich bin der Überzeugung, daß Sie in den neuen Bundesländern nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Rechtsstaats leisten können, sondern daß Sie auch hervorragende persönliche Berufschancen dort haben. Denken Sie bei Ihrer künftigen Entscheidung über Ihren persönlichen Standort auch darüber nach!
Manches im Westen Liebgewonnene wird den Notwendigkeiten im Osten Rechnung tragen müssen. Rechtsstaat heißt ja nicht unbedingt Rechtswegestaat und schon gar nicht Rechthaberstaat. Wenn auch die Vereinfachungsvorschläge der Bundesländer, die Personalkapazitäten freisetzen sollen, sicher zu weitgehend sind - die politische Diskussion ist ja hier schon geschildert worden -, so meine ich doch, daß das eine oder andere verändert werden darf, sofern keine rechtsstaatliche Substanz angerührt wird. Die FDP war immer eine Partei der Reformfähigkeit, und wir werden uns notwendigen Reformen nicht verschließen.
({4})
Ein zusätzlicher und eminent wichtiger Bereich der Rechtspflege im Osten sind die Grundbücher. Nachdem die Koalition die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß Investitionshemmnisse durch die vorhandene Rechtsunsicherheit im Bereich Grund und Boden beseitigt wurden, hat jetzt erste Priorität, den dortigen Rechtszustand durchgängig festzustellen. Da das eigentumsfeindliche kommunistische Regime die Grundbücher fast völlig runiert hat, gibt es im Osten auch nur sehr wenige mit den Notwendigkeiten vertraute Grundbuchbeamte. In diesem Bereich muß massiv geholfen werden, damit auf der Basis des Sachstands alle rechtlichen Fragen geklärt werden können. Dies ist von uns erkannt, und am Geld wird hier nichts scheitern. Wir haben die notwendigen Mittel im Haushalt bewilligt. Der Mangel an Rechtspflegern - lassen Sie mich das sagen - ist in den neuen Bundesländern fast noch dramatischer als der an Richtern und Staatsanwälten. Das will nach dem, was ich zuvor gesagt habe, doch einiges besagen.
Die FDP-Fraktion sichert Bundesjustizminister Kinkel bei seiner Aufgabenerfüllung volle Unterstützung zu. Sie stimmt dem Einzelplan des Justizministeriums mit den im Haushaltsausschuß getroffenen zusätzlichen Entscheidungen ebenso zu wie dem in verbundener Debatte hier mitaufgerufenen Haushalt des Bundesverfassungsgerichts.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Bericht der Bundesregierung zu Verwaltung und Justiz in den neuen Bundesländern wird zutreffend von „Schwierigkeiten beim Aufbau von Rechtsstaat und Wirtschaft" im östlichen Bundesgebiet gesprochen. Behandelt werden dann Besoldungsfragen, Aus- und Fortbildung, Einsatz von Mitarbeitern in den alten Bundesländern und anderes mehr. Das ist wichtig, läßt aber entscheidende Fragen des Rechtsstaats in Ostdeutschland außer acht, der ja nach dem Bundesverfassungsgericht auch das Gegenteil von Willkürherrschaft sein soll.
Unübersehbar ist die Unsicherheit der sozialen Existenz der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die nach wie vor zu Hunderttausenden von Abwicklung und Entlassung bedroht sind. In Sachsen liegt dem Landtag ein Beschluß vor, nach dem 55 Kategorien von sogenannten Funktionsträgern des politischen Systems der DDR, etwa den Leitern von Altersheimen, der Zugang zum bzw. das Verbleiben im öffentlichen Dienst verwehrt werden soll.
Fragebogenaktionen und andere Formen der Persönlichkeitsprüfung gehören zum Alltag in Ostdeutschland. Eine Atmosphäre der Angst und des politischen Duckmäusertums greift heute erneut um sich. Von Unionspolitikern - auch einem Mitglied dieses Hauses, dem ehrenwerten Kollegen Norbert Geis - wird bereits die Überprüfung der akademischen Grade in Ostdeutschland verlangt. Ich möchte mit allem Ernst darauf aufmerksam machen, daß im Osten Deutschlands die Gefahr besteht, den Rechtsstaat zweiter Klasse weiter fortzusetzen.
Ein besonders frappierendes Beispiel der Schaffung eines verfassungsmäßig außerordentlich bedenklichen Sonderrechts für Ostdeutschland bildet nach meiner Auffassung jetzt das vorgesehene Renten-Überleitungsgesetz. Der Vorstoß geht in zweierlei Richtung: Zum einen sollen die Mindestrenten, die nicht bildungsbezogene Behindertenrente sowie die Hinzurechnung von Kinderbetreuungszeiten bei Frauen und anderes wegfallen. Zum anderen wird für über 350 000 Angehörige von Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, darunter beispielsweise 59 000 Pädagogen und 73 000 Angehörigen der Altersversorgung der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz, eine Höchstrente von theoretisch 1 500 DM, durch die Eingrenzung des in die Rente eingehenden Einkommens aber von praktisch gegenwärtig maximal 889 DM festgesetzt.
