Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/6/1994

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer ersten Sitzung nach der Sommerpause. Zunächst möchte ich einigen Kollegen nachträglich zum Geburtstag gratulieren. Es sind dies der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann, der am 18. August seinen 65. Geburtstag beging, der Kollege Dr. Hans Sterkken, der am 2. September 71 Jahre wurde, und Vizepräsident Helmuth Becker, der am 3. September seinen 65. Geburtstag feierte. Ich spreche Ihnen im Namen des Hauses die besten Glückwünsche aus. ({0}) Sodann teile ich mit, daß die Kollegin Gerlinde Hammerle am 31. Juli 1994 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als Nachfolger hat der Abgeordnete Peter Alltschekow am 3. August 1994 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße ihn herzlich. ({1}) Die Kollegin Barbara Weiler hat am 14. August 1994 ebenfalls auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. Jörg-Diether Dehm am 16. August 1994 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Auch ihn begrüße ich ganz herzlich. ({2}) Der Kollege Ralf Walter ({3}) hat am 21. August 1994 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Dr. Walter Bersch am 22. August 1994 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Auch ihm ein herzlicher Willkommensgruß. ({4}) Durch die Mandatsniederlegung der Abgeordneten Hämmerle ist im Vermittlungsausschuß der Sitz eines stellvertretenden Mitglieds neu zu besetzen. Die Fraktion der SPD schlägt hierfür den Abgeordneten Dr. Hans-Jochen Vogel vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Hans-Jochen Vogel als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage ({6}) - Drucksachen 12/4887, 12/5108, 12/7588, 12/7875, 12/7839, 12/7832, 12/8281, 12/8413 Berichterstattung: Abgeordneter Hermann Rind 2. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({7}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft - Drucksachen 12/7770, 12/8069, 12/8289, 12/8414 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck 3. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({8}) zu dem Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts ({9}) - Drucksachen 12/6699, 12/7265, 12/7850, 12/8275, 12/8318, 12/8415 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke 4. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({10}) zu dem Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können ({11}) - Drucksachen 12/6961, 12/7704, 12/8288, 12/8416 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker 5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({12}) zu dem Gesetz über Krebsregister ({13}) - Drucksachen 12/6478, 12/7726, 12/8287, 12/8417 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker 6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({14}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes - Drucksachen 12/6992, 12/7929, 12/8286, 12/8418 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({15}) zu dem Siebzehnten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({16}) - Drucksachen 12/7430, 12/7902, 12/8284, 12/8419 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck 8. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({17}) zu dem Gesetz zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ({18}) - Drucksachen 12/6581, 12/7671, 12/8278, 12/8420 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker 9. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({19}) zu dem Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen ({20}) - Drucksachen 12/7006, 12/7925, 12/8283, 12/8421 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke 10. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({21}) zu dem Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz ({22}) - Drucksachen 12/7562, 12/8047, 12/8101, 12/8290, 12/8422 Berichterstattung: Abgeordneter Erwin Marschewski 11. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({23}) zu dem Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften - Drucksachen 12/5826, 12/8005, 12/8398, 12/8424 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck 12. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({24}) zu dem - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({25}) - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({26}) - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({27}) - Drucksachen 12/6633, 12/8165, 12/8399, 12/8423 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heribert Blens Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit dies erforderlich ist, abgewichen werden. Nach Tagesordnungspunkt 1- Zurückweisung des Einspruchs - soll zunächst die Einbringung des Haushalts erfolgen. Danach werden die Abstimmungen zu den Ergebnissen des Ermittlungsausschusses zur Grundgesetzänderung, von denen eine namentlich sein wird, beginnen. Erst nach der Wirtschaftsdebatte wird um ca. 13.30 Uhr über die übrigen Ergebnisse des Vermittlungsausschusses abgestimmt. Des weiteren mache ich auf eine geänderte Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 237. Sitzung des Deutschen Bundestages am 29. 6. 1994 überwiesene Antrag soll nunmehr wie folgt überwiesen werden: Antrag der Fraktion der SPD: Verbot von Landminen und die Unterstützung der Länder der „Dritten Welt" bei der Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition - Drucksache 12/8031 Überweisung: Auswärtiger Ausschuß - federführend ({28}) Verteidigungsausschuß - mitberatend ({29}) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit - mitberatend Sind Sie damit und mit der Ergänzung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir es so beschlossen. Die Fraktion der CDU/CSU hat beantragt, die Sitzungswoche vom 19. bis zum 23. September 1994 aufzuheben. ({30}) Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Der Kollege Dr. Rüttgers hat das Wort. Ich bitte um Aufmerksamkeit. ({31})

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, könnten Sie freundlicherweise dafür sorgen, daß die SPD-Fraktion aufhört zu pöbeln? ({0}) Ich weiß gar nicht, was das soll. Es wird doch noch möglich sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß dieses Hohe Haus über seine Arbeit diskutiert, feststellt, was notwendig, was noch erforderlich ist, und vielleicht auch einmal darüber spricht, was dem Ansehen dieses Hauses in der Öffentlichkeit guttut oder nicht. Aber zuerst, verehrte Frau Präsidentin, möchte ich mich dafür bedanken, daß Sie die Anregung aller Fraktionen und Gruppen dieses Hauses aufgenommen haben und daß die Abstimmungen über die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses im Anschluß an die Einbringung des Haushaltes durch den Bundesfinanzminister und an die folgende Debatte durchgeführt werden. Ich darf hiermit ankündigen, daß zu dem ersten Paket aus dem Bereich der Verfassung seitens meiner Fraktion eine namentliche Abstimmung beantragt wird, die gegen 13.30 Uhr stattfinden wird. ({1}) Nun zu dem Geschäftsordnungsantrag. Ich glaube, es hat sich inzwischen in Deutschland herumgesprochen, daß eine sehr erfolgreiche Legislaturperiode zu Ende geht. ({2}) Der Bundestag hat ein riesiges Arbeitspensum erledigt. Alle Gesetze, die dem Deutschen Bundestag vorlagen, wurden aufgerufen oder werden in dieser Woche aufgerufen und, sofern möglich, beschlossen. Alle Berichte der Ausschüsse und Enquete-Kommissionen sind erstellt und wurden oder werden in dieser Woche behandelt. Es gibt also überhaupt keinen Grund mehr, noch eine weitere volle Sitzungswoche des Deutschen Bundestages durchzuführen. ({3}) Dies gilt um so mehr, als vier Wochen vor der Bundestagswahl ordnungsgemäße Beratungen - zumindest nach dem, was wir heute morgen hier erlebt haben - sowieso nicht mehr zu erwarten sind. Der Bundestag ist ein Gesetzgebungsorgan und kein Wahlkampforgan. ({4}) Ich verstehe - das mag Ihre Unruhe erklären -, daß die SPD gern noch einen Auftritt für Herrn Scharping hätte, nach dem Motto: Wenn schon die Menschen Herrn Scharping nicht zuhören, dann soll es wenigstens der Deutsche Bundestag tun. ({5}) Aber ich glaube, das sollten wir uns alle nicht antun. Ich biete Ihnen ausdrücklich an und habe das den zuständigen Kollegen schon gesagt, daß sich die Fraktionen und Gruppen abhängig von den Ergebnissen der Bundesratssitzung am 23. September und den vorangehenden Beratungen des Vermittlungsausschusses durchaus noch darauf verständigen können - wenn dies erforderlich ist -, einen weiteren Sitzungstag anzusetzen. Aber auch dieses Angebot zeigt, daß die Sitzungswoche, so wie sie im Jahresterminkalender vorgesehen war, entfallen kann. Ich meine, das wäre ein faires Angebot. Jedenfalls wollen die Mitglieder meiner Fraktion in den nächsten Wochen mit den Menschen sprechen und sich nicht in Sitzungen aufhalten. Deshalb beantragen wir, diese Sitzungswoche zu streichen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zum Antrag spricht als nächster der Kollege Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich immer wieder darüber, Herr Kollege Rüttgers, wie man in so kurzer Zeit so viel Blödsinn erzählen kann. ({0}) Es ist schon ein beschämender Vorgang - das gilt insbesondere für die Mitglieder der Regierungsfraktionen -, daß Sie sich hier zum Handlanger einer Bundesregierung machen und auf Ihr parlamentarisches Recht verzichten, Punkte ordnungsgemäß zu beraten. ({1}) Wir Sozialdemokraten werden jedenfalls nicht zulassen, daß die Rechte dieses Parlaments verkürzt werden, bis es soweit kommt, daß Sie dann darüber beschließen, daß überhaupt keine Sitzungswochen mehr stattfinden. ({2}) Ihnen wäre es am liebsten, wenn überhaupt kein Parlament hier wäre. ({3}) Wir lassen uns nicht darauf ein, daß nur aus Wahlkampfgründen politische Diskussionen hier lediglich in der Weise stattfinden, daß der Herr Bundeskanzler sich von Hofberichterstattern in seinem Hoffernsehsender „SAT 1" befragen läßt und nicht hier im Parlament Rede und Antwort steht. ({4}) Sie muten uns zu - ich richte mich auch an die F.D.P. - -({5}) - Frau Präsidentin, vielleicht könnten Sie diejenigen auf der Regierungsbank einmal darauf hinweisen, daß Zwischenrufe von dort nicht zulässig sind. Herr Kollege Waigel und Herr Kollege Kohl, Sie können sich ans Mikrophon stellen und Zwischenfragen stellen - damit das einmal klar ist. ({6}) Sie muten uns mit Ihrem Verhalten zu, daß wichtige Vorlagen hier unter Ausschluß der Öffentlichkeit um Mitternacht im Schweinsgalopp beraten werden. Sie müssen offenbar Grund dazu haben, daß der Bericht des Treuhanduntersuchungsausschusses möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet. Sie, Herr Kollege Waigel, haben dazu eine ganze Menge zu verbergen. Wir werden das nicht zulassen. ({7}) Ein anderes Thema, meine Damen und Herren, das ganz offenbar auch der Koalition große Schwierigkeiten macht: ({8}) Die Debatte des Deutschen Bundestages über den Bericht der unabhängigen Kommission für die Überprüfung des Parteivermögens steht noch aus. Da, Herr Kollege Solms, sind wohl Sie und andere angesprochen, die das Geld der ehemaligen Blockparteien noch vor Gericht erstreiten wollen. ({9}) Meine Damen und Herren, Sie können hier mit Ihrer Mehrheit beschließen, was Sie wollen. Ich garantiere Ihnen: Unsere verfassungsmäßigen Rechte werden uns ermöglichen, daß wir doch Sitzungen des Deutschen Bundestages stattfinden lassen - egal, was Sie hier wollen. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Motiv der SPD, sich hier so aufzuplustern, ist der Wahlkampf, der Wahlkampf und nichts als der Wahlkampf. ({0}) Wenn wir noch einen Beweis dafür gebraucht hätten: Der Kollege Peter Struck hat ihn mit bemerkenswerter Klarheit hier eben vorgeführt. ({1}) - Ja, Sie sind ehrlich, was das angeht. Aber dieses Haus ist keine Wahlkampfbühne; dieses Haus ist der Deutsche Bundestag, ({2}) unser Parlament, ein Gesetzgebungsorgan, das wir hier nicht entwerten sollten, indem wir es zu einem Instrument einer Kampagne machen wollen. ({3}) Es ist auch nicht wahr, daß dieser Bundestag unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagt. Das tut er nie, Kollege Struck. Manchmal gefällt uns das nicht, weil die Berichterstattung sehr viel besser ist, als der eine oder andere das möchte. So wird es auch bei den Themen sein, die wir in dieser Sitzungswoche zu verhandeln haben. Aber eines ist einfach richtig: Es gibt in diesem Hause nichts mehr an Gesetzgebung, nichts mehr an dringender parlamentarischer Arbeit, was entweder zeitlich noch möglich wäre oder was notwendig wäre. Kollege Rüttgers hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir dann, wenn es eine Notwendigkeit geben sollte, beispielsweise durch ein Vermittlungsverfahren, das zum Abschluß kommt, selbstverständlich bereit sind, einen zusätzlichen Sitzungstag einzuschieben, aber doch nicht, um Ihnen einen Wahlkampfgefallen zu tun, meine Damen und Herren. ({4}) Nein, der Deutsche Bundestag sollte seine Arbeit ernst nehmen. Dazu gehört, daß er dann nicht verhandelt, wenn es nichts zu verhandeln gibt. ({5}) Da komme mir auch keiner und sage, wir seien nicht fleißig genug, wir müßten unbedingt noch eine Sitzung machen. Dieser Bundestag hat seine Arbeit gemacht. Wir haben eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet. Wir haben die Vorlagen wirklich gründlich durchgearbeitet. Aber jetzt können wir feststellen, daß die Arbeit des Bundestages abgerundet ist, und dann soll man organisch zu einem Ende kommen und nicht künstlich Dinge kreieren, nur weil Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sich davon einen taktischen Vorteil versprechen. ({6}) Auf die parlamentarischen Rechte verzichtet niemand, Kollege Struck, und wenn Sie dazwischenrufen: „Es reicht! ", dann will ich Ihnen eines sagen: Sie bringen mich hier nicht zum Schweigen. Ich habe ein Mandat, ich führe es aus, und wenn Ihnen das zwanzigmal nicht gefällt, ich sage es trotzdem! ({7}) Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion stimmt dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu. ({8}) Ich erkläre für meine Fraktion weiterhin: Wir sind bereit, wenn Beratungsbedarf entsteht, in der Zeit bis zur Bundestagswahl einen zusätzlichen Sitzungstag einzuschieben. Der Antrag der CDU/CSU ist gerechtfertigt. Wir stimmen ihm zu. Ich denke, dieses Haus sollte ein Interesse daran haben, daß keine Mißverständnisse über die Motivation unserer Aktivitäten aufkommen, und genau dem dient dieser Antrag. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Lederer.

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist heute morgen wirklich der beste Witz gewesen: Die F.D.P. wirft anderen Wahlkampf vor und macht doch die ganze Zeit nichts anderes. Ich will nur daran erinnern, daß seit Ende Juni die parlamentarischen Beratungen hier mehr oder weniger abgeschlossen sind. Es tut mir leid, aber wenn den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. nichts mehr einfällt, was in diesem Parlament noch getan werden könnte, dann würden wir Ihnen gern auf die Sprünge helfen. Seit zehn Monaten steht die Antwort der Bundesregierung auf unsere GroBe Anfrage zur Verwirklichung des Einigungsvertrages aus. Wie wäre es, wenn die Bundesregierung hier einmal Rechenschaft darüber ablegen würde, ({0}) wie gegen den Einigungsvertrag verstoßen, wie er ausgehöhlt und uminterpretiert wurde und welche Versäumnisse die Bundesregierung bei der Verwirklichung dieses Einigungsvertrages zu Lasten der Menschen in den neuen Bundesländern zu verantworten hat? ({1}) Ich will Ihnen noch einen anderen Tip geben, und zwar ein Thema nennen, das Sie hier immer wieder verzögert haben: Wir haben vor Monaten beantragt, den 9. November zu einem Tag der Mahnung und Erinnerung an die Opfer des Holocaust zu machen. Dieser Punkt wurde immer wieder verschoben. ({2}) Wir werden hier auseinandergehen, ohne daß in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema etwas beschlossen wurde. Ich halte das für skandalös. Wir wären in der Lage, beispielsweise in einer weiteren Sitzungswoche hierzu einen Beschluß zu fassen. Statt dessen fällt Ihnen nichts mehr ein. Ihnen fällt nichts mehr ein, weil Sie nichts anderes als Wahlkampf, Wahlkampf, Wahlkampf machen wollen, in der Hoffnung, daß Sie dann vielleicht noch die 5-%-Hürde überspringen. ({3}) Das ist doch das einzige Motiv, und deswegen werden wir selbstverständlich dem Antrag der Regierungskoalition nicht zustimmen. Ich finde es skandalös, daß der Bundestag erst im Januar 1995 wieder zusammentritt und damit ein halbes Jahr nichts parlamentarisch erledigt hat. Ich danke. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter spricht der Kollege Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Kollege Richter, Sie bringen sich eigentlich selbst zum Schweigen, wenn Sie auf die letzte Sitzungswoche verzichten. Gerade Ihre Partei sollte sich doch glücklich schätzen, wenn Sie hier noch einmal in so großer Zahl Platz nehmen können. ({0}) Wenn es noch Zweifel gegeben haben sollte, daß das Ganze mit Wahlkampf zusammenhängt, dann haben Sie, Herr Rüttgers, diese Zweifel gründlich beseitigt. Ich glaube, hier wird an manchen Stellen Ursache mit Wirkung verwechselt. Dieses Parlament hat noch mehr als 120 Vorlagen zu behandeln, die wir auch im Mitternachtsstreckgalopp nicht werden abschließen können. Es ist noch längst nicht alle Arbeit getan. Diese Sitzungswoche ist seit langem vereinbart gewesen. Sie stand im Plan. Wir wissen nicht erst seit heute, daß sie stattfinden soll. Offensichtlich hat sich die Koalition vorgenommen, die Wahlbeteiligung noch etwas zu senken. Denn welche Gründe sollten denn dafür sprechen, ein Parlament zu wählen, das nach zwei Monaten Sommerpause dem deutschen Volk jetzt eine zweimonatige Wahlunterbrechung vorführt? Damit führen Sie den Parlamentarismus ad absurdum. ({1}) Es würde uns gut zu Gesicht stehen, zu beweisen, daß wir in der Lage sind, auch im Wahlkampf in der letzten Septemberwoche sehr sachlich über noch zu klärende Probleme zu reden. ({2}) Sie wissen ganz genau, daß das Absetzen der letzten Sitzungswoche eine Farce ist, weil wir dann mit Sicherheit eine Sondersitzung bekommen. Insofern kann ich diesem Antrag nicht zustimmen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Aufhebung der Sitzungswoche vom 19. bis 23. September 1994? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Antrag angenommen ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes - Drucksachen 12/8279, 12/8445 - Nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrats die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages erforderlich. Das sind mindestens 332 Stimmen. Wer also den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung. - Haben alle ihre Stimmkarten abgegeben? - Ich sehe keinen Abstimmungsbedarf mehr und schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben*) * * ). Wir setzen die Beratungen fort. Damit auch diejenigen, die das eben noch nicht mitbekommen haben, informiert sind: Zunächst gibt es die Debatte und Aussprache über den Haushalt. Ab 13.30 Uhr stimmen wir dann über die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses ab. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 ({0}) - Drucksache 12/8000 - Überweisung: Haushaltsausschuß b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 - Drucksache 12/8001 - Überweisung: Haushaltsausschuß c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ilse Janz, Lothar Fischer ({1}), Edelgard Bul- *) Seite 21233C * *) Erklärung zur Abstimmung siehe Anlage 2 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth mahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Luftfahrtforschungsprogramm - Drucksache 12/8155 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache zwölf Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir werden so verfahren. Zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Theo Waigel, das Wort.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 1995 und der Finanzplan bis 1998 sind die Grundlage für die dauerhafte Finanzierung der deutschen Einheit. Haushaltsentwurf und Finanzplanung stehen für Stabilität, Kontinuität und Zukunftsgestaltung. ({0}) Sie stehen für Wahrheit und Klarheit vor den Wahlen; denn es geht um harte Realitäten und nicht um rote Träume. ({1}) Die Beratung über den ersten Haushalt der neuen Legislaturperiode fordert Bilanzierung und Perspektive. Zentrale finanzpolitische Aufgabe war und bleibt, die Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Einheit haushalts- und gesamtwirtschaftlich sicherzustellen. In der ersten Phase vor und nach der Wiedervereinigung ging es darum, finanzielle Soforthilfe zu leisten, die Währungsunion zu vollziehen, die Privatisierung in Ostdeutschland einzuleiten und das soziale Netz zu knüpfen. In einer zweiten Phase standen Konkretisierung, Quantifizierung und Zuordnung der Aufgaben sowie die Schaffung der notwendigen Finanzierungsinstrumente im Mittelpunkt. In einer dritten Phase werden wir in der kommenden Legislaturperiode die schrittweise Annäherung an die finanzund steuerpolitischen Wachstumsvoraussetzungen erreichen, wie sie bereits Ende der 80er Jahre nach erfolgreichen Jahren der Konsolidierung und Steuersenkung bestanden hatten. Diejenigen, die unsere Finanzpolitik heute mit unhaltbaren Vorwürfen und zum Teil absurder Kritik überziehen, wollen vergessen machen, wie die wirklichen Ausgangsbedingungen im Jahre 1990 waren. Neben den Verbrechen gegen die Menschen hatte die SED Industrie, Handel und Handwerk in ihrem Machtbereich systematisch heruntergewirtschaftet und ausgeblutet. ({2}) Wenn heute die PDS zur freien Bundestagswahl vor die Wähler tritt, muß sie sich mit der jahrzehntelangen Verschwendung von Ressourcen, mit menschenverachtender Umweltverschmutzung und der Vergeudung von Ideen und Arbeitsplätzen von Millionen von Menschen konfrontieren lassen, die ihre Vorgängerorganisation und damit sie selbst zu verantworten hat. ({3}) Die frühere DDR war entgegen den Behauptungen des saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine kein blühendes Industrieland, sondern schon vor dem November 1989 zum wirtschaftlichen Zusammenbruch verurteilt. Das belegen Dokumente und interne Einschätzungen der Wirtschaftsfachleute der früheren DDR, die uns heute vorliegen. Angesichts dieser unbestreitbaren Ausgangssituation grenzt es ans Lächerliche, wenn die SPD versucht, die unvermeidbare Kreditaufnahme und auch die Erhöhung der Steuer- und Abgabenlasten als leichtfertigen Umgang mit den öffentlichen Finanzen darzustellen. ({4}) Tatsache ist: Ohne die finanziellen Lasten des SED-Regimes könnte ich heute auf die niedrigste Verschuldung und die günstigsten Steuer- und Abgabenziffern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verweisen. ({5}) Aber, meine Damen und Herren, ich bin gerne bereit, die Verantwortung für die finanzpolitische Entwicklung und die Entscheidungen der letzten Jahre zu übernehmen; denn jede Mark, die wir zusätzlich bewilligt haben, war eine Investition in die deutsche Einheit. ({6}) - Lieber Kollege Struck, Sie sollten die Regierung nicht stören. ({7}) Sie sollten mir wirklich zuhören - und nicht hinter mir, sondern vor mir vorübergehen. ({8}) - Er wäre ja nicht der Schlimmste. ({9}) Jede Mark steht für Arbeitsplätze, Investitionen und soziale Sicherheit, steht vor allem aber für Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen. Diejenigen in der SPD, die das immer noch nicht erkennen, sollten sich gelegentlich mit Frau Ministerin Hildebrandt zusammensetzen - aber nur gelegentlich, weil zuviel unerträglich ist -, ({10}) die am vorletzten Sonntag im ersten Fernsehprogramm genau mit diesen Argumenten die Finanzpolitik und die Kreditaufnahme in ihrem Land Brandenburg vertreten hat. Ich habe ihr bei anderer GelegenBundesminister Dr. Theodor Waigel heit einmal gesagt: Wenn Sie, Frau Hildebrandt, nur einen Tag Finanzministerin in Deutschland wären, dann würde die Mark zum Rubel verkommen. Sie hat mir nicht widersprochen. ({11}) Nur wenn die Finanzierung der Einheit im Einklang mit Wachstum und Beschäftigung steht, ist der deutsche Integrationsprozeß auf Dauer gestaltbar. Die Einpassung der unverzichtbaren Transfers für Ostdeutschland in den gesamtwirtschaftlichen Rahmen steht unverändert im Mittelpunkt unserer Anstrengungen. Zwischen 1990 und 1994 hat allein der Bund rund 560 Milliarden DM an einigungsbedingten Ausgaben finanziert. Auch nach Abzug der eingesparten teilungsbedingten Kosten, der Steuermehreinnahmen aus den jungen Bundesländern und der Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der Einheit bleiben netto über 260 Milliarden DM an einigungsbedingten Sonderlasten. Rund zwei Drittel dieses Betrages wurden durch jährlich ansteigende Ausgabeneinsparungen ausgeglichen. Diese Ziffer steht für harte und dauerhafte Einschnitte und widerlegt eindeutig alle Lügenmärchen von der angeblich auf Pump finanzierten Wiedervereinigung. Ich bin auch nicht bereit, mir in einer unsäglichen Verleumdungskampagne die Schulden der kommunistischen Machthaber der DDR, der früheren sozialdemokratischen Bundesregierung oder der Länder und Gemeinden persönlich anhängen zu lassen. ({12}) Es gehört schon eine bemerkenswerte Ignoranz dazu, von einem Schuldenberg in Höhe von 2 000 Milliarden DM der Bundesregierung zu sprechen, wenn hiervon rund 500 Milliarden DM den westlichen Ländern und Gemeinden, 300 Milliarden DM der SPD-Bundesregierung bis 1982 ({13}) - da lachen Sie; das ist doch die Realität; da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren ({14}) und 700 Milliarden DM direkt oder indirekt dem SED-Staat zuzurechnen sind. ({15}) - Das war ein guter Parteitag, ein sehr guter. Ich wünschte, auch Sie hätten einmal so einen. Sie werden mit Ihren Zwischenrufen jedenfalls nicht in die Annalen, sondern höchstens in die Banalen eingehen, mein Herr. ({16}) Statt unhaltbare Schuldenverantwortung zu konstruieren, sollte man zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland trotz aller historisch einmaligen Aufgaben und nie dagewesenen Herausforderungen im finanzpolitischen Vergleich der objektiven Zahlen besser abschneidet als fast alle Industrieländer. ({17}) Nach den gerade an die Kommission der Europäischen Union gemeldeten Daten liegt Deutschland 1994 mit einem Staatsdefizit von 2,8 % des Bruttoinlandsprodukts unter der im Vertrag von Maastricht geforderten 3- %-Grenze. Deutschland ist nach einer aktuellen Übersicht des Internationalen Währungsfonds unter den sieben großen Industrieländern am erfolgreichsten beim Abbau des strukturellen Defizits. Auf rund 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts - in absoluten Zahlen sind das gut 130 Milliarden DM - beziffert der Fonds den Konsolidierungsfortschritt in den Jahren 1991 bis 1994. Folgerichtig stellt der Fonds in seinem Bericht über die Deutschland-Konsultationen im Jahr 1994 fest: Es gibt keinen Zweifel daran, daß Deutschland auf dem Weg zu einer gesunden finanzpolitischen Situation ist. ({18}) Die OECD urteilt in ihrem Deutschlandbericht von letzter Woche: Das strukturelle Defizit wurde erheblich reduziert. Die immer wachsame Deutsche Bundesbank schreibt im Monatsbericht vom Juni dieses Jahres im gleichen Tenor: Insgesamt betrachtet zeichnen sich also deutliche Fortschritte bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen ab. Das Ifo-Institut stellt in seinem Konjunkturbericht vom Juli fest: Das Finanzierungsdefizit des Staates geht deutlich zurück. Der Staat bekommt die Kosten der Wiedervereinigung in den Griff. ({19}) Im selben Heft des Ifo-Instituts findet sich ein anderer interessanter Satz, der lautet: Vielfach geäußerte Vermutungen, das Staatsdefizit werde 1994 ausufern, treffen nicht zu. Mit dieser nüchternen Feststellung zerbricht der Traum mancher Finanzpolitiker der SPD, wenigstens als erfolgreiche Wahrsager in die Annalen des Bundestages einzugehen. ({20}) Mein geschätzter Kollege Rudi Walther hatte Ende November letzten Jahres verkündet: Ich denke, ohne daß ich den Teufel an die Wand malen will, daß, wenn das Jahr 1994 herum sein wird, wir deutlich über 70 Milliarden DM Neuverschuldung haben werden. Frau Matthäus-Maier hat sich am 18. Januar sogar auf einen Betrag von 80 Milliarden DM versteift. ({21}) Meine Damen und Herren, heute bestreitet niemand: Unsere Konjunktur- und Haushaltsprognosen vom Jahresanfang waren zurückhaltend und vorsichtig. Trotz aller Unwägbarkeiten, die jedem Haushaltsvollzug anhaften, werden wir in diesem Jahr das angestrebte Ziel bei der Kreditaufnahme sogar unterschreiten und 3 bis 4 Milliarden DM weniger Nettokreditaufnahme haben, als im Haushaltsplan steht. Das ist ein schöner Erfolg unserer Haushaltspolitik. ({22}) Nicht zuletzt deswegen liegen nach allen Umfragen die weitaus höheren wirtschafts- und finanzpolitischen Kompetenzen bei den Koalitionsparteien. Wo Ihre Führungsriege, wo die Troikaner Verantwortung tragen, liegen die öffentlichen Finanzen darnieder. Im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen, dort, wo Sie sich hätten bewähren können, werden die öffentlichen Verwaltungen aufgebläht und die Verschuldung in die Höhe getrieben. ({23}) So liegt der Schuldenstand je Einwohner im Saarland doppelt so hoch wie im Durchschnitt der westlichen Länder. ({24}) Die Ausgaben wachsen im Saarland doppelt so schnell wie im Durchschnitt. Die Nettokreditaufnahme je Einwohner ist in diesem Jahr dreimal so hoch wie bei allen Flächenländern im Westen. ({25}) Daß es das Saarland in den letzten Jahrzehnten nicht leicht hatte, ist uns allen bekannt. Aber das erklärt nicht, warum z. B. die Personalausgaben je Einwohner im Saarland um 10 % höher liegen als im Durchschnitt der Flächenländer. ({26}) Ebenso unklar ist mir, warum das Saarland trotz seiner finanziellen Not den Titel „Steueroase" anstrebt. Der Bundesrechnungshof zitiert Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, mit der Äußerung: Auf der anderen Seite freue ich mich, wenn Schlagzeilen auftauchen wie „Steueroase Saarland". Dazu hat der Bundesrechnungshof klipp und klar festgestellt: Die Finanzverwaltungen der Länder haben keine gesetzliche Legitimation, Steuergesetze zu Instrumenten der regionalen Wirtschaftsförderung im Wettstreit mit anderen Bundesländern zu gebrauchen. ({27}) Es ist eine Unverfrorenheit, auf der einen Seite auf die Erhebung von gesetzlich vorgeschriebenen Steuern zu verzichten, wenn auf der anderen Seite die Gesamtheit von Bund und Ländern mit milliardenschweren finanziellen Leistungen zur Sanierung des saarländischen Haushalts beitragen müssen. ({28}) Wir zahlen nicht über 200 Millionen DM für die Kosten der politischen Führung in Rheinland-Pfalz und über 150 Millionen DM im Saarland, damit solche politischen Verirrungen herauskommen. ({29}) Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, der uns, nehme ich an, später die Ehre geben wird - die Troikaner kommen nacheinander; eigentlich wollten sie gegen den Bundeskanzler immer nur miteinander auftreten -, ({30}) hat angekündigt, nach einem erhofften Wahlsieg im Oktober die Zahl der Bundesminister zu verringern. In Rheinland-Pfalz hat er die Anzahl der Ministerien bei Regierungsübernahme 1991 von neun auf elf erhöht. ({31}) Das sind zwei zusätzliche Minister und zwei zusätzliche Staatssekretäre. 140 zusätzliche Positionen in den Leitungsebenen wurden geschaffen. ({32}) Im Saarland, Herr Ministerpräsident Lafontaine, wurde zusätzlich ein Wissenschaftsministerium eingerichtet, zuständig für eine Universität und eine Fachhochschule. ({33}) Jedenfalls ist die Personalpolitik dort aktiv. Das ist noch nie bestritten worden. ({34}) In Niedersachsen nahm in der Regierungszeit Schröder die Zahl der Beschäftigten im Landesdienst um 20 %, in absoluten Zahlen um 9 000, zu. ({35}) Dazu paßt die Aussage von Ministerpräsident Scharping in der „Rhein-Zeitung" vom 28. November 1990: Vor den Wahlen über die Wahrheit zu reden ist selbstmörderisch. ({36}) Über Ihre Wahlprogramme schreiben Sie: Die Kreditaufnahme muß zurückgeführt werden. Aber dann folgen ungedeckte Forderungskataloge, Steuerumschichtungspläne, die den Bund zusätzlich mit Milliardenbeträgen belasten, sowie nicht finanzierbare Ankündigungen, wie z. B. die des Kollegen Dreßler, innerhalb der Legislaturperiode die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Sie wollen mit den GRÜNEN in eine Koalition marschieren, also mit einer Partei, die allein durch den Sofortausstieg aus der Kernenergie dem Staat Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe aufbürden will. Was Sie außer Herrn Lafontaine an wirtschafts- und finanzpolitischem Sachverstand in Ihrem sogenannten Schattenkabinett aufbieten, ist mehr Spreu als Weizen. ({37}) Ministerpräsident Schröder mußte in den vier Jahren seiner Regierungstätigkeit einen Anstieg der Schulden um fast 40 % verantworten. ({38}) Ministerpräsident Scharping hat in einem „Spiegel"-Interview vom Januar offenbart, daß er nicht weiß, daß öffentliche Schulden und öffentliche Anleihen ein und dasselbe sind. Erst kritisiert er die Bundesregierung in diesem Interview wegen angeblicher „Schuldenorgien", wenige Zeilen später schlägt er eine Anleihe für den Aufbau Ost vor. Sie ist nicht gerade ein Instrument, um die Schuldenhöhe abzubauen. ({39}) Rechnen ist ja überhaupt nicht die Stärke des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. ({40}) In der Europadebatte am 27. Mai 1994 hat Herr Ministerpräsident Scharping behauptet, die öffentliche Verschuldung pro Kopf betrage 65 000 DM. Das mußte er dann - leider von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - im amtlichen Protokoll des Deutschen Bundestages auf die richtige Zahl von 25 000 DM korrigieren. Der Kandidat für den Aufbau Ost, Herr Kollege Thierse, hat sich durch die Forderung nach einer Zusatzsteuer „Notopfer Ost" hervorgetan. Meine Damen und Herren, ich glaube, Frau Kollegin Matthäus-Maier hat nach vielen Jahren erfolgloser Oppositionsarbeit die richtige Einsicht, wenn sie in einem Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom 9. August feststellt: Die Steuer- und Finanzpolitik ist ohnehin nicht der Bereich, in dem die SPD „Strahlkraft" entwikkeln kann. ({41}) - Sie sehen, meine Damen und Herren, man kommt in dieser Debatte mit Zitaten und Fakten durchaus aus. ({42}) - Setzen Sie sich doch mit Frau Matthäus-Maier und I nicht mit mir auseinander; ich habe sie doch nur zitiert. Was wollen Sie denn? ({43}) Es ist besser für Deutschland, für Investoren, für Arbeitssuchende und für alle, die auf einen starken Rechtsstaat angewiesen sind, wenn wir auch in der dritten Phase der Finanzierung der Wiedervereinigung das finanzpolitische Ruder in der Hand behalten. Was wir vorhaben, liegt, in Zahlen gegossen, vor Ihnen auf dem Tisch. Die Eckdaten des Bundeshaushalts 1995 lauten: Anstieg der Gesamtausgaben um nur 1 % auf rund 485 Milliarden DM, Begrenzung der Nettokreditaufnahme trotz der 1995 zu bewältigenden gewaltigen Zusatzlasten auf knapp 69 Milliarden DM. Im Mittelpunkt steht die Umsetzung der Beschlüsse vom Frühjahr 1993 zur Finanzierung der sozialistischen Erblast und des raschen Aufbaus in den jungen Bundesländern. Der Bund übernimmt ab 1995 allein den Schuldendienst in Höhe von mehr als 30 Milliarden DM für den Erblastentilgungsfonds. Darin enthalten sind nicht nur die Zinsen, sondern künftig auch beträchtliche Tilgungsbeiträge, durch die wir die Schulden der Vergangenheit in etwa einer Generation zurückzahlen werden. Mit der Zusammenfassung und schrittweisen Tilgung der Erblastverpflichtungen wird ein Schlußstrich unter die Übergangsfinanzierungen nach der Wiedervereinigung gezogen. Zwar werden die Schulden des Kreditabwicklungsfonds, der ostdeutschen kommunalen Wohnungswirtschaft und anderer Sondervermögen auch bisher schon beim öffentlichen Gesamthaushalt für jeden nachprüfbar eingerechnet. Aber jetzt ersparen wir der Opposition das Addieren und nehmen ihr zugleich die Möglichkeit, in abenteuerlichen Kalkulationen auch noch Dinge hinzuzufügen, die mit dem öffentlichen Schuldenstand gemäß der international gebräuchlichen Definition überhaupt nichts zu tun haben. Ebenfalls als Ergebnis des Förderalen Konsolidierungsprogramms wird die Finanzkraft der jungen Bundesländer dauerhaft und umfassend abgesichert. Auch hier hat der Bund wesentliche Teile der Gesamtlast übernommen. Er finanziert nicht nur mehr als die Hälfte des Beitrags der Westländer im Länderfinanzausgleich durch die Abgabe von sieben Umsatzsteuerpunkten, sondern stellt gleichzeitig den neuen Ländern in Form von Finanzhilfen und Bundesergänzungszuweisungen weitere 25 Milliarden DM zur Verfügung. Damit verfügen die ostdeutschen Länder und ihre Kommunen ab 1995 über finanzielle Mittel, die pro Kopf der Bevölkerung bei knapp 120 Prozent des Durchschnitts der alten Länder liegen. Wir müssen im Haushalt 1995 auch die Spätfolgen des Konjunktureinbruchs des letzten Jahres verkraften. Gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung belaufen sich die Mindereinnahmen bei den Steuern auf 10 Milliarden DM. Der Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und die Ausgaben für Arbeitslosenhilfe mußten trotz der inzwischen deutlich verbesserten Konjunkturlage um fast 15 Milliarden DM nach oben korrigiert werden. Für den Haushaltsentwurf 1995 bedeutet das: Nachdem bereits im Zeitraum 1992 bis 1994 die Plafonds der Hälfte aller Einzelpläne nominal rückläufig waren, werden auch 1995 noch einmal viele Etats gegenüber dem Verfügungsrahmen des laufenden Jahres gekürzt. Den allergrößten Einsparungsbeitrag hat in den letzten Jahren der Verteidigungsbereich erbracht. Der Anteil der Verteidigungsausgaben hat sich gegenüber 1989 halbiert. Meine Damen und Herren, man muß es sich vorstellen: Hier wurde der Etat halbiert, und die Sozialausgaben sind von 98 Milliarden DM im Jahre 1989 auf 178 Milliarden DM im Jahre 1995 gestiegen. Da komme mir niemand und sage, dies sei soziale Kälte. Dann müßten wir 1982 unter Helmut Schmidt im Gefrierhaus gelebt haben. ({44}) Massiv gekürzt wird auch bei den Subventionen im Westen. So geht das absolute Volumen der Finanzhilfen in den alten Ländern im Zeitraum 1992 bis 1995 von 14 Milliarden DM auf 9,5 Milliarden DM - um rund ein Drittel - zurück. Ich habe es vorher gesagt: Mit 178 Milliarden DM und einem Anteil an den Bundesausgaben von 37 % bleibt der Sozialetat der bei weitem größte Ausgabeposten. Dieser hohe Anteil ist das Ergebnis der sozialverantwortlichen Politik der letzten Jahre. Ich nenne nur beispielhaft die Einführung des Erziehungsgeldes, die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen in der Rentenversicherung, den Kindergeldzuschlag für Familien mit geringem Einkommen und die Anschubfinanzierung für Investitionen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in den neuen Ländern. Zwischen 1985 und 1993 sind die Leistungen und Steuererleichterungen für Ehe, Familie und Kinder von 72 Milliarden DM auf 132 Milliarden DM angestiegen: 83 % in acht Jahren. Das ist sozial verantwortliche Politik, deren Erfolge niemand in Frage stellen kann. ({45}) Um soziale Sicherheit für alle Hilfsbedürftigen auf Dauer zu sichern, müssen wir den Kostenanstieg begrenzen. Wir haben deshalb unseren Vorschlag aus der letzten Sparrunde vom Sommer 1993 wieder eingebracht, die Arbeitslosenhilfe auf höchstens zwei Jahre zu befristen. Ich weiß: Das ist umstritten, und das wird kritisiert. Ich möchte dazu aber folgendes sagen: Wenn mir erstens jemand einen anderen Konsolidierungsvorschlag in gleicher Höhe vorlegt, dann bin ich sofort bereit, mit ihm darüber zu reden und zu diskutieren. Zweitens. Bei der Anschlußarbeitslosenhilfe werden Leistungsbezieher ab 55 Jahren sowie bestehende Sozialpläne ausgenommen. Wir werden darüber hinaus noch prüfen, ob eine zeitliche Staffelung des Bezugs von Arbeitslosenhilfe in Abhängigkeit von der Dauer der Beitragsleistung bzw. dem Alter bei vergleichbaren Einsparungen möglich ist. Eines halte ich aber auf jeden Fall für notwendig: Wer nie einen Beitrag gezahlt hat, der kann nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beantragen. Das gehört nicht zu den Lohnersatzleistungen. ({46}) Ich nehme an, daß uns auch Ministerpräsident Lafontaine bei dieser Gelegenheit zur Seite steht; denn er hat selbst gefordert: Auch Sozialleistungen gehören auf den Prüfstand. Sozialdemokratische Finanzminister in den Bundesländern kürzen bei den eigenen Sozialausgaben. Auch international gibt es angesichts der Konsolidierungszwänge für Sozialisten keine Kürzungstabus. Der Chef der niederländischen Arbeiterpartei, Wim Kok, bisher Finanzminister und jetzt Ministerpräsident, hat in seinem Regierungsprogramm z. B. Ausgabenkürzungen im Sozialbereich durch die Abkoppelung der Sozialleistungen von der Lohnentwicklung und durch die Verschärfung der Anspruchskriterien für Hinterbliebenen- und Arbeitsunfähigkeitsrente vorgesehen. Die geplanten Einsparungen im Sozialbereich in Holland belaufen sich im Zeitraum 1995 bis 1998 auf über 6 Milliarden holländische Gulden. Umgerechnet auf Deutsche Mark und auf das rund fünfmal höhere deutsche Sozialprodukt entspricht das einem Sparvolumen von rund 32 Milliarden DM. Der Sozialist und frühere Gewerkschaftsführer Wim Kok tut das sicher nicht, um seine Wähler zu verprellen. Er kürzt, um soziale Sicherheit auch künftig garantieren zu können. Aber so weit ist die Einsicht der deutschen Sozialdemokraten noch längst nicht gediehen. ({47}) Die Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe werden teilweise kompensiert durch höhere Sozialhilfeleistungen der Gemeinden. In der Gesamtbilanz der aktuellen Entscheidungen werden die Kommunen jedoch nicht unzumutbar belastet. ({48}) Die Sparpakete des letzten Jahres haben bei allen Ebenen zu dauerhaften Minderausgaben geführt. Die Pflegeversicherung bringt den Gemeinden bereits ab 1995 Minderausgaben, die ab 1997 etwa 10 Milliarden DM betragen werden. Hinzu kommen die Auswirkungen der Postreform II, durch die für die Postunternehmen ab 1996 u. a. Körperschaft-, Gewerbe- und Grundsteuerpflicht entstehen. Länder und Gemeinden erzielen dadurch Zusatzeinnahmen, die mittelfristig rund 3 Milliarden DM erreichen können. Die Anhebung der Konzessionsgebühren bringt rund 1,5 Milliarden DM in die Gemeindekassen. Meine Damen und Herren, Solidarität in der Finanzverantwortung ist eine entscheidende Voraussetzung für die Ausrichtung der öffentlichen Haushalte auf Wachstum und Beschäftigung. Im Bundeshaushalt 1995 setzen wir trotz strikter Konsolidierungsvorgaben Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Wachstum, Investitionen und Standortsicherung. Der allergrößte Teil der wachstumssichernden Ausgaben dient dem Aufbau in den ostdeutschen Bundesländern. Im Bundeshaushalt 1995 stehen wiederum insgesamt 150 Milliarden DM für die wirtschaftliche und soziale Integration Deutschlands zur Verfügung. Was wir mit diesen hohen Beträgen für die Menschen in Ostdeutschland erreichen, wird gerade in diesem Jahr immer deutlicher. Die Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten nach ihren jüngsten Prognosen in den jungen Ländern einen Zuwachs des realen Sozialprodukts von bis zu 9 %. Das ist eine wirtschaftliche Dynamik, die weltweit ihr Gegenstück allenfalls in den neu industrialisierten Ländern wie Taiwan, Singapur oder Südkorea findet. ({49}) Alleine in den ersten sechs Monaten dieses Jahres war die Erzeugung im verarbeitenden Gewerbe um fast ein Viertel höher als im Vorjahreszeitraum. Auftragseingänge mit Zuwachsraten von nahezu 20 % wie zuletzt im Juni sichern wirtschaftliche Dynamik auch für die vor uns liegenden Monate. Die Arbeitslosigkeit ist in diesem Sommer zum erstenmal wieder unter das Vorjahresniveau gesunken, und die Zahl der Kurzarbeiter geht weiter zurück. ({50}) In diesem Jahr werden in den jungen Bundesländern insgesamt rund 160 Milliarden DM investiert. ({51}) Pro Kopf sind das rund 20 % mehr als im Westteil Deutschlands. Ich halte das für eine großartige Leistung, die Früchte tragen wird - natürlich nicht nur heute und morgen, sondern für die nächste Generation. ({52}) Die Einkommen, vor allem aber die Renten erreichen heute, je nach Bevölkerungsgruppe, schon 70 bis 90 % des Westniveaus. Natürlich konnten in vier Jahren noch längst nicht alle Verwüstungen beseitigt werden, die der Sozialismus bei den Industrieanlagen, im Verkehr, bei den Wohnungen, im Städtebau und vor allem im Umweltbereich angerichtet hat. Nur, meine Damen und Herren, wer leugnet, daß in vier Jahren mehr passiert ist als vorher in 40 Jahren, der leugnet die Wirklichkeit und betreibt Demagogie. ({53}) Realitätsfern und unglaubwürdig ist es auch, wenn auf der einen Seite der Bundesregierung mangelndes Engagement in Ostdeutschland vorgeworfen wird und dann z. B. die PDS-geduldete rot-grüne Regierung in Sachsen-Anhalt versucht, die wichtige Südharz-Autobahn zu blockieren, die der Region Wachstum und Beschäftigung bringen soll. Das ist das erste Beispiel dafür, daß Rot-Grün das Investitionshindernis Nummer eins in Deutschland ist, meine Damen und Herren. ({54}) Zusätzliche Entscheidungen zugunsten der jungen Bundesländer wurden im Entwurf des Haushalts 1995 berücksichtigt. So bieten wir den neuen Ländern ein neues gemeinsames Drei-Jahres-Programm zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation bei mittelständischen Unternehmen und wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen an. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf 1,2 Milliarden DM. Die Unternehmen und Einrichtungen gewinnen durch diese Förderung eine gesicherte mittelfristige Perspektive, um ihre Arbeit im Interesse des Standorts Deutschland konsequent voranzutreiben. Ich fordere die Regierungen in den neuen Bundesländern auf, das Angebot der Bundesregierung anzunehmen und im Rahmen ihrer verbesserten Finanzausstattung ihren Beitrag ebenfalls zu leisten. Außerdem haben wir beschlossen, das Wohngeldsondergesetz bis 1995 zu verlängern. Damit wird es möglich, die gestiegenen Wohnkosten auch im Jahr 1995 sozialverträglich abzufedern. In ganz Deutschland stellt sich im Rahmen des verschärften Standortwettbewerbs die Aufgabe, Forschung und Entwicklung voranzutreiben und so Zukunftsmärkte zu erschließen. Dem trägt der Haushaltsentwurf 1995 durch ein neues Luftfahrtforschungs- und Technologieprogramm mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM Rechnung. Das Programm hat eine Laufzeit von vier Jahren und wird je zur Hälfte durch den Bund und die Industrie finanziert. Wir erwarten darüber hinaus einen Beitrag der Sitzländer der deutschen Luftfahrtindustrie, die ihr besonderes Interesse an diesen Standorten immer wieder unterstrichen haben. Die beschlossene Kostenübernahme beim Bau des Fahrwegs für den Transrapid zwischen Berlin und Hamburg gewinnt im vorliegenden Bundeshaushalt 1995 und in der Finanzplanung bis 1998 allmählich an Bedeutung. Hier geht es ebenfalls um einen wichtigen Beitrag der Finanzpolitik zur Förderung von international konkurrenzfähigen Zukunftstechnologien. Meine Damen und Herren, wenn wir nicht den Mut haben, die Dinge, die für die Zukunft in der Welt von Bedeutung sind, bei uns selber nicht nur entwickeln, sondern auch laufen zu lassen, dann werden wir in Deutschland die Zukunft nicht gewinnen. ({55}) Wir wollen schließlich auch die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau um 120 Millionen DM auf 1,8 Milliarden DM anheben und so zusätzlich in die wissenschaftliche Infrastruktur investieren. Noch weitergehende Forderungen der Länder sind für uns im Rahmen der Konsolidierungsziele nicht verkraftbar. Ausgaben- und Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte müssen gemeinsam auf das zentrale Ziel der Sicherung von Wachstum und Beschäftigung gerichtet sein. Dringend erforderliche Steuerentlastungen sind deshalb in einen klaren Konsolidierungskurs einzupassen, der die erreichte Preis- und Zinsstabilität auch für die kommenden Jahre sichert. Wir werden die notwendigen und zukunftssichernden Reformschritte im steuerlichen Bereich in Ruhe vorbe21230 reiten und in einem Jahressteuergesetz 1996 verwirklichen. Wir haben bereits im Zusammenhang mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm das Existenzminimum steuerfrei gestellt. Entsprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts werden wir ab 1996 eine dauerhafte Regelung schaffen. Die von mir eingesetzte Kommission unabhängiger Sachverständiger soll im Herbst Eckwerte für die notwendigen Anpassungen vorlegen. Klar ist aber schon jetzt: Wir wollen eine Lösung ohne leistungsschädliche Progressionssprünge. Auch der linear ansteigende Steuertarif, der Hauptvorteil der Steuerreform 1990, steht nicht zur Disposition. Angebliche Steuerausfälle von über 40 Milliarden DM stehen in diesem Zusammenhang nicht auf der Tagesordnung. Es sind vielmehr Lösungen absehbar, die mit einem Einnahmenausfall für Bund, Länder und Gemeinden von rund 15 Milliarden DM - davon rund 6 Milliarden DM für den Bund - verbunden sind. Das ist eine Größenordnung, die bei deutlich verbesserten Wachstumsdaten und strikter Finanzdisziplin auf allen Ebenen aufgefangen werden kann. Durch schrittweise Verbesserungen haben wir seit 1983 die wichtige familienpolitische Aufgabe der steuerlichen Freistellung des Kinderunterhalts verwirklicht. Bei einer besseren steuerlichen Berücksichtigung der familienbezogenen Aufwendungen kann dann das Kindergeld bedarfsgerecht auf kinderreiche Familien mit geringem Einkommen ausgerichtet werden. Zu den Eckpunkten unseres steuerpolitischen Programms gehört die dritte Stufe der Unternehmensteuerreform, mit der wir den Investitions- und Arbeitsplatzstandort Deutschland dauerhaft sichern. Nach der Senkung der betrieblichen Einkommen- und Körperschaftsteuersätze in dieser Legislaturperiode wollen wir vor allem die Gewerbesteuerlast der Betriebe nachhaltig verringern. Die Gewerbekapitalsteuer soll abgeschafft und die Gewerbeertragsteuer in mittelstandsfreundlicher Form gesenkt werden. Im Rahmen dieser Reform erhalten die Gemeinden einen fairen Einnahmenausgleich, der ihr Interesse an Gewerbeansiedlungen wahrt. Wir wollen die Verbesserungen im Unternehmensteuerbereich wie bisher aufkommensneutral verwirklichen. Wir wollen darüber hinaus in den jungen Bundesländern die Aussetzung der ertragsunabhängigen Vermögensteuer verlängern und so den Betrieben den notwendigen Spielraum für wettbewerbsstärkende Investitionen belassen. ({56}) Der Solidaritätszuschlag ist eine vorübergehende, aber keine befristete Sonderabgabe. Je früher er durch Einsparungen und Zusatzwachstum ersetzt werden kann, desto besser. Auf Dauer sind vor allem einfache Steuern gerecht und wachstumsfördernd. Steuervereinfachend wirken schon die geplante Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sowie die Anhebung des Kinderfreibetrags und die Freistellung des Existenzminimums. Darüber hinaus habe ich in der letzten Woche eine Reihe von Vereinfachungsvorschlägen vorgelegt. Sie betreffen z. B. den Bereich der Arbeitnehmerveranlagung, die Wohnungseigentumsförderung und die Pauschalierung bestimmter Werbungskosten. Wir werden im Zusammenhang mit den anderen steuerlichen Initiativen in der nächsten Legislaturperiode abschließend darüber entscheiden. Auch beim Thema Steuervereinfachung zeigt sich die SPD wieder völlig konzeptionslos. Während Ministerpräsident Lafontaine meint, unsere Vorschläge gingen nicht weit genug, sieht die Bonner Fraktion eine Überforderung der Finanzämter. Das ist nicht gerade eine konstruktive Unterstützung bei der Lösung einer von allen als vordringlich anerkannten steuerpolitischen Aufgabe. Wir wollen mit steuerpolitischen Instrumenten auch zum Umweltschutz beitragen. Es geht vor allem um eine Verminderung des CO2-Ausstoßes durch eine entsprechende Anpassung in der Struktur der Verbrauchsteuern. Wir wollen eine solche Neuregelung europaweit und wettbewerbsneutral verwirklichen, ohne die Steuerlast insgesamt zu erhöhen. Die von der SPD geförderte und geforderte ökologische Steuerreform läuft demgegenüber auf eine Zusatzbelastung der Wirtschaft hinaus und enthält unüberwindbare Widersprüche. Denn wenn Ihre Ökosteuer die Umweltziele erreicht, haben Sie keinen finanziellen Spielraum für die geforderte Abgabensenkung bei den Arbeitseinkommen. Bezeichnend ist auch, daß Sie die Kohlewirtschaft bei Ihren Abgabeplänen ausnehmen, obwohl von der Kohleverbrennung die größten Umweltbelastungen ausgehen. Das paßt nicht zusammen. ({57}) Der entscheidende Unterschied zwischen unserer Steuerpolitik und den Plänen der SPD liegt darin, daß es bei uns kein Ausspielen der einen gesellschaftlichen Gruppe gegen die andere gibt. Wir wollen Hand in Hand mit den Konsolidierungsfortschritten die Steuerzahler insgesamt entlasten. Das ist für alle weitaus besser als die wahlstrategischen Steuermodelle der SPD, die unverblümt auf Neid und Mißgunst setzen und versuchen, unser Land in „Besserverdiener" und „Schlechterverdiener" zu spalten. ({58}) Ich finde es schon ein starkes Stück, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie hier im Bundestag und im Bundesrat dem Solidaritätszuschlag zugestimmt haben, ihn jetzt aber ablehnen und so tun, als ob Sie mit ihm nie etwas zu tun gehabt hätten. ({59}) Hier sprechen Sie doch mit einer gespaltenen Zunge! Meine Damen und Herren, wer brutto und netto verwechselt, wer als Einkommensgrenze für die geforderte Ergänzungsabgabe einmal 50 000 DM und einmal 60 000 DM angibt und wer verschweigt, daß die Grenze eigentlich bei 44 000 DM liegen müßte, weil sonst mindestens 71/2 Milliarden DM am Finanzierungsvolumen fehlen, der erntet auch mit ungedeckten Entlastungsversprechen für bestimmte Einkommensgruppen wenig Zustimmung. Sie müssen sich auch fragen lassen, wie Sie in einem Umfeld verschärften Standortwettbewerbs die finanzielle Abstrafung der Leistungsträger und Investoren gesamtwirtschaftlich rechtfertigen wollen. Ergänzungsabgabe von 10 % für sogenannte Besserverdienende, Kappung des Ehegattensplittings, Schulgeld für Besserverdienende, Streichung der Kinderfreibeträge, möglicherweise höhere Belastungen beim Grundbesitz durch verkehrswertnahe Einheitswerte - damit prügeln Sie mit dem Steuerknüppel immer auf dieselbe Gruppe im mittleren Einkommensbereich ein, die im Beruf und in der Leistung für ihre Familie das Beste gibt und die Räder in Wirtschaft und Gesellschaft in Bewegung hält. ({60}) Zutreffend schreibt dazu Heinrich Rieker im „Rheinischen Merkur" vom 22. April: „Es wird schwer sein, einem ledigen Schichtarbeiter, der mit Zuschlägen auf 5 000 DM Monatslohn kommt, begreiflich zu machen, daß er ein Höherverdiener ist und dementsprechend schärfer besteuert werden muß." Es wird Zeit, daß die SPD steuerpolitisch aufwacht. Der Sachverstand - auch der in der eigenen Partei - steht gegen Sie. In der „Wirtschaftswoche" vom 22. Juli hat Helmut Schmidt nüchtern festgestellt: „Wer nur die hohen Einkommen und Vermögen treffen will, muß sich fragen lassen, ob er noch mehr Kapital- und Wohnsitzverlagerungen nach Luxemburg, Monaco und anderswohin auslösen will." ({61}) Der ehemalige Präsident der Deutschen Bundesbank Karl Otto Pöhl antwortete im März dieses Jahres auf eine Frage der „Wirtschaftswoche": „Einige Vorschläge finde ich sogar im höchsten Maße bedenklich, etwa die Höherbesteuerung der sogenannten Besserverdienenden. " Er hat es ja auch abgelehnt, in ein Schattenkabinett Scharping einzutreten - ebenso wie der Daimler-Chef Edzard Reuter. Aber einige im Beraterkreis erscheinen nicht unvernünftig; sie wollen mit der Zweitstimme Helmut Kohl wählen. Ich kann nur sagen: Respekt, Respekt! ({62}) Wir wollen, statt Leistung zu bestrafen, den Wettbewerb um die besten wirtschaftlichen Ergebnisse vorantreiben. Mit der Privatisierung in Ost und West leistet die Finanzpolitik einen dritten entscheidenden Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung. Privatisierung war für uns schon immer eine Investition in Wettbewerb, Effizienz und Anpassungsfähigkeit und kein Instrument allein zur Verbesserung der Einnahmenbasis - dies gilt auch für die großen aktuellen Vorhaben Bahn, Postunternehmen und Lufthansa -; vielmehr haben wir bei der Bahnreform Altverpflichtungen in Höhe von fast 70 Milliarden DM übernommen. Darüber hinaus leisten wir steigende Zahlungen an die Länder und Gemeinden im Zusammenhang mit der Regionalisierung des Bahnverkehrs. Das gewaltigste Privatisierungsprojekt der deutschen Geschichte steht in Ostdeutschland kurz vor dem Abschluß: Die Treuhandanstalt wird Ende dieses Jahres ihren Privatisierungsauftrag entsprechend der ursprünglichen Planung fast vollständig abgeschlossen haben. Über 14 000 Unternehmen konnten aus der Staatswirtschaft entlassen werden. Dadurch wurden rund eineinhalb Millionen Arbeitsplätze gesichert und 200 Milliarden DM an Investitionszusagen vereinbart. Hinzu kommen der Verkauf von rund 40 000 Liegenschaften, die sogenannte kleine Privatisierung von 25 000 Handelsgeschäften, Gaststätten und Hotels sowie die Rückgabe von 10 000 Betrieben an die früheren Eigentümer. Alle Sachverständigen, von den großen Wirtschaftsforschungsinstituten über den Sachverständigenrat, die OECD und die Deutsche Bundesbank sind sich einig: Nur auf der Grundlage der Pionierarbeit der Treuhandanstalt war es möglich, innerhalb von weniger als vier Jahren den marktwirtschaftlichen Neubeginn in den jungen Bundesländern zu schaffen. Das ist eine großartige Leistung von Detlef Karsten Rohwedder und Birgit Breuel, ihren Mitarbeitern, den Mitgliedern im Verwaltungsrat, darunter tüchtige Gewerkschaftsvorsitzende und sozialdemokratische Ministerpräsidenten, den Beamten in den Ministerien von Bund und Ländern und von allen, die die Arbeit der Treuhandanstalt in den letzten Jahren konstruktiv begleitet haben. ({63}) Der Versuch der SPD, diese historisch einmalige Leistung in dem von ihr verlangten Untersuchungsausschuß zu zerreden und herabzuwürdigen, ist auf peinliche Weise gescheitert. Zu Recht schreibt die „FAZ" am 23. August 1994: Ein historisch so einmaliger und noch nicht abgeschlossener Vorgang wie der Verkauf der überwiegend konkursreifen Produktionsstätten eines sozialistisch organisierten Landes läßt sich nicht nach Manier eines Gerichtsverfahrens durch eine halbjährige Zeugenbefragung klären. Herr von Dohnanyi, der schließlich aus Ihren Reihen kommt - ich schaue Sie nur an, Herr Rüttgers, weil Sie mir sympathisch sind -, hat jedenfalls in diesem Untersuchungsausschuß Herrn von Schily das Notwendige gesagt. ({64}) - Entschuldigung, Herrn Schily natürlich. Er benimmt sich nur immer so, als wäre er adelig. ({65}) Ich wollte aber Sie, Graf Lambsdorff, damit nicht beleidigen. ({66}) Unsere Finanz-, Steuer- und Privatisierungspolitik steht im vollen Einklang mit den internationalen Prioritäten und Zielen. Solidität der öffentlichen Haushalte, Stabilisierung der Preise und Zinsen, Deregulierung und Modernisierung der Kommunikationsinfrastruktur sind die wichtigsten Instrumente, um die weltweit viel zu hohe Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Das ist das Ergebnis der aktuellen internationalen Beratungen vom G-7-Gipfel in Neapel bis zu den Beratungen in der Europäischen Gemeinschaft, die noch bis zum Ende des Jahres unter deutscher Präsidentschaft stattfinden. Übrigens, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie haben kritisiert, daß diese Tagungen stattfinden. Die haben immer stattgefunden, jedes Jahr zu den gleichen Zeitpunkten. Wenn Länder wie Luxemburg, Holland oder Belgien dafür das notwendige Geld aufbringen, dann wird wohl auch Deutschland in der Lage sein, seinen Nachbarn, 12 oder 16 anderen europäischen Ländern ein fairer, konstruktiver und an Ergebnissen interessierter Gastgeber und Einladender zu sein. Das lassen wir uns von Ihnen nicht vorschreiben und auch nicht nehmen! ({67}) Ein weiterer Schwerpunkt unserer Präsidentschaft ist die Finanzdisziplin auf Gemeinschaftsebene. Wir drängen mit Nachdruck auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und äußerste Sparsamkeit. Wir werden die deutsche Präsidentschaft nutzen, um die Wirtschafts- und Währungsunion einen weiteren großen Schritt voranzubringen. Vor allem werden wir darauf achten, daß die Bestimmungen des Vertrages von Maastricht zur Finanzdisziplin strikt eingehalten werden. Für niemanden darf es einen Eintritt in die Währungsunion zu ermäßigten Bedingungen geben; denn nur als Stabilitätsgemeinschaft hat die Währungsunion ökonomischen Sinn und Überzeugungskraft. ({68}) Der Beitritt von Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen wird im kommenden Jahr die Finanzkraft der Gemeinschaft stärken. Wir werden uns dafür einsetzen, daß diese finanzielle Reserve vor dem Zugriff derjenigen geschützt bleibt, die sofort wieder an neue Programme und Zuwendungen denken. Wir wollen unter deutscher Präsidentschaft auch die Heranführung der mittel- und osteuropäischen Staaten an die Gemeinschaft strategisch vorbereiten. Es geht um unsere geschichtliche Verantwortung. Es geht aber auch um Zukunftsmärkte und Vorteile der Kooperation, die wir langfristig entwickeln müssen. Die erfolgreiche Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Osteuropa setzt die Anpassungsbereitschaft der früher kommunistischen Länder voraus. Vor allem müssen sie die marktwirtschaftlichen Reformen konsequent vorantreiben und damit schrittweise ein Heranwachsen an den Gemeinsamen Markt ermöglichen. Wir haben seit 1989 fast 140 Milliarden DM für die Staaten Mittel- und Osteuropas sowie der ehemaligen Sowjetunion zur Verfügung gestellt. Das, meine Damen und Herren, ist vertretbar, weil es Investitionen in den Frieden, in die Freundschaft, in die Zukunft sind, weil wir damit uns und der nächsten Generation Chancen ermöglichen, wie sie keine Generation vor uns in diesem Jahrhundert hatte. ({69}) Vor rund zwei Wochen hat mir der letzte Oberkommandierende der Westgruppe der russischen Streitkräfte, General Burlakow, die Schlüssel der Garnison Karlshorst übergeben. Auf dem Gelände dieser bisherigen Kommandantur wachsen jetzt bald neue Wohnungen. Auch das ist ein Symbol für den friedlichen Weg, den Russen und Deutsche seit 1990 gemeinsam gehen. Es ist schon bemerkenswert, wie sich das Schicksal der Deutschen gewendet hat. Österreich mußte für den Staatsvertrag und den Abzug der sowjetischen Truppen nach heutiger Kaufkraft rund 8 Milliarden DM - bei nur einem Zehntel der Bevölkerung im Vergleich mit Deutschland - aufbringen. Wir haben dagegen die Chance, durch die 14 Milliarden DM aus dem Überleitungsabkommen und die anderen Hilfen einen positiven Beitrag für die Zusammenarbeit der früher verfeindeten Länder zu leisten und so in unsere gemeinsame Zukunft zu investieren. ({70}) Wir werden uns auch künftig internationalen Unterstützungsmaßnahmen für Osteuropa nicht entziehen. Dabei wird jedoch der Aspekt der Gegenseitigkeit noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Das betrifft z. B. die Sicherheit der Kernkraftwerke im Bereich der früheren Sowjetunion und die Kontrolle des spaltbaren Materials, die in konstruktiver Zusammenarbeit der Beteiligten wesentlich wirksamer gestaltet werden muß. Meine sehr geehrten Damen und Herren, in keinem Zeitraum der letzten 40 Jahre mußten in der Finanz- und Steuerpolitik innerhalb so kurzer Zeit so viele richtungweisende Entscheidungen getroffen werden wie seit 1990. Es ging um die Finanzierung gewaltiger Finanztransfers von West nach Ost, um die Zuordnung der Finanzverantwortung zwischen den Ebenen, um weitreichende Steuerbeschlüsse, um die Förderung der Finanzmärkte, um Reformen bei Bahn und Post und um die größte Privatisierungsaktion in der Geschichte moderner Volkswirtschaften. Bei allem Respekt vor unseren Vorgängern, bei allem Respekt vor den Altvorderen, auf deren Arbeit wir aufbauen konnten: Es ist noch in keiner Legislaturperiode so viel geschehen, so viel geleistet und so viel entschieden worden wie von 1990 bis 1994. ({71}) Jede einzelne dieser Entscheidungen hätte in früheren Zeiten Jahre der Vorbereitung und Durchführung verlangt. Wir haben die Aufgaben Punkt für Punkt entsprechend den selbst gesetzten Zielen abgearbeitet und damit in der ersten Hälfte der 90er Jahre entscheidende Grundlagen für die künftige Gestalt des Wirtschafts- und Arbeitsstandortes Deutschland gelegt. Viele hervorragende und sachverständige Persönlichkeiten - ich denke z. B. an Professor Karl Schiller, der seine überzeugenden Einschätzungen zum Einigungsprozeß kürzlich in einem bemerkenswerten Band zusammengefaßt hat - haben uns auf unserem schweren Weg konstruktiv begleitet. Befreundete Regierungen und Kollegen im Kreis der Finanzminister haben großes Verständnis für unsere außergeBundesminister Dr. Theodor Waigel wöhnliche Situation gezeigt und uns ermutigt, auf dem eingeschlagenen Weg voranzugehen. Meine Damen und Herren, die Reaktion auf den Finanzmärkten, die Chance für die Deutsche Bundesbank, angesichts der Stabilität der D-Mark und unserer Finanzpolitik die Zinsen zu senken, antizipiert genau das, was die Welt von uns erwartet und was wir auch erfüllen werden. Wir werden mit diesen Aufgaben in kürzerer Zeit fertig, als dies alle erwartet haben. ({72}) Auch der weltweite Konjunkturrückschlag hat Deutschland nicht aus der Bahn geworfen. Im Gegenteil: Wir haben die Wachstumsschwäche seit Anfang dieses Jahres sehr viel rascher überwunden als andere Industrieländer, die zum Teil seit Anfang der 90er Jahre mit Stagnation und dramatisch steigender Arbeitslosigkeit fertig werden mußten. Wir waren am Jahresanfang vorsichtig optimistisch. Inzwischen haben alle wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigen und die Institute ihre Wachstumsprognosen für 1994 deutlich nach oben revidiert. Statt 1 bis 1,5 % Zuwachs kann nun ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Realleistung um 2 bis 2,5 % erwartet werden. Selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das uns am Jahresanfang noch Stagnation prophezeite, geht nun von einem Wachstum von 2 % aus. Produktion und Kapazitätsauslastung ziehen deutlich an. Was besonders wichtig ist: Die Arbeitslosenzahl wird im Jahresdurchschnitt 1994 um immerhin rund 150 000 unter der ursprünglich geschätzten Zahl verharren und ab 1995 wieder zurückgehen. Das ist kein glücklicher Zufall; vielmehr stimmen Maßnahmen und Ergebnis nahtlos überein. Unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik zahlt sich aus. Das hat Ludwig Erhard in den 50er Jahren und 60er Jahren gezeigt, das war das Ergebnis unserer erfolgreichen Politik in den 80er Jahren, und das werden wir auch in den 90er Jahren im Interesse der Menschen erneut unter Beweis stellen. ({73}) Nach mißglückten Versuchen der taktischen Verschleierung hat die SPD inzwischen offengelegt, was sie als Alternative zu unserer Strategie den Wählern anbietet: ({74}) leistungsfeindliche Steuern und Appelle an die Neidgefühle; ungedeckte Finanzversprechen; Investitionsverhinderungsprogramme z. B. durch Blockade bei der Verkehrsinfrastruktur; unüberlegte, allein auf Publicity gerichtete Schnellschüsse im Umweltschutz; die Blockade von Zukunftstechnologien. Meine Damen und Herren, Godesberg liegt weiter hinter Ihnen. Sie suchen Ihr Heil in Verhinderungskonzeptionen und marschieren damit schnurgerade an der Zukunft vorbei. Wer sich mit Grünen zusammentut und von der PDS wählen läßt, ist ein Investitionshemmnis für Deutschland. Das muß der Bevölkerung ganz klar gesagt werden. ({75}) Wir müssen uns vor der Geschichte verantworten. Beides steht in den Büchern: auf der einen Seite die Schrecknisse und Verstrickungen der beiden Weltkriegskatastrophen sowie der faschistischen und kommunistischen Gewaltherrschaft, die niemand aus der Erinnerung der Deutschen tilgen kann und darf; auf der anderen Seite die glücklichen Wendungen in der Geschichte unseres Landes, die zuerst dem Westen, vor vier Jahren aber endlich auch dem Osten Deutschlands Freiheit, Demokratie und Freundschaft mit unseren Nachbarn gebracht haben. Wir müssen uns des Geschenks der Einheit würdig erweisen. Das erfordert Solidarität statt Neid und Mißgunst. Das erfordert eigene Anstrengungen vor Ansprüchen an andere oder an die Gesellschaft. Das erfordert Geduld statt Unrast und Aktionismus. Das erfordert Dankbarkeit statt Unzufriedenheit. Das erfordert schließlich und vor allem Optimismus und Zukunftsvertrauen statt Selbstmitleid und Nörgelei. Wir gehen nicht an denen vorbei, die von Arbeitslosigkeit, von Krankheit oder von familiären Notfällen betroffen sind. Wir helfen den Familien, den Wohnungssuchenden und den Beschäftigungssuchenden durch gezielte - ({76}) - Noch nie hat es mehr Wohnungsbau gegeben als in den letzten zwei Jahren! ({77}) Bei allem, was an Problemen in unserer Gesellschaft - in Ost und West, in Nord und Süd -, was auch in internationaler Solidarität noch zu bewältigen ist, steht fest: Noch nie hatten wir so großartige Lebenschancen. Noch nie lag die Zukunft so offen und gestaltbar vor uns. Nutzen wir die Möglichkeiten! Entscheiden wir uns für die Zukunft, in der Finanz- und Wirtschaftspolitik ebenso wie bei der Bewahrung von Stabilität und innerem Frieden in unserer Gesellschaft! Das ist der deutsche Auftrag, den wir zu erfüllen haben. Ich danke Ihnen. ({78})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Aussprache eröffne, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes bekannt. Abgegebene Stimmen: 586. Mit Ja haben gestimmt: 339, mit Nein haben gestimmt: 238, Enthaltungen: 9. Damit ist der Antrag angenommen. Endgültiges Ergebnis Ja Abgegebene Stimmen: 581; CDU/CSU davon: Dr. Ackermann, Else ja: 336 Adam, Ulrich nein: 237 Dr. Altherr, Walter Franz Augustinowitz, Jürgen enthalten: 8 Austermann, Dietrich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Dr. Bötsch, Wolfgang Bohl, Friedrich Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus Breuer, Paul Brunnhuber, Georg Bühler ({0}), Klaus Büttner ({1}), Hartmut Buwitt, Dankward Carstens ({2}), Manfred Carstensen ({3}), Peter Harry Dempwolf, Gertrud Deres, Karl Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst Eymer, Anke Falk, Ilse Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen Dr. Fell, Karl H. Fischer ({4}), Dirk Fockenberg, Winfried Francke ({5}), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({6}), Johannes Dr. Geiger ({7}), Sissy Geiger, Michaela Geis, Norbert Dr. Geißler, Heiner Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster ({8}), Johannes Gibtner, Horst Glos, Michael Dr. Göhner, Reinhard Götz, Peter Gres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter Dr. Grünewald, Joachim Günther ({9}), Horst Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Handschack, Lothar Harries, Klaus Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser ({10}), Otto Hauser ({11}), Hansgeorg Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred Dr. Hellwig, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Herr, Norbert Hiebing, Maria Anna Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Hollerith, Josef Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hüppe, Hubert Jäger, Claus Jaffke, Susanne Dr. Jahn ({12}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Jung ({13}), Michael Junghanns, Ulrich Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker Keller, Peter Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter Klein ({14}), Günter Klein ({15}), Hans Klinkert, Ulrich Köhler ({16}), Hans-Ulrich Dr. Köhler ({17}), Volkmar Dr. Kohl, Helmut Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lehr, Ursula Lenzer, Christian Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha Link ({18}), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippold ({19}), Klaus W. Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann ({20}), Wolfgang Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Maaß ({21}), Erich Männle, Ursula Magin, Theo Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Dr. Mayer ({22}), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Dr. Merkel, Angela Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas Müller ({23}), Elmar Müller ({24}), Alfons Nelle, Engelbert Neumann ({25}), Bernd Niedenthal, Erhard Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto ({26}), Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton Pfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, Gero Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald Dr. Pohler, Hermann Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Dr. Riedl ({27}), Erich Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rönsch ({28}), Hannelore Dr. Rose, Klaus Rossmanith, Kurt J. Roth ({29}), Adolf Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({30}), Helmut Sauer ({31}), Roland Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schell, Manfred Schemken, Heinz Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, Christa Schmidt ({32}), Christian Schmidt ({33}), Andreas Schmitz ({34}), Hans Peter von Schmude, Michael Dr. Schneider ({35}), Oscar Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({36}), Dieter Schulz ({37}), Gerhard Schwalbe, Clemens Dr. Schwarz-Schilling, Christian Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seiters, Rudolf Sikora, Jürgen Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon Szwed, Dorothea Tillmann, Ferdi Dr. Töpfer, Klaus Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({38}), Friedrich Vogt ({39}), Wolfgang Dr. Voigt ({40}), Hans-Peter Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({41}), Herbert Wiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd Wimmer ({42}), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({43}), Simon Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang F.D.P. Albowitz, Ina Dr. Babel, Gisela Dr. Blunk ({44}), Michaela Bredehorn, Günther Eimer ({45}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Gallus, Georg Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, Martin Günther ({46}), Joachim Hansen, Dirk Heinrich, Ulrich Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Dr. Jordan, Jens Kohn, Roland Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Mischnick, Wolfgang Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, Rainer Parr, Detlef Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ({47}), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schäfer ({48}), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt ({49}), Arno Dr. Schmieder, Jürgen Schüßler, Gerhard Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Dr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-Ludwig Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen Türk, Jürgen Dr. Weng ({50}), Wolfgang Würfel, Uta Zywietz, Werner Nein CDU/CSU Börnsen ({51}), Wolfgang Brudlewsky, Monika Ehrbar, Udo Hornung, Siegfried Dr. Jüttner, Egon Kolbe, Manfred Krause ({52}), Wolfgang SPD Adler, Brigitte Alltschekow, Peter Andres, Gerd Antretter, Robert Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika Becker ({53}), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Berger, Hans Dr. Bersch, Walter Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf Blunck ({54}), Lieselott Bock, Thea Börnsen ({55}), Arne Brandt-Elsweier, Anni Dr. Brecht, Eberhard Dr. von Bülow, Andreas Büttner ({56}), Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Dr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, Klaus Dr. Dehm, Jörg-Dieter Dr. Diederich ({57}), Nils Diller, Karl Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Dr. Eckardt, Peter Dr. Ehmke ({58}), Horst Eich, Ludwig Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot Esters, Helmut Ewen, Carl Ferner, Elke Fischer ({59}), Evelin Fischer ({60}), Lothar Formanski, Norbert Fuchs ({61}), Anke Fuchs ({62}), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert Gilges, Konrad Gleicke, Iris Dr. Glotz, Peter Graf, Günter Großmann, Achim Haack ({63}), Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Dr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, Günther Hiller ({64}), Reinhold Ibrügger, Lothar Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janz, Ilse Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klose, Hans-Ulrich Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbe, Regina Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf Kretkowski, Volkmar Kubatschka, Horst Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Dr. Leonhard, Elke Lörcher, Christa Lohmann ({65}), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß ({66}), Dieter Marx, Dorle Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus Mehl, Ulrike Meißner, Herbert Dr. Mertens ({67}), Franz-Josef Dr. Meyer ({68}), Jürgen Mosdorf, Siegmar Müller ({69}), Michael Müller ({70}), Albrecht Müller ({71}), Rudolf Müller ({72}), Jutta Müller ({73}), Christian Neumann ({74}), Volker Neumann ({75}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, Kurt Paterna, Peter Dr. Penner, Willfried Peter ({76}), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Purps, Rudolf Rappe ({77}), Hermann von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd Rixe, Günter Schanz, Dieter Scheffler, Siegfried Schily, Otto Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({78}), Horst Schmidt ({79}), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil Dr. Schöfberger, Rudolf Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schütz, Dietmar Schulte ({80}), Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa Sielaff, Horst Simm, Erika Singer, Johannes Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Steiner, Heinz-Alfred Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt ({81}), Karsten D. Vosen, Josef Wagner, Hans Georg Wallow, Hans Waltemathe, Ernst Walther ({82}), Rudi Wartenberg ({83}), Gerd Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis ({84}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen ({85}), Gert Welt, Jochen Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek ({86}), Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Wimmer ({87}), Hermann Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna Zapf, Uta Dr. Zöpel, Christoph F.D.P. Dr. Guttmacher, Karlheinz Lüder, Wolfgang Paintner, Johann Walz, Ingrid PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Henn, Bernd Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Schulz ({88}), Werner Weiß ({89}), Konrad Fraktionslos Hackel, Heinz-Dieter Dr. Krause ({90}), Rudolf Karl Stachowa, Angela Enthaltungen CDU/CSU Clemens, Joachim Dehnel, Wolfgang Göttsching, Martin Haschke ({91}), Udo Romer, Franz F.D.P. Lühr, Uwe Dr. Menzel, Bruno Schuster, Hans Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort nimmt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({92}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Haushaltsdebatte muß Bilanz gezogen werden. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl geht es hier um die politische Schlußbilanz der Regierung Kohl. Unterm Strich zeigt diese Schlußbilanz: Unser Land braucht den politischen Wechsel. ({93}) Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil diese Bundesregierung die Verantwortung für die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland trägt. ({94}) Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil diese Bundesregierung die Verantwortung für die höchste Staatsverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland trägt. ({95}) Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil diese Bundesregierung die Verantwortung für die höchste Steuer- und Abgabenlast in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland trägt. ({96}) Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil diese Bundesregierung die Verantwortung für die größte Wohnungsnot, die höchste Kriminalitätsrate und für ständig sinkende Realeinkommen in der Arbeitnehmerschaft trägt. ({97}) Und: Unser Land braucht den politischen Wechsel, weil diese Bundesregierung die Verantwortung für die ungerechteste Verteilung von Einkommen und Vermögen trägt, die es in dieser Republik jemals gab. ({98}) Bei dieser Bilanz der Negativrekorde, die durch die Zahlen eindeutig belegt sind, wäre jeder ordentliche Kaufmann schon längst zum Amtsgericht gegangen und hätte Konkurs angemeldet. ({99}) Der Bundeskanzler aber sagt: Ich will es noch einmal wissen. „Noch einmal" und „Weiter so"? - Ihre Bilanz nach zwölf Jahren sagt: Der Regierungswechsel ist fällig, ja, er ist überfällig. ({100}) Es wird Zeit, daß es in Deutschland wieder Positives zu melden gibt: ({101}) Unser Land muß wieder eine niedrigere Arbeitslosenrate bekommen. ({102}) Deutschland muß wieder ein kinderfreundliches Land werden. ({103}) Jeder muß eine bezahlbare Wohnung finden können, insbesondere die Familien mit Kindern. ({104}) Deutschland muß an die Spitze des technischen und ökologischen Fortschritts. ({105}) Das sind die Ziele, die wir uns setzen. Mit einer „Weiter so!"-Politik ist das nicht zu schaffen. Es reicht nicht aus, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Staatsverschuldung einfach zu ignorieren und in Optimismus zu machen. Damit sich die Dinge zum Besseren wenden, braucht unser Land eine Regierung, die die wirklichen Probleme der Menschen, die wahren sozialen Verhältnisse in unserem Lande zu Kenntnis nimmt und daher eine andere Politik formuliert. ({106}) Niemand darf doch die Augen davor verschließen: Nach zwölf Jahren der Regierung aus CDU/CSU und F.D.P. geht - ich zitiere - „ein tiefer Riß durch unser Land". Es gibt - ich zitiere - „eine Spaltung der Gesellschaft in solche, denen es gut und immer besser geht, und andere, die arm und benachteiligt sind." Diese Worte sind nicht von uns. Das ist ein Zitat aus einem gemeinsamen Papier der katholischen und der evangelischen Kirche, und eigentlich sollte Ihnen angesichts dieser Bilanz das Lachen vergehen, meine Damen und Herren. ({107}) Die beiden Kirchen äußern sich darin zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland. Sie tun dies aus Sorge um den inneren Frieden in unserer Republik. In diesem Papier heißt es: Nur wenige Jahre nach dem verheißungsvollen Ende des Ost-West-Konfliktes mit der Überwindung von Mauer und Stacheldraht müssen wir feststellen, daß sich an Stelle der anfänglichen Aufbruchstimmung und Freude über die erlangte Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({108}) Wiedervereinigung und Freiheit zunehmend Ernüchterung und Enttäuschung breitmacht. ({109}) Diese Lagebeschreibung der Kirchen entspricht der Lebenswirklichkeit der Menschen. ({110}) Das Papier zeigt, wie wenig das rosarote Weltbild des Bundeskanzlers und des braven Theodor Waigel mit den Realitäten in unserem Lande zu tun hat. ({111}) Die Kirchen haben auch recht, meine Damen und Herren, wenn sie schreiben: Es stellt sich die Frage, ob nicht übergeordnete Interessen des Gemeinwohls immer mehr zurücktraten und bei den Entscheidungen der Politik die Interessen sozial schwacher und benachteiligter sowie wenig organisierter Gruppen wie der Arbeitslosen, der Wohnungssuchenden, der Kinderreichen, der Alleinerziehenden zuwenig berücksichtigt wurden. Wenn die Parteien, die die Bundesregierung stellen, bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit auf solch schwerwiegende Weise versagen, dann sind die Kirchen gefordert, auf Grund ihres Auftrages ihre Stimme in unserem Lande zu erheben. ({112}) Ob es Ihnen paßt oder nicht, meine Damen und Herren, wir sagen: Es ist gut, daß dieses Kirchenwort noch rechtzeitig vor den Bundestagswahlen bekanntgeworden ist und vorgestellt wurde. ({113}) Die innere Spaltung unserer Gesellschaft muß beendet werden. Wir brauchen wieder mehr Mitmenschlichkeit und soziale Gerechtigkeit statt satter Selbstzufriedenheit, die sich ständig selber auf die Schultern klopft. ({114})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff? Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Frau Präsidentin, wir haben Herrn Waigel auch nicht unterbrochen. Ich möchte meine Ausführungen so wie er in Gänze vortragen dürfen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir unterscheiden aber zwischen Regierungserklärung und Aussprache! Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Die Menschen haben jetzt bei der Bundestagswahl die Chance, die notwendige Kurskorrektur herbeizuführen. Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit ist das drängendste Problem unseres Landes. Im Jahresdurchschnitt 1994 werden 300 000 Menschen mehr arbeitslos sein als im Vorjahr. Es hat keinen Sinn, ständig mit monatlichen Statistiken aufzuwarten und diesen gravierenden Sachverhalt zu ignorieren und zu verschweigen. ({1}) In diesem Jahr steigt die Arbeitslosigkeit weiter an. Im Dezember wird die Zahl der registrierten Arbeitslosen wieder bei 4 Millionen liegen, weit über die Hälfte davon Frauen. Immer mehr trifft die Arbeitslosigkeit auch die Gutausgebildeten: Akademiker, Techniker, Facharbeiter. Insgesamt - und dies ist die Bilanz Ihrer Regierung - fehlen in unserem Lande über 6 Millionen Arbeitsplätze. Dies ist die Wahrheit! ({2}) Wenn es nicht zu einem Wechsel in der Politik kommt, wird sich an dieser dramatischen Lage trotz konjunktureller Erholung nichts ändern. Massenarbeitslosigkeit ist heute in Deutschland kein Randgruppenproblem mehr. Sie trifft nicht nur die 4 Millionen Arbeitslosen. Arbeitslosigkeit bedroht das gesamte System der sozialen Sicherung. Für Arbeitslosigkeit müssen wir alle zahlen: alle Steuer- und Beitragszahler über höhere Abgaben, um die Löcher in staatlichen Haushalten und Sozialversicherungen zu stopfen, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über geringere Tariflöhne und alle Rentnerinnen und Rentner, weil dann auch die Rentenzuwächse geringer ausfallen. Arbeitslosigkeit gefährdet nicht nur Wohlstand und Renten, Arbeitslosigkeit - dies muß wiederum deutlich gemacht werden - bedroht auch die innere Sicherheit in unserem Lande. ({3}) Die Kirchen, meine Damen und Herren, haben recht, wenn sie feststellen: Arbeitslosigkeit ist ein Nährboden für Gewaltbereitschaft, Radikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Insbesondere die Jugend wird um ihre Zukunftsperspektiven gebracht. Meine Damen und Herren, wir können doch dieser Entwicklung nicht mehr gleichgültig gegenüberstehen. In unserem Land nimmt die Gewalt zu. Es werden in unserem Land Menschen gejagt und ermordet, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben oder einer anderen Rasse oder Religion angehören. Dies müssen wir doch zunächst einmal feststellen, und wir müssen uns nach den Ursachen für diese Entwicklung fragen. ({4}) Ich sehe in diesem Kirchenpapier auch eine schwere Anklage gegen die Bundesregierung. Eine Politik, die die Massenarbeitslosigkeit erfolglos bekämpft, hat, wie es in diesem Papier heißt, den Nährboden dafür bereitet, daß sich die Kriminalität in Deutschland und die Gewalt an den Schulen derartig ausgebreitet haben, wenn jugendliche Chaoten in deutschen Städ21238 Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({5}) ten auf Menschenjagd gehen und wenn in Solingen und Mölln die Wohnungen von ausländischen Mitbürgern brennen und dabei Menschen ums Leben kommen. Damit junge Menschen wieder eine Zukunft bekommen und die Gewalt in unseren Städten zurückgeht, braucht unser Land endlich eine Bundesregierung, die den Anstieg der Arbeitslosigkeit stoppt und hier eine Wende und Erneuerung in unserem Lande herbeiführt. ({6}) Unser Land braucht einen sozialen Aufschwung für die Menschen, einen Aufschwung, der auch den 4 Millionen Arbeitslosen und ihren Familien wiederum eine Chance gibt und eine Zukunftsperspektive eröffnet. ({7}) Unser Regierungsprogramm wird die Arbeitslosigkeit senken. ({8}) Unser Konzept ist ein klares Kontrastprogramm zur verfehlten Politik der Bundesregierung. Ich fasse es in sechs Punkten zusammen: Erstens. Wir wollen sofortige Steuersenkungen für die Mehrheit der Bevölkerung, denn Steuersenkungen für Normalverdiener und Familien erhöhen die Kaufkraft und stärken die Binnenkonjunktur. ({9}) Die Wirtschaftsforscher machen sich große Sorgen um die Inlandsnachfrage. ({10}) Im Einzelhandel sind die Umsätze im zweiten Quartal um 3,4 % eingebrochen. Die Autoindustrie kommt in Probleme. Die Geschäftsaussichten für die nächsten sechs Monate werden teilweise skeptisch eingeschätzt. Das HWWA-Institut erwartet, daß die Konjunktur durch den schwachen Verbrauch gebremst wird. Ursache für diese Entwicklung ist der jahrelange Rückgang der Realeinkommen. Vor allem durch den sogenannten Solidaritätszuschlag der Bundesregierung werden die Nettolöhne 1995 weiter schrumpfen, pro Kopf - hier wäre es an der Zeit, sich nun wirklich einmal Gedanken zu machen - um 3,5 %. Das IfoInstitut sagt, dies sei der stärkste Rückgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das Nürnberger Marktforschungsinstitut GfK erklärt: Die Leute wissen noch gar nicht, was da auf sie zukommt. Wenn das ganze Ausmaß der Abgabenerhöhungen deutlich wird, gibt es sicher einen Rückschlag. Auch die OECD warnt: Von der Einführung des Solidaritätszuschlages von 7,5 % ab 1995 wird eine weitere Bremswirkung ausgehen. Dies alles zeigt: Der sogenannte Solidaritätszuschlag ist Gift für die Konjunktur und den Arbeitsmarkt. ({11}) Deshalb werden wir sofort nach der Regierungsübernahme ({12}) dafür sorgen, daß dieser Steuerzuschlag abgeschafft wird, und zwar schon zum 1. Januar 1995. ({13}) Zweitens. Wir wollen bessere Rahmenbedingungen für Investitionen und technischen Fortschritt, bessere Abschreibungsbedingungen, Investitionszulagen und eine ökologische Steuerreform. Wir wollen damit Voraussetzungen dafür schaffen, daß es in Deutschland zu einem neuen technologischen Schub kommt. Wir wollen die Brücke ins Solarzeitalter bauen. Wir wollen Drei-Liter-Autos auf unseren Straßen. Wir wollen, daß unser Land seinen Spitzenplatz in der Umwelttechnologie, der gegen Ihre Widerstände durchgesetzt wurde, behauptet. ({14}) Drittens. Wir wollen Forschung, Bildung und Wissenschaft stärken; denn Innovation, technischer Fortschritt und Qualifikation sind der Schlüssel für neue Arbeitsplätze. ({15}) Nur wenn wir mehr in Intelligenz und die Qualifikation unserer Forscher, Ingenieure und Facharbeiter investieren, können wir die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland dauerhaft sichern. Ihre Entscheidung zum BAföG, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, zeigt, daß es an der Zeit ist, daß wieder eine Regierung ins Amt kommt, die darauf hinwirkt, daß die Frage, ob jemand eine gute Ausbildung erhält oder nicht, nicht nur vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. ({16}) Viertens. Wir wollen eine Mittelstandsoffensive; denn die kleinen und mittleren Unternehmen sind das Rückgrat für Ausbildung und Beschäftigung. ({17}) Der Mittelstand darf nicht länger nur das ungeliebte Stiefkind der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein. Fünftens. Wir wollen - unter Mitbestimmung der Belegschaften - flexible Arbeitszeiten. Ohne eine intelligentere und gerechtere Organisation der Arbeit bekommen wir die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff. Sie muß aber - mit den Beschäftigten - versucht werden. ({18}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({19}) Sechstens. Wir wollen eine wirksamere Arbeitsmarktpolitik. Denn es ist besser, die vorhandenen Mittel für sinnvolle Arbeit einzusetzen, als das Geld in erster Linie für die Bezahlung von Arbeitslosigkeit auszugeben. ({20}) Mit diesem Programm zeigen wir, meine Damen und Herren: Wir wollen ernst machen mit der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in unserem Lande, weil wir in ihrem weiteren Anstieg eine Gefahr für die soziale und demokratische Stabilität unseres Landes sehen. ({21}) Die Regierung Kohl hinterläßt der nächsten Bundesregierung eine schwere Erblast. ({22}) Unter diesem Kanzler sind die Bundesschulden um mehr als 1 Billion DM gestiegen - in zwölf Jahren mehr als 1 000 Milliarden DM neue Schulden. Die viel zuwenig beachtete Folge dieser Entwicklung ist ein explosionsartiger Anstieg der Zinsbelastung. ({23}) 1982, im letzten Jahr der von Helmut Schmidt geführten SPD-Bundesregierung, mußte der Bund nur 22 Milliarden DM für Zinsen ausgeben. 1995 zahlt der Bund für seine Schulden aber rund 100 Milliarden DM Zinsen. ({24}) Diese 100 Milliarden DM stehen für keinen anderen Zweck mehr zur Verfügung, ({25}) weder für Umweltschutz noch für Forschung oder für die Familien mit Kindern. Das ist das große Problem des Bundeshaushaltes. Hier hätte der Schwerpunkt der Ausführungen des Finanzministers ansetzen müssen. ({26}) 100 Milliarden DM Zinsen - dieses Geld muß von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, landet aber nur in den Taschen derjenigen, die Staatsanleihen kaufen können. Diese Verschuldungspolitik ist auch Umverteilung von unten nach oben, staatlich organisiert über die Verschuldung und den Bundeshaushalt. ({27}) Deshalb sagen wir Sozialdemokraten: Eine zu hohe Staatsverschuldung ist die unsozialste Form der Staatsfinanzierung. Der dramatische Anstieg der Staatsverschuldung muß gestoppt werden. ({28}) Das volle Ausmaß dieser Schuldenpolitik zeigt sich bei folgendem Vergleich: 1982 lag der Anteil der Zinsausgaben an den Steuereinnahmen des Bundes bei 12 %. Dieser Anteil ist unter der Regierung Kohl sprunghaft auf 26 % im Jahre 1995 angestiegen. Das heißt, der Bund muß jede vierte Steuermark für Zinsen ausgeben. 26 % Zinsbelastung ist eine Größe, über deren Bedeutung scheinbar überhaupt keine Klarheit herrscht. ({29}) Diese Zinsbelastung zeigt: Die Schuldenpolitik der Regierung Kohl stranguliert den Bundeshaushalt. Sie bringt die Handlungsfähigkeit des Staates auf Null. Deshalb darf diese Schuldenpolitik nicht mehr so weitergehen! ({30}) Dieser Bundesfinanzminister hat mehr Schulden gemacht als alle seine 13 Vorgänger in 40 Jahren zusammen. Davon können auch Ihre Winkelzüge und Nebelwerfereien, verehrter Herr Bundesfinanzminister, nicht ablenken. Die Zahlen sind eindeutig. ({31}) Dieser Minister macht keine solide Finanzpolitik. Da Sie das Zitieren so lieben, Herr Bundesfinanzminister, zitiere ich jetzt Graf Lambsdorff: „Die Haushaltspolitik von Bundesfinanzminister Waigel ist unsolide." Wo der Graf recht hat, hat er recht. ({32}) Ich füge der Vollständigkeit halber hinzu, daß natürlich für die Finanzpolitik letztendlich die Koalition insgesamt verantwortlich ist. ({33}) Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben erklärt, ich als Ministerpräsident des Saarlandes hätte kein Recht, Ihre Schuldenpolitik zu kritisieren. ({34}) Diese Behauptung ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. ({35}) Indem Sie immer wieder Honecker bemühen, setzen Sie darauf, daß die Öffentlichkeit außerhalb des Saarlandes die wirklichen Zusammenhänge nicht kennt. Die Wahrheit ist: Die Haushaltsnotlage des Saarlandes bestand bereits über zehn Jahre vor dem Amtsantritt meiner Regierung. Als wir das Amt angetreten haben, lag die Zinsbelastung unseres Haushaltes bei genau 25 %. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich mir den Bundeshaushalt ansehe und die Probleme aufzeige, die es gibt, meine Damen und Herren. ({36}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({37}) Schon 1975, also zehn Jahre vor dem Wechsel, der Sie natürlich nicht erfreut hat, hat der Landesrechnungshof erklärt, daß die Grenzen für eine Weiterverschuldung überschritten sind. Das heißt, die Haushaltsprobleme des Landes setzten viel früher ein. Und es ist nun einmal so: Ein Bundesland, das keine Steuererhöhungs- und Abgabenorgie durchführen kann, das Personalausgaben hat, die ganz anders strukturiert sind als diejenigen des Bundeshaushaltes, tut sich bei der Sanierung sehr viel schwerer. ({38}) Wir haben sofort mit der Sanierung des Landeshaushaltes begonnen. ({39}) - Nachher wird ein verehrter Kollege aus Ihren Reihen zu sprechen haben. - Wir haben bei Krankenhäusern eingespart, bei Schulen und bei Polizeistellen. Das Geschrei der örtlichen Oppositionsparteien über Jahre dürfen Sie in der Presse nachlesen. ({40}) Reden Sie nicht mit doppelter Zunge, sondern versuchen Sie, etwas wahrhaftig zu sein! Das Ergebnis unseres Sparkurses ist, daß die Ausgaben spürbar unter dem durchschnittlichen Anstieg der übrigen Flächenländer liegen. ({41}) Ihre Zahlen, Herr Waigel, sind grundfalsch. Im Saarland liegen die Pro-Kopf-Ausgaben 7 % unter dem Durchschnitt aller westdeutschen Flächenländer. Sie selbst, Herr Bundesfinanzminister, waren allerdings nicht besonders eifrig dabei, dem Saarland und Bremen zu helfen, daß diese Länder im Finanzausgleich wieder bessergestellt werden. ({42}) Mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichtes haben wir uns durchgesetzt. ({43}) Mit der Teilentschuldung haben wir die Weichen so gestellt, daß die Landeshaushalte jetzt wieder eine solide Grundlage haben. Das ist die tatsächliche Lage. Deshalb rate ich Ihnen: Versuchen Sie nicht, von Ihrem kläglichen Ergebnis in der Finanzpolitik dadurch abzulenken, daß Sie über das Saarland und seine Geschichte die Unwahrheit verbreiten. ({44}) Ende 1980 lag der Schuldenstand des Bundes unter 300 Milliarden DM. Dazu sagte der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl - ich höre ihn heute noch; es waren übrigens schöne Zeiten - dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt im Deutschen Bundestag folgendes: Eine Regierung, die einen Schuldenberg in dieser gigantischen Höhe auftürmt, muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie nicht dabei ist, unserer Jugend das Recht auf ihre eigene Zukunft zu nehmen ({45}) und sich am Selbstbestimmungsrecht späterer Generationen zu versündigen. Das war Kohl 1980. Jetzt, Ende 1994, hat der Bund weit über 1 400 Milliarden DM Schulden. ({46}) Ich frage: Wenn sich eine Bundesregierung - nach den Worten von Helmut Kohl - schon bei 300 Milliarden DM Schulden am „Selbstbestimmungsrecht späterer Generationen" versündigt, was hat dann eine Regierung getan, die 1,4 Billionen DM Schulden gemacht hat? ({47}) Wenn ich mir die Sprache des damaligen Oppositionsführers Kohl zu eigen mache, dann muß ich sagen: Mit Ihrer maßlosen Schuldenpolitik betrügen Sie unsere Kinder und Enkel um ihre Zukunft. Sie rauben unseren Nachkommen das Recht, in eigener Verantwortung über ihr Schicksal zu bestimmen. Sie leben auf Kosten kommender Generationen und verspielen - mit den Worten Ihres verehrten Herrn Bundeskanzlers - die Zukunft unseres Landes. ({48}) Jetzt versuchen Sie, von Ihrem wirtschafts- und finanzpolitischen Versagen dadurch abzulenken, daß Sie behaupten, diese astronomische Staatsverschuldung sei nur die Folge der Einheit. Meine Damen und Herren, allein der Einheit diese Entwicklung zuzuschieben ist kein Beitrag zur inneren Einheit Deutschlands. ({49}) Die Einheit hat den Deutschen in den neuen Ländern die erhoffte Freiheit und Demokratie gebracht. ({50}) Dies ist die große Chance, die wir nutzen müssen. Grundsätzlich ist es auch gerechtfertigt, diesen historischen Vorgang in gewissem Umfang über Kredite zu finanzieren; das ist völlig unstreitig. ({51}) Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Einheit ist kein Freibrief für maßloses Schuldenmachen. ({52}) Sie ist auch keine Entschuldigung für die Unfähigkeit dieser Bundesregierung, die Einheit auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen. ({53}) Wir Sozialdemokraten haben die Bundesregierung frühzeitig aufgefordert, im Interesse der Einheit für Einsparungen zu sorgen und auf Steuersenkungen für Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({54}) Spitzenverdiener zu verzichten. Wir haben auch vor der letzten Bundestagswahl gesagt: Sorgen Sie bei der deutschen Einheit für eine solide und gerechte Steuerfinanzierung! - Das war, wie ich weiß, bei Gott nicht populär. - Wir wollten diese Mittel einsetzen, um den Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft zu verhindern, für den Aufbau der Infrastruktur, für die Sanierung der Treuhandbetriebe, für Absatzhilfen für ostdeutsche Produkte. Wir haben auch davor gewarnt, mit Ihrer Eigentumsregelung ein riesiges Investitionshindernis zu schaffen. ({55}) Daß Sie es überhaupt noch wagen, in polemischer Form anderen vorzuwerfen, sie seien ein Investitionshindernis - mit Ihrem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" haben Sie ein historisch einmaliges Investitionshindernis für den Aufbau Ost aufgebaut. ({56}) Dieser Bundeskanzler und die Bundesregierung, sie haben alle Mahnungen in den Wind geschlagen. Sie hatten Angst - und dies ist Ihr historisches Versagen -, den Wählerinnen und Wählern vor der letzten Bundestagswahl die Wahrheit zu sagen. ({57}) Auch in Ihrer eigenen Anhängerschaft wird kritisiert, daß Sie die Bereitschaft der Menschen zum Teilen nicht genutzt haben. Als die Einheit vollzogen war, wäre es in der Verantwortung des Bundeskanzlers gewesen, zu sagen: Diese Einheit wird allen Opfer abverlangen. Es wäre in seiner Verantwortung gewesen, zu sagen: Im Osten wird sich der wirtschaftliche Aufbau langsam vollziehen und muß erarbeitet werden. Statt dessen hat er leere Versprechungen gemacht und die innere Einheit Deutschlands dadurch erheblich gefährdet und ihr geschadet. ({58}) Darin liegt das historische Versagen dieses Bundeskanzlers. Die Folgen müssen wir jetzt alle tragen. Sie haben Kosten in einer Höhe verursacht, die bei einer sorgfältig abgestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik vermeidbar gewesen wären. Damit haben Sie Steuererhöhungen und Schulden verursacht, die bei einer solchen Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht notwendig gewesen wären. Mit Ihren wirtschaftspolitischen Fehlern haben Sie im Osten unseres Landes menschliches Leid verursacht, das vermeidbar gewesen wäre. ({59}) Millionenfache Arbeitslosigkeit bringt Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Man kann es nicht oft genug sagen. Sosehr Sie immer wieder für die positiven Entwicklungen in unserem Lande verantwortlich sein wollen: Dann bekennen Sie sich auch zur Arbeitslosigkeit und ihren Folgen in unserer Gesellschaft! ({60}) Mit Ihrer Politik haben Sie der deutschen Einheit und unserem ganzen Land schweren Schaden zugefügt. Diese Fehler haben noch heute schwerwiegende Folgen. ({61}) Wenn Sie immer so über das Wiedererstarken der PDS jammern, so ist doch eines klar: Die Massenarbeitslosigkeit und die Schwierigkeit im Osten sind doch Grundlage für das Wiedererstarken der PDS in diesem Lande. ({62}) Ihre Schlammschlacht gegen die SPD, meine Damen und Herren - deshalb hat Ihnen Helmut Schmidt Ruchlosigkeit vorgeworfen -, ({63}) ist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten. ({64}) - Wir sind für solche Vorlagen ja dankbar. - Es muß der deutschen Öffentlichkeit einmal gesagt werden: CDU und F.D.P. haben sich in schamloser Weise die alten kommunistischen Kader der DDR-Blockparteien einverleibt. ({65}) - Es ist die historische Wahrheit, auch wenn sie Ihnen nicht paßt. ({66})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich bitte, den Redner fortfahren zu lassen. ({0}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Das tut Ihnen weh, das weiß ich. ({2}) Auch hier im Bundestag, hier vor mir, sitzen Dutzende von CDU-Abgeordneten, die in der alten Blockpartei gemeinsame Sache mit der SED gemacht haben und die - in der Sprache ihres Herrn Fraktionsvorsitzenden - für Mauer und Stacheldraht mitverantwortlich sind. ({3}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({4}) - Meine Damen und Herren, diese Belehrungen haben Sie auf Grund Ihrer schamlosen, verlogenen Kampagne endlich einmal verdient. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich erteile dem Abgeordneten Link einen Ordnungsruf und bitte Sie sehr dringlich, sich zu mäßigen. ({0}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Noch heute funktioniert auf den verschiedensten Ebenen das Zusammenspiel der alten Kameraden von CDU und SED aus der Nationalen Front der DDR. Ich nenne die Beispiele, die auch Sie alle kennen und die Ihre Schamlosigkeit begründen: In der Stadt Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern z. B., in den Kreisen Prignitz und Uckermark in Brandenburg, überall gibt es Wahlbündnisse aus CDU und PDS. Was bewegt Sie eigentlich, so schamlos zu sein, meine Damen und Herren? ({2}) In Mecklenburg-Vorpommern gäbe es keine CDU-Landesregierung, wenn nicht ein langjähriges Mitglied der DDR-Volkskammer, die den Schießbefehl abgesegnet hat, den Ministerpräsidenten stützen würde. Dies ist die Wahrheit. ({3}) Deshalb, meine Damen und Herren, ist Ihre Kampagne reine Heuchelei. Ich sage Ihnen: Die deutsche Sozialdemokratie hat in Sachen Freiheit und Demokratie keine Belehrungen nötig, auch nicht von Ihnen. ({4}) Sie wollen doch, wie die Presse zu Recht feststellt, nur ablenken von Ihrer Bilanz, die ich vorhin aufgeführt habe. Deshalb suchen Sie Nebenschauplätze. Mit den wirklichen Problemen der Menschen hat dieser Wahlkampf nichts mehr zu tun. Ich fordere Sie auf: Beenden Sie Ihre pharisäerhafte PDS-Kampagne, und führen Sie mit uns den Streit über politische Inhalte und Konzepte für die Zukunft Deutschlands. ({5}) Der Bundeskanzler kann diese Auseinandersetzung mit unserem Spitzenkandidaten, mit dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, auch im Fernsehen austragen. Ich verspreche Ihnen, er kommt allein. Kneifen Sie doch nicht ständig vor einer solchen Debatte mit albernen Begründungen. ({6}) Meine Damen und Herren, im Wahlaufruf von CDU und CSU heißt es - man traut seinen Augen kaum -: „Wir haben den Bundeshaushalt konsolidiert." ({7}) Man kann es kaum fassen. ({8}) Aber es steht da so. Bei einem Anstieg der Bundesschulden auf die astronomische Zahl von 1,4 Billionen DM und bei einer Zinsbelastung von 100 Milliarden DM im Bundeshaushalt sprechen der Bundeskanzler und der Finanzminister von einer Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Ich weiß, warum wir uns nicht verstehen: Wir verstehen unter „Konsolidierung" offensichtlich etwas ganz, ganz Verschiedenes. ({9}) Wenn diese Schuldenpolitik Konsolidierung bedeutet, dann frage ich: Zu welcher Explosion würde es erst kommen, wenn diese Koalition die Konsolidierung beenden könnte? Die Antwort gibt die Haushalts- und Finanzplanung des Finanzministers. Graf Lambsdorff sagt zu diesen Zahlen: Im Haushalt 1995 fehlen schon am Tag der Verabschiedung 4 Milliarden DM. Damit meint er die vom Bundeskabinett beschlossene Befristung der Arbeitslosenhilfe, und er sagt: „Da kann ich auch einen Lottogewinn in den Haushalt einstellen." Ich erwähne nur dieses Beispiel, um deutlich zu machen: So kann man Bilanzen schönen und eben „korrigieren"; ich vermeide das Wort „fälschen". ({10}) Aber solide Finanzpolitik ist das nicht. ({11}) Die Befristung der Arbeitslosenhilfe ist im übrigen überhaupt keine Einsparung. Sie führt nur dazu, daß zum 1. April 1995 zusätzlich etwa 300 000 Menschen in die Sozialhilfe abrutschen würden. Das würde bei den Städten und Gemeinden zu Mehrbelastungen von jährlich 4 Milliarden DM führen. Das ist keine Konsolidierung, sondern das ist ein Verschiebebahnhof zu Lasten unserer Gemeinden, wo das Geld ebenfalls gebraucht wird. ({12}) Wir werden alles daransetzen, um diesen erneuten Versuch des Sozialabbaus zu stoppen. Bei einem Wahlsieg unserer Partei kommt dieser Vorschlag in den Papierkorb. ({13}) Der Haushaltsentwurf 1995 wird den Herausforderungen der Zukunft nicht gerecht. Die Bundesregierung fährt die Bereiche Forschung und Bildung weiter zurück. Das hat mit sinnvoller Sparpolitik nichts zu tun; das ist für einen Industriestaat eine wirtschaftspolitische Fehlentscheidung ersten Ranges. ({14}) Der Anteil des Forschungshaushalts am Gesamtetat, der Mitte der 80er Jahre noch bei 2,7 % lag, soll 1995 nur noch 1,9 % betragen. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({15}) Der Etat für Bildung und Wissenschaft soll nach dem Regierungsentwurf urn 1,6 % gekürzt werden. Trotz der schwierigen Finanzprobleme, die wir bei Gott kennen, ist es unverantwortlich, wenn sich die Bundesregierung weiter weigert, ihrer Mitverantwortung beim Hochschulbau gerecht zu werden. ({16}) Eine solche Politik gefährdet den Standort Deutschland. Deutschland war einmal bei der Erfindung neuer Technologien führend und hat seinen Wohlstand zu Beginn dieses Jahrhunderts darauf begründet. ({17}) Wenn diese Bundesregierung Forschung und Wissenschaft weiter schleifen läßt, dann verspielt sie die Zukunft unseres Landes. Deshalb werden wir das korrigieren. ({18}) Auch in der Wohnungspolitik wird der Bundeshaushalt den Erfordernissen nicht gerecht. Statt den sozialen Wohnungsbau zu stärken, entziehen Sie der Wohnungspolitik Milliardenbeträge. Auch hier werden wir Korrekturen vornehmen. Wir werden in einem Sofortprogramm mit Zinszuschüssen den Bau von 200 000 zusätzlichen Sozialwohnungen fördern. Wir wissen noch, wo die Wohnungen wirklich fehlen: bei kinderreichen Familien mit Durchschnittseinkommen. Deshalb wollen wir den sozialen Wohnungsbau fördern. ({19}) Die mittelfristigen Haushaltsdaten dieser Bundesregierung gleichen eher einem Märchenbuch. Da schreibt der Bundesfinanzminister, die Neuverschuldung des Bundes werde 1998 auf 27 Milliarden DM zurückgehen. Der Bundesfinanzminister weiß doch ganz genau, daß diese Zahl völlig falsch ist. Sie wissen das ganz genau. Wieso schreiben Sie so etwas? Sie wissen ganz genau, daß dieses zwar wünschenswert wäre. Jeder von uns wünschte, daß es so käme. Aber angesichts der großen Haushaltsrisiken weiß jeder, der ein wenig um den Bundeshaushalt weiß, daß diese Zielvorstellung nicht erreichbar ist. ({20}) Sie haben keine Vorsorge für die Freistellung des Existenzminimums ab 1996 getroffen. Nach unserem Urteil ist das ein grober Verstoß gegen die Verfassungsgrundsätze der Haushaltswahrheit und der Vollständigkeit. ({21}) Bereits 1992 hat das Verfassungsgericht festgestellt, daß diese Bundesregierung kleine und mittlere Einkommen in verfassungswidriger Weise zu hoch besteuert. Es ist die Amtspflicht der jetzigen Regierung, daß sie endlich sagt, wie dieser Verfassungsbruch beseitigt werden soll. Ich frage die Bundesregierung: Warum haben Sie Ihre Vorschläge zur Beseitigung dieses Verfassungsbruchs, zur Beseitigung des Unrechtstatbestandes, daß dem Durchschnittseinkommen widerrechtlich 40 Milliarden DM wegbesteuert werden, nicht vor der Wahl - entgegen Ihren Versprechungen - auf den Tisch gelegt? ({22}) Warum wollen Sie Ihre Pläne erst nach dem Wahltag veröffentlichen, ({23}) wie es der Herr Bundesfinanzminister hier wieder so richtig fröhlich vorgetragen hat. Er wird noch nicht einmal rot dabei. ({24}) Warum wollen Sie das erst nach der Wahl tun? Welche Steuererhöhungen, frage ich Sie, Herr Bundesfinanzminister - und das ist nicht zum Lachen -, haben Sie diesmal zu verbergen? An welcher Stelle belügen Sie die Wählerinnen und Wähler wieder so schamlos wie vor der letzten Wahl? ({25}) Wie diese Bundesregierung die Familien mit Kindern behandelt, ist sozial ungerecht, wie der Bundespräsident zu Recht festgestellt hat, meine Damen und Herren. ({26}) Die Kirchen sagen: „Der überragenden Bedeutung der Familie trägt die Politik trotz ständig betonter Beteuerung des Wertes der Familie nur unzureichend Rechnung. Das bestehende Mißverhältnis zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung von Kindern und dem Umfang der Entlastung der Eltern stellt einen Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit dar". Das ist ein wirklich vernichtendes Urteil über Ihre Familienpolitik. ({27}) Bundesfinanzminister Waigel hat angekündigt, daß der Kinderfreibetrag auf 7 000 DM angehoben werden soll. Das würde die Familienförderung noch ungerechter machen, als sie ohnehin schon ist. Schon jetzt bekommt ein Spitzenverdiener Monat für Monat 116 DM mehr für sein Kind als ein Arbeitnehmer mit geringem Einkommen. Wie wollen Sie das eigentlich verantworten? ({28}) Bei einem Kinderfreibetrag von 7 000 DM würde sich die Begünstigung der Spitzenverdiener auf 200 DM vergrößern. Ich frage Sie: Wie wollen Sie das eigentlich angesichts der sozialen Lage in unserem Lande noch verantworten? ({29}) Die Anhebung der ungerechten Kinderfreibeträge kostet 12 Milliarden DM. Es wird nicht gesagt, wie das finanziert werden soll. Die Ungerechtigkeit, die Sie Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({30}) vorhaben, den Familienlastenausgleich weiter in dieser Schieflage fortzuführen, muß verhindert werden. Die Antwort ist der Regierungswechsel. ({31}) Ich fordere Sie auf: Schaffen Sie endlich Klarheit in Ihrer Familienpolitik. Sagen Sie den Millionen Familien mit Kindern die Wahrheit. Sagen Sie den Menschen, was auf sie zukommen würde, falls diese Bundesregierung die Bundestagswahl gewinnen würde. Sagen Sie diesmal vor allem, wie Sie das, was Sie versprechen, alles finanzieren wollen. ({32}) Unser Konzept ist klar und gerecht: Die SPD wird nach der Bundestagswahl das Kindergeld für jedes Kind auf 250 DM im Monat anheben, bei größeren Familien ab dem vierten Kind auf 350 DM. Das ist solide gegenfinanziert. Ein einheitliches Kindergeld von 250 DM kostet, wie jeder weiß, 50 Milliarden DM. Dieses Geld werden wir durch eine aufkommensneutrale Reform des Familienlastenausgleichs bereitstellen: 22 Milliarden DM aus dem bisherigen Kindergeld, durch Wegfall der ungerechten Kinderfreibeträge 17 Milliarden DM, und die restlichen 11 Milliarden DM werden wir durch eine maßvolle Begrenzung unvertretbar hoher Splittingvorteile decken. ({33}) Ich sage Ihnen: Die Unionsparteien müssen endlich zu einem richtigen Familienbegriff finden. Familie ist nicht das Zusammenleben der Erwachsenen, das steuerlich gefördert und prämiert werden muß. Familie ist das Zusammenleben der Erwachsenen mit Kindern. Dies müssen Sie endlich begreifen. ({34}) Ich sage an das ganze Haus gerichtet: Die Familien mit Kindern, die es bei dieser hohen Steuer- und Abgabenlast besonders schwer haben, warten auf unsere Hilfe. Schöne Worte reichen nicht. ({35}) Deshalb müssen wir endlich für einen gerechten Familienlastenausgleich sorgen, und wir wollen und werden das tun, meine Damen und Herren. ({36}) Die Wahlversprechungen der Koalition weisen Finanzlücken auf. Die Koalition will eine Unternehmensteuersenkung; Kosten 30 Milliarden DM. Wie das finanziert werden soll, darüber schweigen Sie. Bei einer Senkung der Unternehmensteuern entstünde eine zusätzliche Finanzlücke; denn vorher müßte aus verfassungsrechtlichen Gründen der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden, d. h. ein weiteres Loch von 30 Milliarden DM. Die F.D.P. möchte ein neues Förderkonzept für Ostdeutschland; Gesamtvolumen nach Berechnungen des Herrn Waigel 30 Milliarden DM, kein Dekkungsvorschlag. Hinzu kommt die erwähnte Freistellung des Existenzminimums; ebenfalls kein Dekkungsvorschlag. Insgesamt addieren sich die Wahlversprechungen dieser Koalition auf über 100 Milliarden DM. Dafür findet sich kein einziger Pfennig in Ihrer Finanzplanung. ({37}) Dies ist das in der Bevölkerung schon bekannte Spiel. Vor der Wahl verspricht diese Koalition blühende Landschaften: Niemandem wird es schlechtergehen. Es wird das Blaue vom Himmel versprochen. Die Rechnung soll nach dem Wahltag präsentiert werden. Ich sage Ihnen: Die Menschen werden dies nicht zulassen. Ihre Rechnung wird diesmal nicht aufgehen. ({38}) Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat angekündigt, daß er jährlich 50 Milliarden DM zusätzlich Staatsschulden machen will. Wir verstehen seine Motive. Aber ich sage: Dies ist nicht verantwortbar. Schon jetzt muß jede vierte Steuermark für Zinsen ausgegeben werden. Wir können dieses Problem nicht ignorieren. Wir müssen es begreifen. Für milliardenschwere Wahlgeschenke auf Pump ist nun wirklich kein Spielraum. Der Bundesfinanzminister hat jetzt zugegeben, daß er die Wahlversprechungen der Koalition nicht - hören Sie zu: nicht - durch Einsparungen und höheres Wachstum finanzieren kann. Vor zwei Wochen hat er in einem Interview gesagt - ich zitiere -, er wolle dafür Umschichtungen im Steuersystem vornehmen; Interview „Bild am Sonntag" vom 21. August 1994. Umschichtungen? Aber das heißt im Klartext doch Steuersenkungen - für wen? - einerseits und Steuererhöhungen - für wen? - andererseits. Ich sage Ihnen, was nicht kommen darf: Steuersenkungen für die Minderheit und Steuererhöhungen für die große Mehrheit wie bisher. Deshalb kämpfen wir um die Regierungsverantwortung. Wir wollen das verhindern. ({39}) Dann, verehrter Herr Bundesfinanzminister, sagen Sie in unnachahmlicher Offenheit - ich muß Sie loben -: Die Umschichtungsvorschläge wollen Sie erst nach der Wahl zur Entscheidung vorlegen. ({40}) Es könnte ja sein, daß die unmündigen Wählerinnen und Wähler vor der Wahl dahinterkommen, was Sie eigentlich vorhaben. Deshalb wollen Sie erst - entgegen allen Versprechungen; auch Sie haben das versprochen, Herr Bundeskanzler - ({41}) - Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Wer die Bevölkerung vor der letzten Wahl so schamlos belogen hat, ist diesmal gefordert, die Wahrheit zu sagen, Herr Bundeskanzler. ({42}) Es ist doch die Wahrheit, verehrter Herr Bundeskanzler, daß Sie vor der letzten Wahl bestritten haben, Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({43}) daß es Steuererhöhungen gibt. Nach der Wahl: höhere Mehrwertsteuer, höhere Mineralölsteuer, höhere Kraftfahrzeugsteuer, höhere Versicherungsteuer, höhere Tabaksteuer, höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, höhere Beiträge zur Rentenversicherung und der Solidaritätszuschlag von 7,5 % für alle. Aus Ihrem Versprechen „keine Steuererhöhungen vor der Wahl" wurden nach der Wahl Steuer- und Abgabenerhöhungen von insgesamt 116 Milliarden DM pro Jahr, meine Damen und Herren. Das zeigt das ganze Ausmaß Ihrer Fehlurteile und Fehlentscheidungen. ({44}) Das sind grob gerechnet 1 500 DM pro Kopf der Bevölkerung, ob jemand Einkommen hat oder nicht. Bei einer vierköpfigen Familie sind das 6 000 DM. ({45}) Das sind die Zahlen. Deshalb haben es manche Familien schwer, heute überhaupt noch das alltägliche Leben zu bestreiten. Das ist kein Grund zum Lachen, sondern ein Grund, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie dieser Sachverhalt abgestellt werden kann. ({46}) Manch ein Politiker hätte bei dem Versprechen „keine Steuer- und Abgabenerhöhungen" und bei der Verantwortung für 116 Milliarden DM Steuer- und Abgabenerhöhungen pro Jahr Schwierigkeiten, sich noch einmal dem Votum der Wählerinnen und Wähler zu stellen. Er würde die politische Verantwortung für dieses Fehlurteil oder für diese Lüge übernehmen. ({47}) Sie sehen das anders. Ich kann aber allen Wählerinnen und Wählern nur raten: Wenn Sie eine Telefonzelle sehen, denken Sie immer an Helmut Kohl. Bei der Telefonzelle heißt es: Erst zahlen und dann wählen. Bei Kohl heißt es: Erst wählen und dann zahlen. Dies sollten Sie nicht vergessen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Nur weiter so! - Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) Bei dieser Bundesregierung wird die deutsche Einheit vor allem über höhere Verbrauchsteuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert. ({0}) Das ist ungerecht; denn das trifft vor allem die große Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Rentner. Deshalb sprechen auch die Kirchen von der Gerechtigkeitslücke. Wir halten das aber nicht für zulässig. Deshalb wollen wir den sogenannten Solidaritätszuschlag sofort abschaffen. Mit unserer Ergänzungsabgabe für hohe Einkommen wollen wir 80 % aller Steuerzahler von dem Steuerzuschlag der Regierung Kohl völlig freistellen, der schädlich ist für die Konjunktur und im übrigen die Tarifpolitik dieses Jahres unterläuft. Dieser Aspekt scheint Ihnen gar nicht klar zu sein. ({1}) Wir halten es für gerecht, jetzt die Verteilung wieder rückgängig zu machen, die darin bestand, daß die große Mehrheit des Volkes zahlen mußte und oben entlastet wurde. Dies ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Wir müssen die auch vor zwei Jahren noch von vielen Sprechern aus Ihren Reihen beklagte soziale Schieflage beseitigen. ({2}) Die deutsche Einheit, meine Damen und Herren, ist eine Gemeinschaftsaufgabe. ({3}) An dieser Aufgabe müssen sich auch die hohen Einkommen angemessen beteiligen, und zwar auch dann, wenn Sie meinen, das sei Ihre Wählerklientel. ({4}) Wer das, was die beiden christlichen Kirchen und die SPD fordern, als Neidkampagne bezeichnet, der schadet nicht nur der Einheit, sondern der beweist auch, daß ihm das Gefühl für soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit verlorengegangen ist. ({5}) Nach den drastischen Steuererhöhungen dieser Bundesregierung ist für die große Mehrheit der Bevölkerung nach unserer Überzeugung die Grenze der Belastbarkeit überschritten. Einem Durchschnittsverdiener werden fast 50 % seines Einkommens über Steuern und Abgaben vom Staat abgenommen. In dem letzten Jahr unserer Regierung war die Belastung wesentlich niedriger. Sie lag bei 39 %. ({6}) Diese Rekordbelastung bei Steuern und Abgaben ist wirtschafts- und sozialpolitisch unerträglich. Das bestraft die Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das kann so nicht weitergehen. ({7}) Deshalb unser Steuersenkungsprogramm für Normalverdiener und Familien. Erstens. Wir werden dafür sorgen, daß der Steuerzuschlag der Regierung Kohl sofort abgeschafft wird. Mit unserer Ergänzungsabgabe auf hohe Einkommen befreien wir 80 % aller Steuerzahler von diesem ungerechten Zuschlag. Zweitens. Wir werden das Kindergeld auf monatlich 250 DM für jedes Kind und für kinderreiche Familien ab dem vierten Kind auf 350 DM erhöhen. Drittens. Wir werden weitere gezielte Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen durch die Verbesserung des steuerfreien Existenzminimums auf etwa 13 000 DM für Ledige und 26 000 DM für Verheiratete vornehmen, wie das Bundesverfassungsgericht es uns vorgeschrieben hat. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({8}) Diese Steuerreform besteht aus einer aufkommensneutralen Umschichtung. Ich sage hier ganz bewußt „Umschichtung". Wir sagen den Wählerinnen und Wählern vor der Wahl, wie wir umschichten wollen, nämlich durch die Kürzung der Freibeträge, durch die Reduktion des Splittings, durch die ökologische Steuerreform und durch die Streichung von Steuersubventionen. Das ist kein populäres Programm - ich weiß das -, und es geht tief in Ihre Klientel. Aber wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit in unserem Lande. ({9}) Unser Konzept bedeutet Steuersenkungen für die große Mehrheit. Ich nenne zwei Beispiele: Ein Vorarbeiter in der Metallindustrie, 40 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, Bruttomonatsgehalt 4 000 DM bekommt bei uns eine Steuersenkung von rund 2 000 DM im Jahr. Ein Facharbeiter, 23 Jahre alt, ledig, kein Kind, Monatsgehalt 3 000 DM erhält eine Steuersenkung von rund 400 DM im Jahr. Das sind für die Betroffenen spürbare Entlastungen. Ich nenne auch die Kehrseite: Ein Werbefachmann, 30 Jahre alt, ledig, ohne Kinder, Monatsgehalt 10 000 DM, muß nach unserem SPD-Konzept im Jahr 942 DM mehr bezahlen. Das sind im Monat 78 DM. Dies halten wir für vertretbar. ({10}) Unsere Steuersenkungen kommen auch den Rentnerinnen und Rentnern und den Arbeitslosengeld-und Arbeitslosenhilfeempfängern zugute. Denn wenn das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmer steigt, kommt es über die nettolohnbezogenen Formeln automatisch zu einem Anstieg dieser Transferleistungen. Jeder weiß, Sie haben das in „Bild am Sonntag" anders dargestellt. Aber ich nehme an, über unsere Formeln können wir uns noch verständigen. Wir wollen, daß sich die beruflichen Leistungen von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirklich wieder lohnen. Dies ist eben Ihr Fehler - Sie haben ihn hier wiederholt -: Sie sprechen von den Leistungsträgern unserer Gesellschaft, von denen, die die Räder der Wirtschaft in Bewegung halten, und nennen die oberen Einkommensschichten. Begreifen Sie doch endlich einmal: Leistungsträger unserer Volkswirtschaft sind die Durchschnittsverdiener, die Sie mit Ihrer völlig verfehlten Steuerpolitik über Gebühr belastet haben. ({11}) Ich will versuchen, Ihnen das verständlich zu machen. Wenn alle Vorstände der deutschen Kapitalgesellschaften einschließlich der Kabinette einmal eine Woche in den Ausstand treten würden - ich weiß nicht, wieviel man in der Gesellschaft davon bemerken würde. Wenn aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einmal alle in den Ausstand treten würden, dann würde man es sehr schnell, sehr dramatisch und sehr drastisch bemerken, meine Damen und Herren. ({12}) Diese Bundesregierung hat in den letzten zwölf Jahren mit einer hektischen und unsystematischen Gesetzgebung ein Steuerchaos ohnegleichen angerichtet. Allein zum 1. Januar 1994 - man glaubt es fast nicht; ich wollte es nicht glauben; das haben mir meine Mitarbeiter aufgeschrieben - ({13}) Natürlich, Sie werden bei Ihrer genialen Ausstattung nie Mitarbeiter zu Rate ziehen, das ist klar; aber ich gebe zu, ich muß ab und zu Mitarbeiter zu Rate ziehen. Allein zum 1. Januar 1994 sind etwa 100 Steuerrechtsänderungen neu in Kraft getreten. Und dann reden Sie jetzt von Steuervereinfachungen? Wir sagen: Eine durchgreifende Steuervereinfachung ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Der Bundespräsident ({14}) hat dies festgestellt. Wir sollten seine Worte ernst nehmen. Die steuerpolitischen Ankündigungen der Regierungskoalition würden das Steuerrecht noch komplizierter und noch ungerechter machen. Unsere Steuerreform für Normalverdiener und Familien wird demgegenüber zu einer spürbaren Vereinfachung unseres Steuerrechts führen. Im übrigen noch ein Wort zur Wohnungsbauförderung. Statt die Wohnungsbauförderung zu vereinfachen und ihre Wirksamkeit zu verbessern, würde der vom Bundesfinanzminister geplante Schuldzinsenabzug das Fördersystem noch ungerechter und noch komplizierter machen. Dafür werden Sie, Herr Waigel, zu Recht querbeet, auch aus Ihren eigenen Reihen, kritisiert. ({15}) Mit einem ehrlichen Kassensturz unmittelbar nach der Regierungsübernahme werden wir endlich Klarheit über die Lage der Staatsfinanzen schaffen. Aber schon jetzt sagen wir: Wahlgeschenke auf Pump sind nicht mehr zu verantworten. Nach dem dramatischen Anstieg der Staatsverschuldung, zu dem es in den zwölf Jahren Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, gekommen ist, hat die Sanierung des Bundeshaushaltes - und dies wird eine ungeheuer schwierige Aufgabe - höchste Priorität. Deshalb führt an einem strikten Konsolidierungskurs kein Weg vorbei. Die Neuverschuldung muß schrittweise heruntergefahren werden, und wir werden große Anstrengungen unternehmen müssen, um dies überhaupt erreichen zu können. ({16}) Die Auseinandersetzung geht eben um eine gerechte Steuerpolitik, um die Frage: Wie kann unser Bundeshaushalt konsolidiert werden, ohne daß soziale Ungerechtigkeiten verschärft werden? ({17}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({18}) Nach Meinungsumfragen wollen 57 % der Deutschen einen politischen Wechsel. ({19}) Wir stehen für diesen Wechsel bereit. Wir haben ein Programm, mit dem wir die Zukunft Deutschlands sichern wollen und für mehr soziale Gerechtigkeit, insbesondere für die Familien, sorgen werden. ({20}) Wir setzen nicht auf einen- Sie mögen sich darüber mokieren -, wir setzen auf eine Mannschaft, die Erfahrung und die Kraft hat, die notwendigen Entscheidungen durchzusetzen. ({21}) Wir haben mit Rudolf Scharping einen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers, ({22}) der die wirklichen Sorgen der Menschen kennt, der weiß, wie die Probleme angepackt werden müssen, und der angesichts der wirklich dramatischen sozialen Lage in unserem Lande nicht in satter Selbstzufriedenheit macht. ({23}) Die Bürgerinnen und Bürger haben am 16. Oktober die Wahl, und deshalb ist diese Debatte im Interesse unserer Demokratie notwendig. Es geht um die Zukunft unseres Landes. Die politischen Entscheidungen der nächsten Jahre werden alle Bürgerinnen und Bürger persönlich betreffen. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, statt achselzuckend hinzunehmen, daß die Arbeitslosigkeit immer weiter nach oben geht. Wir wollen mehr Mitmenschlichkeit und wollen den Sozialabbau stoppen. Wir wollen mehr Umweltschutz und lassen uns nicht darauf ein, daß Umweltschutz unsere Arbeitsplätze gefährde. Wir wollen mehr Kindergeld statt Sonntagsreden über die Bedeutung unserer Familien. Wir wollen weniger Steuern für die Mehrheit statt neuer Privilegien für die Minderheit. ({24}) Wir wollen das Bekenntnis und den Mut zur Wahrheit statt neuer Steuerlügen, die die Stabilität unserer Demokratie und das Vertrauen in unsere demokratische Ordnung weiter ramponieren würden. ({25}) Deshalb, meine Damen und Herren, kann der neue Bundeskanzler dann ganz getrost seinen Vorgänger zitieren, der am 13. Oktober 1982 folgendes sagte: Diese neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte, die bisherige Regierung als unfähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu gewährleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen. ({26}) Er kann hinzufügen: weil sie bei der Aufgabe, die innere Einheit Deutschlands auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit herzustellen, sträflich versagt hat. ({27})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Professor Dr. Klaus Töpfer das Wort ({0}) und bitte, ihm auch zuzuhören. ({1})

