Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die heutige Tagesordnung um folgenden Punkt erweitert werden soll:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 12/413 Der Gesetzentwurf soll an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur federführenden Beratung und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung überwiesen werden. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. - Das ist offensichtlich der Fall. Dies ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung ({1})
- Drucksache 12/405 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO Ausschuß für Frauen und Jugend
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von drei Stunden vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Auch das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Der Abgeordnete Louven hat um das Wort gebeten. Ich erteile es ihm gern.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch heute kann man wieder feststellen: Je komplizierter das sozialpolitische Thema, desto geringer die Teilnahme an der Sitzung.
Am 9. November 1989 haben wir im Deutschen Bundestag in einem breiten Konsens das Rentenreformgesetz 1992 verabschiedet. Durch dieses Gesetz sollte das Rentenrecht der Bundesrepublik Deutschland an die sich ändernden demographischen und ökonomischen Rahmenbedingungen angepaßt werden.
Uns war klar, daß dieses Gesetz nicht für die Ewigkeit gemacht war. Sozialpolitik lebt, und Sozialgesetze sind ständig der jeweiligen Zeit anzupassen. Am selben Abend - ich denke, wir erinnern uns alle noch lebhaft an diesen Tag - fiel die Mauer. Dennoch hat wohl niemand von uns damit gerechnet, daß nach einer so kurzen Zeit und noch dazu aus einem so erfreulichen Anlaß das Rententhema heute schon wieder unter so grundsätzlichen Aspekten auf der Tagesordnung stehen werde.
Teile des am 9. November 1989 verabschiedeten Gesetzeswerkes sind bereits Geschichte und müssen den neuen Gegebenheiten angepaßt werden.
Der Einigungsvertrag schreibt uns vor, das Sozialgesetzbuch VI - also die gesetzliche Rentenversicherung - sowie das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zum 1. Januar 1992 auf das Beitrittsgebiet überzuleiten.
Gleiches gilt für Ansprüche und Anwartschaften aus den - so darf man es wohl formulieren - dubiosen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Zu diesem wird später mehr gesagt werden.
Auch die Regelungen des Fremdrentengesetzes sind den politischen Veränderungen und Verhältnissen anzupassen, die sich aus der deutschen Einheit ergeben.
Dies alles soll mit dem heute von den Regierungsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, kurz: Renten-Überleitungsgesetz, geschehen.
Es wird mitunter kritisiert, daß unser Rentenrecht den Bürgern der neuen Länder einfach übergestülpt werde, und man hört draußen, im Rentenrecht der ehemaligen DDR gebe es eine Reihe von Elementen, die man in das gemeinsame Recht übernehmen sollte.
Ich kann im DDR-Rentenrecht nichts erkennen, was nicht auch bei der Vorbereitung des Rentenreformgesetzes 1992 bei uns diskutiert wurde.
In der DDR gab es eine Mindestrente. Wir haben uns damals dagegen entschieden. Das Mindestrentenrecht hat weiß Gott nicht dazu geführt, daß es den Rentnern in der ehemaligen DDR besser ging als im Westen. Mindest- und Grundsicherungssysteme bringen nach meiner festen Überzeugung am Ende keinem etwas, allenfalls Nivellierung auf niedrigem Niveau.
In unserem gegliederten System der sozialen Sicherung ist die Altersvorsorge weit effizienter geregelt. Wir haben eine andere Aufgabenteilung, die sich an den bewährten Grundsätzen der Subsidiarität und Solidarität ausrichtet. „Vorleistung und verläßliche Gegenleistung" ist das Prinzip, nach dem unsere Rentenversicherung funktioniert. Wer eingezahlt hat, bekommt später durch die Beiträge der Aktiven eine entsprechende Rente.
Wer sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend absichern konnte, den läßt unsere Gesellschaft ebenfalls nicht im Stich. Er hat Rechtsanspruch auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Ich halte das für gerechter. Denn die Abwendung existentieller Not ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht der Solidargemeinschaft der Beitragszahler. Nur wenn diese Leistungen nach dem BSHG aus Steuermitteln erbracht werden, ist sichergestellt, daß alle in die Verantwortung für die Ärmsten in der Gesellschaft eingebunden werden.
In der DDR spielten solche Erwägungen keine Rolle. Da gab es kein Rentensystem wie hier, sondern - so könnte man sagen - eine Art Sozialhilfe für alle. Nach 45 Arbeitsjahren gab es aus der Sozialversicherung eine Mindestrente von 470 Mark und eine Höchstrente von 480 Mark. So etwas mag mancher für erstrebenswert halten. Mit uns allerdings ist derlei nicht zu machen.
Ich denke, der Deutsche Bundestag steht zu dem, was wir 1981 hier in einem breiten Konsens beschlossen haben, nämlich am Prinzip der Lohn- und Beitragsbezogenheit festzuhalten. Wir wollen nicht das bisherige System verschlechtern, sondern denen, denen es bisher schlechter ging, das bessere System bringen.
Die große Aufgabe der Herstellung der Renteneinheit in Deutschland besteht darin, das Alterssicherungssystem der ehemaligen DDR, das zu einer völlig unzureichenden und unakzeptablen Einkommenssituation der älteren Menschen geführt hat, durch unser System zu ersetzen. Dazu bedarf es großer Anstrengungen in rechtsgestalterischer, organisatorischer und nicht zuletzt finanzieller Hinsicht.
Die Witwen in der DDR waren höchst unzureichend versorgt. Vor dem 60. Lebensjahr gab es eine Witwenrente nur bei Invalidität oder wenn kleine Kinder zu versorgen waren. Der Tod des Ehegatten führte in der Regel zu einem Absturz des Haushaltseinkommens. Wurde eine Witwenrente neben einer eigenen Rente gezahlt, so betrug sie nur 15 % der Rente des Verstorbenen. Die Übertragung des Hinterbliebenenrentenrechts des Sozialgesetzbuchs VI bringt ca. 150 000
Witwen im Beitrittsgebiet, die bisher leer ausgegangen sind, erstmals eine Witwenrente. In 900 000 Fällen gibt es statt der 15%igen eine 60%ige Witwenrente. Dafür werden wir allein im Jahre 1992 4 Milliarden DM aufwenden müssen.
Auch hier halten wir uns an den Grundsatz, das bewährte und im Jahre 1989 bei der Rentenreform bestätigte und gemeinsam vereinbarte Rentenrecht auch den Frauen in den neuen Ländern in vollem Umfang zukommen zu lassen.
Nun weiß ich, daß auch diskutiert wird, diesen Anlaß zu benutzen, um zu grundlegenden Veränderungen des bestehenden Rentensystems zu kommen, und zwar nicht nur Änderungen, über die wir in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert haben, sondern vor allem Veränderungen, die schon bisher nicht realisierbar waren.
Ich meine hiermit das Thema der eigenständigen Alterssicherung der Frauen. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, sind hier in den 70er Jahren mit großen Ansprüchen angetreten. Erreicht haben Sie jedoch nichts. Sie haben nicht einmal den vom Bundesverfassungsgericht erteilten Auftrag erfüllt, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Rentenrecht zu verwirklichen.
Wir haben Ihre Versäumnisse mit dem Hinterbliebenen-, Renten- und Erziehungszeitengesetz von 1985 ausgeräumt. Dieses Gesetz trägt der Tatsache Rechnung, daß Frauen in zunehmendem Umfang eigene Rentenansprüche erwerben. Es trägt gleichermaßen der nicht aus der Welt zu schaffenden Tatsache Rechnung, daß die Frauen dabei benachteiligt sind, sofern sie Kinder erziehen. Deswegen haben wir die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht eingeführt und mit dem Rentenreformgesetz 1992 für Geburten ab 1992 vorgesehen.
Niemand behauptet, daß dieses Konzept falsch gewesen sei oder falsch geworden sei. Deshalb besteht keine Veranlassung, bei der Schaffung der Renteneinheit in Deutschland sozusagen eine neue Front zu eröffnen.
Im Augenblick geht es eben um diese Renteneinheit, die uns erhebliche Anstrengungen abverlangt. Wenn wir das geschafft haben, kann man weitere spezielle Aufgaben im Hinblick auf die soziale Sicherung der Frauen ins Auge fassen.
({0})
Aber ich halte es für verfehlt, Bestandteile des Mindestsicherungssystems der ehemaligen DDR unbesehen und isoliert herauszugreifen. Denn diese Bestandteile sind Ausfluß dieses völlig anderen und in seiner Grund- und Gesamtkonzeption abzulehnenden und erfolglosen Systems. Mit anderen Worten: Es geht nicht an, sich nach der sogenannten Rosinenpikkermethode sozusagen aus jedem System das herauszugreifen, was man gerade gebrauchen kann, und es in einen gemeinsamen Topf zu werfen.
Die Renteneinheit bringt zusätzliche finanzielle Herausforderungen mit sich. Wir übernehmen diese finanziellen Lasten gern, damit unsere Mitbürger in
den neuen Ländern eine gleich gute Alterssicherung auf dem gleichen Niveau wie wir hier erhalten.
({1})
Weitere Ausdehnungen wären mit großen Finanzlasten verbunden und würden mit Sicherheit den Beitragszahler fordern, für den sich dann irgendwann die Frage nach der Akzeptanz des Systems stellen müßte.
Wer behauptet, der vorgelegte Gesetzentwurf sei frauenfeindlich, argumentiert leichtfertig.
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Wir sind auf das, was jetzt insbesondere für früher schlecht versorgte Frauen in den neuen Bundesländern geschieht, 'ausgesprochen stolz, Herr Dreßler.
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Vom 1. Januar 1992 an gelten die Altersgrenzen des Sozialgesetzbuchs VI auch in den neuen Bundesländern. Insbesondere Männer, die bisher erst mit 65 Jahren in Rente gehen konnten, werden davon profitieren. Dann können viele Arbeitslose und Schwerbehinderte mit 60 Jahren und sonstige langjährig Versicherte mit 63 Jahren in Rente gehen. Von diesen Verbesserungen sind im Jahr 1992 rund 200 000 Versicherte betroffen. In dieser Größenordnung wird der Arbeitsmarkt der neuen Länder entlastet.
Die Übertragung der Altersgrenzen kostet im Jahr 1992 2 bis 2,5 Milliarden DM.
Eine schematische Übertragung des Sozialgesetzbuchs VI auf das Beitrittsgebiet hätte bedeutet, daß sich die Rentenberechnung ausschließlich an den Versichertenentgelten orientiert. Dies würde aber wegen der bis 1990 unverändert geltenden Beitragsbemessungsgrenze von 600 DM dazu führen, daß ein den alten Bundesländern vergleichbares Nettorentenniveau nicht erreicht werden könnte. Der Gesetzentwurf stellt deshalb in erster Linie nicht auf die Versicherten, sondern auf die in den neuen Bundesländern individuell erzielten Entgelte ab.
Die Unzulänglichkeiten des Beitragsrechts der ehemaligen DDR sollen nicht zu Lasten der Versicherten gehen. Deshalb wird bei denen, die im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten Beiträge zur Sozialpflichtversicherung und zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt haben, bei der Rentenberechnung das tatsächlich erzielte Entgelt berücksichtigt, auch wenn sie nur auf der Basis eines niedrigeren Entgelts versichern konnten. So wird auch in den neuen Bundesländern gewährleistet, daß die Durchschnittsverdiener auf 1 Entgeltpunkt pro Jahr und die Spitzenverdiener auf etwa 1,8 Entgeltpunkte pro Jahr kommen können.
Ich wende mich nun der Rentenanpassung zu. Kernbestandteile der Sozialunion zum 1. Juli 1990 waren die Umstellung der Renten von Ostmark auf Westmark und die Angleichung auf ein Nettorentenniveau von 70 % wie es im Ergebnis der Rentenreform 1992 auch im Westen besteht. Im Durchschnitt bedeutete dies eine Rentenanhebung in den neuen Bundesländern um rund 30 %.
Entscheidend aber ist, daß im Zuge der Angleichung der Lebensverhältnisse in den alten Bundesländern, insbesondere bei der Annäherung von Löhnen und Gehältern, die Renten nicht nachhinken. Wir haben daher die Renten in den neuen Ländern zum 1. Januar 1991 um 15 % angehoben, was der erkennbaren Lohnentwicklung entsprach. Entsprechendes wird zum 1. Juli 1991 geschehen, da die rasche gegenseitige Annäherung der Löhne in Ost und West anhält. Nur damit ist das versprochene Nettorentenniveau von 70 % zu halten.
In diesem Zusammenhang einige Worte sowohl an diejenigen, denen die Rentenanpassungen zu niedrig sind, wie auch an diejenigen, denen sie zu hoch sind. Renten sind Alterslohn für Lebensleistung. Sie sind daher der Lohnentwicklung anzupassen. Dies darf nicht bedeuten, daß nur jeweils der Tarifbereich herausgegriffen wird, in dem es die höchsten Anhebungen gibt. Vielmehr ist der Durchschnitt der Lohnentwicklung maßgeblich. Dieser Durchschnitt wird auch von Löhnen der Kurzarbeiter beeinflußt.
Umgekehrt bedeutet dies, daß aus der Berechnung des maßgeblichen Durchschnittslohns die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen herausgehalten werden muß. Sie ist auch in der alten Bundesrepublik nie in die Berechnung des Durchschnittslohns eingegangen. Die Berechnung der maßgeblichen Entwicklung der Durchschnittslöhne und -gehälter muß für alle nachvollziehbar bleiben.
Am 1. Juli 1991 - ich sagte es schon - werden die Renten in den neuen Ländern um weitere 15 % erhöht. Dies entspricht der durchschnittlichen Lohnentwicklung. Da die Renten in den alten Ländern gleichzeitig um 5,04 % angehoben werden, erhöhen sich die Renten in den neuen Ländern von 46,4 % auf dann 50,8 % und nähern sich damit der vergleichbaren Standardrente in den alten Ländern an.
Eine Westrente ist damit unter vergleichbaren Bedingungen immer noch fast doppelt so hoch wie eine Ostrente. Dieser Zustand ist nur deshalb tolerabel, weil er zeitlich begrenzt ist. Bis etwa Mitte der 90er Jahre werden die Unterschiede infolge der Entwicklung der Arbeitsverdienste im wesentlichen überwunden sein. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist hierzu der Schlüssel.
Die Rentenberechnung nach dem Sozialgesetzbuch VI soll nicht nur für diejenigen Versicherten aus dem Beitrittsgebiet gelten, die ab 1992 in Rente gehen, sondern auch für diejenigen, die bereits Rente beziehen. Diese Renten sollen in einem vereinfachten Verfahren an die SGB-VI-Renten angeglichen werden.
Die Bestandsrenten enthalten eine Reihe von Elementen, die dem Sozialgesetzbuch VI fremd sind oder eine andere Wertigkeit haben. Eine Dynamisierung dieser Rentenanteile würde dauerhafte Verzerrungen mit sich bringen. Aber auch eine auf Dauer statische Leistung würde dazu führen, daß Rentenbestand und Rentenzugang bei ansonsten vergleichbaren Versicherungsbiographien unterschiedliche Renten zur Folge hätten.
Der Entwurf enthält deshalb Regelungen, die eine schonende Angleichung von Bestands- und Zugangsrenten gewährleisten.
Dabei ist vor allem wichtig: Keine laufende Rente wird gekürzt. Der systemfremde Rentenanteil, der als Auffüllbetrag bezeichnet wird, wird zunächst statisch neben dem anpassungsfähigen Teil der Rente gezahlt. Ab 1996 - so sieht es der Gesetzentwurf vor -, wenn sich die Renten in West und Ost einander angeglichen haben, wird dieser Auffüllbetrag sozialverträglich und in Stufen bei künftigen Rentenanpassungen abgeschmolzen, wobei aber immer gewährleistet bleibt, daß hierdurch keine Rente gekürzt wird.
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Dieses Zusammenspiel bei der umgewerteten Rente von anpassungsfähigem Bestandteil und Auffüllbetrag sorgt dafür, daß zunächst der Aufholprozeß für die Rentner in den neuen Ländern stattfinden kann. Erst Aufholprozeß, dann Abschmelzprozeß, so lautet hier die Formel. Der systemfremde Rentenanteil, auf dem der Auffüllbetrag beruht, kann also nicht auf Dauer beibehalten werden.
Auch hierzu betone ich: Es gibt keine Kumulierung von vorteilhaften Bestandteilen aus völlig gegensätzlichen Systemen. Der Auffüllbetrag enthält einen systemfremden Rentenanteil. Dafür ist auf Dauer in unserem System kein Platz; sonst beschädigen wir letztlich die Grundlagen unseres erfolgreichen Versicherungssystems und lassen wir zu, daß es in ein Versorgungssystem umgewandelt wird. Unser Anspruch muß es sein und bleiben, daß den Mitbürgern in den neuen Ländern in Zukunft auf Dauer ein Versicherungssystem zugute kommt und auch erhalten bleibt.
Der vorliegende Gesetzentwurf geht davon aus, daß die Aufholphase 1995 abgeschlossen ist. Das Abschmelzen der Auffüllbeträge soll 1996 in Stufen beginnen. Wenn der Aufholprozeß schon vor 1996 abgeschlossen sein sollte - es ist ja ein Markenzeichen unserer Politik, daß die erreichten Ergebnisse regelmäßig besser sind als unsere stets vorsichtigen Annahmen bei der Planung -,
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muß ein Instrumentarium gefunden werden, um schon früher abschmelzen zu können.
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Dies muß auch aus Gründen der Gerechtigkeit geschehen; denn, Herr Dreßler, ab dem 30. Juni 1995 gilt für die Neuzugänge, daß sich ihre Ansprüche voll nach dem einheitlichen Recht richten und Auffüllbeträge dann nicht mehr errechnet werden.
Durch die Leistung des Auffüllbetrages ist entsprechend den Bestimmungen des Einigungsvertrags ein weitgehender Vertrauensschutz für den Rentenbestand geschaffen worden. Aber auch für die rentennahen Jahrgänge, deren Rente bis zum 30. Juni 1995 beginnt, gibt es eine Reihe von Vertrauensschutzregelungen. In dieser Zeit wird eine Vergleichsrente geleistet, wenn die nach den Grundsätzen des ehemaligen DDR-Rentenrechts ermittelte Rente unter Berücksichtigung der Anpassung vom 1. Januar 1992
höher als die nach dem Sozialgesetzbuch VI berechnete Rente ist oder wenn Anspruch nur nach diesem Recht besteht.
Ein Finanzverbund wird notwendig. Bisher wird die Rentenversicherung in den neuen und in den alten Ländern getrennt finanziert. Wenn die Einheit in der Rentenversicherung in Deutschland hergestellt ist, kann es keine getrennte Finanzierung mehr geben. Deshalb soll auch hier Einheit hergestellt werden. Einen Finanzverbund in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten haben wir in den alten Bundesländern seit mehr als zwei Jahrzehnten. Er ist seinerzeit gemeinsam mit der Selbstverwaltung der Rentenversicherung eingeführt worden. In einem geeinten Deutschland kann es also nicht sein, daß die Rentenversicherung Ost und die Rentenversicherung West getrennt finanziert werden.
So untragbar es wäre, wenn die Angestelltenversicherung andere Beitragssätze erhöbe als die Arbeiterrentenversicherung, so untragbar wäre es auch, wenn die Rentenversicherung Ost andere Beitragssätze hätte als die Rentenversicherung West. Die Rentenversicherung in den alten Bundesländern hat in der Zeit seit der Öffnung der Grenzen erheblich davon profitiert, daß Übersiedler und Pendler aus den neuen Bundesländern ihre Beiträge an die Versicherungsträger im Westen zahlten. Schließlich hat die Rentenversicherung West auch von dem Konjunkturschub, der sich infolge der deutschen Einheit ergeben hat, erheblich profitiert. Der Boom beim Beitragseingang 1990 und auch in den ersten Monaten 1991 macht dies deutlich. All dies spricht für einen Finanzverbund. Ich halte ihn für unverzichtbar.
Der Sozialzuschlag wurde in der ehemaligen DDR zum 1. Juli 1990 eingeführt. Eines der Ziele war es, niedrige Renten auf den Betrag von wenigstens 495 DM aufzustocken, da es ein funktionsfähiges Sozialhilfesystem dort nicht gab. Renten aber sind lohnbezogen. Sie werden nicht nach Bedarfsgesichtspunkten zuerkannt. Eine Vermischung von Lohnbezug und Bedarfsbezug wollen wir nicht. Dies würde unser System längerfristig verändern.
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Der Sozialismus nahm die auch in der ehemaligen DDR real existierende Armut nicht zur Kenntnis und verwies die betreffenden Menschen auf Almosen.
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Seit dem 1. Januar 1991 gilt auch in den neuen Ländern das Bundessozialhilfegesetz. Allerdings kann die entsprechende Verwaltung nicht von heute auf morgen aufgebaut werden. Gerade in diesem Bereich ist im Interesse dieser Menschen Sensibilität gefragt.
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In einigen Gebieten ist bereits ein Zustand erreicht, der dem westdeutscher Städte und Gemeinden vergleichbar ist. Insbesondere mangels Fachpersonals ist das Sozialhilfesystem aber noch nicht so flächendekkend, wie es sein sollte. Deshalb ist es erforderlich, den Sozialzuschlag zunächst weiterzuzahlen. Gleichwohl gehe ich davon aus, daß bald ein Zustand erJulius Louven
reicht ist, in dem eine rasche und vollständige Erfüllung von Ansprüchen nach dem BSHG gewährleistet ist.
Ein erster Schritt zum Abbau des Sozialzuschlags wird es deshalb sein, daß er ab dem 1. Juli 1992 bei verheirateten Beschäftigten wegfallen soll, wenn das Einkommen des Ehegatten eine bestimmte Höhe übersteigt. Ab 1995 sollen auch alle anderen Sozialzuschläge wegfallen. Bei Bedarf werden sie durch Sozialhilfe ersetzt. Auf Sozialhilfe besteht Rechtsanspruch.
Ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, daß der Einigungsvertrag uns aufgetragen hat, die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der früheren DDR in unsere Rentenversicherung zu überführen. Es wirkt abenteuerlich, wenn man sich die mehr als 60 Sonder- und Zusatzversorgungssysteme ansieht und auch würdigt, wie mitunter willkürlich sie zustande gekommen sind.
Auch die Renten, die hier erzielt werden konnten, sind erstaunlich. Dieses System sollte offensichtlich auch dazu dienen, die wissenschaftliche und künstlerische Intelligenz im Lande zu halten. Die Behauptung unseres Kollegen Dreßler, der Bundesarbeitsminister schaue tatenlos zu, wie nach diesem System Renten bis zu 12 000 DM gezahlt würden, ist falsch.
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Ich denke, Herr Dreßler weiß dies. Ich denke auch, Herr Dreßler, Sie werden sich nachher von dieser Stelle aus für diese Entgleisung entschuldigen.
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Mit dem Gesetzentwurf wird dem Auftrag des Einigungsvertrages entsprochen. Zum 31. Dezember 1991 werden Ansprüche und Anwartschaften wegen verminderter Erwerbstätigkeit, Alters und Todes aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die Rentenversicherung einbezogen. Bei der Rentenberechnung für diesen Personenkreis soll ein Einkommen höchstens bis zur Höhe des allgemeinen Durchschnittsverdienstes aller Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Damit wird dem Einigungsvertrag entsprochen, überhöhte Leistungen abzubauen. Wir halten es für richtig, die Bundesregierung zu ermächtigen, durch eine Rechtsverordnung zu regeln, wann bei Personen mit vergleichsweise geringer Staatsnähe von dem Grundsatz abgewichen und ein Einkommen oberhalb des Durchschnittsverdienstes berücksichtigt werden kann.
Für die Überführung von Ansprüchen, von Anwartschaften aus dem ehemaligen Stasi-Versorgungssystem soll - so sieht es der Gesetzentwurf vor - gelten, daß Einkommen bis höchstens 65 % des jeweiligen Durchschnittsverdienstes aller Arbeitnehmer berücksichtigt werden.
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Damit werden Privilegien, die diese Personengruppe genossen hatte, beseitigt.
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Ich verrate kein Geheimnis, meine Damen und Herren, wenn ich hier sage, daß in der Arbeitsgruppe
Sozialpolitik meiner Fraktion hier insbesondere von den Kollegen aus den neuen Bundesländern noch härtere Einschnitte gefordert wurden. Für diese Forderungen haben wir wohl alle sehr viel Sympathie. Wir haben jedoch erkennen müssen, daß aus Verfassungsgründen ein härterer Einschnitt wohl nicht möglich ist. Wir wollen, daß im Vorgriff auf die Überführung der Sonder- und Zusatzversorgungen bereits nach der Verabschiedung des Gesetzes entsprechende Versorgungen zusammen mit der Rente auf maximal 1 500 DM monatlich begrenzt werden, um keine neuen und ungerechtfertigten Besitzstände entstehen zu lassen. Für Stasi-Versorgungen soll diese Grenze bei 600 DM liegen.
({14})
Die der Rentenversicherung aus der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen entstehenden Aufwendungen werden im übrigen vom Bund erstattet.
Bei den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen ist es uns auch darum gegangen, das Kind nicht gewissermaßen mit dem Bade auszuschütten. Wir wissen, daß nicht jeder - jedenfalls in den Zusatzversorgungssystemen - ein Unterdrücker unserer Mitbürger in der ehemaligen DDR war. Deshalb haben wir, wie schon erwähnt, die Möglichkeit geschaffen, in gerechtfertigten Fällen einen Spielraum für die Bemessung der Versorgung zu geben.
Im Rahmen des Renten-Überleitungsgesetzes soll auch das Fremdrentengesetz geändert werden - ein schwieriges Thema, welches uns schon vor einer Woche im Zusammenhang mit dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen beschäftigt hat. Wir haben bereits durch den Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai vergangenen Jahres Leistungsansprüche nach dem Fremdrentengesetz für ehemalige Bürger der DDR ausgeschlossen, wenn sie nach dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern genommen haben. Daß hieraus Konsequenzen auch für Aussiedler gezogen werden müssen, liegt auf der Hand. Der vorliegende Entwurf des Renten-Überleitungsgesetzes trägt dem Rechnung.
({15})
Das neue Abkommen über soziale Sicherheit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen hat dafür den Weg für sachgerechte Lösungen frei gemacht.
Aussiedler - nach unserem Rechtsverständnis Deutsche - haben ein Anrecht darauf, bei uns aufgenommen zu werden und im Alter ein auskömmliches Dasein führen zu können. Der Gesetzentwurf hält daher grundsätzlich das bisherige Eingliederungsprinzip aufrecht. Es sollen hierbei jedoch stärker als bisher sowohl die unterschiedlichen Lebensbedingungen in den alten Bundesländern als auch die Einkommensverhältnisse in den neuen Bundesländern berücksichtigt werden. Aussiedler, die nach dem 31. Dezember 1990 in das alte Bundesgebiet zugezogen sind bzw. noch zuziehen, erhalten daher künftig Renten nur noch in einer um 20 % gegenüber dem durchschnittlichen westdeutschen Rentenniveau ab1612
gesenkten Höhe. Dies entspricht dem Prozentsatz, um den das Lohnniveau strukturschwacher Regionen im alten Bundesgebiet unter dem durchschnittlichen Lohnniveau liegt. Aussiedler, die ihren Wohnsitz in den neuen Ländern nehmen, auf die die Geltung des Fremdrentengesetzes ab 1. Januar 1992 erstreckt wird, erhalten Leistungen auf Rentenniveau Ost.
({16})
Der Gesetzentwurf sichert somit Aussiedlern - je nach Wohnsitz - weiterhin einen angemessenen Lebensstandard.
Eine vollinhaltliche Gleichstellung von Aussiedlern mit Übersiedlern durch eine Absenkung der Leistungen nach dem Fremdrentengesetz auf das Rentenniveau Ost auch bei Aufenthalt in den alten Bundesländern, wie es verschiedentlich gefordert worden ist, ist nicht vorgesehen. Hiermit würde der unterschiedlichen Ausgangssituation nicht Rechnung getragen werden. Personen, die bei uns als Spätaussiedler und damit als Vertriebene anerkannt werden, verlassen ihre Herkunftsgebiete auch heute noch auf Grund der für sie dort bestehenden besonderen und spezifischen Probleme. Bei Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts aus den alten in die neuen Bundesländer werden die FAG-Leistungen für Aussiedler auf das Rentenniveau Ost abgesenkt. Damit wird eine Gleichbehandlung mit den Aussiedlern herbeigeführt, die ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet genommen haben.
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- Na ja, wenn Sie immer wieder „abenteuerlich" rufen, dann werden Sie ja nachher noch die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen. Ich bin gespannt, was Sie dazu zu sagen haben werden.
Im umgekehrten Fall, also bei Verlegung des Wohnsitzes von Ost nach West, soll der Aussiedler seine Rente auf Ostniveau erhalten; denn er kann nicht besser behandelt werden als der ehemalige DDR-Bürger, der seinen Wohnsitz nach dem 18. Mai 1990 in die alten Bundesländer verlegt hat.
Das Rentenüberleitungsgesetz hat naturgemäß auch Konsequenzen in der Unfallversicherung. Die wesentlichen Regelungsinhalte sind: Ab 1992 gelten die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung zur gesetzlichen Unfallversicherung für alle Versicherungsfälle im Beitrittsgebiet. Auch das Hinterbliebenenrecht der Reichsversicherungsordnung wird ab 1992 auf das Beitrittsgebiet übertragen und auch auf Todesfälle vor diesem Zeitpunkt angewandt. Die Unfallrenten und Pflegegelder werden entsprechend den Rentenanpassungen in der Rentenversicherung im Beitrittsgebiet angepaßt.
Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit bereits erhebliches geleistet. 30 gewerbliche Berufsgenossenschaften haben ihre Zuständigkeit auf die neuen Bundesländer erstreckt. 36 Verwaltungen in 13 Städten und mehr als 80 Stützpunkte des Technischen Aufsichtsdienstes für den Arbeitsschutz haben bereits ihre Tätigkeit aufgenommen. Knapp 300 000 Fälle mit laufenden Unfallrenten im Beitrittsgebiet sind inzwischen auf die sich erstreckenden bzw. zu errichtenden Unfallversicherungsträger verteilt worden. Die laufenden Renten werden von diesen Trägern bereits vom 1. April 1991 an gezahlt. Darüber hinaus leisten die Unfallversicherungsträger in ganz erheblichem Umfang Aus- und Fortbildungsarbeit, was sehr zu begrüßen ist. Ziel ist es, unter Einbeziehung der in den östlichen Bundesländern im Bereich Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vorhandenen Erfahrungen und Kenntnissen möglichst bald in der gesamten Bundesrepublik Deutschland ein effizientes Sozialleistungssystem zu verwirklichen, das zum Wohl der Arbeitnehmer, an die mehr als 100jährige Tradition der Unfallversicherung anknüpfend, wirken kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe hier die wesentlichen Regelungen des Überleitungsgesetzes vorzustellen versucht. Das Ganze hört sich so an, als könnte es mit ein paar Federstrichen umgesetzt werden. Die Realität - Ihnen hier brauche ich das nicht zu sagen - sieht natürlich anders aus: Auf die Träger der Rentenversicherung kommen Aufgaben zu, die nur unter Aufbietung aller Kraftreserven erledigt werden können. Was hier an Schulungs- und Programmierungsarbeiten zu leisten ist, grenzt an das unmögliche. Dazu muß neues, rechtstechnisch gewiß nicht einfaches Recht programmiert werden. Die Träger der Rentenversicherung haben bisher schon hervorragende Arbeit geleistet. Sie haben dafür gesorgt, daß auch in den neuen Bundesländern eine dynamische Rente eingeführt werden konnte. Die Überleitung des SGB VI auf die neuen Bundesländer wird nur dann in angemessener Zeit durchgeführt werden können, wenn wir als Gesetzgeber rechtzeitig, d. h. vor der parlamentarischen Sommerpause, die notwendigen Grundlagen dazu schaffen. Deshalb geht schon jetzt meine herzliche Bitte an Sie alle, dabei mitzuhelfen, das Überleitungsgesetz rechtzeitig zu verabschieden.
Ich weiß, meine lieben Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus dem sozialpolitischen Bereich, daß uns viel zugemutet wird. Ich denke jedoch, daß wir es den Bürgern der neuen Bundesländer schuldig sind, diese Arbeit zu leisten.
Wir müssen es notfalls in Kauf nehmen, daß ein Höchstmaß an materieller Einzelfallgerechtigkeit nicht sofort erreichbar ist. Die Feinarbeit kann auch später noch geleistet werden. Jetzt kommt es darauf an, die Grundlagen dafür zu schaffen, daß jeder Berechtigte in den neuen Ländern die ihm nach neuem Recht zustehende Rente möglichst pünktlich erhält.
Meine Damen und Herren, wir muten den Beschäftigten der Rentenversicherungsträger und uns mit diesem Gesetz eine Menge zu. Wir haben insbesondere auch den Beamten des BMA in den letzten Monaten eine Menge zugemutet und Außerordentliches abverlangt. Die Rechtsmaterie ist ungeheuer kompliziert. Die Menschen von einem Altersversorgungssystem in das andere zu überführen, wobei diese Systeme völlig unterschiedlich sind, grenzt an sich an das kaum Machbare. Für die große Leistung, die in Ihrem Haus, Herr Minister Blüm, erbracht worden ist, möchte ich Ihnen und den vielen Mitarbeitern im Namen meiner Fraktion ganz herzlich danken.
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Trotz der gebotenen Eile wollen wir die Beratungen sorgfältig durchführen und die Probleme und noch entstehenden Fragen miteinander klären. Trotz vieler Beratungen in der Arbeitsgruppe haben auch wir immer noch Klärungs- und Nachfragebedarf. Die Anhörung der Verbände ist daher für uns von außerordentlicher Wichtigkeit. Ich bin auch ganz sicher, daß dieser Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle noch Veränderungen und vielleicht auch Verbesserungen erfahren wird. So etwas ist parlamentarische Normalität.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach Jahrzehnten in einem immer maroder werdenden System, in dem es letztlich nur den Bonzen immer besser ging, werden die Bürger der neuen Bundesländer in eine Rentenversicherung einbezogen, die nach einem erfüllten Arbeitsleben einen angemessenen Lebensstandard sichert. Die Anpassung der Renten an die Entwicklung der Löhne ist für die Bürger der früheren DDR jetzt schon Wirklichkeit. Mit diesem Gesetz wenden wir zusätzlich Mittel von mehr als 10 Milliarden DM auf; ich denke, gerade wir Sozialpolitiker beschließen dies gerne. Wenn wir hinzurechnen, daß wir seit dem 1. Januar 1991 auch unser Kriegsopferversorgungssystem auf Opfer und Hinterbliebene übertragen haben, dann sind dies sozialpolitische Leistungen, auf die wir stolz sein können und mit denen wir uns sehen lassen können.
