Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um fünf Beschlußempfehlungen des Vermittlungsausschusses erweitert werden. Sie werden nach der Europadebatte aufgerufen. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
5. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Reform des Weinrechts - Drucksachen 12/6060, 12/7205, 12/7478, 12/7721 6. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften ({2}) - Drucksachen 12/6476, 12/7427, 12/7664, 12/7722 7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz über Umweltstatistiken ({4}) - Drucksachen 12/6754, 12/7397, 12/7669, 12/7723 8. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Drucksachen 12/5890, 12/6811, 12/7123, 12/7730 9. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({6}) zu dem Zweiten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht ({7}) - Drucksachen 12/4994, 12/7048, 12/7840, 12/7731 -
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10a bis h und Zusatzpunkt 4 auf:
10. Europadebatte
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Aktuelle Fragen der Europapolitik
b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Verfassung der Europäischen Union
- Drucksache 12/7074 Überweisungsvorschlag:
EG-Ausschuß ({8})
Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ottmar Schreiner, Adolf Ostertag, Gerd Andres, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Europäischen Wirtschaftsausschusses ({9})
- Drucksache 12/4620 - ({10})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({11})
- Drucksache 12/6695 -
Berichterstattung: Abgeordneter Peter Keller
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({12}), Heidemarie Wieczorek-Zeul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weißbuch über die Kosten der Nichtverwirklichung einer europäischen Umweltgemeinschaft
- Drucksache 12/6439 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13}) EG-Ausschuß
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
e) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Anforderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
- Drucksache 12/7276 Überweisungsvorschlag:
EG-Ausschuß ({14})
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({15}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Lieselott Blunck ({16}), Heidemarie Wieczorek-Zeul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf
Umwelt- und Verbraucherschutz
- Drucksachen 12/4036, 12/4769, 12/6724 Berichterstattung:
Abgeordnete
Dr. Klaus W. Lippold ({17}) Dr. Liesel Hartenstein
Gerhart Rudolf Baum
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
({18}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({19}), Dietmar Schütz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Fünftes Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik weiterentwickeln und umsetzen
- Drucksachen 12/4001, 12/6741 Berichterstattung:
Abgeordnete
Dr. Klaus W. Lippold ({20}) Dr. Liesel Hartenstein
Gerhart Rudolf Baum
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({21}) zu dem Antrag der Gruppe der PDS/Linke Liste
Forderungen an die künftige Europapolitik der Bundesregierung
- Drucksachen 12/6282, 12/7408 Berichterstattung:
Abgeordnete Claus-Peter Grotz Dieter Schloten
Dr. Hans Modrow
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Andrea Lederer, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Ursula Fischer und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Anforderungen an die Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union ({22}) vom 1. Juli bis 31. Dezember 1994
- Drucksache 12/7687 Überweisungsvorschlag:
EG-Ausschuß ({23})
Auswärtiger Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Forschung, Technologie
und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte darf ich darauf hinweisen, daß wir mit den Fraktionen vereinbart haben, daß über die Ziele und Schwerpunkte der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union eine eingehende Debatte am 29. Juni stattfinden wird. Das heißt, daß aus meiner Sicht die Regierungserklärung heute nicht mit diesem Schwerpunkt zu sehen ist.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in gut zwei Wochen, bei uns am 12. Juni, werden die Wählerinnen und Wähler in den zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union das neue Europäische Parlament wählen, das dann in den Jahren von 1994 bis 1999 amtieren wird. Es sind Jahre, die voller Dramatik sein werden. Es sind Jahre, die, wie ich hoffe, die Europäische Union entscheidende Schritte nach vorne bringen werden.
In diesem Jahr ist die Wahl zum Europäischen Parlament von ganz besonderer Bedeutung, da das Europäische Parlament durch den Maastrichter Vertrag zahlreiche neue Rechte und Kompetenzen hinzugewonnen hat. Ich habe bei meinem Bericht nach der Verhandlung in Maastricht in diesem Hohen Hause schon darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung im Blick auf die Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments gerne weitergegangen wäre, aber für unsere Position gab es bei den Verhandlungen zum Maastricht-Vertrag noch keine Mehrheit. Doch wir werden an dem Ziel festhalten, daß wir in den nächsten Jahren, vor allem auch im Blick auf die 1996
vorgesehene Überprüfungskonferenz, die Rechte des Europäischen Parlaments weiter ausgebaut werden.
({0})
Ich hoffe - sicherlich mit Ihnen gemeinsam -, daß sehr bald Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen nach den notwendigen Volksabstimmungen in diesen Ländern als neue Mitglieder der Europäischen Union beitreten. Auch sie werden dann im Europäischen Parlament vertreten sein.
({1})
Ich möchte diese gute Gelegenheit gerne nutzen, um im Rückblick auf die Verhandlungen über die Erweiterung der Union mit den eben genannten Ländern dem Bundesaußenminister sehr herzlich für seinen ganz außerordentlichen Einsatz zu danken.
({2})
Es gab die eine oder andere kritische Stimme im Ausland, die mit dem Vorwurf verbunden war, die Deutschen hätten sich besonders intensiv um diese Beitritte gekümmert. Ich denke, es entspricht unserer gemeinsamen Politik, daß wir die Erweiterung der Gemeinschaft wollen. Insofern ist es ganz richtig, daß sich der Bundesaußenminister - im Auftrag der Bundesregierung und natürlich auch in meinem - dafür besonders intensiv eingesetzt hat.
({3})
- Ich weiß nicht, Sie könnten hier doch klatschen. Ich denke, daß die Erweiterung auch in Ihrem Sinne ist.
({4})
Ich finde, das parteipolitische Kalkül kann doch nicht soweit gehen, daß alles, was vernünftig ist, von Ihrer Seite hier totgeschwiegen wird.
({5})
Ich finde, Sie haben einen gewissen Nachholbedarf beim Klatschen für den Kollegen Kinkel. Das können Sie heute gutmachen.
({6})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen, am 8. Mai, haben wir uns überall in Deutschland an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 49 Jahren erinnert. Damals lag Europa in Schutt und Asche, und die Lage der Menschen in Deutschland war verzweifelt. Für viele schien sie ausweglos.
Wer diese Zeit erlebt hat, der kann ermessen, welch großartigen Weg wir seit jenen Tagen in Deutschland zurückgelegt haben. Der bisherige Fortschritt auf dem Weg zur europäischen Einigung ist ein großartiger Erfolg. Eine Vision ist dabei, sich zu erfüllen. Für uns Deutsche - man kann es nicht deutlich genug unterstreichen - ist die konsequente Fortsetzung der europäischen Einigungspolitik die Schicksalsfrage schlechthin.
({7})
Zur Politik der europäischen Einigung gibt es für uns keine verantwortbare Alternative. Diese Einsicht und diese Überlegung haben die Politik aller Bundesregierungen unter Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt und Helmut Schmidt entscheidend geprägt. Das Ziel der festen Verankerung Deutschlands im europäischen Einigungsprozeß hat das Handeln aller demokratischen Parteien in Deutschland nach dem Kriege bestimmt. Ich bin ganz sicher, das wird so bleiben.
({8})
Die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Gemeinschaft war die entscheidende Grundlage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit mit Zustimmung all unserer Nachbarn. Ohne diese Politik in den Jahrzehnten vor den Jahren 1989/90 hätten wir die Zustimmung unserer europäischen Nachbarn zur deutschen Einheit niemals bekommen.
({9})
Konrad Adenauer hat schon im Jahre 1950 erklärt, daß auch ein wiedervereinigtes Deutschland keinen dauerhaften Frieden haben würde, wenn es nicht fest in ein vereintes Europa eingebettet sei.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Frieden und Freiheit sind nichts Selbstverständliches. Wir haben erlebt, das beides täglich neu gesichert werden muß. Die europäische Einigung ist die wirksamste Versicherung gegen das Wiederaufflammen von Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus auch in unserem Teil des Kontinents. Das Gelingen des europäischen Einigungswerkes ist letztlich eine Frage von Krieg und Frieden. Die europäische Einigung ist die entscheidende Voraussetzung für den Frieden und die Freiheit auch der Deutschen im 21. Jahrhundert.
Wir alle sehen täglich die schrecklichen Bilder aus dem früheren Jugoslawien. Diese kriegerischen Entwicklungen im früheren Jugoslawien haben die Grenzen der Möglichkeiten bei Krisenvorbeugung und Krisenlösung schonungslos aufgedeckt. Seit zwei Jahren sehen wir die schrecklichen Bilder Abend für Abend. Es geht hier in hohem Maße auch um die Glaubwürdigkeit europäischer Demokratien. In vielen Ländern - auch bei uns in Deutschland - werden die Bemühungen zur Beendigung des Konfliktes als nicht ausreichend empfunden. Ich kann nur sagen: Wenn das, was wir in Maastricht auf den Weg gebracht haben und was noch längst nicht vollendet ist, sehr viel früher möglich gewesen wäre, dann hätten wir ganz andere Chancen gehabt, auch dort europäische Verantwortung wahrzunehmen.
Angesichts der Schreckensbilder im Kriegsgebiet stellen auch in Deutschland viele die Frage, warum die Europäische Union und die NATO nicht sehr viel mehr zur Beendigung des Konflikts tun können. Ich denke, wir alle haben Verständnis für diese Fragen. Dabei wird jedoch von vielen vergessen, wie sehr dieser Bürgerkrieg durch Haß und Irrationalität
geprägt wird, durch einen Haß, der zum Teil in Jahrhunderten gewachsen ist. Die internationale Staatengemeinschaft unternimmt immer wieder alle Bemühungen, auch in manch auswegloser Situation eine umfassende Friedenslösung zu suchen. Das Bemühen hat sich gerade in den letzten Wochen und Monaten weiter verstärkt. Es gibt keine Patentrezepte für die Lösung dieses Konfliktes, aber es gibt erste Hoffnungen, daß es doch noch gelingen kann.
Gerade wir, die Deutschen, meine Damen und Herren, sollten allerdings mit Ratschlägen an andere besonders vorsichtig und zurückhaltend sein. Wir haben nicht das moralische Recht, von den Verantwortlichen anderer Länder mehr zu verlangen, als wir selbst tun können und zu tun bereit sind.
({10})
Wir sollten vielmehr jede Gelegenheit, auch die heutige, nutzen, um den jungen Soldaten anderer Nationen und ihren Angehörigen unseren Respekt und unsere Sympathie zu bezeugen, die dort ihr Leben einsetzen.
({11})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als ich im Oktober 1982 das Amt des Bundeskanzlers übernahm, war das Schlagwort „Eurosklerose" das meistgebrauchte Wort im Zusammenhang mit Europapolitik. Wer hätte damals, nach dem gescheiterten Gipfel in Kopenhagen im Dezember 1982, vorausgesehen, daß Europa trotz aller Schwierigkeiten und vieler Unwägbarkeiten elf Jahre später mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht einen so entscheidenden Schritt nach vorn schaffen würde?
Man muß es noch einmal rekapitulieren: Seit jenen Tagen ist die Europäische Gemeinschaft einen beispiellosen Weg des Erfolges gegangen - von der feierlichen Stuttgarter Deklaration über die Europäische Union im Juni 1983, den Beitritt Spaniens und Portugals am 1. Januar 1986, die Einheitliche Europäische Akte und das zukunftsweisende Binnenmarktprogramm bis hin zum Vertrag von Maastricht. Es waren elf Jahre, in denen wir Schritt für Schritt der europäischen Einigung nähergekommen sind.
Deutschland und Frankreich haben ganz entscheidend zu dieser Erfolgsgeschichte beigetragen. Staatspräsident François Mitterrand und ich haben mit zahlreichen gemeinsamen Initiativen immer wieder versucht, Europa nach vorne zu bringen. Diese Bemühungen waren nicht - wie uns gelegentlich vorgeworfen wird - von hegemonialem Denken gegenüber anderen geprägt, sondern wir haben es aus der besonderen geschichtlichen Verantwortung heraus getan, die Franzosen und Deutsche für das Werden Europas verbindet.
({12})
Ich glaube, Frankreich und Deutschland haben Grund, stolz zu sein, daß sie diese Möglichkeiten genutzt haben. Ich will auch gern die Gelegenheit wahrnehmen, im Rückblick auf diese Jahre HansDietrich Genscher für seinen persönlichen Beitrag zum Einigungsprozeß in Europa zu danken.
({13})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Europa ist lebenswichtig für die zukünftige Entwicklung der deutschen Wirtschaft. Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten ist entscheidend geprägt von der europäischen Einigung. Die Einigung Europas hat entscheidend zur Beschäftigung, zu Wachstum, zu Wohlstand und auch zur inneren Stabilität Deutschlands beigetragen.
Ich will hierzu nur ein paar Zahlen nennen: 1957 gingen deutsche Exporte im Wert von 14 Milliarden DM in die zwölf Länder der heutigen Europäischen Union. Im letzten Jahr waren es Exporte im Wert von rund 300 Milliarden DM.
Mit über 370 Millionen Menschen wird das künftige „Europa der Sechzehn" einer der wichtigsten Wirtschaftsräume der Welt sein - neben der Nordamerikanischen Freihandelszone, NAFTA, mit 360 Millionen und dem ASEAN-Raum mit 320 Millionen Menschen. Man muß sich darüber im klaren sein, was diese Entwicklung auch für die Zukunft Deutschlands im einzelnen bedeutet. Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland sind abhängig von unseren Exporten in die Europäische Union. Wir Deutsche ziehen wirtschaftlich großen Nutzen aus der Europäischen Union. Im Blick auf die jetzigen Zwölf kann man sagen: den größten Nutzen.
Dabei ist klar, daß wir, was unsere Zahlungen an die Union angeht, an der Obergrenze unserer Möglichkeiten angelangt sind. Es ist richtig, daß wir als das wirtschaftlich stärkste Land am meisten bezahlen; denn wir haben den größten Nutzen. Aber wahr ist auch, daß sich das künftige Finanzierungskonzept in der Gemeinschaft weitaus stärker am Pro-Kopf-Einkommen der einzelnen Länder orientieren muß. Unser Ziel ist, daß auch andere Mitgliedstaaten mit vergleichbarem Pro-Kopf-Einkommen mehr finanzielle Verantwortung übernehmen als in der Vergangenheit.
({14})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die D-Mark ist die wichtigste Währung in Europa. Sie hat sich im vergangenen Jahrzehnt zum währungspolitischen Stabilitätsanker entwickelt. Die Stabilität der D-Mark ist für die Deutschen ein hohes Gut. Die Erfahrungen unseres Volkes mit zwei Hyperinflationen in diesem Jahrhundert, verbunden mit dem Verlust der Vermögenswerte und einer tiefen Verwerfung der sozialen Struktur unseres Landes, haben deutlich gemacht, daß eine stabile Währung immer auch ein Garant für politische Stabilität ist. Deswegen ist und bleibt unser Kurs auf die Stabilität der D-Mark ausgerichtet.
({15})
Ich finde, wir haben am heutigen Tag viel Grund zur
Freude, wenn wir die Nachricht zur Kenntnis nehmen,
daß die Inflationsrate zum erstenmal seit längerer Zeit auf 2,9 %, also auf unter 3 %, abgesunken ist.
({16})
Im Maastricht-Vertrag haben wir durchgesetzt, daß die künftige Europäische Zentralbank praktisch dem Modell der Deutschen Bundesbank entspricht. Dies bedeutet, daß es eine gemeinsame europäische Währung nur dann geben wird, wenn diese genauso stabil und von gleicher Qualität ist wie die D-Mark. An den im Maastrichter Vertrag vereinbarten Kriterien für die Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion werden wir ohne Wenn und Aber festhalten.
({17})
Wir wollen keineswegs Termine verschieben. Aber realistischerweise muß ich darauf hinweisen, daß die Reihenfolge so sein muß, daß das Stabilitätskriterium an erster Stelle rangiert und die Frage des Kalenders die zweite Stelle einnimmt. Das muß klar und deutlich ausgesprochen werden.
({18})
Die Entscheidung für Frankfurt am Main als Sitz der künftigen Europäischen Zentralbank ist der Vertrauensbeweis unserer Partner und Freunde in Europa für unsere Stabilitätspolitik. Es ist ein großer Erfolg. Es gehört zum Alltag in Deutschland, daß diese wichtige Entscheidung nur sehr bedingt zur Kenntnis genommen wird. Die Entscheidung bedeutet, daß in wenigen Jahren - im neuen Jahrhundert - Frankfurt neben der Wall Street und Tokio der dritte große Geldplatz der Welt ist. Wer das überdenkt, kann ermessen, was das für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland im einzelnen bedeutet.
({19})
Meine Damen und Herren, in der Innen- und Rechtspolitik können wir die anstehenden Probleme nicht mehr allein auf der nationalstaatlichen Ebene lösen. Wir sind hier - obwohl viele das noch immer nicht glauben - auf eine noch engere Kooperation mit unseren europäischen Nachbarn angewiesen. Ihnen ist bekannt, daß die Bundesregierung auch in diesen Fragen bei den Verhandlungen zum Maastrichter Vertrag gerne weitergegangen wäre. Damals konnten wir uns aber angesichts des Widerstandes unserer Partner nicht durchsetzen. Ich bin ganz sicher, daß die wenigen Jahre nach dem Abschluß des Maastrichter Vertrags dazu geführt haben, daß sich jetzt günstigere Chancen für eine stärkere Bekämpfung mancher Probleme entwickeln. Ich hoffe sehr - und dies wird unser Ziel sein -, daß wir 1996 hier zu umfassenderen Lösungen kommen können.
Von ganz entscheidender Bedeutung für unsere innere Sicherheit ist vor allem eine engere europäische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Drogenmafia, des grenzüberschreitenden Verbrechens und des illegalen Waffenhandels. Hierzu enthalten der Vertrag von Maastricht und das Schengener Übereinkommen erste Ansätze, auf denen wir weiter aufbauen müssen.
Meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen ist die Nachricht um die Welt gegangen, daß nach den
Schätzungen von Experten in diesem Jahr etwa 250 Milliarden Dollar - Sie haben richtig gehört: 250 Milliarden Dollar - zur Geldwäsche nach Europa eingeschleust werden. Es soll doch niemand glauben, daß wir mit den klassischen Methoden der internationalen Zusammenarbeit in Europa diese Herausforderung bestehen können. Das hat nichts mit Kritik an unseren eigenen Polizeibehörden zu tun; denn es handelt sich hier um eine neue Herausforderung. Wir müssen auf diese Herausforderung die richtige Antwort geben.
({20})
Die von uns allen angestrebte Öffnung der Grenzen darf nicht dazu führen, daß dem internationalen Verbrechen mehr Aktionsraum gegeben wird. Deshalb ist die Einrichtung einer europäischen Polizeibehörde, Europol, überfällig, die etwa mit einer Institution wie dem Bundeskriminalamt bei uns vergleichbar ist. Wir werden alles tun, um auf diesem Weg zu verbesserten Beschlüssen zu kommen.
Wichtig für uns und alle anderen in Europa ist auch eine gemeinsame Asylpolitik. Wir wollen eine gerechtere Lastenverteilung erreichen, da wir Deutschen zur Zeit die Hauptlast der Flüchtlings- und Asylbewerberströme tragen.
Meine Damen und Herren, es liegt in unserem ureigenen Interesse, von stabilen Demokratien und gesunden Volkswirtschaften in unseren Nachbarnländern in Mittel-, Ost- und Südosteuropa umgeben zu sein. Deshalb werden wir die Beziehungen der Europäischen Union zu den mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten konsequent ausbauen. Wir haben ihnen - auch auf Vorschlag der Bundesregierung - beim Europäischen Rat in Kopenhagen eine klare Beitrittsperspektive eröffnet. Diese Perspektive muß jetzt schrittweise ausgefüllt werden. Gute Worte allein reichen hierbei nicht aus.
({21})
Wir müssen diesen Ländern Möglichkeiten eröffnen - auch wenn es hierzulande manchem schwerfällt, diesem Gedanken beizupflichten -, ihre Waren auch auf unserem Markt, auf dem Markt der Europäischen Union, zu fairen Bedingungen anzubieten.
({22})
Auch direkte Hilfe ist dabei erforderlich. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt bilateral wie auch im Rahmen der Europäischen Union und der G 24 die jungen Demokratien Mittel-, Ost- und Südosteuropas mit erheblichen Mitteln. Wir haben unsere Verantwortung frühzeitig wahrgenommen und zur Unterstützung der Reformprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa die bei weitem größten Leistungen unter allen G-7-Staaten erbracht. Allein unsere bilateralen Leistungen und Zusagen an die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion beliefen sich Ende des vergangenen Jahres auf knapp 90 Milliarden DM. Hinzukommen rund 37 Milliarden DM für die Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Dabei sind die erheblichen Mittel noch gar nicht berücksichtigt, die wir über internationale Organisa20124
tionen, über die Europäische Union und die G 24 geleistet haben.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal mehr zu sagen: Wir sind jetzt bei unseren Hilfen an der äußersten Grenze unserer Leistungsfähigkeit angelangt. Es ist nötig, daß sich andere, die es auch können, jetzt stärker finanziell engagieren und beteiligen.
({23})
Dabei wissen wir, daß das, was wir tun, nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann. Wirtschaftshilfe, Kredite, Beratung allein können wahrlich nicht den Erfolg bringen. Niemand kann diesen Ländern die Verantwortung abnehmen, selbst die begonnenen Reformen zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.
Ich weise in diesem Zusammenhang beispielsweise auch darauf hin, daß die Bundesregierung immer wieder mit großem Nachdruck auf die unzureichende Sicherheit der Kernkraftwerke in einigen der mittel- und osteuropäischen Länder aufmerksam gemacht hat. Die bisher getroffenen Maßnahmen reichen nicht aus. Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit dem Fortgang in diesem Bereich. Ich werde deshalb beim Europäischen Rat in Korfu wie auch beim Weltwirtschaftsgipfel in Neapel erneut auf Abhilfe drängen.
({24})
Aber, meine Damen und Herren, es muß angesichts mancher Kritik bei uns im eigenen Land gesagt werden, daß jede vernünftige Hilfe zur Selbsthilfe auch eine Chance für eine glückliche Zukunft Deutschlands ist. Wenn - um ein Beispiel zu nennen - die Reformen in Rußland scheitern und dieses große Land, unser wichtigster Nachbar im Osten, einen Rückfall in alte Strukturen erlebt, ob es nun kommunistische Strukturen sind oder eine Militärdiktatur, wird alles, was dann folgt, für den Westen und für die Deutschen sehr viel teurer werden.