Ein habilitierter Hochschullehrer würde damit im Osten Deutschlands 18 bis maximal 30 To der Rente seines westdeutschen Kollegen erhalten. Bei Rentenempfängern aus dem Versorgungssystem der Staatssicherheit beträgt die entsprechende Zahl 578 DM. Die Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Soziales sowie die heutige Debatte im Rechtsausschuß machte die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit dieses Vorgehens ganz deutlich. Erstens genießen Renten und Rentenanwartschaften Vertrauens- und Bestandsschutz. Die Bundesrepublik hat als Rechtsnachfolger der DDR diese Renten übernommen. Aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich die Garantie eines historisch
überkommenen Standards, Verbot sozialen Rückschritts.
Vom Vertreter der Bundesregierung wurde mir heute im Rechtsausschuß mitgeteilt, daß alle Intelligenzrenten überhöht sind, die über der Durchschnittsrente liegen. Ich werde sehr gespannt sein, ob entsprechende Maßstäbe unter dem Gesichtspunkt der Privilegien nun auch an die Pensionen in Westdeutschland angelegt werden.
Zweitens. Der Grundgedanke der Art. 3 und 4 des Gesetzes ist es, einen bestimmten Personenkreis für Staatsnähe zu bestrafen. Das wird ganz offen ausgesprochen, wenn der Bundesregierung die Ermächtigung erteilt werden soll, Personengruppen zu bestimmen, für die eine bessere Regelung erfolgt. Entscheidend sei die Bedeutung „des von der Personengruppe ... geleisteten Beitrags für die Errichtung oder Aufrechterhaltung des Staats- und Gesellschaftssystems der ehemaligen DDR" . Damit ist ganz klar ausgesprochen, daß es sich um eine kollektive Bestrafung des Mitwirkens an dem Unternehmen DDR handelt. Das kann aber niemals Aufgabe einer rentenrechtlichen Regelung sein. Angemerkt sei nur, daß die Renten für Beamte des Nazi-Staates fast durchgängig in voller Höhe bezahlt worden sind.
Es gibt noch eine Reihe weiterer Beispiele. Erwähnen will ich nur noch die vom Verkehrsminister Günther Krause vorgesehene radikale Verkürzung der rechtlichen Kontrollmöglichkeiten bei der Planung der Verkehrswege. Ich halte es für sehr bedauerlich, daß sich der Bundesjustizminister hinter dieses Vorhaben gestellt hat und sogar bereit gewesen sein soll, dafür Vorwürfe des Stalinismus zu ertragen.
Das alles ist nicht nur ein Problem Ostdeutschlands. Es kann und wird auf Westdeutschland zurückwirken. Auch dafür ein aktuelles Beispiel: Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege - Kollege Ullmann hat heute schon dazu gesprochen - wird der Versuch unternommen, eine längst angestrebte Konzeption unter Berufung auf fehlende Richter im Osten durchzusetzen. Wir können uns zu diesem Vorhaben nur der Erklärung der Rechtsanwaltskammer Berlin anschließen, die von einem nachdrücklichen Protest gegen den massiven Abbau der Rechtsstaatlichkeit und der über Jahrzehnte gewachsenen Rechtskultur spricht.
Ich danke sehr.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn alles planmäßig abläuft, ist der Herr Bundesminister der Justiz der letzte Redner in dieser Debatte. Ich erteile Herrn Dr. Klaus Kinkel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu drei Bereichen etwas sagen. Der erste Bereich ist bei mir mit „Dank" überschrieben, der zweite mit „Die vier Hauptgebiete des Aufbaus des Rechtsstaats in den fünf neuen Ländern" . Der dritte Bereich macht mir besondere Sorgen: die Regierungskriminalität. Dazu will ich, wenn Sie erlauben, ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen.
Zum ersten Bereich, dem Dank: Ich habe allen Grund, dem Haushaltsausschuß und dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages sehr herzlich für Unterstützung in jeder Beziehung zu danken. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich gefordert habe, und mit dem, was ich immer wieder gefordert habe, nicht so ganz angenehm war. Deshalb ist es mir wirklich eine angenehme Aufgabe - ich fühle es auch als Pflicht -, mich sehr herzlich zu bedanken, auch beim Rechtsausschuß, der mich in dieser im Grunde schwierigen letzten Zeit außerordentlich unterstützt hat. Sehr herzlichen Dank!
Zweitens. Frau Däubler-Gmelin, Sie haben den Bereich angesprochen, von dem ich erklärt habe, daß er das Hauptgebiet der Arbeit in der Justizpolitik der vor uns liegenden vier Jahre ist, nämlich den Aufbau des Rechtsstaats. Es ist in der Tat so, daß die vier von Ihnen angesprochenen Gebiete diejenigen sind, die uns gemeinsam intensiv bisher beschäftigt haben und wohl auch noch weiter beschäftigen müssen. Das sind einmal der Aufbau des Rechtssystems der fünf Gerichtsbarkeiten - Personalausbau usw. - , zweitens die ganzen offenen Vermögensfragen, was mit der Eigentumsproblematik zusammenhängt, drittens der ungeheuer schwierige und sachlich und rechtlich komplizierte Bereich der Rehabilitierung und schließlich die Regierungskriminalität, zu der ich nachher noch ganz speziell etwas sagen will.