Der wirtschaftliche Fortschritt in den neuen Bundesländern beschleunigt sich. Die sozialen Sicherungssysteme sind oder werden übertragen. Nach dem Programm Aufschwung Ost ist die Überleitung unseres Rentensystems auf die neuen Länder ein weiterer milliardenschwerer Schritt, um in den neuen Ländern zu helfen. Ich bin sicher, daß wir nach der politischen Einigung die innere Einigung bald vollenden werden. Diese Regierung tut das Notwendige dazu, und wir, die Koalitionsfraktionen, unterstützen sie dabei nach Kräften.
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Mit aufhetzerischen Parolen und mit den sogenannten neuen Montagsdemonstrationen, Herr Andres, hilft man den Bürgern jedenfalls nicht. Wir machen ernst, und wir halten Wort.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Rudolf Dreßler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vereinheitlichung der Alterssicherung in Ost- und Westdeutschland ist, denke ich, mehr als ein gesetzestechnischer und bürokratischer Vorgang. Die Vereinheitlichung der Alterssicherung ist alles andere als ein Akt der bloßen Rechtsbereinigung. Wer das nicht sieht, verkennt, glaube ich, in fataler Weise die Größe der Aufgabe, die hier zu bewältigen ist. In Wirklichkeit ist die Rentenangleichung eine ernste Bewährungsprobe der Sozialpolitik. Nimmt man die Härte der möglichen Einschnitte,
nimmt man die Zahl der davon betroffenen Personen und die qualitative Bedeutung der strukturellen Weichenstellungen, die mit diesem Gesetz verbunden sind, dann ergibt sich ein gesellschaftspolitisches Gewicht, das dem der Rentenreform 1992 mindestens gleichkommt.
Die Schaffung einer einheitlichen Alterssicherung in ganz Deutschland hätte die Stunde einer großen sozialpolitischen Reform sein können.
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Mit diesem Gesetz hätten wir einen mutigen Schritt in die Zukunft tun können.
({1}) Wir hätten Altersarmut abschaffen können,
({2})
und wir hätten Rentennachteile von Frauen beseitigen können.
({3})
Mit der gesamtdeutschen Rentenreform hätte auch unsere politische Kultur eine Bewährungsprobe bestehen können. Die politischen Akteure hätten beweisen können, daß sie in der Lage sind, Entscheidungen in einer Weise zu treffen, die der Größe der Aufgabe gewachsen ist, nämlich nach der staatlichen auch die gesellschaftliche Einheit Deutschlands herzustellen.
({4})
Der Westen der Republik hätte zeigen können, daß sein Verhältnis zu den neuen Ländern vom Geist der Partnerschaft, von Fairneß, von Dialogbereitschaft und von Respekt vor der gewachsenen Identität in den neuen Ländern bestimmt ist. Auf diese Weise wäre eine gesamtdeutsche Rentenreform im Geiste des Nehmens und Gebens möglich gewesen, die unser Land ein Stück auf dem schwierigen und langwierigen Weg zur inneren Einheit hätte voranbringen können.
Was ist aus dieser Chance geworden? Man muß leider sagen, daß die Regierung es nicht verstanden hat, sie zu nutzen. Die Regierung und die sie tragenden Fraktionen sind der historischen Aufgabe der Sozialpolitik, die mit diesem Projekt verbunden ist, nicht gerecht geworden.
({5})
Ich rede nicht davon, daß Regierung und Opposition selbstverständlich in Sachfragen völlig unterschiedlicher Meinung sein können, sein müssen. Das wahrhaft Deprimierende ist vielmehr, daß Regierung, Koalition und Ministerialbürokratie offenbar nicht in der Lage sind, die Vereinheitlichung der Alterssicherung in Ost- und Westdeutschland überhaupt als gesellschaftspolitische Aufgabe zu begreifen.
({6})
Für sie handelt es sich nur um einen technischen Vorgang, als ginge es darum, irgendwelche Aktenvermerke zu fotokopieren.
({7})
Ich werde Ihnen jetzt vorhalten, um was es hier eigentlich geht. Dementsprechend ist nämlich auch das Produkt dieser Art von Regierungstätigkeit. Es ist geprägt von technokratischer Phantasielosigkeit, von ideologischen Scheuklappen und von westdeutscher Überheblichkeit.
({8})
Ich füge hinzu: Besser hätte man das Wort von den „Besserwessis" wohl kaum illustrieren können, als es der Sozialminister - übrigens unfreiwillig - getan hat.
({9})
Schon das Verfahren offenbart eine rüde Ausschlußmentalität. Der Vergleich mit der Rentenreform 1992 zeigt das überdeutlich.
Auch wer mit der Rentenreform 1992 nicht einverstanden ist, wird eines zugeben müssen: daß ihr eine über Jahre hinweg geführte breite gesellschaftliche Diskussion vorausgegangen ist. Wessen Meinung sich in diesem Diskussionsprozeß nicht durchgesetzt hat, mag das beklagen. Er mag auch die getroffenen Entscheidungen für töricht halten. Aber er wird nicht behaupten können, daß nicht genug diskutiert worden ist und daß nicht jede Partei, daß nicht jede gesellschaftliche Gruppe, jeder Verband und alle in der Wissenschaft Tätigen, die sich dazu berufen fühlten, Gelegenheit gehabt hätten, eigene Vorstellungen zu entwickeln und in die öffentliche Debatte einzubringen.
Ganz anders sieht es bei der Rentenangleichung zwischen Ost- und Westdeutschland aus.
({10})
Von Dialog keine Spur. Hier gibt es keine Diskussion, sondern es gibt nur einen Renten-Ukas aus Bonn.
({11})
An den politischen Entscheidungen, meine Damen und Herren, haben kein einziger Politiker und keine einzige Politikerin aus den neuen Bundesländern maßgeblich mitgewirkt. Das Gesetz ist ein reines Westprodukt.
({12})
Schon der Zeitplan ist - man könnte meinen, daß dies absichtsvoll so eingerichtet ist - so angelegt, daß die Menschen in der früheren DDR keinerlei Möglichkeit zu irgendeiner Art von Partizipation und politischer Mitwirkung an diesem Projekt haben, das sie ja existentiell betrifft. Alles ist von vornherein so eingerichtet, daß Meinungsäußerungen, Sorgen und berechtigte Anliegen der Betroffenen an der mit Höchstgeschwindigkeit laufenden Gesetzgebungsmaschine abprallen müssen.
({13})
Wenn die Bundesregierung den enormen Zeitdruck, unter dem dieses Gesetz steht, mit den Bestimmungen des Einigungsvertrages nach der Fristsetzung zum 1. Januar 1992 rechtfertigt, dann verwechselt die Regierung Ursache und Wirkung. Der Zeitrahmen ist die Folge gewollter politischer Entscheidungen der Bundesregierung, und es ist unredlich, ihn als Sachzwang darzustellen.
({14})
Der Sozialminister weiß selbstverständlich, daß das von ihm vorgelegte Gesetz allein schon verwaltungsmäßig unmöglich bis zum 1. Januar umgesetzt werden kann. Die Rentenversicherungsträger haben ihm das schriftlich bescheinigt. So hat z. B. die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte am 12. März an den Sozialminister folgendes geschrieben - ich zitiere - :
Schon heute läßt sich allerdings sagen, daß das RÜG nicht bis zum 1. 1. 92 umzusetzen sein wird, denn bis Ende 1991 sind die Kapazitäten für die Systementwicklung voll mit der Umsetzung des Rentenreformgesetzes '92 ausgelastet. Infolge nicht vorhersehbarer zusätzlicher Aufgaben für das Beitrittsgebiet ({15}) muß die Realisierung von bestimmten eng umgrenzten Teilen der Rentenreformgesetzgebung '92 sogar in das erste Halbjahr 1992 verschoben werden. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wird daher für eine Übergangszeit lediglich sicherstellen können, daß Rentenantragsteller aus dem Beitrittsgebiet vorschußweise eine Leistung erhalten.
({16})
Die BfA sagt weiter:
Das bedeutet, daß alle diese Fälle erneut aufgegriffen und endgültig beschieden werden müssen.
({17})
Das alles muß der Sozialminister auch vorher schon gewußt haben. Es kann also nur politische Gründe für dieses Verfahren geben, das jeder praktischen Vernunft spottet. Diese Gründe liegen klar auf der Hand.
Denn unter äußerstem Zeitdruck läßt sich das Projekt der Harmonisierung der Alterssicherung im vereinigten Deutschland am besten politisch so durchsetzen, wie man das offenbar will, nämlich als einfaches Überstülpen, als Rentenüberleitung - wie es so schön in unfreiwilliger Offenheit heißt - , ruck, zuck, ohne daß es erst zu einer großen Diskussion über die Inhalte und über Reformperspektiven kommt.
({18})
Damit bin ich beim Hauptvorwurf, den die SPD-Bundestagsfraktion gegen das Rentenüberleitungsgesetz erheben muß: Dieses Gesetz dient nicht einer gesamtdeutschen Rentenreform, sondern dieses Gesetz dient dem Zweck, in den neuen Ländern so schnell wie möglich alles auszulöschen und niederzumachen, was in irgendeiner Weise ein Ansatz oder ein Anlaß für eine produktive Weiterentwicklung des bundesdeutschen Rentenrechts sein könnte.
({19})
Dabei geht es um zwei wichtige Punkte, die Ihnen natürlich völlig suspekt sind, nämlich um die Bekämpfung der Altersarmut und um die eigenständigen Rentenansprüche von Frauen. Das interessiert die Herren nicht, die da sitzen.
({20})
Das Rentenrecht der neuen Bundesländer enthält in beiden Hinsichten wesentlich günstigere Regelungen als das bisherige Rentenrecht im Westen. Warum sind die Bundesregierung und die Koalition so scharf darauf, diese besseren und fortschrittlicheren Elemente so schnell wie nur irgend möglich zu beseitigen? Selbstverständlich deshalb, weil sie verhindern wollen, daß Berufungsfälle für Reformen im Westen daraus entstehen könnten. Das soll auf alle Fälle unterbunden werden, obwohl bei uns im Westen 8 % der Rentnerhaushalte im Armutsbereich leben und die Versichertenrenten der Frauen nicht einmal 45 % der Männerrenten erreichen. Trotzdem tönt der Sozialminister mit eitler Selbstgefälligkeit, in den neuen Bundesländern werde nun ein Rentensystem eingeführt, das - so wörtlich - „in der Welt seinesgleichen" sucht.
({21})
Das halte ich für eine eitle Selbstgefälligkeit geradezu Kohlschen Ausmaßes.
({22})
Damit diese Illusion nicht platzt, meine Damen und Herren, muß in den neuen Bundesländern alles platt gemacht werden. Mehr noch: Im Grunde sind die Existenz von angeblich selbstverschuldeter Altersarmut, die institutionelle Ausgrenzung der Armen aus der Zuständigkeit der Sozialversicherung und die Aufrechterhaltung eines am patriarchalischen Eheverständnis orientierten Rentenrechts ein zentrales Anliegen christdemokratischer und wirtschaftsliberaler Alterssicherungspolitik.
({23})
Das ist der wahre Grund für Ihre Planierungspolitik, die Sie gegenüber den neuen Bundesländern betreiben. Das ist auch der Kern der politischen Auseinandersetzung um dieses Renten-Überleitungsgesetz.
Die sozialen Folgen dieser arroganten Politik müssen in erster Linie die Frauen in den neuen Ländern tragen.
({24})
Die Bundesregierung will im Grundsatz alle Renten in den neuen Ländern mit einem Schlag zum 1. Januar kommenden Jahres auf das bundesdeutsche Rentenrecht umstellen, und zwar nicht nur die Zugangsrenten ab dem 1. Januar 1992, sondern auch die bereits heute laufenden Renten. Dieses ideologische, nicht etwa praktisch-sozialpolitisch motivierte Prinzip des schnellstmöglichen Systemwechsels hat massive Verschlechterungen für Frauen zur Folge, und zwar aus folgenden Gründen.
Die bundesdeutsche Rentenformel stellt gegenüber der bislang in der Ex-DDR praktizierten Berechnungsweise Versicherte mit niedrigem Arbeitseinkommen und kürzerer Versicherungsdauer schlechter. Die Vorschriften über die Mindestrenten fallen weg. Die Zurechnungszeiten des alten DDR-Rechts für Kindererziehung werden abgeschafft. Bisher wurde ein Jahr pro Kind, bei drei und mehr Kindern drei Jahre pro Kind jeweils additiv angerechnet. Das heißt, die Kindervergünstigung war auch beim Zusammentreffen der Kindererziehungszeit mit Berufstätigkeit voll wirksam. Künftig gibt es nur noch ein Jahr. Berufstätige Mütter erhalten keine oder nur eine geringe Rentensteigerung. Auch die Zurechnungszeit für Frauen, die mit 60 Jahren in Rente gehen, wird beseitigt. Schließlich werden auch Zeiten der Pflege von Angehörigen nicht mehr als Beschäftigungszeiten angerechnet.
({25})
Wir bestreiten nicht, daß sich die Bundesregierung bemüht hat, die massiven Verschlechterungen, die bei sofortigem Wechsel vom heutigen ostdeutschen zum bundesdeutschen Rentenrecht entstehen können, durch Bestandsschutzklauseln zu mindern. Aber an der längerfristigen negativen Auswirkung des Renten-Überleitungsgesetzes ändert das überhaupt nichts. Der Bestandsschutz für die heutigen Rentnerinnen und Rentner, der sogenannte Auffüllbetrag, der hier soeben eingeführt worden ist, ist nur auf fünf Jahre befristet. Anschließend wird er massiv abgebaut.
({26})
Aber auch schon vor Ablauf dieser fünf Jahre wird der Eingriff durch deutliche Minderungen der Rentensteigerungen spürbar sein. Kein Wort von dieser Seite! Der Bestandsschutz für die neu hinzukommenden Renten wird in vollem Umfang durch die Rentenerhöhungen verschwunden sein. Kein Wort von dieser Seite! Für alle, die nach dem 30. Juni 1995 in Rente gehen, gibt es keinerlei Bestandsschutz mehr. Kein Wort! Kurzfristig werden die Übergangsregelungen das volle Ausmaß der Umstrukturierung zwar überdecken. Aber mittelfristig, wenn die Auffüllbeträge abgebaut werden und die Neurentner und Neurentnerinnen keinen Bestandsschutz mehr erhalten, werden die Kürzungen in voller Höhe spürbar werden.
Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hat, rechnerisch bezogen auf das zweite Halbjahr 1991, das Volumen der Auffüllbeträge beziffert, die für Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner gezahlt werden müssen, weil ihre neue Rente nach dem Westrecht niedriger ist als die alte nach bisherigem Recht. Das Volumen dieser Auffüllbeträge beträgt nicht weniger als 7,2 Milliarden DM. Das sind 23 % des Rentenvolumens in den neuen Ländern. Diese gewaltige Summe - 7,2 Milliarden DM oder 23 % des Rentenvolumens - illustriert das Gewicht der Kürzungen der Versichertenrenten, die nach Auslaufen der Übergangsregelungen langfristig auf die Rentnerinnen und Rentner und auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der ehemaligen DDR zukommen werden. 23 % !
({27})
- Was wir dazu zu sagen haben, Herr Louven, hören Sie sich jetzt bitte einmal an. Dann werden wir die Ausschußberatungen machen. Haben Sie dabei bitte immer im Kopf: Seit Sonntag letzter Woche hat sich die bundesrepublikanische politische Landschaft entscheidend geändert.
({28})
Regen Sie mich deshalb bitte nicht auf! Hören Sie genau zu; es wird nämlich noch sehr interessant, Herr Louven.
Diese Kürzung beträgt im Durchschnitt aller Betroffenen monatlich 221 DM; für Frauen beträgt sie übrigens 234 DM und für Männer 167 DM. Dabei spreche ich von Kürzung.
({29})
- Herr Louven, Sie können das drehen und wenden, wie Sie wollen: Das sind echte Rentenverluste, die ab 1995 als Differenz zwischen dem Anspruch nach neuem und nach altem Recht auftreten werden. Die Verluste durch die fehlende Dynamisierung der Auffüllbeträge habe ich dabei gar nicht eingerechnet.
Eingriffe dieser Größenordnung berühren mit Sicherheit auch verfassungsrechtliche Fragen. Darauf wird in der parlamentarischen Beratung streng zu achten sein. Nach den Maßstäben, die in der alten Bundesrepublik bisher üblich gewesen sind, wären
diese Kürzungen jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsschutzes absolut indiskutabel. Ich wiederhole: Im Westen wären sie absolut indiskutabel.
Die Bundesregierung muß sich deshalb fragen lassen, ob sie den Menschen in der früheren DDR für ihre Renten nur einen minderen Eigentumsschutz zubilligen will, während sie doch gleichzeitig auf einem weitgehenden Eigentumsschutz für Bürger der alten Bundesländer gegenüber Enteignungsmaßnahmen des DDR-Regimes besteht.
Unabhängig von der juristischen Betrachtungsweise betrachten wir die Eingriffe des Renten-Überleitungsgesetzes trotz des begrenzten Bestandsschutzes als schwerwiegenden Vertrauensbruch.
({30})
Zum 1. Juli 1990, als die Währungsunion in Kraft trat, haben Kanzler Kohl und Minister Blüm den DDR-Bürgerinnen und -Bürgern dynamische Renten in Aussicht gestellt.
({31})
- Es ist interessant, daß Sie das jetzt auch noch bestätigen. Ich hoffe, Sie machen Ihre Ohren jetzt weit auf: Damit wurde der Eindruck erweckt, als würden die bislang in der DDR erworbenen Renten und Anwartschaften künftig entsprechend der Lohnentwicklung steigen und alsbald eine den West-Renten vergleichbare Höhe erreichen.
Anfang des kommenden Jahres werden die Bürgerinnen und Bürger erfahren, daß unter dynamischer Rente etwas ganz anderes zu verstehen ist, als ihnen im Sommer 1990 vorgespiegelt wurde, nämlich eine Rente, die zwar mit den Nettolöhnen steigt, aber in vielen Fällen von einem Betrag ausgehend, der bedeutend niedriger sein wird als der, der ihnen bisher zustand. Das heißt: Die Bonner Koalition will jetzt rigoros in Vertrauenstatbestände einschneiden, die sie selbst indirekt, d. h. in Gestalt der Gesetzgebung der damaligen DDR-Regierung unter dem CDU-Ministerpräsidenten de Maizière, geschaffen hat.
Auf jeden Fall werden diese Einschnitte in Besitzstände weit über das hinausgehen, was die Bundesregierung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern der westlichen Bundesländer und ihren Rentenanwartschaften jemals juristisch und politisch riskieren würde.
Ein solches Gesetz wäre in der West-Rentenversicherung absolut undenkbar. Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Bewertung dieses Vorgangs zeigt sich, daß hier zumindest verfassungspolitisch mit zweierlei Maß gemessen wird: CDU/CSU und FDP setzen sich damit dem Vorwurf aus, daß die Menschen in den neuen Ländern für sie nur so lange von Interesse waren, bis sie ihre Wählerstimmen im Kasten hatten.
({32})
Jetzt, nach der Wahl, sind sie für die Regierenden nur noch Rentenempfänger zweiter Klasse.
Wir bestreiten nicht, daß es bei den Hinterbliebenenrenten erhebliche Verbesserungen geben wird.
({33}) - Nun denken Sie mal!
Auch die flexible Altersgrenze und das bundesrepublikanische Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrecht wird ein Fortschritt sein. Aber das ist einerseits nicht strittig, meine Damen und Herren von der Koalition, und andererseits ist es ja wohl auch zwangsläufig so. Oder möchten Sie die westdeutsche Gesetzgebung dieser Art den Menschen in den fünf neuen Bundesländern sozusagen als Gnadenakt anbieten? - Es ist doch wohl selbstverständlich, daß wir diese im Einigungsvertrag vereinbarte Gesetzgebung auf die Bevölkerung der neuen Länder übertragen.
({34})
Aber eine ganz andere Frage ist - dazu lassen Sie sich auch nicht aus - , wie dies finanziert wird. Denn es ist nicht zu bestreiten, daß das alles, jedenfalls mittel- und langfristig, wenn die Besitzstandsregelungen angelaufen sind, durch Verschlechterung der Versichertenrenten - und dies hauptsächlich bei den Versichertenrenten von Frauen in den neuen Ländern - bezahlt werden soll. Mit diesen Rentenkürzungen wird nicht nur die verbesserte Witwenrente finanziell abgesichert, sondern auch die Herabsetzung der Altersgrenze für die Männer vom 65. auf das 63. Lebensjahr. Dies alles verschweigt die Bundesregierung gegenüber den Frauen der ehemaligen DDR, während sie die Verbesserungen lautstark anpreist und sich für soziale Wohltaten feiern läßt. Dies ist nichts anderes als ein weiterer Täuschungsversuch.
Ein besonderes Kapitel ist das Bemühen des Sozialministers, die Verbesserung der Witwenrenten als Kompensation, als Ausgleich für die Verschlechterung der Versichertenrenten der Frauen darzustellen. Diese Rechnung ist schon deswegen falsch, weil die finanziellen Dimensionen nicht stimmen; anders ausgedrückt, weil das Kürzungsvolumen der Versichertenrenten der Frauen nach Auslaufen der Bestandsschutzregelungen weitaus höher ist als die Mehrausgaben für die Witwenrenten. Vor allem aber ist es das Kennzeichen - nun hören Sie genau zu - einer im strengen Wortsinn reaktionären Sozialpolitik, wenn man die Kürzung der Versichertenrenten der Frauen mit der Verbesserung der Witwenrenten aufrechnet.
Was ist das denn anders, meine Damen und Herren? Dieses Tauschgeschäft hat eine eminente gesellschaftspolitische Dimension. Es bedeutet nämlich in letzter Konsequenz, daß man die Frauen als eigenständige Personen mit unabhängigem Berufsleben und dem Anspruch auf eigene Altersversorgung ignoriert und sie lediglich als Anhängsel ihrer unterhaltsverpflichteten Männer bzw. als Witwen ernst nimmt. Das ist die Philosophie, die sich dahinter verbirgt.
({35})
Möglicherweise sitzt ja in Ihren Reihen noch ein fortschrittlicher Mann - von Frauen ist nichts zu sehen - , und deshalb will ich vielleicht diesem einen
fortschrittlichen Mann sagen, den ich da im Auge habe: Er wird wissen, daß aus dieser Philosophie nicht nur ein rückständiges Verständnis von Ehe und Partnerschaft spricht. Eine solche Sozialpolitik verkennt auch schlicht die gesellschaftspolitische Wirklichkeit.
Frauen sind in erster Linie auch die Leidtragenden, wenn in den neuen Ländern der Sozialzuschlag zu den Renten wegfällt: zunächst für neue Rentenzugänge ab 1. Januar 1992, endgültig für alle ab 1. Januar 1995. Geradezu eine Unverschämtheit ist es, daß die Regierung ausgerechnet beim Sozialzuschlag einen Bruch des Einigungsvertrages plant. Nach dem Einigungsvertrag sollten die Sozialzuschläge bis zum 30. Juni 1995 laufen. Die Bundesregierung verkürzt diese Frist selbstherrlich auf den 31. Dezember 1994. Kein Wort der Abgeordneten der CDU/CSU aus den neuen Bundesländern! Sie machen alles mit, was ihnen hier vom Westen vorgekaut wird. Jedenfalls fordert die SPD die Bundesregierung dringend auf, diesen Vertragsbruch zu unterlassen.
({36})
Gegenwärtig, meine Damen und Herren, erhalten rund 640 000 Rentnerinnen und rund 35 000 Rentner einen solchen Sozialzuschlag. Das macht das Ausmaß an Armut und Sozialhilfebedürftigkeit und die drohende Überforderung der Kommunen deutlich, die in den neuen Ländern drohen, wenn der Sozialzuschlag entfällt.
Was mit dem Sozialzuschlag geschieht, halten wir für eine katastrophale sozialpolitische Fehlentscheidung und für ein Musterbeispiel verfehlter gesamtdeutscher Gesellschaftspolitik.
({37})
Wenn in den westlichen Ländern Altersarmut ein ungelöstes Problem ist, in den östlichen aber ein Instrument existiert, das zwar Mängel hat, aber zumindest ausbaufähig ist und in geänderter Form zur Lösung der Altersarmut tauglich ist, dann ist es absurd, die Ansätze zum Besseren abzuschaffen und die schlechtere Lösung aus dem Westen zu wählen.
({38})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich CDU/CSU und FDP darauf hinweisen, daß sie sich bezüglich ihrer Einstellung zur Altersarmut in Europa in einer zunehmend isolierten Position befinden. In keinem EG-Land, außer Portugal und Griechenland, erst recht nicht in Österreich, Norwegen, in der Schweiz oder in Schweden, gibt es eine derartig rigorose Abgrenzung von Sozialversicherung und Existenzminimumsicherung. Nirgendwo wird die institutionalisierte Abgrenzung nach unten derart borniert zu einem Grundsatz der Sozialpolitik gemacht wie von CDU/CSU und FDP in Deutschland. Es wäre wirklich wünschenswert, wenn die deutsche Einheit endlich zur Horizonterweiterung und zur Abkehr von hartherzigen Prinzipienreitereien führen würde.
({39})
Die SPD, meine Damen und Herren, kann dem Entwurf der Bundesregierung zur Angleichung der Rentenversicherung in der ehemaligen DDR in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen. Wir lehnen das Renten-Überleitungsgesetz ab wegen der Verschlechterung für viele Frauen und der damit verbundenen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Wir lehnen es ab, weil das Grundprinzip, nämlich der Abbau der eigenständigen Alterssicherung der Frau bei gleichzeitigem Aufbau der vom Ehemann abgeleiteten Witwenversorgung, zentralen, gesellschaftspolitischen Reformnotwendigkeiten zuwiderläuft.
({40})
Wir können dem ersatzlosen Wegfall der Sozialzuschläge nicht zustimmen, weil Hunderttausende von alten Menschen, hauptsächlich Frauen, dadurch in Armut gestürzt und von der Sozialhilfe abhängig gemacht würden und weil darüber hinaus die ostdeutschen Kommunen finanziell aufs schwerste belastet werden.
Wir lehnen die im Gesetz enthaltenen Regelungen zum Fremdrentengesetz ab, vor allem weil sie dazu führen würden, daß Umzügler aus den neuen Bundesländern in den alten Bundesländern gegenüber Aussiedlern aus den osteuropäischen Ländern in geradezu empörender Weise benachteiligt werden.
({41})
Schließlich lehnen wir auch die Einbeziehung der Rentenversicherung ({42}) in den Finanzverbund der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ab, weil die Beitrags- anstelle aller Steuerzahler dadurch mit Kosten der deutschen Einheit erneut ungerecht belastet werden.
Im Grunde - ich habe das bereits ausgeführt - ist die Basisentscheidung der Bundesregierung, nämlich das Westrecht den neuen Ländern schnellstmöglich überzustülpen, die eigentliche Wurzel aller Unzulänglichkeiten, insbesondere der Verschlechterungen für die Frauen und der katastrophalen Auswirkungen auf Bezieher von Kleinrenten.
({43})
Um den Notwendigkeiten einer zukunftsgerechten Reform Genüge zu tun, müßte man nach unserer Auffassung ganz anders vorgehen - ich nenne drei wichtige Punkte - :
In einem ersten Schritt müßten die im Osten erreichten eigenständigen Rentenansprüche der Frauen erhalten und das vorhandene Mindestsicherungssystem befristet weitergeführt werden.
({44})
In einem zweiten Schritt müßte eine Soziale Grundsicherung eingeführt werden, in die dann die Sozialzuschläge der neuen Bundesländer überführt werden können.
({45})
Schließlich müßte in einem dritten Schritt die 1985 versäumte Reform der Alterssicherung der Frau in Gang gesetzt und dafür gesorgt werden, daß im Westen gleichgezogen wird.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß der Entwurf des RentenÜberleitungsgesetzes letztlich nur im Konsens Gesetzeskraft erlangen kann. Das heißt, daß Extrempositionen in der einen wie in der anderen Richtung keine Chance auf Durchsetzung haben werden. Daß der Entwurf des Renten-Überleitungsgesetzes in der vorliegenden Fassung ohne nennenswerte Korrekturen verabschiedet werden kann, ist jedenfalls seit der vernichtenden CDU-Wahlniederlage am vergangenen Samstag nicht mehr wahrscheinlich.
({46})
- Sie haben Samstag und Sonntag verloren; Samstag sozusagen im Vorfeld und Sonntag dann auch noch amtlich.
Die SPD-Fraktion hat zwar sehr grundsätzliche Bedenken gegen den Entwurf, aber positive Perspektiven könnten sich z. B. eröffnen, wenn es bei der Frage der Sozialzuschläge, beim Bestandsschutz für die nach altem Recht erworbenen Rentenanwartschaften und bei den Bestimmungen über die Fortgeltung und Änderung des Fremdrentengesetzes Bewegung gäbe. Außerdem sollte die Bundesregierung ernsthaft prüfen, ob - unabhängig von Kontroversen über den Inhalt des Gesetzes - das Inkrafttreten vom 1. Januar 1992 auf den 1. Januar 1993 verschoben werden könnte.
({47})
Verbesserungen bei den Witwenrenten und die Einführung der flexiblen Altersgrenze könnten nicht erst zum 1. Januar 1992, Herr Louven, sondern - wenn der politische Wille vorhanden ist - sogar schon zum 1. Juli 1991 vorgeschaltet werden. Ich biete die Inkraftsetzung dieser beiden Punkte, Verbesserung bei den Witwenrenten und Senkung der Altersgrenzen im Osten Deutschlands, zum 1. Juli 1991 ausdrücklich an. Wir wollen einmal sehen, ob Sie bereit sind, diese konstruktiven Vorschläge zu übernehmen.
Unter diesen Bedingungen, meine Damen und Herren, hätten die Rentenversicherungsträger erheblich mehr Zeit zur Vorbereitung. Dann könnte man auch auf die geradezu absurde Vorschrift verzichten, die den Rentenversicherungsträgern aus verwaltungstechnischen Gründen eine falsche Rentenberechnung ausdrücklich erlaubt und die Betroffenen mit der Möglichkeit der späteren Überprüfung und Nachzahlung vertröstet.
Schlußbemerkung: Wenn die Angleichung der Rentensysteme in Ost und West gelingen soll, dann bedarf es dazu größerer Flexibilität, mehr Rücksicht auf die
Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern und größeren Respekts vor Vertrauenstatbeständen, als die Bundesregierung bisher gezeigt hat.
Wir können nur hoffen, daß die Einsichten, die wir bislang vermissen mußten, bei der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsparteien noch heranreifen werden und die Bundesregierung ausdrücklich darauf verzichtet, politisch zu pokern, sondern sich unserer begründeten Auffassung anschließt, ein Renten-Überleitungsgesetz zu schaffen, das den Menschen und nicht irgendwelchen Ideologien dient.
Ich danke Ihnen.
({48})
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einer guten Nachricht für die SPD wie auch für mich und viele Kollegen aus meiner Fraktion beginnen: Herr Kollege Dreßler, in verschiedenen Punkten Ihrer Rede kann ich Ihnen durchaus folgen. Aber ({0})
jetzt kommt die schlechte Nachricht - ich habe in meiner Fraktion bisher noch nicht - und ich hoffe, daß das auch so bleibt - westdeutsche Überheblichkeit erfahren. Herr Kollege Dreßler, aber in einigen Passagen Ihrer Rede haben Sie mir gezeigt, was westdeutsche Überheblichkeit ist.
({1})
Sie sprechen von einem mutigen Schritt in die Zukunft im Zusammenhang mit diesem hier zu diskutierenden Renten-Überleitungsgesetz. Ich glaube, diesen mutigen Schritt tun wir. Ich bin überzeugt davon, denn wir aus den ostdeutschen Bundesländern in unserer Fraktion haben massiv mitgewirkt und auch gleichberechtigt mitgewirkt. Bei Ihnen, Herr Kollege Dreßler, habe ich auf Grund Ihres Auftrittes die Befürchtung, daß uns das in diesem Falle teilweise nicht so möglich gewesen wäre.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Konsolidierung der staatlichen, also der äußeren Einheit Deutschlands war trotz all ihrer Riesenprobleme, die sie für die Bundesrepublik und für die damalige DDR mit sich brachte, man könnte fast sagen: ein Kinderspiel, ein Klacks im Vergleich zur Herstellung der inneren Einheit und damit zur Schaffung und Festigung einheitlicher Lebensverhältnisse in unserem Land. Diese Aussage trifft insbesondere - und hier glaube ich, das ist die Meinung aller - auf das hier eingebrachte Renten-Überleitungsgesetz zu. Dabei ist wohl unumstritten, daß die Sicherung vergleichbarer Lebensverhältnisse zunächst konkret bei denen beginnen muß, die auf Grund ihres Alters und der zurückgelegten Arbeit ihren Lebensabend in Würde und annehmbarem Wohlstand, wie ich an dieser
Stelle schon einmal formulierte, verbringen können und sollen.
({3})
Ich sage das deshalb so deutlich, weil ich damit auch zeigen möchte: Das ist der Anspruch, den wir erheben. Hinsichtlich der unterschiedlichen Entwicklungen im Rentenrecht lassen sich die bei der Angleichung auftretenden Probleme natürlich nicht leugnen. Deshalb und gerade deshalb wollen wir auch nicht - wie hier schon erwähnt -nach der sogenannten Rosinentheorie im Zuge der Überleitung verfahren. Wir können es nicht.
Mit der unveränderten Übernahme des Regierungsentwurfes durch die Koalitionsfraktionen und der heutigen Einbringung wird von uns das Ziel verfolgt, das parlamentarische Verfahren gerade im Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern zu beschleunigen. Nachdrücklich verweise ich jedoch darauf, daß nicht jeder Punkt, nicht jede Formulierung unsere ungeteilte Zustimmung findet und wir damit offen sind für jede Verbesserung, wenn diese sich in das beitrags- und leistungsbezogene Rentenversicherungssystem adäquat einfügt und auch langfristig finanzierbar ist. Das sollte jeder Kritiker bedenken.