Wir wollen nicht wieder Raketen stationieren. Wir wollen, daß Frieden und Freiheit überall in diesen Regionen einkehren.
({25})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die europäische Wirtschaft - und damit auch die deutsche - erlebte in den letzten Jahren eine tiefgehende Konjunkturschwäche und Strukturkrise. Auch wir in Deutschland leiden unter den Folgen dieses Konjunktureinbruchs. Glücklicherweise zeigen die Auftragseingänge in unserer Wirtschaft und viele andere Indikatoren, daß wir jetzt aus dieser Konjunkturkrise herauskommen und daß nicht nur in den Prognosen, sondern in der Realität der Aufschwung begonnen hat.
({26})
Wir haben alle Chancen, daß die im Januar von der Bundesregierung vorhergesagte Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 1,5 % erreicht wird. Die, die uns damals belächelt haben, müssen wenigstens stillschweigend zugeben: Die Entwicklung geht in diese Richtung.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt nicht den geringsten Grund zur Entwarnung. Wir müssen gerade jetzt, da die Chancen besser sind, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und alles tun, um den Standort Deutschland, d. h. die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, zu sichern und Verbesserungen vorzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang vieles möglich gewesen. Ich erinnere ausdrücklich an die Tarifabschlüsse, an die größere Chance zur Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, an viele Überlegungen, die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands als Industrie- und Exportnation zu verbessern.
Es gilt jetzt, auf allen diesen Wegen nicht innezuhalten. Das ist vor allem wichtig für unser vorrangiges Ziel: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den Erhalt der Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat mit dem Programm zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und mit dem Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung die notwendigen Konsequenzen gezogen. Die Dinge sind auf einem guten Weg, aber es bleibt noch viel zu tun.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung im europäischen Rahmen die Vorschläge aktiv unterstützt, die im Weißbuch des Präsidenten der Kommission, Jacques Delors, enthalten sind; denn die Zukunftssicherung Deutschlands ist untrennbar mit der Sicherung der Zukunft des Standortes Europa verbunden. Ziel ist es, durch Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene vor allem die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Viele der Anregungen Jacques Delors entsprechen unseren eigenen Zielsetzungen. Ich nenne nur einige Stichworte: mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, Senkung der Lohnnebenkosten, Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, besondere Maßnahmen gegen die Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit.
Auf deutsche Verhältnisse übertragen, bedeutet das beispielsweise konkret, daß wir unsere ganze Kraft einsetzen müssen, damit auch in diesem Jahr junge Leute in den neuen Ländern, die einen Lehrvertrag abschließen wollen und können, einen Lehrvertrag bekommen und eine gute Ausbildung erhalten.
({27})
Als weiteres Beispiel nenne ich die Schaffung von transeuropäischen Netzen im Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsbereich. Ein ganz herausragendes Beispiel ist dabei der Ausbau der WestOst-Schienenverbindung. Unser Ziel ist, so schnell wie möglich eine Schnellbahnlinie quer durch den Kontinent zu schaffen: von London über Paris, über Frankfurt, Berlin, Warschau bis Moskau. Dies ist auch ein wichtiges Ziel der russischen Politik, wie es kürzlich erst Präsident Jelzin bei seinem Bonner Besuch deutlich gemacht hat.
Meine Damen und Herren, das ist keine Zukunftsvision. Das, was bei der Linienführung Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in dieser Hinsicht möglich war, müßte mit den Mitteln des ausgehenden 20. Jahrhunderts möglich sein, wenn wir nur gemeinsam wollen und den Sinn einer solchen Verbindung einsehen.
({28})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, offene Märkte und freier Welthandel liegen im ureigensten
deutschen und europäischen Interesse. Ein besonders wichtiger Schritt auf diesem Weg war der erfolgreiche Abschluß der Uruguay-Runde im GATT zur Jahreswende. Wir haben damit das umfassendste Liberalisierungspaket für den Welthandel in den letzten Jahrzehnten verabschiedet. Wir haben von deutscher Seite alles getan, um beim Zustandekommen dieses wichtigen Paktes hilfreich zu sein.
Ziel der deutschen Europapolitik ist und bleibt ein föderales Europa. Wir wollen Einheit in Vielfalt. Wir wollen keinen europäischen Zentralstaat, der regionale und nationale, der kulturelle Traditionen und geschichtliche Erfahrungen verschwinden ließe. Auch im vereinten Europa, im Haus Europa, wie wir es bauen wollen, bleiben wir Deutsche und Franzosen und erhalten unsere Identität. Heimat und Vaterland und Europa, das sind keine Gegensätze, das ist für uns der Dreiklang der Zukunft.
({29})
Meine Damen und Herren, wer ein Europa der Bürger will, der muß auch alle Tendenzen zu einem europäischen Zentralismus ablehnen. Deshalb haben wir im Maastricht-Vertrag das Prinzip der Subsidiarität durchgesetzt. Das heißt übersetzt, daß auf der Ebene Europas - ich nenne hier Brüssel sozusagen für das Ganze -, daß in Brüssel nur entschieden werden soll und kann, was nicht auf einer anderen Ebene, etwa der nationalen und der regionalen Ebene, besser entschieden werden kann.
In die deutsche Diskussion hinein möchte ich allerdings gerne hier noch sagen: Wenn ich regionale Ebene sage, meine ich nicht nur die Bundesländer, sondern ich meine auch unsere Städte und Gemeinden.
({30})
Nach meinem Verständnis wirkt Föderalismus nicht nur in den Beziehungen zwischen Brüssel und Bonn oder zwischen Bonn und Düsseldorf und München, sondern genauso zwischen Düsseldorf und Köln und zwischen München und Nürnberg - um eine für jedermann klar verständliche Definition zu geben.
({31})
Wenn wir Subsidiarität ernst nehmen, dann heißt das auch, daß wir den Mut aufbringen - wie das jetzt auch in Deutschland geschehen muß -, bisher bestehende Entscheidungen, Richtlinien, Gesetze und Vorschriften zu überprüfen, ob sie noch sinnvoll sind. Wir sollten bei manchen vielleicht auch die Frage stellen, ob sie je sinnvoll waren.
({32})
In Ihren Beifall hinein will ich allerdings auch selbstkritisch sagen:
({33})
- Nun gut, ich weiß, Sie sind mit Beifall nicht verwöhnt; das verstehe ich auch.
({34})
Aber ich denke, heute früh wollen wir doch einmal ein Stück Gemeinsamkeit, jedenfalls in Sachen Europa, suchen.
Ich hoffe, Sie stimmen mir zu - Sie brauchen ja nicht zu klatschen -, wenn ich selbstkritisch feststelle,
({35})
daß viele der Vorwürfe an die Adresse Europas und an die Adresse Brüssels im Zusammenhang mit Richtlinien und anderem nicht ganz frei von Heuchelei sind, weil viele nationale Interessen, auch der Wirtschaft, dorthin getragen werden, und es wird dann auf der europäischen politischen Ebene ausgetragen. Auch das muß man in dieser Debatte sagen.
({36})
Wir dürfen, schlicht und einfach gesagt, nicht versuchen - das gilt auch in Deutschland für alle Gruppen -, etwas, was wir auf nationaler Ebene nicht durchsetzen können, über Brüssel durchzusetzen und anschließend auf Brüssel zu schimpfen. Das ist keine sehr faire Politik.
({37})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Ziel der deutschen Europapolitik ist es, auch 1994 zu einem Erfolgsjahr für die europäische Einigung zu machen und damit an die Erfahrungen und Erfolge der vergangenen Jahre anzuknüpfen. Wir werden, wie ich hoffe - das sagte ich zu Beginn -, hier noch vor der Sommerpause eine eingehende und intensive Debatte führen. Ich selbst werde mich in den zuständigen Ausschüssen der Diskussion stellen und dort die Vorschläge der Bundesregierung einbringen, was wir in der Zeit nach dem 1. Juli, wenn Deutschland die Präsidentschaft übernimmt, tun können und tun wollen.
Ich will gleich hinzufügen: Mein Ziel ist, etwas zu versuchen, was bisher so noch nicht gelang, nämlich mit unseren französischen Partnern und Freunden zu Absprachen zu kommen, daß das, was wir Deutschen in unserer Präsidentschaft beginnen, unter der darauffolgenden französischen Präsidentschaft fortgesetzt werden kann;
({38})
denn jeder weiß, daß die Zeit von sechs Monaten ziemlich knapp für solche Entscheidungen ist. Wir werden alle Chancen konsequent nutzen.
Die Absicherung und Fortsetzung des europäischen Einigungswerks ist - das sagte ich bereits - nicht irgendeine Frage, sondern die Schicksalsfrage unseres Kontinents und für die deutsche Zukunft die Voraussetzung für Frieden und Freiheit.
Konrad Adenauer hat 1950 gesagt: Deutsche Einheit und europäische Einigung, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Dieser Satz hat sich als ebenso visionär wie im politischen Alltag richtig erwiesen. Wir, die Bundesregierung, wollen unseren Beitrag dazu leisten, daß jetzt und in diesen Jahren die
entscheidenden Voraussetzungen für den Bau eines wetterfesten Hauses Europa geschaffen werden und auch kommende Generationen in diesem Haus in Frieden und Freiheit leben können.
({39})
Als nächster spricht der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Scharping.
Ministerpräsident Rudolf Scharping ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa ist eine Erfolgsgeschichte; sie muß es aber auch bleiben. Deshalb wird die entscheidende Aufgabe der nächsten Monate und Jahre sein, die Voraussetzungen zu festigen, unter denen Europa eine Erfolgsgeschichte werden konnte: Intensive Zusammenarbeit für gemeinsame Wohlfahrt und gemeinsame Sicherheit, Integration der Staaten, um Frieden zu gewährleisten; denn die europäische Integration ist der weitgehend gelungene Versuch, die Vision eines friedlichen Kontinents nach der verwüstenden Erfahrung zweier schrecklicher Bruderkriege auf diesem Kontinent zu verfestigen.
({1})
Deshalb treten wir dafür ein, daß die europäische Integration vertieft und die Europäische Union erweitert wird. Wahrscheinlich wird man mehr Phantasie brauchen als nur die der wirtschaftlichen oder monetären Zusammenarbeit der Assoziierungsverträge, wenn die Staaten insbesondere des östlichen Mitteleuropa eine klare Perspektive des Beitrittes zur Europäischen Union haben sollen. Prag, Warschau und Budapest sind europäische Städte.
({2})
Die Tatsache, daß die Menschen dort unter einem aufgezwungenen Kommunismus leben mußten, rechtfertigt nicht, sie heute ausschließlich als postkommunistische Staaten zu betrachten.
({3})
Ich knüpfe mit dieser Überlegung an den tschechischen Präsidenten Václav Havel an und will deutlich machen, daß unser bisheriges Verhalten im westlichen Europa, aber auch in Deutschland in diesen Staaten als unzureichend empfunden wird, weil die Größe der Worte nach der Zeitenwende des Jahres 1989/90 häufig in einem deutlichen Widerspruch zur Kleinheit der Taten steht.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts reicht es nicht mehr, zu sagen, wogegen die westliche Staatengemeinschaft steht. Sie steht jetzt vor der viel interessanteren Aufgabe, präzis zu sagen, wofür sie steht, und das auch im einzelnen einzulösen.
({4})
Europa, meine Damen und Herren, ist mehr als eine politische Vision. Wir haben in den letzten Jahrzehnten den Versuch gemacht, den europäischen Integrationsprozeß vor allem ökonomisch voranzutreiben und ökonomisch zu vermitteln. Bei aller Bedeutung der Ökonomie, man darf die politische Vision dieses Europas nicht aus dem Auge verlieren und muß dafür sorgen, daß die wirtschaftlichen Bedingungen der Integration verbessert werden. Wer über Jahrzehnte hinweg den Menschen in Europa sagt, die europäische Integration sei vor allem ein ökonomischer Prozeß, vermehre vor allen Dingen den Wohlstand der Menschen, der macht die politischen Möglichkeiten kleiner, als sie sein sollten. Und er setzt sich in der Gegenwart der berechtigten Frage aus, wie tragfähig diese Vision eigentlich ist, wenn sie zum Ergebnis hat, daß auf diesem Kontinent 20 Millionen Menschen und in Deutschland 4 Millionen Menschen arbeitslos sind.
({5})
Wer, Herr Bundeskanzler, wollte bestreiten, daß Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt und auch Sie Verdienste um die europäische Integration haben. Aber die Betrachtung der Vergangenheit wird nicht ausreichen. Wir werden Begeisterung für den europäischen Prozeß nur bekommen, wenn wir eine klare Vorstellung davon vermitteln, wie es mit diesem Kontinent wirtschaftlich, finanziell, sozial und ökologisch weitergehen soll. Dazu sagen Sie wenig.
({6})
Selbst wenn ich respektiere, daß Sie über die Ziele Ihrer Ratspräsidentschaft erst in einer Erklärung im Juni Auskunft geben, reicht eine Erklärung bei weitern nicht aus, die in Allgemeinheiten steckenbleibt und nichts zu den konkreten Bedingungen sagt, unter denen europäische Politik heute stattfindet, und wie sie von den Menschen in Europa wahrgenommen werden soll.
Meine Damen und Herren, wir in Deutschland sind in dieser Europäischen Gemeinschaft das Land mit der größten wirtschaftlichen und sozialen Spannung. Wir müßten also ganz besonders daran interessiert sein, durch eigene Anstrengungen und gemeinschaftliche Initiativen in Europa etwas zum Abbau dieser wirtschaftlichen und sozialen Spannung zu tun.
({7})
Europa ist der Kontinent in der Triade mit der schwächsten Wachstumsrate und der höchsten Arbeitslosigkeit. Das hat Gründe, meine Damen und Herren, die auch in der Politik liegen, nicht nur in abstrakten Behauptungen über den strukturellen Anpassungsprozeß, den die europäische und auch die deutsche Wirtschaft durchmachen.
Um Ihnen das mit wenigen Beispielen zu sagen: Das Land Thüringen hat eine Wirtschaftsleistung von 28 % des Durchschnitts in der Europäischen Union. KaMinisterpräsident Rudolf Scharping ({8})
labrien hat einen Anteil von 63 %, Mittelportugal von 36 %.
({9})
Das heißt zunächst: Wir haben in Deutschland mit Hamburg die reichste Region Europas - mit einer Wirtschaftsleistung von 190 % des europäischen Durchschnitts -, und wir haben in Deutschland gleichzeitig die wirtschaftlich schwächsten Regionen Europas.
({10})
Ich frage mich, wie vor diesem Hintergrund eigentlich noch erklärt werden soll, daß die Bundesregierung dem Weißbuch der Europäischen Kommission über Wachstum und Beschäftigung allgemeines Lob zollt und in der Praxis der europäischen Politik zu verhindern versucht, daß mit Hilfe dieses Weißbuchs ein konkreter Schritt nach dem anderen gegangen wird. Das ist die Realität: Sie reden schön und tun das Gegenteil.
({11})
Wir wären, auch in der Bewältigung unserer eigenen Schwierigkeiten, wesentlich besser, wenn wir diese Schritte mit Europa gemeinsam täten. Denn keine größere Volkswirtschaft ist international so verflochten wie die deutsche. 70 % unserer Exporte gehen in den europäischen Wirtschaftsraum. 35 % unseres Sozialprodukts kommen aus dem Export. Wir liegen damit in der internationalen Verflechtung weit vor den USA und noch weiter vor Japan.
({12})
Also müssen wir ein Interesse daran haben, daß in Europa wirtschaftlich enger zusammengearbeitet wird.
Es ist doch erstaunlich zu sehen, daß beispielsweise die amerikanische Administration dieses Weißbuch für einen guten Wegweiser gemeinsamer Industrie-, Wachstums- und Beschäftigungspolitik hält, die Bundesregierung aber ganz wenig - um nicht zu sagen: gar nichts - tut, um die Vorschläge dieses Weißbuches für Wachstum, für Beschäftigung, für Arbeitsplätze gemeinsam in Europa voranzubringen.
({13})
Weil wir bei dem Widerspruch zwischen Worten und Taten sind, will ich auch etwas im Zusammenhang mit dem Finanzierungsbeitrag sagen, den Sie auf dem Edinburgher Gipfel 1992 festgeschrieben haben,
({14})
in Kenntnis der Tatsache, daß Deutschland - was
seinen Wohlstand, die Einkommenssituation seiner
Bürger angeht - nicht mehr auf dem zweiten Platz in
der Europäischen Union lag, sondern schon auf dem siebten.
({15})
Wer in einer solchen Situation den deutschen Beitrag bis 1999 festschreibt und damit beispielsweise im Jahre 1994 eine Beitragsleistung auslöst, die um mehr als 3 Milliarden DM höher ist, als sie sein sollte, wer gleichzeitig einen britischen Beitragsrabatt in der Größenordnung von 1,2 Milliarden DM mitfinanziert, der hätte zumindest die Verpflichtung, beim Wandel, beim Aufbau im Osten Deutschlands ein stärkeres Engagement der Europäischen Union einzufordern. Wenn Sie das schon festgeschrieben haben - was ich für grob fahrlässig halte --, dann ist das Mindeste, was man von Ihnen verlangen muß, über Strukturtonds einen stärkeren Rückfluß für die Hilfe beim Aufbau im Osten Deutschlands durchzusetzen.
({16})
Gerade wenn Sie, Herr Bundeskanzler, dagegen sind, daß wir in der Öffentlichkeit wie der Zahlmeister Europas dastehen, gerade wenn Sie erkennen - worüber Sie nicht gesprochen haben -, daß dies für die Stimmung gegenüber Europa und seine Akzeptanz in der Bevölkerung ein Problem darstellen kann, hätten Sie die Verpflichtung, für faire Finanzierungsbedingungen in der Europäischen Union zu sorgen.
Meine Damen und Herren, Europa ist wahrlich nicht nur Ökonomie. Aber die Menschen fragen sich: Warum bleibt es bei dieser hohen Arbeitslosigkeit, obwohl man uns die europäische Integration über Jahrzehnte hinweg vor allem ökonomisch vermittelt hat? Wir müssen in Europa für bessere Bedingungen bei den Investitionen sorgen, den Unternehmen einen stabilen Rahmen für Investitionstätigkeit geben, mehr für Forschung und Bildung in Europa tun, die gemeinsame Infrastruktur engagiert und mit wesentlich mehr finanziellem Aufwand ausbauen, und wir müssen dafür sorgen, daß dieses Europa der Bürger und Regionen sein Defizit an demokratischer Verankerung verliert.
({17})
Das letztere sage ich auch mit Blick darauf, daß Sie, Herr Bundeskanzler, zu jenen gehören, die mehr Entscheidungen von den Europäischen Institutionen in den Ministerrat zurückholen wollen, was hier und da nicht unbedingt dafür spricht, daß die eigentlich Europäischen Institutionen gestärkt werden sollen.
Ich will aber etwas im Zusammenhang mit den Investitionsbedingungen und dem Ausbau der Infrastruktur sagen. Wir haben mit Frankreich intensiv und gut zusammengearbeitet, und das soll auf der Grundlage einer festen Freundschaft auch so bleiben. Es gibt einige Beispiele vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenarbeit in Europa, insbesondere in der Luft- und Raumfahrt.
Aber ich frage mich natürlich, warum es bis in die letzten Monate hinein praktisch keine Initiative gibt, um mit Hilfe der transeuropäischen Netze nicht nur
Ministerpräsident Rudolf Scharping ({18})
die Eisenbahnstrecken auszubauen, sondern auch zu gemeinsamen Systemen zu kommen.
({19})
Da leisten wir uns in Deutschland den Bau eines ICE, der den banalen Mangel hat, zu breit und zu schwer zu sein, als daß er sonst wo in Europa eingesetzt werden könnte.
({20})
Es geht übrigens, Herr Bundeskanzler, beim Ausbau der transeuropäischen Netze als dem zentralen Element einer gemeinsamen Infrastruktur nicht nur um Eisenbahnschienen, es geht auch um Energienetze und um die sogenannten Datenautobahnen, mit denen Sie erkennbar Schwierigkeiten hatten, um es vorsichtig zu formulieren.
Nur, wenn in der Triade, in Japan und in den Vereinigten Staaten, der konzentrierte Versuch gemacht wird, in einer Kooperation von Wirtschaft, Wissenschaft und staatlicher Politik für eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft zu sorgen, die Aufwendungen für Forschung und Technologie zu steigern, die Chancen für Bildung und Ausbildung zu verbessern, dann frage ich mich, warum Sie in einer solchen eher allgemein gehaltenen Erklärung nicht wenigstens darauf eingehen, daß die in Europa und in Deutschland bestehenden Rückstände beseitigt werden müssen. Sie können dazu nicht reden, weil Sie dann über die Versäumnisse Ihrer Politik reden müßten.
({21})
Es ist erschreckend zu sehen, daß wir in Deutschland, das wie kein anderes Land auf die Qualität seiner Forschung und seiner Technologie, auf die schnellere Übertragung ihrer Ergebnisse in die Produktion, auf die hohe Ausbildungsqualität angewiesen ist, daß wir in einem solchen Land bedenklich niedrige Anstrengungen für Bildung und Wissenschaft haben, auch im europäischen Konzert weit hinten liegen.
Wenn Sie schon von der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes reden, dann wäre es eigentlich richtig einzuräumen, daß diese Art von Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die bei der Ausbildung spart, die Ausbildungsförderung kürzen will, damit die Studenten länger studieren müssen, die in der Frage der dualen Ausbildung keine wesentlichen Zukunftsinitiativen mehr bietet, die den Haushalt für Forschung und Technologie auf 1,9 % des Gesamthaushalts heruntergefahren und in diesem Jahr noch einmal um 250 Millionen DM gekürzt hat, daß eine solche Politik für den Standort Deutschland das zentrale langfristige Zukunftsrisiko darstellt, ein Risiko, das Sie verantworten müssen.
({22})
Es gibt auf diesem Feld keine wirkliche kooperative, gemeinsame Anstrengung. Und die Ergebnisse liegen auf dem Tisch. Das will ich auch nur mit einer einzigen Zahl demonstrieren. Von 1 000 Beschäftigten in der Europäischen Union sind vier in Forschung und als Ingenieure tätig. In den USA sind von 1 000
Beschäftigten acht - genau das Doppelte - in der Forschung und als Ingenieure tätig. In Japan sind es neun.