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Herr Kollege Rüttgers, ich kann Ihnen sagen, warum die gehen: Sie haben festgestellt, daß der zweite Teil des Parteitages hier geschlossen ist, und deshalb gehen sie raus. Es ist eine gute Möglichkeit, das so zu machen. ({1}) Eines, meine Damen und Herren, möchte ich an den Anfang stellen: Mein herzlicher Dank und meine Gratulation gelten Theo Waigel. ({2}) Meine Gratulation und mein Dank gelten Theo Waigel für zweierlei: zum ersten dafür, daß er diesen Bundeshaushalt 1995 vorgelegt hat, und zum zweiten dafür, daß er ihn jetzt vorgelegt hat und daß wir über ihn im Kabinett abgestimmt haben, so daß er hier im Bundestag zur Diskussion gestellt werden kann, ({3}) obwohl wir wissen, daß dieser Haushalt - ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Oswald, erstens habe ich das bemerkt, zweitens ist es leider auf beiden Seiten üblich, und drittens möchte ich bitten, das jetzt einzustellen, um die notwendige Ruhe zu schaffen.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte noch einmal unterstreichen: Es ist hervorragend, daß dieser Haushalt vor der Wahl vorgelegt worden ist. Allein die Tatsache, daß wir den Haushalt vor der Wahl vorle21248 gen, belegt das Selbstbewußtsein und die Qualität dieser Regierung und dieses Finanzministers. ({0}) Meine Damen und Herren, wenige Minuten vor mir hat hier der Ministerpräsident des Saarlandes gesprochen. Ich kann Ihnen mitteilen: Diesen Mut hat der Ministerpräsident des Saarlandes im Saarland nicht. Dort hat er bisher keinen Haushalt für 1995 vorgelegt, und zwar mit dem Hinweis darauf, es wäre ja Wahl, und es würde Diskontinuität eintreten. ({1}) Dies ist die Situation, meine Damen und Herren. Nein, hier ist mit Selbstbewußtsein, mit Blick auf die Solidität der bundesdeutschen Finanz- und Haushaltspolitik ein solcher Haushalt zur Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit und weit darüber hinaus vorgelegt worden. Das ist gut, und das ist richtig und wichtig so; ({2}) denn dieser Haushalt hat gute Signale gesetzt - auf den internationalen Finanzmärkten, bei der deutschen Bundesbank, ja, vor allen Dingen bei den Menschen in unserem Land. Wo eigentlich ist denn dieser Ministerpräsident des Saarlandes tätig, wenn er hier ein Bild unseres Landes zeigt, das mit der Realität überhaupt nichts mehr zu tun hat? ({3}) Aber mein Dank gilt Theo Waigel nicht nur dafür, daß er diesen Haushalt vorgelegt hat, sondern auch dafür, wie er ihn hier begründet und eingebracht hat. Meine Damen und Herren, wenn man die beiden Reden, die wir jetzt gerade gehört haben, vergleicht, dann weiß man eigentlich, wo Sachkompetenz liegt ({4}) und wo durch Nebelwerfereien nur um sich geschlagen werden muß. ({5}) Meine Damen und Herren, dies war eine schlimme, ja, Herr Ministerpräsident, ich sage, es war eine widerliche Rede, die Sie hier gehalten haben, eine widerliche Rede! ({6}) Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus. Lassen Sie mich deswegen in aller Ruhe und Sachlichkeit eines hinzufügen: Ich spreche allen denen, die viele Jahre lang in der ehemaligen DDR zu ihrer politischen Überzeugung - gerade auch im christlichen Bereich - gestanden haben, meinen Respekt aus, und ich freue mich, daß sie in unseren Parteien am Aufbau eines neuen, eines vereinten Deutschlands mitarbeiten. ({7}) Respekt vor denen, die das gemacht haben! ({8}) Aber, meine Damen und Herren, wie will dieser Ministerpräsident denn anders argumentieren? Noch im September 1989 - im September 1989! - hat dieser Ministerpräsident die doppelte Staatsangehörigkeit für die, wie er meinte, beiden deutschen Staaten gefordert. Im September 1989 hat er mit Krenz und Genossen in Saarbrücken gekungelt, ({9}) und jetzt kommt er daher und meint, etwas anderes sagen zu müssen. Es ist wirklich schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn so etwas hier möglich ist. Ich habe Respekt vor denen, die deswegen dieses Hohe Haus angewidert verlassen haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, es liegt der Wunsch vor, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Ich weiß nicht, ob Sie bereit sind, sie zu beantworten.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wissen Sie, im Gegensatz zu dem Kollegen Lafontaine bin ich immer bereit, Fragen zu beantworten. Ich wäre aber dankbar, wenn ich diesen einen Gedanken eben noch zu Ende bringen könnte. Ich komme gleich auf Ihre Frage zurück. Meine Damen und Herren, dies ist der Hintergrund, der dann dazu führt, daß in Talk-Shows darauf aufmerksam gemacht wird, man wäre ja nicht so blöd, jetzt irgend etwas über eine kommende Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag zu sagen, damit man ja nicht irgendeine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der PDS ausschließen kann. ({0}) Um es deutlich zu sagen: Es geht uns nicht um eine Anklage gegen die Wähler der PDS, sondern darum, daß diese Partei eine Nachfolgepartei derer ist, die dieses Deutschland geteilt und die Menschen dort unerträglich drangsaliert haben. Dagegen, gegen die Partei und nicht gegen die Wähler, sind wir eingestellt. ({1}) Wie hält es dieser Ministerpräsident mit der Wahrheit? Hier wird mit dem Tremolo der moralischen Überzeugungskraft - ich will es einmal so stehenlassen: mit dem Tremolo der moralischen Überzeugungskraft - aus den Papieren der Kirchen zitiert. ({2}) Am 19. August, also vor gut drei Wochen, haben die Kirchen in einer Pressemitteilung folgendes geschrieben, Herr Ministerpräsident: Die Behauptung, es handele sich bei dem jetzt vorliegenden Text um ein Papier der katholiDr. Klaus Töpfer schen und der evangelischen Kirche, entspricht also keineswegs den Tatsachen. Es wurden zudem einseitig Punkte herausgegriffen, um den Text gezielt für Wahlkampfauseinandersetzungen zu mißbrauchen. ({3}) Das haben Sie hier noch einmal belegt! So geht man hier mit Texten um! ({4}) Und dieser Ministerpräsident stellt sich wirklich hier hin und fragt, wie andere es mit der Wahrheit halten! Es ist ein Skandal, wenn man innerhalb von wenigen Minuten auf genau dieselben Dinge wieder eine Antwort finden kann. ({5}) Es ist ein Skandal! Das kann nicht wahr sein. ({6}) Nein, meine Damen und Herren, diese Rede war eine schlimme Rede, eine widerliche Rede, Herr Lafontaine. Allerdings war es - man sollte das in aller Ruhe aufgreifen und in der deutschen Öffentlichkeit darstellen - eine typisch Lafontainesche Rede. ({7}) Es war eine Rede, die deutlich macht, daß dieser Mann zu allem fähig ist, ({8}) nur nicht zur Integration einer früher einmal geteilten Nation. Dazu ist er nicht in der Lage. ({9}) Er war es nicht, er wird es nicht sein. So ist es. Da ist ihm nichts, aber auch gar nichts zu billig, bis hin zur Telefonzelle. Wollen wir uns wirklich demnächst in die zweite Generation dieses Witzes hineinarbeiten - Sie kennen ihn sicher auch -, wo es dann heißt: Sie gehen in die Telefonzelle, wählen die SPD an und bekommen keinen Anschluß, weil die Telefonrechnung noch nicht bezahlt ist, oder es antwortet die PDS. ({10}) So können wir auch weitermachen, meine Damen und Herren. Ist das die richtige Form der Auseinandersetzung?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich möchte die Kollegin Fischer nicht zu lange stehen lassen. Das wäre unhöflich. Vielleicht entscheiden Sie, ob Sie die Frage zulassen oder nicht.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigen Sie bitte. Natürlich lasse ich sie zu.

Evelin Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000550, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Töpfer, könnten Sie mir stellvertretend für den Bundeskanzler Helmut Kohl die Frage beantworten, wieso Helmut Kohl als Bundeskanzler im November 1989, nachdem feststand, daß sich die SPD Ost und die SPD West vereinigen, als er von Journalisten gefragt wurde, ob er sich eine Vereinigung der Ost-CDU mit der West-CDU vorstellen könnte, strikt sagte, mit Blockflöten stehe dies nicht zur Debatte? Können Sie mir die Frage beantworten, wie der Gesinnungswandel des Bundeskanzlers vonstatten ging? Können Sie mir noch eine zweite Frage beantworten? Wie finden Sie die Aussage eines Kollegen aus der Ost-CDU in Ihrer Fraktion, der noch im Oktober 1989 in einem damals sehr viel gelesenen Blatt, der „Wochenpost", als Bezirkssekretär der CDU in Karl-Marx-Stadt sagte -,

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, darf ich Sie an unsere Geschäftsordnung erinnern: Die Fragen sollen präzise sein, und Dreiecksfragen sind nicht zugelassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich wenigstens halbwegs danach richten würden.

Evelin Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000550, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- daß er sich mit einem Herrn Rühe nie an einen Tisch setzen würde und sich vom Westen nicht den finstersten Kapitalismus überstülpen lassen würde? Wie kommen Sie heute mit diesem Kollegen in Ihrer Fraktion zurecht?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Kollegin, bitte warten Sie die Antwort - wie das üblich ist - stehend ab, auch in einer so heißen Debatte.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ganz sicher wird der Bundeskanzler immer und immer wieder in vielen Veranstaltungen auch in den neuen Bundesländern vor Tausenden von Zuhörern diese Frage sehr gut und sehr präzise beantworten. Ich kann Ihnen meine Meinung dazu sagen: Ich bin froh und dankbar für jeden aus den neuen Bundesländern, der in meiner Partei, in der CDU Deutschlands, mitarbeitet, um dieses Deutschland in eine gute, in eine demokratische Zukunft zu führen. Dafür bin ich dankbar, für jeden einzelnen. ({0}) Wir alle sollten, glaube ich, dankbar sein, wenn das im Zusammenhang mit demokratischen - ({1}) - Mein lieber Herr Kollege, wer gerade die Rede vom Kollegen Lafontaine gehört hat und hier etwas von Schmutzkampagne redet, der sollte sich wirklich fragen, in welchem Haus er das eigentlich gehört hat. Das möchte ich doch wirklich einmal wissen. Das ist wirklich schon phantastisch. ({2}) Das war halt der typische Lafontaine. Er ist zur Integration nicht fähig. Er ist nur zum Ausgrenzen fähig. Er wollte keine deutsche Einheit, und er will sie auch jetzt noch nicht. Das hört man bis zu der gesamten Diskussion über die Haushaltsfrage heraus. ({3}) Damit zurück zum Haushalt: Als diese Bundesregierung unter Helmut Kohl ihre Arbeit 1982 aufnahm, lag die Staatsquote bei ca. 50 %. ({4}) Durch eine harte, klare Konsolidierungspolitik hat diese Bundesregierung die Staatsquote auf eine Größe von etwa 46 % zurückgeführt - beispielhaft. Man tut wirklich niemandem, der jetzt handelt, Unrecht, wenn man sagt: Danke schön, Gerhard Stoltenberg, daß Sie so gehandelt haben. Man tut niemandem Unrecht. ({5}) Wo wären wir denn am Anfang der deutschen Einheit gewesen, wenn wir eine Staatsquote von 50 % gehabt hätten und nicht die Jahre vorher genutzt hätten, um auf 46 % herabzukommen? ({6}) Die SPD, der Weltökonom Schmidt, hatte eine Staatsquote von 50 % ohne deutsche Einheit. Ich bin stolz darauf, in einer Regierung mitzuarbeiten, mit der wir die deutsche Einheit bewältigen - auch mit einer Staatsquote um 50 %, die wir jetzt wieder zurückführen in einem gleichen Konsolidierungsprozeß, wie wir es in den 80er Jahren ebenfalls gemacht haben. ({7}) Das ist etwas, was der Herr Kollege Lafontaine vergessen hat. Aber ich kann verstehen, daß er es vergißt: Wer nimmt schon gerne den Verlust der Rolle des Supermannes in einem Schattenkabinett klaglos hin? ({8}) Daß er nicht super war, konnten wir Ihnen aus dem Saarland schon längst berichten. Denn, Herr Kollege Lafontaine, Sie sollten genau hinhören. Niemand, zuletzt diese Bundesregierung und dieser Finanzminister und zuallerletzt dieser Abgeordnete und Umweltminister, der hier spricht, kritisiert, daß wir eine nachhaltige Teilentschuldung des Saarlandes vorgenommen haben. Wir haben es doch gemacht. Es sind doch 8 Milliarden DM bereitgestellt worden, pro Jahr 1,6 Milliarden DM. Es wird pro Jahr soviel gezahlt, weil wir das wollen. Was wir kritisieren, ist nicht, daß den Saarländerinnen und Saarländern geholfen wird. Was wir kritisieren, ist, daß die Saarländerinnen und Saarländer eine solche Regierung haben, die aus dieser Hilfe nichts machen kann und nach wie vor das Land an der letzten Stelle der Bundesländer beläßt. Das kritisieren wir, nicht, daß dort finanziell geholfen wird. Das ist ein kleiner Unterschied. ({9}) Man muß sich das wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen: ({10}) Da ist Herr Lafontaine seit zehn Jahren Ministerpräsident eines Bundeslandes und tritt an - ({11}) - Wissen Sie, wenn Herr Lafontaine sich damit nicht hier in seiner Rede geschmückt hätte, dann hätten Sie auch nicht gerufen, daß er das vielleicht auf dem Marktplatz in Saarbrücken machen sollte. ({12}) - Es tut mir leid, daß Sie damit ein bißchen getroffen werden und pflichtgemäß Ihre Zwischenrufe machen. - Wir werden den Gedanken fortführen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich habe ja selber Spaß an Zwischenrufen. Aber wenn sie länger dauern als das, was der Redner sagt, dann hat das keinen Sinn. ({0})

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme darauf zurück: Seit zehn Jahren hat man seitens der SPD dort die politische Verantwortung. Man hat sie damals - lesen Sie nach, mit welchen Argumenten - gegen eine CDU-Regierung mit dem Ziel erstritten: Jetzt kommt der große Aufschwung. Nach zehn Jahren stellt sich der Ministerpräsident dieses Landes selbst hier hin und sagt: Wir haben das wegen der Erblasten vor zehn Jahren nicht erreicht. ({0}) Gleichzeitig kritisiert er den Bundesfinanzminister, der die Erblast von 16 Millionen Deutschen in der ehemaligen DDR in vier Jahren zu bewältigen hat. Dabei erwähnt er überhaupt nicht, daß das die Gründe für die Haushaltsproblematik sind, die wir hier haben. ({1}) Meine Damen und Herren, da frage ich mich wirklich, wann wir diese Diskussion um die Erblasten beenden wollen. Ich kann es Ihnen sagen, Herr Lafontaine: Sie haben Ihre Rede mit dem Satz angefangen: „Dieses Land braucht einen Wechsel." Wenn Sie diesen Satz häufiger im saarländischen Landtag sagen würden, dann hätten Sie sogar recht. Den können Sie jederzeit dort sagen. ({2}) Leider Gottes, Herr Lafontaine, ist es eine ärgerliche Tatsache - aber es ist eine Tatsache -, daß Sie im Zweifel häufiger im Bundestag als im Landtag des Saarlandes sind. Deswegen haben wir dort die Probleme einer massiven Wachstumsschwäche, eines massiven Fehlens von Arbeitsplätzen in diesem Land - trotz dieser umfassenden Hilfe durch den Bund. ({3}) Lassen Sie mich auf die Realitäten zurückkommen. Da liest man folgende Meldungen: Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg nach oben; daran gibt es keinen Zweifel. Die Preissteigerungsrate wird auf 2 bis 2,5 % sinken; die OECD geht sogar unter 2 %. 1995 wird eine weitere moderate Beschleunigung des realen Wirtschaftswachstums auf rund 3 % bringen. Die neuen Bundesländer werden eine zweistellige Wachstumsrate aufweisen. Die noch vor kurzem als Wunschdenken der Regierung kritisierte und abgetane Wachstumsrate von 2 % in diesem Jahr wird eigentlich von niemandem mehr in Frage gestellt. Dies sind einige Aussagen von Experten. Diese Aussagen können beliebig ergänzt, erweitert werden. Die OECD unterstreicht das, die Bundesbank unterstreicht das, das Ifo-Institut unterstreicht das. Experten der Europäischen Union bestätigen einen Erfolg, der in der Gemeinschaft bislang noch nie verzeichnet wurde. Sie erklären: „Wir sind fundamental optimistisch." Alles dies sind nicht Meinungen der Bundesregierung, sondern Meinungen von Sachverständigen, die wirklich nicht angetreten sind, um uns eine Freude zu machen, damit wir Wahlen gewinnen; sondern das sind die Fakten. ({4}) Sie sind fundamental optimistisch. Das alles ist für Herrn Lafontaine kein Thema. Dabei sagen sie nicht nur, sie seien optimistisch, sondern es wird schon jetzt gefragt: Gehen wir in ein goldenes Zeitalter hinein? Gibt es nicht wirklich die Möglichkeit, daß mit den Wachstumspotentialen in Südostasien, mit den großen Investitionschancen in den mittel- und osteuropäischen Ländern ein wirtschaftlicher Wachstumsprozeß weltweit und europaweit in Gang kommt, der tatsächlich eine Stabilität bekommt, aus der heraus sich die Probleme natürlich wieder ganz anders lösen lassen? Wird nicht bereits jetzt bestätigt, was wir gesagt haben: daß wir mit den historischen Veränderungen in Deutschland und in Europa die Chance schaffen, auf mittlere und lange Sicht wirklich völlig neue Dimensionen wirtschaftlicher Kooperation und damit wechselseitigen Vorteils zu erreichen? Warum diskutieren wir nicht darüber? Man kann ja unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie man diese Chancen nutzt. Aber sich hier hinzustellen, nur um zu sagen „Es ist eigentlich alles eine Katastrophe, und wir sind gar nicht mehr in der Lage, Probleme zu bewältigen", das ist der Anfang dafür, daß Probleme wirklich nicht mehr bewältigt werden. ({5}) Wir wollen Zukunft gestalten, Chancen nutzen. Wir werden bestätigt in einer Form, wie es sie bisher eigentlich nicht gab. Aber es kann für Herrn Lafontaine ja nicht sein, was nicht sein darf. Da wird unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik voll bestätigt. Der Wachstumsprozeß, der jetzt eintritt, kommt - man muß das immer wieder unterstreichen - von der Exportnachfrage. Wir haben in diesem Jahr eine reale Exportnachfragesteigerung von 4,4 % zu erwarten; für das nächste Jahr werden von der OECD 7,4 % prognostiziert. Warum sage ich das? Es ist genau die Bestätigung unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Grundkonzeption, nicht an der Stärkung der Massenkaufkraft anzusetzen, nicht an der Binnennachfrage anzusetzen, sondern an der Verbesserung der Wachstumschancen dieses Standorts Deutschland anzusetzen und darauf aufbauend Wettbewerbsfähigkeit weltweit zu gewinnen. Das mußte der Weg sein. ({6}) Er war zugegebenermaßen etwas schwieriger zu gehen, und es mag durchaus sein, daß man da vorübergehend auch einige schlechtere Schlagzeilen bekommt. Aber wir sind diesen Weg konsequent gegangen. ({7}) Wachstumspolitik heißt Strukturpolitik in Deutschland, um die veränderten Strukturen in Mittel- und Osteuropa für uns auch wirklich leistbar, tragbar und verwertbar zu machen. Dieses Konzept ist aufgegangen. Die Exportnachfrage wächst, und danach kommt - genau wie wir es erwartet haben - das Wachstum der privaten Investitionsnachfrage. Wir hatten im letzten Jahr bei den Anlageinvestitionen eine negative Entwicklung und haben im Westen in diesem Jahr dort wieder eine positive Entwicklung. Im nächsten Jahr werden die Anlageinvestitionen um über 3 % steigen. In den neuen Bundesländern wird eine Anlageinvestitionssteigerung von 15 respektive 17 % prognostiziert. Das ist die Absicherung des Aufschwungs auf Dauer. Deswegen sage ich: Der Aufschwung ist da, aber man braucht diese Regierung, damit es auch weiterhin aufwärtsgeht. Sonst wird es eben nicht zu einem sich dauernd tragenden Aufschwung kommen können. Das ist der Unterschied. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Dr. Seifert möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wir sind in einer Debatte. Bitte!

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Töpfer, abgesehen davon, daß ich Ihre Einschätzung nicht teile, daß es günstig ist, den Armen, z. B. den Menschen mit Behinderungen und anderen, noch mehr wegzunehmen, habe ich folgende Frage: Liegt es nicht in der Logik Ihrer eigenen Argumentation, daß es falsch ist, die Mittel für Forschung usw. weiter zu kürzen, und daß es falsch war, die Forschungsland21252 Schaft beispielsweise in Ostdeutschland, sowohl die Industrie- als auch die akademische Forschung, so kahlzuschlagen? ({0}) Die Konkurrenz im Ausland, in Amerika oder in Japan, lacht sich doch ins Fäustchen, daß die Potentiale, die da waren und mit denen wir teilweise weltweit an der Spitze lagen, endlich weg sind. Liegt es nicht in der Logik Ihrer eigenen Argumentation, daß das, was Sie machen, falsch ist?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wenn Sie nur noch wenige Sekunden gewartet hätten, wäre ich darauf zu sprechen gekommen, mit welchen Maßnahmen wir gerade den Standort Deutschland weiter wachstums- und wettbewerbsfähig gestaltet haben. Genau dies ist die Aufgabe gewesen. Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren: Die Abfolge ist richtig. Der Export trägt den Anfang des Aufschwungs, flankiert durch staatliche Infrastrukturinvestitionen. Allein in den neuen Bundesländern haben wir 50 Milliarden DM für die Verkehrsinfrastruktur und davon 21 Milliarden DM für den Schienenverkehr eingesetzt; 60 Milliarden DM werden für den Aufbau der Telekommunikation investiert. Exportnachfrage plus Steigerung der staatlichen Infrastrukturinvestitionen, das ist die Basis dafür, daß private Investitionen folgen. Genau dies geschieht jetzt, darauf reagiert die Binnenkonjunktur, und damit bekommen wir die Massenkaufkraft. Dies ist ein sich wirklich auf Dauer tragender wirtschaftlicher Aufschwung. Wenn Herr Lafontaine neben den Fabeln seines Namensvetters über Keynes hinaus ein bißchen weitergelesen hätte, wäre er möglicherweise selbst auf diese Idee gekommen und hätte es so gemacht. Damit hätte er sich viel Ärger erspart. ({0}) Wäre ich jetzt Herr Lafontaine, würde ich sagen: Was gibt es denn da zu lachen? Aber Herr Lafontaine braucht ja auch einmal etwas zum Lachen. Das ist ja in Ordnung. Deswegen, meine Damen und Herren, teilen wir überhaupt nicht die immer wieder von Herrn Lafontaine vorgetragene Kritik an der Politik der Deutschen Bundesbank. Ganz im Gegenteil, wir haben der Deutschen Bundesbank dafür zu danken, daß sie Kurs gehalten hat, daß sie die Stabilität der Deutschen Mark, eingebunden in ein gutes Geflecht mit der Finanz- und Haushaltspolitik, erhalten hat. Herzlichen Dank der Deutschen Bundesbank und keine Kritik an ihr! ({1}) Wenn aber diese eben dargestellten Abläufe stimmen, dann wird es auch bei Preissteigerungen von rund 2 % eher möglich, auch mit Zinsen wieder Signale zu geben, um im privaten Nachfragebereich weitere Stimulierungen durchzusetzen. Dies ist eine volkswirtschaftlich vernünftige Strategie, und deswegen Dank der Bundesbank. Daß diese Politik europaweit volle Unterstützung findet, meine Damen und Herren, zeigt allein die Tatsache, daß die Europäische Zentralbank nach Frankfurt kommt. Mit einer Politik des billigen Geldes à la Lafontaine wäre sie überall hingekommen, nur nicht nach Frankfurt. Herzlichen Dank dem Bundeskanzler und dem Finanzminister für diese Entwicklung! ({2}) Natürlich weiß auch jeder, meine Damen und Herren, daß die Arbeitsmarktreaktionen zeitlich verzögert eintreten. Das hat sich in der Vergangenheit bei jeder Rezession so gezeigt. Natürlich ist es so, daß wieder eine zeitliche Verzögerung für den Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze zu erwarten ist. Wir gehen davon aus, daß 1995 auch der Arbeitsmarkt wieder positiv reagieren wird. Wir haben jetzt schon die Herbstbelebung; Herr Jagoda hat das gerade aktuell festgestellt. Das heißt, wir sehen schon ganz klar die Notwendigkeit, diese Wachstumspolitik umweltverträglich gestaltet, auch für eine Stabilisierung des Arbeitsmarktes mit zu nutzen. Da gibt es bei uns genau die Positionen, die bei Ihnen offenbar auch immer wieder vorkommen, nachdem Herr Schröder einer von den dreien geworden ist. „Die drei von der Tankstelle" kann man nicht sagen, aber - ({3}) Es geht um mehr Teilzeitarbeit, es geht um die Frage, wie wir in den sogenannten Service Industries, also im Dienstleistungsbereich, mehr Arbeitsplätze schaffen können. Wie können wir die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in der Familie weiter voranbringen? Da geht es aber auch um die Frage, wie wir den Arbeitsmarkt flexibler gestalten können. Die OECD sagt uns auch, daß eine Ursache der Arbeitslosigkeit in Deutschland die fehlende Flexibilität unseres Arbeitsmarktes ist. Deswegen noch einmal die dringende Bitte an alle Tarifpartner, gerade die Flexibilität im Arbeitsmarkt zu stärken und damit Arbeitsplätze zu schaffen. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist eine gute, eine bestätigende Zeit für unsere Politik. Es ist auf die Verabschiedung des letzten russischen Soldaten aus Deutschland in der letzten Woche hingewiesen worden. Es gab einmal 540 000 sowjetische Soldaten in Deutschland. Sie sind mit unserer Politik als Freunde aus Deutschland geschieden. Meine Damen und Herren, man ist in dieser historischen Zeit häufig in der Situation, daß man großartige Ereignisse fast schon nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Wir haben bis zu diesem Tag deutlich belegt: Unsere Politik „Frieden schaffen mit weniger Waffen" ist aufgegangen. Es wäre notwendig, daß all die, die einmal eine andere Politik betrieben haben, endlich einsehen, daß hier richtig Politik für den Frieden in der Welt und in Europa gemacht worden ist. Hier ist Frieden gemacht worden. ({5}) Hier sitzen diejenigen, meine Damen und Herren, die mal die NATO abschaffen wollte, Hier sitzen diejenigen, die die doppelte Staatsbürgerschaft einführen wollten. Hier sitzen diejenigen, die mit Krenz und Genossen paktiert haben. Diese wollen uns jetzt Wegweiser für die Zukunft geben. Sie sollten sich ein Sabbatjahr von der Politik nehmen und einmal wieder schweigen. Dies wäre für die politische Kultur in Deutschland wirklich hilfreich. ({6}) Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, daß wir uns der Tagespolitik wegen mittel- und langfristige Entwicklungschancen kaputtmachen lassen. Nein, es geht wieder aufwärts in Deutschland. Und damit es weiter aufwärtsgeht, muß diese Politik dieser Bundesregierung fortgesetzt werden. Und es kann und es wird weiter aufwärtsgehen, weil die Signale richtig gestellt sind. Dieser Bundeshaushalt sagt es, bei aller Kritik und aller Diskussion, die wir ja wollen. Deswegen haben wir ihn vorgelegt, deswegen sind wir selbstbewußt genug, ihn vor einer Bundestagswahl hier zur Diskussion zu stellen. Lassen Sie uns eins sagen: Diejenigen, die nur Neid, die nur Trennendes in dieser Gesellschaft sehen, sind nicht in der Lage, diese Bundesrepublik Deutschland in eine gute Zukunft zu führen. Sie sind dazu nicht in der Lage, weil sie nur trennen, weil sie nur Neid verbreiten können. ({7}) Lassen Sie uns ganz deutlich sagen: Es ist genug, daß wir die Finanz- und Steuerskandale im Saarland haben. Wir haben genug davon. ({8}) - Wissen Sie, Herr Kollege Wagner, das mag möglicherweise Ihre Überlegung sein: Sage bitte nur das, was die Mehrheit des Volkes gegenwärtig will. ({9}) Meine Überlegung ist das nicht. Meine Überlegung ist es, das zu sagen, was der Wahrheit entspricht und was zur Gestaltung dieser Gesellschaft notwendig ist. Sie werden sehen: Dafür kriegen wir auch Mehrheiten überall - im Bund und auch im Saarland. Gehen Sie mal ganz ruhig davon aus. ({10}) Wo gab es denn den Untersuchungsausschuß Steuervollzug? Es gab ihn im Saarland. Wo gibt es denn die höchsten Steuerausstände? Sie gibt es im Saarland, vom Landesrechnungshof und vom Bundesrechnungshof so belegt. Diese Steuerausstände sind ja nun nicht gerade eine Hilfe für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen in unserem Lande. Man kann ja beim besten Willen nicht behaupten, daß das genau denen hilft. ({11}) Wer kann denn wirklich ernsthaft behaupten - Herr Kollege Waigel hat das ja angesprochen -, das Saarland solle eine Steueroase sein? Nein, meine Damen und Herren, wir wollen mit harter und ehrlicher Arbeit in Deutschland und im Saarland die Zukunft gestalten. Dafür brauchen wir keine Steueroase, sondern ehrliche, steuerzahlende Menschen, die die Zukunft gestalten können. Nur darum kann es gehen. ({12}) Meine Damen und Herren, es gibt - lassen Sie mich das abschließend sagen -, wie man mir gesagt hat, im Englischen ein schönes Sprichwort, das heißt: „Who can does, who cannot teaches. " Auf gut deutsch: Wer es kann, macht es. Wer es nicht kann, belehrt andere. " (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja!) Wenn er es doch gekonnt hätte! Dann hätten wir seine Lehren eher angenommen. ({0}) Aber wer wie er in der Vergangenheit nur gezeigt hat, daß er sich zehn Jahre lang über die Erblasten hinwegretten muß, der kann nun wirklich nicht glauben, daß seine Rezepte die sind, die für die Zukunft in Deutschland gebraucht werden. Das kann beim besten Willen nicht sein. ({1}) Meine Damen und Herren, wir bleiben in der bewährten, konsequenten Politik einer umweltverträglichen Wachstumsentwicklung, umweltverträglich, weil wir wissen, daß es nicht nur um den Industriestandort, sondern auch um den Lebensraum Deutschland geht, weil wir wissen, daß auch das die Zukunft ausmacht: nicht nur an uns zu denken, sondern weit über unsere Grenzen hinaus, an Europa und an die Entwicklung weltweit. Gestern ist die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo eröffnet worden. Wir sind in den Vereinten Nationen in der Frage der nachhaltigen Entwicklung engagiert. Wir werden belegen, daß wir Wachstum nicht nur um der Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes willen fördern, sondern daß wir umweltverträgliches Wachstum gestalten, das beispielhaft für viele andere, das ein Exportartikel ist. Dies ist die faszinierende Herausforderung einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft, ({2}) die nicht auf Kosten kommender Generationen lebt, sondern die Kosten in die Produkte einbindet. ({3}) Deswegen sind wir insgesamt gut gerüstet für die vor uns liegenden Jahre. Es geht aufwärts. Damit es weiter aufwärtsgeht, wollen wir diese Politik fortsetzen. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, bevor ich Graf Lambsdorff das Wort gebe, möchte ich eine Bitte an alle Seiten des Hauses äußern. Ich habe hier ein Vorabexemplar des Protokolls vorliegen, auf dem ich Bemerkungen wie „faule Säcke" und ähnliches finde. Ich möchte Sie herzlich bitten, mit solchen Ausdrücken ebenso wie mit „belügen", „gelogen" und ähnlichem etwas vorsichtiger umzugehen. ({0}) Lügen heißt, bewußt die Unwahrheit zu sagen. ({1}) Das Haus ist für eine harte politische Auseinandersetzung sicher der richtige Ort, aber sie kann mit Anstand und Würde geführt werden. ({2}) Ich kann Vertreter des Bundesrates und der Bundesregierung - das ist Tradition - von hier oben nicht rügen. Dennoch geht mein Appell an beide Seiten: Fairneß dient dem ganzen Hause und dem Ansehen des Hauses. Darum möchte ich alle hier Anwesenden sehr herzlich bitten. ({3}) Otto Graf Lambsdorff, Sie haben das Wort.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Verehrter Herr Kollege Töpfer, mit einem Ihrer Argumente ging es mir nun doch ein bißchen holterdiepolter. Ich bin z. B. für die doppelte Staatsbürgerschaft, erst recht für ein Einwanderungsgesetz, aber - Sie haben das so schön in einen Rahmen gestellt - ich bin nicht für die Abschaffung der NATO. Das nur, um es gleich klarzustellen. ({0}) Meine Damen und Herren, in einem Punkt möchte ich Herrn Töpfer noch ergänzen: Herr Lafontaine, es war wirklich nicht in Ordnung - ich drücke mich so aus, wie es der Präsident erbeten hat -, ({1}) daß Sie in unserem Zusammenhang ein Kirchenwort zitieren. Ich bin Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche. Wir diskutieren dieses Papier auf der Basis eines Entwurfs. Es gibt dazu weder einen Beschluß des Rates der EKD noch einen Beschluß der Katholischen Bischofskonferenz. Bisher gibt es nur einen durch Indiskretion in die Zeitung gelangten Entwurf, den Sie hier nicht fälschlich als Kirchenwort darstellen können. ({2}) Wenn Sie zu höheren Mächten greifen müssen, Herr Lafontaine, macht dies nur deutlich, daß Ihre Argumente schwach sind. Daß ausgerechnet Sie das tun, verwundert mich allerdings. ({3}) Dem Bundesfinanzminister ist Anerkennung dafür auszusprechen, daß er einen Haushaltsentwurf vorgelegt hat. Außerdem hat er heute eine gute Rede gehalten; das will ich für die F.D.P.-Fraktion sagen. Ich füge hinzu, Herr Töpfer: Herr Lafontaine hat sich nicht nur geweigert, im Saarland einen Haushaltsentwurf vorzulegen. Er legt nicht einmal die Eckwerte für die Haushaltsentwicklung des Jahres 1995 vor. Er weigert sich beharrlich, dies zu tun. Dann kommt er hierher und hält uns gegenüber mahnende Reden, uns, die wir diesen Haushalt auf den Tisch gelegt haben. ({4}) - Herr Glos, man soll keine unnützen und fruchtlosen Aufforderungen loslassen. Das hat überhaupt keinen Sinn. ({5}) Wir sagen mit diesem Haushaltsentwurf, wie es weitergehen soll. Für die F.D.P. stimme ich der Grundkonzeption zu. Daß es Fragen und auch den einen oder anderen Einwand gibt, wird Herrn Waigel nicht wundern; Herr Lafontaine hat ja eine Bemerkung von mir aufgegriffen. Wir fragen auch, wie die steuerliche Freistellung des Existenzminimums bewerkstelligt werden soll, und wüßten gerne, ob wir wirklich ernsthaft daran denken können, die Förderung der neuen Bundesländer am 31. Dezember 1995 beenden zu können. ({6}) - Nein, natürlich nicht auf Pump. - Das sind Fragen an die mittelfristige Finanzplanung. ({7}) - Frau Matthäus-Maier, erstens möchte ich sagen: Ich habe mich über das Ankündigungsplakat in Ihrem Wahlkreis gefreut: „Viva la diva. Es spricht Ingrid Matthäus-Maier." Das fand ich fabelhaft. ({8}) Sie kennen das überhaupt nicht? - Fahren Sie einmal nach Bonnheim. Dort hängt es an jedem Baum. Daß Sie Ihren eigenen Wahlkreis nicht kennen, ist natürlich traurig. ({9}) Falls mich jemand mißverstanden haben sollte: Das Plakat hing an jedem Baum. ({10}) Viva la diva - das fand ich wirklich schön. Man sollte aber schon sagen, daß Herr Rexrodt diesen Irrtum längst klargestellt hat; auf diesem alten Schimmel können Sie nicht mehr lange herumreiten. Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister hat erfreulicherweise gesagt: Die Gewerbekapitalsteuer und die betriebliche Vermögensteuer sind die Steuerarten, an deren Abschaffung wir denken müssen. Das heißt natürlich, daß wir sie in den neuen Bundesländern, wo wir sie ausgesetzt haben, nicht wieder einführen werden. Das ist eine gute Sache. Ihre Vereinfachungsvorschläge zielen in die richtige Richtung. Manches könnte ein bißchen mutiger sein; es gibt auch falsche Ansätze. Der Wohneigentumsförderung durch den Schuldzinsenabzug wird ja sogar aus der CDU/CSU-Fraktion widersprochen. Wir halten es für falsch, weil dies eine klammheimliche Aufkommensverbesserung für den Fiskus bedeutete. Zum Wohnungsbau eine Bemerkung: Verehrter Herr Lafontaine, auch da haben Sie heute vom Leder gezogen. Haben Sie nicht noch vor drei Wochen in der Vertretung des Saarlandes gesagt: Gegen die Wohnungsbaupolitik kann ich nicht viel sagen; da habt ihr Erfolg, das ist in Ordnung? ({11}) - Den neuen Vorschlag haben Sie gar nicht gemeint; Sie haben von Wohnungsnot gesprochen. Sie wissen ganz genau: Im Augenblick wird in Deutschland in jeder Minute eine Wohnung fertiggestellt. Das ist eine Erfolgsbilanz. Nun bestreiten Sie es doch nicht! Es hat doch keinen Sinn, es hier zu bestreiten, dies aber in privaten Gesprächen einzuräumen, was völlig richtig war und was ich auch fair fand. Der Bund der Steuerzahler schlägt uns vor, 28 Steuerarten abzuschaffen. So wird es wohl nicht gehen. Der Grundgedanke aber ist nicht falsch: Die beste Steuervereinfachung ist die Abschaffung einer ganzen Steuerart. Das haben wir in der früheren Koalition im Jahre 1978 mit großem Geschrei, aber erfolgreich bei der Lohnsummensteuer gemacht; sie ist weg. Wir haben dies auch mit der Börsenumsatzsteuer und der Gesellschaftssteuer gemacht. Das ist der beste Weg. Beim Studium der Liste, die Sie vorgelegt haben, verehrter Herr Waigel, habe ich ein bißchen den Eindruck gewonnen, daß die Referate des Finanzministeriums peinlich darauf geachtet haben, sich nicht durch Reformeifer selbst überflüssig zu machen. Die F.D.P., meine Damen und Herren, will die Steuerentlastung der Bürger. Dabei wissen wir, daß am 1. Januar weitere Steuererhöhungen in Kraft treten. Bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode muß aber der Druck gesenkt werden. Dann sagen wir allerdings auch: Wer Steuerentlastung will, der muß auch Ausgaben kürzen. Davon hören wir bei unserem Koalitionspartner wenig, bei der SPD überhaupt nichts. Sind meine Herren Vorredner - Herr Töpfer, Herr Lafontaine - eigentlich bereit, an die energiepolitisch verfehlten Steinkohlesubventionen heranzugehen? ({12}) Wann sieht die SPD endlich ein, daß unsere Sozialsysteme transparenter und damit auch sparsamer gemacht werden müssen? Sind wir bereit, einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer durch Abbau der steuerlichen Vergünstigungen zuzustimmen, damit wir dann die Tarife absenken können? Wenn es nach den Steuerplänen der Sozialdemokraten geht, so wird uns das Fell ja noch mehr über die Ohren gezogen. - Oder wir stürzen uns weiter in die Verschuldung. Alle Ihre vielen Aufzählungen, Herr Lafontaine, stimmen doch hinten und vorne nicht. Sie wollen den von Ihnen zum 1. Januar 1995 mitbeschlossenen Solidarzuschlag von 7,5 % in eine Ergänzungsabgabe von 10 % für sogenannte Besserverdienende umwandeln. Wir fragen seit Monaten; auch heute haben Sie es nicht beantwortet: Wo nehmen Sie eigentlich die fehlenden Milliarden her? Herr Waigel hat gesagt, 7 Milliarden; lassen Sie es auch nur 5 sein - Sie verweigern hartnäckig jede Antwort. Sie wollen diese Änderung nach der Wahl noch zum 1. Januar 1995, falls Sie denn wirklich gewählt werden sollten, durchführen; das haben Sie ja gesagt. ({13}) Kommentar Hans Apel: Jeder, der halbwegs Fachmann ist, weiß, daß das gar nicht geht. Wer so etwas sagt, läßt Zweifel an seiner Seriosität aufkommen. ({14}) Aber, Herr Ministerpräsident, Sie sind eben nicht Fachmann, nicht einmal halbwegs. Aus Oskar-Super ist ja inzwischen auch Oskar-Light geworden. ({15}) Der Rechnungshof des Saarlandes hat Ihnen, Herr Lafontaine, bescheinigt, daß Sie als Ministerpräsident nicht in der Lage sind, die Anwendung der Steuergesetze im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen. Sie beschweren sich alleweil, daß die Steuer nicht genügend eingezogen wird, daß sie umgangen wird. Alles in Ordnung, alles richtig, aber die Steuerrückstände im Saarland sind doppelt so hoch wie im übrigen Bundesgebiet, so der Bundesrechnungshof. Und dieser Ministerpräsident soll Bundesfinanzminister, Hüter der Staatsfinanzen in Bonn werden? Meine Damen und Herren, ich habe neulich die Mutmaßung aufgestellt - und ich will das nicht wiederholen-, man setze ja auch nicht Al Capone zur Betreuung und Resozialisierung entlassener Strafgefangener ein. ({16}) Meine Damen und Herren, diese Amtszuteilung und diese Kompetenzzuweisung geht nur mit einem Kanzlerkandidaten, der in der Steuerpolitik Bruttoeinkommen nicht von Nettoeinkommen unterscheiden kann. Die Wahlprogramme von SPD und GRÜNEN zielen alle auf Ausweitung der Staatstätigkeit. Das geht nur mit mehr Geld, sei es über höhere Steuern oder mehr Schulden. Ihre Ankündigungen, die Steuerlast nicht zu erhöhen, passen nicht zu Ihren wirtschaftspolitischen und passen auch nicht zu Ihren industriepolitischen Zielsetzungen. Ich sehe Herrn Schröder an: Herr Schröder, was Ihnen vorschwebt, ist ja wohl nicht weniger Staatstätigkeit, sondern es ist mehr Staatstätigkeit. Ich bewundere übrigens Ihre Schnelligkeit, mit der Sie die Abwrack- oder Verschrottungsprämie in die Öffentlichkeit gebracht haben. Aber auch das bedeutet natürlich mehr staatliche Ausgaben. ({17}) - Ja, wir kommen darauf zurück. Ganz abgesehen davon, meine Damen und Herren, reicht die Nichterhöhung von Steuern und Abgaben angesichts der vorhandenen Abgabenlast und der Abgabenquote nicht aus. Sie müssen herunter, und Sie wollen sie erhöhen! Ich nenne nur die Arbeitsmarktabgabe und die Ausdehnung der Pflichtgrenze in der Sozialversicherung. Das sind Dinge, die immer ganz verschwiegen und nicht erwähnt werden, Herr Lafontaine. Aber Herr Dreßler verkündet das jeden zweiten Tage in der Öffentlichkeit, und wir wissen genau, was das für eine Zusatzbelastung wäre. Man kann wirklich nur sagen, die Bürger müssen die Taschen zuhalten, wenn Rot-Grün kommt. ({18}) Sie werfen Herrn Waigel vor, er sei der große Schuldenmacher. Das ist nun, wie ich finde, eine unredliche Betrachtungsweise. Ich habe hier selber schon vor Monaten festgestellt, daß die Schuldenlast und die Zinslast Anlaß zur Besorgnis geben. Aber ich habe auch deutlich gemacht, daß wir 1982 die Koalition beendet haben, weil Schulden entstanden waren, die vermeidbar gewesen sind, und es diesmal die Schulden sind, die für die Finanzierung der deutschen Einheit aufgenommen worden sind. Das ist ein erheblicher Unterschied. ({19}) Herr Lafontaine hat ja - das wissen wir alle - ein gebrochenes Verhältnis zur deutschen Einheit; sonst würden Sie doch wohl einsehen und selber wissen, daß die Transferleistungen dieses Jahres etwa der Nettoneuverschuldung der öffentlichen Hände ingesamt in Deutschland entsprechen. Das ist eine solide und vernünftige Haushaltspolitik, die insgesamt betrieben worden ist. ({20}) Meine Damen und Herren, zum Stichwort ökologische Steuerreform, das schon erwähnt worden ist. Da scheint es große Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg zu geben. Kernpunkte der Pläne der F.D.P. zu dieser Frage sind die folgenden: Wir treten mit Nachdruck dafür ein, daß vor der ökologischen Steuerreform und an erster Stelle die Entlastung der Bürger und die Vereinfachung des Steuersystems stehen. Das heutige Steuersystem dient primär der Finanzierung der Staatsausgaben, und dabei muß es primär wohl bleiben. Ökologisch motivierte Steuern haben das Ziel, Verbraucher und Unternehmer in ihrem Verhalten zu beeinflussen. Wir werden nur solche Steuern mittragen, die diese Lenkungsfunktion auch tatsächlich erfüllen. Ökologische Steuern sind sicherlich ein marktwirtschaftliches Instrument zur Verwirklichung umweltpolitischer Ziele, aber sakrosankt sind sie damit keineswegs. Welche Lösung haben wir z. B. für die Strompreise, die bei uns auf Grund der heutigen Kohlepolitik, der Kontingente für Importkohle, dem niedrig gehaltenen Anteil von Kernemergie künstlich überteuert sind? Werden wir auch auf solche volkswirtschaftlich falschen Preise eine ökologische Steuer erheben? Da gerade die externen Kosten der Umweltverschmutzung nicht über den Markt selbst geregelt werden, ist eine Öko-Steuer letztlich ein Staatseingriff, der nur als Ersatz für den Markt dient. Wer verhindert, daß der Staat dabei weit mehr als ökonomische Effizienz will? Es kursiert das Märchen, eine ökologische Steuerreform, sei sie denn nur aufkommensneutral gestaltet, ginge ohne Belastung der Bürger und der Unternehmen ab. Dankenswerterweise, Herr Lafontaine, hat Ihr Umweltminister Jo Leinen dem in der „FAZ" widersprochen. Was passiert mit dem Berufspendler, der durch Autobahngebühr und Mineralölsteuer hoch belastet wird? Was passiert mit der chemischen Industrie, mit der Stahlindustrie, die nach manchen Plänen Energiekostensteigerungen großen Ausmaßes zu erdulden haben? So einfach, daß wir sagen, das ist eben der Strukturwandel, können wir es uns wohl nicht machen. Der Beginn eines neuen Subventionskarussells kann es auch nicht sein. Dies alles spricht dafür, meine Damen und Herren - das ist die Meinung meiner Freunde -, vor eine ökologische Steuerreform die nachhaltige Nettoentlastung von Bürgern und Unternehmen zu stellen. Wir sollten uns daran erinnern, welche Wohlstandseinbußen, welche Kaufkraftverschiebungen, welche Arbeitslosigkeit die beiden Ölkrisen in den 70er Jahren verursacht haben. Der Anpassungsschock hat in der deutschen Wirtschaft noch lange nachgebebt. Heute ist Deutschland mehr denn je in die internationale Arbeitsteilung einbezogen. Anders als die Ölkrisen, die weltweit alle ölimportierenden Länder trafen, wirkt der nationale Einstieg in die ökologische Steuerreform allein zu Lasten unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Nationale Alleinlösungen in der Umweltpolitik mit der oft diskutierten Rigorosität werden zu Standortproblemen in Deutschland führen, die mit unseren heutigen völlig unvergleichbar sind. Also: Wir sind dafür, aber bitte europäisch abgestimmt und wirklich nur bei vorheriger genereller Steuersenkung. Ich kann mich nur wundern, Herr Lafontaine, daß Sie den Mut gehabt haben, ausgerechnet die OECD zu zitieren, um damit die Bundesregierung kritisieren zu wollen. Als ich das gelesen habe, hatte ich gerade einen öffentlichen Auftritt vor mir und habe dazu sagen müssen: Ein besseres Lob für die Politik dieser Bundesregierung als die OECD - ich versichere Ihnen, das ist keine Unterabteilung des ThomasDehler-Hauses und auch nicht der Bundesregierung - es zu Papier gebracht hat, kann man kaum lesen. ({21}) Herr Lafontaine, äußern Sie sich bitte einmal zu diesen Aufforderungen: Es sollen die Ausgaben gesenkt werden, es soll der Arbeitsmarkt flexibler gestaltet werden, es sollen die Lohnanstiege unter der Produktivitätsentwicklung bleiben. All das steht im OECD-Bericht. Es wäre neu, wenn das plötzlich die Politik der Sozialdemokraten, von den GRÜNEN ganz zu schweigen, wäre. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch eines sagen, auch weil es mich persönlich bewegt. Diese Bemerkungen über DDR-Blockparteien - darüber, Herr Lafontaine, haben wir kürzlich schon einmal diskutiert - sind vollständig unangebracht, um es wieder in der Tonart zu sagen, die der Präsident erbeten hat. ({22}) Die SPD hat wohl gewußt, warum sie in der DDR nicht mit der CDU und mit der LDPD gemeinsame Papiere unterschrieben hat, sondern mit der Partei, auf die es in der DDR eben einzig und allein ankam, nämlich auf die Partei der sogenannten Arbeiter- und Bauernklasse, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Mit denen haben Sie die Papiere unterschrieben. ({23}) Genauso, wie frühere Sozialdemokraten in die Konzentrationslager und Zuchthäuser und teilweise Hinrichtungsstätten des DDR-Regimes gegangen sind, sind doch Mitglieder der früheren LDPD und früheren CDU dort hingekommen. Viele der Mitglieder haben sich in diese Parteien gerettet, um sich vor dem Zugriff der SED zu schützen. Es ist unrichtig, in bezug auf sie in dieselbe Kerbe zu hauen. ({24}) Ich empfehle Ihnen beiden, die Sie heute auf der Bundesratsbank sitzen: Denken Sie bitte noch einmal über Ihre Avancen und Offerten in Richtung PDS nach. Sie ist eben nicht die Nachfolgepartei der SED; sie ist die SED, die sich ein anderes Namensschild auf die Tür geklebt hat. Das ist alles. Sie ist doch niemals aufgelöst worden. ({25}) Sie sind die beiden Mitglieder der Troika, die die stärksten Befürworter einer Zusammenarbeit mit der PDS sind. Erlauben Sie mir die Zwischenbemerkung: Bei dem Begriff „Troika" kommen einem ja Reminiszenzen. Verglichen mit der Troika, die wir von früher kennen, ist das jetzt eine Dünndruckausgabe. ({26}) Aber Sie müssen doch wohl zur Kenntnis nehmen, daß sich Herr Höppner in Magdeburg jetzt schon zurückzieht und sich die Verantwortung nicht zuweisen läßt, sondern sagt: Das waren Herr Scharping und Herr Verheugen. An dem werden Sie sowieso noch viel Vergnügen haben. ({27}) - Wenn Sie das Vergnügen, das Herr Verheugen bereitet, auch noch einmal an Hand eines Zitates verdeutlicht bekommen wollen: Ich lese mit dem größten Amüsement, daß Herr Verheugen Bundeskanzler Kohl unentwegt auffordert, mit Herrn Scharping in den Ring zu steigen. Mit eben solcher Hartnäckigkeit hat derselbe Herr Verheugen, als er noch bei uns war, Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgefordert, sich unter keinen Umständen auf ein solches Duell einzulassen. So war das. ({28}) Seien Sie sicher: Wir haben ihn überlebt; auch Sie werden ihn überleben. ({29}) Da ich gerade, ganz zum Schluß, bei Helmut Schmidt angekommen bin, meine Damen und Herren: In bezug auf die Rede, die er in Dortmund gehalten hat, muß ich sagen: Ich weiß nicht, ob ein Altbundeskanzler so reden sollte. Ich habe eine Bitte an ihn: Ich möchte von Helmut Schmidt endlich öffentlich hören, was er von dieser Zusammenarbeit mit der PDS hält. Ich kann mir überhaupt nichts anderes denken, als daß die Antwort kommt, die ich erwarte und die Ihnen nicht paßt. Es wird höchste Zeit, daß hier einmal Klartext gesprochen und nicht nur geschimpft wird. ({30})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Barbara Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Töpfer, bevor Sie den Saal verlassen: Seien Sie versichert, daß die PDS sich an dieser Schlammschlacht hier nicht beteiligen wird. Aber indem Sie die PDS schelten, schelten Sie natürlich die Wählerinnen und Wähler dieser Partei. Ich frage mich wirklich, welches Demokratieverständnis Sie haben, wenn Sie Menschen beschimpfen, die sich sehr bewußt für eine Partei entscheiden, die in die Opposition will und die die Opposition nicht nur als Wartebank für eine Regierungsverantwortung betrachtet, sondern die aus der Opposition heraus Einfluß auf die demokratische Entwicklung dieses Landes nehmen will. ({0}) Sie haben einfach Angst vor Veränderungen. Opposition beginnt mit Veränderung; Veränderung beginnt mit Opposition. Sie haben aber eine wahnsinnige Angst vor solchen Veränderungen. Herr Waigel, Sie haben vorhin behauptet, jede Mark fließe in Freiheit und selbstbestimmtes Leben, jede Mark sei für Investitionen und für soziale Sicherheit ausgegeben. Ich frage Sie, ob Sie nicht jeglichen Schamgefühls verlustig gegangen sind. Wenn in Deutschland über 4 Millionen Menschen von der Sozialhilfe leben - das ist eine Alimentierung durch den Staat -, frage ich Sie: Wo ist da ein selbstbestimmtes Leben möglich? Die Würde des Menschen ist laut Grundgesetz unantastbar. Diese Aussage des Grundgesetzes hat leider für viele Menschen in diesem Lande keine Bedeutung mehr. Wir meinen: Es tut Veränderung not, für eine Million Obdachlose, für 800 000 Kinder, die in Haushalten leben, die mit Sozialhilfe auskommen müssen. Veränderung braucht dieses Land. ({1}) Ich denke, der Bundeshaushalt 1995, der uns jetzt vorliegt, ist ein reiner Wahlkampfhaushalt. Der Kassensturz, der anstehen wird, wird dann entweder von Herrn Waigel oder von Herrn Lafontaine vorgenommen werden. Beiden muß ich jedenfalls den Vorwurf machen, daß sie in ihren Vorschlägen Deckungslükken haben. Die Finanzierung ist nicht klar. Beide halten sich die Hintertür mit dem Finanzierungsvorbehalt offen. Die PDS wird im neuen Bundestag die SPD sofort unterstützen, wenn sie an die Vorschläge anknüpft, die die SPD-Linken auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden eingebracht haben und die auf eine klare Reformalternative zielen. Ich nenne nur ein Beispiel: die Erhöhung des Vermögensteuersatzes auf das Dreifache. Demgegenüber beklagt Herr Lafontaine in Interviews leider, daß die Bundesregierung angeblich plant, diesen Vermögensteuersatz zu erhöhen. Wenn diese Entscheidung gefallen ist, sind wir sehr gern bereit, die SPD-Linke hier zu unterstützen. Ich meine, es entspricht auch der Wahrheit, wenn wir hier sagen müssen, daß diese SPD im Bundestag vielfache Sozialkürzungen mitgetragen und ihre Möglichkeiten im Bundesrat nicht genutzt hat, um bestimmte Dinge des Sozialabbaus zu stoppen. Die PDS sagt eindeutig: Wir brauchen keinen Sozialhilfestaat. Wir brauchen einen Sozialstaat. ({2}) Wenn sich Herr Lafontaine z. B. in der 664. Bundesratssitzung offenhält, indem er sagt: Wir Sozialdemokraten sagen nicht, daß Einschnitte in konsumtive Ausgaben nicht vorgenommen werden dürfen. Wir haben deshalb schon beim Solidarpakt einer Begrenzung etwa des Zuwachses der Sozialhilfe zugestimmt. Wir haben das jetzt im Vermittlungsausschuß für die nächsten Jahre wieder getan... Deshalb gehören auch alle sozialen Leistungen auf den Prüfstand. Ich wiederhole das hier. Das steuerpolitische Programm der SPD verspricht schlichtweg nur eines: Wir machen zwar dasselbe wie die Bundesregierung, aber wir machen es formvollendeter. Eine wichtige Frage ist natürlich: Wie verhält sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? Immerhin war es die Partei, die hier jahrelang gegen das Establishment angerannt ist. Aber: Mit der Mauer, gegen die sie angerannt ist, hat man sich wohl versöhnt. Dann lese ich von Herrn Fischer in der „Kinder-FAZ" , daß man sich doch endlich von Umverteilungsträumen verabschieden muß: Trotz zahlreicher Wirtschaftsskandale - wie beispielsweise um den Baulöwen Jürgen Schneider - sieht Fischer keinen Bedarf an zusätzlichen staatlichen Maßnamen und Eingriffen bei Banken und Unternehmen. Er hat dies noch ergänzt und sagt: In jeder Wirtschaftskrise gibt es große Zusammenbrüche, das stellt nicht unbedingt das System in Frage. Ich meine: Hier tut tatsächlich Druck aus der Opposition, egal, auf welche Regierung, die dann hier in Bonn herrschen wird, not. ({3}) Herr Waigel, wo sind bei Ihnen, so frage ich mich, Wahrheit und Klarheit des Haushalts? Ich habe heute zum erstenmal gehört, daß es tatsächlich eine Nettobelastung an Zuschüssen für die neuen Bundesländer von real 270 Milliarden DM gibt. Heute ist der 6. September. Aber: Am 30. August gaben Sie noch eine Pressemeldung heraus, in der - ich zitiere - stand: 90 % der Bevölkerung in den neuen Bundesländern wüßten nicht, daß in den letzten vier Jahren insgesamt 600 Milliarden Mark an Transferleistungen nach Osten geflossen seien. ({4}) ... Wenn diese Tatsachen wirklich an die Wähler gebracht werden könnten, sei ihm um das Ergebnis der Wahl in Ostdeutschland nicht bang. Das ist also schlicht eine Erhöhung unter der Hand um 40 Milliarden DM, und es wird hier mit Bruttosummen gehandelt, nicht rückgerechnet. Das ist Wählerbetrug. Ich frage mich wirklich: Was wollen Sie damit bezwecken? Wenn Sie hier vorwerfen, Neid und Mißgunst zu schüren, so instrumentalisieren Sie diese TransferleiDr. Barbara Höll stungen, indem Sie den Ostdeutschen überhöhtes Anspruchsdenken vorwerfen und das dann benutzen, um soziale Leistungen des Staates in Gesamtdeutschland abzubauen. Ich halte das wirklich für sehr verheerend. Eine zweite Linie, die Sie bei den Argumentationen sehr verfolgen, ist natürlich, daß es auch einen wahnsinnig hohen Schuldenberg gibt, den Sie aus der DDR übernommen haben. Sie nannten vorhin eine Zahl: Die Gesamtverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden wird 1994 auf 2,1 Billionen DM anwachsen. Nun dürfte jedem, der rechnen kann, klar sein, daß dies nicht allein Schulden aus der DDR sein können. Selbst wenn es so wäre, so muß ich sagen, wäre hier wieder nicht der Finger auf den wunden Punkt gelegt worden, sondern Sie versuchen wieder, anzuknüpfen, Mauern aufzubauen und zu spalten. Sie spalten in diesem Land. Die Mauer teilt nicht Ost und West, sondern oben und unten. Um jedoch nicht im Raum stehen zu lassen, daß diese Zahlen real seien, möchte ich einmal aus dem Protokoll des Untersuchungsausschusses „Treuhand" zitieren. Das steht in der Ausschußdrucksache 26. Ich denke, der frühere Bundesbankpräsident Pöhl ist kaum verdächtig, für die PDS auszusagen: Die DDR hatte ja interessanterweise fast keine Staatsschulden; die Regierung hatte praktisch keine Schulden oder nur geringe Schulden. ({5}) ... Verglichen mit Polen z. B. oder mit anderen Ostblockstaaten war es nicht sehr hoch... hat uns auch keine großen Probleme bereitet, weil wir gesagt haben: Gut, das wird übernommen, erledigt. Herr Pöhl hat die Währungsunion gegenüber dem Untersuchungsausschuß nicht nur als eine Roßkur bezeichnet, die „keine Wirtschaft aushält", sondern auch bestätigt, daß er sie vor dem Europäischen Parlament wirklich als Desaster bezeichnet hatte. Der Schuldenberg von jetzt 400 Milliarden DM, den der Bund abtragen muß, ist die Folge der gegen jeden ökonomischen Sachverstand aus politischen Erwägungen herbeigeführten Währungsunion. ({6}) Hier wuchs nichts zusammen; hier wurde etwas zusammengenagelt. 400 Milliarden DM Schulden sind nicht die Hinterlassenschaft von Erich Honecker und Günter Mittag. Wir müssen klar sagen: Dies ist die Erblast aus vier Jahren christlich-liberaler Wirtschafts- und Finanzpolitik. ({7}) Das ist die Wahrheit und nichts anderes. Lassen Sie mich nun zum Haushaltsentwurf für 1995 kommen. Einiges hat Herr Lafontaine schon gesagt. Ich möchte hier nur kurz sechs Unbekannte anschneiden, mit denen Sie versuchen, zu verschleiern, wie hoch das Haushaltsdefizit in Wahrheit ist. Erstens: die Arbeitslosenhilfe. Das wurde schon vorhin ausgeführt. Zweitens. Der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit soll 1995 von 18 auf 14,8 Milliarden DM gekürzt werden - und das bei einer offiziellen Arbeitslosenzahl von über 3 Millionen Menschen. Nun frage ich Sie: Ist das nicht eindeutig ein Rückzug aus aktiver Arbeitsmarktpolitik? Hat nicht die Politik der letzten vier Jahre gezeigt, daß der Rückzug, den Sie schon angetreten sind, nichts bringt? Ungedeckt sind hier mindestens 3,2 Milliarden DM. Der Gipfel ist, daß der Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit bis 1998 auf null DM heruntergefahren werden soll. ({8}) Denn - ich zitiere -: Der Finanzplan geht - nach voraussichtlich 3,85 Millionen Arbeitslosen im Jahr 1994 - ab 1995 von einem kontinuierlichen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen in West und Ost aus. Drucksache 12/8001, Seite 9. - Das widerspricht doch wohl allen Tatsachen; das widerspricht allem, was auch die Industrie und das Handwerk sagen. Das ist eine beispiellose Unverfrorenheit. Die dritte Unwägbarkeit in Ihrem Haushaltsentwurf: die ungedeckte geplante Selbstbedienung des Herrn Waigel aus der ehemaligen Staatsbank der DDR, Deckungsdefizit 5 Milliarden DM. Viertens. Die von der CDU/CSU versprochene Erhöhung der sozial ungerechten Kinderfreibeträge von 4 104 DM auf 7 000 DM wird zu Steuerausfällen von 12 Milliarden DM führen und zementiert die sozial ungerechte Verteilung. Fünftens. Die vom Bundesverfassungsgericht zum 1. Januar 1996 verlangte Steuerfreistellung des Existenzminimums wird zu einem Defizit von 42,6 Milliarden führen. Die mittelfristige Finanzplanung berücksichtigt diese Steuerausfälle nicht einmal. Selbst bei der schrittweisen Einführung haben Sie die 12 Milliarden DM unter den Tisch fallen lassen und nirgends gedeckt. Sechstens. Die Bundesregierung beabsichtigt eine weitere Senkung der Unternehmensbesteuerung in Höhe von 30 Milliarden DM. Das soll aufkommensneutral geschehen; aber auch hier ist nicht klar, wie das gedeckt werden soll. Wir haben für 1995 Luftbuchungen in Höhe von mindestens 12,2 Milliarden DM und ab 1996 eine Deckungslücke von 82 Milliarden DM. Der Schwerpunkt, den die Bundesregierung im Haushaltsplan 1995 setzt, ist eindeutig die personelle und materielle Aufrüstung des Bundesgrenzschutzes und des Bundeskriminalamtes unter dem Slogan „innere und äußere Sicherheit". Aber es kommt tatsächlich nicht ein Polizist mehr auf die Straße, der den Bürgerinnen und Bürgern mehr Schutz verleihen könnte, sondern es geht um den Bundesgrenzschutz. Sie stocken den Verteidigungshaushalt weiter auf, und Sie wollen gleichzeitig im Bereich der Sozialausgaben in einer beträchtlichen Größenordnung sparen. Laut Finanzplan beträgt der Anteil der Sozialausga21 260 ben am Haushalt 1995 178,8 Milliarden DM oder 36,9 %. Das soll um über 30 Milliarden DM auf 32,3 % heruntergefahren werden. Also: Nichts für Arbeitslose! Nichts für Obdachlose! Keine aktive Politik, um hier etwas zu ändern! Die Steuerpolitik ist insgesamt zu einem zentralen Thema des Bundestagswahlkampfes geworden. Herr Waigel hat kein Steuerkonzept gemeinsam mit der F.D.P. vorgelegt. Es gibt zwar ein Diskussionspaket zur Steuervereinfachung, aber es gibt keine reale Umverteilung. Es gibt nicht das, was not tut, nämlich eine Umverteilung von oben nach unten. Kehren Sie endlich Ihren Kurs, den Sie seit 1982 fahren, um. Die PDS hat im Unterschied zu anderen Parteien in ihrem Wahlprogramm ausgeführt, wie Reformen tatsächlich finanziert werden können. Wir sind für eine Umverteilung. Wir stehen dazu. Wir sind für eine sozial und ökologisch ausgerichtete Steuerreform. Wir wollen die Steuerprivilegien für die Vermögenden und Besserverdienenden abbauen und Steuerentlastungen für Bezieherinnen und Bezieher unterer und mittlerer Einkommen durchsetzen u. a. durch Abschaffung der sozial ungerechten Kinderfreibeträge, durch ein erhöhtes einheitliches Kindergeld sowie durch die Abschaffung des Ehegattensplittings. Umfangreicher Immobilienbesitz, Spekulationsgewinne, große Vermögen und Erbschaften sind bei Sicherung sozial gerechterer Freibeträge höher oder überhaupt erst zu besteuern. In diesem Land gibt es eindeutig nicht zuwenig Geld. Es ist nur ungerecht verteilt. Ein letztes Beispiel:

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Darf ich den Satz noch sagen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Gewinne der Bundesbank von 1993 in Höhe von 2 200 Millionen DM könnte man z. B. wesentlich anders einsetzen - da, wo sie tatsächlich für die Menschen gebraucht werden. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor allen Dingen Frau Höll! Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben uns weder mit dem neuen noch mit dem alten System arrangiert, sondern wir haben auf Reformen bestanden. Das unterscheidet uns, glaube ich, sehr wesentlich, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen und heute skrupellos und unverfroren mit unseren Arbeitsergebnissen wie der ökologischen Steuerreform hausieren gehen. ({0}) Über den Finanzminister dieser Koalition kann man ja sagen, was man will, in einer Hinsicht ist auf ihn Verlaß: Seine Zahlen sind mit Sicherheit falsch - so auch die neue Finanzplanung. ({1}) Dieser Haushalt ist nicht ernstgemeint, Herr Waigel, das wissen Sie selbst, sondern reines Spielmaterial für den Wahlkampf. Gerade die Finanzpolitik der letzten Jahre beruhte ja nicht auf umsichtigen Überlegungen, sondern auf gut Glück. Nur eines war vorprogrammiert: der unbedingte Erfolg; egal, welche Darstellungskünste Sie da am Ende aufbringen müssen. Insofern hätten Sie Ihre heutige Rede schon 1990 schreiben können. Sie hat mich in weiten Passagen an die wiederholte Silvesteransprache des Kanzlers erinnert. ({2}) Sie sprechen von Konsolidierung der Staatsfinanzen, aber je länger Sie sprechen, desto ungezügelter weitet sich die Neuverschuldung des Bundes aus. Sie übertreffen sogar die einst so beliebte Fernsehshow „Jede Sekunde ein Schilling". Wer erinnert sich nicht an die wundersame Erhöhung der Defizitannahmen aus den letzten Jahren? Zunächst wurde für das Jahr 1994 mit einem Defizit von 28 Milliarden DM gerechnet. Jetzt sind wir bereits bei einer Neuverschuldung von 70 Milliarden DM angekommen; das ist mehr als doppelt so hoch. Eigentlich lassen sich die chronischen Fehlbeträge nur noch mit einem Dauerstaatsabo auf den Jackpot ausgleichen. Der Bundesfinanzminister arbeitet bewußt mit falschen Zahlen, um eine Konsolidierung vorzutäuschen. Für den Bund wird eine Reduzierung von den 70 Milliarden DM in diesem Jahr auf 25 Milliarden DM im Jahr 1998 vorgegaukelt. Unverzagt baut der Finanzminister ein Potemkinsches Dorf in eine Fata Morgana. Die Steuereinnahmen sind viel zu hoch angesetzt. Weder die Steuerbefreiung des Existenzminimums, noch die Verbesserung des Familienlastenausgleichs, noch die versprochenen Unternehmenssteuersenkungen sind in der Planung berücksichtigt. Nur ein Beispiel: Die steuerliche Freistellung des Existenzminimums ab 1996 wird etwa 40 Milliarden DM kosten. Dafür gibt es aber keine Vorsorge der Bundesregierung. ({3}) Statt dessen schreibt Herr Waigel die finanziellen Auswirkungen der geltenden unsinnigen Übergangsregelung einfach fort. Wie wir jetzt hören, will die Bundesregierung auch gar keine verfassungskonformen Reformen durchsetzen. Nicht einmal die versprochenen 15 Milliarden DM sind in der Finanzplanung berücksichtigt. Das Werner Schulz ({4}) gleiche gilt für die Reform des Familienlastenausgleichs. Entweder will diese Regierung überhaupt keine Reformen des Einkommenssteuerrechts und des Familienlastenausgleichs durchsetzen, oder sie vermittelt ein falsches Bild der zukünftigen Finanzpolitik. Doch vermutlich trifft beides zu. Darin liegt die wirkliche Gefahr für unser Land. Herr Waigel, ich sage Ihnen ganz klar: Ich fürchte weniger die an der kurzen Leine gehaltenen roten Socken als die roten Zahlen in Ihrer Staatskasse. Das ist die Erbschaft, die Rot-Grün antreten wird, und das ist eine schwere Erblast. Solange Theo Waigel die Hand in der Kasse hat, wird die Gesamtverschuldung ungebremst weitergehen. Die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte macht den Staat zunehmend handlungsunfähig. In nur fünf Jahren ist eine Verdoppelung der Staatsschuld eingetreten. Ein Großteil der Bundesschuld wurde in Sondertöpfen versteckt. Um diese Situation zu verändern, bleibt der Koalition eigentlich nur die Steuererhöhung. Noch wird das lauthals dementiert. Doch wir dürfen und sollten nicht vergessen, daß diese Regierung trotz gegenteiliger Ankündigungen die Steuern in der Vergangenheit vielfach und in ungerechter Weise erhöht hat. Statt soziale Gerechtigkeit zu schaffen, hat diese Regierung durch ihre Schuldenpolitik die Lösung von Verteilungskonflikten auf die künftige Generation verschoben. Zugleich werden die Schwachen der Gesellschaft schonungslos geschröpft. Der Haushalt ist der in Mark und Pfennig ausgedrückte Spaltungsvorgang der Nation im Namen der deutschen Einheit. Der erneute Versuch, die originäre Arbeitslosenhilfe zu streichen und die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu begrenzen, zeigt, daß die soziale Kälte im Gruselkabinett des Dr. Kohl auf den absoluten Nullpunkt zugeht. Doch dieser Raubzug auf Kosten der Arbeitslosen löst nicht die Probleme der Staatsfinanzen, sondern verlagert die Milliardenlasten nur auf die Sozialhilfe der Kommunen. Ich sage es noch einmal, obwohl es Sie, Herr Waigel, unlängst sehr geärgert, jedoch an Ihrer Planung nichts verrückt hat: Das gute Wort Solidarität ist in Ihrer Regierungszeit vom Gemeinsinn zur Gemeinheit verkommen. Weitere Haushaltskürzungen sind leider auch bei jenen Aufgaben zu verzeichnen, welche die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft betreffen. In der Bildungspolitik sollen die Ausgaben von 1995 bis 1998 gar um 7 % sinken. Andererseits hat diese Regierung versucht, mit Steuersenkungen für Unternehmen, genauer gesagt: für Unternehmer die Standortbedingungen für die deutsche Wirtschaft zu verbessern. Doch allein die Arbeitslosenzahlen belegen, daß diese Strategie gescheitert ist. Außerdem unterhöhlt die unsoziale Umverteilungspolitik der Bundesregierung jenen Standortfaktor, der bislang als Festwert dieser Republik angesehen wurde: den sozialen Frieden. Er ist durch die KKW-Regierung, wie sie normalerweise hier sitzt - Kohl, Kinkel, Waigel -, in Gefahr geraten. Schon wieder werden neue Unternehmensteuersenkungen versprochen. Der Zynismus blüht. Während bei den Unternehmen die Steuern weiter gesenkt werden sollen, stehen Millionen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern drastische Kürzungen ins Haus, sofern sie überhaupt noch eines haben. In atemberaubender Frechheit hat Wirtschaftsminister Rexrodt Steuersenkungen auf Pump zugunsten der Unternehmen vorgeschlagen. Er unterschlägt, daß gerade die Finanz- und Steuerpolitik dieser Regierung zu einer Schwächung der wirtschaftspolitischen Standortbedingungen geführt hat. Doch damit nicht genug: Die Bundesregierung benutzt die Kassen der Sozialversicherung mißbräuchlich zur Finanzierung der deutschen Einheit. Auch damit wurden die Lohnnebenkosten in die Höhe getrieben. Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Subventionsabbau. Diese Regierung wollte immer Subventionen kürzen. Wie der jüngste Subventionsbericht offenbart, operiert die Regierung auch hier mit falschen Versprechungen. Eine vernünftige Regelung, nämlich die Befristung von Subventionen, ist auf Betreiben des Finanzministers wieder gestrichen worden. Nach wie vor soll verschwiegen werden, daß die Subventionen vielfach der Unterstützung wichtiger Wählergruppen und nicht wirtschaftspolitischen Zielen dienen und ganz im Gegenteil, wie in der Landwirtschaft und in der Verkehrspolitik zu sehen, eher verheerende Folgen für die Umwelt haben. Daran zeigt sich: Diese Regierung will keinen Kurswechsel in der Finanzpolitik. Sie beharrt auf einem ökologisch unverträglichen und sozial ungerechten Steuersystem. Ein Dickicht an steuerlichen Privilegien hat Ausnahmetatbestände in Dauerbegünstigungen verwandelt. Der Geschenke nicht genug, soll das Dienstmädchenprivileg noch erweitert werden. „Schaffung von steuerbegünstigten Arbeitsplätzen in privaten Haushalten" heißt der Clou der Regierung. ({5}) Endlich kann sich König Kurt von Sachsen einen abgewickelten Reichsbahner zur Pflege seiner Modelleisenbahnsammlung leisten. Das sind die Beiträge dieser Regierung zur Senkung der Arbeitslosigkeit. ({6}) In der Bekämpfung des Steuermißbrauchs liegen die Einnahmereserven für diesen Staat; doch aus Bayern weiß Herr Waigel zu berichten, daß der Zwick die Mittel heiligt, und so stürzt er sich lieber auf den angeblich so dramatischen Sozialmißbrauch. Die Frage, die in sechs Wochen entschieden wird, ist, ob das Waigelsche Finanzchaos fortgesetzt wird oder eine ehrliche Bestandsaufnahme stattfindet, ob eine sozial gerechte Aufbringung des Solidarbeitrags, also 10 % von den Besserverdienenden, oder 7,5 % von allen stattfindet. Letzteres, alle zu kassieren, ist Politik ohne Bart. Da werden alle abrasiert, und deswegen ist der Kanzler momentan auch unterwegs, um im Wahlkampf alle Leute einzuseifen. ({7}) Werner Schulz ({8}) Der Finanzminister hat die Stirn, sich hier hinzustellen und die Bilanz der Treuhand zu loben, einer marktwirtschaftlichen Dunkelkammer sondersgleichen, für die eigentlich Sie, Herr Waigel, verantwortlich sind. Aber Sie haben sich eben hinter dem Rücken von Frau Breuel versteckt. Neben den Sozialtranfers, die von den vielen kleinen Leuten hier im Westen für den Osten aufgebracht worden sind, hat es auch einen Vermögenstransfer von Ost nach West gegeben, der nur wenige Gewinner, allerdings den Steuerzahlern große Schulden gebracht hat. Sie haben bei dem Dank an Herrn Rohwedder und an Frau Breuel Jens Odewald vergessen, den Kanzlerintimus, Verwaltungsratsvorsitzender und KaufhofChef, der in vier Jahren immerhin das geschafft hat, was in der alten Bundesrepublik 20 Jahre gedauert hat, nämlich den Einzelhandel, die Existenzchance für viele kleine Existenzgründer im Osten, kaputtzumachen. Jens Odewald jedenfalls ist Ihnen dankbar, und hat sich mit einer Kampagne „Wir verkohlen Deutschland" oder wie das Motto heißt, mit dem er jetzt für den Kanzler trommelt, bedankt. Unverkrampft hat der neue Bundespräsident das undurchschaubare Steuerrecht kritisiert. ({9}) - So etwas brauchen Sie gelegentlich, glaube ich. ({10}) Denn die Mitgift, die wir von Ihnen zu erwarten haben, ist auch nicht gerade ohne. Was der neue Bundespräsident geäußert hat, scheint dem Finanzminister zu mißfallen; doch wie sollte man von einem, der bis zum Hals im Abwasser steckt, ({11}) die Trockenlegung des Steuersumpfes erwarten? Jetzt hat Theo Waigel ein Diskussionspapier zur Steuervereinfachung vorgelegt. ({12}) - Sie sollten sich zurückhalten, wenn Sie auf der Regierungsbank sitzen; das muß man Ihnen wahrscheinlich immer wieder einmal sagen. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schulz, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff zu beantworten?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Schulz, sind Sie sich bei Ihrer Kritik an der Anzeigenaktion, die Herr Odewald ins Leben gerufen hat, eigentlich darüber im klaren, daß sich daran z. B. unser Kollege Hermann Rappe beteiligt und daß sich Ignatz Bubis beteiligt, und halten Sie es vor diesem Hintergrund eigentlich für richtig, hier solche niederträchtigen Anschuldigungen loszulassen? ({0})