Ich warne auch nachdrücklich vor Versuchen, diese notwendige Überleitung als Aufhänger für Veränderungen im Rentensystem jetzt nutzen zu wollen. Dies kann niemandem nützen; denn gerade die Rentenversicherungsträger haben immer wieder betont, wie dringend notwendig eine rasche Verabschiedung dieses Gesetzes - natürlich nach gründlicher und ausgiebiger, aber auch sachlicher Beratung - ist.
Wenn wir heute diesen Entwurf nicht nur einbringen, sondern natürlich auch kritisch beleuchten, so sollten wir unbedingt noch einmal kurz betrachten, wie sich das DDR-Rentenrecht darstellte: niedrige, statische Renten, die nicht der Lohnentwicklung angepaßt waren und in unregelmäßigen Abständen auf Jubelparteitagen von senilen Greisen beifallheischend um ein paar Mark angehoben wurden. Ältere Rentenbezieher kamen bei diesem Verfahren oft zu kurz. Gleiches galt insbesondere für Witwen. Das System zur Rentenberechnung in der früheren DDR entsprach in seiner Struktur weitgehend dem bundesdeutschen Recht von vor 1957, einem Standard, auf den wohl kaum jemand heute zurückkehren möchte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entwurf halten wir uns strikt an die Koalitionsvereinbarungen mit folgenden Zielen: einheitliches Rentenrecht in Deutschland mit weitgehenden, sozialverträglichen Übergangsregelungen für Bürger der neuen Bundesländer, Eingliederung der bisherigen Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die allgemeine Rentenversicherung, notwendige Änderung im Fremdrentenrecht sowie die finanzielle Einheit der Rentenversicherung, wie wir sie in der Arbeitslosenversicherung bereits praktiziert haben. Für den einzelnen - das sei besonders betont - wird sich positiv bemerkbar machen: die Zielgröße des Rentenniveaus von 70 % des bisherigen Nettoeinkommens nach 45 Arbeitsjahren, hohe Steigerungsraten entsprechend der Lohnentwicklung, wesentlich höhere
Hinterbliebenenrenten. Letzteres ist nicht unumstritten.
Gerade die hohen Steigerungsraten könnten manchen im westlichen Bundesgebiet neidisch machen. Vergessen Sie dabei aber bitte nicht, daß das derzeitige Niveau im Osten nur bei 46 % der westlichen Renten liegt. Nach der Erhöhung am 1. Juli werden es ca. 50,8 To sein. Der Nachholbedarf ist nicht zu leugnen. Es geht um den sozialen Frieden und die angemessene Absicherung der Renten im Osten. Neid ist dabei aber ein ebenso schlechter Ratgeber wie der Wunsch, vierzig Jahre sozialistischer Mißwirtschaft quasi über Nacht beseitigen zu wollen.
Wir Freien Demokraten haben immer darauf hingewiesen, daß wir in dieser für die Betroffenen nicht leichten Umbruchsituation bemüht sind, den Wechsel sozialverträglich zu gestalten, ohne unser Wirtschafts- und Sozialsystem zu überfordern oder gar zu gefährden.
({4})
Nicht nur die Regierungskoalition ist für die Finanzierung verantwortlich, das gesamte Haus trägt Verantwortung für die Finanzierbarkeit auch künftiger Renten. Vergessen Sie das bitte nicht. Konstruktive Mitarbeit ist angesagt, aber nicht das Schüren von Mißmut und Unsicherheit.
({5})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Regelungen des Gesetzentwurfes näher betrachten. Auf die positiven Aspekte wurde schon hingewiesen: daß für über 900 000 Witwenrenten Verbesserungen erfolgen, daß in etwa 150 000 Fallen erstmals Witwenrenten gezahlt werden können. Diese zusätzliche Rente neben der eigenständigen, oft niedrigen Rente halte ich für sinnvoll und notwendig. Denn trotz aller behaupteten Gleichbehandlung von Männern und Frauen lagen auch in der Ex-DDR die Frauenlöhne im Durchschnitt wesentlich niedriger als die ihrer männlichen Kollegen. Diese realen Verbesserungen sollten nicht kurzfristig zugunsten gegenwärtig nicht realisierbarer anderer Konzeptionen geopfert werden. Bei uns würde das niemand verstehen.
Positiv bewerte ich bei der derzeit schwierigen Arbeitsmarktsituation auch die Einführung vorgezogener Altersgrenzen, z. B. für Schwerbehinderte oder Arbeitslose. Gleichfalls sinnvoll ist die Neuregelung der DDR-Invalidenrenten und ihre Ersetzung durch die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten wie im bisherigen Bundesgebiet. Niemand darf allerdings verkennen, daß diese Regelung mittelfristig der Überarbeitung und Korrektur bedarf.
Auch die Vertrauensschutzregelungen für rentennahe Jahrgänge sind notwendig und sinnvoll. Aber man sollte auch bedenken, daß sich dann, wenn in den neuen Bundesländern das Rentenniveau West erreicht ist, keine neuen Ungleichbehandlungen ergeben dürfen.
Gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang auch auf das Thema Kindererziehungszeiten einzugehen. Für Geburten ab 1. Januar 1992 werden künftig drei Erziehungsjahre pro Kind anerkannt - eine sachgerechte und notwendige Regelung. Die Kindererziehungszeitenregelung führt jedoch, auch wenn sie ab 1992 ausgedehnt wird, nicht oder nur teilweise zu Rentenerhöhungen: wenn gleichzeitig eine Berufstätigkeit ausgeübt wird. Hier ist meines Erachtens ein Ansatzpunkt für weitere konstruktive Diskussionen, was besonders die Problematik einer eigenen Rentenbiographie von Frauen betrifft.
({6})
Deshalb fordern wir Liberale Regelungen, die auch einer berufstätigen Frau die volle Anrechnung der Kindererziehungszeit ermöglichen.
({7})
Ich habe an dieser Stelle schon einmal gesagt, daß ich Vater von vier Kindern bin. Meine Frau ist voll berufstätig. Ich weiß also, wovon ich spreche.
({8})
Ich würde mich freuen, wenn die Kollegin Frau Dr. Merkel in ihrer neuen Funktion erfolgreich dazu beitragen könnte, daß bestimmte Positionen in dieser Frage im Bundesarbeitsministerium überdacht und korrigiert werden.
({9})
Wir werden an diesem Thema dranbleiben, insbesondere - Sie sehen das - unsere Frauen.
Entscheidend für die Renten ist auch im Rahmen des Überleitungsgesetzes der Gesichtspunkt, wie lange und in welcher Höhe Beiträge gezahlt worden sind. Der Beitragszahlung an LVA oder BfA im bisherigen Bundesgebiet entsprechen die Zahlungen an die Überleitungsanstalt bzw. früher an die Sozialversicherungsanstalt der DDR in beiden Formen. Wer Beiträge gezahlt hat und damit Anwartschaften und Ansprüche gegenüber der Sozialversicherung in der früheren DDR begründet hat, der hat auch im Hinblick darauf das Erforderliche getan, daß diese Systeme - von der FZR bis zur Zusatzversorgung - in die Rentenversicherung überführt werden. Diese selbstverständlichen Grundsätze haben auch für die tatsächlichen oder angeblichen Funktionsnachfolger zu gelten.
Es kann nicht geleugnet werden, daß in den Fällen, in denen im bisherigen Bundesgebiet überwiegend Beamte tätig waren und die neuen Bundesländer künftig Beamte beschäftigen werden, für die Rentenversicherung Beitragszahler ausfallen. Allerdings muß bei denjenigen Institutionen, bei denen sich dieser Wanderungsverlust nicht ergibt, berücksichtigt werden, wer in welchem Umfang und an wen in der Vergangenheit gezahlt hat.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß die in Art. 3 § 14 Abs. 2 getroffene Regelung hinsichtlich der Mitarbeiter der ehemaligen Bauernpartei zusätzliche Probleme aufwirft.
Ich habe hiermit schon das schwierige Thema der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme angesprochen. Es darf nicht vergessen werden, daß zusätzliche Versorgung in einigen Fällen einen Ausgleich für niedrige Entgelte während der Phase der aktiven Berufstätigkeit bildete - als Lehrer in der Ex-DDR weiß
ich, wie das lief - und daß es zum anderen in einer Reihe von Fällen ausgeschlossen oder für den einzelnen ökonomisch unvernünftig war, nebenbei noch Beiträge an die freiwillige Zusatzrentenversicherung zu zahlen.
Wenn in dem Entwurf Ansprüche und Anwartschaften - mit Ausnahme des Stasi-Sondersystems - auf den Durchschnittsverdienst begrenzt werden, mag das in den Bereichen, die sich durch besondere Staatsoder Systemnähe ausgezeichnet haben, noch vertretbar sein. Sicherlich kann das im Einzelfall auch ungerecht sein. Ich sehe zum Beispiel nicht ein, daß Techniker, Ingenieure, Ärzte oder Lehrer, die nicht Aktivisten dieses Systems waren und die nicht den Weg in den Westen gesucht haben, dafür auch im Verhältnis zu Übersiedlern noch indirekt bestraft werden sollen.
({10})
Ich kann nur eindringlich raten, rasch eine differenzierte Regelung zu verabschieden, die den Realitäten in der Ex-DDR entspricht, wenn wir nicht zusätzlich sozialen Sprengstoff, zum Beispiel auch bei Hinterbliebenen, schaffen wollen.
({11})
Im Hinblick auf die Erfahrungen und die damit verbundenen Meinungen bei den Bürgern der neuen Bundesländer erscheint mir die Tatsache als außerderordentlich wichtig, daß bei Angehörigen des Sonderversorgungssystems Staatssicherheit die Rente deutlich unter den Durchschnittsrenten liegen wird. Gerade, wenn es sich um Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit handelt, wäre es für die Rentner in der Ex-DDR unverständlich, wenn zum Beispiel ihre ehemaligen Peiniger über wesentlich höhere Renten verfügen würden als diejenigen, die in diesem Staat für diese Funktionärsclique arbeiten mußten.
({12})
Was den Sozialzuschlag betrifft, so möchte ich daran erinnern, daß es sich hierbei um eine pauschalierte Sozialhilfe ohne Bedürftigkeitsprüfung handelt, die in einem beitrags- und leistungsbezogenen Rentensystem grundsätzlich einen Fremdkörper bildet und die nur wegen der besonderen Anlaufschwierigkeiten bei der Sozialhilfe in den neuen Bundesländern gerechtfertigt war.
({13})
Es wäre meines Erachtens ein falscher Schritt, diese Regelung jetzt zu dynamisieren oder gar unbegrenzt fortzuführen.
({14}) Gut, Sie' haben gesagt: befristet.
Wer dies will, wer unter Umständen sogar für die Ausdehnung auf das bisherige Bundesgebiet plädiert, muß sich auch darüber im klaren sein, daß eine solche zusätzliche Leistung als zusätzliche Altersleistung in
andere EG-Staaten exportiert werden müßte und uns dies teuer zu stehen käme.
({15})
Abschließend noch einige Bemerkungen zum Fremdrentenrecht. Man könnte jetzt, lange nach Kriegsende, an ein kurzfristiges Auslaufen des Fremdrentenrechts denken. Dabei muß man aber berücksichtigen, daß solche Überlegungen unter Umständen eine Völkerwanderung in Marsch setzen könnten, die an die Dimension der ersten Nachkriegsjahre erinnern und die sozialen Probleme im Bundesgebiet noch verschärfen würde. Deshalb erarbeiten wir jetzt ein längerfristiges Konzept hinsichtlich der Behandlung aller Kriegsfolgelasten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei einem solch gewaltigen Vorhaben wie der Eingliederung des früheren DDR-Rentenrechts in das der bisherigen Bundesrepublik kann und wird es leider zunächst keine optimale Regelung geben, die immer die Einzelfallgerechtigkeit und Finanzierbarkeit im Rahmen des Systems gewährleistet. Deshalb ist es gut, wenn der Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsspielraum hat, den er nun ausnutzen muß.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch eines feststellen: Als Bürger aus einem der neuen Bundesländer empfinde ich Genugtuung darüber, daß diese Vorlage jetzt, nach 40jähriger Ex-DDR-Unterbrechung, eine kontinuierliche Weiterführung der 100jährigen Sozialgesetzgebungspraxis in Deutschland ist. Bei allen dabei auftretenden Problemen sollten wir diese Fragen gemeinsam optimistisch angehen und gegenwärtig noch existierende Kanten und Ecken auch in der Perspektive abschleifen. Lassen Sie uns diese Arbeit heute im Geiste konstruktiver Zusammenarbeit beginnen.
Ich bedanke mich.
({16})
Bevor ich der Abgeordneten Frau Bläss das Wort erteile, sehe ich mich gezwungen, dem Abgeordneten Louven einen Ordnungsruf zu erteilen. Bei allem Verständnis für die Hitzigkeit der Debatte, können Sie den Kollegen Dreßler nicht als unverschämten Lümmel bezeichnen, Herr Kollege Louven.
({0})
Frau Abgeordnete Bläss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Widersinn, daß bei einem solch wichtigen Anliegen wie der Alterssicherung der Inhalt des dazu verfaßten umfangreichen Gesetzes nicht hergibt, was der Titel verspricht. Lassen Sie mich hier kurz anmerken, daß dieser Papierstapel den beiden Abgeordnetengruppen erst Ende vergangener Woche zugekommen ist und es für mich schon insofern ein Problem gewesen ist, weil die Lek1622
türe dieser Paragraphenverklausulierungen wirklich kein Prosagenuß nur für eine Nacht ist.
Obwohl das Werk „Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung" heißt, haben wir es mit einem Gesetz zu tun, das wie kein zweites in der Geschichte der deutschen Sozialgesetzgebung die Rechtstaatlichkeit verletzt. Ich will das verdeutlichen.
Erstens. Der Einigungsvertrag wird bewußt unterlaufen.
Zweitens. Der Gleichheitsgrundsatz nach dem Grundgesetz ist nicht eingehalten worden.
Drittens. Mit Hilfe dieses Sozialgesetzes werden Menschen verurteilt und kriminalisiert.
Der Bruch des Einigungsvertrags allein ist schon eine eklatante Rechtsverletzung. Dort sind nämlich die Wahrung aller Renten und Versorgungen, die zum 3. Oktober 1990 bestanden bzw. bis zum 30. Juni 1995 entstehen, und deren Dynamisierung entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung festgelegt.
Mit dem vorliegenden Gesetz wird diese Festlegung nicht nur nicht eingehalten, sondern auf den Kopf gestellt. Mit dem geplanten Überleitungsgesetz werden wenige gewinnen, aber viele verlieren.
({0})
Zu den Verliererinnen zählen vor allem - Kollege Dreßler hat darauf aufmerksam gemacht - die Frauen, auch wenn deren rentenrechtliche Besserstellung in der ehemaligen DDR nur noch für eine Übergangszeit beibehalten werden soll.
({1})
Worin bestanden diese Positivregelungen für Frauen in der DDR? Ich möchte sie einmal kurz anführen: Rentenerhöhend wirkten sich zum einen die Zurechnungszeiten für die Geburt von Kindern, d. h. ein Jahr pro Kind - bei drei und mehr Kindern waren es drei Jahre je Kind - , aus.
({2})
Wohlgemerkt, allein für die Geburt der Kinder wurden zusätzlich zu dem versicherungsrechtlich gezählten Babyjahr und natürlich den geleisteten Arbeitsjahren Jahre zugerechnet. Zum anderen erhielten Frauen auch Zurechnungszeiten bis zu fünf Jahren zum Ausgleich für den früheren Rentenbeginn mit 60 Jahren. Sie wurden also so gestellt, als hätten sie wie Männer bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet.
Dies alles waren Leistungen, die der Mehrfachbelastung von Frauen Rechnung trugen und sie in der Frage des Rentenanspruchs mit den Männern gleichstellten. Entscheidend für die Frauen in der DDR war und ist, daß sie im Normalfall auf viele Jahre Berufstätigkeit mit vielen Versicherungszeiten zurückblikken können. Dies wird erst in ein paar Jahren deutlich werden, nämlich dann, wenn die katastrophale Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern mit
ihren unübersehbaren Folgen für die Mehrheit der Frauen bei der Rentenberechnung negativ zu Buche schlagen wird.
({3})
Langzeitarbeitslosigkeit bzw. der mehr oder weniger freiwillige Rückzug in die Familie werden für viele Frauen die Existenzsicherung im Alter erheblich gefährden. Hinzu kommt, daß nach bundesdeutschem Recht Kindererziehungszeiten nur an Stelle von Versicherungszeiten aus Erwerbstätigkeit angerechnet werden - und das auch nicht vollwertig - , Ausbildungszeiten, Zeiten von Krankheit und Arbeitslosigkeit nur zu 75 % bis 80 %, Zeiten der Pflege von Angehörigen - im übrigen meist auch eine Aufgabe von Frauen - nicht mehr als Beschäftigungszeiten angerechnet werden, Zurechnungszeiten für Invalidenrentnerinnen und -rentner gekürzt werden und - dies ist besonders entscheidend - das hiesige Recht keine Mindestrente kennt, die es in der DDR auch für Menschen mit Behinderungen gab, die niemals einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnten.
({4})
Das Fehlen einer Mindestrente bedeutet für Hunderttausende soziale Demütigung und ein Abrutschen in die Sozialhilfe. Die Kürzung der Versichertenrente der Frauen mit der Verbesserung der Witwenrente aufzurechnen, halten wir für makaber, zugleich aber für bezeichnend, was die politische Dimension dieses Vorganges betrifft.
({5})
Ich kann mich in meiner Kritik nur voll und ganz dem Kollegen Dreßler anschließen: In letzter Konsequenz heißt das, daß man die Frauen als eigenständige Personen mit unabhängigem Berufsleben und dem Anspruch auf eigene Altersversorgung ignoriert und sie lediglich als Anhängsel ihrer zum Unterhalt verpflichteten Männer bzw. als Witwen ernst nimmt.
({6})
- Ich habe gesagt, daß ich Herrn Dreßler hier zitiere!
Die weitere beabsichtigte Nichteinhaltung des Einigungsvertrags bezüglich der Überleitungsmaßgaben für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme führt zur Verletzung des grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatzes und zur Willkür. Alle Zusatz- und Sonderversorgungssysteme sollen - Zitat - vorläufig auf 1 500 DM bzw. 600 DM reduziert und danach gesondert behandelt werden, indem für wissenschaftliche, medizinische, pädagogische und künstlerische Intelligenz, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Parteien und Massenorganisationen nur ein DDR-durchschnittlicher Höchstverdienst in die Rentenformel eingeht, der bezeichnenderweise 1971 monatlich gerade bei 600 Mark gelegen haben soll, bei Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit
gar nur bei 394 Mark, wohlgemerkt 1971, also in dem Jahr, in dem jedem Bürger und jeder Bürgerin die Möglichkeit der freiwilligen zusätzlichen Versicherung der Einkünfte über 600 Mark eröffnet wurde.
Die Bürgerinnen und Bürger mit Zusatz- und Sonderversorgungssystemen werden nicht nur pauschal als „ungerechtfertigt privilegiert" verurteilt, sondern sie werden auch für Dinge haftbar gemacht, die sie nicht selbst entscheiden konnten. Der bzw. die einzelne, ob Arzt, Wissenschaftlerin, Zollbeamter oder Sängerin, hatte nicht die Möglichkeit, dieses oder jenes Versorgungssystem zu wählen. Er oder sie wurde zugeordnet und durfte bis auf wenige Ausnahmen fleißig Beiträge zahlen, die oft über diejenigen der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung hinausgingen, und das schon seit 1952.
Aber nicht einmal die Sozialversicherung und die freiwillige Zusatzrentenversicherung haben in diesem Gesetz Vertrauensschutz. § 2 Abs. 3 des Gesetzes zur Kürzung und Aberkennung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, ein Bestandteil des vorliegenden Papierberges, legt fest - ich zitiere - :
Die Aberkennung oder Kürzung kann sich auch auf Ansprüche oder Anwartschaften in der Rentenversicherung und der freiwilligen Zusatzrentenversicherung des Beitrittsgebietes aus Krankenversicherungszeiten zwischen dem 7. Oktober 1949 und dem 30. Juni 1990 beziehen.
Das Aberkennen und Kürzen von Rentenansprüchen soll einer Kommission übertragen werden. Diese, berufen von der Bundesregierung, soll aus je einem Vertreter der neuen Bundesländer und ausgewählter Ministerien bestehen. Sie erhält die Vollmacht, über die Rentenanwartschaften ganzer Personengruppen zu entscheiden. Die Kriterien dafür dürften ebenso willkürlich sein wie die Begrenzung der Jahresdurchschnittseinkommen. Entscheidend ist, daß diese Kommission über einen Zeitraum von vier Jahren inquisitorisch und - je nach ihrem Urteil - Renten kürzen, aberkennen und begrenzen kann. Über 1 Million Menschen wird so befunden. Verunsicherung und Existenzangst für Hunderttausende sind die Folge dieser Maßnahmen.
Die PDS/Linke Liste verurteilt die Beliebigkeit und Rechtswillkür der heute zur Debatte stehenden gesetzlichen Regelungen.
({7})
Sie ist solidarisch mit jenen, die ihre verbrieften Rechte entsprechend dem Gleichheitsgrundsatz einfordern. Wir fordern, daß die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf zurückzieht und daß eine paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe aus allen hier im Bundestag vertretenen Parteien und Bewegungen gebildet wird,
({8})
die den Auftrag hat, ein Rentengesetz vorzulegen, das folgende Grundsätze berücksichtigt: rechtsstaatliche Behandlung aller Rentenansprüche einschließlich der mit politischer Brisanz, Anerkennung eines selbstbestimmten Frauenlebens auch im Alter,
({9})
Einbau einer sozialen Mindestsicherung, denn nur so wird ein menschenwürdiges Leben auch im Alter garantiert.
Danke.
({10})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierung präsentiert uns heute ein Gesetz, mit dem - so Herr Blüm - „die sozial- und rentenpolitische Wiedervereinigung" vollzogen werden soll. Suggeriert wird dabei, es handle sich um die „rententechnische Umsetzung der Einheit" . Die Regierung spricht von „Rentenüberleitung", und wie so oft muß die Begrifflichkeit erst übersetzt werden, damit die Menschen verstehen, was gemeint ist.
Zukünftig sollen die Renten in Ost und West nach einheitlichen Prinzipien bemessen werden, d. h. nach den Prinzipien der westlichen Rentenlogik, was eine völlige Umkrempelung des Rentensystems der DDR zur Folge hat. Nicht nur die zukünftigen Rentenneuzugänge, sondern auch die Bestandsrenten der heutigen Rentnerinnen und Rentner werden ab 1. Januar 1992 neu bewertet und berechnet.
Für viele Menschen in der ehemaligen DDR bedeutet das nicht nur eine Neubewertung schlechthin, sondern auch eine Entwertung ihrer gelebten Biographien und der von ihnen geleisteten Arbeit.
Die beiden Rentensysteme folgten einer unterschiedlichen Logik. Während das Rentensystem der ehemaligen DDR stärker am Prinzip der Bedarfsdekkung und der Mindestsicherung orientiert war, sind die Renten in der Bundesrepublik Deutschland fast ausschließlich beitrags- und lohnbezogen.
Es stellen sich nun zwei Fragen. Die erste Frage ist, warum das sinnvolle Prinzip der Mindestsicherung anläßlich der Vereinigung nicht übernommen wird. Man könnte ja wenigstens in dieser Hinsicht aus der Not eine Tugend machen. Die zweite Frage ist: Wie wirkt sich die Überleitung auf die Ostrenten aus?
Wenn die Regierung - in welchen Zusammenhängen auch immer - von „Vereinheitlichung" spricht, dann ist fast ausschließlich Angleichung an den Westen gemeint. Im Hinblick auf die Renten geht es bei dieser Angleichung zunächst nur um die strukturellen
Prinzipien, nicht um die nominelle Rentenhöhe, versteht sich. Es wird so getan, als ob eine Vergleichbarkeit von Biographien, die in unterschiedlichen Systemen gelebt wurden, herstellbar sei. Ich denke, daß das grundsätzlich nicht möglich ist. Entscheidend ist dabei vor allem, daß das neue sogenannte lohn- und beitragsbezogene Bewertungssystem vor allem in einem Punkt eine Umkehrung der bisherigen Bemessungslogik beinhaltet: die bestehenden Mindestsicherungselemente werden demnächst abgewertet, indem sie bei Rentenanpassungen nicht mit angehoben werden und künftig entfallen.
Noch einschneidender ist: Für Neuzugänge ab 1. Januar 1992 wird es den Sozialzuschlag, mit dem die östlichen Renten bislang auf ein Mindestniveau von 544 DM angehoben wurden, nicht mehr geben. Für Bestandsrenten wird dieser Zuschlag bei Rentenanpassungen - wie demnächst zum 1. Juli - nicht mit angehoben. Er wird so zur auslaufenden Übergangsregelung, die spätestens am 30. Juni 1995 durch Sozialhilfe ersetzt wird.
Ich verstehe immer nicht - ich stelle es auch mit einem gewissen Entsetzen fest - , daß es hier offensichtlich Menschen gibt, die immer noch nicht den ganz grundsätzlichen Unterschied begriffen haben, der zwischen einem Rechtsanspruch auf eine existenzsichernde Mindestrente auf der einen Seite und der Gewährung von Sozialhilfe - noch dazu mit einem erheblichen Ermessensspielraum - auf der anderen Seite besteht.
({0})
Diese völlig unterschiedliche psychische Situation der Menschen in diesen beiden Fällen kommt diesen Leuten offensichtlich überhaupt nicht ins Blickfeld. Das ist eine traurige Tatsache.
Tausende und aber Tausende werden also künftig aufs Sozialamt geschickt werden, wo sie dann nach vielen Arbeitsjahren zu Bittstellerinnen und Bittstellern degradiert werden. Die Überführung in die Sozialhilfe beginnt für viele aber auch schon früher, indem nämlich ab 1. Januar 1992 die Ehegattensubsidiarität eingeführt wird. Wie in der Sozialhilfe wird dann das Einkommen des jeweiligen Ehepartners oder der jeweiligen Ehepartnerin berücksichtigt. Übersteigt dieses Einkommen monatlich 440 DM, so wird es auf den Sozialzuschlag angerechnet.
Mit der Mindestrente wird also ein strukturelles Element aufgegeben, das eine Grundlage dafür hätte sein können, Altersarmut zu verhindern. Altersarmut ist, wie die Erfahrung in den alten Bundesländern zeigt, ein strukturelles Problem des hauptsächlich lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts. Mit der Beseitigung der Mindestrente fällt die Garantie einer eigenständigen Alterssicherung, was natürlich besonders Frauen trifft. Das ist ein ganz grundlegender Aspekt, auf den ich kurz eingehen möchte.
Die lohn- und beitragsbezogene Rentenformel, mit der die Ostrente in Zukunft berechnet wird, benachteiligt Renten aus niedrigen Einkommen und solche mit kürzeren Versicherungszeiten. Das waren auch in der ehemaligen DDR die Frauenrenten, da Frauen in der Regel ca. 20 % weniger verdienten als Männer
und zumindest ältere Frauen auch dort längere Unterbrechungszeiten hatten. Beides wurde jedoch in der DDR stärker ausgeglichen, als es zukünftig der Fall sein wird: die niedrigen Einkommen durch die nach Arbeitsjahren gestaffelten Festbeträge, die Unterbrechungszeiten durch eine wesentlich großzügigere Anrechnung der Kindererziehungszeiten und Zurechnungszeiten. Auf diese Weise kam eine Frau, die nach 40 Erwerbsjahren mit 60 Jahren in Rente ging, auf die gleiche Anzahl von anrechnungsfähigen Jahren wie ein Mann, der nach 45 Arbeitsjahren mit 65 Jahren in Rente ging.
Zeiten der Kindererziehung wurden im DDR-Rentenrecht bislang mehrfach honoriert. Zum einen wurden die Zeiten der Freistellung in der Kleinkindphase als reguläre Beschäftigungszeiten verbucht. Zum anderen wurden für Kindererziehung zusätzliche Zurechnungszeiten angerechnet, d. h. auf diese Weise konnten Frauen die Anwartschaftszeiten für den Rentenbezug leichter erfüllen.
Noch ein Drittes: Kindererziehung allein löste bei Frauen mit fünf und mehr Kindern einen Mindestrentenanspruch aus, der zwar mit 330 Mark nicht üppig bemessen war, aber der Mindestrente nach 15jähriger Erwerbstätigkeit entsprach und - was noch viel wichtiger ist - unter DDR-Verhältnissen existenzsichernd war.
All diese Regelungen entfallen nun mit der Überleitung. An ihre Stelle tritt für die heutigen Rentnerinnen nur die Anerkennung eines Erziehungsjahres pro Kind, bei der zudem die Frauen leer ausgehen, die im ersten Lebensjahr des Kindes erwerbstätig waren. Für Kinder, die ab 1992 geboren werden, werden dann immerhin drei Jahre pro Kind mit ins Kalkül gezogen. Hier hat sich also schon etwas bewegt.
Frauen werden also bei der Neubewertung der Rente mit erheblichen Einbußen zu rechnen haben. Herr Dreßler hat das hier vorexerziert. Ich muß das nicht noch einmal sagen.
Noch ein letzter Aspekt. Die neue Rentenlogik trifft nun zusammen mit der erheblichen Verschlechterung der allgemeinen Verhältnisse im Gebiet der ehemaligen DDR. Während bislang die Frauen zu einem sehr hohen Prozentsatz erwerbstätig waren, wird das künftig nicht mehr der Fall sein. Im Zuge der hohen und weiterhin ansteigenden Massenerwerbslosigkeit in den östlichen Bundesländern sind es - das ist Ihnen ja bekannt - vor allem die Frauen, die aus dem Erwerbsleben hinausgedrängt werden. Es kursieren ja schon Zahlen, daß man 25 % Erwerbsbeteiligung von Frauen für die Zukunft sozusagen als normativen Richtwert anzusehen habe.
Bezeichnenderweise wird den Frauen nun ausgerechnet in dieser Situation mit dem neuen Überleitungsgesetz eine Ausweitung der abgeleiteten Witwenrente angeboten. Ich denke, das paßt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Statt auf die eigenständige Alterssicherung - wie bislang - sollen sich zukünftig auch die Ostfrauen verstärkt auf die vom Mann abgeleitete Rente verlassen. Das Witwenrentenrecht der DDR war restriktiver; das stimmt. Zukünftig werden nun mehr Frauen in den Genuß einer solchen Rente oder einer Erhöhung dieser Rente komChristina Schenk
men. Die vom Mann abgeleitete Witwenrente hat jedoch nichts mit der Lebensleistung der Frauen zu tun. Sie richtet sich allein nach dem Einkommen des verstorbenen Ehepartners. Damit wird also nicht die immer noch überwiegend von Frauen abgeforderte unbezahlte Arbeit honoriert, sondern allein der Tatbestand ist ausschlaggebend, ob die Frau mit einem gut oder weniger gut bezahlten Mann verheiratet war. Die individuelle weibliche Biographie ist ohne Bedeutung und wird in diesem System einfach nicht zur Kenntnis genommen. Anstatt mittels einer eigenständigen sozialen Sicherung weibliche Altersarmut zu verhindern, wird hier also ein Wesenselement des Patriarchats - ein alter Zopf - auf die ehemalige DDR übertragen. Frauen sollen nun also auch hier ihre emanzipatorischen Ansprüche für ein Linsengericht abgeben. Die Chance für eine auch im Westen insgesamt überfällige Reform wurde vertan.
Insgesamt - damit komme ich zum Schluß - beweist auch die neue Rentenregelung, daß die Ignoranz gegenüber den Lebensverhältnissen, die in der ehemaligen DDR bestanden haben, ein ganz elementares Charakteristikum der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung ist.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit ein paar Vorbemerkungen beginnen. Ich konnte die Beschimpfungen, die der Abgeordnete Dreßler diesem Gesetzentwurf entgegengebracht hat, gar nicht alle mitschreiben: patriarchalisch, reaktionär. - Ich stelle fest, daß das, was wir jetzt überleiten, das Rentenrecht aus dem gemeinsamen Rentenkonsens 1989 ist. Der Abgeordnete Dreßler beschimpft also sein eigenes Werk.
({0})
Ein Selbsttor nach dem anderen! Das, was für ganz Deutschland gemeinsames Rentenrecht werden sollte, ist das Rentenrecht, das wir mit den Stimmen der SPD am 9. November 1989 beschlossen haben.
({1})
Es wurde 1989 gemeinsam - Gott sei Dank, sage ich - im Rentenkonsens beschlossen.
Wenn der Kollege Dreßler auf das gute Vorbild dieses Rentenkonsenses, zu dem ich mich ausdrücklich bekenne, und auch auf die langwierigen und schwierigen Vorbereitungen, die sich über Jahre erstreckt haben, hinweist, dann hoffe ich, daß er den Bürgern in der ehemaligen DDR nicht eine jahrelange Diskussion über ein neues Rentenkonzept zumutet. Die wollen ihre Verbesserungen jetzt. Die sind 40 Jahre lang vom SED-Staat betrogen worden. Die können keine langwierige, kunstvolle Rentendiskussion ertragen. Die wollen jetzt unser Rentenrecht.
Ich bin immer dafür - wer wollte das nicht? - , daß dieses Rentenrecht solide weiterentwickelt wird. Wir
sind doch keine Dogmatiker. Jetzt geht es aber darum, dieses Rentenrecht auch für die neuen Bundesländer möglichst schnell zum Zuge kommen zu lassen.
Selbst dann, Herr Kollege Dreßler, wenn einmal mit Vorschuß gearbeitet werden muß, dann ist es immer noch besser, einen Vorschuß zu bekommen als nur das alte DDR-Recht. Wenn es einen Vorschuß geben muß, dann zeigt dies, daß es besser werden muß; denn sonst würde es ja keinen Vorschuß geben. Ich kann also nur sagen: Es kann nur Dogmatik sein, sich hinter den Schwierigkeiten der Rentenversicherungsträger zu verstecken; die gibt es. Wir nehmen die Herausforderungen aber an, notfalls arbeiten wir mit Vorschuß.
({2})
Von wegen keine Möglichkeit für die Bürger in der ehemaligen DDR, hier mitzuarbeiten! Wir folgen mit dem, was wir heute beschließen, also erstens der Sozialunion und zweitens dem Einigungsvertrag. Dies beides sind Vertragswerke, an denen zwei Seiten beteiligt waren. Wir folgen nichts anderem als dem, was auch der Wille der DDR-Regierung in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag war.
({3})
- Dem hat auch die SPD zugestimmt.