Wenn man sich solche Zahlen vor Augen hält und dann auch noch die Patententwicklung in Japan, in den USA und in Deutschland betrachtet, dann weiß man: Wenn es uns nicht gelingt, die europäische Zusammenarbeit in Forschung und Technologie, bei Wissenschaft, bei den Hochschulen, bei den Großforschungseinrichtungen zu verbessern, wenn es uns nicht gelingt, deren Ergebnisse schneller und gemeinsam in Europa technische Realität, wirtschaftliche Realität werden zu lassen, dann bleibt es dabei, daß dieser Kontinent derjenige mit der höchsten Arbeitslosigkeit und der schwächsten Wachstumsrate ist.
({23})
Herr Bundeskanzler, es wäre gut und wichtig, daß Sie dazu etwas sagen, damit nicht nur mit allgemeinen Floskeln und schönen Erklärungen über die unbestrittenen Erfolge der Europäischen Union und die gemeinsame Vergangenheit hier ein Gefühl erzeugt wird, als lebten wir gewissermaßen in gesicherten Verhältnissen. Das tun wir insbesondere wirtschaftlich, technologisch und sozial in Europa leider nicht.
({24})
Meine Damen und Herren, neben einer wesentlich engeren Kooperation auf der Grundlage des Weißbuches der Europäischen Kommission für Wachstum und Beschäftigung, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Bewahrung sozialer Rechte wäre es dringend erforderlich, die Zusammenarbeit in Europa gerade auf dem letztgenannten Feld zu verbessern.
Es ist ja richtig, wenn Sie sagen, daß manches von dem, was in Richtlinien steht, von den nationalen Regierungen dort hineinbugsiert worden ist und daß sich folglich der Protest gegen manche Bürokratien in Europa eigentlich gegen ihre nationalstaatlichen Urheber richten müßte. Sie haben das eine selbstkritische Bemerkung genannt. Ich will dem eine hinzufügen: In Ihrer Politik und den sie tragenden Parteien wird viel von Deregulierung geredet. Im Sinne von Flexibilität bei Investitionen oder auf den Arbeitsmärkten läßt sich dagegen schwer etwas sagen. Warum aber blockieren Sie Verordnungen und Richtlinien, zum Teil seit Jahren, die helfen sollen, daß Europa einheitlicher wird, daß die sozialen Rechte der Menschen besser geschützt werden?
Warum blockieren Sie beispielsweise noch immer den Vorschlag der Europäischen Kommission - um nur dieses eine Beispiel zu nennen -, daß auf deutschen Baustellen für ausländische Arbeitnehmer nicht länger die schlechteren Arbeits- und Lohnbedingungen ihres Herkunftslandes gelten sollen, sondern die des Landes, in dem sie arbeiten und Lohn empfangen?
({25})
Wer über Arbeitslosigkeit und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen redet, der muß für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen. Die illegale Beschäftigung beispielsweise und das Blockieren solcher RichtMinisterpräsident Rudolf Scharping ({26})
linien haben mit fairen Wettbewerbsbedingungen nichts zu tun.
({27})
Warum blockieren Sie noch immer die Richtlinien zu den atypischen Arbeitsverhältnissen, die so atypisch doch gar nicht sind? Wenn Sie auf der einen Seite Teilzeitbeschäftigung proklamieren, um die Arbeitslosigkeit abzubauen: Warum sagen Sie nichts zu den 10 Millionen Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern in Europa - es sind weit mehr Frauen als Männer -, die auch wegen Ihrer Politik nicht sozialversichert und gesichert arbeiten können?
({28})
Es wäre dringend an der Zeit, hier etwas zu tun. Denn wenn wir Europa mit seiner Vision einer wirtschaftlich gemeinsamen und starken Zukunft, einer gemeinsamen sozialen Sicherheit nicht auch in solchen konkreten Fragen einlösen, und zwar bis hin zu der Frage der Mitbestimmung in europäischen Unternehmen, dann können wir keine Akzeptanz, keine Begeisterung, kein Engagement in Europa erwarten, sondern dann wird es bei dieser Mischung aus Gleichgültigkeit und Verdrossenheit bleiben, wo wir Begeisterung brauchen, um die europäische Zukunft bewältigen zu können.
({29})
Warum blockieren sie noch immer entsprechende Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Armutsberichterstattung? So könnte ich viele Beispiele nennen.
Ich will aber noch das aufgreifen, was Sie im Zusammenhang mit innerer Sicherheit gesagt haben. Das finde ich hochinteressant. Das war ein schöner Satz: „Auf diese Herausforderung müssen wir die richtige Antwort geben." Worin besteht sie denn? Wenn der hochverehrte Herr Bundeskanzler
({30})
sich in diesem Hause äußert - ich sollte hinzufügen: der hochverehrte Herr Landsmann, weil man ein bißchen aufpassen muß, Frau Präsidentin, daß die gemeinsamen - (
Ich schwöre darauf, daß wir keine Landsleute sind!)
- Wenn Sie so engstirnig sind, daß Sie sich nur als Pfälzer bezeichnen und nicht als Rheinland-Pfälzer, dann ist es in Ordnung, dann sind wir eben keine Landsleute.
(Beifall bei der SPD -
Gott sei Dank!)
- Das mag so sein.
Ich wollte nur auf folgendes hinweisen: Auf diese Herausforderung müssen wir die richtige Antwort geben. Sie haben, Herr Bundeskanzler, ja nicht
nur die Pflicht, Fragen aufzuwerfen oder allgemeine, schöne Formulierungen zu gebrauchen,
({0})
sondern konkret zu sein. Deshalb frage ich mich, warum beispielsweise bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität, die Sie völlig zu Recht als einen zentralen Punkt anschneiden, von Ihrer Regierung immer noch blockiert wird, daß man den Hauptnerv dieses Verbrechens, nämlich seine finanziellen Gewinne, treffen kann? Warum eigentlich?
({1})
Ich weiß wohl, daß einige von Ihnen den Eigentumsschutz geltend machen. Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie denn an diejenigen herankommen, die in Kolumbien oder sonstwo sitzen und für jene 250 Milliarden Dollar verantwortlich sind, die nach Europa eingeschleust werden? Wie soll denn das gehen? Wollen Sie die erst vor ein deutsches Strafgericht stellen und aburteilen lassen, bevor Sie an deren Vermögen herangehen? Ich halte das für eine grob fahrlässige Politik.
({2})
Sie steht ja nicht nur im Widerspruch zur Rechtstradition unserer westlichen Partner, insbesondere der Vereinigten Staaten, sondern sie steht im Widerspruch zu dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Bisher ist es Gott sei Dank noch so, daß die Mehrheit der Menschen mit offenen Grenzen auch die Chance größerer innerer Sicherheit verbindet. Das ist das Urteil der Mehrheit. Aber ich sage Ihnen voraus, wenn Sie so bei Ihrer Politik verbleiben sollten, dann werden Sie für Sicherheit in Europa nicht sorgen.
({3})
Wachstum und Beschäftigung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Bewahrung und Sicherung der sozialen Rechte in Europa, Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen anstelle nachsorgenden Umweltschutzes - alles Felder, auf denen diese Bundesregierung in Europa schlecht agieren kann, weil sie im eigenen Land auf diesen Feldern versagt.
({4})
Oder glauben Sie im Ernst, daß der Bundesfinanzminister in Europa besonders glaubwürdig dasteht, wenn er stabile Finanzen anmahnt und zu Hause für die größte Verschuldung seines Landes zuständig ist, die es jemals gegeben hat?
({5})
- Das mag Ihnen ja unangenehm sein, aber es ist doch so.
Natürlich sind die Kriterien des Maastrichter Vertrages wichtiger als die Zeittafel.
({6})
Ministerpräsident Rudolf Scharping ({7})
Aber wie sieht es denn im Zusammenhang mit den Kriterien eigentlich aus? Einmal abgesehen davon, daß andere sie ebenfalls nicht erfüllen: Sie haben doch eine Finanzpolitik betrieben, die am Ende mit einer immer mehr steigenden Steuerbelastung, insbesondere für mittlere und normale Einkommen,
({8})
über 100 Milliarden DM jedes Jahr aus den Taschen der Leute genommen und trotzdem eine Staatsverschuldung von insgesamt 2 000 Milliarden DM aufgebaut hat, pro Mensch in Deutschland 25 000 DM.
({9})
- Ich finde es ja sehr interessant, daß Sie wenigstens bei diesem Punkt einmal etwas munterer werden.
({10})
Das ist genau Ihre Achillesferse, und ich kann sehr lebhaft verstehen, daß in dem Augenblick, wo man sich von den allgemeinen, wolkigen Dingen entfernt und zu den konkreten Punkten deutscher und europäischer Politik übergeht, dann nicht nur die Unterschiede sichtbar werden, sondern auch die schweren Defizite Ihrer eigenen Politik.
({11})
In diesem Zusammenhang schneide ich noch einen letzten Punkt an. Ich sprach von einer Perspektive für die europäischen Staaten, die für die jetzigen Mitglieder der Union in der Vertiefung und für die übrigen Staaten in der Erweiterung bestehen muß. Die Chance, wirtschaftliche Verhältnisse zu verbessern, soziale Gerechtigkeit herzustellen, für den Schutz der Lebensgrundlagen zu sorgen, ist nicht nur eine Frage, die sich in unserem eigenen Land stellt; sie ist besser lösbar im europäischen Konzert. Europa war, ist und bleibt die Vision eines friedlichen Kontinents durch Integration und durch Zusammenwachsen. Wenn das aber so bleiben soll, dann muß man auch dem alten Nationalismus widerstehen, der neuen Radikalismus zeugt.
({12})
Es ist ganz erstaunlich, daß zwar viel vom Europa der Bürger und der Regionen geredet wird, aber in Wahrheit die Länder in Deutschland die regionalen Rechte gegen Sie verteidigen mußten, um überhaupt regionale Identität aufrechterhalten zu können.
Es ist auch eine Wahrheit, daß Perspektiven der Zusammenarbeit nicht nur ökonomisch, nicht nur sicherheitspolitisch entwickelt werden müssen, sondern daß wir in Deutschland - wie alle europäischen Freunde und Nachbarn - Anlaß haben, uns über die Ursachen von Nationalismus und über deren Bekämpfung Gedanken zu machen. Ich finde es bedauerlich, daß dazu so gut wie nichts gesagt wird, und sage in aller Deutlichkeit: Die Beteiligung von Neofaschisten an einer Regierung in Italien ist ein besorgniserregendes Fanal.
({13})
Ich will gerne einräumen, daß sich ein Bundeskanzler oder ein Außenminister wegen der Zwänge der Zusammenarbeit in dieser Frage nicht so hart äußern kann, wie es andere tun können und aus meiner Sicht auch tun müßten.
({14})
Deshalb ist es mir zwar verständlich, daß sich der Bundeskanzler oder der Außenminister zurückhält. Aber ich finde es gänzlich unverständlich, daß aus den Reihen der Union zu diesem Thema nicht so deutlich geredet wird, wie es Pflicht eines jeden Demokraten ist.
({15})
Ich habe mir sehr genau angeschaut, was die bayerische CSU zu diesem Thema gesagt hat. Es wäre wichtig - das sage ich auch an Sie gerichtet, Herr Bundeskanzler -, klarzumachen, daß Humanität und Zivilisation täglich neu verteidigt und täglich neu erkämpft werden müssen. Das ist nicht nur am Beispiel Jugoslawien deutlich geworden, sondern das wird auch an den brennenden Häusern, den schlagenden Demonstranten, den ausländerhetzenden Jugendlichen und vielem anderem deutlich, was wir in Deutschland und in unseren europäischen Nachbarstaaten erleben.
Es wäre gut, wenn sich die Politik auch in diesem Falle klar und unzweideutig verhalten würde.
({16})
Das trifft Sie als einen zentralen Repräsentanten unseres Staates ganz genauso.
({17})
Ich jedenfalls werde das nicht vergessen, auch die Ursachen nicht, die solche Erscheinungen überhaupt möglich machen: soziale Verzweiflung und Arbeitslosigkeit. Wie wollen Sie im Osten Deutschlands einem Jugendlichen etwas von der Zukunft erzählen, wenn 25 % dieser Jugendlichen nach der Ausbildung arbeitslos werden und sie alle das während ihrer Ausbildung schon wissen? Wenn Sie aber nichts gegen die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in unserem Land und auf unserem Kontinent tun, dann lassen Sie Ursachen für neuen Radikalismus, für Gewalttätigkeit und für Haß auf die Schwächeren fortbestehen.
({18})
Es ist ziemlich genau ein Jahr her, daß in Solingen ein Haus brannte. Ich habe es für verhängnisvoll gehalten, daß damals vom „Beileidstourismus" die
Ministerpräsident Rudolf Scharping ({19})
Rede war und daß man nicht auf eine Trauerfeier gehe, weil das Demonstrationen auslöse.
(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -
Das ist doch die Unwahrheit! - Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Unterste Schublade ist das!)
Ich füge, damit das auch wirklich klar ist, meine persönliche politische Auffassung hinzu: Wer anderer Leute Häuser ansteckt oder ihr Leben und ihre Gesundheit gefährdet, ist in unseren Augen ein Lump und gehört ins Gefängnis. Seine Wegbereiter haben in den deutschen Parlamenten nichts zu suchen.
({0})
Damit der Diskussion der letzten Tage ein versöhnlicher Satz hinzugefügt wird: Es ist gut zu wissen, daß sich der neugewählte Bundespräsident in dieser Frage absolut klar - so wie ich es mir von Ihnen, Herr Kohl, wünsche - geäußert hat.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will zusammenfassen:
({2})
Ich respektiere, daß sich diese Bundesregierung europäisch bemüht. Ich respektiere auch, daß dieser Bundeskanzler persönliche Überzeugungen vertritt. Diese allerdings werfen zwei Fragen auf. Die eine Frage ist: Wie wird das innerhalb seiner eigenen Partei, insbesondere in der bayerischen CSU betrachtet? Die zweite Frage ist: Können Sie nicht zustimmen - ich halte es jedenfalls für wichtig -, daß wir in der Politik nicht zu schönen Worten, nicht zu allgemeinen Erklärungen
({3})
und nicht zu wolkigen Formulierungen verpflichtet sind, sondern zu konkreten Taten?
({4})
Das Problem Ihrer Politik sind nicht die schönen Worte, auch nicht die Ziele, die Sie beschreiben, sondern die nun allerdings sehr große Differenz zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was Sie in der Realität tun.
({5})
Wenn Sie sich nicht einer Auseinandersetzung stellen wollen, die die Realität der Politik aufgreift, die nachmeßbar macht, was Sie mit Ihren Worten eigentlich meinen, dann tragen Sie auch zum Verdruß an der Politik bei, weil häufig die Beliebigkeit der Begriffe mit der Beliebigkeit der Politik verwechselt wird.
Meine Damen und Herren, die europäische Politik dieser Bundesregierung ist in ihren Worten schwer angreifbar, in ihren Taten allerdings ist sie zum Teil unvollständig und zum Teil halbherzig. Insbesondere dort, wo es um Arbeit und soziale Rechte für Menschen geht, um zukünftige Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Technologie, Bildung und Wissenschaft, und dort, wo es um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen geht, damit unsere Kinder eine anständige Zukunft haben.
({6})
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war uns angekündigt worden - so hat man es in den Zeitungen gelesen - die große Abrechnung des Kanzlerkandidaten mit der Regierungspolitik.
({0})
- Sie haben es ja in die Zeitungen setzen lassen, Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer. Welche Zeitungen Sie sich dafür aussuchen, ist ja egal. Sie haben jedenfalls die große Abrechnung mit der Regierungspolitik angekündigt. Viel, Herr Scharping, ist daraus wohl nicht geworden.
({1})
Weil Sie nach dieser Woche zum Schluß ein versöhnendes Wort gesagt haben, zu dem Sie allen Grund haben: Ich meine, Sie sollten die Plakate wieder abhängen, mit denen Sie die Wahl des Bundespräsidenten in den Europawahlkampf einbeziehen.
({2})
Ich finde wirklich, wir sollten diese Wahl nicht im Europawahlkampf instrumentalisieren. Wir sollten diese Auseinandersetzung nicht fortsetzen. Weil Sie diese versöhnend gemeinten Worte gesagt haben, gebe ich Ihnen den Rat: Hängen Sie die Plakate ab, und wir wollen vergessen, daß Sie schlechte Verlierer gewesen sind.
({3})
Im übrigen hat mich bei Ihrer Rede ein wenig beschäftigt, daß Sie einleitend - Sie haben Václav Havel zitiert - von der Größe der Worte im Verhältnis zu den Taten gesprochen haben. Sie sind Oppositionsführer, und insofern haben Sie es leichter: Sie brauchen noch keine Taten vorzuweisen. Aber Sie sollten wenigstens konkretisieren, was Sie selbst wollen oder vorschlagen; denn die reine Unverbindlichkeit der Floskeln und Erklärungen, wo überhaupt nichts mehr bleibt, reicht für die Opposition wirklich nicht aus.
({4})
Ich habe mich bei Ihrer Rede an ein Gespräch erinnert, das der Frankfurter Kämmerer - er muß Sie kennen, denn er ist in einer rot-grünen Koalition; das ist ja Ihr Bild von der Zukunft Deutschlands auch nach dem 16. Oktober ({5})
mit einer von Kanzlers Lieblingszeitungen in dieser
Woche geführt hat. Dort hat er gesagt: „Wenn Sie mich
fragen: Wie finden Sie Scharping?, dann muß ich sagen: Ich finde ihn überhaupt nicht."
({6})
So geht es auch mir. Heute morgen habe ich Sie überhaupt nicht gefunden.
({7})
- Dann gehen Sie Schreihals hier an das Pult und erklären Sie einmal, was Ihr Kanzlerkandidat heute morgen in diesen 35 Minuten eigentlich konkret zur europäischen Politik gesagt hat. Überhaupt nichts!
({8})
Deswegen will ich in aller Deutlichkeit folgendes sagen. Ich kann verstehen, daß Sie wenig Alternativen haben. Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl, der die Fraktion der CDU/CSU zustimmt und für die wir dankbar sind, hat den Erfolgsweg europäischer Geschichte in der Zeit beschrieben, in der Helmut Kohl Bundeskanzler ist.
({9})
Wir sind in diesen Jahren entscheidend vorangekommen. Wir haben durch die Politik der europäischen Einigung und der Westbindung die deutsche Einheit ermöglicht, gegen Ihren Widerstand.
({10})
Die deutsche Einheit und die europäische Einigung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
({11})
Wenn Sie heute von der Verantwortung für Mittelost- und Südosteuropa sprechen, dann sollten Sie sich auch noch daran erinnern, daß Sie noch 1990 dagegen polemisiert haben, daß das vereinte Deutschland in der NATO bleiben soll, was die wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß wir Europa zu einem Kontinent des Friedens machen können.
({12})
Wenn Sie davon sprechen, daß Worte und Taten in der Verantwortung für den Frieden in ganz Europa, auch im ehemaligen Jugoslawien und östlich der Grenze, die bis 1989/90 Deutschland, Berlin und Europa als Eiserner Vorhang geteilt hat, auseinanderklaffen, dann müssen Sie auch davon sprechen, daß Ihre Partei mit ihren Parteitagsbeschlüssen die Petersberger Beschlüsse der Westeuropäischen Union als den „Versuch einer Militarisierung der Europäischen Union" diskreditiert und diffamiert hatten. Wir können aber nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Europa kommen, wenn die Bundesrepublik Deutschland in der Mitte Europas eine Sonderrolle für sich in Anspruch nimmt, wie es die Politik der Sozialdemokraten ist. Sie führen uns in die Isolierung und in die internationale und europäische Handlungsunfähigkeit.
({13})
Deswegen gehen wir von der Verantwortung - das teilen wir - für den unteilbaren Frieden in Europa aus, der nicht weiter verletzt werden darf und wo Europa genügend versagt hat. Aber man kann doch nicht die Bundesregierung kritisieren, wenn man, wie die Sozialdemokraten, durch seine Blockade- und Verweigerungshaltung die Bundesrepublik Deutschland handlungs- und bündnisunfähig machen will
({14})
und gleichzeitig dazu beiträgt, daß Europa nicht zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kommt.
({15})
Wir werden zu einer friedenssichernden und friedenserhaltenden Politik des vereinten Europa nicht kommen - Sie wissen es -,
({16})
wenn die Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine Sonderrolle für sich in Anspruch nimmt und sich die sozialdemokratische Position des „Ohne mich, die anderen mögen vorangehen und wir nicht, nein danke" durchsetzen sollte. Damit ist der Friede nicht zu bewahren.
({17})
Zur inneren Sicherheit. Es wäre besser gewesen, Europa hätte früher zu einer gemeinsamen Politik gegen die Wanderungsbewegungen gefunden. Das ist doch durch Ihre Blockade der Asylpolitik über Jahre verhindert worden.
({18})
Es ist wahr, zu den großen Bedrohungen und Herausforderungen für die Stabilität unserer freiheitlichen Demokratien gehört die organisierte Kriminalität. Die Bedrohung der inneren Sicherheit, die Aushöhlung unseres Rechtsstaats ist eine der fundamentalen Gefahren für die Überlebensfähigkeit freiheitlicher Demokratien. Aber dies ist nicht mit allgemeinen Erklärungen zu mehr Zusammenarbeit in Europa zu lösen, und schon gar nicht ist die Drogenkriminalität damit zu bekämpfen, daß man die Drogen und insbesondere die harten Drogen freigibt. Was ist denn das für eine Politik von Widersprüchen?
({19})
Es macht übrigens, Herr Ministerpräsident Scharping, bei mir einen schalen Geschmack,
({20})
wenn Sie zu Recht Radikalismus, Gewalt gegen Ausländer, Minderheiten in unserem Land kritisieren,
aber im Satz zuvor die angeblichen Versäumnisse der
Bundesregierung beim Aufbau für Ostdeutschland
zur Ursache für diese Gewalttätigkeiten erklären. Sie
sollten noch einmal nachlesen, was Sie gesagt haben.
Das ist ein gefährlicher Weg. Wir sollten ohne Wenn
und Aber jede Form von Gewalt gegen jeden Menschen, Ausländer und Deutsche, Minderheiten und Mehrheiten, nicht entschuldigen, nicht relativieren, sondern mit aller Entschiedenheit verurteilen und mit aller Entschiedenheit dagegen vorgehen.
({21})
Das Relativieren - als wir in den 70er Jahren darüber gestritten haben, ob Gewalt gegen Sachen noch zulässig sei, und der Rückzug des Rechtsstaats in der Hafenstraße - war der Anfang vom Elend, das sich heute fortsetzt.