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe, Graf Lambsdorff, von den Initiatoren der Kampagne gesprochen. Ich habe davon gesprochen, daß sich ein Mann beim Kanzler dafür bedankt hat, daß er in den letzten vier Jahren mit der Ausdehnung des Großhandels in Deutschland ein hervorragendes Schnäppchen machen konnte. Und ich habe davon gesprochen, daß hier bewußt eine ideologische Kampagne gegen das angebliche Miesmachertum in Deutschland betrieben wird. Damit werden die Kritiker, die Kritik am Standort Deutschland üben und die Kritik an der Wirtschaftspolitik üben, für die Sie ja mitverantwortlich sind - Sie übrigens noch viel länger als der Bundeskanzler, weil Sie ja an fast allen Bundesregierungen beteiligt waren -, in der Öffentlichkeit herabgewürdigt. Es ist doch Demagogie, wenn gesagt wird, daß wir diesen Standort miesmachen wollten. Deswegen rede ich von der Kampagne „Wir verkohlen Deutschland". ({0}) - Wenn Sie noch lange weitermachen, werden wir hier bald keine Standortfaktoren mehr vorfinden, die für Investoren reizvoll sind. ({1}) Die Vorschläge, die Herr Waigel zur Vereinfachung des Steuersystems aufgenommen hat, ({2}) sind noch nicht einmal im Finanzministerium gründlich geprüft worden. So gut wie kein Vorschlag aus der langen Liste der Reformkonzepte, welche die Steuerexperten in den letzten Monaten bei den Anhörungen des Finanzausschusses vorgelegt haben, findet sich in dieser Liste wieder. Ich kann daraus nur schließen, daß dieser Finanzminister am ungerechten und unübersichtlichen Steuersystem festhalten will. Ein solcher Finanzminister wird natürlich nicht zurücktreten; er muß abgewählt werden. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Adolf Roth das Wort.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, es wird vielen so gehen: Der Eindruck von der bisherigen Debatte und ihrem Verlauf zeigt, daß die SPD ein Meister beim Auswechseln ihrer jeweiligen Angriffsbilder, auch ihrer Hoffnungsträger ist, daß sie Adolf Roth ({0}) aber einen einleuchtenden Entwurf eigener Politik bisher weder zustande gebracht noch diesem Haus präsentiert hat. ({1}) Meine Damen und Herren, wer sich da noch auf den Wechsel freuen soll, wenn er die Reden dieser bunten Truppe in der letzten Stunde hier im Zusammenhang verfolgt hat, der muß schon ein eigenartiges Bild von politischer und demokratischer Entwicklung in Deutschland haben. Diese Verschärfung der Demagogie, diese niederträchtige Polemik, die dieses Haus gerade mit Blick auf den Haushalt 1995 eigentlich nicht vertragen kann, sprechen für sich. Ich möchte hoffen, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land merken, welche Tradition sich hier wieder zusammenfügt. Es ist gut, daß wir mit einer verläßlichen Koalition die Aufgaben der nächsten Jahre in Angriff nehmen können. ({2}) Als wir in den 80er Jahren den von der SPD zerrütteten Staatshaushalt in Ordnung bringen mußten - das war gewiß eine schwierige Arbeit -, mußte sich Gerhard Stoltenberg von Hans Apel „kaputtsparen", „totsparen" vorwerfen lassen. Tatsächlich aber hat die Konsolidierungspolitik der CDU/CSU und F.D.P. den längsten und stabilsten Wirtschaftsaufschwung nach 1945 zustande gebracht. Und die SPD ist überall in ihren eigenen Verantwortungsbereichen in den Ländern und Gemeinden, wo man damals eine aktive Offensive gegen Politik, gegen Strategie mit Schuldenmacherei empfohlen hatte, kläglich gescheitert. Das ist die Situation. ({3}) Wo wären wir denn 1989 in der Stunde der Wiedervereinigung gewesen, wenn wir damals nicht konsolidierte und geordnete Staatsfinanzen gehabt hätten? Theo Waigel, der damals ins Amt kam, hat den schwierigsten Umbau der Finanzgeschichte in Deutschland gemeistert, ({4}) ohne wirtschaftliches Chaos, ohne Verwerfungen auf den Finanzmärkten und vor allem ohne Stabilitätseinbußen beim Geld! Das ist die historische Leistung, über die wir uns gemeinsam freuen können. ({5}) Im vergangenen Herbst haben wir ein drohendes 100-Milliarden-DM-Defizit abwenden müssen. Es hat große Sparaktionen gegeben, das Föderale Konsolidierungsprogramm, die Spar- und Wachstumsgesetze. Im Haushaltsverfahren hat die Koalition weitere 10 Milliarden DM Entlastungen gebracht, so daß wir die Kreditaufnahme des Bundes um 30 Milliarden DM vermindern konnten, obwohl ein Wahljahr, ein Superwahljahr, ins Haus stand und mancher geglaubt hat, wir würden jetzt mit dem Füllhorn von Wahlgeschenken operieren. Damals war der Aufruhr in der SPD groß. Die einen sprachen von einem gefährlichen Nachfrageentzug - Herr Lafontaine hat ja heute wieder ähnliche Töne anklingen lassen -, andere wie die Kollegen Wieczorek und Rudi Walther sind nicht müde geworden, um 15 bis 20 Milliarden DM höhere Schulden an die Wand zu malen. Nichts, aber auch gar nichts davon hat sich im Haushaltsvollzug 1994 bewahrheitet. Wir haben - im übrigen voll unterstützt von der Bundesbank und dem Sachverständigenrat - unsere vertrauensbildende Spar- und Wachstumspolitik eisern und konsequent durchgezogen. Und die Rechnung ist aufgegangen. Das Ergebnis ist: Die Kreditaufnahme steigt in diesem Jahr nicht, wie von den Kassandras der SPD prophezeit, sondern sie wird um etwa 4 Milliarden DM verringert werden. Die Konjunkturlokomotive kommt in Fahrt. 2 % Realwachstum 1994 - mit denen zu Jahresbeginn kaum einer gerechnet hatte - werden Wirklichkeit sein, und die Preise bleiben stabil, stabiler als je in einem Regierungsjahr der vorausgegangenen Regierungskoalition von SPD und F.D.P. ({6}) Das ist die Situation. Die Schwarzmaler und Krisenbeschwörer der SPD sind widerlegt. Theo Waigel hat recht behalten. Ich kann verstehen, daß er heute auch selbstbewußt und im Gefühl einer gelungenen Arbeit mit seinem Entwurf für den Haushalt 1995 vor dieses Parlament und die deutsche Öffentlichkeit hintreten konnte. ({7}) Er hat es nicht nötig, sich diese Erfolge kleinreden zu lassen, am allerwenigsten von Herrn Lafontaine, der zehn Jahre Zeit gehabt hätte, eigene Proben seines Finanzkönnens im Saarland abzulegen. ({8}) Meine Damen und Herren, von 1969 bis 1982 sind nicht weniger als sechs sozialdemokratische Finanzminister gescheitert. SPD und Geld - eine fährwahr traurige Geschichte. Auf Fortsetzung im nächsten Jahr können wir gerne verzichten. Gescheitert sind Sie letztlich - ich zitiere damit nur den Finanzstaatssekretär von Herrn Scharping in Rheinland-Pfalz, Herrn Sarrazin, der das in interessanten Buchbeiträgen und Zeitschriftenaufsätzen dokumentiert hat - am Unvermögen Ihrer Finanzpolitik. Sie haben immer die Einnahmemöglichkeiten des Staates maßlos überschätzt und die Dynamik Ihrer Ausgabenpolitik und Schuldenmacherei unterschätzt. ({9}) Das war die Ursache für die Krise. Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt 1995, um den es heute ja im wesentlichen geht, ist durch vier Grundaussagen geprägt. Erstens. Die Sparpolitik wird konsequent fortgesetzt. Zweitens. Mit dem Bundeshaushalt 1995 wird die öffentliche, die gesamtstaatliche Kreditaufnahme in Deutschland wieder dauerhaft und erheblich reduziert. Adolf Roth ({10}) Drittens. Mit dem Bundeshaushalt 1995 endet die finanzpolitische Übergangsphase nach der deutschen Wiedervereinigung, und zwar erfolgreich. Viertens. Der Bundeshaushalt 1995 leistet trotz äußerst begrenzter Mittel einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsgestaltung. Dieser Haushalt ist termingerecht vorgelegt worden. Auch das hat die SPD in früheren Jahren nie fertiggebracht. Er ist als durchverhandelter Entwurf und keineswegs als Rohmasse, die nach der Wahl zur beliebigen Verfügung steht, genauso wie der Finanzplan bis 1998 Ausweis unserer konsequenten Sparpolitik. An dieser Stelle muß ich Ihnen, Herr Lafontaine, einfach ins Stammbuch schreiben: Sie könnten eigentlich, wenn Sie etwas gesetzeskundiger wären, selbst wissen, was in einer Finanzplanung rechtlich enthalten sein darf und was nicht. Sie mahnen hier Dinge an, die mit einem Blick ins Gesetzbuch leicht widerlegbar sind. Selbstverständlich muß die Finanzplanung auf der Basis des geltenden Haushaltsrechts aufgebaut sein. ({11}) Aber damit haben Sie ja in Ihrer eigenen Praxis offenbar herzlich wenig zu tun. ({12}) Der äußerst enge Ausgabenahmen von nur 1 % bei einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 4,5 % und die Beibehaltung der Ausgabenbegrenzung bis 1998 - das heißt, in den vier Jahren bis 1998 soll der Gesamtzuwachs als Ergebnis unserer Konsolidierungsstrategie nicht mehr als dieses geringfügige 1 % betragen - beweisen, daß wir die Staatsquote wieder senken können, wenn wir uns anstrengen und dieses Konzept umsetzen. Wir müssen die Staatsquote, die Steuer- und Abgabenquote auf den Spielraum absenken, den sie vor der Wiedervereinigung hatte. Die Verringerung der Steuer- und Abgabenlast ist ein zentrales Ziel der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. in den nächsten Jahren. ({13}) Unsere Sparpolitik stärkt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates, fördert Zuversicht, festigt Stabilität, und damit gibt es eine Garantie des Geldwertes für unsere Bürgerinnen und Bürger. Trotz des Superwahljahres 1994 keine Wahlgeschenke und politisches Stehvermögen! Wir haben keinerlei Begehrlichkeiten nachgegeben. Dies muß deutlich ausgesprochen werden. ({14}) 1995 wird die Nettokreditaufnahme des Bundes mit 68,8 Milliarden DM niedriger als in diesem Jahr sein. Zugleich aber - das ist mit Blick auf die Finanzmärkte das Entscheidende - wird die gesamtstaatliche Nettokreditaufnahme um 60 Milliarden DM reduziert. Die bisherigen Sondertöpfe zur Finanzierung der deutschen Einheit werden voll in den Bundeshaushalt integriert und aufgelöst. Der Kreditbedarf der Treuhandanstalt und des Fonds Deutsche Einheit - in diesem Jahr immerhin noch 45 Milliarden DM - entfällt damit. Auch die Länder und Gemeinden in Ostdeutschland werden durch die deutlich bessere Finanzausstattung seitens des Bundes im nächsten Jahr rund 14 Milliarden DM weniger Kreditbedarf haben. ({15}) - Das hat die SPD nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil es in diese demagogische Strategie einfach nicht paßt; aber es ist die Wahrheit. Als Folge dieser Maßnahmen sinkt die Kapitalmarktbeanspruchung aller Gebietskörperschaften in Deutschland um ein volles Drittel auf 130 Milliarden DM. Dies ist fürwahr ein vertrauensbildender Schritt nicht nur für die Finanzmärkte. In meinen Augen ist damit auch der wesentliche Zwischenschritt auf dem Weg zur neuen Finanzarchitektur im vereinigten Deutschland erfolgreich gemacht worden. Und wir beweisen damit in europäischer Perspektive unsere stabilitätspolitische Führungsrolle. Entsprechend den Regelungen des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom Frühjahr letzten Jahres ist die finanzpolitische Übergangsphase im nächsten Jahr beendet. Der Bund trägt den Löwenanteil an den neugeordneten Lasten. Er muß sieben Prozentpunkte des Mehrwertsteueraufkommens an die Länder abgeben, 16 Milliarden DM. Er muß 14 Milliarden DM Sonderbedarfszuweisungen und 5 Milliarden DM Ergänzungsfehlbedarfszuweisungen abgeben. Er gewährt den neuen Bundesländern darüber hinaus zehn Jahre lang allgemeine Investitionshilfen von jeweils 6,6 Milliarden DM. Das sind alles in allem fast 42 Milliarden DM im nächsten Jahr. Dies alles wird hier schlichtweg ignoriert, und es wird in einer demagogischen Orgie der Eindruck erweckt, als habe diese Bundesregierung mit Blick auf die Notwendigkeiten der deutschen Vereinigungsprozesse nichts geleistet. Wir sind auf dem Weg der Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland entscheidend vorangekommen. Die Koalition hat Wort gehalten. ({16}) Der Haushaltsentwurf 1995 zeigt im übrigen, daß wir trotz der begrenzten Mittel in den Bereichen der Zukunftssicherung - beim Forschungsetat, bei der Luft- und Raumfahrtförderung, bei der Verbesserung der Forschungs- und Technologiestrukturen insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen in Ostdeutschland - wesentliche Akzente setzen und daß wir Einsparungen - die an anderen Plätzen erforderlich sind - dort nicht vornehmen werden. Die größte strukturelle Veränderung des Bundeshaushalts 1995 und der nächsten Jahre beruht allerdings auf dem sprunghaften Anstieg der Zinserstattungskosten im Gefolge der deutschen Einheit. Dies ist im Beitrag von Herrn Lafontaine völlig untergegangen, übrigens - das hat mich nicht gewundert - in absoluter Übereinstimmung mit der PDS. ({17}) Das war fast der gleiche Originalton: Diese Erblastenschulden hat Theo Waigel gemacht, ob sie schon vorhanden waren und nur übernommen und eingebucht wurden oder ob sie im Rahmen des RestruktuAdolf Roth ({18}) rierungsprozesses in der ostdeutschen Wirtschaft erforderlich waren. Der Sündenbock war schnell gefunden. Ich sage Ihnen: Diese Rechnung nimmt niemand in Deutschland ernst. Das ist eine Verzerrung der Wirklichkeit, eine Verfälschung. Das muß deutlich gesagt werden. ({19}) 42 Milliarden DM Zinserstattungskosten bringen natürlich den Zinsaufwand des Bundes mit 98,4 Milliarden DM auf die neue Rekordmarke von 20 % der Gesamtausgaben. Damit ist dies nach dem Sozialhaushalt der zweitgrößte Einzelplan. Aber das kann natürlich keine dauerhafte Erscheinung sein; denn dies würde eine qualitative Veränderung der Ausgabenstruktur bedeuten, mit der auf Dauer die haushaltspolitischen Handlungsspielräume eingeengt würden. Wir müssen deshalb den eisernen Sparkurs auf allen Ebenen weiterverfolgen. Wir müssen das Ziel einer nachhaltigen Absenkung der Staats-, Steuer- und Abgabenquote im Auge behalten. Der im Finanzplanungsrat vereinbarten Ausgabendisziplin müssen sich ohne Wenn und Aber alle öffentlichen Haushalte unterziehen. Der Sachverständigenrat hat in seinem letzten Gutachten mit Recht festgestellt, daß unter dem Aspekt der Zinsbelastung eine schnelle Konsolidierung auch eine gute Konsolidierung ist. Genau dies haben wir im letzten Jahr in Gang gesetzt, weil ein Hinausschieben nur über den Zinsmechanismus und die Kreditspirale zu einer Vernichtung finanzwirtschaftlicher Handlungsspielräume geführt hätte. ({20}) Lassen Sie mich bitte zwei Forderungen hinzufügen: Wir müssen bei diesem Zinshaushalt zum einen erreichen, daß die normale Zinsausgabenquote des Bundes für seine originäre Kreditaufnahme mittelfristig nicht weiter wächst. Sie muß eingefroren werden. Das ist unser strategisches Ziel. Zum anderen ist im Bereich der Zinserstattungskosten, die nahezu die Hälfte der gesamten Zinslast ausmachen, das, was gesetzlich festgelegt wurde, wirklich mit Eifer und Disziplin auch umzusetzen. Das heißt, die Zins- und Tilgungsleistungen für den Erblastenfonds, den Fonds Deutsche Einheit und die mit der Bahnreform übernommenen Altschulden der Eisenbahnen in Deutschland müssen in den festgelegten Annuitäten im zweiten Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts voll abgetragen und aus der Schuldenstatistik des Bundes verschwunden sein. Das ist unser Ziel. Erst dann ist das finanzgeschichtliche Kapitel der deutschen Einheit abgeschlossen. Wir sind froh, daß wir mit der Regelung, die überschüssigen Bundesbankgewinne in die Sondertilgung für diesen Zweck einzusetzen, noch eine Verstärkung ermöglichen. ({21}) Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Wir haben allen Anlaß, unsere Politik der Verbesserung des Wirtschafts- und Industriestandorts Deutschland konsequent weiterzuführen. Dazu gehören natürlich auch Verbesserungen der steuerlichen Rahmenbedingungen. Die letzthin oft zu hörende SPD-Programmfloskel, man wolle die Gesamtsteuerlast nicht weiter erhöhen, kann vom Steuerzahler eigentlich nur als Drohung empfunden werden. Wir als Koalition von CDU/CSU und F.D.P. werden uns mit dem heutigen temporär überhöhten Staatsanteil als Dauerzustand auf gar keinen Fall zufriedengeben. Wir werden deshalb bei der Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms ab 1995 auch eine ordnungspolitische Justierung der finanzpolitischen Ziele für den Rest des Jahrzehntes vornehmen. Die heutigen Quoten sind indiskutabel zu hoch, sie müssen abgebaut werden. Wir werden auch der dirigistischen Umbau- und Industriepolitik der politischen Linken unsere Strategie einer marktwirtschaftlichen Entwicklungsdynamik entgegensetzen, so wie in der Zeit zwischen 1983 und 1989. Ich kann mich nur wundern, daß Herr Lafontaine heute großspurig dazu aufgerufen hat: „Deutschland muß an die Spitze des technologischen Fortschritts zurückkehren." Ich darf an folgendes erinnern: Vor einer Woche hat Edzard Reuter - auch einer derjenigen, die als Schattenaspiranten zur Diskussion standen, die aber dann freundlicherweise noch einmal davon Abstand genommen haben ({22}) bei einer Buchpräsentation des Herrn Scharping die - wie er sagte - „ketzerische Frage" aufgeworfen, wer denn der technologischen Innovation in Deutschland ständig neue Hindernisse in den Weg gelegt hat, wer denn Raumfahrt-, Bio- und Gentechnologie oder auch die Entwicklung der Flugzeugindustrie in Deutschland behindert und damit einen Beitrag zur Verlagerung qualifizierter Arbeitsplätze ins Ausland geleistet hat. Ich glaube, die Antwort ist völlig klar. Deshalb ist auch die Frage der künftigen Steuerpolitik eine Frage der Rahmenbedingungen. Wir haben unter Entscheidungszwang dem Solidarpakt mit dem Solidaritätszuschlag im letzten Jahr zugestimmt, aber eben nicht als Dauerlösung. Denn dieser Zuschlag treibt den Grenzsteuersatz der Einkommensteuer auf eine Höhe, wie sie noch niemals ein deutscher Steuergesetzgeber beschlossen hat. Ich darf aber daran erinnern, daß dieses Vorgehen durch die Unterschriften des Herrn Scharping und der SPD-Ministerpräsidenten getragen wurde. Ich finde es unannehmbar, in welcher Weise sich heute die Sozialdemokratie von diesen gemeinsamen Solidarpaktbeschlüssen des letzten Jahres verabschieden will. ({23}) Der Abbau des Zuschlags, nicht seine Verschärfung, ist für uns nur eine Frage der Zeit, entsprechend Adolf Roth ({24}) den erreichten Konsolidierungsfortschritten. Wir verstehen unter Solidarität im vereinigten Deutschland, daß die Länder und Gemeinden mit uns, dem Bund, gemeinsam das Ausgabentempo unter die Zuwächse des Sozialprodukts drücken müssen und daß auch eine maßvollere Anpassungsgeschwindigkeit bei einzelnen volkswirtschaftlichen Aggregaten in Ostdeutschland erreicht wird. Die „Süddeutsche Zeitung" hat - übrigens unter der Überschrift „Peanuts eines Plauderers" - die Steuerakrobatik von Herrn Lafontaine zu Recht als „verkorksten Rundumschlag" kritisiert. Die „Süddeutsche Zeitung" steht nicht im Verdacht, uns nun besonders bevorteilen zu wollen. Herr Lafontaine hat mit seinem heutigen Rundumschlag diese Kritik eindrucksvoll bestätigt. Der Schattenkabinettverweigerer Karl Otto Pöhl findet seine Steuervorschläge in höchstem Maße bedenklich, und der SPD-Altmeister Karl Schiller spricht zutreffend von einer „Behinderung des wirtschaftlichen Wachstums", und zwar im Hinblick auf alle Vorschläge, die er als wenig durchdacht bezeichnet. Die Ergänzungsabgabe sei wachstumsfeindlich, der Abbau des Ehegattensplittings sei falsch, die Pläne zur Erbschaft- und Vermögensteuer seien hinderlich für die weitere Entwicklung. Ich wünschte mir, daß der Satz von Helmut Schmidt einmal aufgenommen würde, man solle doch in der Sozialdemokratie bei bestimmten Entscheidungsphasen wieder an Schumacher, Brandt und auch Karl Schiller denken. Es ist Ihre Sache, wie Sie mit dem Rat Ihrer Fachleute umgehen, aber es ist unsere gemeinsame Sache, inwieweit wir uns mit solchen Vorschlägen aus der seriösen internationalen Steuerdiskussion verabschieden. Meine Damen und Herren, wir legen mit diesem Haushaltsentwurf eine gute Bilanz vor. Die Zeiger sind auf Aufschwung gestellt. Der Bundeshaushalt ist durch dauerhafte Einsparungen geprägt. Die D-Mark ist und bleibt ein Stabilitätsanker. Das Entscheidende ist, daß Finanzminister Waigel und dieses Kabinett der Koalition nicht nur den Willen und die Kraft zum richtigen politischen Kurs haben, sondern auch den politischen Rückhalt einer in sich stimmigen und geschlossenen Koalition. Das ist das Wahlentscheidungsbild am 16. Oktober. Ich bin sicher, wenn die Menschen dies in dieser Debatte genau zur Kenntnis nehmen, wird es in Deutschland mit einer stabilen Regierung weiter aufwärtsgehen. Herzlichen Dank. ({25})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Helmut Wieczorek, Sie haben das Wort.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Roth hat am Ende seiner Rede die angeblich hervorragende Bilanz des Finanzministers gerühmt. Ich sage: Mit der Vorlage der Haushalts- und Finanzplanung verschärft die Regierung Kohl die Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, in die sich die Koalition durch Lug und Trug selbst hineinmanövriert hat. ({0}) Meine Damen und Herren, wie kann ein Bundeskanzler, der seit zwölf Jahren Verantwortung für dieses Land trägt, auf die Frage nach der Finanzierung seines eigenen Wahlprogramms antworten, nach der Wahl werde zu überlegen sein, was zu tun sei und was bezahlbar sei? Da traut man doch seinen Ohren nicht: Der Kanzler und sein Schuldenverwalter, mit denen die Steuerlügen des Wahljahres 1990 untrennbar verbunden sind, wollen erst nach der Wahl die Karten auf den Tisch legen. Das ist doch nicht ehrlicher als vor vier Jahren, sondern genauso verlogen wie damals. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn selbst der Herr Bundeskanzler den seit langem überfälligen Kassensturz ankündigt, gestehen Sie damit ein, daß Ihre gesamte Haushaltsplanung nichts als Makulatur ist. Sie blicken in dem von der Regierung angerichteten Finanzchaos selbst nicht mehr durch. Politische Weichenstellungen sind in Ihrem Haushalt nicht vorhanden. Erkennbar ist nur: Die Bundesregierung ist nicht mehr Gestalter, sie ist zum Getriebenen ihrer ausufernden Schuldenpolitik geworden. Jahrelang weigerten Sie sich, Herr Bundesfinanzminister, das ganze Ausmaß der Finanzmisere offenzulegen und die Schattenhaushalte und Schuldentöpfe des Bundes sauber in den Bundeshaushalt einzuarbeiten. 1995 holt sie nun - wenigstens zum Teil - die Wahrheit ein. Die Wahrheit ist: Unter der Regierung Kohl sind die Bundesfinanzen zu einer Schuldenverwaltung verkommen. In nur vier Jahren stieg die Staatsverschuldung um fast 1 Billion DM auf 2,1 Billionen DM an. Der Schuldenberg allein des Bundes wird 1995 eine Höhe von über 1,5 Billionen DM erreichen. Die Staatsverschuldung hat sich seit 1982, Herr Kollege Roth, fast vervierfacht und in den letzten vier Jahren verdoppelt. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Die nackten Zahlen beweisen, der Bundesfinanzminister Waigel hat in den fünf Jahren seiner Amtszeit mehr Schulden gemacht als alle seine 13 Vorgänger in 40 Jahren zusammen. ({2}) Das Etikett des größten Schuldenmachers der Nation bleibt am Finanzminister Waigel hängen. Wie Sie es auch drehen und wenden, er ist der größte Schuldenmacher. Sie, Herr Finanzminister, tragen die Verantwortung dafür, daß die Bundesfinanzen in der Zinsfalle stekken. Im nächsten Jahr wird Ihr Nachfolger 98 Milliarden, also fast 100 Milliarden DM Zinsen bezahlen müssen. Das sind rund 25 % des Bundeshaushalts, jede vierte Steuermark; Kollege Lafontaine hat das gerade ausgeführt. Davon ist allein die Hälfte, nahezu 50 Milliarden DM, für Schulden zu berappen, die in den letzten vier Jahren, als Sie, Kollege Roth, Obmann waren und Herr Waigel Finanzminister war, aufgelaufen sind. Die in diesem Jahr fälligen 50 Milliarden DM Zinsen, mehr als ein Zehntel des gesamten BundesHelmut Wieczorek ({3}) haushalts, fehlen an allen Ecken und Enden für dringende Reformvorhaben. Die Erblast, die diese Regierung am 16. Oktober hinterläßt, ist der finanziell gefesselte Staat. Meine Damen und Herren, es ist kein Jackpot in Sicht, der Ihnen aus der Misere heraushelfen könnte. Der für den Bürger schon unvorstellbare Betrag von etwa 42 Millionen DM würde gerade mal ausreichen, knapp vier Stunden lang die Schuldzinsen zu bezahlen. Für vier Stunden der ganze Jackpot - und wir haben im Jahr 8 760 Stunden! Daran sehen Sie, was Sie angerichtet haben und wohin Sie dieses Land geführt haben. ({4}) Meine Damen und Herren, die tiefen Schleifspuren der explodierenden Zinsbelastung sind in Ihrem Finanzplan sehr deutlich zu sehen. Sie verspielen die Zukunft. In Deutschland fehlen mindestens 6 Millionen Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat aber weder Konzepte noch Geld für eine arbeitsschaffende Politik. Sie kürzt statt dessen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik. Es herrscht Wohnungsnot - die Bundesregierung schaut weg. Die Hochschulen platzen aus allen Nähten - die Bundesregierung klinkt sich aus. Geld, das für die Gestaltung der Zukunft so dringend benötigt wird, müssen Sie in Zinszahlungen stecken. Herr Bundesfinanzminister, Sie versuchen, die völlige Perspektivlosigkeit Ihrer Politik dadurch zu verbergen, daß Sie Ihre Haushalte „ Sparhaushalte" nennen. So behaupten Sie erneut - der Kollege Roth hat das eben sehr eindrucksvoll gesagt -, daß der von Ihnen für 1995 geplante Ausgabenanstieg nur bei 1 % liegt. Sie fordern damit die Bereitschaft der Bürger ein, den Gürtel enger zu schnallen. Sie meinen damit vor allen Dingen die, die keine breiten finanziellen Hosenträger tragen. Wir lassen Ihnen diese Rechenkunststücke, Herr Finanzminister, nicht durchgehen. Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Wenn man berücksichtigt, daß ab 1995 der Finanzausgleich für die neuen Länder nicht mehr auf der Ausgabenseite, wie in diesem Jahr, sondern künftig auf der Einnahmenseite veranschlagt wird, dann zeigt sich: Der wahre Ausgabenanstieg für 1995 liegt bei 8,4 % - Herr Kollege Roth, intellektuelle Redlichkeit verlangen wir von Ihnen -, nicht bei 1 %, sondern bei 8,4 %! ({5}) Trotz einer echten Ausgabensteigerung von über 8 % - das ist das Tragische - fließt das Geld nicht etwa in produktive Staatsausgaben, sondern Sie brauchen es, um den gewaltigen Zinsanstieg von 25 Milliarden DM allein in diesem Jahr im Jahr 1995 bezahlen zu können. Sie verschieben die Konsolidierung der Staatsfinanzen wie gehabt immer nach dem gleichen Motto: Versprechen, vergessen, neu versprechen. Vor drei Jahren haben Sie behauptet, Herr Finanzminister, die Neuverschuldung des Bundes würde 1995 auf 25 Milliarden DM sinken. Vor drei Jahren haben Sie das hier erklärt. Heute sind wir immer noch bei 70 Milliarden DM. Wir haben Ihnen damals wie heute gesagt, daß Ihre Finanzplanung Makulatur ist. Weil Sie nicht ernsthaft an das Sparen herangegangen sind, ({6}) stiegen die Ausgaben im Durchschnitt der letzten vier Jahre nicht um die von Ihnen behaupteten 2,5 %, sondern sie erhöhten sich durchschnittlich pro Jahr um 6 % auf heute 480 Milliarden DM. ({7}) Wenn Sie jetzt erneut Konsolidierung auf Ihre Fahnen geschrieben haben, so glaubt Ihnen das doch kein Mensch mehr. Das sagen Sie doch schon seit fünf Jahren immer in der gleichen Rhetorik. Das sind alles alte Sprüche, die Sie nie einlösen. Sie wollen 1995 zum drittenmal hintereinander knapp 70 Milliarden DM neue Schulden aufnehmen. Auch das, meine Damen und Herren, ist nur ein Teil der Wahrheit. Sie haben sich nämlich erneut, Herr Kollege Roth, zwei Schlupflöcher gelassen: Die Neuverschuldung des Bahnvermögens und die Kreditaufnahme des ERP-Sondervermögens sind nicht berücksichtigt. In beiden Schattenhaushalten verstecken Sie in diesem Jahr 13 Milliarden DM. In Wahrheit steigt also die Neuverschuldung auf 80 Milliarden DM, egal wie Sie sie im einzelnen ausweisen. Herr Finanzminister, nun haben Sie gesagt, die Verschuldung des ERP-Vermögens hätten die Sozialdemokraten selbst in früheren Jahren nie als Verschuldung des Bundes betrachtet. Das stimmt, das galt bis 1989 und war auch richtig. In den ersten 40 Jahren dieser Republik betrug die Verschuldung des ERP-Vermögens insgesamt 7 Milliarden DM. Schulden in dieser Höhe nimmt das ERP-Sondervermögen jetzt in einem Jahr auf, weil Sie zur Entlastung des Bundeshaushaltes über diesen Weg umfangreiche Bundesprogramme finanzieren. Sie verstecken hier Schulden, Herr Finanzminister. ({8}) Nicht nur wir bewerten das so. Auch der Bundesrechnungshof und die Deutsche Bundesbank, die von Ihnen, Herr Kollege Roth, ja so viel gelobt wird, sind dieser Auffassung. Allerdings kann der Schuldendienst nicht in dieser Weise bewertet werden; denn die Zinsen sind nicht den Schulden des Bundes zuzurechnen. Sie werden über andere Wege bezahlt. Auch das muß man der Redlichkeit willen sagen. Aber selbst die Neuverschuldung von 70 Milliarden DM können Sie nur einhalten, weil Sie mit dem Haushaltsentwurf 1995 zum drittenmal den Versuch starten, die Zahlung der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu begrenzen. Dadurch wollen Sie bis zu 6 Milliarden DM sparen. Dies ist eine Form sozialer Piraterie. Statt Privilegien und steuerlichen Mißbrauch abzustellen, gehen Sie auf die Langzeitarbeitslosen los, die oft wirtschaftlich und psychisch am Boden liegen. Ihr Raubzug auf Kosten der Arbeitslosen und Kommunen bringt die Konsolidierung der Staatsfinanzen kein Stück voran, weil die Milliardenlasten - das wissen Sie ganz genau - überwiegend auf die von Helmut Wieczorek ({9}) den Kommunen zu zahlende Sozialhilfe abgewälzt werden. Ihr Argument, die Kommunen würden im Gegenzug durch die Steuermehreinnahmen in Folge der Postreform und der Pflegeversicherung entsprechend entlastet, stimmt nicht. Es stimmt nur die Durchschnittsrechnung. Die Durchschnittsrechnung kann man auf solche Fälle nicht anwenden. Sie können eine Stadt, die in hervorragender wirtschaftlicher Verfassung ist, nicht mit einer Stadt vergleichen, die ohne eigene Schuld in wirtschaftliche Krisensituationen gerät. Diese Städte werden mit Ihrer Politik immer weiter in einen Teufelskreis hineingezogen. Das geht nicht. In dieser Hinsicht haben Sie keinerlei Phantasie aufgewandt, um einen vernünftigen Ausgleich zu schaffen. ({10}) Erschreckend ist der Zynismus einer Politik, die die sozial Schwächsten ganz ungeniert zum Spielball ihres Finanzschachers mit den Ländern macht. Ihr Kollege Blüm, Herr Finanzminister, hat ganz offen an Ministerpräsident Rau geschrieben, nach seiner Einschätzung hätten Sie sich von den Ländern bei den Verhandlungen über den Solidarpakt über den Tisch ziehen lassen ({11}) und deshalb versuchten Sie jetzt zum wiederholten Male, von den Kommunen Beträge in Milliardenhöhe zurückzuholen. Dies ist ein unglaublicher Vorgang: zum einen, weil Sie einen Vertrag brechen, einen Pakt, der die Finanzaufteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ab 1995 endgültig geregelt hat, zum anderen, weil Sie Hunderttausende von Langzeitarbeitslosen in die Sozialhilfe treiben, die darauf vertraut haben, gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit abgesichert zu sein. Sie lassen dieses Vertrauen ohne Skrupel wie eine Seifenblase platzen. Sie nehmen in Kauf, daß dies für Hunderttausende die Ausgrenzung aus der Arbeitswelt verschärft. Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister versucht, die ausufernde Neuverschuldung von jährlich 70 Milliarden DM mit den besonderen Belastungen der deutschen Einheit zu rechtfertigen und verweist dabei auf die Ausgaben des Bundes für die neuen Länder. Für die Jahre 1991 bis 1994 werden in ihrer Bilanz daraus stolze 640 Milliarden DM. Damit wollen Sie dem Bürger weismachen, daß die Schulden unvermeidbar waren und einem guten Zweck dienten. Sie haben eben noch nachgeschoben, daß in diesem Jahr 150 Milliarden DM in die neuen Länder fließen, und haben damit suggerieren wollen, daß dies eine Sonderleistung sei. Was fließt denn in diesem Jahr in die neuen Länder? - Das, was die Menschen als Anspruch gegen diesen Staat haben, ({12}) genau die Gelder, die Sie auch den Menschen hier in Westdeutschland zukommen lassen. Es handelt sich also nicht etwa um ein Sonderprogramm, das eine spezielle Hilfe oder gar eine Alimentation der Menschen dort drüben darstellt. Das ist wieder einmal eine Ihrer beliebten Verdrehungen; denn diese Leistungen an die neuen Länder sind zu etwa einem Viertel durch das Steueraufkommen der neuen Länder selbstfinanziert. Ich spreche jetzt nicht mehr nur von den 150 Milliarden DM, sondern von der Bilanz, die die CDU über die 640 Milliarden DM vorgelegt hat: Ein Viertel ist von den Ländern selbst finanziert. Dazu sparen Sie natürlich die Ausgaben, die Sie früher für die deutsche Teilung aufgewandt haben. Auch das ist mittlerweile in Vergessenheit geraten. Nicht zuletzt wird über die Hälfte der Leistungen für die neuen Länder durch die von Ihnen beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen im Volumen von 116 Milliarden DM finanziert. 116 Milliarden DM ab 1995 für jedes Jahr - vorher war es etwas weniger; dieser Betrag ist angewachsen. Manch einer hat schon vergessen, wie Sie in den letzten Jahren neben den Erhöhungen der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung mehrfach die Mineralölsteuer erhöht haben, wie Sie die Mehrwertsteuer erhöht haben, wie Sie mehrfach die Versicherungsteuer erhöht haben, wie Sie die Kraftfahrzeugsteuer für Diesel-Pkws erhöht haben, wie Sie die Tabaksteuer erhöht haben, wie Sie den Solidaritätszuschlag erhoben haben und ab 1995 wieder in der ungerechten Form erheben wollen. Unter dem Strich, meine Damen und Herren, war es für die Finanzierung der deutschen Einheit gerechtfertigt, auch die Nettokreditaufnahme in Grenzen zu erhöhen. Wenn Sie aber alles zusammenzählen, was aus diesem Grund zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme führt, würde der Betrag von 20 Milliarden DM im Jahr nicht überschritten. Herr Finanzminister, Sie wissen genau, daß diese Zahlen stimmen. 20 Milliarden DM hätten wir Ihnen durchgehen lassen. Alles andere hat nichts mit der deutschen Einheit zu tun. Sie haben den Glücksfall der deutschen Einheit als Freibrief für eine maßlose Schuldenpolitik benutzt. ({13}) Sie haben das, was Sie hier erzählen, nicht getan; Sie haben nicht gespart. Sie ziehen heute durch das Land und verkünden, Sie hätten in den letzten vier Jahren 70 Milliarden DM an Einsparungen vollzogen. Herr Finanzminister, wo sind sie denn? Die Wahrheit ist doch, daß sie mit 480 Milliarden DM in diesem Jahr einen Haushalt vorgelegt haben, der mit 60 Milliarden DM über dem Betrag liegt, den Sie selbst vor drei Jahren für notwendig angesehen haben. ({14}) Wo sind denn Ihre Sparerfolge? Wenn Sie die von Ihnen selbst in die Welt gesetzten Luftbuchungen nicht vollziehen, ist das für Sie schon Sparen. Sie sollten sich einmal über den Begriff aufklären lassen. ({15}) Nein, Herr Dr. Waigel, Sie haben die Steuergelder der Bürger nicht sparsam verwaltet. Die Verantwortungslosigkeit dieser Regierung im Umgang mit Steuergeldern wird beim Schürmannbau-Skandal schlaglichtartig deutlich. ({16}) Helmut Wieczorek ({17}) Wenn es um die Sicherung Ihrer Macht geht, Herr Finanzminister, wenn es darum geht, am Ministersessel zu kleben, wenn es um die Vertuschung eigener Fehler und eigener Schuld geht, ist Ihnen kein Preis zu hoch. Das ist wörtlich zu nehmen. Die Bundesregierung war bereit, den vorhandenen Baukomplex zum Verkauf freizugeben. Das hieße: Abriß und Neubebauung. Schadensersatzansprüche des Bundes in Höhe von mehr als 100 Millionen DM wären dadurch gefährdet. Dafür könnten eine Menge Sozialwohnungen gebaut werden. Wenn Sie nur einmal 100 000 DM ansetzten, kämen Sie auf 1 000 Wohnungen. Wenn sie etwas mehr ansetzten, wären es ein paar Wohnungen weniger. ({18}) Wollen Sie den Bürgern im Ernst weiter diesen Finanzskandal zumuten, nur um Ihre eigenen Pannen zu vertuschen? ({19}) Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister verwahrt sich immer dagegen, für die Schulden der Lander und Gemeinden mitverantwortlich gemacht zu werden. Doch, Herr Minister, Sie tragen dafür Verantwortung. Mit Steuerreformen auf Pump seit 1982 und einem völligen wirtschaftlichen Versagen bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit sowie bei Ihrer Tatenlosigkeit bei der Modernisierung des Standortes Deutschland tragen Sie die Hauptverantwortung für die Schuldenexplosion bei allen Gebietskörperschaften, auch bei den Ländern und Gemeinden. ({20}) Nicht zuletzt tragen Sie diese Verantwortung durch eine Politik ständiger Lastenverschiebungen auf Kommunen und Länder: Der Bund schafft an, und die Länder dürfen bezahlen. Das hat Ihnen der Bundespräsident erst vor wenigen Tagen ins Stammbuch geschrieben. Als ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes weiß der Mann, wovon er spricht. ({21}) Der nordrhein-westfälische Finanzminister Schleußer, ein wirklich zurückhaltender Mann, reagiert völlig fassungslos auf die Überlegungen des Wirtschaftsministers, in den nächsten Jahren weitere Steuersenkungen in Höhe von 50 Milliarden DM auf Pump zu finanzieren. Mit dem finanzpolitischen Amoklauf, so Schleußer, würden die Konsolidierungsanstrengungen von Ländern und Gemeinden gefährdet. ({22}) - Der fällt nicht in Ohnmacht. Sie brauchen keine Sorgen zu haben. Wer einmal mit Ihnen verhandelt hat, Herr Waigel, bei dem ist die Ohnmachtsschwelle sehr weit oben. ({23}) Sie sind nämlich ein Meister im Verschieben der Verantwortung, Herr Waigel. Sie möchten immer gern die Verantwortung auf die schieben, die gerade nicht da sind. Länder und Gemeinden sind dabei Ihre Hauptpartner, und Sie sind immer dabei, die deutsche Einheit vorzuschieben, wenn es darum geht, die Länder weiter zu melken. Die Wahrheit ist nämlich: Sie haben Ihr eigenes Haus nicht in Ordnung gehalten. Die Regierung Kohl trat vor zwölf Jahren mit dem Versprechen an, die Staatsverschuldung nicht nur zu stoppen, sondern sogar abzubauen. ({24}) Heute wissen wir: Kohl und Waigel sind die größten Schuldenmacher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. ({25}) Meine Damen und Herren, niemand von uns Sozialdemokraten hat je geleugnet, daß wir alle für die Hinterlassenschaften der DDR einzustehen haben. ({26}) Das ist der Preis für die deutsche Einheit, den wir gern entrichten. Was wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen, ist die politische Mitverantwortung für die von Ihnen so genannten Erblasten. Denn daß dieser Schuldentopf jetzt ein Volumen von rund 400 Milliarden DM hat, war nicht gottgewollt und auch nicht allein vom sozialistischen Bankrott bestimmt; dafür sind Sie, Herr Waigel, mitverantwortlich. ({27}) Es war Ihr Fehler, nach der deutschen Einheit allein auf den Markt zu setzen, statt bei einer marktwirtschaftlichen Industriepolitik mitzuhelfen. Es war Ihr Fehler, durch das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung den Aufbau Ost zu verzögern. ({28}) Investitionsblockade statt Investitionsoffensive - das ist die wahre Bilanz Ihrer Politik. ({29}) Es ist Ihr Versagen, Herr Finanzminister, das Entschädigungsgesetz vier Jahre liegengelassen zu haben und dadurch den Aufbau Ost zu verzögern, und es war Ihr Fehler, bei der Treuhandanstalt einseitig auf die Privatisierung der Unternehmen zu setzen, statt einen Sanierungskurs zu fahren, der die Betriebe auf Wettbewerbsbedingungen besser vorbereitet. ({30}) Helmut Wieczorek ({31}) Es war Ihr Fehler, die Transferleistungen fast ausschließlich über Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu finanzieren. ({32}) Dadurch haben Sie doch die Lohnkosten der unter Druck stehenden ostdeutschen Betriebe noch weiter in die Höhe getrieben. Herr Finanzminister, es war Ihr Fehler, das Verschuldungsproblem der ostdeutschen Wohnungswirtschaft durch Ihre Verweigerung von Hilfe drastisch zu verschärfen. ({33}) Fehlende Kreditwürdigkeit und blockierte Investitionen waren die Folge. ({34}) Alle diese Fehler haben die Kosten der Einheit ganz wesentlich nach oben getrieben. Das alles ist Erblast der Regierung Kohl, ({35}) und so gelesen ist der Erblastentilgungsfonds schon eine richtige Bezeichnung. ({36}) Wo immer man hinschaut: Sie sind die Regierung der Täuschung, der Schönfärberei, des gebrochenen Wortes. Deshalb warne ich Sie eindringlich davor, Herr Bundeskanzler, die Zusage zu brechen, die Sie den neuen Ländern beim Solidarpakt vor einem Jahr gegeben haben. Eine Vertragsgrundlage war, daß die Bundesregierung im Jahre 1995 10 Milliarden DM für die industrielle Erneuerung der Treuhandbetriebe und die Sanierung der Altlasten bereitstellt. Der Bundeskanzler weiß sicher nicht, Herr Waigel, daß Sie diesen Betrag im Haushalt 1995 schlicht und einfach halbiert haben. Damit wird die finanzielle Grundlage für die Erneuerung der ostdeutschen Wirtschaft und damit für die arbeitsplatzschaffenden Investitionen ausgehöhlt. Pacta sunt servanda, würde Ihnen Ihr Lehrmeister Franz Josef Strauß an dieser Stelle sagen. ({37}) Halten Sie Ihre Versprechen, und halten Sie Ihre Verträge! ({38}) Meine Damen und Herren, wer die mittelfristige Finanzplanung dieser Bundesregierung aufschlägt, der fühlt sich in Grimms Märchen versetzt. Die haben allerdings in der Regel einen guten Ausgang, die Finanzplanung dieser Bundesregierung leider nicht. Ihre mittelfristige Finanzplanung ist auf der Einnahmenseite wie auf der Ausgabenseite ein einziges finanzpolitisches Trugbild. Diese Manipulation dient einzig dem Ziel, auf dem Papier eine Konsolidierung vorzugaukeln, eine Konsolidierung, die es nicht gibt. Die einzigen verläßlichen Zahlen, Herr Minister, in Ihrer Finanzplanung sind die Seitenzahlen. Die einzige Konstante in Ihrer Politik ist der fortgesetzte Angriff auf die sozialen Grundlagen unserer Marktwirtschaft. Sie zehren die für die Zukunftsbewältigung dieses Landes und für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West entscheidenden Politikfelder aus, nämlich investive Ausgaben, marktwirtschaftliche Industriepolitik, Reform der Wohnungsbauförderung, Familienpolitik, Stärkung von Bildung, Wissenschaft und Forschung. In all diesen Bereichen zeichnet die mittelfristige Finanzplanung ein Bild von Reformunfähigkeit, Stillstand und Rückgang. Zwingend notwendige gesellschaftliche Reformen werden nicht angepackt, weil ihre Finanzierung zu Lasten derjenigen gehen müßte, die Sie als Ihr politisches Klientel ansehen. Auf der Einnahmenseite Ihrer Finanzplanung reiht sich Loch an Loch. In Ihrer Erklärungsnot für diese Löcher, Herr Minister, verbiegen Sie die Wahrheit ein weiteres Mal. Sie haben die Nichtberücksichtigung der Freistellung des Existenzminimums damit begründet, Finanzplane gingen immer vom geltenden Recht aus. Diese Behauptung ist gleich doppelt falsch. Erstens. Finanzpläne sollen „die voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten darstellen, gegebenenfalls durch Alternativrechnung". Gerade um die Offenlegung Ihrer Absichten geht es, nicht um die bloße Fortschreibung geltenden Rechts. Dafür brauchte man keinen Minister, das könnte ein Amtsrat gut erledigen. Zweitens. Wenn Sie auf das geltende Recht verweisen, dann nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß Ihre Finanzplanung ab 1995 nicht auf Recht, sondern auf steuerlichem Unrecht beruht. Das ist ein Skandal. Fazit: Die Einnahmenseite Ihrer Finanzplanung ist eine Aneinanderreihung von Fallgruben für die Bundesfinanzen. Aber der Herr Rexrodt schafft es, aus dieser Finanzplanung angebliche Spielräume für 50 Milliarden DM herauszulesen. Meine Damen und Herren, die klare, am 16. Oktober vom Wähler zu beantwortende Frage lautet also: Soll die unter der Regierung Kohl in unserer Gesellschaft aufgebrochene Kluft weiter vertieft werden, oder sollen die Interessen der Menschen unter sozialdemokratischer Führung behutsam zum Ausgleich gebracht werden? Ja, dieser Wahlkampf ist ein Richtungswahlkampf. Wir Sozialdemokraten wollen eine andere Richtung, die Richtung Ehrlichkeit und mehr Gerechtigkeit für alle, weil sie allen nutzt. ({39}) Nur Ehrlichkeit festigt die Fundamente unserer Gesellschaft und kommt deshalb jenseits aller Ideologie allen Menschen zugute, die auf diesen Fundamenten stehen. Herzlichen Dank, daß Sie so geduldig zugehört haben. ({40})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten wollen eine andere Richtung. Sie verschweigen aber, mit welchen Partnern sie in welche Richtung gehen wollen. ({0}) Sie werden dieser Frage bis zur Bundestagswahl nicht entgehen. Sie werden beantworten müssen, wohin die Richtung geht. ({1}) Am vergangenen Sonntagabend hat Oskar Lafontaine im „Talk im Turm" einer großen Zahl von Menschen in unserem Land deutlich gemacht, ({2}) daß er für seine Wahlversprechen keine finanzielle Basis hat. Die Versprechen hat er heute und hier wiederholt. Die Finanzierung ist er erneut schuldig geblieben. ({3}) Die Finanzlücken, die in diesen Versprechen enthalten sind, werden wir weiter aufdecken und unseren Bürgern klarmachen. Praktisch gleichzeitig am selben Sonntagabend hat die Haushaltsgruppe der Koalition ({4}) zusammen mit dem Bundesfinanzminister den Etatentwurf für 1995 vorberaten und besprochen. Ich meine, daß durch diese Parallelität den Bürgern fast symbolisch ein entscheidender Unterschied dokumentiert wird: krampfhafte Wahlversprechen bei der Opposition und nüchterne Sacharbeit bei der parlamentarischen Mehrheit, der Koalition. ({5}) Da wird es, meine Damen und Herren, niemanden überraschen, daß wir diese Koalition nach der Bundestagswahl fortsetzen wollen. Dafür werden wir gebraucht. ({6}) Mit dem Haushalt 1995 endet die Übergangsphase, die im Jahr 1990 mit der Einbindung des damaligen DDR-Haushalts, eines „lächerlichen Papiers" - Sie werden sich erinnern -, in unseren Etat begann. Vier Jahre nach der Wiedervereinigung, nach hartem Ringen aller Gebietskörperschaften um die Steuergelder, nach Föderalem Konsolidierungsprogramm und weitgehendem Abschluß der Treuhand-Tätigkeit haben wir jetzt die Basis für die zukünftige Arbeit. Da der Bund beim Kampf ums Geld gegen die Länder den kürzeren gezogen hat - das kann man beklagen; man muß es jedenfalls feststellen -, ({7}) da er andererseits bei der Zuteilung der Aufgaben und Belastungen am stärksten beansprucht ist, wird jetzt ganz zwangsläufig - ähnlich wie es 1982/83 gewesen war, nur noch viel schwieriger - eine neue Konsolidierungsanstrengung erforderlich. Die hohe Verschuldung ist bitter. Sie ist auf Grund der Rezession der vergangenen Jahre notwendig geworden. Die Erholung der Konjunktur, die unsere Wirtschaftspolitik erreicht hat, wird den in der Finanzplanung vorgesehenen erneuten Abbau der Nettoneuverschuldung ermöglichen, allerdings nur dann, wenn wir uns bei den öffentlichen Ausgaben weiterhin sparsam verhalten. Und das werden wir tun. ({8}) Gesamtwirtschaftlich stellt uns die Deutsche Bundesbank für unsere Haushaltspolitik ein gutes Zeugnis aus. Die D-Mark ist stabil geblieben; das ist auch für unsere Sparer wichtig. ({9}) Wer sich vor Augen hält, welche unglaubliche Aktion die Währungsunion mit der DDR gewesen ist, der muß eigentlich immer noch überrascht sein, daß es bis heute so gut gelaufen ist. Im nachhinein betrachtet, war es wirklich ein Ritt über den Bodensee. Da hat sich politischer Mut der Koalition bezahlt gemacht. ({10}) Ich sage das trotz Kenntnis der Tatsache, daß viele Bürger in Deutschland schwerer belastet sind als vor der deutschen Einheit und daß vor allem viele Bürger in den neuen Bundesländern persönliche Sorgen und Nöte haben. Aber es sind nicht die Lasten der Wiedervereinigung, die die Menschen bedrücken, sondern es sind die Lasten einer fast 50jährigen kommunistischen Mißwirtschaft. Wir werden die Schuldigen an diesem bankrotten System und ihre politischen Erben, die hier im Bundestag sitzen, niemals aus dieser Verantwortung entlassen. ({11}) Ohne die nationale Sondersituation wäre die derzeitige Schuldenhöhe nicht vertretbar. Auf Grund der in der Weltgeschichte einmaligen Situation ist zu akzeptieren, daß auch künftige Generationen mit Zinszahlungen - bei im wesentlichen ja Gott sei Dank nationaler Verschuldung - einen Teil der Belastungen mittragen. Denn, meine Damen und Herren - das ist die andere Seite der Medaille -, bei allem schnellen Fortschritt des Aufbaus in den neuen Bundesländern: Die Bürger in ganz Deutschland ächzen unter der Steuer- und Abgabenlast. Deswegen sagen wir Freien Demokraten auch, daß bei sparsamer Ausgabenpolitik und bei Rückführung der Verschuldung eine Entlastung bei den Steuern notwendig bleibt und daß unser Ziel, die Steuerlast der Bürger insgesamt wieder zu vermindern, nicht aus dem Auge verloren Dr. Wolfgang Weng ({12}) werden darf. Das Wachstum in der Wirtschaft, die ja Gott sei Dank wieder in Gang gekommen ist - die Prognosen für dieses Jahr sind erfreulicherweise nach oben fortgeschrieben worden -, wird uns unseren Weg erleichtern, es wird neue Dynamik und damit auch zusätzliche Wachstumskräfte wecken. Daß die OECD in ihrem Wirtschaftsbericht „Deutschland 1994" in Aussicht stellt, daß bei Beibehaltung des Konsolidierungskurses das Problem der Staatsfinanzen von der Koalition gemeistert wird, bestätigt unsere Arbeit, die wir gegen viele Widerstände der Opposition, auch gegen manche Begehrlichkeit in den eigenen Reihen und der Regierung durchgehalten haben. Wir bieten konsequente und seriöse Arbeit, während andere mit vollmundigen Versprechungen, auch mit Verunglimpfungen, wie wir es heute morgen von Herrn Lafontaine hier ja hören mußten, durchs Land eilen. Sparsame Haushaltspolitik darf natürlich nicht politischen Stillstand bedeuten. Deshalb müssen auch weiterhin Kürzungen konsumtiver Ausgaben für die notwendigen, zusätzlichen Aufwendungen geleistet werden. Der Haushaltsentwurf 1995 ist auch ein Angebot an die Opposition, unpopuläre, aber notwendige Sparmaßnahmen schon vor einer Wahl mitzutragen. Interessanterweise hat es hierzu von der SPD bisher keine Äußerungen gegeben. Bei den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat trägt die SPD schließlich Mitverantwortung für die Gesamtsituation. Die SPD-regierten Bundesländer sind dieser Gesamtverantwortung - das muß heute, gegen Ende einer Wahlperiode, festgestellt werden - in den vergangenen Jahren nicht gerecht geworden. Vieles an öffentlicher Sparsamkeit des Bundes haben sie in eigenem Egoismus blockiert. ({13}) Mit Blick auf die Haushaltslage halten wir es z. B. für notwendig - es ist ja angesprochen worden -, daß die Arbeitslosenhilfe im Bundeshaushalt in der Weise abgebaut wird, wie es die Koalition im vergangenen Jahr beschlossen hat. Der Finanzminister hat hier Einschränkungen genannt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren, daß der Einkommensunterschied zwischen Menschen mit relativ niedrigem Verdienst in unserem Land bei der Steuer- und Abgabenlast zu vielen, die Transferleistungen in Anspruch nehmen, auch dann noch nicht groß genug sein wird, wenn das Existenzminimum ab 1996 von der Steuer freigestellt wird. Dieser Unterschied muß wieder größer werden, der jetzige Zustand muß sich ändern. ({14}) Natürlich wird niemand gerne Sozialleistungen kürzen, aber wir sind bei der hohen Belastung aller Bürger einfach nicht mehr in der Lage, so zu verteilen, wie es in früheren Jahren möglich war. Es muß auch Druck darauf ausgeübt werden, daß sich das Bemühen um Arbeit verstärkt. Und in noch größerem Maße muß der Mißbrauch des sozialen Netzes aufgedeckt und verhindert werden. ({15}) - Ich habe, Herr Kollege, im beginnenden Wahlkampf eine Reise durch 36 Gemeinden meines Wahlkreises hinter mir. In jedem Rathaus ist mir signalisiert worden, daß es im Bereich der Sozialhilfe eine Menge Dinge gibt, bei denen einzelne Mißbrauch treiben oder zumindest der Verdacht solchen Mißbrauchs besteht. ({16}) Es sind auch Kommunen und Länder aufgefordert, künftig daran stärker mitzuwirken, daß das so nicht stattfindet. Es darf aber nicht so sein, daß sich ein gewisser Teil von jungen Menschen mit der Sozialhilfe einrichtet und gar zufrieden gibt. Das ist eine falsche Mentalität. ({17}) Bei aller Bedeutung des Erhalts und der Sicherung vorhandener Arbeitsplätze müssen auch neue Arbeitsplätze in der Wirtschaft entstehen, vor allem im Dienstleistungsbereich. Die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit zeigen in die richtige Richtung. Die vielen zusätzlichen Arbeitsplätze gerade in den neuen Bundesländern zeigen auch: Es geht bergauf. Die F.D.P. setzt hier vor allem auf den Mittelstand. Er ist und bleibt wichtiger Träger unseres Wirtschaftssystems. Wenn wir sagen, daß wir eine Partei der Wirtschaft sind, wird vom politischen Gegner gern vergessen, daß dies nicht nur die Arbeitgeberseite darstellt. Wirtschaft - das sind immer auch die Arbeitsplätze unserer Menschen. ({18}) Wie die Industrie, so auch Mittelstand, Handwerk oder freier Beruf: Sie alle sind manchmal kleine, aber wichtige und in der Summe außerordentlich große Arbeitgeber. Wer die Belastung der Wirtschaft testen will - wie dies bei den Sozialdemokraten immer wieder anklingt und bei den GRÜNEN Thema Nr. 1 ist, das hier heftig stranguliert werden soll -, der sorgt für Abwanderung von Investitionen, der sorgt für die Vernichtung von Arbeitsplätzen in unserem Land. Das muß verhindert werden. Interessant ist allerdings, daß in der politischen Praxis der Bundesländer die SPD manchmal Vorschläge der F.D.P. umsetzt, die sie vorher verteufelt hat. Denken Sie an die Flugzeugfabrik in Lemwerder. Der Ministerpräsident Schröder ist ja im richtigen Moment hier eingetroffen. Wenn die Mitarbeiter dort auf 20 % ihres Gehaltes verzichten, um eine Chance auf Sicherung ihrer Arbeitsplätze zu haben, wo liegt dann der Unterschied zu den von der F.D.P. geforderten niedrigeren Einstiegstarifen, um Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen? ({19}) Dr. Wolfgang Weng ({20}) Wie lange haben wir uns Beschimpfungen von Rot-Grün anhören müssen, als wir in einer bestimmten wirtschaftspolitischen Lage in unserem Land gesagt haben, daß Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich für die Arbeitsplätze nicht vertretbar sind? Jetzt hält Herr Schröder in Niedersachsen seine segnende Hand über solche Modelle. Meine Damen und Herren, Forschung, Bildung und Innovation müssen verstärkt werden. „Mit weniger Geld mehr Politik machen" ist unsere Devise. Abbau von Subventionen muß auch hier künftig die nötigen Freiräume schaffen. Aber wie steht es dann bei der Opposition, wenn die Forschung Ergebnisse bringt? Ein typisches Oppositionsverhalten der schlechten Art gibt es bei der Magnetschwebebahn Transrapid, einer Zukunftstechnologie. Aus Angst vor den GRÜNEN läuft die SPD einen Doppelkurs. Hat sie schon vor Jahren den Bau einer Referenzstrecke in Nordrhein-Westfalen verhindert, so hat sie jetzt zunächst nein gesagt, dann aus Angst vor dem Vorwurf der Technologiefeindlichkeit jetzt im Vermittlungsausschuß die Sache laufen lassen. Gleichzeitig kündigt aber das von ihr geführte Land Schleswig-Holstein an, daß es die Verwirklichung der Strecke von Hamburg nach Berlin verhindern wird. Dann hat man es dem grünen Wunschpartner wieder recht gemacht. ({21}) Daß man sich beim Energiekonsens nur deswegen verweigert hat, weil man verhindern wollte, daß Forschung in einem bestimmten Bereich der Kraftwerkstechnologie betrieben wird, zeigt auch ideologische Verblendung, noch dazu, daß die notwendige Entsorgung der Kernkraftwerke - da sind wir wieder bei Niedersachsen - überall ideologisch behindert wird, wo immer man das nur kann. Dies alles zeigt: Wirtschaftliche Zukunft ist mit Rot und Grün nicht zu gestalten. ({22}) Meine Damen und Herren, Haushalt ist aktive Politik, er ist Bilanz und Zukunft. Der Haushaltsentwurf 1995 ist eine gute Basis für die Fortsetzung berechenbarer Politik, auf die unsere Bürger Anspruch haben, die unsere Bürger wünschen. Am 16. Oktober ist die Wahl zum Deutschen Bundestag. Die F.D P. ist bereit und entschlossen, danach ihre parlamentarisch wesentliche und für die Bürger wichtige Arbeit fortzusetzen. Wenn Wahltag Zahltag ist und Leistung belohnt wird, kann es für die Freien Demokraten nur aufwärtsgehen. ({23}) Ganz sicher nicht schlechter als die Union und ganz sicher besser als alle Oppositionsgruppierungen haben wir teil am haushaltspolitischen Erfolg. Den richtigen Kurs ab 1982 haben wir nach der Wiedervereinigung konsequent fortgesetzt. Die F.D.P. stellt sich den Wählern auch in Sachen Haushalt leistungsorientiert und selbstbewußt. Vielen Dank. ({24})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Hansgeorg Hauser das Wort.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des saarländischen Ministerpräsidenten ({0}) hat deutlich gemacht, warum seine Partei draußen nicht ankommt. Sie hat in aller Deutlichkeit gezeigt, daß Sprücheklopfen Sachpolitik einfach nicht ersetzen kann ({1}) und daß sich die Leute von den Sprücheklopfern abwenden. Die Quittung werden Sie dafür erhalten. ({2}) Wer Bundeskanzler Kohl historisches Versagen bei der Einheit vorwirft, der muß wahrlich mit Blindheit geschlagen sein. ({3}) Herr Ministerpräsident, ich empfehle Ihnen, einmal über Ihren saarländischen Gartenzaun hinaus die Spitzenpolitiker der Welt über die Leistung von Bundeskanzler Kohl zu befragen. ({4}) Sie werden keine einzige negative Antwort bekommen. ({5}) Im Jahr 4 der deutschen Einheit können wir feststellen, daß die Wiedervereinigung auch in finanzpolitischer Hinsicht auf dem allerbesten Weg ist. Ich möchte deshalb zu Beginn meiner Rede Finanzminister Theo Waigel für diese Leistung meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen. ({6}) Theo Waigel hat mit großem Sachverstand, politischer Klugheit und persönlichem Einsatz, der bis an die Grenze der physischen Leistungsfähigkeit gegangen ist, ({7}) eine Jahrhundertaufgabe bravourös bewältigt, die in ihrer historischen Dimension nur mit dem Aufbau der Bundesrepublik in der Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen ist. ({8}) Es waren nicht nur die Altlasten einer 40jährigen Mißwirtschaft in der damaligen DDR zu bewältigen, die in ihrem vollen Ausmaß erst in den Jahren nach der Wiedervereinigung sichtbar wurden; erschwerend kam noch hinzu, daß die Weltwirtschaft unter dem größten Konjunktureinbruch der Nachkriegszeit zu leiden hatte. Hansgeorg Hauser ({9}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben zur Bewältigung dieser historisch einmaligen finanzpolitischen Herausforderung nichts anderes beigetragen, als den Finanzminister mit einer bis zur persönlichen Beleidigung gehenden Hetzkampagne sondergleichen zu überziehen. ({10}) Miesmacherei, Schwarzmalerei, Neinsagerei - das war alles, was die Opposition zur deutschen Einheit beizutragen hatte. Aber - wir wissen das ja - das hat Tradition in der SPD; denn bei allen wirklich bedeutenden Entscheidungsfragen unseres Landes haben Sie von der SPD genauso reagiert: bei der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, beim Aufbau der Bundeswehr, beim NATO-Doppelbeschluß usw. Sie werden auch bei dieser Schicksalsfrage unserer Nation auf der Verliererseite sein. ({11}) Wirklich schlimm ist, daß Sie sich damit in die politische Ecke der Ewiggestrigen von der PDS gestellt haben, deren ganzes politisches Konzept darin besteht, die Erfolge beim Aufbau im Osten mieszumachen, weil sie den Verhältnissen in der ehemaligen DDR nachtrauern und meinen, mit einer simplen Namensänderung seien sie schon die Verantwortung dafür los, daß sie 40 Jahre die elementarsten Menschenrechte, Freiheit und Selbstverwirklichung, unserer ostdeutschen Landsleute mit Füßen getreten haben. ({12}) Was die SPD als ihre finanzpolitische Alternative hier präsentiert, ist wirklich armselig. Es ist ein einziges Programm zur Täuschung der Wähler; Täuschung deshalb, meine Damen und Herren, weil Sie glauben, mit einem vor Unverbindlichkeiten strotzenden Regierungsprogramm von Ihren wahren steuerpolitischen Vorstellungen ablenken zu können. Die Sprüche, die Herr Lafontaine zur Arbeitsmarktpolitik hier von sich gegeben hat, zeigen die gleiche Richtung an, daß es nur leere Versprechungen sind. Sie werden mit diesen Instrumenten mit Sicherheit nicht in der Lage sein, die Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Noch vor ein paar Monaten hat Scharping in aller Öffentlichkeit Sparzinsen als leistungslose Einkommen bezeichnet, die stärker besteuert werden müßten. Das verschweigt er heute natürlich, weil die 80 % der Steuerzahler, die wir gerade durch die Erhöhung des Sparerfreibetrages von der Besteuerung freigestellt haben, zu Recht darüber empört waren, daß die SPD ihre sauer verdienten Spargroschen wieder wegsteuern will. Im übrigen: Wie zynisch muß es auf jeden Steuerpflichtigen wirken, der durch Fleiß, Sparsamkeit und Konsumverzicht etwas auf die hohe Kante gelegt hat, wenn sein Erspartes als leistungsloses Einkommen diffamiert wird? ({13}) Es ist auch noch nicht lange her, daß Herr Poß gefordert hat, die Einheitswerte an die Verkehrswerte heranzuführen. Die Folge wäre, daß sich Millionen von Eigenheimbesitzern auf stark erhöhte Grundsteuern einstellen müßten. ({14}) Die Mieten würden drastisch ansteigen, weil die erhöhte Grundsteuer natürlich auf die Mieter umgelegt würde. ({15}) - Genauso ist es: Enteignung der kleinen Leute! Herr Voscherau und Herr Dreßler haben bis vor kurzem noch eine drastische Erhöhung der Erbschaftsteuer gefordert. Gerade mittelständische Betriebe und deren Arbeitsplätze wären dadurch beim Erbübergang extrem gefährdet. Es geht auch nicht nur um den Erbübergang; wir wollen ja, daß durch vorweggenommene Erbfolgen, also im Wege der Schenkung, frühzeitig Nachfolgewechsel eintreten und damit in der Wirtschaft weiterhin junge Leute am Ruder bleiben können. ({16}) Von alledem ist zumindest im Augenblick nicht mehr allzuviel zu hören.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie bitte so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß das, was Sie mir jetzt unterstellt haben, so nicht zutrifft? Ich werde Ihnen noch heute nachmittag meinen Aufsatz zu dem Thema zur Verfügung stellen. Ich hoffe, Sie werden das dann zurücknehmen. ({0})

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Poß, dann gehören Sie offensichtlich zu denen, die zunächst etwas behaupten und dann später alles wieder zurücknehmen. In Ihrem Papier, das Sie im April verbreitet haben, steht das ganz klipp und klar. ({0}) Das Regierungsprogramm der SPD ist ein Meisterwerk der Kunst, die wahren Absichten hinter einem Schwall von wohlklingenden, aber nichtssagenden Allgemeinplätzen zu verschleiern. Dadurch wird sich aber niemand täuschen lassen. Die ideologischen Hardliner der SPD sitzen ja schon in den Startlöchern; ihre Pläne liegen auf dem Tisch, von den Forderungen des Frankfurter Kreises, der im übrigen durch Herrn Larcher vertreten wird, der zwar immer groß tönt, aber im Augenblick offensichtlich zum Schweigen gebracht worden ist, über die Forderungen nach einer Vermögensabgabe auf Geldvermögen der privaten Haushalte und die Forderungen einzelner Landesverbände nach einer Arbeitsmarktabgabe bis zur Forderung der Jusos nach einer drastischen Erhöhung des Einkommensteuerspitzensatzes Hansgeorg Hauser ({1}) und der Steuerprogression. Hier zeigt die SPD, was sie tatsächlich ist, nämlich eine Steuererhöhungspartei. ({2}) Es war schon bezeichnend, bei Herrn Lafontaine zu hören, daß die Facharbeiter offensichtlich nicht mehr zur Klientel der SPD gehören; denn diese zählen schon längst zu denen, die Sie diffamieren. In diesem Zusammenhang möchte ich fordern: Hören Sie endlich auf, von Steuerungerechtigkeiten zu reden ({3}) und zu behaupten, daß die kleinen Leute die Steuern bezahlen. Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Einkommensteuerstatistik an. Dann werden Sie in aller Deutlichkeit sehen, daß das, was Sie permanent verbreiten, einfach nicht richtig ist. ({4}) Die oberen 10 % der Steuerpflichtigen zahlen 39,6 % des Steueraufkommens. Die oberen 50 % der Steuerpflichtigen - das sind immerhin Leute mit Einkommen über 43 800 DM - zahlen 90,5 % des gesamten Steueraufkommens. Die unteren 50 % der Arbeitnehmer zahlen 9,5 % des Steueraufkommens. Wer hier von Steuerungerechtigkeit spricht, ignoriert diese Zahlen. ({5}) Unser Steuertarif ist darauf ausgerichtet, daß derjenige, der mehr verdient, mehr Steuern zahlen muß. Das ist ein gerechtes System, das sich nach der Leistungsfähigkeit richtet. Meine Damen und Herren, das Lieblingskind von Herrn Lafontaine ist die ökologische Steuerreform. ({6}) Da steht im Regierungsprogramm der SPD der vernünftige Satz - auch so was gibt es -, daß globale Umweltprobleme nur durch internationale Anstrengungen gelöst werden können und daß man deshalb die Partner in der Europäischen Union gewinnen wolle, ebenfalls eine ökologische Steuerreform durchzuführen. So steht es auf dem Papier. Gemeint ist aber genau das Gegenteil. Denn Herr Lafontaine erklärt ganz offen, die gerade von der Wirtschaft vorgetragenen Warnungen vor einem nationalen Alleingang überzeugten ihn nicht; nachzulesen im „Handelsblatt" vom 10. Juni 1994. Also doch eine einseitige Mehrbelastung der deutschen Betriebe mit den damit verbundenen Wettbewerbsnachteilen auf den internationalen Märkten und dem Risiko des Verlustes von Arbeitsplätzen. Nimmt man jetzt noch das ökologische Programm der GRÜNEN, Koalitionswunschpartner der SPD, hinzu, dann wird sehr schnell klar, was sich hinter dem hochtrabenden Titel der ökologischen Steuerreform à la SPD eigentlich verbirgt: ein gigantisches Abkassiermodell. Dann haben Sie noch die Stirn, in Ihr Programm zu schreiben, Sie wollten die steuerlichen Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessern und den Mittelstand stärken. Es ist aber doch die SPD gewesen, die die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer verhindert hat und die fordert, die Vermögensteuer und die Gewerbesteuer in den neuen Ländern einzuführen. Die SPD will die Übernahme der Steuerbilanzwerte in die Vermögensaufstellung wieder rückgängig machen und sperrt sich gegen steuerliche Maßnahmen zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge. Wenn ich die Potsdamer Liste nehme und das, was jetzt im Rahmen der Diskussion um das Umwandlungssteuerrecht vorgeschlagen worden ist, z. B. eine höhere Verzinsung bei Rückstellungen, dann stelle ich fest, daß allein dieser einzige Punkt eine Mehrbelastung von 4 Milliarden DM für die Wirtschaft bedeutet hätte. Wie soll denn ein mittelständischer Betrieb Investitionen tätigen und Arbeitsplätze schaffen, wenn die SPD ab 60 000 DM mit der Keule einer zehnprozentigen Sondersteuer zuschlagen will? Jeder Handwerksbetrieb müßte doch, wenn sich seine Gewinne der 60 000-DM-Grenze näherten, sofort alles zurückfahren, um ja nicht mehr als 60 000 DM zu verdienen, weil ihm sonst nach diesen Vorstellungen weniger bliebe als vorher. Nein, meine Damen und Herren, die Politik der SPD ist nicht investitionsfreundlich, sondern leistungsfeindlich. Bei dem früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, den Sie aus der Versenkung geholt haben, können Sie nachlesen, wohin die Übersteuerung der Leistungsträger in unserer Gesellschaft führt: Noch mehr Betriebe werden von Deutschland in das Ausland verlagert, noch mehr Arbeitsplätze gehen verloren, und noch mehr Kapital wird in Liechtenstein und Monaco landen. Lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein besonderes Beispiel verfehlter sozialdemokratischer Politik eingehen, nämlich auf die Absicht, das zweigliedrige System des Familienlastenausgleichs durch ein einheitliches Kindergeld zu ersetzen. Die SPD hält das für eine gerechtere Lösung; aber mit dieser Meinung - hören Sie gut zu! - steht sie inzwischen mutterseelenallein da. Alle Fachleute, insbesondere die betroffenen Familienverbände, der Deutsche Familienverband, die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen und der Familienbund der Deutschen Katholiken, lehnen die SPD-Vorschläge einhellig ab. Interessant ist auch, daß die Deutsche Steuer-Gewerkschaft - Ihre Freunde! - das Modell ebenfalls ablehnt. Diese Fachverbände unterstützen vielmehr unsere Politik einer Verbesserung des Familienlastenausgleichs, die wir in der nächsten Legislaturperiode in Angriff nehmen wollen, nämlich die Anhebung des Kinderfreibetrages auf die Höhe des Existenzminimums ({7}) - das ist ein Fernziel - und die Gewährung eines ergänzenden, je nach Einkommen und Bedürftigkeit in der Höhe unterschiedlichen Kindergeldes. Wir unterscheiden uns von Ihnen ganz wesentlich Hansgeorg Hauser ({8}) dadurch, daß wir das Kindergeld wirklich nach der Bedürftigkeit staffeln wollen und nicht mit der Gießkanne durch die Lande ziehen, wie Sie das vorhaben und was Sie auch gar nicht bezahlen können. ({9}) Die Auffassung der Fachverbände müßte Ihnen von der SPD eigentlich zu denken geben. Aber wenn Sie sich schon von diesen Leuten nicht belehren lassen wollen, dann vielleicht von dem heute schon zitierten nordrhein-westfälischen Finanzminister, Herrn Schleußer. Er hat sich nämlich schon 1991 gegen den damals von der SPD-Fraktion geforderten Ersatz der Kinderfreibeträge durch ein einheitliches Kindergeld gewandt, nachzulesen ebenfalls im „Handelsblatt" vom 19. Juli 1991. Schleußer hat schon damals darauf hingewiesen, daß die SPD-Vorschläge verfassungswidrig sind und Familien mit mehr als drei Kindern bereits ab einem mittleren Einkommen benachteiligen. Sie führen immer auch das Ehegattensplitting an. Das Ehegattensplitting ist keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern Ausfluß des im Grundgesetz verankerten Schutzes von Ehe und Familie. Es soll den Eheleuten überlassen bleiben, wie sie das gemeinsame Familieneinkommen erwirtschaften, z. B. durch beiderseitige Erwerbstätigkeit oder dadurch, daß ein Ehegatte zugunsten der Führung des gemeinsamen Haushalts und der Erziehung der Kinder seine Erwerbstätigkeit einschränkt oder auf sie verzichtet. Es ist deshalb nur gerecht, daß in der Ehe als partnerschaftlicher Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft jedem Ehepartner die Hälfte des gemeinsam Verdienten steuerlich zugerechnet wird. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Haushaltsgesetz 1995 und dem Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 haben wir eine solide finanzpolitische Basis für die nächsten Jahre vorgelegt. Wir werden weiterhin äußerst sparsam wirtschaften und im Interesse der Konsolidierung der Staatsfinanzen viele Wünsche hintanstellen müssen. Das müssen wir den Wählern in aller Deutlichkeit sagen; aber damit haben wir beste Aussichten für eine gute finanzpolitische Zukunft. ({10})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, nachdem Sie mit Ihrem Haushalt dieses Jahres damit begonnen haben, eine Finanzpolitik einzuführen, die nicht der Bundeshaushaltsordnung entspricht, und unseren Antrag, zu ihr zurückzukehren, abgelehnt haben, sind Sie nun mit diesem Wahlkampfhaushalt auf dem besten Wege, diese Politik fortzusetzen. In der Diskussion haben wir von Ihrer Seite vor allem zwei Argumente gehört. Zum ersten beschwor Herr Roth die Privatisierung als Allheilmittel, und zum zweiten appellierte Herr Weng an alle zu sparen. Herr Roth, es geht doch wohl nicht um das Quantum, das ausgegeben wird, sondern um das Wie. Nehmen wir nur den Bereich des Wohnungsbaus. Ich habe vorhin von einer Million Obdachlosen gesprochen. Von dem Geld, das Sie insgesamt für Wohnungen ausgeben, gehen 12 % über § 10e als Förderung an gutverdienende, wenn auch nicht reiche Menschen. 8 % - sage und schreibe 8 % - gehen in den sozial geförderten Wohnungsbau. Der Rest, 80 %, geht als Steuergeschenke an diejenigen, die Kapital anlegen wollen. Da frage ich mich, wie das weitergehen soll. So schaffen Sie wirklich nicht eine Wohnung mehr! Zum zweiten Punkt, zum Sparen. Die Regierungskoalition, seit 1982 an der Macht, hat es im Zeitraum von 1982 bis heute geschafft, ihre Steuereinnahmen tatsächlich zu „sparen", indem die Unternehmen seit 1982 170 Milliarden DM mehr einbehalten konnten, die sie nicht an Steuern zu zahlen hatten. Die Unternehmensgewinne stiegen entsprechend von 260 Milliarden DM auf 566 Milliarden DM. Hier wurde aber nicht zusätzlich etwas für die Allgemeinheit abgeschöpft, im Gegenteil. Die Frage ist ja, wie dieses Geld angelegt wurde. Vielleicht in produktiven Investitionen? - Weit gefehlt! Vor allem in Geldkapital und Geldvermögen, oder es wurde ins Ausland transferiert. Die amtlichen Statistiken weisen aus, daß Konzerne und Banken einen beträchtlichen Anteil dieser Milliardenbeträge in ausländischen Kapitalmarktanleihen anlegen. Wenn Herr Waigel vorhin in seiner Rede gesagt hat, er wünscht sich von Osteuropa Anpassungsbereitschaft, so klingt hier wohl sehr stark großdeutsches Denken durch: Wir geben nur dann Geld, wenn ihr bereit seid, euch unseren Bedingungen anzupassen. Im Gegensatz zur Steigerung der Unternehmensgewinne sind seit der letzten Bundestagswahl Verbrauchsteuer- und sonstige Abgabenerhöhungen in Höhe von 116 Milliarden DM erfolgt. Das trifft vor allem die Kleinverdiener und diejenigen, die vom Staat alimentiert werden, nachdem sie in diese Situation gebracht wurden. Weitere Steuersenkungen werden trotz allem von den Unternehmensverbänden unverfroren gefordert. Hier stellen wir fest: Der Reichtum in diesem Lande ist groß, er ist nur ungerecht verteilt. In der Bundesrepublik fehlt es eben nicht an Geld. Herr Hauser, die Zahlen, die Sie eben nannten, verschweigen natürlich, daß 10 % der Vermögensbesitzer mit 4 000 Milliarden DM über 50 % des in der Bundesrepublik vorhandenen Geldvermögens verfügen. ({0}) Diese 10 % verfügen über 50 %! Dann haben sie gefälligst auch mehr als 50 % Steuern zu zahlen; denn wenn sie eine Million haben, dann ist es ihnen letztlich nicht mehr wichtig, ob sie 1 000 DM oder 10 000 DM Steuern bezahlen. Das fällt ja wohl bei einer Million Privatvermögen kaum ins Gewicht. ({1}) Das ist die Realität. Die Banken und Sparkassen machen seit Jahren Rekordgewinne und verdienen auch in der Wirtschaftskrise prächtig. Trotzdem werden Stellen abgebaut. Wenn schon Gewinne erzielt werden, dann ist es auch möglich, staatlicherseits zeitweise ein Mittel wie die Zwangsanleihe einzuführen, z. B. in Höhe von 1,5 % Bruttowertabschöpfung. ({2}) - Ja, zeitweise muß das sein, wenn sie nicht freiwillig dieser Verpflichtung nachkommen, sondern nur für sich einheimsen. Das bundesdeutsche Steuer- und Finanzsystem verschärft diese Ungerechtigkeiten von Tag zu Tag und stellt sich selbst in Frage. Dazu kommen Steuerhinterziehungen, Subventionsbetrug und Schattenwirtschaft in Höhe von jährlich 130 Milliarden DM. Das läßt der Staat einfach so weg! Wir meinen, es tut not, hiergegen tatsächlich anzugehen. Wir schlagen deshalb als erstes vor, die Einheitswerte des Grundvermögens den gestiegenen Verkehrswerten anzupassen, aber differenziert nach Nutzungsart des Grundstücks und unter Berücksichtigung sozial gerechtfertigter Freibeträge. Es ist deshalb so wichtig, hier anzusetzen, da die Einheitswerte die Bemessungsgrundlage bei der Grundsteuer, der Gewerbekapital-, der Vermögen-sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer bilden. Wir meinen, es tut not, den Vermögensteuersatz von 1 % auf mindestens 1,5 % zu erhöhen, auch den durchschnittlichen Erbschaftsteuersatz, natürlich bei entsprechenden Freigrenzen. Aber momentan haben wir die Situation, daß kleine Häuslebesitzer zum Teil gezwungen sind, im Erbfall ihr Haus zu verkaufen, damit das Vermögen sodann auf die Kinder aufgeteilt werden kann. Aber die Großbesitzer können alles behalten. Ihnen macht es einen Klacks oder fast nichts aus. Wir meinen, das wäre sozial gerecht. Wir schließen uns auch dem Vorschlag des früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker an, der unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Lastenausgleichsgesetz von 1952 vorgeschlagen hat, eine Vermögensabgabe einzuführen. Wir meinen, hier könnten tatsächlich alle Grund- und Vermögensbesitzer einzahlen, die - unbeschädigt - dieses Vermögen besitzen und als Folge der Währungsunion wie 1952 als Gewinner dagestanden und alle Krisen überlebt haben. Die PDS schlägt eine Sonderabgabe auf die Erträge des Geldvermögens vor. Wenn ich der „BörsenZeitung" von 1992 folge, ergäbe dies bei einem Bruttogeldvermögen ab 200 000 DM und unter Einbeziehung des Grund- und Produktivvermögens bei nur 1 % ganz locker sofort 6 Milliarden DM. Die PDS wird alle Vorschläge, die von einer neuen Regierung in dieser Richtung eingebracht werden, unterstützen. Wir möchten weiterhin, daß der Umbau dieses Staates vom Sozialstaat zum Sozialhilfestaat aufhört. Wir wollen hier eine Umkehr. Wir wollen keine Alimentierung vom Staat, wir wollen für Hausfrauen keine Alimentierung und keine ökonomische Abhängigkeit von ihren Ehemännern. Es sollte tatsächlich ums Sparen gehen, aber nicht undifferenziert, sondern bei denen, bei denen man wirklich noch sparen kann. Ich danke Ihnen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Rudolf Krause ({0}).

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die Verteilung dessen, was andere erarbeitet haben, ging es in der DDR 40 Jahre. Es gab Enteignungswellen. Immer, wenn aufgebraucht war, was bei einer Gruppe enteignet wurde, kam die nächste an die Reihe. Darüber gibt es gar nichts zu lachen, weil die PDS es ja dank der Wahltreue ihrer ehemaligen SED-Mitglieder bei einer Wahlbeteiligung von 50 % wieder auf 20 % gebracht hat und weil sie letztendlich mit ihren Stimmen beim zweiten Wahlgang in den meisten Kreisen entscheidet, wer Landrat wird und wer in den Städten Bürgermeister wird. Mein Thema ist deshalb die weitere Finanzierung der Staatseinnahmen und nicht Verteilungskämpfe. 1993 hatten die Staatseinnahmen drei große Säulen: Lohn- und Einkommensteuer etwa 130 Milliarden DM, Bundesanteil an der Mehrwertsteuer etwa 130 Milliarden DM und die Bruttokreditaufnahme auch etwa 130 Milliarden DM. Bis 1995 sollen nach diesem Entwurf die ersten beiden Säulen bleiben, aber die Bruttokreditaufnahme soll von 130 Milliarden DM auf 245 Milliarden DM steigen. Das ist im Staatshaushalt das Entscheidende der letzten zwei Jahre. Erstens. Unter den Ausgaben befinden sich etwa 115 Milliarden DM Steuerzuschüsse für Renten und die Bundesanstalt für Arbeit. Je weniger Einnahmen aus Sozialabgaben und je mehr Ausgaben an Sozialleistungen diese Gesellschaft hat, desto stärker wird der Anteil der Steuern für diese Sozialausgaben steigen. Zweitens. Die Zinsleistungen steigen auf 100 Milliarden DM. Drittens. Die Schuldentilgung ohne Nebenhaushalte steigt, wie vorgesehen, von 70 Milliarden DM in 1993 auf 176 Milliarden DM 1995. So kommt dann eine weitere Nettoverschuldung von etwa 70 Milliarden DM zustande. Nun haben wir eine gewisse Eigendynamik der Wirtschaftsentwicklung bei offenbleibenden Grenzen. Ich habe das hier schon oft gesagt: Was importierbar ist, wird billiger importiert. Was der graue Markt bringen kann, wird bei Dauerarbeitslosigkeit ein qualifizierter grauer Markt in den neuen Ländern auf Jahre hinaus bringen; das geht aus diesen Prognosen hervor. Nur was nicht importierbar ist und nicht auf einen grauen Markt gebracht werden kann - sei es wegen hoher Investitionskosten, sei es, weil es zur Verteilung der Importe oder zur Belieferung des Dr. Rudolf Karl Krause ({0}) grauen Marktes etwa durch Baumärkte gehört -, hat doch Konjunktur in den neuen Ländern. Wofür wird denn investiert? - Für Verwaltungen, für den Handel, für Sparkassen und Banken und eben für Baumärkte. Welche Auswirkungen hat es auf die Finanzierbarkeit der Staatsausgaben, wenn immer mehr arbeitsintensive Produktion ins Ausland verlagert wird? Dann wird es immer weniger Lohnsteuern im eigenen Lande geben. Dann wird die Kreditaufnahme immer höher werden müssen. Einmal wird es dann auch in Richtung Staatsbankrott gehen. Das sage ich nicht polemisch, um diesem oder jenem im Bund, in den Ländern oder in den Gemeinden eine Schuld zuzuweisen, sondern das ist eine gesamtnationale Verantwortung. Ich wiederhole mich hier sicher, wenn ich sage: Wir müssen wieder darüber nachdenken, daß sich die soziale Gemeinschaft Staat auch durch protektionistische Maßnahmen schützen muß, die es erlauben, ohne neue Staatsverschuldung durch eigene Arbeit im Lande die Finanzierbarkeit des Staates, die Finanzierbarkeit insbesondere des Sozialstaates, wiederherzustellen. Das ist wichtiger, das ist entscheidender als neue Verteilungskämpfe und als Versprechungen, wie etwas verteilt wird, was in Zukunft so nicht mehr finanziert werden kann. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Bereich liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Bevor wir die Haushaltsdebatte fortsetzen, kommen wir zu Abstimmungen über Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({1}) - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({2}) - Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ({3}) - Drucksachen 12/6633, 12/8165, 12/8399, 12/8423 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heribert Blens Das Wort zur Berichterstattung wird gewünscht; Herr Dr. Blens hat sich bereits angemeldet. Sie haben das Wort.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat festgelegt, daß über die verschiedenen Punkte der Verfassungsänderungen vier verschiedene Abstimmungen durchzuführen sind. Der Grund für die Aufteilung der Vorschläge auf vier Gesetze und dementsprechend vier Abstimmungen ist folgender: Wir wollten sicherstellen, daß die wesentlichen Teile der Beschlußempfehlung der Verfassungskommission die erforderliche und nach unserer Einschätzung erreichbare Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat erhalten. Wir wollten durch Einzelabstimmungen über streitige und offenbar nicht einigungsfähige Punkte verhindern, daß die einigungsfähigen Teile durch Verbindung mit den streitigen Teilen gefährdet werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, daß die von allen gewollte Verstärkung des Gleichberechtigungsgebotes für Frauen, das Benachteiligungsverbot für Behinderte, das Staatsziel Umweltschutz und andere wichtige Verfassungsänderungen durchgesetzt werden. Nun hat es Kritik daran gegeben, daß der Bundestag gezwungen wird, bei einer der vier Abstimmungen gleichzeitig über die Änderung von 14 Artikeln des Grundgesetzes abzustimmen. Lassen Sie mich dazu zwei Anmerkungen machen: Erstens. Der Vorschlag stimmt mit dem gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 20. Januar 1994 überein, in dem ebenfalls exakt alle diese Änderungen zusammengefaßt waren. Zweitens. Der Vermittlungsausschuß hat die Aufgabe, Kompromißvorschläge zu machen. Er hat das in dieser Wahlperiode in rund 80 Fällen mit Erfolg getan. Wenn ihm das nicht gelungen wäre, wäre die Bundesrepublik in Anbetracht der gegensätzlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat partiell unregierbar gewesen. Meine Damen und Herren, Kompromisse kommen dadurch zustande, daß beide Seiten nachgeben: die eine Seite hier, die andere Seite dort. Jede Seite gibt nur unter der Bedingung nach, daß auch die andere Seite nachgibt. Auf diese Weise entstehen Kompromißpakete, die nur als Ganzes mehrheitsfähig sind. Ich füge hier hinzu: Das gilt auch für dieses Verfassungspaket. Hinsichtlich der nächsten Sitzung des Vermittlungsausschusses füge ich noch hinzu: Dasselbe gilt ebenfalls für das Problem des § 218 StGB. Kompromißpakete sind nur als Ganzes kompromißund mehrheitsfähig, oder sie sind nicht mehrheitsfähig. Meine Damen und Herren, das ist wie mit einem Kuchen, dessen Füllung aus Rosinen und Kröten besteht. Wer die Rosinen genießen will, der muß auch die Kröten schlucken. ({0}) Vielleicht ist es für die Feinschmecker in diesem Hohen Hause ein Trost, daß das, was für die einen die Rosinen, für die anderen die Kröten sind - und umgekehrt. Meine Damen und Herren, zum Inhalt des Vorschlags des Vermittlungsausschusses will ich als erstes - im ausdrücklichen Auftrag des Ausschusses und in Übereinstimmung mit der Verfassungskommission - folgendes feststellen: Trotz der Umformulierung Art. 72 Abs. 1 ist auch in Zukunft davon auszugehen, daß im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder endet, wenn und soweit der Bund ein formelles Gesetz oder eine Rechtsverordnung erlassen hat und soweit eine Verordnungsermächtigung, die in einem Bundesgesetz enthalten ist, reicht, auch wenn von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden ist. Zweitens. In Art. 72 Abs. 2 wird - abweichend vom Vorschlag der Verfassungskommission - die Wahrung der Wirtschaftseinheit als weiteres Kriterium, das die Bundeskompetenz begründet, aufgenommen. Drittens. Durch Art. 72 Abs. 3 und Art. 125 a Abs. 2 erhalten bisher auf Grund des Art. 72 erlassene Gesetze eine Art verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. Sie gelten auch dann als Bundesrecht fort, wenn sie nach dem geänderten Art. 72 nicht mehr erlassen werden könnten. Die Länder können insoweit nur Landesgesetze verabschieden, wenn das ausdrücklich durch ein Bundesgesetz zugelassen wird. Viertens. In Art. 93 Nr. 2a wird das Klagerecht des Bundesrates, von Landesregierungen und Landtagen geregelt, wenn es darum geht, durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen, ob ein Gesetz nach Art. 72 erlassen werden darf. Soweit das Klagerecht des Bundesrates und der Landesregierungen aufgeführt ist, wird kein neues Recht begründet, sondern lediglich das ohnehin in Art. 93 Nr. 2 enthaltene Klagerecht ausdrücklich benannt. Neu ist lediglich das Klagerecht der Landtage, d. h. der Landtagsmehrheiten, die aber in der Regel mit der politischen Mehrheit übereinstimmen, die die jeweilige Landesregierung trägt, die ohnehin klagebefugt ist. Der Vermittlungsausschuß hat Ihnen diesen Vorschlag - jedenfalls zu der ersten Abstimmung - mit sehr großer Mehrheit unterbreitet. Wir sind der Oberzeugung, daß dieser Vorschlag zu der ersten Abstimmung für alle Seiten akzeptabel ist. Wir sind davon überzeugt, daß er die wesentlichen Entscheidungen der Verfassungskommission in das Grundgesetz hineinbringt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Vorschlag. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich habe jetzt die Frage zu stellen: Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Dies ist der Fall. Alle Fraktionen und Gruppen haben bereits einen Sprecher für eine Erklärung angemeldet. Darüber hinaus liegt mir schon eine ganze Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung schriftlich vor,') und es gibt weitere Wünsche, mündliche Erklärungen nach § 31 abzugeben. Ich will so verfahren, daß wir die Erklärungen der Fraktionen und Gruppen vor der Abstimmung, die Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung nach der Abstimmung aufrufen. Ich erteile dem Kollegen Professor Dr. Rupert Scholz das Wort.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrü- *) Anlage 3 ßen die Empfehlungen des Vermittlungsausschusses insbesondere deshalb, weil sie die Gewähr dafür bieten, daß das große Vorhaben, das uns in dieser Legislaturperiode aufgegeben war, auf der Grundlage von Art. 5 des Einigungsvertrages unser Grundgesetz auf Reformbedürfigkeit zu überprüfen, doch noch erfolgreich abgeschlossen werden kann. Wir bekräftigen unser Grundbekenntnis zu unserem Grundgesetz als der Verfassung, die die beste der deutschen Geschichte ist und die nur dort zu ändern und zu reformieren ist, wo dies unbedingt not tut. Diese Grundbedingung sehen wir auf der Grundlage der Kompromißempfehlungen des Vermittlungsausschusses im wesentlichen gewährleistet. Wir bedauern, daß es heute wieder zu einer Gesamtabstimmung kommen muß; denn im Grunde ist es ja so gewesen, daß Entscheidungen wie die zur Gleichberechtigung, zum Schutz der Behinderten, zum Umweltschutz usw. zwischen Bundesrat und Bundestag in Wahrheit nicht kontrovers gewesen sind. Kontrovers gewesen sind die Fragen zum Föderalismus, d. h. zu dem, was Art. 5 des Einigungsvertrages uns ebenfalls vorgegeben hat, nämlich das Grundgesetz im Hinblick auf die Stärkung der Länder in ihren Zuständigkeiten kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls Reformempfehlungen zu erarbeiten. Der Bundesrat hat nun bekanntlich, um seine Position - entgegen dem, was der Deutsche Bundestag im Reichstag beschlossen hat - zu stärken und sie besonders durchschlagskräftig zu machen, eine Gesamtablehnung beschlossen. Meine Damen und Herren, diese Änderung bedeutet für die Union nicht, daß wir das Gesamtpaket inhaltlich und diskussionsmäßig wieder aufzuschnüren bereit sind. Wir nehmen das auf, was aus der Sicht des Bundesrates das Entscheidende ist: die Stärkung der Länder in der föderativen Kompetenzstruktur. Das ist also insbesondere das, was uns vom Vermittlungsausschuß jetzt als Empfehlung zu Art. 72 vorliegt. Herr Kollege Blens hat bereits deutlich gemacht, daß hier vernünftige, sinnvolle Kompromißempfehlungen erarbeitet worden sind, denen wir zustimmen können. Wir sind aber auf der anderen Seite nicht bereit, die Gesamtdiskussion, wie wir sie im Reichstag geführt haben, wieder aufzunehmen. Es ergibt sich aus dem Abstimmungsmechanismus, vor dem wir stehen, daß eine ganze Reihe von Vorschlägen wieder auf dem Tisch liegt, die wir im Reichstag mehrheitlich nicht akzeptiert haben. Ich bin sicher, daß in den kommenden Erklärungen die eine oder andere Frage dieser Art wieder mit angesprochen wird. Deshalb darf ich vor allem zu dem Thema Minderheitenschutz noch einmal die Position der CDU/CSU verdeutlichen. Die CDU/CSU steht zum Minderheitenschutz, so wie ihn unser Grundgesetz bereits heute individualrechtlich vor allem in Art. 3 gewährleistet. Art. 3 ist die Norm, die jedermann das Recht auf Gleichheit und auch auf Achtung und Wahrung seiner ethnischen und kulturellen Identität gewährleistet. Es bedarf darüber hinaus keines kollektiven Minderheitenschutzes, wie er uns heute im vorgeschlagenen Art. 20 b erneut zur Entscheidung vorgelegt wird. Dies widerspricht im übrigen nicht - wenn Sie mir auch noch diese Bemerkung gestatten, meine Damen und Herren - den internationalen Vereinbarungen. Von der Europäischen Menschenrechtskonvention bis zu den Nachbarschaftsverträgen mit Tschechien, mit Polen - überall ist eine individualrechtliche Konstruktion auf der Grundlage der Gegenseitigkeit gewählt, und diese individualrechtliche Konstruktion entspricht schon heute unserem Grundgesetz. Aus diesem Grunde werden wir Art. 20b auch heute nicht zustimmen. Wir werden, um es noch einmal zusammenfassend zu sagen, dem Gesamtpaket zu Beginn gerade wegen der wesentlichen Modifizierungen zu Art. 72 heute zustimmen. Wir werden im übrigen die Verfassungsdiskussion mit dem sicheren Wissen, daß das Grundgesetz in dieser Form auch künftig erfolgreich sein wird, dankbar abschließen. Vielen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Dr. Jürgen Schmude, Sie haben das Wort.

Dr. Jürgen Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD stimmt den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu, und zwar allen Vorschlägen. Wir stimmen zu, obwohl wichtige Ziele unserer Arbeit an der Verfassungsreform wegen des Widerstandes der Koalitionsparteien verfehlt worden sind. - Soziale Staatsziele sind nicht aufgenommen. Das Grundrecht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten fehlt. Die Solidarität mit den armen Völkern in der einen Welt wird nicht angesprochen. Beteiligung der Bürgerinnen und Barger an politischen Sachentscheidungen fehlt, ebenso der Tierschutz. Ich bin überzeugt, diese Anliegen sind dringend. Sie sind entscheidungsreif, sie werden Bundestag und Bundesrat weiterhin beschäftigen. ({0}) Wir stimmen vor allem zu, weil in dem umfangreicheren Vermittlungsvorschlag die drei gemeinsam erreichten Staatszielbestimmungen enthalten sind, von denen jede einzelne die Mühe und den Kampf wert ist, die für ihr Zustandekommen eingesetzt werden mußten. Es wird nach unserem Beschluß ein Ende haben mit der Zuschauerrolle des Staates bei der bisher unbefriedigenden Entwicklung der Gleichberechtigung der Frauen. ({1}) Der Staat hat sich künftig um die tatsächliche Durchsetzung dieser Gleichberechtigung zu kümmern. Er hat sie zu fördern und sich um die Beseitigung der fortbestehenden Nachteile zu bemühen. Es wird Schluß sein mit der teils gedankenlosen, teils absichtlichen Benachteiligung von Behinderten. Geschieht sie doch, wird sie verfassungswidrig sein. ({2}) Die Regelung zum Umweltschutz mag noch so umständlich gefaßt sein, sie wird ihre positive Wirkung für die natürlichen Lebensgrundlagen entfalten. Diese Staatsziele zu erreichen war sehr mühsam. Anfangs trafen sie alle drei auf den Widerstand der Parteien der Bundestagsmehrheit. Insofern ist der jetzige Erfolg auch ein Beispiel dafür, was eine aktive Parlamentsopposition als Minderheit erreichen kann. ({3}) Aktiv und kompetent muß sie freilich sein und am besten auch einen Hans-Jochen Vogel in ihren Reihen haben. ({4}) Wir stimmen weiter dem Vermittlungsvorschlag zum Minderheitenschutz zu. Wir können es immer noch nicht glauben, daß die Koalition in der deutschen Verfassung nicht einmal schwach geregelt sehen will, was sie bei anderen Ländern ständig mit starken Worten einfordert. ({5}) Wir stimmen dem Vorschlag zu einem Verfassungsaufruf zu Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn zu. Hier bestehen empfindliche Mängel in unserer Gesellschaft. Diese Mängel nur in Festansprachen zu beklagen genügt nicht; im Grundgesetz muß ihnen entgegengewirkt werden. ({6}) Wir stimmen dem Antrag zur weiteren Länderzuständigkeit bei den Hochschulen zu. Was da steht, ist praktisch und vernünftig. Es war auch längst zwischen den Bundestagsfraktionen und den Ländern vereinbart. Die Unionsfraktion hätte ihr Abweichen von den getroffenen Vereinbarungen ruhig auch in diesem Punkt korrigieren sollen. Immerhin hat sie sich korrigiert, und immerhin haben die Länder das Einsehen gehabt, nicht das ganze Gesetzgebungsvorhaben am verbliebenen Stein des Anstoßes scheitern zu lassen. So dürfen wir jetzt erleichtert auf die heute möglichen Entscheidungen blicken, trotz aller weitergehenden Wünsche auch dankbar; dankbar nicht zuletzt dafür, daß wir Politiker selbst im Vorwahlkampf, jedenfalls bei einigen wichtigen Grundentscheidungen, durchaus zu gemeinsamem Handeln fähig sind. Danke. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu einer solch breiten Einigung gehören alle. Die aktive Opposition bedarf schon aus mathematischen Gründen der Mithilfe der hier versammelten KoalitionsabgeordneDetlef Kleinert ({0}) ten, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Da hilft alle Aktivität sonst nichts. ({1}) Deshalb möchte ich mich bei allen sehr herzlich bedanken, die dazu beigetragen haben, daß wir heute einen doch ganz bemerkenswert großen Teil dessen, was diskutiert worden ist, mit der nun getroffenen Verfahrensregelung gemeinsam verabschieden können. So ist es auch mit der Weiterentwicklung der Verfassung gewollt: Das, was offenbar so dringlich einer Fortschreibung bedarf und was nach langer Zeit zusätzlicher Erfahrungen unserer Gesellschaft geändert werden muß, soll geändert werden, wenn es den breiten Konsens der Zweidrittelmehrheit tatsächlich erhält. Das gilt für den größten Block, über den wir abzustimmen haben werden. In einigen noch anstehenden Einzelfragen sind die Ansichten unterschiedlich geblieben. Wir neigen bei Veränderungen, bei denen die Voraussetzungen einer völlig veränderten Sicht unserer Gesellschaft und ihrer Umwelt nicht wirklich gegeben sind, zu mehr Zurückhaltung. Dennoch sind wir der Meinung, daß eine stärkere Betonung der Rechte der ethnischen Minderheiten, als sie schon jetzt in Art. 3 Abs. 3 festgehalten ist, wünschenswert wäre. Wir freuen uns über die dringend notwendige Herausstellung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen, die nun wirklich einer allgemein veränderten Einstellung in unserer Gesellschaft zu dieser Frage entspricht und entsprechen muß. Wir möchten aber nicht mit einem besonders liebenswerten Beispiel einerseits und sachlich ungewöhnlich förderlichen Beispiel andererseits, nämlich der zusätzlichen Aufnahme eines Hinweises auf Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn, einen Beitrag dazu leisten, daß die Hoffnung erweckt wird, mit der Aufnahme besonders schöner und besonders wohltuender, ja zu Herzen gehender Bestimmungen in die Verfassung würde auch eine entsprechende Wirklichkeit herbeigeschrieben werden können. Weil das gerade nicht der Fall ist, möchten wir hier keinen falschen Eindruck erwecken. Die Gesamtheit der Bestimmungen des Grundgesetzes, besonders im ersten Teil, soll dazu führen, daß sich die Politik immer wieder um Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn bemüht, ihre Verantwortung wahrnimmt und in der praktischen Regelung von Einzelheiten zu vernünftigen Ergebnissen kommt. Selbstverständlich haben sich alle Seiten des Hauses - dafür sind wir ja wohl auch mit einem gewissen Selbstverständnis als Deutscher Bundestag ausgestattet - mit der Neuregelung des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern schwergetan, die einerseits durch die europäischen Entwicklungen und andererseits auch durch neuere Betrachtungsweisen der Kompetenzen der Länder notwendig geworden ist. Es hat bis zuletzt noch Diskussionen über Einzelheiten gegeben. Uns geht es ganz besonders darum, daß nicht der Gedanke aufkommt, die Einheitlichkeit unseres Rechts - auch in bezug auf die jetzt ausdrücklich aufgenommene Wirtschaftsordnung - könne durch die neu eingefügte Definition bei der konkurrierenden Gesetzgebung gefährdet werden. Die Rechtseinheit wird in allen dort genannten Fällen bis hin z. B. zur beruflichen Bildung weiter durch die Bundesgesetzgebung gewahrt werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigen sie, Herr Kollege Kleinert, die Zeit ist um.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aus dem gleichen Grund werden wir den Antrag zu Art. 75 Nr. 1 a, der auf eine Veränderung der Bildungskompetenzen zielt, nicht annehmen können. Im übrigen glauben wir hier heute ein ausgewogenes Ergebnis verabschieden zu können. Herzlichen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Blens - einen Kuchen, der aus Rosinen und Kröten besteht, für ungenießbar. Das ist aber nicht das Problem, um das es geht. ({0}) Was wir heute hier erleben, Herr Waigel, ist eher der Abgesang einer Verfassungsreform, die den Bürgerinnen und Bürgern in Ost und West versprochen wurde. „Wir sind das Volk" war der spontane Ausdruck von direkter Demokratie, ein Signal zum demokratischen Aufbruch und eine Verpflichtung für die Gestaltung der inneren Einheit. Die vorliegenden Ergebnisse des Vermittlungsausschusses werden dem nicht gerecht. Der Föderalismus sollte gestärkt und die Politverdrossenheit durch mehr Mitwirkungsrechte abgebaut werden. Doch von Sitzung zu Sitzung wurde dieses Reformprojekt immer kümmerlicher. Heute steht diese Regierungskoalition im Widerspruch zum Grundgesetz. Heute verhindert eine konservative Sperrminorität die Umsetzung des Art. 146, verhindert, daß sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung eine Verfassung gibt, ({1}) verhindert gerade die Umsetzung des Artikels, der für den historischen Glücksfall der deutschen Einheit geschrieben wurde und eine Volksabstimmung über die Grundlagen unseres Zusammenlebens vorsieht. Dieser Artikel bleibt somit als Mahnmal für das demokratische Versagen einer an Machterhalt orientierten Partei bestehen, ({2}) deren Führung deutlicher nicht hätte zeigen können, wie sehr sie dem Volk mißtraut. Werner Schulz ({3}) Kaum war der ohnehin dürftige und unbefriedigende Bericht der Verfassungskommission auf dem Tisch, begann die Demontage des verbliebenen Reformtorsos. Jetzt liegt ein schmaler Minimalkonsens des Vermittlungsausschusses vor. Natürlich, Länder können sich wehren, nationale Minderheiten kaum. Deswegen finde ich es empörend und unmoralisch, den hier lebenden ethnischen Minderheiten die Achtung zu verweigern. ({4}) Ausgerechnet die Bundesregierung, die keine Gelegenheit ausläßt, anderen Ländern die Sonderstellung deutscher Minderheiten ans Herz zu legen, erweist sich als überfordert, die kulturelle und sprachliche Identität hier lebender Minderheiten wenigstens zu achten, wenn sie schon nicht in der Lage ist, sie zu schützen. ({5}) Wenn wir trotz allem den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zustimmen, dann nur deshalb, weil es bei der Gleichstellung der Frauen, dem Verbot der Diskriminierung von Behinderten und beim Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen wenigstens kleine Fortschritte gibt. Unzählige Fraueninitiativen haben über Jahre gekämpft, um die formale Gleichberechtigung durch die tatsächliche Gleichstellung der Frauen in Staat und Gesellschaft zu ergänzen. Bei so viel Frauenpower wurde sogar der Unionsbeton brüchig. Anerkennung und Respekt möchte ich vor allem den Menschen mit Behinderungen aussprechen, deren großem Engagement es zu verdanken ist, daß die Diskriminierung von Behinderten nun in der Verfassung verboten wird. Die Gruppe BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN bedauert die bescheidenen Ergebnisse des Vermittlungsausschusses. Wir werden - trotz der versäumten Chancen, aber in dem Bewußtsein, daß eine wirkliche Verfassungsreform noch aussteht - den dürftigen Grundgesetzverbesserungen dennoch zustimmen. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Herr Kollege Uwe-Jens Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Kleinert hat soeben gesagt, daß ein großer Teil des in der Verfassungskommission Diskutierten jetzt hier beschlossen würde. Herr Kleinert muß in einer anderen Verfassungskommission gewesen sein. Es ist in dieser Verfassungskommission sehr vieles diskutiert worden: Volksgesetzgebung, Erweiterung des Sozialstaats, Friedensstaatsgebot. Davon ist zwar das meiste in der Kommission mit einfacher und zum Teil sogar mit Zweidrittelmehrheit beschlossen worden, aber zur Beschlußfassung hier liegt es nicht mehr vor. ({0}) - Es ist wenig, aber dem Wenigen, das hier jetzt noch vorgeschlagen wird, stimmen wir dennoch zu. Die PDS hat in der Verfassungsfrage mit der Einreichung eines eigenen Verfassungsentwurfs eine Position bezogen, die nach meiner Überzeugung als einzige dem Grundgesetzauftrag nach Art. 146 gerecht wird. Lange Zeit war es recht still um unseren Verfassungsentwurf. Man wollte offenbar verhindern, daß das Thema einer neuen Verfassung nach Art. 146 Grundgesetz ernsthaft erörtert wurde. Dieser Artikel stellt bekanntlich klar, daß das Grundgesetz außer Kraft tritt, wenn das ganze deutsche Volk wiedervereinigt ist und in freier Selbstbestimmung etwas Neues beschließt. Immerhin, wenn es zu Debatten über einzelne Verfassungsforderungen der PDS/Linke Liste kam, z. B. über den Vorschlag einer ostdeutschen Kammer oder einer Toleranzregelung mit Verfassungsrang, so verliefen diese zwar hart in der Sache und zum Teil auch in der Form, aber eine Kriminalisierung unserer Verfassungsvorschläge gab es nicht. Das Signal für eine Wende in diesen Dingen wollte Dr. Jentsch, CDU-Justizminister in Thüringen, bereits am 2. März 1994 geben. Er sagte, daß die PDS die grundgesetzliche Ordnung verunglimpfe und die parlamentarische Demokratie abschaffen wolle, und forderte ein Urteil gegen die PDS. ({1}) Damals fand er allerdings in den eigenen Reihen sehr wenig Unterstützung. Nicht einmal die Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen nahmen Notiz von seinem Vorstoß. Jetzt, im Rahmen der Wahlkampagne, wird alles anders. Jetzt hat Herr Eylmann, Vorsitzender des Rechtsausschusses, das „wahre Gesicht" der PDS als „Rattenfänger" daran erkannt, ({2}) daß sie „einen völlig neu konzipierten Verfassungsentwurf" für „eine andere Republik" vorlegt. Die Frage aber, wieso es etwas Schlechtes sein soll, das, was die Mütter -vier - und Väter des Grundgesetzes eben für den Fall der staatlichen Vereinigung vorsahen, zu verwirklichen, nämlich eine neue Verfassung, blieb unbeantwortet. Herr Ludwig Dohmen schrieb in der „FAZ", wir wollten eine „andere Republik" in Gestalt eines „Rätestaates". Dafür sprach in seinen Augen die Befürwortung eines „Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrates," einer Institution, für die Art. 165 der Weimarer Reichsverfassung wie auch der ökologische Rat des Kuratoriumsentwurfs als Vorbilder dienten. Als letzten Höhepunkt möchte ich Ihnen einen Artikel aus dem „Bayernkurier" nennen, dem Zentralorgan der CSU. In diesem Organ hieß es unter der Überschrift „Sowjetrepublik Deutschland" am 20. August dieses Jahres: Während man im gesamten ehemaligen kommunistischen Machtbereich weiß, daß nur die Privatisierung ... einen Ausweg weisen kann, geht die PDS/SED den entgegengesetzten Weg: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung" mühelos enteignet werden. Das sei also die Sowjetrepublik Deutschland. Nun muß ich Ihnen mitteilen, daß die Formulierung unseres Art. 47 wörtlich mit dem Art. 15 des geltenden Grundgesetzes übereinstimmt. ({3}) Ich würde also doch darum bitten, daß die Verfassungskenntnisse der CSU und ihres Zentralorgans etwas gestärkt werden. ({4}) Die Rituale des Kalten Krieges leben in einer Welt fort, die sich grundlegend verändert hat. Mit dem Zusammenbruch der DDR und der sozialistischen Länder Osteuropas überhaupt ist auch das realsozialistische Konzept der Diktatur des Proletariats mit der damit einhergehenden Negierung der zivilisatorischen Errungenschaften bürgerlicher Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gescheitert. Heute verlaufen die Frontlinien zwischen den konservativen Befürwortern einer nur repräsentativen, die Macht der Parteien und der Bürokratie stabilisierenden eingeschränkten Demokratie zur Verteidigung des gesellschaftlichen Status quo einerseits und den Befürwortern einer Demokratisierung von Staat und Gesellschaft andererseits. Wir verteidigen die grundgesetzlichen Verfassungsprinzipien der Volkssouveränität, der Wahrung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Daß wir in Übereinstimmung mit anderen politischen Kräften einen vielgestaltigen Handlungsbedarf zur Verteidigung und Verwirklichung dieser Prinzipien auch im Bereich der Verfassungsgebung sehen, ist unser gutes demokratisches Recht. Meine Damen und Herren, die PDS ist eine Verfassungspartei. ({5}) Sie will sogar eine erneuerte Verfassung auf dem vom Grundgesetz in Art. 146 vorgeschriebenen Weg. Die beste Verteidigung meine Damen und Herren, auch Sie werden das sehen des Grundgesetzes ist seine Erneuerung. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, wie Kollege Blens als Berichterstatter dargelegt hat, vier Gesetze zur Annahme. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung hat er beschlossen, daß im Deutschen Bundestag getrennt über die vier Gesetze abzustimmen ist. Es soll aber über die einzelnen Gesetze jeweils insgesamt abgestimmt werden. Wir haben also vier Abstimmungen. Ich weise darauf hin, daß nach Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes jeweils die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages - das sind mindestens 442 Stimmen - erforderlich ist. Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118 a und 125 a, Drucksache 12/8423, zweiter Spiegelstrich, ab. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie noch einmal darauf hinweisen, daß dies die erste Abstimmung über ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes ist. Es folgen drei weitere, bei denen die Abstimmungen zwar nicht namentlich sein werden, zu deren Annahme aber wiederum eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Ich bitte Sie also, nicht gleich wegzugehen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Geschäftsführer der Fraktionen machen mich noch einmal darauf aufmerksam, daß wir bei den weiteren Abstimmungen jeweils Zweidrittelmehrheiten benötigen. Es gehen offensichtlich einige Kolleginnen und Kollegen schon weg in der Annahme, sie hätten ihre Pflicht ausreichend erfüllt. Das ist nicht der Fall. Ich frage: Befindet sich jemand im Saal, der noch nicht seine Stimme abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, mit dem Auszählen zu beginnen. Bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes, also des Vermittlungsausschusses, zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 3, 20a, 28, 29, 72, 74, 75, 76, 77, 80, 87, 93, 118a und 125a, bekannt. Das liegt Ihnen auf der Drucksache 12/8423, zweiter Spiegelstrich, vor. Es wurden 590 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 576, mit Nein haben gestimmt 13; Enthaltungen: 1. Die Beschlußempfehlung ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, wie Sie sich sicherlich schon selber ausgerechnet haben, angenommen. Endgültiges Ergebnis Ja Abgegebene Stimmen: 585; CDU/CSU davon: Dr. Ackermann, Else ja: 571 Adam, Ulrich nein: 13 Dr. Altherr, Walter Franz Austermann, Dietrich enthalten: 1 Bargfrede, Heinz-Günter Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Börnsen ({0}), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Bohl, Friedrich Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus Breuer, Paul Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler ({1}), Klaus Büttner ({2}), Hartmut Buwitt, Dankward Carstens ({3}), Manfred Carstensen ({4}), Peter Harry Clemens, Joachim Dempwolf, Gertrud Deres, Karl Deß, Albert Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst Eymer, Anke Falk, Ilse Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen Fischer ({5}), Dirk Fockenberg, Winfried Francke ({6}), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({7}), Johannes Dr. Geiger ({8}), Sissy Geiger, Michaela Geis, Norbert Dr. Geißler, Heiner Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster ({9}), Johannes Gibtner, Horst Glos, Michael Götz, Peter Dr. Götzer, Wolfgang Gres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter Dr. Grünewald, Joachim Günther ({10}), Horst Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Handschack, Lothar Harries, Klaus Haschke ({11}), Gottfried Haschke ({12}), Udo Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser ({13}), Otto Hauser ({14}), Hansgeorg Heise, Manfred Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Herr, Norbert Hiebing, Maria Anna Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert Jäger, Claus Jaffke, Susanne Dr. Jahn ({15}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon Jung ({16}), Michael Junghanns, Ulrich Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Kauder, Volker Keller, Peter Kiechle, Ignaz Klein ({17}), Günter Klein ({18}), Hans Klinkert, Ulrich Köhler ({19}), Hans-Ulrich Dr. Köhler ({20}), Volkmar Dr. Kohl, Helmut Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Krause ({21}), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl Lamp, Helmut Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Dr. Lehr, Ursula Lenzer, Christian Limbach, Editha Link ({22}), Walter Lintner, Eduard Dr. Lippold ({23}), Klaus W. Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann ({24}), Wolfgang Louven, Julius Lummer, Heinrich Dr. Luther, Michael Maaß ({25}), Erich Männle, Ursula Magin, Theo Dr. Mahlo, Dietrich Marschewski, Erwin Dr. Mayer ({26}), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Dr. Merkel, Angela Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Molnar, Thomas Müller ({27}), Elmar Müller ({28}), Hans-Werner Müller ({29}), Alfons Nelle, Engelbert Neumann ({30}), Bernd Niedenthal, Erhard Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto ({31}), Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeifer, Anton Dr. Pfennig, Gero Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried Dr. Pohler, Hermann Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter Rauen, Peter Harald Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Dr. Riedl ({32}), Erich Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode ({33}), Helmut Rönsch ({34}), Hannelore Romer, Franz Dr. Rose, Klaus Rossmanith, Kurt J. Roth ({35}), Adolf Rother, Heinz Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({36}), Helmut Sauer ({37}), Roland Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schell, Manfred Schemken, Heinz Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Dr. Schmidt, Christa Schmidt ({38}), Christian Dr.-Ing. Schmidt ({39}), Joachim Schmidt ({40}), Andreas Schmidt ({41}), Trudi Schmitz ({42}), Hans Peter von Schmude, Michael Dr. Schneider ({43}), Oscar Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({44}), Dieter Schulz ({45}), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan Dr. Schwarz-Schilling, Christian Dr. Schwörer, Hermann Seehofer, Horst Seesing, Heinrich Seiters, Rudolf Sikora, Jürgen Skowron, Werner H. Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Dr. Stoltenberg, Gerhard Strube, Hans-Gerd Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon Szwed, Dorothea Tillmann, Ferdi Dr. Töpfer, Klaus Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({46}), Friedrich Vogt ({47}), Wolfgang Dr. Voigt ({48}), Hans-Peter Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({49}), Herbert Wetzel, Kersten Wiechatzek, Gabriele Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd Wimmer ({50}), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({51}), Simon Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang SPD Adler, Brigitte Alltschekow, Peter Andres, Gerd Antretter, Robert Bachmaier, Hermann Barbe, Angelika Becker ({52}), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Dr. Bersch, Walter Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf Blunck ({53}), Lieselott Bock, Thea Dr. Böhme ({54}), Ulrich Börnsen ({55}), Arne Brandt-Elsweier, Anni Dr. Brecht, Eberhard Büchler ({56}), Hans Büchner ({57}), Peter Dr. von Bülow, Andreas Büttner ({58}), Hans Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Dr. Däubler-Gmelin, Herta Daubertshäuser, Klaus Dr. Dehn, Jörg-Dieter Dr. Diederich ({59}), Nils Diller, Karl Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Ebert, Eike Dr. Eckardt, Peter Dr. Ehmke ({60}), Horst Eich, Ludwig Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot Esters, Helmut Ferner, Elke Fischer ({61}), Evelin Fischer ({62}), Lothar Fuchs ({63}), Anke Fuchs ({64}), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert Gilges, Konrad Graf, Günter Großmann, Achim Haack ({65}), Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Dr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, Günther Hiller ({66}), Reinhold Hilsberg, Stephan Horn, Erwin Ibrügger, Lothar Janz, Ilse Dr. Janzen, Ulrich Jaunich, Horst Dr. Jens, Uwe Jung ({67}), Volker Jungmann ({68}), Horst Kastner, Susanne Kastning, Ernst Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich Dr. Knaape, Hans-Hinrich Kolbe, Regina Kolbow, Walter Koltzsch, Rolf Kubatschka, Horst Kuessner, Hinrich Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Dr. Leonhard, Elke Lörcher, Christa Lohmann ({69}), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß ({70}), Dieter Marx, Dorle Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus Mehl, Ulrike Meißner, Herbert Dr. Mertens ({71}), Franz-Josef Dr. Meyer ({72}), Jürgen Mosdorf, Siegmar Müller ({73}), Michael Müller ({74}), Albrecht Müller ({75}), Rudolf Müller ({76}), Jutta Neumann ({77}), Volker Neumann ({78}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Niggemeier, Horst Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Opel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Otto, Helga Palis, Kurt Paterna, Peter Dr. Penner, Willfried Peter ({79}), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Rappe ({80}), Hermann Reimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto Reuschenbach, Peter W. Reuter, Bernd Rixe, Günter Schanz, Dieter Dr. Scheer, Hermann Scheffler, Siegfried Schily, Otto Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({81}), Horst Schmidt ({82}), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil Dr. Schöfberger, Rudolf Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schütz, Dietmar Schulte ({83}), Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Seidenthal, Bodo Sielaff, Horst Simm, Erika Singer, Johannes Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Dr. Sperling, Dietrich Steen, Antje-Marie Steiner, Heinz-Alfred Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Titze-Stecher, Uta Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt ({84}), Karsten D. Vosen, Josef Wagner, Hans Georg Wallow, Hans Waltemathe, Ernst Walther ({85}), Rudi Wartenberg ({86}), Gerd Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis ({87}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek ({88}), Helmut Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter Wimmer ({89}), Hermann Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna Zapf, Uta Dr. Zöpel, Christoph F.D.P. Albowitz, Ina Dr. Babel, Gisela Dr. Blunk ({90}), Michael. Bredehorn, Günther Cronenberg ({91}), Dieter-Julius Eimer ({92}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Gallus, Georg Ganschow, Jörg Gries, Ekkehard Grünbeck, Josef Grüner, Martin Günther ({93}), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hansen, Dirk Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Homburger, Birgit Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Dr. Jordan, Jens Kleinert ({94}), Detlef Kohn, Roland Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Han Dr. Graf Lambsdorff, Otto Leutheusser-Schnarrenberge Sabine Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W. Dr. Ortleb, Rainer Otto ({95}), Hans-Joachim Paintner, Johann Parr, Detlef Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ({96}), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schäfer ({97}), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt ({98}), Arno Dr. Schmieder, Jürgen Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, Hans Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Thiele, Carl-Ludwig Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen Türk, Jürgen Walz, Ingrid Dr. Weng ({99}), Wolfgang Würfel, Uta Zurheide, Burkhard Zywietz, Werner PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Henn, Bernd Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philipp, Ingeborg Dr. Seifert, Ilja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Weiß ({100}), Konrad Fraktionslos Dr. Krause ({101}), Rudolf Karl Stachowa, Angela Nein CDU/CSU Augustinowitz, Jürgen Diemers, Renate Dr. Fell, Karl H. Göttsching, Martin Hedrich, Klaus-Jürgen Kampeter, Steffen Karwatzki, Irmgard Dr. Lammert, Norbert Marienfeld, Claire Pofalla, Ronald Rawe, Wilhelm Reinhardt, Erika Fraktionslos Hackel, Heinz-Dieter Enthalten CDU/CSU Dr. Hellwig, Renate Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Ich erteile nunmehr nach § 31 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Norbert Lammert das Wort. ({102})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vom Vermittlungsausschuß in unterschiedlichen Einzelgesetzen zur Abstimmung gestellten Verfassungsänderungen zwingen mich und viele Kollegen zu einem Abstimmungsverhalten, das ich erläutern will und grundsätzlich kritisieren muß. Die Kollegin Irmgard Karwatzki und die Kollegen Wilhelm Rawe und Dr. Fell haben mich gebeten, diese Erklärung auch in ihrem Namen abzugeben. Mir wäre es im übrigen lieber gewesen, ich hätte sie nicht abgeben müssen. Welches Interesse ich am „Zeitschinden" haben soll, ist mir völlig unerfindlich. Ich bitte, einen Augenblick darüber nachzudenken: Wir reden jetzt über die Verfassung, die wir zu ändern im Begriffe sind und die im Unterschied zu dem Haushalt, über den wir die Beratungen momentan unterbrochen haben und demnächst wieder von vorne beginnen, für eine nicht überschaubare Zukunft Bestand haben soll. Ich bitte, das schon bei der Berücksichtigung des Zeitaufwandes, den wir uns dafür wechselseitig genehmigen, gelegentlich mit zu bedenken. ({0}) Mir ist sehr bewußt, daß es meistens leichter ist, Beratungsergebnisse zu kritisieren, als sie zustande zu bringen. Deswegen will ich ausdrücklich meinen Respekt vor der Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission wie auch den anschließenden Bemühungen des Vermittlungsausschusses um eine zustimmungsfähige Lösung zum Ausdruck bringen. Allerdings ist hier auch deutlich geworden, daß die mehrfach geäußerten Zweifel allzu berechtigt sind, ob ein Vermittlungsverfahren für streitige Verfassungsfragen wirklich geeignet ist. ({1}) Erstens. Es ist bedauerlich und schwer erträglich, daß - formal übrigens korrekt nach der geltenden Regelung der Geschäftsordnung zum Vermittlungsverfahren - auch veränderte Beschlußempfehlungen zur Verfassung in der Version des Vermittlungsausschusses ohne Aussprache gebilligt oder verworfen werden müssen. Ich empfinde es als eine eher peinliche Krönung dieser Situation, daß vor der Abstimmung fünf im Ergebnis übereinstimmende Fraktionserklärungen vorgetragen werden konnten, dagegen keine einzige sich kritisch mit diesem Ergebnis auseinandersetzende Stellungnahme vor der Abstimmung möglich war. ({2}) Zweitens. Fast alle der im Gesetzespaket Nr. 1 zusammengefaßten Änderungen und Ergänzungen zum Grundgesetz sind zustimmungsfähig, wenn auch nach meinem Eindruck nicht immer notwendig. Ihre sachwidrige und willkürliche Verknüpfung mit den streitigen Vorschlägen zur Veränderung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes hindert mich daran, diesen Vorschlägen zuzustimmen. Ich hätte ihnen gerne zugestimmt, aber dazu bin ich im Rahmen des Abstimmungspaketes nicht in der Lage. Drittens. Die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, - dies betrifft Art. 72 in Verbindung mit den Art. 93 und 125 - sind nach meiner Überzeugung weder notwendig noch vernünftig. Sie sind ganz gewiß weder einigungsbedingt noch durch den Einigungsvertrag geboten. Für die von den Ländern angestrebte Neuregelung der Gesetzgebungskompetenzen mit dem Ziel der Beschränkung bundesgesetzlicher Regelungen gibt es sicher beachtliche Gründe. Das bestreite ich überhaupt nicht. Darüber ist allerdings nicht abstrakt, sondern immer im konkreten Fall zu entscheiden. Dies ist durch eine formalisierende Generalklausel mit unbestimmten, interpretationsbedürftigen Rechtsbegriffen nicht zu leisten und schon gar nicht durch das in Art. 93 ausdrücklich eröffnete Verfassungsgerichtsverfahren auf Antrag des Bundesrates, jeder einzelnen Landesregierung oder eines einzelnen Länderparlamentes, mit dem politische Streitfragen zwischen Bund und Ländern, Bundestag und Bundesrat einmal mehr aus den zuständigen Parlamenten abwandern und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zugemutet werden. Ich halte dies für eine groteske Umkehrung der Debatten, die wir in diesem Haus in einschlägigen Zusammenhängen immer wieder geführt haben. ({3}) Die vorgeschlagenen inhaltlichen und formalen Hürden der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit des Bundes bei künftigen Aufgaben und Handlungserfordernissen, die heute noch gar nicht absehbar sind. Dies berührt die Verläßlichkeit der gesetzlichen Rahmenbedingungen am Standort Deutschland, und es beschädigt die Handlungsfähigkeit des größten Mitgliedstaates in der Europäischen Union. Kein anderes Mitgliedsland in der EU käme auf die Idee, mitten im Integrationsprozeß die eigenen gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten auf diese Weise leichtfertig zu beschneiden, wie das dieses Verfassungsorgan heute tut. Ich persönlich halte diese Regelung für unvertretbar und kann daher diesen Verfassungsänderungen nicht zustimmen. Viertens. Die offensichtlich sachwidrige Verbindung dieser Verfassungsänderung mit einer Reihe weiterer unstreitiger Ergänzungen, vor allem im Grundrechtsteil, ist nach meiner Überzeugung verfassungsrechtlich höchst problematisch und verfassungspolitisch unzumutbar. Sie soll den Verfassungsgesetzgeber Bundestag zu einer Verfassungsänderung nötigen, für die es - nachweislich der Abstimmungen im Reichstag am 30. Juni 1994 - in diesem Bundestag nicht einmal eine einfache Mehrheit gibt, geschweige denn eine Zweidrittelmehrheit. Abschließende Bemerkung, Herr Präsident: Unabhängig von der unterschiedlichen Beurteilung der heute zur Abstimmung stehenden einzelnen Änderungsanträge zum Grundgesetz hoffe ich persönlich auf eine breite Übereinstimmung, daß der Deutsche Bundestag in der nächsten Legislaturperiode offensichtlich eine Veränderung seines Verfahrens bzw. der Geschäftsordnung benötigt, soweit Verfassungsfragen im Vermittlungsausschuß behandelt und danach im Bundestag zur endgültigen Abstimmung gestellt werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Lammert, Ihr letzter Satz beruhigt mich ein wenig; denn ich möchte in diesem Zusammenhang feststellen: Sie haben das Verfahren als nicht geeignet und als verfassungsrechtlich problematisch dargestellt. Ich fühle mich verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß das Vermittlungsverfahren nach der Geschäftsordnung abgelaufen ist. ({0}) - Ja, eben. - Es ist, wie wir das bisher immer gemacht haben, nach Art. 77 unseres Grundgesetzes durchgeführt worden. Ich sage das deswegen, damit im Haus kein Zweifel über die Rechtsgültigkeit entsteht ({1}) und bin dankbar, wenn wir das festhalten können. Wir kommen jetzt zu der persönlichen Erklärung des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert nach § 31 unserer Geschäftsordnung.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufnahme des Benachteiligungsverbots für Menschen mit Behinderungen in das Grundgesetz war überfällig. Obwohl das Ziel praktisch aller Behindertenorganisationen in Deutschland nicht erreicht wurde, weil nämlich die Verpflichtung zum Nachteilsausgleich fehlt, war der 30. Juni 1994 für uns ein Feiertag. Ich erinnere Sie daran, wie viele Menschen mit Behinderungen extra zum Reichstag gekommen sind, um das sich selbst und damit auch Ihnen kundzutun. Der machtpolitische Hickhack zwischen den Länderfürsten einerseits und der Bundesregierung andererseits, der danach einsetzte, stellte für kurze Zeit selbst das nun mühsam erreichte Teilziel aller Behindertenverbände in unverantwortlicher Weise wieder in Frage. Die real existierenden Benachteiligungen, die nun einmal da sind und die jetzt auch in der Verfassung sozusagen zumindest konstatiert werden, dürfen nicht als Manövriermasse für Machtkungeleien mißbraucht werden. Vielmehr ist jetzt, meine Damen und Herren - und ich appelliere an Sie und an den zukünftigen Bundestag -, die Ausgestaltung dieses Verfassungssatzes durch ein umfassendes Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetz vonnöten, das die Nachteilsausgleiche verbindlich regelt und das bindende Sanktionen dafür festlegt, wie Verstöße geahndet werden. Insofern bitte ich darum, daß die heutige Entscheidung ein neuer Anfang sein sollte, nein: sein muß. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich kann nunmehr die Zusatzpunkte 1 bis 11 aufrufen. ({0}) Ich rufe zunächst Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage ({2}) - Drucksachen 12/4887, 12/5108, 12/7588, 12/7875, 12/7839, 12/7832, 12/8281, 12/8413 Berichterstattung: Abgeordneter Hermann Rind Herr Rind, Sie haben das Wort zu einer Berichtigung.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! In der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegenden Beschlußempfehlung auf Bundestagsdrucksache 12/8413 ist durch ein Versehen in Art. 2 Nr. 2 - das betrifft § 3 Abs. 3 des Ausgleichsleistungsgesetzes - ein Zitat fehlerhaft wiedergegeben worden. Im Text heißt es gleich zu Beginn des Abs. 3 : „Nach Absatz 2 Satz 1 und 2." Richtig muß es heißen: Nach Absatz 2 Satz 1 bis 3. Diese Änderung ist auch mit der Länderseite abgestimmt. Es ist die reine Berichtigung eines Versehens. Vielen Dank.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt über diese Beschlußempfehlung abstimmen und komme dann auf die noch fehlenden Beschlußempfehlungen zu den Verfassungsänderungen zurück. Wer für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses unter Berücksichtigung der Berichtigung ist, die der Abgeordnete Hermann Rind eben vorgetragen hat, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegenstimmen gibt es von der Gruppe PDS/Linke Liste und von den Abgeordneten Gallus und Bredehorn sowie von einigen Abgeordneten aus der CDU/CSU-Fraktion, diverse Enthaltungen aus der F.D.P.-Fraktion, aus der SPD-Fraktion und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Trotz dieses unterschiedlichen Abstimmungsverhaltens kann ich feststellen, daß die Beschlußempfehlung mit einer ausreichenden Mehrheit angenommen worden ist. Wir stimmen jetzt ab über die Beschlußempfehlung zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 2a, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn, auf Drucksache 12/8423, erster Spiegelstrich.*) Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich glaube, die Mehrheitsverhältnisse sind klar: Die für die Annahme der Beschlußempfehlung erforderliche Mehrheit ist nicht erreicht worden, und zwar bei unterschiedlichem Abstimmungsverhalten der Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion. Wir stimmen jetzt ab über den Vermittlungsvorschlag zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 20b, Achtung der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten. Das liegt Ihnen auf der Drucksache 12/8423 unter dem dritten Spiegelstrich vor.") Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung hat die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, wobei die F.D.P.-Fraktion sehr unterschiedlich abgestimmt hat. ({0}) Das muß man, glaube ich, festhalten. Unterschiedliches Abstimmungsverhalten gab es auch in der CDU/ CSU-Fraktion. Auf jeden Fall ist die erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden. Wir stimmen jetzt noch ab über den Vermittlungsvorschlag zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes, Art. 75, Hochschulwesen. Das liegt Ihnen unter dem vierten Spiegelstrich auf Drucksache 12/8423 vor. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch hier ist die für die Annahme der Beschlußempfehlung erforderliche Mehrheit bei fast einheitlichem Abstimmungsverhalten der CDU/ CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion, die die Beschlußempfehlung abgelehnt haben, nicht erreicht worden. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft - Drucksachen 12/7770, 12/8069, 12/8289, 12/8414 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck Vom Abgeordneten Peter Struck liegen mir eine schriftliche Erklärung nach § 90 unserer Geschäftsordnung zu der Frage der Windkraftanlagen * * *) und eine Erklärung des Abgeordneten Dr. Feige nach § 31 unserer Geschäftsordnung betreffend erneuerbare Energie vor.* * * * ) *) Erklärung zur Abstimmung siehe Anlage 4 **) Erklärung zur Abstimmung siehe Anlage 5 ***) Anlage 6 ****) Anlage 7 Ich lasse nunmehr über die Beschlußempfehlung abstimmen. W .r der Beschlußempfehlung zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/ Linke Liste, Zustimmung einiger SPD-Abgeordneter sowie Ablehnung und Enthaltung einiger CDU-Abgeordneter und einer Enthaltung bei der F.D.P.-Fraktion ist die Beschlußempfehlung angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts ({3}) - Drucksachen 12/6699, 12/7265, 12/7850, 12/8275, 12/8318, 12/8415 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist diese Beschlußvorlage angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht weiden können ({5}) - Drucksachen 12/6961, 12/7704, 12/8288, 12/8416 -Berichterstattung Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthatlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({6}) zu dem Gesetz über Krebsregster ({7}) - Drucksachen 12/6478, 12/7726, 12/8287, 12/8417 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung des Abgeordneten Dr. Feige angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({8}) zu dem Zweiten GeVizepräsident Dieter-Julius Cronenberg setz zur Änderung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes - Drucksachen 12/6992, 12/7929, 12/8286, 12/8418 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie einigen Gegenstimmen aus der SPD-Fraktion ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({9}) zu dem Siebzehnten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({10}) - Drucksachen 12/7430, 12/7902, 12/8284, 12/8419 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Die CDU/CSU-Fraktion. ({11}) Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen aus allen Fraktionen - wenn ich das richtig sehe - und gegen etliche Stimmen aus der F.D.P.-Fraktion ist diese Beschlußempfehlung abgelehnt. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({12}) zu dem Gesetz zur Reform des Markenrechts und zur Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ({13}) - Drucksachen 12/6581, 12/7671, 12/8278, 12/8420 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({14}) zu dem Gesetz zur Regelung des Planungsverfahrens für Magnetschwebebahnen ({15}) - Drucksachen 12/7006, 12/7925, 12/8283, 12/8421 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke Wer ist für diese Beschlußempfehlung? - Wer ist dagegen? - Herr Dr. Feige, ich habe keine Wortmeldung vorliegen. Es tut mir schrecklich leid. Zunächst stelle ich fest, daß diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ({16}) gegen SPD-Stimmen und die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie PDS/Linke Liste angenommen worden ist. Herr Dr. Feige, wenn Sie eine Erklärung dazu abgeben wollen, dann lasse ich Ihnen diese Möglichkeit. Aber ich bitte, darauf zu achten, daß das vorher angemeldet werden muß.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist manchmal schon überraschend, was da aus dem Vermittlungsausschuß zurückkehrt. Im Fall des Magnetschwebebahnplanungsgesetzes ist aber der angebliche Kompromiß angesichts der Reden, die hier im Bundestag gehalten wurden, insbesondere von meinen Kollegen von der SPD, und des jetzigen Votums einiger sozialdemokratisch geführter Lander schon verwunderlich. Wir können dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht folgen, und zwar ganz einfach deshalb, weil sich in der Zwischenzeit von der ersten Debatte bis heute an der eigentlichen Situation bei diesem Gesetz nichts geändert hat. In dein Sinne ist zwar dem Transrapid durch das Ministerduo Krüger/Wissmann die technische Einsatzreife bestätigt worden, aber von Marktreife ist hier doch beim besten Willen nichts zu sehen. Sie haben bei Ihrer einseitigen Argumentation für das Transrapidprojekt Hamburg-Berlin wissentlich außer acht gelassen, daß auch die Entwicklung der konventionellen Zugtechnik nicht stehenbleibt. Leichtere Züge, Bremsenergierückgewinnung, Neigetechnik und Einzelradaufhängung führen zu erheblichen Verbesserungen der noch lange nicht ausgereizten Rad-Schiene-Technologie. Aber unsere Gegenstimme richtet sich insbesondere gegen das beabsichtigte unsolide Finanzierungskonzept dieses Prestigeobjektes. Hier gilt analog der privaten Vorfinanzierung von Straßen, daß dies die teuerste Finanzierungsvariante ist, die gegen den Grundsatz der wirtschaftlichen Haushaltsführung des Staates verstößt. Das machen wir nicht mit. Wir stimmen auch deshalb gegen den Vermittlungsvorschlag, weil Sie sich das Projekt hinsichtlich des anvisierten Passagieraufkommens auch noch schönlügen. Über vierzehneinhalb Millionen Fahrgäste pro Jahr im Zehnminutentakt im Jahr 2004 wären eine Steigerung gegenüber dem heutigen Bahn- und Luftverkehr zwischen Hamburg und Berlin um den Faktor 8. Um die Rentabilitätsschwelle der Magnetschwebebahn zwischen Berlin und Hamburg auch nur annähernd zu erreichen, müßte erst noch die Autobahn von Berlin nach Hamburg weggesprengt werden. Trotz der Einbindung der privaten Wirtschaft in die Finanzierungskonzeption des Projekts trägt letztend21290 lich der Bund das gesamte Finanzierungsrisiko allein. Aber für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist das Magnetschwebebahnplanungsgesetz allein schon deshalb abzulehnen, weil es nicht unseren Vorstellungen von Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz der Betroffenen entspricht. Es ist im Geiste des unsäglichen technokratischen Beschleunigungsgesetzes abgefaßt. Wir haben dem Gesetz deshalb nicht zugestimmt, weil das Planungsgesetz auch nach dem Passieren des Vermittlungsausschusses nicht um ein Gramm demokratischer ist als die ursprüngliche bürgerfeindliche Variante. Ich selbst sehe schon Varianten für den Einsatz von Transrapid, aber nicht zwischen Berlin und Hamburg und nicht bei einem so großzügigen Umgang mit Steuermitteln. Hören Sie endlich auf, das Geld von vielen zugunsten weniger aus dem Fenster zu werfen! Stimmen Sie mit uns - einige haben das ja getan - gegen dieses Gesetz! Transrapid darf es so nicht geben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das war die Erklärung nach der Abstimmung. Zur Abstimmung selbst möchte ich, damit es im Protokoll festgehalten wird, noch darauf hinweisen, daß etliche Abgeordnete aus der SPD-Fraktion dieser Beschlußempfehlung zum Magnetschwebebahnplanungsgesetz zugestimmt haben. ({0}) Wir kommen zum Zusatzpunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz ({2}) - Drucksachen 12/7562, 12/8047, 12/8101, 12/8290, 12/8422 Berichterstattung: Abgeordneter Erwin Marschewski Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und bei Gegenstimmen der PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 11: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften - Drucksachen 12/5826, 12/8005, 12/8398, 12/8424 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck Dazu hat die Abgeordnete Frau Ina Albowitz um das Wort gebeten. ({4})