Jetzt wird immer wieder gesagt, wir würden alles plattmachen - das ist ja ein beliebtes Wort - , niederwalzen und runtermachen. Das ist Ihr ganzer Sprachgebrauch. Das, was der Kollege Dreßler als „ plattwalzen " und „runtermachen" bezeichnet hat, kostet 10 Milliarden DM mehr. Was soll denn da plattgemacht werden, wenn es 10 Milliarden DM mehr kostet? Nachdem er sich darüber aufgeregt hatte, regte er sich darüber auf, daß es die Rentenversicherung 10 Milliarden DM mehr kostet. Er verweigert die Solidarität, die er vorher von uns verlangt hat.
({4})
Schizophrener geht es nicht mehr. Ich kann mich gar nicht so schnell drehen. Erst sagt er, es werde runtergemacht. Dann muß es offensichtlich billiger werden. Dann beschwert er sich über 10 Milliarden DM. Dann fordert er Solidarität an. Und dann lehnt er den Finanzverbund ab. Können Sie es noch schneller? Die Linie eines Slalomläufers ist im Vergleich zu dem, was hier vorgeführt worden ist, gerade.
({5})
Frauenfeindschaft! Erstens stelle ich fest, und zwar auch gegenüber allen Reden, die hier gehalten worden sind; ich hoffe, daß sich das weiter herumspricht, denn es steht im Widerspruch zu dem, was hier gesagt worden ist: Keine einzige Rente - keine Frauenrente, keine Männerrente - wird aus Anlaß dieses Überleitungsgesetzes gekürzt. Wir haben Vertrauensschutz, und zwar - ({6})
- Ja, es ist doch behauptet worden, daß gekürzt werde.
Der Vertrauensschutz geht sogar über das hinaus, was im Einigungsvertrag festgelegt worden ist. Im Einigungsvertrag ist ein Vertrauensschutz für die Renten bis zum 30. Juni 1990 festgelegt; das war das Datum. Wir verlängern diesen Vertrauensschutz jetzt bis zum 31. Dezember 1991. Keine Rente wird so in das neue Recht übergeleitet, daß ein geringerer Zahlbetrag herauskommt.
({7})
Herr Dreßler beklagt einen Auffüllbetrag von 7 Milliarden DM. Ja, dieser kommt doch nur zustande, weil wir einen Besitzschutz, einen Vertrauensschutz festlegen. Wie kann er einerseits erklären, es werde massiv gekürzt, und sich andererseits dann wieder ganz energisch gegen einen Auffüllbetrag von 7 Milliarden DM aussprechen? Das ist doch die Konsequenz des Vertrauensschutzes. Man kann ja nicht auf zwei Spielfeldern gleichzeitig kämpfen.
({8})
- Ich rede nicht haarscharf an der Sache vorbei, sondern ich versuche nur, im Nebel Ihrer Beschimpfungen wenigstens noch ein paar Punkte zu finden, die etwas mit Logik zu tun haben. Ich finde sie aber leider nicht.
({9})
Also laßt mal den ganzen Dampf weg.
Das Folgende ist wichtig: Am 1. Januar 1992 wird es in Deutschland eine Rentenversicherung geben und nicht zwei; es wird in Deutschland ein Rentenrecht geben und nicht zwei und es wird in Deutschland eine Rentenkasse und nicht zwei geben. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Sozialstaat Deutschland. Dieser kann gar nicht schnell genug kommen.
({10})
Das, was in der DDR in bezug auf Frauen - ich nenne z. B. Kindererziehungszeiten - angeblich besser war, das war besser auf niedrigerem Niveau. Selbst eine Frau mit fünf Kindern und 15 Beitragsjahren hatte in der DDR eine Rente von nur 470 Mark, und zwar trotz der angeblich großen Frauenvorteile. Diese Frau hat nach Herstellung der Lohngleichheit mit der angeblichen Kürzung und Frauenfeindschaft 750 DM. Sagen Sie doch einmal, was mehr ist: 470 DM oder 750 DM? Das lernt man im Rechenunterricht des ersten Schuljahres.
({11})
Selbst diese angeblich besseren Regelungen waren bessere Regelungen im Keller, so kann ich nur sagen.
Sie sagen, wie vorbildlich das System in Schweden und in England sei. Der liebe Gott, die CDU/CSU und - ich hoffe - auch die FDP mögen die deutschen Arbeitnehmer vor dem schwedischen Alterssicherungsrecht bewahren! Diese würden sich dafür bedanken.
({12})
Ich hoffe, daß Sie von der FDP mitmachen. Sie können natürlich auch Ihre hehren Leistungsgrundsätze verlassen und dann in den Fürsorgestaat umsteigen. Das kann man alles machen; nur, logisch ist es nicht.
Ich bleibe bei dem, was in zwölf Monaten für die Rentner in der ehemaligen DDR erreicht wurde. Dabei halte ich mich an Zahlen. Ich hoffe, daß die Mathematik nicht parteipolitische Unterschiede erzeugt, sondern daß die Mathematik ganz neutral ist.
({13})
Die Durchschnittsrente betrug am 30. Juni 1990, vor der Sozialunion, 493 DM, am 1. Juli 1990 bei Inkrafttreten der Sozialunion, 620 DM, am 1. Januar 1991 713 DM, und am 1. Juli 1991 werden es 820 DM sein. Liebe Mitbürger, auch in der ehemaligen DDR, so etwas gab es in der ganzen Nachkriegsgeschichte auch in Westdeutschland nicht: In einem Jahr, in zwölf Monaten, haben wir eine Rentensteigerung von 66 %. Das lassen wir uns auch von der SPD nicht madig machen. Das war eine Politik für die Rentner.
({14})
Jetzt sage ich, Gott sei Dank braucht sich niemand dafür zu bedanken. Die Rentner sind am längsten von der SED, vom Sozialismus und von Ihnen, von der PDS, benachteiligt worden. Und Sie wollen uns heute Vorschriften machen? Sie haben doch die Renten in den sozialpolitischen Keller gefahren!
({15})
Ich wiederhole : Die Renten werden um 66 % erhöht. Als wir begannen, gab es ein Verhältnis von Ostrenten zu Westrenten - jetzt einmal in Kurzfassung - von 30 : 100, nach der Sozialunion war es ein Verhältnis von 40 : 100, am 1. Januar 1991 eines von 46 : 100, am 1. Juli 1991 eines von 50 : 100. Innerhalb von zwölf Monaten haben wir von 30 % auf 50 % aufgeholt. Jetzt, liebe SPD und Herr Vogel, klatschen Sie doch einmal mit! Wir haben für die Rentner eine ungeheure Aufholjagd gemeinsam unternommen.
({16})
- Beifall für die Rentner; der Wahrheit die Ehre! Lieber Herr Vogel, geben Sie zu: Wir haben den Rentnern geholfen. Wir haben eine Aufholjagd für die Rentner - ich wiederhole - von 30 %, also aus dem Keller, auf 50 % unternommen.
({17})
Da laßt den Dreßler herumreden, und laßt ihn herumschimpfen. Wir haben den Rentnern in zwölf Monaten
eine Rentenerhöhung von 66 % verschafft. Darauf
können wir stolz sein. Das ist eine Politik für die Rentner.
({18})
- Ich bin nicht spitze. Spitze sein soll unser gemeinsamer Sozialstaat!
({19})
- Das ist kein Karneval. Für den Rentner macht es einen Unterschied, Frau Fuchs, ob er 493 DM oder 820 DM bekommt. Das ist der Unterschied innerhalb von 12 Monaten!
Im übrigen, verehrte Kollegin: 820 Mark sind in D-Mark etwas anderes als dieses alte Papiergeld der ehemaligen DDR. Wir haben für Rentner und Arbeitnehmer 1 : 1 umgestellt.
({20})
Eine D-Mark ist mehr wert als die alte Ostmark. Insofern ist der Wert der Steigerung noch größer, und zwar trotz aller Steigerungen der Lebenshaltungskosten. Es wird doch wohl niemand behaupten, die Lebenshaltungskosten seien um 66 % gestiegen. Das wird hoffentlich niemand behaupten wollen.
Aber lassen wir einmal die Zahlen weg. Mir kam es nur deshalb auf Zahlen und Fakten an, weil ich so gegen Polemik und Demagogie angehen wollte. Wir werden uns auf dem Erreichten nicht ausruhen. Die Aufholjagd muß weitergehen. Deshalb sage ich den westdeutschen Rentnern: Die Rentensteigerungen in der ehemaligen DDR werden kräftiger sein als in den alten Bundesländern, denn sonst könnten wir ja nie Gleichheit herstellen. Die Solidarität gebietet es, daß es zwischen Ost und West keine unterschiedlichen Rentenniveaus gibt, sondern eine Rentenversicherung, e i n Rentenrecht, e i n Rentenniveau. Diese Aufholjagd haben wir jetzt begonnen.
Abseits aller Zahlen: Ich finde in der Tat, daß unser Rentenrecht in der Welt einmalig ist. Darauf sollten wir doch gemeinsam stolz sein. Das ist auch nicht das Werk nur einer Partei. Ich bin stolz darauf, daß unsere Rente seit 1957 nicht mehr eine Fürsorgeleistung, nicht mehr ein Armeleutegeld ist, sondern daß sie leistungsbezogen ist, daß sie Alterslohn für Lebensleistung ist. Kein Rentner muß irgendwo danke schön sagen für seine Rente. Er hat sie sich sauer verdient.
Daß wir jetzt auch für sie die leistungslohnbezogene Rente übernehmen, ist für die älteren Mitbürger in den neuen Bundesländern eine Beruhigung. Ihre Rente hängt nicht mehr vom Staatswohl ab. Sie wird nicht huldvoll gewährt. Ihre Rente ist an die Löhne gekoppelt. Alt und Jung sitzen in einem Boot. Ist das kein Fortschritt? Ist das nicht eine Beruhigung für die Rentner? Sie sind nicht vom Wohlwollen des Staates abhängig, von irgendeinem Parteitag, auf dem Orden verteilt und anschließend die Renten erhöht werden. So, wie sich die Löhne entwickeln, so, wie sich das Lebenseinkommen der Jungen entwickelt, so entwikkelt sich das Lebenseinkommen der Alten. Das halte ich für einen Riesenfortschritt.
({21})
Das ist auch Ausdruck des Generationenvertrages. So, wie die Jungen die Alten behandeln, so haben die heute Jungen später einmal ein Anrecht auf ebensolche Behandlung durch die dann nachfolgende Generation. Das haben wir in ein System gebracht.
({22})
- Leistungsbezogen und solidarisch, Herr Ullmann. Es ist beides: leistungsbezogen und Ausdruck der Generationensolidarität. Leistung ist nicht das einzige Kriterium des Sozialstaats. Aber dort, wo Leistung ein Problem löst, sollten wir nicht vorschnell nach Barmherzigkeit rufen. Denn ich finde: Auch das Selbstbewußtsein der Bürger, mit eigener Leistung einen Anspruch erworben zu haben, hat einen emanzipatorischen Gehalt, einen Gehalt der Selbstachtung, der unserer Sozialpolitik nicht verlorengehen sollte.
({23})
Schon jetzt beträgt in der ehemaligen DDR das Rentenniveau 70 %, natürlich bei niedriger Bemessungsgrundlage. Damit ist die Rente - das ist auch ein Unterschied zu Ihrem ganzen Mindeststandarddenken - lebensstandardsichernd. Man soll nicht aus dem Lebenszusammenhang herausfallen, den man sich erarbeitet hat.
Natürlich muß der Staat die Armutsfrage klären. Aber das sollte er nicht mit den Instrumenten der Rentenversicherung, sondern mit den Instrumenten der Sozialhilfe tun. Er sollte nicht beides miteinander vermengen.
({24})
Ich gebe zu: Man wird sicherlich dafür sorgen können, daß die Leistungsträger besser zusammenarbeiten, daß der einzelne nicht von Schalter zu Schalter geschickt wird. Aber die Rentenversicherung kann das Armutsproblem gar nicht treffsicher lösen. Das beweist bereits der Sozialzuschlag.
Ich will ein ganz extremes Beispiel nennen. Eine Frau mit einer kleinen Rente, deren Ehemann Staatssekretär ist, bekommt einen Sozialzuschlag, eben weil sie eine kleine Rente hat, während in der Nachbarschaft eine Familie mit fünf Kindern keinen Sozialzuschlag bekommt, obwohl sie ein geringeres Gesamteinkommen hat als die Familie, die einen Sozialzuschlag erhält. Jetzt sagen Sie mir einmal, was daran gerecht ist.
({25})
Der eine hat 600 DM Rente, bekommt keinen Sozialzuschlag, muß aber fünf Kinder ernähren. Der andere hat 400 DM Rente, bekommt einen Sozialzuschlag, hat aber möglicherweise noch ein zweites und ein drittes Einkommen.
({26})
Deshalb, Herr Ullmann - und das war auch in Westdeutschland so - , sagt nicht jede kleine Rente etwas über den Lebensstandard des Beziehers aus. Ein kleiner Rentner kann derjenige sein, der nur ein paar
Jahre Beitrag gezahlt hat und anschließend wie der Kollege Louven Bäckermeister, also selbständig geworden ist
({27})
- Konditormeister -, oder ein anderer, der Beamter geworden ist, oder ein dritter, der möglicherweise ein großes Einkommen hat. Insofern, meine ich, ist doch nicht eine Sozialpolitik der Schlagworte, sondern eine Sozialpolitik der Gerechtigkeit notwendig.
({28})
Ich finde, die lohnbezogene, dynamische, den Lebensstandard sichernde Rente gehört zu den wichtigsten Fortschritten für die Rentner. Nun wollen wir das noch im einzelnen betrachten.
Zur Reform der Hinterbliebenenrente: Frau Fuchs, die Schlacht haben Sie doch schon 1984 verloren. Wollen Sie sie 1991 noch einmal verlieren?
({29})
Der ganze Neid der SPD ist bis heute noch nicht verarbeitet. Bei der Reform der Hinterbliebenenrente war der DGB mit uns und waren die deutschen Arbeitgeber mit der SPD einer Meinung. Der DGB war mit uns nicht zuletzt deswegen einer Meinung, weil sich die erwerbstätigen Frauen besserstellten als beim Teilhaberrecht à la Fuchs. Ich meine, die Schlacht können wir alle noch einmal führen. Es ist doch aber alles vorbei!
Ich glaube, daß unsere Reform der Hinterbliebenenrente wesentliche Verbesserungen bringt. In der alten DDR hatte eine Frau, die noch erwerbstätig war, im Sterbefall ihres Mannes überhaupt keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente; den bekommt sie jetzt. Eine Frau, die eine eigene Versichertenrente hatte, hat im Sterbefall ihres Mannes gerade noch 15 % von der Rente erhalten. Stellen Sie sich einmal vor, wie im Sterbefall des Mannes das Einkommen dieser Familie über Nacht abstürzte. Der Sterbefall ist ja schon schlimm, und zusätzlich mußten die ganzen Lebensverhältnisse verändert werden, weil von der Rente des Mannes nicht 60 %, sondern nur 15 % übrigblieben.
Wenn das für Sie keine Verbesserung ist, kann ich Sie vielleicht mit Zahlen überzeugen: Das kostet 4 Milliarden DM mehr. Wer will sich hier hinstellen und sagen, es verschlechtere sich, aber es koste mehr? Nein, das sind 4 Milliarden mehr für die Hinterbliebenen, für die Witwen. Ist das keine Verbesserung? 4 Milliarden, das läßt sich doch sehen!
({30})
150 000 werden zum erstenmal überhaupt eine Witwenrente erhalten; die haben sie bisher überhaupt nicht erhalten.
({31})
Bisher hatten sie null, jetzt bekommen sie etwas, und
dann kommt die SED her und beschwert sich über das,
was die Hinterbliebenen kriegen. Unter Ihrer Herrschaft haben die nichts bekommen, null Komma null;
({32})
weniger kann man nicht bekommen. Insofern ist das, was wir bieten, eine wichtige Verbesserung.
({33})
- Wenn man das so hört, was dort alles heruntergemacht und plattgemacht wird, kann ich nur sagen: Die Zahlen besagen das Gegenteil. Man muß nur Angst haben, daß die Leute das nicht glauben. Deshalb müssen wir die Zahlen, die handfesten Fakten, in die Auseinandersetzung bringen.
Die Altersgrenzen in den neuen Bundesländern werden gesenkt und den westdeutschen Altersgrenzen angepaßt: 63 bzw. 60 Jahre. Damit geben wir 200 000 Arbeitnehmern in den fünf neuen Bundesländern die Gelegenheit, früher in Rente zu gehen. Ist das kein Fortschritt? Das kostet 2,0 bis 2,5 Milliarden DM.
({34})
- Der Jagoda ruft dazwischen: Beruf- und Erwerbsunfähigkeitsrente. Durch die neue Regelung wird es 50 % mehr Anspruchsberechtigte geben.
({35}) Das wird 1,0 bis 1,5 Milliarden DM kosten.
Wenn das alles so schlecht ist, wie es hier von Dreßler und der SPD gemacht wurde, warum kostet es dann mehr? Soll es für die Hinterbliebenen - das sind doch die Frauen - nicht mehr kosten, soll die Altersgrenze nicht gesenkt werden - das betrifft die älteren Arbeitnehmer - , sollen die Berufstätigen, die Invaliden sind, deren Erwerbsfähigkeit beschränkt ist, nicht eine bessere Rente bekommen? Sollen diese erst drei, vier, fünf Jahre warten, bis wir eine gesamtdeutsche Rentendiskussion geführt haben? In der Zeit werden einige von denen tot sein. Jetzt muß geholfen werden!
({36})
Anschließend führen wir die ganze Diskussion über die Weiterentwicklung mit großer Unbefangenheit.
Ich glaube beispielsweise, daß die Alterssicherung der Behinderten in der ehemaligen DDR besser geregelt war. Freilich müssen wir uns dem Thema der Alterssicherung der Behinderten stellen, aber bitte doch nicht jetzt in dieser Sekunde, wo es darum geht, möglichst schnell die Lage der Rentner in der ehemaligen DDR zu verbessern. Danach führen wir alle weitergehenden Reformdiskussionen.
Im übrigen werden wir die Behinderten in den neuen Bundesländern so stellen wie die Behinderten in Westdeutschland, die in Behindertenwerkstätten gearbeitet haben und damit pflichtversichert waren. Daß sie in der ehemaligen DDR keine Behindertenwerkstätten hatten, kann nicht zu Lasten der Behinderten gehen. Deshalb unterstellen wir, als wären auch sie in Behindertenwerkstätten tätig gewesen.
Wir wollen also immer die Gleichheit von Ost und West, nicht zwei Klassen.
({37})
Aber ich bekenne ausdrücklich, daß auch ich glaube, daß wir über Alterssicherung behinderter Menschen nachdenken müssen. Vielleicht stellt sich das Thema auch im Zusammenhang mit der Absicherung des Pflegefalles. Ich glaube, es ist eine große Beruhigung für viele Eltern von behinderten Kindern, zu wissen, daß ihr Kind, wenn sie einmal nicht mehr da sind, eine anständige Alterssicherung hat. Das alles wollen wir aufnehmen. Aber jetzt geht es doch nicht darum, die großen Lösungen so zu Ende zu diskutieren, daß die Bürger in der ehemaligen DDR noch immer warten müssen, bis eine Verbesserung kommt. Sie kann nicht schnell genug kommen. Deshalb muß schnell gehandelt werden. Wir machen doch nicht deshalb Druck auf die Gesetzgebung, weil wir Spaß an schneller Gesetzgebung hätten. Ich kann mir vorstellen, auch der Ausschuß für Arbeit würde etwas geruhsamer arbeiten wollen. Wir machen Druck, weil wir in Pflicht und Diensten der Rentner in der ehemaligen DDR stehen. Sie sind 40 Jahre lang betrogen worden. Jeder Tag, den das alte Recht länger gilt, ist ein neuer Tag des Betrugs. Deshalb wird schnell gehandelt, nur deshalb.
({38})
Was die freiwillige Zusatzrente anbelangt: Sie wird übergeführt, sie wird nicht angetastet. Das Zusatzversorgungssystem ist - das gebe ich zu - mit vier Sondersystemen schwer zu regeln. Ich gebe zu: Für ein so verschachteltes und manchmal zufälliges System gibt es keine absolut gerechte Lösung.
({39})
- Was war im Sozialismus schon gerecht? Das ist da ein Fremdwort.
Ich frage nur: Was will man an Beiträgen ansetzen? Der Zusammenhang mit den Leistungen ist relativ willkürlich. Also mußten wir eine Lösung finden, die einerseits zu Recht erworbene Ansprüche berücksichtigt, andererseits auch Privilegien abbaut. Warum kürzen wir Stasi-Renten? Warum wird da ein Deckel draufgemacht? Grenzziehungen sind immer schwierig. Da muß man sich irgendwie entscheiden. Wir haben uns für 65 % entschieden. Wenn wir 75 % gesagt hätten, wären wir auf der Höhe von Kindererziehungszeiten gewesen. In diese Nähe sollten wir Kindererziehungszeiten aber nicht bringen.
Ich frage Sie: Besteht nicht auch aus dem Gefühl und dem Bewußtsein der sozialen Gerechtigkeit heraus das Bedürfnis, Stasi-Renten zu kürzen? Gäbe es keine Kürzungen, würden die Gequälten möglicherweise niedrigere Renten erhalten als die Quäler. Das kann doch nicht Sinn der Gerechtigkeit sein!
({40})
Für die übrigen Zusatzversorgungssysteme ist die Obergrenze das Durchschnittsentgelt. Aber auch ich bekenne, daß wir noch Fein- und Nacharbeit auch in dem Sinne, ob die 100-%-Grenze überall gerechtfertigt ist, leisten müssen. Im Entwurf steht ausdrücklich: Eine Verordungsermächtigung soll dies regeln.
Ich finde auch, daß die Tatsache, daß ein Arzt seinen kranken Patienten die Treue gehalten hat, anerkannt werden muß. Wäre er gewechselt, hätte er eine höhere Alterssicherung. Insofern geht es um Bedarfsgerechtigkeit der Differenzierung. Aber Differenzierung ist immer schwierig.
Ich verteidige im Unterschied zu Herrn Dreßler den Finanzverbund Ost/West. Da wollen wir doch einmal die Solidaritätsunterschiede zwischen SPD und uns klarmachen! Ich verteidige den Finanzverbund Ost/ West auch im Hinblick darauf, daß die Kassen der westdeutschen Rentenversicherungen nicht nur gefüllt sind, weil wir eine gute Rentenpolitik gemacht haben, im übrigen auch im Zusammenhang mit dem Rentenkonsens. Ich werde Ihre Verdienste nie in Abrede stellen. Da kann es hier noch so heiß hergehen: Das werde ich nicht vergessen. Ich lobe an dieser Stelle ausnahmsweise den Kollegen Dreßler. Man soll der Gnade Gottes nie Grenzen setzen. Vielleicht kehren Sie einmal zu Ihren besten Zeiten zurück.
({41})
Aber die westdeutschen Rentenkassen sind nicht nur wegen der Rentenpolitik gefüllt, sondern auch deshalb, weil Hunderttausende von Übersiedlern, von jungen Beitragszahlern herübergekommen sind und weil Pendler ihren Beitrag leisten. Statt als Buchhalter ans Werk zu gehen, sage ich: Solidarität! Sozialstaat Deutschland!
({42})
Wir sind nicht so kleinkariert wie die SPD; wir trennen das nicht. Wir machen eine Sozialkasse als Ausdruck unseres Solidaritätsverständnisses in Deutschland.
({43})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu: Das ist ein schwieriges Unternehmen, wie die deutsche Einheit überhaupt ein schwieriges Unternehmen ist.
({44}) Dafür gab es keine Vorbilder.
Ich möchte mich bei allen bedanken, die mitgewirkt haben, ein so schwieriges, so umfangreiches Gesetzeswerk vorzubereiten. Ich bedanke mich bei den Rentenversicherungsträgern mit ihrem Sachverstand. Ich will hier auch ausdrücklich die Mitarbeiter des Arbeitsministeriums erwähnen. Das war keine Alltagsarbeit.
({45})
Ich bedanke mich schon im voraus beim Ausschuß für Arbeit.
Wir können lange sehr anspruchsvolle Diskussionen führen. Wer die führen will, muß wissen, ob er den Termin 1. Januar 1992 gefährden will. Ich nicht! Ich möchte, daß unseren älteren Mitbürgern in den fünf neuen Bundesländern so früh wie möglich endlich Gerechtigkeit widerfährt und daß sie eine anständige Rente bekommen. Deshalb lade ich - über alle Un1630
terschiede hinweg - alle ein, an diesem Ziel und für dieses Ziel gemeinsam zu arbeiten.
({46})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nun unsere Kollegin Frau Ulrike Mascher.
Herr Präsident! Kollegen und Kolleginnnen! Der Herr Arbeitsminister hat sich hier mehrfach auf die Solidarität berufen. Ich finde es nur sehr bedauerlich, daß er immer einen so engen Begriff von Solidarität verwendet. Seine Solidarität bezieht sich immer nur auf die Beitragszahler. Sowohl bei der Arbeitslosenversicherung als auch bei der Rentenversicherung werden die Lasten des Einheitsprozesses den Beitragszahlern aufgebürdet.
({0})
Wir haben die Vorstellung, daß die Kosten des Einigungsprozesses allen Bürgern zugemutet werden sollten, z. B. mit einer Arbeitsmarktabgabe.
({1})
- Das hat mit der Rente sehr wohl etwas zu tun: Es geht um die Finanzierung der Renten.
({2})
- Nein, ich habe das nur als Beispiel herangezogen, weil es sich wieder um den Vorgang handelt, daß Sie die Beitragszahler heranziehen und eben nicht die Gesamtheit aller Bürger.
({3})
Herr Blüm hat dann noch darauf hingewiesen, seine Prozentrechnungen seien parteipolitisch neutral. Das ist in der Tat richtig. Aber die realistische Betrachtung der Lebensumstände in den fünf neuen Bundesländern, z. B. die Entwicklung der Preise, der Kosten und der Mieten, ist bei ihm offenbar doch parteipolitisch eingefärbt. Er sieht das offenbar in einem etwas rosigeren Licht.
Sie haben schließlich der SPD vorgeworfen, wir wollten hier Verzögerungen einbauen und mit einer endlosen Rentendebatte beginnen. Da haben Sie wohl nicht richtig zugehört: Rudolf Dreßler hat vorgeschlagen, in welchen Punkten wir uns sogar eine noch schnellere Regelung vorstellen können.
({4})
Ich möchte jetzt dazu sprechen, was das RentenÜberleitungsgesetz in der vorliegenden Form, wenn es so beschlossen würde, für die Frauen bedeuten würde. Ich sage das im Konjunktiv, weil ich hoffe, daß sich in den Beratungen noch einige Änderungen ergeben, möglicherweise auch mit Hilfe der FDP. Es würde ein schwarzer Tag für die Frauen sein. Es wäre ein schwarzer Tag nicht nur für die Frauen in den neuen
Bundesländern, sondern auch für die Frauen im Westteil der Bundesrepublik Deutschland.
Die unmittelbaren Nachteile würden aber zunächst einmal die Frauen in den fünf neuen Bundesländern spüren. In der ehemaligen DDR gab es sicher nicht viel, was gut geregelt und über den 3. Oktober 1990 hinaus bewahrenswert war. Auch wo die sozialpolitischen Ansätze vernünftig und fortschrittlich waren, war vieles auf Grund der ökonomischen Misere verkommen und nicht funktionsfähig.
({5})
Aber zu den Dingen, die in der früheren DDR vernünftig geregelt waren, gehört, auch wenn die Renten niedrig waren, eine Rentenregelung, die im Verhältnis zwischen Männern und Frauen gerecht gewesen ist, jedenfalls gerechter, als es das bundesdeutsche Rentenrecht ist.
({6})
In den fünf neuen Bundesländern erreichen die Versichertenrenten an Frauen heute im Durchschnitt rund 70 % der Versichertenrenten an Männer. In der alten Bundesrepublik erreichen die Frauenrenten kaum mehr als 40 % der Männerrenten.
({7})
Hier kann ich auch nur sagen: Mathematik ist parteipolitisch neutral. Das sind Fakten.
Diese für die DDR-Frauen günstige Relation
({8})
ist nun keineswegs allein die Folge ihrer hohen Erwerbstätigkeit gewesen. Vielmehr haben spezifische rentenrechtliche Regelungen dazu beigetragen. Ich nenne dazu jetzt sechs Punkte:
Erstens: die Rentenformel des früheren DDR-Rechts, die sich speziell zugunsten von Versicherten mit niedrigem Arbeitsverdienst und verhältnismäßig kurzer Versicherungsdauer ausgewirkt hat:
({9})
und das sind sehr häufig die Frauen.
({10})
Zweitens: die Mindestrentenvorschriften im alten DDR-Recht.
Drittens: die großzügige Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Im Unterschied zum bundesdeutschen Rentenrecht geht für die ostdeutschen Mütter die Rentenvergünstigung nicht verloren, wenn sie berufstätig sind. Darüber hinaus werden, sobald mindestens drei Kinder vorhanden sind, jeweils drei Jahre als Kinderzurechnungszeit angerechnet.
({11})
Da sind wir hier noch nicht so ganz herangekommen.
Viertens: die spezielle Zurechnungszeit für Frauen, die mit dem 60. Lebensjahr in Rente gehen.
Fünftens: die Anerkennung von Zeiten der Pflege bei der Rentenberechnung. Das ist etwas, was die SPD mit ihrem Vorschlag zur Pflegeversicherung noch erreichen will. Die Koalition hat es bisher noch nicht erreicht.
Sechstens: die Sozialzuschläge, von denen wir wissen, daß sie zu 95 % den Frauen zugute kommen.
Alle diese Regelungen sollen nun nach dem Willen der Bundesregierung mit mehr oder weniger knappen Übergangsfristen ersatzlos wegfallen. Die heutigen Rentnerinnen und diejenigen Frauen, die bis zum 30. Juni 1995 in Rente gehen, werden dies zunächst nur in Form einer verminderten Rentenanpassung spüren. Aber da ab 1. Januar 1992 keine neuen Sozialzuschläge mehr bewilligt werden sollen, müssen Frauen mit niedrigen Renten wie auch im Westen den für sie demütigenden Gang zum Sozialamt antreten. Auch wenn ich weiß, daß das Bundessozialhilferecht einen Rechtsanspruch gibt, wird es von alten Frauen sehr häufig als außerordentlich demütigend empfunden, und sie nehmen ihre Rechte nicht wahr.
({12})
Für Frauen, die ab 1. Juli 1995 erstmals eine Rente beziehen, gibt es keinerlei Besitzschutz und keine Übergangsregelungen mehr. Sie werden die Rentennachteile, die mit dem westdeutschen Rentenrecht für Frauen verbunden sind, in voller Härte spüren.
Inzwischen sind dankenswerterweise Zahlen des Verb andes Deutscher Rentenversicherungsträger verfügbar, die das Ausmaß der Kürzungen und Umschichtungen illustrieren, das die Bundesregierung und der Bundesarbeitsminister beharrlich verschweigt, weil er den Eindruck erwecken will, er würde mit dem Füllhorn Wohltaten über die Rentnerinnen und Rentner der neuen Bundesländer ausschütten.
({13})
Nach diesen Zahlen werden die Renten in den neuen Bundesländern um insgesamt 7,2 Milliarden DM einschließlich der Zuschüsse zum Krankenversicherungsbeitrag - das sind 23 % des Rentenvolumens - gemindert. Von diesen Kürzungen entfallen 7 Milliarden DM auf Versichertenrenten.
({14})
Die Leistungen für einen begrenzten Bestandsschutz, die sogenannten Auffüllbeträge, sind dabei nicht mit eingerechnet, weil sie für die mittelfristige strukturelle Wirkung des geplanten Einschnitts unbeachtlich sind; sie sollen ja auch abgeschmolzen werden. Diese Auffüllbeträge mindern zwar kurzfristig die unmittelbaren negativen Auswirkungen der Umstrukturierung; langfristig aber fallen sie, wie gesagt, ersatzlos weg, und zwar sowohl bei den bestehenden Renten als auch für die Neuzugänge bei den Renten.
Das Kürzungsvolumen bei den Versichertenrenten geht zu 86 % zu Lasten der Frauen.
({15})
Im Durchschnitt wird die Versichertenrente derjenigen Frauen, die von dieser Kürzung betroffen sind, um 238 DM netto monatlich vermindert.
({16})
- Hören Sie doch zu, es kommt ja noch besser.
({17})
Im Durchschnitt werden die Versichertenrenten an Frauen durch die Umstellung vom bisherigen Recht auf das bundesdeutsche Rentenrecht um nicht weniger als 31,9 % gekürzt.
({18})
Den Kürzungen der Versichertenrente in Höhe von 7 Milliarden DM brutto stehen auch Verbesserungen der Versichertenrenten auf Grund der Umstellung auf die Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber. Sie beziffern sich allerdings nur auf 740 Millionen DM, und von diesen Verbesserungen bekommen Frauen wiederum nur 19 %, während sie, wie bereits gesagt, an den Verschlechterungen zu 86 % beteiligt sind.
({19})
Die Zahlen erhärten auch,
({20})
daß die Verschlechterung der Versichertenrenten für Frauen in keiner Weise durch die Verbesserung der Witwenrenten aufgefangen wird,
({21})
ganz abgesehen von der konservativen ideologischen Einstellung, die hinter diesem Vergleich steht. Darauf werde ich nachher noch zu sprechen kommen.
Die Verschlechterung ergibt sich schon aus den globalen Zahlen; denn der Minderung der Versichertenrenten in Höhe von 7 Milliarden DM stehen lediglich Verbesserungen der Witwenrenten in Höhe von 3,3 Milliarden DM gegenüber. Berücksichtigt man, daß nach der Einführung des bundesdeutschen Rentenrechts in den neuen Bundesländern viele Frauen gleichzeitig eigene Versichertenrenten und Witwenrenten beziehen werden, so ergibt sich insgesamt immer noch eine Minderung der Renten für Frauen um 16,6 % gegenüber dem heutigen Rechtszustand. Für alle Frauen aus der ehemaligen DDR mindert sich die Gesamtversorgung trotz der Verbesserungen bei den Witwenrenten durchschnittlich um 125 DM.
Meine Damen und Herren, diese Zahlen dürften
genügen, um die Behauptung des Bundesarbeitsministers, die Verbesserung der Witwenrenten würde die Rentenverschlechterungen bei den Versichertenrenten für Frauen ausgleichen, als ein Märchen zu entlarven.