({22})
Nein, Sie kommen aus Ihren Widersprüchen nicht heraus. Man kann die Drogenkriminalität nicht dadurch bekämpfen, daß man unter der Verantwortung sozialdemokratischer Landesregierungen auch harte Drogen von der Strafbarkeit ausnehmen will.
({23})
Das, was Sie zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gesagt haben, ist schon wirklich ein tolles Stück.
({24})
- Ja, das war schon sehr bösartig, was Sie zum Bundesfinanzminister Theo Waigel gesagt haben.
({25})
Wir haben einen Anteil der Neuverschuldung des Bundeshaushalts, gemessen am Volkseinkommen
- und das ist ja wohl die finanzpolitisch relevante Größenordnung -, der nach der Wiedervereinigung mit den gewaltigen Finanzierungslasten nach 40 Jahren Teilung und Sozialismus nicht höher ist als am Ende sozialdemokratischer Regierungszeit. Es ist doch eine unglaubliche Verleumdung, was Sie gegen den Finanzminister und die Finanzpolitik gesagt haben.
({26})
Daß Sie ausgerechnet heute von einer hemmungslosen Schuldenpolitik sprechen, nachdem das Statistische Bundesamt gerade gestern bekanntgegeben hat, daß die Inflationsrate in diesem Monat wieder unter 3 % liegt, ist schon erstaunlich. Das ist ein Wert, von dem Sie in den Zeiten, in denen Sie Regierungsverantwortung in Bonn getragen haben, nicht einmal mehr zu träumen gewagt haben. Das zeigt doch, daß die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung - gegen alle internationalen Vorhersagen - ungewöhnlich erfolgreich ist.
({27})
- Ich kenne schon den Unterschied. Aber ich habe es bisher so verstanden, daß die Frage der öffentlichen Neuverschuldung insbesondere im Hinblick auf die Stabilität der Währung zu bedenken ist. Im übrigen
höre ich doch, daß wir die Investitionen beleben sollten, daß wir mehr für den Aufbau tun sollten.
Sie haben übrigens bei Ihrem Elendsbild, das Sie von den neuen Ländern gezeichnet haben, zwei Dinge unterlassen zu sagen: Zunächst einmal ist es eine ziemlich miese Geschichte, Thüringen oder andere neue Bundesländer mit anderen Regionen in der Europäischen Union zu vergleichen, die seit 40 Jahren zu der Wohlstandsgemeinschaft der westlichen Demokratien und Marktwirtschaften gehören,
({28})
während wir in Thüringen und in den anderen neuen Ländern die Wende erst seit vier Jahren haben.
({29})
Wir haben in den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr ein reales Wachstum von 7,3 % gehabt und in diesem Jahr und im nächsten Jahr von 8 und 8,5 %. Unter den neuen Bundesländern hat übrigens das Land Thüringen die mit Abstand höchste Wachstumsrate von allen neuen Bundesländern, nämlich von über 11 % real.
({30})
Wenn Sie dann noch sagen - und das ist ja noch gefährlicher -, daß andere, ähnlich leistungsstarke Mitgliedsländer der Europäischen Union - wie der Bundeskanzler zu Recht gesagt hat - auch einen höheren Anteil an den Finanzierungslasten europäischer Politik zu tragen haben, dann aber hinzufügen, wir würden für die neuen Länder nichts bekommen,
({31})
dann hätten Sie doch erwähnen sollen, daß die Europäische Union in den Jahren von 1994 bis einschließlich 1999, wenn ich es richtig im Kopf habe, in der Größenordnung von über 25 Milliarden DM Fördermittel für die neuen Länder zur Verfügung stellt.
({32})
Es heißt doch, den demagogischen Feinden der europäischen Einigung die Leute zuzutreiben, wenn man
solche Reden hält, ohne zu erwähnen, was Europa für
die neuen Länder tut.
({33})
Weil Sie so ausführlich vom Weißbuch der Kommission der Europäischen Union gesprochen haben, will ich Ihnen doch auch noch einmal nach der Devise „Die großen Worte und die konkreten Taten oder Positionen" sagen: Wissen Sie, wie in der Außen- und Sicherheitspolitik, wie in der inneren Sicherheit, so sind die Sozialdemokraten auch im Blick auf eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik in Europa hoffnungslos isoliert.
({34})
Das Weißbuch der Kommission der Europäischen Union setzt auf die Modernisierung unserer Volkswirtschaft durch die Konzentration auf den Fortschritt
von Wissenschaft, Forschung und Technik, etwa im Bereich der Biotechnologie. Was haben Sie denn für einen Widerstand gegen die Novellierung des Gentechnikgesetzes hier in diesem Haus und im Bundesrat geleistet?
({35})
Die europäische Energiepolitik wird bei ihrer Harmonisierung auf die Nutzung der Kernenergie unter gar keinen Umständen verzichten, aber die Sozialdemokraten wollen aussteigen. Das ist der Weg in die Isolierung Deutschlands.
({36})
- Ja, erst große Worte von konkreten Taten reden, und wenn man vom Konkreten redet, dann ist nur noch Geschrei und sonst gar nichts mehr, und bei Herrn Scharping ist Stille. Das hat keinen Sinn. Wir reden jetzt über das Konkrete.
({37})
- Das dürfen Sie von der Bundesratsbank nicht, Herr Ministerpräsident.
({38})
Aber nach dem 16. Oktober sitzen Sie hier auf den Oppositionsbänken, und dann können Sie sogar Zwischenrufe machen, keine Sorge.
({39})
Das Weißbuch setzt auf die Modernisierung im Bereich der Telekommunikation. Meine Damen und Herren, wenn wir im Bereich der Telekommunikation wirklich vorankommen wollen, dann ist es dringend notwendig, daß wir jetzt mit der Postreform endlich mal vorankommen.
({40})
Der Widerstand, den Ihre Partei bei der Privatisierung und der Modernisierung der Post leistet, steht doch in einem eklatanten Widerspruch zu den Phrasen, die Sie hier gedroschen haben.
({41})
Das Weißbuch der Europäischen Kommission setzt auf private Finanzierung beim Bau moderner Verkehrswege. Der Widerstand der Sozialdemokraten auch nur gegen die Diskussion darüber steht in einem eklatanten Widerspruch dazu.
Das Weißbuch der Europäischen Kommission spricht ausdrücklich davon, daß wir bei der Genehmigung von öffentlichen und privaten Investitionen zu Verfahrensbeschleunigungen kommen müssen.
({42})
- Ja, Sie sagen es auch, man müsse dazu kommen. Nur, Herr Ministerpräsident Scharping, es ist das Elend dieser Legislaturperiode, daß wir bei jedem konkreten Schritt zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft, zur Entrümpelung unserer zu schwerfälligen Verfahren immer auf den Widerstand - ({43})
- Gegen das Verfahrensbeschleunigungsgesetz haben Sie schon 1991 im Bundesrat Widerspruch eingelegt. Nur weil wir am Schluß noch die Stimmen von Brandenburg gewonnen haben, konnte es verabschiedet werden. Bei jedem weiteren Schritt in der konkreten Beratung - ich habe ja gerade die Postreform genannt, das Gentechnikgesetz, die Energiepolitik - ist immer die Haltung der Sozialdemokraten im Bundestag: Nein! Mit Ihrer Mehrheit im Bundesrat blockieren Sie; Sie mißbrauchen den Bundesrat.
({44})
- Im Gegensatz zu Ihnen habe ich es offenbar gelesen.
Das Weißbuch der Europäischen Union spricht von der Rigidität des Arbeitsmarktes, die beseitigt werden müßte, wenn wir die Chancen für mehr Beschäftigung nützen wollten. Es spricht davon, daß wir für geringer Qualifizierte flexiblere Tarife bräuchten, um mehr Beschäftigung zu bekommen. Wer kämpft denn in diesem Lande dagegen? Die Sozialdemokraten.
Das Weißbuch der Europäischen Kommission spricht davon, daß im Bereich hauswirtschaftlicher Dienstleistungen mehr Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Wer diffamiert das wie kaum jemand sonst in Europa? Die deutschen Sozialdemokraten, insbesondere Frau Matthäus-Maier.
({45})
Das Weißbuch der Europäischen Union spricht davon, Herr Ministerpräsident Lafontaine als finanzund wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, daß wir in den nächsten Jahren in allen europäischen Ländern, um die Wachstums- und Beschäftigungsprobleme besser lösen zu können, eine Politik strikter Lohnzurückhaltung verfolgen müßten. Wer hat denn noch zwei Tage vor dem Tarifabschluß in der Metallindustrie von diesem Pult aus als finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD die Tarifpartner in der Metallindustrie zu höheren Lohnerhöhungen aufgefordert, weil man damit die Konjunktur beleben könne? Das ist natürlich ein grober Unfug, weil wir unsere strukturellen Probleme nur dadurch lösen können, daß die Kosten in Europa und in Deutschland ein Stück weit weniger dramatisch ansteigen.
({46})
Deswegen sage ich Ihnen - Herr Lafontaine, ich habe es Ihnen ja schon bei anderer Gelegenheit gesagt -: Ihre Theorie, mit höheren Lohnsteigerungen die private Nachfrage zu stimulieren und dadurch die konjunkturellen Probleme zu lösen, erinnern mich angesichts einer Problemlage, bei der wir strukturelle Probleme als Hauptursache für Wachstum und Beschäftigung haben, wirklich an den Lügenbaron
Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf herausziehen wollte.
Nein, wir haben strukturelle Probleme in der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen wie der europäischen Volkswirtschaften. Diese lassen sich nur dadurch lösen, daß wir flexibler und nicht immer teurer werden und daß wir in der Kostensituation unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Das Gegenteil führt uns nur weiter ins Elend. Deswegen ist Ihre Politik falsch.
({47})
- Ja, vier Millionen Arbeitslose.
({48})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, wenn Sie hier auf die Löhne Bezug nehmen, würden Sie dann zumindest akzeptieren, daß ein Sinken der Reallöhne - das war ja die Gefahr bei den Arbeitgeberforderungen in der IG-Metall-Runde - tatsächlich die Konjunktur gefährden würde? Wenn Sie mir das nicht abnehmen wollen, darf ich Sie auf die Ausgabe des „Business" von dieser Woche - ich habe sie zufällig hier - aufmerksam machen, wo ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß die Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik das wahrscheinlich größte Hindernis für einen stärkeren Aufschwung ist.
({0})
Herr Kollege Wieczorek, ich habe auf die Rede, die Herr Lafontaine hier zwei Tage vor dem Abschluß in der Metallindustrie gehalten hat, Bezug genommen. Herr Lafontaine hat nicht davon gesprochen, daß ein Sinken der Reallöhne vermieden werden müsse
({0})
- wir können das im Protokoll ja nachlesen -,
({1})
sondern er hat ausdrücklich davon gesprochen, daß höhere Lohnerhöhungen für die Belebung der privaten Nachfrage und damit für die Konjunktur wichtig seien.
Dazu sage ich Ihnen: Nach meiner Überzeugung ist dies der falsche Weg, weil die Probleme unserer wirtschaftlichen Entwicklung, die Probleme unseres Arbeitsmarktes und der viel zu vielen Arbeitslosen, die wir in Deutschland und in Europa haben, eben nicht kurzfristig durch eine Stimulierung der privaten Nachfrage zur Belebung der Konjunktur zu lösen sind,
sondern nur mittelfristig durch eine Lösung der strukturellen Probleme unserer Wettbewerbsfähigkeit.
({2}) [SPD]: Das Thema war
die Senkung der Reallöhne!)
Möglicherweise unterscheiden wir uns in dieser Frage. Aber angesichts der Tatsache, daß wir in der Lösung unserer Strukturprobleme ein Stück weit vorangekommen sind
({3})
und daß es in Deutschland in den neuen wie in den alten Ländern wirtschaftlich seit Monaten wieder deutlich bergauf geht, denke ich, daß wir auf dem richtigen Weg sind
({4})
und daß Ihre Theorie als die falsche widerlegt ist.
({5})
Aber wenn wir aus anhaltendem Wirtschaftswachstum mehr Beschäftigung machen wollen, dann, meine Damen und Herren, brauchen wir mehr Beweglichkeit. Dabei bleibt es. Da aber stehen Sie bei jedem konkreten Schritt im Wege. Nehmen Sie das Beschäftigungsförderungsgesetz. Wir haben jede Woche hier im Bundestag Gesetze, bei denen wir durch Ihre Fraktion und durch Ihre Mehrheit im Bundesrat daran gehindert werden, mehr Flexibilität durchzusetzen.
({6})
Deswegen: Die Taten stehen in einem fundamentalen Widerspruch zu den großen Worten, die Sie aussprechen.
({7})
Wir werden nur durch mehr Teilzeitarbeitsplätze und dadurch, daß auch geringer Qualifizierte mehr Beschäftigungschancen haben, daß wir in allen Bereichen des tertiären Sektors - im Handel, im Handwerk und in den privaten Haushalten - mehr Arbeitsplätze schaffen, daß wir Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft wieder mehr in Nachfrage nach regulären Arbeitsplätzen verwandeln, das Beschäftigungsproblem lösen.
({8})
Wenn man dies aber will, dann darf man die Kosten pro Arbeitsstunde nicht immer weiter erhöhen, weil man sonst die Leute in die Schwarzarbeit und die Schattenwirtschaft treibt.
({9})
Deswegen, meine Damen und Herren: Ich hatte gehofft, wir würden in dieser Debatte nach den Ankündigungen ein Stück weit vorankommen.
({10})
- Ach doch. Es würde mehr Freude machen, Frau
Kollegin Fuchs, sich etwas seriöser mit Alternativen
auseinanderzusetzen als mit dem Pudding, von dem ich schon früher gesprochen habe.
({11})
Wissen Sie, wenn Worte und Taten so auseinanderklaffen
({12})
und wenn im übrigen die Sprüche so unverbindlich sind, ist es schwer, eine rationale Diskussion zu führen. Durch die Qualität Ihrer Zwischenrufe wird es übrigens noch trostloser. Das muß ich bei dieser Gelegenheit noch hinzufügen.
({13})
Nein, Herr Kollege Scharping, Sie sind auch in dieser Debatte Ihrem Ruf treu geblieben, daß Sie in jeder Frage jede konkrete Festlegung vermeiden. „Wie finden Sie Scharping? Ich finde ihn eigentlich überhaupt nicht."
({14})
Das andere, das in dieser Europadebatte ebenfalls gesagt werden muß: Wenn wir für unser Land eine gute Zukunft sichern wollen,
({15})
dann ist der Weg der europäischen Einigung, der zugleich auch der Weg der festen Einbindung des vereinten Deutschlands in die Gemeinschaft des freien Westens ist und bleibt, der alternativlos richtige. Der aber bedeutet, daß wir international und europäisch handlungsfähig bleiben müssen.
Dies heißt, daß wir international auch Zustimmung zu unserer Politik finden müssen und daß wir auch in der Lage sein müssen, mit anderen gemeinsam zu handeln: in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Innenpolitik, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Meine Damen und Herren, es führt doch wohl überhaupt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß die Sozialdemokraten mit ihrer Position europäisch und international isoliert sind. Selbst in der Sozialistischen Internationale haben sie für ihre Position keine Verbündeten.
({16})
Wenn die Führer der Sozialistischen Internationale, wenn die großen europäischen Sozialisten und Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 1994 zu wählen hätten, würden sie Helmut Kohl wählen.
({17})
Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Oostergetelo?
Nein.
Sie wissen, daß das vereinte Deutschland mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl, mit der Union und mit der Koalition der Mitte das Deutschland ist, das entschieden und in jedem Zeitpunkt konsequent auf dem Weg zur europäischen Einigung vorangegangen ist, das auch in den nächsten Jahren ein verläßlicher Partner bleiben wird und das auch in der europäischen Politik kompromißbereit bleibt.
Natürlich ist uns im Maastrichter Vertrag nicht alles gelungen, was wir uns gewünscht haben. Aber das hinterher in Edinburgh zu kritisieren, erweckt den Eindruck, als hätte man den Maastrichter Vertrag nicht abschließen sollen - oder was denn sonst? Nein, wer zur europäischen Politik fähig bleiben will, muß auch bereit sein, um europäischer Handlungsfähigkeit und Einigkeit willen nicht die eigene Position so zu verabsolutieren, daß wir in Europa handlungsunfähig werden.
Vor allen Dingen werden wir mit der sozialdemokratischen Politik von Parteitagsbeschlüssen in Europa in die Isolierung geführt.
({0})
Wir werden handlungsunfähig und nicht europafähig.
({1})
- Ja, man kann es gar nicht oft genug sagen.
({2})
Wissen Sie, wir sind in einer Zeit, in der die Gefahren und Risiken außergewöhnlich groß sind. Frieden und Freiheit bleiben nach innen und außen auch in Europa bedroht.
Die Beschäftigungsprobleme und die wirtschaftlichen Probleme müssen in einer Zeit, in der der wirtschaftliche Wettbewerb weltweit härter geworden ist, gelöst werden. Das setzt voraus, daß wir in Europa gemeinsam handlungsfähig werden. Deswegen ist es eine wichtige Frage.
Die Widerstände gegen europäische Politik durch Unverständnis bei vielen unserer Mitbürger sind zu groß. Deswegen müssen wir für die Überzeugung werben, daß nur der Weg weiter zur europäischen Einheit und zur europäischen Handlungsfähigkeit für unser vereintes Deutschland in der Mitte Europas eine gute Zukunft sichert.
Darum geht es in dieser Debatte. Darum geht es am 12. Juni. Darum geht es in diesem Jahr. Dafür, meine Damen und Herren, bitte ich Sie urn Ihre Unterstützung.
({3})
Es spricht jetzt der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zwei Wochen sind 225 Millionen Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union zur Wahl aufgerufen. Das gemeinsame Ziel aller Demokraten und Europäer muß eine hohe Wahlbeteiligung sein, ein deutliches
Ja für ein starkes Europäisches Parlament, für ein demokratisches Europa selbstbewußter und mitverantwortlicher Bürger.
({0})
Daher mein dringender Appell an die Wähler: Helfen Sie am 12. Juni durch Ihre Stimmabgabe mit, daß das neue Europa auch dort besonders gestärkt wird, wo es am wichtigsten ist, bei den Bürgerrechten und bei seinem Parlament.
({1})
Wer das Europa der Bürger und nicht das Europa der Technokraten will, muß dafür an der Wahlurne und nicht an den Stammtischen sorgen.
Wer für uns Deutsche Frieden und Wohlstand in einer gemeinsamen europäischen Zukunft will, der muß am 12. Juni wählen und damit klarmachen, daß es für uns kein Zurück mehr gibt in eine unselige nationalistische Vergangenheit.
({2})
Vor allem aber - und ich scheue mich nicht, das auch hier im Deutschen Bundestag deutlich und klar zu sagen -: Rechtsaußen darf keine Chance haben!
({3})
Das sage ich Ihnen als Ihr Außenminister, weil ich mich in allererster Linie mit dem miesen Bild auseinanderzusetzen habe, das diese unseligen Ereignisse im rechtsradikalen Bereich hier in der Bundesrepublik nach draußen vermitteln.
Ich weiß auch, wovon ich rede. Ich war derjenige, der in der Türkei an den offenen Gräbern stand und miterlebt hat, wie die Reaktion war. Wir könnten uns intern manches Beispiel nehmen.
Meine Damen und Herren, wir wissen und sollten auch deutlicher sagen, was wir der Europäischen Gemeinschaft alles zu verdanken haben. Oder glaubt jemand, daß unsere Wohlstandsexplosion, unser internationales Ansehen oder unsere Wiedervereinigung ohne unsere Mitgliedschaft in dieser Gemeinschaft, in dieser Union freier europäischer Nationen, so möglich gewesen wären?
Unsere Ausfuhren in den Binnenmarkt sind etwa doppelt so stark gestiegen wie die in die übrige Welt. Es gibt kein großes Wirtschafts- und Industrieland auf dieser Erde, das so von einer einzigen Region abhängig ist wie Deutschland von Europa. Den meisten ist dies gar nicht bekannt.
({4})
Der DIHT hat uns gerade wieder gesagt: Wir sind nicht nur die größten Nettozahler, wir sind auch der größte Nettoexporteur. Die Europäische Gemeinschaft hat unsere Mitbürger in den neuen Ländern sofort und mit offenen Armen aufgenommen und
unterstützt sie - ich wiederhole es - bis 1999 mit weit mehr als 30 Milliarden DM aus den Strukturfondsmitteln, die für die ärmeren Länder in dieser Union vorgesehen sind. Das ist eine enorme Leistung! Man kann wahrhaftig nicht sagen, daß aus diesem Europa in die neuen Länder nichts zurückfließt, im Gegenteil.
Ich möchte auch noch daran erinnern, daß aus dem PHARE-Programm, das für die MOE-Länder ausgegeben wird, natürlich durch die grenzüberschreitenden Verbindungen mächtig viel Geld in die neuen Länder fließt. Ich möchte auch daran erinnern, daß Präsident Delors und auch andere Kommissionsmitglieder - gerade wieder am 12. Mai Delors selbst - in den neuen Ländern waren, um sich direkt vor Ort die Situation anzusehen und konkret mitzuhelfen, den Aufbau voranzubringen.
Bitte, vergessen Sie auch nicht, was die europäischen Länder, unsere Partner und Freunde, an direkten Investitionen, an Aufbauleistungen in den neuen Ländern erbringen. Auch das muß man einmal deutlich machen.
({5})
Ich komme gerade von der Ostseekonferenz in Tallinn. Ich kann Ihnen nur sagen: Die mittel- und osteuropäischen Länder beneiden uns darum und rennen uns fast die Tür zu dieser Gemeinschaft ein. So schlecht kann es also um diese Union nicht bestellt sein.
({6})
Deutschland wird im neuen Europäischen Parlament nicht, wie bisher, mit 81, sondern in Zukunft mit 99 Abgeordneten vertreten sein. Zum erstenmal - auch das wird leicht vergessen - wählen die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern ihre Vertreter direkt für das Europäische Parlament.
Ich sage insbesondere auch in meiner Eigenschaft als Außenminister: Es steht uns Deutschen gut an, wenn wir an dieses Europa, das uns viel Solidarität gezeigt hat, auch einiges zurückgeben, was wir seit Kriegsende von der Europäischen Union und unseren Partnern und Freunden empfangen haben.