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich und eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion können dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften nicht zustimmen. ({0}) Die darin vorgesehene Ergänzung des im Bundestag beschlossenen Gesetzentwurfs um die Änderung des Gaststättengesetzes, mit der sämtliche gastronomischen Betriebe gezwungen werden, mindestens ein nichtalkoholisches Getränk ({1}) zu einem geringeren oder gleich hohen Preis abzugeben wie das billigste alkoholhaltige Getränk, können wir mit unserer Stimme nicht unterstützen. ({2}) - Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir unterhalten uns jetzt über unsere beiden Kinder. Meine Tochter ist 19, sie hat Disco-Erfahrung; Ihre, glaube ich, noch nicht. Dazu sage ich gleich noch etwas. ({3}) Jugendschutz und Gesundheitsvorsorge, meine Damen und Herren, sind auch für die F.D.P. ganz wichtige Anliegen. Wir lassen uns in diesem Hause von niemandem darin übertreffen. ({4}) Gleichwohl halten wir die Verschärfung des Gewerberechts nicht für den richtigen Weg, diesem Petitum gerecht zu werden. Die jetzt vorgesehene gesetzliche Regelung greift in die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Berufsausübung und in die unternehmerische Preisgestaltung ein. ({5}) - Ja, selbstverständlich. Wovon reden wir denn? Sie ist verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich. Die von ihr angeblich erwarteten positiven Effekte sind fraglich. Das zeigen im übrigen auch erhebliche ausländische Erfahrungen. Sie bedeuten eine zusätzliche Regulierung, zusätzliche Kontrollen und überdies gerichtliche Auseinandersetzungen. Die Frage, wer dies alles bezahlen soll, ist nicht beantwortet. Deregulierung und Entbürokratisierung sind nötig. Wir reden alle ständig davon und tun laufend das Gegenteil. Im übrigen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es ein Irrglaube, daß man Probleme, die man durch gesellschaftspolitische Schwierigkeiten hat, durch neue Gesetze bzw. Verschärfungen oder Verbote und andere Vorschriften lösen könnte. ({6}) Diese Annahme widerspricht auch grundsätzlich liberalen Ansätzen, nämlich der Selbst- und Eigenverantwortung der Menschen für ihre persönlichen Belange. Dies gilt auch für junge Menschen. ({7}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie so schreien. Sie haben offensichtlich alle zu Hause Probleme mit Ihren Kindern. Die Heranführung an Alkohol geschieht zumeist nicht in der Öffentlichkeit - das wissen wir alle -, ({8}) sondern vielfach im privaten Bereich, in der Familie und im Freundeskreis. Sie haben heute in Ihrer Post einen Hinweis der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kinder- und Jugendschutz". Ich zitiere - mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident -: 250 000 Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland sind nach der Einschätzung der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren alkoholkrank. Dies haben wir im übrigen nie bestritten. ({9}) Das Einstiegsalter für Alkohol liegt oftmals bei zehn Jahren, heißt es da. Die Bundesarbeitsgemeinschaft tut sich aber keinen Gefallen, wenn sie inzident behauptet, dieses Problem läge an den Gaststätten. Nach Jugendschutzgesetz darf an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren überhaupt kein Alkohol ausgeschenkt werden. Die Zugangsberechtigungen liegen im privaten Bereich. Das wissen alle. Vorbeugende Maßnahmen für Kinder und Jugendliche haben in dieser Privatsphäre nur dann Erfolg, wenn sie die innere Einstellung zum Thema Alkohol ansprechen. Äußerer Zwang, schärfere Gesetze und Verbote können diese Bewußtseinsänderung nicht erreichen. Wir hätten dem im Vermittlungsausschuß vorgelegten Kompromißvorschlag auch nur unter Bedenken zugestimmt. Dies war mit Ihnen leider nicht zu machen. Wir werden also nicht zustimmen. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich lasse nunmehr über diese Beschlußvorlage abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? ({0}) Damit ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion und etliche Stimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden. Damit sind wir mit den Zusatzpunkten 1 bis 11 fertig. Wir kehren zur Haushaltsberatung zurück und kommen nunmehr zur Debatte zum Standort Deutschland mit den Geschäftsbereichen der Bundesministerien für Wirtschaft, Forschung und Technologie, Bildung und Wissenschaft, Verkehr, Post und Telekommunikation, Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zum Antrag der SPD-Fraktion zu einem Luftfahrtforschungsprogramm. Ich erteile zunächst dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, das Wort, den ich aber bitte, das Wort nicht eher zu ergreifen, bis ich im Hause die notwendige Ruhe hergestellt habe. Ich bitte diejenigen, die der Debatte nicht beizuwohnen gedenken, sehr schnell den Saal zu verlassen. Wir haben schon erhebliche Zeitverzögerungen, ({1}) und es wird heute abend sehr, sehr spät. Herr Minister, Sie haben das Wort. ({2})

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren in dieser Legislaturperiode mit wirtschaftspolitischen Herausforderungen konfrontiert wie nie zuvor in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland: mit der Überwindung einer tiefen Rezession, mit der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft in marktwirtschaftliche Strukturen, mit dem Aufschwung Ost und mit der Strukturkrise eines Hochlohnlandes. Wir haben diese Herausforderungen angenommen und in weiten Teilen gemeistert. Die Rezession, die erste Herausforderung, ist überwunden. Die wirtschaftlichen Veränderungen im Osten sind erkennbar. Der Aufschwung kommt voran. Die strukturellen Probleme zu lösen wird uns noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Wichtige Entscheidungen sind hier aber getroffen. Wir haben die Weichen richtig gestellt. ({0}) Aber vieles steht noch aus: bei der Deregulierung und beim Abbau der Bürokratie, bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und bei der Entfaltung neuer Dynamik in Forschung und Innovation. Die Bundesregierung wird ihre Arbeit in den nächsten Jahren unbeirrt fortsetzen. Andere gesellschaftliche Gruppen müssen das Ihre tun, um mit den Strukturproblemen in diesem Lande fertig zu werden. Was den Beitrag der Opposition zur wirtschaftspolitischen Diskussion anbelangt, fühle ich mich immer an den Filmlöwen aus Hollywood erinnert: Der reißt das Maul weit auf, brüllt kräftig und verabschiedet sich. ({1}) Ich erinnere nur an Sie, verehrter Herr Jens. Sie gaben da am 26. Januar in einer Pressemitteilung der SPD zum besten - ich zitiere -: Der heute vom Kabinett vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht liest sich wie ein schlechtes Weihnachtsmärchen. Der saarländische Ministerpräsident betätigte sich noch am 29. Juni hier in diesem Hause als Kassandra. ({2}) Er sagte, daß die Entwicklung des Dollarkurses und die der langfristigen Zinsen dazu führen würden, daß wir unsere optimistische Prognose, die hier von mir vorgetragen wurde, revidieren müßten. Richtig - wir haben sie revidiert: Wir haben sie nach oben revidiert. ({3}) Die Fakten sind wie folgt: Wir können mit einem Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von zweieinviertel Prozent in Gesamtdeutschland rechnen, was auch von den internationalen Organisationen so gesehen wird. Die OECD ist gerade dabei, ihre Wachstumsprognose für Deutschland nach oben zu korrigieren. ({4}) In den neuen Ländern hat sich der Aufholprozeß beschleunigt. Wir erwarten eine Steigerung des Bruttosozialproduktes zwischen 8 und 10 %; das ist eine Korrektur um 2 %. Von der Deindustrialisierung im Osten zu reden ist falsch. Es gab ohne Zweifel tiefe Einbrüche, die mit der Transformation im Zusammenhang zu sehen sind; aber die meisten industriellen Kerne konnten gerettet werden. ({5}) Die Zahlen spiegeln es wider: Die Industrieproduktior stieg im Juni um 21,5 % gegenüber dem Vorjahr. Wir sind von Anfang an auf dem richtigen Kurs gewesen, was die Industrie- und die Transformations-politik angeht. ({6}) Merken Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, immer noch nicht, daß Sie den Menschen im Osten Deutschlands einen Tort antun, wenn Sie fortfahren, auf Ihrer Jammerorgel zu spielen? Diejenigen, die im Osten gerade die Ärmel hochgekrempelt und die angepackt haben, wollen davon nichts hören - die sind stolz auf das, was sie in diesen Ländern vollbracht haben. ({7}) Es paßt Ihnen wohl auch nicht, daß der Aufschwung Ihre Wahlkampfstrategie verhagelt hat. Die Dramaturgie stimmt nicht mehr. ({8}) Ich weiß sehr wohl, daß zur Überwindung der Rezession die Probleme des Arbeitsmarktes noch nicht gelöst sind. Darum bedarf es u. a. einer neuen Organisation am Arbeitsmarkt, mehr Flexibilität. ({9}) Faktum ist auch, daß die Arbeitslosenzahlen seit dem Frühjahr nicht mehr steigen, im Gegenteil: Seit Juni erhöht sich die saisonbereinigte Zahl der Erwerbstätigen, die Zahl der Kurzarbeiter ist um 70 % zurückgegangen. Das alles ist noch nicht befriedigend oder befriedigend genug, aber es verdient festgehalten zu werden. Jeder Ökonom weiß: Der Arbeitsmarkt erholt sich phasenverschoben zum konjunkturellen Aufschwung - das hat uns schon Karl Schiller gelehrt. Meine Damen und Herren, liebend gern würde ich mich als Wirtschaftsminister mit dem wirtschaftspolitischen Programm der Opposition, also Ihrem, auseinandersetzen, aber was ich von Ihnen seit zwei Jahren zu hören bekommen habe, ist - lassen Sie es mich auf den Punkt bringen - nichts als heiße Luft. ({10}) Das sage hier nicht nur ich, das sagen auch Ihnen nahestehende Blätter. Die „Frankfurter Rundschau" schreibt: Es bewegt sich mehr als genug, aber immer im Kreise. Das ist die Beschreibung der „Frankfurter Rundschau". ({11}) Nun kommt der Ministerpräsident Schröder. Ich habe mir Ihre Verlautbarungen zur Wirtschaftspolitik, verehrter Herr Schröder - zuletzt Ihr Interview im „Focus" -, genau angesehen. ({12}) Sie sagen, wir sollten jetzt mehr an die Produktion und nicht so sehr an das Verteilen denken. Richtig! Nur, ich sage Ihnen: Das ist unsere angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, das ist unser Standortprogramm, das wir jetzt Schritt für Schritt in die politische Realität umsetzen. ({13}) Sie sagen: Wir müssen aufhören, Subventionen mit schlechtem Gewissen zu geben. Sie wollen Stahl und Kohle nicht sterben lassen und fordern eine Abwrackprämie für Altautos. Ich meine, das ist eine Mischung von Populismus und finanzpolitischer Spiegelfechterei. Auch wir wollen keinen Kahlschlag bei traditionellen Wirtschaftszweigen, wir wollen aber Subventionen zurückführen, um finanzpolitische Spielräume für ein Zukunftsprogramm zu gewinnen. ({14}) Wir wollen das Geld in neue Technologien stecken. Wir wollen dem Bürger das Geld nicht aus der Tasche ziehen. Sie, Herr Schröder, sind für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt und verweisen dabei auf das VW-Modell. Das ist richtig, aber nicht neu. Sie wollen eine Außenwirtschaftspolitik, die deutschen Unternehmen die Türen auf den boomenden Märkten im Ausland öffnet. Wir machen das. Fragen Sie die großen Verbände, fragen Sie die deutsche Exportwirtschaft. Meine Damen und Herren, vor uns steht eine wichtige Aufgabe, eine Aufgabe, die noch nicht ausreichend bewältigt werden konnte: Wir müssen die strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit bekämpfen. Mehr Arbeitsplätze gibt es aber dann, wenn die Pferde wieder saufen. Das sagte Karl Schiller, und er meinte damit, daß die Unternehmer wieder Risiko übernehmen und investieren. Mit Ihrer Arbeitsmarkt- und Ergänzungsabgabe für die sogenannten Besserverdienenden erreichen Sie das volle Gegenteil. ({15}) Das Gegenteil würden Sie auch erreichen, wenn Sie die Arbeitszeiten generell verkürzten, wie es Ministerpräsident Lafontaine aus Saarbrücken immer wieder verkündet. Wollen wir etwa auf die neuen Anbieter aus China mit der Streichung des fünften Arbeitstages reagieren, nachdem wir auf die aus Japan mit der Streichung des sechsten geantwortet haben? Gegen den erbitterten Widerstand der SPD, gegen ihre Blockadepolitik im Bundesrat haben wir erreicht, daß Arbeitszeiten und Maschinenlaufzeiten entkoppelt werden konnten. Damit ist die Bahn frei, daß unsere Unternehmen ihre Produktivität weiter erhöhen und weltweit besser im Wettbewerb mithalten können. ({16}) Wer blockiert technologisch wichtige Vorhaben in Ländern und Gemeinden, aber auch hier? Wir haben es beim Transrapid gerade wieder vorgeführt bekommen. Es sind fast ausnahmslos die Verantwortlichen von Rot und Grün. ({17}) Meine Damen und Herren, Sie befinden sich in einer Sackgasse. Kehren Sie um, zeigen Sie, daß es Ihnen wirklich ernst ist mit dem Standort Deutschland! Mehr Arbeitsplätze gibt es nur, wenn wir den Arbeitsmarkt flexibilisieren - hier sind wir uns einig - und wenn wir technologisch wieder Spitze sind. Dazu müssen wir aber nicht nur Sonntagsreden halten, ({18}) das müssen wir auch mittragen, in diesem Haus, in den Ländern und Gemeinden, und Sie tun das Gegenteil, meine Damen und Herren. ({19}) Die deutsche Wirtschaft ist ein gefesselter Gulliver. Wir haben einige Fesseln durchschnitten und werden dies in der nächsten Legislaturperiode unbeirrt weiter tun. Wir werden die Politik der strengen Ausgabendisziplin fortsetzen und das Vertrauen in die Kapitalmärkte stärken. ({20}) Wir werden mit unserer Politik die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortsetzen und so Freiräume erarbeiten, die dann Raum geben, die Wirtschaft und die Bürger von hohen, leistungsbestrafenden Abgaben zu entlasten. So werden Arbeitsplätze geschaffen, so wird der Wohlstand gemehrt, und das ist das oberste Ziel meiner Politik. ({21})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Gerhard Schröder, das Wort. Ministerpräsident Gerhard Schröder ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Graf Lambsdorff hat heute morgen wieder das alte Lied von der F.D.P. gesungen, die angeblich die Partei der Leistungswilligen und Leistungsfähigen sei. ({1}) Wenn das stimmte, müßte er persönlich gegen diesen Wirtschaftsminister einen Ausschlußantrag stellen. ({2}) Denn, meine Damen und Herren, es ist schon sehr deutlich geworden, daß außer Ankündigungen in der Realität nichts, aber auch gar nichts zuwege gebracht worden ist. Es fällt schon unangenehm auf, nicht nur hier, sondern vor allem draußen im Land, daß diesen Wirtschaftsminister an einem Aufschwung alles interessiert; nur die Menschen, die aus konjunkturellen und strukturellen Gründen weiter arbeitslos sind, interessieren diesen Wirtschaftsminister nicht, und sie interessieren Sie auch nicht. ({3}) Dabei wäre die wirkliche Aufgabe, sich nicht zu baden in Gott sei Dank besser werdenden Daten - die bestreitet ja niemand -, ({4}) die aber - und das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren - vor allen Dingen aus dem Export kommen und die in der Tat nichts mit einer Besserung auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben. Im Gegenteil: Die Prognosen, auf die Sie sich vollmundig beziehen, weisen aus, daß selbst bei weiteren Verbesserungen konjunktureller Art die Arbeitslosenzahl nicht niedriger, sondern höher wird. ({5}) - Auch wegen der falschen Politik, die Sie machen, meine Damen und Herren. Ich komme gleich darauf. ({6}) Ministerpräsident Gerhard Schröder ({7}) Sie versuchen, mit einer Kampagne im Wahlkampf dieses Versagen, das Sie trifft und unter dem die Menschen im Lande leiden, vergessen zu machen. ({8}) Indessen gibt es 4 Millionen, die arbeitslos sind und keine Chance haben, die in weiten Bereichen dadurch ihrer Selbstachtung, ja ihrer Würde beraubt werden. Diese Menschen werden Sie daran erinnern, daß Sie versäumt haben, eine Industriepolitik zu entwerfen und zu machen, die ihnen hilft, die ihnen neue Chancen gibt. Ich habe heute morgen gehört, ich sei einer derjenigen, die staatlicher Intervention in den Wirtschaftsprozeß nicht widersprächen. Der Vorwurf ist richtig. Ich tue das auch. Aber warum denn? Warum haben wir uns gequält? Um - neben Bremen - in Lemwerder tausend Menschen, die Beschäftigung finden könnten und können, weil wir uns angestrengt haben, nicht in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, sondern ihnen eine Chance in der Arbeit zu erhalten. ({9}) Wenn das Interventionismus ist, den Sie kritisieren, der diesen Menschen und ihren Familien Perspektive gibt, dann sage ich selbstbewußt und mit der Zustimmung meiner Partei und Fraktion: Genau diese Form von Intervention zugunsten derer, die keine Arbeit haben, ist das, was wir brauchen, und das, was wir durchsetzen werden. ({10}) Es ist wahr, daß Sie wenig Verlautbarungen dazu finden werden. Unter sehr schwierigen strukturellen Bedingungen haben wir uns nämlich mehr mit der Praxis als mit Rederei beschäftigt. ({11}) Dabei ist etwas herausgekommen. Die Leute in meinem Land haben das verstanden, und die Menschen werden es auch über Niedersachsen hinaus verstehen. ({12}) Herr Rexrodt, Sie haben sich darauf berufen, daß Ihnen die Verbände zustimmten. Das mag sein. Aber wenn Sie mal mit denen reden, die nicht Funktionäre in den Unternehmerverbänden sind, sondern selbst Unternehmer, werden Sie feststellen: Die lachen sich krank über diese Perspektiven, die Sie aus deren Äußerungen entnehmen wollen. ({13}) Mich hat überhaupt nicht beunruhigt, was Herr Stihl und andere zur Stützung Ihrer Wahlkampagne jeden Tag erzählen, weil ich weiß, daß die, die diese Leute als Verbandsfunktionäre finanzieren, eine ganz andere Politik für vernünftig halten und längst nicht diejenigen sind, die Ihrer Angstmacherei vor Sozialdemokraten auch nur annähernd aufsitzen würden. ({14}) Berufen Sie sich ruhig weiter auf sie, und lassen Sie sich Presseerklärungen, die Sie unterstützen, schreiben. ({15}) Uns stört das kein bißchen. Wir kommunizieren mit denjenigen, die etwas tun, nicht mit denen, die nur darüber reden - hauptamtlich oder ehrenamtlich. ({16}) Dann wird hier gefordert, wir sollten mit dem Jammern aufhören. Wenn irgendeiner jammerte, dann wäre diese Mahnung richtig und wichtig. Aber seit wann bezeichnet man es als Jammern, wenn jemandem die materielle Existenz von vier Millionen Menschen nicht gleichgültig ist? Seit wann jammert man, wenn man daran erinnert, daß Gott sei Dank besserwerdende Daten keine Auswirkungen auf den Arbeitsplatz haben und wir deswegen Auswirkungen schaffen müssen? ({17}) Was ist das für ein Zynismus, wenn Sie die Sorge um Menschen Jammern nennen? Sie sollten sich schämen! ({18}) Beschäftigen wir uns doch einmal mit dem, was Sie, Herr Rexrodt, und andere international geleistet haben, ({19}) mit dem, was Sie auf den Märkten der Welt für die deutsche Wirtschaft getan haben. Wie war das denn in Korea? Warum hat denn der TGV gegen den technisch besseren ICE gewonnen? ({20}) Doch wohl deshalb, meine Damen und Herren, weil die Franzosen wissen, wie man internationale Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft organisiert, ({21}) aber Sie - da meine ich insbesondere die Leute in der F.D.P. - das Fehlen einer Zusammenarbeit auch noch zur Lehrbuchweisheit erklären wollen, zum Schaden der deutschen Industrie und der Beschäftigten in eben dieser Industrie. ({22}) Wie war es denn in Saudi-Arabien, als es um Flugzeuge - diesmal nicht um den Jäger '90, sondern um Airbus - ging? Daß die Deutschen nicht den überwiegenden Teil dieses 8-Milliarden-Dollar-Auftrages bekommen konnten, sondern sicher etwas nach Amerika gehen würde, hat mit der ungeheuren politischen Macht zu tun, die dieses Land zu entfalten in der Lage ist. ({23}) Ministerpräsident Gerhard Sehräder ({24}) Das ist nicht vorwerfbar. Daß der deutsche Wirtschaftsminister aber, nachdem das letzte Drittel, das zu haben gewesen wäre, auch an Boeing gegangen ist, dem saudischen König einen Brief schreibt - so habe ich es in Zeitungen gelesen -, in dem er darauf hinweist, daß auch in Deutschland Flugzeuge produziert werden, ist mir ein bißchen wenig. Das wußte der im übrigen auch schon. ({25}) Reden wir darüber, daß uns AT &T im gleichen Land in Konkurrenz zu Siemens einmal eben einen 4-Milliarden-Dollar-Auftrag weggefischt hat. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist doch nicht wahr!) Was haben Sie als deutsche Politiker getan, um das zu verhindern? (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist doch absurd! Gehen Sie doch mal nach Asien!) - Dann erzählen Sie doch einmal, was Sie gemacht haben, Herr Bundeskanzler! Das würde ich ja gerne wissen. ({0}) Ich fasse das als Einverständnis dazu auf, daß Sie nichts machen wollten, vielleicht nicht konnten. Auch das muß ja Gründe haben. Sagen Sie sie doch hier! Wer hinter die Kulissen und hinter die Verlautbarungen schaut - der Union ist das doch auch klar, auch Sie lachen doch über den Minister; machen Sie sich doch nichts vor -, ({1}) wer herauszufinden versucht, was in der Praxis gelaufen ist, der wird mir zustimmen, wenn ich sage: Im internationalen Maßstab geschah verdammt wenig zur Unterstützung der deutschen Industrie und damit der Arbeitsplätze in Deutschland. ({2}) Aber schauen wir uns einmal an, welche Maßnahmen das Wirtschaftsministerium in der nationalen Politik ergriffen hat. Der Minister sagt selbst: Die Konjunktur bessert sich. Das stimmt und bestreitet von uns auch überhaupt niemand. Indessen ist das längst nicht in allen Bereichen der Fall, vor allen Dingen nicht dort, wo wir es insbesondere nötig hätten. ({3}) Wer sich die relevanten Zahlen anschaut - gelegentlich bekommt man ja auch die, die real sind, nicht nur die, die veröffentlicht werden -, der stellt fest, daß z. B. in der deutschen Automobilindustrie insgesamt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Gefahr besteht, daß der im ersten Halbjahr in der Tat zu beobachtende Aufschwung - es bestreitet niemand, daß es den gab ({4}) im zweiten Halbjahr, wenn auch nicht dramatisch, in Teilen zurückgeht, zumindest aber stagniert. Meine Damen und Herren, das ist der Grund, warum ich gesagt habe: Warum machen wir nicht das, was uns die Franzosen, die Spanier, auch die Dänen vorgemacht haben? Warum gehen wir nicht her und belohnen diejenigen, die zur Stabilisierung der Binnenkonjunktur auf diesem so wichtigen Markt ein zehn Jahre altes Auto abstoßen und ein neues, verbrauchsarmes, mit Katalysator ausgestattetes kaufen? Die Rechnung ist ganz einfach: Etwa 11 Millionen solcher Autos fahren auf deutschen Straßen. Wenn man eine Prämie zahlte, könnte man Nachfrage in einer Größenordnung von 300 000 bis 400 000 jährlich mobilisieren. Zudem muß man wissen, daß 80% dieser Produkte deutscher Herkunft sind. Das ist ein Konjunkturprogramm zur Stabilisierung der Binnenkonjunktur, auf das Sie schon längst hätten kommen können; denn die Forderungen aus diesem Bereich gibt es schon seit langem; sie sind vernünftig. Übrigens, Herr Waigel, sie sind finanzpolitisch deshalb auch vertretbar, weil jedes Jahr etwa 1 Milliarde DM Mehrwertsteuer mobilisiert würde, sich dieses Programm also quasi selbst finanzierte. Warum machen Sie das nicht? Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fabriken warten darauf, weil sie wollen, daß sie etwas zu schaffen bekommen, weil sie wollen, daß sie mit ihrer Hände, ihrer Köpfe Arbeit ihre Familien ernähren können und nicht auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein wollen. ({5}) Meine Damen und Herren, anstatt das zu tun, was vernünftig wäre, was Hilfe im ersten Arbeitsmarkt, nicht im zweiten, dritten oder fünften schafft, machen Sie lieber gar nichts, sondern reden. Das reicht nicht. Wenn Sie nicht reden und handeln, dann bestrafen Sie diejenigen, die auch, nicht allein - das will ich gar nicht sagen -, wegen Ihrer Fehler arbeitslos sind dadurch, daß Sie ihnen - entschuldigen Sie, wenn ich das so leger sage - eins überbraten, indem Sie ihnen die Leistungen kürzen. Das ist keine gute Politik! Das ist keine Politik, die zum inneren Frieden in unserem Land beitragen kann. Es ist schon gar keine Politik, die den Standort Deutschland in irgendeiner Weise attraktiv machen könnte - der Standort Deutschland ist deshalb auch ökonomisch stark -, weil sozialer Friede ein Produktionsfaktor, ein Ansiedlungsfaktor ist. ({6}) Es gilt prinzipiell, daß Industriegesellschaften nur im Konsens der gesellschaftlichen Gruppen zu führen sind. Das bedeutet nicht Abwesenheit von Streit, aber Bemühen um Konsens. Wir erleben auf der Welt zwei Gesellschaften, die diesen Konsens auf unterschiedliche Weise herstellen. Da gibt es die japanische, die den Konsens immer noch im sozialen Verzicht hält. Da gibt es die deutsche, die einen Konsens in der sozialen Teilhabe hat. Meine Damen und Herren, ich behaupte, die Gesellschaft, die einen Konsens in der sozialen Teilhabe herstellt, ist der anderen überlegen. Ministerpräsident Gerhard Schröder ({7}) Sie aber sind dabei, diesen Konsens zu zerstören. Das ist das Problem. ({8}) Lassen Sie uns weiter über Wirtschaftspolitik reden, die Arbeitslosigkeit nicht sofort zum Verschwinden bringt, aber tendenziell sie zu überwinden in der Lage ist. Lassen Sie uns über das von Ihnen gar nicht zur Kenntnis genommene Angebot der beiden prominentesten Gewerkschafter in Deutschland reden. Klaus Zwickel und Hermann Rappe haben gesagt: Wir wollen, wir müssen etwas für die Einkommen unserer Mitglieder tun. In der Tat, das müssen sie aus sozialen, aber auch aus ökonomischen Gründen. Massenkaufkraft und ihre Stärkung ist eine ökonomische Größenordnung. ({9}) - Kosten auch; das ist gar keine Frage. ({10}) - In der Tat; im übrigen überall. Nur, die Produkte, die in Deutschland hergestellt werden, sind Gott sei Dank qualitativ hochwertig; billig sind sie in der Regel nicht. Kaufen kann nur derjenige etwas, der ein bißchen was hat, um kaufen zu können. ({11}) Das ist ein ganz einfacher Zusammenhang. Dann haben diese beiden Gewerkschafter nicht nur das angeboten, sondern gleichzeitig gesagt: Kommt her, Arbeitgeber, wir sind bereit, bei den Lohn- und Gehaltstarifen mit uns reden zu lassen, wenn ihr etwas für die Beschäftigungssicherung tut. Wo war denn ein Wirtschaftsminister, der gesagt hat, kommt her an den Tisch, wir wollen das, was ihr angeboten habt, ernst nehmen? - Nichts außer Reden. In einer Situation, in der wir Massenarbeitslosigkeit haben, geht dieser Mann auf ein solches Angebot der deutschen Gewerkschaften nicht ein. - Sie auch nicht, Herr Bundeskanzler, (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Gar nicht wahr!) Sie auch nicht; Sie auch nicht, damit das klar ist. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ist doch unwahr, was Sie sagen!) Sie beschäftigen sich dann mit dem Rabattgesetz und ähnlichem, als wenn das die zentrale Frage der deutschen Politik wäre. ({0}) Ich bin ja gern bereit, über ein neues Lieblingsprojekt, über Teilzeitarbeit, zu reden. Daß die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten sagen, die soziale Absicherung muß stimmen, ist nicht falsch, sondern eine blanke Selbstverständlichkeit, unsere Pflicht, eigentlich unser aller Pflicht, denn Arbeitsverhältnisse nach dem Motto, wie ich es von Mittelständlern von Ihnen gehört habe - werden wir doch jetzt alle mal Schuhputzer -, wie sie gelegentlich in Amerika vorfindbar und als Modell für uns empfohlen sind, solche Arbeitsverhältnisse passen aus guten Gründen nicht in die deutschen Traditionen, und wir sollten die anderen Traditionen, die abgesicherten Arbeitsverhältnisse bewahren und uns nicht auf die Fortsetzung der Sklavenarbeit verweisen lassen, denn nichts anderes ist das. ({1}) Aber wieso kommt denn diese vielgepriesene Teilzeitoffensive im zwölften Jahr Ihrer Regierungstätigkeit und damit im letzten? Wieso? Wieso sind Sie nicht vorher darauf gekommen? - Sie hatten doch zwölf Jahre die Möglichkeit, etwas zu gestalten, etwas in diese Richtung zu tun. Sie haben es nicht gemacht. Das muß wohl doch mit den Wahlen und mit der Tatsache zu tun haben, daß Sie sich entgegen gloriosen Verlautbarungen und gelegentlich auch Umfragen so wohl nicht fühlen. Wissen Sie, was das angeht - ich habe das ja gelegentlich beobachtet -, ist mir ganz wohl, wenn Sie die Umfragen gewinnen und wir die Wahlen. ({2}) Dann machen Sie sich alle auf und sagen, jetzt wollen Sie ein neues Muster versuchen, die SPD in die Ecke der Technologiefeindlichkeit stellen. ({3}) - Hervorragend. Probieren Sie das gern. Lassen Sie uns doch über einzelne Projekte reden. ({4}) Es ist in der Tat richtig und wahr: Wir wollen aus der Kernenergie heraus; deshalb rede ich ja gerade darüber. Das wollen wir wirklich, meine Damen und Herren, und zwar sowohl aus energiepolitischen als auch aus Gründen, die etwas mit der Überlebensfähigkeit unserer Gesellschaft zu tun haben, ({5}) aber auch aus ökonomischen Gründen. ({6}) Wer glaubt, daß auf Kernenergie gestützte Energieversorgung in unserem Land ökonomisch trüge, wenn irgendeiner der Tschernobyltypen, egal wo, genauso in die Luft geht, wie dieser Reaktor gegangen ist, der irrt. Deswegen ist es ein Gebot ökonomischer Vernunft, in einem gesellschaftlichen Konsens dafür zu sorgen, daß diese Form der Energieproduktion ersetzt wird. ({7}) Wir wollen das in der Tat, meine Damen und Herren, und das ist das Gegenteil von Technikfeindlichkeit - es ist Menschenfreundlichkeit und nichts anderes. ({8}) Dann habe ich gar nichts dagegen, wenn wir über den Transrapid reden, überhaupt nichts. Das wollte Ministerpräsident Gerhard Schröder ({9}) Herr Wissmann, der da schon in den Startlöchern sitzt, ja sowieso. Das wird er auch noch tun, da bin ich ganz sicher. Dagegen habe ich gar nichts. Die Technologie, die dahintersteht, ist durchaus interessant. Das bestreitet keiner, und ich hätte auch gar nichts dagegen, mit Hilfe staatlicher Mittel diese Technologie zu fördern. ({10}) Aber in Konkurrenz zur Deutschen Bundesbahn ({11}) - und dies quasi zwingend - mit einer Subventionssumme von um die 6 Milliarden DM, die keiner hat, Theo Waigel schon gar nicht, dieses Projekt da hinzusetzen, nachdem sich Westeuropa insgesamt für Rad/ Schiene entschieden hat - das, meine Damen und Herren, mag immer noch Technologiepolitik sein; volkswirtschaftlich sinnvoll ist es nicht. ({12}) Im übrigen wird dies zu etwas anderem führen. Das, was wir wirklich brauchen, nämlich einen raschen und nachdrücklichen Ausbau der ICE-Technik, wird die Bundesbahn aus diesem Grunde nur sehr, sehr viel langsamer, wenn überhaupt, finanzieren können. Das heißt, die Blütenträume, die Sie dort erwecken wollen, werden Sie mit handfesten Nachteilen für die Deutsche Bundesbahn, für die Verkehrspolitik in Deutschland und für die Beschäftigten dort bezahlen. Das ist der Zusammenhang. ({13}) Deshalb führen wir diese Debatte sehr gelassen. ({14}) - Natürlich. Das habe ich doch sehr deutlich gesagt. Oder haben Sie es nicht verstehen können? Dann wiederhole ich es gern. Ich habe keine Ängste, die Technologiedebatte mit Ihnen zu führen, übrigens auch auf einem anderen Feld. ({15}) - Genau, Gentechnologie. Ich habe darauf gewartet. Ich bin hierhergefahren und habe mir überlegt: Was werden sie dich wohl fragen? Jetzt fragen Sie all das, was ich mir gedacht hatte, Herr Austermann. Ich sage Ihnen etwas zu Gentechnologie. Wir versuchen in Niedersachsen, in Zusammenarbeit mit einem dort ansässigen Unternehmen, einen bestimmten Aspekt der Gentechnologie, ({16}) was die Frage der Akzeptanz angeht, nach vorne zu bringen. Es handelt sich um den Versuch, mit gentechnischer Manipulation eine Zuckerrübe zu züchten, die gegen bestimmte Krankheiten resistent ist, so daß man nachher nicht mit der Giftkeule arbeiten muß. ({17}) Höchst vernünftig, sage ich. Das ist Gentechnologie. Die Leute, die daran werkeln und arbeiten, wissen, daß sie sich auf uns verlassen können. Indessen werden wir auf den Eingriff in die menschliche Keimbahn mit Hilfe dieser Technik und Technologie verzichten, ({18}) weil der Schaden, der für die Menschen daraus erwachsen wird, größer ist als der wirtschaftliche Nutzen. ({19}) Deshalb lassen Sie uns die Technologiedebatte doch ganz gelassen führen! Lassen Sie sie uns doch so gelassen führen, daß dabei herauskommt, welche der neuen Techniken uns wirklich weiterhilft und wirklich Fortschritt bedeutet - dann machen wir sie - und bei welcher Technologie die Risiken größer als der ökonomische Nutzen sind, dann machen wir sie nicht. ({20}) So, denke ich, müßte vernünftige Politik aussehen, und so müßte eine vernünftige Debatte über Technologie und Nichttechnologie geführt werden. ({21}) Aber das wollen Sie nicht. Sie wollen lieber mit der Keule des Wahlkampfs arbeiten und jeder fairen und ordentlichen Debatte über diese Fragen ausweichen. Das ist doch der Grund. ({22}) Ich höre, daß Sie uns insbesondere kritisieren wollen, weil wir die Einbeziehung der Menschen in die Planungsabläufe für richtig und wichtig halten. Dazu bekennen wir uns in der Tat. Wir haben gelernt, und zwar durch praktische Erfahrung in inzwischen zehn von sechzehn Ländern, daß derjenige, der meint, er könnte wie auch immer berechtigte Ängste von Menschen oder Gruppen von Menschen nach der Politik von Rittergutsbesitzern, so von oben herab und durch, behandeln, der irrt und wird dem Ziel, das er mutmaßlich zu Recht verfolgt, nicht gerecht. ({23}) Denn das Großprojekt, um das es dann geht, wird, wenn Sie auf die Einbindung der Bürger verzichten - ich unterstelle, ich tue dies gern, daß Sie den Rechtsstaat nicht zum Verschwinden bringen wollen - so verzögert, daß sich der Nutzen, den Sie mit Ministerpräsident Gerhard Schröder ({24}) der Ausschaltung der Menschen zu erzielen hoffen, in einen Schaden verwandeln. ({25}) Es ist richtig, in entwickelten Industriegesellschaften mit Menschen, die ihren Kopf nicht nur zum Haareschneiden haben, müssen Sie auf Ängste mehr Rücksicht nehmen, als man das vor 20 oder 30 Jahren wollte. Ohne eine Politik, die mindestens auch dialogorientiert ist - wenn man einen Dialog führen will, muß man wissen, was man will; das ist wohl wahr -, werden Sie es nicht schaffen. Ich kann Ihnen gern ein paar Beispiele nennen, wie man so etwas macht. Wir haben z. B. eine Pipeline nicht mehr durch das, sondern unter dem Wattenmeer bauen lassen, weil wir Eingriffe in das Ökosystem nicht wollten. Das ist in Zeiträumen geschehen, die sich gerade diejenigen, die das aus Niedersachsen wissen, nicht hätten träumen lassen. Deswegen sind sie ja auch nicht, wie sie gehofft haben, in der Regierung, sondern mit deutlichem Stimmenabstand in der Opposition. Es geht, meine Damen und Herren. ({26}) Ich kann nur sagen: Wer meint, er könnte an den Bürgerinitiativen, an der Kritik an etablierter Politik - wir alle gehören irgendwo dazu - einfach vorübergehen, wer glaubt, es mit einer schlanken Formulierung, Herr Kollege Wissmann, etwa des Inhalts „Eine Straße muß auch dann gebaut werden, wenn ein Schild hochgehalten wird", bewenden lassen zu können, wer glaubt, daß er in Zukunft auf diese Weise Politik machen könne, der irrt kräftig. ({27}) Wir haben also, meine Damen und Herren, überhaupt gar keine Angst, diese Auseinandersetzung um Wirtschaft, national wie international, in der Praxis zu führen. Wir haben keine Angst, ({28}) eine Debatte über eine angebliche oder wirkliche Technologiefeindlichkeit auszuhalten und ihr offensiv zu begegnen, weil wir wissen, daß das einfache Hinterherlaufen hinter Trends, die manchmal auch aus sehr eigensüchtigen Motiven gesetzt werden, keine gute Politik ergibt und erst recht nicht in die Zukunft führt. Das, denke ich, war aus den zwölf Jahren zu lernen. Wir haben es gelernt, und deswegen kämpfen wir dafür, daß diese Politik beendet wird. Am 16. Oktober ist es soweit. Vielen Dank. ({29})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich möchte nunmehr dem Abgeordneten Wissmann das Wort erteilen.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was den Unterschied zwischen Handeln und Reden angeht, haben wir heute morgen mit den Forderungen von Herrn Lafontaine an die Bundesregierung schon einen besonders negativen Höhepunkt erlebt. Bekanntlich ist das Saarland das Land, das pro Kopf die höchsten Schulden aller westdeutschen Flächenländer aufweist. Herr Lafontaine stellt sich hierher und fordert von uns eine Konsolidierungspolitik. Aber daß man den Unterschied zwischen Handeln und Reden noch weiter treiben kann, daß man die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, auch in bezug auf die eigene Person, noch weiter treiben kann, das hat Gerhard Schröder an diesem Nachmittag gezeigt. ({0}) Ich frage: Was ist denn in Niedersachsen in den letzten Jahren passiert? Niedersachsen ist das Land mit der höchsten Nettoneuverschuldung aller westdeutschen Flächenländer. Niedersachsen ist das Land mit der teuersten Landesverwaltung. Es handelt sich um 9 000 neue Stellen. Das fällt in Ihre Amtszeit, Herr Ministerpräsident. ({1}) Niedersachsen ist das Land, das entgegen dem, was Sie hier sagen, im Mai einen absoluten Investitionsstopp in seinem Haushalt verfügt hat. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja!) Herr Schröder spricht scheinbar einfühlsam von den Menschen. Niedersachsen ist das Land, das dieses Jahr 66 % der gesamten Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich vornimmt. Anspruch und Wirklichkeit, meine Damen und Herren: Handeln statt Reden wäre gefragt. ({0}) Sie machen das Gegenteil, Herr Kollege Schröder. ({1}) Sie treten einer Bundesregierung, einem Bundeswirtschaftsminister in einer Weise gegenüber, die nicht nur persönlich mehr als fragwürdig ist, ({2}) Sie treten einer Bundesregierung gegenüber, die Rahmenbedingungen dafür mitgeschaffen hat, daß wir Ende Juli mit 29 Milliarden DM Handelsbilanzüberschuß - 6 Milliarden DM mehr als im Vorjahr - besser dastehen als jedes große europäische Industrieland. Mit einer Asienoffensive, mit einer Lateinamerikaoffensive und mit dem persönlichen Einsatz des Bundeskanzlers in China haben wir weiß Gott eine offensive Außenwirtschaftspolitik betrieben. ({3}) Sie treten einer Bundesregierung gegenüber - das beweisen alle Zahlen der unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitute -, die inzwischen von mindestens zwei Prozent realem Zuwachs des Bruttosozialproduktes in diesem Jahr ausgehen kann, und - was ja nicht unwichtig ist, zumal wir die Zeitverzögerung zwischen Konjunkturaufschwung und Arbeitsmarktentwicklung kennen - die erstmals, wie die neuen Arbeitsmarktzahlen zeigen, auch mit einer Verbesserung am Arbeitsmarkt rechnen kann: Rückgang der Arbeitslosigkeit um 70 000 in Gesamtdeutschland, Rückgang der Kurzarbeit um 70 % in Westdeutschland. Ich wünschte mir, daß Sie, Herr Schröder, nur zehn Prozent von dem, was Sie von der Bundesregierung gefordert haben, endlich im eigenen Land - dort, wo Sie die persönliche Verantwortung haben - verwirklichen würden. ({4}) Meine Damen und Herren, Herr Schröder hat von Technologiepolitik gesprochen. Allein 1993 hat Niedersachsen seine Technologie- und Forschungsförderung von 203 Millionen DM um zwei Drittel auf nur noch 74 Millionen DM gekürzt. ({5}) Das ist derselbe Schattenwirtschaftsminister, dessen Partei von der Bundesregierung fordert, mehr für Technologie und Forschung zu tun, und der dann noch in einem seltsamen Slalomlauf die Linie seiner Partei zum Thema Transrapid zu begründen versucht. Was gilt jetzt eigentlich, die Stimme Rheinland-Pfalz' für den Transrapid im Vermittlungsausschuß oder die Meinung des Schattenwirtschaftsministers im Deutschen Bundestag gegen den Transrapid? ({6}) Meine Damen und Herren, wie wollen wir denn eine Chance haben, neue Arbeitsplätze in der Produktion in Deutschland zu schaffen, wo wir doch alle wissen: das geht nur mit hochqualifizierten Produkten? Sie wissen, daß ein großes Konsortium der Wirtschaft den Betrieb des Transrapid ausschließlich privat finanzieren wird und wir die Infrastrukturleistungen zur Verfügung stellen. Wie wollen wir denn ein solches Produkt auf den Weltmärkten verkaufen, wenn wir - Industrie und Politik - nicht die Kraft haben, es endlich auch im eigenen Land durchzusetzen? ({7}) Ich wünsche mir, daß hier bald mehr Klarheit entsteht. Dann kommen so eigenartige Argumente zum Thema Bio- und Gentechnologie, die wahrscheinlich mit der kurzen Zeit der Vorbereitung Ihrer Rede zu tun haben. Herr Schröder, es ist in diesem Hause jedem bekannt, daß die Manipulation am Menschen - das müßten Sie als Jurist eigentlich wissen - in Deutschland seit Jahren verboten ist und für keinen von uns je moralisch oder ethisch in Frage kommen würde. ({8}) Es ist doch wohl auch bekannt, daß wir ohne gen- und biotechnologische Forschung überhaupt keine Chance haben, gegen die großen Krankheiten wie beispielsweise Krebs erfolgreich anzukommen. Es ist im übrigen dem, der sich genauer damit beschäftigt hat, doch wohl auch bekannt, daß gen- und biotechnologische Forschung zu den Wachstumsentwicklungen der Wirtschaft der Zukunft beitragen werden. Wir brauchen sie, wenn wir Labors und Forschungsarbeitsplätze in Deutschland schaffen und erhalten wollen. ({9}) Ich frage mich: Was für eine wirtschaftspolitische Hochstapelei verknüpft sich mit den Namen des Schattenfinanz- und des Schattenwirtschaftsministers, die nach Bonn kommen, um große Forderungen anzumelden, aber ihr eigenes Land wirtschafts- und finanzpolitisch nicht in Ordnung halten? ({10}) Meine Damen und Herren, das ist keine Empfehlung für Politik in Deutschland, in einem der großen Industrieländer unserer Erde, von dem wir alle wissen, daß es mitten im Umstrukturierungsprozeß steht. Uns ist klar, daß uns die konjunkturell positive Entwicklung natürlich nicht der Aufgabe entledigt, auch weiterhin an der strukturellen Erneuerung zu arbeiten: an der Stärkung von Forschung und Technologie, an der Verschlankung des Verwaltungsapparats, an der Rückführung der Staatsquote und an der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Die Themen sind heute überzeugend u. a. vom Bundesfinanzminister angesprochen worden. Aber dann kommt in einem Nebensatz von Herrn Schröder die Bemerkung, man könne ja nicht leugnen, es gehe etwas bergauf, ({11}) immer hoffend, daß die Menschen, die uns zuhören, vergessen, wie die Prognosen der SPD noch vor einigen Monaten gewesen sind. Im November trat Herr Scharping vor den Bundestag und hat gesagt, alles zeige, wir hätten die Zukunftschancen des Landes verwirtschaftet. Heute, wenige Monate später, wissen wir: In allen Branchen der Wirtschaft geht es nach einem schwierigen Anpassungsprozeß und bei immerhin bleibenden Herausforderungen aufwärts. Im Maschinenbau gibt es einen deutlichen Zuwachs des Auftragsniveaus, im Juni ganze 26 %. In den ersten vier Monaten lag beim Bau die Nachfrage real um 27 % höher als vor Jahresfrist. ({12}) In der Chemieindustrie gibt es deutliche Aufwärtszeichen, und in der deutschen Automobilindustrie setzt sich der gute Trend fort. Das Produktionsplus lag im Juli um 31 % über dem Niveau des Vorjahres. Herr Schröder, wir waren beide zusammen bei der Eröffnung der IAA Nutzfahrzeuge. Ich war an zehn verschiedenen Ständen und habe an jedem einzelnen nachgefragt - der Nutzfahrzeugbereich war ja in besonderer Weise von der Rezessionsentwicklung betroffen -: Wie sehen Sie die Lage? Alle waren übereinstimmend der Meinung, daß es aufwärtsgeht, daß es zu einer Stabilisierung der Produktion und zu einer Ausweitung kommt und daß es positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt geben wird, insbesondere in der bisher so gebeutelten Zulieferindustrie. Meine Damen und Herren, das läßt sich nicht mit einem Nebensatz abtun. Das ist ein Ergebnis vieler tüchtiger Menschen. ({13}) Aber das ist auch ein Ergebnis vernünftiger Rahmenbedingungen. Eines will ich einmal klar sagen: Einer der neutralsten Beobachter Ihrer wirtschaftspolitischen Konzeption, Herr Schröder, und der Ihrer Kolleginnen und Kollegen ist Karl Schiller. Er hat zwei Bemerkungen zu Ihrem Programm gemacht. Seine erste Bemerkung zu Ihren Verteilungsstrategien war, das sei Arbeitsamtssozialismus. Seine zweite Bemerkung war: „Das ist alles nicht durchdacht. " - Wörtliches Zitat von Karl Schiller! ({14}) Wollen Sie mit einer solchen Strategie wirklich die Zukunft meistern? Zukunft meistern heißt natürlich auch die Infrastrukturentwicklung voranbringen. Wir geben in diesem Jahr gut 26 Milliarden DM für die Entwicklung von Schiene, Straße und Wasserstraße aus. Wir haben ein klares Signal im gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplan dadurch gesetzt, daß wir erstmals - wegen der ökologischen Umsteuerung - der Schiene höhere Priorität geben. 6 000 km Schienenwege sind geplant. ({15}) Jeder einzelne Straßenbau wird ökologisch sorgfältigst abgewogen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wie ernst nehmen Sie es denn mit Infrastrukturentwicklungen als Voraussetzung für neue Arbeitsplätze gerade in den strukturschwächeren Regionen? Fast immer, Herr Schröder, wenn es konkret wird, findet sich die SPD auf der Neinseite, beispielsweise in Niedersachsen, wenn es um die Elbquerung geht, um ein strategisch wichtiges Teilstück für die gesamte norddeutsche Region und für Mecklenburg-Vorpommern. Was hören wir von der von der PDS gestützten Regierung in Sachsen-Anhalt, wenn es um die von Tausenden von Bürgern geforderte Südharz-Autobahn geht - ich habe selber mit Bürgerinitiativen gesprochen -, die für Nordthüringen, für das Chemiedreieck, für Zehntausende von Arbeitsplätzen dort wichtig ist? Was hören wir von Herrn Höppner und Genossen? - Sie sagen: Nein, wir wollen sie nicht. - Wer so mit der Zukunft von ganzen Regionen spielt, der sollte sich hier nicht hinstellen und sagen, er habe eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik. ({16}) Meine Damen und Herren, der Bund wird den Aufholprozeß in den neuen Bundesländern, auch wenn es inzwischen Wachstumsraten von 8 bis 10 % gibt, weiterhin mit den entsprechenden Rahmenbedingungen begleiten. Bis zum Jahr 2000 werden rund 55 % der Gesamtinvestitionssumme im Straßenbau in den neuen Bundesländern eingesetzt. Im Schienenbau setzen wir dort Prioritäten. Wir haben vor kurzem das erste Verkehrsprojekt Deutsche Einheit bei Thüringen im Schienenbereich für den Verkehr freigeben können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich wirklich ärgert, ist: Es wird von den Sozialdemokraten und ihren Helfern - von der PDS ganz zu schweigen - von den Erfolgen, die die Menschen in den neuen Bundesländern vor allem selbst erarbeitet haben, kaum gesprochen. ({17}) Es wird kaum davon gesprochen, daß Menschen in Ostdeutschland - Techniker, Ingenieure, Arbeiter und die Verwaltungen, die effizienter sind als manchmal diejenigen im Westen - eine große Aufbauleistung erbringen. Im Westen begleiten viele Menschen, auch wenn sie manchmal gemurrt haben, diesen Prozeß durch enorme Transfersummen von bisher netto über 360 Milliarden DM. Ich will einmal eine Zahl nennen, die kaum jemand kennt. In den letzten vier Jahren - das ist die Leistung aller Deutschen und nicht nur von Regierungsverantwortlichen - sind 3 000 km Schiene in den neuen Bundesländern sowie über 7 200 km Straße saniert, aus- und neugebaut worden. Als ich mit meinem britischen Kollegen, der sich einen Tag lang die Verhältnisse innerhalb und außerhalb Dresdens, auch die Problemregionen, angesehen hat, kürzlich in Dresden war, hat er mir gesagt: Weißt du eigentlich, daß es in diesem Jahrhundert keinen Platz in Europa gegeben hat, wo jemals eine so starke Aufbauleistung in so kurzer Zeit erbracht worden ist? ({18}) Ich finde, wir sollten das auch einmal positiv würdigen und nicht alles herunterreden. Meine Damen und Herren, auf diesem Weg werden wir weitergehen. Über eines täuschen alle Reden des heutigen Tages von Oppositionsseite nicht hinweg: Auch die Menschen in den neuen Bundesländern spüren bei allen Problemen, die bleiben, daß es aufwärtsgeht. Sie spüren das wirtschaftliche und soziale Gelingen der Einheit von Tag zu Tag deutlicher. Alle Umfragen ergeben: Fast 70 % der Menschen in den neuen Bundesländern sagen, daß der Aufschwung Ost vorankomme, und 60 % der Menschen in den neuen Bundesländern sagen, ihre perMatthias Wissmann sönliche Lage habe sich seit der Einheit deutlich verbessert. Wir werden den Weg der Angleichung der Lebensbedingungen aber nicht dadurch weitergehen, daß wir Neid schüren. Wir werden diesen Weg auch dadurch nicht weitergehen, daß jetzt Scheinpropheten auftreten, Herr Kollege Schröder, die die Wiedervereinigung vor Jahren noch abgelehnt haben. Sie sind kein guter Ratgeber für gesamtdeutsche Wirtschaftspolitik, Herr Schröder. ({19}) Ich habe nur einige wenige Auszüge aus den Schlangenlinien Ihres politischen Lebens mitgebracht. Ich will schon gar nicht mehr von dem Schröder des Jahres 1979 reden, ({20}) der sagt: Ich betrachte mich als Marxisten; der Marxismus ist für mich die Fundierung meiner politischen Arbeit. ({21}) Ich will auch nicht mehr lange reden von dem Schröder des 12. Juni 1989, der in einem Zeitungsinterview in der „Bild" wörtlich sagte: Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen; es gibt sie nicht. Meine Damen und Herren, das haben wir nicht vergessen. Jeder von uns hat in seinem Leben Fehler gemacht und sich geirrt. Wer sich aber an allen großen historischen Schnittstellen der deutschen Geschichte auf der falschen Seite befunden hat, der kann kein Ratgeber für die Zukunft unseres Landes sein, meine Damen und Herren. Das will ich deutlich sagen. ({22}) Wir werden den Weg einer ganzheitlich orientierten Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Verkehrs- und Forschungspolitik weitergehen. ({23}) Wir werden alles tun, um durch flexiblere Arbeitsmarktbedingungen nicht nur im Teilzeitbereich, sondern beispielsweise auch im gesamten Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir werden angesichts eines Staatsanteils von über 50 % am Bruttosozialprodukt in der nächsten Wahlperiode alles daransetzen - so wie wir es zwischen 1982 und 1989 schon einmal geschafft haben -, den Staat, der durch die enormen Anstrengungen in den neuen Bundesländern überfordert ist, wieder schlanker zu machen und die Staatsquote wieder auf eine Größenordnung von etwa 45 % zurückzuführen. Deswegen gehen wir bei der Privatisierung voran. Deswegen haben wir die Bahn- und die Postreform durchgesetzt. Deswegen haben wir die Privatisierung der Lufthansa auf den Weg gebracht. Deswegen versuchen wir, auch in weiteren Bereichen voranzukommen, wo es darum geht, Aufgaben vom Staat auf Private zu übertragen. Das muß auf Landes- und Gemeindeebene ebenfalls konsequent angegangen werden, und Sie, Herr Ministerpräsident, sind eingeladen, daran mitzuwirken. Wir werden - ich sage es ganz ausdrücklich; es hat in Ihrer Rede ja praktisch keine Rolle gespielt - den Mittelstand stärken. Wir wissen ganz genau: Von den über 3 Millionen Arbeitsplätzen, die seit 1982 in den alten Bundesländern entstanden sind, stammen im Schnitt neun von zehn neuen Arbeitsplätzen aus Betrieben zwischen einem und hundert Beschäftigten und nur ein Arbeitsplatz aus Betrieben über hundert bis tausend Beschäftigten. ({24}) Der Mittelstand schafft die Arbeitsplätze, die wir brauchen, und in den neuen Bundesländern gibt es inzwischen - wenige Jahre nach der Wende -450 000 mittelständische Unternehmen und freie Berufe mit rund 3 Millionen Beschäftigten. Bei allen Problemen, die in den neuen Bundesländern bleiben: Ohne diese Aufbauleistung des Mittelstands wären wir nicht dort, wo wir inzwischen erfreulicherweise angekommen sind. ({25}) Deswegen, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wollen wir mit der Existenzgründungs- und Innovationsoffensive den Mittelstand weiter stärken. Deswegen haben wir das Eigenkapitalhilfeprogramm in den alten Bundesländern wieder eingeführt. ({26}) Deswegen haben wir das ERP-Programm zur verstärkten Förderung des industriellen Mittelstands deutlich verbessert. Deswegen haben wir das Programm „Innovative Unternehmensgründungen" durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau eingeführt. Deswegen fördern wir mit Darlehensprogrammen für Meisterkurse und berufliche Fortbildung den Mittelstand. ({27}) Deswegen haben wir die Handwerksordnung novelliert. Meine Damen und Herren - jetzt komme ich wieder zu dem Unterschied von Handeln und Reden - , Gerhard Schröder hat dagegen in Niedersachsen die Existenzgründungsdarlehen und Investitionshilfen für das Handwerk um 15 % gekürzt. ({28}) Was ist das für eine Mittelstandspolitik, sich hier hinzustellen und so zu tun, als würde der Mittelstand für Sie eine Rolle spielen, während Sie zu Hause das Gegenteil davon machen? ({29}) Meine Damen und Herren, wir werden unsere standortsichernde Steuerpolitik weiterführen. Wir werden alles daransetzen, im Rahmen der Unternehmenssteuerreform II die ertragsunabhängigen Steuern so weit wie möglich zu reduzieren und durch Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer die mittelständischen Unternehmen zu stärken. Meine Damen und Herren, wer Mittelstandspolitik betreibt, betreibt immer auch Arbeitsmarktpolitik. ({30}) Nicht Umverteilung ist das Gebot der Stunde, sondern Stärkung der kreativen Kräfte, ({31}) von denen wir wissen, daß sie am ehesten im Handwerk und im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze schaffen können. ({32}) Meine Damen und Herren, Stärkung der kreativen Kräfte heißt auch weitere Stärkung der Forschungs- und Technologiepolitik, die wir als einzigen Bereich im Bundeshaushalt im wesentlichen ungekürzt gelassen haben. ({33}) Wir haben ein neues Luftfahrtforschungs- und Technologieprogramm durchgesetzt. Wir bauen den Transrapid. Wir stärken den Einsatz moderner Vorsorgetechnologien im Umweltschutz, weil produktionsintegrierter Umweltschutz allemal besser ist als nachgeschaltete Reinigungstechniken. Wir fördern die Telematiksysteme im Verkehr in den nächsten Jahren mit rund 6 Milliarden DM, weil wir wissen, daß sie die intelligenteren Lösungen bringen. Herr Schröder und meine Damen und Herren von der SPD, Sie wären uns hier auch einmal auskunftspflichtig, was Sie nun eigentlich bei einem Thema wollen, für das es inzwischen intelligente technische Lösungen gibt, wo Sie sich bisher aber nicht einigen konnten, nämlich beim Thema „Tempolimit". Herr Scharping sagt, nachdem er zunächst dagegen war, er will ein 365-Tage-Tempolimit. Herr Schröder sagt bis vor wenigen Tagen, er will kein Tempolimit. Die Partei eiert und versucht, sich in ihrem Wahlprogramm für ein Tempolimit festzulegen. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß inzwischen, es gibt flexible Geschwindigkeitsregelungen, technische Regelungen, die viel besser sind als ein starres Tempolimit. Sie bringen mehr Umweltschutz, sie bringen mehr Verkehrssicherheit. In Frankfurt hat der Rückgang der Unfallzahlen bei rund 30 % gelegen mit technischen Anlagen, die den Verkehr regulieren, wenn es notwendig ist - bei Nebel, bei einer entsprechenden Wetterlage -, und den Verkehr wieder völlig freigeben, wenn es möglich ist. Die SPD fordert immer noch, mindestens teilweise, ein starres Tempolimit. Jetzt will ich einmal wissen: Was hat denn der Herr Schattenminister Schröder zu diesem Thema heute noch zu sagen? Oder hat sich die Troika zu diesem Thema bisher nicht einigen können? Meine Damen und Herren, in Wahrheit ist es doch so: Viel mehr Schatten als Licht haben wir heute gespürt. ({34}) Herr Schröder, Sie sollten sich darauf besinnen, was Sie in einem Interview zu Beginn des Jahres gesagt haben. Sie hätten immer nach einem Grundsatz der Lateiner gehandelt: Lieber erster in der Provinz als zweiter in Rom. ({35}) Herr Schröder, wenn Sie so weitermachen, werden Sie weiter in der Provinz bleiben. Schade für Niedersachsen, gut für Deutschland! ({36})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen auf dessen Wunsch, sich berufend auf Art. 43 Abs. 2 unserer Verfassung, das Wort. Herr Ministerpräsident, Sie kennen die Usancen des Hauses. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese Ihre Redezeit auf Kosten der Ihre Regierung tragenden Fraktionen der GRÜNEN und der SPD geht. Ministerpräsident Gerhard Schröder ({0}): Herr Präsident! Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich eine Alleinregierung der SPD führe. Da ist Ihnen der Fehler unterlaufen, das vergessen zu haben. Aber am 13. März haben wir die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen, ({1}) und ich kann Ihnen gern die Sitzaufteilung im niedersächsischen Landtag und das Ergebnis meiner Wahl zum niedersächsischen Ministerpräsidenten zwecks Nachhilfe sagen. Ich bitte doch sehr, meine Redezeit nicht den GRÜNEN anzurechnen. Sie sind nicht mein Koalitionspartner.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Ministerpräsident, ich folge Ihrem Wunsch, dies geht allein zu Lasten Ihrer Fraktion. Ministerpräsident Gerhard Schröder ({0}): Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich gern zwei Dinge richtigstellen wollte, die Herr Wissmann gesagt hat und die - so will ich einmal unterstellen - schlicht auf Unkenntnis beruhen oder schlicht bösartig gemeint waren; aber ich will von Unkenntnis ausgehen. Erstens, was das nette Zitat angeht mit der Provinz und Rom, so ist das wohl wahr. Ich habe ja auch wirklich nicht gedacht, daß Sie eine Politik machen, die dazu führt, daß die SPD nun wirklich jeden darum bitten muß mitzuarbeiten, ({1}) damit Sie am 16. Oktober abgelöst werden. Ministerpräsident Gerhard Schröder ({2}) Es ist in der Tat so - damit komme ich zu der zweiten Bemerkung, die ich machen will -, daß es auf Grund der Bundespolitik langsam schwierig wird, in den Ländern die Politik zu machen, die im Interesse der Menschen liegt. Ich will Ihnen sagen, warum. Wenn Sie sich einmal anschauen, was als Ergebnis Ihrer Politik an Leistungen auf die Länder übertragen worden ist, ohne daß Sie die Finanzmittel mitgeliefert haben - ({3}) - Dann haben Sie keine Ahnung von den Landeshaushalten! Fragen Sie doch einmal Ihre eigenen Ministerpräsidenten - ach, Sie haben ja kaum noch welche -, soweit Sie sie noch haben! ({4}) Allein durch die Finanzreform, allein durch den neugeschaffenen Länderfinanzausgleich ({5}) wird das Land Niedersachsen jährlich - ich betone: jährlich - zwischen 4 und 5 Milliarden DM an Transferleistungen zu erbringen haben. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Richtig!) - Sie sagen ja, Herr Bundeskanzler. Das ist auch wahr, das ist wirklich so. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Sie haben doch auch zugestimmt!) - Natürlich haben wir zugestimmt. ({0}) Deswegen füge ich ja auch hinzu, meine Damen und Herren: Wenn zwischen uns klar ist, daß wir zwischen 4 und 5 Milliarden DM jährlich zu den Transferleistungen beizutragen haben, ({1}) dann ist auch klar, daß die bei einem Haushalt von ca. 40 Milliarden DM schlicht fehlen. Die Konsequenz ist dann, daß keine Landesregierung hergehen und sagen kann: Wir schmeißen jetzt die Lehrerinnen und Lehrer raus; wir entlassen die Polizeibeamten, ({2}) sondern die Leistungen, die in einem Landeshaushalt z. B. für Personal erbracht werden müssen, müssen weiter erbracht werden. Die 4 bis 5 Milliarden DM, die als Folge der deutschen Einheit - wir beklagen uns darüber nicht - zu zahlen sind, fehlen ganz natürlich bei dem Leistungsangebot, das wir machen können. ({3}) - Ich möchte das gern im Zusammenhang darstellen und deshalb keine Zwischenfragen zulassen. Meine Damen und Herren, wenn man weiß, worum es geht und wie die freie Spitze angesichts von Rechtsverpflichtungen einerseits und Personalausgaben andererseits in den Landeshaushalten ist, dann empfindet man es schon als kenntnislos oder bösartig, wenn über Kürzungsanstrengungen, die natürlich alle Bereiche umfassen müssen, hier in dieser Form geredet wird. Das sind nicht Dinge, die wir mal eben aus Daffke tun, sondern das sind Dinge, die den Ländern durch eine Entwicklung aufgezwungen sind, die zum Teil auf ihre eigene Politik zurückgeht und zum Teil aus dem resultiert, was ich eben erwähnt habe. Jetzt komme ich zu den Stellen, die wir mehr geschaffen haben. Ja, es ist wahr. Ob die exakte Zahl stimmt, habe ich jetzt nicht im Kopf. Wir haben gewaltig eingestellt, und zwar allein zwischen 6 500 und 7 000 Lehrerinnen und Lehrer in vier Jahren. Von Ihren Leuten sind wir dafür im Landtag kritisiert worden und werden weiterhin kritisiert mit der Behauptung, das sei nicht genug gewesen. Wer verhält sich denn nun merkwürdig? Ihre eigenen Leute, die uns vorwerfen, wir hätten nicht genug Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, obwohl wir 6 500 eingestellt haben, oder Sie, die hier hingehen und das kritisieren? Da sehe ich doch den Kollegen Hedrich sitzen. Wenn ich richtig informiert bin, leitet er eine Landesgruppe aus Niedersachsen. ({4}) Die gleichen Leute, die hierher kommen und große Reden über Steigerung von Personalausgaben in diesem Bereich halten, verlangen immer mehr und immer mehr und beklagen sich, wenn wir sagen: Die finanziellen Ressourcen geben das nicht her. Das zweite ist: Wir haben etwa 1 000 bis 1 500 Polizeibeamte neu eingestellt. Ich nehme jetzt zur Kenntnis, daß Sie das für zuviel halten. Aber wenn Sie das für zuviel halten, dann hören Sie auf, eine miese Kampagne gegen die Länder zu führen wegen angeblicher Vernachlässigung der inneren Sicherheit. ({5}) So geht es doch nicht. Das sind allzu schlanke Reden und Ausreden, die Sie hier bringen. Das, was die Länder und auch die Gemeinden in Zukunft tun müssen, ist teilweise Folge der Notwendigkeit, die Einheit zu finanzieren. Da beißt die Maus keinen Faden ab; das muß gemacht werden. ({6}) Aber was Sie z. B. den Gemeinden jetzt nach Ihren Vorstellungen zumuten wollen, wenn Sie beispielsweise die Arbeitslosenhilfe kürzen und die Leute in die Sozialhilfe treiben, führt zum finanziellen Desaster in den Gemeinden. ({7}) Dann laufen Sie herum und beklagen das lauthals und schieben es uns in die Schuhe oder versuchen es wenigstens, obwohl Sie es doch selber verursacht haben. Bei allem Verständnis für Ihren Pathos: So geht Ministerpräsident Gerhard Schröder ({8}) das nicht. Seien Sie sicher: Damit werden Sie nicht durchkommen. Durchkommen werden Sie auch nicht bei den erwähnten historischen Anleihen, die Sie, Herr Wissmann, gemacht haben. Ich finde, wir sollten versuchen, in den letzten sechs Monaten eine ordentliche Sachauseinandersetzung zu organisieren. ({9}) Wie sehr Sie vor dieser Auseinandersetzung Angst haben, zeigt die heute morgen schon zureichend erwähnte Wahlkampagne, die Sie machen. Der Kommunismus ist mausetot, und Sie wollen mit dem Antikommunismus Wahlen gewinnen. Lächerlich werden Sie sich machen, mehr aber nicht. Herzlichen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Helmut Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß der Ministerpräsident seine Absicht nicht wahr macht und den Deutschen Bundestag jetzt verläßt. Ich würde das für absolut schäbig halten, nachdem er Wirtschaftsminister Rexrodt so brutal, unfair und schäbig angegriffen hat. Ich spüre aus Ihrer Rede auch eine große Verachtung für die liberale Partei, Herr Schröder. Es ist ein weiter Weg, seit wir einmal mit Ihnen als Juso-Vorsitzenden über Ihre Ziele der Sozialisierung, der überparitätischen Mitbestimmung und andere Ziele diskutiert haben. Wir können über alle Themen reden, als erstes über Herrn Stihl. Ihnen hat nicht gepaßt, was er zur SPD gesagt hat. Aber Sie sollten einmal davon ausgehen, daß Herr Stihl ein äußerst erfolgreicher, selbständig haftender mittelständischer Unternehmer ist, kein Verbandsapostel, und daß er weiß, wovon er redet. ({0}) Zweitens sollte sich Herr Schröder bei Herrn Reuter, bei Herrn Piëch, bei Herrn Pierer erkundigen, was in den letzten zwei Jahren in Asien von seiten der Bundesregierung unternommen wurde: in Indien, in China, in Singapur. Die größten Aufträge innerhalb der Europäischen Union gingen an die Bundesrepublik, auch mit Hilfe - aber nicht allein natürlich - der Regierung. Denn es war immer unser Konzept, daß sich zunächst die Produkte aus Deutschland am Markt durchsetzen und daß dann zusätzlich politische Unterstützung kommt. ({1}) Nur, im Fall Saudi-Arabien hätte bestimmt nicht einmal ein Anruf von Ministerpräsident Schröder beim König helfen können. Wenn der amerikanische Präsident persönlich anruft und die Sicherheitsinteressen der saudiarabischen Republik mit amerikanischen Interessen in Verbindung bringt, wird es kein deutscher Politiker schaffen, daß nichtamerikanische Flugzeuge gekauft werden. Das ist völlig klar. Aber das war nicht nur unfair, sondern hat auch Unkenntnis bewiesen. Vielleicht sollten Sie auch einmal mit Ihren sozialistischen Kollegen in der Europäischen Union darüber reden, was Herr Rexrodt bei den GATT-Verhandlungen zur Erweiterung der Europäischen Union beigetragen hat. ({2}) Diese Verachtung, die aus Ihren Worten spricht, ist bezeichnend. Wir können auch über die Autoindustrie reden. Die Abwrackprämie ist ein absoluter Nebenkriegsschauplatz. Das Ja zum Auto fehlt. Sozialdemokraten verursachen zusammen mit GRÜNEN eine Treibjagd auf Autofahrer, jeden Tag neue Vorstellungen. ({3}) Ihr künftiger Koalitionspartner will einen Benzinpreis in Höhe von 5 DM. Irgendwann wird es unsozial, überhaupt Auto zu fahren. Tempolimit ja oder nein - völlig unklar. Es ist eine teure Landesbeteiligung von VW, die zu der Einsicht im Aufsichtsrat geführt hat - Herr Schröder ist ja bei VW -, daß ein Tempolimit ausgerechnet in dem Land mit der höchsten Autosicherheit und den besten Autobahnen der deutschen Autoindustrie vielleicht doch nicht hilft. Ozonversuch von Herrn Schäfer - monatelange Verunsicherung. Herr Schäfer wird dann mit 180 km/h auf deutschen Autobahnen erwischt. Macht nichts, meine Damen und Herren. Aber diese Verlogenheit - auch in der Autoindustrie - regt mich wirklich auf. ({4}) Meine Damen und Herren, kommen wir zur Arbeitsmarktpolitik. Mit großem Pathos, machtvoll wurde hier ökonomischer Unsinn vorgetragen. Jeder Ökonom der Welt weiß, daß die Situation am Arbeitsmarkt ohne Konjunkturaufschwung nur noch schlechter wird. Jeder hier weiß auch, daß die strukturellen Probleme damit nicht gelöst werden. Die Diskussion über Arbeitslosigkeit gerade mit Vertretern der Sozialdemokratischen Partei hat inzwischen aus meiner Sicht einen hohen Grad an Verlogenheit erlangt. Die wahren Ursachen für strukturelle Arbeitslosigkeit - wie von der OECD vorgestellt, wie auf dem Beschäftigungsgipfel in den USA vorgestellt -, nämlich mangelnde Flexibilität, keine private Arbeitsvermittlung, zu wenig Deregulierung, zu geringe Privatisierung, werden von dieser Regierung angegangen und werden gegen den erbitterten Widerstand der Bundesländer, der Sozialdemokraten, eines Teils der Gewerkschaften durchgesetzt und werden dann hier unter ferner liefen zur Kenntnis genommen. In Niedersachsen wird Arbeitsmarktpolitik gemacht, indem Gewerkschaftsvertreter in großen Firmen, nicht zuletzt auch bei Volkswagen, dafür sorgen, daß deutsche Produkte am Weltmarkt zu teuer werden. Dann erbarmt sich der Ministerpräsident; dann wird eine generelle Arbeitszeitverkürzung eingeführt; die Zulieferer werden ausgepreßt; und dann wird gönnerhaft gesagt: „Der Ministerpräsident hat Arbeitsplätze gerettet", während gleichzeitig Tausende von Arbeitsplätzen in den kleinen und mittleren Betrieben zugrunde gehen. ({5}) Genau diesen Betrieben wird nämlich Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich und Solidaropfer versagt. Das gleiche gilt für die DASA. Plötzlich wird mit Landesgeld eine Beteiligung eingegangen - der große Retter für ein bis zwei Jahre. Wenn sich Volkswagen und DASA am Markt nicht durchsetzen, werden auch Sie auf Dauer nicht mit günstigen Beschäftigungsgesellschaften als große Retter Arbeitsplätze erhalten können. ({6}) Das Schlimme ist wirklich, daß sich die Arbeitsteilung hier durchgesetzt hat. Der Wirtschaftsminister wird angeklagt. Er ändert die Rahmenbedingungen; er verbessert die Wettbewerbsfähigkeit; er macht Außenwirtschaftspolitik. Aber die kleinen, individuellen Dinge werden dann von den SPD-Landesfürsten mit staatlichem Geld durchgesetzt. Dort sind die Gewerkschaften bereit, von einer zu starren Tarif- und Arbeitszeitpolitik abzugehen. Das führt dann zu einem kurzfristigen Wahlerfolg. Das führt natürlich nicht zur dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich. ({7}) Es war auch bezeichnend, daß ich von Herrn Schröder überhaupt keine konkrete Aussage zur deutschen Mittelstandspolitik gehört habe. ({8}) Er hat recht, wenn er davon ausgeht, daß wir auch bei besserer Konjunktur nicht mehr Beschäftigung in der großen industriellen Produktion erreichen werden. Jeder, der im Arbeitsleben steht, weiß, daß die Großindustrie mehr Aufträge mit mehr Produktivität und mit dem jetzigen Stand erreichen wird. Die Beschäftigung muß von unten kommen, d. h. von kleinen und mittleren Betrieben. Kleine und mittlere Betriebe im Handwerk, im Dienstleistungsbereich können nicht mit kapitalintensiven Großbetrieben konkurrieren; sie brauchen längere, zum Teil individuelle Arbeitszeiten. Sie brauchen Einstiegstarife. Sie brauchen mehr Aufträge durch Privatisierung. Was Herr Rexrodt in diesem Sinne macht, ist die beste Beschäftigungspolitik, indem er sich nämlich bemüht, für kleine und mittlere Betriebe tatsächlich mehr Flexibilität zu erreichen. ({9}) Meine Damen und Herren, ich möchte eine zweite Bemerkung zur Europapolitik machen. Herr Schäuble ist im Moment nicht hier, aber ich will sagen, aus Sicht der F.D.P. hat auch Europapolitik mit Beschäftigungspolitik zu tun. Wir wollen den großen Markt. Wir wollen Gesamteuropa, nicht Kleineuropa. Wir wollen den Markt in Europa mit über 500 Millionen Verbrauchern und nicht einen Kleinmarkt. Wenn ich heute lese, daß Herr Glotz von den Sozialdemokraten - auch einer der Schattenminister - genau in dieses Horn bläst, indem er sagt, das Gerede von Vertiefung und Verbreiterung der Europäischen Union müsse endlich aufhören, sehe ich, daß es leider - so muß ich sagen - in beiden Großparteien eine Tendenz zur Abschottung innerhalb Europas gibt. Ich kann ökonomisch und beschäftigungspolitisch davor nur warnen. ({10}) Wer jetzt nicht bereit ist, mit den zwölf europäischen Staaten die Vertiefung weiter voranzutreiben, wird auch die Verbreiterung nach Osteuropa nie erreichen. ({11}) Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen brauchen wir die Verbreiterung nach Osteuropa. Wir brauchen sowohl die neuen Märkte als auch die dort schlummernde Produktivität. Allein in Westeuropa sind wir zu teuer geworden, und Volkswagen zeigt ja mit Skoda, daß es optimale Formen einer gesamteuropäischen Arbeitsteilung gibt. Ich möchte also zusammenfassen und sagen: Für uns ist und bleibt die Beschäftigungspolitik insbesondere für kleine und mittlere Betriebe unverzichtbar, und für uns bleibt unverzichtbar, daß wir an dem Konzept für Gesamteuropa festhalten und nicht mit komischen, nicht ausgegorenen Ideen über Kleineuropa - und dies ausgerechnet in der Zeit der deutschen Präsidentschaft - Mißverständnisse bei unseren europäischen Partnern fördern. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erteile unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, ich habe ein bißchen Probleme mit einer parlamentarischen Debatte, die sich ausschließlich aus schillernden Wahlkampfreden zusammensetzt. Da fällt mir ein Gedicht ein: Das Volk ist dumm, das macht der Kohl, er bläht nur unterm Schurze; den Kopf hingegen läßt er hohl. So herrscht im Reich, ich sag: zum Wohl, politisches Gefurze. ({0}) - Ich verstehe gar nicht, warum Sie sich melden. Das ist von Walther von der Vogelweide und um 1215 entstanden. Er kannte den Kanzler bestimmt noch nicht. Die Schizophrenie des Wahlkampfes besteht gerade darin, daß nahezu alle bemüht sind, möglichst viele Wählerstimmen auf ihre Seite zu ziehen, mit unzähligen Versprechungen für alles und jeden, mit Mitteln der Verleumdung und Diskriminierung des politischen Gegners, mit Materialschlacht - eben koste es, was es wolle. Konzeptionelle Überlegungen, wie die anstehenden Probleme Arbeitslosigkeit, Armut, Strukturkrise, Wohnungsnot, wirtschaftlicher Kahlschlag im Osten usw. gelöst werden können, bleiben dabei zwangsläufig auf der Strecke. Meine Damen und Herren, fast 4 Millionen Menschen sind offiziell arbeitslos. Es fehlen in Deutschland 6 Millionen Arbeitsplätze. Das ist offenkundig kein Thema für die Bundesregierung. Kein Wort des Bedauerns für die Betroffenen und vor allem: keine Lösungsansätze! ({1}) - Warten Sie ab! Hören Sie meine Rede! Wie sieht nun die Bilanz der Bundesregierung für die vergangene Legislaturperiode aus? Die Zahl der Erwerbstätigen ist von 1990 bis 1993 in den alten Ländern um 1,9 Millionen und in den neuen Ländern um 3,5 Millionen zurückgegangen. Für die Wirtschaft in den neuen Ländern, die einst Arbeitsmöglichkeiten für mehr als 4 Millionen hatte, verkündet die Bundesregierung nun stolz, daß durch die Treuhandanstalt 1,5 Millionen Arbeitsplätze „gesichert" wurden. Fraglich ist nur, für wie lange und was Sie unter „gesichert" verstehen. Für mich, Herr Rexrodt, ist die Frage: Wo sind die industriellen Kerne, die Sie hier beschworen haben? Offenkundig sind sie eine Fata Morgana in der Industriewüste Ostdeutschlands. Die Bundesregierung will den Eindruck erwecken, daß es für das Entstehen von mehr Arbeitsplätzen nur einen Weg gäbe: immer neue Steuersenkungen für Unternehmen zu Lasten der anderen Steuerzahler bei gleichzeitigem massivem Sozialabbau. Faktisch beschränkt sich die Aktivität der Bundesregierung zur Schaffung neuer Arbeitsplätze darauf, zu erklären, warum der herbeigeredete Konjunkturaufschwung ({2}) nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt. Das haben wir auch heute wieder gehört. Die Zahlen, Herr Rexrodt, die Sie hier genannt haben, stimmen mit den Statistiken, die die Arbeitsämter herausgeben, nicht überein. Sechs Millionen von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, AB-Maßnahmen Betroffene - das erfordert nach unserer Auffassung ein ganz entschiedenes Handeln des Bundestages und der Bundesregierung. Aber es soll weitergemacht werden wie bisher. Mögen das die Wählerinnen und Wähler am 16. Oktober verhindern! Gebetsmühlenartig wird von der Bundesregierung behauptet, daß nur verbesserte Ertragskraft der Unternehmen und sinkende Lohnkosten den Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätze sichern könnten. Die Zahlen der 80er Jahre beweisen das Gegenteil. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen sank in der Regierungszeit der CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung um 10 %. Die Unternehmereinkommen und Einkommen aus Vermögen stiegen dagegen netto auf das 2,1fache. Sie haben sich also mehr als verdoppelt. Statt Nachfrage auf dem Markt zu stärken, haben die Maßnahmen der Bundesregierung, insbesondere die Kürzung von Sozialleistungen, die Nachfrage weiter geschwächt. Ich bezweifle - Herr Ministerpräsident Schröder ist leider nicht mehr da -, daß es den „Konsens der sozialen Teilhabe", über den Herr Schröder vorhin gesprochen hat, in der Bundesrepublik noch gibt. Immerhin gibt es in der Bundesrepublik über 500 000 Menschen in Altersarmut. Ich denke, diese Zahl spricht eine andere Sprache. Diese Politik soll auch nach dem vorliegenden Haushaltsentwurf 1995 fortgesetzt werden. Beschäftigung darf sich nicht weiter danach richten, wer von Unternehmen gebraucht und wer nicht gebraucht wird. Ein erster Schritt wäre es, Beschäftigung öffentlich zu fördern. Nicht Erwerbslosigkeit, sondern Arbeit sollte nach unseren Vorschlägen mit öffentlichen Mitteln finanziert werden. Ein Beschäftigungsprogramm allein beseitigt jedoch noch nicht Erwerbslosigkeit. Notwendig ist im weiteren eine grundlegende Umverteilung der Arbeit, eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit, eine tiefgreifende Reform des Steuer- und Abgabenrechts, einschließlich Streichung der Erleichterungen für das Finanzkapital zugunsten produktiver Investitionen. Notwendig ist mehr Wirtschaftsdemokratie und die Förderung von mehr Arbeitsplätzen durch ökologischen Umbau der Wirtschaft und der Verkehrssysteme statt ökologisch unverantwortlicher und ökonomisch sinnloser Großprojekte. Es hat sich gezeigt, daß die Umwelttechnik zu Zeiten der Krise die einzige Branche war, die sich tatsächlich entwickelt hat. In Brandenburg z. B. sind etwa 40 000 Arbeitsplätze allein im Bereich der Umwelttechnik geschaffen worden. Das Hauptanliegen der PDS/Linke Liste ist vor allem, Möglichkeiten zur Förderung von Arbeit aufzuzeigen. Ich wage jetzt den Versuch, trotz Wahlkampf ein paar sachliche Vorschläge einzubringen: Erstens kann die vorhandene Erwerbsarbeit durch Arbeitszeitverkürzungen und neue tariflich abgesicherte Arbeitszeitmodelle gerechter verteilt werden. Allein durch eine gesetzliche Begrenzung der Überstunden - immerhin werden in der Bundesrepublik ca. 1,8 Milliarden Überstunden jährlich geleistet - und die finanzielle Unterstützung eines sofortigen Übergangs zur 35-Stunden-Woche könnten 2 Millionen Arbeitsplätze entstehen. ({3}) - Sie machen genau das Gegenteil. Da haben Sie vollkommen recht. Nach unserer Auffassung müßten bei einer drastischen Arbeitszeitverkürzung unterhalb der 35-Stunden-Woche zumindest jene Beschäftigten einen vollen Lohnausgleich erhalten, deren Löhne unter dem gesellschaftlichen Durchschnittseinkommen liegen. Dazu müßte der Staat bei Unternehmen, die damit wirklich überfordert wären, Löhne teilweise subventionieren. Das ist immer noch billiger für die Steuerzahler als die Bezahlung von Arbeitslosigkeit, und es ist wohl ein bißchen menschlicher. Zweitens verlangt die Lage der Millionen Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit Bedrohter eine Wirtschaftspolitik, die langfristig Arbeitsplätze sichert. Geeignetes Mittel ist staatliche Industriepolitik, und zwar im Sinne einer Strukturpolitik. Der Staat darf unseres Erachtens angesichts der gravierenden Probleme nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Zugleich kann nur so ein sozialer und ökologischer Umbau der Wirtschaft und der Verkehrssysteme eingeleitet werden. Marktwirtschaft allein wird hier nichts richten. Insbesondere sollte die staatliche Förderung von Innovationen in diesen Fragen ausgeweitet werden, anstatt weiter ins Milliardengrab Transrapid zu schaufeln. Die Sicherung und Wiederherstellung einer lebensfähigen Umwelt und die Beseitigung der Obdachlosigkeit und Wohnungsnot erfordern die Arbeit vieler Bürgerinnen und Bürger. Die Lösung dieser drängenden Fragen sollte durch einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor angegangen werden. Die Bundesregierung sollte sich aber ab und zu auch einen Überblick darüber verschaffen, ob die Maßnahmen des AFG tatsächlich zu einer wirklichen Veränderung der Lage beitragen, ob die Mittel rechtzeitig abgefordert werden, ob sie begleitend zur regionalen Strukturentwicklung wirksam werden. Drittens sind wir der Auffassung, daß dieses Land nicht nur reich genug ist, sondern im Interesse seiner Zukunftsfähigkeit sogar darauf angewiesen ist, endlich die vorrangig immer noch von Frauen geleistete Arbeit im Bereich Familie, Kindererziehung und Pflege sowie andere bisher unbezahlte Arbeit durch eine soziale Grundsicherung anzuerkennen. Die davon ausgehenden Veränderungen hätten nicht nur positive beschäftigungspolitische Konsequenzen, sondern könnten Ausgangspunkt für den sozialen, ökologischen und kulturellen Umbau unserer Lebens- und Wirtschaftsweise sein. Viertens erwarten wir einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit durch die Förderung von alternativen Produktionsformen, Selbsthilfegruppen, Sozialbetrieben und Genossenschaften. ({4}) - Genossenschaften entstanden ja nun wirklich aus einer uralten kapitalistischen Entwicklung. Fünftens gibt es weitgehende Übereinstimmung, daß in Bildung, Kultur, Wissenschaft und bei humanen Dienstleistungen ein enormer Bedarf der Gesellschaft an Arbeitsplätzen besteht. Unterschiedliche Auffassungen gibt es über die Finanzierbarkeit. Wir schlagen vor, die Mittel in erster Linie durch Abrüstung, die Abschaffung überflüssiger Geheimdienste, durch Entbürokratisierung der Gesellschaft, durch höhere und gerechtere Besteuerung der Vermögenden und Besserverdienenden, durch die Abschaffung von Spekulationsgewinnen und durch eine Zwangsanleihe übermäßiger Gewinne der Banken und Versicherungen aufzubringen. Der letzte Vorschlag kam übrigens einmal von Herrn Schäuble. Sechstens sehen wir zahlreiche Möglichkeiten für mehr Beschäftigung durch den Abbau von Beschäftigungs- und Investitionshemmnissen. Solange Finanzanlagen weitaus sicherer gewinnbringend sind als Produktionskapital, wird es wenig Investitionen in wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, aber immer mehr Spekulationen an den in- und ausländischen Finanzmärkten geben. Ich möchte außerdem auf das Problem beschäftigungsintensiver Betriebe verweisen. Bei gleichem Umsatz müssen sie wesentlich mehr Abgaben für die Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung entrichten. Zu einer sinnvollen Lösung sollten diese Abgaben der Unternehmen nicht nur an die Löhne, sondern zugleich auch an die Gewinne gebunden werden. ({5}) - Da ist ja nicht viel drin. Siebtens. Ein ganz wesentliches Element für die Stärkung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft sehen wir in der Erweiterung der gesellschaftlichen und betrieblichen Demokratie. Eine neue Produktionsweise verlangt die bewußtere Mitarbeit der Beschäftigten. Reale Mitsprache- und Teilhaberechte für Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften bei allen ökonomischen, sozialen und ökologischen Entscheidungen würden eine neue Produktionsweise wirksam unterstützen. Achtens hält die PDS/Linke Liste die Bewältigung der dramatischen Lage auf dem Arbeitsmarkt durch bundesweite Veränderungen für möglich. Zugleich verlangt die Situation in den neuen Ländern jedoch ein Bündel spezifischer Sofortmaßnahmen. Ich meine hier z. B. die Absatzförderung. Vorschläge in dieser Richtung, wie sie auch von anderen Verbänden kommen, sollten unbedingt berücksichtigt werden: Wertschöpfungspräferenz für Ostprodukte, Erstattung der Werbegebühren in öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, Erstattung der Listungsgebühren für Ostprodukte in Handelsketten, Förderung des Osthandels, und zwar sowohl als Hilfe zur Selbsthilfe für die mittel- und osteuropäischen Lander als auch zur Ausweitung der Beschäftigung in den neuen Ländern. Ebenso dringend notwendig sind Liquiditätshilfeprogramme für neugegründete ostdeutsche Unternehmen. Die z. B. in der Baubranche zweifellos gute Auftragslage - Herr Kollege Wissmann hat das vorhin angesprochen - kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Betriebe wegen schlechter Zahlungsmoral bzw. Zahlungsschwäche der Auftraggeber in den Konkurs getrieben werden. Wenn Sie wirklich etwas für den Mittelstand tun wollen, dann fangen Sie hier an! ({6}) Soweit unsere Vorschläge. Wir stellen uns der sachlichen Diskussion in diesem Bundestag und außerhalb auch nach dem 16. Oktober. ({7}) Eines allerdings kann ich Ihnen versprechen: So schnell werden Sie uns hier nicht los. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Wort hat nun unser Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich schwierig, hier eine lebhafte Debatte zu führen, Herr Waigel, wenn die Vorredner, auf die man gerne Bezug nehmen möchte, alle verschwunden sind. ({0}) Auch das ist eine Unkultur in dieser Haushaltsdebatte. ({1}) - Nein, Herr Waigel ist heute anwesend. Er hält das tapfer durch. Ich nannte ihn bloß, weil er einen Zwischenruf hinsichtlich meiner Redefrequenz gemacht hat. Ich wollte eigentlich Herrn Wissmann loben. Er hat mich heute tief beeindruckt, indem er eine lückenlose Erfolgsbilanz der Wirtschaftspolitik vorgetragen hat, in der sogar der Ausfall von zwei liberalen Wirtschaftsministern verschwunden ist. Zwar leistet der Kanzler bei all seinen Wahlkampfauftritten im Osten ein pauschales Fehlereingeständnis, im einzelnen aber sind es dann eben doch nur Erfolge; so konnten wir das heute hören. Aus der Stunde der Wahrheit ist bei Herrn Wissmann eine Schrecksekunde zwischen Täuschung und Selbsttäuschung geworden. Wer aber unter dem vielversprechenden Begriff „Allianz für Deutschland" angetreten ist das betrifft dann auch Sie, Herr Waigel -, wer also Anleihe bei einer großen Versicherungsgesellschaft genommen hat, der sollte den Wählern auch sagen, daß er zu eigenen Schadensfällen steht und sich dazu bekennt. Tatsache ist, daß ein Großteil der ostdeutschen Betriebe zusammengebrochen ist. Tatsache ist, daß die Hälfte der Menschen dort keinen Arbeitsplatz mehr hat. Tatsache ist auch, daß von drei berufstätigen Frauen in der ehemaligen DDR zwei heute keinen Job haben. Herr Faltlhauser, ich bestreite gar nicht, daß es im Osten Fortschritte und Verbesserungen gibt. ({2}) Es kommt aber darauf an, auf welche Bezugsbasis wir uns verständigen können. Sie jubeln hier einen Aufschwung herbei, ({3}) der in Wirklichkeit eine Scheinblüte ist, weil er nicht aus eigener Kraft kommt. Sie legen hier den Zynismus eines Narkosearztes an den Tag, der seinem am Tropf hängenden Patienten bestätigt, daß er ein guter Esser geworden ist. Da Sie auf unsere Meinungen nicht allzuviel Wert legen, sollten Sie wenigstens den Rat von Experten annehmen. Der OECD-Länderbericht ist kein Gütebeleg Ihrer Politik, auch wenn sie ihn dafür ausgeben. Dieser Bericht stellt vielmehr nüchtern und sachlich fest, daß das jetzige Wirtschaftswachstum die anhaltende Arbeitslosigkeit nicht vermindern wird. Diese Regierung ist mit den wirtschaftlichen Problemen nicht fertig geworden. Dort, wo es Verbesserungen gibt, handelt es sich nicht um Ergebnisse Ihrer Politik, sondern eher um Resultate einer externen Entwicklung, auf die Sie gar keinen Einfluß hatten. Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen zeigen. Die Koalition hat nach wie vor kein tragfähiges Konzept für den Aufbau Ost. Wie sollte es auch anders sein? Die Union hat ein schlechtes, ein unstimmiges Konzept; Sie sind sich selbst nicht im klaren darüber. Die F.D.P. scheint zu meinen, gar kein Konzept sei das beste. Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt oder eben nicht. So hat es die Bundesregierung versäumt, den ostdeutschen Produkten nach der Währungsunion faire Marktchancen zu sichern. Ihre Wirtschaftsförderung für den Aufbau Ost betreibt sie auf Zuruf. Es fehlt an klaren Förderschwerpunkten und an struktureller Orientierung. Wir wollen im Gegensatz dazu eine Konzentration der Mittel auf die besonders benachteiligten Regionen und auf die in ihrem Bestand besonders gefährdete gewerbliche Wirtschaft, auf Forschung und Entwicklung und auf zukunftsweisende ökologische Innovation setzen. Zusätzlich muß der Staat bei öffentlichen Aufträgen ostdeutsche Produkte und Dienstleistungen entschiedener als bisher bevorzugen. In allen ostdeutschen Bundesländern gibt es einen gewaltigen Bedarf für die Erneuerung der Infrastruktur. Wohnungsbau, Energieversorgung, Nahverkehr, Hochschulen oder Altenheime. Überall sind umfangreiche Investitionen erforderlich. Wir wollen deswegen ein langfristiges Infrastrukturprogramm Ost als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Der Schwerpunkt soll auf der Förderung der kommunalen Infrastruktur liegen. Nach wie vor bestehen gerade hier im Aufbau Ost Chancen. Ginge es nach uns, würden daraus Vorzeigebeispiele für den künftigen Wirtschafts-, Arbeits- und Lebensstandort Deutschland entstehen. Vor allem der Osthandel muß wieder in Gang gebracht werden; denn in der Revitalisierung der ostdeutschen Märkte liegt der Erfolgsschlüssel für die ostdeutsche Produktion, die dahin gehend traditionelle Produktionsstärken besitzt. Deswegen wollen wir die EU-Märkte für Importe aus dem Osten öffnen. Damit verbessern sich auch die Exportchancen für ostdeutsche Unternehmen. Diese Bundesregierung betet rosenkranzartig den Mittelstand als Motor für Innovationen und Beschäftigung auf. Aus dem Munde konservativer Wirtschaftspolitiker ist aber kaum ein Wort zu hören, wie dieser Mittelstand wirklich gefördert wird. Man lobt ihn als Basis der Beschäftigung, als Garanten der Anpassung. Werner Schulz ({4}) Schön und gut, aber was tut diese Regierung für diesen vielgelobten Mittelstand? ({5}) Im Zweifel hält sie es mit den Großunternehmen. Ich erinnere Sie nur an die von der F.D.P. mit allen Mitteln verfolgte Aufhebung des Rabattgesetzes, Herr Grünbeck. Nutznießer davon werden hauptsächlich die großen Handelsunternehmen sein. Ich erinnere Sie an die Subventionspraxis zugunsten von Daimler-Benz und Co. Im Mittelstand und bei den Selbständigen hat es sich mittlerweile herumgesprochen, und sie annoncieren ja groß in den deutschen Zeitungen, was sie von Ihrer Politik der Mittelstandsförderung halten. Sie haben den Mittelstand vernachlässigt; Sie haben eigentlich Ihrer eigenen Klientel Ihre Fürsorge entzogen. ({6}) Ich nenne hier nur die Stichworte Transparenz und Beschränkung bei den Subventionen, Sicherung des Wettbewerbs im Handel, Hilfe für die Aufbringung von Risikokapital für die mittelständische Wirtschaft im Osten: Überall an diesen Stellen Fehlmeldung dieser Bundesregierung. Die Bundesregierung wirtschaftet den für den Standort so wichtigen Faktor Forschung herunter. In der Forschungspolitik werden die Schwerpunkte falsch gesetzt. Es ist typisch, daß die Regierung für Friedensforschung kein Geld mehr hat. Dabei würde für die Sicherung der Friedensforschung ein Bruchteil der Mittel genügen, die für militärische Einsätze ausgegeben werden. Für Prestigeobjekte wie den Transrapid wirft sie das Geld aus dem Fenster; bei der allgemeinen Forschungsförderung fehlen die Mittel. Im letzten Forschungsbericht des BMFT heißt es: Die Lage der Forschung in der Wirtschaft in den neuen Ländern ist nach wie vor besorgniserregend. Es gelang bislang nicht, die Grundlagen zur Erzeugung eigenständiger innovativer Produkte der Unternehmen in den neuen Ländern im erforderlichen Umfang zu schaffen. Dem ist nichts hinzuzufügen; das kann man nur ändern. Die Bundesregierung verkennt die überragende Bedeutung des ökologischen Strukturwandels für die Zukunft des Wirtschafts- und Lebensstandorts Deutschland. Das bestehende Steuersystem ist nicht nur sozial ungerecht, sondern begünstigt zugleich ökologische Fehlentwicklungen. Wir treten seit Jahren für eine ökologische Steuerreform ein. Sie wird nicht erst jetzt von den meisten Fachleuten als notwendig und sachgerecht angesehen. Die Regierung will einfach nicht erkennen, daß es eine große Bereitschaft in der Gesellschaft gibt, eine ökologische Strukturwende durchzusetzen. So hat vor einigen Tagen auch eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz ein neues Wohlstandsmodell gefordert, das endlich mit dem Schutz und dem Erhalt unserer natürlichen Ressourcen ernst machen würde. Hier läge Ihre wahrhaft christliche Verantwortung. Was der Regierung Kohl fehlt, ist eine praktisch umsetzbare Konzeption zur Entwicklung der Wirtschaft zwischen Rostock, Erfurt und Bautzen. Sie verharrt in Untätigkeit, statt die Chancen für einen ökologischen Strukturwandel wahrzunehmen. In der Energiewirtschaft wie in der Landwirtschaft, in der Chemie und beim Verkehr, überall müssen jetzt vorsorgende Entscheidungen für ein umweltgerechtes und nachhaltiges Wirtschaften getroffen werden. So können Arbeitsplätze dauerhaft gesichert und auch neue geschaffen werden. Die Energiepolitik ist ein Paradebeispiel für die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung. Die Bilanz der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung schreibt die Arbeitsmarktstatistik, und so kann es nicht verwundern, daß die Koalition hier nach Kräften Bilanzkosmetik betreibt. Dennoch sind nach den neuesten Zahlen 3,6 Millionen Menschen in Ost- und Westdeutschland arbeitslos gemeldet. Wir wissen alle, daß es in Wirklichkeit erheblich mehr sind. Millionen von Menschen werden in Ostdeutschland aus dem Arbeitsleben verdrängt. Eine ganze Generation wird von der Warteschleife aufs Abstellgleis geschoben. Ausgerechnet den wichtigsten Produktionsfaktor, die Motivation, die Schaffenskraft und den Ideenreichtum von Millionen Menschen, läßt die Wirtschaft brachliegen. Der Markt wird das Problem nicht lösen. Wir brauchen eine beschäftigungsfreundliche ökologische Wirtschaftspolitik und zudem eine gerechte Verteilung der vorhandenen Arbeit, also deutliche Arbeitszeitverkürzungen in Ost und West. Meine Damen und Herren, seit 1990 ist viel Zeit vertan worden, wurden viele Chancen verpaßt, die Einheit Deutschlands auch in wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll zu gestalten. Viele Bürgerinnen und Bürger haben das persönlich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Wenn diese Gesellschaft nicht dauerhaft Schaden nehmen soll, ist es allerhöchste Zeit, das Steuer herumzureißen und zu handeln. Diese Regierung ist weder fähig noch willens, dies zu tun. Also muß es eine andere machen. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Kurt Faltlhauser.

Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000517, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schulz, Sie sagen, wir reden den Aufschwung herbei. Ich kann mich noch gut erinnern, wie Sie vor etwa einem Jahr an diesem Pult standen und gesagt haben, es gehe weiter nach unten. Und vor einem halben Jahr haben Sie gesagt, der Aufschwung komme nicht. Jetzt ist er da, jetzt sagen Sie, wir reden ihn herbei. Wollen Sie denn Zahlen leugnen? Der Aufschwung ist da, auch wenn es Ihnen nicht paßt, und das ist ein Ergebnis der guten und konstan21310 ten Politik dieser Bundesregierung. Das ist ganz einfach; Sie wollen es nur nicht wahrhaben. ({0}) Ich bedaure sehr, daß der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen nicht mehr da sein kann. ({1}) Ich habe ihm bei seiner ersten und zweiten kurzen Rede gut zugehört. Ich habe kein Konzept herausgehört, wie er die Wirtschaft behandeln will, wie er die Finanz- und Wirtschaftspolitik und Regional- und Strukturpolitik zusammenbringen will. Ich war enttäuscht. Ich habe nur einzelne patentrezeptartige Punkte ohne Zusammenhang gehört. Ein Stichwort war Lemwerder. Das heißt, es geht letztlich um die Rolle des Staates in diesem Land. Er rettet Lemwerder jetzt dadurch, daß der Staat, sprich Niedersachsen, weil sie keine Verschuldung haben, dieses Unternehmen voll übernimmt. Ich will nur folgende Anmerkung machen. Im Umfeld der SPD-Gegnerschaft bei Flugzeugbau und Flugwaffenproduktion wären die Arbeitsplätze, die er jetzt mit teuren Steuermitteln retten will, niemals entstanden. Wenn man weiterhin die entsprechende inkonsequente Politik betreibt, dann werden diese Arbeitsplätze erneut gefährdet werden. Sein Kollege Voscherau hat erst vor kurzem, am 8. Juli 1994, im Bundesrat eine interessante Anmerkung gemacht. Voscherau sagt - Herr Schröder sollte es einmal nachlesen -: Wer A sagt, muß auch B sagen. Wer gegen Rüstungsexporte, für Konversion ist und einem großen industriellen Rüstungskonzern bei neuen zivilen High-Tech-Produktionen Hindernisse in den Weg legt, der hat noch eine Frage zu beantworten. Ich meine, Herr Schröder hat in seiner Konzeption für die Wirtschaft dieses Landes auch noch die Frage zu beantworten: Wie halte ich es denn mit den Rahmenbedingungen, die wirtschaftsfreundlich sind, auf der einen Seite und mit schneller, auf billigen Beifall ausgehender staatlicher Intervention auf der anderen Seite? Bayern macht es hier ganz anders. Auch wir haben in Neuaubing ein entsprechendes Werk der Dasa, mitten in meinem Wahlkreis. Dieser Betrieb wird nicht Staatsbetrieb. In Bayern wird in großartiger Weise privatisiert, und mit diesem Geld wird die Technologie des Landes langfristig gefördert. ({2}) Der Staat begleitet eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft in diesem Unternehmen durch entsprechende Beratung und Kreditgarantien. Das ist der richtige Weg. Dabei könnte es sich - das ist mir gegenüber Herrn Schröder wichtig - Bayern weit eher leisten, entsprechend großzügige Maßnahmen wie die Übernahme eines Unternehmens durchzuführen, weil es pro Kopf wesentlich weniger Schulden als Niedersachsen hat. Aber es ist verantwortliche Politik, mit knappen Steuergeldern eben nicht so umzugehen. An diesem Punkt ist deutlich geworden, wohin die Wirtschaftspolitik dieses Kandidaten führen würde: mehr Staat, leichtfertiger Umgang mit Geld. Die Zahlen des Landes dieses Mannes, der jetzt nicht mehr da ist, zeigen, daß in den letzten Jahren so verfahren wurde. Eine zweite Anmerkung zu den Vorstellungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten, und zwar über die Prämie für den Autokauf. Sie sind schon einmal darauf eingegangen. Lassen Sie mich eine andere Bemerkung dazu machen. Mein Sohn ist 22 und ist gegenwärtig bei der Bundeswehr. Er fährt einen alten Schlitten ohne Katalysator. Wenn der seinen alten Schlitten verkauft, bekommt er bestenfalls 1 000 DM dafür. Wenn der großzügige Herr aus Niedersachsen dann noch einmal 1 000 DM - ein hoher Betrag - darauflegt, hat er 2 000 DM, um ein neues Auto zu kaufen, das im günstigsten Fall vielleicht 16 000 DM, 17 000 DM kostet. Das ist das Problem. Er geht an den ökonomischen Verhältnissen derjenigen, die es in diesem Bereich vor allem betrifft, völlig vorbei. Es sind nämlich die kleinen Leute, die noch mit den alten Karren herumfahren, und die können durch eine derartige staatliche Prämie auch nicht angelockt werden. Im übrigen ist es in jedem Fall eine Verschwendung öffentlicher Mittel. Es ist ein ordnungspolitischer Ansatz, bei dem einem nur das Grausen kommen kann. ({3}) Der SPD-Ex-Finanzminister Hans Apel, Frau Kollegin, dem Sie dringend nachfolgen wollen, hat in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Woche" in der letzten Woche sein Leid geklagt. Ich zitiere ihn: ... 1965 ... Damals konnten wir zu Recht mit dem Slogan werben: „Wir haben die besseren Männer. " ... Denken Sie an Karl Schiller, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Alex Möller ... Georg Leber, auch an Herbert Wehner ... Da war unsere Mannschaft wirklich besser - Politiker mit Charisma, Strahlkraft und Visionen. Heute ist alles mehr oder weniger grau in grau. Begabungen sind Mangelware. Das ist der Originaltext von Herrn Apel. Der Mann hat recht. Die Qualität des personellen Angebots der SPD wird auch dadurch nicht besser, daß man mehr Leute vorstellt. Das ergibt keinen Qualitätssprung. Es ist vielmehr die gleiche Mittelmäßigkeit, grau in grau, wie Herr Apel sagt. Wie sieht es mit den Begabungen und den Fachleuten aus? Herr Schröder ist ein Fachmann für seine eigene Karriere. Herr Lafontaine ist ein Fachmann für das Schuldenmachen. Und Herr Scharping ist ein Fachmann für - nun j a - das Radrennfahren. Für was eigentlich, dahinter bin ich nicht gekommen. Meine Damen und Herren, wenn wir vom Standort Deutschland reden, dann heißt das in der Langfassung: Wie können wir inländische und ausländische Unternehmer ermutigen, in unserem Lande zu investieren? Wie können wir inländische und ausländische Geldgeber in der Zuversicht stärken, daß das Geld in unserem Lande gut und langfristig sicher angelegt ist? Wie können wir die Arbeitnehmer dazu bewegen, eine größere Leistungsbereitschaft zu zeigen? Die Bundesregierung hat in ihrem Standortbericht in hervorragender Weise beschrieben, welche Maßnahmen notwendig sind. Sie hat aber, meine Herren des Kabinetts, einen Punkt in diesem Bericht unterschlagen, nämlich den, daß die Investitionsbereitschaft und der Leistungswille entscheidend davon abhängen, ob man einer Regierungskonstellation Vertrauen schenken und ob man den Handelnden Glauben schenken kann - da waren Sie etwas zurückhaltend -; das ist der zentrale Punkt. Man stelle sich vor: eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Duldung der PDS. Dies wäre das sicherste Signal, daß deutsche Investoren ins Ausland gehen, daß ausländische Investoren dort bleiben, wo sie sind, und daß sich die deutschen Arbeitnehmer in das Privatleben zurückziehen, anstatt kraftvoll in den Betrieben anzupacken. Das Sachsen-Anhalt-Modell, erfunden und durchgesetzt von Herrn Scharping, wäre nicht nur ein historischer Witz, eine internationale Schande, sondern auch die größte denkbare Wirtschaftskatastrophe. Diesen Standort-GAU werden die Wähler, so hoffe ich, am 16. Oktober verhindern. ({4}) Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was Herr Schröder zum Transrapid erzählt hat. Er soll ja nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Verkehrsminister werden. Er ist gegen den Transrapid, obwohl dieses technologische Wunderwerk, wenn man es sich genau ansieht, eine der ganz wenigen Technologien ist, bei denen wir international noch einen Vorsprung haben. Er ist gegen den Transrapid, obwohl wir mit dem Bau einer Anwendungsstrecke Tausende neuer Arbeitsplätze schaffen können. Der gleiche Bürgermeister Voscherau, den ich schon zitiert habe, hat darauf hingewiesen: Wer A sagt, muß auch B sagen; wer den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft - jetzt zitiere ich ihn - wolle, müsse für den Transrapid sein, und wer für den Umzug nach Berlin sei - auch Herr Schröder war ja dafür -, der müsse ebenfalls für diesen Transrapid sein. Nein, er ist aber trotzdem dagegen. Zu diesem Thema gibt es nicht nur unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Bundesrates, sondern auch innerhalb dieser SPD-Fraktion. Absurderweise kamen an einem Tag, nämlich dem 29. August, zwei Presseerklärungen von dieser Fraktion an die Öffentlichkeit. Bei der einen hieß es: Der Transrapid ist eine Zukunftstechnologie, die in Deutschland gebraucht wird. Die andere bezeichnete den Transrapid als neues milliardenschweres Subventionsgrab. Ich frage: Was gilt denn nun eigentlich? Entweder das eine oder das andere. ({5}) Wenn man in bezug auf eine so zentrale Frage unterschiedliche Stellungnahmen abgibt, dann ist das eine Politik zum Heraussuchen. Jeder kann sich aus der Programmatik das heraussuchen, was ihm gefällt, eine Meinung dafür und eine andere dagegen, eine für das Tempolimit, eine andere gegen das Tempolimit. Bei der SPD geht offenbar alles. In bezug auf die Inhalte steht der Bürger vor der Frage: Was gilt denn nun eigentlich bei der SPD. Die Antwort lautet: keine klare Linie, nicht wählbar. ({6}) In bezug auf die Personen steht der Bürger vor der Frage: Wer gilt denn nun eigentlich? Wer ist denn nun der Boß in dieser Dreiermannschaft, deren Vertreter hier abwechselnd sitzen, Scharping, der machtbewußte Schröder oder Herr Lafontaine oder letztlich keiner, weil sie sich gegenseitig blockieren? Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Anmerkungen zur Energiepolitik von Herrn Schröder machen. Ich habe das Vergnügen gehabt, ihm in den Energiekonsensgesprächen gegenübergesessen zu haben. Er betreibt auch hier eine Zickzackpolitik. Zuerst sagt er ja zu der nächsten Generation der Kernkraftwerke und geht dann plötzlich in eine Mannschaft hinein, die ausdrücklich nein zu den Kernkraftwerken sagt und schnell aus der Kernkraft aussteigen will. Ich frage: Ja, was denn eigentlich? Ich glaube, daß die neue Mannschaft der SPD keine neuen Konzepte gebracht hat, nur eine durchschnittliche Mittelmäßigkeit, grau in grau. Apel hat recht. ({7}) Die Inhalte sind verwirrend und widersprüchlich, wie wir heute in der Früh von Herrn Lafontaine und heute nachmittag von Herrn Schröder gehört haben. Ich meine: Gott sei Dank wird dieser Zustand eine vorübergehende Erscheinung bleiben. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Rudolf Dreßler das Wort.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis. Ich meine nicht die anwesenden Kolleginnen und Kollegen. Ich denke, daß es bei einem so wichtigen Thema wie der Regelung der Staatsdinge für das kommende Jahr wenige Tage vor einer Bundestagswahl für mich unzumutbar ist, mich hier vor so wenigen Kolleginnen und Kollegen auseinanderzusetzen. Ich gebe meine Rede deshalb zu Protokoll. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, Sie kennen unsere Verfahrensweise. Der Kollege Dreßler hat darum gebeten, seine Rede zu Protokoll zu geben. Ich muß dafür das Einverständnis des Hauses einholen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Zu der Thematik, die er hier angesprochen hat, habe ich mich gerade geäußert. Das war vor wenigen Vizepräsident Helmuth Becker Tagen in den Zeitungen nachzulesen. Ich würde das gerne praktizieren, ich kann das aber heute nicht. ({0}) - Ja, ich stimme Ihnen zu, Herr Minister. Das Wort hat nunmehr unser Kollege Josef Grünbeck. ({1})

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man gegen Ende dieser Debatte eine Zwischenbilanz ziehen will, dann kann einen das nicht gerade glücklich machen. Ich finde, daß die teilweise gebrachte Polemik in dieser Debatte der eigentlichen Situation in unserem Land wirklich nicht gerecht wird. Wenn hier heute Herr Schröder gesagt hat, die Unternehmer lachen sich über den Bundeswirtschaftsminister krank, dann ist das eine Herabsetzung des politisch Andersdenkenden und auch eine Nichtwürdigung der Leistungen dieser Bundesregierung, insbesondere unseres Wirtschaftsministers. ({0}) Das ist kein Stil. Die Unternehmer - ich sage das jetzt auch als Unternehmer - haben in den Jahren seit der deutschen Einheit unglaubliche Leistungen im Transfer in die neuen Bundesländer erbracht. Die Unternehmer haben investiert. Der Staat hat das durch Infrastrukturmaßnahmen begleitet. Der Mittelstand ist dort auf 460 000 Betriebe mit über 3 Millionen Beschäftigten gewachsen. Wenn man dann sagt, daß sich die Unternehmer über den dafür verantwortlichen Wirtschaftsminister krank lachen, dann ist das eine Unkultur in diesem Hohen Hause. Die freien Berufe sind heute überhaupt noch nicht erwähnt worden. Was haben die freien Berufe an Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern geleistet, und was haben sie in den letzten Jahrzehnten in unserer Bundesrepublik an Leistungen erbracht. ({1}) Ich habe den Zwischenruf gewagt, warum es Arbeitslose gibt, mehr Arbeitslose, obwohl sich die konjunkturelle Lage erholt. Meine Damen und Herren, wir wissen es doch alle, und Herr Schröder ist doch nicht so dumm, daß er das nicht wüßte. Wir wissen genau, daß die Billiglohnländer in Asien, Tunesien oder Jugoslawien gelegen sind. Jetzt liegen sie aber in unserer Nachbarschaft. Das, was man nicht nur in den neuen Bundesländern, was man in Tschechien, in Polen, in Ungarn und in anderen östlichen Nachbarländern Europas jetzt an Investitionen gemacht hat, kann auch nicht eine industriefeindliche Politik sein; denn wenn wir die östlichen Länder Europas nicht entwickeln, dann ist die Alternative dort, daß die Menschen, die hungern und frieren, abwandern werden. Dann stehen sie an unseren Grenzen. Wir müssen Osteuropa helfen, damit wir ein friedliches Gesamteuropa haben. ({2}) Wir haben gehört, daß Sie eine Arbeitsplatzgarantie wollen. Verehrteste Frau Kollegin, überlegen Sie doch einmal, wovon Sie reden. Eine Arbeitsplatzgarantie wäre doch, daß Unternehmen auch dann noch Leute beschäftigen, wenn sie gar keine Aufträge mehr haben. Wenn sie dann in den Keller wandern, beschimpfen Sie die bösen Unternehmen, die versagt haben, und mobilisieren die Staatskasse zur Hilfe. Kann denn das eine liberale Wirtschaftspolitik, eine soziale Politik sein? Denn Sie müssen ja die Hilfen aus dem Staatssäckel wiederum da erarbeiten, wo die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern ordentliche und der Marktlage entsprechende Entscheidungen treffen. Das kann doch nicht wahr sein. ({3}) Bezüglich der Energiepolitik hat mich Herr Schröder heute am meisten enttäuscht. Er war für uns eigentlich eine Hoffnung; für den Konsens war er eine Hoffnung. ({4}) Wir kennen das Ergebnis der UNO-Konferenz von Rio ganz genau. Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen. Herr Ghali hat eine tolle Rede gehalten: Wenn die Entwicklungshilfe wirklich funktioniert, wenn die Geburtenentwicklung so weitergeht wie bislang und wenn tatsächlich die Produktivität in den Entwicklungsländern erhöht wird, dann wird man damit rechnen, daß man im Jahr 2030 etwa die sechsfache Menge an Energie im Vergleich zu heute brauchen wird. Er hat einen ganz klugen Satz formuliert: Wir brauchen nicht alternative Energien allein, sondern wir brauchen additive Energien; wir brauchen alle Energien und dazu auch die Kernenergie. - Dann kann ich nicht einfach den Ausstieg proklamieren; denn jedermann weiß, daß heute ein Kraftwerk, ganz gleich welches, zehn Jahre Planungszeit in Anspruch nimmt und daß die Investoren einfach von uns wegwandern, wenn wir ihnen nicht endlich die Investitionssicherheit, d. h. die Betreibersicherheit, gewährleisten. ({5}) Das kann man doch nicht als vernünftige Wirtschaftspolitik bezeichnen. Ich hätte noch gern einen Satz zur Zukunft gesagt. Meine Damen und Herren, die berufliche Bildung spielt bei uns eine immer größere Rolle. Dabei hat die Bundesrepublik Deutschland eine wirklich positive Bilanz vorzuweisen. Wir haben 5 % arbeitslose junge Menschen unter 21 Jahren. In den klassischen Industrieländern wie Italien, England oder Frankreich liegt diese Zahl bei über 20 %. In den armen europäischen Nachbarländern wie Portugal oder Griechenland liegt die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen über 30 %. Wir sollten auf diese Bilanz einer beruflichen Qualifikation stolz sein. Ich bin der Meinung - lassen Sie mich das auch einmal in aller Offenheit sagen -, daß die Präferenz für die akademische Ausbildung vielleicht nicht mehr die jetzige Größenordnung erlangen sollte. Das wird aber auch an der politischen Aussage liegen. Wir brauchen auch den Respekt vor dem blauen Kittel; wir brauchen nicht bloß den Respekt vor dem weißen Kittel. ({6}) Wir müssen endlich einmal daran denken, daß diese berufliche Bildung die Chance verdient, die sie braucht. Ich glaube auch, daß die Bundesregierung die soziale Partnerschaft - damit komme ich zum Schluß - richtig in Angriff genommen hat, indem sie bei der Vermögensbildung der Beteiligung am Produktivvermögen die erste Priorität eingeräumt hat. Was heißt denn eigentlich eine soziale Partnerschaft? Das heißt doch mitbestimmen, aber auch mit verantworten und dann mit verdienen. Wenn wir diesen Dreiklang der sozialen Partnerschaft als Grundlage für den sozialen Frieden akzeptieren, dann werden wir miteinander, aber nicht gegeneinander die schwierigen Probleme dieser Welt miterledigen können. Was Herr Oskar Lafontaine heute hier abgeliefert hat, hat mich wirklich in Sorge versetzt. Das war wie eine Art Neueröffnung eines Klassenkampfes. Soziale Gerechtigkeit war da keine Bohne. ({7}) Da war von sozialer Gleichmacherei die Rede. Wer die Gleichmacherei betreibt, der schreibt das Leistungsprinzip ab. Das Leistungsprinzip gehört auch zur Absicherung der sozial Schwachen. Wenn die sozial Starken nicht mehr arbeiten, kann man den sozial Schwachen nicht helfen. ({8}) Das ist der Schritt, den wir gehen. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt. Nur gemeinsam können wir das lösen. Aber mit einer solchen gegenseitigen Hetzkampagne können wir die Probleme dieser Welt auch in unserem Land und auf dem europäischen Kontinent nicht bewältigen. Wir liefern dafür gute Rezepte. ({9}) Vizepräsident Helmuth Becker Das Wort hat jetzt unser Kollege Rainer Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Motivation von Ihnen, Herr Kollege Dreßler, nicht zu uns zu sprechen, die wir ja so gespannt auf Ihre Ausführungen waren, ist schon sehr seltsam. Am Morgen fordert die SPD eine ganze Sitzungswoche, um über die wichtigen Probleme der Arbeitslosigkeit, der sozialen Sicherung, der Wirtschaftspolitik und der Haushaltspolitik zu sprechen. Abends will der Kollege Dreßler vielleicht - ich kenne die Motive nicht - aus Verärgerung nicht sprechen oder weil die Fernsehkameras bereits abgeschaltet sind oder sich das Publikum bei Ihnen und leider auch bei uns etwas verlaufen hat. Ich nenne dies schlechten Stil. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte ja die Freude als wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, heute bereits den zweiten Superminister zu hören, der sich zur wirtschaftlichen Kompetenz der Sozialdemokraten äußerte. ({1}) Waren schon die ersten Vorstellungen des saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine nicht sehr erhebend, so muß ich sagen: Das, was der niedersächsische Ministerpräsident Schröder außer persönlichen Beleidigungen von sich gegeben hat, bleibt mit Sicherheit nicht in Erinnerung. ({2}) - Herr Kollege, hinzu kam, daß es allerdings auch noch falsch war. ({3}) Nachdem in der ersten Etappe der Diskussion sämtliche guten Daten, die durch die unabhängigen Forschungsinstitute geliefert wurden, erst einmal bestritten wurden, hat man heute in der zweiten Phase - wo man sie eben nicht mehr bestreiten kann, weil eben ein Wachstum von 2 % in diesem Jahr und ein Wachstum von 3 % im nächsten Jahr nicht mehr zu bestreiten ist - erneut kritisiert. Daß die OECD uns hier gute Noten gibt, nur weil sie den Wirtschaftsminister besonders liebt oder den Sozialdemokraten schaden will, wäre doch an den Haaren herbeigezogen. ({4}) - Lieber Herr Kollege, auch wenn Sie mich jetzt unterbrechen, wird es dadurch nicht wahr. Denn genau das, was Sie jetzt sagen, hat Ihr Ministerpräsident Schröder gesagt, und es ist absolut nicht die Wahrheit. Es ist die Unwahrheit. ({5}) - Aber ich will Ihnen gern einmal Ihr SPD-Regierungsprogramm zitieren. ({6}) - Ich muß es wohl tun, weil hier ein gewisser Nachholbedarf festzustellen ist. ({7}) Also, Herr Kollege: Alle Institute sagen, daß man ein Wachstum von mindestens 1,5 % bis 2 % braucht, damit dieses Wachstum auf der Beschäftigungsseite Wirkung entfaltet. So die SPD in ihrem Regierungsprogramm. Nun kann niemand mehr bestreiten, daß wir im nächsten Jahr wahrscheinlich - so die OECD und auch die unabhängigen Forschungsinstitute heute in ihren Gutachten - 3 % Wachstum haben werden. Somit sind Sie also in einem unauflösbaren Widerspruch Ihrer Argumentation, was mich gar nicht sehr freut, aber was uns wieder einmal zeigt, daß Sie überhaupt keine Kompetenz in der Wirtschaftspolitik haben, wir aber den langen Atem hatten, auch durch diese schwierige Rezessionsphase hindurchzugehen, wo drei Aufgaben auf einmal zu überwinden waren: erstens, die Überwindung der Rezession, zweitens, der Aufbau einer neuen Wirtschaftsstruktur in den neuen Bundesländern und drittens die Folgerungen aus der Standortdebatte, die Strukturmängel der deutschen Wirtschaft schnellstens zu beheben, die sich angesichts einer neuen weltweiten Arbeitsteilung gezeigt haben. ({8}) Was sagt der Herr Schröder? Er pfeift auf Lehrbuchweisheiten. Wahrscheinlich hat er überhaupt noch nie seinen Kopf in ein Lehrbuch gesteckt. Dieser Superminister bezweifelt, daß wir im nächsten Jahr - wir sind ja heute schon dabei; die neuen Daten vom Arbeitsmarkt zeigen es - zu einer Konjunkturentwicklung kommen, die dann auch zu dem beiträgt, was Sie fordern, was wir immer gesagt haben, was wir nicht - ({9}) - Wollen Sie jetzt reden, oder wollen Sie nicht reden, Herr Dreßler? Machen Sie sich doch lieber Sorgen um Ihren Kopf und nicht um meinen. ({10}) - Ja, und Sie glauben, ich weiß das nicht? ({11})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr, Sie haben das Wort. Zwischenrufe sind gestattet.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage ist nur, ob Sie mir gnädigerweise noch eine Minute geben, damit ich auf diesen sogenannten Zwischenruf eingehen kann. Ich habe also keine Probleme mit meinem Kopf, und ich weiß sehr wohl, daß wir derzeit auf dem Höhepunkt unserer Arbeitslosigkeit sind. Ich weiß aber sehr wohl auch, daß alle wirtschaftspolitischen Bemühungen, die wir unternommen haben - unser Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung und die erfolgreiche Konsolidierungspolitik des Finanzministers -, von Erfolg gekrönt sein werden. Wir werden in den Jahren 1995, 1996 und 1997 dadurch, daß wir den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähig gemacht haben, und dadurch, daß wir die Konjunkturschwäche überwunden haben, auch eine Verbesserung am Arbeitsmarkt bekommen. Nie haben wir, nie hat der Wirtschaftsminister, nie hat die CDU/CSU-Fraktion etwas anderes behauptet. Wir haben gesagt: Wir werden 1994 in einer schwierigen Arbeitsmarktsituation in die Wahlen gehen. Wir werden nie behaupten, daß wir 1994 das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst haben. Aber wir haben immer behauptet, daß wir die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Heute wird anerkannt - so überall von denjenigen, die lesen wollen, und denjenigen, die kein Problem mit ihrem Kopf haben nachzulesen -, daß sich die westdeutsche Wirtschaft auf einem soliden Wachstumspfad befindet. Beispielsweise ist im „Handelsblatt" zu lesen: „Das Bild einer robusten Entwicklung der Konjunktur ohne nennenswerte Verspannung", und in anderen Gutachten wird von einer Idealkonstellation mit zurückgehenden Preisen gesprochen. Im nächsten Jahr soll die Preissteigerung unter 3 % liegen; die OECD meint sogar, daß man im übernächsten Jahr unter 2 % kommen kann. Wir müssen auch feststellen, daß die Gewerkschaften wirtschaftspolitische Vernunft gezeigt haben, die den Sozialdemokraten abgeht. Denn mitten in den letzten Tarifverhandlungen hat Herr Lafontaine die Gewerkschaften ermuntert, wegen Nachfragemangels und wegen des Problems der Kaufkraft zu höheren Abschlüssen zu kommen, wobei wir gesehen haben, daß die wirtschaftspolitische Vernunft der Gewerkschaften größer war als die der SPD. ({0}) Wir sind wieder wettbewerbsfähig geworden. Ein bißchen Theorie wäre für die selbsternannten Superminister schon richtig; denn eine rationale Wirtschaftspolitik endet in substanzlosem Aktionismus, in Abwrackprämien, in Schrottprämien und ähnlichen Dingen, wenn sie eben nicht von einem Mindestmaß an theoretischem Verständnis begleitet wird. Ich glaube deshalb, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Ich glaube, daß sich die Opposition auch bei ihrem Wahlkampfauftakt in Dortmund relativ wenig Gedanken über den Standort Deutschland gemacht hat und meint, man müßte mit dem Stichwort „soziale Ungerechtigkeiten beseitigen" wieder zu einer expansiven Verteilungspolitik kommen, obwohl der heute schon oft zitierte Altwirtschafts- und -finanzminister Schiller gesagt hat, daß heute nicht die Zeit sei, um über Verteilungen zu sprechen. Ich zitiere noch einmal die OECD. Sie hat gesagt: Durch eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik bei uns haben wir wichtige Schritte unternommen, um den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit aufzufangen. „Aber" - so die OECD - „mittelfristig stehen und fallen die Wirtschaftsaussichten mit einer nachhaltigen Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit. " Was aber haben wir heute morgen gehört? Die alte Sozialistenleier von angeblichen sozialen Ungerechtigkeiten. Dabei wissen Sie so gut wie wir - wenn der Wahlkampf vorbei ist, werden Sie darüber auch wieder sprechen -, daß wir die weltweit wahrscheinRainer Haungs lieh leistungsfähigste Marktwirtschaft haben, in der wir gemeinsam ein Sozialbudget erwirtschaften wie kein anderes Industrieland, mit dem wir im harten Wettbewerb um Arbeitsplätze stehen. Deshalb glaube ich, hier noch einmal feststellen zu können: Die Rezession ist überwunden. Die Bemühungen um die wirtschaftliche Einheit sind auf einem guten Wege. Die Arbeitslosigkeit wird in den Jahren 1995 ff. zurückgeführt werden. Wir haben alle Chancen, an den Wachstumspfad anzuschließen, den wir in der Zeit zwischen 1985 und 1990 hatten, als in dieser Bundesrepublik Deutschland drei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Der Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft spiegelt diese Aufgabenstellung wider. 60 % aller Ausgaben entfallen auf die Maßnahmen zugunsten der neuen Bundesländer. Daß dies von Ihnen überhaupt nicht gewürdigt wird, zeigt, daß Sie zu einer objektiven Bestandsaufnahme gar nicht willens sind. ({1}) Ich gehe davon aus, daß wir in den nächsten vier Jahren weiterhin entscheidende und wichtige Schritte unternehmen müssen. Wir sind auf dem richtigen Wege; aber wir brauchen auch eine Stärkung des Mittelstandes. Dies ist keine bloße Rhetorik. Neue Gründerjahre und neue Unternehmer führen zu neuen Arbeitsplätzen. Aber dies müssen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze sein. Da müssen wir den Strukturwandel bejahen und können nicht wieder zu der alten Rhetorik von Beschäftigungsgarantien kommen. Vielen Dank! ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Johannes Nitsch.

Johannes Nitsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung dieses Bundeshaushaltes fällt zusammen mit der letzten Phase des Wahlkampfes für den nächsten Bundestag. Das ist sehr schade; denn die Ansätze für den Haushalt 1995 und die gute Bilanz der Aufbauarbeit in den letzten vier Jahren in Ostdeutschland haben eine unvoreingenommene Würdigung verdient. Wer in Ostdeutschland heute die Rede Lafontaines gehört hat, hat sicher Probleme, seine Wirklichkeit wiederzuerkennen. ({0}) Aber Herr Lafontaine hatte ja bereits 1989 die Wirklichkeit in der DDR nicht zur Kenntnis nehmen wollen. ({1}) Die Erfolge der Aufbauarbeit müssen schon deshalb sichtbar gemacht werden, um den Menschen in den alten Bundesländern zu zeigen, daß sich die gewaltigen finanziellen Transfers nach Ostdeutschland gelohnt haben und Zins und Zinseszins für den Standort Deutschland tragen werden. Das Geld der Steuer- und Beitragszahler wurde nicht in den Sand gesetzt, sondern hat in dieser kurzen Zeit Bedingungen geschaffen, die die Ansiedlung weltweit einmaliger Industrien mit höchstem Innovationspotential ermöglichen. Ich erlebe diese Veränderungen immer noch wie ein Wunder. Wer von uns DDR-Bürgern hätte das vor fünf Jahren für möglich gehalten? Eine kurze Bilanz für Sachsen können Sie heute im „Handelsblatt" nachlesen. Zum Beispiel werden in 6 500 Vorhaben der gewerblichen Wirtschaft zur Zeit 40 Milliarden DM Investitionen eingebracht und in diesem Vorhaben allein 180 000 Arbeitsplätze neu geschaffen bzw. die noch vorhandenen alten gesichert. Weitere Investitionen mit über 5 Milliarden DM sind in Vorbereitung. Aber erinnern wir uns auch kurz an die Ausgangssituation; denn das wird leider immer wieder vergessen. Nehmen wir dazu das streng vertrauliche Schürer-Papier vom 29. Oktober 1989, das für das Politbüro bestimmt war und sich mit der Analyse der ökonomischen Lage in der DDR beschäftigt. Ich darf dazu auszugsweise wörtlich zitieren: Im internationalen Bereich der Arbeitsproduktivität liegt die DDR gegenwärtig - also damals, 1989 um 40 % hinter der BRD zurück. Die Verschuldung im nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet ist seit dem VIII. Parteitag gegenwärtig auf eine Höhe gestiegen, die die Zahlungsfähigkeit der DDR in Frage stellt. In bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft sind die Ausrüstungen stark verschlissen, woraus sich ein überhöhter, ökonomisch uneffektiver Instandhaltungs- und Reparaturbedarf ergibt. Darin liegt auch eine Ursache dafür, daß der Anteil der Beschäftigten mit manueller Tätigkeit in der Industrie seit 1980 nicht gesunken ist, sondern mit 40 % gleich bleibt. Der Ausbau der Infrastruktur, darunter das Straßenwesen, mußte insgesamt aufgrund der zurückgehenden Akkumulationskraft vernachlässigt werden. Der Verschleißgrad des Eisenbahn- und Straßennetzes ist hoch. In solchen Städten wie Leipzig und besonders in Mittelstädten wie Görlitz und anderen gibt es Tausende von Wohnungen, die nicht mehr bewohnbar sind. Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen. Soweit dieses Zitat. Meine Damen und Herren, das war unsere Situation und Perspektive vor der Wiedervereinigung. Der politische Zusammenbruch des SED-Regimes ist dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR nur geringfügig vorausgeeilt. Das ist auch die eigentliche Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit und nicht die Arbeit der Treuhand. Liebe Kollegen von der Opposition, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis! ({2}) Die Arbeitslosigkeit verlangt von den Betroffenen eine gewaltige Kraft, mit dieser unbekannten Lebenssituation fertig zu werden. Trotz aller neu geschaffenen Arbeitsplätze - und fast alle Arbeitsplätze, die wir haben, sind neue Arbeitsplätze; auch das nehmen Sie bitte zur Kenntnis - ist die Arbeitslosigkeit, die wir noch haben, eine gewaltige Herausforderung an die Gesellschaft. Dabei kommt den kleinen und mittleren Betrieben eine Schlüsselposition zu, und wir haben da auch sehr viel erreicht. Im gewerblichen Mittelstand sind im Handwerk allein 135 000 Betriebe mit über einer Million Beschäftigten und im Handel 140 000 Betriebe mit 580 000 Beschäftigten entstanden. Insgesamt sind über 450 000 selbständige Existenzen neu gegründet worden. Diese brauchen allerdings noch über Jahre spezifische Fördermaßnahmen, um die vielfältigen Nachteile aus jahrzehntelanger staatlicher Unterdrückung zu überbrücken. Mit den Bundeshaushalten von 1991 bis 1994 hat sich die Bundesregierung zur Gestaltung der inneren Einheit einer einmaligen Herausforderung gestellt und 5 % des westdeutschen Sozialprodukts nach Ostdeutschland transferiert. Wer erinnert sich nicht noch der Situation beim Telefonieren in die alten Länder im ersten Halbjahr 1991? Heute können wir von jedem Ort in Ostdeutschland genauso schnell und gut jeden Ort der Welt erreichen wie aus der alten Republik, und wir haben inzwischen, wenn auch noch viele Anschlüsse fehlen, drei Millionen Anschlüsse geschaffen. Bis 1997 werden es sieben Millionen Telefonanschlüsse sein. Dann haben wir allein in diesem Bereich 60 Milliarden DM investiert. In das Eisenbahn- und Straßennetz - das wurde von Minister Wissmann schon ausgeführt - sind 50 Milliarden DM investiert worden. Die Länge in Kilometern ist auch genannt worden. Manche Brücke, die seit dem Zweiten Weltkrieg zerstört war, ist inzwischen aufgebaut und dient dem Verkehr. Wenn ich hier über die Aufbauleistungen spreche, denke ich auch an die Erklärung der SPD von Anfang August, die leider den Namen Dresdens trägt. Dort heißt es gleich im ersten Absatz: Damit kann aber nicht überdeckt werden, daß die Bundesregierung die Menschen in Ostdeutschland jahrelang mit ihren wirtschaftlichen Problemen alleingelassen hat. Nun sind die Zahlen über den Aufbau in Ostdeutschland nicht geheim. Wirtschaftsforschungsinstitute analysieren die Entwicklung ständig. Und trotzdem verbreitet Herr Scharping das Gegenteil. Es ist fast wie in der DDR: Was nicht in das Parteikonzept paßt, darf nicht sein. ({3}) Wer die Wirklichkeit der gewaltigen Aufbauleistungen in Ostdeutschland leugnet, beleidigt auch die Menschen in Ostdeutschland, die das Geld in Werte umgesetzt und eine Region mit 10 % Wirtschaftswachstum geschaffen haben, die derzeit stärkste Wachstumsregion in Europa. ({4}) Mit 160 Milliarden DM öffentlicher und privater Investitionen im Jahre 1994 liegen die Investitionen pro Bürger 20 % über denen in den alten Ländern und mehr als viermal höher als 1991. Der vorliegende Haushaltsplan schließt in seiner Struktur an die vorausgegangenen Haushalte an und wird die Fortsetzung des Aufbaus in Ostdeutschland ermöglichen und sichern. Es darf nicht dazu kommen, daß durch einen Regierungswechsel diese Entwicklung unterbrochen wird. ({5}) Niemand wechselt ohne Grund am Berg die Pferde. ({6}) Zusammenfassend lassen Sie mich bitte, meine Damen und Herren, sagen: Ich freue mich über das Erreichte und bin dankbar dafür. Ich sage den Bürgern der alten Bundesländer, die diese Erfolge über ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ohne Klagen ermöglicht und die Politik der Bundesregierung materiell und emotional unterstützt haben, Dank. ({7}) Ich sage aber auch den Menschen in den neuen Bundesländern Dank, die mit viel Tatkraft, Zuversicht und Geduld dieses Aufbauwerk vollbringen. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der Frau Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, unserer Kollegin Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Wohnungsbau hat heute schon den ganzen Tag in einzelnen Reden eine ziemlich wichtige Rolle gespielt. Das ist auch gut so. ({0}) Der Wahlkämpfer Oskar Lafontaine, der hier heute morgen geredet hat, hat allerdings mit dem Bild, das er hier zu vermitteln versucht hat, nicht gerade einen Beweis seiner Realitätswahrnehmung geliefert. Das düstere Bild, das er hier gezeichnet hat, steht doch in sehr auffälligem Kontrast zu der Wahrnehmung der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Bei Umfragen, die in den letzten Wochen durchgeführt worden sind, rangiert die Frage der Wohnungsversorgung an immer weiter hinten liegender Stelle. In den westlichen Bundesländern sagen noch 5 % der Menschen, daß der Wohnungsbau ein wichtiges Thema sei; in den ostdeutschen Bundesländern sagen es noch 7 % der Bevölkerung - insgesamt, also auch von Ihren eigenen Wählern. Das spricht nun nicht gerade dafür, daß das düstere Bild irgend etwas mit der Realität in der Bundesrepublik Deutschland zu tun hat. Natürlich kann man die hier noch bestehenden Probleme nicht leugnen und auch nicht kleinreden. ({2}) Wir werden noch viele Anstrengungen unternehmen müssen, vor allen Dingen, um in den nächsten Jahren den Zuzug von Deutschen aus Mittel- und Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland weiterhin zu bewältigen. Aber ich denke, das werden wir schaffen; denn der Bauetat des Bundes für das Jahr 1995 sieht hierfür die richtigen Maßnahmen und die richtigen Mittel vor. ({3}) Daß die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Wohnungspolitik so ist, wie ich das eben beschrieben habe, wird schon aus den Fertigstellungszahlen und aus den Baugenehmigungszahlen deutlich. Sie kennen sie alle. Am Ende dieser Legislaturperiode, d. h. am Ende des Jahres 1994, werden in der Bundesrepublik Deutschland seit 1990 zwei Millionen Wohnungen bezugsfertig geworden sein. Das heißt, zwei Millionen Familien können aus Verhältnissen, die vielleicht etwas beengt waren, oder aus einer wirklichen Notsituation in angemessenen Wohnraum einziehen. Das, meine Damen und Herren, macht sich natürlich auch in Form einer Entspannung am Wohnungsmarkt positiv bemerkbar. Allein in diesem Jahr werden etwa 560 000 Wohnungen fertiggestellt. Dafür müßten die Sozialdemokraten eigentlich ein Riesenlob aussprechen; denn das Programm der SPD sagt, daß die Fertigstellung von 550 000 Wohnungen notwendig sei. Diese Zahl werden wir in diesem Jahr überschreiten. Das heißt ganz einfach: Mit unserer marktwirtschaftlichen Politik erreichen wir mehr als das, was Sie fordern. ({4}) Deshalb kann ich nur sagen: Sie fordern, wir handeln. Wir werden das auch in der Zukunft tun. Ich glaube, in dem Punkt, dieses Ziel von 550 000 Wohnungen auch in Zukunft anzustreben, dürften wir einig sein. Wir werden das schaffen. Das Gesamtvolumen des Bauetats 1995 beträgt 9,7 Milliarden DM. Darin ist noch ein Anteil Zinshilfe für die Bewältigung der Altschulden der Wohnungswirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern enthalten, aber nur für ein halbes Jahr. Dann wird dies planmäßig auslaufen. Das ist dann sozusagen der Schlußstrich unter die größte Entschuldungsaktion zugunsten eines einzigen Wirtschaftszweiges, die je in der Bundesrepublik Deutschland gelaufen ist. Die Übernahme von 31 Milliarden DM Altschulden in den Etat des Bundes, in den Erblastentilgungsfonds, und dazu Zinshilfen in Höhe von insgesamt 7 Milliarden DM, hälftig aufgebracht von Bund und Ländern, machen sehr deutlich, daß diese Bundesregierung ihre Verantwortung auch für die sehr schlechte Wohnungssituation nach 40 Jahren Sozialismus in den neuen Bundesländern in vollem Umfange wahrnimmt. ({5}) Ein Schwerpunkt des Etats ist nach wie vor der soziale Wohnungsbau mit 2,9 Milliarden DM. Dieser Betrag ist durch das teilweise Auslaufen des Ballungsraumprogramms nicht so hoch wie im Jahre 1994. Trotzdem ist es mit dem neuen Förderweg, der nun auch mit Zustimmung der Sozialdemokraten im Wohnungsbaugesetz verankert ist, möglich, mit diesen Mitteln die gleiche Anzahl an Wohnungen zu fördern wie im Jahre 1994, nämlich 130 000. ({6}) Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 35 %. Wir können dieses hohe Förderergebnis halten, wenn die Länder mitziehen. ({7}) Da habe ich allerdings meine Zweifel. Heute hat das Land Hessen seinen Etatentwurf für das Jahr 1995 auf den Tisch gelegt. Darin werden die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gegenüber dem Ansatz von 1994 um 40 % gekürzt. ({8}) Das geht weit über das hinaus, was in der Tat auch Hessen durch das Auslaufen des Ballungsraumprogrammes verschmerzen muß. Es ist eine weit überproportionale Kürzung. Wenn ich mir vorstelle, was der Möchtegern-Wirtschaftsminister der zukünftigen Bundesregierung, der noch - und sicherlich noch lange - Ministerpräsident in Niedersachsen ist, ({9}) heute hier vorgetragen hat und was er in seinem eigenen Lande macht - mit einer rot-grünen Koalition - ({10}) - Gut. Noch schlimmer, Herr Großmann: Er ist alleine dafür verantwortlich. In Niedersachsen hat der Ministerpräsident Wahlkampf damit gemacht, daß ein Schwerpunkt in der Wohnungspolitik gesetzt werden sollte. Was passiert? - Der Sozialminister des Landes - zuständig auch für den Wohnungsbau - kündigt öffentlich an, daß das Land Niedersachsen die Förderung des sozialen Wohnungsbaus völlig einstellen werde. ({11}) Das ist die Doppelzüngigkeit: einerseits dem Wähler Märchen erzählen und andererseits nicht mehr mit der harten Realität zurechtkommen und seine eigenen Aussagen Lügen strafen. Dieser Doppelzüngigkeit werden die Wähler am 16. Oktober nicht erliegen. ({12}) Hier wird versprochen - und Frau Brusis wird uns das sicherlich gleich auch noch einmal auftischen -, daß sich die Sozialdemokraten vorgenommen haben, in zwei Jahren 45 Milliarden DM zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau zu mobilisieren. Das ist das Doppelte dessen, was Bund, Länder und Gemeinden derzeit pro Jahr dafür ausgeben. ({13}) - Herr Großmann, wir wußten schon immer, daß die Sozialdemokraten beim Rechnen Taschenspielertricks anwenden. Das sind die konkreten Zahlen, die jeder nachlesen kann. ({14}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in bezug auf das Wohngeld, das ja eine wichtige sozialpolitische Maßnahme darstellt, noch einige Ausführungen machen. Fast 2,9 Milliarden DM wird der Bund im nächsten Jahr für das Wohngeld in der Bundesrepublik Deutschland bereitstellen. Darin ist ein proportional höherer Anteil für die ostdeutschen Bundesländer enthalten. Das trägt auch der Tatsache Rechnung, daß wir es für nötig gehalten haben, das Sonderwohngeld Ost noch einmal um ein Jahr zu verlängern. ({15}) Der Deutsche Bundestag wird das Gesetz noch in dieser Woche verabschieden. ({16}) Das bedeutet, daß die Wohngeldzahlungen über den 1. Januar 1995 hinaus in unveränderter Höhe geleistet werden können und erst langsam, stufenweise, gemäß dem steigenden Einkommen abgebaut werden. In der Tat weist auch der Wohngeldetat einen geringeren Umfang als im Jahre 1994 auf. Das hängt mit einer Entwicklung zusammen, die ich als ausgesprochen positiv empfinde: mit den gestiegenen Einkommen in den ostdeutschen Bundesländern und damit einhergehend mit einer geringeren Anzahl an Wohngeldempfängern, weil im letzten Jahr die Einkommen stärker gestiegen sind als die Mieten. Ich finde das gut. ({17}) - Nein, Herr Großmann, im Osten wirklich nicht! Das hat dazu geführt, daß im Osten 73 % der Mieter ihre Miete als angemessen bzw. tragbar empfinden. Ich glaube, daß das der wichtigste Ausweis dafür ist, daß die Politik einer sozialen Miete auch in den ostdeutschen Bundesländern akzeptiert und von den Mietern so mitgetragen wird. ({18}) Wir werden soziale Verantwortung auch beim Übergang in das Vergleichsmietensystem beweisen. Wir brauchen den Übergang ins Vergleichsmietensystem in der Weise, daß auch nach der Einführung der Vergleichsmiete tragbare Mieten entstehen. Die Bürger in den ostdeutschen Ländern haben sich auf das Wort dieser Bundesregierung in den vergangenen vier Jahren kontinuierlich verlassen können. Wir haben nie mit der Wahrheit hinter dem Berg gehalten. Egal was für Kampagnen die PDS mit dem Mieterbund oder ohne ihn gestartet hat - wir haben unser Wort gehalten. Die Mieter wissen das, und deswegen werden sie auch dem Übergang in das Vergleichsmietensystem und unserer klaren Aussage, daß er sozial gestaltet ist, Vertrauen schenken. Die Kollegen von der SPD möchte ich noch darauf hinweisen, daß die PDS es immer besser schafft, Ängste zu schüren und daraus auch mehr Honig zu saugen, als Sie! Sie kann das nämlich radikaler, als Sie das könnten. ({19}) Insofern fordere ich Sie auf: Zeigen Sie endlich Verantwortung auch für das gesamte Gemeinwesen in den ostdeutschen Bundesländern! Lassen Sie Ihre Kampagne zur Verängstigung der Mieter sein! ({20}) Den Wettlauf mit der PDS - das werden Sie in Sachsen-Anhalt sehr bald erleben - werden Sie immer verlieren. ({21}) - Herr Präsident, das zeigt ja nur, daß ich da richtig ins Schwarze getroffen habe, ({22}) sonst würde nicht so eine Unruhe entstehen. In den ostdeutschen Bundesländern hat die Städtebauförderung bisher schon sichtbare Zeichen der Erneuerung gesetzt. Die Modellstadtförderung, die Denkmalschutzförderung und die Förderung der Infrastruktur im Bereich der normalen Städtebauförderung werden 1995 in der gleichen Höhe wie 1994 fortgeführt. Das ist auch notwendig. Städte sind der Rahmen für Heimat, und Städte sind auch die Basis der wirtschaftlichen Entwicklung. Deswegen ist es gut, daß eine Mark öffentliche Förderung auch in den ostdeutschen Bundesländern schon drei bis vier Mark private Förderung nach sich zieht. Meine Damen und Herren, der Wohnungsbau und der öffentliche Hochbau werden auch 1995 die Stütze der Konjunktur sein und damit viele Arbeitsplätze garantieren. Wir haben mit unserer Politik - und das werden wir im nächsten Jahr fortsetzen - die richtigen Zeichen gesetzt. Marktwirtschaftliche Erneuerung bringt den Erfolg für die Eigentümer ebenso wie für die Mieter. Das wird auch in der Zukunft unsere Politik sein. Danke. ({23})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Das Wort erhält jetzt die Frau Ministerin für Bauen und Wohnen im Lande Nordrhein-Westfalen, Ilse Brusis. Ministerin Ilse Brusis ({0}): Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir diskutieren über den Standort Deutschland. Standort Deutschland, das sind nicht nur ökonomische Fakten wie das Angebot an Arbeitsplätzen, die Höhe der Steuern und Einkommen oder die Kosten der sozialen Sicherung, sondern auch bezahlbare Wohnungen, Wohnqualität und lebenswerte Städte. ({1}) Politik für den Standort Deutschland, meine Herren und Damen, muß daher eine konsequente und gezielte Wohnungs-, Städte- und Raumordnungspolitik einschließen. Verstärkter Wohnungsneubau, Modernisierung, Sanierung von Stadtquartieren, von Dörfern und Gemeinden und die Verbesserung und der Ausbau der Infrastruktur in den Regionen, das sind ja nicht nur Investitionen, das sind nicht nur Arbeitsplätze, das ist nicht nur Einkommen für die Arbeitnehmer, sondern das sind zugleich auch verbesserte Standortbedingungen und deshalb zusätzliche Impulse für weitere Investitionen, für zusätzliche Unternehmen und Branchen. Diesem ressort- und ebenenübergreifenden Anspruch wird die Wohnungs-, Städtebau- und Raumordnungspolitik der Bundesregierung nicht gerecht. ({2}) Im Gegenteil: Das Bauressort agiert weitgehend isoliert und selbst im Verhältnis zum parteipolitisch nahestehenden Wirtschaftsressort unkoordiniert. Statt gemeinsame Problemlösungen zu entwickeln, werden die Verantwortlichen in den Ländern durch eigenmächtige und einseitige Vorgaben der Wohnungs- und Städtebaupolitik des Bundes zunehmend unter Druck gesetzt. ({3}) Wir brauchen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnungs- und Städtebaupolitik, die auch Standortpolitik ist. Wir brauchen sie, weil wir mehr und weil wir bezahlbare Wohnungen brauchen. Wir brauchen sie, damit unsere Städte, unsere Stadtviertel, unsere Dörfer und Gemeinden lebenswert bleiben und lebenswert werden. Wir brauchen sie schließlich als wichtige Vorbedingung für Investitionen, Arbeitsplätze und Einkommen in unserem Land. ({4}) Die Bundesregierung ist offensichtlich zu diesem Umsteuern und dem Aufbruch in der Wohnungs-, Städtebau- und Raumordnungspolitik weder bereit noch in der Lage. ({5}) Aus den Ankündigungen von Mitgliedern der Bundesregierung wie auch konkret aus dem Entwurf des Bundeshaushalts 1995 und der mittelfristigen Finanzplanung ist vielmehr eines unübersehbar: Wohnungs-, Städtebau- und Raumordnungspolitik sollen nach Ihren Vorstellungen, meine Herren und Damen von der Koalition, erstens stark beschränkt und zweitens zugunsten der Ihnen nahestehenden Zielgruppen umgesteuert werden. ({6}) Wir haben hier gerade etwas von der Verantwortung für das gesamte Gemeinwesen gehört. Die Sozialdemokraten wurden daran erinnert, daß es darum gehe. ({7}) Ich kann bei Ihrer Wohnungspolitik nicht mehr feststellen, daß es urn die Verantwortung für das gesamte Gemeinwesen geht, sondern es geht nur noch um eine Klientelpolitik. ({8}) Wohnungs-, Städtebau- und Raumordnungspolitik stehen auch in der zweiten Hälfte der 90er Jahre vor großen Herausforderungen. Wir brauchen eine neue, mittelfristig angelegte Offensive auf der Basis klarer und für alle Beteiligten, für Länder, Städte und Gemeinden, für Investoren und Unternehmen und nicht zuletzt auch für die Bürger und Bürgerinnen, transparenter und verläßlicher Grundlagen. ({9}) Meine Herren und Damen, ich wundere mich immer etwas über die Wohnungspolitiker oder -politikerinnen, die so tun, als wäre jede neu gebaute Wohnung von ihnen selbst gebaut und ihr ureigenstes Verdienst. ({10}) Sie haben offensichtlich nicht begriffen, daß Wohnungspolitik nur funktioniert im Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Investoren und Unternehmen. Nur wenn dies funktioniert, dann funktioniert Wohnungspolitik. ({11}) - Es scheint Sie ja zu treffen; Sie reagieren etwas nervös. ({12}) Weil es um diese Zusammenarbeit geht, brauchen wir in der Wohnungspolitik Kontinuität, und wir brauchen Verläßlichkeit. ({13}) Ministerin Ilse Brusis ({14}) Beides vermisse ich sowohl beim Bundeshaushalt 1995 wie in der mittelfristigen Finanzplanung wie in den Ankündigungen der Bundesregierung für die nächsten Jahre. Ich gebe zu: Es ist in der Wohnungspolitik in den letzten Jahren viel geleistet worden. ({15}) Ich sage - hören Sie gut zu -: Bund, Länder und Gemeinden haben große finanzielle Anstrengungen unternommen. ({16}) - Auch der Bund. Ich füge allerdings hinzu - da sollten Sie auch gut zuhören -: Das, was an Mitteln in den öffentlich geförderten Wohnungsbau geflossen ist, kam zu 75 % aus den Ländern. ({17}) Ich habe eben gehört, wie stolz wir darauf sind, daß in diesem Jahr 550 000, 560 000 Wohnungen fertiggestellt werden. Darauf bin auch ich stolz, natürlich. Das finde auch ich gut. ({18}) Aber die finanziellen Lasten haben im wesentlichen die Länder getragen. ({19}) Wenn einige Länder jetzt beklagen, sie seien am Ende ihrer Möglichkeiten, ({20}) dann kann ich dafür Verständnis aufbringen. Die Bundesregierung kann die Hauptlast für den öffentlich geförderten Wohnungsbau nicht jahrelang den Ländern und Kommunen aufdrücken und sich anschließend wundern, wenn die Länder sagen: Wir sind jetzt finanziell am Ende, wir können es nicht mehr leisten, wenn der Bund hier nicht ebenfalls stärker einsteigt. ({21}) Was überhaupt nicht geht, ist diese Stop-andgo-Politik in der Wohnungsbauförderung. ({22}) Was hat uns denn Anfang der 90er Jahre die großen Probleme gemacht? Warum sind die Baukosten im Wohnungsbau derart gestiegen? Weil in den 80er Jahren die Kapazitäten heruntergefahren wurden. ({23}) - Offensichtlich kennen Sie die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge nicht, die etwas mit dem Wohnungsbau zu tun haben. ({24}) Wir erwarten von der Bauwirtschaft, daß sie die Kapazitäten dann plötzlich wieder zur Verfügung stellt, die wir brauchen, um den Wohnungsbau anzukurbeln. ({25}) Wir erwarten, daß Bauland zur Verfügung steht, wenn zehn Jahre lang die Auffassung vertreten wurde, Wohnungsbau sei nicht mehr nötig. Daß das in die Preise geht, wissen wir doch. Was tun Sie jetzt? ({26}) Im Haushaltsentwurf 1995 wollen Sie die Mittel für den öffentlich geförderten Wohnungsbau um eine halbe Milliarde DM kürzen. ({27}) Ich halte das in der jetzigen Situation für unverantwortlich. Das führt genau zu der Stop-and-go-Politik, die wir nicht gebrauchen können. ({28}) Ich will noch weitere Ursachen für die Verunsicherung aufzeigen. Ich bin ja froh, daß die jetzigen Fertigstellungszahlen zeigen, daß Vertrauen wiedergewonnen worden ist, ({29}) auch bei Investoren und Wohnungsunternehmen. Aber dieses Vertrauen darf man nicht verspielen, ({30}) und das tun Sie. Der bisherige Schuldzinsenabzug soll wegfallen. Statt dessen wird jetzt innerhalb der Bundesregierung eine Diskussion darüber geführt, wie man steuerlich fördern soll. Ich wundere mich über die Erkenntnisse, die in der letzten Zeit, kurz vor der Wahl, gewonnen worden sind. Seit 1990 sagen die Sozialdemokraten und die sozialdemokratisch regierten Länder, es sei wohnungspolitisch effektiver und sozial gerechter, zur steuerlichen Förderung des Wohneigentums einen einheitlichen Abzugsbetrag von der Steuerschuld festzusetzen. Sie sind doch so sehr für die Bildung von Eigentum. Warum nutzen Sie nicht die Chancen, die in der steuerlichen Förderung stecken? Wir haben Ihnen seit 1990 dreimal in dieser Legislaturperiode Vorschläge dazu vorgelegt. Sie haben sie abgelehnt. Jetzt plötzlich, wo Sie keine Möglichkeit mehr haben, es umzusetzen, wächst die Erkenntnis, daß dies vielleicht ein doch nicht ganz so falscher Gedanke war. ({31}) Ich nenne weitere Gründe für die Verunsicherung. ({32}) Die Förderung des Vorsparens soll nach der mittelfristigen Finanzplanung weiter zurückgeführt werden. Ministerin Ilse Brusis ({33}) Die angekündigte und seit längerem überfällige Anpassung des Wohngeldes bleibt aus. Sie haben für 1993 eine Anpassung des Wohngeldgesetzes für die westlichen Bundesländer angekündigt. Ich bin zwar sehr froh, daß - auch auf Grund eines einstimmigen Beschlusses der Bauministerkonferenz - das Wohngeldsondergesetz verlängert wird - das halte ich für eine richtige Maßnahme -, aber wir brauchen eine Anpassung des Wohngeldgesetzes auch für die westlichen Bundesländer. ({34}) Sie hätten sich die ganze Diskussion um die einkommensabhängige Förderung sparen können, wenn Sie ein vernünftiges Wohngeldgesetz gemacht hätten, mit Wohngeldsätzen, die Mieten bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete abdecken. Dann hätten wir nämlich die Mieten im sozialen Wohnungsbau anheben können und eine herrliche einkommensorientierte Förderung erreicht. Daß Sie das nicht wollten, kann ich verstehen, ({35}) aber nicht billigen. Sie wollten nicht mit 50 % der Kosten beteiligt werden. Sie wollen sich aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau zurückziehen und diese Probleme den Ländern und den Kommunen überlassen. Das wird nicht funktionieren. ({36}) Ich sage noch etwas zur sozial gerechten und effizienten Wohnungsbauförderung, die wir statt einer teuren und einseitigen Klientelpolitik brauchen. ({37}) Ich höre, daß es die Absicht gibt, in der nächsten Legislaturperiode den sozialen Wohnungsbau abzuschaffen ({38}) und nur noch einkommensorientierte Förderung zu betreiben. Sie verbinden das immer mit der vagen Hoffnung, man könne dann mit den gleichen öffentlichen Mitteln mehr Wohnungen fördern. Meine Herren und Damen, diese Rechnung - es bedarf nur eines Bleistiftes und eines Nachrechnens - geht nur auf, wenn Sie von den Mietern höhere Mieten nehmen; denn irgendwie müssen die Kosten, die im Wohnungsbau entstehen, gedeckt werden. Also werden Sie in Zukunft den öffentlich geförderten Wohnungsbau für die Besserverdienenden machen. ({39}) Das kann ich bei der F.D.P. ein wenig verstehen, da sie sich als die Partei der Besserverdienenden bezeichnet. Nur, das hat mit dem Gemeinwohl nichts zu tun. ({40}) Mich verwundert auch deshalb nicht, daß Sie auf solche Ideen kommen, weil es bei der steuerlichen Förderung seit Jahren nach dem Prinzip geht: Wer mehr verdient, bekommt eine bessere Förderung vom Staat. Wer wenig verdient, soll sehen, wie er klarkommt. Ich dachte immer, Konsens in der Wohnungspolitik sei, daß wir denjenigen am meisten helfen, die am meisten auf unsere Hilfe angewiesen sind, nämlich den einkommensschwachen Haushalten. ({41}) Diejenigen, die über ein entsprechendes Einkommen verfügen, können sich weitgehend selbst helfen. Meine Herren und Damen, ich will etwas zu den Mieten sagen. Ich glaube, bei der Mietendiskussion sollten wir uns vor Augen führen, daß Politik auch da sehr stark zur Verunsicherung von Investoren beitragen kann, wenn wir sie immer wieder kontrovers führen. ({42}) Ich bin der Meinung - das sage ich seit längerem -: Wir brauchen eine Vereinfachung des Mietrechts. Es liegt ein Stück Demokratisierung darin, wenn wir Rechtssätze schaffen, die auch von den Betroffenen durchschaut und in eigener Verantwortung angewendet werden können, ({43}) so daß sie nicht immer einen Rechtsanwalt befragen müssen, bevor sie über ihre Rechte informiert werden. Aber das, was Sie in dieser Legislaturperiode fabriziert haben, entspricht dem überhaupt nicht, sondern hat das Ganze noch ein bißchen komplizierter gemacht. Sie machen eine Kappungsgrenze von 20 % in drei Jahren für bestimmte Jahrgänge von Wohnungen für eine bestimmte Zeit in bestimmten Regionen. Da weiß doch kein Mensch mehr, woran er ist. ({44}) - Nein, das haben wir nicht gefordert, Herr Abgeordneter Kansy. Da irren Sie! Sie sollten vielleicht noch einmal nachgucken, was wir gefordert haben. Vielleicht schließen Sie sich dann unseren Forderungen an. Ich bin für eine Vereinfachung des Mietrechts, meine Herren und Damen. Das darf aber nicht als Vorwand für eine Aushöhlung des bestehenden Rechts mißbraucht werden. Der Mieterschutz muß erhalten bleiben. Ich glaube, daß wir es in dieser Republik über viele Jahrzehnte geschafft haben, den Ausgleich zwischen den sozialen Interessen des Mieters und den Renditeerwartungen des Vermieters herzustellen. Das müssen wir weiterhin tun; das ist unsere Aufgabe. Sicheres Wohnen und sozial tragbare Mieten sind für uns wesentliche Bestandteile des sozialen Friedens, der nicht gefährdet werden darf. Das Recht auf Wohnen darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein. ({45}) Ministerin Ilse Brusis ({46}) Meine Herren und Damen, wenn wir über diese Fragen diskutieren, sollten wir uns immer vor Augen führen: Wohnen hat sehr viel mit dem Recht auf die Würde des Menschen zu tun. ({47}) Wir brauchen eine problemgerechte Heranführung der Wohnungsmärkte in den neuen Ländern statt einer schematischen Übertragung und Durchsetzung unpassender westdeutscher Denkmuster. ({48}) Die besondere Förderung von Wohnungsbau, Modernisierung und Sanierung in den neuen Ländern war in der ersten Phase nach der Vereinigung notwendig und richtig. Nur wenn wir die desolaten Zustände, die das frühere Regime dort hinterlassen hat, möglichst schnell und entscheidend ändern, dann können diese Regionen ihre angestammte Bevölkerung an sich binden und den Standortwettbewerb um Investoren bestehen. Ich erkenne an - das sage ich sehr deutlich -: In den letzten Jahren sind viele Fortschritte erreicht worden. ({49}) Ich bin sehr froh darüber, daß sie erreicht worden sind. Dahinter aber dürfen wir nicht das, was an Fehlern gemacht worden ist, verstecken. Ich will jetzt nichts zum Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" sagen; auch dies war ein Fehler und hat viele Investitionen behindert und behindert sie nach wie vor. Ich möchte vielmehr etwas zur Frage der Privatisierung sagen. Meine Herren und Damen von der Koalition, behandeln Sie doch bitte solche Fragen nicht so dogmatisch, wie Sie es immer wieder tun. Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat dazu geführt, daß ein ungeheurer Druck auf Privatisierung ausgeübt wird und viele Haushalte in die Privatisierung gedrängt werden, obwohl sie es sich von ihrem Einkommen her eigentlich nicht leisten können. Wenn Sie wirklich für privates Wohneigentum sind - und ich bin es -, ({50}) dann sollten Sie sehr behutsam mit dieser Frage umgehen, weil Privatisierung zur falschen Zeit auch dazu führen kann, daß die Leute abgeschreckt werden und sich nie wieder mit dem Gedanken des privaten Eigentums anfreunden. ({51}) Meine Herren und Damen, wir brauchen eine vorausschauende Raumordnungs- und Baulandpolitik statt eines untätigen Zauderns und Zögerns. ({52}) Raumordnungspolitik findet bei dieser Bundesregierung offensichtlich nicht statt. ({53}) Gerade auf die großen raumordnerischen Herausforderungen in den neuen Ländern sind bisher keine überzeugenden Antworten und Problemlösungen geliefert worden. Vielmehr sind manche der Fehlentwicklungen in den alten Ländern, z. B. die starke Zunahme disperser Siedlungsstrukturen am Rande der Ballungsgebiete, inzwischen auch an vielen Stellen in den neuen Ländern zu beobachten. Wir brauchen eine aktive, entschlossene Raumordnungspolitik, die auf einen Chancenausgleich zwischen den Regionen hinwirkt und gleichwertige Lebensbedingungen schafft. Wir brauchen eine Baulandpolitik, die die Trennung der Bereiche Wohnen, Arbeiten und Leben und die daraus resultierenden ökologischen, verkehrlichen und sozialen Probleme aufhebt oder zumindest weitgehend lindert. Wir brauchen eine Baulandpolitik, die die ungesteuerte Ausbreitung der Siedlungen einschränkt und ohne Scheuklappen wohnungs- und wirtschaftspolitischen Erfordernissen auf der einen Seite und ökologischen Notwendigkeiten auf der anderen Seite gleichermaßen Rechnung trägt. Als letztes, meine Herren und Damen: Wir brauchen in der Wohnungspolitik, in der Städtebaupolitik und der Raumordnungspolitik ein konsequentes und koordiniertes Entscheiden und Handeln statt Verschieben und Vertagen von Politik in Beratungs- und Expertengremien. ({54}) Ein entscheidendes Merkmal der Wohnungs- und Städtebaupolitik dieser Bundesregierung ist die mangelnde Kooperationsbereitschaft insbesondere gegenüber den Ländern. Wesentliches Merkmal ist auch eine nachhaltige Entscheidungsschwäche. Die f ehlende Offenheit und die fehlende Kooperationsbereitschaft gegenüber den Ländern sind wesentliche Gründe dafür, daß fast alle Gesetzesvorhaben der letzten Jahre erst nach unnötig langen und zähen Beratungen von den Ländern, seien sie CDU- oder SPD-geführt, akzeptiert werden konnten. Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein bisher einmaliger Vorgang. Hauptgesprächspartner der Bundesregierung in der Wohnungs- und Städtebaupolitik sind offenkundig die Beratungs- und Expertengremien, die von den Verantwortlichen in der Vergangenheit eingesetzt worden sind. Seit Jahren wird Wohnungs- und Städtebaupolitik dadurch blockiert, daß aktuelle Entscheidungs- und Handlungserfordernisse von dieser Bundesregierung mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, daß zunächst einmal die Ergebnisse von Expertenkommissionen abgewartet werden müßten, und dabei ist es sicher kein Zufall, daß diese Ergebnisse erst nach der Bundestagswahl kommen. ({55}) Wir brauchen in der Wohnungs- und Städtebaupolitik wieder die Bereitschaft zu konsequentem Entscheiden und Handeln. Wir brauchen eine Politik, die sich nicht hinter Experten- und Gremienentscheidungen versteckt, sondern die aus den Diskussionen mit den tatsächlichen Entscheidungsträgern in den LänMinisterin Ilse Brusis ({56}) dern und Gemeinden, in der Wohnungswirtschaft und den Mieterverbänden erwächst. Wir brauchen keine Wohnungs- und Städtebaupolitik am Reißbrett; wir brauchen eine Politik, die die Bedürfnisse der Menschen und die konkreten Wohnungsversorgungsprobleme insbesondere der unteren und mittleren Einkommensschichten zur Kenntnis nimmt und die darauf Antworten findet. ({57}) Wir brauchen nicht noch mehr Papier. Wir brauchen mehr Wohnungen, modernisierte und sanierte Quartiere. Wir brauchen erneuerte und ausgebaute Infrastrukturen und gesunde Wohn- und Lebensbedingungen in den Städten und Gemeinden. Wir brauchen eine nachhaltige Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen des Standorts Deutschland. ({58})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Wort hat jetzt unser Kollege Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Planmäßig zum Wahltag gibt es den Aufschwung. Ich kenne das. Früher hieß es: „planmäßig zum Parteitag". Das ist nichts Neues. ({0}) - Ich habe ihn nicht verkündet, aber Frau Schwaetzer hat das hier hervorragend getan. Ich gratuliere ihr dazu. Sie hat gut gelernt. Bei Frau Brusis gehe ich davon aus, daß sie, wenn sie nach dem 16. Oktober Bauministerin wird, zumindest etwas warmherziger mit den Problemen der Menschen umgehen wird. ({1}) Sie können gewiß sein: Ich werde Sie als konsequente Opposition an Ihren eigenen Worten messen, zumindest in den meisten Passagen, die Sie vorgetragen haben. Mit mir jedenfalls, Frau Brusis, können Sie rechnen. Wir werden aufpassen, daß das, was Sie gesagt haben, auch umgesetzt wird. Die Frage besteht doch darin: Soll die Wohnung als Mittel dienen, Vermögen zu bilden und zu mehren, oder besteht der eigentliche Zweck der Wohnung darin, sie als Behausung zu nutzen? Das ist der entscheidende Unterschied in der Herangehensweise. Diese Frage beantworten Sie, Frau Schwaetzer, und Ihre Regierung anders als ich und die Leute, die einfach nur wohnen wollen. Trotz der Zahlen, die Sie genannt haben, fehlen noch immer 2,5 Millionen Wohnungen in Deutschland, und zwar nicht irgendwelche, sondern bezahlbare Wohnungen. Auf der anderen Seite gibt es einen Leerstand an Wohnungen, die man nicht vermieten kann, weil sie zu teuer sind oder weil sie vergammelt sind oder auf Grund der Eigentumsregelung nicht in Ordnung gebracht werden können. Leerstehende Wohnungen in Schwedt oder Görlitz lösen jedoch das Problem des Wohnungsmangels in München, Düsseldorf oder Berlin überhaupt nicht. Baustellen für Banken in Frankfurt am Main können die vernichteten Arbeitsplätze in der Mikroelektronik in Frankfurt an der Oder nicht ersetzen. Werbewirksam inszenierte Grundsteinlegungen auf der grünen Wiese von irgendwelchen Königen oder Länderfürsten täuschen aufmerksame Wählerinnen und Wähler nicht darüber hinweg, daß ringsherum Industriebrachen geschaffen wurden. ({2}) - Die heißen doch wohl Treuhandarbeit oder so. Der Bericht liegt doch auf Ihrem Schreibtisch. Sie brauchen ihn nur zu lesen. Sie machen unter dem Motto „Weiter so!" Wohnungseigentumspolitik an Stelle von Wohnungspolitik. Sie bauen Gewerbeparks, anstatt Städte zu planen, in denen man auch wohnen kann. Zu allem Überfluß verringern Sie das Wohngeld um 800 Millionen DM und erzählen allen Leuten, das sei ein großer Fortschritt. Ich sehe das nicht so. Dafür vergessen Sie nicht, das Geld für den Abriß des Palastes der Republik fleißig weiter einzuplanen, der doch wirklich dort weiter stehen kann und sogar für sinnvolle Dinge genutzt werden könnte. Fertigstellungszahlen allein lenken davon ab, daß bezahlbare Wohnungen fehlen. Fertigstellungszahlen lenken davon ab, daß es um ein vieljähriges Programm effektiven Zuwachses geht. Sie sagen nie dazu, Frau Schwaetzer, wie viele Wohnungen denn verlorengehen, z. B. durch normalen Altersverschleiß, z. B. durch das Zusammenlegen bei Modemisierungen, z. B. durch Zweckentfremdungen. Warum sagen Sie denn nicht, daß die große Gefahr besteht, daß zwischen dem 16. Oktober und dem 31. Dezember dieses Jahres massenhaft Ostwohnungen an Investoren verkauft werden, wie voriges Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr, in der Zeit, in der die neue Regierung noch nicht richtig im Amt ist und die alte nicht mehr? ({3}) Die Sprachlosigkeit der Regierung in bezug auf das Vergleichsmietensystem gellt einem regelrecht in den Ohren. Warum sagen Sie denn nie, wie Sie die Vergleichsmiete einführen wollen? Warum sagen Sie denn nicht, daß es nicht stimmt, daß nicht nur die 30 % laut Miethöhegesetz aufgeschlagen werden sollen, sondern daß bei der Gelegenheit gleich noch der Wucherparagraph außer Kraft gesetzt werden soll? ({4}) - Warum sagen Sie es denn dann nicht den Leuten? Sagen Sie das doch bitte öffentlich und nicht hier bloß einmal so als Zwischenruf. ({5}) - Sagen Sie es verbindlich! ({6}) - Entschuldigung, es ist mein Wahlkreis. Ich kenne die Karl-Marx-Allee ziemlich genau. ({7}) Herr Professor Sinn, der Chef der von Innen, Frau Schwaetzer, eingesetzten Expertenkommission, hat im Bauausschuß gesagt, der Teil seines Abschlußberichts, der sich auf Ostdeutschland beziehe, sei schon im Winter dieses Jahres fertig; er könne ihn aber nicht separat veröffentlichen, weil das zu Irritationen führen könne. Ich bin sehr gespannt, welche Irritationen das sind. ({8}) - Entschuldigung, ich war nicht in der DDR-Regierung verantwortlich. Sie jedenfalls sind hier verantwortlich, und meine Aufgabe ist es, das bei Ihnen einzufordern. --- Haben Sie vielleicht Angst, daß Sie bei den Wahlen schlecht abschneiden könnten? Ich hätte gern noch jede Menge Alternativen vorgetragen; leider geht meine Redezeit heute hier zu Ende. Sie können das ja nachlesen; ich habe genügend Erklärungen dazu abgegeben. Sie alle liegen Ihnen auch vor. Ich befürchte - und nicht nur ich -, daß planmäßig nach dem Wahltag die große Ernüchterung kommt. Ich bin nur noch gespannt, ob sie - geschönt - von Frau Schwaetzer vorgetragen wird oder - etwas drastischer - von Frau Brusis. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9}) Mit mir könnt ihr rechnen, als Opposition, die das ernst nimmt, was ihr sagt. ({10}) - Ja, das war die Volksfront. Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Bundesminister für Forschung und Technologie, Herrn Paul Krüger.

Dr. Paul Krüger (Minister:in)

Politiker ID: 11001230

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die breite Diskussion im vergangenen Jahr zeigte: Es wurde noch nie soviel über Forschung und Technologie gesprochen, wie in diesem Jahr. Ich glaube, es ist mittlerweile auch dem letzten klargeworden: Nur mit Wissenschaft, mit Forschung und Technologie können wir Arbeitsplätze gegen einen wachsenden internationalen Wettbewerb schaffen; nur mit Wissenschaft, Forschung und Technik können wir aber auch unsere Lebensumwelt erhalten und verbessern. Wir haben hierzu hervorragende Voraussetzungen. Unser Land verfügt über eine ausgezeichnete Grundlagenforschung und herausragende wissenschaftlich-technische Grundlagen für Zukunftstechnologien. Die Politik der Bundesregierung hat hierzu wesentliche Beiträge in den letzten Jahren geleistet. Unser Land verfügt aber auch über eine gewachsene und flexible Wirtschaftsstruktur, eine hochwertige Infrastruktur und vor allem über hochqualifizierte Menschen. Auf dieser Basis wurden wir erfolgreich, und auf dieser Basis bleiben wir erfolgreich, wie wir auch an der derzeitigen Konjunktur sehen können. Gleichwohl müssen wir aufpassen. Der Internationale Wettbewerb intensiviert sich. Das heißt, wir sind gezwungen, zukünftig mehr aus unseren Stärken zu machen, wenn wir an Zukunftsmärkten teilhaben wollen. Die Bundesregierung hat dazu die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt. Sie begreift Innovationspolitik als politische Gesamtaufgabe. Dabei geht es vorrangig nicht um höhere Fördersummen, wie es uns heute immer wieder beigebracht werden sollte. Es geht prioritär darum, Hemmnisse abzubauen, und es geht darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen Innovationen stattfinden können. Hochleistungen in Wissenschaft und Technik werden getragen durch Wettbewerb, durch notwendige Spielräume und durch geeignete Rahmenbedingungen für innovative Wissenschaftler und auch Unternehmen, die Innovationen schaffen wollen. Aber, meine Damen und Herren, es sind nicht allein Gesetze, die uns behindern, es ist auch der Vollzug der bestehenden Gesetze in den Bundesländern. Schauen Sie nach Dresden: Innerhalb von zwei Monaten gelang es dort, die Genehmigungen für eine Produktions- und Entwicklungsstätte für Mikroelektronik zu erhalten, ({0}) und zwar in einem Investitionsumfang von 2,5 Milliarden DM. ({1}) In Niedersachsen und Hessen wäre das nicht möglich gewesen. Dafür gibt es leider viel zu viele Beispiele. Ich erinnere nur an die Produktionsanlage für Humaninsulin bei der Firma Hoechst in Hessen. Hier wurde heute von einigen Herren, insbesondere von Herrn Schröder, soviel über Warmherzigkeit und Beachtung der Menschen gesprochen: Dort, bei Hoechst, werden Medikamente für Menschen hergestellt, dort werden Arbeitsplätze für Menschen geschaffen. ({2}) - Dann fragen Sie mal die Hessische Landesregierung, warum sie so lange gezögert hat. Einige, auch von Ihnen, meine Damen und Herren in der Opposition, sind in den vergangenen Jahren mit sehr undifferenzierten Urteilen gegen Computer als Jobkiller, gegen die Gentechnik, ({3}) gegen die Raumfahrt und gegen den Transrapid geradezu Sturm gelaufen, wie wir heute in der Abstimmung sehr augenscheinlich wahrnehmen konnten. ({4}) Das sind genau die Leute, die Medikamente wollen, die 100 %ig getestet sind, die aber gleichermaßen gegen Tierversuche sind. Das sind die Leute, die Mobilität, aber keine neuen Verkehrswege wollen. Das sind die Leute, die Produkte und vor allem Arbeitsplätze wollen, aber die Produktionsanlagen ablehnen. Rot-Grün ist nicht nur die größte Investitionsbremse, Rot-Grün ist mittlerweile auch die größte Innovationsbremse. ({5}) Die Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen ist Voraussetzung für jede glaubwürdige Innovationspolitik. Deshalb frage ich: Wo war die SPD, als es mit der Postreform um die Deregulierung und damit auch um wettbewerbsfähige Datennetze in Deutschland ging? Wir haben mit der Postreform und vielfältigen anderen Deregulierungsmaßnahmen wesentliche Grundlagen für technologische Entwicklungen in Deutschland geschaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir erfolgreich bleiben wollen, sind wir gehalten, noch mehr als bisher auf die schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen zu achten. Wir tun dies im Rahmen einer Innovationsoffensive, indem wir geeignete Marktbedingungen schaffen, indem wir mit Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsame Ziele und Visionen für Anwendungen von Forschung und Technologie gewinnen, indem wir Teams aus Industrie und Wissenschaft zu gemeinsamen Aufgaben zusammenführen, indem wir den „Technologietransfer über Köpfe" intensivieren, indem wir Risikokapital bereitstellen, indem wir den Mittelstand fördern und indem wir auch zukünftig mehr die Erfinder in den Vordergrund unserer Förderung stellen werden. Die Forschungspolitik hat dabei die Aufgabe eines Integrators und Katalysators im Innovationswettbewerb. Vizepräsident Helmuth Becker Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wagner?

Dr. Paul Krüger (Minister:in)

Politiker ID: 11001230

Ja, bitte.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, daß die spezielle Förderung des Mittelstandes zu einem Schwerpunkt Ihrer Arbeit im technologischen Bereich gehöre. Ich frage Sie: Warum hat die Bundesregierung - allerdings vor Ihrer Zeit - die 1 Milliarde DM Förderung für den Mittelstand, vor allen Dingen für technologische Forschungen, auf etwa 400 Millionen DM gekürzt? Das widerspricht offenbar dem, was Sie hier gerade gesagt haben. Zweitens. Wie stehen Sie zu den Überlegungen der Sozialdemokraten, daß man etwa den kleinen und mittleren Betrieben, die ja in der Wirtschaft wirklich eine wichtige Rolle spielen, dadurch hilft, daß man ihnen Forschungsexperten seitens des Staates zur Verfügung stellt, da sie selbst diese Forschungsexperten nicht bezahlen können?

Dr. Paul Krüger (Minister:in)

Politiker ID: 11001230

Ich kann Ihnen, was Ihre letzte Frage anlangt, sagen: Es haben sich all die Modelle bewährt, bei denen der Staat möglichst wenig gemacht hat. Ich denke hier etwa an die Steinbeisstiftung, die mit 2 500 Menschen in einem nichtsozialdemokratisch regierten Land entstanden ist und sich dort zu 95 % privatwirtschaftlich finanziert. Wir haben gerade in den neuen Bundesländern erfahren, daß sich überall dort, wo der Staat die Förderung durchführt, die Initiative der Förderteams sehr in Grenzen gehalten hat. Ich bin ein ganz entschiedener Verfechter privatwirtschaftlicher Initiativen in diesem Bereich, wobei ich nicht ausschließe, daß der Staat Anschub leistet. ({0}) Zur Frage der Mittelstandsförderung: Wir haben ein Riesenspektrum an Programmen für die neuen Bundesländer bereitgestellt. Ich gehe davon aus, daß wir, wenn sich mittelständische Strukturen, wie sie in den alten Ländern vorhanden sind, in den neuen Ländern entwickelt haben, diese Programme zurückfahren werden. Ich halte es deshalb für Polemik, wenn man, nachdem man ein Ziel erreicht hat, fordert, daß man kein Programm zurückfahren darf. Wir haben die Mittelstandsförderung seit 1982 insgesamt auf das Doppelte gesteigert. Seitdem wir in diesem Land die Regierungsverantwortung übernommen haben, haben wir die Mittelstandsförderung im Projektbereich verdoppelt. Wir sind dabei, Weiteres zu tun, insbesondere was die Gründung technologieorientierter Unternehmen, ihre Förderung durch venture capital oder andere Formen der Risikokapitalfinanzierung und Darlehensprogramme anbelangt. ({1}) Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt: Die Forschungspolitik hat in diesem Prozeß die Aufgabe eines Integrators und Katalysators. Wir haben insbesondere im letzten Jahr unter Beweis gestellt, daß wir diese Aufgabe engagiert wahrnehmen. Es bleibt in den kommenden Jahren insbesondere der Ausbau der Forschung in den neuen Ländern. Wir werden 1995 und in den folgenden Jahren die Mittel für die neuen Länder weiter erhöhen. Hinzu kommen Sondermittel aus dem Parteivermögen der SED, aus dem EG-Strukturfonds und dem Investitionshilfegesetz, deren Einsatz für die Forschung wir mittlerweile erreicht haben. Anteilig haben wir heute in den neuen Ländern eine ebenso hohe Dichte von Forschungseinrichtungen wie in den alten Ländern. Im Personalbereich liegen wir durchschnittlich sogar etwas darüber. Institute in den neuen Ländern wurden in kürzester Zeit mit neuester Labor- und Gerätetechnik ausgerüstet. Wir werden in den kommenden Jahren in erheblichem Umfang weiter in diese Einrichtungen investieren. Ebenso werden wir die Industrieforschung weiter unterstützen. Gerade die Industrieforschung unter21326 stützen wir derzeit bis an die Grenze dessen, was der Staat sinnvoll überhaupt noch leisten kann. ({2}) Wer ein weiteres Wachstum der Forschungsausgaben will, der muß sagen, welche Ausgaben im Bundeshaushalt er hierfür begrenzen möchte. Die Opposition scheut sich nicht, in den verschiedensten Politikbereichen Mehrforderungen im Umfang von 60 Milliarden DM zu stellen. Dies geht bis hin zu Versprechungen über ein völlig illusionäres 100 000Dächer-Solarprogramm durch Ihre Ministerkandidaten. Allein dies würde den Forschungshaushalt und damit den Steuerzahler mindestens 1 Milliarde DM kosten, vorausgesetzt, es fänden sich in Deutschland 100 000 Bürger, die bereit wären, die weiterhin notwendigen Eigenbeträge von je 15 000 DM zu zahlen. Die Nachhaltigkeit einer solchen Crash-Aktion wäre gleich Null. An den gegenwärtigen Kostennachteilen der Solarenergie von 1 : 10 würde sie kaum etwas ändern. Den Strom müßten wir weiter aus der Steckdose beziehen, wie manche simpel meinen. ({3}) Nehmen Sie endlich zur Kenntnis: Die Ausgaben des Staates für zivile Forschung sind in Deutschland Weltspitze; sie sind anteilig doppelt so hoch wie beim Innovationsweltmeister Japan. ({4}) Daß in einem Bundeshaushalt, der von Einsparungen und dem Ziel der finanziellen Konsolidierung gezeichnet ist, der Etat des BMFT trotzdem um 250 Millionen DM wächst, zeigt die hohe Priorität, die die Bundesregierung Forschung und Technologie beimißt. ({5}) Hinzu kommen Sondermittel für ein Innovationsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Umfang von 2 Milliarden DM für die industrielle Forschung in den neuen Ländern. Unser Entwurf des Forschungshaushalts setzt klare Akzente für die Forschungsförderung in den kommenden Jahren. Wir bauen die Förderung der Zukunftstechnologien weiter aus. Die Förderung der Informationstechnik, der physikalischen und chemischen Technologien, neuer Materialien der Biotechnologie etc. wird um weitere 91 Millionen DM auf ca. 2 Milliarden DM angehoben. Zur Unterstützung der Luftfahrtforschung haben wir ein neues Programm geschaffen. Die SPD kommt mit ihrem Antrag hierzu reichlich spät. Dieses neue Programm hat einschließlich Industrie einen Umfang von immerhin 1,2 Milliarden DM. Wir bauen die Umwelt- und Gesundheitsforschung mit einem Plus von 50 Millionen DM auf über 1,1 Milliarden DM aus, und wir werden die Grundlagenforschung auf einem hohen Niveau weiter fördern. Wir wissen, Grundlagenforschung ist der Humus, auf dem die Innovationsfähigkeit in unserem Land wächst. Die Forschungs- und Technologiepolitik dieser Bundesregierung ist erfolgreich. Sie ist ein Aktivposten der Innovationsdynamik in Deutschland, und sie wird es mit uns bleiben. Vielen Dank. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Christian Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich ungewöhnlich, daß nach dem Minister der Forschungssprecher derselben Fraktion das Wort ergreift. Ich will hier auch überhaupt keine Rede halten, sondern nur feststellen: Es scheint mir, als ob es der SPD die Sprache verschlagen hat. Ich hatte erwartet, daß jetzt ein Redner der SPD kommt und zu dem gewaltigen Rundumschlag, zu der großen Auseinandersetzung mit der Forschungspolitik der Bundesregierung ausholt. ({0}) Die Bundesregierung ist mit einem leibhaftigen Minister und mit dem Staatssekretär des Hauses hier vertreten, hat darauf gewartet und sich sicherlich gewissenhaft vorbereitet, aber es kommt nichts. Sind Sie alle noch Schröder-geschädigt? Der Kollege Dreßler hat ja schon völlig entnervt seine Rede zu Protokoll gegeben. Ich habe großes Verständnis dafür. Nur müssen wir nach einer Zeitlang von diesen komischen Ritualen wegkommen. Deswegen kann ich nur feststellen: Die SPD hat offensichtlich zur erfolgreichen Forschungspolitik der Bundesregierung nichts zu kommentieren. ({1}) Sie muß einräumen, was der Minister noch einmal gesagt hat - ich will mich auch ausdrücklich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Echternach, dafür bedanken -: Der Forschungshaushalt ist in dieser schwierigen Situation besonders gut behandelt worden. Es sind 250 Millionen DM draufgepackt worden. ({2}) Das ist ungewöhnlich und nicht selbstverständlich. Es zeigt, daß wir auf dem richtigen Wege sind. Ich möchte mich auch beim Bundeskanzler an dieser Stelle bedanken, der ja keine Gelegenheit ausläßt, immer wieder - auch das ist nicht selbstverständlich - auf die Bedeutung der Forschungs- und Technologiepolitik dieser Bundesregierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland hinzuweisen. Meine Damen und Herren, mir bleibt nur die Feststellung übrig, nachdem die Opposition offensichtlich an dieser Forschungspolitik nichts auszusetzen hat: Lieber Kollege Paul Krüger, wir wollen den gemeinsamen Weg auch in der nächsten Legislaturperiode erfolgreich weitergehen. Herzlichen Dank. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Lenzer, ich muß folgendes, glaube ich, zur Erläuterung sagen: Normalerweise wird ja, wie Sie zu Recht erwartet hatten, Rede und Gegenrede gemischt. Aber die Strategien der Fraktionen sind unterschiedlicher Natur. Wenn eine Fraktion es für richtig gehalten hat, ihrem Hauptredner eine sehr viel längere Zeit zu geben, eine andere Fraktion aber beabsichtigt, mehrere Redner einzusetzen, dann kann passieren, was jetzt passiert, daß nämlich nach dem Bundesminister Krüger und dem Kollegen Lenzer jetzt der Bundesminister Laermann das Wort erhält.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Minister:in)

Politiker ID: 11001266

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit der aktuellsten bildungspolitischen Frage beginnen, dem BAföG. Diese Bundesregierung hat von 1990 bis 1994 für die Ausbildungsförderung von Schülern und Studenten 11,3 Milliarden DM ausgegeben; ich wiederhole: 11,3 Milliarden DM. Für 1995 liegt der Ansatz bei 2 Milliarden DM. Ich denke, schon dies belegt: Wir betreiben keinen Sozialabbau bei Schülern und Studenten, wir setzen die Ausbildungsförderung auf hohem Niveau fort. Ich will ganz nachdrücklich und ausdrücklich sagen: Ich will keinen sozialen Numerus clausus. ({0}) Wer hier die Frage aufwirft, ob die heutigen Entscheidungen zum BAföG jugendfeindlich seien, der muß sich von mir doch die Gegenfrage gefallen lassen, ob es denn richtig ist, daß einige von der SPD regierte Bundesländer in diesem Jahr die Schülerförderung eingestellt haben. Ich hätte gerne eine Antwort auf diese Frage. Der Deutsche Bundestag hat die 17. BAföG-Novelle beschlossen. Sie enthält zahlreiche Leistungsverbesserungen. Die Freibeträge sollen nach diesem Gesetz im Herbst dieses Jahres und noch einmal im Herbst 1995 um je 2 % angehoben werden. Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, daß ich bei meinem Amtsantritt vor wenigen Monaten insbesondere dafür gekämpft habe, daß wir diese Freibeträge erhöhen. Ich will nämlich nicht, daß immer mehr Schüler und Studierende infolge der Einkommensentwicklung aus der Förderung herausfallen. Das war mein Ansatz, und ich bin dankbar, daß der Bundestag auch so beschlossen hat. Zusätzlich vorgesehen sind die Erhöhung der Sozialpauschalen, der Wegfall der Altersgrenze von 30 Jahren für Studierende, die nach einer beruflichen Ausbildung studieren, und Verbesserungen für Alleinerziehende bei der Darlehensrückzahlung. Außerdem hat sich die Koalition darauf verständigt, Anfang 1995 eine Anhebung der Bedarfssätze zum Herbst 1995 zu prüfen. Ich weise schließlich auf die Härteverordnung hin, die dann greift, wenn das Mietenniveau zu hoch ist. Dann werden Mietzuschüsse gezahlt. Damit geben wir diesem Paket bis 1996 für BAföG 260 Millionen DM mehr aus. Ich meine, in diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung dieser Zahlen kann man nicht von Sparen reden, sondern da gibt es, denke ich, wesentliche Verbesserungen. ({1}) Für die Mehrkosten, die nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zusätzlich entstanden wären -115 Millionen DM alleine für den Bund -, gibt es im Haushalt des Bundesbildungsministeriums keine Deckung. Darauf habe ich bereits im Vermittlungsausschuß unmißverständlich hingewiesen. Weder bei der Hochschulbauförderung noch bei der beruflichen Bildung oder bei der Forschungsförderung gibt es Spielräume für eine Kompensation. Von mir kann niemand erwarten, daß ich ungedeckte Schecks für weitere BAföG-Anhebungen ausstelle. Ich wundere mich - um aktuell zu bleiben -, daß die Hochschulrektorenkonferenz beklagt, daß die Bedarfssätze nicht erhöht werden. Eine Erhöhung hätte im wesentlichen nur zu Lasten der Hochschulbauförderung gehen können. Ich glaube nicht, daß das die Zustimmung der Hochschulrektorenkonferenz gefunden hätte. Ich fordere aber an dieser Stelle den Bundesrat ausdrücklich auf, insbesondere die Mehrheit der SPD-geführten Länder, die 17. BAföG-Novelle am 23. September 1994 passieren zu lassen. Ich denke, die Länder können jetzt beweisen, wie ernst sie die Interessen der BAföG-geförderten Schüler und Studierenden nehmen. Versagt der Bundesrat seine Zustimmung, wird natürlich die ganze Novelle scheitern. Dann werden alle geplanten Verbesserungen, auf die ich vorhin hingewiesen habe, nicht in Kraft treten. Ich kann nicht erkennen, daß dies ein verantwortungsvolles Handeln wäre. ({2}) Meine Damen und Herren, strukturverbessernde Maßnahmen reichen zur Beseitigung von Defiziten und Schwächen im Bildungs- und Ausbildungssystem allein nicht aus; sie müssen von einer angemessenen Finanzausstattung flankiert werden. Bildungsausgaben sind unabdingbare Investitionen für die Zukunft. ({3}) - Das, Herr Kollege Kubatschka, ist wirklich in mein Gehirn eingebrannt. ({4}) Ich kämpfe auch für mehr finanzielle Mittel. Was habe ich denn in den wenigen Monaten meiner Amtszeit hier anderes getan, als mich darum zu bemühen, mehr Finanzmittel zu erhalten? ({5}) Ich sehe aber auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit, die verfügbaren Finanzmittel effizienter einzusetzen. ({6}) - Ich denke, 273 Millionen DM, die mehr in den Haushalt eingestellt worden sind, als mir ursprünglich vorgegeben war, sind doch schon eine beträchtliche Summe. Für 273 Millionen DM muß eine alte Frau lange stricken. ({7}) Ich möchte darauf hinweisen, daß wir zur Zeit an konkreten Vorschlägen arbeiten, die vorhandenen Finanzmittel wirtschaftlicher und effizienter einzusetzen. Mit rund 24 Milliarden DM haben wir für Bildung und Wissenschaft in dieser Legislaturperiode rund 9 Milliarden DM mehr investiert als in den Jahren 1987 bis 1990. Auch wenn ein Teil dieses Steigerungsbetrages mit der deutschen Einheit zusammenhängt, haben davon auch die alten Bundesländer in beträchtlichem Umfang profitiert. Lassen Sie doch bitte, verehrte Kollegen von der Opposition, das Spiel mit Prozentzahlen. Geben Sie auch die absoluten Bezugsgrößen an. In einem Zeitraum, in dem sich die Sozialleistungen nahezu verdoppelt haben, können Sie doch wohl nicht erwarten, daß auch alle anderen Haushalte um 100 % steigen. Ich bitte das wirklich mal zu bedenken. ({8}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch sagen, daß wir es ja nicht nur mit Hochschülern, mit Akademikern, mit Studierenden zu tun haben. Die Bundesregierung wird ihre nach Eignung und Leistung differenzierte Berufsbildungspolitik fortführen. Der Anteil Ungelernter muß weiter gesenkt und die begleitenden Hilfen und Angebote für Lernschwächere und Benachteiligte müssen weiter verstärkt werden. Den leistungsstärkeren Fachkräftenachwuchs wollen wir durch zusätzliche Ausbildungsangebote besser fördern. Die 1991 angelaufene „Begabtenförderung berufliche Bildung" zeigt, daß wir mit diesem Programm schon jetzt erfolgreich sind. Über 9 000 junge Menschen werden zur Zeit darin gefördert. Meine Damen und Herren, die Förderung der überbetrieblichen Berufsbildungsstätten gehört zu den Bereichen, in denen der Bund Beachtliches dazu beiträgt, die Qualität der Berufsbildung zu sichern. Dafür wenden wir allein an Investitionen und Betriebskostenzuschüssen jährlich mehr als 120 Millionen DM auf. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt in den neuen Bundesländern. Für die alten Bundesländer kommt mehr oder weniger die Modernisierung in Frage. Ich denke, daß es sicherlich nicht vertretbar wäre, in dem Bereich der überbetrieblichen Ausbildungsstätten die Mittel zu kürzen, was angestanden hätte, wenn eine Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze hier beschlossen worden wäre. Ich bitte, das wirklich zu bedenken. Wir haben auch noch ein weiteres Problem zu bewältigen, nämlich die Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern. Die Bundesregierung - und dazu stehe ich - betont, daß jeder Jugendliche in den neuen Bundesländern, der dies wünscht, eine Ausbildung erhält. ({9}) Für das Ausbildungsförderungsprogramm 1993 in der außerbetrieblichen Ausbildung wendet der Bund mehr als 330 Millionen DM auf. Für die Gemeinschaftsinitiative Ost 1994 stellen wir nochmals 336 Millionen DM zur Verfügung. Das sind doch eindrucksvolle Summen. Ist das etwa jugendfeindlich? Exzellente Leistungen in Lehre und Forschung sind für den Standort Deutschland unverzichtbar. Diesem Anspruch kann man nur gerecht werden, wenn neben einer Studienstrukturreform auch der quantitative und qualitative Ausbau der Hochschulen fortgesetzt wird. Das betrifft vorrangig die Erweiterung des Fachhochschulbereichs. Dafür gibt es gute Gründe: Die Fachhochschulen haben sich als andersartige, aber gleichwertige Bestandteile des differenzierten Hochschulsystems etabliert.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, Ihre Redezeit!