({22})
Abgesehen davon ist die Verrechnung der eigenständigen Renten der Frauen gegen bessere Witwenrenten ärgerlich. Der Arbeitsminister zeigt damit, daß er der gesellschaftspolitischen Diskussion um mindestens zwei Jahrzehnte hinterherhinkt. Herr Blüm, selbst wenn die Erhöhung der Witwenrenten die Verschlechterung der eigenen Renten der Frauen finanziell kompensieren würde, könnten wir einen solchen Tausch nicht mitmachen. Sie dürfen doch nicht vergessen, daß es auch ledige Frauen und geschiedene Frauen gibt, und zwar in immer größerer Zahl.
Sie müssen endlich lernen, daß es für Frauen einen Unterschied macht, ob sie eine eigene Rente beziehen
({23})
oder ob sie von der Rente des Mannes bzw. nach dessen Tod von der von seiner Rente abgeleiteten Witwenrente leben.
({24})
Vielleicht können Sie sich einmal vorstellen, wie es ) wäre, wenn man Ihnen eröffnete, Ihre schöne Ministerpension würde um ein Drittel gekürzt,
({25})
und statt dessen hätten Sie nun einen höheren Witwerrentenanspruch für den Fall, daß Sie Ihre Ehefrau überleben. In der Alterssicherungspolitik geht es nicht nur um finanzielle Transfers, sondern auch um eine gesellschaftliche Rollenzuweisung. Bei der eigenständigen Sicherung der Frauen geht es auch um den aufrechten Gang
({26})
und nicht allein um Mark und Pfennig. Das sollten Sie auch noch begreifen, Herr Arbeitsminister.
({27})
Ich bedauere sehr, daß die Kolleginnen aus der CDU/CSU, vor allem auch aus den neuen Bundesländern, bei dieser Diskussion nicht anwesend sind.
({28})
Ich hätte mir gewünscht, daß sie eine solche rückwärtsgewandte Gesellschaftspolitik, wie sie in diesem Renten-Überleitungsgesetz zum Ausdruck kommt, nicht mitmachen.
({29})
Ich fordere die Kolleginnen von der FDP auf, sich mit darum zu bemühen, dieses Gesetz vom Tisch zu bekommen oder wesentlich zu verbessern.
Ich sprach davon, daß das Renten-Überleitungsgesetz, falls es in der vorliegenden Form in Kraft treten würde, einen schwarzen Tag auch für die Frauen im Westen der Bundesrepublik bringen würde. Wir sehen an diesem Beispiel mit großer Verärgerung, daß die deutsche Einheit zu Lasten aller Frauen geht. Die Bundesrepublik Deutschland war, was die Gleichstellung der Frauen angeht, nie ein Spitzenreiter in Europa. Hier haben wir Nachholbedarf. Es wäre gut gewesen, sinnvolle Elemente der Alterssicherung aus der DDR zu übernehmen.
({30})
- Das, was dort an Fortschritt für die Frauen erreicht worden war, hätte für den gemeinsamen Staat nutzbar gemacht und weiterentwickelt werden können. Die deutsche Einheit hätte so einen qualitativen gesellschaftspolitischen Gewinn für uns alle bringen können. Aber daran ist die Bundesregierung und sind offenbar selbst die aus den neuen Bundesländern stammenden Abgeordneten der Unionsfraktion nicht interessiert.
Im übrigen ist die Bundesregierung - das sieht man bei diesem Renten-Überleitungsgesetz - offenbar mit äußerster Energie bestrebt, alles, was aus den neuen Bundesländern an Reformimpulsen kommen könnte, so rasch wie möglich zu beseitigen, damit die selbstzufriedene Politik des „Weiter so! " nicht durcheinandergebracht wird.
Was die Alterssicherung der Frauen angeht, wird die Bundesregierung mit dem sogenannten RentenÜberleitungsgesetz möglicherweise ihr Ziel erreichen, in der früheren DDR das Rad der Geschichte zurückzudrehen und im Westen den Status quo noch einmal zu bewahren.
({31})
- Auch wenn Sie noch so schreien: In Sachen eigenständiger Frauenrenten, Herr Blüm, wird es keine Ruhe in der Rentendebatte geben.
({32})
Dafür werden wir Frauen aus Ost und West schon sorgen.
Die haarsträubenden Ungerechtigkeiten bei der Anerkennung von Kindererziehungszeiten,
({33})
die weitverbreitete Altersarmut von Frauen, die Änderungen in der Familienstruktur werden einen gesellschaftlichen Reformdruck erzeugen - Herr Bundesarbeitsminister Blüm, da können Sie sich abwenden - ({34})
- Das wird Sie dieser Diskussion aber nicht entheben.
Wir brauchen eine umfassende Reform, eine eigenständige Alterssicherung der Frauen, eine wesentlich verbesserte Anerkennung der Kindererziehungsleistungen und eine wirkungsvolle soziale Grundsicherung innerhalb unseres Rentensystems.
({35})
Die Vereinheitlichung des Rentenrechts der alten und der neuen Bundesländer hätte die Chance für einen Einstieg in eine solche Reform gegeben. Die Bundesregierung hat diese Chance nicht nur nicht genutzt, sondern sie hat sie bewußt zunichte gemacht.
({36})
- Ich denke, was richtig ist, kann man nicht oft genug wiederholen.
({37})
Es ist ein alter didaktischer Grundsatz aus der Grundschulpädagogik, daß man bei Kindern möglichst immer alles wiederholen soll. Vielleicht behalten sie es dann.
({38})
Wir können dem Gesetz in der vorliegenden Form nicht zustimmen. Wir hoffen aber auf die Beratungen in den Ausschüssen. Vielleicht haben wir dann als Ergebnis etwas, was wir unterstützen können.
({39})
Danke.
({40})
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Heiner Geißler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß diesen Redebeitrag aus einem ganz einfachen Grunde leisten. Herr Dreßler - ich sage es auch zu Frau Mascher -, stellen Sie sich bitte einmal vor, was die Leute in den neuen Bundesländern für einen Eindruck bekommen müssen hinsichtlich der neuen Rentenregelungen ab 1. Januar 1992, wenn sie Ihre beiden Reden gehört haben.
({0})
Ich halte für eine schlichte Katastrophe, was Sie hier von sich gegeben haben.
({1})
Die Menschen in den neuen Bundesländern sind
- und diese Problematik haben wir lange genug miteinander diskutiert - zu Recht in einer sozialen Unruhe, weil wir zwar die nationale Einheit geschaffen haben und die Menschen frei sind, es uns aber nach 45 Jahren Sozialismus noch nicht gelungen ist, die soziale Gerechtigkeit zu realisieren. Dies ist die Wahrheit. Das wissen wir alle miteinander.
Aber nun schicken wir uns an, einen wichtigen Teil der Sozialunion, die wir uns gemeinsam zum Ziel gesetzt haben, nämlich die Rentenunion, die Übertragung unseres Sozialversicherungssystems der Alterssicherung, am 1. Januar nächsten Jahres in den neuen Bundesländern einzuführen, und erreichen damit in einem gewaltigen Schritt nach vorne einen Teil dessen, was wir uns unter Sozialunion vorstellen,
({2})
mit allen Problemen, die damit verbunden sind, über die wir ja miteinander reden können. Da erwecken Sie mit Ihren Reden den Eindruck als ob es am 1. Januar 1992 nicht besser würde für die alten Leuten, sondern schlechter.
({3})
Ich halte es für absolut verantwortungslos, was Sie hier machen.
({4}) Das sind 3 Millionen alte Leute.
Frau Mascher, ich habe nachgelesen, was Sie von Beruf sind: Versicherungsvertreterin oder so etwas.
({5})
- Oder was Sie gelernt haben. Dann wird es noch schlimmer.
({6})
- Dann nehme ich es zurück. Ich entschuldige mich. Okay.
({7})
- Einverstanden.
Ab 1. Januar 1996 werden die Auffüllbeträge abgeschmolzen, aber doch nur deswegen, weil wir davon ausgehen, daß bis dahin durch die Erhöhungen bei den Durchschnittsentgelten eine Situation eingetreten ist, daß dann völlig unabhängig von den Zusatzkriterien auch die Frauen in den neuen Bundesländern eine Rente auf einem vergleichbaren Niveau wie die Westrentnerinnen haben. Von da an wird bei den jährlichen Dynamisierungen ein Teil mit den Auffüllbeträgen verrechnet. Sie erklären aber hier an dieser Stelle, ab 1. Januar 1996 bis zum Jahre 2000 - so habe ich es gehört - würden diese Renten gekürzt. Sie machen aus einer Rentenerhöhung eine Rentenkürzung. Wie können Sie denn so etwas verantworten?
({8}) Das ist doch völlig ausgeschlossen.
Der Herr Vogel ist nicht mehr da. Herr Dreßler, wir wollen eine ernsthafte Diskussion führen. Ich habe hier eine Meldung:
Düsseldorf. - Einen großen Konsens zwischen Regierung und Opposition in entscheidenden Fragen der fünf neuen Länder hält der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler nicht mehr für ausgeschlossen.
Nach der Rede, die Sie hier gehalten haben, können Sie doch solche Sprüche und Ihre Tätigkeit in der Kommission gestern den Hasen füttern. Vergessen Sie die Sache!
({9})
Herr Kollege Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßler?
Bitte schön.
Herr Kollege Geißler, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie meinen, daß eine Debatte um Rentenpolitik - die hier kontrovers geführt wird - und das, was gestern zu den Fragen Beschäftigungsgesellschaften und Massenarbeitslosigkeit diskutiert wurde, deckungsgleich gesehen werden müßten. Ich frage Sie: Sind Sie bereit, wenigstens zuzugestehen, daß im Gegensatz zu allem, was jemals in der Bundesrepublik Deutschland im Rentenrecht passiert ist, Sie vorhaben, ab 1995 erworbene Ansprüche für die Altersversorgung durch Berufstätigkeit von Frauen in der ehemaligen DDR nicht mehr weiter gelten zu lassen? Erworbene Ansprüche!
Das gestehe ich Ihnen nicht zu. Ich bleibe auch bei meiner Behauptung, daß es nicht verantwortbar ist, von Konsens in der Sozialpolitik einschließlich der Beschäftigungspolitik zu reden und dann noch gemeinsame Kommissionen zu veranstalten - gestern haben Sie an einer teilgenommen - und gleichzeitig heute hier eine solche Rede zu halten. Es passiert ab 1. Januar 1992 nichts anderes, als daß die Rentenversicherung, die auf einem Konsens zwischen der Koalition und der Opposition basiert, auf die neuen Länder übertragen wird. Wir können doch über diese Fragen miteinander diskutieren. Das eine oder andere ist natürlich noch be-sprechbar. Das steht außer Frage. Aber Sie können nicht eine solche Rede halten - darum geht es mir -, aus der die Leute den Eindruck gewinnen müssen, als würde es ihnen ab 1. Januar 1992 schlechter gehen als vorher. Das ist der Eindruck, den Sie erweckt haben.
Jetzt komme ich gleich zu Ihrer Frage. Ich hoffe, daß die Länge der Frage in meiner Redezeit berücksichtigt wird, d. h. daß mir das nicht angerechnet wird.
Ja. Unter diesen Umständen: Lassen Sie noch eine weitere Zusatzfrage des Herrn Dreßler zu?
Wenn mir das nicht angerechnet wird, gerne.
Herr Kollege Geißler, ich muß auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie mir nicht zugestehen, daß der von Ihnen mit eingebrachte Gesetzentwurf ab 1995 erworbene Rentenansprüche für Frauen in der ehemaligen DDR wegnimmt?
({0})
Wollen Sie das nicht zugestehen, obwohl das in Ihrem Gesetz steht? Habe ich das richtig verstanden?
Das haben Sie richtig verstanden. Der Grund liegt darin, daß Sie auf eine differenzierte Problematik, die hier zugrunde liegt, nicht eine so pauschale Antwort geben können - das werde ich Ihnen gleich nachweisen -, wie Sie das von mir erwarten. Zum Beispiel kommen manche zusätzlichen Verbesserungen wegen der Anerkennung der Kindererziehungsjahre bei einem großen Teil der Renten überhaupt nicht zum Tragen, weil sie etwa mit Mindestrenten und anderen Versorgungssystemen verrechnet werden. Die kommen überhaupt nicht zum Ausdruck. Ich kann es Ihnen nachher mal darlegen.
Herr Dreßler, Sie behaupten, unser Rentenversicherungssystem werde den neuen Bundesländern übergestülpt. Es sei westliche Arroganz, die hier zum Tragen komme. Sie haben wortwörtlich gesagt, das Rentensystem in der früheren DDR sei in wichtigen Punkten besser als unsere Rentenversicherung.
Wissen Sie, was Sie tun? Sie verschweigen, daß es sich bei dem Altersversorgungssystem der alten DDR nicht um ein Versicherungssystem gehandelt hat, sondern fast ausschließlich um ein Volksversorgungssystem mit geringen Versicherungselementen. Dieses System hat zu niedrigsten, nicht einmal den Lebensstandard sichernden Altersversorgungen geführt. Die Leute haben von der Rente noch nicht einmal leben können. Das war das Ergebnis dieses Volksversorgungssystems. Und da stellen Sie die Behauptung auf, daß in den neuen Bundesländern etwas Schlechteres eingeführt werde!
({0})
In einem solchen Volksversorgungssystem zusätzliche Anrechnungszeiten einzubeziehen, das ist ja nun wirklich keine Kunst. Aber im Endergebnis ist es ein schlechter Witz, weil diese Verbesserungen zum großen Teil in den Grundversorgungssystemen aufgegangen sind.
Herr Dreßler, Sie haben sich mit dieser Rede - das muß ich Ihnen leider sagen - mit den PDS-Leuten auf eine Stufe gestellt. Leider Gottes muß ich das sagen.
({1})
- Das kann ich sehr wohl.
({2})
- Nein, das überlege ich mir nicht.
Herr Präsident, ich möchte noch einmal klarlegen, was ab 1. Januar 1992 wirklich geschieht. Bereits jetzt beträgt das Nettorentenniveau für alle Rentnerinnen und Rentner in der früheren DDR rund 70 %.
({3})
Dies hat es in der alten DDR nicht gegeben. Ich sage das für alle, die hier zusehen und zuhören. Ein solches Rentenniveau hat es nie gegeben.
Die Rentenanpassungen waren der Willkür preisgegeben. Ab 1. Januar 1992 werden die Renten auf gesetzlicher Grundlage regelmäßig angepaßt, und sie folgen den Lohnsteigerungen.
Wir führen eine Witwenrente ein, die es in dieser Form und in dieser Höhe für die Witwen in der früheren DDR nicht gegeben hat. Für 900 000 Witwen werden die Witwenrenten entscheidend verbessert. Die Bezugsgröße ist 60 % gegenüber 15 % in der alten DDR. Für 150 000 Witwen wird zum erstenmal eine Witwenrente gezahlt.
Was die Zurechnungszeiten für die Frauen anbelangt, möchte ich Sie fragen, liebe Frau Fuchs - das frage ich auch alle, die hier geredet haben - : Wollen Sie das so beibehalten, wie es in der früheren DDR der Fall war? Die Zurechnungszeiten, die in der alten DDR den Frauen für Kindererziehungszeiten gewährt worden sind, waren nur rentensteigernd. Sie waren nicht rentenbegründend. Wollen Sie das in der Zukunft so haben? Das wollen Sie doch wohl nicht haben. Also hat es doch gar keinen Sinn. Das ist die Antwort an Sie, Herr Dreßler. Deswegen stimmt es eben nicht. Das, was den Frauen zugute gekommen ist, ist ein Aliud, etwas völlig anderes.
({4})
Es war eine minimale Rentensteigerung und keine Rentenbegründung, wie es bei unseren Kindererziehungszeiten der Fall ist.
({5})
- Das ist die Wahrheit.
Die Renten waren statisch. Auch die Frauenrenten sind nie dynamisiert worden. Einmal nach fünf Jahren, einmal nach sieben Jahren, je nachdem, ob es einen kommunistischen Feiertag gab, sind die Renten erhöht worden. Wollen Sie das für die Frauen wieder einführen oder nicht? Auch das war in der Rentenversicherung systematisch.
Ich habe einmal nachrechnen lassen, Herr Dreßler, wie es mit der Anerkennung dieser Erziehungszeiten aussah. Es ist wahr, daß dies zum Teil günstiger war. Zum Teil ist dies aber verrechnet worden. Der Steigerungsbetrag der Rente betrug 1 % pro Kind und Erziehungsjahr. Das macht bei einem vorherigen Durchschnittseinkommen von 600 Mark - das muß man sich einmal vorstellen - sechs Ostmark aus. Und Sie wollen uns hier weismachen, daß sechs Ostmark pro Kind und Erziehungsjahr etwas Besseres seien als unsere Erziehungszeiten! Das haben Sie hier den Leuten
verkündet. Das ist doch eine völlig unmögliche Angelegenheit.
({6})
Eine Frau mit fünf Kindern hat eine Mindestrente von 330 Mark gehabt.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir diese Dinge miteinander bereden, dann sollten wir nicht den Eindruck erwecken, als ob das dortige System auch nur im Ansatz mit dem besten Altersversicherungssystem aller Industrieländer der Welt zu vergleichen wäre. So etwas hier behaupten zu wollen ist völlig unverantwortlich.
({7})
Ich gebe zu - darüber sollten wir miteinander reden; darüber müssen wir auch in meiner eigenen Fraktion, in meiner eigenen Partei noch Diskussionen führen - : Die Frage der verschämten Altersarmut ist eine Frage, die auch mich bewegt und quält. Es ist gar keine Frage: Die Leute haben einen Sozialhilfeanspruch. Viele realisieren ihn nicht, weil sie sich genieren, weil sie den Gang zum Sozialamt scheuen, weil sie ihre Rechte gar nicht kennen. Das ist alles richtig gesagt worden. Man muß darüber sprechen, ob wir nicht dadurch eine Verbesserung erreichen können, daß wir eine andere Organisationsstruktur finden. Ich wäre dafür. Sie wissen, daß aus unserer Partei Vorschläge in dieser Richtung gemacht worden sind. Die Altersarmut ist von der Christlich Demokratischen Union, auch von mir, zum Diskussionsthema gemacht worden.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang gegen die Herabwürdigung der Sozialhilfe wehren.
({8})
Die Sozialhilfe ist ein Rechtsanspruch, den die Leute haben. Daß sie ihn nicht realisieren, hat andere Gründe. Daß er nicht so realisiert wird, wie er eigentlich realisiert werden müßte, auch für die alten Leute, hängt nicht am Gesetz, sondern hängt zum großen Teil an der Hartherzigkeit derjenigen, die in den Sozialämtern die Entscheidungen zu fällen haben. Da mache ich keinen Unterschied zwischen sozialdemokratisch geführten Städten und Landkreisen und christlich-demokratisch geführten.
Ich bin der Meinung, dieses Gesetz ist dazu erlassen worden, daß die Leute, die die Verantwortung tragen, die Bestimmungen nicht gegen die alten Leute auslegen, sondern zu deren Gunsten. Das ist meine Meinung, und dafür sollten wir alle miteinander eintreten.
({9})
Wir müssen auch über die Behinderten miteinander reden; das hat der Bundesarbeitsminister schon gesagt. Hier gibt es bei uns in der Tat eine Lücke. Wir haben jetzt eine Übergangsregelung gefunden und - daran gibt es keinen Zweifel - werden im Rahmen der Pflegeversicherung darüber reden müssen, ob wir nicht genauso wie die Erziehungsjahre - dies ist ein gewaltiger Fortschritt gewesen - auch die Pflegejahre in die Rentenversicherung einbeziehen müssen.
Das ist etwas, was die Christlich Demokratische Union schon seit über vier Jahren als einen Programmpunkt realisiert hat. Wir sind uns hinsichtlich der Finanzierungsfrage nicht einig geworden. So einfach ist das auch nicht. Wenn Sie einmal all das addieren, was Sie jetzt an zusätzlichen Vorschlägen auf den Tisch legen und dann auf unser Rentenversicherungssystem übertragen wollen, müssen Sie aber auf der anderen Seite beim Verband der Rentenversicherungsträger anders reden als hier. Das kommt noch dazu; denn es ist eine Frage der Beitragszahler und der Belastungen.
({10})
- Nicht alles kann über den Bundeszuschuß geregelt werden. Im übrigen, bei 90 % der Leute ist es Jacke wie Hose, ob sie Beiträge zahlen oder Steuern; gezahlt werden muß es.
Ich möchte, weil mich das, was gerade von den Frauen gesagt worden ist, sehr bewegt hat, Frau Mascher fragen: Die Probleme, was die Frauen anbelangt, waren vor 12 oder 13 Jahren doch nicht anders. Wo ist denn eigentlich Ihre Anerkennung der Erziehungsjahre gewesen?
({11})
- Entschuldigung, die Babyrente, die Sie geschaffen haben, die können Sie im Vergleich zu dem, was wir gemacht haben, doch nun wirklich in der Pfeife rauchen.
({12})
Es war eine Revolution in der Rentenversicherung, daß wir zum erstenmal in der Rentengeschichte die Arbeit in der Familie und die Erziehung der Kinder vom Grundsatz her - über die Höhe können wir immer debattieren - auch hinsichtlich der eigenen Altersrente anerkannt haben.
({13})
Sie verweisen immer auf die Frau mit fünf Kindern. Wenn eine Mutter fünf Kinder hat, dann bekommt sie schon heute, weil wir die Wartezeit auf fünf Jahre gesenkt haben, allein auf Grund der Tatsache, daß sie fünf Kinder hat, eine eigenständige, vom Mann unabhängige Rente. Das haben wir gemacht und nicht die Sozialdemokraten. Es tut mir leid, aber das ist so.
({14})
Zu ihrer Zeit gab es nur ein Mutterschaftsgeld von vier Monaten, und dieses Mutterschaftsgeld haben nur die Frauen bekommen, die in der Fabrik oder im Büro waren. Keine Bäuerin, keine Winzerin, keine mithelfende Handwerkersfrau und keine sogenannte Nur-Hausfrau, die früher Arbeiterin war und das zweite oder dritte Kind gekriegt hat, hat das Mutterschaftsgeld bekommen. Eine gerechte Leistung? Heute bekommen die Frauen alle miteinander Erziehungsgeld - in dieser Legislaturperiode wird das auf zwei Jahre verlängert - , d. h. jeden Monat 600 DM. Bei Ihnen waren es nur vier Monate lang 400 DM für eine beschränkte Anzahl von Frauen.
Wir haben für die Frauen Frauenpolitik gemacht, die sich sehen lassen kann, und nicht Sie in der Legislaturperiode, in der Sie die Verantwortung getragen haben.
({15})
4,5 Millionen berufstätige Frauen erhalten heute, wenn sie ein Kind bekommen haben, Erziehungsurlaub. Sie genießen auch Kündigungsschutz; ihnen kann nicht mehr gekündigt werden. Haben Sie das gemacht, Frau Fuchs? Sie waren doch Familienministerin! Die Christlich Demokratische Union hat zusammen mit den Freien Demokraten den Erziehungsurlaub von zwei Jahren eingeführt, der in dieser Legislaturperiode auf drei Jahre verlängert wird.
Ich sage das nur deshalb, weil wir über Frauenpolitik reden. Die Anerkennung von Erziehungsjahren war ein entscheidender Fortschritt in der Rentenversicherung, der sich in Mark und Pfennig und vom Grundsatz her für unsere Frauen auswirkt. Diese Fortschritte in der Frauenpolitik lassen wir uns doch nicht durch so eine Rede von Ihnen verwässern und in der Öffentlichkeit herabsetzen.
({16})
Herr Kollege Dr. Geißler, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.
Meine Redezeit ist leider begrenzt; sonst hätte ich mit Ihnen noch eine Weile Sozialpolitik betrieben. Sie hätten sich gewundert, was da noch alles kommt.
Es gibt im Westen einige Leute, die sagen - Herr Präsident, lassen Sie mich den Satz noch sagen -: Jetzt werden die Renten der Rentnerinnen und Rentner in den östlichen Bundesländern am 1. Juli um 15 % erhöht, nachdem sie zum 1. Januar bereits um 15 % erhöht wurden - diese Diskussion haben wir ja auch - , und im Westen ist die Erhöhung geringer. Ich sage den Leuten, bei denen möglicherweise Neidgefühle hochkommen - und Sie sollten sich überlegen, inwieweit Sie sich, was Neidkomplexe anlangt, vielleicht zu sehr an dieser Sache beteiligen - ({0})
- Ich sage das an unsere westdeutschen Rentenerinnen und Rentner:
({1})
Es handelt sich bei den Rentnerinnen und Rentnern in den neuen Bundesländern um Menschen, die 40 Jahre lang vom Sozialismus um den gerechten Lohn ihrer Arbeit betrogen worden sind. Ich will nicht sagen, daß viele ein verpfuschtes Leben hinter sich haben. Manche empfinden es so; sie haben es mir persönlich gesagt. Sie wollen jetzt, wie mir mein Freund und Kollege Haschke aus Thüringen einmal gesagt hat, noch ein paar gute Jahre in ihrem Alter vor sich haben. Wir als Westdeutsche, die wir das Glück gehabt haben, in einer Demokratie und mit dem besten Rentenversicherungssystem aller Länder der Welt leben zu können, sollten einen Beitrag dazu leisten, daß die Renterinnen und Rentner in den östDr. Heiner Geißler
lichen Bundesländern diese guten Jahre auch bekommen können.
Vielen Dank.
({2})
Herr Kollege Dr. Geißler, es war ein sehr langer letzter Satz.
({0})
Nun hat unsere Kollegin Frau Renate Jäger das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Zuerst möchte ich mich an Sie wenden, Herr Geißler. Wenn Sie, wie Sie es zu Beginn Ihrer Rede getan haben, der Öffentlichkeit suggerieren möchten, wie sie die Reden der SPD aufzunehmen habe, dann, glaube ich, unterstellen Sie den Bürgern doch etwas Unmündigkeit.
({0})
Natürlich sehen wir, daß in dem Entwurf dieses Gesetzes auch Gutes, Positives für die Rentnerinnen und Rentner enthalten ist.
({1})
Aber demgegenüber müssen Mängel laut und deutlich benannt werden, damit wir in gemeinsamer Arbeit zu besseren Lösungen kommen.
({2})
Wir kommen einfach nicht darum herum, zu erkennen, daß diese Lösungen auch die Befindlichkeiten der Bürger in den östlichen Ländern berücksichtigen müssen.
Einer der größten Mängel - so sehe ich diesen Gesetzentwurf - liegt nun einmal in der Behandlung der Problematik der Renten für Frauen. Der Grund dafür ist, daß das alte DDR-Recht oder die alten DDR-Versicherungsleistungen, wie auch immer wir sie benennen mögen, zunächst einmal in Bausch und Bogen eingestampft werden. Das ist der Fakt; so ist die Lage. Die Verfasser des Entwurfs können sich möglichweise noch nicht vorstellen, daß die vernünftigen und sozialpolitisch besseren Elemente des DDR-Rechts - es gab nicht so sehr viele davon, aber es gab welche ({3})
in das zukünftige Recht des neuen Gesamtdeutschland übernommen werden können und daß daraus ein
Konzept zur Lösung der Altersarmut und ein frauenfreundliches Rentenrecht entwickelt werden kann.
({4})
Wir haben es mit einem Gesetzentwurf zu tun, durch den das westdeutsche Rentenrecht auch für die Berechnung schon vorhandener Renten in den neuen Bundesländern eingeführt wird, und zwar auch dann wenn es zu schlechteren Ergebnissen kommt.
({5})
Wir alle wissen, daß das westdeutsche Rentenrecht keine Lösung des Problems der Altersarmut darstellt und daß die Gewährung ergänzender Sozialhilfe mit vielen Diskriminierungen verbunden ist. Das haben wir jetzt wieder gehört; das ist genannt worden.
Ich will noch einmal deutlich machen, was den ostdeutschen Bürgern mit dem neuen Rentenrecht zugemutet werden soll. Ich will es ganz schnell noch einmal in fünf Punkten wiederholen.
Die Versicherten mit niedrigem Arbeitseinkommen und den kürzeren Versicherungszeiten kommen im Durchschnitt schlechter weg. Mindestrenten wird es nicht geben. Die Zurechnungszeiten für Kindererziehung werden wegfallen, so daß sich Nachteile ergeben. Die fünfjährige Zurechnungszeit für Frauen, die mit 60 Jahren in Rente gehen, wird beseitigt, und die Zeiten der Pflege von Angehörigen werden künftig nicht mehr als rentensteigernde Zeiten berücksichtigt.
({6})
Auch der Hinweis auf die Bestandsschutzklauseln hilft hier nicht, zumal sie zeitlich auf fünf Jahre befristet sind. Erst danach wird sich das volle Ausmaß der Verwestlichung des Versicherungssystems zeigen. Nach heutigem Stand - das kann man in den Papieren der Rentenversicherungsträger nachlesen - summieren sich die Minderungen - u. a. auch durch den Verlust der Dynamisierung - bei Männern auf 167 DM monatlich und bei Frauen auf 234 DM monatlich, die Summen sind schon genannt worden.
Im Zusammenhang mit den drastischen Minderungen der Renten von Frauen verweist die Regierung auf Verbesserungen an anderer Stelle: Sie will die Hinterbliebenenrente nach westdeutschem Vorbild einführen und damit vielen Frauen zu einem Anspruch auf Hinterbliebenenrente verhelfen. Das will ich hier zweifelsfrei anerkennen und auch würdigen. Es fragt sich aber, ob es der richtige Weg ist, auf der einen Seite die eigenen Renten der Frauen zu kürzen und auf der anderen Seite Hinterbliebenenrenten zu verbessern.
Die Frauen in den neuen Bundesländern sind voll in die Berufswelt integriert gewesen. Sie haben ihr eigenes Geld verdient und eigene Rentenansprüche erworben. Sie waren, welchen Familienstand sie auch hatten, unabhängig. Das sollte nach meinen Vorstellungen im Rentenrecht auch so bleiben.
({7})
Die geplanten Regelungen verstärken die Abhängigkeit und die Unselbständigkeit der Frauen und stellen in meinen Augen einen gesellschaftspolitischen Rückschritt dar.
Im übrigen mißachtet die Bundesregierung dabei die gesellschaftliche Wirklichkeit in den neuen Bundesländern auch auf einem anderen Gebiet. Wir haben es dort mit einer hohen Scheidungsquote zu tun. Die geschiedenen Frauen sind eine große Minderheit, die nicht vernachlässigt werden darf. Geschiedene Frauen haben in der Regel keinen Anspruch nach westdeutschem Rentenrecht auf eine Hinterbliebenenrente nach dem Tod des geschiedenen Mannes. Für sie gibt es also keinen Ausgleich für die Kürzungen ihrer eigenen Rente über die Gewährung von Hinterbliebenenrenten.
Im Zusammenhang mit der zukünftigen sozialen Situation von geschiedenen Frauen ist mir beim Studium des Gesetzentwurfs noch folgendes aufgefallen: Während westdeutsche geschiedene Frauen, die keinen Versorgungsausgleich erhalten haben, als Ausgleich dafür nach dem Tod ihres unterhaltspflichtigen geschiedenen Mannes eine Hinterbliebenenrente erhalten, sollen ostdeutsche Frauen bei Scheidungen bis zum 31. Dezember 1991 weder einen Versorgungsausgleich noch eine Hinterbliebenenrente bekommen. Wenn schon der Versorgungsausgleich für bereits geschiedene Ehen aus vielen guten Gründen nicht rückwirkend eingeführt werden kann, dann muß doch zumindest eine Hinterbliebenenrente als rentenrechtlicher Ausgleich gewährt werden.
({8})
Neben dem Problem der Frauenrenten möchte ich noch besonders das Problem der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in der ehemaligen DDR ansprechen. Mir geht es dabei nicht um die Empfänger von hohen und höchsten Leistungen, die im allgemeinen in besonderer Staats- und Systemnähe gearbeitet haben, sondern mir geht es um die vielen Empfänger von Leistungen einer normalen Größenordnung außerhalb des Stasi-Systems, z. B. der Versorgungssysteme für Pädagogen oder der technischen und wissenschaftlichen Intelligenz. Ich will das deshalb differenziert behandelt wissen, weil keiner von der Koalition auf die Idee käme, die Beamtenrenten für Lehrer in den Altbundesländern abzuschaffen. Nichts anderem entspricht das Versorgungssystem für Pädagogen in der ehemaligen DDR. In diesem Zusammenhang ist für viele sicher noch interessant, daß Pädagogen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gar keine Beiträge zur freiwilligen Zusatzrentenversorgung einzahlen durften.
Die wichtigsten Absichten der Bundesregierung in diesem Bereich sind die beiden folgenden: Für Personen, die Leistungen aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen außerhalb des Stasi-Systems erhalten, erfolgt eine Begrenzung der Gesamtbezüge wegen Alters auf höchstens 1 500 DM. Zum 31. Dezember 1991 sollen diese Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung überführt werden.
({9})
Dabei ist bei der Rentenberechnung das Einkommen grundsätzlich nur bis zum jeweiligen Durchschnittsentgelt zu berücksichtigen. Die Bundesregierung soll ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, daß für Personenkreise mit relativ geringer Staatsnähe auch Einkommen über dem jeweiligen Durchschnittsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze ganz oder teilweise berücksichtigt werden können.
({10})
Ich verhehle nicht, daß ich die sich ergebenden Einschnitte in die vorhandenen Leistungsansprüche für zu hart halte. Ich meine, die Bundesregierung sollte höhere Leistungsansprüche nicht erst durch die erwähnte Rechtsverordnung zuerkennen, sondern die rentenrechtliche Begünstigung schon im Rahmen des jetzt anstehenden Gesetzgebungsverfahrens festlegen.
Dabei könnte ich mir folgende Lösungen vorstellen:
Erstens. Grundsätzliche Berücksichtigung des tatsächlichen Entgelts, maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
Zweitens. Bei Personengruppen, die auf Grund großer Staatsnähe oder Systemnähe besonders begünstigt waren, kann das berücksichtigungsfähige Entgelt begrenzt werden. Diese Begrenzung muß aber durch ein Gesetz erfolgen und nicht durch eine Verordnung. Mindestens jedoch ist die Rente entsprechend den tatsächlich gezahlten Beiträgen zu berechnen. Der Bestandsschutz für bereits gezahlte Leistungen ist entsprechend dem Einigungsvertrag zu regeln. Zusätzlich ist für den Gesamtbetrag aus Sozialpflichtversicherung und Zusatzversorgung eine Obergrenze von 2 010 DM vorzusehen. Dies entspricht der Regelung des Rentenangleichungsgesetzes der DDR für die Zusatzversorgung der Staatsbediensteten, Blockparteien, gesellschaftlichen Organisationen usw. Diese Regelung muß auch auf die restlichen Fälle erstreckt werden, die durch dieses Gesetz noch nicht erfaßt worden sind. Der Betrag von 2 010 DM errechnet sich aus 1 500 DM Höchstgrenze für die Zusatzversorgung plus 510 DM maximale Sozialversicherungsrente.