({7})
Das heißt nicht, daß wir den Zahlmeister spielen sollen. Es heißt vielmehr, daß wir deutschen Sonderwegen eine Absage erteilen und unser ganzes Gewicht in die Waagschale der Europäischen Union legen sollten. Sie ist - das müssen sich alle Nörgler hinter die Ohren schreiben - für die Völker ganz Mittel- und Osteuropas mehr denn je der Hoffnungsträger der Zukunft.
Wenn Sie sich die internationalen Zusammenschlüsse ansehen - egal, ob das APEC, NAFTA oder ASEAN ist oder was es sonst noch auf dieser Welt gibt, übrigens Zusammenschlüsse, die auch deshalb entstanden sind, weil die anderen erkannt haben, daß man es im nationalen Alleingang nicht mehr schafft - und wenn Sie sich das Bild Europas, dieser Europäischen Union, von draußen ansehen, werden Sie fest20138
stellen, daß wir um diese Europäische Gemeinschaft, ihre Leistungsfähigkeit und das, was sie uns gebracht hat, beneidet werden. Ich sage noch einmal: So schlecht kann diese Europäische Union nicht sein. Wir sollten ein bißchen davon absehen, dauernd miesmacherisch, nörglerisch und defätistisch diese Union nach draußen und nach drinnen zu kritisieren. Gerade vor der Wahl ist es notwendig, das festzuhalten.
({8})
Natürlich kann und darf man an dieser Union Kritik üben.
({9})
- Nein, an allem. - Fehlentwicklungen gibt es überall, auch in Brüssel. Man kann an diesem Europa viel an Kritik anbringen. Das tue ich wahrhaftig auch. Ich erlebe täglich die Fehlentwicklungen mit. Manches muß entrümpelt werden, was im europäischen Harmonisierungseifer an Gutem zuviel getan wurde.
Dafür, daß aus Subsidiarität auch wirklich mehr Bürgerfreiraum und eine Stärkung der Städte und Regionen wird, setzen wir uns nun mit Entschiedenheit ein. Aber das ist in der Praxis nicht alles von heute auf morgen zu bewirken.
Aber auf einem ganz anderen Blatt steht, wenn einige den Sack schlagen, in Wirklichkeit aber den Esel meinen. Daß sich hinter manch berechtigter Einzelkritik im Grunde die Ablehnung der europäischen Integration insgesamt verbirgt, ist leider wahr.
Auch ich war nicht glücklich über den schwierigen Ablauf der Beitrittsverhandlungen für die vier EFTA-Länder. Ich mache mir, ehrlich gesagt, Sorge, wenn ich mir vorstelle, wie es bei der Heranführung und Hineinführung der mittel- und osteuropäischen Umbruchländer in die Union weitergehen soll. Hier wird manchmal etwas mit dem Feuer gespielt. Wir brauchen nicht bis nach Bosnien zu gehen, um das zu begreifen. Man muß schon mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen: Deutschland braucht nach seiner Wiedervereinigung das Vertrauen seiner Nachbarn in seine europäische Gesinnung noch stärker als je zuvor.
({10})
Erstmals ist dieses Land nur von Freunden umgeben. Wir sind in der Europäischen Union das Land mit den meisten Nachbarn. Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben, daß wir nur von Freunden umgeben sind. Aber ich sage Ihnen auch: Wer Freunde will, muß Freunde pflegen.
({11})
Ganz wichtig ist dabei unser Sonderverhältnis zu Frankreich. Es ist nicht nur die treibende Kraft hinter dem europäischen Einigungswerk, es ist sozusagen
das Unterpfand für das, was Thomas Mann ein „europäisches Deutschland" genannt hat.
All das wollen wir nicht wieder eintauschen gegen einen Schlingerkurs, den einige propagieren, einen Kurs, der in Europa unweigerlich wieder das Stück der Allianzen und Gegenallianzen zur Aufführung brächte. Dies zu verhindern ist die prioritäre außenpolitische Aufgabe des wiedervereinigten Deutschland. Denn eines kann man ohne Überheblichkeit sagen: Ein gemeinsames europäisches Haus, von dem wir so gerne sprechen, kann nur mit tatkräftiger deutscher Unterstützung entstehen. Wenn es nach der Erfüllung unseres nationalen Wunschtraums eine herausragende deutsche Verantwortung vor der Geschichte gibt, dann die für dieses Bauwerk.
Ihre Kritik, Herr Scharping, wir würden uns für das Delors-Weißbuch nicht konsequent einsetzen, ist einfach falsch. Sie haben natürlich recht: Es geht um die Schaffung von Arbeitsplätzen. Aber ich kann Ihnen aus meinem täglichen Mühen sagen, daß wir uns mächtig anstrengen, gerade das Delors-Weißbuch mit umzusetzen.
Mit dem europäischen Aktionsplan für Wachstum und Beschäftigung haben wir die Weichen für die Schaffung von 17 Millionen Arbeitsplätzen in Europa bis 2000 gestellt. Auf unserer Agenda für die europäische Präsidentschaft wird das ganz oben stehen.
Was wir brauchen, ist - das wissen Sie genau - neue Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt. Was wir aber nicht brauchen, sind die Investitionsprogramme aus der Klamottenkiste von gestern;
({12})
denn Investitionen müssen sich rechnen und privat finanziert werden. Wir wollen keine Staatswirtschaft.
Ich frage Sie natürlich auch im Hinblick auf das, was Sie gesagt haben, Herr Scharping: Wer sperrt sich denn hier gegen die Privatisierung weiter Bereiche in unserer Wirtschaft,
({13})
wer ruft immer nur nach staatlichen Ausgabenprogrammen, und wer wird zum Bremser von Investitionen hier und in Europa? Das sind jedenfalls nicht wir. Ich glaube, darauf ist vorher schon zu Recht hingewiesen worden.
Auch die Kritik, wir würden uns der Sozialen Marktwirtschaft nicht verpflichtet fühlen, ist falsch. Warum denn sonst hat sich die Bundesregierung für das Sozialprotokoll zum Vertrag von Maastricht so massiv eingesetzt? Diese Vorwürfe lassen wir uns nicht machen!
({14})
Meine Damen und Herren, in gut einem Monat übernimmt Deutschland den Vorsitz in der Europäischen Union; Frankreich wird uns nachfolgen. Ich habe bisher in über 20 Arbeitssitzungen einer Sonderarbeitsgruppe mit Alain Juppé, dem französischen Außenminister, vorbereitet, was wir in einem Jahr Troika gemeinsam bewirken wollen. Ich finde, es ist eine gütige und günstige Fügung, daß wir die Chance
haben, ein Jahr zusammenzuarbeiten. Es ist eine gute Konstellation für die Vorbereitung der Weichenstellungen bis zur Revisionskonferenz im Jahre 1996 - ein ganz wichtiger Punkt auch für unsere Präsidentschaft.
Vieles, was unter den Zwölf umstritten ist, muß durch das deutsch-französische Scharnier zu einer für alle tragbaren Lösung gebracht werden. Es ist ein Glücksfall nicht nur für beide Völker, sondern für ganz Europa - das kann man nicht oft genug sagen -, daß wir diese enge Partnerschaft haben. Das deutschfranzösische Verhältnis muß und wird Motor der weiteren europäischen Integration bleib en.
({15})
Was sind die Schwerpunkte unserer Präsidentschaft? Erstens. 17 Millionen Arbeitslose in Europa, das überschattet alles. Es geht also um Wirtschaftswachstum und neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Wir werden alles dafür tun, daß wir in Europa genauso wie in der Bundesrepublik die Dinge voranbringen. Es zeigen sich ja nicht nur in Deutschland erste Konjunkturaufschwungsschimmer; in den anderen europäischen Ländern, jedenfalls in einigen, ist es genauso. Das gibt Hoffnung.
Der zweite Schwerpunkt der deutschen Präsidentschaft ist die Sicherung von Frieden, Wohlstand und Stabilität auf dem ganzen Kontinent. Mit dem grünen Licht des Europaparlaments für den Beitritt Österreichs, Schwedens, Finnlands und Norwegens wurde der Weg für ein vergrößertes Kerneuropa geebnet, das die Vollendung der europäischen Einigung entschlossen in die Hand nehmen kann.
Deutsches und europäisches Interesse sind dabei nicht zu trennen.
({16})
Weder uns noch den westeuropäischen Partnern kann es auf Dauer gutgehen, wenn es unseren europäischen Nachbarn im Osten schlechtgeht.
({17})
Auf dieser Erkenntnis muß die Ostpolitik der Europäischen Union bis zur Jahrtausendwende gründen. Deutschland wird der Anwalt europäischen und nicht westeuropäischen Denkens bleiben; das ist die zentrale Aufgabe deutscher Außenpolitik in den kommenden Jahren.
({18})
Drittens. Die Stärkung der Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik wird zu einem Prüfstein werden, ob unsere Bürger die Europäische Union mit Drogen und organisiertem Verbrechen oder mit einem Gewinn an persönlichen und beruflichen Lebenschancen verbinden. Es darf nicht dabei bleiben, daß die internationalen Drogenhändler und Geldwäscher im Europacup, die Polizei jedoch in der Verbandsliga, wenn nicht sogar manchmal in der Kreisklasse spielen muß.
Wir müssen die internationale Kriminalität effektiv, d. h. auch grenzüberschreitend, im europäischen Rahmen bekämpfen. Wenn wir die Unterstützung der Menschen für unsere Eurpopapolitik nicht verlieren wollen, brauchen wir bald, sehr bald konkrete Fortschritte beim Ausbau von Europol und eine gemeinsame Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik.
Aber, meine Damen und Herren, wenn wir von den Themen der inneren Sicherheit sprechen, muß ich Ihnen sagen, daß ich mich zunehmend über etwas ärgere. Ich ärgere mich, wenn immer wieder der Eindruck erweckt wird, als würden die Probleme, die wir auf diesem Gebiet haben, sozusagen von heute auf morgen über den Königsweg neuer Gesetze bekämpft werden können. Es gilt für die Bundesrepublik Deutschland wie auch für Europa: Dieser Trugschluß ist einmal offenzulegen; er stimmt einfach nicht.
Ich ärgere mich auch, wenn so getan wird, als sei in erster Linie die Bundesregierung mit ihren Ministern und dem Bundeskanzler für die Verbrechensbekämpfung in diesem Land zuständig. Ich möchte gerne einmal darauf hinweisen - das sage ich im Hinblick auf meine früheren Tätigkeiten -: Für Verbrechensbekämpfung in diesem Land sind in erster Linie die Länder verantwortlich,
({19})
und zwar in erster Linie die Herren Ministerpräsidenten und auch die Innen- und Justizminister. Dies hat relativ wenig mit der Gesetzgebungsarbeit im Bund zu tun, sondern ist ein Problem des praktischen Polizeivollzugs.
({20})
- Ja, für Gesetze ist das Parlament zuständig; zuständig dafür sind aber auch die Parlamente der Länder und nicht nur der Deutsche Bundestag.
({21})
Meine Damen und Herren, deutsche Interessen sind im Europa unserer Tage nicht anders als die französischen, die italienischen oder die britischen verflochtene Interessen. Ihnen ist am besten gedient, wenn sie mit denen unserer Partner in Einklang gebracht und gemeinsam verfolgt werden.
Davon werden wir uns in unserer Präsidentschaft leiten lassen. Ich sage Ihnen: Deutschland wird mit Argusaugen beobachtet werden, wie es diese erste gemeinsame Präsidentschaft für die neuen und die alten Bundesländer für Deutschland ausführen wird. Wir müssen uns viel Mühe geben. Ich verspreche Ihnen, daß wir uns diese Mühe geben, um unser Land nach draußen gut zu vertreten und Europa voranzubringen.
({22})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Modrow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Maastrichter Vertrag ist ein gutes halbes Jahr in Kraft. Die PDS/ Linke Liste, die eine wirkliche europäische Einigung befürwortet, hat damals gegen ihn gestimmt, weil sie den von ihm bestimmten Kurs nicht für geeignet hält,
mit den vor Europa stehenden Herausforderungen wirklich fertig zu werden. Die Tatsachen sprechen eine eigene Sprache.
In Europa ist wieder Krieg, und bezüglich Jugoslawiens ist bundesdeutsche Außenpolitik wohl zu hinterfragen. Es wird nicht ab-, sondern um- und nachgerüstet.
In der Europäischen Union nähert sich die Massenarbeitslosigkeit nun bald der 20-Millionen-Grenze. Jeder fünfte junge Mensch unter 25 Jahren ist arbeitslos. Während offizielle Einschätzungen belegen, daß die Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftswachstum weiter steigen wird, gibt es bis jetzt in der Europäischen Union weder Instrumente noch Institutionen für eine aktive europäische Beschäftigungspolitik.
Da eine Sozialunion ausgeklammert wurde, werden die Standards im sozialen Bereich ebenso wie im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes weiter abgebaut.
Wie bei der deutschen Vereinigung ist damit zwingend verbunden, daß der Abstand zwischen reicheren und ärmeren Regionen weiter wächst. Betriebe aus ärmeren Regionen werden kaputtgewirtschaftet, bevor es eine Chance zur Sanierung und zur Strukturpolitik gibt.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland werden, wie das Europäische Parlament offiziell kritisiert, Menschenrechte verletzt, ganze Bevölkerungsgruppen politisch diskriminiert und ausgegrenzt.
Ein weiteres Problem bleibt Osteuropa. Die Krise der westeuropäischen Integration verstärkt die Tendenz, den Binnenmarkt für Produkte aus Osteuropa zu schließen und eine substantielle Hilfe für die osteuropäischen Staaten weitgehend zurückzuhalten. Nur weil man an einer gewissen kontrollierten Stabilität in Osteuropa interessiert ist, werden die ost- und südosteuropäischen Länder nicht sich selbst überlassen und wird ihnen die Tür zur westlichen Integration nicht ganz verschlossen. Die Wahrheit ist und bleibt: Der Westen bezieht immer noch Überschuß an Gewinnen aus Mittel- und Osteuropa.
Die bevorstehende Aufnahme von hochentwickelten EFTA-Staaten ist zu begrüßen, leider wird dafür mit der Aufgabe des Neutralitätsstatus bezahlt. Die Absicht wird noch eindeutiger, wenn den osteuropäischen Ländern nicht gleichzeitig zeitlich fixierte Beitrittsperspektiven eröffnet und dafür die erforderlichen Grundlagen geschaffen werden. Spätestens 1996 wird man dazu Position beziehen müssen.
Wer angesichts dieser Tatsachen behauptet, alles sei in Ordnung, es gebe nur ein „Weiter so!", wie wir das heute von der Regierung erneut gehört haben, will offensichtlich die Herausforderungen, vor denen Europa, und zwar die Europäische Union wie Gesamteuropa, steht, nicht wahrhaben.
Die europäische Entwicklung nimmt aber auf Wahltermine keine Rücksicht. Die Zeit, die jetzt versäumt wird, weil die wirklichen Probleme schlichtweg geleugnet werden, wird uns alle teuer zu stehen kommen. Wir brauchen dringend eine grundsätzliche Debatte über neue Grundlagen und Ziele sowie über die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses, auch wenn dies von der Bundesregierung permanent geleugnet wird.
Deutsche Außen- und Europapolitik können dazu beitragen, wenn die Bundesregierung am 1. Juli die Präsidentschaft in der Europäischen Union übernimmt - dies um so mehr, als hier bereits auch Weichen für die Regierungskonferenz zur Überprüfung des Maastrichter Vertrages 1996 gestellt werden.
So halten wir den Ansatz der Europäischen Kommission durchaus für tragfähig, die soziale Frage und insbesondere die Massenarbeitslosigkeit als einen Kernbereich der Politisierung des Integrationsprozesses zu definieren und sie auf eine Halbierung der Arbeitslosenquote bis zum Jahre 2000 zu orientieren. Obwohl die Kommission dabei aus unserer Sicht die Rolle der Marktkräfte überbetont, steht diese Orientierung für das Eingeständnis, daß der Binnenmarkt ohne soziale und beschäftigungspolitische Initiativen destabilisierend wirkt.
Bei aller Kritik, die an den Empfehlungen des Weißbuchs hinsichtlich der Lockerung der Arbeitsmarktvorschriften oder der Infrastrukturprojekte zu üben ist, hebt es sich in der Anlage doch von der in der Bundesrepublik geführten Standortdebatte ab. Soviel die Sprecher der Union hier auch versuchten, zu erklären, wie sehr sie mit dem Weißbuch verbunden sind: Die Tatsachen sprechen dagegen. Während vor allem das Argument der Wettbewerbsfähigkeit eingeführt wird, verdrängt man damit, daß Sozialabbau verstärkt wird, bezieht die Kommission aber gerade die externen Kosten von Produktion und Konsumtion in ihre beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Überlegungen ein und verbindet sie mit konkreten Finanzierungsvorschlägen.
Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, eine europäische und weltweite Initiative zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine aktive Wirtschafts-, Industrie- und Strukturpolitik zu unternehmen. Hier sollte der Schaffung von Arbeitsplätzen in Bereichen sozialer und kultureller Dienstleistungen, des Umweltschutzes sowie der Stadtgestaltung und -sanierung ein besonderer Platz eingeräumt werden. Zugleich sollte die Bundesregierung die Zeit der Präsidentschaft nutzen, um hier wesentliche Schritte zu tun.
Außer einem sozialen Sinn braucht es Demokratisierung in der Europäischen Union, Fortschritte auf dem Weg zu einem wirklichen Europa der Regionen. Sonst wird der Integrationsprozeß früher oder später zwischen nationalstaatlichen Machtambitionen zerrieben. Es ist nicht zu leugnen: Je mehr von Transparenz gesprochen wird, um so undurchschaubarer werden die Entscheidungsprozesse. Die Mißachtung parlamentarischer Rechte und demokratischer Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger wird mehr und mehr zu einer Gefahr für die europäische Einigung. Hier geht es nicht nur um die Ausweitung der parlamentarischen Möglichkeiten, sondern vor allem um die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger, der Bürgerbewegung, der verschiedenen sozialen und ökologischen Gruppen und Vereinigungen, von friedensengagierten Kräften bei der Bestimmung der Richtung des Wirkens der Europäischen Union sowie bei der Kontrolle von Projekten und Programmen.
Auch zu diesem Aspekt haben wir Überlegungen in einem Antrag zusammengefaßt, den wir heute vorlegen. Besonders unterstützen wir die Forderung nach einer öffentlichen Diskussion zur Vorbereitung der Regierungskonferenz zur Überprüfung des Maastrichter Vertrages 1996. Sie darf nicht wie die Regierungskonferenzen zur Ausarbeitung dieses Vertrages verlaufen, die Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die Aufbruchstimmung in Europa hinter verschlossenen Türen kleingearbeitet haben.
Für besonders dringlich halten wir beispielgebende Anstrengungen der Bundesrepublik für gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Staaten und die Schaffung gesamteuropäischer Strukturen der Sicherheit und Zusammenarbeit.
Leider konzentriert die Bundesregierung ihre Kreativität in die völlig entgegengesetzte Richtung. Einerseits wird alles getan, die KSZE als einziges und bewährtes gesamteuropäisches Gremium in ein Schattendasein zu versetzen und endgültig auszuschalten. Nichts anderes soll doch wohl die gestern in Paris begonnene Konferenz zur Ausarbeitung eines sogenannten Stabilisierungspaktes bewirken. Die Vorgaben macht die EU, die KSZE ist außen vor.
Andererseits werden die NATO und die WEU in alter Blockmanier als einzige Militärblöcke aufrechterhalten und ausgebaut, ohne daß es der realen Bedrohung entsprechen würde. Der Außenminister hat gerade gesagt, wir hätten nur noch Freunde in unserer Nachbarschaft.
Ist es ein Zufall, so ist zu fragen, daß die Bundesregierung ausgerechnet jetzt lauthals ihre Entscheidung bekanntgibt, die Bundeswehreinheiten in den neuen Bundesländern der NATO zu unterstellen, obwohl dies der Zwei-plus-Vier-Vertrag nach dem 1. Januar 1995, wenn die russischen Truppen abgezogen sind, ohnehin nicht ausschließt? All das sind falsche Zeichen und Signale, keine Schritte des guten Beispieles eines wirklichen Voranschreitens in den Fragen der Rüstungskontrolle.
Selbstverständlich muß eine solche Verpflichtung, die alle KSZE-Staaten eingegangen sind, endlich verwirklicht werden, Rüstungsbegrenzung und Abrüstung auf gesamteuropäischer Grundlage fortzuführen. In unserem Verständnis muß das auch die Beseitigung der Kernwaffen in Europa einschließen.
({0})
Als nächster spricht der Kollege Ullmann
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die Union besitzt Rechtspersönlichkeit", so steht es lapidar in Art. 1 Ziffer 3 des Verfassungsentwurfes des Europäischen Parlamentes. Da dieser Satz in der Tat nicht in Zweifel gezogen werden kann, wird man die Entwicklung nur erstaunlich nennen können, die zu ihm wie zu einem Rocher de bronze geführt hat.
Weit weg von den luftigen Spekulationen über die Christenheit und Europa um 1800, aber genauso weit weg von den Katastrophenstimmungen reichlich 100 Jahre später, Stimmungen einer fatalistischen Tragödie im Untergang des Abendlandes, Verzweiflung über die letzten Tage der Menschheit, die Karl Kraus im Weltkrieg überhaupt, aber besonders auf den Schlachtfeldern Europas anbrechen sah: Welch erstaunlicher Weg, meine Damen und Herren Kollegen, den die EG im Gegensatz zu diesen apokalyptischen Szenarien von den Römischen Verträgen, der Einheitlichen Akte über Maastricht bis zu dieser trockenen, aber nichts weniger als trivialen Feststellung zurückgelegt hat: „Die Union besitzt Rechtspersönlichkeit".
Aber kaum hat man diesen Satz ausgesprochen, schallen einem von allen Seiten Fragen entgegen. Wo merken wir denn etwas von dieser Rechtspersönlichkeit? Wo spüren wir ihre Aktivitäten? Oder steht es um sie etwa so, wie es Vaclav Havel einmal ausgedrückt hat: Die Europäische Union bestehe aus nichts anderem als aus endlosen Debatten darüber, wie viele Mohrrüben irgendwer irgendwoher irgendwohin ausführen darf?
Unsere heutige Debatte hat diesen Hintergrund, daß wir vor wichtigen Entscheidungen darüber stehen, in welcher Form diese neue kontinentale Rechtspersönlichkeit aktiv werden soll. Ich spiele damit nicht an auf den durch das Karlsruher Maastricht-Urteil längst antiquierten Streit über den europäischen Bundesstaat oder Staatenbund. Ich beziehe mich auch nicht auf den während der jüngsten Debatten über den Beitritt der EFTA-Länder so hitzig geführten Prioritätenstreit über Erweiterung oder Vertiefung.