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Minister:in)

Politiker ID: 11001266

Das Interesse an einem Studienplatz überschreitet seit Jahren das Angebot mit der Folge, daß fast flächendeckend ein Numerus clausus an Fachhochschulen besteht. Wir wollen auch weiter in den Hochschulbau investieren. 1990 haben wir dafür 1,1 Milliarden DM aufgewandt. Für 1995 hat das Bundeskabinett Steigerungen der Mittel auf 1,8 Milliarden DM beschlossen. Ich denke, das ist ein Erfolg. Das sind gegenüber der Finanzplanung 200 Millionen DM mehr. ({0}) Damit können wir alle begonnenen Bauvorhaben einschließlich der Kostensteigerung abdecken, und wir können die Neubauvorhaben in den alten Bundesländern zu 50, in den neuen Bundesländern zu 75 Prozent mitfinanzieren. Bei der Großgerätebeschaffung kommen wir auf 70 Prozent. Ich hoffe, daß die Länder in der nächsten Woche im Planungsausschuß für den Hochschulbau dieses Angebot des Bundes akzeptieren. Ich will ferner darauf hinweisen, daß wir gleichermaßen noch die Hochschulsonderprogramme fahren und 1995 dazu fast eine halbe Milliarde DM zusätzlich aufwenden. Den Studentenwohnraumbau haben wir von 1990 bis 1994 mit mehr als 700 Millionen DM unterstützt. Bis 1997 werden es weitere 150 Millionen DM sein. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch erwähnen, daß wir die Forschung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses keineswegs vernachlässigen. Die Beträge für die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben wir über den Beschluß von fünfmal 5 % hinaus angehoben und auch das Graduiertenförderprogramm aufgestockt. Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich hier in aller Kürze im Telegrammstil einmal aufzeige, -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Minister, Sie sind jetzt schon über die Zeit. ({0})

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Minister:in)

Politiker ID: 11001266

Herr Präsident, lassen Sie mich noch einen abschließenden Satz sagen: Im Sinne dessen, was ich hier vorgetragen habe, werde ich in den Bereichen, die ich für unbedingt wichtig halte, auch weiter dafür kämpfen, zusätzliche Finanzmittel zu bekommen. ({0}) Ich denke, wir werden dieses Gespräch in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Post und Telekommunikation, Dr. Wolfgang Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (Minister:in)

Politiker ID: 11000228

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Noch in diesem Monat wird das Postneuordnungsgesetz im Bundesgesetzblatt erscheinen. Bereits am Freitag letzter Woche sind die für die Postreform II notwendigen Grundgesetzänderungen verkündet worden. Ich verhehle nicht, daß mich dies mit einer gewissen Befriedigung erfüllt. Ich möchte auch heute noch einmal all denen danken, die an diesem komplizierten Gesetzesvorhaben mit Beratung, Kritik und Mitwirkung ihren Anteil hatten. Ich sehe den postpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Kollegen Müller. Kollege Timm war bis vor kurzem da. Von den Hauptbeteiligten der SPD sehe ich im Moment keinen. Aber das liegt daran, daß man heute die Redezeit etwas anders aufgeteilt hat. Ich möchte mich jedoch auch bei den abwesenden Kollegen der SPD bedanken, die mitgewirkt haben und die im Bundestag - es waren von der SPD 123 an der Zahl - die Verfassungsänderung ermöglicht haben. Diese Verfassungsänderung und das Gesetzeswerk sind die Voraussetzung dafür, daß in Deutschland in der Post und Telekommunikation wirtschaftliches Wachstum weiter ermöglicht wird und damit Arbeitsplätze gesichert bleiben. ({0}) Eines ist aber auch klar: Um den Erfolg der Postreform zu sichern und zu vollenden, muß in der kommenden Legislaturperiode die Liberalisierung verstärkt fortgesetzt werden. Ich sage das so deutlich, weil in der Öffentlichkeit zumeist nicht zwischen Privatisierung und Liberalisierung unterschieden wird. ({1}) - Obwohl beides gut ist, Herr Kollege Weng, und beides im Grunde genommen zusammengehört. - Noch haben wir für eine Übergangszeit in Teilbereichen Monopole. Wir dürfen nicht zögern, diese in Frage zu stellen und in Übereinstimmung mit der europäischen Entwicklung abzubauen. Die deutsche Telekommunikationsindustrie nimmt international hinsichtlich Innovationskraft und Marktstellung heute noch einen Spitzenplatz ein, der sich aber nur dann halten lassen wird, wenn sie an die sich weltweit verändernden ordnungspolitischen Rahmenbedingungen anschließt und hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen anpassungsfähig bleibt. Hierbei spielt die internationale Handlungsfähigkeit des nationalen Telekommunikationsbetreibers eine entscheidende Rolle. Daher auch die Privatisierung. Es ist deshalb Aufgabe einer verantwortungsvollen und zukunftsweisenden Politik, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, daß die Standortqualität Deutschlands gestärkt wird und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten bleibt. ({2}) Das bezieht sich ebenso auf den Bereich der Telekommunikation wie auf den Bereich der Post. Wie Sie wissen, habe ich schon - darauf will ich eingehen, weil dies aktuell diskutiert wird - im Frühjahr letzten Jahres eine Expertenkommission mit dem Auftrag eingesetzt, die Fragen einer Marktöffnung für ein Gebiet des postalischen Bereichs, die sogenannte Infopost, zu untersuchen. Nach Prüfung des Berichts dieser Kommission haben wir uns in der Bundesregierung darauf verständigt, daß zum 1. Januar 1995 der Markt für die Beförderung von Massensendungen oberhalb einer Gewichtsgrenze von 250 g geöffnet wird. Wir wollen weiterhin die Voraussetzungen dafür schaffen, zum 1. Januar 1996 die Beförderung von Infopost oberhalb einer Gewichtsgrenze von 100 g zu lizenzieren. Dann wird allerdings ab der neuen Legislaturperiode, genau ab 1. Januar 1995, auch der Regulierungsrat in der in den Neuordnungsgesetzen vorgesehenen Form zu beteiligen sein. Ich gestehe, daß die jetzt gefundene Lösung einen politischen Kompromiß darstellt zwischen Anforderungen aus der Wirtschaft und den Interessen des Postdienstes, der natürlich auch in Zukunft an einer betriebswirtschaftlichen Lösung interessiert sein muß und deshalb Übergangslösungen braucht. Auf der einen Seite geht die Marktöffnung jetzt manchen Großversendern sowie manchen in der mittelständischen Werbewirtschaft, aber auch den privaten Beförderungsunternehmen nicht weit genug. Andererseits wird die nun geplante Lizenzierung von Vertretern der Opposition und den Postgewerkschaften kritisiert. Ich meine aber, wir haben hier einen angemessenen Weg gefunden, um einerseits den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Unternehmens Postdienst - ab 1. Januar 1995 Deutsche Post AG - Rechnung zu tragen und andererseits ein deutliches Signal für Wettbewerb auch im Postbereich zu setzen. ({3}) Nun hat mir heute der Kollege Dreßler - so eine Pressemeldung - Wortbruch vorgeworfen. Ich habe alle Verhandlungen im Kopf und lese auch fast täglich nach: Wir haben weder mündlich noch schriftlich vereinbart, daß wir hier einen völligen Stillstand im Liberalisierungsprozeß haben werden, sondern wir haben gesagt, wir wollen die Dinge übergangsweise regeln. Dazu stehe ich. Nachdem jetzt der Kollege Dreßler gesagt hat, es hätte sonst keine Zustimmung zur Postreform gegeben, habe ich heute im Protokoll noch einmal nachgeschaut: Der Kollege Dreßler hat sowieso dagegen gestimmt. Insofern ist natürlich seine Äußerung, was ihn persönlich betrifft, nicht besonders glaubwürdig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns in der Postreform II auf einen breiten Kompromiß verständigt. Die Dienstleistungen im Post- und Telekommunikationsbereich werden künftig nach marktwirtschaftlichen Bedingungen erbracht. Der Staat gewährleistet dabei weiterhin eine angemessene Versorgung durch die Regulierung, so daß auch die Interessen ländlicher Regionen gewahrt sind. Dieses Interesse, das von den Ländern und von den Gemeinden vorgebracht wird, ist berechtigt. Daran gibt es nichts zu deuteln. Wir sind Zeugen einer stürmischen Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft von morgen, bei der die Telekommunikation zu einer Art Schwungrad geworden ist, das den Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft antreibt. Dabei ist sie selbst eine der Branchen, die sich grundlegend wandeln. Die Sicherung der Zukunft war auch die Leitidee der Reform der drei Unternehmen der Deutschen Bundespost. Für die Stärkung des Standorts Deutschland ist eine neue Aufbruchstimmung unabdingbar. Das hat sich durch alle Reden des heutigen Nachmittags gezogen. Vielleicht hat sich mancher gewundert, daß der Postminister den ganzen Nachmittag auf der Regierungsbank gesessen hat. ({4}) Ich glaube, wir müssen in diesem Bereich von der Parzellierung der Dinge loskommen und den Gesamtzusammenhang sehen, ({5}) übrigens unabhängig davon, wie die Ressorts verteilt sind. Darauf kommt es nicht an. Ein inhaltlicher Zusammenhang ist in jedem Fall gegeben. Aber bisher haben sich zur Ressortverteilung nur einige geäußert, die nicht zuständig sind, und nicht diejenigen, die das im Endergebnis zu entscheiden haben. Regulierungen müssen dort abgebaut werden, wo sie sich als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entfaltung erweisen. Sie werden nur dort benötigt, wo unabweisbare hoheitliche Aufgaben im Interesse der Bürger angezeigt sind. Der Einzelplan 13, den wir heute einbringen, ist im Entwurf um 11,4 % gegenüber 1994 verringert worden. Das bedeutet die zweithöchste Einsparquote aller Bundesressorts. Diese Kürzung kann nur mit einem hohen Kostenbewußtsein aller Dienststellen und einer sehr genauen Ausgabenplanung bewältigt werden. ({6}) - Ob die Briefmarken billiger werden, Herr Kollege Weng? Ich garantiere: Die 1-DM-Marke wird auch in Zukunft 1 DM kosten. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Meine Damen und Herren, ich habe den Einsparungen in Anbetracht der gegenwärtigen finanzpolitischen Herausforderungen zugestimmt. Ich will aber betonen, daß für mein Haus die Grenzen für eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung jetzt wirklich deutlich sichtbar werden, und ich sage schon jetzt für die Beratungen, die zu gegebener Zeit im Haushaltsausschuß stattfinden - Herr Kollege Kolbe, falls wir uns dort möglicherweise in gleicher Funktion wie jetzt oder vielleicht umgekehrt wiedersehen -: Mehr wird nicht mehr gehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zu einem Luftfahrtforschungsprogramm auf Drucksache 12/8155. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Antrag ist abgelehnt. Bevor wir mit der Haushaltsdebatte fortfahren, kommen wir zur Beratung der Tagesordnungspunkte ohne Aussprache. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 13. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Beratung des Abschlußberichts des 3. Untersuchungsausschusses - Drucksache 12/8446 -Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({0}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Albert Pfuhl, Hans Martin Bury, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - Drucksache 12/8448 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Jungmann ({1}), Lieselott Blunck ({2}), Thea Bock und weiteren Abgeordneten: Finanzierung des Berliner Männerchors „Carl-Maria-von-Weber" - Drucksache 12/8449 - Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es erforderlich ist, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom ... zur Änderung des Notenwechsels vom 25. September 1990 zum NATO-Truppenstatut - Drucksachen 12/7980, 12/8305 Vizepräsident Hans Klein - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1994 zur Änderung des Unterzeichnungsprotokolls zum Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut - Drucksachen 12/8018, 12/8382 - ({3}) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({4}) - Drucksache 12/8322 - Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Freiherr von Schorlemer Karsten D. Voigt ({5}) Dr. Olaf Feldmann b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auflösung der Urkundenstellen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ({6}) - Drucksache 12/6967 ({7}) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({8}) - Drucksache 12/8196 - Berichterstattung: Abgeordnete Meinrad Belle Uwe Lambinus Wolfgang Lüder c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Frauen und Jugend ({9}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewaltdarstellungen in Medien - Drucksachen 12/8164, 12/8452 - Berichterstattung: Abgeordnete Margret Funke-Schmitt-Rink Claudia Nolte Wilhelm Schmidt ({10}) d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({11}) zu dem Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß ({12}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reform der Weltbank - Drucksachen 12/6168, 12/8295 - Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Matschie Dr. Christian Ruck Ingrid Walz e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Wallow, Dr. Liesel Hartenstein, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entscheidungsrichtlinien für Entwicklungsprojekte und Sektorkredite der Weltbank und anderer Entwicklungsbanken in Tropenwaldgebieten - Drucksachen 12/1646, 12/8294 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christian Ruck Hans Wallow Ingrid Walz f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zur Politik der Weltbank und deren Strukturanpassungsprogramm - Drucksachen 12/7691, 12/8293 - Berichterstattung: Abgeordnete Christoph Matschie Dr. Christian Ruck Ingrid Walz g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Hansen, Klaus-Jürgen Hedrich, Günther Klein ({16}) und weiterer Abgeordneter Ausbau der Bahnverbindung Nordseehäfen-Berlin, insbesondere des Teilabschnitts: Uelzen-Stendal - Drucksachen 12/6456, 12/8206 - Berichterstatter: Abgeordneter Horst Gibtner h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe, Gerd Poppe, Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ergänzung des Beamtenrechtsrahmengesetzes: Einheitliche Grundsätze für die Beschäftigung ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit im öffentlichen Dienst - Drucksachen 12/4002, 12/6124 - Berichterstattung: Abgeordnete Hartmut Büttner ({18}) Rolf Schwanitz Heinz-Dieter Hackel i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Wallow, Dr. Ingomar Hauchler, Dieter Heistermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Vorlage eines Gesetzes für die Gründung eines deutschen Umwelt- und Katastrophenhilfswerks ({20}) - Drucksachen 12/5045, 12/7774 -

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Heinrich Lummer Freimut Duve j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der vereinbarten Debatte zur Lage im Sudan - Drucksachen 12/6937, 12/6949, 12/8062 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Volkmar Köhler ({1}) Hans Günther Toetemeyer k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gerd Poppe, Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserung der Situation und des Status der Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien durch eine humanitäre Aufnahmepraxis - Drucksachen 12/6687, 12/8096 - Berichterstattung: Abgeordnete Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Meinrad Belle 1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. 50 Jahre Weltbank - steigende Verantwortung im Dienste einer nachhaltigen Entwicklung - Drucksache 12/8207 - m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Graf, Günther Bredehorn, Jan Oostergetelo und weiterer Abgeordneter Aufhebung des Impfverbots zur Bekämpfung der Schweinepest - Drucksache 12/8307 - n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({4}) a) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschläge für Entscheidungen des Rates über die spezifischen Programme zur Durchführung des Vierten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration ({5}) b) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an spezifischen Programmen der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, der technologischen Entwicklung und Demonstration - Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an den spezifischen Programmen der Europäischen Atomgemeinschaft im Bereich der Forschung und Ausbildung - Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Regeln für die Verbreitung der Forschungsergebnisse der spezifischen Programme der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, der technologischen Entwicklung und der Demonstration - Drucksachen 12/7741 Nr. 2.29, 12/7371 Nr. 2.15, 12/8215 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Martin Mayer ({6}) Bodo Seidenthal Jürgen Timm Zu Tagesordnungspunkt 7 a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Notenwechsel zum NATO-Truppenstatut, Drucksachen 12/7980 und 12/8305. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/8322 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist gegen eine Stimme angenommen. Weiterhin zu Tagesordnungspunkt 7 a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, Drucksachen 12/8018 und 12/8382. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/8322 Nr. 2, auch diesen Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte alle, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Eine Gegenstimme, eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zu Tagesordnungspunkt 7 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Auflösung der Urkundenstellen in den LänVizepräsident Hans Klein dern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommem, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Drucksache 12/6967. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/8196, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung: Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei einer Enthaltung angenommen. Tagesordnungspunkt 7 c: Beschlußfassung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und. F.D.P. zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewaltdarstellungen in Medien, Drucksache 12/8452 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/8164 unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einer Enthaltung angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer EG-Femsehrichtlinie zum Schutz von Minderjährigen, Drucksache 12/8452 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4325 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 d: Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Reform der Weltbank, Drucksache 12/8295. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6168 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist gegen eine Stimme bei einer Enthaltung angenommen. Tagesordnungspunkt 7 e: Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Entscheidungsrichtlinien für Entwicklungsprojekte der Weltbank, Drucksache 12/8294. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/1646 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt gegen sie? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Politik der Weltbank, Drucksache 12/8293. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der SPD auf Drucksache 12/7691 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 g: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Hansen, Klaus-Jürgen Hedrich, Günter Klein ({7}) und weiterer Abgeordneter zum Ausbau der Bahnverbindung Nordseehäfen-Berlin, insbesondere des Teilabschnitts Uelzen-Stendal, Drucksache 12/8206. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6456 für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 h: Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ergänzung des Beamtenrechtsrahmengesetzes, Drucksache 12/6124. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4002 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 i: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Vorlage eines Gesetzes für die Gründung eines deutschen Umwelt- und Katastrophenhilfswerks, Drucksache 12/7774. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5045 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 j: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Lage im Sudan, Drucksache 12/8062, erster Spiegelstrich. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6937 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Noch Tagesordnungspunkt 7j: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Lage im Sudan, Drucksache 12/8062, zweiter Spiegelstrich. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6949 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 7 k: Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verbesserung der Situation und des Status der Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, Drucksache 12/8096 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6687 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Tagesordnungspunkt 71: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Verantwortung der Weltbank, Drucksache 12/8207. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Antrag der Abgeordneten Günter Graf, Günther Bredehorn, Jan Oostergetelo und weiterer Abgeordneter zur Aufhebung des Impfverbotes zur Bekämpfung der Schweinepest, Drucksache 12/8307. Es wird vorgeschlagen, diesen Antrag an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 7 n: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu den Vorschlägen der EU im Bereich der Forschung und technologischen Entwicklung, Drucksache 12/8215. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 sowie den Zusatzpunkt 14 der Tagesordnung auf: 8. Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Wohngeldsondergesetzes und des Wohngeldgesetzes - Drucksache 12/8408 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO ZP14 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Albert Pfuhl, Hans Martin Bury, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - Drucksache 12/8448 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Jungmann ({2}), Lieselott Blunck ({3}), Thea Bock und weiteren Abgeordneten Finanzierung des Berliner Männerchores „Carl-Maria-von-Weber" - Drucksache 12/8449 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({4}) Verteidigungsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir setzen die Haushaltsdebatte fort und kommen zur Innen- und Rechtspolitik. Ich erteile dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, das Wort.

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Im Vordergrund der innenpolitischen Anstrengungen von Koalition und Regierung steht der Schutz der Barger vor Verbrechen. Die Zahl der Straftaten ist hoch, die Aufklärungsquote zu niedrig und das Sicherheitsbedürfnis der Bürger längst nicht hinreichend befriedigt. Wir stoßen auf neue Formen der Kriminalität, neue Bedrohungen, und müssen dem gerecht werden, indem wir die Handwerkszeuge des Staates der jeweiligen Gefährdungslage anpassen. ({0}): Sehr richtig!) Die Koalition und die Regierung sind sehr entschlossen, das in dieser Legislaturperiode und auch in der kommenden Legislaturperiode nachdrücklich zum wichtigsten Punkt der Innenpolitik zu machen. Dabei hat unsere Gesetzgebung auch in dieser Legislaturperiode und besonders im letzten Jahr wesentlich angesetzt. Ich nenne vor allem das noch in der Beratung befindliche Verbrechensbekämpfungsgesetz, dessen Essentials modern, unentbehrlich und wirksam sind, wenn es in Kraft tritt. Ich fordere die Opposition, die im Bundesrat eine Mehrheit hat, nachhaltig auf, dieses Gesetz in allen wichtigen Punkten passieren zu lassen. ({1}) Im einzelnen geht es um den Kampf gegen die organisierte Kriminalität durch Kronzeugenregelung, verbesserte Verfolgung der Geldwäsche, ausländerrechtliche Maßnahmen; um den Einsatz modernster Technik zur Verbrechensbekämpfung, auch durch Einbeziehung des Bundesnachrichtendienstes, verbesserte Abhörmöglichkeiten, verstärkte Grenzsicherheit; um den Schutz der Bürger vor Alltagskriminalität - wie man sie oft so banalisierend nennt -, die die Bürger am allermeisten angeht, durch beschleunigtes Verfahren, Straffung der Beweiserhebung, härtere Strafen für Körperverletzung; um die Bekämpfung politischer Gewalttätigkeit und nazistischer Umtriebe durch neue Straftatbestände und verbesserte Möglichkeiten der Verwaltungen. Es ist unbedingt notwendig, daß wir die erforderliche Gesetzgebung und die Maßnahmen der Administration von Behörden und Polizei mosaikhaft zusammenfügen. Nicht der Königsweg einer Maßnahme zur Verbesserung der inneren Sicherheit ist gefragt, sondern ein Gerüst vieler notwendiger einzelner Aspekte, die wir als Bausteine zusammensetzen. Wenn wir dieses Verbrechensbekämpfungsgesetz, zu dem wir heute acht Stunden miteinander verhandelt haben, zu einem Konsens bringen können, dann tun wir das nicht, um etwas ins Bundesgesetzblatt zu schreiben, das wie eine Blase über den anderen Maßnahmen schwebt - daran liegt uns nichts -, sondern um die Essentials dieses Gesetzes für die Verbrechensbekämpfung wirksam zu machen. ({2}) In der Substanz, in den wichtigsten Punkten muß es so bleiben, wie wir es vorgelegt haben. In Randfragen, in Formulierungsfragen sehen wir gutem Rat und der Einbringung zusätzlicher Vorschläge aufgeschlossen entgegen. Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz erreichen wir, wie schon zuvor mit dem Gesetz über das Ausländerzentralregister und dem Bundesgrenzschutzgesetz sowie zahlreichen administrativen Maßnahmen zur Arbeit des Bundesgrenzschutzes, des Bundeskriminalamtes und auch - das ist dankend anzuerkennen - der Polizeien und Sicherheitsbehörden der Länder, wesentliche Fortschritte in der Gewährleistung der inneren Sicherheit. Im Rahmen dieser Haushaltsdebatte weise ich besonders auf den Bundesgrenzschutz hin. Hier ändern sich die Aufgabenstellungen in unseren Tagen wesentlich, nicht nur vom Gesetz her, sondern auch in praxi. Grenzsicherheit ist in der Wahrnehmung durch den Bundesgrenzschutz eine entscheidend wichtige Aufgabe der deutschen Innenpolitik, nicht nur, weil es durch vielerlei Illegalität mittlerweile eine bedrükkende Kriminalität an der Grenze gibt, sondern auch weil aus illegalem Grenzübertritt illegale Arbeit oder Kriminalität im Inland wird, die wir anschließend mühselig mit Strafrecht oder Ausländerrecht bekämpfen müssen. Die Vorgänge um die Nuklearkriminalität haben bewiesen, wie grenzüberschreitende, internationale Kriminalität ständig neue Felder entdeckt und wir unter dem Aspekt von Mobilität und Informationswirklichkeit unserer Tage neue Antworten geben müssen. Den Brennpunkt unserer Vorschläge stellt dabei nicht nur die praktische Stärkung des Bundesgrenzschutzes an der Grenze durch vermehrten Personaleinsatz, sondern stellen auch härtere Strafen gegen Schleuser und eine vernetzte Zusammenarbeit mit den Polizeien unserer Nachbarländer dar. Ich darf darauf hinweisen, daß wir die Grenzschutzpräsenz wesentlich verstärkt haben, auf jetzt rund 4 600 Beamte, die vor allem an unseren östlichen Landesgrenzen tätig sind. Dazu werden weitere 1 500 kommen, die im Zusammenhang mit der Eröffnung des Terminals 2 am Frankfurter Flughafen und an den östlichen Landesgrenzen notwendig werden. Auch der verbesserte Einsatz von technischen Einrichtungen ist vorgesehen. Die Aufgriffshäufigkeit von illegal eindringenden Ausländern an der Grenze ist immer noch hoch; sie muß ganz klar sinken. ({3}) Der Etat des Bundesgrenzschutzes erhöht sich in diesem Haushalt um knapp 10 %, weit stärker als viele andere Positionen. Dafür bin ich dankbar; denn dies ist ein wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit. Wir werden beim Bundesgrenzschutz das erste Mal seit vielen Jahren im Jahre 1996 alle 29 000 Polizeivollzugsbeamten-Stellen besetzt haben und werden auch in diesem Etat die Zahl der Bundesgrenzschutz-beamten durch Neueinstellungen erhöhen. ({4}) Das ist das richtige Signal des Bundes in seiner Zuständigkeit für die Polizei, auch an die Länder. ({5}) Ich erwähne bei der Betrachtung der inneren Sicherheit das Ärgernis fortdauernder Spionage. Ich kürze ab: Wir wenden Hunderte von Millionen für unsere Nachbarn im Osten auf. Es ist ein Ärgernis, wenn als „Gegenleistung" dafür vor allem Wirtschaftsspionage wie in Zeiten des Kalten Krieges unverändert weiter betrieben wird. Das ist nicht die richtige Antwort auf unsere Bereitschaft zu freundschaftlicher Zusammenarbeit. ({6}) Ich glaube, das muß auch in den Staaten Mittel- und Osteuropas einmal nachhaltig überdacht werden. Wir haben mit der Asylpolitik einen wichtigen Beitrag für die innere Sicherheit geleistet. Das neue Gesetz greift: Die Zahl der illegalen Grenzübertreter ist ebenso wie die der Asylbewerber nachhaltig gefallen. Das ist ein großer Erfolg einer gemeinsamen, aber auch sehr streitigen Politik. Von etwa 50 000 Asylbewerbern im Oktober 1992 sind wir durch vielerlei auch administrative Maßnahmen und die erstklassige Arbeit im Bundesamt in Nürnberg auf jetzt gut 10 000 pro Monat heruntergekommen. Dies ist noch immer viel zuviel. Die Arbeit ist nicht getan, auch wenn die Anerkennungsquoten sehr gering sind. Wir müssen dafür sorgen, daß sich die Zahl der nichtberechtigten Asylbewerber weiter deutlich verringert. ({7}) Das ist auch eine Frage des allgemeinen inneren Friedens in unserem Land. Ich mache ganz deutlich, daß nach Auffassung der Bundesregierung Asyl im Rahmen unserer Verfassung für politisch Verfolgte gewährt wird. Asyl kann aber kein Einfallstor für beliebigen Zustrom von Ausländern nach Deutschland sein. Deutschland ist kein Einwanderungsland ({8}) und will mit dieser Bundesregierung auch keines werden. ({9}) Ich sehe deshalb mit Sorge auf Abschiebestoppentscheidungen sozialdemokratisch geführter Landesregierungen und weise darauf hin, wie sehr das Asylrecht in der Festigung der Grenzsicherheit, bei den Sozialhilfebestimmungen bei der Gewährung von Bar- oder Naturalunterhalt, in der Abschiebefrage und bei der Gewinnung internationalen Rückhalts für unsere Politik durch Rückübernahmeabkommen eine Einheit darstellt, die niemand an einer Stelle des vierkantigen Rahmens aufbrechen darf. Auch die Fragen der Asylproblematik werden uns also weiter beschäftigen. Ich hoffe, daß wir alle rückständigen Verfahren gegen Jahresende beim Bundesamt aufgearbeitet haben und damit zu noch schnelleren Asylüberprüfungsverfahren kommen können. Ich erwähne den Bereich der Zivilverteidigung, den wir im Sektor „innere Sicherheit" mit verstärkten Kompetenzen der Länder und wesentlicher Kostenverringerung beim Bund auf Grund der geänderten Gefährdungssituation neu ordnen werden. Darüber besteht, denke ich, weitgehend Einvernehmen. Hier reflektieren wir eine veränderte Bedrohungslage, die Gott sei Dank nicht mehr so ist wie in den Zeiten des Kalten Krieges. Zum Bereich der Innenpolitik gehören die vielfältigen Probleme der Kulturpolitik, der Aussiedler- und Flüchtlingspolitik. Dazu gehören die Fragen der Sportförderung oder des Medienwesens. Soweit sie in diesem Haushalt im Zahlenwerk zusammenkommen, stellen wir eine die neuen Aufgaben auch in den neuen Bundesländern einschließende befriedigende Regelung in der Kulturpolitik fest. Mit 690 Millionen DM werden dort sicherlich nicht alle Wünsche und Erwartungen üppig erfüllt, aber doch alle Aufgaben, die notwendig sind, wahrgenommen werden können. ({10}) Im Bereich der Aussiedlerpolitik helfen wir in Osteuropa, vor allem in Rußland, weiterhin mit hohen Beträgen, um die Menschen dort ansässig zu halten, wo sie jetzt leben. Mit besonderer Befriedigung stellen wir zugleich fest, daß die Koalition ihr Versprechen zur Zahlung der 4 000 DM an die Heimatvertriebenen in den neuen Bundesländern auf Grund des neuen Gesetzes erfüllen kann.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, Sie sind ein gutes Stück über die vereinbarte Redezeit hinaus.

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Ich stelle eine Minute fest und bin dankbar für die Großzügigkeit, Herr Präsident. Die Darstellung der Innenpolitik, eines zentralen Aspekts des Interesses unserer Mitbürger, in den mir zugebilligten zehn Minuten ist eine Schwierigkeit. ({0}) Ich schließe deshalb ab mit dem Hinweis auf die hohen Förderbeträge dieses Haushalts für den Sport, einen wesentlichen Teilaspekt meiner Zuständigkeit, in dem wir knapp doppelt soviel zur Förderung des Leistungssports aufwenden wie vor der deutschen Wiedervereinigung. Mit diesem Haushalt sind die wichtigsten Anliegen des Innenministers auch im Jahre 1995 lösbar. Das allerwichtigste ist aber, daß wir unsere Mitbürger durch eine entschlossene Politik im Bereich der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Bekämpfung von Straftaten von der Effizienz des demokratischen Staates überzeugen. Das werden wir unbeirrt weiter tun. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Gerd Wartenberg.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, das, was Sie eben vorgetragen haben, war ja eine richtige „Vision" zur inneren Sicherheit und Zukunft des inneren Friedens in der Bundesrepublik Deutschland. Ich glaube aber, man muß von einem Innenminister in der jetzigen Situation etwas mehr erwarten als nur die buchhalterische Aufzählung von ein paar Einzelmaßnahmen. ({0}) Bei aller Wertschätzung auch für die gewisse Ruhe, die Sie in die Debatte hineingebracht haben, die in der Innenpolitik manchmal sehr schwierig zu erreichen war, ein kleines bißchen mehr hätten Sie wohl auf die gesamtgesellschaftlichen Probleme eingehen können. ({1}) Meine Damen und Herren, zwölf Jahre Regierung Kohl, vier verschiedene Innenminister - wer erinnert sich noch an Herrn Zimmermann, dann Herr Schäuble, dann das merkwürdige Zwischenspiel von Herrn Seiters? Und jetzt Herr Kanther: Man kann nur sagen, von Minister zu Minister sind die Konzepte zur inneren Sicherheit nicht gerade überzeugender geworden, im Gegenteil. ({2}) Es ist eher die Situation eingetreten, daß immer wieder, wenn aktuelle Schwierigkeiten und Probleme da waren, Aktionismus angesagt war und in der Öffentlichkeit dann der Eindruck suggeriert wurde, als ob die SPD - manchmal war es auch die F.D.P. - sinnvolle Maßnahmen verhindern würde. Nur, meine Damen und Herren, Sie regieren wirklich seit zwölf Jahren, und die Probleme, die wir heute haben, sind unter Ihrer Regierung entstanden. ({3}) Davon werden Sie sich nicht wegschleichen, davor werden Sie sich nicht wegdrücken können. Das ist wohl die Grundvoraussetzung auch einer innenpolitischen Debatte. Es ist festzustellen, daß 1981, also ein Jahr, bevor Sie die Regierung übernommen haben, vier Millionen Straftaten gezählt wurden. ({4}) In diesem Jahr sind es 6,8 Millionen Straftaten. Man erinnere sich an das große Getöse bei der Regierungsübernahme damals - Wertbindung, neue Werte sollten der Gesellschaft eingepflanzt werden. Nicht nur im technischen Bereich sollte die Kriminalität eingedämmt werden, sondern innerhalb unserer Gesellschaft sollte ein neues Gefühl für unsere Werteordnung hergestellt werden. ({5}) Genau das Gegenteil ist eingetreten. Das heißt, es gibt nicht nur im gesetzgeberischen Bereich, sondern eben auch im ethisch-moralischen Bereich ein Versagen dieser Bundesregierung. ({6}) Gerd Wartenberg ({7}) Meine Damen und Herren, diesen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen, ({8}) weil Sie die Entwicklung der Kriminalität, so, wie wir sie leider in den letzten Jahren vorgefunden haben, nicht verleugnen können. Die Reduzierung der Innenpolitik auf einige Gesetze, auf Verschärfung einiger Bestimmungen ist auch für einen Innenminister zu wenig. ({9}) Die Hauptursachen für dramatische Schwierigkeiten in unserer Gesellschaft sind nach wie vor die drastische Verschlechterung des wirtschaftlichen und sozialen Umfeldes, die dramatische Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die Infragestellung sozialer Einrichtungen, die durch verfehlte Wohnungsbaupolitik ständig steigende Obdachlosigkeit - übrigens auch bei Jugendlichen. ({10}) - Gehen Sie heute in die Großstädte und gucken Sie sich das an! Die zunehmende Gewaltbereitschaft ist auch durch diese Entwicklung gekennzeichnet. ({11}) Hinzu kommt weiterhin, daß diese Bundesregierung eine wirksame Integrationspolitik gegenüber den bei uns lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern bis heute zielstrebig verhindert hat. Ich werde das auch an einigen Punkten belegen. Meine Damen und Herren, wo der Erfolg der Maßstab an sich ist, wo als Lebensziel vorgegeben wird, daß jemand notfalls auch unter Mißachtung der Gesetze die schnelle Million macht und sich dann in den Ruhestand begibt, in einer Gesellschaft, wo bewundert wird, wer sich durchsetzt, wo die Frage nach der moralischen Qualität der Erfolgreichen erst dann gestellt wird, wenn sie stürzen, in einer Gesellschaft, wo es ein Kavaliersdelikt ist, den Staat zu betrügen und Millionen Steuern zu hinterziehen und Subventionen zu erschleichen, in einer Gesellschaft, in der nach Ihrer Ansicht Wirtschaftskriminalität offensichtlich überhaupt nicht vorzukommen scheint, in einer solchen Gesellschaft muß man sich nicht wundern, daß Entsolidarisierung eintritt und junge Menschen positive Werte wie Solidarität und Mitmenschlichkeit nur noch begrenzt erleben und damit auch nicht mehr nachahmen oder nachvollziehen können. Das ist eigentlich der Kern, den man diskutieren muß, wenn man die friedliche Entwicklung einer Gesellschaft erreichen will und auch Wege aus dem Dilemma, in dem wir uns heute befinden, finden will. ({12}) Es ist schon heuchlerisch, daß sich diejenigen, die es gegen allen Widerstand der SPD, der Kirchen und vieler sozialer Organisationen überhaupt nicht abwarten konnten, die totale Privatisierung und Kommerzialisierung im Medienbereich einzuführen, heute über die Gewaltdarstellung im Fernsehen beklagen, als ob dies nicht alles bekannt und absehbar gewesen wäre. ({13}) Aber heute ist es doch wohl so, daß man zufrieden ist, wenn Hofberichterstattung über den Bundeskanzler in diesen Schutt eingebettet ist. Dies sehen wir an einigen Privatsendern. Das Niveau kommt wohl gerade auch für diese Hofberichterstattung zupaß. ({14}) Meine Damen und Herren, gescheitert ist auch Ihre verbohrte Drogenpolitik, die von den konservativen Zielvorstellungen allein einer repressiven Ordnungspolitik unter Demonstration von exekutiver Potenz gekennzeichnet ist. Die Folgen dieser verfehlten Politik sind offensichtlich. So stieg während Ihrer Regierungszeit die Zahl der Erstkonsumenten harter Drogen von jährlich 4 500 auf 13 000, die Zahl der Rauschgifttoten von 363 auf 1 738. Das sind Fakten, die eigentlich auch Sie dazu zwingen müßten, zu überdenken, ob die Politikansätze, die Sie in diesen Bereichen verfolgen, sinnvoll, erfolgreich und richtig sind. Sie können sich nicht einfach hinstellen und diese Zahlen und diese Entwicklungen ignorieren. ({15}) Eine wirksame Prävention und auch gewisse Änderungen im Strafrecht sind wahrscheinlich sehr viel sinnvoller, als das fortzuführen, was erfolglos jetzt zehn bis fünfzehn Jahre lang in der Bundesrepublik gemacht worden ist. Meine Damen und Herren, Sie haben im Verbrechensbekämpfungsgesetz in der Tat ein Sammelsurium von Vorschriften zusammengefaßt. Einige davon - das hatte die Sozialdemokratie schon bei der Debatte, als das Gesetz eingebracht wurde, deutlich gemacht - sind sinnvoll. Als ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität ist es geradezu lachhaft. ({16}) Der Vermittlungsausschuß wird darüber noch verhandeln. Ich hoffe, daß Sie bereit sind, den Vorstellungen der Sozialdemokraten - in weiten Bereichen, in denen das Gesetz sinnvoll ist, stimmen wir mit Ihnen überein - in den Bereichen, in denen das Gesetz absolut unmöglich ist, entgegenzukommen und zu einem vernünftigen Kompromiß zu finden. Trotzdem ist dieser Kompromiß alles andere als ein überzeugendes Konzept zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. ({17}) Sie reden so viel davon, daß wir bei der Bekämpfung der Kriminalität neue Instrumente haben müssen. Das ist wohl richtig. Aber Sie sind nicht einmal in der Lage, ein überkommenes Instrument so zu modernisieren, daß es den heutigen Anforderungen gerecht wird. Seit Dezember 1983 ist die Novellierung des Bundeskri21338 Gerd Wartenberg ({18}) minalamtsgesetzes überfällig. Elf Jahre lang sind Sie nicht in der Lage gewesen, hier etwas zu machen. Noch im Juni haben Sie, Herr Kanther, im Ausschuß vollmundig gesagt, Sie würden dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zuleiten, und Ihre Fraktion war sehr beleidigt, als ich Ihnen etwas lax sagte, Sie hätten wohl nicht alle Tassen im Schrank. Die Tassen sind nicht in den Schrank zurückgekommen; Sie haben es nicht geschafft. Das heißt, elf Jahre sind vergangen und auch der vierte Innenminister der CDU-Regierung ist nicht in der Lage, eine gesetzliche Grundlage für das Bundeskriminalamt zu schaffen. Das führt beispielsweise dazu, daß das Verwaltungsgericht Wiesbaden das BKA verpflichtet hat, personenbezogene Daten von Straftätern zu vernichten, da keine ausreichende gesetzliche Grundlage für deren Speicherung und Verarbeitung mehr vorhanden ist. Ich meine, wenn die Gerichte jetzt schon sagen, daß das alles unhaltbar ist, was dort gemacht wird - das ist nicht unbedingt in unserem Sinne, weil es natürlich sinnvoll ist, wenn es eine gesetzlich zulässige Speicherung der Daten von Straftätern gibt -, dann ist das allerdings ein Alarmzeichen. Sie können leider - Sie sind ja nicht darauf eingegangen - nicht bestreiten, daß Sie es zwölf Jahre lang nicht geschafft haben, das Bundeskriminalamt mit einer vernünftigen, modernen gesetzlichen Grundlage auszustatten. Herr Marschewski hat im Frühjahr noch eine pathetische Presseerklärung abgegeben, daß nun das BKA-Gesetz fertig sei. Resultat ist, daß wieder nichts dabei herausgekommen ist. ({19}) Es ist das übliche Theater: Erwartungen werden geweckt; sie werden nicht erfüllt, und dann wundert man sich, wenn das Rechtsbewußtsein der Bürger abnimmt und die Unsicherheit in der Bevölkerung steigt. Meine Damen und Herren, ein anderes Feld der Innenpolitik ist die Ausländerpolitik, die Asylpolitik. Das ist eines der schwierigsten Felder innerhalb jeder Gesellschaft in Europa im Augenblick. Das Dilemma der Konservativen ist, daß sie einerseits in der Öffentlichkeit zur Selbstdarstellung immer wieder Abwehrhaltungen künstlich schaffen müssen, andererseits versuchen müssen, objektiv Möglichkeiten zu finden, mit einem Problem umzugehen, das sich ja nicht von selbst auflöst. ({20}) Ich will es an einem Beispiel sehr deutlich machen. Die nach wie vor völlig unzureichenden Regelungen der Einbürgerung von Ausländern sind eine schwere Belastung und Hypothek für die Zukunft. ({21}) Wir sind im Augenblick die einzige westeuropäische Gesellschaft, die es nicht schafft, Ausländern, die 20 Jahre hier leben oder die hier geboren sind, einen automatischen Anspruch auf Einbürgerung nach dem Territorialprinzip zu geben. Sie dürfen sich nicht wundern, wenn das sogenannte „Ausländerproblem" zu einem Dauerproblem wird, wenn die Menschen in diesem Land keine Chance bekommen, sich daran zu gewöhnen, daß Deutsche auch anders aussehen können. In anderen Ländern gibt es längst Regelungen. Ich halte dieses Defizit für fast die gefährlichste Entwicklung innerhalb unserer Gesellschaft. ({22}) Wenn wir es nicht schaffen, Menschen, die zu ihren Heimatländern fast keine Beziehungen mehr haben, häufig die Sprache des Heimatlandes nicht einmal mehr kennen, weiterhin formal als Ausländer zu deklarieren. Wenn wir es nicht schaffen, in unserer Gesellschaft das Verständnis dafür zu wecken und die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, daß diese Menschen eben Deutsche sind, ({23}) wenn auch ihre Vorfahren eine andere Herkunft haben, dann wird die Situation in unserer Gesellschaft nicht einfacher, im Gegenteil: In Krisensituationen können die Spannungen dadurch steigen. ({24}) Dieses ist für mich eines der wichtigsten Themen, das dringendst - ich bitte Sie, darüber nachzudenken - in der nächsten Legislaturperiode - ich hoffe, mit neuen Mehrheiten - nun endlich vernünftig gelöst wird. ({25}) Ich möchte noch zum Bereich des Asylrechtes einen Punkt sagen. Der Asylkompromiß wird noch in vielen Bereichen bewertet werden müssen. Eines ist nach wie vor ein Mangel - da gebe ich, das muß ich leider sagen, nicht nur dem Bund, sondern auch den Ländern Mitverantwortung -, nämlich die fehlende Bürgerkriegsregelung. Das ist ein Skandal, der nach wie vor scharf kritisiert werden muß. ({26}) Ich stimme zu, daß wir mit umstrittenen Regelungen Anstrengungen unternommen haben, die Asylbewerberzahlen zu senken. Wenn ich mir die Zahlen anschaue, ist der Anteil derjenigen, die eigentlich in eine Bürgerkriegsregelung hineingehören, immer noch sehr hoch. Das heißt, hier ist ein Ziel nicht erreicht worden, das wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Dieses wird wegen einer Finanzierungsregel blockiert. ({27}) - Und vom Bund. Beide müssen sich daran beteiligen; man kann es nicht der einen oder der anderen Seite zuschieben. Gerd Wartenberg ({28}) Ein weiterer Schwerpunkt der Innenpolitik ist der Bereich des öffentlichen Dienstes. Dieser Bereich kommt meistens zu kurz. Nur eines wissen wir: daß unsere Rechtsgrundlagen für das Beamtentum, für die Gesamtstruktur des Öffentlichen Dienstes heute nicht mehr ausreichen, um eine moderne, leistungsfähige und sich wandelnde Gesellschaft auf Dauer in Betrieb zu halten, sie zu reformieren und zu entwickeln. In zwölf Jahren hat die Bundesregierung fast überhaupt nichts auf diesem Sektor gemacht. Der Perspektivbericht, der jetzt vorgelegt worden ist, ist geradezu ein Hohn. Ich weiß, wie schwierig es ist, hier auch gegenüber Interessengruppen die Wahrheit zu sagen. Aber eine Gesellschaft, die dabei stehen bleibt, und ein Gesetzgeber, der nur bei einzelnen schwierigen Bereichen Feuerwehr spielt, werden nicht dazu beitragen, daß die Leistungen, die vom öffentlichen Bereich, vom öffentlichen Dienst, erwartet werden, erbracht werden und gleichzeitig auch noch kostengünstig sind. Deswegen muß der nächste Bundestag den Mut haben, gerade diesen Bereich der Verkrustung des Öffentlichen Dienstes anzugehen. Jeder weiß, was allein im Bereich der Pensionsverpflichtungen in den nächsten zehn Jahren auf die Länder zukommt. Wahrscheinlich werden einige Länder daran pleite gehen. Wer das länger unter den Teppich kehrt, der wird in zehn Jahren einen Knall erleben. Diejenigen, die das dann ausbaden müssen, wer immer das sein mag,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Wartenberg, Ihre Redezeit ist um.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- werden kaum noch Handlungsspielräume haben, um eine sinnvolle Lösung zu schaffen. Auch dies ist ein Problem, und zwar ein viel dramatischeres Problem, als in der Öffentlichkeit bisher diskutiert worden ist, das von dieser Bundesregierung auch aus opportunistischen Gründen unter den Teppich gekehrt wird. Es nützt nichts, auf Beamtentagen oder sonstwo freundliche Reden zu halten, sondern hier ist wirklich Reformeifer und eine Vorstellung, wie der öffentliche Dienstleistungsbereich in einer zukunftsorientierten Gesellschaft strukturiert werden soll, gefragt. Recht herzlichen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen. Ich muß das zwischendurch immer wieder sagen. Wenn ich den Rednern sage: Die Redezeit ist um, dann ist nach unserer Geschäftsordnung noch ein Satz möglich. Wenn aber zwei, drei Minuten überzogen werden, dann geht das immer auf Kosten der Kollegen der eigenen Fraktion. Bei Ihnen war es nur eine Minute, Herr Wartenberg. Es geht auf Kosten der eigenen Fraktion, dann müssen die nächsten eben kürzer reden. Ich handle immer im Sinne der Kollegen. Mir macht es keinen Spaß, einen Redner mitten im Fluß zu unterbrechen. Ich erteile dem Kollegen Johannes Gerster das Wort.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man den Worten des Herrn Wartenberg gefolgt ist, weiß man, daß an der Zunahme der Kriminalität zwölf Jahre Regierung Helmut Kohl Schuld ist. Herr Wartenberg, so einfach ist die Welt bei schlichten Gemütern. Sie wissen sehr genau, daß für den Vollzug der inneren Sicherheit zunächst einmal die Länder zuständig sind. Sie regieren in elf Bundesländern. An den Polizeibeamten kann man es plastisch deutlich machen: Der Bund hat 25 000 BGS-Beamte, die Länder 200 000. Das heißt, alles, was Sie an Vollzugsdefiziten hier geltend machen, müssen Sie nach dem Heinemannschen Satz so sehen: Sie zeigen auf die Regierung Kohl, richten aber vier Finger zurück auf die SPD, die in den Ländern mehrheitlich regiert. So ist die Wahrheit, und nicht anders. ({0}) Zweiter Punkt: Der Bund ist natürlich für die Gesetzgebung zuständig. Sie wissen sehr wohl, daß es in der Gesetzgebung die größten Probleme, wenn es auf neue Bedürfnisse Antworten zu finden gilt, gerade bei den Sozialdemokraten gibt. Sie wissen, daß wir bis zur Stunde um das Verbrechensbekämpfungsgesetz ringen. Da nützen spitze Worte und große Gesten nichts, da geht es um Fakten. Die Wahrheit ist, daß wir durch die Zunahme der offenen Grenzen immer mehr organisiertes Verbrechen, immer mehr Waffenschiebereien, immer mehr Rauschgifthandel, ja Handel bis hin zu so gefährlichen Materialien wie Plutonium haben. Meine Damen, meine Herren, halten Sie sich das einmal vor Augen. Ich muß mich zurückhalten, weil ich Mitglied der PKK, nicht der Organisation, die Bomben wirft, sondern der Parlamentarischen Kontrollkommission, bin. Man muß sich vor Augen halten: Sie, Herr Wartenberg, wissen genau, daß z. B. der Bundesnachrichtendienst Erkenntnisse, Zufallserkenntnisse über Waffenschiebereien, über Rauschgifthandel und über organisiertes Verbrechen, die er im Ausland gewinnt, nicht einmal an Polizeivollzugsbeamte oder an die Staatsanwaltschaft weitergeben kann, um diesen Großgangstern internationalen Ausmaßes das Handwerk legen zu können. Man stelle sich einmal vor: Ein Privatmann, der von einem Verbrechen Kenntnis erhält und der Polizei keine Mitteilung macht, macht sich strafbar, und eine staatliche Behörde, die von schwersten Verbrechen Kenntnis bekommt, darf dieses Wissen nicht weitergeben, sonst macht sie sich strafbar. Sie sind doch die Sicherheitsblockade in der inneren Gesetzgebung, in der Gesetzgebung gegen Verbrechen. ({1}) Dann treten Sie hier hin und spitzen den Mund. Meine Damen, meine Herren, so kann man mit uns nicht umgehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gerster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. de With und eine des Kollegen Graf?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum nicht. Fangen wir einmal mit Herrn de With an.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerster, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß im Hinblick auf das, was Sie soeben gesagt haben - es fällt unter die Rubrik Kinkel-Erlaß -, von uns seit zwei Jahren gefordert wird, es möge verschwinden? Wir haben die Bundesregierung vergeblich ein Jahr lang aufgefordert, eine Vorlage vorzulegen. Sie kam dazu erst am 18. Februar dieses Jahres. Wir haben immer gefordert, daß die Zufallsfunde verwertet werden müssen. Daran kann es keinen Zweifel geben.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr de With, jetzt geben Sie sich erst einmal einen Ruck, und stimmen Sie heute nacht im Vermittlungsausschuß dem Verbrechensbekämpfungsgesetz und der Erweiterung der Kompetenzen des BND zu. Dann reden wir morgen weiter. Die Wahrheit ist, daß Sie seit Monaten mit der Mehrheit des Bundesrates dieses Gesetz und eine Erweiterung der Kompetenzen der Nachrichtendienste unmöglich machen. Das ist die reine Wahrheit. Nehmen Sie das zur Kenntnis. Jetzt dürfen Sie sich wieder hinsetzen. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat doch keinen Sinn, wenn hier immer wieder Lippenbekenntnisse abgegeben werden. Ich will Ihren hier einige Alternativen vorhalten. Erstens. Sie fordern ständig die Stärkung der inneren Sicherheit. Aber es ist doch die reine Wahrheit, daß Sie seit Monaten das Gesetz, das mehr Sicherheit schaffen soll, das Verbrechensbekämpfungsgesetz, blockieren. ({1}) Zweitens. Sie fordern eine stärkere Bekämpfung der organisierten Kriminalität; aber ein praktikabler Einsatz von technischer Aufklärung wird abgelehnt. Obwohl wir sämtliche Sicherheitsvorkehrungen - ob Gerichtsentscheidungen oder Parlamentarische Kontrollkommission - anbieten, sind Sie nach wie vor dagegen, den Einsatz technischer Mittel zu ermöglichen. Meine Damen, meine Herren, natürlich sind wir das Land der Gestapo, und ein Teil unseres Landes ist das Lend der Stasi. Wir sollten mit Abhörmaßnahmen sehr vorsichtig umgehen. Wenn als Alternative nach einer gerichtliche Entscheidung oder einer Entscheidung der Parlamentarischen Kontrollkommission die Frage ansteht: „Hat in Deutschland eigentlich das Interesse von Großgangstern, ihre Intimsphäre zu wahren, Vorrang vor dem Interesse der Bevölkerung, vor diesen Großgangstern geschützt zu werden, die unser Volk mit immer mehr organisierter Kriminalität kaputtmachen?", ({2}) dann sagen wir: Der Schutz der Bevölkerung hat Vorrang. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. ({3}) Drittens. Auch nach Auffassung der SPD muß die Drogensucht stärker bekämpft werden. In der Realität verfolgen Sie aber in den Ländern eine Liberalisierung der Drogenpolitik, eine Liberalisierung des Drogenkonsums nach dem Motto: „Freie Fahrt für Drogen". Meine Damen, meine Herren, ich kann doch die Drogen nicht bekämpfen, indem ich den Drogenkonsum von Strafe freistelle. Ich muß doch gerade das Strafwürdigkeitsurteil des Gesetzes einsetzen, um Jugendliche vor Drogenkonsum zu schützen. ({4}) Viertens. Natürlich sieht auch die SPD die Gefahren, die für unser Land und die übrige Welt vom kriminellen Handel mit Waffen ausgehen. Den verstärkten Einsatz des Bundesnachrichtendienstes im Ausland gegen das organisierte Verbrechen lehnen Sie aber weiterhin ab. Fünftens. Konkrete Vorfälle aus jüngster Zeit belegen, daß wir alle zunehmend kriminellen Machenschaften beim Umgang mit nuklearem Material ausgesetzt sind. Trotz der Gefahren, die nicht nur zu nationalen, sondern auch internationalen Katastrophen führen können, verschließen Sie die Augen und qualifizieren aktives Eingreifen als Wahlkampfaktionen der Sicherheitsdienste ab. Auch das ist heute nachmittag wieder eindeutig von einem Ihrer Parteifreunde, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes ist, klargestellt worden: Es gibt keinen künstlichen Markt durch die Nachrichtendienste, sondern es gibt einen tatsächlichen Angebotsmarkt und einen Nachfragemarkt für nukleares Material. Also hören Sie endlich auf, hier mit falschen Angaben die Öffentlichkeit zu irritieren! Es ist eine Gefahr, und gegen diese Gefahr müssen wir gemeinsam vorgehen. ({5}) Meine Damen, meine Herren, eine solche Politik ist und bleibt verantwortungslos. ({6}) Sie ist eine Gefahr für die Freiheit, für Leib und Leben unserer Mitbürger. Nicht falsch verstandener Liberalismus, sondern realitätsbezogene Anwendung des Rechtsstaatsprinzips schützt die Sicherheit der Bürger und sichert den inneren Frieden. Gefordert sind daher: Erstens. Rechtsstaatliche Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Wir dürfen und können keine rechtsfreien Räume dulden, weder - wie unter Ihrer Verantwortung - über Jahrzehnte in der Hafenstraße und - ich sage das ausdrücklich ({7}) auch nicht beim sogenannten Kirchenasyl,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gerster, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen, Johannes Gerster ({0}) ({1}): Aber mit Freuden, Herr Präsident.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

- weil ich unter dem Eindruck stehe, daß man normalerweise mit dem Gesicht zum Redner zuhört, wenn man im Parlament sitzt. Nun hat man auch einmal etwas zu seinem Hintermann zu sagen. Aber wenn es dann längere Zeit dauert, Herr Kollege Struck, kommt der Verdacht auf, Sie hören mit dem falschen Körperteil zu. ({0})

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Der Kollege Struck war heute Mittag in der PKK anwesend, als er eine Lehrstunde durch den BND-Präsidenten Porzner bekommen hat. ({0}) Er dreht sich um, weil er sich schämt, wenn ich das sage. Er darf das von mir aus gern machen. ({1}) - Das ist keine Lüge. Das ist die Wahrheit. Meine Damen, meine Herren, zweiter Punkt: Wir müssen Verbrechen bekämpfen, statt Kriminalität zur verharmlosen. Wir haben ein erhebliches Ahndungsdefizit. Meine Damen, meine Herren, diese Ahndungsdefizite müssen überwunden werden. Das kann aber nicht dadurch geschehen, wie Sie das von der SPD verlangen, daß das Opportunitätsprinzip der Strafverfolgung weiter ausgedehnt wird, also Straftaten folgenlos bleiben, sondern es muß durch eine Intensivierung der Arbeit vor Ort geschehen. Hier bin ich der Meinung, meine Damen, meine Herren, sollten wir wirklich einmal ernsthaft überlegen. Der Kollege Schäuble, andere und auch ich selbst machen Ihnen seit Monaten Angebote, wie wir die Präsenz der Polizei vor Ort verstärken können. Dies betrifft z. B. die Frage, wie wir den Bundesgrenzschutz an den Grenzen möglicherweise durch den Einsatz von einzelnen Bundeswehreinheiten entlasten können. ({2}) Es geht darum, die Polizei durch zusätzliches Hilfspersonal zu entlasten und von Verwaltungsaufgaben zu befreien, wie das z. B. die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern versuchen. Sie sollten endlich aufhören, draußen im Land immer mehr Polizei zu verlangen, dann da, wo Sie regieren, keine einzige Planstelle mehr herzugeben, aber auf der anderen Seite Hilfsmöglichkeiten auf andere Weise auszuschließen. Wir brauchen mehr Polizei vor Ort in den Ländern, und zwar aus dem einfachen Grund, weil ein Land, in dem sich die ältere Dame bei Dunkelheit nicht in die S-Bahn oder in die U-Bahn oder an den Hauptbahnhof wagt, ein Stück Freiheitsdefizit hat. Das heißt: Innere Sicherheit ist die Voraussetzung für die Freiheit, und hier sollten Sie nicht mit dem Mund pfeifen, sondern hier sollten Sie mit handeln. ({3}) Dritter Punkt: Das internationale Verbrechen kann auch nur auf internationaler Basis dauerhaft wirksam bekämpft werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Kollege Graf möchte gerne eine Frage stellen.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf den Gedanken zu Ende sagen. Mit der Einrichtung von Europol in Den Haag ist ein Anfang gemacht. Es kommt in Zukunft darauf an, die Kompetenzen dieses Amtes zu stärken. Natürlich ist dieses Amt auch einer vernünftigen parlamentarischen Kontrolle durch das Europäische Parlament zu unterstellen. Nur international schlagkräftige Institutionen wie Europol werden aber auf Dauer in der Lage sein, das international organisierte Verbrechen auch international wirkungsvoll zu bekämpfen. Bitte schön, Herr Kollege Graf.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerster, Sie sprachen soeben davon, daß sich die alte Frau in der U-Bahn oder im Bahnhof nicht mehr sicher fühlt. Meine Frage an Sie: Der Bundesgrenzschutz ist für die Sicherheit auf den Bahnhöfen zuständig. Können Sie mir erklären, warum immer mehr private Sicherheitsdienste die Aufgaben, für die der Bund zuständig ist, auf diesen Bahnhöfen übernehmen? ({0})

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich Ihnen sehr genau beantworten. Weil Länder, die von der SPD regiert sind, wie das Saarland, wie Bremen und wie Niedersachsen ihre Bereitschaftspolizeien abgebaut haben, mußte der Bundesgrenzschutz zunehmend in diesem Sicherheitsbereich tätig werden. ({0}) Sie sind mitverantwortlich, daß der Bundesgrenzschutz immer mehr Einsatzreserve bei Großdemonstrationen, bei großen Gewaltaktionen und bei großen Sportveranstaltungen sein muß. Das heißt: Die von Ihnen regierten Länder tragen Verantwortung, daß der Bundesgrenzschutz immer mehr als Bereitschaftspolizei und Hilfsorganisation in den Ländern eingesetzt werden muß und für solche Aufgaben fehlt. Genau Sie tragen dafür die Verantwortung. ({1}).

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Graf möchte noch eine Frage stellen. - Bitte sehr!

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerster, das, was Sie ausgeführt haben, zeigt mir ganz eindeutig, daß Sie im Grunde genommen von den tatsächlichen Problemen nichts wissen; denn der Schutz an den Bahnhöfen war Aufgabe der früheren Bahnpolizei, und diese Aufgaben sind einzig und allein auf den Bundesgrenzschutz übergegangen. Sie waren noch nie im Zuständigkeitsbereich -

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Graf, können Sie das in eine Frage kleiden? ({0})

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerster, sind Sie bereit, sich zu informieren, um die Aussagen, die Sie heute fälschlicherweise getroffen haben, bei einer der nächsten Gelegenheiten zu korrigieren?

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Graf, ich bin immer bereit zu lernen; aber Ihr Versuch, in Ihrer Zwischenfrage etwas Falsches zusammenzuziehen, war ungeeignet. Wir können uns gern unterhalten. Ich bin lernfähig. Ich hoffe, Sie werden das in Zukunft auch sein. Dann machen Sie endlich bei unseren Gesetzen mit. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich versuchen, einen weiteren Bereich anzusprechen. Ich meine, man sollte in einer Haushaltsdebatte zum Etat des Innenministers auch einige Sätze zum Zivil- und Katastrophenschutz sagen. Natürlich, Herr Innenminister - wir sind Ihnen dankbar -, muß in einer veränderten Sicherheitslage, was die äußere Sicherheit angeht, auch der Zivil- und Katastrophenschutz überprüft werden. Die Realität zeigt aber, daß sich seine Institution und Organisationen nicht überlebt haben. Der beispielhafte und weltweit anerkannte Einsatz des Technischen Hilfswerks und anderer Organisationen gerade in jüngster Zeit wieder in Ruanda zeigt, daß sich ständig neue Aufgaben stellen, auch wenn sich alte Aufgaben ändern. Der Einsatz des THW in Ruanda und in anderen wirklich von Krisen erschütterten Regionen der Welt für Menschen in Not beweist, daß das Technische Hilfswerk unverzichtbar ist. Wenn es daher darum geht, Neuorientierungen zu setzen, muß dies mit Sorgfalt und Augenmaß geschehen. Der Bund sollte zügig ein ziviles Hilfskorps schaffen. Dieses sollte auf der bewährten Einrichtung des Technischen Hilfswerks gründen und darauf aufgebaut werden. Ich meine, daß es hier eine lohnende Aufgabe gibt, Vorsorge für Menschen in Not in aller Welt zu treffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich konnte, auch mit Rücksicht auf meine Kollegen, nur einige wenige Gesichtspunkte ansprechen. ({1}) Ich bin der Meinung, daß auch die nächste Wahlperiode die innere Sicherheit gerade auch wegen der sich verändernden Welt, wegen der Öffnung der Grenzen, wegen der Zunahme der organisierten Verbrechen, aber auch wegen einer Veränderung der Wertorientierung unserer Gesellschaft zu einem besonderen Schwerpunktthema machen muß. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach äußerer Sicherheit. Sie haben ein Bedürfnis nach sozialer Sicherheit. Sie haben ein Bedürfnis nach ökologischer Sicherheit. Aber sie haben auch ein Bedürfnis nach innerer Sicherheit. Hier muß, meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was in dieser Wahlperiode grundgelegt ist, nämlich eine Reihe von Gesetzen für die innere Sicherheit, weitergeführt werden. Ich danke dem Innenminister und seinen Mitarbeitern, den Staatssekretären, dafür, daß sie in dieser Aufgabe in dieser Wahlperiode - das gilt auch für die Vorgänger; das gilt auch für Rudolf Seiters und Wolfgang Schäuble - gute und hervorragende Arbeit geleistet haben. Meine Damen, meine Herren, die Sozialdemokraten sind aufgerufen, sich den Vorstellungen der Union, aber auch der F.D.P. anzuschließen. Lassen Sie mich, da ich zum Ende dieser Wahlperiode aus dem Bundestag ausscheide, Ihnen zugleich allen danken. Ich war für Sie nie ein bequemer Diskutant. Dennoch glaube ich, daß ich mit Ihnen zusammen - auch mit vielen von den Sozialdemokraten - im Gegensatz zu den derzeitigen Auseinandersetzungen manches leisten konnte. Es war schön in diesem Bundestag. Liebe Kollegen Wartenberg, Bernrath, Penner und wie Sie alle heißen, wir haben uns trotz allem wenigstens in Teilbereichen zusammengerauft. Ich verlasse den Bundestag freudigen Herzens, um in eineinhalb Jahren als Ministerpräsident auf diese Bank zurückzukehren. Schönen Dank! ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich auch nur sieben Minuten habe, möchte ich zunächst dem Kollegen Gerster herzlich für die jahrelange Zusammenarbeit in diesem Hause danken. ({0}) Ich hoffe, daß wir sie fortsetzen können, und zwar unabhängig davon, ob er als Ministerpräsident oder vielleicht auch nur als einfacher Abgeordneter zu uns zurückkehrt. Unsere parlamentarischen Gegner behaupten, die Liberalen hätten ihre innenpolitischen Grundsätze aufgegeben. Unsere parlamentarischen Partner wünschten, es wäre so. Beide täuschen sich. Wir halten unbeirrt an unseren liberalen Grundsätzen fest, übrigens auch unbeirrt von manchen teilweise doch recht groben Angriffen in diesen Tagen auf die Justizministerin, die in ihrer liberalen Haltung vorbildlich ist und unseren Dank, unsere Anerkennung und unsere Zustimmung hat. ({1}) Liberale Innenpolitik heißt Freiheit von Bevormundung und Gängelung, Freiheit von engstirnigem Nationalismus, Achtung vor der Individualität des Menschen. Das heißt Minderheiten nicht assimilieren, sondern sie akzeptieren. Jeder Bürger hat Anspruch auf Sicherheit. Aber dafür brauchen wir nicht ständig neue Gesetze, sonDr. Burkhard Hirsch denn die konsequente Anwendung der beschlossenen. ({2}) In einem Staat, der zu viele Gesetze hat, werden auch zu viele Gesetze gebrochen. Achtung vor der Privatsphäre des Bürgers, weil die Mißachtung der Privatsphäre ein untrügliches Kennzeichen totalitärer Staaten ist. ({3}) Mehr Publizität für die Dienste, auch in ihrem eigenen Interesse. Liberale Innenpolitik heißt auch Beschränkung des Staates auf das Notwendige, die Begrenzung seiner Macht. Da gibt es keinen Paradigmenwechsel, wie das schöne Fremdwort heißt, denn nur der Inhaber der Macht glaubt und behauptet, sie könne nicht mißbraucht werden. Letzten Endes beruht die Sicherheit eines Staates nicht auf seiner Macht und Herrlichkeit, sondern auf der Zustimmung seiner Bürger. ({4}) Die Bürger haben 1989 nicht gerufen: Wir sind der Staat!, sondern: Wir sind das Volk! Was bedeutet das in der Wirklichkeit? Ich glaube, daß die größte Gefährdung der inneren Sicherheit und des inneren Konsenses in unserem Staat in der Fremdenfeindlichkeit, im Rassenhaß und im Antisemitismus liegt. ({5}) Eine brennende Synagoge, die Ermordung von Ausländern, nur weil sie Ausländer sind, die Treibjagd auf Schwarze zerstört nicht nur das in Jahrzehnten mühsam erworbene Vertrauen des Auslands, es ist vor allem eine Bedrohung unserer eigenen Gesellschaft, unserer Friedensfähigkeit, unseres politischen Schicksals. Dabei geht es nicht nur um die Brandstifter, die ihre eigenen ungelösten sozialen und persönlichen Probleme auf Sündenböcke abwälzen, sondern vor allem um ihre Hintermänner, die Biedermänner, die Wegseher, die Schlaumeier, die sich fremdenfeindliche Vokabeln aneignen. Darum ist ein Teil des Verbrechensbekämpfungsgesetzes - bei dem ich den Eindruck habe, daß sich die Sozialdemokraten im Vermittlungsausschuß auf uns zu bewegen - von elementarer Bedeutung, nämlich da, wo es sich gegen neofaschistische Umtriebe bis hin zur Auschwitzlüge richtet. Darum werden wir auch den Stillstand der Integration der Ausländer nicht länger hinnehmen, ihre stillschweigende Diskriminierung in vielen Bereichen des täglichen Lebens, die Verschleppung der notwendigen Novellierung des Ausländerrechtes, gerade im Zusammenhang mit den Familien. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir zwar den Rechtsanspruch hier geborener Kinder auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durchgesetzt haben, aber es müßte möglich sein, uns den großzügigen Regelungen aller unserer westlichen Nachbarn anzupassen, die in dieser Frage sehr viel weitergehen als wir. ({6}) Zum Asylrecht. Wir hören viel von der elektronischen Absperrung unserer Grenze, die notwendig ist. Ich wünschte, wir würden uns mehr um die Ursachen der Flucht auf dieser Welt kümmern. ({7}) Ich denke, daß wir uns auch um die unwürdige Behandlung der Abschiebehäftlinge und um die Sonderstellung der Bürgerkriegsflüchtlinge kümmern müssen, die wir ja vereinbart hatten. Sicherheit ist ein Anspruch des Bürgers. Er hat einen Anspruch auf wirksame Kriminalitätsbekämpfung. Dazu ist es völlig sinnlos, Herr Kollege Wartenberg, Bund und Länder gegeneinander ausspielen zu wollen. Beide müssen zusammenarbeiten. Ich denke, daß der Bundestag in seiner Gesetzgebungskompetenz sowohl mit dem Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität als auch mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eine außerordentliche Fülle von Neuregelungen eingeführt und verwirklicht hat wie in keiner anderen Legislaturperiode vor uns. ({8}) Nun wird es Zeit, dieses Instrumentarium in der Wirklichkeit zu erproben und es nicht novellieren zu wollen, ehe wir wissen, welche Wirkungen diese gesetzlichen Bestimmungen entfalten. Aber wir sagen, wir wollen keine Vermischung von Nachrichtendiensten und Polizei. Wir denken nicht daran, die Bundeswehr im Inland einzusetzen, und wir wollen keine polizeiliche Bürgerwehr. Wir brauchen keine Laienschauspieler, sondern ausgebildete Beamte. ({9}) Ich bin der Überzeugung, daß eine föderale Polizei, die wirklichkeitsnah arbeitet, außerordentlich leistungsfähig ist. Wir appellieren an die Länder, nachdem der Bund in hervorragender Weise die Stärke des BGS aufgefüllt hat, nun endlich auch die Besoldung und Laufbahnregelung in den Ländern und die dortige Polizeistärke in Ordnung zu bringen, die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn in Ost und West drastisch zu verbessern - der Zustand von Europol ist ein Trauerspiel -, die Ausbildung und die Binnenmobilität der Polizeien zu verbessern und endlich auch Ausländer in die Polizei aufzunehmen, damit dieses Defizit in den Ermittlungsmöglichkeiten endlich ausgeräumt wird. Zur inneren Verwaltung. Wir begrüßen den Perspektivbericht. Er ist ein wichtiger Schritt vorwärts. Aber wir brauchen entschlossene Initiativen zur Delegierung der Verantwortung, zur Vereinfachung und Harmonisierung von Verwaltungsvorschriften und zum Abbau überflüssiger Formalitäten. Wer gute Mitarbeiter haben will, muß sie anständig bezahlen. ({10}) Wir wollen das Berufsbeamtentum erhalten. Darum dürfen wir unsere Mitarbeiter nicht von der allgemei21344 nen Tarifentwicklung abkoppeln - es ist unfair, das zu wiederholen. Aber wir müssen auch die andere Seite der Medaille deutlich nennen. Die Immobilität, die Frühpensionierung und der Vorruhestand können nicht mehr akzeptiert werden, weil sie jedes Besoldungs- und Versorgungssystem sprengen und nicht mehr bezahlbar sind. ({11}) Wer dem Staat lebenslänglich dienen will, muß das dort tun, wo er gebraucht wird. Und wer seine Arbeit nicht mehr verrichten kann, muß eine andere aufnehmen, die für ihn zumutbar ist. Diese Zumutbarkeitsgrenze muß neu bestimmt werden. Ich hätte gerne noch ein paar Worte über die Kulturförderung gesagt. Ich glaube, daß wir ganz besondere Aufmerksamkeit auf die Kulturförderung in den neuen Bundesländern richten müssen. ({12}) Wer dort herumfährt,- sich das ansieht und feststellt, was dort zerstört wird und verfällt, muß zu dem Schluß kommen, meine Kollegen: Es ist nicht zu verantworten. Es ist unser eigenes Erbe. Es ist nicht etwas, was wir geschenkt bekommen haben. Es ist unsere eigene Geschichte in einer unverwechselbaren Weise. Ich wünschte, wir könnten uns gemeinsam entschließen, in diesem Bereich mehr zu tun, noch mehr, als bis jetzt im Haushalt vorgesehen ist. ({13}) Der Haushalt des kommenden Jahres ist eine Herausforderung. Ohne Liberale wird die Bundesrepublik sie nicht bestehen, ohne Schaden zu nehmen. Es wäre eine andere Republik. ({14})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter Professor Dr. Uwe-Jens Heuer, Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich bewegen am Ende der Legislaturperiode drei große Defizite auf dem Gebiet der Rechtspolitik, aber auch der Gesellschaftspolitik, von deren Langzeitwirkung ich Schlimmes für dieses Land befürchte. Das erste Defizit hat sich in dem Urteil des Mannheimer Landgerichts gegen den NPD-Vorsitzenden Deckert geäußert. Es hat in der Öffentlichkeit eine heftige Urteilsschelte gegeben. Die Kollegen Hirsch und Gerster haben immerhin die Vermutung geäußert, es stimme vielleicht etwas mit der Richterauswahl und der Richtersozialisation nicht. Das ist sicher richtig. Wie konnte sich ein Richter Orlet in der deutschen Justiz halten, der dieses Urteil formuliert hat und es ausdrücklich als Parallele zum Hitler-Urteil nach dessen Putsch im November 1923 sieht, wie wir gestern in der „Süddeutschen Zeitung" lesen konnten, in dem Hitler dessen uneigennütziges Handeln mildernd angerechnet worden sei? Herr Deckert sieht das genauso. Aber gibt es nicht darüber hinaus noch wichtige Ursachen, die dieses Urteil ermöglicht haben? Ist nicht eine Ursache die völlig ungenügende Auseinandersetzung der bundesdeutschen Justiz mit der Nazi-Justiz? Inzwischen gibt es nun auch, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, Entscheidungen von Rehabilitierungssenaten, die nach § 1 Abs. 1 des Strafrechtsrehabilitierungsgesetzes Urteile gegen ehemalige Nazi-Aktivisten, die in der DDR verurteilt worden waren, aufheben und diesen Haftentschädigung zugestehen. Lassen Sie mich zwei Fälle nennen. Ein junger Neonazi, der in der DDR wegen des Tragens einer Hakenkreuzbinde und Zeigens des Hitler-Grußes zu einem Jahr und acht Monaten Haftstrafe verurteilt worden war, wurde rehabilitiert und entschädigt. Ein sächsischer Geschäftsmann, Mitglied der NSDAP, der jüdisches Vermögen zu seinen Gunsten arisiert hatte und nach der Kontrollratsdirektive 38 verurteilt worden war, wurde rehabilitiert, und die angeblich unbekannten Abkömmlinge des rehabilitierten Nazis werden wieder in die Eigentumsrechte des Rehabilitierten eingesetzt. Wenn dies sich fortsetzt, wäre es die Abwicklung der juristischen Auseinandersetzung mit dem Nazifaschismus in der DDR durch importierte Westrichter. Das mag, wie Sie sagen, verordneter Antifaschismus gewesen sein, aber immerhin Antifaschismus. Das würde dann auch genau in der Richtung des DeckertUrteils liegen. Ich frage weiter: Könnte nicht eine Vergangenheit, in der der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze zur rechten Hand des Bundeskanzlers gemacht und ein Herr Maunz zum führenden Verfassungskommentator wurde, ein solches Urteil mit gefördert haben? Ich sehe aber auch heute Stimmungen, die immer mehr geäußert werden, die sich in dieser Richtung entwickeln und in dieser Richtung wirken. Hat nicht das ständige Aufrechnen von Taten der einen Seite im Zweiten Weltkrieg gegen die Taten der anderen Seite zu genau den Vorstellungen geführt, wie sie auch im Urteil des Mannheimer Landgerichts stehen? Dort heißt es, es sei eine Tatsache, daß Deutschland auch heute noch, rund 50 Jahre nach Kriegsende, weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller Art aus der Judenverfolgung ausgesetzt sei, während die Massenverbrechen anderer Völker ungesühnt blieben. Bundeskanzler Kohl hat bei der Verabschiedung der russischen Truppen in Berlin gesagt, es dürfe auch nicht vergessen werden, was russische Soldaten den Deutschen angetan hätten. Mit solchen Äußerungen wird suggeriert, das Konto sei irgendwie ausgeglichen. Als ob die Rote Armee aus unbekannten Gründen und irgendwie überraschend in Deutschland aufgetaucht wäre, als ob auch nur einer deutschen Frau von Soldaten der Roten Armee etwas angetan worden wäre ohne den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion! Mir wird doch angst und bange, wenn jetzt immer wieder gesagt wird, nun sei Deutschland wieder ein ganz normales Land. Deutschland sei nun erwachsen, hieß es im Zusammenhang mit der Entscheidung des Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 241. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. September ? 994 21345 Bundesverfassungsgerichts zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Dazu scheint es offenbar zu gehören, daß man bewaffnet in der Welt herumläuft. Das zweite rechtspolitische Defizit ist nach wie vor die Eigentumsfrage. Selbst der meiner Partei wirklich nicht nahestehende sächsische Justizminister Heitmann hat in einem von der FAZ am 2. September dokumentierten Vortrag erklärt, er halte die Grundentscheidung „Rückgabe vor Entschädigung" inzwischen für grundsätzlich falsch. Ich kann dem nur zustimmen. Bei allen Veränderungen und Verbesserungen, die es zweifellos bei der Arbeit am Sachenrechtsänderungs-, Schuldrechtsänderungs- sowie Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz gegeben hat - nicht zuletzt unter dem Druck der Wahlen -: Diese Grundentscheidung, gegen die auch die SPD nicht konsequent vorgegangen ist, die von allen vier Parteien getragen wurde, wird noch auf Jahre, wenn nicht für Generationen die Herstellung der inneren Einheit behindern, wenn nicht verhindern. Der Druck der Wähler hat die F.D.P. veranlaßt, unmittelbar vor den Europawahlen in der Eigentumsfrage einige Zugeständnisse zu machen - zu spät, wenn ich ihre Wahlergebnisse in Ostdeutschland betrachte. Schließlich - drittens - gehört zu den herausragenden Versäumnissen der abgelaufenen Legislaturperiode, die die Vollendung der inneren Einheit bisher verhindert haben, das Scheitern der Verfassungsreform. Wir haben darüber schon heute mittag gesprochen. Daß es den Ostdeutschen verweigert wurde, an der Schaffung einer gesamtdeutschen Verfassung teilzunehmen - diese muß am Ende ja nicht so aussehen wie unser Entwurf oder der Entwurf des Runden Tisches; aber es muß etwas sein, was die Ostdeutschen als Eigenes annehmen können -, könnte die offene Wunde am Körper der Nation mit Langzeitwirkung sein. Gestatten Sie mir als ehemaligem Rechtshistoriker eine historische Überlegung. Die ganze bisherige Entwicklung im allgemeinen und in der Verfassungsfrage im besonderen nach dem Beitritt der ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik erinnert in vielem an das Verhältnis Elsaß-Lothringens zum Deutschen Reich nach 1871. Zu den Parallelen gehören: Hier wie dort gab es Deutsche, die über einen längeren Zeitraum ein gewisses soziales Eigenleben geführt hatten. Die Deutschen in Elsaß-Lothringen und die in Ostdeutschland wollten in ihrer Mehrheit den deutschen Nationalstaat. „Wir sind ein Volk" hätte auch die Losung in Straßburg sein können. Hier wie dort wurde eine Verfassung übertragen, nämlich damals die des Norddeutschen Bundes von 1859 mit einigen Änderungen auf die süddeutschen Staaten und dann auch auf Elsaß-Lothringen und jetzt das Grundgesetz mit einigen Änderungen auf die ostdeutschen Länder. Aber während die süddeutschen Staaten am deutschen Verfassungsgeschehen, wie unglücklich es auch gelaufen war, immerhin geistig beteiligt waren, waren die Elsaß-Lothringer es keineswegs. Ebenso ging es den Ostdeutschen mit der 40jährigen Verfassungsentwicklung der Bundesrepublik. Darm setzten hier wie dort die Enttäuschungen ein. Die Deutschen in Elsaß-Lothringen, die ihr Deutschtum unter den gewiß nicht leichten Bedingungen des zentralistischen Frankreich verteidigt und gehofft hatten, im Deutschen Reich nun zu Hause zu sein, sahen sich zurückgestoßen, gedemütigt, abgewertet und einem tiefen Mißtrauen ausgesetzt. Es setzte ein wirtschaftlicher Niedergang ein, weil die rheinische Industrie dank ihrer guten Marktkenntnisse und ihrer Beziehung zur politischen Führung des Reiches vor allem die lothringische Montanindustrie vom Markt verdrängen konnte. Die Universität Straßburg wurde von den Professoren, die als Republikaner und Französlinge verdächtig waren, gesäubert. Kaiser Wilhelm hielt dort schlimme Reden, die ihm nirgendwo sonst unterlaufen sind. Noch im Ersten Weltkrieg wurden die Rekruten aus Elsaß-Lothringen ausschließlich an der Ostfront eingesetzt. Man tat sich schwer mit der Bezeichnung des neu gewonnenen Gebietes und fand den offiziellen Begriff der „Reichslande", was es sonst nirgendwo in Deutschland als Territorialbezeichnung gab. Heute spricht man von „Beitrittsgebiet" oder „jungen Bundeslandern", was z. B. für Thüringen und Sachsen ausgesprochen komisch anmutet. Eine Verfassung erhielt Elsaß-Lothringen erst 1911 in Form eines Reichsgesetzes, erlassen vom Reichstag und natürlich ohne Beteiligung der Elsässer und Lothringer. Damals bürgerte sich der Ausdruck „Wackes" ein. Ein Rekrut war beispielsweise gezwungen worden, sich bei seinem Offizier mit dem Ausdruck zu melden: „Ich bin ein Wackes". Alle Parallelen zu heute stehen Ihnen sicher vor dem inneren Auge, ich brauche sie nicht im einzelnen zu benennen. Viele Ostdeutsche, die im Jahre 1990 diesen einheitlichen deutschen Staat wollten, die auch bereit waren, mit ihrem Verhalten in der Vergangenheit kritisch umzugehen, und die jedenfalls loyale Bürger dieser Bundesrepublik sein wollten, sehen sich zurückgestoßen, ihre Lebensleistung geleugnet. Vieles, was sie reinen Herzens für ihr rechtmäßiges Eigentum halten konnten, gilt nun als unrechtmäßig erworben und geht ihnen verloren. Die Ausschaltung ostdeutscher Betriebe wird durch ähnliche Kombinationen bewirkt wie seinerzeit in Elsaß-Lothringen. Arnulf Baring spricht von den Ostdeutschen als den deutschsprechenden Polen, die alle als Persönlichkeiten irgendwie verzwergt wären. Der Bundeskanzler hatte bisher nie von rot lackierten Faschisten gesprochen. In Frankfurt an der Oder, in Ostdeutschland, tat er es jetzt zum erstenmal. ({0}) Daß dies keine Entgleisung, sondern eine wohlkalkulierte Diffamierung eines politischen Gegners ist, zeigt die Tatsache, daß Herr Schäuble diesen von Kurt Schumacher im Kalten Krieg geprägten Kampfbegriff in einem Brief an die Abgeordneten seiner Fraktion als Bezeichnung für die PDS ausgegeben hat. Hier geht es um die totale Dämonisierung einer Partei, bei der 60 % der Ostdeutschen davon ausgehen, daß es sich um eine demokratische Partei handelt. Ähnliche Ausdrücke hat noch kein Regierungsmitglied etwa in bezug auf die Republikaner oder die NPD gefunden. Das ist offenbar die vom Kanzler in seiner Rede zum 20. Juli gefundene „moralische Trennlinie zwischen Anstand und Ruchlosigkeit". Demokratische Sozialisten gehören offenbar zu den Ruchlosen, die man - so als ob es kein Strafrecht gäbe - beliebig mit Völkermördern vergleichen kann. Es ist dann nur ein kleiner Schritt bis zur Mordhetze wie sie der stellvertretende Chefredakteur des ZDF auf einer Tagung der Hanns-Seidel-Stiftung mit der Äußerung betrieb, es hätten in den Jahren 1989 und 1990 in der DDR 400 Leute an die Laterne gehört -„Main-Echo" vom 24. August 1994. Meine Damen und Herren, es ist offenbar, daß sich ein Teil der Deutschen in diesem Nationalstaat Bundesrepublik Deutschland nicht so recht zu Hause fühlt - und zwar keineswegs nur die ehemaligen Staatsnahen. Sicher gibt es keine Autonomiebewegung. Die Gefahr der Abtrennung ist nicht eben groß. Um aber diesen Entwicklungen entgegenzutreten, müßte neben vielen Maßnahmen ökonomischer, sozialer und psychologischer Art auch ein Weg auf dem Gebiet der Verfassungsgebung und Gesetzgebung gefunden werden. „Gleiche Rechte für die Ostdeutschen" bleibt als Hypothek für die kommende Legislaturperiode. Das betrifft weite Bereiche: vom Rentenstrafrecht über die politische Verfolgung und über eine Amnestie bis zu einer Realisierung des Art. 146 des Grundgesetzes. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Konrad Weiß, Sie haben das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentrales Thema der ostdeutschen Bürgerbewegung, die durch die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag vertreten ist, war und ist die Menschenrechtspolitik in unserem Lande. Was hat der erste gesamtdeutsche Bundestag in diesen Fragen erreicht? Wie ist es heute in Deutschland um Recht und Demokratie bestellt? ({0}) - Nein! Die Antwort gibt keinen Anlaß zur Zufriedenheit. Die Menschenrechtssituation in Deutschland ist vier Jahre nach dem Tag der deutschen Einheit unbefriedigend. Gewalttätige Übergriffe gegen Ausländer oder Behinderte gehören zum deutschen Alltag. Wir alle haben das immer wieder und oft auch in großer Gemeinsamkeit beklagt. Aber es ist uns ebensowenig wie den Regierungen in Bund und Ländern gelungen, wirkungsvoll dagegen vorzugehen. Ich hoffe, daß es auch der künftige Deutsche Bundestag als seine zentrale Aufgabe ansieht, wirksame Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu suchen. Dazu gehört es in erster Linie, die juristischen Grundlagen gegen die Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern durch eine angemessenere Form des Staatsbürger- und Einwanderungsrechts zu schaffen. Es ist ebensowichtig, die Politik der Abschottung gegen Verfolgte und Menschen in Not zu revidieren. Der Tag, an dem eine Mehrheit aus CDU/CSU und Teilen von SPD und F.D.P. Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte, ci der dunkelste Tag in der Geschichte dieses 12. Deutschen Bundestages. Die demagogischen Argumente der Asyldebatte haben ganz ohne Zweifel zur Wiederbelebung nationalistischer und antisemitischer Vorurteile beigetragen. Daß wiederholt deutsche Polizisten tatenlos dem Treiben rechtsradikaler Verbrecher zugesehen haben, daß deutsche Richter rechtsradikale Mörder und Räuber mit Samthandschuhen anfassen, ({1}) daß es nicht gelingt, gegen Radikale im Vorfeld wirkungsvoll vorzugehen, das muß alle Demokraten besorgt und unruhig machen. - Lieber Herr Kollege Marschewski, das passiert eben leider nicht nur einmal, sondern ist in Deutschland leider die Regel geworden. ({2}) Und ist es nicht beschämend, mit welcher Freundlichkeit ein Mannheimer Richter einen Rechtsradikalen be- statt verurteilt oder wenn ungehindert nationalistisches, antisemitisches und radikales Schriftgut über das öffentliche Netz der Telekom vertrieben wird, ohne daß sich ein Staatsanwalt in Deutschland bemüßigt sieht, dagegen vorzugehen? Ich bin überzeugt, daß diese Haltung des Wegsehens, des Schweigens oder der stummen Zustimmung auch durch uns, die Politiker, mit gefördert worden ist. Die Überlegungen zu einem Kerneuropa, die soeben aus der CDU/CSU-Fraktion öffentlich geworden sind, sind symptomatisch dafür. Was um alles in der Welt treibt Kollegen aus der CDU dazu, Deutschland und die Deutschen als etwas Besseres zu betrachten als andere Nationen? Wir, die Bürgerbewegung des Herbstes 1989, sind in die deutsche Einheit gegangen mit dem Vorsatz, das vereinte Deutschland solle ein Land neben anderen sein - neben, nicht über und nicht unter anderen Völkern, wie Brecht es gesagt hat. Es ist meine tiefe Überzeugung, daß unser Land und unser Volk nur so, nur in dieser weisen Selbstbeschränkung, überleben kann. Alles Streben, das Deutschland eine Sonderrolle zuschreiben will, betrachte ich mit äußerster Sorge und äußerstem Mißtrauen. Konrad Weiß ({3}) Ich komme zu einem zweiten Schwerpunkt der Innen- und Rechtspolitik, dem Umgang mit der Kriminalität. Die diversen Innenminister der Kohl-Regierung haben es nicht vermocht, den Schutz der Menschen vor Kriminalität zu verbessern. Statt ernsthaft über wirkungsvolle Korrekturen des kriminalpolitischen Kurses nachzudenken, versucht die Bundesregierung, sich die gestiegene Verbrechensfurcht zunutze zu machen und damit weitere restriktive Maßnahmen zu rechtfertigen. Als Abgeordneter weiß ich, wieviel Menschen tatsächlich in Sorge vor Verbrechen und Verbrechern leben. Natürlich haben wir diese Sorgen und Ängste ernst zu nehmen. Aber ich finde es verwerflich, sie zur Durchsetzung eigener innenpolitischer Vorstellungen zu instrumentalisieren, wie das von der CDU/CSU und leider teilweise auch von der SPD immer wieder getan wurde und getan wird. Gerade die Verhütung von Kriminalität ist von der Bundesregierung seit Jahren ignoriert worden, obwohl z. B. die Polizeiführungsakademien und die Spitze des Bundeskriminalamts in diesem Bereich seit langem energische Anstöße fordern. Das gilt vor allem für die soziale Prävention. Kriminalität ist immer das Produkt eines gestörten sozialen Milieus. Hier muß der Gesetzgeber und müssen Bund und Länder aktiv werden. Statt dessen sind in den zurückliegenden vier Jahren soziale Grundrechte weiter abgebaut worden. Der wichtigste Beitrag zur Verbrechensbekämpfung ist meines Erachtens eine energische und konsequente Politik gegen die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen. Allheilmittel für diese Bundesregierung aber schien es zu sein, die Probleme auszusitzen oder nach neuen Gesetzen zu rufen, nach dem großen Lauschangriff oder dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. Gegen die organisierte Kriminalität helfen derartige neue Befugnisse wenig. Mehr Transparenz und die radikale Entfilzung von Politik, Wirtschaft und Verwaltung sind unerläßlich. Leider hat sich auch die SPD mit dem großen Lauschangriff angefreundet und verlangt sogar unter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung eine Vermögensbeschlagnahme auf bloßen Verdacht. Nach Überzeugung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sind solche Repressivmaßnahmen und Eingriffe in die Bürgerrechte, wie sie die CDU etwa mit dem neuen Polizeigesetz in Sachsen praktiziert, gänzlich ungeeignet. Wir haben vielfältige Vorschläge zum Opferschutz und zum Täter-Opfer-Ausgleich vorgelegt, die die Bundestagsmehrheit leider abgelehnt hat. Gestatten Sie mir ein persönliches Resümee als jemand, der am Sturz des SED-Regimes mitgewirkt und die Burger- und Menschenrechte in den Mittelpunkt seiner politischen Arbeit als Abgeordneter gestellt hat. Es ist für mich bitter, meine Damen und Herren, festzustellen, daß das wiedervereinigte Deutschland unter der Last der CDU/CSU-F.D.P.Regierung nicht bereit war, das wertvollste Erbe des DDR-Widerstandes aufzunehmen, den Ausbau der Bürgerrechte und die Einführung direktdemokratischer Beteiligung. ({4}) Ebenso schmerzlich war es für mich, immer und immer wieder die Unfähigkeit der SPD zur Opposition zu erleben. Ich frage mich: Wie will eine Partei Regierungsverantwortung übernehmen, die immer wieder den Verführungskünsten und Versprechen der Regierung erlegen und so zum Werkzeug der Kohl-Regierung geworden ist? Ich bedaure, daß dieser Deutsche Bundestag nicht die Kraft zu einer wirklichen Verfassungsreform hatte und nicht den Mut, das Grundgesetz endlich vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschließen zu lassen, wie es Art. 146 verlangt. ({5}) Auch der Umgang mit den Opfern der realsozialistischen Diktatur ist für mich unbefriedigend. Alles dreht sich um die Rückgabe verlorenen Eigentums oder die Entschädigung dafür. Jene Menschen aber, die in Bautzen oder in anderen Gefängnissen gesessen haben, die Berufsverbote hatten und deren Kinder nicht studieren durften, haben das Nachsehen. Die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze sind insgesamt völlig unzureichend und halbherzig. Für die Bundesregierung ist anscheinend bei der Entschädigung der Verlust eines Ackers oder eines Waldstücks schwerwiegender als der Verlust der persönlichen Freiheit. Zu dieser Verkürzung des Materiellen passen auch so manche Urteile oberster Bundesgerichte zugunsten ehemaliger Stasitäter. Dazu paßt, daß offenbar bei Anwaltszulassungen heute so mancher Geldschein die Überprüfung der Vergangenheit außer Kraft setzt. Wer in Thüringen in die Hilfskasse der Anwälte zahlt, wird auch dann zum Anwaltsberuf zugelassen, wenn er früher Mandanten bespitzelt hat. Ich halte das für einen Skandal. Zu dieser politischen Unkultur paßt die merkwürdige Karriere des CDU-Politikers Günther Krause, der für seine Kompromißbereitschaft bei den Einigungsverhandlungen mit einem Ministeramt belohnt wurde, inzwischen Besitzer einer Bank und Mitglied im Aufsichtsrat der IG Farben ist, wo er offenbar seine im Amt erlangten Kenntnisse profitabel vermarkten kann. ({6}) Dazu paßt die Duldsamkeit der CDU gegenüber rechts- und linksradikalen Mitgliedern. Wie lange hat es gedauert, bis der rechtsradikale Bundestagsabgeordnete Krause offen das Lager gewechselt hat! Herr Diestel in Brandenburg kann ungehindert von anderen christlichen Demokraten mit der PDS poussieren, sich als „Präsident der Ostdeutschen" von Genossen und Blockgenossen hofieren lassen und Bürgerrechtlerinnen wie Bärbel Bohley und Vera Wollenberger ungestraft beschimpfen und ihnen antisemitische Beweggründe unterstellen, nur weil sie Konrad Weiß ({7}) eindeutig gegen die PDS aufgetreten sind. Auch das ist ein Skandal. Zur politischen Unkultur gehört aber auch die peinliche und unterwürfige Solidarität von manchen in der SPD und bei den GRÜNEN mit dem Ministerpräsidenten Stolpe, dessen eigenmächtiges und selbstherrliches Kollaborieren mit dem Staatssicherheitsdienst inzwischen doch außer Frage steht. Meine Damen und Herren, eines der meistgebrauchten Worte in der vergangenen Legislaturperiode war das von der Politikverdrossenheit, die - das ist tragisch - eigentlich Demokratieverdrossenheit ist. Beispiele, wie ich sie eben genannt habe, haben ihren Teil dazu beigetragen. Wir alle haben uns zu fragen, inwieweit wir dem Vorschub geleistet haben. Ich bedaure, daß es nur unzulänglich gelungen ist, den Menschen in Ostdeutschland die Wertvorstellungen von Freiheit und Demokratie, von der zivilen Bürgergesellschaft zu vermitteln. Statt dessen fallen viel zu viele wieder auf aie verlogenen demagogischen Argumente der PDS herein. Das Erstarken der PDS zeugt auch von der Schwäche der demokratischen Parteien. ({8}) - Nein, die PDS ist keine demokratische Partei. Das, meine Damen und Herren, muß für uns alle Anlaß zur Sorge und zum Nachdenken sein. Ich danke Ihnen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Innenpolitik dieser Bundesregierung ist ein Glücksfall für unser Land. ({0}) Es ist uns gelungen, die innenpolitischen Herausforderungen zu meistern. Erstens. Unserem Einsatz ist es zu verdanken, Frau Kollegin Sonntag, daß das Asylproblem nach über zehnjährigem Ringen endgültig gelöst wurde. ({1}) - Sie hätten zustimmen sollen, dann hätten wir es natürlich noch eher gelöst. Die Zahl der Asylbewerber hat sich um mehr als zwei Drittel reduziert. Tatsächlich Verfolgte genießen weiterhin Schutz. Dies beweist natürlich auch die steigende Anerkennungsquote. Ich meine, die mitunter sehr unsachliche Kritik an der Novellierung des Asylrechts war und ist unberechtigt. Deutschland gewährt weiterhin politisch Verfolgten großzügig Asyl. Wir haben darüber hinaus 400 000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen - mehr als alle Länder Europas zusammen. ({2}) Aber wir müssen trotz dieser erfreulichen Entwicklung auch in Zukunft vorbereitet bleiben. Deswegen müssen wir den gegenwärtigen Leistungsstand des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erhalten. Ein überstürzter Personalabbau in Nürnberg wäre daher unverständlich. Aber nicht nur im Asylbereich, sondern auch bei der Bekämpfung von Gewalt und Kriminalität haben wir deutliche Erfolge erzielt. Wichtige Gesetzesvorhaben konnten umgesetzt werden: Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben wir den Gangstern den Kampf angesagt. ({3}) Sie haben im Bundestag leider nicht zugestimmt, meine Damen und Herren von der SPD. Mit dem Geldwäschegesetz haben wir die Banken in die Pflicht genommen, bei der Aufklärung von Geldwäsche zu helfen. Mit dem Bundesgrenzschutzgesetz werden wir eine entscheidende Grundlage für eine effektive Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität insbesondere gegenüber Schleppern und Schleusern, schaffen. Wir haben hier im Deutschen Bundestag das Verbrechensbekämpfungsgesetz beschlossen, gegen Gewalt, gegen Rechts- und Linksradikalismus Herr Kollege Weiß, und gegen organisierte Kriminalität. ({4}) Die SPD hat dieses Gesetz bisher nicht akzeptiert. Ihre Haltung ist für die Menschen dieses Landes nicht nachvollziehbar. Wir brauchen zur Abwehr des Verbrechens den Bundesnachrichtendienst. ({5}) Wir brauchen die Kronzeugenregelung. ({6}) Wir brauchen Hauptverhandlungshaft und beschleunigte Verfahren sowie erweiterte Befugnisse gegen Geldwäsche, Herr Kollege Heuer, schon deswegen, um im Bereich der Vereinigungs- und Regierungskriminalität gegen diese Gangster vorgehen zu können. ({7}) Ich hoffe, daß nach der heutigen, der sechsten oder siebten Sitzung eine Einigung möglich ist. Ich sage noch einmal: Die Bürger unseres Landes würden das ansonsten nicht verstehen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich spreche in diesem Zusammenhang gerade das BND-Gesetz an. Es ist keine Schande, Herr Kollege de With, etwas nicht zu wissen. Es wäre aber eine Schande, in diesem Irrtum oder Nichtwissen zu verharren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich. Bitte schön, Herr Professor.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Marschewski, Sie haben mich eben angeguckt und meinen Namen im Zusammenhang mit der Regierungs- und Vereinigungskriminalität genannt. Erstens würde ich gerne wissen, welchen Zusammenhang Sie zwischen mir persönlich und der Regierungs- und Vereinigungskriminaliät sehen. Zum zweiten möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht sehen wollen, daß ich wie Sie konsequent gegen die Vereinigungskriminalität bin. Im übrigen betrifft das West- und Ostdeutsche, wobei die Westdeutschen wegen der längeren Erfahrung oft eine führende Rolle gespielt haben. Hinsichtlich der Regierungskriminalität gibt es allerdings erhebliche Meinungsdifferenzen zwischen uns.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für diese Fragen. Das Problem ist, daß Sie, die PDS, die Nachfolgeorganisation der SED darstellen - das sagen Sie ja auch selbst - und daß von dieser SED diese Verbrechen begangen worden sind, Herr Professor Heuer. Aber das wissen Sie ganz genau. ({0}) - Bitte schön.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen uns und der Vereinigungskriminalität? Das ist doch absurd.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist nicht absurd, da gerade die SED diese Verbrechen begangen hat. Wir müssen die entsprechenden Gesetze, z. B. das Geldwäschegesetz, ändern, um diese Leute ergreifen und sie einem gerechten Urteil zuführen zu können. Das sollten gerade Sie, Herr Professor Heuer, als Nachfolger dieser Organisation unterstützen. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Kriminalitätsentwicklung zeigt auf Grund der von uns verabschiedeten Maßnahmen seit kurzem eine leichte Entspannung. Es kann aber keine Entwarnung gegeben werden. Es wäre verantwortungslos, in den Anstrengungen zur Bekämpfung von Gewalt und Kriminalität nachzulassen. Wir müssen deswegen alle Bereiche der Kriminalität - die organisierte Kriminalität, die Massenkriminalität und die Drogenkriminalität - noch wirksamer bekämpfen. Deswegen fordern wir den Einsatz technischer Mittel in Gangsterwohnungen und den erweiterten Einsatz verdeckter Ermittler. Wir fordern größere Strafrahmen beim Wohnungseinbruch sowie eine höhere Bestrafung von Drogendealern. Was die Drogenabhängigen betrifft, Herr Kollege Wartenberg, so füge ich hinzu: Wir müssen diesen Menschen stärker als bisher eine Chance geben, mit Hilfe eines differenzierten Therapieangebotes ein Leben ohne Drogen zu führen. Das ist unsere Absicht. ({1}) Ob dies allerdings, Herr Kollege Wartenberg, durch die Entscheidungen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erreicht wird, ist die Frage. Es kann doch nicht sein, harte Drogen in einem großen Bundesland wie Nordrhein-Westfalen freizugeben. Das führt in die Irre, meine Damen und Herren. ({2}) Lieber Kollege Wartenberg, Links- und Rechtsextremismus - da sind wir uns sicherlich einig - sind eine Krebsgeschwulst unserer Demokratie. Deswegen werden wir neben Information und Aufklärung die intensive Beobachtung und Verfolgung von Extremisten auch durch erweiterte Befugnisse bei der Fernmeldekontrolle durchsetzen. Neben der Gewährleistung der inneren Sicherheit werden wir in der nächsten Legislaturperiode insbesondere drei Aufgabenbereiche angehen. Erstens. Wir werden die Abschiebung und Ausweisung krimineller Ausländer erleichtern. Wer kriminell ist, hat sein Gastrecht verwirkt und muß unser Land verlassen. ({3}) Zweitens. Wir müssen das Staatsangehörigkeitsrecht der geänderten Situation nach der Vereinigung unseres Vaterlandes anpassen. Zugleich werden wir - das haben wir bereits, wie Sie wissen, in der Vergangenheit beim Asylgesetz getan - die Einbürgerung integrationswilliger Ausländer weiter erleichtern. Eines aber sollte klar sein: Mit der Union wird es keine generelle doppelte Staatsangehörigkeit geben. Das gilt für uns vor einer Wahl und auch nachher, nach dem Wahlsieg am 16. Oktober. Drittens. Herr Kollege Hirsch hat bereits freundlicherweise davon gesprochen: Der öffentliche Dienst muß leistungsbezogener werden. Dazu haben wir bereits eine Vielzahl von Vorschlägen unterbreitet. Wir bekennen uns nach wir vor zum Berufsbeamtentum. Es ist eine tragende Säule unseres Staates und ein Garant politischer Stabilität. Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende einer der schwierigsten, aber auch der erfolgreichsten Legislaturperioden unserer Republik. ({4}) Dieser Erfolg war nur möglich, weil unsere Innenpolitiker, vor allem die Innenminister, die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen haben. ({5}) Ich bedanke mich ganz besonders beim Innenminister - er ist begründet verhindert. Meine Damen und Herren, mein Dank gilt aber auch unserem Freund Johannes Gerster. Lieber Johannes, du hast die Grundlagen für diese Innenpolitik geschaffen. Wir haben und werden deine erfolg21350 reiche Innenpolitik fortsetzen. Deswegen werden wir nach dem 16. Oktober diese Gesetze in die Wirklichkeit umsetzen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Hans de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundesministerin der Justiz! Manche beklagen, daß die erste Lesung des Bundeshaushalts 1995 und hier des Justizhaushaltes in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes fällt. Es werde doch nur mit Keulen geprügelt, die Argumentation bleibe auf der Strecke. Gewiß, Zuspitzungen müssen sein. Klage aber sollte nicht vorher geführt werden. Vielleicht stellt sich hinterher heraus, wer die Sachdebatte geführt hat. Herr Kollege Gerster, Sie werden es bestimmt nicht sein, wenn Sie auch einen versöhnlichen Abgang gefunden haben. ({0}) Sie haben darüber hinaus die Haltung der SPD zum G-1O-Gesetz absolut falsch dargestellt, obwohl Sie seit zwei Jahren wissen, daß wir hierzu immer und immer wieder gefordert haben: Zufallsfunde des Bundesnachrichtendienstes dürfen, wenn sie denn geeignet sind, das organisierte Verbrechen wirksam zu bekämpfen, nicht in den Papierkorb wandern. Die Bundesregierung hat mehr als ein Jahr gebraucht, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Erst am 18. Februar kam sie im Deutschen Bundestag damit über. Wäre dies früher geschehen, hätten wir diese schwierige Verhandlungsphase nicht gehabt - es war zu wenig Zeit -, hätten wir heute vormittag nicht Stunden um Stunden ringen müssen. Dabei ist doch ganz offenkundig, daß unsere Positionen relativ nahe beieinanderliegen. Ich meine, wir sollten uns das in dieser Debatte nicht gegenseitig vorwerfen. Seit der denkwürdigen Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstag am 30. Juni zur Reform unserer Verfassung konnte man immer und immer wieder hören, wie CSU-Ministerpräsident Stoiber die CDU und die F.D.P. aufs heftigste anging, weil diese unverständlicherweise die versprochene Stärkung der Länder bei der Kompetenzverteilung wieder rückgängig gemacht hätten und damit das gesamte Vorhaben gefährdeten. ({1}) Unversehens stand damit Edmund Stoiber, Herr Kollege Geis, neben Hans-Jochen Vogel. Nach dem inzwischen vorliegenden Ergebnis des Vermittlungsausschusses, der Debatte und dem Abstimmungsergebnis heute müssen wir sehen, daß Sie von der CDU eine Kehrtwendung gemacht haben. Nur, ich muß gleichwohl fragen: Wo bleiben z. B. die Minderheitenrechte? Wo bleibt deren Schutz nach dieser mehr als zweijährigen Debatte? Wer ohne Zorn und Eifer die Stadien der Verfassungsdebatte der letzten zwei Jahre überprüft, wird nicht umhinkommen festzustellen: Wenig genug wurde erreicht, aber ohne Sozialdemokraten hätte es selbst dieses Wenige nicht gegeben. ({2}) Und wo fand sich dabei eigentlich der Beitrag der Bundesministerin der Justiz? ({3}) In keiner Legislaturperiode seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, also seit 1949, ist der enorme Anstieg der Kriminalität von der Bevölkerung als bedrohlicher empfunden worden als in diesen Jahren. Wir Sozialdemokraten waren es in dieser Legislaturperiode, die mit unseren Großen Anfragen zur Bekämpfung der Massenkriminalität, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität - übrigens bis heute von der Bundesregierung nicht beantwortet - und zur Reform der Jugendgerichtsbarkeit diese Debatte wirklich öffentlich gemacht haben. Aber wir haben ja nicht nur gefragt. Wir haben Initiativen ergriffen. Ich erinnere an unsere umfänglichen Vorhaben zur Verbesserung des strafrechtlichen Sanktionensystems, des Täter-Opfer-Ausgleichs, zur Geldwäsche, zur Bestrafung der Auschwitz-Lüge - es ist eine Formulierung von uns, die noch aus den letzten Tagen der Regierung Schmude stammt - und zum genetischen Fingerabdruck. ({4}) Bei unserer Vorlage zur Abgeordnetenbestechung - daran hatte ich ein bißchen mein Herz gehängt - haben viele zunächst abwehrend, ja manche sogar abschätzig reagiert. Seitdem es diese Strafvorschrift im Strafgesetzbuch gibt, gibt es hierzu keine öffentliche Debatte mehr. ({5}) Gewiß, von unserem Täter-Opfer-Ausgleich haben Sie einiges im Verbrechensbekämpfungsgesetz übernommen; auch unsere Vorstellungen zur Ausweitung der Strafrahmen bei Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit haben Sie sich zum Teil zu eigen gemacht. Es war ganz einfach nicht zu übersehen, daß unser mehr als 100 Jahre altes Strafgesetzbuch das Eigentum mehr schützt als die Menschen vor roher Gewalt, vor Baseballschlägern und vor bleibenden Körperschäden. Bedauerlich ist nur, daß Sie unserem Begehren nicht gefolgt sind, eine Kommission einzusetzen, die das ganze Strafgesetzbuch durchforstet und dann endlich die Strafrahmen im Verhältnis Körperverletzungsdelikte/Eigentumsdelikte auf gänzlich neue Beine stellt. Bei der Strafverfolgungsverjährung bei sexuellem Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen konnten wir Sozialdemokraten - und ich sage das mit einer gewissen Freude - einen Überraschungserfolg verbuchen. Gegen die offizielle Linie von CDU/CSU und F.D.P. haben sich vorwiegend die Frauen der KoaliDr. Hans de With tion bereit gefunden, unserem Vorhaben zuzustimmen. ({6}) Dadurch erst wurde die Möglichkeit geschaffen, die unsäglichen Verletzungen in sexueller Hinsicht an Kindern und Jugendlichen endlich besser aufklären zu können. ({7}) Unser Vorstoß zur Einführung der elektronischen Überwachung derer, die im Bereich der Schwerstkriminalität Drogentransfer vornehmen, Killer anheuern oder Geldwäsche in großem Stil betreiben, scheiterte an der Zerrissenheit der Koalition. Die F.D.P. - sagen wir es so, wie es ist - macht nicht mit, und so verbleibt den Gefährlichsten aller Kriminellen ein Schlupfloch, wegen der Zerrissenheit der Koalition. ({8}) Unsere Gesetzesvorlage zur Einziehung von durch Kapitalverbrechen erworbenen Geldern - Vermögenseinziehungsgesetz heißt es im Jargon - haben Sie im Grunde gar nicht, wobei ich nicht vom Ende rede, ernsthaft diskutiert. ({9}) Sie haben sich schlicht und einfach einer sorgfältigen Debatte verweigert. Bilanziere ich, komme ich zu dem Schluß, daß Sie bei der Bekämpfung der bedrückenden Kriminalität zwar eine ganze Reihe von Einzelvorhaben auf den Weg gebracht haben, aber fast immer nur unter dem Druck der Öffentlichkeit, der Opposition und kurz vor Beendigung der Legislaturperiode, und ich sage, dazu noch lückenhaft. ({10}) Aber es gibt Defizite nicht nur bei der Bekämpfung der Massenkriminalität und der organisierten Kriminalität. Ein paar Beispiele: Daß ein Deutscher Juristentag, daß die Opposition und daß die breite Öffentlichkeit seit Jahren darauf hinweisen, welche Defizite es bei Lebensgemeinschaften ohne Trauschein gibt, hat die Koalition und die Bundesregierung offensichtlich nicht gerührt. ({11}) Wir wollen diese Lebensgemeinschaften nicht der Ehe gleichstellen. Es muß aber eine ganze Menge mehr geschehen, um Ungerechtigkeit für Hunderttausende auszuräumen. ({12}) Das ist unsere Aufgabe, auch wenn Sie nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht mögen. Aber sie sind nun einmal vorhanden. ({13}) Wo bleibt die längst fällige Reform des Kindschaftsrechts? Da gab es nur Teilvorstöße. Längst versprochen, fehlt immer noch ein Gesamtkonzept aus dem Hause Leutheusser-Schnarrenberger. Bei dieser Gelegenheit darf ich das Justizministerium und hier die Verantwortliche einmal fragen, warum 1995 keine Mittel mehr für den Aufbau der Justiz in den neuen Ländern vorgesehen sind ({14}) und bei dem Titel „Strukturreform" ab 1995 kein einziger Pfennig mehr eingestellt wurde. Kann die Justiz in den neuen Ländern schon absolut mit der der alten verglichen werden? Wenn die Strukturreform der Justiz gedanklich abgeschlossen sein sollte: Wie sieht sie denn aus? Hier sind Sie uns Erklärungen schuldig. Wir müssen - das füge ich hinzu - die bittere Wahrheit zur Kenntnis nehmen, daß die gerichtlichen Verfahren in allen Bereichen der Justiz zunehmen, aber mit neuen Planstellen bei Staatsanwälten, Richtern und Rechtspflegern, wie wir wissen, nicht zu rechnen ist. Die Justiz in Deutschland hat eine Bruchstelle erreicht. Nur Entlastungen der Justiz, spürbare Vereinfachungen und Verkürzungen der Verfahren und Reformen können diesem Dilemma noch abhelf en. Viele Menschen - ich füge auch dies hinzu - beklagen, daß nichts strenger und sorgfältiger überwacht wird als das Parkverbot, daß nichts schematischer mit Taxen ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit als das Auswerfen von Geldbußen - das wird als Strafe empfunden - bei Ordnungswidrigkeiten behandelt wird und daß die Strafverfahren viel zu lange dauern. Hier gibt es Reformansätze, z. B. einen Vorschlag des Deutschen Richterbundes zur Reform des Ordnungswidrigkeitenrechts. Was, Frau Justizministerin, ist Ihre Haltung dazu? Wie denken Sie über die Zusammenlegung der Eingangsgerichte? Ich frage auch: Muß es für ein Beleidigungsverfahren bei uns eigentlich drei Instanzen geben? Wenn ich einen Strich unter die Rechtspolitik der Koalition ziehe ({15}) - ich bin nicht so harsch mit meinen Worten -, ({16}) dann kann ich nur sagen: zuviel Stückwerk, keine Linie, die Gemeinsamkeiten offensichtlich aufgezehrt. ({17}) - Auch hier kann - das sage ich in aller Offenheit eine ganze Menge mehr geschehen. Auch da gibt es einen Fehlbedarf, da haben Sie völlig recht. Aber es gibt Maßnahmen, die schon längst vom Bund her hätten auf den Weg gebracht werden können. Hier gibt es ein starkes Defizit. Dazu gehört Mut, und auch Verärgerung bei einigen Gruppierungen muß in Kauf genommen werden. Aber geschehen ist kaum etwas. ({18}) - Herr Kollege Hirsch.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr de With, Sie gestatten - Sie haben es schon getan - dem Kollegen Hirsch eine Zwischenfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege de With, wenn Sie beklagen, daß die Verfahren zu lange dauern: Was hat in Ihrer Wertung den Vorrang? Hat den Vorrang, daß die Gerichte und Kanzleien endlich einmal auf einen technischen Standard gebracht werden, der unserer Zeit entspricht? Wenn ich meine Kanzlei so einrichten würde wie die meisten Gerichte, wäre ich längst pleite. Das geht allen Anwälten so. Das wissen auch Sie. Was ist also wichtiger: daß wir die Justizminister und die Justizverwaltungen der Länder auffordern, auf diesem Gebiet endlich einmal zu reorganisieren, oder daß die Rechte der Verfahrensbeteiligten verkürzt werden? Was ist dabei Ihre Priorität?