Der Vorschlag der Bundesregierung, die endgültige Höhe der Ansprüche aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen bis zum Erlaß einer Rechtsverordnung ungeregelt zu lassen, kann nicht akzeptiert werden.
Auch vielen Empfängern von normalen Renten der gesetzlichen Rentenversicherung blüht dieses Schicksal der Ungewißheit. Dazu heißt es an einer wichtigen Stelle des Gesetzentwurfs, daß die Renten in Ostdeutschland in einem maschinellen Verfahren aus den vorhandenen Daten über den Rentenbeginn und das Durchschnittseinkommen zu ermitteln sind. Hierbei werden ganz bewußt - wie in der Gesetzesbegründung zugegeben wird - Ungenauigkeiten in Kauf genommen. Die Rentner sollen ab 1994 - also erst in drei Jahren - einen Anspruch auf Überprüfung haben. Diese Bestimmung ist eine Zumutung.
Dem Entwurf der Bundesregierung möchte ich einige Vorschläge gegenüberstellen. Mein vordringRenate Jäger
lichstes Ziel wäre es, das westdeutsche Rentenrecht erst für die Versicherungszeiten ab 1. Januar 1992 einzuführen. Die nach DDR-Recht erworbenen Rentenanwartschaften sollten erhalten und für die Zukunft dynamisiert werden. Dies würde bedeuten, daß viele negative Wirkungen der angestrebten Rentenüberleitung für die Bürger in den neuen Bundesländern vermieden werden könnten. Ein solches Verfahren würde der bisherigen rentenrechtlichen Situation in den neuen Bundesländern eher entsprechen.
Darüber hinaus sollten die Bestimmungen über den Sozialzuschlag und über die Mindestrenten sowohl für die neuen als auch für die alten Bundesländer in die Soziale Grundsicherung einmünden. In diesen Fällen müßte Sozialhilfe nicht in Anspruch genommen werden. Die Kernpunkte einer solchen Grundsicherung wären dann folgende:
Erstens. Die Versicherungsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden durch zusätzliche Leistungen der Sozialen Grundsicherung ergänzt. Die Rentenversicherung übernimmt neben ihrer Funktion als Versicherung auch die Aufgabe, im Falle nicht ausreichender oder fehlender Versicherungsleistungen durch zusätzliche Geldleistungen vor Armut zu schützen.
Zweitens. Die Kosten der Sozialen Grundsicherung über die Versicherungsleistungen hinaus sollten vom Bund getragen werden.
Drittens. Auf die Leistungen der „Sozialen Grundsicherung" oberhalb der Versicherungsleistungen sollten sonstiges Einkommen und verwertbares Vermögen des Berechtigten angerechnet werden. Dies gilt auch für Einkommen von Ehegatten. Im Unterschied dazu dürften aber unterhaltspflichtige Eltern und Kinder nicht dazu herangezogen werden. Die Leistungen müßten nach Familienstand und Kinderzahl differenziert und alljährlich zum 1. Juli entsprechend der Entwicklung des Nettolohnes erhöht werden.
Zur Sozialen Grundsicherung gehört auch die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen. Ich möchte gerne einräumen, daß das Ziel der Sozialen Grundsicherung nicht in diesem Gesetzentwurf, sondern eher mittelfristig erreicht werden kann. Es ist aber sicher von Nutzen, dies bei der Behandlung des Entwurfs im Blick zu haben. Gleiches gilt auch für die grundsätzliche Reform der Alters- und Invaliditätssicherung der Frau. Hierbei müssen Ideen wie die verbesserte rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten, das Teilhabemodell, ein Rentensplitting oder eine eigenständige Pflichtversicherung von nichterwerbstätigen Ehegatten gleichermaßen auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.
Einer Rentenüberleitung mit Zukunftsperspektiven, die die gesellschaftlichen Probleme wie etwa die Bekämpfung der Altersarmut und die eigenständige soziale Sicherung der Frauen tatsächlich anpackt, würde die SPD-Fraktion gern ihre Zustimmung geben.
({11})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Dieter-Julius Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Frau Kollegin Jäger, möchte ich mich bei Ihnen bedanken, weil Sie es zumindest zu Beginn Ihrer Rede für erwähnenswert hielten, einzuräumen, daß in dem vorliegenden Gesetzentwurf erhebliche Verbesserungen für die Rentner in der ehemaligen DDR vorgesehen sind.
({0})
Der Gesetzentwurf sieht vor, daß 10 bis 12 Milliarden DM mehr ausgegeben werden. Zum Teil wird dieser Betrag aus den Rentenversicherungsbeiträgen der Menschen in den westlichen Bundesländern finanziert.
Ich freue mich auch darüber, daß Sie die Erkennntis haben, daß Ihr Anliegen einer sozialen Grundsicherung, zu dem ich hier nicht Stellung nehmen will, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzeswerk ganz sicher nicht realisiert werden kann.
Ich habe mich gemeldet, um noch ein paar Bernerkungen zu den Ausführungen von Rudolf Dreßler zu machen. Wer Rudolf Dreßler kennt, kennt den Rudolf Dreßler I; das ist der Rhetoriker, manchmal auch der aggressive Rhetoriker im Plenum, mit dem ich mich gleich werde auseinandersetzen müssen. Er kennt zum anderen den Rudolf Dreßler II, den sachlichen Verhandlungsführer seiner Fraktion, der mir, mit Velaub gesagt, lieber ist als Dreßler I.
Lieber Rudolf Dreßler, unbeschadet der Notwendigkeit, im Hearing das eine oder andere im Detail zu überprüfen und zu ändern, ist es erforderlich, mit aller Deutlichkeit - auch mit Blick auf die „Hygiene" unter uns - noch einmal festzustellen, daß das, was wir dem Parlament vorschlagen, die Übernahme des von uns gemeinsam beschlossenen Rentenkonsenses ist.
({1})
Dieser Konsens ist - jedenfalls nach meiner Bewertung - ein hervorragendes Stück solider Sozialpolitik. Wer das hier mit der Bemerkung beiseite schiebt, wir machten nur ein Stückchen Rechtsbereinigung für die Menschen in der alten DDR, der verkennt, welch große gesellschaftspolitische Bedeutung dieses Rentenreformrecht und unser Rentensystem haben. Stellt es denn nicht eine entscheidende strukturelle Veränderung dar, wenn anstelle statischer Rentenzusagen, die auf Parteitagen und auf Jubelparteitagen, wie der Kollege Hübner gesagt hat, gelegentlich geändert wurden, ein Rechtsanspruch auf Dynamisierung der Rente eingeführt worden ist?
({2})
Ist es denn nicht ein sozialer Fortschritt, wenn sich die Renten von 1991 bis 1995 auf das Niveau des Westens hin entwickeln werden?
Lieber Rudolf Dreßler, nun muß ich doch einmal auf Ihren Hauptvorwurf eingehen, der da lautete, wir hätten sozusagen die Chance verpaßt, bei dieser Gelegenheit Änderungen, selbstverständlich im Sinne Ihrer Vorstellung, vorzunehmen; wir hätten die Chance für Reformen verpaßt und - nach der hier benutzten Terminologie - strukturelle Veränderungen nicht vorgenommen.
Dieter-Julius Cronenberg ({3})
Die Redlichkeit gebietet es, festzustellen, daß derjenige, der über diese Dinge sinnvoll reden will - ich unterstelle jetzt einmal, daß er das im Interesse der Sache dann auch mit dem Versuch tun will, wiederum Konsens zwischen den drei Fraktionen herzustellen -, wissen muß, daß das eine lange Zeit in Anspruch nimmt. Wer also verlangt, daß wir im Zusammenhang mit der Überleitung strukturelle Reformen vornehmen, der verweigert den Menschen in der ehemaligen DDR auf Jahre das von uns gemeinsam verabschiedete Gesetz von 1989.
({4})
Genau das ist übergekommen, und das ist auch der Grund, warum ich mich noch einmal gemeldet habe.
({5})
- Ich werde das ganz sicher nachlesen. Aber ich weiß, was übergekommen ist und was überkommen sollte.
({6})
Das ist genau das Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen.
Ich will nun noch auf ein paar Dinge eingehen.
Die Diskussion um die Kindererziehungszeiten und deren rentenrechtliche Anrechnung ist auch in unseren Reihen nicht unumstritten. Es lassen sich für das eine oder andere gute Argumente anführen. Ich habe es immer bedauert, daß sich unsere Fraktion mit der additiven Lösung, d. h. während der Berufstätigkeit auch Ansprüche aus Kindererziehung zu gewähren, nicht hat durchsetzen können.
({7})
Aber das ist und bleibt ein Anliegen der FDP. Ich habe mich - ich will gar nicht lange darum herumreden - nicht immer durchgesetzt. Aber ich habe lange genug Koalitionen in unterschiedlicher Zusammensetzung erlebt und weiß, daß ich gelegentlich nachgeben und es bei passender Gelegenheit wieder vorbringen muß. Man muß eben dicke Bretter bohren. Ich bin sicher: Zum Schluß wird das „Unternehmen" schon auf die richtige Schiene kommen.
({8})
Aber man darf nicht vergessen, daß wir ab 1992 Kindererziehungszeiten in einem Umfang einführen, der traumhaft ist. Es geht nicht an, das nicht zu erwähnen. Herr Geißler hat mit Recht darauf hingewiesen: Statischen 6 Mark nach altem DDR-Recht stehen 30 DM dynamisch pro Jahr gegenüber. Darauf kommt es entscheidend an. Mir sind Kindererziehungszeiten mit statischen Beträgen auf niedrigstem Niveau nicht so lieb wie dynamische Beträge auf hohem Niveau, mögen sie auch einmal weniger dynamisch sein. Das ist das Entscheidende.
Ich muß Ihnen, Frau Kollegin Jäger, sagen: Ich halte die Darstellung der Hinterbliebenenrenten als reaktionären Schritt - ich glaube, das war die Formulierung von Rudolf Dreßler - nicht für richtig. Ich habe Verständnis dafür, wenn man unterschiedlicher Meinung darüber ist, ob es eine abgeleitete Rente sein soll oder nicht. Diejenigen, die im Zusammenhang mit dem Renten-Überleitungsgesetz von der Hinterbliebenenrente profitieren, sind diejenigen, die in der ehemaligen DDR wohnen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, waren in der ehemaligen DDR annähernd 90 % der Frauen beschäftigt. Wenn ich die Hinterbliebenenrente zu dieser eigenständigen Rente hinzufüge, ist das doch nicht das Abschaffen eines eigenständigen Rentenanspruchs für 90 % der Frauen. Das ist vielmehr eine zusätzliche soziale Leistung, die den Minderverdienst der Frau ausgleicht, den es in der DDR offensichtlich gegeben hat.
Bei allem Respekt vor der Tatsache, daß die Diskussion über diesen Fragenkomplex offen geführt wird: Wer das übersieht, benutzt diese Vorlage für eine Polemik, die an dieser Stelle nicht angebracht ist.
({9})
Ich möchte kurz auf die Problematik der Auffüllbeträge und der Sozialzuschläge eingehen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage mit allem Ernst: Wer den sozialen Frieden in diesem Lande haben und erhalten will - das ist unser Anliegen -, muß auch dafür sorgen, daß am Ende der Aktion nicht ungewollt Privilegierungen für die Menschen, die aus der ehemaligen DDR in die alten Bundesländer gekommen sind, entstehen. Die Fortschreibung der Auffüllbeträge und insbesondere des Sozialhilfezuschlages wird dann ein großes Problem werden, wenn dies am Ende der Anpassungsphase dazu führt, daß die Einkommen der Rentnerinnen und Rentner aus dem Osten höher sind als die der Rentnerinnen und Rentner aus dem Westen.
({10})
- Sicher tritt das ein. Da gehe ich jede Wette ein. Das ist logisch für denjenigen, der das System kennt, und Heyenn sollte es kennen.
Wir dürfen nicht vergessen, daß die Sozialzuschläge pauschalierte Sozialhilfeansprüche sind, die nur eingeführt wurden, weil die Bedürftigkeit nicht geprüft werden konnte.
Vor diesem Hintergrund muß eine solche Diskussion mit aller Vorsicht geführt werden. Sonst sehen Sie in den Versammlungen genauso „herrlich" aus wie wir auch, weil uns dort mit Recht vorgeworfen wird, daß hier Privilegien geschaffen worden sind.
({11})
- Es ist ausgezeichnet, daß wir uns wengistens in diesem Punkt sauber unterscheiden.
Diese Hilfskonstruktionen haben in einer Übergangsphase bei einem Rentenniveau von 50 % ihren Sinn, aber bei einem angepaßten Rentenniveau sieht das anders aus.
Frau Jäger, ich möchte mit ein paar Worten ausdrücklich unterstreichen - das hat auch schon der Kollege Hübner getan - , daß wir Sonderregelungen im Zusammenhang mit den SonderversorgungssysteDieter-Julius Cronenberg ({12})
men von Ärzten, Technikern und teilweise auch Lehrern unbedingt brauchen. Ich bin allerdings der Meinung: Der Verordnungsweg ist richtiger, weil die Dinge so kompliziert sind, daß wir im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere dann, wenn wir es hier mit hineinpacken wollten, ganz große Probleme bekämen.
In dieser Debatte ist mit viel sozialem Engagement argumentiert worden. Man verlangt hier und dort zusätzliche soziale Leistungen. Es darf aber in einer sozialpolitischen Diskussion nicht so sein, daß niemand darauf hinweist, daß jede Mehrleistung auch solide finanziert werden muß, d. h., daß in unserem Rentenversicherungssystem das Geld durch die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber erst aufgebracht werden muß.
Lieber Kollege, die Redezeit ist überschritten.
Frau Präsidentin, ich werde mich bemühen, mein Anliegen in zwei, drei Sätzen noch vorzubringen.
Mein Anliegen ist es, darauf hinzuweisen, daß die Arbeitnehmerbeiträge wie die Arbeitgeberbeiträge mit jeder zusätzlichen Forderung erhöht werden. Ein Bruttoeinkommen von 3 000 DM löst heute schon Personalzusatzkosten von weiteren 3 000 DM aus. Der Arbeitnehmer muß für 6 000 DM arbeiten und bekommt netto 1 700 bis 1 800 DM - im Verhältnis zu seiner Leistung ein Taschengeld - ausgezahlt. Jeder, der sich hier hinstellt und mehr verlangt, ohne eine solide Finanzierung vorzulegen, vernichtet Arbeitsplätze, weil das Ganze hinterher viel zu teuer ist.
({0})
Lassen Sie mich das am Schluß noch einmal in Ihr Gedächtnis rufen, damit Sie nicht große Fehler machen.
({1})
Zum Schluß, lieber Kollege Heyenn, möchte ich zu den letzten Sätzen der Rede von Rudolf Dreßler sagen: Das Angebot, im Hearing und im Ausschuß in aller Sachlichkeit miteinander zu reden, wird dankend angenommen.
Herzlichen Dank.
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/405 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ursula Männle, Renate Diemers, Rainer Eppelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Eva Pohl, Norbert Eimer ({0}), Hans A. Engelhard, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Familien mit Kindern
Gesetz zur Einführung von Mütterunterstützung für Nichterwerbstätige in den neuen Bundesländern
- Drucksache 12/409 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie und Senioren ({1}) Ausschuß für Frauen und Jugend
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Maria Michalk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu einem Zusatztagesordnungspunkt, der ganz viel mit dem zu tun hat, was wir soeben besprochen haben. Es geht um die Wertigkeit der Zeit, die Mütter ihren Kindern widmen.
Die Ideologie des ehemaligen DDR-Staates - so wissen wir alle - war so konzipiert, daß Frauen und Mütter voll in den Berufs- und Erwerbsprozeß einzubinden sind. Es gab kaum Optionen, sich dem sozialistischen Erziehungsziel der Fremdbestimmung des Kindes zu widersetzen, wollte man nicht das Risiko erheblicher wirtschaftlicher Benachteiligung in Kauf nehmen.
Der Einigungsvertrag hat die Grundlagen für die staatliche Einheit unseres Landes geschaffen. Angesichts unterschiedlicher rechtlicher und institutioneller Ausgangssituationen ist auch die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einheitlich zu gestalten.
Nach einer Verordnung der ehemaligen DDR hatten berufstätige Mütter nach der Geburt des ersten Kindes im Anschluß an den Wochenurlaub Anspruch auf Mutterunterstützung in Höhe des Krankengeldes, auf das sie bei eigener Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit ab der 7. Woche der Arbeitsunfähigkeit im Kalenderjahr selber Anspruch haben.
Diese Leistung wurde durch die Bestimmung im Kapitel X des Einigungsvertrages übernommen. Das heißt, für bis zum 31. Dezember 1990 geborene Kinder wird die in der damaligen DDR geltende Regelung angewandt.
Das heißt im Klartext: Wer nicht berufstätig war, der hatte keinen Anspruch auf Mütterunterstützung. Deshalb sind viele Frauen, die nach der Geburt des ersten Kindes ihr zweites oder drittes Kind erwarteten, mehr oder weniger gezwungen worden, vor Eintritt in den Schwangerschaftsurlaub ein oder zwei Monate, manchmal auch nur eine Woche, arbeiten zu gehen, damit sie den Nachweis „berufstätig" im Sinne des Gesetzgebers führen konnten. Das war für die Betroffenen zum Teil sehr unschön, aber auch für manchen Betrieb fatal.
Für Mütter, die ihre Kinder nach dem 1. Januar 1991 zur Welt brachten, ist diese Regelung Gott sei Dank Geschichte. Sie haben Anspruch auf Erziehungsgeld. Leider besteht gegenwärtig noch eine Lücke, die von den Betroffenen zu Recht als Unrecht empfunden wird. Dazu gehören insbesondere Hausfrauen oder Schülerinnen in den neuen Bundesländern, deren Kinder nach dem 3. Oktober 1990, aber vor dem 1. Januar 1991 geboren sind. Erwerbstätige Mütter haben in der Übergangszeit ihren Anspruch auf teilweise Lohnfortzahlung behalten. Nichterwerbstätige haben keinen Anspruch.
Mit dem vorliegenden Entwurf der Abgeordneten der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion soll diese Ungleichbehandlung aufgehoben werden. Es soll sichergestellt sein, daß nunmehr auch Hausfrauen und Schülerinnen, deren Kinder in dem genannten Zeitraum geboren sind, eine Mütterunterstützung in Höhe des Mindestbetrages erhalten, der für Vollerwerbstätige gilt. Dieser Anspruch beginnt vom Tag der Geburt des Kindes an. Die Gewährung dieser Leistung an nicht erwerbstätige Frauen und Mütter ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern geradezu Verpflichtung für uns, wenn wir es mit der Gleichstellung von Frauen in Beruf und Haushaltstätigkeit ernst meinen.
Ich persönlich bedaure es sehr, daß die Notwendigkeit dieser Sonderregelung in der Diskussion um den Einigungsvertrag nicht erkannt wurde. Deshalb soll dieses Gesetz rückwirkend in Kraft treten.
Die Gewährung der Mindestbeiträge von 250 DM für ein Kind, 300 DM für das zweite Kind und 350 DM bei drei oder mehr Kindern kann nur eine Minimallösung bedeuten. Die Mindestbeträge weiterhin zu erhöhen sollten wir als wünschenswerte Lösung weiter im Auge behalten.
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf stellt einen weiteren Schritt dar. Einen familienpolitisch notwendigen Ausgleich für den bislang nicht berücksichtigten Personenkreis zu schaffen, entbindet uns aber nicht von unserer Aufgabe, die notwendigen Prioritäten in der Familienpolitik weiterhin zielstrebig zu verfolgen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Frank-Michael Habermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Mit dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf arbeiten wir ein sozialpolitisches Versäumnis auf. Mütterunterstützung soll auch den Frauen und Familien, wie Sie, Frau Michalk, erläutert haben, gewährt werden, die von diesen Leistungen bisher ausgeschlossen waren. Wir von der SPD begrüßen grundsätzlich, daß jetzt auch die Familien begünstigt werden, die nach dem 3. Oktober als einzige Gruppe nach der Geburt eines Kindes kein Erziehungsgeld oder Mütterunterstützung bekamen.
Der vorliegende Gesetzentwurf macht aber aus dem bis heute bestehenden Dreiklassenrecht in einem geeinten Deutschland nur ein Zweiklassenrecht. Warum spreche ich von einem Dreiklassenrecht? Zu der ersten Klasse zähle ich die Familien, die einen Anspruch auf Erziehungsgeld haben. Die zweite Klasse, die wir schon jetzt haben, sind die Familien, die zwischen dem 3. Oktober und dem 31. Dezember vergangenen Jahres ein Kind bekamen und einen Anspruch auf Mütterunterstützung haben, sofern die Frau berufstätig war. Die dritte Klasse war die von Ihnen beschriebene Gruppe von Frauen, die nicht berufstätig waren und die bisher leer ausgingen.
Jetzt gibt es also ein Zweiklassenrecht. Unbestreitbar: Die Leistungen, die diesen Familien in den neuen Bundesländern zufließen, sind eine beachtenswerte Aufstockung ihres Familieneinkommens. Die meisten Familien werden diese zusätzlichen Mittel für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts dringend benötigen. Aber - so werden sie mit Recht fragen; es geht um eine Nachbesserung - warum konnten rückwirkend nicht alle Familien in den neuen Bundesländern Erziehungsgeld bekommen? Warum ist z. B. die Erziehungsleistung einer Familie, deren Kind in dieser Zeit in Ost-Berlin geboren wurde, rund die Hälfte weniger wert als die Erziehungsleistung der Familie, deren Kind in West-Berlin geboren wurde? Und warum - das ist meine Frage, die wir im Ausschuß weiter beraten müssen - machen wir die Leistungen, die das Erziehungsgeldgesetz bei uns für alle Familien anbietet, nicht gleich auch den Familien in den fünf neuen Bundesländern zugänglich?
Wir Sozialdemokraten werden deshalb in den Ausschußberatungen zu prüfen haben, ob diese Ungleichbehandlung von Familien schlüssig zu begründen ist. Wir werden zu prüfen haben, ob mit dem vorgelegten Gesetzentwurf festgeschriebene Benachteiligungen der Familien in den neuen Bundesländern zu rechtfertigen sind. Wir werden ganz genau prüfen, ob es nicht nachträglich möglich ist, die Leistungen des Erziehungsgeldgesetzes auch jenen Familien zugänglich zu machen, die bisher ausschließlich Mütterunterstützung erhalten haben.
Wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß es mit dem Ziel der sozialen Einheit in Deutschland nicht in Einklang zu bringen ist, wenn wir auch nur für eine begrenzte Zeit unterschiedliche soziale Leistungen in unterschiedlicher Höhe bei gleichen Anspruchsvoraussetzungen fördern. Wenn wir schon nachbessern, sollten wir an dieser Stelle genau diesen Schritt überlegen: Nicht weniger, sondern mindestens gleich viel sollten wir den Familien in den fünf neuen Bundesländern zukommen lassen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf die Beratungen des Haushaltbegleitgesetzes. Dort gesteht Ihr Entwurf den Familien beim Kindergeld ausdrücklich eine höhere Leistung zu, und zwar für die Ein-Kind-Familien in Höhe von 15 DM. Sie begründen das in diesem Gesetzentwurf damit, daß es das allgemein niedrigere Einkommensniveau in den neuen Bundesländern rechtfertigt, dieses zusätzliche Kindergeld zu zahlen. Warum, so frage ich, rechtfertigt eben dieses Einkommensniveau nicht auch, daß wir rückwirkend Erziehungsgeld zahlen?
Es geht um eine Sozialleistung für Familien, die ein niedrigeres Einkommensniveau haben. Trotzdem führt das bei Ihnen in beiden Gesetzentwürfen, die
wir im Parlament beraten, zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie müssen sich bei dem Thema, das wir hier erörtern, auch an Ihren selbstgesetzten Zielen messen lassen. Ich zitiere: „Familienpolitik in einem geeinten Deutschland kann kein Abbild der Familienpolitik der Bundesrepublik sein. " So Ihr Fraktionsmitglied und Präsident des Familienbundes der Deutschen Katholiken, Herr Kollege Karl Fell.
Vergleichen wir - Sie haben das ja schon in gewissem Umfang getan - die Leistungen der Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Familien mit Kindern mit denen unseres Erziehungsgeldgesetzes, so stellen wir fest, daß erwerbstätige Mütter in der ehemaligen DDR für ihren Erziehungsurlaub 70 bis 90 % ihres vorigen Nettoeinkommens als Mütterunterstützung bekamen.
Bei einer Frauenerwerbsquote von über 90 %
- diese Zahl ist auch vorhin bei der Beratung erwähnt worden - war so sichergestellt, daß fast allen Frauen
- bis auf eine kleine Minderheit - bei der Geburt ihrer Kinder diese Sozialleistung zufloß.
Noch einmal: Ich kritisiere nicht, daß auch die bisher nicht berücksichtigten Frauen jetzt in den Genuß dieser Leistung kommen. Ich hebe vielmehr darauf ab, daß die Leistungen, die damals gewährt wurden, eine Lohnersatzleistung waren. Sie wissen, daß wir Sozialdemokraten uns auch bei der Diskussion über die Fortentwicklung des Erziehungsgeldes durchaus an dem Ziel orientieren, daß das Erziehungsgeld zu einer Lohnersatzleistung ausgebaut werden muß, damit wir die soziale Wirkung, die wir dieser Maßnahme zurechnen, voll zur Entfaltung bringen können.
Wir wissen, daß die Erwerbstätigkeit für Frauen selbstverständlich war und daß sich die Frauen dort eine eigene soziale Position in ihrer Gesellschaft gesichert hatten. Es mag nur konsequent sein im Sinn des Kollegen Fell, der gesagt hat, wir sollten nicht einfach nur die Ziele der Familienpolitik aus der ehemaligen Bundesrepublik auf ein vereintes Deutschland übertragen, wenn wir genau dieses Ziel nicht aufgeben.
Deshalb noch einmal mein Hinweis: Reden Sie mit uns darüber, ob wir nicht auch für diesen Personenkreis das Erziehungsgeld ansetzen können!
Wir wollen erreichen, daß es den Familien in den fünf neuen Bundesländern besser geht. Wir wissen
- dazu darf ich Ihnen eine Notiz aus dem „Berliner Tagesspiegel" vom 23. April zur Kenntnis bringen -, daß es gerade wirtschaftliche Schwierigkeiten sind, die Familien in den neuen Bundesländern dazu bewegen, die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu verschieben. Dort wird auch festgestellt, daß weniger Eheschließungen stattfinden.
Wir müssen beachten, daß gerade Sozialleistungen an dieser Stelle ein wesentliches Element der Stabilisierung sind. Wenn wir nicht von Anfang an den Familien in den neuen Bundesländern die Sozialleistungen zur Verfügung stellen, die Familien in den alten Bundesländern zustehen, tragen wir weiter zu dieser Entwicklung bei, daß Familien verunsichert sind und keine Lebensperspektive haben.
Wir stehen als SPD-Fraktion in der Verantwortung, einen Teil der Familien in den neuen Bundesländern für eine gewisse Zeit nicht zu Familien zweiter Klasse werden zu lassen. Die SPD-Fraktion wird sich in den Ausschußberatungen in diesem Sinne für eine Verbesserung des Gesetzentwurfs einsetzen. Wir sind in erster Lesung dem Gesetzentwurf gegenüber positiv eingestellt, und wir warten die Beratungsergebnisse im Ausschuß ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster hat das Wort die Abgeordnete Dr. Eva Pohl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Abgeordnete aus dem neuen Bundesland Thüringen ist es mir heute eine besondere Freude, über eine weitere Verbesserung der Lebensbedingungen der Familien mit Kindern in meiner Heimat berichten zu können. Zugleich bietet mir der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung von Mütterunterstützung für nichterwerbstätige Frauen die außerordentlich begrüßenswerte Gelegenheit, Antwort auf viele Eingaben aus meinem Wahlkreis zu geben:
Rückwirkend zum 3. Oktober 1990, dem Tag der Herstellung der deutschen Einheit, erhalten nun auch Hausfrauen und Schülerinnen in Änderung der vom sozialistischen Gedankengut geprägten DDR-Vorschriften eine Mütterunterstützung.
Nichterwerbstätige Mütter aus den neuen Bundesländern, deren Kind zwischen dem 3. Oktober 1990 und dem 31. Dezember 1990 geboren wurde, erhalten jetzt ab der Geburt monatlich 250 DM bei einem, 300 DM bei zwei und 350 DM bei drei oder mehr Kindern, und zwar für ein Kind bis zum Ende des ersten Lebensjahres, ab dem dritten Kind bis zum Ablauf des 18. Lebensmonats, bei Zwillingen bis zum Ende des zweiten sowie bei Drillingen bis zum Ende des dritten Lebensjahres.
Ich begrüße dies, da es mir ein Herzensanliegen ist. Denn diese Übergangsregelung schließt eine soziale Lücke. Weil Hausfrauen und Schülerinnen in den neuen Bundesländern, deren Kinder vor dem 1. Januar 1991 geboren wurden, weder Mütterunterstützung noch Erziehungsgeld bekamen, beseitigen wir mit dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf einen sozialen Mißstand. Damit erkennen wir - entgegen der Mütterunterstützungsverordnung der ehemaligen DDR - auch die Erziehungsleistung von nichterwerbstätigen Müttern im Beitrittsgebiet an.
Positiv zugunsten dieser ca. 20 000 Hausfrauen und Schülerinnen schlägt sich auch die damit geschaffene Möglichkeit der Vermeidung der Sozialhilfebedürftigkeit nieder. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie schwer meinen Mitbürgern der Weg zum Sozialamt fällt.
Die mit dem Entwurf eingeführte Übergangsregelung kostet den Bund, was man nicht vergessen sollte, den nicht unerheblichen Betrag von 15,12 Millionen
DM im Jahr 1991, 1,73 Millionen DM im Jahr 1992 und schließlich 30 000 DM im Jahr 1993. Dies sollten, dies müssen wir uns aber, so meine ich - ich spreche für 20 000 nichterwerbstätige Frauen - als Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit kosten lassen.
Ich fordere Sie daher auf, daran mitzuwirken. ({0})
Als nächste hat Frau Dr. Ursula Fischer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir unterstützen den Gesetzentwurf. Wir sehen, daß eine Lücke des Einigungsvertrags geschlossen wird. Wir hoffen natürlich, daß das bei anderen Lücken genauso unkompliziert gehandhabt wird.
Diese Nachbesserung erfolgt nach unserer Rechnung - ich möchte mich dazu gern mit meiner Kollegin Pohl in Verbindung setzen - zugunsten von ca. 4 200 nicht erwerbstätigen Müttern und ihrer zwischen dem 3. Oktober und dem 31. Dezember 1990 geborenen Kinder.
Dennoch hoffen wir gerade für diese Mütter, daß die Nichterwerbstätigkeit für sie nicht die einzige Perspektive bleibt. Wir wünschen ihnen, daß sie zwischen der häuslichen Betreuung ihres Kindes - die ich für sehr wichtig halte - und beruflicher Tätigkeit frei wählen können. Bei beruflicher Tätigkeit sollten sie auch einen Kinderbetreuungsplatz vorfinden, wie es die UNO-Kinderkonvention gebietet: als Rechtsanspruch für jedes Kind, auch für Mütter, die nicht ersind.
Wir Parlamentarier der PDS/Linke Liste sind gern bereit, mit den Kolleginnen und Kollegen, die sich für den vorliegenden Gesetzentwurf engagiert haben, interfraktionell zusammenzuarbeiten, um gegen die ganzen Ungerechtigkeiten, die der Kollege von der SPD aufgezählt hat, vorzugehen und um außerdem Arbeitsplätze für Frauen und Betreuungsplätze für die Kinder zu schaffen und auch dies gesetzlich zu regeln.
Im Interesse der genannten Mütter und ihrer Kinder wünschen wir, daß der vorliegende Entwurf möglichst schnell - unter Einschluß aller weiteren Fragen - die parlamentarischen Ebenen durchläuft.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})
Als nächste hat die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße im Namen der Bundesregierung die Initiative der Koalitionsfraktionen, diesen Gesetzentwurf einzubringen, der - wie hier schon von verschiedenen Seiten dargestellt worden ist - darauf angelegt ist, eine Lücke zu schließen, die bei dem komplizierten Vertragswerk des Einigungsvertrags übriggeblieben und Gott sei Dank rechtzeitig erkannt worden ist.
Ich will mir auch ersparen, den Inhalt dieses Gesetzes noch einmal darzustellen. Maria Michalk und andere haben eindeutig geklärt, um was es hierbei geht. Ich möchte die kurze Redezeit lieber dazu benutzen, um mein Unverständnis für das auszudrücken, was Sie, Herr Kollege Habermann, vorhin hier vorgetragen haben. Ich meine Ihre Erklärung zu dem „DreiKlassen-Recht" .
Ist Ihnen denn nicht bewußt, Herr Kollege, daß mit dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik eine grundsätzlich neue Ara begonnen hat und daß sich die Einheit für alle Frauen auch darin ausdrückt, daß kein Unterschied mehr zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Frauen gemacht wird
({0})
und daß jetzt allen Frauen - diese Erwartung besteht - diese Unterstützung ab dem Tag des Beitritts gegeben wird?
Wenn Sie nun sagen, man hätte das Erziehungsgeld rückwirkend einführen müssen, dann müßten Sie mit gleichem Recht fordern, daß die ganze Familienpolitik, der Lastenausgleich und schließlich die gesamten Sozialgesetze - mit dem 3. Oktober und nicht erst mit dem 1. Januar dieses Jahres hätten übergeleitet werden müssen. Dann gelangen Sie aber zu einem Finanzvolumen, das den vorherigen Haushalt restlos gesprengt hätte.
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Es ist also sehr unrealistisch, eine solche Forderung zu erheben.
Mir scheint, es ist auch unseriös; denn Ihre Partei hat dem Einigungsvertrag schließlich zugestimmt. Auch das muß ich hier erwähnen.