Zum Aufbau des Rechtssystems. Ich durfte dem Deutschen Bundestag zu diesem Thema mehrmals vortragen. Ich will Sie damit nicht nochmals langweilen und Ihnen nicht vortragen, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist. Es ist einiges geschehen. Ich sage auch ganz deutlich, daß ich auch persönlich ein klein wenig stolz auf das bin, was ich in diesem Zusammenhang zustande gebracht habe.
({0})
Ich räume ein, es könnte noch besser sein. Ich bin gerade vor zwei Tagen einen ganzen Tag in Dresden gewesen und habe gesehen, wie es in der Praxis aussieht. Es geht aufwärts. Es geht aufwärts im Personalaufbau, es geht aufwärts im Aufbau der Gerichte, es geht aufwärts auch in der Abwicklung der offenen Vermögensfragen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen de With?
Ich möchte gern zu Ende kommen, Herr de With. Vielleicht am Schluß, wenn Sie einverstanden sind.
({0})
Sie haben, Frau Däubler-Gmelin, die Ressourcenproblematik angesprochen und haben mich leicht kritisiert unter dem Motto, ich hätte mich zunächst dahintergestellt und dann leise weggestohlen. Daß die Situation für den der FDP angehörenden JustizminiBundesminister Dr. Klaus Kinkel
ster, was das Durchkämmen der Ressourcen anbelangt, nicht so ganz einfach ist, haben Sie dankenswerterweise anerkannt. Auf der anderen Seite muß ich Ihnen sagen, daß es im Augenblick hauptsächlich die SPD-geführten Länder sind, die von den ursprünglichen Beschlüssen abdriften, und zwar mächtig. Wenn es von Ihnen kritisiert wird, dann sollten Sie vielleicht zunächst einmal dort nachsehen, ob nicht in der Richtung nachgeholfen werden sollte, die Sie offensichtlich wünschen.
Was die offenen Vermögensfragen und die ganze Eigentumsproblematik anbelangt, muß ich Ihnen ganz offen sagen: Ich möchte mich wirklich - Sie haben es selber gesagt - nicht mehr mit der Prinzipienfrage beschäftigen, sondern nur ein einziges bemerken: Ich habe mich bei meinem Besuch vor zwei Tagen in Dresden bei dem Landesamt zur Abwicklung offener Vermögensfragen bei den vorhandenen 50 bzw. 60 Fachleuten erkundigt, ob einer dieser Fachleute, die es nun in der Praxis abzuwickeln haben, der Meinung sei, daß es richtig sei, das Prinzip umzudrehen. Ich hatte wahrhaftig keinen Einfluß auf die Antworten, und ich muß Ihnen sagen, ich habe keine einzige Gegenstimme bekommen. Angesichts der ganzen Probleme in der praktischen Abwicklung dessen, was nach 1945 enteignet worden ist und jetzt, wie Sie wissen, in anderer Weise sozusagen rückgeführt werden muß, wäre es sehr, sehr schwierig, das, was Sie wollen, in der Praxis durchzuführen. Ich möchte mir ersparen, darauf noch einmal einzugehen.
Wir haben, was die rechtliche Seite der Abwicklung der offenen Vermögensfragen anbelangt, durch das Investitionsgesetz, das Vermögensgesetz und das Hemmnisbeseitigungsgesetz die Schranken, die da waren, so weit wie nur irgend möglich beseitigt. Es ist jetzt tatsächlich so, daß der bessere Investor Vorfahrt hat. Heute war wieder eine Besprechung beim Herrn Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten der neuen Länder und mit Vertretern der Wirtschaft. Da ist ausdrücklich bestätigt worden, daß die bisherigen Hemmnisse in der Praxis - ich hoffe es jedenfalls - beseitigt sind.
Auf der organisatorischen Seite ist es so, daß Hard-und Software den 213 Landratsämtern und 34 kreisfreien Städten zur Abwicklung der offenen Vermögensfragen zur Verfügung stehen und daß außerdem die Teams des Bundeskartellamts, die Teams der Anwälte, die Teams des Städte- und Gemeindetags dort sind. Ich kann also nur sagen: Es kann nun wirklich von der technischen Seite her funktionieren. Auch die rechtlichen Voraussetzungen liegen vor. Nun muß in den neuen Ländern selber dafür gesorgt werden, daß die Dinge ins Laufen kommen.