Ich beziehe mich vielmehr auf die merkwürdige Spannung zwischen der Maastrichter Definition der Europäischen Union als einer Union der Völker und der des Verfassungsentwurfes des Europäischen Parlamentes, nach der die Union aus den Mitgliedstaaten und deren Bürgern besteht. Beides braucht sich nicht auszuschließen, aber auf jeden Fall hat die Definition des Verfassungsentwurfes eine unverkennbare Affinität zum Europa der Vaterländer, während gerade die Maastricht-Definition auf eine neue Dimension der Demokratie, eine Demokratie von Völkern verweist, deren Bürger verschiedenen Völkern angehören.
Genau hierin scheint die Spannung des historischen Momentes zu bestehen, in dem wir leben. Bürger verschiedener Herkunft in verschiedenen Vaterländern, politisch und kulturell überlebensfähig nur auf dem Weg einer Kommunikation, die allein durch kulturelle und politische Rechtsgleichheit unter verschiedenen, verschieden Großen und verschieden Mächtigen zustande kommen kann. Darum kommt dem Verhältnis von Unionsbürgerschaft und Menschenrechten in der EU-Verfassung eine Schlüsselrolle zu. Denn erstmals tritt hier die verfassungsrechtlich zwingende Notwendigkeit auf, Bürgerrechte und Menschenrechte streng aufeinander zu beziehen.
Aber noch ist der Sprachgebrauch der EU-Verfassung äußerst vieldeutig. Die Überschrift des Titels spricht vom „Verbürgen" der Menschenrechte. Der Titel selbst schreibt einmal das „Achten", ein anderes Mal gemeinsam mit den Mitgliedstaaten das „Gewährleisten" der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Union zu.
Der ältere Entwurf inkorporiert den Grundrechtekatalog dem Art. 7 der Verfassung. Der neuere verweist ihn in einen Anhang und problematisiert damit wieder auf gewisse Weise die Zugehörigkeit der Grundrechte zur Verfassung der Europäischen Union. Das ist um so bedauerlicher, als dieser Grundrechtekatalog einige äußerst bedeutsame Neuerungen enthält: ein Recht auf Zugang zu Informationen, ein Recht auf Arbeit, ein individuelles Recht auf Schutz der Umwelt.
Aber offenkundig stößt die im Grundgesetz der Bundesrepublik angelegte Tendenz, die Grundrechte überhaupt als Verfassungsfundament zu betrachten, innerhalb der Europäischen Union noch auf Vorbehalte. Um so ernster ist der Appell des Europäischen Parlamentes an die Parlamente der Mitgliedstaaten zu nehmen, sich zum Verfahren der Vorbereitung und Verabschiedung des endgültigen Verfassungstextes zu äußern.
Das Datum der Nachverhandlungskonferenz 1996 steckt hier einen klaren zeitlichen Rahmen ab. Der Deutsche Bundestag täte gut daran, dieses Datum sehr ernst ins Auge zu fassen. Es besteht für ihn, meine Damen und Herren, kein Anlaß, sich auf den Lorbeeren der neuen Art. 23 und 45 des Grundgesetzes auszuruhen. Würde der Deutsche Bundestag auch in diesem Fall jener prozeduralen Zähflüssigkeit erliegen, die die Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission und den parlamentarischen Umgang mit ihren Ergebnissen kennzeichnet, so könnten die entscheidenden Ereignisse dieses Mal sehr schnell auch am deutschen Parlament und nicht nur an der deutschen Öffentlichkeit vorüberrauschen.
Denn einige Fragen zeigen sich schon jetzt als unabweisbar. Wie gedenkt es die Bundesrepublik mit den Mitwirkungsrechten ihrer Bürger und Bürgerinnen im Blick auf die nächsten Integrationsschritte zu halten? Was der SPD-Antrag hierzu über Subsidiarität, Transparenz und Bürgernähe sagt, ist gewiß richtig, reicht aber angesichts der Tragweite der vor uns liegenden europäischen Entscheidungen bei weitern nicht aus. Ohne Volksentscheide auf Bundesebene werden die Bürger und Bürgerinnen unseres Landes anderen Unionsbürgern gegenüber immer weiter ins Hintertreffen geraten, wo sie schon jetzt sind.
({0})
Das deutsche Parlament muß sich weiter, angesichts der deutlichen Destabilisierungen in Südeuropa und der erschreckenden Tatsache, daß in einem EU-Land erneut Faschisten an einer Regierung teilnehmen, dazu erklären, und zwar jetzt, welche Bedeutung es dem Beitritt der skandinavischen EFTA-Staaten und Österreichs zur Europäischen Union beimißt.
Daß das Ursprungsland des Helsinki-Prozesses unter ihnen ist, erinnert daran, daß die KSZE-Charta von Paris zu den maßgeblichen Urkunden deutscher Außenpolitik nach der deutschen Vereinigung, aber auch der gemeinsamen Sicherheitspolitik des Maastricht-Vertrages gehört. Ich möchte wissen, Herr Schäuble, wo in dieser Charta von Paris irgendein Anlaß für deutsche Sonderrollen oder die Blockade von Bündnispolitik liegen soll.
Daraus folgt die nächste, womöglich für uns sowie für die Europäische Union entscheidende dritte Frage: Womit gedenkt das deutsche Parlament, die Beitrittsbestrebungen der vier Visegrad-Staaten - Polen, Tschechische und Slowakische Republik sowie Ungarn - zu unterstützen? Gerade wer eine europäische Friedensordnung im Sinne der Charta von Paris will, wird sich erinnern müssen: Der Sitz des KSZE-Sekretariates ist in Prag, der des Konfliktverhinderungszentrums in Wien, der des Büros für freie Wahlen in Warschau. Vorhin war in einer Rede vom freien Westen die Rede. Ich dachte: Ist es immer noch an dem, daß man daran erinnern muß, daß es nunmehr auch einen freien Osten gibt, der in dem freien Europa mitzureden gedenkt?
({1})
Für die Bürgerbewegungen der sanften Revolution in Mittel- und Osteuropa sind die genannten Orte - Prag, Wien, Warschau - immer noch Eckpunkte jenes im November 1990 in Paris konzipierten neuen Europa. Wenn die Europäische Union überhaupt eine Zukunft hat, dann kann sie nur die dieser neuen Friedensordnung des KSZE-Prozesses und damit eines freien und friedlichen Europa sein.
({2})
Als nächster hat nun das Wort der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mich gern mit Herrn Ministerpräsidenten Scharping auseinandergesetzt; ich nehme an, er kommt noch. Ich muß folgendes am Anfang auch dann, wenn er nicht da ist, sagen:
({0})
am Montag ein schlechter Verlierer, am Freitag ein schlechter Debattenredner; eine schlechte Woche für ihn.
({1})
Er war auch ziemlich uninformiert. Frau Wieczorek-Zeul, Sie hätten ihm doch wenigstens sagen können, was die Bundesregierung zum Weißbuch und zu den Leitlinien der Wirtschaftspolitik erarbeitet hat, daß wir ein Memorandum vorgelegt haben, das, viel beachtet, im Kreis der zwölf diskutiert worden ist.
Ich möchte noch ein Wort zu dem Vergleich zwischen Hamburg und Thüringen sagen. Meine Damen und Herren, in 40 Jahren haben sich die Länder in Deutschland verschieden entwickelt. Hamburg ist der große Gewinner der deutschen Einheit. Wir geben nach Thüringen und die anderen ostdeutschen Länder mehr Investitionen pro Kopf der Bevölkerung als im Durchschnitt in Deutschland insgesamt. Es ist ein Transfer von 5 % pro Jahr, und damit gibt es Wachstumsraten - zwischen 7, 10 und noch mehr Prozent -, wie man sie sonst nur noch in Asien findet. Das ist die
Erfolgsgeschichte der deutschen Einheit im Jahre 1994.
({2})
Wenn allerdings Rheinland-Pfalz und Hamburg mehr tun wollen, dann ist darauf hinzuweisen, daß beim Länderfinanzausgleich und bei sonstigen Gelegenheiten viele Möglichkeiten bestanden hätten.
({3})
Aber darauf habe ich vergeblich gewartet. Im Gegenteil: Zu meinem großen Leidwesen hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz über 200 Millionen DM für politische Führung eingestrichen, die in Thüringen weit besser angelegt gewesen wären als für die politische Führung in Rheinland-Pfalz, die früher, ohne dieses Geld, wesentlich besser funktioniert hat.
({4})
Übrigens muß man bei den Berechnungen - lieber Peter Struck, das ist jetzt Ihre Aufgabe - dem Kanzlerkandidaten in dem Zusammenhang immer sagen, was brutto und was netto ist, nicht nur bei der Steuerpolitik, sondern auch bei anderen Dingen. Da besteht nämlich ein Unterschied, und er muß hier berücksichtigt werden.
({5})
- Was ist? - Ich habe „Toskana" verstanden. Darum bin ich so erschrocken. Ich dachte gerade, Sie meinen, ich sei mit in der Toskana. Nein, ich habe mein bescheidenes Eigentum in Schwaben. Mit der Toskana habe ich nichts zu tun.
Zu den Schulden will ich noch etwas sagen, weil ich mir nämlich die Schulden, die es im Moment in Deutschland gibt, nicht von den Herren der SPD anhängen lasse.
({6})
Für die 600 Milliarden DM Schulden von Ländern und Kommunen kann man den deutschen Finanzminister nicht verantwortlich machen. Hätten Sie die 600 Milliarden DM für die deutsche Einheit nicht übernehmen wollen?
({7})
Haben Sie vielleicht vergessen, daß der Ministerpräsident des Saarlandes damals nein zum Vertrag über die deutsche Währungsunion gesagt hat?
({8})
Heute wissen wir ganz genau: Ohne dieses Ja und ohne den Staatsvertrag zur deutschen Währungsunion wären wir nicht so schnell zum Einigungsvertrag und damit zur politischen und rechtlichen Einheit Deutschlands gekommen.
({9})
Und es waren immerhin noch über 300 Milliarden DM, die wir Ende 1982 von einer anderen Regierung, nämlich der Helmut Schmidts, übernommen haben.
({10})
- Sie haben es nicht weit nach Hamburg, zu Ihrem früheren Bundeskanzler, Frau Kollegin.
({11})
Erinnern Sie ihn einmal daran, daß es im Jahre 1982 einen Rückgang des Bruttosozialprodukts um mehr als 1 % gab, daß die Inflation über 5 % betrug, ein Defizit im Bundeshaushalt von über 50 Milliarden DM drohte und die Arbeitslosigkeit stieg. Bei dieser Leistungsbilanz würde ich mich sehr zurückhalten, wenn ich über andere zehn Jahre später urteile.
({12})
Was die Neofaschisten anbelangt, brauchen Sie bei der CSU keine Sorge zu haben. Übrigens sind das die größten Feinde der Südtiroler Volkspartei, an deren Seite wir immer standen und stehen. Aber während wir bei der letzten Bundespräsidentenwahl am vergangenen Montag gesagt haben, wir wollen keine Stimmen der Rechtsradikalen für unseren Kandidaten, haben Sie sich heute noch nicht von den Stimmen distanziert, die aus dem linken, dem kommunistischen Lager abgegeben worden sind, meine Damen und Herren. Das ist der große Unterschied.
({13})
Mit der Einheitlichen Europäischen Akte, mit dem Binnenmarktprogramm und mit den Verträgen von Maastricht haben wir die europäische Integration entscheidend vorangebracht. Die Zustimmung zum Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion und über die Politische Union war ebenfalls richtig. Die europäische Stabilitätsgemeinschaft wächst heran. Die durchschnittliche europäische Inflationsrate liegt heute mit gut 3 % nur noch ein Drittel so hoch wie vor zehn Jahren. Angesichts der größten Herausforderung, vor der Deutschland finanzpolitisch stand und steht, eine 2 vor dem Komma bei der Inflationsrate zu erreichen - Sie haben ohne Wiedervereinigung Inflationsraten von über 5 % gehabt -,
({14})
ist das ein großer Erfolg der deutschen Finanz-, der deutschen Geld-, der deutschen Währungspolitik.
({15})
Die europäische Wirtschaftspolitik gewinnt an Kontur. Das Weißbuch und die wirtschaftspolitischen Leitlinien weisen den Weg zu Beschäftigung und zu Wachstum. Die europäische Geldpolitik wird künftig in Deutschland am Finanzplatz Frankfurt gestaltet. Es ist einer der größten Erfolge deutscher Europapolitik, daß elf Partner zugestimmt haben: Das Europäische Währungsinstitut - und später die Europäische Zentralbank - kommt nach Frankfurt.
({16})
Das zeigt ganz deutlich: Niemand braucht Angst um die Währung zu haben.
Die von uns nachdrücklich geforderte Erweiterung der EG um Österreich und die skandinavischen Länder ist beschlossen.
Meine Damen und Herren, es ist interessant, daß die äußerste Rechte und die äußerste Linke gegen Europa sind. Sie haben nämlich aus der Geschichte nichts gelernt. Wir sind für Europa, weil wir die Lehren der Geschichte begriffen haben.
({17})
- Stoiber war für Maastricht im bayerischen Kabinett und im Bundesrat. Wenn jemand, wie übrigens auch Herr Ministerpräsident Scharping, auf das eine oder andere hinweist, was in Europa nicht richtig läuft oder gelaufen ist, ist er noch längst kein Europagegner. In diese Ecke bringen Sie Ministerpräsident Stoiber nicht, auch niemanden sonst in der CSU.
({18})
Europa braucht die Union als Eckpfeiler seiner politischen Stabilität. Die Brände an den Grenzen unseres Kontinents - das erfüllt uns mit Sorge - nehmen zu. In Rußland fordern einzelne Reaktionäre und Revisionisten die Wiederherstellung eines großrussischen Reiches. In der Ukraine sind nationalistische Auseinandersetzungen an der Tagesordnung. Noch steht die Osterweiterung der EG nicht auf der aktuellen Tagesordnung. Die beitrittswilligen Staaten müssen mit unserer Unterstützung in politischer und ökonomischer Hinsicht noch Anpassungsprozesse vollziehen. Aber dieser Weg - darauf hat der Kollege Ullmann zu Recht hingewiesen - darf für unsere östlichen Nachbarn nicht zum Hindernislauf werden. Denn sonst verpassen wir die Chance einer europäischen Friedensordnung.
Bis zum endgültigen Beitritt unserer östlichen Nachbarn müssen wir jede Chance nutzen, diese Länder im Rahmen der Europäischen Union, der NATO und der WEU an Europa zu binden. Wenn wir jetzt die ausgestreckte Hand nicht ergreifen, würde sich die Europäische Union als Anwalt von Frieden und Freiheit aus der Weltgeschichte verabschieden.
({19})
Wenn die Union in sieben Monaten auf 16 und später auf noch mehr Mitglieder anwächst, müssen sich auch die Institutionen und Entscheidungsprozesse verändern. Die Fortentwicklung der Gemeinschaft zu mehr Zentralismus wäre der falsche Weg. Seit ihrer Gründung bekennen wir uns zur Vereinigung Europas. Die Europäische Union läßt sich nur realisieren, wenn sie von ihren Bürgern mit Herz und Verstand angenommen wird. Dies wird nur möglich sein, wenn die nationalen, regionalen und lokalen Institutionen einen selbständigen Gestaltungsspielraum behalten.
Deshalb lehnen wir das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa, wie es beispielsweise von Oskar Lafontaine gefordert wird, ab. Wir bekennen uns zur
Europäischen Union, aber unser Vaterland heißt auch in Zukunft Deutschland.
Mit der Entscheidung zu den Verträgen von Maastricht hat das Bundesverfassungsgericht unsere Position mit dem Begriff des Staatenverbundes eindeutig bestätigt. Unser Ziel heißt Einheit in Vielfalt. Unser Konzept ist das Europa der Regionen, das föderale Strukturen sicherstellt, demokratische Entscheidungsrechte des Parlaments gewährleistet, echte Mitwirkungsrechte der Lander eröffnet und dem Prinzip der Subsidiarität Rechnung trägt.
Der vom Institutionellen Ausschuß des Europäischen Parlaments vorgelegte Entwurf einer Verfassung der Europäischen Union ist für uns so nicht akzeptabel. Wir werden hier noch über einiges zu reden haben.
Lassen Sie mich folgendes über das Thema Nettozahlung sagen. Europa erhält auch ohne eigene Finanzierungshoheit die Mittel, die es braucht. Aber die eigentliche Stärke der Gemeinschaft liegt nicht in der Zentralisierung und der Umverteilung von Ressourcen. Deshalb haben wir uns bei den Verhandlungen über den Finanzrahmen 1993 bis 1999 erfolgreich gegen ursprünglich viel weitergehende Vorstellungen der Kommission gewandt. Sparsamkeit beginnt mit Transparenz. Ich habe deshalb beim letzten Eigenmittelbeschluß durchgesetzt, daß die EG-Kommission die Rückflüsse in die einzelnen Mitgliedsländer offenlegt. Das darf doch kein Staatsgeheimnis sein.
({20})
Wir werden bei den kommenden Entscheidungen alles unternehmen, um die Rückflüsse nach Deutschland zu verbessern. Die Gemeinschaft muß in diesem Zusammenhang zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland in der Wohlstandsrangskala vom zweiten auf den sechsten Platz zurückgefallen ist.
Noch ein Wort zum Briten-Rabatt. Dieser wurde erstmals 1976 beim Europäischen Rat in Dublin vereinbart. Ab 1980 kam es zu effektiven Rückzahlungen an Großbritannien. Sie wissen sehr genau, daß dies natürlich seinen Prozeß hatte, der heute nur einstimmig revidiert werden kann.
({21})
- Das habe ich hier sehr laut gesagt.
Bei den unter deutscher Präsidentschaft anstehenden Verhandlungen zum EG-Haushalt 1995 werden wir strikte Ausgabendisziplin einfordern. Wir werden auch keinen neuen EG-Programmen nach dem alten Schlüssel zustimmen. Schließlich werden wir auch allen Bemühungen, eine eigene Kreditfinanzierung des EG-Haushalts zu etablieren, widersprechen.
Wir haben das Subsidiaritätsprinzip nicht als Leerformel im Vertrag von Maastricht festgeschrieben. Subsidiarität heißt konkret: Die Beweislast für die Notwendigkeit europäischer Vorschriften und Entscheidungen trägt die europäische Ebene.
Ab 1. Juli dieses Jahres übernimmt Deutschland die Präsidentschaft in der Europäischen Union. Der BunBundesminister Dr. Theodor Waigel
deskanzler und der Außenminister haben darauf hingewiesen. Wir sind im Moment alle dabei - auch ich -, im Vorfeld jedes Land zu besuchen und mit ihm die Dinge abzusprechen, um dieses halbe Jahr und das anschließende halbe Jahr unter französischer Präsidentschaft zu einem Erfolg für Europa insgesamt zu machen.
({22})
Unsere Hauptpunkte sind dabei die Überwindung der Arbeitslosigkeit, der Wiederaufschwung der europäischen Volkswirtschaft und die Herstellung unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit.
Noch ein Wort zur Jugendarbeitslosigkeit. Sie ist überall bedrückend hoch, zu hoch. Wenn man die Zahlen miteinander vergleicht, Herr Ministerpräsident Scharping, muß man bei der Arbeitslosigkeit von Jugendlichen unterhalb von 25 Jahren folgendes sehen. In Deutschland betrug im Jahre 1993 dieser Anteil 5,2 %, in den Niederlanden 14,7 %, in Großbritannien 15,2 % und in Frankreich 23,6 %. Der Durchschnitt lag in der Europäischen Union bei 20,6 % . Alles zu hoch! Aber uns hier anzuhängen, bei uns sei es überdurchschnittlich hoch, ist nicht die richtige Relation.
({23})
Wir brauchen mehr Investitionen in die europäische Infrastruktur. Hier war es wichtig, daß wichtige Verkehrstransversalen, die auch für Deutschland wichtig sind, durchgesetzt werden, zum einen den Brennerbasisturmel mit großen ökologischen und ökonomischen Vorteilen für die schnell wachsenden Alpenrandregionen und zum anderen die Hochgeschwindigkeitsbahn Ost von Paris über Nürnberg nach Leipzig und Berlin.
Meine Damen und Herren, wie will eigentlich die SPD ihre Europatauglichkeit unter Beweis stellen, wenn sie in ihrer Finanzpolitik Ausgabenforderungen von 60 Milliarden DM aufweist
({24})
und gleichzeitig die Kriterien von Maastricht und ihre Erfüllung in den nächsten Jahren in Frage stellt?
Über die Ökonomie hinaus: Wir bauen ein Europa des wirtschaftlichen Erfolgs, wir wollen ein Europa der Stabilität und der Freizügigkeit auch gegenüber den anderen großen Wirtschaftszentren dieser Welt. Innerhalb der Gemeinschaft müssen wir das Gleichgewicht zwischen Freizügigkeit und Sicherheit bestimmen, denn Freizügigkeit für Drogenhändler, Waffenschieber und Asylantenschlepper kann und darf es nicht geben.
({25})
Darum braucht die Europäische Union auch einen wirksamen Schutz der Außengrenzen, damit sich die Rechtsbrecher nicht die weichsten Stellen und den leichtesten Zugang aussuchen können.
Deutschland braucht Europa. Die Verankerung in der Gemeinschaft der europäischen Völker und die transatlantische Partnerschaft haben uns den Weg der Wiedervereinigung geebnet. Der lebendige Wille zu Freiheit und Demokratie bei unseren östlichen Nachbarn hat Mauer und Stacheldraht endgültig zerbrochen. Wir werden nie vergessen, welchen Beitrag vor allem Ungarn 1989 geleistet hat, um den Durchbruch endlich zu erzielen.
Es hat mich in der letzten Zeit tief bewegt, als ich vor einigen Wochen las, daß bei einem Friedenseinsatz 17 belgische Soldaten in Ruanda umgekommen sind und wenige Tage danach belgische Panzer und Schützenpanzer eingeschlossene Deutsche, die dort in Lebensgefahr waren, unter Einsatz ihres Lebens in Sicherheit gebracht haben. Auch das ist europäische Solidarität.
({26})
Wir werden nicht auf die Dauer auf kleine europäische Partner und Freunde warten können, daß sie Deutsche aus der Not befreien. Darum, Herr Scharping: Ziehen Sie Ihre Klage in Karlsruhe endlich zurück, damit Deutschland in Europa und in der Welt handlungsfähig wird!