Ihre andere Erklärung, daß Ihnen persönlich oder sogar Ihrer Fraktion die entsprechende Regelung der DDR, die Erziehungsleistung nämlich in Abhängigkeit von der vorherigen Erwerbsarbeit der Frau zu bemessen, lieber ist, verstehe ich überhaupt nicht. Schließlich hatten Sie, bevor wir das Erziehungsgeld eingeführt haben, ein Mutterschaftsurlaubsgesetz verabschiedet, das auch nicht darauf abgehoben hat, was die erwerbstätige Frau vorher verdient hat. Vielmehr haben Sie damals den richtigen Grundsatz „Kind ist gleich Kind" erkannt: Der Staat kann Erziehungsleistungen nicht unterschiedlich bemessen; er muß sie für jedes Kind gleich dotieren. Denn wir können keine qualitativen Unterschiede festsetzen. Jetzt kehren Sie zu alten Ideologien zurück, die die SPD bereits verlassen hatte.
Ich meine, es war nötig, daß ich als Vertreterin der Bundesministerin dies hier klargestellt habe.
Aber ich möchte die Gelegenheit dieser ersten Beratung gern nutzen, um noch eines deutlich zu machen.
Ich wende mich an die Familien in den neuen Bundesländern. Wir sind uns durchaus bewußt - Frau Ministerin Rönsch hat das an dieser Stelle schon oft genug gesagt - , daß noch viele Steine aus dem Weg zu räumen sind, bevor wir eine Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland haben. Das gilt auch für die Familienpolitik.
Nicht zuletzt deshalb wollen wir auf diesem Feld in dieser Legislaturperiode wichtige Verbesserungen durchsetzen. Ich nenne sie kurz:
1992 soll der Erziehungsurlaub auf drei Jahre ausgedehnt werden, und zwar mit Arbeitsplatzgarantie. Das dürfte wohl für die Frauen in den neuen Ländern ganz besonders wichtig sein. Das Erziehungsgeld soll ein halbes Jahr länger und dann bis zum Ende des zweiten Lebensjahres der Kinder gewährt werden.
Wir wollen mit den Ländern - das ist ebenfalls sehr wichtig, weil das in der politischen Diskussion ein Dauerthema ist - , West wie Ost, einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz schaffen. Das heißt für mich, das heißt für die Bundesregierung, daß wir das flächendeckende Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen in den neuen Bundesländern auf jeden Fall erhalten müssen. Der Bund hat dazu schon eine Menge getan, auch finanziell.
Noch ein Letztes: In der ehemaligen DDR gab es eine großzügige Freistellungsregelung für Arbeitnehmer bei Erkrankung ihrer Kinder. So konnten sich alleinerziehende Mütter bis zu vier Wochen im Jahr freistellen lassen.
Hier ist ein Fall, wo eine Angleichung im umgekehrten Verhältnis stattfinden muß. Wir im Westen müssen nachbessern und aus den besseren Regelungen in den östlichen Ländern Nutzen ziehen. Zur Pflege kranker Kinder sollen deshalb Arbeitnehmer statt wie bisher fünf künftig zehn Tage und Alleinerziehende 20 Tage von der Arbeit freigestellt werden können.
Ich denke, das, was ich hier vorgetragen habe, zeigt noch einmal, wie sehr sich die Bundesregierung bemüht, nicht nur den neuen Mitbürgern in den neuen Bundesländern deutlich zu machen, wie wir Familien- und Frauenpolitik verstehen und daß wir keine Unterschiede zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Frauen wollen. Es dient auch als Beleg dafür, daß wir nicht alles, was drüben besser war, einfach unter den Teppich kehren, sondern daß wir lernen und an familienpolitische Leistungen angleichen wollen, die es bei uns so noch nicht gegeben hat.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/409 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Ich rufe den letzten Zusatzpunkt auf: Aktuelle Stunde
Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 zur Abwicklung
Diese Aktuelle Stunde hat die Gruppe der PDS/ Linke Liste beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine wenigen Damen und Herren!
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- Vier, mit mir zusammen. Ich bitte doch, nachzurechnen.
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil es meines Erachtens darum geht, hier eine Veränderung in der Politik einzuleiten, und weil es sich lohnt, über die Fragen nachzudenken, die im Zusammenhang mit diesem Urteil und überhaupt mit den Vereinbarungen zur Abwicklung im Einigungsvertrag stehen.
Sie wissen, daß ich das Urteil im Prinzip kritisch werte. Darauf kommt es zwar nicht mehr an, wenn es einmal gesprochen ist - das ist mir als Anwalt bekannt - . Trotzdem weise ich darauf hin, daß die gesamte Abwicklung, wie sie jetzt in den östlichen Bundesländern verläuft, über 500 000 Menschen, zumindest möglicherweise betrifft. Es wird immer so getan, als gehe es hier nur um die Verwaltung. Dabei wird noch gesagt, sie sei völlig überdimensioniert besetzt, während andererseits erklärt wird, es fehlten viele Beamte in der Verwaltung. Dieser Widerspruch wird selten aufgelöst. Was fast völlig unterschlagen wird, ist die Tatsache, daß zu diesem öffentlichen Dienst auch die Universitäten und Hochschulen, die Theater, die Tierparks und viele andere Einrichtungen gehören, an die man unmittelbar überhaupt nicht denkt, wenn man von Verwaltung spricht.
Besonders unverständlich ist mir, daß das häufig sehr politisch und ideologisch begründet und ein großer Teil der Bevölkerung von vornherein ausgeschlossen wird.
Gestatten Sie mir den Versuch, etwas mehr Nachdenklichkeit in diesen Prozeß hineinzubringen. Es kann auch seitens der Regierungskoalition gar kein Interesse daran bestehen, daß Hunderttausende von Menschen davon ausgehen, das neue System wolle sie nicht und lehne sie praktisch ab, und daß sie die Erfahrung machen, sich nicht demokratisch einordnen zu dürfen. Das muß dann auch ihre innere Haltung und ihre Einstellung zu den neuen gesellschaftlichen Bedingungen bestimmen. Eigentlich dürfte es gar nicht in erster Linie meine Aufgabe sein, darüber nachzudenken.
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Aber ich verstehe nicht, weshalb dieses Mindestmaß an Nachdenklichkeit nicht besteht.
Ich will noch auf etwas hinweisen, nämlich den Art. 132 des Grundgesetzes. Danach wurden Beamte und Richter, die vor 1945 auf Lebenszeit angestellt waren, in das Beamtentum der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Es gab eine Spezialverordnung der Regierung dazu. Einige mußten entlassen werden. Lesen Sie in den Kommentaren zum Grundgesetz, wie viele entlassen wurden. Es waren etwa tausend Personen. Alle anderen wurden übernommen. In der soeben genannten Verordnung war im § 3 geregelt - das finde ich sehr bedeutend - , daß die frühere Mitgliedschaft in der NSDAP bei der Frage
der Eignung keine Rolle spielen darf. Das war ausdrücklich fixiert. Schauen Sie sich dann an, wie heute in den neuen Bundesländern die politische Ausgrenzung stattfindet und welche Maßstäbe heute plötzlich angelegt werden.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat auch positive Elemente. Darauf weise ich ausdrücklich hin. Das gilt nicht nur für den erweiterten Kündigungsschutz für Mütter und Schwangere und dafür, daß das Schicksal Schwerbehinderter, älterer Arbeitnehmer, Alleinerziehender und auf ähnliche Weise Betroffener stärker zu berücksichtigen ist, sondern es gilt vor allem für die Frage der Definition des Begriffs der Abwicklung.
Das schaue sich die Bundesregierung bitte sehr genau an. Denn daraus ergibt sich, daß ein großer Teil der Abwicklungen, die gegenwärtig in den neuen Bundesländern stattfinden, grundgesetzwidrig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig gesagt: Eine Abwicklung ist nur dann gegeben, wenn die Struktur wirklich aufgelöst wird.
Beim Rat des Bezirkes ist das nachvollziehbar: Wenn es keinen Bezirk mehr gibt, braucht es auch den Rat nicht mehr zu geben. Das ist sozusagen einleuchtend. Aber gegenwärtig wird in den meisten neuen Bundesländern der Begriff der Abwicklung genutzt, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massenhaft zu entlassen, z. B. im Hochschulbereich, und dann die Struktur mit neuen Leuten wieder aufzubauen. Das geschieht, um eine politische Ausgrenzung vorzunehmen. Dafür kann ich Ihnen Beispiele von der Humboldt-Universität oder anderen Einrichtungen nennen. Das ist ganz eindeutig.
Hier hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben. Es hat gesagt: Das ist kein Fall von Abwicklung. Mithin gelten hier die allgemeinen Kündigungsschutzregelungen. Mithin dürfen die entsprechenden Regelungen des Einigungsvertrags auf diesen Bereich nicht angewendet werden.
Das bedeutet meines Erachtens, daß die Bundesregierung, aber auch die Landesregierungen und vor allem der Senat von Berlin verpflichtet sind, unverzüglich die im Widerspruch zu dieser Entscheidung massenhaft eingeleiteten Maßnahmen rückgängig zu machen und dafür zu sorgen, daß die Abwicklung, wenn überhaupt, wirklich nur da stattfindet, wo sie nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zulässig ist, und nicht eine sogenannte Scheinabwicklung zu veranstalten, um sich von unliebsamen Leuten zu trennen, die man einfach nicht mehr haben will.
Herr Kollege Gysi, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Bitte an Sie zum Schluß: Versetzen Sie sich bei Ihren Gedankengängen - auch wenn das eine oder andere etwas gehässig sein sollte - in die Lage dieser hunderttausende Menschen. Denken Sie nicht nur darüber nach, wie sie sie ausgrenzen können. Denken Sie auch einmal darüber nach, wie sie eine Chance bekommen.
Das wäre für dieses Land von Vorteil und nicht von Nachteil.
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Das Wort hat die Abgeordnete Erika Steinbach-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist praktisch unmöglich, ein verfassungsgerichtliches Urteil von 54 Seiten Umfang in fünf Minuten im Detail zu bewerten. Letztlich ist das aber auch gar nicht nötig. Der Urteilstenor läßt sich sehr knapp zusammenfassen.
Die CDU/CSU ist in ihrer Auffassung bestätigt worden, daß die Regelung des Einigungsvertrags, die das Ruhen und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen in der öffentlichen Verwaltung der neuen Bundesländer betreffen, grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar sind. Wir gehen selbstverständlich davon aus, daß die mutterschutzrechtlichen Kündigungsbeschränkungen über den Rahmen der Regelungen des Einigungsvertrags hinaus gemäß dem Spruch des Verfassungsgerichts wirksam werden.
Der Hinweis der Verfassungsrichter, Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern und Alleinerziehenden seien besondere Hilfestellungen zu geben, ist in weiten Bereichen bereits erfüllt und zum Teil sogar übertroffen worden. Wir haben uns gestern über den Bereich Schwerbehinderte unterhalten. So wird auf Initiative des Bundesinnenministers bereits seit März dieses Jahres das Kündigungsschutzgesetz für Schwerbehinderte angewendet, obwohl das vom Verfassungsgericht überhaupt nicht gefordert worden ist. Das heißt, die von der Bundesregierung getroffenen Regelungen gehen in dieser Hinsicht weiter.
Hilfestellungen zur Umschulung, zur Qualifizierung und zur Eingliederung in den Arbeitsprozeß sind in den neuen Bundesländern nicht nur für Schwerbehinderte vorgesehen, sondern sind weit über das Maß in der alten Bundesrepublik bislang üblicher Integrationsmaßnahmen hinaus auch für die weiteren dortigen Arbeitslosen vorhanden. Das war von Anfang an so gewollt und vorgesehen. Die von den Verfassungsrichtern benannten Personengruppen werden dabei im Rahmen des Möglichen jetzt besondere Berücksichtigung zu finden haben.
Die Regelungen für die Mitarbeiter im Bereich des öffentlichen Dienstes der früheren DDR - das will ich nicht verhehlen - sind für den einzelnen Betroffenen zum Teil wirklich sehr belastend, falls er nicht in den öffentlichen Dienst übernommen werden kann. Wenn ich mir aber, Herr Dr. Gysi, die Äußerungen aus den Reihen der PDS dazu anhöre, muß ich sagen, daß die Frechheit und die Unverfrorenheit unerträglich sind, mit der Sie die Bundesregierung als den Schuldigen an dieser Situation hinstellen.
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Wenn Sie von Nachdenklichkeit sprechen, sage ich Ihnen: Sie hätten früher anfangen sollen, nachdenkErika Steinbach-Hermann
lich zu werden, als Sie noch Verantwortung für die damalige DDR trugen.
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Sie haben gesagt, es gibt Menschen, die das Gefühl haben, daß sie nicht gebraucht werden und nicht gewollt sind. Herr Dr. Gysi, in der DDR waren die Menschen so sehr gewollt, daß diejenigen, die es nicht mehr ausgehalten haben, an der Grenze erschossen wurden oder aber aus der Haft losgekauft werden mußten. Ein derartiges Gefühl des Gewolltseins haben wir Gott sei Dank bei uns nicht.
Sie und besonders Herr Modrow haben doch mit Ihrer DDR-Politik das wirtschaftliche Desaster mit verschuldet, dessen Bewältigung uns jetzt auferlegt ist.
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Sie haben die frühere DDR wirtschaftlich völlig ruiniert und haben dabei persönlich gar nicht schlecht gelebt.
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Sie haben die Menschen 40 Jahre in einem überdimensionalen Gefängnis eingekerkert, ihnen Lebensfreude und Freiheit geraubt und sind bis zum heutigen Tage nicht einmal einsichtig geworden.
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Heute aber in der neuen Situation, in die Sie sich erstaunlich hineingepaßt haben, ist Ihnen keine Regelung gut genug. Eigentlich müßten Sie schamrot werden.
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Ich will nicht verhehlen: Bei Ihren bigotten und selbstgerechten Reden wird mir persönlich immer speiübel.
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Als nächster hat der Abgeordnete Bernrath das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das einstimmige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Warteschleife ist überwiegend begrüßt worden. Die Bundesregierung zeigt sich dabei erstaunlich begeistert, obwohl sie vor dem Bundesverfassungsgericht ganz und gar gegenteilig argumentiert und mit dem Urteil eine deutliche Rüge bekommen hat und obwohl sie im übrigen nicht verhindert, daß beim Aufbau eines demokratisch legitimierten öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern weit über die sozial unverantwortlichen Einengungen hinaus Althergebrachtes - ich komme darauf zurück - Vorrang vor Zweckmäßigkeit hat. Es fehlt - das zeigt sich allenthalben - auch hier am Willen zur Flexibilität.
Wie in der Eigentumsfrage der ideologieträchtige Grundsatz „Rückerstattung vor Entschädigung" nur zur Blockade notwendiger Investitionen geführt hat, blockiert dort eine in diesem Zusammenhang hier oft genug zur Sprache gebrachte Beamtenideologie die Beschäftigung, die Einstellung, das Ausbilden neuer Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der Beitrittsländer und damit die Effizienz im öffentlichen Dienst allgemein. Langsam dämmert's, daß die Sanierung der Wirtschaft der neuen Länder allein durch Marktkräfte nicht möglich sein wird. Auf den öffentlichen Dienst übertragen lassen sich mit den reinen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Grundsätzen vom allumfassend geeigneten Berufsbeamten keine den Ländern Brandenburg, Sachsen, Thüringen usw. eigentümlichen geeigneten Strukturen schaffen. Im Gegenteil, es werden für die öffentlichen Arbeitgeber die Voraussetzungen für eine mittelfristige, also schnellwirkende Konzeption für die öffentliche Verwaltung und für den Aufbau öffentlicher Ver- und Entsorgungsbetriebe verweigert.
Fehlt aber eine mittelfristige Perspektive, die an der gestellten Aufgabe orientiert ist statt an engen Statusvorgaben für das Personal, kann der Aufbau des öffentlichen Dienstes nicht planvoll beeinflußt, nicht sinnvoll - nämlich wissend - so gelenkt werden, daß öffentliche und soziale Funktionen bald erfüllt werden können.
Ihnen, meine Damen und Herren von der PDS, fehlt allerdings jede Legitimation, sich hier aufzublasen.
({0})
Nachdenklichkeit müßte Sie zu einem Wort des Eingeständnisses gerade Ihrer Verantwortung für die chaotischen Zustände, die Sie hinterlassen und in der letzten SED/PDS-geführten Regierung der DDR noch verschärft haben, veranlassen.
Was Sie mit Ihrer Personalpolitik der Quantität nach bekanntem Gängelungsmuster angerichtet haben, war nun wirklich nicht im Interesse der Menschen allgemein, erst recht nicht im Interesse der Arbeitnehmer, die von Ihnen im übrigen für ihre Menschen eigentlich unzumutbaren Dienste statt Geld auch noch Pappe bekommen haben.
({1})
Ihre Krokodilstränen können Sie getrost öffentlich wegwischen, solange wir mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in den Beitrittsländern den Schutt wegbuddeln, den Ihre Partei über 40 Jahre hinweg angehäuft hat, damit wir endlich wieder gewachsenen Boden für den Aufbau dieser Länder unter die Füße bekommen.
({2})
Wir sollten den Anlaß nutzen, in den neuen Ländern gemeinsam und unbefangen einen öffentlichen Dienst aufzubauen, der zukunftsorientiert in alle Länder und in den Bund rückwirkt und der vor allen Dingen auch den Übergang in den gemeinsamen europäischen Markt erleichtert, dessen Aufbau- und Ab1648
laufregeln schnelles Handeln fördern und zu schnellen Korrekturen zwingen, und - wenn nötig - die Verantwortung dafür uneingeschränkt den Ländern und Kommunen und den Mitarbeitern in der Bundesverwaltung in diesem Bereich übertragen und zuteilen. Wir sollten eine moderne Personalkonzeption zugrunde legen und sie personalwirtschaftlich absichern, auf wahllose und zufällige Verbeamtungen verzichten - ein solches Vorgehen hat ohnehin Unbeweglichkeit zur Folge - , den öffentlichen Dienst insgesamt offenhalten für ein in die Zukunft, nämlich nach Europa weisendes Dienst- und Arbeitsrecht, dabei die heute noch zu erörternden Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ziehen und im Übergang, wie es von der ÖTV und von uns immer wieder vorgeschlagen worden ist, Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften bilden, die nicht Leerlauf verwalten sollen, sondern für den Aufbau staatlicher und gewerblicher Dienstleistungen und Produktion unverzichtbare Voraussetzungen schaffen können, ohne später nicht mehr auflösbare organisatorische oder unternehmerische Strukturen zu präjudizieren, und schließlich einen Teil der Kosten auch über eine Arbeitsmarktabgabe als Solidarbeitrag der Beamten und Selbständigen im Westen aufbringen.
Danke schön.
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Da der gemeldete Abgeordnete Dr. Ullmann nicht da ist, erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Waffenschmidt das Wort.
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- Entschuldigung, zunächst hat Herr Richter das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst gestern abend haben wir über den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Kündigungsschutz für bisherige Angehörige des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR beraten. Daß wir dies heute erneut in einer Aktuellen Stunde tun, offenbart die Absicht der PDS: Ihnen geht es nicht um eine sachliche und konstruktive Diskussion, sondern Ihnen geht es darum, durch Spielereien mit der Geschäftsordnung Stimmung zu machen und daraus parteipolitischen Nutzen zu ziehen.
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Ihnen geht es darum, sich heimlich aus der Verantwortung zu stehlen. Aber ich versichere Ihnen: Aus dieser Verantwortung wird Sie hier niemand entlassen.
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- Herr Briefs, schreien Sie nicht so, die Kinder erschrecken sich am Fernseher.
Herr Briefs, Sie haben jetzt mehrfach dazwischengerufen. Dieser Zwischenruf gehört nicht hierher.
Das Bundesverfassungsgericht hat vorgestern einstimmig entschieden, daß die im Einigungsvertrag festgelegte Warteschleifenregelung für ehemalige Angehörige des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sofern soziale Härten für besonders betroffene Arbeitnehmer abgemildert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies unter anderem mit der Abwehr von Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut begründet.
Durch dieses Urteil werden die Weichen für den Aufbau einer leistungsfähigen, effektiven Verwaltung in den neuen Bundesländern gestellt. Etwaige Unsicherheiten hinsichtlich der Übernahme des Personals des - das muß man wirklich sagen - aufgeblähten Staatsapparates der früheren DDR sind nun beseitigt. Die personelle Erneuerung der Verwaltungen in den neuen Ländern kann nun energisch vorangetrieben werden. Wir haben nie verleugnet, daß dies mit Personalabbau verbunden sein wird; es muß auch damit verbunden sein. Das heißt aber doch gerade, daß den Betroffenen eine Lebensperspektive geboten werden muß, daß wir sie über die Möglichkeiten informieren müssen, die wir bereits geschaffen haben, z. B. Möglichkeiten der Umschulung und der Fortbildung.
Das Bundesverfassungsgericht hat die soziale Abfederung der Warteschleifenregelung anerkannt und gestärkt. Deswegen begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion auch ausdrücklich die Position in der Frage des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschutzgesetz.
Der PDS geht es aber offensichtlich nicht darum, einen Beitrag dazu zu leisten, möglichst schnell zu einheitlichen Lebensverhältnissen zu kommen, sondern darum, Nebelkerzen zu werfen und den Unfrieden zu schüren. Ich habe überhaupt keinen Zweifel: Der PDS fällt schon eine unverfängliche, wohlklingende Begründung ein, wenn es darum geht, auch noch der letzten Stasi-Seilschaft ein warmes Plätzchen im öffentlichen Dienst zu sichern. Aber da machen wir nicht mit.
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- Hören Sie zu, gerade Sie brauchen Informationen!
- Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft für den Aufbau der öffentlichen Verwaltung in den neuen Ländern endlich die Klarheit, für die wir im Bereich der Privatwirtschaft durch die Änderung des § 613 a BGB erst kürzlich die Voraussetzungen festgelegt haben. In beiden Bereichen - öffentlicher Dienst und Privatwirtschaft - ist damit ein Haupthemmnis für Investitionen abgebaut.
Meine Damen und Herren von der PDS, wir brauchen nicht um die Sache herumzureden. Das, was Sie wollen, ist doch in Wirklichkeit eine Beschäftigungsgarantie für mehr als 1,7 Millionen Angehörige der öffentlichen Verwaltung der früheren DDR. Ich sage Ihnen: Genau das können wir nicht geben. Wir wollen
Manfred Richter ({1})
es auch nicht, weil - erstens - nicht die Größe einer Verwaltung der Maßstab für deren Effektivität ist und weil - zweitens - wir schon ein Auge darauf haben wollen, wer in welcher Funktion Verwendung findet.
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Nach dem Einigungsvertrag werden Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllt haben, die jetzt nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollen, soweit ein Sachzusammenhang zu öffentlichen Aufgaben besteht, von demjenigen abgewickelt, der Träger dieser öffentlichen Aufgaben ist. Zugegeben, im Einzelfall kann diese Regelung wegen der damals fehlenden föderativen Strukturen in der DDR zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. Aber eines ist ganz sicher: Ehemalige Parteischulen der SED haben nach unserem rechtsstaatlichen Verständnis beim besten Willen nichts mit öffentlichen Aufgaben zu tun.
({3})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Dr. Horst Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachdrücklich. Ich sage: Die Auflagen, die gemacht worden sind, und die Vorgaben im sozialpolitischen Bereich, die hier schon mehrfach erwähnt wurden, werden umgehend umgesetzt. Wir haben schon damit begonnen. Sie können sich darauf verlassen, daß die Initiativen zusammen mit den anderen Bundesressorts in die Tat umgesetzt werden.
Herr Kollege Gysi, die Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, liegen völlig neben der Sache. Sie sind unbegründet. Wie schon erwähnt, haben Sie als letzter das Recht dazu, das hier zu sagen. Ich muß Ihnen auch erklären: Wenn ich durch die neuen Bundesländer fahre - ich bin viel dort -, dann höre ich ständig, daß sich die Menschen viel eher durch alte Seilschaften behindert und belastet fühlen, die leider noch immer tätig sind und den Aufschwung behindern.
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Sie sollten einmal mit Leuten sprechen, die Ihnen sicherlich nahestehen, und ihnen sagen: Wenn ihr etwas für die Menschen tun wollt, dann helft beim Aufbau, helft bei dem, was auch von diesem Parlament für die Menschen in den neuen Bundesländern jetzt angeboten wird.
Ich will Ihnen weiter sagen - das muß ganz deutlich sein - : Wer im SED-Staat keine Schuld auf sich geladen hat, wer nicht schuldig geworden ist an seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, der hat in den neuen Ländern, der hat im freiheitlichen demokratischen Staat, wie wir ihn jetzt gemeinsam bauen, in
Zukunft viele Chancen zur Gestaltung seiner persönlichen Lebensverhältnisse.
({1})
- Ich will Ihnen dazu einmal etwas vortragen, damit die Öffentlichkeit einmal erfährt, was wir schon alles gemacht haben.
Wir hatten am 3. Oktober 1990 im Bundesbereich 512 000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Wir haben seitdem 443 737 Mitarbeiter - das sind 86 % -übernommen. Es handelt sich dabei vor allen Dingen um Mitarbeiter bei Bahn und Post; es sind viele kleine Leute, für die es ganz wichtig ist, daß sie Klarheit über ihre Rechtsposition haben. Sie haben sie nunmehr.
Im Bundesbereich befinden sich derzeit nur rund 28 000 Mitarbeiter - das sind rund 6 % - im Wartestand. Wir sprechen mit jedem einzelnen, um zu erkunden, ob die Möglichkeit zur Übernahme besteht. Aber ich muß nachdrücklich unterstreichen, was hier schon mehrfach erwähnt wurde: Es kann nicht die Zielsetzung des Bundes und der neuen Länder sein, die aufgeblähte kommunistische Verwaltung fortzuführen. Wir haben vielmehr einen freiheitlichen Staat zu bauen, in dem vieles, was unter SED-Regie zum sogenannten öffentlichen Dienst gehörte, jetzt in freie Trägerschaften, in die Wirtschaft, in den sozialen und diakonischen Bereich und in viele andere - auch kulturelle - Bereiche, die von der Privatinitiative leben, hineingehört.
Daran können Sie erkennen, daß wir im Bundesbereich schon eine Menge gemacht haben. Ich komme nunmehr zu den Ländern, die ja hier als Hauptträger der öffentlichen Verwaltung anzusprechen sind.
Die Länder geben sich - das will ich hier ausdrücklich sagen - große Mühe, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Herr Gysi, mir sind „Scheinabwicklungen", wie Sie das genannt haben, nicht bekannt. Im Gegenteil, ich möchte hier einmal sagen: Wir, der Bund, geben uns große Mühe, den Ländern mit der Clearingstelle zu helfen. Alle politisch Verantwortlichen sowohl in den alten Bundesländern als auch in den neuen Ländern wirken hieran mit.
Herr Kollege Bernrath, ich möchte im Hinblick auf Ihre Ausführungen sagen: Wir machen eine Menge flexibler Angebote. Ich will hier einmal sagen: Herr Kollege Kroppenstedt ist heute in Dresden und eröffnet die große Reihe der Fortbildungsmaßnahmen für Mitarbeiter der ehemaligen Verwaltungsbereiche, die jetzt eine Chance sehen, in den neuen Ländern mitzuarbeiten. Die Ministerpräsidenten, die zuständigen Minister aus den neuen Ländern haben uns nämlich gesagt: Es ist zwar gut, daß ihr uns Westexperten schickt, aber wir wollen, daß auch Menschen aus unserer Heimat die Gesetze anwenden können und am Aufbau mitwirken können. - So werden Zehntausende - ich wiederhole: Zehntausende! - von Aus- und Fortbildungsplätzen bereitgestellt, um Menschen aus den neuen Bundesländern die Möglichkeit zu geben, mit ihren persönlichen Befähigungen am Aufbau teilzunehmen. Ich finde, diesem Fort- und Weiterbildungsprogramm auch gerade für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern, das heute
gestartet wird, sollten wir allen Erfolg wünschen. Es gibt eine große Chance für die Menschen dort.
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Lassen Sie mich hinzufügen, daß wir im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost festgestellt haben, daß allein bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die viele kulturelle, soziale und auch Umweltbereiche erfassen, in diesem Jahr fast 300 000 Stellen zur Verfügung stehen. Es kommen noch einmal Qualifizierungsmaßnahmen bis Ende 1991 über die Bundesanstalt für Arbeit in der Größenordnung von 350 000 Teilnehmern hinzu. Meine Damen und Herren, diese Zahlen muß man nennen, damit in der Öffentlichkeit nicht Eindrücke entstehen, wie sie hier auch von der PDS aufgebaut werden sollen, die Menschen würden allein gelassen. Sie werden nicht allein gelassen. Es werden ihnen Angebote in großem Umfang gemacht, und wir möchten sie alle einladen, sie auch wahrzunehmen.
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Ich will darüber hinaus sagen, daß die private Wirtschaft durch Hunderttausende von kleinen und großen Neugründungen und daß weitere Initiativen inzwischen auch eine Million neue Arbeitsplätze in den neuen Ländern geschaffen haben und daß für dieses Jahr in Handwerk und Industrie durch die Privatisierungsmaßnahmen der Treuhand und viele andere zu erwarten ist, daß Hunderttausende neue Arbeitsplätze hinzukommen.
Nun wurde hier mehrfach auch der Kulturbereich angesprochen. Ich möchte besonders erwähnen, daß es ein Anliegen der Bundesregierung ist, die kulturelle Substanz in den neuen Bundesländern zu stärken. Dort sind viele kulturelle Initiativen, kulturelle Leistungen, die es verdienen, auch in Zukunft Bestand zu haben, auch vor Ort, auch in den einzelnen Landschaften. Ich möchte ausdrücklich auch den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag danken, die sich dafür eingesetzt haben. Es war ein besonderes Anliegen von Bundeskanzler Helmut Kohl, daß wir dieses 900-Millionen-DM-Programm aufgestellt haben, das wir jetzt mit den Ländern umsetzen und wo wir in einer, wie ich denke, sehr großzügigen, aber auch angemessenen Weise helfen, daß die bewährte und auch für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat auf Zukunft hin wichtige kulturelle Substanz in den Landschaften der neuen Bundesländer eine Chance hat, sich mit den neuen Verhältnissen vertraut zu machen. Es ist ja eine einmalige Chance, daß der Bund in dieser Größenordnung in die Kulturaufgaben hineingeht; aber wir machen es mit den Ländern und mit den Kulturträgern. Ich möchte ausdrücklich feststellen, auch hier werden Zehntausende von Arbeitsplätzen für die nächste Zukunft gesichert. Das wurde auch gerade von den Kulturträgern anerkannt.
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen. Das Urteil sollte gewürdigt werden als eine große Hilfe zur rechtlichen Klarstellung. Es hat auch alle die bestärkt, die in schwieriger Situation den Einigungsvertrag gemacht haben. Wir sollten alle unsere Kraft zusammennehmen, um den Menschen Mut zu
machen, die gegebenen Chancen zu nutzen. Panikmacher sollten keine Chance haben.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Abgeordnete Maria Michalk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Briefs, ich möchte Ihnen auf die vielen Zwischenrufe antworten, die Sie hier gemacht haben. Ich habe gesehen, Sie kandidieren über die Landesliste Sachsen. Ich komme auch aus Sachsen. Ich möchte Sie wirklich einmal fragen: Wie lange leben Sie denn dort? Wie viele öffentliche Veranstaltungen haben Sie mitgemacht mit Leuten, die nicht Betroffene sind, sondern die Betroffene im negativen Sinne sind? Denn für die will ich jetzt sprechen.
Im Zuge der Umsetzung des im Einigungsvertrag geregelten Verfahrens sind mehr als 600 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst von der sogenannten Warteschleifenregelung betroffen. Diese von der PDS beanstandete Maßnahme ist eine Folge des ehemals in der DDR aufgeblähten Staats- und Verwaltungsapparates, der sich inhaltlich und im Umfang von den öffentlichen Verwaltungen in den alten Bundesländern wesentlich unterscheidet und hinsichtlich der Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht von mir erst einmal nicht angesprochen werden soll.
Eines will ich aber sagen, nämlich daß die schnelle Lösung, die notwendig war, die aber von einer Großzahl unserer Bürger, die zum Teil permament durch die Mühlen der sozialistischen Verwaltungsstuben gedreht wurden, als viel zu langsam beanstandet wurde, eine generalisierende Regelung, also die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit dem Untergang der DDR, rechtfertigt. Es wird von unseren Bürgern schon verstanden, daß bei der Übernahme früherer Mitarbeiter auf fachliche und personelle Eignungsvoraussetzung geachtet wird. Es gab in den öffentlichen Einrichtungen fleißige und auch sehr engagierte Leute, die alle Chancen auf Übernahme haben. Ich habe aber viele Zuschriften bekommen mit der Frage: Wieso sitzt dieser noch auf seinem alten Stuhl?
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- Wir werden das alles noch schaffen; darauf werde ich noch zu sprechen kommen.
Ein wesentlicher Ansatz im Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft sozialpolitisch wichtige Regelungen, die sich insbesondere auf den Mutterschutz beziehen. Hier wurde festgestellt, daß diese durch den Einigungsvertrag nicht aufgehoben werden können. So hat das Bundesverfassungsgericht die Warteschleifenregelung für Schwangere und Mütter nach der Entbindung als unzumutbare Härte erklärt. Der besondere Schutz, der diesem Personenkreis zukommt, ist aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zu begrüßen. Unausgesprochen ist hier meiner Auffassung nach der Ansatz zu erkennen, daß dem Schutz der Mutter und der schwangeren Frau und damit auch dem ungeborenen Leben eine Sonderstellung zuerMaria Michalk
kannt wird. In den Auseinandersetzungen und das Problem des Schwangerschaftsabbruchs ist hier ein wichtiges Indiz gegeben, das auch bei künftigen Regelungen nicht unbeachtet bleiben wird. Schwangere und Mütter sind besonders schutzbedürftig, d. h. ihnen kann nicht gekündigt werden.
An dieser Stelle habe ich auch kein Verständnis für die pauschalisierte Regelung, wie sie praktiziert wird. Wir werden die Konsequenzen, die sich an dieser Stelle aus dem Verfassungsgerichtsurteil ergeben, sehr ernst nehmen und Lösungsvarianten vorschlagen. Während der Übergangszeit wären z. B. eine Einbindung in Beschäftigungsgesellschaften oder die Teilnahme an AB-Maßnahmen mit Bindung an die einzelnen Einrichtungen denkbar. Ich bin mir sicher, daß wir dafür eine Lösung finden werden. Wir werden die Auflagen des Verfassungsgerichts zwingend erfüllen.