Was die Rehabilitierung anbelangt, Frau DäublerGmelin, habe ich im Bundestag mein Programm ausführlich vorgetragen. Ich weise nur noch einmal darauf hin, daß wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten mußten, so daß wir nicht vorher zu einer Lösung kommen konnten. Ich habe zugesagt und ich werde, soweit es nur irgendwie geht, versuchen, es auch einzuhalten - , daß wir im Bundesjustizministerium alles daran setzen werden - es muß, wie Sie wissen, daran viel, viel gearbeitet werden -, vor der Sommerpause den Gesetzentwurf einzubringen. Wir sind mit diesem Gesetzentwurf relativ weit. Ich habe - damit Sie sehen, daß ich auf derlei Vorschläge eingehe - sämtliche betroffene Verbände für die übernächste Woche zu mir nach Bonn eingeladen. Wir werden sie alle, auch die kleinsten Verbänden anhören, um zu erfahren, wo der Schuh drückt. Ich weiß sehr genau um die Probleme. Ich sichere Ihnen zu, daß ich mich gerade der Opfer in ganz besonderer Weise annehmen werde. Das habe ich den betroffenen Menschen versprochen. Ich versuche, das einzuhalten.
({1})
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was das in der Praxis noch für Probleme bringen wird, übrigens auch finanzieller Art.
({2}) Ich bitte schon heute um Ihre Zustimmung.
({3}) Das wird nicht so ganz einfach werden.
Bevor ich zur Regierungskriminalität komme, werde ich auf die Punkte eingehen, die Sie neben dem Aufbau des Rechtsstaates angesprochen haben, also Drogenkriminalität und organisierte Kriminalität. Sie werden den Medien entnommen haben, daß in der Koalition Gespräche stattgefunden haben.
({4})
Wir befinden uns in dieser Woche in der Endabstimmung des Entwurfs für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Wir werden in allernächster Zeit den Entwurf zur Änderung der StPO einbringen. Ich bin absolut sicher, daß das so sein wird.
Das Jugendstrafrecht - das muß ich in aller Offenheit sagen - wird ein wenig zurückstehen müssen. Ich habe nicht die Kapazität.
Hilfe bei Überschuldung von Privatpersonen und die Insolvenzrechtsreform mit Restschuldbefreiung werden kommen. Das ist aber auch ein Kapazitätsproblem.
Im Deutschen Bundestag habe ich klar gesagt, Frau Däubler-Gmelin, was ich beim Nichtehelichenrecht vorhabe. Dabei bleibt es, vor allem was die Kinder anbelangt.
({5})
Was die Manpower und die bessere Einteilung anbelangt, wünschte ich Ihnen im Augenblick, daß Sie den Einblick hätten, den ich habe, was die Belastung der Mitarbeiter im Bundesjustizministerium in den letzten Monaten anbelangt.
({6})
Ich kann in dem Zusammenhang nur sagen: alle Achtung auch vor der Arbeit der Außenstelle des Bundesjustizministeriums in Berlin. Sie können sie gerne besuchen und sich vor Ort ansehen, wie dort gearbeitet wird. Ich kann nur sagen: Ich bewundere die Arbeits1912
bereitschaft und den Arbeitswillen meiner Mitarbeiter im Justizministerium in Bonn und in Berlin.
({7})
Was das Bundeszentrairegister anbelangt, Herr Abgeordneter von Schmude, teile ich Ihre Auffassung. Ich habe im Haushaltsausschuß ein Versprechen abgegeben. Mir ist die Geschichte unangenehm; das muß ich deutlich und klar sagen. Ich werde dafür sorgen, daß Abhilfe geschaffen wird. Es ist in der Tat unangemessen, wie es bisher behandelt worden ist. Es hat überhaupt keinen Sinn, das zu verschweigen. Ich sage das in aller Offenheit und Klarheit.
Lassen Sie mich noch zu einer mehr grundsätzlichen Bemerkung kommen, die mir aber sehr am Herzen liegt. Wie kann 40 Jahre SED-Unrecht aufgearbeitet werden? Wo liegen die konkreten Probleme? Ich mache mir zunehmend Sorgen, weil ich das Gefühl habe, daß die Menschen in den neuen und in den alten Ländern zuviel von unserem Rechtssystem und vor allem von unserem Strafrecht erwarten. Es gibt eine Fülle von tatsächlichen Problemen, warum die Aufarbeitung speziell im Zusammenhang mit der Regierungskriminalität so wahnsinnig langsam und schwierig vor sich geht. Von den tatsächlichen Problemen will ich nur einige kurz anreißen.
Erstens. Viele Täter sind alt und nicht zuletzt durch die friedliche Revolution, die sie bis heute nicht begriffen haben, verstört und verwirrt. Die SED war in ihren Spitzen vergreist.
Zweitens. Die DDR war ein bürokratischer Staat, wie man ihn wohl kein zweites Mal finden wird. Alles, aber auch wirklich alles ist aufgeschrieben worden, Wichtiges und vor allem Unwichtiges. Sich in diesem Berg von Akten zurechtzufinden, ist wahnsinnig schwierig. Herr Schalck-Golodkowski hat 100 Firmen in fünf Ländern betrieben. Wir haben unsere Schwierigkeiten mit großen Wirtschaftsprozessen schon in den alten Bundesländern.
({8})
- Es ist ein Wirtschaftsprozeß bei Herrn Schalck.