({27}): Was ist mit der
F.D.P.?)
Europa ist unser Schicksal, unsere Verantwortung und unsere Zukunft. Vor 50 Jahren befand sich Deutschland mit all seinen Nachbarstaaten im Kriegszustand. Heute haben wir erstmals in diesem Jahrhundert mit all unseren Nachbarn friedliche Beziehungen.
Vor wenigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, in Königsberg das dortige Grabmal von Immanuel Kant zu besuchen. In seinem Traktat „Zum ewigen Frieden " beschwor der Königsberger Philosoph eine europäische Föderation republikanisch, in unserem Sprachgebrauch demokratisch verfaßter Staaten als Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa. Heute, mit der Fortentwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einer politischen Union mit einheitlichem Wirtschaftsraum und gemeinsamer Währung sowie mit der Öffnung dieser Union gegenüber den demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformstaaten in Mittelosteuropa sind wir Kants Vision eines ewigen Friedens ein wichtiges Stück nähergekommen.
Während die Jugend in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf den Schlachtfeldern von Verdun und Stalingrad verblutet ist, bieten sich den heutigen jungen Generationen Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven, von denen unsere Väter und Großväter, unsere älteren Brüder und Schwestern nicht einmal zu träumen gewagt hätten.
Deshalb müssen wir die sich gegenwärtig vollziehende Neuordnung Europas als historisch einmalige Chance aufgreifen. Die europäische politische Union schafft die Grundlage für ein vereinigtes und freies, friedliches und demokratisches Europa selbständiger Nationen. Diese Union kann als Gemeinschaft freier Völker zum weltweiten Zukunftsmodell für das Zusammenleben der Völker im nächsten Jahrtausend werden.
Ich danke Ihnen.
({28})
Frau Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul, Sie haben das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorhin ist von einem Diskussionsredner gesagt worden, die Sozialdemokratie wolle bestimmte deutsche Regelungen nicht aufgeben, und das schade der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Ich will an dieser Stelle sagen: Wir sind stolz darauf, daß wir bestimmte deutsche Regelungen nicht aufgeben wollen.
({0})
Ich spreche hier davon, daß wir jedenfalls in Europa nicht - wie Herr Rühe und die Bundesregierung - eine europäische Behörde einrichten wollen, die künftig europaweit für die Welt Waffenexporte in Gang setzt, sondern daß wir dazu beitragen wollen, daß bei uns eine restriktive Regelung bleibt und sich andere europäische Länder dieser Praxis möglichst anschließen.
({1})
Und: Unter Europa - das hat Rudolf Scharping hier vorhin ja sehr deutlich gemacht ({2})
verstehen wir im übrigen auch nicht derartige Bürokratien,
({3})
sondern Europa nutzt der Welt und sich selbst und den Menschen bei uns am meisten, wenn wir aufhören, Rüstungen in die Welt zu liefern, die den nächsten Krieg provozieren, und wenn wir uns darum kümmern,
({4})
daß Europa Technologien ziviler Art entwickelt und in die Welt exportiert, die uns auf den Weltmärkten beispiellos wettbewerbsfähig machen. Das muß unsere Perspektive sein, und sie ist es.
({5})
Der zweite Punkt. Ich muß schon sagen, der Finanzminister
({6})
- ich war schon die ganze Zeit immer frappiert, als ich ihn die letzten Tage habe reden hören ({7})
sagt hier - und auch Herr Kohl hat das gesagt -, wir
seien, was unsere Zahlungen nach Brüssel angeht, an
der Obergrenze unserer Möglichkeiten. Ich lege doch Wert darauf, daß diese Bundesregierung 1988 einer Regelung zugestimmt hat, die weit über das hinausgeht, was augenblicklich an Finanzen in die Europäische Union fließt.
({8})
Ich bemängele das nicht, aber ich bemängele, daß sich der gleiche Finanzminister, der das alles vereinbart hat, aus populistischen Gründen nach dem Motto „Haltet den Dieb" hier hinstellt und sagt,
({9})
man sei an die Grenze der Möglichkeiten gelangt.
({10})
Das ist einfach unseriös und ist im übrigen eine Methode, die Leute von Europa abzuschrecken.
Frau Kollegin, Verzeihung. Ich will nur verhindern, daß der Finanzminister Zwischenrufe macht. 1988 war er noch nicht Finanzminister.
({0})
Der deutsche Finanzminister und die jetzige Bundesregierung - ich hätte auch Helmut Kohl sagen können - haben zugestimmt.
({0})
Zur Frage zurück: Da sind die Widersprüche immer wieder gegeben. Wir haben einen Außenminister, der durch alle mittel- und osteuropäischen Lander zieht und sagt: Ihr könnt alle Mitglied der Europäischen Union werden. Darüber kann man sprechen. Aber dann gehört dazu auch, daß man nicht gleichzeitig sagen kann, wir sind an den Grenzen der finanziellen Möglichkeiten angelangt, wenn man weiß, daß die Aufnahme dieser Lander - auch nur Polens, Ungarns, der Tschechischen Republik, der Slowakei und der baltischen Staaten - bedeuten würde, daß über die Strukturfonds und die gemeinsame Agrarpolitik etwa 200 Milliarden DM insgesamt zusätzlich zu finanzieren wären.
Machen Sie doch endlich keine widersprüchliche Politik, und sagen Sie den Leuten die Wahrheit!Das haben Sie in anderen Fragen nicht getan, und das tun Sie jetzt hier ebenfalls nicht.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich Irmer?
Danke, nein.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa war die Antwort auf zerstörerischen Nationalismus, auf
Faschismus, auf Nationalsozialismus und Krieg. Deshalb müssen wir, die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland und in Europa, alles tim, um Rechtsextremisten und Neofaschisten aus dem Europäischen Parlament fernzuhalten. Nur hohe Wahlbeteiligung schafft die Voraussetzung dafür.
({1})
Ich warne an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber auch vor einem Trend, der sich edler, intellektueller gibt, aber der das gleiche absichert, was manche Rechtsextreme offen vertreten. Es gibt einen neuen Trend um die Zeitschrift „Junge Freiheit" und andere Institutionen, der sich nationalkonservativ gebärdet und an den gleichen Stellen ansetzt, nämlich mit dem Argument, Deutschland sei sich nach der deutschen Vereinigung selbst genug und wir bräuchten die europäische Einbindung nicht.
Solche national-konservativen Positionen reichen bis weit in die Reihen der CDU/CSU.
({2})
Ich zitiere:
Bisher gibt es in der Union noch zuviel Toleranz gegen rechts und deutschnationale Kräfte. Das muß ein Ende haben. Eine Partei, in der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ausgebuht werden kann, während gleichzeitig Heinrich Lummer ungerügt über Bündnisse mit Rechtsradikalen philosophieren darf, verliert die Mitte.
({3})
Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Zitat stammt von dem Abgeordneten Friedbert Pflüger, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der wohl weiß, wovon er redet.
({4})
Stoiber ist hier genannt worden. Ich weise darauf hin, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, versucht ganz eindeutig, unterschwellig nationalkonservative Grundstimmungen in Stimmen umzumünzen, um damit konservatives Wählerpotential anzulocken und zusammenzuhalten, weil Sie ja spüren, daß der Kitt fehlt bei dem, was bisher konservatives Wählerpotential zusammengehalten hat.
({5})
Ich sage Ihnen, Herr Schäuble: Jeder Politiker ist verantwortlich für die Signale, die er aussendet. Bitte überlegen Sie sich, wenn Sie Derartiges sagen, wie das bei Skinheads auf den Straßen ankommt, die randalieren und Ausländer niedermachen.
({6})
Überlegen Sie sich, wie die Signale von Ihnen ankommen.
({7})
Unsere Gesellschaft braucht wieder emotionale Bindung, aber nicht die emotionale Bindung, die Herr Schäuble propagiert, sondern sie braucht eine Bindung der Solidarität, des Gemeinsinns und der menschlichen Zuwendung.
({8})
Diese Bindung ist zerstört worden durch zwölf Jahre konservative Politik. Wer Arbeitslose, wer Familien, wer junge Frauen, die Gemeinden und die Länder
({9})
belastet und statt dessen die Starken noch stärker macht, der trägt dazu bei, daß die emotionale Bindung in unserer Gesellschaft zerstört wird. Deshalb brauchen wir einen Wechsel in Deutschland, damit endlich soziale Gerechtigkeit herrscht und die Menschen wieder ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Gemeinsinns und der wechselseitigen Solidarität gewinnen.
Ich danke Ihnen.
({10})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. Da wollen wir mal abwarten, wie das mit dem Wechsel wird. Mit solchen Tönen werden Sie dafür sorgen, daß es nicht so wird.
({0})
Frau Wieczorek-Zeul, es fällt mir immer schwer, den Finanzminister - jetzt ist er auch gegangen - in Schutz zu nehmen, den ich gerade dafür kritisieren wollte und dafür schon kritisiert habe, daß er sich etwas spät um den Zahlungsverkehr nach Europa gekümmert hat. Aber die Kritik, die Sie an ihm geübt haben, ist ungerechtfertigt. Sie haben selber gesagt, 1988 sei der Finanzierungsschlüssel festgelegt worden. Ihnen ist offensichtlich entgangen, daß 1989/90 die deutsche Einheit stattgefunden hat.
({1})
Die wollten Sie ja vielleicht auch nicht.
Ihnen ist offensichtlich entgangen, daß die Deutsche Bundesbank ihre Berechnungen genau an diesem Punkte festmacht, daß sich das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner erheblich zum Nachteil Deutschlands verschoben hat.
Deshalb ist es absolut gerechtfertigt und auch notwendig, daß die Bundesregierung in langfristigen,
geduldigen und vernünftigen Verhandlungen auf einen neuen Verteilungsschlüssel und auf neue Finanzströme in der Europäischen Gemeinschaft hinwirkt.
Zweitens. Frau Wieczorek-Zeul, es wird dabei bleiben, daß die Rüstungsexportrichtlinien so sind, wie wir sie in der Regierung Schmidt/Genscher festgelegt haben. Aber wenn Sie glauben, daß sich Rüstungskooperation und „dual use " nur nach deutschen Vorstellungen richten, oder wenn Sie glauben, daß am sozialdemokratischen Wesen Europa genesen soll, dann werden Sie damit keinen Erfolg haben.
({2})
Wollen Sie antworten?
Ich lege an dieser Stelle Wert darauf, darauf hinzuweisen, daß die jetzige Bundesregierung das Delors-Paket zur Finanzierung der Europäischen Union mit den entsprechenden Obergrenzen akzeptiert und unterschrieben hat und daß sie nach der deutschen Einheit, als es um das Hereinverhandeln der fünf neuen Länder in die Europäische Union ging, keinen Versuch unternommen hat, die bisher festgelegten Finanzierungsregelungen zu verändern. Das heißt, sie hat das in voller Kenntnis der Situation und der Festlegungen getan.
({0})
Ich sage noch einmal: Ich persönlich mache diesen Vorwurf nicht der Bundesregierung, aber ich mache ihn einem Finanzminister, der zugestimmt hat und, weil er bayerische Wahlen vor sich hat, nicht zu seinem Wort stehen will. Der ist ein unanständiger Finanzminister, der so etwas macht.
({1}): Ordnungsruf! - Michael Glos
[CDU/CSU]: Eine feine Gesellschaft! - Detlev von Larcher [SPD]: Warum regt ihr euch
nach der Schäuble-Rede auf? Lest mal nach,
was Schäuble gesagt hat!)
Frau Kollegin, das ist nicht sehr parlamentarisch.
Ich erteile der Kollegin Uta Würfel das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem wahlkampfbedingten Schlagabtausch komme ich nun wieder zurück zu Europa. Manchmal ist es gut, sich zu erinnern, manchmal ist es auch angemessen, und in bezug auf Europa lohnt es sich ganz besonders. Europa hat eine dreitausendjährige Geschichte, wir alle haben eine gemeinsame europäische Herkunft und kulturelle Identität. Irgendwie ist es doch ganz toll zu sagen: Unsere gemeinsamen Vorfahren sind nicht nur Immanuel Kant, Dante, Michelangelo, Karl V., Homer und wer auch immer.
Sie wissen, daß in Europa eine größtmögliche Vielfalt an Traditionen, an Temperamenten und an Intellektualitäten in größtmöglicher Dichte aufeinandertrifft. Daraus resultiert eine große dynamische Spannung, die in der Vergangenheit verschiedene Konsequenzen hatte. Einerseits zeichnete sich Europa durch eine schöpferische Vitalität aus, andererseits durch einen zerstörerischen Herrschaftswillen und durch die Neigung zu nationalistischen Perversionen.
Noch über den Trümmern des Zweiten Weltkriegs wurde die kreativste Antwort auf die Existenzfrage Europas formuliert. Diese Antwort heißt und hieß Integration.
Winston Churchill war es, der bereits 1946 in Zürich die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa verlangte. Heute formulieren wir es nicht mehr so, sondern wir sprechen von dem Staatenverbund, den wir uns vorstellen. Mit Integration, also mit dem, was schon damals, nach dem zweiten Weltkrieg, gewollt war, läßt sich beschreiben: erstens Absage an Nationalismus, zweitens Absage an verirrte Sonderwege und drittens Absage an egozentrische Selbstüberschätzung einzelner Nationalstaaten.
Nun hat das moderne Europa nach umfassenden, leidvollen kriegerischen Auseinandersetzungen eine Kultur des Dialogs entwickelt. Die Welt um uns herum - Sie wissen es ja selbst - ist freier, aber längst nicht friedlicher geworden. Friede ist offensichtlich kein natürlicher Zustand. Es zeigt sich am Beispiel des ehemaligen Jugoslawien - für viele von uns eine ehemalige Urlaubsregion -, daß ethnische, religiöse und regionale Konflikte neue Herausforderungen für die Staatengemeinschaft darstellen.
Am Beginn war die Europäische Union nur eine Vision. Aber heute hat sie den Nachweis erbracht, daß aus Gegnern von gestern, also aus den sogenannten Erzfeinden, Freunde und Partner von heute geworden sind. Trotz unterschiedlicher Mentalitäten, trotz unterschiedlicher Traditionen und Interessen gelang es, eine Gemeinschaft zu bilden, die zusammenhält und den Frieden sichert.
Rings um die Europäische Union vollziehen sich rasante, ja, revolutionäre Umbrüche. Armut, Migration, Flüchtlingswellen, Umweltzerstörung und organisierte Kriminalität bedrohen die Stabilität unserer Welt. Für uns Europäer kann und muß das doch nur heißen, daß wir noch enger zusammenwachsen müssen, und dies nicht nur in wirtschaftlicher und innenpolitischer Hinsicht, sondern in erster Linie auch außenpolitisch. Europa muß lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
({0})
Am 12. Juni wird die Bevölkerung der Europäischen Union, also auch die deutsche Bevölkerung, über die Zukunft Europas entscheiden. Diese Wahl, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Richtungswahl. Es geht nicht nur darum, welche Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament herrschen werden, sondern die Bevölkerung, auch die deutsche, wird bestimmen, wohin sich Europa in den nächsten Jahren entwickeln wird: in Richtung Zukunft und Weltoffenheit oder zurück in ein Europa des Kleingeistes und der Intoleranz?
Wir Liberalen sagen ganz bewußt ja zu Europa. Wir setzen auf die Zukunft der Völker, und wir freuen uns
auf die Chancen, die sich für jeden einzelnen von uns damit verbinden, aber vor allen Dingen auf die Chancen, die damit für die Jugend verbunden sind.
Engstirnigkeit, Miesmacherei, Bedenkenträgerei und Pessimismus sind nicht Sache der Liberalen. Natürlich wollen wir nicht irgendein Europa. Wir wollen ein liberales Europa, d. h. ein demokratisches, ein marktwirtschaftliches, ein soziales, aber vor allem ein weltoffenes Europa.
({1})
Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in den letzten Monaten, zuletzt in Magdeburg, haben unserem Ansehen in der Welt zutiefst geschadet. Meist wird dieser Faktor sehr unterschätzt. Viele Menschen haben Angst, wenn Nationalisten Zulauf erhalten und Leute wie Schönhuber immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregen.
Für Politiker, die Täter und Opfer weiß Gott nicht unterscheiden können, darf es keinen Sitz im Europäischen Parlament geben. Ich hoffe aus ganzem Herzen, daß die Wähler am 12. Juni keine Deutschen ins Europäische Parlament schicken, für die wir uns alle schämen müssen.
({2})
Deutsche und europäische Politik darf nie wieder vom Rand aus bestimmt werden, weder vom linken noch vom rechten. Das sind wir nicht nur unserer Selbstachtung, sondern auch den Opfern totalitärer Zeiten in Deutschland schuldig.
({3})
Wir Liberalen wollen ein Europa der Toleranz und der Freiheit. Wir stellen Freiheit gegen einen neuen Nationalismus in allen seinen Erscheinungsformen, d. h. gegen nationalen Egoismus, Freiheit gegen nationale Überheblichkeit und Freiheit gegen Intoleranz gegenüber anderen, die bei uns leben oder in Europa mit uns leben.
Das liberale Europa, für das wir uns einsetzen, muß eine neue Kultur des Zusammenlebens der Menschen, aber auch der Völker zeigen. Dieses liberale Europa, das ich mir vorstelle, verlangt Toleranz, und zwar eine aktive Toleranz, die den anderen Menschen in seinem Anderssein, in seiner anderen Kultur, in seiner anderen Überzeugung und in seinem anderen Glauben respektiert.
Liberale Menschen erkennen, daß sie selbst bereichert werden, wenn sie mit denen leben, die anders fühlen, vielleicht anders denken, anders glauben und vielleicht auch anders handeln. Aktive Toleranz ist die Grundlage jeden Zusammenlebens im Geiste einer europäischen Kultur, zu der Liberalismus und Aufklärung so viel beigetragen haben.
Für uns Liberale bedeutet dieses Erbe eine Verpflichtung. Das heißt für uns: Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Kampf gegen Rassismus und Kampf gegen Antisemitismus.
({4})
Wir dürfen nicht zerstören lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir in Europa und in der Welt an Vertrauen und Achtung erworben haben. Durch erfolgreiche Außenpolitik konnten wir bei unseren Freunden und Nachbarn Vertrauen für Deutschland schaffen. Dieses Vertrauenskapital dürfen wir nicht verspielen.
All denjenigen, die uns den Weg in einen neuen Nationalismus weisen wollen, müssen wir sagen: Wir Deutschen haben in einem übersteigerten Nationalismus die Einheit unseres Landes verloren. Wir haben als europäische Bürger die Einheit unseres Volkes zurückerhalten.
Ich habe vorhin bewußt von einer Richtungswahl bei der Europawahl am 12. Juni gesprochen. Denn bei den Europawahlen von 1989 waren die Sozialisten, die Grünen und die nationalen Rechten die Gewinner. Ich glaube nicht, daß einer das noch einmal haben will. Diese Entwicklung muß gestoppt werden.
({5})
Wenn wir in Deutschland wieder wirtschaftliche und technologische Spitzenleistungen erreichen wollen, wenn wir in Europa den zukünftigen Herausforderungen gewachsen sein wollen, dann geht dies nur in einem Klima geistiger Offenheit, in einem Klima der Toleranz und in einem Klima kultureller Vielfalt. Dafür setze ich mich ein. Das ist unser liberales Programm.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Rudolf Krause ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In 16 Tagen ist Europawahl, und diesem Termin ist wohl geschuldet, daß die Tagesordnungspunkte 10 b bis 10h bisher noch nicht behandelt worden sind, obwohl 170 Minuten der Debatte herum sind.
Um den Schluß gleich vorwegzunehmen: Meine Ziele - auch ich kandidiere ja für Europa - sind folgende.
Erstens. Beibehaltung der vollen Souveränität der Völker und der Staaten.
Zweitens. Zusammenarbeit mit gegenseitigem Vorteil, aber bitte: zum gegenseitigen Vorteil.
Drittens. Gleiche Pflichten für alle Lander.
Viertens. Gleiche Rechte in allen Ländern.
Von der Erreichung dieser Ziele sind wir noch weit entfernt. Große Teile unserer Bevölkerung können die hier heute geäußerte allgemeine „Europhorie" nun wirklich nicht teilen.
Frau Kollegin Würfel, ob wir uns beide in Europa wiedersehen oder einer den anderen nicht wiedersieht oder ob wir beide dort nicht dabeisein werden - das werden wir in 17 Tagen wissen. Aber einen intoleranten Liberalismus, ich wiederhole: einen intoleranten Liberalismus darf es in Zukunft nicht geben. Gerade meine Partei ist weitgehend Opfer dieses intoleranten, doktrinären, angeblichen Liberalismus.
Dr. Rudolf Karl Krause ({0})
Nun aber zum Thema. Es liegt der Entwurf einer Verfassung der Europäischen Union vor. Ich glaube, daß dieser Entwurf die nationale Souveränität in einer Weise beeinträchtigt, wie sie von einigen Vorrednern hier abgelehnt wurde. Darin steht vielmehr etwas von einem Einheitsstaat Europa. Auf einige Dinge komme ich noch im einzelnen.
Es heißt in Art. 1: Die Union wird mit Mitteln ausgestattet. Ja, frage ich, durch wen? Welche Rechte haben die Völker, diese Mittel künftig selber demokratisch festzulegen?
Es steht hier, das Recht der Union habe Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten. Nein, ich meine - das haben einige Vorredner auch gesagt -, die volle Souveränität der Völker darf nicht aufgehoben werden. Hier steht aber etwas anderes. Es gehört wohl zu den parlamentarischen Sorgfaltspflichten, die zur Beratung vorliegenden Entwürfe auch zu beraten.
Zum nächsten Punkt: Art. 2, Vollbeschäftigung und Umweltschutz. Ja, das klingt sehr schön; aber bei offenen Handelsgrenzen, gleichem Zugang zur Technologie und ungleichen Produktionskosten wird es immer mehr Arbeitslosigkeit in Hochlohnländern geben, werden sich immer mehr unterschiedliche - auch gesetzlich festgelegte unterschiedliche - Produktionskosten zum Nachteil von Hochsozialländem auswirken.