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Priorität ist, daß à la longue die Verfahren, die wir haben, so nicht bestehen können. Hier muß ins Fleisch geschnitten werden. Ich messe einer Verbesserung der finanziellen Mittel der Justiz, um die Kanzleien und den Geschäftsgang dort auf einen modernen Standard zu bringen, eine gleich hohe Bedeutung zu. ({0}) Daß wir beide, Herr Hirsch, in unseren Fraktionen stets darum gekämpft haben, daß die Rechte der Beschuldigten, Angeklagten und Verteidiger nicht auf der Strecke bleiben, müssen wir, glaube ich, hier nicht erwähnen. Gestatten Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach 25jähriger Tätigkeit im Deutschen Bundestag bitte noch drei persönliche Anmerkungen. Bei allen Meinungsverschiedenheiten habe ich stets die Art der Auseinandersetzungen, das Klima und die Qualität im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages sehr geschätzt. Bei allem Streit gab es dort - ich gebrauche einmal den Ausdruck - eine Form von demokratischer Ritterlichkeit. Ich kann das nur für alle Auseinandersetzungen empfehlen. Wir dürfen nicht in erster Linie den Beifall unserer jeweiligen Partei zu erheischen suchen - wie wichtig der Konsens mit den Parteien auch ist -; wir müssen mehr persönliche Unabhängigkeit vorleben. Nicht allen ist klar, was Wahlkreisarbeit bedeutet. Andererseits wird zu Hause oft gefragt: Was machen die eigentlich in Bonn? Auch seriöse Medien berichten nicht selten, wie ich meine, allzu locker über die schwierige Verbindung beider Tätigkeiten und den notwendigen, aber eben meist mühseligen Entscheidungsprozeß des Verarbeitens und Gestalten im Abgleich der Einzel- und Gruppenmeinungen bis hin zur Reife. Das beklagen wir nicht zu Unrecht. Gewiß, Höhepunkte sind selten; Alltagsarbeit verzehrt, und es gibt und gab Versagen, auch bei uns. Das werden wir nicht ändern können. Aber ich sage ebenfalls: Für meinen Geschmack wären 500 Abgeordnete ausreichend. Die Plenarsitzungen müssen endlich von Selbstverständlichkeiten entlastet und die Ausschußdebatten anders und mehr ins rechte und bessere Licht gerückt werden. Schließlich wage ich noch hinzuzufügen, wenn es auch vielen nicht gefällt: Wir sollten selbstbewußt genug sein, unziemlichen Mäkeleien an den Diäten mehr als bisher entgegenzutreten. Ich habe 25 Jahre lang dazu kein Wort gesagt. Ohne angemessene Bezahlung werden wahrscheinlich schon bald ganze Berufsgruppen nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten sein. ({1}) Ein letztes Wort, das ich gewichtet habe: Kaum ein Land hat eine Richterdichte wie das unsere. Wir sind ein wenig stolz auf die richterliche Unabhängigkeit und unseren Rechtsstaat. Aber der Honecker-Prozeß in Berlin und das Deckert-Verfahren des Landgerichts Mannheim - es wurde heute schon mehrfach darauf hingewiesen -({2}) haben Spuren hinterlassen, die wir fürchten sollten, die schrecken; es gibt da einen lateinischen Ausdruck. Ich frage: Wie lange hat es gedauert, bis der Bundesgerichtshof darauf hinwies, daß das Werfen von Molotowcocktails in von Menschen bewohnte Häuser versuchter Mord sein kann und daß die Befehlsgeber hinter den kleinen Mauerschützen die eigentlichen Täter sind und sein können? ({3}) Noch immer hat sich das nicht überall herumgesprochen. Richter, insbesondere Strafrichter - ich bin selbst Richter gewesen, wie Sie wissen -, können oft mehr als andere von heute auf morgen ins stechende Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten. Dafür können sie nichts. Aber wir Justizpolitiker im Bund und in den Ländern können etwas dafür, wer Richter werden kann und wird. Das gute Staatsexamen darf nicht genügen; das Handwerk muß man ohnhin beherrschen. Der Richter in unserer Zeit muß politisch denken und handeln können - das ist nicht mit parteipolitisch zu verwechseln -, im Interesse dieses freiheitlichen und sozialen Staatswesens mit seiner ganzen Geschichte. Wir brauchen, mit einem Wort, Persönlichkeiten dort. Auch Präsidien in den Gerichten müssen wissen, daß - ich sage das in bezug auf einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" in dieser Woche - pure Zurückgezogenheit, einseitige Kommunikation und apolitische Denkweisen von Richtern uns schlecht anstehen, wollen die Richter noch der Lebenswirklichkeit tatsächlich gerecht werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich in diesem Hause stets sehr wohl gefühlt. Mir hat es Freude, ja - ich sage das - Spaß bereitet. Ich kann nur hoffen und wünschen, daß viele es auch so sehen und erleben. Vielen herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr de With, lassen Sie mich auch von hier aus die Gelegenheit nutzen, Ihnen ganz herzlich für Ihre Arbeit im Deutschen Bundestag und für den Deutschen Bundestag zu danken. Ich habe aus Ihrer langen Parlamentszeit nur einen Ausschnitt miterleben können, aber ich weiß, wofür Sie gearbeitet haben und wie Sie gearbeitet haben. Ich wünsche Ihnen gute Nachfolge. Herzlichen Dank für das, was Sie geleistet haben. ({0}) Es spricht jetzt die Bundesministerin der Justiz, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr de With, auch ich möchte Ihnen zu Beginn meiner Rede ganz herzlich für die besonnene Art und immer von Sachverstand geprägte Auseinandersetzung im Rechtsausschuß in den Jahren dieser Legislaturperiode, die ich als Justizministerin erleben durfte, danken. Auch bei unterschiedlichen Auffassungen in der Sache und vielleicht auch bei unterschiedlichen Gewichtungen und Prioritätensetzungen war ich immer sehr davon angetan, daß Sie doch alles darangesetzt haben, Probleme zu lösen und im Konsens zu einem Ergebnis zu kommen. Ich wünsche Ihnen nach jetzt fast 25jähriger Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag mit Ihrer langjährigen Erfahrung im Justizministerium - man denkt sehr gern an Ihr Wirken dort zurück - alles Gute für Ihre Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag. ({0}) Aber Sie werden verstehen, daß ich natürlich einige Dinge aus Ihrer Bewertung der Arbeit der Bundesregierung auf dem Gebiet der Rechts- und Justizpolitik etwas zurechtrücken muß. Denn es ist sehr viel geschehen, und zwar nicht Stückwerk, nicht Sammelsurium, nicht Aneinanderreihen von Einzelvorhaben, die in keinem inneren Zusammenhang stehen. Viel geschehen ist auf Grund einer Konzeption für die Rechtspolitik dieser Legislaturperiode, die sich zum Ziel gesetzt hat, Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu schaffen oder es da, wo es beschädigt ist, wiederherzustellen, Vertrauen in unsere Institutionen zu stärken und auch Vertrauen in eine unabhängige Justiz herzustellen. Wir fühlten uns durch die deutsche Einheit und ihre Herausforderungen ganz besonders verpflichtet, ein einheitliches Rechtssystem in den alten und neuen Bundesländern zu schaffen und eine funktionierende Justiz gerade in den neuen Bundesländern aufzubauen. ({1}) Ich glaube, daß sich die Bilanz in dem Bereich wirklich sehen lassen kann, ({2}) und zwar nicht nur mit nüchternen Zahlen. Es gab allein über 300 Millionen DM Unterstützung von seiten des Bundes. Es gab Unterstützung von seiten der alten Bundesländer, wenn es darum ging, Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger in die neuen Bundesländer zu entleihen, abzuordnen oder auch zu versetzen. Es geht jetzt auch darum, zu sehen, ob die Justiz, die in den neuen Bundesländern im wesentlichen schon sehr gut funktioniert, jetzt in der Lage ist, mit den Belastungen und Verfahren auch tatsächlich fertig zu werden. Daß im Haushalt 1995 keine Mittel mehr für die personelle Unterstützung für die neuen Bundesländer im Bereich der Justiz ausgewiesen sind, liegt daran, daß vier Jahre lang Anschubfinanzierung geleistet worden ist. Es geht in den neuen Bundesländern nicht mehr darum, daß nicht ausreichende Stellen und Planstellen in den Haushalten zur Verfügung stehen, sondern das Problem liegt darin, wirklich ausreichend erfahrene Juristen, aber auch junge Nachwuchskräfte zu finden, die bereit sind, diese Arbeiten auszuüben. Von daher, so glaube ich, können wir wirklich zufrieden auf das Schaffen der Rechtsgrundlagen hier im Bundestag und auf diesen Teil der Rechtspolitik dieser Legislaturperiode zurückblicken. ({3}) Sie haben zu Recht angesprochen, daß die ansteigende Belastung der Justiz in vielen Bereichen zu einer ganz großen Herausforderung geworden ist. Es ist richtig, daß man nicht glauben sollte, man könnte mit einem Gesetz hier und da die Probleme sofort beseitigen. Aber ich meine, wir sollten hier differenzieren: Welche Verantwortung liegt bei den Ländern zur modernen Ausstattung der Justiz? Ich hoffe, daß man sich an dem Maßstab orientieren wird, den wir in den neuen Bundesländern gesetzt haben. Sie werden uns hierin in einigen Jahren Vorbild sein, aber auch, wenn es darum geht, Verfahrenswege durch Struktur- und Organisationsänderungen zu verkürzen. Dafür, Herr de With, stand im Haushalt ausreichend Geld zur Verfügung: um nämlich umfangreiche Gutachten zu erstellen, die jetzt für die Justizminister der Länder ein Leitfaden sind, wenn es darum geht, ohne Gesetzesänderungen tatsächlich zur Verbesserung, zur Modernisierung, zur Schaffung von Serviceeinheiten und Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger anderen Maßnahmen im Rahmen der Gerichte zu kommen. Aber wir wollen gerade für einen bestimmten Bereich schon jetzt möglichst schnell Verfahren beschleunigen, auch mit dem Ziel, zur Entlastung der Justiz zu kommen. Ich rede von den Vorschlägen im Verbrechensbekämpfungsgesetz zum beschleunigten Verfahren. ({4}) Ich glaube, es wäre gut, wenn wir nach den heutigen Beratungen in Kürze einen Schlußpunkt setzen könnten. Wir sollten an die Richter ein Signal geben, nämlich ein Signal dahin gehend, daß wir ihnen die Chance geben, Verfahren auch in sehr viel kürzerer Zeit rechtsstaatlich durchzuführen, und ihnen vertrauen, indem wir ihnen im beschleunigten Verfahren die Möglichkeit geben, Beweisaufnahmen zügiger und straffer durchzuführen. ({5}) Das heißt nicht, daß wir damit das bewährte Beweisantragsrecht aufgeben oder vollkommen abschaffen wollen. Diesen Vorschlägen stehen gerade Liberale und besonders eine liberale Justizministerin natürlich sehr zurückhaltend - ich will nicht sogar sagen: ablehnend - gegenüber. Ich glaube auch nicht, daß das der Weg ist, um letztendlich zu einer langfristigen Entlastung der Justiz zu kommen. Wir wollen selbstverständlich die wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätze in den Verfahren erhalten: die Unschuldsvermutung, die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und natürlich die Stellung des Angeklagten, des Beschuldigten, des Angeschuldigten. Wir wollen ihm seine Rechte nicht nehmen. Aber da, wo es wirklich Kürzungs- und Straffungsmöglichkeiten gibt, wollen wir ansetzen, weil wir den Richtern vertrauen, daß sie von diesen Möglichkeiten vernünftig Gebrauch machen werden. Sie haben heute in der Debatte die Bedeutung der Unabhängigkeit der Richter und die unabhängige Justiz angesprochen. Dem kann ich nur beipflichten; denn gerade eine Justizministerin muß sich besondere Zurückhaltung auferlegen, wenn es um Äußerungen zu Urteilen und Entscheidungen geht. Aber ich sage hier ganz deutlich: Es gibt Situationen, da darf auch eine Justizministerin nicht schweigen. Da muß sie sich bei Formulierungen in Entscheidungsgründen aufgerufen fühlen - ich spreche gerade das Deckert-Urteil des Landgerichts Mannheim an -, deutlich zu machen, daß solche Formulierungen nicht unwidersprochen im Raume stehen bleiben dürfen. Ich habe begrüßt, daß sich die Richterschaft selber kritisch, auch sehr selbstkritisch, mit dieser Entscheidung auseinandersetzt. Die rechtliche Überprüfung dieses Urteils liegt selbstverständlich beim Bundesgerichtshof. Wir haben abzuwarten, wie dort die Entscheidung ausfallen wird. Es obliegt niemandem, Erwartungen oder Prognosen zu äußern. Ich möchte einen Bereich ansprechen, der uns in den letzten Jahren hier sehr häufig beschäftigt hat, nämlich die Eigentums- und Vermögensfrage durch die deutsche Einheit. Ich möchte nicht die ganzen Gesetze aufzählen, die wir hier beraten und verabschiedet haben und bei denen wir um einen Konsens gerungen haben, um auf der einen Seite den Menschen in den neuen Ländern sichere Rechtsgrundlagen zu geben, damit sie wissen, woran sie sind, und um auf der anderen Seite einen angemessenen Interessenausgleich zwischen zwei sich immer widerstreitenden Interessen zu gewähren, nämlich zwischen den berechtigten Anliegen der Eigentümer und den Erwartungen und berechtigten Anliegen von Nutzern, von Mietern und von Pächtern, in den neuen Bundesländern. Es ist uns - darauf bin ich besonders stolz - gelungen, die Gesetzgebung in diesem Bereich im großen und ganzen wirklich abzuschließen. Das war nicht voraussehbar, und das war noch vor einem Jahr oder anderthalb Jahren auch nicht sicher zu erwarten. ({6}) Wir haben - auch im Vermittlungsausschuß - um angemessene Lösungen gerungen. Ich hoffe, daß wir jetzt gerade mit dem Sachenrechtsänderungsgesetz, den dazugehörigen Beratungen und der Verabschiedung dann dazu einen Schlußstrich unter einzelne Punkte ziehen, die immer wieder streitig waren. Die Stichtagsregelung, die j a jetzt von Brandenburg vor das Bundesverfassungsgericht gebracht worden ist, hat uns viele Monate beschäftigt. Wir sind bis an die Grenze dessen gegangen, unter Achtung verfassungsrechtlicher Ansprüche einen Ausgleich zu geben und den berechtigten Erwartungen der Menschen in den neuen Ländern entgegenzukommen, aber auch den Gedanken der Stichtagsregelung aufrechtzuerhalten, daß nämlich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr jeder darauf vertrauen durfte, Eigentum noch in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und mit der Umbruchssituation erwerben zu können. Deshalb kann ich hier nur hoffen, daß diese Debatte dann einmal abgeschlossen sein wird, denn sie führt nur zu mehr Unsicherheit der Menschen in den neuen Ländern, die jetzt das Recht haben, darauf zu vertrauen, daß die Regelungen auch tatsächlich Bestand haben. Herr de With, ein Wort noch zum Schluß. Die Zeit läuft natürlich auch mir davon. Sie haben die Kindschaftsrechtsreform angemahnt. Sie haben nur so nebenbei erwähnt, daß ja schon drei Gesetzgebungsvorhaben hier in den Ausschüssen des Bundestages derzeit beraten werden. Ich möchte auch hinzufügen: Die Arbeitsgruppe im Ministerium, die im Juni dieses Jahres ihre Arbeit abgeschlossen hat, hat uns Ergebnisse präsentiert, die wir jetzt gerade in Gesetzesformulierungen umsetzen, weil nämlich dann das, was noch zu regeln ist - Sorgerecht, Umgangsrecht und Abstammungsrecht, um die drei wesentlichen Punkte zu nennen -, hoffentlich von liberaler Handschrift geprägt in der neuen Legislaturperiode in den Bundestag eingebracht werden kann. ({7}) Ich glaube, dann haben wir genug Zeit, um uns mit dieser wichtigen, umfassenden Reform zu beschäftigen. Daß die Liberalen immer auch daran gebohrt haben, für auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften und für nichteheliche Lebensgemeinschaften etwas zu tun, versteht sich. Wir wollten die Formulierung in der Verfassung, eine vorsichtige Ergänzung, neben dem besonderen Schutz von Ehe und Familie. ({8}) Das hat keine Mehrheit gefunden. Aber es ist wichtig, politisch ein Zeichen zu geben, daß hier sehr wohl die Bereitschaft, die Offenheit und vor allen Dingen auch die innere Einstellung zu einer Weiterentwicklung und zu einem Abbau von Benachteiligungen, gerade auch im einfachen Recht, besteht. Recht herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster hat der Kollege Norbert Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns gegen die Aufnahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in die Verfassung gewandt, weil wir der Meinung sind, daß die Verfassung aus gutem Grund nur die eheliche Lebensgemeinschaft und die Familie damit schützen will, daß aber die nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht gleichgesetzt werden kann mit Ehe und Familie. Deshalb hat sie nach unserem Verständnis auch nichts in der Verfassung zu suchen. ({0}) Eine ganze andere Frage ist, ob es nicht da und dort gesetzliche Regelungen geben muß, damit solche Gemeinschaften, wenn sie auseinandergehen, in einer vernünftigen Weise gesetzlich geregelt auseinandergehen können.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Kollege Geis, der Kollege Irmer hat eine Zwischenfrage an Sie.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Geis, würden Sie doch bitte zur Kenntnis nehmen, daß unser Vorschlag auf Regelung dieses Sachverhalts im Grundgesetz eine ganz deutliche Differenzierung zwischen der Ehe und Familie einerseits und den nichtehelichen Lebensgemeinschaften andererseits beinhaltet hat, indem nämlich der besondere Schutz der staatlichen Ordnung nach wie vor nur der Ehe zukommen sollte, während die nichtehelichen Lebensgemeinschaften lediglich geachtet werden sollten, daß in unserem Vorschlag also eine rechtliche Differenzierung durchaus vorgesehen war? Würden Sie zweitens noch zur Kenntnis nehmen, daß zur Zeit, als die Mütter und Väter des Grundgesetzes dasselbe geschrieben haben, die gesellschaftliche Wirklichkeit eine ganz andere war, und zwar insoweit, als damals jede nichteheliche Lebensgemeinschaft noch von der Gesellschaft geächtet und diskriminiert wurde, während nichteheliche Lebensgemeinschaften von vielen Menschen heute ganz bewußt als Alternative, als gewollte und in der Gesellschaft durchaus akzeptierte und geachtete Form neben der Ehe, nicht nur in Kauf genommen, sondern ganz bewußt herbeigeführt werden?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Irmer, es ist selbstverständlich, daß wir die nichtehelichen Lebensgemeinschaften achten. Wir achten die Entscheidung der einzelnen Persönlichkeiten. Insoweit ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft nach unserem Verständnis auch in der Verfassung verankert, nämlich in Art. 2 des Grundgesetzes. Dort ist festgeschrieben, daß die Entscheidung des einzelnen und seine Freiheit zu achten sind. Wir wenden uns aber dagegen, daß die nichteheliche Lebensgemeinschaft gewissermaßen parallel zu Ehe und Familie in Art. 6 aufgenommen wird, weil dann ein Vergleich hergestellt werden würde. Für uns schützt Art. 6 des Grundgesetzes Ehe und Familie und nicht nichteheliche Lebensgemeinschaften. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine der zentralsten Aufgaben der vergangenen Legislaturperiode war es für uns im Rechtsausschuß, aber in der gesamten Politik überhaupt, den Trümmerhaufen zu beseitigen, den die SED hinterlassen hat, deren Nachfolger jetzt - Herr Weiß, da stimme ich mit Ihnen voll überein - im Bundestag sitzen. Ich bedauere dies zutiefst und halte es auch für eine Schande für unsere Demokratie, daß die Nachfolger im Bundestag sitzen. Es war eine der wichtigsten Aufgaben, die Trümmer der Vergangenheit zu beseitigen, und dazu gehörten die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze 1 und 2. Ich wehre mich gegen den Vorwurf, daß wir in diesen beiden Gesetzen nicht alles unternommen haben, den Menschen, die unter der SED furchtbar gelitten haben, weil sie in Gefängnissen haben sitzen müssen, zu helfen. Daß wir ein Gefängnis nicht ausgleichen können und daß wir Unfreiheit nicht mit Geld abgelten können, haben diese Menschen selbst eingesehen. Aber es mag durchaus richtig sein, daß wir da und dort mehr Geld hätten zur Verfügung stellen müssen. Auch das ist bei uns diskutiert worden. Aber angesichts der tatsächlich schwierigen Haushaltslage und angesichts der Tatsache, daß wir jährlich 120 bis 140 Milliarden DM netto in die neuen Bundesländer zu deren Wiederaufbau geben, leisten wir von der Bundesregierung und von diesem Parlament her, meinen wir, insgesamt einen großen Beitrag zum Wiederaufbau der neuen Bundesländer und damit auch zur Wiedergutmachung der 40 Jahre SED21356 Herrschaft. Ich glaube, daß dies in der ganzen Debatte nicht gering geachtet werden kann. ({1}) Frau Ministerin, ich stimme Ihnen zu: Mit der Regelung der Eigentumsverhältnisse haben dieses Parlament und die Bundesregierung, wie ich meine, ebenfalls einen großen Beitrag zum Wiederaufbau der neuen Bundesländer geleistet. Es war schon in der Volkskammer klar, daß das Eigentum in der Zukunft eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Zusammenleben von Ost und West spielen soll. Die Volkskammer hat aber darüber zusammen mit der SPD überhaupt nicht diskutiert. Nur die Altkommunisten der PDS waren dagegen. Aber für die SPD und die CDU war es damals in der Volkskammer überhaupt keine Frage, daß das Prinzip des Eigentums für das zusammengeführte Deutschland Geltung haben soll. In der Volkskammer ist damals lediglich diskutiert worden, ob man den Trümmerhaufen, den die SED hinterlassen hat, völlig neu aufteilt oder ob man auch die alten Eigentumsrechte der Alteigentümer mit berücksichtigt. Mit gutem Grund hat sich die damalige Volkskammer mit ganz überwiegender Mehrheit für Rückgabe vor Entschädigung, also auch für die Berücksichtigung der Alteigentümer, entschieden. Ich meine, daß diese Entscheidung gut und richtig war, und ich habe immer bedauert, daß die SPD später von dieser richtigen Entscheidung abgerückt ist. Daß die Entscheidung richtig war, erkennen Sie, wenn Sie den langen Streit und die sachliche Auseinandersetzung um die Frage der Entschädigung der Enteignungen von 1945 bis 1949 betrachten, für die im Grunde genommen das umgekehrte Prinzip gilt; hier steht die Entschädigung im Vordergrund. Sie wissen, wie schwierig es war, das Gesetz durch den Bundestag zu bringen. Die Erfahrung gerade mit der Diskussion um die Entschädigung der Eigentümer von 1945 bis 1949 hat uns gelehrt und lehrt uns, daß die Entscheidung Rückgabe vor Entschädigung im übrigen sehr richtig gewesen ist.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage von Herrn Heuer. ({0}) - Ich gestatte sonst Zwischenfragen, aber ich habe meine Gründe, T ierr de With. Ich bin der Auffassung, daß wir diese Linie im Bundestag, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, hätten durchhalten müssen. Wir hätten dadurch viel Unsicherheit vermieden. Es ist überhaupt nicht wahr, daß wir weniger Schwierigkeiten gehabt hätten, wenn wir das Prinzip umgekehrt hätten, als wir gemeinsam im Bundestag saßen, nachdem die Volkskammer entschieden hatte. Wir haben natürlich Schwierigkeiten mit diesem Prinzip gehabt. Deswegen haben wir das Vermögensgesetz ja auch zweimal geändert. Wir haben, glaube ich, einen vernünftigen Ausgleich gefunden zwischen Interessen der Alteigentümer und Interessen am Wiederaufbau der vormaligen DDR, der neuen Bundesländer. Aber wir hätten uns viel Verunsicherung der Menschen in den neuen Bundesländern ersparen können, wenn Sie, verehrte Damen und Herren von der SPD, an diesem Prinzip festgehalten hätten, wenn Sie sich nicht davongeschlichen hätten. Ich bedaure dies sehr. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen. Ich habe schon gesagt, daß dies eine große Leistung war, und dies war auch eine große Leistung des Justizministeriums. Das sei hier einmal gesagt. Denn ich weiß, wie lange die Beamten dort gearbeitet haben von frühmorgens bis abends spät, wie die Gesetzesvorlagen vorbereitet und gut vorbereitet worden sind. Unser Dank gilt auch Ihrem Vorgänger, Herrn Kinkel, aber insbesondere auch Ihnen, Frau Minister. Ich stehe überhaupt nicht an, dies heute hier nicht zu erwähnen. Wir danken Ihnen für Ihren Einsatz. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß einer der wichtigsten Punkte in der vergangenen Legislaturperiode auch die Frage der Justizentlastung gewesen ist. Wir haben ein Justizentlastungsgesetz verabschiedet, und als wir es verabschiedet hatten, haben wir schon festgestellt: Der Effekt, der dadurch erzielt wird, wird nicht lange andauern; denn die Geschäftsbelastung, vor allen Dingen in der Zivilgerichtsbarkeit, ist so enorm angestiegen, daß die ganzen Effekte der Justizentlastung schon wieder aufgezehrt sind. Wir werden uns in der neuen Legislaturperiode, ob wir wollen oder nicht, mit dieser Frage neu zu befassen haben. Es geht um Beschleunigung von Verfahren, es geht auch um eine bessere Möglichkeit der Einsparungen bei Urteilsbegründungen. Wie ich meine, kommen wir um diese Frage nicht herum. Wir müssen uns diesem Problem stellen, weil wir die Justiz sonst nicht in die Lage versetzen, vernünftige Rechtsprechung machen zu können. Meine sehr verehrten Damen und Herren. Vorhin ist das Kindschaftsrecht genannt worden. Es ist richtig, es war ein Thema dieser Legislaturperiode. Aber bei allem Reformeifer - die Vorschläge haben sich ja überschlagen - sollten wir nicht vergessen, daß das Kind natürlich dieselben Rechte hat wie die Erwachsenen. Das gilt im übrigen auch für die ungeborenen Kinder. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde hier so sehr getrommelt werden, um katastrophale Versäumnisse auf diesem Gebiet zu überspielen. Aber wenn wir meinen, wir könnten mit stärkerem staatlichem Schutz die Interessen der Kinder wahren, dann müssen wir auch wissen, daß wir dadurch die Familie mehr kontrollieren. Mehr staatlicher Schutz bedeutet natürlich auch stärkere staatliche Kontrolle. Uns muß es darum gehen, daß wir einerseits natürlich schützen, mit allen Möglichkeiten schützen, andererseits aber nicht zu sehr staatliche Kontrolle in den engsten und intimsten Bereich, den Menschen miteinander haben können, nämlich den der Familie, hineintragen und nicht allzusehr in diesen Bereich eindringen. Das ist unsere Sorge. Wir werden in der kommenden Legislaturperiode alles daransetzen - wenn dieses Thema auf der Tagesordnung steht -, daß die Rechte der Familie nicht verletzt werden. Auf dem strafrechtlichen Felde haben wir viel bewegt. Wir haben das Gesetz zur organisierten Kriminalität vorgelegt und verabschiedet. Das war ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der inneren Sicherheit. Wir haben aber damals schon gewußt, daß dies nur ein erster Schritt gewesen ist. Wir haben das Verbrechensbekämpfungsgesetz vorgelegt, und ich kann nur hoffen, daß die SPD über ihre selbstaufgebauten Hürden vielleicht doch zu springen vermag. Vielleicht können wir im Miteinander dieser Gesprächsrunde zu vernünftigen Kompromissen finden. Wir werden aber auch dies nur als einen Schritt hin zu einer richtigen Ordnung der inneren Sicherheit ansehen. Wir müssen die Überwachung von Gangsterwohnungen angehen. ({3}) Wir müssen auch einen vernünftigen Rahmen für die Arbeit des verdeckten Ermittlers finden. Wir müssen an die Vermögensfrage herangehen. Wir müssen uns auch überlegen, ob nicht Hausfriedensbruch zusammen mit Diebstahl im Haus schärfer zu bestrafen ist. Es gibt eine ganze Palette von Aufgaben, die gerade auf strafrechtlichem Gebiet vor uns stehen. Hier wartet auf den neuen Bundestag ein großes Stück Arbeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch mir ist die Zeit davongelaufen. Lassen Sie mich, Herr de With, am Schluß noch ein Wort zu Ihnen sagen. Wir danken Ihnen, Herr de With, für Ihre faire Umgangsart im Rechtsausschuß. Wir haben im Ausschuß eine große Arbeit zu bewältigen gehabt. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn wir uns jedesmal über Kinkerlitzchen aufgeregt hätten. Wir haben fair miteinander diskutiert; vor allem hat das Argument gegolten. Wir waren insofern parlamentarisch vielleicht ein klein wenig so etwas wie ein Vorbild. Dabei haben Sie eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Sie haben bei allen Auseinandersetzungen immer den alten lateinischen Grundsatz „cum aequo animo" gewahrt. Mit Ihnen geht ein profilierter Rechtspolitiker heute von uns. ({4}) Wir können das eigentlich nur bedauern, und wir wünschen Ihnen alles Gute. Mein Dank gilt auch Johannes Gerster, der als Innenpolitiker ja ebenfalls im rechtspolitischen Raum tätig war. ({5}) Wir freuen uns, wenn er als Ministerpräsident zurückkehrt, sicherlich zum Ärger der Opposition, die dann hoffentlich noch in der Opposition sein wird - wir werden unseren Beitrag dazu leisten -, aber sehr zur Freude der Unionsparteien. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Dann ist er hier auch Opposition! Ich danke Ihnen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt unsere Kollegin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es liegt ein Hauch Nostalgie über unserer intimen abendlichen Runde. Es gehen aus dem Bereich der Innen- und Rechtspolitik wirklich viele weg, die wir schmerzlich vermissen werden. Ich möchte deshalb meinen Dank auch an die Spitze der wenigen Worte setzen, die ich heute abend noch sagen werde. Herr Geis, mich hat es sehr gefreut, Frau Präsidentin, mich hat es außerordentlich gefreut, mit welchen warmen Worten Sie die parlamentarische Tätigkeit unseres Kollegen Dr. de With gewürdigt haben. Ich glaube, diese Worte sind zutreffend. Wenn ich jetzt noch einige Worte hinzufüge, dann lassen Sie mich einfach erwähnen: Dr. de With hat ja nicht nur im parlamentarischen Raum, sondern auch im Justizministerium eine ganze Menge an Grundlagen geschaffen, mit denen wir heute noch arbeiten. Ich glaube, das bleibt auch, und daran werden wir anknüpfen müssen. Ich würde aber auch sehr gern Gerd Wartenberg, dem innenpolitischen Sprecher, dem Obmann im Bereich Innenpolitik der SPD-Bundestagsfraktion, für seine Arbeit danken. Sie war, wenn auch auf anderem Platz, außerordentlich erfolgreich. Sie war sehr konsequent. Ich glaube, beide haben - das haben ihre heutigen Reden gezeigt - eine sehr ernsthafte und vorbildliche Rolle im Parlament gespielt. Herzlichen Dank! ({0}) Ich würde gern noch einige Worte zu dem sagen, was der eine oder andere meiner Vorredner hier geäußert hat. Es reizt mich schon, Frau Justizministerin - Sie wissen, wie sympathisch Sie mir sind -, manches von dem aufzugreifen, was Sie gesagt haben. Wenn Sie sagen, das Konzept sei gewesen, das Vertrauen der Menschen in unsere demokratischen Institutionen, auch in die gerichtlichen Institutionen, zu stärken, und das sei ein Erfolg gewesen, dann meine ich, wir werden noch unglaublich viel tun müssen, bis wir dies wirklich sagen können. ({1}) Wenn ich mir anschaue, was die Menschen in den letzten Jahren von unsereren demokratischen Institutionen halten, stelle ich einen Trend fest, der mich besorgt macht, und nicht einen, der mich zufrieden machen würde. Übrigens werden wir im Osten genauso wie im Westen noch viel zulegen müssen. Es muß eine Menge dazukommen an vernünftigen Änderungen, durchaus auch im gesetzlichen Bereich. Es muß eine Menge dazukommen z. B. auch im Umgang mit Opfern. Das ist nicht nur eine gesetzliche, sondern auch eine kulturelle Frage bis hin in die Medien. Es muß eine Menge dazukommen auch im Bereich der Gerichtsbarkeit, wo, glaube ich, ein bißchen mehr Schwung und sehr viel mehr Mut in Richtung Mediation führen müßte. Es muß auch noch eine Menge dazukommen, um mehr soziale Kompetenz in die Berufe der Rechtsanwender zu bringen. Ich könnte mir vorstellen, daß wir beide da durchaus auf einer Linie liegen. Ich glaube nur, daß uns die vergangenen Jahre hier nicht weitergebracht haben. Ich bedauere das zutiefst. Ich hätte mir gewünscht, daß wir sehr viel mehr Schritte nach vorne hätten tun können. Aber ich stelle fest, daß z. B. die Strukturanalyse der Rechtspflege, über die hier so viel Bewunderndes und Lobendes gesagt wurde, auch noch eine der Taten ist, die aus der Zeit de With, Vogel oder Schmude stammt. Es hätte mich auch gereizt, zu dem Kollegen Gerster das eine oder andere zu sagen, den wir in seiner besonderen Art des Poiterns hier sicherlich vermissen werden. Ich hätte es begrüßt, wenn er gesehen hätte, wie sehr der Kollege Wartenberg zusammengezuckt ist bei seiner Behauptung, die Bepos, also die Bereitschaftspolizeien der Länder, seien abgebaut worden, weil es doch einer allgemeinen Forderung entsprach, sie stärker in den Einzeldienst zu übernehmen, um Polizeipräsenz auf den Straßen zu zeigen. Aber das weiß er wahrscheinlich auch, wenn er ruhig darüber nachdenkt. Es hätte mich auch gereizt, ihn darum zu bitten, Europol jetzt nicht als Großtat zu loben, wo doch jeder weiß, daß in Den Haag wenig mehr als ein Türschild und der eine oder andere Beamte, der einem dritten Faxe zuschiebt, zu bestaunen ist - von europäischer Zusammenarbeit keine Rede. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eines sagen: Wenn Sie ein Gesetz machen, bei dem Sie überlegen, was Sie da noch alles reinpacken können - ich spreche jetzt von dem sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetz -, und Sie machen das nach der Methode „Kraut und Rüben", schnüren dann ganz viele Bänder um das Quantum, auf das Sie sich nach langen Qualen einigen können und sagen: „Jetzt freßt ihr", dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es furchtbar viel Mühe macht, diese Kraut und Rüben wieder zu entzerren. Dabei sind wir jetzt. Damit aber kein Mißverständnis besteht: Wir haben auf Bitte Ihres Innenministers heute vertagt, nicht etwa deswegen, weil Sozialdemokraten sich nicht alle Mühe gäben, diese Kraut und Rüben wieder zu entwirren. Das wollen wir einmal festhalten. Sie hätten die Anti-Nazi-Gesetze schon vor zwölf Jahren haben können, ja eigentlich haben müssen, wenn Sie dem Kollegen de With nicht nur einen freundlichen Abschiedsgruß mitgäben, sondern - Herr Geis, ich darf das einmal anmerken - ihm schon zu seinen Dienstzeiten im Rechtsausschuß zugehört hätten. ({2}) Die Probleme haben sich damals nicht anders gestellt als heute. Auch der Täter-Opfer-Ausgleich hat sich natürlich die ganze Zeit gestellt und hätte schon längst durchgesetzt werden können. Was mich in den letzten Jahren am meisten gestört hat, Herr Geis, das war die Tatsache, daß Sie konsequent übersehen, wieviel Kriminalpolitik oder Justizpolitik mit Gesellschaftspolitik zu tun hat. ({3}) Der Nährboden für Rechtsextremismus ({4}) und für Kriminalität entsteht niemals plötzlich. Er ist genauso wenig plötzlich durch mit der heißen Nadel zusammengeschusterte Artikelgesetze und noch weniger durch Strafgesetze zu beheben. ({5}) Es ist sehr viel schwerer, diesen Nährboden mit Hilfe einer vernünftigen und guten Gesellschaftspolitik auszutrocknen, als ihn so verkommen zu lassen. ({6}) Das wird die Aufgabe einer Regierung sein, die wir dann nach dem 16. Oktober stellen. Ich darf Ihnen noch eines sagen. Das ist jetzt eine Bitte, die ich an die Justizministerin habe, die auch etwas mit einem der Streitpunkte vom Verbrechensbekämpfungsgesetz zu tun hat, um die es gerade geht. Das ist die Tagung der Innen- und Justizminister, die die kommenden drei Tage in Berlin sein wird. Wenn ich mir anschaue, wie lange wir jetzt schon wissen, daß wir eine erheblich kompetentere Zusammenarbeit von Polizei, Strafverfolgungsorganen und Gerichten über die Grenzen hinweg brauchen, wenn wir wissen, wie lange Europa nach Westen hin schon offene Grenzen hat, wenn wir wissen, daß sich seit 1989 nicht nur Mauer und Stacheldraht, sondern Gott sei Dank auch der Eiserne Vorhang aufgelöst haben, dann erstaunt es mich immer wieder, wie wenig Nachdruck genau in diesen Bereich gesetzt wird. Wir könnten uns vieles von dem Gekrampfe und dem. Gezerre, ob man nun noch einmal eine Behörde wie den BND in die Kriminalitätsbekämpfung einschaltet, sparen, wenn die Zusammenarbeit auf polizeilichem Gebiet über die Grenzen hinweg besser wäre. Entschuldigen Sie, dies ist keine Aufgabe des Parlamentes, sondern das ist eine Aufgabe der Regierung. ({7}) Hier sind Innen- und Justizminister im Wort. Ich habe den Eindruck, hier müssen eine Menge zusätzlicher Schritte getan werden. ({8}) Lassen Sie mich einen Wunsch hinzufügen. Der Wunsch, den ich habe, ist folgender: Wir wissen heute, wir haben immer mehr Probleme mit Gewaltkriminalität, mit Waffen, hauptsächlich illegalen. Aber bisher wurden keine entschiedenen Schritte unternommen, um die Waffengesetze der einzelnen Länder einander anzugleichen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich hätte es schon sehr gerne, daß wir, daß Sie, daß die Innenminister in den nächsten drei Tagen nicht nur repräsentativ und dekorativ, fernsehmäßig miteinander reden, sondern daß über solche Dinge verbindliche Absprachen getroffen werden und daß wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht an unseren Grenzen haltmachen. ({9}) - Das ist schon das Thema. Ich möchte dann aber bitte auch konkrete Absprachen sehen. Ich habe mir das Programm angeschaut; da bin ich nicht sehr hoffnungsfroh. Meine Damen und Herren, ich will es heute abend gar nicht zu lange machen; wir werden noch häufig genug Gelegenheit haben, hier miteinander zu besprechen, was sich in diesem Land ändern muß; und es muß sich eine Menge ändern. Meine Bitte ist, daß wir diese kleine Stunde der Nostalgie nicht immer nur dann pflegen, wenn verdiente Kolleginnen und Kollegen zum letztenmal hier reden, sondern daß wir uns daran vielleicht auch dann wieder erinnern, wenn es darum geht, in diesem Land wirklich etwas zu verändern. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzter zu diesem Bereich spricht der Kollege Detlef Kleinert.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! An uns soll es nicht liegen - es hat meistens auch nicht an uns gelegen -: Wir haben uns in all den Jahren über viele Dinge mit allen Seiten dieses Hauses vernünftig unterhalten können - jedenfalls mit denen, die man länger kennt; so kann ich das vielleicht freundlich ausdrücken - und haben dabei einige Freude, einigen Spaß gehabt, wie Hans de With es vorhin gesagt hat. Das hat der Sache sicherlich sehr genützt. Das wollen wir gern so weitermachen. Ich muß aber doch sagen: Das, was das Bundesministerium der Justiz, was Frau Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger mit allen ihren Mitarbeitern nach ihrem Vorgänger, dem jetzigen Bundesaußenminister, Herrn Kinkel, in dieser nun zu Ende gehenden Legislaturperiode geleistet hat, geht über das übliche Maß hinaus. Man muß bitte auch einmal den Gesamtzusammenhang sehen: Es sind die zum Teil sehr schwer merkbaren Titel einer Reihe von Gesetzen schon gefallen. Ganz vorn stehen die Unrechtsbereinigungsgesetze. Sie mußten von ihrer Bedeutung für die Menschen her unzulänglich bleiben. Kulturelle Aufgaben sind hier genauso wichtig wie der Versuch materieller Entschädigung. Darauf hat Frau Däubler-Gmelin zu Recht hingewiesen. ({0}) Gesteigert wurde das Arbeitsvolumen des Bundesministeriums der Justiz durch eine Fülle von Gesetzen, bei denen es sich nicht nur mit den Vermögensfragen, sondern auch mit dem Justizaufbau, der das alles bewältigen mußte - ganz einfache grundsätzliche Dinge, z. B. die Grundbuchämter -, befassen mußte. Das war eine unglaubliche Aufgabe. Ich habe das in diesem Plenarsaal schon einmal gesagt: Diese Aufgabe der deutschen Einigung hat eine vom Wohlstand sehr verwöhnte und deshalb erschlaffte Gesellschaft und - wie sollte es anders sein; sie lebt ja darin und damit - Verwaltung getroffen. Das alles scheint mir durch die Herausforderung etwas besser Tritt gefaßt zu haben. Das muß man als einen Teil der Bilanz mit sehen. Da bleibt vieles offen, da bleibt vieles zu wünschen übrig, aber es ist eine beachtliche Entwicklung, die hier stattgefunden hat. Daneben gibt es die uralten Anliegen, an denen sich viele verdientermaßen gemüht haben, wie z. B. die grundsätzliche Neuregelung der Insolvenz, sowie einige Dinge, die wir Liberalen für besonders wichtig halten, beispielsweise die kleine AG und andere gesellschaftsrechtliche Dinge. Im Zusammenhang mit dem, was für unser Wirtschaftsleben so wichtig ist, daß andere Leute meinen, es sei für sie nicht wichtig, weil ihr Geld aus anderen Quellen stammt, kommt etwas hinzu, was man gar nicht sehen kann, nämlich das, was verhindert wird. Ich halte es für ganz wichtig, daß Parlament und Bundesregierung, wie es erfreulicherweise in einigen Fällen der Fall war, auch weiterhin zusammenarbeiten, wenn es darum geht, dafür zu sorgen, daß die Subsidiarität in ihrer Bedeutung in Europa erkannt und verwirklicht und nicht nur so genannt wird ({1}) und wir nicht weiterhin mit überflüssigen Gesetzen und Richtlinien überschüttet werden. Trotz der harmonischen Stunde scheint hier die Zeit in besonderer Weise dahinzueilen. Deshalb lasse ich einiges aus und komme auf etwas zurück, was ich schon einmal gesagt habe und was zu Protest von Ihrer Seite - das kann ich gar nicht verstehen - geführt hat. Ich versuche es noch einmal. In der Zeit nach dem Wiener Kongreß, in der Zeit der Restauration, in der Zeit, in der hierzulande die Bürger vom Staat kujoniert und schikaniert worden sind, in der ganz neue gesellschaftliche Grundgedanken, in der wirklich wesentliche bürgerliche Freiheiten erst durchgesetzt werden mußten, war es eine wichtige Aufgabe der Liberalen, dem Staat gegenüber sehr, sehr mißtrauisch zu sein. Das ist noch das wenigste, was man sagen kann. Wenn wir aber nun - und nicht nur die Liberalen, aber die ganz besonders - alle zusammen für Freiheit, für demokratische Zustände, für eine verständige, für eine bürgernahe Verwaltung gesorgt haben, dann stellt sich die Sache etwas anders dar. Dann müssen wir dem Staat und denen, die wir bitten, seine Interessen durchzusetzen, z. B. der Polizei und der Justiz, auch die Möglichkeit geben, das zu tun. Ich kann nicht das Mißtrauen gegenüber dem Detlef Kleinert ({2}) Staat aus der Zeit vor inzwischen fast 200 Jahren auf das Heute tradieren ({3}) und damit den staatlichen Behörden verweigern, das zu tun, was alle Bürger heute am meisten von ihnen verlangen, nämlich daß sie ihre Freiheit auf öffentlichen Straßen und Plätzen auch nutzen können und daß dort für ihre Sicherheit gesorgt wird. ({4}) Deshalb hat sich naturgemäß eine Verschiebung ergeben. An ganz anderen Stellen bedroht uns der Staat - seine Überorganisation, seine Bürokratie - heute noch sehr nachhaltig, und es zeichnet sich keine Besserung ab. Über die sensationelle Ämtervermehrung in Niedersachsens Ministerialbürokratie hat Herr Wissmann heute schon etwas zu Herrn Schröder gesagt. Das liegt mir sehr am Herzen. 20 % in einer Zeit allgemeiner Finanznot sind ja ein bißchen üppig für die Vermehrung ausgerechnet der Ministerialbürokratie und nicht etwa der Polizisten und Lehrer, ({5}) wo die Wähler der Sozialdemokratie vermutet werden - ich hoffe, nach diesen Ereignissen zu Unrecht! Jedenfalls möchten wir hinsichtlich des Sicherheitsaspekts das tun, was wir ganz allgemein tun. Wir möchten nämlich dazu beitragen, daß sich die bedeutenden Mitglieder dieses Hauses immer wieder zusammenfinden im besonderen Bemühen um Einigkeit, wenn es um die Erreichung dieser Ziele geht. Nach monatelanger Sperre scheinen wir heute allmählich nach einigen geradezu überflüssigen Sitzungen auch dazu zu kommen, daß das Verbrechensbekämpfungsgesetz - ich lege Wert darauf, daß es eine Parlamentsveranstaltung und -initiative gewesen ist, alles zusammenzutragen, was noch geschehen sollte - jetzt langsam konstruktiv diskutiert wird. Ich bin ganz sicher, daß Hans-Jochen Vogel nicht entzückt gewesen wäre, wenn er gesehen hätte, wie nach Ende seiner Ägide seine Parteifreunde - „Genossen" sagt man ja wohl - versucht haben, sich allmählich zusammenzufinden, und heute in der sechsten Sitzung zum erstenmal zu konstruktiver Unterhaltung in der Lage gewesen sind. ({6}) Aber wir freuen uns darüber, daß es nun in Gang kommt, und wir werden sehen, daß wir es auch hinkriegen. Vieles wäre zu sagen. Vereinfachungsgesetze: mit uns bitte nicht mehr. In der nächsten Legislaturperiode sind mal andere an der Reihe. ({7}) Dann sind die mehrfach angesprochenen Landesjustizverwaltungen an. der Reihe. Wir werden dabei von hier aus dafür sorgen, daß sie nicht den Schwarzen Peter auf uns schieben und etwas von weiteren Vereinfachungen murmeln, während sie in Wirklichkeit die Verkürzung dringend notwendiger Bürgerrechte meinen. Sie müssen vielmehr mal bei sich selbst aufräumen. Die Richter sind verantwortungsbewußt und -bereit. Die Rechtspfleger, auf die wir als einen besonders qualifiziert ausgebildeten Berufsstand in unserem Lande im Rahmen der Justiz und als eine Säule der Justiz stolz sein können, sind darauf vorbereitet. Ich erwähne nebenbei auch die Gerichtsvollzieher, weil sie erfreulicherweise eine Art Unternehmerstatus haben. Als das in Bayern einmal anders war, funktionierte es erheblich schlechter, wie ich mich genau erinnere. Die alle sind bereiter als die Ministerialbürokraten, für eine vernünftige Justizorganisation das ihre zu tun und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Nur die da oben - die meisten werden zur Zeit leider von Ihnen gestellt - sagen unisono: Das haben wir noch nie so gemacht, das haben wir schon immer so gemacht, da könnte j a jeder kommen und schicken die Akten durch die Gerichtsflure, daß man wochenlang nicht weiß, wo sie sind, wenn jemand anruft. ({8}) Das ist nicht nur eine Frage der Ausstattung mit besseren Gerätschaften und Materialien, sondern das ist in erster Linie eine Frage ganz normaler vernünftiger Organisation. Ich kann nicht auf der einen Seite, in der freien Wirtschaft, die Arbeitnehmer freisetzen, immer mehr Druck auf den Arbeitsmarkt ausüben, und auf der anderen Seite, im Bereich der öffentlichen Verwaltung - immerhin jeder fünfte Arbeitsplatz im Lande -, meint man, alle diese Grundsätze gelten nichts. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Lieber Herr Kollege Kleinert, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, wenn ich jetzt entsprechend dem hier seit einiger Zeit, wenn ich das richtig beobachtet habe, eingetretenen Brauch noch zu den persönlichen Worten kommen darf, dann möchte ich das wirklich aus tiefster Überzeugung gerne tun. Ich fange gleich bei dem Dienstältesten an: Lieber Hans-Jochen Vogel, ich habe bereits Gelegenheit genommen, aber ich wiederhole und nehme Bezug auf das, was ich bereits in Berlin gesagt habe, und wünsche von Herzen alles Gute und bedanke mich für das, was wir gemeinsam gehabt haben. Das gleiche gilt für Hans Engelhard, der uns nunmehr ebenfalls verlassen will und dem wir dankbar sind für die Jahre, in denen er in seiner ganz unverwechselbaren Art, über die manche Leute sehr zu Unrecht gelegentlich abfällige Bemerkungen machen zu müssen meinten, mit uns gearbeitet hat. Nein, die Art von Seriosität, die er in der Leitung des Justizministeriums verkörpert hat, war besonders beachtlich; Detlef Kleinert ({0}) seine Mitarbeit über lange Jahre als unser Kollege im Rechtsausschuß gewiß ganz genauso. ({1}) Das gilt natürlich genauso für Hans de With, und zwar für beide Tätigkeiten, aus denen wir uns kennen. Das führte zu dem interessanten Streit, wer von uns länger Mitglied des Rechtsausschusses ist. Er hat sich zwischendurch einmal als Staatssekretär einsetzen lassen; diese Zeit muß abgezogen werden, wenn ich den Unterschied zwischen Parlament und Regierung richtig verstehe. Aber wir haben uns in beiden Bereichen immer gut verstanden, und es ist zum Schluß immer etwas Gutes dabei herausgekommen. Diejent gen, gegen die sich das richtet, sind - wie meistens, wenn über derartiges gepredigt wird -, nicht anwesend. Stil ist etwas, das man in diesem Parlament vielen in einem Ausmaß wünschen möchte, wie Hans de With es immer vorgelebt hat. Nicht nur dafür herzlichen Dank! ({2}) „Hannes ist auch im Rechtsbereich herumgegerstert'', so könnte man sagen. Wir haben diese seine Tätigkeiten immer mit großem Interesse und großer Aufmerksamkeit - wenn auch mit unterschiedlicher Geneigtheit - zur Kenntnis genommen. Ich möchte Hannes Gerster für seine Verdienste besonders herzlich danken. Den Dank möchte ich schließlich auf Herrn Wartenberg, der ebenfalls den Innenausschuß verläßt, ausdehnen, auch wenn wir wegen der bei uns etwas strengeren Trennung der Geschäftsbereiche weniger miteinander zu tun hatten. Das sind - auch andere haben das schon zum Ausdruck zu bringen versucht - keine leeren Höflichkeiten, die man zum Schluß austauscht. Je länger man hiergewesen ist, um so besser weiß man, daß es einige von uns gar nicht ausgehalten hätten, schon gar nicht in einem vernünftigen Sinn leistungsfähig geblieben wären, wenn wir uns die ganze Zeit so streiten oder auch nur soviel weniger schlecht miteinander umgehen würden, wie es manchmal aussieht. Dann wäre eine gescheite Arbeit hier nicht möglich. Wir sollten den Bürgern bei Gelegenheit, vielleicht zu einer günstigeren Zeit, sagen, daß es uns damit ernst ist. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir haben festgestellt: Für Herrn Kleinert gibt es überhaupt keine ungünstigen Zeiten. ({0}) Damit verlassen wir den Bereich der Innen- und Rechtspolitik und kommen zum Geschäftsbereich der Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Als nächster hat der Minister Jochen Borchert das Wort.

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten jetzt den Agraretat 1995 in erster Lesung. Ich werde alles tun, daß dies nicht die letzte Agrardebatte im Bundestag bleibt, sondern daß wir auch in der nächsten Legislaturperiode Agrardebatten durchführen. ({0}) Ich werde alles tun, damit die unverzichtbare Forderung der deutschen Landwirtschaft nicht zu einer Randnotiz im Umweltetat wird. Agrarpolitik darf nicht zum Anhängsel einer rot-grünen Umweltpolitik werden. Das haben die deutschen Bauern nicht verdient. So kann man eine leistungsfähige deutsche Landwirtschaft nicht sichern, so kann man ihr nicht auf dem europäischen Binnenmarkt helfen. Der Haushalt 1995 setzt die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen fort. Auch die Landwirtschaft kann davon nicht ausgenommen werden. Mehr Geld als im Vorjahr haben wir nicht zur Verfügung. Deshalb ist es um so wichtiger, Prioritäten zu setzen. Die Bundesregierung hat ein tragfähiges agrarpolitisches Konzept vorgelegt. Wir bleiben dabei, daß direkt einkommenswirksame Maßnahmen wie etwa der Bundeszuschuß zur Unfallversicherung, die Ausgleichszulage, aber auch der sorlostrukturelle Einkommensausgleich oder die Anpassungshilfe auch in einer Phase knapper Finanzen nicht gekürzt werden. Bauern und Bäuerinnen können sich hier auf unser Wort verlassen. Was tut die Opposition? Die SPD hat jahrelang direkte Einkommensübertragungen als ihren Heilsweg in der Agrarpolitik gefordert. Das waren aber offenbar alles nur Sprüche, nur leere Versprechungen; denn als es um die Aufstockung des soziostrukturellen Einkommensausgleichs und um die Fortführung der Anpassungshilfe durch Ländermittel ging, haben sich die SPD-regierten Länder versteckt. Sie haben so getan, als ginge sie das alles nichts an. Statt Geld aus der Länderkasse für die Bauern gab es nur flotte Sprüche. ({1}) Und die bayerische SPD unter der Landesvorsitzenden Renate Schmidt setzt dem noch die Krone auf. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zugunsten der Landwirtschaft, das fordert Frau Schmidt in Bayern, weil es bei Bäuerinnen und Bauern gut ankommt. Das gleiche geschieht, meine Damen und Herren, wenn SPD-Agrarpolitiker uns im Westen vorwerfen, wir pumpten zuviel Geld in den Osten unseres Landes, dort würden größere Betriebe zuviel Mittel erhalten, während dieselben Politiker im Osten unseres Landes behaupten, wir täten für die dortige Landwirtschaft zu wenig. Diese Doppelzüngigkeit muß immer wieder deutlich gemacht werden. Wir müssen fragen: Ist das die neue Ehrlichkeit der Sozialdemokraten? Ist das der Weg, wie Herr Scharping und Frau Griefahn Politik machen wollen? Offensichtlich geht es der SPD einzig und allein darum, die Macht in Bonn zu gewinnen, koste es, was es wolle. Dazu ist ihr jedes Mittel recht. Magdeburg läßt grüßen! Man muß sich das einmal aus der Sicht der Bauern vorstellen: Da läßt sich die SPD mit der PDS ein, deren Vorgängerin Bauern in die LPG gezwungen hat, die für die Zwangskollektivierung in der früheren DDR verantwortlich ist. Wir sind gerade dabei, den sozialistischen Schutt in den neuen Ländern beiseite zu räumen, da rollt die SPD der PDS wieder den roten Teppich zur Macht aus. Auch das Wahlkampfprogramm, das sogenannte Regierungsprogramm der SPD, ist bezeichnend. Man muß lange suchen, urn die Agrarpolitik dort überhaupt zu finden. Wenn man sie schließlich gefunden hat, stellt man fest, daß über Landwirtschaft wenig gesagt wird. Man erfährt statt dessen vor allem, was die SPD im Umweltbereich machen will, welche umweltpolitischen Alleingänge sie fordert, die das Geld der Bauern kosten und die Bauern am Ende aus dem europäischen Markt katapultieren. Dazu paßt dann auch das personelle Angebot der SPD für das Agrarressort: Umweltministerin Frau Griefahn. Dieser Name steht für einseitige, existenzgefährdende Umweltschutzauflagen, nationale Alleingänge und die Fortsetzung der niedersächsischen Pannenpolitik auf der Bundesebene. Das haben die Bauern in Deutschland nicht verdient. ({2}) Mit Showeffekten und Ankündigungen lassen sich die Interessen der Bauern in Europa nicht vertreten. An die Stärkung der Landwirtschaft denkt aber in der SPD offensichtlich niemand. Es gibt im Regierungsprogramm kein Wort zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen in Europa, kein Wort darüber, wie lebenswichtig der Außenschutz für die weitere Entwicklung der deutschen und der europäischen Landwirtschaft ist, kein Wort über die Notwendigkeit, neue Märkte im Bereich nachwachsender Rohstoffe zu erschließen. Deshalb kann ich nur wiederholen - dies wird für die Bauern immer deutlicher -: Zur Agrarpolitik der Bundesregierung gibt es keine Alternative. Wir haben gegen den Widerstand der SPD erreicht, daß die Reform der Agrarsozialpolitik doch noch ein Erfolg geworden ist. Sie bringt die lange geforderte Bäuerinnenrente, sorgt für eine gerechte Beitragsgestaltung und sichert die langfristige Finanzierbarkeit in der landwirtschaftlichen Altershilfe. Der Bund stellt allein in den Jahren 1995 bis 1997 über 1 Milliarde DM an Haushaltsmitteln dafür zur Verfügung. Wir hätten in diesem Bereich gern mehr durchgesetzt. Der Regierungsentwurf war besser als der Kompromiß, dem wir zustimmen mußten. Wir haben aber, um dieses Gesetz auch im Bundesrat verabschieden zu können, diesem Kompromiß zugestimmt, werden aber deutlich machen, daß er in vielen Punkten weit hinter dem zurückbleibt, was wir im Bundestag vorgelegt haben und gerne durchgesetzt hätten. Wir haben etwa im Bereich des Milchmarktes die Handelbarkeit der Milchquoten eingeführt und regeln im Rahmen des rechtlich Möglichen, im Rahmen dessen, was das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zuläßt, auch die Problematik der Altpachtfälle. Gemeinsam mit den Ländern sind wir dabei, das Problem der Luftquoten in den neuen Ländern zu lösen, um Quotenspekulanten das Handwerk zu legen. Wir werden den Weg zur Stärkung der Leistungsfähigkeit unserer Landwirtschaft konsequent fortsetzen. Für die einzelbetriebliche Investitionsförderung ist es dabei nicht entscheidend, ob die Betriebe im Voll-, im Zu- oder im Nebenerwerb bewirtschaftet werden. Wir müssen als entscheidenden Maßstab die Rentabilität, die Wirtschaftlichkeit der Investition gelten lassen. Um den Betrieben stärker zu helfen, wollen wir bereits 1995 die einzelbetriebliche Investitionsförderung um mindestens 100 Millionen DM erhöhen und sie in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Damit wird die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gestärkt, und wir werden sicherstellen, daß die Länder dieses zentrale Anliegen der Bundesregierung auch umsetzen. Wir können damit mittelfristig zusätzliche Investitionen in einer Höhe von insgesamt 3 Milliarden DM initiieren.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jan Oostergetelo?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Ja, bitte.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich habe den Eindruck, Sie unterliegen wieder der Versuchung, sich über die Opposition zu unterhalten und sich weniger mit dem zu befassen, was Sie tun wollen. Deshalb frage ich Sie: Liege ich falsch in der Annahme, daß die direkten Einkommensübertragungen - Sie haben zu Recht erwähnt, daß wir sie gewollt haben - von Ihnen noch als Vizepräsident des Bauernverbandes in der Rheinaue bestritten wurden und Sie damit das Gegenteil von dem taten, was Sie als Präsident gefordert haben? Liege ich falsch in der Annahme, daß die Koalitionsvereinbarungen acht Jahre haben auf sich warten lassen, bis es eine eigenständige soziale Absicherung der Bäuerinnen gab? Liege ich auch falsch in der Annahme, daß Ihre Partei bereit ist, das Wort „bäuerlich" aus dem Parteiprogramm zu streichen?

Jochen Borchert (Minister:in)

Politiker ID: 11000233

Herr Kollege, Sie liegen falsch in Ihren Annahmen, und zwar in allen dreien. Ich habe mich in der Rheinaue überhaupt nicht zu Wort gemeldet; ich habe nämlich an der Veranstaltung in der Rheinaue gar nicht teilgenommen weder als Abgeordneter noch als Vizepräsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. ({0}) - Ich habe dort als Vizepräsident nicht teilgenommen und nicht dazu Stellung genommen. Insofern liegen Sie mit Ihrer Annahme falsch. Wir haben die soziale Sicherung der Bäuerinnen vorbereitet, durchgesetzt und eingeführt. Sie haben davon jahrelang nur geredet. Insofern liegen Sie mit Ihrer Annahme auch in diesem Punkt falsch. ({1}) - Sie hatten jahrelang Zeit, dies früher durchzusetzen. Sie haben dies nicht einmal in Angriff genommen. Wir haben es in Angriff genommen und durchgesetzt. Wenn Sie heute beklagen und sagen, wir hätten es früher durchsetzen sollen: Wir hatten vieles andere aufzuräumen. ({2}) Sie haben in den 70er Jahren in wichtigen Bereichen direkte einkommenswirksame Maßnahmen gekürzt. Ich denke etwa an die Kürzung im Bereich der Berufsgenossenschaft und der Unfallversicherung. Sie waren dabei, diese Unterstützung auf Null zu fahren. Wenn Sie uns heute vorwerfen, wir hätten die soziale Sicherung der Bäuerinnen früher machen müssen, so kann ich nur sagen, daß wir unsere Zusage eingehalten haben. Wir haben gesagt, wir setzen die eigenständige Sicherung der Bäuerinnen durch, und wir haben sie durchgesetzt. Herr Kollege, ich beschäftige mich hier nicht nur mit der Opposition. Vielmehr habe ich sehr deutlich gesagt, wir werden die einzelbetriebliche Investitionsförderung aufstocken. Wir werden damit die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft stärken. Wir brauchen gerade diese Maßnahmen, denn wir müssen erreichen, daß die deutsche Landwirtschaft im Wettbewerb mit ihren Konkurrenten aus den anderen europäischen Ländern wettbewerbsfähig wird, damit wir Marktanteile verteidigen und zurückgewinnen können. Dies ist die zentrale Botschaft unserer Politik. Wir machen diese Politik für bäuerliche Landwirtschaft, und zwar für die Landwirtschaft in ihrer gesamten, vielfältigen Struktur. - Wir reden über Agrarpolitik im Osten wie im Westen unseres Vaterlandes in der gleichen Art. Wir machen nicht das, was Politiker Ihrer Partei machen: im Osten so und im Westen so reden. Diese Doppelzüngigkeit haben wir eben nicht. ({3}) Wir werden mit dieser Förderung, die wir aufstokken, Investitionen von insgesamt 3 Milliarden DM anstoßen. ({4}) - Sie ist aber leider trotzdem zu Ende. - Wir brauchen diese Verstärkung der einzelbetrieblichen Förderung. Weil dies eine Investition in die Zukunft unserer Bäuerinnen und Bauern ist, ist der Entwurf des Einzelplans 10, des Agraretats des Haushalts 1995, für Bauern in Deutschland - in Ost wie in West - eine gute Botschaft. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Gerald Thalheim.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Es gibt einen schönen Spruch: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. - Der erste Teil Ihrer Rede war dieser Steinwurf. Ich möchte Ihnen empfehlen, sich einmal daran zu erinnern, daß es die CDU war, die die ehemalige Bauernpartei der DDR aufgenommen hat. Ich möchte Sie bitten, sich historisch insofern kundig zu machen, als es gerade die Bauernpartei war, deren größtes historisches Verdienst in der Programmatik die Bodenreform und die Kollektivierung waren. ({0}) - Aber sie ist aus den Vorkämpfern der Bodenreform hervorgegangen. Herr Junghanns, das wissen Sie ganz genau. ({1}) Herr Kollege Borchert, es gibt bestimmte Regeln des Anstands. Ich will sie hier nicht außer acht lassen. Deshalb verzichte ich darauf, aus Ihrer Fraktion Namen von Kollegen zu nennen und zu sagen, was sie früher gemacht haben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Reden heutige Abgeordnete, die mit im Raum sitzen, auf Kreisbauernkonferenzen gehalten haben. Wenn Sie die einmal gedruckt vor sich gehabt hätten, hätten Sie Ihre Rede heute nicht so angefangen, wie Sie es getan haben. ({2}) Eine weitere Bemerkung: Sie spielten darauf an, daß die Agrarpolitik künftig vom Umweltministerium quasi mit erledigt werden soll. Ich möchte' Ihnen darauf antworten. Solange Agrardebatten und Diskussionen über den Agrarbericht als wichtigste Botschaft nur enthalten, daß die Einkommensverhältnisse für die deutsche Landwirtschaft wieder schlechter geworden sind, ist mit dieser Art von Politik auch nicht viel erreicht. ({3}) Da muß schon mehr erfolgen. ({4}) - Aber, Herr Kollege, es ist doch so. Was haben wir in diesem Jahr bei der Diskussion des Agrarberichts gemacht? Sie mußten von diesem Pult aus einräumen, daß es wieder erhebliche Einkommensrückgänge für die Landwirte in Deutschland gegeben hat. Ich denke, das ist keine Botschaft, auf die Sie besonders stolz sein können. Jeder hätte erwartet, daß die genannte Botschaft bei der Debatte des Agrarberichts in diesem Jahr irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Aber darauf haben wir umsonst gewartet. Offensichtlich gilt auch für die Agrarpolitik, was für die Politik der Bundesre21364 gierung im allgemeinen gilt, das „Einfach weiter so". ({5}) - Herr Kollege Heinrich, wir kommen noch darauf. Herr Kollege Borchert, Ihr mit viel Werbeaufwand propagierter „Künftiger Weg" scheint ohne die geringsten Korrekturen in den alten Gleisen zu laufen. Doch diese Gleise sind ausgefahren, und vor allen Dingen fährt der Zug nach wie vor in die falsche Richtung. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß trotz eines hohen Agrarhauahaltes - auch wenn man in den Agrarhaushalt die Mittel aus der gemeinsamen Agrarpolitik einbezieht - die Einkommen in der deutschen Landwirtschaft zurückgegangen sind, dann ist das eine sehr negative Entwicklung. Von der politischen Verantwortung dafür können Sie sich nicht freisprechen. ({6}) Die Gründe dafür, Kollege Hornung, sind vielfältiger Natur. ({7}) Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir dafür den GATT-Abschluß verantwortlich machen würden, den Binnenmarkt oder die EU-Agrarpolitik. Ein Teil der Ursachen für die schlechte Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft ist hausgemacht. In Deutschland gibt es erhebliche Defizite in den Vermarktungsstrukturen, die nicht ohne negative Auswirkungen auf die Erzeugerpreise bleiben, und es gibt Defizite, was die Betriebsstrukturen anbelangt. Es war die falsche Politik, den Markt zu vernachlässigen und den Bauern einzureden, durch staatliche Eingriffe könnten die Probleme gelöst werden. Diese Politik ist offensichtlich fehlgeschlagen. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen, und es ist äußerst schwierig, Auswege aufzuzeigen. Exemplarisch für die gescheiterte Politik der Bundesregierung steht nach meiner Auffassung die Milchgarantiemengenverordnung, deren Einführung zehn Jahre zurückliegt. Mit Hilfe der Milchgarantiemengenverordnung war es weder möglich, ein Marktgleichgewicht herbeizuführen, ({8}) noch möglich, ein angemessenes Preisniveau zu garantieren. Garantiert wurde lediglich ein Beschäftigungsprogramm für die Agrarverwaltung und anschließend für die Justiz. Gegenwärtig ist sage und schreibe die 32. Änderungsverordnung zur Milchgarantiemengenverordnung in Vorbereitung. Auf einer Diskussionsveranstaltung kürzlich in Westfalen äußerte ein Milchbauer - Herr Kollege Hornung, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, zuzuhören - folgende Meinung: Wenn die Hose bereits sieben Flicken hat, setzt man keinen achten darüber; man kauft besser eine neue Hose. - Der Mann hat recht. Die Milchgarantiemengenverordnung hat mittlerweile 31 Flicken, und mit dem 32. und vielleicht vielen anderen wird sie nicht besser. ({9}) Herr Bundesminister, Sie sind erst kürzlich mit der Forderung an die Öffentlichkeit getreten, die Milchgarantiemengenverordnung strikt einzuhalten und daran nicht zu rütteln. Weniger laut haben Sie der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß Sie im August 25,5 Millionen DM Bundesmittel für einen Vergleich mit benachteiligten Landwirten ausgeben mußten, weil die Milchgarantiemengenverordnung offensichtlich in wesentlichen Teilen nicht verfassungskonform war. Allein dieser Vorgang zeigt, wie problematisch die Situation ist. Noch schwerer wiegt die Tatsache, daß mit der Einführung der Milchquote das angestrebte Ziel einer Marktstabilisierung nur für kurze Zeit erreicht wurde. Das Marktgleichgewicht konnte mit diesem Instrument nicht hergestellt werden. Demzufolge gehen die Preise seit längerer Zeit wieder nach unten; gegenwärtig drohen sie, in den allgemeinen Strudel der Preisreduzierungen im Zusammenhang mit der Agrarreform zu geraten. ({10}) Im Agrarausschuß ist vor Jahren angekündigt worden, daß sich die Milchpreise Ost in Richtung des hohen Niveaus im Westen entwickeln werden. Gegenwärtig geht die Entwicklung, Kollege Hornung, genau in die andere Richtung. So nimmt es nicht wunder, daß sich bei den Bauern Widerstand regt. In den letzten Jahren hat der Anteil geleaster und gepachteter Milchmengen zugenommen. Die Konsequenzen für die Milchbauern sind katastrophal. Diejenigen, die 365 Tage im Jahr Kühe melken, müssen immer mehr Geld an jene zahlen, denen die Milchquote gehört, weil sie sie geerbt haben oder als Verpächter ohne eigenes Zutun in den Genuß dieser Quote gekommen sind. Die jungen Landwirte sprechen nicht ohne Groll von „Sofamelkern". ({11}) Mit besonders großer Verärgerung wurden die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die sogenannten Altpachtfälle zur Kenntnis genommen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das darf nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit sein. ({12}) Im Interesse der Betroffenen möchte ich Sie dringend darum ersuchen, über diese Fälle noch einmal eingehend zu beraten und - wenn schon nicht kurzfristig, dann zumindest längerfristig - eine Regelung herbeizuführen. Das Ziel muß mindestens darin bestehen, das Quoteneigentum in ein Nutzungsrecht für die aktiven Milcherzeuger umzuwandeln. ({13}) Die gegenwärtigen Sonderregelungen in den neuen Bundesländern könnten dafür ein Vorbild sein. Das zehnjährige Bestehen der Milchgarantiemengenverordnung gibt wenig Anlaß zum Feiern. Es gibt eher Anlaß zum intensiven Nachdenken, ob diese Art der Marktregulierung wirklich ein geeignetes Instrument darstellt, bei sich öffnenden Märkten das Marktgleichgewicht herzustellen und gleichzeitig einen positiven Einfluß auf die Preise auszuüben. Das ist mit dieser Regelung sicher nicht möglich. Angesichts der geschilderten Probleme ist es unverständlich, daß trotzdem die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden sollen. So sind wir, Herr Bundesminister, in den neuen Ländern auf dem besten Weg, eine betriebsbezogene Rapsquote einzuführen. Wenn ich mir vorstelle, in welche Richtung die Regelung in den anderen Kulturen geht, dann ist das nach meiner Auffassung eine äußerst bedenkliche Entwicklung. Bei der Umsetzung der EG-Agrarreform scheint sich die gleiche Entwicklung wie bei der Milchgarantiemengenverordnung zu wiederholen. Was als Unterstützung der Landwirte gedacht war, droht sich in das Gegenteil zu verkehren. Eine direkte Einkommensübertragung, für die - Sie haben es in Ihrer Rede erwähnt - zugegebenermaßen auch die SPD-Bundestagsfraktion eingetreten ist, hat zwar den Vorteil, daß das Geld direkt bei den Landwirten ankommt; flächenbezogene Ausgleichszahlungen haben allerdings den entscheidenden Nachteil, daß sie sich auf den Pachtpreis negativ auswirken. So mehren sich die Hinweise, daß es trotz niedrigerer Erzeugerpreise und demzufolge rückläufiger Deckungsbeiträge zu erhöhten Pachtforderungen kommt. Die Gefahr besteht, daß die Ausgleichszahlungen der EG-Agrarreform immer weniger beim Landwirt ankommen, zumindestens nimmt der Teil der Pacht, der an die Flächeneigentümer geht, zu. Ich will es klar und deutlich aussprechen, Herr Hornung: Wir subventionieren - ich gebrauche bewußt dieses Wort - damit nicht die tätigen Landwirte, sondern die Bodeneigentümer, und diese Gruppen sind nicht in jedem Fall identisch. Mit einem zunehmenden Anteil gepachteter Flächen wird sich die Frage an die Verbände und Agrarpolitiker verschärfen: Wem soll zukünftig das Augenmerk der Agrarpolitik gelten, den Boden- und Quoteneigentümern oder den tatsächlich wirtschaftenden Landwirten? ({14}) Für uns als SPD steht die Antwort fest: Wir sind für die tätigen Landwirte. ({15}) Für mich als Abgeordneten aus einem der neuen Länder - -({16}) - Herr Kollege Hornung, ich hätte Ihnen gewünscht, Sie wären vorige Woche mit in der Münsterlandhalle gewesen. Da war das eine Frage an Politik und Verbände: Wem soll zukünftig die Agrarpolitik dienen? ({17}) - Herr Kollege Susset, wenn wir unsere Aufgabe nicht mehr darin sehen, Politik für die Landwirte zu machen - an dem Abend waren 1 000 Landwirte da; viele der Punkte, über die wir hier diskutieren und die ich heute in meiner Rede angesprochen habe, habe ich bewußt an dem Abend aufgegriffen -, dann frage ich mich: Für wen machen wir dann überhaupt Politik? Wenn 1 000 Landwirte aus ganz Niedersachsen an einem Abend zusammenkommen, um Antworten zu erhalten, dann muß es schon legitim sein, an diesem Pull diese Fragen und diese Antworten zumindest einmal weiterzugeben. Im übrigen können Sie sich gerne einmal mit Ihren Kollegen unterhalten, die mit auf dem Podium saßen. An sie sind diese Fragen genauso gestellt worden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Thalheim, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bredehorn?

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Thalheim, ich gebe Ihnen ja recht, daß wir als Agrarpolitiker sicher Politik für die Landwirte, für die Bauern machen wollen. Aber halten Sie es denn in diesem Zusammenhang für richtig, wenn die SPD in ihrem Schattenkabinett eine Dame aufbietet, die nun vielleicht von allem Ahnung hat, aber mit Sicherheit nicht von der Landwirtschaft? Ist das denn ein Zeichen, daß wir Politik für die Landwirtschaft und für die Landwirte machen wollen?

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Bredehorn, ich bin hier nicht der richtige Adressat. Da die Kollegin noch hier ist und heute sprechen wird, können Sie ihr gern die Fragen selbst stellen. Ich bin überzeugt, daß sie in ihrem Vortrag Sie vom Gegenteil überzeugen wird. ({0}) Als Abgeordneter aus der ehemaligen DDR möchte ich auf einen Punkt besonders aufmerksam machen. Nach dem Ende der DDR wurde in den neuen Ländern das Hohelied der Marktwirtschaft gesungen. An jeder Hauswand war die Parole zu lesen: „Leistung soll sich wieder lohnen. " Meine Frage ist: Ist es unsere ernsthafte Meinung, daß man gerade im landwirtschaftlichen Bereich diese Forderung auf Dauer ungestraft außer acht lassen kann? Ich bin der Meinung: Nein, das können nicht nur Schönwetterparolen sein. Wir müssen diese Forderung auch in die Praxis, in Politik umsetzen. Ich bin der Überzeugung: Stillegung und Quoten sind die falsche Antwort auf die Probleme im Agrarbereich. Wir brauchen eine neue Agrarpolitik, die den Landwirten wieder den unternehmerischen Spielraum zurückgibt. Besser als die bisherige Stillegungspolitik wäre eine flächendeckende allmähliche Extensivierung der Produktion, die gleichzeitig positive Einflüsse auf die Agrarmärkte hätte und Natur und Umwelt schonen würde. Wenn es schon unumgänglich ist, Flächen stillzulegen, dann sollten sie auf Dauer für Zwecke des Umwelt- und Naturschutzes bzw. für die Waldanpflanzung aus der Produktion genommen werden. Die Stillegung bringt in dieser Richtung keine positiven Effekte. ({1}) - Kollege Hornung, es ist so ausgestaltet, daß es kaum einer nutzt, weil es nicht auf Dauer angelegt ist. ({2}) Dagegen kann man einwenden: Auch das geht nicht ohne finanzielle Flankierung. Das ist richtig. Aber Geld in diesem Bereich ist nach meiner Auffassung sehr sinnvoll angelegt. Ein Zweites ist nach meiner Auffassung wichtig: Wir müssen über Erwerbsalternativen für die Landwirtschaft oder besser formuliert: über Produktionsalternativen nachdenken. Das Stichwort der Zukunft heißt nach meiner Auffassung „nachwachsende Rohstoffe". Mit jeder Mark, die wir den Landwirten für Leistungen in diesem Bereich geben, können sie einen Beitrag zur Ökologie leisten. Dazu zähle ich auch die CO2-Minderung durch den Einsatz von Rapsöl als Biodiesel. ({3}) Zusätzliche finanzielle Mittel werden dafür, Kollege Hornung, nicht zur Verfügung stehen. Wir brauchen den Mut für eine leistungsorientierte Umschichtung im Agrarhaushalt. Ich möchte hier bewußt auch die Auszahlungen im Rahmen der EG-Agrarreform mit einbezogen wissen. Offensichtlich fehlt es in der Bundesregierung an diesem Mut. Herr Bundesminister Borchert, Sie sind bis heute die Antwort schuldig geblieben, mit welchen Instrumenten Sie die in Ihrem „Künftigen Weg" avisierten Ziele tatsächlich erreichen wollen. Bis heute fehlt auch eine schlüssige Antwort, wie z. B. das sehr sinnvolle, im politischen Leitfaden der CDU angekündigte allgemeine Agrarkreditprogramm in die Praxis umgesetzt werden soll. Sind das alles nur Sprechblasen? Wo bleiben die Gelder, die durch die Agrarsozialreform zunächst eingespart wurden? Sie haben diese Reform hier angesprochen. Sie wissen selbst, daß in Ihrem Redebeitrag viel Polemik war. Die finanziellen Mittel waren einfach nicht vorhanden, um die Agrarsozialreform so auszugestalten, wie Sie das vorhatten. ({4}) - Kollege Heinrich, auch hier muß ich wieder auf meine Herkunft Ostdeutschland Bezug nehmen. Bei der Einheit war eine der entscheidenden Formulierungen: Rente nur für Leistungen. Hier sollte das erste Mal eine Rentenleistung an die fiktive Mitunternehmerschaft der Bäuerin ohne eigene Beiträge gebunden werden. ({5}) - Kollege Heinrich, hier geht es nicht darum, ob Leistungen erbracht wurden, sondern ob Beiträge gezahlt wurden. Das ist doch ein himmelweiter Unterschied. ({6}) - Ja, genau das sind die Argumente, die ich bei Rentendiskussionen in den neuen Länder höre. Wir hätten ja gerne zu DDR-Zeiten mehr Beiträge gezahlt, um Rente zu bekommen. Wir konnten es nicht. Insofern ist das eine völlig unlogische Diskussion.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Thalheim, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Thalheim, kurz zu Ihnen: Sie wissen, daß ich zu den Bereichen Milchmarkt und Milchquoten eine sehr kritische Haltung habe. Die Dinge, die Sie angesprochen haben, werden sicher noch zu Diskussionen führen müssen. Wir müssen da zu neuen Entscheidungen kommen. Ich habe von Ihnen leider nicht gehört, wie denn die Vorschläge der SPD sind. Sie sagen: Wir brauchen eine neue Agrarpolitik. Aber dazu ist von Ihnen auch nicht sehr viel gekommen. Sie haben zwar die nachwachsenden Rohstoffe hier angesprochen - das ist richtig, okay und gut -, aber im SPD-Wahlprogramm - und es müßte ja eigentlich den Leuten doch wohl gesagt werden, was Sie wollen - steht davon leider kein Wort. ({0}) - Gut, dann werden wir das sicher später im Ausschuß einmal intensiv besprechen können. Sicherlich ist niemand darüber glücklich, daß wir im Einzelplan 10, Agrarhaushalt - vielleicht kommen wir darauf auch noch einmal zurück - eine deutliche Reduzierung in Kauf nehmen müssen. Das ist eine durchaus bittere Pille, und ich kann verstehen, daß man darauf kritisch reagiert. Aber andererseits gilt auch: Die Konsolidierung der Staatsfinanzen hat derzeit Priorität. Sie muß Priorität haben, wenn wir nach der stark expansiven Phase des Bundeshaushalts im Zusammenhang mit der Finanzierung der deutschen Einheit unser Land zukunftsfähig halten wollen. Sparzwänge können ja auch, bei allem Ärger und Ungemach, die sie verursachen, etwas Positives haben. Sie zwingen nämlich zur Prioritätensetzung. Dafür sehe ich durchaus eine gute Chance. Bundeslandwirtschaftsminister Borchert hat diesen Gedanken bereits aufgegriffen, als er vorhin ausführte, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft liege ihm besonders am Herzen; er wolle daher die knapper werdenden Mittel auf den investiven Bereich der Förderung konzentrieren. Ich freue mich ganz besonders, daß damit eine Hauptforderung der liberalen Agrarpolitik auf gegriffen worden ist. Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, der wettbewerbsfähige Betrieb, das sind Zielsetzungen, die wir seit langer Zeit verfolgen und für die ich mich immer eingesetzt habe. Ich hoffe und erwarte, daß der Bundeslandwirtschaftsminister seine Zeit während der deutschen Präsidentschaft nutzt, um diese Zielsetzung auch in Brüssel abzusichern. Mir ist da eigentlich gar nicht so bange, daß Jochen Borchert das erreichen kann. Bange wäre mir allerdings, hätte die SPD die Verantwortung, hieße die Umweltministerin Griefahn und hätte in ihrem Ministerium auch noch ein bißchen Restverantwortung far die Agrarpolitik. Die Konsequenz daraus wäre doch eindeutig: Die berechtigten Interessen der Landwirte würden vernachlässigt. Die Landwirtschaft hätte keinen Ansprechpartner mehr, der genügend Sach- und Fachkompetenz hätte, um sich in Brüssel im Ministerrat und bei der Kommission durchzusetzen. Ein SPD-geführtes Umweltministerium mit einer Unterabteilung Landwirtschaft könnte dies gegenüber Brüssel auch gar nicht leisten. ({1}) Frau Griefahn wollte dies möglicherweise auch gar nicht. Nach den Leistungen, die sie in Niedersachsen vorzuweisen hat, meine ich, sie könnte es wohl auch gar nicht. Der dortige Landwirtschaftsminister, mein Nachbar Karl-Heinz Funke, erklärt mir auch immer: Das mit Frau Griefahn ist ja gut und recht; aber zuständig für die Landwirtschaft hier bin schließlich ich. - Es ist schon bemerkenswert, welchen Stellenwert die Landwirtschaft im sogenannten Schattenkabinett der SPD hat. ({2}) Ich meine, wenn dies auf uns zukäme, würde die deutsche Landwirtschaft mit einem zusätzlichen Netz von Regulierungen, Auflagen und Abgaben überzogen. Hinzu kämen neidgestützte Einkommensobergrenzen, die betriebliches Wachstum in der Landwirtschaft unmöglich machten ({3}) eine Politik, die für die deutschen Bauern - ich bin kein Angstmacher - sehr teuer würde und noch mehr Betriebe zur Aufgabe zwingen würde. Die Konkurrenten in der EU und im Ausland würden davon profitieren. Die F.D.P. - ich sage das ganz eindeutig - ist ganz klar und ohne Wenn und Aber für die Beibehaltung eines eigenständigen Landwirtschaftsministeriums in Bonn. Ich freue mich, Herr Müller, daß Sie inzwischen auch dabei sind. Wir wollen die deutsche Landwirtschaft in dem äußerst schwierigen Anpassungsprozeß unterstützen. Die EU-Agrarreform und die GATT-Beschlüsse haben tiefe Spuren hinterlassen. Die Einkommen der Bauern sind unter Druck. Weitere Belastungen sind der Landwirtschaft nicht zumutbar. Nur in einem eigenständigen Agrarressort können die Interessen der deutschen Landwirtschaft, des ländlichen Raums und nicht zuletzt der Verbraucher angemessen berücksichtigt werden. Die Förderung und Stärkung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unternehmen müssen selbstverständlich Priorität behalten und dürfen nicht anderen Zielen untergeordnet werden. Mit uns wird das jedenfalls nicht geschehen. Die F.D.P. will die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft im gemeinsamen Binnenmarkt stärken und Spielräume für eine unternehmerisch erfolgreiche Landwirtschaft erweitern. Erst dies ermöglicht wirkungsvolles unternehmerisches Handeln. Ich füge hinzu: Landwirtschaftliches Unternehmertum und Abhängigkeit von überhohen Staatstransfers schließen sich aus. Nicht der von der staatlichen Fürsorge eingelullte Prämienempfänger, son-dem nur der im Wettbewerb fit gemachte Unternehmer ist in der Lage, sich gegen die inner- und außereuropäische Konkurrenz zu behaupten. Der Etat des Bundeslandwirtschaftsministeriums, der Einzelplan 10, sollte daher künftig im wesentlichen auf drei Säulen ruhen: Ein ganz wichtiger Ausgabenblock müssen die investiven Fördermittel sein. Das Kriterium der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit muß das Ausschlaggebende bei der Vergabe der einzelbetrieblichen Fördermittel sein. In diesem Zusammenhang müssen Bestandsober- und Fördergrenzen geprüft und möglichst abgeschafft werden. Aber ich sage hier für die F.D.P. ganz deutlich: Die Flächenbindung der Tierhaltung, an der wir festhalten wollen, muß eine Ausnahme sein. Es gilt hier, den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang mit der Nutzung technischer und unternehmerischer Innovationspotentiale zu berücksichtigen. Der zweite wichtige Ausgabenblock muß in Zukunft stärker auf die Erwerbs- und Einkommensalternativen außerhalb der Landwirtschaft ausgerichtet werden. Wir brauchen eine aktive Politik für den ländlichen Raum. Zur Zukunftssicherung für den Wirtschaftsstandort Deutschland gehört ein leistungsfähiger und lebenswerter ländlicher Raum mit einer intakten Kulturlandschaft. ({4}) Dort brauchen wir daher landwirtschaftsnahe Erwerbsmöglichkeiten und vielfältige Einkommenskombinationen: im Tourismus, im Handwerk, bei der Landschaftspflege, bei den kommunalen Dienstleistungen, bei der rohstofflichen und energetischen Verwertung land- und forstwirtschaftlicher Biomasse. ({5}) Einer derartigen Vitalisierung der ländlichen Räume werden wir in Zukunft ein Hauptgewicht verleihen. Der dritte wichtige Ausgabenblock, die landwirtschaftliche Sozialpolitik, hat bereits ein sehr hohes Volumen erreicht. Das Tüpfelchen auf dem i haben wir mit der Verabschiedung einer Reform der Agrarsozialpolitik gesetzt. Mit der Agrarsozialreform erreichen wir, daß die rund 230 000 deutschen Bäuerinnen endlich eine eigene Alterssicherung und Schutz bei Erwerbsunfähigkeit erhalten, der Explosion der Beiträge zur Altershilfe ein Riegel vorgeschoben und das gesamte System der agrarsozialen Absicherung finanziell stabilisiert wird und die Beitragserhebung selbst leistungsorientiert und damit in Zukunft sozial gerechter erfolgt. Die Reform wird zum 1. Januar 1995 in Kraft treten. Damit wird die von Josef Ertl einst eingeleitete neue Agrarsozialpolitik komplettiert. Wir sind stolz darauf, daß mit den aktuellen Entscheidungen die Basis der Agrarsozialpolitik gefestigt, die Risiken des Strukturwandels vom Bundeshaushalt übernommen und damit auch unternehmerische Spielräume für die aktiven Betriebe geschaffen werden. Meine Damen und Herren, wenn wir künftig die staatlichen Aufwendungen für die Agrarpolitik in der Weise ausrichten, wie ich es soeben kurz grob skizziert habe, behält die deutsche Landwirtschaft ihre Perspektive und wird auch bei offeneren Weltmärkten eine gute Zukunft haben. Ich bedanke mich. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt hat das Wort unsere Frau Kollegin Maria Anna Hiebing.

Maria Anna Hiebing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als niedersächsische Landfrau freue ich mich, hier sprechen zu dürfen, um mit den persönlichen Erfahrungen die Politik unseres Landwirtschaftsministers zu stützen. Von großer Tragik begleitet - das möchte ich hier einmal betonen - war für mich das grausame Geschehen um die Schweinepest. Hier wird deutlich, daß es die Niedersächsische Landesregierung durch quasi tatenloses Zusehen fertiggebracht hat, einen Berufszweig in den Ruin zu treiben und damit alle Landwirte in Mißkredit zu bringen, ({0}) indem sie die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung anfangs mißachtete. ({1}) Entsetzlicherweise waren solche Bauern, die sich außerordentlich korrekt verhalten haben und keine Pestfälle in ihren Ställen hatten, auch noch die Leidtragenden. Sie wurden viel zu gering entschädigt und mußten unter Handelsrestriktionen leiden, die eindeutig im Versagen des niedersächsischen Landwirtschaftsministers begründet sind. ({2}) Jochen Borchert dagegen hat in Brüssel vehement gekämpft, um zerstörtes Vertrauen wiedergutzumachen. Dies hat schließlich doch zur Auflösung der Handelssperren geführt. Des weiteren hat Minister Borchert bei der Bundesregierung viele Millionen lockergemacht, um erste Hilfe zu leisten. Gleiches gilt für das Maßnahmenpaket der Europäischen Union. Da möchte ich nur die Aufstockung der Kartoffelstärkenquote nennen, die für uns Landwirte sehr wichtig ist. Zur Plage sind für die Landwirte die vielen Verordnungen und Richtlinien geworden, die besonders die Länder produzieren, und zwar am laufenden Band. Wir brauchen aber weniger und nicht mehr Vorschriften, um vernünftig arbeiten zu können. Daß unser Bundeskanzler für die Landwirte ein Herz hat, zeigt sich darin, daß er jetzt mit der Agrarsozialreform die Absicherung der Bäuerinnen im Alter durchgesetzt hat. ({3}) Nach langem Tauziehen ist endlich sichergestellt, daß die Bäuerin ihre eigene Rente bekommen kann. Für mich ist das ein gesellschaftlicher Fortschritt. Wir Landfrauen sehen dies auch als Dank für die Arbeit auf dem Hof an. Als jemand, der in der Landwirtschaft tätig ist, muß man doch schon mit Aufmerksamkeit betrachten, welche Person im Schattenkabinett Scharping für die Landwirtschaft als kompetent angesehen wird. Als kompetent wird von Herrn Scharping die niedersächsische Umweltministerin Griefahn angesehen. Dies jagt jedem Landwirt einen Schrecken ein. ({4}) Frau Griefahn soll Umwelt- und Agrarministerin werden. Man beachte die Zusammenlegung dieser beiden wichtigen Aufgaben und die Reihenfolge ihrer Nennung. Es gibt kein eigenständiges Landwirtschaftsministerium mehr. ({5}) Das zeigt, welchen Stellenwert die SPD unserer Landwirtschaft beimißt. Das heute so erfolgreiche Landwirtschaftsministerium wird zum Wurmfortsatz der Umweltpolitik. Ich habe wahrlich nichts gegen eine vernünftige Umweltpolitik. Ich wehre mich aber dagegen, daß ihr um den Preis der Existenzen in der Landwirtschaft Vorrang eingeräumt wird. ({6}) Unsere Landwirte verdienen es wahrlich nicht, als sogenanntes Bauernopfer für die sozialdemokratische Politik, deren Liebäugelei mit den GRÜNEN hier deutlich wird, dargebracht zu werden. ({7}) Meine Damen und Herren, es macht mir Spaß, unter diesem Landwirtschaftsminister in der Landwirtschaft tätig zu sein. Es wäre ein Unglück für uns Landwirte, wenn die Landwirtschaft in einem UmweltministeMaria Anna Hiebing rium versteckt würde und ihrer die Umwelt erhaltenden Funktion beraubt würde. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir sagen lassen, daß Frau Hiebing hier ihre erste Rede gehalten hat. Bei dieser schwierigen Auseinandersetzung war das nicht ganz einfach. Das konnte man merken. Trotzdem muß ich sagen: Ich habe mich sehr gefreut, daß sie nicht die Griffe zu Hilfe genommen hat, tun sich an einem Punkt festzuhalten. ({0}) Als nächste Rednerin hat jetzt die Umweltministerin des Landes Niedersachsen, Frau Kollegin Monika Griefahn, das Wort. Ministerin Monika Griefahn ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe verstanden, daß hier euch eine Haushaltsdebatte läuft. Die Diskussion um den Haushalt, finde ich, zeigt sehr deutlich die Unfähigkeit der Bundesregierung, die wirklich notwendigen Weichenstellungen für den Wirtschafts- und Lebensstandort Deutschland vorzunehmen. Es ist notwendig, das einmal deutlich zu machen. Das gilt besonders für die Einzelpläne 10 und 16. Darin wird immer von ökologischer Modernisierung geredet, aber die konkrete Widerspiegelung in den Haushaltsplänen findet sich überhaupt nicht wieder. ({2}) Genausowenig ist dieser Haushalt in der Lage, den deutschen Landwirten eine Zukunftsperspektive zu geben. Das gesamte Zahlenwerk ist ein Dokument des Stillstands, der Stagnation. Eine Tatsache will ich dennoch vorab lobend erwähnen. Ich freue mich, daß die CDU/CSU analog zu unserer Vorstellung, wie man diese Bereiche gemeinsam organisieren kann, diese Debatte als gemeinsame angesetzt hat. Ich finde es nur sehr schade, daß nicht gleich neben Herrn Borchert Herr Töpfer gestanden und gesagt hat: Wir machen das jetzt gemeinsam; alles, was wir bisher gegenseitig blockiert haben, werden wir in Zukunft gemeinsam umsetzen. Davon habe ich hier noch nichts gemerkt. Es steht fest - und das muß man eindeutig sagen -: Nur umweltverträgliche Produktionsweisen sind auf Dauer auch ökonomisch sinnvoll. Das gilt sowohl für die bäuerliche als auch für die industrielle Landwirtschaft. ({3}) Wenn Sie von der Schweinepest sprechen, Frau Hiebing, muß man einfach auch einmal feststellen: Es ist eben das Land Niedersachsen, das hier sehr wohl wichtige Maßnahmen durchgeführt hat. Ihr freundlicher Herr Landwirtschaftsminister hat diese Maßnahmen blockiert und unterdrückt und dann das gesamte Land Niedersachsen auch noch in Sippenhaft genommen, um sozusagen Chancen für dänische und belgische Bauern zu eröffnen und diese Möglichkeiten für die niedersächsischen Landwirte auszuhebeln. Das muß man eindeutig sagen. ({4}) Wenn ich dann noch lese, daß der Bundeslandwirtschaftsminister vor einem guten Jahr hohe Ziele formuliert hat, nämlich daß die deutsche Landwirtschaft leistungsfähig, wettbewerbsfähig und umweltverträglich werden solle - dieses Ziel haben Sie selbst formuliert und das Ganze mit dem Titel „Der künftige Weg - Agrarstandort Deutschland sichern! " versehen -, so ist das zwar ein hoher Anspruch, aber ich finde das im Haushalt und auch in Ihrer Rede nicht wieder. Das ist für Sie offensichtlich ein Widerspruch. Wir müssen jedoch genau diese Punkte zusammenbringen. Das ist die Aufgabe.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kalb? Ministerin Monika Griefahn ({0}): Wissen Sie, Herr Präsident, ich habe nicht so viel Zeit. Deswegen möchte ich das gerne erst ausführen. Die Leute kennen noch nicht unsere Vorschläge. Deshalb sollten wir uns diese erst einmal anhören. Ein Blick in den Einzelplan 10 zeigt: Auf der einen Seite werden hohe Ziele proklamiert, aber auf der anderen Seite werden keine Wege sichtbar gemacht, diese Ziele zu erreichen. Wenn das der versprochene „neue Weg" sein soll, dann wünsche ich schon jetzt eine gute Reise. Das gleiche Bild zeigt sich auch bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", dem Instrument, mit dem die verbalen Ziele der Regierung in konkrete Projekte und in klingende Münze umgesetzt werden müßten. Hier tut sich derzeit überhaupt nichts mehr. Offensichtlich schieben Sie da immer den Schwarzen Peter auf die Lander. Der Bundeslandwirtschaftsminister sieht tatenlos zu, wie immer mehr Familienbetriebe dem landwirtschaftlichen Konzentrationsprozeß zum Opfer fallen. Höfe, die sich zum Teil seit Generationen im Familienbesitz befinden, müssen aufgegeben werden, weil die Bundesregierung nicht rechtzeitig die Weichen gestellt hat, damit die Betriebe im EU-Binnenmarkt mithalten können. Wir wollen keine Fortsetzung des Trends zur Industrialisierung der deutschen Landwirtschaft. ({1}) Negative Folgen für Boden, Wasser, Pflanzen, Tiere, die Gesundheit der Menschen und für die soziale und kulturelle Struktur des ländlichen Raumes müssen wir verhindern. Das, was Sie vorschlagen, bedeutet, den ländlichen Raum kulturell zu entvölkern. Was Sie wollen, sind Dörfer, in denen irgendwelche Lehrer wohnen, die in die nächste Stadt zur Arbeit fahren, wo aber nicht Leben und Arbeiten zusammenfallen. Letzteres ist das, was wir unterstützen müssen. Ministerin Monika Griefahn ({2}) Die SPD will eine Agrarpolitik, die das Überleben der bäuerlich strukturierten Landwirtschaft im Westen einschließlich der Nebenerwerbsbetriebe ermöglicht, aber auch den historisch bedingt völlig anderen Betriebsstrukturen im Osten Rechnung trägt und dabei eine verläßliche Zukunftsperspektive eröffnet. Dabei denke ich besonders an jüngere Landwirte, die zum Teil keine Möglichkeit haben, irgendwo einzusteigen, und denen wir Perspektiven bieten müssen. Es wird Sie nicht wundern, daß ich hier insbesondere an die Perspektiven junger Frauen auf dem Lande denke. In den neuen Ländern setzten wir auf Chancengleichheit aller Betriebsformen bei der Förderung. Die umstrukturierten früheren Produktionsgenossenschaften dürfen bei der Altschuldenfrage nicht länger benachteiligt werden. Wir treten für eine Wertberichtigung der Altschulden ein. ({3}) - Sie haben das vorhin zitiert und gesagt, in unserem Programm steht dazu nichts. Deswegen sage ich Ihnen das hier. Die politischen Voraussetzungen für eine durchgreifende Reform sind vorhanden, denn die Bevölkerung erwartet von der Agrarpolitik erstens eine bedarfs- und marktorientierte Produktion unbelasteter, frischer und gesunder Nahrungsmittel von hoher Qualität und keine Überproduktion, die dann entweder vernichtet oder zu Schleuderpreisen zum Schaden der Agrarstrukturen auch in Entwicklungsländern abgesetzt wird; zweitens eine nachhaltige umweltverträgliche Wirtschaftsweise, die den Schutz von Wasser, Boden, Luft, Landschaft, Pflanzen und Tieren gewährleistet; ({4}) drittens die Bewahrung, Pflege und Entwicklung einer vielfältigen Kulturlandschaft, die als Erholungsraum für die Menschen dient und wildlebenden Tieren und Pflanzen Lebensraum bietet; und viertens die Bewahrung und Pflege der ländlichen Kultur und des ländlichen Raums als Lebens-, Arbeits- und Erholungsraum. Diese Leistungen müssen natürlich im Gegenzug honoriert werden. Das findet sich in Ihrem Haushalt nicht. Da ist nirgendwo etwas zu finden. Die Landwirte brauchen ausreichende Erlöse am Markt und Entgelte für Landschaftspflege, die über ordnungsgemäße Landbewirtschaftung hinausgeht. ({5}) Was wir nicht brauchen - da gebe ich Ihnen recht -, ist eine weitere Bürokratisierung der Landwirtschaft. All diese Formulare, die ausgefüllt werden müssen, könnten Sie schlicht abschaffen. Das haben Sie noch nicht gemacht. Ich kann nur sagen: Man muß teilweise Jura studieren, um sie ausfüllen zu können. ({6}) Weitere finanzielle Standbeine bieten sich an. Dort, wo es geht, müssen wir doch auch das fördern. Auch das findet sich nicht in Ihrem Haushalt: der Tourismus in den Bereichen, in denen es geht, die Nutzung von Windkraft und da, wo es geht, und zwar umweltverträglich, natürlich auch die nachwachsenden Rohstoffe. ({7}) Um diese Ziele umzusetzen, ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Initiativen notwendig. Zunächst gilt es, intensiver als bisher in Brüssel darauf zu drängen, daß an Stelle der kostspieligen Überproduktion und teuren, ökologisch wertlosen Flächenstillegungen eine am Umweltschutz orientierte flächendeckende Extensivierung gefördert wird. Das ist das wichtige. Dann haben wir nämlich eine ganze Menge von dem, was wir an Lebensraumgestaltung brauchen, schon erfüllt. Das gleiche gilt für eine artgerechte, an die Flächen gebundene Tierhaltung. Dazu müssen natürlich auch die Umschichtungen im Haushalt vorgenommen werden; das muß sich hier ausdrücken. Ich halte auch neue Formen der Zusammenarbeit für unabdingbar. Insbesondere gilt es, regionale Vermarktungs- und Verarbeitungsstrukturen wettbewerbsfähig zu machen und Erzeugergemeinschaften und -genossenschaften zu fördern. Auch durch eine stärkere Direktvermarktung erschließen sich der Landwirtschaft bessere finanzielle Möglichkeiten. ({8}) - Die Kooperation, Herr Kollege, habe ich dabei angesprochen. Das scheint nämlich gerade zwischen Herrn Borchert und den Länderministern nicht immer zu funktionieren. ({9}) Die wirkungsvolle Herkunfts- und Qualitätskontrolle, um von der anonymen Massenware wegzukommen, ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Denken Sie nur daran, daß gerade in der letzten Woche in Nordrhein-Westfalen bei 2 000 Herkunftskontrollen 500 Verstöße festgestellt worden sind. ({10}) Das heißt, daß Sie auch die Deklarationspflicht verbessern müssen. Das ist doch ganz klar, damit unsere dezentralen Strukturen auch unterstützt werden. Dann haben die Landwirte z. B. aus Niedersachsen auch eine bessere Chance. Das ist doch genau der Punkt. Jetzt, wenn die Ware anonym irgendwo herkommt, haben sie diese Chance gerade nicht. ({11}) Eine SPD-geführte Bundesregierung wird die gegenwärtige Politik der Marktentlastung, die wesentlich auf Flächenstillegung setzt, nicht fortsetzen, denn sie höhlt das Selbstverständnis der Landwirte Ministerin Monika Griefahn ({12}) aus und führt auch zur Verödung der Kulturlandschaft. Wir setzen auf eine Politik flächendeckender Landbewirtschaftung. Durch weitestgehende Extensivierung wollen wir die Böden und Gewässer schützen, die Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen für die Menschen auf dem Lande und für den kulturellen Raum erhalten. Da sind wir, glaube ich, sehr gute Ansprechpartner. Deswegen werden auch nicht, wie Sie das sagen, die Landwirte alle in Angst und Schrecken versetzt; ({13}) da haben wir eine sehr gute Kooperation. ({14})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Kollegin Birgit Homburger das Wort.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verfolge diese Debatte heute schon den ganzen Tag mit großem Interesse. Ich verfolge, wie die Opposition hier das ganze Schattenkabinett auffährt. ({0}) Ich stelle dann fest, daß die F.D.P. in nahezu größerer oder zumindest gleich großer Besetzung wie die SPD vertreten ist. Ich frage mich, wie es da mit der Unterstützung aussieht, aber das müssen Sie vielleicht unter sich ausmachen. Besonders großes Interesse scheint Ihr Schattenkabinett noch nicht einmal bei Ihnen zu finden. ({1}) Aber nun zum Thema Umwelt, das in dieser Debatte bis jetzt noch kaum eine Rolle gespielt hat. Das Sommerloch und die Ozonbelastung haben den Umweltschutz wieder zum öffentlichen Thema gemacht. Ich finde das gut, denn wir brauchen die öffentliche Debatte um die besseren Umweltschutzkonzepte. Gerade in der Verkehrspolitik haben wir noch großen umweltpolitischen Handlungsbedarf. Dabei hat die Koalition schon viel erreicht: Die Abgasgrenzwerte werden EU-weit bei Pkw und Lkw in drei Stufen gesenkt; ab 1996 wird der Schadstoffausstoß um über 50 % reduziert werden. Das geht auf deutsche Initiative zurück. Bleifreies Benzin hat inzwischen einen Verkaufsanteil von 90 %, und zwar auf Grund der steuerlichen Bevorzugung und der gespreizten Mineralölsteuer. Der Gesamtanteil von Kat-Fahrzeugen von 50 % ist EU-weit Spitze. Gleichwohl fahren bei uns noch zu viele Fahrzeuge ohne Kat. Das liegt einerseits am hohen Anteil der Second-hand-Fahrzeuge in den neuen Bundesländern und andererseits am steigenden Lkw-Verkehr. Die Transitfahrzeuge ohne Katalysator der europäischen Nachbarländer tragen noch mehr zu den NOX-Emissionen bei.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Homburger, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen? Sie sind so schnell, ich finde überhaupt nicht die Gelegenheit, Sie zu fragen, ob der Kollege Feige eine Zwischenfrage stellen darf.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank. Frau Homburger, ich höre Sie zu einem Haushalt sprechen, der noch gar nicht eingebracht wurde. Bedeutet das, daß Sie - entgegen der parlamentarischen Gepflogenheit - heute als Abgeordnete den Umwelthaushalt 1995 einbringen? ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe nicht vor, hier getrennt einen Umwelthaushalt einzubringen, da heute morgen der Herr Finanzminister zum gesamten Haushalt gesprochen hat. Insofern besteht gar keine Notwendigkeit einer getrennten Einbringung. Ich spreche jetzt in einer verbundenen Debatte als erste zur Umweltpolitik, nachdem alle Redner davor in der verbundenen Debatte über beide Haushalte nur zur Landwirtschaftspolitik geredet haben. ({0}) Ich war gerade dabei, zu erklären, daß wir deshalb aus meiner Sicht eine europäische Regelung brauchen, die sicherstellt, daß Fahrzeuge ohne Katalysator alsbald aus dem Verkehr gezogen werden. ({1}) Bei uns wird sich durch Ausmusterung der alten Fahrzeuge der Gesamtanteil der Katalysatorfahrzeuge schnell erhöhen, denn fast 100 % der Neuf ahrzeuge bei uns haben einen geregelten Kat. Einige weitere Stichworte zu dem, was diese Koalition in dieser Legislaturperiode geleistet hat: Gaspendelung beim Betanken, 23. Immissionschutzverordnung usw. Man könnte da noch einiges aufzählen. Trotzdem reicht das nicht. Die Fahrzeuge müssen sparsamer werden. Es muß weniger gefahren und der Treibstoff muß schadstoffärmer werden. Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. Zentrale Forderung der F.D.P. sind die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer, die Umlegung auf die Mineralölsteuer und auf längere Frist weitere stufenweise Erhöhungen. Das Mittelaufkommen wollen wir allerdings zur Entlastung von Kapital und Arbeit verwenden. Wir wollen eben keine Erhöhung der Abgabenquote herbeiführen. ({2}) Im Gegensatz dazu sind die SPD-Umweltpolitiker mit ihren Forderungen sehr forsch. Zehn Jahre lang jährlich 7 % mehr sind allerdings mit Herrn Scharping nicht durchsetzbar. Laut „Spiegel" vom 8. August 1994 hält er die Obergrenze bereits für erreicht. Der SPD-Finanzpolitiker Lafontaine, den wir heute auch schon gen ßen durften, legt sich nicht fest; er will die Erhöhung von der Entwicklung der Konjunktur und der Tarife abhängig machen. Berechenbare Politik kann man das jedenfalls nicht nennen. Von der fast hysterischen Diskussion über das Tempolimit halte ich überhaupt nichts. Es ist die falsche Front. Man kann in der Sache durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Der Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" zum Thema Mobilität, den wir morgen hier behandeln, hat das Für und Wider prägnant aufgelistet. Für unerträglich halte ich es, gerade das Tempolimit zur Testfrage zu machen, ob man es mit einer umweltgerechteren Verkehrspolitik ernst meint. Diese Verkürzung der Debatte hat der Bürger nicht verdient. Sie ist im übrigen kontraproduktiv; denn sie verstellt den Blick darauf, daß die Ursachen der Schadstoffemissionen bekämpft werden müssen. Und dazu hat diese Koalition die Initiativen ergriffen. Gerade als SPD würde ich mich in diesem Punkt sehr zurückhalten. Ihr Vorsitzender Scharping bekennt laut „Spiegel" vorn 8. August 1994, er fahre gerne Tempo 100 - pro Achse! Frau Griefahn zitiert im „Spiegel" vom 15. August 1994 Herrn Scharping, in 95 % der Fälle werde auf der Autobahn Tempo 130 gelten, und in der Enquete-Kommission fordert Frau Professor Ganseforth Tempo 100. Was also will die SPD? Wer jeder Zielgruppe nach dem Munde redet, verwickelt sich letztlich in Widersprüche. ({3}) Die zweite wichtige Aufgabe ist Klimaschutz und Energiepolitik. Unter Bundesminister Töpfer war und ist Deutschland der Motor in dieser globalen Aufgabe. Was wäre UNCED in Rio ohne seinen Einsatz gewesen? Der Vorsitz in der Kommission der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung wie auch die erste Klima-Vertragsstaaten-Konferenz in Berlin sind eine große Chance, weltweit weiterzukommen. Anstatt Herrn Töpfer zu kritisieren, sollten wir seine Initiativen unterstützen und damit seine Verhandlungsposition stärken. Die F.D.P. setzt sich für eine stufenweise EU-weite Einführung der CO2-Energiesteuer ein. Wir meinen es ernst. Finanzminister Waigel darf hier nicht länger auf Zeit spielen. Der Ruf nach einem nationalen Alleingang wird nämlich sonst immer stärker werden. Wir schließen ihn nicht aus, wenn noch weitere zwei Jahre erfolglos verhandelt wird. Voraussetzung dafür ist allerdings zumindest eine gleichwertige Entlastung von Wirtschaft und Bürgern. Wir waren auch in der Abfallpolitik erfolgreich. Verpackungsverordnung, TA Siedlungsabfall, Kreislaufwirtschaftsgesetz, Ausführungsgesetz zum Baseler Übereinkommen sind die Stichworte in diesem Bereich in dieser Legislaturperiode. Wir haben damit das Abfallrecht neu geordnet, und wir haben die Weichen für mehr Produktverantwortung gestellt. Es war schwer, und auch Sie in der SPD haben Ihre Erfahrungen mit den Wirtschaftpolitikern gemacht. Jetzt müssen wir mit den Folgeregelungen die Konzeption zum Leben bringen. Die Verpackungsverordnung muß novelliert werden, und zwar nicht nur mit Kosmetik an Quoten und Definitionen. Es müssen wettbewerbssichernde Elemente eingebaut werden. Hier fordert die F.D.P. erstens eine regionale Ausschreibung der Sammel- und Verwertungsverträge, nach Materialien differenziert, und eine Vergabe ar den günstigsten Bieter sowie eine auf höchstens fünf Jahre begrenzte Vertragsdauer. Wir fordern zweitens den Ausschluß von Kommunen als Vertragsnehmer des Dualen Systems, drittens den Ausschluß des Dualen Systems selbst von Verwertungsaktivitäten und letztlich die Verpflichtung zur Offenlegung der Finanztransaktionen in regelmäßigen Zeitabständen nach Materialien und regionaler Gliederung, um die ökonomische und zugleich ökologische Effizienz beurteilen zu können. ({4}) Es ist gut, daß jetzt auch das Parlament am Erlaß dieser Verordnungen beteiligt ist. Wir werden von dieser Einflußmöglichkeit als F.D.P. Gebrauch machen. Verordnungen sind kein Selbstzweck. Freiwillige Lösungen ziehen wir vor, wenn damit unsere umweltpolitischen Ziele erreicht werden. Deshalb freut es mich, Herr Minister Töpfer, daß Sie das Angebot der Papierkette für eine freiwillige Selbstverpflichtung jetzt auch akzeptieren wollen. Die Verwertungsquote graphischer Altpapiere soll damit von 50 auf 60 % bis zum Jahre 2000 angehoben werden. Ich appelliere an dieser Stelle an Sie: Geben Sie den Startschuß hierfür noch in dieser Legislaturperiode, denn die Wirtschaft sitzt in den Startlöchern. Zusammenschlüsse werfen auch wettbewerbsrechtliche Probleme auf. Aber ich glaube, nachdem jetzt jedem Verwertungsbetrieb Zugang zum Kraftfahrzeugrecycling gewährt werden soll, ist der Weg gangbar. Wir sollten uns von dem Gedanken lösen, freiwillige Vereinbarungen seien als ein Zugeständnis an die Wirtschaft aufzufassen und ein Zeichen der Schwäche der Umweltpolitiker. Wichtig ist für uns, daß Umweltschutz passiert. Und je weniger staatliche Reglementierung und Überwachung nötig sind, desto besser. ({5}) Hier unterscheiden wir uns schon fundamental von der SPD. Sie setzen auf mehr Staat, mehr Bürokratie und werden Monopole ernten. Ihre Umweltminister in degi Ländern führen das vor. Beispielsweise Umweltminister Schäfer in Baden-Württemberg will eine staatliche Sonderabfallbeseitigungsgesellschaft. Sie, Frau Griefahn, sind bereits weiter auf dem Weg zur Staatswirtschaft. Ihre geplante Verordnung zur Andienung von Sonderabfällen in Niedersachsen unterwirft sogar verwertbare Abfälle, also Sekundärrohstoffe, der Andienungspflicht an die staatliche Sonderabfallgesellschaft. Diese Gesellschaft hat noch nicht einmal eigene Anlagen zur Verwertung, und ist damit eine Verteilstelle. Das Ergebnis wird sein: mehr Bürokratie, höhere Kosten. Der Markt wird durch staatliche Lenkung ausgeschlossen. Herr Präsident, ich komme zum Ende. Wer so handelt, der sollte sich nicht über Konzentrationsprozesse und Wettbewerbsbeschränkungen in der Entsorgungswirtschaft beklagen. Er wirkt nämlich selbst daran mit. Die Realisierung der Produktverantwortung, der Ausbau der Kreislaufwirtschaft werden das zentrale Thema der nächsten Legislaturperiode sein. Alle Parteien haben die Parole ausgegeben: mehr Marktwirtschaft im Umweltschutz. Die F.D.P. wird diejenige sein, die sich dafür einsetzt, daß das auch Wirklichkeit wird. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu unserer Geschäftslage: Ich habe noch zwei Wortmeldungen. Ich habe die Bitte von einer Kollegin und einem Kollegen, daß die Reden zu Protokoll gegeben werden können. Es handelt sich um den Kollegen Michael Müller und um die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann. ) Können wir zunächst feststellen, daß die beiden ihre Reden zu Protokoll geben? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Nun hat als nächster unser Kollege Ulrich Briefs das Wort. ({0})