Drittens. Der einzelne in der DDR war wenig, das Kollektiv alles. Auch das Polit-Büro der SED war ein solches Kollektiv. Dort hat sich jeder hinter jedem versteckt.
Viertens. Die Handlungsketten sind bei der Regierungskriminalität nun mal besonders lang. Der Diebstahl einer Schallplatte im Kaufhaus, der Messerstich sind kurze, einfache und deshalb auch leicht zu beweisende Handlungen. Aber vom Schießbefehl im Polit-Büro über die verwickelten Instanzen von Partei und Nationaler Volksarmee bis hin zum tödlichen Schuß an der Grenze ist ein sehr weiter Weg. Soll der Anweisende für den Tod des Opfers verantwortlich gemacht werden, muß aber - das wissen Sie alle, die Sie hier sitzen - die Kausalität der Anweisung bewiesen werden. Nichts darf dazwischen sein: keine andere Kausalität, keine andere entscheidende Verantwortlichkeit, kein Exzeß eines der vielen Zwischenträger.
Aber - das scheint mir mindestens genauso wichtig; erlauben Sie mir deshalb, daß ich kurz überziehe - zu diesen tatsächlichen Problemen tritt noch eine fundamentale Schwierigkeit hinzu: Wir müssen uns fragen, ob unser Strafrecht zur Bewältigung dieser Art Kriminalität überhaupt geeignet ist.
({9})
Im Strafrecht geht es immer um die individuelle Auflehnung gegen die bestehende Rechtsordnung. Diese Fälle mögen, wie bei den Massendelikten des täglichen Lebens, häufig sein. Es können sich auch mehrere zu einer Straftat verbinden, wie bei der Bande. Aber der Hintergrund, vor dem ein solches Verhalten erst auffällig wird, ist immer die Rechtstreue der Mehrheit zum bestehenden Recht. Recht setzt sich sozusagen selbst voraus. Erst wenn das Recht den Rahmen gibt, ist das Unrecht als aus dem Rahmen fallend konkretisierbar.
In der DDR lagen die Dinge ganz anders: Ein ganzer Staat hatte sich in weiten Bereichen vom Recht abgekoppelt. In der DDR war die Abweichung vom Recht nicht der konkretisierbare Einzelfall, sondern vielfach die politisch gewünschte Normalität. Das ganze System ist vom Rechtsstaat in unserem System und Sinn abgewichen.
Wir hatten in der Bundesrepublik und in der DDR völlig unterschiedliche Wertsysteme; das scheint mir mit der entscheidende Punkt zu sein: Das Recht als Maßstab für die Kennzeichnung des Unrechts hatte in der DDR eine Wertigkeit von minus Null, im Westen dagegen ist es einer der Grundpfeiler unseres Staates. Weil jeder - auch die politische Spitze - daran gebunden ist und sich daran gebunden fühlt, hat es mit den höchsten Stellenwert.
Wir konnten Unrecht als Abweichung von der Norm definieren. Dies ist mit dem Geschehen in der ehemaligen DDR nicht möglich. Denn dieses System hatte sich dem Recht letztlich sozusagen nicht mehr unterworfen. Ich frage mich deshalb, ob es möglich ist, mit unserem Wert- und Rechtssystem die Ereignisse in der DDR zu erfassen und aufzuarbeiten. Unser Rechtssystem ist auf den Einzelfall zugeschnitten, nicht aber auf die Kriminalität eines Staates.
({10})
Wir versuchen, dieses Unrecht zu individualisieren, indem wir Honecker, Mielke, Mittag usw. verfolgen und anklagen. Ob wir damit jedoch das gesamte Unrecht erfassen können, bezweifle ich.
Andererseits: Wir brauchen das Strafrecht. Es geht nicht ohne das Strafrecht. Wo den Regierenden individuelles Unrecht nachzuweisen ist, müssen und werden wir sie bestrafen.
Die Bewältigung des Unrechtsstaates ist aber eine Aufgabe, die weit über das Strafrecht hinausreicht. Ich glaube, wir stehen vor einer großen historisch-politischen und auch gesellschaftlichen Aufgabe und vor einer ganz großen Herausforderung.
In der Geschichte ist der Prozeß der Bewältigung von staatlichem Unrecht deshalb häufig mißlungen
oder gar nicht erst unternommen worden: Entweder gab es eine großzügige Amnestie, die alle strafrechtlichen Verantwortlichkeiten löschte - so in den meisten lateinamerikanischen Staaten nach dem Ende der Militärdiktaturen - , oder aber die Gesellschaft verdrängte die Problematik kollektiv und betrachtete sie, ohne daß darüber überhaupt gesprochen wurde, als nicht existent. Die dritte Möglichkeit - früher nicht selten - war, nach einer Revolution die Repräsentanten des alten Systems kollektiv an die Wand zu stellen.