Insofern begrüße ich den Beschluß auch, weil im wichtigsten Punkt die Richtigkeit der Regelungen im Einigungsvertrag bestätigt wird. Allerdings möchte ich zum Schluß nicht meine Verwunderung darüber verhehlen, daß sich ausgerechnet die PDS, deren Mitglieder damals als SED-Genossen den gesamten öffentlichen Dienst, den gesamten öffentlichen Apparat benutzten, nunmehr als Beschützer des Volkes aufspielt. Für die CDU/CSU-Fraktion ist die soziale Komponente eine ganz entscheidende. Deshalb wird es für die betroffenen Frauen eine Regelung geben. Die vielleicht in dem einen oder anderen Fall fatale Situation muß ganz spezifisch gelöst werden. Das sind die Stolpersteine, die auf Grund der Fülle der Aufgaben, die wir jetzt zu bewältigen haben, auf dem Weg, den wir gehen, nicht gleich erkannt werden. Aber schon Herr Goethe war davon überzeugt und hat einmal gesagt:
Auch aus Steinen, die im Weg liegen, kann man Schönes bauen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hans-Hinrich Knaape.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sogenannte Warteschleifenregelung im öffentlichen Dienst führte einerseits durch Unwissenheit und infolge mangelhafter Aufhellung der Auslegung dieser Entscheidungsfindung, durch Selbstherrlichkeit vieler gewählter Funktionsträger und durch Emotionen bei ihren Entscheidungen zu unberechtigten Lösungen von Arbeitsverhältnissen, sozialen Härten und auch zu Mißbrauch. Hier ist nun durch das Bundesverfassungsgericht ein klärendes Urteil gefällt worden. Eindeutig wird ausgesagt, daß das Recht auf seiten der Mutter ist, ihnen Schutz und Fürsorge zusteht. Hiermit wird das Selbstverständnis der Frauen in der ehemaligen DDR angesprochen und bestärkt. Der Frau wird das Recht auf Mutterschaft bei Beibehaltung ihres Rechtes auf Arbeit bestätigt. Notwendiger Personalabbau im öffentlichen Dienst bei Überbesetzung kann allein kein Maßstab für soziale Rücksichtslosigkeit sein. Es besteht eine Fürsorgepflicht für ehemalige Staatsdiener,
die ihre Pflicht ohne Verletzung der Menschlichkeit taten. Ihnen muß jetzt die Chance für einen beruflichen Neuanfang geebnet werden. In Absprache mit den Gewerkschaften müssen jetzt Vereinbarungen zur Qualifizierung und Existenzgründung erarbeitet und umgesetzt werden. Klare und sofortige Entscheidungen, auch wenn sie für die Betroffenen hart sind, müssen gefällt werden.
Ältere Arbeitnehmer, Schwerbehinderte und Alleinerziehende bedürfen unserer Fürsorge. Das Recht steht bei der Besetzung neuer Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst auf ihrer Seite.
Wir wissen diése Entscheidung zu schätzen, da sie dem Solidaritätsverständnis der Bürger in den Beitrittsländern entspricht.
An die Bundesregierung ist Kritik zu richten, da sie ohne durchsichtige Entscheidungsrichtlinien in den zurückliegenden Monaten die soziale Unsicherheit geschürt und das Selbstwertgefühl der angesprochenen Bürger beeinträchtigt hat. Jetzt muß die Aufwertung durch Angebote zur Fortbildung und Umschulung erfolgen.
Auch in den 40 Jahren DDR hatte jeder Bürger formal das Recht, seinen Beruf selbst zu wählen, jedoch mit erheblichen Einschränkungen, wenn er die falsche Ideologie vertrat. Keiner wurde gezwungen, hauptamtlich für die Staatssicherheit zu arbeiten. Es entspricht dem Rechtsverständnis der Bürger aus dem Beitrittsgebiet, wenn diese ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit nun von den bevorzugenden Regelungen ausgeschlossen werden. Jetzt sind die Länder und Kommunen gefordert, schnell klare Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie für einzelne Bürger hart sein werden. Aber sie müssen sozial verträglich sein.
Die Zeit der Ungewißheit ist vorbei. Die Bundesregierung mußte erkennen, daß sie die Rechtsnachfolge der Verwaltung der ehemaligen DDR nicht verleugnen kann und daß die sozialen Rechte der alten auf die neuen Bundesländer ohne Abschlag zutreffen. Der Riegel, sich aus der Verantwortung zu schleichen, ist vorgeschoben worden.
An die Adresse der PDS sei gerichtet, daß die Verwaltungen der ehemaligen DDR im eigentlichen Sinne der verlängerte Arm der SED waren und daß systemimmanent verhindert wurde, daß sich freie, in den Entscheidungen nur an die Gesetze und Ausführungsbestimmungen gebundene Angestellte des öffentlichen Dienstes durch freie Berufswahl entwickeln konnten.
Bei den jetzigen Entscheidungen wird daher auch zu berücksichtigen sein, welcher öffentlich Angestellte überheblich und selbstsicher im Bewußtsein des parteiideologisch geprägten Parteiempfindens seine Verwaltungs- und Entscheidungsbefugnis mißbraucht oder auch nur das Recht gebeugt hat. Man sollte sich heute nicht zum Fürsprecher dieser Personengruppe machen; dafür haben die Bürger in den Beitrittsländern kein Verständnis. Dies bedeutet aber auch, daß Haß und Emotionen auf Grund der Entscheidungsfindung bei den von der Warteschleife Betroffenen ausgeklammert werden müssen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als nächste hat die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte, deren Gegenstand ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch dieser Woche ist, die sich nahtlos an die gestrige Aussprache über den Kündigungsschutz für bisherige Angehörige des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR anschließt und die auf Antrag der PDS/Linke Liste zustande gekommen ist, macht eines deutlich: ein ausgeprägtes Defizit der PDS/Linke Liste in Sachen Rechtsstaatlichkeit bzw. ein sehr getrübtes Verhältnis zur Gewaltenteilung. Anders ist es nicht zu verstehen, wenn der, allerdings untaugliche, Versuch unternommen wird, Urteilsschelte von seiten der Legislative aus zu betreiben.
({0})
Dies widerspricht dem Selbstverständnis eines Parlamentariers. Aber was will man von einer Nachfolgepartei der SED, die der Justiz in der ehemaligen DDR Urteilsvorgaben ohne Beachtung der Rechtsstaatlichkeit machte und keine unabhängige Rechtsprechung zuließ, anders erwarten?
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- Mit Vergleichen werden die Ungerechtigkeiten, die dort vorgekommen sind, nicht gerechter. Vielleicht sollten Sie sich überhaupt erst einmal der Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland unterwerfen, bevor Sie so darüber reden. Gerade darin liegt ja eine der größten Schwierigkeiten beim Aufbau eines rechtsstaatlichen Systems in den neuen Bundesländern.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft zunächst Sicherheit bei der weiteren rechtlichen Beurteilung der Entscheidungen, die auf der Grundlage der im Einigungsvertrag enthaltenen Regelungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst getroffen worden sind. In der Urteilsbegründung wird sehr sorgfältig abgewogen und bewertet, weshalb das Ruhen der Arbeitsverhältnisse der im öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR Beschäftigten verfassungsgemäß ist, soweit ihre Einrichtungen nicht als selbständige Einheit weitergeführt wurden.
Keiner von uns bestreitet - das ist auch deutlich geworden - , daß mit dieser Regelung soziale Härten und tiefgehende Einschnitte in das Leben für die davon Betroffenen verbunden gewesen sind.
Warum mußte zu diesem Instrument gegriffen werden? Auch - wie viele vor mir schon gesagt haben - wegen der totalen Überbesetzung des öffentlichen Dienstes mit ca. 1,7 Millionen Beschäftigten - ohne Bahn, Post und Kommunen - und weil viele Aufgaben in der ehemaligen DDR vom Staat ausgeführt
wurden, die in den alten Bundesländern seit jeher in Privathand liegen. Allein schon aus diesen Gründen kann nur ein kleiner Teil der Beschäftigten bleiben.
Ich begrüße uneingeschränkt die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des verstärkten Kündigungsschutzes für Schwangere und Mütter und der besonderen Rechte von Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern und Alleinerziehenden. Daraus folgende notwendige Konsequenzen, auch Korrekturen getroffener Entscheidungen, sollten im Interesse der Betroffenen so schnell wie möglich erfolgen.
Aus eigener Erfahrung beim Zusammenführen des Patentamts der ehemaligen DDR mit dem Deutschen Patentamt in München kann ich hinzufügen, daß von Behörden der ehemaligen DDR ohne Rücksicht auf soziale Belange und geltendes damaliges Recht teilweise rigorose Kündigungen von schwangeren Frauen und Müttern ausgesprochen wurden,
({2})
die von uns nachträglich rückgängig gemacht werden mußten; ganz zu schweigen davon, daß in den ersten Monaten des Jahres 1990 intensiv versucht wurde, Mitarbeitern des MfS im öffentlichen Dienst Unterschlupf zu gewähren.
Diese Ungerechtigkeiten haben zu Unzufriedenheit und berechtigter Empörung geführt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht nun nochmals deutlich, daß alles getan werden muß, um auch dort für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
Danke.
({3})
Als nächste hat das Wort die Abgeordnete Monika Brudlewsky.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Warteschleifenregelung im öffentlichen Dienst macht den Weg frei, den Wasserkopf des alten SED-Staats Stück für Stück abzubauen. Es kann nun schnell eine moderne, nach rechtsstaatlichen Maßstäben arbeitende Verwaltung aufgebaut werden, in der sehr viele gute Arbeitskräfte bald wieder Beschäftigung finden können. Aber wir müssen uns auch von vielen Mitarbeitern trennen, die ohne eigene Entscheidungskompetenz willenlos jeden Befehl der SED bzw. des Staatssicherheitsdienstes ausführten.
({0})
Den Mitarbeitern in den Verwaltungen des alten SED-Staats waren rechtsstaatliche Verfahrensweisen fremd. Die Erfahrung zeigt, daß es dadurch häufig an den fachlichen oder persönlichen Voraussetzungen zur Amtsführung fehlt. Deshalb steht die Fortbildung bei der Warteschleifenregelung im Vordergrund. Die im öffentlichen Dienst Beschäftigten haben die Gelegenheit, sich in zahlreichen Kursen intensiv auf ihre neue Aufgabe vorzubereiten. Wie wichtig dies ist, hat
das Bundesverfassungsgericht ganz besonders unterstrichen.
Die Kritiker der Warteschleifenregelung möchte ich an folgendes erinnern. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR können nicht verlangen und konnten auch nicht erwarten, in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland übernommen zu werden. Mit dem Beitritt ist der Staat DDR als Arbeitgeber untergegangen.
Mit der Warteschleifenregelung hat der Gesetzgeber diese harte Konsequenz erheblich abgemildert. Die im öffentlichen Dienst Beschäftigten wurden nicht sofort entlassen; der befürchtete Kahlschlag fand nicht statt. Vielmehr wurden die Arbeitsverhältnisse vorerst nur zum Ruhen gebracht, um später zu entscheiden, wer übernommen werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat - und das ist besonders wichtig - dem Mutterschutz im öffentlichen Dienst einen besonderen Stellenwert beigemessen. Die Kündigungsschutzvorschriften des Mutterschaftsrechts genießen damit Vorrang.
Nun noch ein Gedanke zu der Aktuellen Stunde heute: Es ist wirklich erstaunlich, daß immer wieder gerade die Partei, deren Vorgängerin die Menschenrechte mit Füßen getreten hat, sich in diesem Hause ständig als Wächter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebärdet.
({1}): Das haben wir gar nicht gesagt!)
- Sie, geehrter Herr Kollege Briefs, vertreten zwar jetzt die PDS in Sachsen, aber Sie sind so sächsisch wie Rudi Carrell.
({2})
Wenn man wie Sie nicht in Deutschland, sondern die letzten Jahre in Holland lebte, Herr Briefs, konnte man die Nachteile dieser 40 Jahre, die ich erlebte, nicht erfahren. Also schweigen Sie lieber zu diesem Thema!
({3})
Ohne die Vorgängerin der PDS, ohne die SED, gäbe es die heute anstehende Problematik nicht. Es gäbe keinen heruntergewirtschafteten Staat, es gäbe keine von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit gepeinigte Bevölkerung in dieser Dimension.
({4})
- Das ist eine Folge, die die damalige Regierung verursacht hat. Das kann man nicht oft genug sagen, weil immer wieder unter den Teppich gekehrt wird, daß der alte Staat DDR dieses alles verschuldet hat.
({5})
Eines würde allerdings viele Sorgen und Nöte in den neuen Ländern mildern: Herr Gysi, geben Sie mit
leichter Hand nicht nur Almosen, sondern 100 % des SED-Vermögens und alle Immobilien ab, genau wie es die ehemaligen Blockparteien getan haben!
({6})
Mit den vielen offenen und geheimen Milliarden könnte gerade auch den Angestellten im öffentlichen Dienst wirksam geholfen werden.
Aber da die PDS nichts mit der SED gemein haben will - nur seltsamerweise das zu Unrecht erworbene Erbe -,
({7})
müssen wir auf diesen warmen Regen wohl verzichten und den Menschen weiterhin aus anderen, nämlich aus rechtsstaatlichen Mitteln helfen. Aber wir werden den Aufschwung in den fünf neuen Bundesländern auch so schaffen, und sei es noch so schwierig.
Ich danke Ihnen.
({8})
Als nächster hat der Abgeordnete Hans-Joachim Welt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht mehr allzuviel zu der sehr bemerkenswerten und scheinheiligen Initiative der PDS hier vortragen. Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, nur ein Zitat aus einem Brief eines Bürgermeisters aus Thüringen hier vortragen, den er mir geschrieben hat, als er erfahren hat, daß die PDS diese Initiative für den Bundestag gestartet hat. Der Bürgermeister schreibt:
Wenn die PDS/Linke Liste mit einem Antrag auf Kündigungsschutz in den Bundestag geht, so scheint sie damit die Absicht zu verfolgen, die ehemaligen treuen Gehilfen des SED-Regimes sozial zu sichern.
({0})
Er schreibt weiter:
Möglicherweise reichen die PDS-Gelder nicht mehr, um die Altersversorgung ehemaliger Funktionäre zu realisieren.
Soweit der Bürgermeister aus Thüringen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur sogenannten Warteschleife im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer ist das zweite wichtige Urteil binnen einer Woche. Das Bundesverfassungsgericht mahnt dabei die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Schwachen dieser Gesellschaft an. Es mahnt die Regierung, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit auch gegenüber den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR anzuwenden.
Ich denke, dieses Urteil ist keine Bestätigung der Position der Bundesregierung, kein Erfolg, wie es aus dem Innenministerium verlautet. Ich denke, es ist eine
peinliche Mahnung an diejenigen, die vor der Wahl alles versprochen haben und nun an die tragendsten Grundsätze unseres Staates erinnert werden müssen. Das Karlsruher Urteil, so denke ich, ist konsequent, den absoluten Kündigungsschutz für Schwangere und junge Mütter zu unterstreichen, und ist wichtig, insbesondere älteren Arbeitnehmern, Schwerbehinderten und Alleinerziehenden durch eine bevorzugte Behandlung bei der Neueinstellung wieder Hoffnung und eine neue Perspektive zu vermitteln.
Aber das Bundesverfassungsgericht weist ebenfalls auf ein Problem hin, daß bereits in den vergangenen Monaten von vielen Betroffenen beklagt wurde: Mißbrauch der Warteschleifenregelung im Fall der sogenannten Abwicklung, d. h. der Auflösung der ehemaligen DDR-Behörden. Hierzu formuliert das Bundesverfassungsgericht - ich zitiere -:
Eine Überleitung auf einen anderen Hoheitsträger kann nicht als Auflösung verstanden werden, wenn die Einrichtung tatsächlich erhalten bleibt.
Das heißt, wenn Behörden nur umgetauft oder in ihrer Funktion verändert werden, sind Kündigungen nach der Warteschleifenregelung unzulässig. Diese Feststellung ist wichtig; denn der im Einigungsvertrag festgeschriebene Grundsatz der Übernahme ist die Theorie. - Das Aufsetzen eines neuen, oft nur befristeten Arbeitsvertrags oder gar die Versetzung in die Warteschleife sind die inzwischen bekanntgewordene Realität und Praxis.
Nach den mir vorliegenden Informationen - man konnte dies im „Handelsblatt" vom 11. April nachlesen - sind in fast allen neuen Bundesländern z. B. die Beschäftigten der Straßenbauämter und der Autobahnämter, also von Einrichtungen, die nicht aufgelöst werden, in den Wartestand versetzt worden. Ähnliches geschieht bei der Bundesverwaltung im Bereich der ehemaligen Wasser- und Straßenbauämter. Hier wie bei der Außenstelle des Wirtschaftsministeriums in Berlin wurde nicht übernommen, wie es laut Einigungsvertrag Grundsatz ist. Statt dessen wurde in den Wartestand geschickt, oder es wurden neue, zum Teil aber befristete Verträge ausgestellt.
Ich denke: Bei aller Notwendigkeit der Reduzierung des aufgeblähten Verwaltungsapparats in der ehemaligen DDR ist es notwendig, sich mit den Problemen bei der Auflösung und Überleitung nicht abzufinden. Wir müssen uns in den kommenden Wochen sehr intensiv mit dem Richterspruch aus Karlsruhe beschäftigen. Wir müssen insbesondere praktikable Lösungen suchen und finden, um mit der Warteschleifenregelung fertig zu werden.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Hartmut Koschyk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat die sogenannte Warteschleifenregelung für den öffentlichen Dienst im wesentlichen für verfassungskonform erachtet, und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt dies.
Wir haben gehört, daß die Bundesregierung bereits eine ganze Reihe von Auflagen, die das Bundesverfassungsgericht genannt hat, erfüllt hat. Ich bin der festen Überzeugung, daß wir, die Regierungsfraktionen, uns auch mit der Opposition auf parteiübergreifende, praktikable Lösungen einigen werden, damit die vom Bundesverfassungsgericht bemängelten Lükken geschlossen werden.
Wenn die PDS den Verfassungsrichtern Unkenntnis und Unverständnis vorwirft, so geht es ihr damit nicht etwa um eine besondere soziale Verantwortung. Sie zeigt vielmehr, daß ihr jedes, aber auch jedes Mittel recht ist, Unzufriedenheit zu schüren, anstatt Mut zu machen und konstruktiv beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung und einer leistungsfähigen Wirtschaft zu helfen. Sie haben durch Ihren Redebeitrag bewiesen, daß Sie für diese Frage gar keine Kompetenz haben. Wenn Sie sich, meine Damen und Herren von der PDS, um Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit und Verfassungstreue im geeinten Deutschland sorgen, dann ist dies ungefähr so glaubwürdig wie eine Antidrogenkampagne der Mafia.
Die Sorgen, die die Menschen heute in den neuen Bundesländern plagen, sind doch nicht das Ergebnis der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, von Rechtsstaatlichkeit, von Sozialstaatlichkeit und einer neuen demokratischen Ordnung in den neuen Bundesländern. Sie sind vielmehr die Folge von vier Jahrzehnten sozialistischer Mißwirtschaft und einer Diktatur, für die viele von Ihnen bis heute Verantwortung tragen, und zwar deshalb, weil Sie nicht aufgehört haben, sich in sozialistischer Tagträumerei und - ich sage bewußt - hinsichtlich der ungeregelten Frage Ihres Parteivermögens in sozialistischer Tagdieberei zu ergehen.
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Zahlreiche Aufgaben, die in den alten Bundesländern von jeher in Privathand lagen und die nach dem Subsidiaritätsprinzip, dem erwiesenermaßen erfolgreichen Gegenstück zur Allzuständigkeit des Staates, auch dort hingehören, wurden in der ehemaligen DDR vom Staat ausgeführt.
Dementsprechend - das haben wir heute vielfach gehört - war dann auch der Verwaltungsapparat der DDR aufgebläht. Es führte kein Weg daran vorbei - das muß man den Menschen ehrlich sagen; die Menschen in den neuen Bundesländern verstehen es doch auch -, den Personalbestand zu reduzieren.
Die Aufgabe, die im Einigungsvertrag zu lösen war, war nicht leicht. Es mußte auch für den öffentlichen Dienst eine Regelung gefunden werden, die die Voraussetzungen für den Aufbau einer effektiven und effizienten Verwaltung in den neuen Bundesländern schafft, die aber auch an die finanzielle Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte - Bund, Länder, vor allem die neuen Bundesländer und die dortigen Gemeinden - denkt und die gleichzeitig - auch das ist wichtig - die sozialen Belange der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR wahrt.
Niemand war und ist blind. Was Sie hier machen, ist Demagogie. Aber es nützt Ihnen nichts, weil die Menschen Ihnen nicht glauben, daß Sie wirklich aus Fürsorge um die Menschen agieren. Niemand war und ist doch blind für die Sorgen der Betroffenen. Aus diesem Grund wurden sie am 3. Oktober nicht kommentarlos ohne finanzielle Leistungen, ohne Aussicht auf Fortbildung, Umschulung und Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz vor die Tür gesetzt.
Ebenso wie bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Betrieben, die geschlossen oder verkleinert werden müssen, kommt es für die von Arbeitslosigkeit betroffenen ehemaligen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern jetzt darauf an, die angebotenen Fortbildungs und Umschulungsmöglichkeiten anzunehmen. Viele unserer dortigen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben jetzt zum ersten Male die Chance, selber darauf Einfluß zu nehmen, welchen Beruf sie künftig ausüben möchten und wo sie tätig sein werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sicher und überzeugt, daß es gelingen wird, durch ein großes Gemeinschaftswerk von Bund, Ländern und Gemeinden zu einer effektiven, guten öffentlichen Verwaltung, zu einem öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern zu kommen, der auch für seine Beschäftigten attraktive Zukunftsperspektiven bietet. Was wir hierbei am wenigsten brauchen, ist die Stänkerei der PDS.
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Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Singer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten neigen sonst eigentlich nicht dazu, die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts als Politikersatz zu betrachten und uns dahinter zu verstecken. Aber im konkreten Fall bleibt festzuhalten: Innerhalb von einer Woche war es nun die zweite kluge Entscheidung dieses Gerichts, insbesondere was den Appell an das soziale Verantwortungsbewußtsein von uns allen angeht. Es mahnt ganz besonders die Fürsorgepflicht des Staates für diejenigen an, die die Schwachen in dieser Gesellschaft ausmachen.
Wir begrüßen grundsätzlich das Ziel, den Schwerbehinderten auch im Zuge der Abwicklung einen ganz besonderen Schutz zuteil werden zu lassen. Wir werden die dafür erforderlichen gesetzlichen Initiativen auf den Weg bringen.
Wir wollen das, weil wir die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR ernst nehmen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzt uns außerdem unter heilsamen Zugzwang. Die Marschroute ist klar: Wir werden nun im Innenausschuß prüfen müssen, was an Lösungen denkbar und praktikabel ist. Wie können die neuen Arbeitgeber verpflichtet werden, den besonders schwer Betroffenen, also den Behinderten, eine - wie es in dem Urteil heißt - begründete Aussicht auf eine neue Stelle in der Verwaltung anzubieten?
Dabei ist uns die Formulierung „begründete Aussicht" zu vage; sie läßt uns zu viele Schlupflöcher. Den Behinderten muß vielmehr eine solide Basis angeboten werden, damit sie nicht in einen Abgrund von Hoffnungslosigkeit und Resignation fallen.
Das wäre für alle anderen, die nicht unter körperlichen Handicaps leiden, schlimm genug, viel schlimmer aber für Menschen, die mit einem Gebrechen belastet sind und wenigstens auf den Staat als Arbeitgeber mit sozialem Gewissen gesetzt haben.
Jetzt gilt es, die notwendigen Korrekturen so schnell wie möglich einzuleiten. Die Bundesregierung ist in der Pflicht. Wir werden den notwendigen Druck ausüben. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung als Ergänzung zum Einigungsvertrag. Das ist der formale parlamentarische Weg.
Es ist kein gutes Zeichen für die politische Führung, wenn ausgerechnet der öffentliche Dienst in Sachen sozialer Verantwortung Nachhilfeunterricht braucht. Das läßt sich auch nicht mit dem Hinweis entschuldigen, daß angesichts der riesigen Kosten, die die Neuorganisation der Verwaltung in den neuen Bundesländern verschlingt, massiver Personalabbau nötig sei. Geldknappheit ersetzt nicht die Pflicht zur Rücksichtnahme auf diejenigen, die ein restlos überforderter und geschwächter Arbeitsmarkt am ehesten und schnellsten abschiebt, schon deshalb, weil es ihnen an Kraft gebricht, sich zur Wehr zu setzen.
Der neu aufgebaute öffentliche Dienst in den östlichen Bundesländern stellt sich damit eine denkbar schlechte Visitenkarte aus und stößt alle diejenigen vor den Kopf, die mit ihrem friedlichen Kampf um die Demokratisierung ihres Landes auch die Hoffnung verbanden, der Staat und sein Apparat würden ihnen endlich beweisen, wie human man mit den Schwachen, Verletzlichen und Langsameren in dieser Gesellschaft umgehen kann.
Unter diesen Umständen kann ich es überhaupt nicht verstehen, wenn von der äußersten linken Seite dieses Hauses die Forderung erhoben wird, mit ähnlich unentschuldbarer Nachsicht, wie man zum Teil mit Nazi-Funktionären nach 1945 bei uns in der alten Bundesrepublik, aber auch in der DDR umgegangen ist, auch mit SED-Bonzen zu verfahren. Mir erscheint das als eine ganz merkwürdige Gleichsetzung von NSDAP und SED; die ausgerechnet aus Ihrem Munde hier, Herr Gysi, kommt.
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Noch etwas: Die Abwicklung in der Verwaltung der früheren DDR ist auch mit der jetzt durchzustehenden sozialen Abfederung noch unerbittlich und menschlich erschütternd genug. Wenn wir den Presonalabbau schon nicht verhindern können, sollten wir die Dinge wenigstens beim Namen nennen. Mir gefällt der Ausdruck Warteschleife auch nicht so besonders, er ist nämlich beschönigend. Er ist nur die Umschreibung für das Verfahren, Menschen die Arbeit wegzunehmen, sie mit gekürzten Bezügen nach Hause zu schicken und nach sechs oder neun Monaten in die Erwerbslosigkeit zu entlassen.
Sprechen wir also besser - ich komme zum Schluß - von Kündigung mit Schonfrist. Das dient der
Ehrlichkeit in einer Region, die von Schönfärbereien der letzten Monate die Nase endgültig voll hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Franz-Hermann Kappes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Mitglied des Rechtsausschusses möchte ich nur wenige Anmerkungen zu dem machen, was hier gesagt wurde.
Zunächst einmal scheint mir wichtig, daß das Thema lautet „Folgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts" und daß es weder um eine Urteilsschelte noch darum gehen kann, daß wir jetzt irgendwo wohlwollend sagen: Liebes Bundesverfassungsgericht, das hast du wieder einmal prima gemacht. Unsere Aufgabe kann nur sein, über das zu sprechen, was sich aus dem Urteil als Folgerungen ergibt. Wir können keine Zensuren erteilen, aber wir können uns natürlich darüber freuen, daß die Entscheidung so ergangen ist, und das tun wir auch. Wir können, glaube ich, auch stolz darauf sein, daß wir ein solches Gericht in der Bundesrepublik Deutschland haben - dies nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der sozialen Komponente, die hier auch von dem Herrn Kollegen Knaape angesprochen worden ist.
Als ich die Drucksache sah, dachte ich mir natürlich schon, Herr Gysi, daß dies eine - wenn auch verständliche - publikumswirksame Pflichtübung ist, daß Sie das mal so hier als Aktuelle Stunde ins Gespräch bringen. Aber ich denke, Sie wissen selbst, daß wir schließlich unter den Zwängen des historischen Umbruchs in Deutschland stehen, die uns letztlich gar keine andere Lösung lassen, als so zu verfahren, wie das geschehen und auch bestätigt worden ist.
Ich lege Wert darauf, daß Sie hoffentlich nicht ernsthaft meinen, es würde hier an menschlichem Mitgefühl fehlen oder es fände hier eine Ausgrenzung statt. Im Urteil selber ist das übrigens auch angesprochen. Ich glaube, so ist das nicht zu verstehen, sondern wir wissen sehr wohl, daß Menschen davon sehr stark betroffen sind. Wir sollten alle gemeinsam alles, was wir tun können, dafür tun, daß diese Härten gemildert werden.
Ich möchte mir dann eine kurze Anmerkung zu dem gestatten, was der Herr Kollege Bernrath hier gesagt hat. Herr Bernrath, wir kennen uns ja aus dem Innenausschuß. Ich finde, daß das eine alte Klamotte ist, die Sie hier in etwas nebulösen Formulierungen vom fortschrittlichen Dienstrecht,
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das angeblich so viel besser als das sei, was wir haben, angesprochen haben.
Ich finde, daß sich das Berufsbeamtentum gerade in der Situation, in der wir leben, zur Zeit sehr bewährt, daß hervorrangende Leistungen festzustellen sind. Wir haben eigentlich nur die Schwierigkeit, genügend Beamte dort hinzukriegen. Ich würde mir auch mehr wünschen, aber ich frage Sie auch - das sollte man bei anderer Gelegenheit dann mal weiterdiskutieren -, wie Sie sich das mit der Abschaffung des Berufsbeamtentums eigentlich vorstellen, die Sie letztlich, wenn Sie ehrlich sind, wollen. Wie sieht denn Ihr Konzept, Ihre Alternative aus? Sollen denn Tarifangestellte dann gegen ihren Willen in die neuen Bundesländer abgeordnet und versetzt werden können? Da gilt doch genauso: Man kann einen Hund nicht zum Jagen tragen. Das bringt nicht viel. Ich bin der Meinung, daß man die Probleme auf der Grundlage des Dienstrechts, das wir jetzt haben, sehr wohl lösen kann.
Eine letzte Bemerkung: Ich finde, wir können jedenfalls die Klarheit begrüßen, die uns das Urteil von vorgestern schafft. Ich kann wie einige Vorredner nur noch einmal an Sie appellieren, nun nicht Kritik in den Vordergrund zu stellen, sondern die Menschen zu ermutigen, auf dem Weg, den wir eingeschlagen haben, gemeinsam weiterzugehen.
Vielen Dank.
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Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Kollege Gysi. Ich mache darauf aufmerksam: Es geht nicht um eine Verlängerung der Sachdebatte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat mich persönlich betroffen gemacht, daß Frau Steinbach-Hermann mir die Verantwortung für Mauer, Todesschüsse und ähnliches persönlich zuweist und sich dabei weder mit meinem Alter noch mit meiner Biographie beschäftigt und damit indirekt zum Ausdruck bringt, daß eigentlich alle, die dort gelebt haben, dafür die persönliche Verantwortung zu übernehmen haben.
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- Nein, nein, sie hat mich persönlich angesprochen - nicht die Partei. Das wäre etwas anderes. Ich darf darauf hinweisen, daß auch ich sicherlich Verantwortung in diesem Land habe. Das ist unstrittig. Ich glaube aber für mich in Anspruch nehmen zu können, daß ich einiges unternommen habe, um Menschen
- zum Teil in schwierigen Situationen - zu helfen. Und das war nicht immer einfach. Ich behaupte, bei einem Vergleich mit den Biographien der meisten Mitglieder der CDU und der DBP, mit denen sie fusioniert hat, schneide ich nicht schlecht ab.
Sie werfen mir Selbstgefälligkeit und Bigotterie vor. Mit dem letzteren kann ich nichts Richtiges anfangen. Aber der Vorwurf der Selbstgefälligkeit macht mich betroffen, weil ich finde, daß man das mir und auch anderen von uns eigentlich nur dann vorwerfen darf, wenn man selber etwas kritischer mit der eigenen Geschichte umgeht. Wo gibt es denn die Aufarbeitung der Geschichte der Ost-CDU und der Ost-DBP? Wo gibt es denn die Aufarbeitung der Geschichte der West-CDU?
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Wieviele Mitglieder der ehemaligen NSDAP gehörten denn beispielsweise 1955 der West-CDU an, von den Bediensteten ganz zu schweigen? Wo ist diese Geschichte je aufgearbeitet worden?
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- Das ist nicht wahr. Sie müssen sich damit beschäftigen.
Betroffen machen mich auch immer wieder die Formulierungen - an mich und an andere gerichtet -, daß wir eigentlich nicht das Recht hätten, uns zu diesem oder zu jenem zu äußern. Sie müssen sich einmal überlegen, was Sie damit eigentlich sagen. Sie erklären damit nämlich, daß es Ihrer Auffassung entspricht, daß es Menschen gibt, die das Recht haben, sich zu etwas zu äußern, und daß es andere gibt, die das Recht nicht haben. Das ist schon ein merkwürdiges Verständnis des Grundgesetzes und der Demokratie.
Sie machen mir weiter Vorwürfe, wenn ich mich für Menschenrechte oder für, wie es hier genannt wurde, „Volksinteressen" - diesen Ausdruck finde ich sehr merkwürdig - oder für andere Dinge diesbezüglich einsetze. Überlegen Sie sich bitte auch das in der Konsequenz: Das würde bedeuten, von mir und anderen zu verlangen, daß wir uns gegen Menschenrechte aussprechen, daß wir uns gegen die Interessen aussprechen, um in Ihrem Sinne glaubwürdig zu sein.
Ferner ist mir und anderen vorgeworfen worden, wir versuchten, uns heimlich aus der Verantwortung zu stehlen. Aber gerade die Tatsache, daß wir zu unserer Herkunft stehen, daß wir damit umgehen, daß wir Konferenzen und vieles andere zu diesem Thema durchführen, beweist doch, daß wir uns eben nicht aus
der Verantwortung stehlen. Aus der Verantwortung haben sich die Mitglieder jener Blockparteien gestohlen, die alles - zum Teil sogar in vorwärtseilendem Gehorsam - mitgemacht und schnell Unterschlupf in West-Parteien gesucht haben, um jegliche Identität zu verlieren und sich mit ihrer eigenen Biographie und Geschichte nicht mehr beschäftigen zu müssen.
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Dabei haben Sie ihnen bewußt geholfen.
Ein Letztes: Es gibt zahlreiche Vorwürfe, die Sie immer gegen uns verwenden, daß wir das Recht nicht hätten, daß wir dieses nicht dürfen, daß jenes anmaßend sei. Damit grenzen Sie zahlreiche Menschen aus,
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und Sie merken nicht einmal die Ähnlichkeit mit SED-Argumenten.
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Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 14. Mai 1991, 9.30 Uhr in das Reichstagsgebäude in Berlin ein.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.