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 15 Jahre nach Bildung des politischen Arms der Ökologiebewegung in Westdeutschland, der GRÜNEN, der grünen Partei, müssen wir feststellen: Die Luft ist raus. Die grüne Partei, 1983 bei den Bundestagswahlen bei 5,3 %, 1987 bei 8,3 %, 1988/89 - das wird oft vergessen - noch im festen Glauben, in absehbarer Zeit 12, 15 oder gar 20 % der Wählerstimmen zu erreichen, krebst heute an der 7 %-Prozent-Marke herum. Zerstoben sind die Träume von einem unaufhaltsamen Anwachsen der Ökologiebewegung und einer dadurch hervorgebrachten ökologischen Wende in der Gesellschaft. Zerstoben ist die Hoffnung, durch Druck einer aktiven, phantasievollen Minderheit die Mehrheit der Bevölkerung zur ökologischen Umkehr, zum Ausstieg aus der Atomenergie, zum Abschied vom schrankenlosen Wirtschaftswachstum, zur Schaffung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung bewegen zu können. Selbst die herrschende liberal-konservative Mehrheit hat - zum Teil nicht mal ungeschickt - das Thema Ökologie verbal aufgegriffen, allerdings ohne wirkliche Taten auf diesem Gebiet. ({0}) Anlage 9 den Haushalten dieser Legislaturperiode und im Haushaltsentwurf 1995. Die Bundesregierung und die herrschende Koalition richten ihre Politik weiterhin auf schrankenloses wirtschaftliches Wachstum, auf ein Beibehalten der zum Teil parasitären, in jedem Fall aber zu ressourcenverbrauchsintensiven Wirtschafts- und Verbrauchsweise dieses Landes. ({1}) Die Politik dieser Bundesregierung ist in ihrer Anlage einfach nicht geeignet, für nachhaltige ökologische Verbesserungen zu sorgen. Die Schwäche der Ökologiebewegung allerdings erleichtert ihr die Politik des Ausweichens vor den ökologischen Herausforderungen der Gegenwart und noch mehr der Zukunft. Die Schwäche der Grünen-Bewegung ist wesentlich auch darauf zurückzuführen, daß eine wirkliche Integration von Umweltpolitik in andere Politikbereiche - Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Technologie- und Wissenschaftspolitik, natürlich insbesondere Verkehrs- und Energiepolitik - mit der notwendigen Breite des Ansprechens von Interessenten und Interessentengruppen auf diesen Gebieten einfach nicht gelungen ist. ({2}) Ich will einmal eine Parallele zu einem unserer Lehrgebiete ziehen: In der Umweltinformatik gehen wir davon aus - wir versuchen, dies konkret im betrieblichen Bereich, also sozusagen im kleinen Maßstab zu realisieren -, ökologische Verbesserungen dadurch erreichen zu können, daß man normalen betrieblichen Informationssystemen, die Produktionsprozesse und ähnliches steuern, ökologisch relevante Datenstrukturen und Verarbeitungsfunktionen hinzufügen und sie integrieren kann. Das System steht also nicht isoliert daneben. Die politische Parallele dazu wäre - etwas, was wir hier im Hause, wenn auch sehr abstrakt, schon seit langem diskutieren -, Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe durchzusetzen. Der politischen Ökologiebewegung - insbesondere der Partei der GRÜNEN- fehlt meines Erachtens die soziale Basis für die diesem Ziel entsprechende politische Praxis. Sie ist nicht in der Lage, Umweltbewußtsein in den gesellschaftlichen Prozeß, z. B. in das Wirtschaftsmanagement, und zwar nicht nur in das der oberen Schichten - dies ist nicht einmal in allen Fällen so wichtig -, sondern in das der operativen Kräfte, der Leute, die in den Betrieben über Produktion und Produktionsplanung und die damit verbundenen Dinge entscheiden, zu integrieren. Sie sind nicht in der Lage, es in die Forschung und Entwicklung, die Wissenschaft oder auch die betrieblichen Interessenvertretungen, Betriebsräte, gewerkschaftlichen Vertrauensleute - und das auch noch nach Branchen und Betriebsgrößen differenziert; denn das wäre notwendig - einzubringen. Es fehlt gerade der Ansatz, der notwendig ist, um an die Gruppen und Kräfte heranzukommen, die so oder so an den ökologisch relevanten Entscheidungen in der Ökonomie beteiligt sind. Es bleibt dabei: Ökologische Lösungen können der großen Mehrheit nicht von einer kleinen Minderheit aufgedrückt werden. Auch das ist eine Schlußfolgerung, die man aus der Erfahrung mit der politischen Entwicklung der Ökologiebewegung ziehen muß. ({3}) Ökologisch wirklich wirksame politische Kräfte müssen in einem ganz einfachen Sinne breit angelegt sein, um den notwendigen Integrationsprozeß von Umweltzielen, Umweltkonzepten und Umweltbewußtsein in die Entscheidungsstrukturen dieser Gesellschaft und ihrer Ökonomie zu gewährleisten. Die Basis bei den GRÜNEN war dafür immer - das sage ich als in diesem Bereich langjährig politisch Tätiger - viel zu schwach. Die Diskussionen über solche und ähnliche Fragen sind inzwischen sehr dünn geworden. ({4}) Die GRÜNEN haben sich aus den Beschränkungen der Ein-, Zwei- oder auch Drei-Punkte-Partei - ich sage das einmal in den Begriffen, die wir früher diskutiert haben - nicht lösen können. Ökologische Probleme haben wegen des Umfangs der Betroffenheit, die von Ihnen ausgeht, überdies die Eigenschaft, daß sie zu ihrer Lösung, insbesondere in einer sozialen und demokratischen Gesellschaft, einen bzw. mehrere entsprechend breite Konsensansätze brauchen. Das ist eine Lehre, die, so glaube ich, insbesondere aus der Erfahrung der letzten Zeit zu ziehen ist, und eine logische Schlußfolgerung aus dem, was ich eben bereits ausführte: Es geht einfach nicht, mit 10 oder 12 % des politischen Potentials dieser Gesellschaft der ganzen Restgesellschaft den eigenen Willen aufdrücken zu wollen. ({5}) Diese Lehre mußten wir aus dem Scheitern der Ökologiebewegung ziehen. Das heißt aber nicht - ich sage dies, damit Sie zu meiner Rechten keine falschen Schlußfolgerungen ziehen -, daß man schlicht und einfach, sozusagen immer die Hacken zusammengeschlagen, der sich in der Nähe der Ohnmacht befindlichen Mehrheit folgen muß. ({6}) Das ist eine Lehre aus dem Dahinwelken der grünen Blütenträume - ich bin, wie gesagt, sehr davon betroffen - der Vor-89er-Zeit, die man ziehen muß: Politische Kräfte, die sich der ökologischen Probleme wirklich wirksam annehmen wollen, müssen die ökologischen Probleme Zug um Zug mit der Lösung der sozialen Probleme, insbesondere der Probleme der Sicherung von Arbeitsmöglichkeiten, Einkommen und Sozialleistungen, und ebenso Zug um Zug mit der Lösung der gewaltigen strukturellen Probleme der modernen, hochpotenten, dynamischen Industriewirtschaft in Deutschland verbinden. Dazu ist insbesondere viel Sensibilität erforderlich. Einfache EinPunkt-Formeln, wie ich sie aus dem grünen Zusammenhang her kenne, nach dem Motto: „Hauptsache Ökologie, der Rest interessiert uns nicht oder kaum", helfen da nicht weiter. Herr Präsident, ich danke Ihnen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist eine Meine Verwirrung entstanden. ({0}) - Beim Redner weniger als bei der Übergabe der Rednerliste. Nun, Fehler gibt es überall. Jetzt hat der Kollege Egon Susset das Wort.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Herrn Dr. Thalheim wäre einiges zu sagen, aber ich sehe ihn nicht mehr. ({0}) - Ach, Entschuldigung. Dann wende ich mich der Frau Minister Griefahn zu. Nun, Frau Minister Griefahn, Sie haben nach verschiedenen Haushaltstiteln gefragt. Eines kann ich Ihnen versichern: Einen Haushaltstitel für Reden von Agenturen wird es im Einzelplan 10 nicht geben. ({1}) Wenn ich hier Pressemeldungen sehe, daß Sie die letzte Rede, die Sie zur Umwelt hier in Bonn hielten, zum Preis von maximal 3 000 DM eingekauft haben, so stelle ich fest: Reden in der Agrarpolitik sind teurer, weil es weniger Leute gibt, die etwas davon verstehen. Sie gehören nicht zu denen. ({2}) Meine Damen und Herren, wir reden sehr viel vom Wirtschaftsstandort Deutschland. Dabei ist dann in der Regel immer der Industriestandort Deutschland gemeint. Das ist aber nur die halbe Wahrheit; denn Deutschland ist nicht nur ein Industrieland; auch die Landwirtschaft hat größere Bedeutung, als sich an ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt ablesen läßt. ({3}) Deshalb gilt es, die Sicherung des Agrarstandorts Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, auch wenn manche Politiker immer noch so tun, als sei die Landwirtschaft ein sterbender Teil unserer Volkswirtschaft, weil es Überschüsse in Europa gebe und weil man Nahrungsmittel angeblich aus anderen Ländern beziehen könne. Die deutsche Landwirtschaft ist keineswegs ein sterbender Teil der Volkswirtschaft. Die Bauern sind auch nicht nur dazu da, Gräben auszumähen und die Waldränder vom Wochenendmüll der Freizeitgesellschaft zu reinigen. ({4}) Die Bauernhöfe stellen auch wichtige Arbeitsplätze für die Produktionsleistung der Landwirtschaft; und die kann sich sehen lassen. Vor allem darf nicht vergessen werden: An der Landwirtschaft hängen Hunderttausende von Arbeitsplätzen für die übrige Wirtschaft, und mit der Landwirtschaft sind unzählige Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich, also in der Ernährungswirtschaft insgesamt, verbunden: Landmaschinenindustrie, Genossenschaften, agrargewerbliche Wirtschaft usw. Deshalb verlangen wir, die CDU/CSU, zu Recht die Sicherung des Agrarstandorts Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Meine Damen und Herren, auch wenn die SPD - wie heute wieder durch Herrn Thalheim - das Gegenteil behauptet: Unsere agrarpolitische Bilanz kann sich sehen lassen. Meßlatte ist nämlich nicht das Wünschbare, sondern das Machbare. Aus Verantwortung für die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft haben wir die Grundsatzentscheidung getroffen: Wir wollen die Entwicklung der Märkte und Einkommen nicht ausschließlich den Marktkräften überlassen. Daher haben wir uns immer wieder gegen einen drastischen Preisabbau gewehrt, wie ihn die EG-Kommission, aber wie ihn auch die SPD ständig fordert. Unsere Position ist unverrückbar: Zu dem mit der Agrarreform eingeschlagenen agrarpolitischen Weg gibt es keine realistische Alternative. Verbale Rundumschläge wie auch heute abend wieder ersetzen kein eigenes Konzept. Bei der Agrarreform 1992 haben wir die Produktionssteuerung gegen Einkommensausgleich durchgesetzt. Die Alternative dagegen wäre nur drastischer Preisabbau und dramatischer Einkommensrückgang gewesen. Was mit der Reform auf den Weg gebracht worden ist, ist sicherlich nicht in allen Punkten gelungen, aber es war der einzige mehrheitsfähige Ansatz im vereinten Europa. Die Reform muß weiterentwikkelt werden, praxisferne Bürokratie muß beschnitten werden. Es wäre aber eine gefährliche Illusion, jetzt von einer Reform der Reform zu reden, wie das im Moment von der SPD und von vielen gefordert wird. Meine Damen und Herren, wir haben in den GATT-Verhandlungen erreicht, die reformbedingten Ausgleichszahlungen als unverzichtbaren Einkommensbeitrag abzusichern und einen Außenschutz zu verankern, der Grundvoraussetzung für eine lebensfähige Landwirtschaft in Europa und in Deutschland ist. Im Milchbereich haben wir die Garantiemengenregelung, die sich im vergangenen Jahrzehnt im Grundsatz als Mengensteuerung bewährt hat, im Rahmen der Reform bis zum Jahr 2000 verlängert. ({6}) Es gibt viel zu kritisieren, aber es soll sich doch jemand einmal vorstellen, was gekommen wäre, wenn damals 1984 auf dem Milchmarkt nichts passiert wäre! ({7}) Wir wären hier garantiert heute bei Milchpreisen, vergleichbar mit den Getreidepreisen, und wie da die Preise zurückgegangen sind, das weiß ja jeder. Aber das sagen wir auch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Die Bundesregierung bleibt weiterhin aufgefordert, einen noch verbesserten Schutz der aktiven Milcherzeuger zu verwirklichen. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oostergetelo? - Bitte, Kollege Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich möchte die Frage mit einer Anmerkung beginnen, indem ich sage: Ich bewundere Ihren Mut. Ich stelle mir vor, jemand muß im Bildungsbereich eine Abhandlung schreiben. Wir nannten das früher Aufsatz. Dieser wird einunddreißigmal revidiert - so ist das in der Milchmarktgeschichte gewesen -, und nun verlangen Sie auch noch, daß wir Beifall klatschen. Wenn Sie sich in Ostfriesland umsehen, ist Ihnen dann klar, was das bedeutet? Es ist Feierabend, 6 Uhr, dann geht der mit Schlips und Kragen und sagt, ich habe meine Bauern wieder am Melken. Er verdient 25 oder 23 Pfennig, der Bauer vielleicht noch 13. Dies haben Sie sicher so nicht gewollt.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Jan Oostergetelo, Sie haben sich zu einer Frage gemeldet, aber nicht zum Vortrag. ({0}) Bitte eine Frage.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich hatte, wenn ich das sagen darf, eingebaut, ob ihm klar ist, was das bedeutet, daß die Feierabendmelker mehr verdienen als der Bauer selber.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Daraus ist dann aber ein Vortrag geworden.

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Oostergetelo, das habe ich ja auch mit dem Satz gesagt, in dem ich die Bundesregierung aufgefordert habe, zum Schutz der aktiven Milcherzeuger in der Zukunft noch einiges zu ändern. Aber wenn Sie bei dem Aufsatz die 31 Änderungen hier ansprechen: Bis jemand gut Aufsätze schreiben kann, muß er vielleicht hundertmal einen Aufsatz schreiben, ehe das dann überhaupt funktioniert. ({0}) Nun, meine Damen und Herren, mit der Reform des deutschen Weinrechts haben wir unsere Verhandlungsposition für die anstehende Weinmarktreform in der Europäischen Gemeinschaft gestärkt, und ich bin fest davon überzeugt, daß die Länder ihren Ermächtigungsspielraum nun sinnvoll nutzen. Wenn in einigen Ländern heute einiges kritisiert wird, so muß ich daran erinnern: Das haben sie alles selbst im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß zusätzlich ins Gesetz hineingebracht. Wir im Deutschen Bundestag hätten die Regelung, wie sie heute kritisiert wird, sicherlich nicht beschlossen. ({1}) Nun, in den neuen Bundesländern haben wir uns erfolgreich für den Aufbau einer leistungsfähigen Landwirtschaft eingesetzt, und jeder - auch der, der uns nicht wohl will - wird sagen, daß die Landwirtschaft in den neuen Ländern der Wirtschaftszweig ist, der sich im Vergleich zu allen anderen Wirtschaftszweigen am besten entwickelt hat, und das sollte man dann auch akzeptieren. ({2}) Schließlich haben wir trotz des zeitweisen Störmanövers der SPD die Agrarsozialreform über die Runden gebracht. Ab 1. Januar 1995 leistet die Reform einen wesentlichen Beitrag, um Landwirte und Landfrauen in der Zukunft besser gegen die sozialen Risiken des Lebens abzusichern. Die Agrarsozialpolitik ist ein zentraler Bereich der nationalen Landwirtschaftspolitik, für den im Haushalt 1995 Ausgaben von gut 7 Milliarden DM vorgesehen sind. Den zweitgrößten Ausgabenposten stellt die landwirtschaftliche Strukturpolitik dar. Mit knapp 2,5 Milliarden DM entsprechen die für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" eingeplanten Mittel für 1995 im großen und ganzen den im laufenden Jahr verfügbaren Haushaltsmitteln. Bei sinkenden Markterlösen sind flankierende Einkommenshilfen für die Landwirtschaft weiterhin unverzichtbar. Dieses Eintreten für die Landwirtschaft ist hervorzuheben, da sich bedauerlicherweise - das wurde heute abend auch schon gesagt - die SPD-regierten Bundesländer seit dem Jahre 1993 fast ausnahmslos aus der Mitfinanzierung verabschiedet haben. Die neue Linie der SPD lautet schlicht und einfach: Agrarpolitik hat hinter Umweltpolitik zurückzustehen. ({3}) Wir haben heute Frau Griefahn erlebt, die künftig -({4}) - Aber in etwa 40 Tagen ist alles vorbei, weil sich dann der Schatten des Herrn Scharping mit der Frau Griefahn wieder dorthin verflüchtigt, woher sie sich aufgemacht haben. ({5}) - Kein Trost für Niedersachsen. Ich möchte folgendes deutlich machen: Es wäre schlimm, wenn wir der deutschen Landwirtschaft zumuten müßten, in der Zukunft Agrarpolitik in einem Hinterzimmer des Umweltministeriums zu machen. Frau Griefahn, was, glauben Sie, wäre, wenn Sie mit den übrigen elf Landwirtschaftsministern der Europäischen Gemeinschaft bei Preisverhandlungen säßen? Ach Gott, ach Gott! ({6}) Dazu, daß die Landwirtschaft im SPD-Regierungsprogramm nicht mehr als eigenständiger Politikbereich auftaucht und die Agrarpolitik in dem Kapitel „Eine soziale und ökologische Gesellschaft" abgehandelt wird, paßt - es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie -, daß der agrarpolitische Sprecher der SPD - er ist heute nicht da - in den letzten Wochen Defizite in der Agrarumweltpolitik angemahnt hat. Meine Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft produziert umweltfreundlich. Deshalb arbeiten wir auch mit unseren Umweltpolitikern, mit unserem Bundesminister Töpfer, mit den zuständigen Sprechern zusammen. Wir wissen, daß Minister Töpfer in Brüssel im Kreis der Umweltminister andere Funktionen hat als Kollege Borchert. Die SPD weiß es nicht. ({7}) - Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre. ({8}) Es geht um einen Wirtschaftszweig, der in der Bundesrepublik Deutschland aus zwei unterschiedlichen Agrarstrukturen in den nächsten Jahren eine vernünftige Einheit zu erarbeiten hat. Es geht darum, daß wir als das Land mit 80 Millionen Einwohnern, in dem wir eine Nachfrage nach Lebensmitteln aus der näheren Umgebung von Monat zu Monat stärker spüren, eine Agrarpolitik entsprechend unterstützen, die es in der Zukunft ermöglicht, daß die Landwirtschaft auch Umweltpolitik betreibt. Ich danke schön. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Reihenfolge hätte auch anders sein können. Es hätte sich noch jemand überlegen können dazwischenzuspringen. Es ist ja schon ungewöhnlich, daß ich in einer Haushaltsdebatte vor dem Minister rede. Aber ich gewöhne mich an alles. Vielleicht ist das ein gutes Training. ({0}) Der Bundesumweltminister geht angesichts seines armseligen Haushalts gern damit hausieren, daß Umweltpolitik eine Querschnittsaufgabe sei, die praktisch alle Ressorts betrifft. Um das zu dokumentieren, veröffentlicht Bundesminister Waigel - da folge ich Frau Homburger; er hat es ja heute eingebracht - in seinem alljährlichen Finanzbericht eine Zusammenstellung der Ausgaben der Bundesressorts für Umweltschutz. Heute morgen habe ich allerdings in der Debatte aus verschiedenen Mündern gehört, daß dessen Wahrheitsgehalt geringer sein soll als der von Grimms Märchen. Um so größer ist mein Erstaunen darüber, daß diese Bundesregierung in Sachen Hochstapelei noch steigerungsfähig ist. Der entsprechenden Zusammenstellung im Finanzbericht 1995 ist nämlich zu entnehmen, daß im Einzelplan 35 knapp 23 Millionen DM für Umweltausgaben im Jahre 1995 vorgesehen sind. So weit, so gut. Nur gibt es ausweislich dieses genannten Haushaltsentwurfs für das Jahr 1995 keinen Einzelplan 35 mehr. Soweit einmal zur Sorgfalt der Waigelschen Finanzplanung. Aber nicht nur die Finanzen dieses Landes sind nach zwölf Jahren Kohl in einem erbärmlichen Zustand. Spätestens seit dieser Wahlperiode kann von verantwortungsbewußter Umweltpolitik in diesem Land keine Rede sein. Ein Beispiel ist das Naturschutzgesetz. Seit 1987 hat die Bundesregierung eine Novelle angekündigt, und noch jeder Versuch der Verwirklichung ist am Veto des Landwirtschaftsministers gescheitert. Beispiel Bodenschutzgesetz: Seit Jahren wiederholt angekündigt, erfährt es mittlerweile eine Beerdigung dritter Klasse. Beispiel Abfallpolitik: Sieben Verordnungen nach § 14 des Abfallgesetzes sind in den Koalitionsvereinbarungen angekündigt, sechs davon gescheitert. Oder die Abfallabgabe: Erinnern Sie sich, Herr Töpfer, was Sie am 13. September 1991 dazu ausgeführt haben? ({1}) Dazu zitiere ich aus einem Dokument: ... Töpfer hob bei der Vorstellung des entsprechenden Gesetzentwurfes hervor, daß ... die Erhebung einer Abfallabgabe in der Koalitionsvereinbarung eindeutig festgeschrieben ist. Nach der Festlegung konkreter Abgabensätze folgt die Einschätzung - ich zitiere erneut -: Die Abgabensätze werden dynamisiert. Der BMU rechnet auf der Grundlage dieses Entwurfs zunächst mit einem Gesamtaufkommen in Höhe von maximal 5 bis 6 Milliarden DM pro Jahr... . Der Entwurf ist den Ressorts zugeleitet und wird mit ihnen endgültig abgestimmt. Aber es ist keine Abfallabgabe in Sicht. Das bedeutet nicht nur weniger Vermeidungsdruck, das bedeutet auch den Verzicht auf 15 bis 20 Milliarden DM bis heute. Diese Mittel fehlen für Vermeidungstechnologien, sie fehlen aber vor allem für die Altlastensanierung in den neuen Bundesländern. Dafür waren sie nämlich vorgesehen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Feige, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sehr gerne. Vizepräsident Helmuth Becker Bitte, Kollegin Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Feige, ich möchte Sie gern fragen, ob Ihnen aufgefallen ist, daß es in bezug auf die am Beginn der Legislaturperiode vorgesehene Abfallabgabe im Verlauf der Legislaturperiode eine Änderung der Konzeption hin zu mehr Produktverantwortung, angelegt im Kreislaufwirtschaftsgesetz, gegeben hat, die dasselbe bewirken soll, nämlich einen Vermeidungsdruck, und daß das Konzept der Abfallabgabe, wie es ursprünglich vorgesehen war, deswegen nicht mehr nötig ist.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zwischen diesen beiden Zeitpunkten sind Jahre vergangen. In denen ist nichts passiert. Selbst das, was Sie vorgesehen haben, muß erst noch den Beweis seiner Wirksamkeit erbringen, nämlich daß es genau in diese Richtung geht. Ich will meine Aufzählung der Versäumnisse fortsetzen. Weiter: Wo bleibt die Ozonverordnung? Warum gibt es kein allgemeines Tempolimit, für das sich der Bundesumweltminister nicht einmal einen Sommer lang in der „Zeit" stark machte? ({0}) Da stand ich hinter ihm. Wenn ich all die Ankündigungen in Sachen Umwelt aufzählen wollte, die nicht umgesetzt worden sind, würde meine Redezeit nicht ausreichen. Betrachten wir deshalb einmal das, was sich diese Bundesregierung gegen die Umwelt geleistet hat. Da haben wir zunächst einmal das größte Straßenbauprogramm der Nachkriegsgeschichte. Worin besteht dessen ökologischer Nutzen aus Sicht dieser Bundesregierung? Vermutlich - so ist das ja ausgewiesen - im verstärkten Bau von Lärmschutzwällen,, da diese Ausgaben in der Zusammenstellung des Finanzministers den Umweltausgaben zugerechnet werden. Also: Mehr Autobahnen gleich mehr Umweltschutz. Ich weiß nicht, welche Logik Sie hier vertreten. ({1}) Da haben wir als zweites die unsäglichen Maßnahmen- und Beschleunigungsgesetze sowie das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz. Da werden Mitspracherechte der Öffentlichkeit beschnitten; da wird die Beteiligung der Umwelt- und Naturschutzverbände ausgehebelt. Nicht zuletzt müssen Umweltbelange bei bestimmten Vorhaben in den neuen Ländern überhaupt nicht mehr berücksichtigt werden. ({2}) Jetzt soll auch noch der Transrapid durch die Lande fliegen, ein ökologischer, ökonomischer und nicht zuletzt verkehrspolitischer Blödsinn. Werden Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, endlich erwachsen und hören Sie auf, mit Modellschwebebahnen zu spielen. Aber nicht nur im nationalen Rahmen. hapert's. Das selbsternannte Umweltmusterland Bundesrepublik - Frau Homburger hat es gerade wiederholt - hinkt bei der Umsetzung von EG-Vorschriften seit Jahren hinterher. Nehmen wir aus aktuellem Anlaß das UVP-Gesetz. Vor einem Monat haben Sie die Quittung dafür bekommen, daß die Umsetzung der EG-Richtlinie verspätet und unvollständig erfolgt ist. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich entschieden, daß alle Großprojekte bereits ab dem 3. Juli 1988 einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen. Darunter fallen Fernstraßen, Flughäfen, Chemieanlagen, Atomlager und Kraftwerke. Wenn wir gerade von Kraftwerken sprechen: Ich bin gespannt, was Bundeskanzler Kohl in ein paar Tagen bei der Einweihung des Steinkohlekraftwerks Rostock in dieser Sache auszuführen gedenkt. Da soll er nämlich einen Bau einweihen, der angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs illegal ist, auf gut deutsch also ein Schwarzbau. Das paßt dann ja zur CDU. Ein ganz besonders trauriges Kapitel muß ich noch ansprechen, nämlich die sogenannte Klimaschutzpolitik dieser Bundesregierung. Auch hier: außer Spesen nichts gewesen. Wo bleibt die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes? Wo bleibt die Wärmenutzungsverordnung? Was ist mit der Energiesteuer, deren Aufkommen der Bundesumweltminister in einer Sitzung des Umweltausschusses zu Beginn der Wahlperiode bereits ausgegeben hatte? Was macht eigentlich die Interministerielle Arbeitsgruppe? Wie oft haben sich die Mitglieder der Verkehrsgruppe bereits persönlich getroffen? Sich dann mit stolzgeschwellter Brust hinstellen und einen Rückgang der CO2-Emissionen in Deutschland verkünden - unser Umweltminister, wie er leibt und lebt. Tatsächlich ist der CO2-Rückgang in Ostdeutschland doch ausschließlich auf die - so doch angeblich gar nicht gewollte - Deindustrialisierung zurückzuführen, während in Westdeutschland trotz Rezession ein Zuwachs zu verzeichnen ist. ({3}) - Ihre eigenen Daten. In unserer Großen Anfrage zum Klimaschutz haben wir zu Recht festgestellt, daß in keinem Land der Welt die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Klimaschutzpolitik so groß ist wie in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist mehr als bezeichnend, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort dieser Feststellung nicht einmal widersprochen hat. Meine Damen und Herren, eines ist also klar: Umwelt und Natur brauchen eine Wende in Bonn. Angesichts des umweltpolitischen Scherbenhaufens der Koalition wird die kommende Bundestagswahl auch zu einer umweltpolitischen Richtungsentscheidung. Nur wir Bündnisgrünen sind in einer Reformregierung Garant für eine konsequente ökologische Politik. Wir wollen den Aufbruch eines klassischen Industrielandes auf der Grundlage ökologischer Innovationen. Wir stehen für eine ökologische Offensive auch als Voraussetzung für eine wirtschaftliche Zukunft. Wir wollen eine Wirtschaftspolitik, die dem Prinzip der Nachhaltigkeit, von dem Sie reden, verpflichtet ist. Wesentlicher Schwerpunkt einer künftigen Reformregierung wird die Bekämpfung der drohenden Klimakatastrophe sein. Sie können sicher sein, daß wir die Ankündigungen des Bundesumweltministers und noch einiges mehr möglichst schnell in die Tat umsetzen werden. Wir wollen eine Primärenergiesteuer als Einstieg in eine ökologische Steuerreform. Wir wollen die tatsächlichen oder vermeintlichen Widerstände in der EU und im eigenen Lande überwinden. Energie- und Ressourcenverbrauch muß gedrosselt werden. Dafür müssen die Preise die ökologische Wahrheit sagen. Gleichzeitig müssen die Kosten für menschliche Arbeit günstiger werden. ({4}) Aber wir wollen noch mehr. Wir wollen eine Abfallpolitik, die den Schwerpunkt auf die Abfallvermeidung statt auf die Zwangsmüllverbrennung legt. Wir wollen weg von der klassischen risikoreichen Chemie hin zu einer intelligenteren und sanften Chemie. Wir wollen einen Umwelt- und Naturschutz, der diesen Namen wirklich verdient. Die Zeit ist reif für ein bundesweit verankertes Verbandsklagerecht der Umwelt- und Naturschutzverbände. Wir setzen uns konsequent für die Abschaffung von Vorrechten des Verkehrswesens, der Energiewirtschaft und des Bergbaus gegenüber der Natur ein. ({5}) - Sie wollen das offensichtlich auch. So kann ich Ihr Marodieren verstehen. Mir fehlt allein der Glaube, daß Sie es in Taten umsetzen. Wir wollen eine ökologische Landwirtschaft und eine gesunde Ernährung. Wir setzen auf eine ökologische Landwirtschaft nicht als Nischenproduktion, wie sie es jetzt ist, sondern als Regel, als tragfähige Wirtschaftsweise für die gesamte Landwirtschaft. Wir werden nicht locker lassen, bis dieses Land seinen ökologischen Frühling erlebt, am besten schon in diesem Herbst. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und viel Freude. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, auf die Bemerkung des Kollegen Dr. Feige: Ich kann immer nur denjenigen aufrufen, der sich hier zu Wort gemeldet hat. Das hat jetzt Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer. Ich erteile Ihnen das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine gute Sache, daß wir trotz Auslaufens der Legislaturperiode hier noch einmal einen Bundeshaushalt diskutieren können. Dies gilt auch für die Umweltpolitik. Es ist schon bemerkenswert, daß wir von der SPD neuerdings eine Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt vorgestellt bekommen, sie bei ihrer ersten Rede hier fein säuberlich das, was sie zur Landwirtschaft sagt, von dem trennt, was sie zur Umwelt zu sagen gedenkt, dann aber gleichzeitig moniert, daß wir das hier nicht zusammen nacheinander vortragen. Was gilt denn nun, Frau Griefahn? Zu einem von den beiden sollten wir uns durchringen. Nur zwei kleine Gedankenstützen. In Punkt 4 Ihres Berichtes haben Sie gesagt, daß die Landwirte, die Bauern, natürlich für das, was sie zur Erhaltung von Natur und Landschaft tun, finanziert werden müssen. Schauen Sie doch bitte einmal in das Bundesnaturschutzgesetz, das die SPD hier im Hohen Hause eingebracht hat, wo genau das nicht vorgesehen ist. ({0}) Der einzige Unterschied zwischen unseren Gesetzen und der Tatsache, daß das noch nicht weitergekommen ist, liegt im Kern darin, daß ich gesagt habe: Wir werden ein Bundesnaturschutzgesetz sinnvollerweise nur vorlegen können, wenn wir für die Leistungen, die die Landwirte erbringen, auch wirklich eine Gegenfinanzierung vorlegen können. ({1}) Dies ist hier massiv kritisiert worden. Das ist nur ein kleiner Hinweis. Sie haben sich sehr nachhaltig für die Windkraft gerade im ländlichen Raum eingesetzt. ({2}) Heute ist der Widerspruch des Bundesrates gegen erleichterte Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen im ländlichen Raum mit der Stimme der Niedersächsischen Landesregierung abgelehnt worden. ({3}) An irgendeiner Stelle ist es von dem Gesetz über die bäuerliche Landwirtschaft abgekoppelt worden. ({4}) - Meine Damen und Herren, ich kann mich auf das, was mir der Kollege Borchert sagt, ganz sicherlich verlassen. Ich weiß nur eines: Wir haben erreicht, daß wir durch das Stromeinspeisungsgesetz endlich einmal einen Anreiz geschaffen haben, um in breitem Maße Windkraftanlagen in Deutschland durchzusetzen. Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, sich an der deutschen Küste die Windenergieanlagen anzusehen, dann werden Sie feststellen: Das ist ganz hervorragend in Gang gekommen, allerdings nicht, Frau Kollegin Griefahn, auf jedem Strommasten, wie Sie es sich vielleicht einmal vorgestellt haben, sondern wirklich dort, wo es sich in einem vernünftigen Verfahren lohnt. - Dies nur als eine kleine zusätzliche Anregung. Für mich ist wichtig - ich setze an einem Punkt an, der uns gerade heute sehr beschäftigt hat; das ist auch von den Sprechern der SPD heute noch einmal bestätigt worden -: Deutschland ist in der Umwelttechnik weltweit führend. Wir haben einen Marktanteil von 21 %. Wir führen vor den Vereinigten Staaten und vor Japan. Dies alles kommt nicht von ungefähr, sondern es kommt daher, daß wir frühzeitig eine vorangehende Umweltpolitik konzipiert und durchgesetzt haben, Herr Kollege Feige. Daraufhin sind Technologien entwickelt worden, um diesen anspruchsvollen Zielsetzungen gerecht zu werden. Deswegen sind wir heute in der Umwelttechnik zu Recht Marktführer, und wir werden es weiter bleiben. ({5}) Wenn Sie mir das nicht glauben, dann lesen Sie es bitte beim Altbundeskanzler Helmut Schmidt nach, der uns ebenfalls bestätigt, daß wir in der Umweltpolitik weltweit in der Spitzengruppe stehen. Wenn es mir nicht abgenommen wird, werden Sie es ihm glauben. Wenn Sie es denn nicht glauben, Herr Kollege Feige, daß wir in der Durchsetzung von EG-Richtlinien in ganz besonderer Weise führend sind, dann können Sie das einmal - vielleicht tun Sie das nicht, aber Frau Griefahn wird das machen - in dem Interview nachlesen, das Herr Kollege Schröder in der letzten Woche einem Wochenmagazin gegeben hat. Dort steht: So dumm sollten wir nicht bleiben - ich sage das jetzt nicht wörtlich -, in Frankreich würden die Richtlinien erfunden, in Italien würde man über sie lachen, und wir würden sie vollziehen. So gehe es nicht mehr weiter. Ich verwahre mich nachhaltig gegen diese Unterstellung gegenüber Frankreich und Italien. ({6}) Aber eines kann ich nun beim besten Willen nicht hinnehmen, daß man mir dann hinterher sagt, wir seien die, die nicht vollziehen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man sich etwas damit beschäftigt, wird man das sehen. Wir haben große Fortschritte bei den Umweltsanierungen in den neuen Bundesländern gemacht. Dies ist nun wirklich eine der Herausforderungen, die wir beispielhaft auch für andere mitmachen können. Hier können wir aus den Hypotheken der Vergangenheit Chancen für die Zukunft erarbeiten. ({7}) Deswegen ist es gut, daß wir vorgestern mit dem Kollegen Vaatz, dem Regierungspräsidenten und dem Oberbürgermeister von Leipzig zusammen beschlossen haben, in Leipzig ein Technologietransferzentrum für Umwelttechniken einzurichten, in dem die Kenntnisse, die wir mit der Sanierung der neuen Bundesländer erarbeitet haben, gerade auch den Staaten Mittel- und Osteuropas verfügbar gemacht werden können. Dies ist angewandte Umweltpolitik. ({8}) Darüber reden wir nicht, sondern das machen wir. ({9}) Wir machen es mit über 60 000 Beschäftigten in den Sanierungsmaßnahmen der Braunkohle, der Chemie, des Bereichs der Schwermetallbelastungen im Mansfelder Land usw. Meine Damen und Herren, ich hatte die Freude, meine Kollegen aus der Europäischen Union zu einem informellen Rat in Dresden zu haben. Wir sind Präsident der Gemeinschaft. Wir haben sie dort gehabt. ({10}) - Es ist auch sehr gut, daß wir sie in die Länder, in die Regionen hineinführen, wo wir zeigen können, wie wir eine unglaubliche Erbschaft aus einem alten, real existierenden Sozialismus überarbeiten können. Ich habe sie zur Schwarzen Pumpe geführt. Meine Damen und Herren, da wird nicht geredet, da wird es gemacht. Da wird das neue Braunkohlenkraftwerk mit einem Investitionsvolumen von 5 Milliarden DM gebaut, damit drei alte mit einem Wirkungsgrad von 28 % vom Netz gehen können. Dort machen wir klar, das unsere CO2-Zielsetzung nicht nur auf dem Papier steht, sondern durchgesetzt wird. Allein in dieser einen Anlage konnten wir dies unseren Kollegen sehr deutlich machen. ({11}) Da wird nicht nur darüber geredet, daß wir Altlasten sanieren. ({12}) [SPD]: Hören Sie doch auf!) Wir machen das bei der Schwarzen Pumpe - etwa mit den Teerseen von Terpe und Zerre. Dort wird gearbeitet. Das können wir vorführen. Das ist ein Exportartikel, und wir werden dies weiter machen. Meine Damen und Herren, ich sage eines hinzu: Ich möchte schon alles daransetzen, daß wir Genehmigungsverfahren entbürokratisieren. Ich möchte es mit großem Nachdruck auch aus umweltpolitischer Sicht. Es kann nicht richtig sein, daß wir bei uns zwar die besseren Umwelttechnologien entwickeln, dann hinterher aber in einem Genehmigungswirrwar hängenbleiben, so daß die Techniken dann bei anderen angewandt werden und wir davon nichts haben. Wir wollen sie bei uns durchsetzen. ({13}) Deswegen ist die Beschleunigung von Gehmigungsverfahren eine ganz wichtige, eine notwendige Angelegenheit. Das ist deswegen kein Kritikpunkt, sondern es ist eine nachhaltige Bestätigung dafür, daß wir im Investitionserleichterungsgesetz genau das gemacht haben. Nebenbei, um das nur einmal dazu zu sagen: Dies ist nahezu einstimmig im Bundesrat von allen Bundesländern angenommen worden. Genehmigungsverfahren sind im Zweifel sogar nicht einmal Bundesangelegenheiten, sondern es sollten Angelegenheiten der Bundesländer sein. Wir haben es gemacht. Ich halte es für richtig. Einige Sätze zu dem ganz besonders wichtigen Thema der Steuern. Meine Damen und Herren, die ökologische Steuerreform ist ja so etwas wie ein ganz besonderes Wunderwort. Das ist ja auf den ersten Blick auch ganz eingängig. Dann entlaste man bitte die Arbeit, und zwar bei ganz vielen - zumindest gilt das für die Lohnnebenkosten -, und man belaste bitte die Energie. Das, was wir dort bekommen, setzen wir da ein. Damit bekommen wir höhere Preise bei der Energie. Siehe da: Die Energieeffizienz, das Energiesparen setzt ein. Wir kriegen in der Tat ökologische Entlastung, und wir bekommen Geld und Arbeitsentlastung. Wer will dagegen etwas sagen? Gehe ich jetzt ein Stückchen genauer an das heran, was die SPD uns vorschlägt, so lese ich in den soeben schon einmal angesprochenen Ausführungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten - der ja vorübergehend auch als Statthalter von Joschka Fischer Superminister im Schattenkabinett ist - vom letzten Wochenende: Ich bin gegen eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer. Dann fällt erst einmal ein Teilbereich aus dem ganzen Bereich dieser Energiesteuerpakete weg. Das steht darin. ({14}) Ich kann Ihnen natürlich beliebig - Frau Kollegin Homburger hat es an anderer Stelle gesagt - auch ein paar andere Zitate von anderen SPD-Freunden bringen. Der Herr Kollege Zöpel ist nicht kleinlich, der geht ein Stückchen weiter. Andere sind der Überzeugung, man müsse es später machen. Dritte wiederum sind - je nachdem, wo man gerade spricht -, für eine geringere oder stärkere Erhöhung der Mineralölsteuer. Ich halte mich in diesem Zusammenhang einmal an den Kollegen Schröder, weil ich ihm in diesem Zusammenhang noch das meiste zuordne; also: keine Erhöhung der Mineralölsteuer. „Ich bin gegen eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer." Punkt. Jetzt am Wochenende wurde das so niedergeschrieben. Das fällt also weg. Auf der anderen Seite hören wir, daß es bei der Kohle auch keine Erhöhung geben soll. Damit fällt die nächste Möglichkeit weg. Dort aber, wo eine Erhöhung noch wirkungsvoll wäre, haben wir überall den Hinweis, welche Bevölkerungsgruppen denn ausgenommen werden müssen. Wenn wir das jetzt noch Verbleibende mit einer Energiesteuer belegen, die so viel Aufkommen hat, daß man damit Arbeit wirklich entlasten kann, dann, meine Damen und Herren, frage ich mich: Wie sollen die dadurch belasteten Industrien noch diese hohen Steuersätze bewältigen? Was herauskommt, ist etwas Feines, aber nichts für die Umwelt Interessantes. Wir leben in einer offenen Volkswirtschaft. Das mag man bedauern; ich freue mich darüber. Wir haben ein geeintes Europa. Wenn man nun will, daß die energieintensiven Betriebe demnächst nicht mehr in Deutschland, sondern in Frankreich sind, hat man zwar nichts für die Umweltentlastung gemacht, aber man hat bei uns weniger Arbeitsplätze. Dann braucht man bei diesen auch die Lohnnebenkosten weniger zu vermindern; das ist wahr. Aber, meine Damen und Herren, man muß sich einmal einig werden. Ich will eine CO2-Energiesteuer, und wir argumentieren für sie engagiert in der Europäischen Gemeinschaft. Ich möchte den Kollegen Feige manchmal gern mit nach Brüssel nehmen, damit er sich dort durchsetzt. Das wäre doch eine schöne Sache! Ich lade Sie ein: Kommen Sie doch einmal mit! Ich will das gar nicht in Breite verfolgen. Wir wollen das aber mit allem Nachdruck machen, damit genau der Effekt, von dem ich gerade gesprochen habe, nicht eintritt. Denn welchen Sinn macht es denn, wenn das Aluminium hinterher in Frankreich produziert wird, wir es importieren, wir damit höhere Energiepreise haben und Energie einsparen? Das kann ja nicht richtig sein, und das hilft auch nicht der weltweiten Umwelt. Deswegen will ich eine Energie- und CO2-Steuer, die auch echte ökologische Wirkungen hat. Für mich ist eine Steuer um so besser, je weniger Aufkommen sie hat. Dann hat sie nämlich ihre Bemessungsgrundlage wirklich beseitigt, und darum geht es. Je weniger Steuer wir haben, um so mehr hat sie gewirkt. Diese Steuer muß so eingesetzt werden, meine Damen und Herren, daß das Aufkommen aus ihr gegen energieverbessernde und produktivitätserhöhende Maßnahmen gegengerechnet werden kann. Das ist ein Konzept, das wir, meine ich, international anbieten können und bei dem wir eine Chance haben, es durchzusetzen, ohne daß wir den Standort Deutschland in Frage stellen, sondern bei dem wir ihn ganz im Gegenteil ökologisch weiter qualifizieren. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({15})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt noch einmal der Umweltministerin des Landes Niedersachsen, unserer Kollegin Monika Griefahn das Wort. ({0}) Ministerin Monika Griefahn ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte meinen Beitrag ganz gerne im Zusammenhang vorgetragen; aber ich wollte auch gerne einmal wissen, was Sie, Herr Töpfer, vortragen und was Sie konkret tun. „Die Umweltpolitik der beiden vergangenen Legislaturperioden konnte dem Anspruch eines sektorübergreifenden und in sich abgestimmten Umweltschutzkonzeptes nicht gerecht werden." Das ist kein Zitat von Monika Griefahn und auch kein Zitat von Joschka Fischer. Nein, so beurteilt der Sachverständigenrat für Umweltfragen die Politik der Bonner Koalition. Herr Töpfer, wenn Sie hier vortragen, was Sie alles tun, dann kann ich nur sagen: Das scheint mir offensichtlich noch nicht einmal von den Sachverständigen anerkannt zu sein. Sie haben auch zwei Punkte genannt, die angeblich gegen uns laufen. Ich muß sagen, Schleswig-Holstein und Niedersachen sind die Länder, die die Windkraft massiv vorangebracht haben. ({2}) Das sind nämlich die Länder, die einen Ökologiefonds aufgelegt haben, die es damit überhaupt ermöglicht haben, daß in den letzten vier Jahren Windkraftanlagen entstanden sind, und die damit Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie kennen doch selber zum Beispiel die Firma in Aurich. ({3}) - Enercon, ja. Sie hat im Jahr 1989 mit 20 Leuten angefangen und produziert heute mit 400 Leuten. Es gibt auch noch andere Firmen. Das ist etwas, was wir als Landesregierung initiiert haben, und ich warte darauf, daß die Bundesregierung endlich ein Konzept auf den Weg bringt, das eine gesamte Energiepolitik darstellt, die auf Energieeinsparung, Energieeffizienz und alternative Energien setzt. Das sehe ich nicht. 1000-Dächer-Programm? - Ausgelaufen, Fehlanzeige. Energieeinspeisungsmaßnahmen? - Fehlanzeige. Worauf Sie setzen, ist der massive Ausbau der Kernenergie. Das ist die einzige konkrete Aussage, die Sie auf ihren drei Seiten Umweltpolitik in diesem 67seitigen Wahlprogramm drin haben. Das ist genau der Punkt! Herr Töpfer, wenn Sie von dem reden, was Sie alles tun, dann muß ich ja auch mal sagen: Jüngstes Beispiel Ihrer umweltpolitischen Handlungsunfähigkeit ist Ihr Umgang mit der Ozonproblematik. Obwohl Experten seit einigen Jahren vor den gesundheitsschädlichen Folgen des Sommersmogs warnen, obwohl immer mehr Menschen im Sommer unter den Folgen hoher Konzentrationen leiden, sind Sie untätig geblieben bzw. beschwichtigen uns mit einer abstrusen Konzentrationswerteverordnung, wobei hier der Kollege aus Nordrhein-Westfalen vorgerechnet hat, daß selbst an einer hochbefahrenen Straße in Düsseldorf, wo 120 000 Fahrzeuge pro Tag entlangfahren, keine Auswirkungen zu spüren wären. Das hieße, daß keine Handlungen getätigt werden könnten, weil die Werte, die Sie in Ihrer Konzentrationswerteverordnung haben, überhaupt nicht greifen würden. Ozon haben Sie noch nicht einmal drin gehabt in dem Ding.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus Töpfer? Ministerin Monika Griefahn ({0}): Wissen Sie, das Problem ist, ich habe vorhin übersehen, daß Sie eine Lampe haben, die immer leuchtet. Ich war in diesem Raum noch nicht. Jetzt möchte ich diese Zeit natürlich nicht überschreiten.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Die Zeit für die Beantwortung wird nicht angerechnet. Ministerin Monika Griefahn ({0}): Natürlich beantworte ich dann die Frage.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Herr Kollege Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Griefahn, wären Sie so freundlich, darauf hinzuweisen, daß diese von Ihnen gerade als abstrus bezeichnete Verordnung im März dieses Jahres mit der guten Mehrheit des Bundesrates angenommen worden ist? Ministerin Monika Griefahn ({0}): Ohne die Stimmen Niedersachsens; das möchte ich hier betonen.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sie ist mit der Mehrheit des Bundesrates so angenommen worden. Ministerin Monika Griefahn ({0}): Ich sage ja, ohne die Stimmen Niedersachsens. Das ist der Punkt. ({1}) Die Verwaltungsvorschrift werden wir nicht annehmen, das ist schon klar. ({2}) - Nein, es ist eindeutig klar, daß das nichts bringt, und deswegen werden wir das auch nicht annehmen. Jetzt müssen wir noch einmal dazu sagen: Wir haben Vorschläge gemacht, wie man dieses Problem abändern kann. Das werden wir auch umsetzen. Um noch einmal bei der Wirkung zu bleiben: Wie sich das Ozon z. B. auf Kinder auswirkt, das ignorieren Sie. Da sind Sie untätig geblieben und haben dann auch noch diejenigen Länderkollegen attackiert, die versucht haben, mit ihren begrenzten Mitteln wenigstens die Spitzen der Ozonkonzentration zu kappen. Das ist, so muß ich sagen, wirklich zynisch gegenüber den Menschen. Sie wissen selbst, Herr Töpfer, daß sich die Grenzwerte immer noch an etwa 70 Kilogramm schweren Männern orientieren und nicht an kleinen Kindern. Deswegen werden wir nach dem 16. Oktober dafür sorgen, daß sich die Höhe der Grenzwerte grundsätzlich an der Physis von Kindern ausrichtet - das ist nämlich der entscheidende Punkt -, ({3}) damit sich alle notwendigen Maßnahmen über eine wirksame Ozonverordnung dann bundesweit auch dementsprechend an dieser orientieren. Da ist das, was die Länderkollegen mit dem Tempolimit gemacht haben, sozusagen nur eine Notmaßnahme gewesen. Es ist viel mehr nötig, das wissen wir hier alle. Das werden wir auch umsetzen, und im nächsten Sommer wirkt diese Verordnung! ({4}) Das zweite ist - das hat der Kollege Feige hier auch schon einmal sehr deutlich gemacht -: Wir haben gehandelt; wir haben im übrigen eine Sonderabfallabgabe eingerichtet, nicht der Bund. Ein weiterer Punkt, Herr Töpfer: Wenn Sie jetzt sagen, Sie haben das Bundesnaturschutzgesetz deshalb nicht umgesetzt, weil Sie keine Finanzierungsmöglichkeit dagegenstellen konnten, dann kann ich nur sagen, es war genau mein Vorschlag, daß nämlich der Agrarhaushalt diese Dinge finanzieren muß. Es findet sich eben nicht im Agrarhaushalt wieder, daß die Leistungen der Landwirte finanziert werden, sondern das findet sich dann so wieder, möglichst zu intensivieren und die Ergebnisse, die Ernte, möglichst zu vernichten. Das wird mit dem Geld gemacht! ({5}) Ich habe Ihnen gesagt, das Geld muß anders umgesetzt werden, wenn diese Riesenmengen - ({6}) - Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt. ({7}) - Das scheint jetzt offensichtlich eine Zwischenfrage zu sein. Ich werde jetzt erst einmal weitermachen. Zum Naturschutzgesetz. Aktiver Naturschutz ist ein wichtiges Kernstück der Umweltpolitik. Im Moment ist es ja so, daß 150 Hektar unbebautes Land pro Tag unter Asphalt und Beton gelegt werden. Was wir von dieser Bundesregierung präsentiert bekommen haben, ist ein sogenanntes Wohnbauland- und Investitionserleichterungsgesetz, wo angeblich Naturschutz immer der große Hinderungsgrund dafür war, daß gebaut werden konnte. Ich habe das in meinem Bundesland einmal untersucht und 2 200 Bebauungspläne daraufhin überprüft, in welchen Fällen der Naturschutz als Grund in der Ablehnung überhaupt eine Rolle gespielt hat. Es waren 0,8 %, es waren um die 20 Fälle! Man muß sich einmal vorstellen, daß dafür ein Gesetz geändert wird und die Beteiligungsrechte der Bürger ausgehebelt werden. Man kann es genau andersherum machen. Indem man die Bürger frühzeitig beteiligt, beschleunigt man die Verfahren. Wenn man sie mit ihren Anregungen frühzeitig einbezieht, kommt es hinterher nicht zu Klagen. Deswegen werden wir im Bundesnaturschutzgesetz auch die Verbandsklage einführen, damit die Möglichkeit besteht, von Anfang an zu sagen: Wir müssen so planen, daß hinterher nicht geklagt wird, und deswegen die Bedenken der Bürger von vornherein einbeziehen. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. ({8}) Die Wirtschaft in Niedersachsen bescheinigt uns, daß wir die kürzesten Genehmigungsverfahren haben. Sie sagt, wir seien im oberen Drittel in der Bundesrepublik. Das heißt, so schlecht kann die Methode nicht sein. Weiter haben wir als Bestandteil der Koalitionsvereinbarung ein neues Bodenschutzgesetz. Auch da geraten wir in die Situation, daß immer mehr Schad-und Nährstoffe unseren Boden zu vergiften drohen, ins Grundwasser eindringen. Ein Drittel ist schon mit Nitrat belastet. Was stellen wir fest? Wir haben einen unverbindlichen Referentenentwurf und nichts zum Schutz des Bodens. Es wird diskutiert, verworfen und diskutiert. Ich frage mich: Wo liegen eigentlich die Hindernisse? Ministerin Monika Griefahn ({9}) Es bestehen Handlungsnotwendigkeiten, da durch übermäßige Nährstoffbelastung des Bodens das Grundwasser belastet ist. Und was haben wir? Die einzig wirksame, lenkende Umweltabgabe, das Abwasserabgabengesetz, wurde auch noch verwässert und bleibt deswegen auf der Strecke. Das kann doch nun wirklich nicht hilfreiche Umweltpolitik sein, sondern das ist ein Ausverkauf der Natur. Das muß man einmal deutlich machen. ({10}) Es kann doch nicht der Punkt sein, Frau Homburger, daß Sie sagen: Wenn die Produktverantwortung - ohne Verordnung, ohne alles - jetzt im Gesetz ist, dann ist schon kein Abfall mehr da. Das ist doch nicht so. Man braucht doch die Umsteuerung. Auf jeder Umweltministerkonferenz wurde gesagt: Wir wollen sie gemeinsam. - Nichts ist passiert. Einige Bundesländer haben darauf gewartet. Wir haben uns nicht darauf verlassen und haben sie selbst eingeführt, und ich glaube, das war sehr hilfreich. ({11}) Es ist das, was wir im Bund als Bundesabgabe haben wollten. Im übrigen geben wir sehr viel Hilfe in die neuen Bundesländer. Ich kann es Ihnen gerne einmal vorrechnen. Es reicht natürlich nicht, den Grundsatz der Produktverantwortung zu verankern und uns gleichzeitig - wie z. B. bei der Verabschiedung der Verpackungsverordnung im Bundesrat - zu versprechen, daß man wirklich Vermeidungsschritte auf den Weg bringt. Was ist dann passiert? Mehrwegverordnung, Elektronikschrottverordnung, Altautoverordnung, Verbote von bestimmten Stoffen - alle blieben auf der Strecke. ({12}) Es wurde gesagt, es ginge wegen der EU alles nicht. Ich habe mit den Kommissaren und den Mitarbeitern in der EU geredet. Natürlich geht es auf der nationalen Ebene. Sie haben uns damals im Bundesrat angekündigt, es würde kommen. Das ist jetzt drei Jahre her. Was wir haben, ist grünbepunkteter Müll. ({13})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kampeter? Ministerin Monika Griefahn ({0}): Ja, bitte.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Minister Griefahn, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die derzeitigen rechtlichen Grundlagen unseres Abfallrechts gemeinsam mit Ihnen im Vermittlungsausschuß und dann mit großer, breiter Mehrheit im Bundesrat beschlossen worden sind, so daß es im Haus Probleme geben dürfte zu verstehen, daß Sie die von Ihnen selbst beschlossenen rechtlichen Grundlagen des Abfallrechts gerade vor dem Hohen Haus kritisieren? Ministerin Monika Griefahn ({0}): Ich habe sie gar nicht kritisiert. Ich habe gesagt, das reiche noch nicht. Die Abfallabgabe ist doch dabei sehr wichtig. ({1}) - Nein, nein, das habe ich soeben genauso gesagt. Ich habe immer gesagt, das Kreislaufwirtschaftsgesetz, wie Sie es eben dargestellt haben, ist eben noch kein Kreislaufwirtschaftsgesetz. Wir brauchen ein echtes Stoffflußgesetz, das Vorgaben an die Produkte macht, damit sie tatsächlich ein Design haben, zerlegbar sind, aus wenigen Materialien bestehen und in biologische und technische Kreisläufe eingeführt werden können. Was im Moment existiert, ist folgendes. Mein Fernseher ist letzte Woche kaputtgegangen, als der Blitz eingeschlagen hat. Jetzt bin ich Besitzerin von Sondermüll. Ich will aber gar keine 4 200 Chemikalien besitzen. Das ist der Punkt, der nicht geregelt ist. Wir brauchen eine Produkthaftung und eine Produktverantwortung, damit ich diesen Fernseher wieder zurückgeben kann und weiß: Er ist aus solchen Materialien, die es ermöglichen, daß er tatsächlich demontiert und wiederverwertet werden kann. Das ist das Entscheidende, das fehlt und auf das warte ich. Wir werden es umsetzen. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Ministerin, die Kollegin Homburger möchte eine Zwischenfrage stellen. Ministerin Monika Griefahn ({0}): Ich habe mit Frau Homburger und den anderen Kollegen auch im Vermittlungsausschuß ausführlich geredet. Ich würde jetzt gerne die Punkte hier zu Ende bringen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr, das ist Ihr gutes Recht. Ministerin Monika Griefahn ({0}): Die Millionen, die jetzt dringend zur Förderung zukunftsfähiger Produkte gebraucht würden, die die tatsächlich in Umwelttechnik, die nicht nur nachsorgend ist - die nachsorgende ist nämlich nicht die Umweltechnik, die Zukunft hat -, sondern zukunftsträchtig ist und in Verfahrenstechnik und Produkte gehen mußten, die tatsächlich aus nur wenigen Materialien bestehen, die demontierbar sind usw., werden jetzt dafür gebraucht, riesige Entsorgungsindustrien aufzubauen. Diese ganzen Anlagen, die im Moment gebaut werden, verbrauchen doch das Geld, mit dem man in Verfahren umstellen könnte. Das ist das, was wir kritisieren. Die TA Siedlungsabfall, die Verpakkungsverordnung sind alle wieder „end of the pipe"-Technologien. Deswegen brauchen wir eine Umorganisation in der Produktverantwortung, damit das Geld, das nur einmal ausgegeben werden kann, nicht in diese Maschinerie gesteckt wird, weil nämlich die nachsorgende Umwelttechnik, die sicherlich in den 80er Jahren notwendig war, jetzt nicht als Zukunftsschlager gehandelt werden kann. Dann verlieren wir nämlich Ministerin Monika Griefahn ({1}) ganz schnell den Anschluß, und Japan und Amerika werden uns überholen. Das sehen wir doch schon in vielen Bereichen. ({2}) - Daran sind Sie selber schuld, weil Sie die Leute abgeworben haben. ({3}) - Weil wir da wirtschaften? ({4}) Das ist ja interessant, das muß ich sagen. Das finde ich sehr interessant. Das ist ja schön. Da sind wir schon einen Schritt weiter und brauchen uns gar nicht mehr darüber zu unterhalten. Sie haben es schon als Faktum akzeptiert. Da kann ich nur sagen: Es geht auch nicht anders. Wenn wir eine ökologische Umorientierung wollen und wenn wir auch unseren Kindern eine gesunde Umwelt hinterlassen wollen und der Wirtschaft eine Zukunft geben wollen, dann brauchen wir die ökologische und die ökonomische Umorientierung jetzt. Das geht nicht mit den Rezepten, die Sie hier immer anbieten, und das geht auch nicht mit den scheinbaren Fakten, die Sie anbieten. Das geht nur, indem man auf der einen Seite natürlich Ordnungsrecht weitermacht. Die ökologische Steuerreform wird nicht die ganzen Probleme alleine lösen. Natürlich brauchen wir ein strafferes Gesetz und höhere Anforderungen an Produkte. Aber auf der anderen Seite brauchen wir die ökologische Steuerreform, damit sich Material- und Energieverbrauch so weit verteuern, daß ein Anreiz besteht, das Design der Produkte so herzustellen, daß das Material tatsächlich wieder eingesetzt wird. Das ist der entscheidende Punkt. Wir werden das nach dem 16. Oktober hier auch umsetzen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde heute abend einen ausgesprochen schweren Stand haben. Zum zehntenmal habe ich meine Frau mitgebracht. Zum achtenmal habe ich ihr versprochen, sie werde interessante Oppositionsredner erleben. Was muß ich heute aushalten? ({0}) Ich sage es einmal so: Es hätte mir gefallen, wenn der Kollege Müller hier wenigstens etwas gesagt hätte. Dann hätte man einen Ansatzpunkt zur Auseinandersetzung gehabt. Aber so müssen wir erleben, daß die Leute, die hier reden - ich nehme im Moment den Kollegen Feige aus; zu dem sage ich noch etwas -, auf das, was wir verabschiedet haben, überhaupt nicht eingehen. Dazu braucht man, Frau Kollegin Griefahn, natürlich nicht nur Landespolitik zu machen, sondern selbst, wenn man Bundespolitik macht, muß man einmal in die Kommunen gehen und sehen, wie es vor Ort aussieht. Ich sage Ihnen dies: Bei meiner Müllverbrennungsanlage sind die Preise erhöht worden. Warum? Weil die Menge zurückgegangen ist und weil die Leute schlicht und ergreifend gesagt haben- das sind Leute Ihrer Art -: Wir machen das nach dem einfachen Modell. Wir denken nicht nach, ob wir die Kosten senken können, wenn die Menge zurückgeht. Wir erhöhen die Preise. Dann sind Preis mal Menge wieder gleich. Aber zunächst einmal ist die Menge der Abfälle zurückgegangen, zum erstenmal übrigens. Als ich mir die Bilanz angeguckt habe - eine Zeitlang bin ich ja schon dabei -, habe ich festgestellt, daß in den Jahren der Bundesregierung der SPD zu Recycling, zu Verwertung geredet worden ist. Dann hat der damalige Kanzler Schmidt in Gymnich eine Denkpause eingelegt nach dem Motto: Nicht so viel Umweltschutz auf einmal, das machen wir jetzt nicht. - Dann haben wir damit angefangen, das auf den Weg zu bringen. Jetzt, wo das vor Ort greift, wo die Müllmengen zum erstenmal wieder zurückgehen, kommen Sie hierhin und sagen, in Sachen Vermeidung würde nichts getan. Die Fakten sprechen doch ganz einfach dagegen. Ich muß ganz ehrlich sagen: Bevor ich ein Schattendasein im Schattenkabinett führe, würde ich mich erst einmal informieren, damit ich profiliert Umweltpolitik machen kann - aber doch nicht in dieser Form. ({1}) Das brauchen wir hier doch wirklich nicht. Wo kommen wir denn hin, wenn wir den Leuten draußen falsche Fakten erzählen? Das ist doch der Punkt. Wenn wir bei den Leuten Politikverdrossenheit erzeugen, Frau Griefahn, weil das, was erfolgreiche Umweltpolitik ist, nicht dargestellt wird, dann glauben die Jugendlichen nicht mehr an Politik. Ich sage das einmal so. Wir haben Erfolge: Nehmen Sie doch die Wasserreinhaltung; wir haben heute wieder die Tierarten im Rhein, die wir vor hundert Jahren hatten, diese Kleinlebewesen. Die haben wir doch nicht deshalb, weil wir wie Sie eine Politik des Abwartens gemacht haben. sondern weil wir eine zugreifende Politik gemacht haben. Dafür danke ich dieser Bundesregierung. Das ist doch der Punkt, auf den es ankommt. ({2}) Wer hier über Abfallabgabe und Abwasserabgabe redet und die Zusammenhänge zwischen Abgabe und Ordnungsrecht nicht kennt, hat nicht begriffen, daß wir das Ordnungsrecht dynamisiert haben und deshalb der Spielraum für die Abgabe nicht so ist, wie Sie das darstellen. Frau Griefahn, das muß man doch erst einmal begreifen, bevor man hierhinkommt und darüber redet, ohne die Zusammenhänge zu kennen und zu verstehen. ({3}) Dr. Klaus W. Lippold ({4}) Dann will ich Ihnen etwas zur Sonderabfallabgabe sagen, so wie sie in Hessen eingeführt worden ist, Frau Griefahn. ({5}) Die ist doch nicht eingeführt worden, um eine Lenkungsfunktion zu erfüllen, sondern weil Ihre sozialdemokratisch-rote Regierung mit Grün festgestellt hat, daß sie kein Geld mehr hat, um Umweltschutz zu finanzieren, um Maßnahmen im Bereich der Altlastensanierung in Nordhessen zu finanzieren, und daß sie sich deshalb Finanzmittel beschaffen muß. Darum waren die Mittel für die Sonderabfallabgabe im Haushalt, bevor die Sonderabfallabgabe beschlossen war, schon verplant. Das ist sozialistische Politik: nicht Lenkung, sondern Finanzmittelbeschaffung. Denn in allen anderen Bereichen hat man beim Einsparen versagt. Wir können es doch nicht überall wie die Stadt Frankfurt machen: daß wir das Tafelsilber verkaufen, um die laufenden Kosten zu decken. Wo kommen wir mit einer solchen Wirtschaft denn hin? Das ist doch wie heute nachmittag: Lafontaine kann den eigenen Haushalt nicht im Griff behalten, stellt sich aber hierhin und markiert den starken Mann. So klein ist er mit Hut. Gott sei Dank hat der Schröder ihn schon zurechtgestutzt; da hat er uns wenigstens einen Teil der Aufgabe abgenommen. Wir werden das gleiche noch mit Herrn Schröder machen und nehmen uns dann den weiteren Teil. Das ist ein Punkt, den wir brauchen - und nichts anderes. ({6}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kreislaufwirtschaftsgesetz: Da schafft dieser Umweltminister einmal die Voraussetzungen, die wir brauchen, schafft jetzt endlich einmal die Basis, gegen Ihren erbitterten Widerstand. Jetzt stellen Sie sich hierhin und sagen: Das hätte alles viel schneller geschehen müssen. ({7}) Es ist wirklich schön, Frau Griefahn, aber so etwas können Sie mit uns nicht machen, jedenfalls mit mir nicht. Ihren Leuten können Sie das erzählen, die glauben Ihnen das auch, weil sie sich freuen, daß sie einmal jemanden haben, der ihnen etwas erzählt. Aber das ist nicht unsere Form von Politik. Ich sage es einmal so: Investitions- und Baulanderleichterungsgesetz - bei uns hat doch nun wirklich keiner eine Verkürzung der Bürgerbeteiligung vorgenommen, wirklich nicht. Liebe Freunde, das können wir sehr intensiv diskutieren, aber in dieser Form nicht. Ich will Ihnen aber eines sagen: Wir haben sowohl im Bereich der Kernenergie wie im Chemiebereich die Anlagensicherheit erhöht. Bei Ihnen spricht davon keiner. Warum eigentlich nicht? Es ist doch eine grandiose Leistung, daß wir in einem Bereich, in dem wir bei uns Zukunftsindustrien haben wollen, die Sicherheit erhöhen, für den Bürger über Umweltpolitik glaubhaft machen, daß er sich auf uns verlassen kann. Das alles wollen Sie hier gar nicht erwähnen - das können wir so nicht machen -: Umweltinformationsgesetz, Umweltstatistikgesetz, Novellierung des Chemikaliengesetzes. Was auch wichtig ist - es ist in der Diskussion nur unzureichend angesprochen worden -: Wir können die Menschen in dieser Bundesrepublik hier nicht allein durch unsere Handlung glückselig machen. Aber wir haben erreicht, daß über unsere Chemikaliengesetzgebung die Novellierung jetzt auch auf der EU-Ebene Fortschritte zeigt, daß auch dort mehr Sicherheit geschaffen wird. Das sind doch unsere Initiativen; das sind doch Initiativen dieser Bundesregierung mit Klaus Töpfer an der Spitze der Umweltpolitik. ({8}) Dafür muß man doch dankbar sein; das können Sie ruhig einmal erwähnen. Das trifft doch alle, Frau Griefahn; da muß man doch nicht so kleinkariert und kleinlich sein. Ich will noch etwas anderes sagen: Wir reden immer über CO2-Minderung. Wer spricht eigentlich über die CO2-Minderung in den neuen Bundesländern, über das, was wir dort zum Wärmeschutz und zur Wärmedämmung tun, über die unendlich vielen Mittel, die wir dort einsetzen, um das zu reparieren, was Ihr Wunschpartner von der PDS - man muß das so deutlich sagen - damals, als die Partei noch SED hieß, hat einreißen lassen? Jetzt lassen Sie mich doch ruhig sagen: Diese paar ausgetauschten Buchstaben machen doch überhaupt nichts. Aber das ist Ihr Wunschpartner! Eines muß hier deutlich gesagt werden: Es gibt ja jetzt diese Nachfolgerzwergentroika. Nach Wehner, Brandt usw. kommen jetzt die drei Kleinen. Die haben dann noch zwischenzeitlich die Rollen getauscht. Erst ist der eine der Größere, dann der andere. Aber die sind sich schon jetzt nicht einig! Wenn der eine sagt: „PDS? Nein! " , sagt der andere: „Aber wir wollen doch an die Macht!" Und wer ist der Verlierer? Derjenige, der jetzt noch vorn an der Spitze steht. ({9}) - Ich lasse natürlich, Herr Präsident, wenn Sie erlauben, die Zwischenfrage von Michael Müller zu. Ich habe mich auf den Dialog mit ihm gefreut.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollege Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lippold, ich bitte Sie, sich doch ein bißchen zu mäßigen. Lassen Sie mich das bitte einmal ausführen. Ich fühle mich von Ihrer Art nämlich auch persönlich betroffen. Hören Sie bitte auf, vom Wunschpartner PDS zu reden. ({0}) Dies ist eine Form von Verleumdung und Verdrehung, von der Sie genau wissen, daß das so nicht geht. ({1}) Michael Müller ({2}) Ich bitte Sie sehr herzlich darum, tun Sie mir bitte diesen Gefallen. Wie auch immer die Kollegen hier schreien, wider besseres Wissen sollten wir bestimmte Grenzen nicht überschreiten. ({3})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Müller, ich mache jetzt das Fragezeichen, das ich bei Ihnen vermißt habe, hintendran und sage dann: Angesprochen waren nicht Sie. Ich weiß nicht, inwieweit Sie folgen werden. Ich habe nur für mich hergeleitet, was ich aus der öffentlichen Diskussion der verschiedenen Blätter darüber entnehmen konnte, was Scharping sagt. Erst läßt er Magdeburg laufen, hinterher will er es nicht gewesen sein. Dann sagt Höppner ihm: Du warst es aber doch, denn wir haben dich ja gefragt, ob wir dürfen. - Das hat er dann vergessen. Dann sagt Kollege Schröder: Das muß doch alles ganz anders sein; wir wollen doch ran! - Mehr habe ich nicht dargestellt. Eines muß man ganz deutlich sagen: Ich möchte einmal sehen, was passiert wäre, wenn sich ein Unionspolitiker bei Stimmenthaltung der Republikaner hätte wählen lassen. ({0}) So etwas konnte doch damals nur in Stuttgart passieren, wo der Bürgermeister mit Hilfe der Republikaner gewählt wurde. Da ist nichts gesagt worden. Wenn das ein Mann von uns gewesen wäre - den Aufschrei in der Republik hätte ich hören wollen! Das geht nicht, Herr Müller. Da müssen wir schon deutlich machen: Es trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei, wenn hier jemand auf eine Art und Weise etwas sagt, dann doch nicht sagt, dann Möglichkeiten offenläßt. Es gibt eine ganze Reihe von Kollegen in der SPD-Fraktion, denen ich abnehme, daß ihnen das nicht recht ist. Ich glaube, das ist wirklich ein Problem. Ich sage ganz offen, mir wäre das auch in meiner Partei nicht recht. Damit müssen Sie fertig werden, nicht wir.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich noch zwei Punkte sagen, die ich angesichts der fortlaufenden Zeit noch für wichtig halte?

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Die Zeit wird angehalten, Herr Kollege Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann gestatte ich das gerne.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Auch Herr Kollege Dr. Feige möchte eine Zwischenfrage stellen. Aber zunächst Kollege Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Angesichts der großen Herausforderungen, die wir gerade in der Ökologie haben, bedaure ich es sehr, daß das auf ein solches Niveau herabsinkt. ({0}) - Sie scheinen auch nicht besser zu sein. Ich möchte Ihnen noch eine Frage stellen: Ist es so, daß in Magdeburg die CDU in der Zwischenzeit aus dem Landtag ausgeschieden ist? Denn ich meine, es muß ja wohl auch eine Tolerierung seitens der CDU geben, oder ist da außer den Regierungsparteien nur noch die PDS im Landtag? Ich begreife das nicht ganz. ({1})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Müller, ich kann doch meine eigene Partei nicht aus einem Parlament ausschließen, in dem sie abstimmt, weil dort andere sitzen, über deren Einzug ins Parlament sie nicht zu entscheiden hatte. Nein, nein, es ist schon ein Unterschied, ob ich eine demokratische Koalition mit demokratischen Parteien mache oder ob ich diese demokratische Koalition von demokratischen Parteien bewußt ausschließe, um Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu verändern, und dies mit Billigung einer Partei tue, der ich Rechtschaffenheit nicht zugestehe. Das ist ein Unterschied. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie sieht das mit Koalitionen zwischen PDS und Christdemokraten, die es in meinem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern an mehreren Stellen gibt, aus? Werden diese Mitglieder der Christlich-Demokratischen Union jetzt ausgeschlossen? Güstrow und einige andere Orte sind sicherlich keine Miniatur-punkte mehr.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Feige, ich sage das einmal in meiner deutlichen Art als meine persönliche Meinung: Ich kenne die Situation nicht. Ich werde jede Koalition von Unionspolitikern mit PDS-Politikern auf das schärfste kritisieren und ahnden und dem nachgehen. ({0}) Ich kann das nur in dieser Form sagen. Ich kann jetzt nicht Dinge beurteilen, die ich nicht kenne. Aber ich sage ganz deutlich, was meine persönliche Meinung ist. Ich habe früher auch mein Verhältnis zur KPD, später DKP, deutlich gemacht, wie wir sie hier im Westen hatten. Ich habe, ehrlich gesagt, nie Diskussionen ausgeschlossen, weil ich der Meinung bin, in einem demokratischen Staat werde ich primär durch Argumentation überzeugen, nicht durch Verbot. Aber ich habe aus meiner ganz eindeutigen Ablehnung von Parteien, die ich für extrem und nicht demokratisch Dr. Klaus W. Lippold ({1}) halte, nie ein Hehl gemacht, um das mal sehr deutlich zu sagen. ({2}) Herr Kollege Feige, da mache ich keinen Unterschied, ob solche Bündnisse von den einen oder von den anderen eingegangen werden. ({3}) Ich habe mir Gott sei Dank noch die Unabhängigkeit bewahrt, um sagen zu können, was ich denke und meine. Ich hoffe, daß ich noch lange so unabhängig bleibe, um dies zu tun. Ich werde mich in der Form nicht abhängig machen und deutlich sagen, was ich denke. Ein letztes kurzes Wort - danke, Herr Präsident, für die angehaltene Uhr - zur Klimaproblematik. ({4}) Ich will dem Bundesumweltminister dafür danken, daß er es geschafft hat, diesen Punkt weltweit zu thematisieren. Ich will ganz deutlich sagen, daß eine Lösung der Klimaproblematik national nicht möglich ist. Ich will nicht auf Details eingehen. Das, was gelungen ist - das sage ich ganz offen -, ist dem Minister Klaus Töpfer zu verdanken, der in einem beispiellosen Einsatz weltweit dafür gesorgt hat, daß dies als Problem erkannt, daß dies bewußt aufgearbeitet wird. Wenn wir nicht die Schnelligkeit haben, die wir uns alle gemeinsam wünschen, dann ist das kein Mißverständnis in diesem Haus, aber wir haben globale Entscheidungsprozesse noch nicht gelernt. Wir müssen globale Entscheidungsprozesse lernen. Wir stehen erst am Anfang, aber ich glaube, daß sich dies auch dank der Aktivitäten der Bundesregierung beschleunigen wird. Ich will noch ein Wort sagen: Auch die Option Kernenergie schließen wir dabei nicht aus. Andere Länder entwickeln Kernenergie weiter, andere Länder bauen die Kernenergie aus. ({5}) In der Bundesrepublik gibt es eine Akzeptanzkrise, insbesondere bei denen, die diese Akzeptanzkrise herbeiführen wollen. Es wird vielfach zitiert, es entstünden keine Endlager. Was sagt denn ein Sozialdemokrat, der bei RWE Energie Betriebsrat ist, zu der Frage, warum keine Endlager entstehen. Ich zitiere einmal aus einem Brief an den lieben Kollegen Beck: Lieber Kollege Scharping, erstens sind es Deine Parteifreunde in Niedersachsen, die nichts unterlassen, um die Fertigstellung der Endlager in Konrad und Gorleben zu hintertreiben, bis hin zu rechtswidrigem Verhalten und daraus resultierenden Schadenersatzverpflichtungen, wie es jüngste Gerichtsurteile bestätigen. ({6}) Das sagt nicht Klaus Lippold, das sagt der Betriebsratsvorsitzende, das sagt ein Arbeitnehmer. Mit dem müssen Sie sich doch auch einmal auseinandersetzen. ({7}) Sie können nicht nur hierherkommen und sagen, es gehe nicht weiter, und die Unsicherheit, die Sie selbst erzeugt haben, als Argument nutzen, um zu sagen, daß es Unsicherheit gibt.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Dr. Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Ganseforth?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. Ich bin für jede Chance dankbar, in diesem Haus meine Meinung sagen zu dürfen.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dieses Zitat haben Sie uns heute schon in der Enquete-Kommission vorgetragen.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist es deshalb falsch?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. ({0}) Es hat jedenfalls nichts mit dem Thema zu tun. Sie haben eben Herrn Töpfer so gelobt, daß er das Thema Klima international publik gemacht habe. ({1}) - Es ist gut, daß man das international diskutiert. Ich glaube aber, es sind auch noch ein paar andere Leute beteiligt gewesen. Ich war in Rio, und Umweltschutz und Entwicklung sind nicht alleine von Herrn Töpfer vorangetrieben worden, sondern es waren noch ein paar andere Leute dabei. Es waren 150 bis 170 Regierungen vertreten. Wir waren eine wichtige - das sei durchaus zugestanden -, aber jetzt so zu tun, als wäre das allein das Verdienst von Herrn Töpfer, finde ich etwas übertrieben. ({2}) Glauben Sie nicht, daß Klimaschutz nicht nur eine internationale Sache ist, sondern daß es auch bedeutet, daß die Bundesregierung, die Bundesrepublik etwas dazu tun muß, die Landesregierungen, die Kommunen und jeder einzelne? Sie haben gesagt, es sei ein internationales Problem. Glauben Sie nicht, daß es auch etwas wäre, was die Bundesrepublik und die Bundesregierung anginge, z. B. was die Wärmenutzungsverordnung, Energieberatung, Wärmeschutz an Altbauten, an Plattenbauten usw. anbelangt?

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin, eine Frage! ({0})

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also ob es den nationalen Punkt - 21388

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin, Sie sollen eine Frage stellen. Auch das war schon wieder ein Vortrag. Die Fragen müssen kurz sein und kurz beantwortet werden. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe volles Verständnis für diesen Beitrag, ganz einfach, weil ich falls fälschlicherweise ein anderer Eindruck entstanden sein sollte, zum Ausdruck bringen will: Dies wurde nicht von uns alleine geschafft. An dieser Frage haben auch andere Parteien dieses Hauses mitgearbeitet und den Gedanken des globalen Klimaschutzes mitgetragen. Ich will das gar nicht abstreiten. Ich schließe z. B. auch gerne den Kollegen Müller in diese Würdigung mit ein. Gleiches gilt für Kollegen Ihrer Fraktion aus dem Entwicklungshilfebereich, die sich nicht nur innerhalb der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland, jenseits der Grenzen dieser Republik, ganz nachhaltig für diesen Gedanken ausgesprochen und sich für ihn eingesetzt haben. Mein Kompliment gilt denjenigen, die gemeinsam an einem Strick ziehen. Ich will das nicht unterschlagen. Ich will auch deutlich sagen, daß es Punkte gibt, in denen wir meiner Meinung nach schon ein Stückchen weiter hätten sein können. Ich bin z. B. mit der Novellierung der Wärmeschutzverordnung - dies sage ich an diesem Pult garantiert nicht zum erstenmal - nicht einverstanden, ganz einfach deshalb, weil sie nicht hinreichend ist. ({0}) Wir werden das noch einmal aufgreifen und noch einmal novellieren müssen. Ich hoffe, daß wir es so rechtzeitig novellieren, daß all das, was in gemeinsamer Anstrengung gebaut wird, diesen wesentlich verbesserten Standards genügt. Wenn Sie dabei mithelfen und dies in konstruktiver Arbeit im Bundesrat, nicht in Obstruktion geschieht, dann bin ich Ihnen ganz ausgesprochen dankbar. Dazu lade ich Sie ein. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich muß zunächst gestehen: Es hat mir ausgesprochen Vergnügen bereitet, dem Kollegen Lippold zuzuhören. Er hat es geschafft, in amüsanter und lebendiger Art und Weise in kurzer Zeit sehr viel Fundiertes vorzutragen, wofür ich ihm besonders danke. ({0}) Nachdem jetzt so viel über Umweltpolitik gesprochen worden ist, darf ich zur Abrundung dieser verbundenen Debatte wieder mehr auf das Thema Landwirtschaft zurückkommen und mich mit dem befassen, was die verschiedenen Schatten der SPD so alles von sich gegeben haben. Die Schatten sind bereits in der Lage, lange Schatten vorauszuwerfen. Insbesondere der Kollege Thalheim erinnert sich an den Schattenminister in Sachsen, Herrn Düvel. Über ihn hat die „Morgenpost" seinerzeit berichtet: Der SPD-Kandidat für den Posten des Wirtschaftsministers in Sachsen, IG-Metall-Bezirksleiter Hasso Düvel, hält die traditionelle Landwirtschaft für überflüssig. Der Freistaat brauche keine Bauern mehr. Kartoffeln könnten auch aus Polen oder anderen Agrarländern eingeführt werden, sagte er im Morgenpost-Interview. ({1}) Auch in Bayern ist die Aufstellung eines Schattenkabinetts so üblich. So hat sich z. B. Herr Kolo, umweltpolitischer Sprecher in der SPD-Landtagsfraktion und ebenfalls für den gemeinsamen Posten von Umwelt und Landwirtschaft vorgesehen, zu diesem Thema geäußert - im übrigen nicht erst jetzt, er hat das vor einigen Jahren in ähnlicher Weise getan. ({2}) - Nicht Kohl, sondern Kolo. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied wenn auch nicht in bezug auf die Körpergröße. ({3}) - Sei nicht so böse! Die „Süddeutsche Zeitung" vom 25. August berichtet über eine Pressekonferenz, die Herr Kolo mit einem Vertreter von Robin Wood gemeinsam gehalten hat - ich zitiere -: Kolo sagte, die Umkehr in der Ökologiepolitik beginne mit dem „Aussprechen der Wahrheit": Es gelte, die Landwirtschaft endlich als den eigentlichen Schädiger zu erkennen und zu benennen. An anderer Stelle heißt es dann: Die Bauern sollten ihre Berufsauffassung ändern und sich in Zukunft verstärkt für den Schutz von Klima und Wasser sowie für die Abfallbeseitigung einsetzen. ({4}) Selbst der der CSU bestimmt nicht freundlich gesonnene Herr Stiller von der „Süddeutschen Zeitung" bezweifelt, ob diese Rechnung der SPD aufgeht. Auch der agrarpolitische Sprecher der SPD, der irgendwo im Oberbayerischen zu Hause ist, distanziert sich davon ganz gewaltig. Als dritte nenne ich die Frau Schattenministerin aus Niedersachsen, die wir heute schon zweimal gehört haben. In einer Pressemitteilung der SPD vom 19. Mai lese ich: Im Bereich der Agrarpolitik strebt die SPD eine artgerechte flächengebundene Tierhaltung und eine nachhaltig umweltverträgliche Wirtschaftsweise an. Die SPD will einer weiteren Zerstörung von Naturräumen mit einer konsequenten Naturschutzpolitik entgegenwirken . . . Der Artikel ist von Monika Griefahn. Mehr war darüber nicht zu erfahren, weil man bislang wenig darüber gehört hat, was die agrarpolitischen Auffassungen von Frau Griefahn betrifft. Wenn sie uns in Erinnerung gerufen worden ist, dann wohl mehr durch die Auftritte gemeinsam mit Greenpeace. Das hat wohl auch die „Frankfurter Allgemeine" dazu veranlaßt, festzustellen - ich zitiere -: „Sollen zum Beispiel Bauern, die von Bonn doch zuerst eine effektive Vertretung ihrer Interessen in Brüssel erwarten, ... etwa regelrecht davon abgeschreckt werden, SPD zu wählen?" So die „Frankfurter Allgemeine" am 30. August.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Weyel?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollegin Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, was haben Sie eigentlich gegen eine Landwirtschaft, bei der der Tierbesatz an der Bodenfläche orientiert wird?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gar nichts gegen eine flächenbezogene Tierproduktion; das ist immer die Forderung gerade der CSU gewesen. Ich habe aber etwas gegen eine landwirtschaftsfeindliche, landwirtschaftsverachtende Politik, die im Begriff ist, sich hier anzubahnen. ({0}) - Wenn das Herr Kolo in Bayern feststellt, aber nicht weiß, daß der Tierbesatz in Bayern pro Hektar geringer ist als etwa in Nordrhein-Westfalen oder in wesentlichen Teilen Niedersachsens, dann tut es mir leid. ({1}) Da liegt wohl ein ganz großer Irrtum vor. Ich wollte diese drei Zitate einmal im Zusammenhang darstellen, um hier deutlich zu machen, wie sehr sich die Gewichte verschieben: Auf der einen Seite gehen die agrarpolitischen Kleingärtner mancher Landtagsfraktionen hinaus und verkünden den Leuten draußen, wie sehr sie sich doch einsetzen wollen, um die Landwirtschaft zu retten, sie über die Runden zu bringen. Auf der anderen Seite wird aber sehr deutlich, welche feindselige Einstellung hier am Werk ist. Sie fordern doch in vielen anderen Politikbereichen, nicht Politik gegen, sondern mit bestimmten Gruppen zu machen. Glaubt denn hier jemand, eine umweltverträgliche Landwirtschaftspolitik und Landwirtschaft betreiben zu können, wenn wir vorher die Landwirte diskriminieren? Wir brauchen die Landwirtschaft, damit sie uns hilft, die Bevölkerung auch in Zukunft mit hochwertigen, einwandfreien, rückstandsfreien Nahrungsmitteln zu versorgen. Das kann die deutsche Landwirtschaft allemal besser als alle anderen Anbieter in unseren Nachbarländern. Selbst wenn wir in Polen tatsächlich die Kartoffeln kaufen könnten, brauchen wir unsere Landwirtschaft; denn unsere intakte Natur- und Kulturlandschaft können wir uns keinesfalls im Ausland kaufen. ({2}) In einem so dichtbesiedelten Land, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist, in einem Land, wo die Menschen einen so hohen Anspruch und so hohe Erwartungen an den Lebensstandard, auch an die Lebensumstände haben, brauchen wir eine intakte Naturlandschaft, wie es sonst nirgendwo der Fall ist. Anders ist es natürlich, wenn ich in Nebraska bin, wo 2 Millionen Einwohner leben, davon 1,2 Millionen in den Großstädten. So leben z. B. 300 000 in Lincoln und 500 000 in Omaha. Die übrigen Einwohner verteilen sich auf eine Fläche, die größer ist als das gesamte Bundesgebiet. Da stellt sich doch die Frage, wie Landwirtschaft und Umweltpolitik unter einen Hut zu bringen sind, völlig anders als bei uns. Das müssen wir doch einsehen. Was ganz wichtig ist - das muß noch mehr unterstrichen werden -: Wie soll denn eine so vernachlässigte Landwirtschaft, die keine eigene Vertretung mehr in Bonn hat, dann wirksam in Brüssel vertreten werden? ({3}) - Sie haben dann keine Vertretung mehr. Jochen Borchert und Ignaz Kiechle haben doch bewiesen, daß sie mit all ihrer Kraft und mit großem Erfolg die Interessen der deutschen Landwirtschaft dort durchgesetzt haben, und da geht es um nicht mehr und nicht weniger als beispielsweise etwa bis zu 40 Milliarden ECU in der europäischen Landwirtschaft und davon wieder um einen Teil für die deutsche Landwirtschaft, der eben einen solchen Umfang wie der gesamte bundesdeutsche Agrarhaushalt aufweist, etwa 12 bis 13 Milliarden DM. Darum geht es, und da sollten wir keine vernünftige Vertretung mehr haben, da sollten wir Abteilung oder Unterabteilung in einem angegliederten Ministerium sein? Was soll das überhaupt? Ich frage mich das wirklich. Das verstehen doch die Leute draußen beim besten Willen nicht mehr. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Die Redezeit ist abgelaufen.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es tut mir leid, daß ich zu den weiteren wesentlichen Punkten, die ich gerne hier angesprochen hätte, nichts mehr sagen konnte, und es tut mir auch leid, daß ich eine Zwischenfrage des Kollegen Jan Oostergetelo nicht mehr entgegennehmen konnte. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Ende der heutigen Haushaltsdebatte. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 3 und den Zusatzpunkt 13 auf: 3. Beratung des Zwischenberichts des 3. Untersuchungsausschusses ,,HIV-Infektionsgefährdung durch Blut und Blutprodukte" nach Artikel 44 des Grundgesetzes ZP13 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und F.D.P.: Beratung des Abschlußberichts des 3. Untersuchungsausschusses - Drucksache 12/8446 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache 20 Minuten vorgesehen. Ich muß dazu sagen, daß ich schon eine Rede zu Protokoll habe und daß mir eine Wortmeldung vorliegt. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Christoph Schnittler das Wort.

Prof. Dr. Christoph Schnittler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002051, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser aufregenden Debatte geht es jetzt wieder ganz schlicht und unideologisch zu. Ich stelle hier fest, daß der 3. Untersuchungsausschuß seit seiner Einsetzung eine sehr umfangreiche und sehr gründliche Arbeit geleistet hat. Es war von vornherein klar, daß die verfügbare Zeit nur außerordentlich kurz bemessen war. Welchen Umfang aber die notwendigen Untersuchungen und die zu klärenden Probleme annehmen würden, hat sich tatsächlich erst im Verlaufe der ganzen Arbeit herausgestellt. Zunächst mußten sich die Ausschußmitglieder in außerordentlich komplizierte biologisch-medizinische Sachverhalte einarbeiten, was ich hier wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht weiter ausführen möchte. Die Fülle des gesamten notwendigen Beweismaterials, der Zeugenaussagen, der zusammengetragenen Akten konnte bisher noch keineswegs vollständig in den Abschlußbericht eingearbeitet werden. Dies ist aber unserer Meinung nach deshalb unverzichtbar, weil nichts, aber auch gar nichts der Öffentlichkeit vorenthalten werden soll, was zur Klärung dieser Probleme beitragen kann und was damit zur Erfüllung des Untersuchungsauftrages beiträgt. Darüber hinaus tut sich natürlich für den Ausschuß ein breites und kompliziertes Feld juristischer, vor allem haftungsrechtlicher Probleme auf, was ich hier auch nicht im einzelnen ausführen will. Uns geht es, meine Damen und Herren, vor allen Dingen darum, dem 13. Deutschen Bundestag eine zuverlässige und solide Beratungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Deshalb hat der 3. Untersuchungsausschuß einmütig beschlossen, die gesamte Zeit bis zum Ende dieser Legislaturperiode für seine Arbeit noch zu nutzen. Dies versetzt ihn in die Lage, einen inhaltlich wie formal abgeschlossenen und ausgereiften Bericht vorzulegen. In der vorliegenden Beschlußempfehlung bringen die Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD ihren Willen zum Ausdruck, die Ergebnisse und die Empfehlungen dieses Schlußberichts so rasch wie möglich im 13. Deutschen Bundestag zu beraten. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({0})

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Untersuchungsausschuß hat drei Aufgaben: Lernen, Helfen, Handeln. Mit Lernen, Helfen und Handeln bleiben wir den Opfern der Katastrophe verpflichtet. Lernen heißt, Fehler und Versäumnisse, die zur größten Arzneimittelkatastrophe in Deutschland geführt haben, aufzuarbeiten. Lernen heißt, die Verantwortlichen klar und deutlich zu benennen. Ich denke, das sind wir den Betroffenen schuldig. Dies erwartet die Öffentlichkeit von uns. Diese Aufgabe hat der 3. Untersuchungsausschuß weitgehend erfüllt. Ohne die endgültige Fassung des Ausschußberichts vorwegzunehmen, hat die bisherige Beweisaufnahme ergeben: Nicht nur die pharmazeutische Industrie, nicht nur die behandelnden Ärzte, sondern vor allem das Bundesgesundheitsamt ist der Verantwortung nicht oder nicht ausreichend nachgekommen. Auf Grund der vom Ausschuß festgestellten Amtspflichtverletzungen der Bundesoberbehörde ist die Voraussetzung für die Staatshaftung gegeben. Helfen heißt, den Opfern zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Mit den vorläufigen Feststellungen erfahren die Infizierten, die Aids- und Hepatitiskranken und die bereits verstorbenen Opfer und ihre Angehörigen zum erstenmal ein Stück später Gerechtigkeit. Aber die Gerechtigkeit verlangt mehr. Helfen heißt, daß wir ihnen zu einer Entschädigung verhelfen, die den Grundsätzen unseres sozialen Rechtsstaats entspricht. Nur eine solche Entschädigung hat die Genugtuungsfunktion, die von den Opfern akzeptiert werden kann. Diese Entschädigungsregelung ist mehr als überfällig. Für viele kommt sie zu spät. 629 Opfer sind schon tot. Jede Woche kommt ein Todesopfer hinzu. Deshalb schmerzt es uns Sozialdemokraten besonders, daß der Schlußbericht heute noch nicht vorgelegt werden kann. Aber der Schlußbericht für einen solch zentralen Untersuchungsauftrag verlangt nach Qualität. Qualität erwarten auch die Betroffenen. Unsere Fürsorge verlangt nach einem qualitativ fundierten Bericht, verlangt nach einem wirkungsvollen Empfehlungsteil. Deshalb tragen wir den interfraktionellen Antrag, der zu Recht Qualität vor Zeit setzt, mit. Aber wir spüren sehr wohl, daß die spätere Vorlage des Schlußberichts bei den Betroffenen Ängste auslöst: die Ängste, von der Politik im Stich gelassen zu werden, die Ängste, mit einem ungedeckten Scheck auf die Zukunft abgespeist zu werden. Horst Schmidbauer ({0}) Helfen heißt auch, die Opfer nicht zwingen, den Klageweg einzuschlagen. Dieser Weg ist den Opfern doch nicht zumutbar. Die Opfer haben dazu kein Geld und erst recht keine Lebenszeit mehr. Solche Zwangslösungen wären Scheinlösungen. Auch der „Klingelbeutel" war kein Erfolgsrezept. Der Klingelbeutel, mit dem die Pharmaindustrie, die Versicherungswirtschaft und die Länder zur Kasse gebeten wurden, hat nur „Kleingeld" eingebracht. Die Ängste, am Ende doch wieder mit leeren Händen dazustehen, können den betroffenen Menschen nur genommen werden, wenn es wie nach dem Contergan-Skandal ein Gesetz, ein Entschädigungsgesetz gibt. Handeln heißt, die Wiederholung einer solchen Katastrophe verhindern. Dies verlangt der Respekt vor den Opfern, dies verlangt die Verantwortung für die Zukunft. Das Vertrauen der Menschen in die Arzneimittelsicherheit, das Vertrauen in die Kompetenz und Verantwortung von Pharmaindustrie und Ärzteschaft, das Vertrauen in die Gesundheitsoberbehörde ist schwer erschüttert worden. Verlorenes Vertrauen kann nur durch glaubwürdiges Handeln wiedergewonnen werden. Glaubwürdiges Handeln bedeutet: Die Empfehlungen des Zwischenberichts müssen konkretisiert werden, die Vorschläge müssen in Gesetze und Verordnungen umgesetzt werden. Im ersten Anlauf hat das noch nicht recht funktioniert. Ein Großteil der Empfehlungen ist entgegen den Erwartungen der SPD, aber auch des Gesundheitsministers, in der 5. AMG-Novelle nicht realisiert worden. Beispiel: Haftungsrecht. Selbst Teile der Pharmaindustrie und der Versicherungswirtschaft sind der Auffassung, daß das AMG dem Großrisiko einer Arzneimittelkatastrophe nicht gerecht wird. Beispiel Schmerzensgeld: Das Fehlen einer Schmerzensgeldregelung im AMG führt dazu, daß der immaterielle Verlust, der Verlust von Leben und Gesundheit, nicht geltend gemacht werden kann. Beispiel Sekundärinfektionen: Auch mittelbar Geschädigte müssen einen eigenen Rechtsanspruch nach dem AMG erhalten. Beispiel Arzneimittelüberwachung: Ein Netzwerk zur Erfassung schwerer und lebensbedrohlicher Arzneimittelnebenwirkungen fehlt weiterhin. Die Risiken gehen weiter zu Lasten der Patienten. Beispiel Wirksamkeitsnachweis bei Arzneimitteln: In der Europäischen Union muß im Zweifel der Hersteller die Wirksamkeit seiner Produkte beweisen. Bei uns sind die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Das Beispiel Plasmaeigenversorgung: Seit 15 Jahren ist die Bundesrepublik überfällig. Absichtserklärungen alleine reichen nicht aus. Verbindliche Termine sind erforderlich. Zum Schluß mein Dank: Dank allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen und nicht zuletzt dem Sekretariat des Ausschusses für das Engagement, besonders aber Ihnen, Herr Scheu, für Ihr Spitzenengagement. ({1}) Konsens war der Schlüssel für die bisherige erfolgreiche Arbeit im Ausschuß. Konsens war und bleibt für die Arbeit der SPD im Ausschuß wichtig. Wir brauchen Konsens, wenn wir Lösungen von großer Tragweite organisieren wollen. Doch Konsens ist nicht um jeden Preis zu haben. Der Konsens findet dann seine Grenzen, wenn ihm zentrale Ziele des Ausschusses zum Opfer fallen sollten. Im vollen Bewußtsein dieser Katastrophe, im vollen Licht der Offenlegung des Skandals kann es keine Halbheiten bei den Lösungen geben. Ich möchte mir nicht in fünf oder zehn Jahren vorwerfen lassen, daß wir im 3. Untersuchungsausschuß zwar alles gewußt, daß wir alles erkannt, aber daß wir nicht ausreichend gehandelt haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Gerhard Scheu.

Dr. Gerhard Scheu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001962, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es ist jetzt ungefähr die Zeit, zu der wir Mitglieder des Ausschusses uns über Monate hinweg mit diesen Fragen beschäftigt haben. Wir müssen erklären, warum wir heute, entgegen unserer ursprünglichen Planung, nach jetzt insgesamt 43 Arbeitssitzungen in knapp zehn Monaten nicht in der Lage sind, den endgültig formulierten Abschlußbericht vorzulegen. In den ersten 9 Sitzungen hat der Ausschuß zunächst Eckpunkte erarbeitet und sich einstimmig verständigt, am 2. Februar 1994 einen Zwischenbericht zur Verbesserung der Sicherheit von Blutprodukten und über einen Entschädigungsfonds unabhängig von einer Rechtspflicht vorzulegen. Es war schon eine bemerkenswerte Anstrengung, daß das in effektiv zweieinhalb Monaten gelungen war. Leider fand unser detaillierter Vorschlag eines Entschädigungsfonds nicht die erforderliche Zustimmung. Wir halten einen solchen Fonds nach wie vor als die im Interesse aller Beteiligten beste und klügste Lösung. Folgerichtig rückten dann im zweiten Hauptteil unserer Arbeit die Klärung haftungsrechtlicher Verantwortlichkeiten nach den Grundsätzen der Staatshaftung und als notwendige Vorfragen dafür die Haftung von Arzneimittelproduzenten, Blutspendediensten, Ärzten und Krankenhäusern in den Mittelpunkt. Wegen angeblicher verfassungsrechtlicher Bedenken, wie sie zunächst auch aus dem Bundesministerium der Justiz geäußert, dann aber ausgeräumt worden waren, haben Plasmaderivate herstellende Unternehmen später jegliche Auskünfte über mit Beweisbeschluß 12-41 gestellte beweiserhebliche Anfragen verweigert. Da die instanz- und verfassungsgerichtliche Durchsetzung Monate beansprucht hätte, mußten wir versuchen, auf andere Weise, z. B. durch Heranziehung von Unterlagen auch aus den Vereinigten Staaten, Erkenntnisse über den Unternehmensbereich zu gewinnen. Dieses ist gelungen, hat aber unsere Arbeiten zeitlich verzögert. Auch sind diese Unterlagen derzeit noch nicht vollständig übersetzt. Schon allein dieser Umstand erklärt, warum wir heute noch nicht in der Lage sind, einen endgültig ausformulierten Abschlußbericht vorzulegen, der unseren selbstgestellten Anforderungen an sorgfältige und gewissenhafte Begründung unserer voraussichtlich schmerzlichen Erkenntnisse gerecht wird. Deshalb haben wir am 10. August einstimmig beschlossen, die Arbeit fortzusetzen und den schriftlichen Bericht erst Anfang November nach weiteren Ausschußsitzungen im Oktober vorzulegen. Bitte nehmen Sie mir ab, daß ich aus keinen anderen Gründen als der gebotenen Sorgfalt eine Verschleppung der Berichtsvorlage akzeptiert hätte. Entwurf, Gerüst und Konzeption des Abschlußberichtes stehen. Über die wesentlichen Sachverhaltsfeststellungen haben wir uns einstimmig verständigt. Es gibt noch Punkte, über die wir sprechen müssen. Wir waren uns im Ausschuß von Anfang an alle bewußt, daß das Thema unserer Untersuchungen zu ernst ist, um parteipolitisch instrumentalisiert werden zu dürfen. Ebenso waren wir uns bewußt, daß die Feststellung von Verschulden, zu der wir kommen werden, nicht leichtfertig getroffen werden darf. Ich bedanke mich bei allen Mitgliedern des Ausschusses, daß wir diese Linie der Seriosität, von Kleinigkeiten abgesehen, bis heute alle durchgehalten haben. Auch heute abend ist dieses geschehen. ({0}) Wir hatten außerordentlich schwierige und komplexe Felder in kurzer Zeit aufzuklären. Sie sind heute schon angesprochen worden: Fragen der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, Aspekte von Virusinaktivierungsverfahren, wirtschaftliche Verflechtungen und Hintergründe, diffizile rechtliche Beurteilungen der vereinbarten Abfindungsverzichte, Probleme der Kausalität, der Infektionszeitpunkte, des Beweisrechts und der Verjährung, um nur einige zu nennen. Zur Frage der Erkennbarkeit der Ursachen der Immunschwächekrankheit Aids hat der Ausschuß die bisher sicherlich umfangreichste Aufarbeitung der epidemiologischen und virologischen Erkenntnisse von 1981 bis 1984 geleistet, wofür ich insbesondere Herrn Privatdozent Dr. med. habil. Kurt Roth danke. Mit Dr. Donald Francis ({1}), Prof. Dr. Jean-Claude Cherman ({2}), Prof. Dr. Abraham Karpas ({3}) und Frau Prof. Dr. Helga Rübsamen-Weigmann ({4}) hat der Ausschuß dazu am 23. und 29. Juni herausragende Sachverständige vernommen, die in ihren Ländern die Ursachen an vorderster Front der Erkenntnis zutreffend analysiert, auf Kongressen stichhaltig vorgetragen und schließlich bewiesen haben. An ihrer gemeinsamen Beurteilung der wissenschaftlichen Erkennbarkeit kann in Zukunft keine Stelle mehr vorbeikommen. Die korrigierten Protokolle der Aussagen der Sachverständigen liegen uns jetzt erst seit zwei Wochen vor. Auch das belegt, daß der Abschlußbericht noch nicht fertig sein kann. Den letzten Beweisbeschluß 12-68, die Beiziehung der aufschlußreichen Pharmapool-Akten des Bundeskartellamtes, haben wir noch in der 42. Sitzung am 6. Juli gefaßt. Auch die Auswertung dieser Akte hat noch Wesentliches für die Beurteilung der Abfindungsverzichte erbracht. Meine Damen und Herren, in fast allen Fragen, von der Erkennbarkeit bis zur Vermeidbarkeit der Virusinfektionen, kommen wir gegenüber den bisherigen offiziellen Darstellungen zu grundlegend anderen Ergebnissen, nicht aus der Sicht des nachträglichen Wissens, nein, sondern aus und nach exakter und schonungsloser Analyse der wirklichen Sachverhalte und Erkenntnisse der Jahre 1981 bis 1983. Auch deshalb muß der Bericht gewissenhaft begründet werden. Ich bitte Sie, der Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlung zuzustimmen. Gestatten Sie mir eine persönliche Schlußbemerkung: Aus dieser nach Contergan zweiten großen Arzneimittelkatastrophe müssen wirkliche Konsequenzen gezogen werden. Ansonsten bestünde Grund zur Besorgnis. Wir können Ämter und Institutionen schaffen und Gesetze ändern. Entscheidend aber bleiben Führungspersönlichkeiten, Unternehmer und Wissenschaftler, die an ihre Aufgabe mit Mut, Charakterstärke und Ernsthaftigkeit herangehen. Wir schulden den Opfern und ihren Familien wenigstens eine angemessene, ihrer Würde im sozialen Rechtstaat gerechtwerdende Entschädigung. Das schuldet der Deutsche Bundestag. ({5}) Darum bitte ich den kommenden 13. Deutschen Bundestag. Wenn sich diese Hoffnung erfüllt, bin ich, wäre ich trotz aller die Grenzen der Leistungsfähigkeit oft erreichenden Anstrengungen dankbar, daß ich als Vorsitzender dieses Untersuchungsausschusses mit sechs anderen engagierten Kollegen, hervorragenden Kollegen - fünf männlichen und einer Dame - daran mitarbeiten durfte, diese Fragen zu lösen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, die Kollegin Dr. Ursula Fischer möchte ihren Redebeitrag zu Protokoll geben.') Kann ich Einverständnis feststellen? - Das ist der Fall. Nun möchte noch der Herr Minister kurz das Wort. Bitte.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ver- *) Anlage 10 lauf dieser Kurzdebatte veranlaßt mich, für die Bundesregierung Ihnen, Herr Kollege Gerhard Scheu, und allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses zu danken für das Ergebnis, das wir bis heute kennen, ({0}) und auch für die Art und Weise, wie diese hochsensible und komplexe Angelegenheit bisher im Parlament und in der Öffentlichkeit abgehandelt wurde. Ich glaube, das ist ein Beispiel für eine parlamentarische Demokratie. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Beratung des Abschlußberichts des 3. Untersuchungsausschusses auf der Drucksache 12/8446. - Wer stimmt dafür? - Das war einstimmig. Dann brauche ich nicht weiter zu fragen. Der Antrag ist damit angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf - das möchte ich ausdrücklich betonen - heute, Mittwoch, 7. September, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.