Alle diese Wege sind dem Rechtsstaat verschlossen: die Gewalt sowieso, das Verdrängen auch. Denn die Spätfolgen sind, wie wir beim nationalsozialistischen Unrecht gesehen haben, für die Gesellschaft verheerend. Eine großzügige Amnestie findet bei den Opfern keine Akzeptanz. Das kann ich verstehen, und das müssen wir verstehen. Ich persönlich habe zwar ursprünglich eine Amnestie für die Mitarbeiter der Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit für richtig gehalten. Aber ohne eine allgemeine Akzeptanz bei den Menschen verliert die Amnestie ihre friedensstiftende Wirkung; also durfte sie nicht gemacht werden.
Bleibt nur der Weg des Rechtsstaats. Wir wollen ihn gehen. Aber gerade weil er der schwerste ist, müssen wir vertieft über ihn nachdenken. Das will ich; das wollen wir tun. Ich habe schon angedeutet: Ich werde Anfang Juli ein Forum veranstalten, in dem wir in Ruhe darüber sprechen können. Dabeisein sollen nicht nur Strafrechtler, Staatsanwälte, Richter und Rechtsanwälte, nicht nur Politiker, Journalisten und Betroffene. Ich werde versuchen, auch Historiker und Philosophen einzuladen.
Wir müssen nicht nur den Weg des Strafrechts gangbar machen. Wir müssen vor allem darüber nachdenken, wie wir die Opfer versöhnen und Rechtsfrieden schaffen. Entscheidend ist die Zukunft. Wir wollen die Vergangenheit möglichst schnell bewältigen, um für die Zukunft frei zu sein. Aber bei aller Anstrengung: Wir brauchen Zeit. Das sage ich in besonderer Weise an Sie gerichtet, Frau Däubler-Gmelin. Die Menschen, vor allem diejenigen in den neuen Bundesländern, haben ein großes Verlangen nach Gerechtigkeit. Ich weiß es.
Da das Unrecht ein ganzes System erfaßt hat, ist seine Bewältigung für die Justiz eine riesige Aufgabe, die sie nur schwer und zum Teil wohl auch gar nicht zu erfüllen in der Lage ist. Unsere ganze Gesellschaft muß sich der Bewältigung des DDR-Unrechts stellen und sich dieser Frage bewußt werden. Deshalb: Wir müssen leider noch etwas Geduld haben, auch wenn es bitter ist.
Ich bitte sehr um Entschuldigung für das lange Überziehen.
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Meine Damen und Herren, zu einer Kurzintervention nach § 27 der Geschäftsordnung hat unser Kollege Hans de With das Wort.
Herr Minister, Sie wissen, daß sich die SPD niemals geweigert hat, Ihnen Mittel zuzuschanzen,
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wenn es darum ging, den Aufbau der Justiz drüben zu unterstützen. Für uns kam das alles, was Sie an Anforderungen vorgebracht haben, ein wenig zu spät. Aber es gibt noch einige Dinge, die Sie nicht angesprochen haben und die angesprochen werden müssen.
Hunderte von Richtern, Staatsanwälten und Rechtspflegern haben vor Wochen, ja Monaten Anträge gestellt und sich nach drüben gemeldet. Sie sind zum Teil noch heute ohne jeden Eingangsbescheid. Hier wäre es am Platze gewesen, daß Sie mit Hilfe Ihres Ministeriums einen Mann für zuständig erklärt hätten, der diese Unwägbarkeiten bekämpft und abstellt. Ich weiß, daß das nicht ganz einfach ist,
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weil Sie sagen: Das ist im Kern Ländersache. Dennoch: Hier muß der Justizminister auch einmal Ärgernisse in Kauf nehmen und muß drücken. Ich bin sicher, der ganze Bundestag würde hinter ihm stehen.
Ich nenne ein zweites Beispiel: Es gibt Leute, die sich nach drüben gemeldet haben und erst nach langem einen Bescheid mit dem Hinweis erhielten, sie könnten nicht übernommen werden, weil nicht klar sein, wer die Pensionslasten zu welchem Prozentsatz trage. Hier muß geklärt werden, daß der Bund in die Bresche springt. Es darf nicht am Kompetenzgerangel über die zukünftige Pension scheitern, daß junge Leute, die willig sind, drüben zu arbeiten, nicht hinüber können, weil die Pension nicht gesichert ist.
Ein letztes. Wir mußten als Rechtsausschuß in Berlin mitanhören, daß im Verfolg des Ermittlungsverfahrens gegen Schalck-Golodkowski eine Wagenladung voller Akten beschlagnahmt worden war und daß nur zwei Staatsanwälte zur Verfügung stehen, diese Tonne von Material zu überprüfen. Wir haben dann einmütig beantragt, daß auch der Bundesminister der Justiz seinen Teil dazu geben möge, daß die Arbeitsgruppe „Regierungskriminalität" auf mindestens 50 Personen aufgestockt wird. Auch das hätten Sie eigentlich viel eher merken müssen.
Dennoch sage ich: Es ist nicht nur die Aufgabe der Länder, sondern mit Sicherheit auch des Bundes, hier helfend und unterstützend einzugreifen. Es geht nicht nur um Einzelschicksale. Es geht in diesem Fall auch um eine Gesamtaufklärung, die den Rechtsfrieden wahren kann.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, zu einer weiteren Zwischenbemerkung nach § 27 der Geschäftsordnung hat unser Kollege Konrad Weiß das Wort.
Vielen Dank.
Herr Bundesminister, ich habe mit Aufmerksamkeit Ihre Überlegungen zu dem gehört, was Sie zum Ver1914
Konrad Weiß ({0})
hältnis von Gerechtigkeit und Rechtsstaat gesagt haben. Ich denke, das ist genau das Kernproblem. Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es sich auch im Falle der Regierungskriminalität immer um Einzeltäter gehandelt hat, auch wenn sie im Kollektiv gehandelt haben, und daß es selbst dann, wenn ein Unrechtsbewußtsein nicht nachzuweisen ist, ganz schwerwiegende Verstöße gegen elementare Menschenrechte gewesen sind? Sind Sie nicht auch der Auffassung, daß es, um diese wirklich schwierige Problematik zu lösen, ein Weg wäre, wenn man den Staatssicherheitsdienst und das ZK der SED zur verbrecherischen Organisation erklärt, um damit die Möglichkeit zu schaffen, daß diese Menschen von sich aus nachweisen müssen, daß sie nicht Unrecht getan haben, daß aber nicht der Staat in Beweispflicht genommen wird und daß es nicht dazu kommen wird, wie wir es oftmals erleben, daß Täter unbehelligt davonkommen.
e Zu einer weiteren Zwischenbemerkung hat unsere Kollegin Frau Dr. Däubler-Gmelin das Wort.
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Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist vernünftig, daß man sich zu einer Intervention melden kann, wenn in einer Debatte in der Tat neue Gedanken auftauchen. Das, was der Justizminister gesagt hat, was Justiz auf strafrechtlichem Gebiete bei der Bewältigung von Unrecht in den letzten 40 Jahren kann, ist es wirklich wert, daß wir darüber noch kurz nachdenken.
Sie haben recht, Herr Bundesjustizminister, es wäre vermessen, wenn wir meinen würden, Justiz, Strafjustiz könne all das aufarbeiten, was aufgearbeitet werden muß, oder könne alles das bestrafen, was an individuellem Unrecht damit verbunden war.
Ich stimme Ihnen zu, daß wir uns um die Opfer kümmern müssen - da nehmen wir Sie beim Wort; wir haben zugehört, was Sie gesagt haben -, und daß wir uns vor allem darum bemühen müssen, die Opfer in dem, was sie erlitten haben, und in dem, wie sie heute stehen, gerecht zu würdigen.
Deswegen wiederhole ich jetzt eine Bemerkung, die ich Ihnen gegenüber schon an anderer Stelle gemacht habe und die ich zu bedenken bitte. Gerechtigkeit oder das Bemühen darum - auch mit Hilfe der Justiz - kann auch eine Frage des Zeitpunktes sein. Wir sollten in der Tat darüber nachdenken, was Justiz kann und was sie nicht kann. Aber wir dürfen erst dann anfangen, laut darüber zu reden, ob wir bei der Verfolgung der Täter an die Grenzen stoßen, wenn für die Opfer nicht nur theoretisch deutlich, sondern auch unmittelbar erfahrbar ist, daß wir wirklich alles getan haben, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Das ist nicht nur eine Frage der materiellen Entschädigung, also nicht nur eine Frage des Vorlegens eines Rehabilitierungsgesetzes, sondern es ist auch eine Frage der Strafverfolgung der Täter. Die Justiz muß wenigstens alles versucht haben, um individuelle Schuld zu erkennen, zu verfolgen, vor Gericht zu bringen und sie dort zu bestrafen.
Meine Bitte ist deshalb, nicht zu früh damit anzufangen, über die Grenzen der Strafjustiz nachzudenken. Das müßte die Akzeptanz unseres Rechtsstaates bei den Opfern eher behindern. Ich fürchte, daß, wenn Sie zu früh beginnen, Mißverständnisse unvermeidbar sind und die Fundamente, um die es Ihnen ebenso geht wie uns, für die Zukunft eher geschwächt als gestärkt werden, obwohl Sie das doch nicht wollen.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister der Justiz hat das Recht, auf die Zwischenbemerkungen zu antworten. Er bittet um das Wort, und er bekommt es.
Es tut mir leid, daß ich zur Verlängerung der Debatte beigetragen habe und nochmals beitragen werde. Aber ich bitte um Verständnis, daß das für mich so wichtig ist. Ich möchte dazu gerne etwas sagen.
Herr Abgeordneter de With, ich entschuldige mich. Ich habe es wirklich vergessen, daß Sie vorhin eine Zwischenfrage stellen wollten. Ich hätte sonst am Schluß selbstverständlich gesagt: Bitte, ich stehe für eine Zwischenfrage natürlich zur Verfügung. Das tut mir leid.
Ich darf vielleicht mit der Frage des Herrn Abgeordneten Weiß anfangen. Ich persönlich bin der Meinung, Regierungskriminalität jetzt über Organisationsdelikte bewältigen zu wollen wäre falsch.
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Das sage ich in dieser Klarheit und in dieser Bestimmtheit, nicht jetzt plötzlich durch Ihre Frage angeregt. Vielmehr haben wir uns im Justizministerium darüber lange unterhalten und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir das nicht tun sollten.
Ich sage nochmals: nicht Versuch der Bewältigung von Regierungskriminalität durch Ausweichen in Organisationsdelikte, sondern tatsächlich der Versuch, über das Strafrecht individuell heranzukommen. Das ist jedenfalls unsere Überzeugung.
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- Strafrecht ist nach herkömmlichen Maßstäben nur individuell zurechenbar. So ist es nun einmal. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Probleme wir bekommen, wenn wir in den Bereich der Organisationsdelikte hineingehen. Ich könnte dazu jetzt einiges ausführen, aber dafür ist die Stunde wirklich zu fortgeschritten. Ich will mich vor der Frage nicht drükken. Vielleicht haben wir ein anderes Mal die Gelegenheit, darüber zu reden. Ich glaube schon, daß ich das, was ich gesagt habe, auch begründen kann.
Zu Ihren Fragen, Herr de With. Ich muß Ihnen folgendes sagen - ich erlebe das seit einigen Monaten hautnah - : Was den Bund und die Wiedervereinigung anbelangt, so hat der Bund bisher in der Sache
und finanziell wirklich die weitaus überwiegende Last zu tragen gehabt,
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und zwar auch beim Aufbau des Rechtsstaats auf eine Art und Weise, die meinem Gerechtigkeitsgefühl und meinem Empfinden nicht entsprochen hat. Ich will jetzt sehr vorsichtig sein und mich zurückhalten.
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-Ja, aber es war schon so, daß Sie den Bund verstärkt aufgerufen haben, noch weiter in Vorlage zu treten. Ich will mich hier, was die Länder anbelangt, aus ganz bestimmten Gründen zurückhalten. Morgen findet die Justizministerkonferenz statt. Dort werde ich schon deutlich sagen - dafür bin ich auch bekannt -, was ich davon halte.
Herr de With, bevor Sie es überhaupt gefordert hatten, war der Ausbau der Stellensituation in Berlin sozusagen auf der Tagesordnung. Ich darf sagen, daß es mein Vorschlag war, 60 Staatsanwälte zusätzlich dorthin zu schicken; übrigens 50 Staatsanwälte aus den Ländern und 10 des Bundes, was uns stellenmäßig gar nicht so schwerfällt, was uns aber rein tatsächlich schwerfällt, weil wir Staatsanwälte gar nicht haben. Das wissen Sie so gut wie ich.
Frau Däubler-Gmelin, was Sie angesprochen haben, ist in der Tat überlegenswert. Ich möchte mit dem, was ich vorhin gesagt habe, aber nicht den Eindruck erwecken, als wolle ich vor dem ausweichen, was wir mit unserem Strafrecht tatsächlich leisten müssen. Ich bin der Überzeugung: Wir haben unser Strafrecht, unser gesamtes Rechtssystem in toto auf die fünf neuen Länder übertragen. Sie wissen - Sie waren dabei - , das war damals mein hauptsächliches Anliegen. Es mußte durchgesetzt werden. Heute sind - so hoffe ich jedenfalls - alle davon überzeugt, daß es richtig war.
Wir müssen versuchen, individuell aufzuarbeiten. Aber, ich glaube, es ist notwendig - wir haben ja auch schon einmal privat miteinander darüber gesprochen - , frühzeitig darauf hinzuweisen, daß der Erwartungsdruck und die Erwartungshaltung bei den Opfern in den fünf neuen Ländern groß ist, daß aber die Menschen, die es in den alten Bundesländern zu beurteilen haben, es nach ihren Vorstellungen, nach 40 Jahren gelebtem Rechtsstaat und dessen Erfahrungen beurteilen. Beide Seiten müssen wissen: Ein paar Dinge werden nicht gehen. Sie werden vor allem nicht so schnell gehen, wie es allgemein erwartet wird.
Ich halte es für meine Aufgabe, ja für meine Pflicht, als Bundesjustizminister darauf hinzuweisen, weil ich den Eindruck habe, daß wir hier in eine gesellschaftspolitisch ganz schwierige Situation hineinschlittern könnten, die übrigens schwieriger zu bewältigen wäre, als wenn wir im wirtschaftlichen Bereich ein paar Dinge nicht so schnell hinbekommen, wie wir alle gemeinsam es möchten. Ich bin davon überzeugt, daß das eine ganz schwierige Situation ist und daß es meine Pflicht ist, frühzeitig darauf aufmerksam zu machen, was da auf uns zukommt.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Einzelplan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Wer stimmt für diesen Einzelplan in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Einzelplan ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - ab. Wer stimmt für diesen Einzelplan in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen aus der Gruppe der PDS/Linke Liste ist auch dieser Einzelplan angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 5. Juni 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.