Zum nächsten: Freie und friedliche Weltordnung. Das klingt ja sehr schön. Das klingt zu schön! Ich möchte dazu sagen: Nach dem Sieg der Anti-HitlerKoalition glaubten die Völker, es begänne jetzt die Zeit des Friedens. So ist es ja in den Deklarationen vorher auch gesagt worden. Dann hieß es, der Sowjetimperialismus sei schuld - teilweise ja. Jetzt ist der Sowjetimperialismus ein Wolf mit stumpfen Zähnen. Aber es wird gemordet auf dieser Welt; es gibt Völkermord wie kaum zuvor. Ich beziehe mich da auf die Ereignisse in Ruanda.
Ein weiteres zu Art. 2: Förderung der kulturellen und geistigen Vielfalt der Völker. Was wir hier erleben, ist eine gleichmacherische Amerikanisierung, ein Einheitsbrei von Pornographie und Gewaltverherrlichung.
Nun kann ich in fünf Minuten nicht nachholen, was in 170 Minuten an Aussagen zu diesem Entwurf versäumt wurde.
Nur noch ein Wort zu Art. 34: Die Mitgliedstaaten führen die Gesetze der Union aus. Das hatten wir in der DDR im demokratischen Zentralismus. Es darf nicht sein, daß die Gesetze und Verordnungen der Union, wie es anderswo steht, den nationalen Gesetzen vorgehen. Bisher waren der Bundestag und auch die Ausschüsse oft nur in eine Claqueurrolle gedrängt, wenn europäische Normen durchgesetzt werden sollten. Das ist auch hier in den letzten Wochen oft kritisiert worden.
Herr Kollege Krause, die Zeit ist um.
Die fünf Minuten sind um, ja, danke. - Ich möchte gern, daß die volle Souveränität der Völker und der von
ihnen demokratisch gewählten Parlamente auch in Zukunft fortbesteht. Das hat mit Extremismus wohl überhaupt nichts zu tun.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
- Auf diese Weise kommen auch Sie in das Protokoll.
Herr Kollege Dr. Ulrich Briefs, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa ist eine Realität. Es ist eine außerordentlich attraktive Realität, es ist aber auch eine bedrohte Realität. Bedroht wird diese Realität vor allem durch die Renationalisierungstendenzen in Deutschland und in einigen anderen europäischen Ländern, vorweg Italien.
Ich bin dem SPD-Kanzlerkandidaten - ich sage das als jemand, der Europa lebt, mit der Familie in den Niederlanden lebend, beruflich tätig in Paris und Bremen, politisch tätig hier und vor allem in Berlin und Ostdeutschland - für die klaren Worte zu dieser Gefahr für Europa dankbar. Europa ist und bleibt die Chance der Deutschen. Die Ewiggestrigen von extrem rechts, aber auch die Integrationsgegner in der neonationalen rechten Mitte - größerenteils inzwischen auch in der CDU/CSU - wollen uns diese einzigartige und einzige Chance nehmen.
Es muß alles getan werden, um den Prozeß der europäischen Integration weiter voranzutreiben. Ziel war es, ist es und wird es sein, daß an die Stelle der Nationalstaaten ein Bundesstaat und an die Stelle der Nationen mit ihrer Borniertheit und ihrer Aggressivität - wir Deutschen dabei übrigens immer weit an der Spitze - ein weltoffenes, ein hilfsbereites, ein auf sozialen Ausgleich bedachtes Europa tritt.
In diesem Europa wird man hoffentlich einmal auf die Zeit der Nationalstaaten so zurückblicken, wie wir heute auf die Zeit der Duodezfürsten oder die der mittelalterlichen Lehensfürstentümer zurückblicken. Europa ist eine Realität, die uns Lebensbedingungen gebracht hat, von denen wir noch in den 50er Jahren kaum träumen konnten.
Aber Europa hat auch seine großen und zum Teil wachsenden Probleme. Dazu zählt vor allem die Massenarbeitslosigkeit. 20 Millionen statistisch erfaßte Arbeitslose - in Wirklichkeit sind es noch erheblich mehr - sind derzeit in den zwölf Ländern der Europäischen Union auf der Suche nach Erwerbsarbeit, darunter schrecklich viele junge Menschen. Entsolidarisierung und soziale Ausgrenzung greifen um sich. Es ist deshalb richtig, die Beschäftigungsprobleme und die sozialen Probleme, die damit verbunden sind, ins Zentrum der weiteren Bemühungen um die europäische Einigung zu rücken.
Ich fand dazu übrigens in den Ausführungen des SPD-Kanzlerkandidaten weitaus mehr konkrete AnDr. Ulrich Briefs
sätze als in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers.
({0})
Der Beitrag des Kollegen Schäuble war schlicht und einfach bloße Polemik, bestenfalls - bei sehr wohlwollender Betrachtung - Vergangenheitsaufarbeitung, jedenfalls nichts Zukunftsweisendes.
Zur Vision Europa müssen aber auch zwei weitere Ziele gehören, die ebenfalls konkret ansprechbar sind und zum Teil sogar als soziale und ökonomische Realität existieren, nämlich erstens die Nutzung der hochentwickelten technologischen und industriellen Möglichkeiten Europas für die sogenannte Dritte Welt, insbesondere für Afrika und Lateinamerika, für deren heutige Situation die europäischen Länder eine besondere Verantwortung haben, als zweites die Schaffung einer alternativen und solidarischen Ökonomie, in der kleine und mittlere selbstverwaltete Betriebe vor allem sozial und ökologisch sinnvolle Produkte und Verfahren entwickeln, anwenden, produzieren und vermarkten.
Beides, die Nutzung der industriellen und technischen Kapazitäten in Europa z. B. zur Entwicklung und Produktion angepaßter technologischer und industrieller Systeme für die Dritte Welt und die Schaffung von kleinen, vor allem lokal und regional produzierenden und liefernden Betrieben in Europa, kann - allerdings nicht an Stelle, sondern in Ergänzung zu industrie- und technologiepolitischen Ansätzen - in den formellen Sektoren von Industrie und Wirtschaft erheblich zur Behebung der Massenarbeitslosigkeit in Europa beitragen. Auf diesem Wege ließen sich Millionen sehr sinnvolle Arbeitsplätze in Europa schaffen.
Für beides gibt es bereits vielfältige Ansätze. In Paris und Frankreich allgemein gibt es inzwischen ein solches Netz von Produktions- und Dienstleistungsbetrieben der alternativen und solidarischen Ökonomie. In Großbritannien, aber auch in Berlin gibt es inzwischen vielfältige Ansätze im Rahmen kommunaler Unternehmensförderungsprogramme. Es gibt die alte genossenschaftliche Tradition in Südeuropa. Auch daran muß angeknüpft werden. Hierin vor allem auch scheint mir ein wesentlicher Teil der Perspektive für die Europäische Union in der Auseinandersetzung mit der Arbeitslosigkeit zu liegen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lowack.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist eine reine Wahlkampffarce, vor allem voller aufgesetzter Selbstgefälligkeit eines immer rundlicher werdenden Sonnenkönigs. Dabei wird Europa immer unübersichtlicher und teurer, das Leistungsprinzip immer mehr ad absurdum geführt. Das Schlimmste aber ist die Ausklammerung des Souveräns in Deutschland. Von daher kommt die Staatsverdrossenheit, die längst eine Politikverdrossenheit ist. Die Menschen werden in ein Unbeteiligtsein hineingedrängt. Es ist die Passivierung des Souveräns.
Mit Maastricht wurde das Volk überfahren. Aus der etablierten Politik kommt immer wieder der Hinweis auf die Weimarer Zeit. Nur, meine Damen und Herren, nicht das Volk hat 1933 die Nationalsozialisten mit einer Mehrheit ausgestattet, es war der Reichstag, das Parlament. Der Hinweis darauf, daß es das Volk gewesen wäre, ist so jedenfalls nicht richtig. Es ist geradezu Zynismus, in diesem Zusammenhang auf Weimarer Verhältnisse hinzuweisen.
Die Wiedervereinigung wurde nur durch das Volk herbeigeführt, oft genug gegen entscheidenden Widerstand aus der Politik.
({0})
Aber gerade dieses Volk wird verdächtigt, zu blöd für grundsätzlich politische Entscheidungen zu sein. Gerade auch aus unseren Beitrittsdeutschen wurden systematisch inaktive Bürger gemacht; die Chance des Art. 146 Grundgesetz wurde nicht genutzt.
Die Deutschen sind wegen einer überheblichen Regierung das am schlechtesten informierte Volk in Europa, was Europa betrifft,
({1})
obwohl wir am meisten bezahlen; möglicherweise zahlen wir gerade deshalb am meisten. Wir werden künstlich dumm gehalten; die Abgeordneten leider oft auch.
({2})
Sonst wäre mir nicht verständlich, wie hier Art. 130 des Maastricht-Vertrages ratifiziert werden konnte, der im Deutschen überhaupt keinen Sinn gibt. Lest ihn euch einmal durch, damit ihr wißt, wovon ich spreche!
Ich meine nicht nur den Bundeskanzler, der auf die Frage nach Informationsautobahnen geantwortet hat, das stünde alles im Bundesverkehrswegeplan.
({3})
- So war es doch. Wir haben es am Fernseher gesehen.
Warum zahlen wir denn 93,3 Milliarden DM in den europäischen Strukturfonds? Um gerade einmal 27 Milliarden DM für die neuen Bundesländer herauszubekommen, obwohl sie europaweit das produktionsschwächste Gebiet mit der Hälfte des Bruttosozialprodukts in Griechenland sind? Wo findet sich eine Antwort auf den schleichenden Niedergang unserer Landwirtschaft, besonders auch in den alten Bundesländern?
Was ist mit einer Währungsunion, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der der kleine Moritz der deutschen Finanzpolitik im letzten August voller Stolz verkündet hat, die Anhebung der Bandbreiten auf 30 % sei ein durchschlagender Erfolg. Dabei wurde das Europäische Währungssystem gerade durch diese Entscheidung kaputtgemacht. Wie wollen Sie denn dann zur Währungsunion kommen? Warum sind die Deutschen am schlechtesten in den Gremien der Europäischen Union vertreten? Wir
werden doch nur belächelt und oft genug ausgenommen wie Weihnachtsgänse. Warum gibt es keine Mitentscheidung Deutschlands über Großprojekte in anderen europäischen Ländern, die in erster Linie wir finanzieren? Es sind wahnsinnige Projekte dabei.
Warum bezahlen wir für die Einrichtung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt ungefähr 50 Milliarden DM Währungsreserven, obwohl die Deutsche Bundesbank längst die Funktion einer Europäischen Zentralbank hat?
Das Geschwätz von der ewigen Dankbarkeit der Deutschen für die Europäische Gemeinschaft ist doch nicht mehr anzuhören. Wir sind Mitbegründer, Schöpfer der Europäischen Gemeinschaft und sollten uns nicht ständig vorhalten lassen, dafür dankbar sein zu müssen.
Um die schwere Strukturkrise unserer Politik in Deutschland zu überwinden, brauchen wir ein Europa der Freiheit, aber auch der Gerechtigkeit für Deutschland. Wir brauchen eine Union freier Bürger - mit Bürgerrechten, nicht mit Regierungsrechten. Mit einem Wort: Wir brauchen endlich eine Freie-BürgerUnion.
Danke.
({4})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Ulrich Irmer das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Meine Kollegen, es darf hier am Schluß der Debatte nicht der Eindruck stehenbleiben, als sei unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein reines Zuschußgeschäft. Dieses ständige Gerede vom „Nettozahler" ist nämlich grundfalsch.
Erstens will ich sagen: Daß wir Nettozahler sind, ist beabsichtigt. So wie wir den Länderfinanzausgleich haben, so wie Bayern in der Nachkriegszeit von den Zahlungen der anderen Bundesländer profitierte und das Saarland heute davon profitiert, so müssen wir auch in der Europäischen Union solidarisch sein, den unterentwickelten Regionen auf die Füße helfen, damit dort Kaufkraft entsteht, damit dort Märkte entstehen, auf denen wir als Deutsche auch in Zukunft unsere Produkte vertreiben können.
({0})
Zweitens. Wer hier vom „Nettozahler" spricht, der hat nur den sehr begrenzten Bereich des Haushalts der Europäischen Union im Auge. Er verschweigt, was wir an Arbeitsplätzen, an materiellen Gewinnen aus unserer Mitgliedschaft herausziehen. Wären wir nicht Mitglied, würde die Zahl der Arbeitslosen noch um mehrere Millionen hinaufkatapultiert werden.
Ich vergleiche dies mit der Milchmädchenrechnung eines Bürgermeisters einer Fremdenverkehrsgemeinde, der feststellen will, was der Fremdenverkehr seiner Gemeinde bringt, und dann auf die eine Seite schreibt, was er für Fremdenverkehrswerbung und für den Zweitschwan, den er angeschafft hat, und für ein paar Lauben im Kurpark ausgegeben hat, das addiert und dann dagegenrechnet, was er an Kurtaxe eingenommen hat. Für seinen Gemeindehaushalt ist das natürlich ein Zuschußgeschäft, so daß er sagen müßte: Dann schaffen wir den Fremdenverkehr ab!
Ähnliche Milchmädchenrechnungen werden hier aufgemacht. Wir sind zwar ganz gewollt Nettozahler, weil wir den ärmeren Regionen helfen wollen, aber wir sind unter dem Strich wirtschaftlich auch die Hauptprofiteure von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, von den außen- und sicherheitspolitischen Konsequenzen ganz zu schweigen.
Danke.
({1})
Kurze Replik.
Lieber Kollege Ulrich Irmer, ich habe noch nicht einmal von „Nettozahlern" gesprochen, aber ich halte es trotzdem für eine bodenlose Sauerei, daß wir heute in Europa weit über die Wirtschaftskraft der Deutschen, die Maßstab der Einzahlung ist -
Lieber Kollege Lowack, bitte befleißigen Sie sich einer parlamentarischen Sprache!
Ich habe nicht gesagt, daß die Äußerung des Kollegen Irmer eine Sauerei ist, sondern --
Das ist überhaupt eine Vokabel, die wir hier nicht benutzen wollen.
Ich werde mich bemühen, das nächstemal etwas weniger Emotion zu zeigen, aber sie war wohl doch der Sache ein kleines bißchen angemessen.
Ulli Irmer, ich möchte nur darauf hinweisen, daß die ungeheure Verschuldung, die wir u. a. auch durch die überhöhten Beiträge zur Europäischen Gemeinschaft eingehen müssen, die Bundesrepublik Deutschland bereits heute so weit gebracht hat, daß wir die Voraussetzungen für die Europäische Währungsunion wegen der Verschuldung nicht mehr erfüllen können. Das kann doch nicht wahr sein, das kann doch nicht Ziel der deutschen Politik sein.
Ich schließe die Aussprache.
({0})
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Verfassung der Europäischen Union. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7074 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Einführung eines
Vizepräsident Hans Klein
Europäischen Wirtschaftsausschusses auf Drucksache 12/4620. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/6695, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4620 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer lehnt ihn ab? - Wer enthält sich seiner Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 10 d: Antrag der Fraktion der SPD zu einem Weißbuch über die Kosten der Nichtverwirklichung einer europäischen Umweltgemeinschaft. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/6439 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht Einverständnis des Hauses? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 10e: Antrag der Fraktion der SPD zu Anforderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7276 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Besteht auch damit Einverständnis? - Das ist der Fall. Darm ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 10f: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage über die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf Umwelt- und Verbraucherschutz, Drucksache 12/6724. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 12/4769 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 10g: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Weiterentwicklung und Umsetzung eines umweltpolitischen Aktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaft, Drucksache 12/6741. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4001 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 10h: Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu Forderungen an die künftige Europapolitik der Bundesregierung, Drucksache 12/7408. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6282 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 4: Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zu Anforderungen an die Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/7687 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Besteht Einverständnis des Hauses? - Dies ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Reform des Weinrechts
- Drucksachen 12/6060, 12/7205, 12/7478, 12/7721 Berichterstattung:
Abgeordneter Johannes Gerster ({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7721? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur einkommensteuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen und zur Änderung anderer gesetzlicher Vorschriften ({4})
- Drucksachen 12/6476, 12/7427, 12/7664, 12/7722 Berichterstattung:
Abgeordneter Dankward Buwitt
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Ebenfalls nicht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsaussschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7722? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 7:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz über Umweltstatistiken
({6})
- Drucksachen 12/6754, 12/7397, 12/7669, 12/7723 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Herr Abgeordneter Dr. Heribert Blens, wünschen Sie das Wort zur Berichterstattung? - Nein. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Ebenfalls nicht.
Vizepräsident Hans Klein
Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich habe wieder den Text vorzutragen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen hat, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7723? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Zusatzpunkt 8:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({7}) zu dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 12/5890, 12/6811, 12/7123, 12/7730 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker
({8})
- Herr Kollege Struck, ich tue mich so schwer beim Vorlesen dieser komplizierten Texte.
({9})
Daß sich die Geschäftsführer nie einigen können!
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Paul Hoffacker. Herr Kollege Hoffacker, wünschen Sie das Wort? - Nein. Wünscht jemand das Wort zu Erklärungen? - Auch nicht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsauschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7730? - Gegenprobe! ({10})
Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, erschweren Sie doch bitte dem amtierenden Präsidenten nicht die ohnehin schwere Aufgabe.
({11})
Ich rufe Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({12}) zum Zweiten Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht
({13})
- Drucksachen 12/4994, 12/7048, 12/7840, 12/7731 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Herr Kollege Dr. Struck, wünschen Sie das Wort zur Berichterstattung?
({14})
Wünscht jemand das Wort zur Abgabe einer Erklärung? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/7731? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußbestimmung ist angenommen.
Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Dr. Rüttgers.
Zur Geschäftsordnung: Herr Präsident, in Übereinstimmung mit den anderen Fraktionen möchte ich anregen, den Punkt 12, bei dem alle Reden zu Protokoll gegeben werden - was noch zu beschließen sein dürfte - bereits jetzt zu behandeln, so daß wir die Abstimmung jetzt durchführen und dann in Ruhe den wichtigeren Tagesordnungspunkt 11 behandeln können.
({0})
Wünscht jemand zu diesem Antrag das Wort?
({0})
- Dann stelle ich den Antrag zur Abstimmung. Wer ist für das Vorziehen des Tagesordnungspunktes 12, Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 und Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit? - Danke.
Dann rufe ich auf:
12. - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994 ({1})
- Drucksache 12/7565 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und zur Änderung anderer Gesetze
- Drucksache 12/7563 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Vizepräsident Hans Klein
Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes
- Drucksache 12/7564 - ({2})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 12/7688 -
Berichterstattung: Abgeordneter Volker Kauder
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/7690 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Dr. Gero Pfennig
Ina Albowitz
Wie ich eben höre, sind die Reden alle zu Protokoll gegeben worden. Ich frage das Haus: Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Da eine Aussprache nicht stattfindet, kann ich sofort zur Abstimmung kommen, und zwar in der Reihenfolge der Beschlußempfehlung.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes, Drucksache 12/7564. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7688 Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert zu übernehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Beschäftigungsförderungsgesetzes 1994, Drucksache 12/7565. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 12/7688, ebenfalls unter Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Alle, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte von ihren Plätzen erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, Drucksachen 12/7563 und 12/7688 Nr. 2. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Dr. Uwe Jens, Angelika Barbe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wirtschaftsrechts für mehr Transparenz und Wettbewerb
- Drucksache 12/7350 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Darm ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die spektakulären Unternehmenszusammenbrüche der jüngsten Zeit haben Schlagzeilen gemacht, Vertrauen erschüttert und Schwachstellen schonungslos offengelegt.
Im Mittelpunkt der Kritik standen in der Diskussion um Metallgesellschaft und Schneider die Banken, denen schließlich gar eine Mehrheit in der Bevölkerung die Schuld an der Schneider-Pleite gab. Da wurde im Eifer des Mediengefechtes mitunter weit über das Ziel hinausgeschossen. Wir haben in Deutschland zum Glück keine Bankenkrise, sondern ein ausgesprochen leistungsfähiges und insgesamt bewährtes Universalbankensystem.
Manche Einzelfallkritik aus den Reihen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen wäre vermutlich leiser ausgefallen, wenn den Herren bewußt gewesen wäre, daß ein bundeseigenes Kreditinstitut ausgerechnet im Sommer 1992 begann, Herrn Schneider dreistellige Millionenbeträge zu leihen - mit Zustimmung des Verwaltungsrates, in dem Vertreter des Bundesfinanzministeriums und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sitzen. Sie gaben Kredite, als die Deutsche Bank bereits seit einem halben Jahr versuchte, aus dem Schneider zu kommen. Die DSL Bank weist nun für 1993, ein Jahr, in dem andere Institute Rekordgewinne erwirtschaftet haben, mit Mühe höchstens ein ausgeglichenes Ergebnis aus.
Statt flotter Sprüche, wie wir sie aus dem Hause Rexrodt kennen und die nur der Ablenkung von eigener Untätigkeit dienen sollen, wäre es höchste Zeit, Mängel im Wirtschaftsrecht zu beheben, Wettbewerbsbeschränkungen zu beseitigen, Transparenz, Kontrolle und Haftung zu verbessern.
({0})
Wir legen auf der Basis früherer Anträge zur Begrenzung der Bankenmacht nun einen Gesetzentwurf vor, der eine umfassende Novellierung des Wirtschaftsrechts vorsieht.
Die Bedeutung der Notwendigkeit wurde wenige Tage nach der Einbringung bereits von den sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstituten in Deutschland bestätigt. Die Institute kritisieren in ihrem Frühjahrsgutachten wörtlich „vom Staat geschaffene oder geduldete Monopole und Kartelle" in Teilen der Finanzwirtschaft. Auch nach Auffassung der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute liegen hier - so wörtlich - „dringend zu lösende Aufgaben für die Wettbewerbspolitik". Doch statt dessen fabuliert das zuständige Ministerium von der Bedeutung des Rabattgesetzes oder des Ladenschlusses für den Standort Deutschland. Im Interesse des Finanzplatzes Deutschland und damit der Finanzierungsbedingungen der deutschen Wirtschaft sollte sich Herr Rexrodt lieber um die Entflechtung der Einflußkumulation in der Finanzwirtschaft kümmern.
Die von CDU/CSU und F.D.P. geduldete Beschränkung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs benachteiligt besonders kleine und mittlere Unternehmen, Arbeitnehmer und Verbraucher. Großbanken dagegen erlangen durch die Einflußkumulation von Kreditvergabe, Anteilsbesitz, Aufsichtsratsmandaten und Depotstimmrecht eine Machtposition, die gesellschaftsrechtlich wie ordnungspolitisch ausgesprochen problematisch ist. Sie bilden den Kern wechselseitig verflochtener Großunternehmen, die zusammen im Ausland bereits als „Deutschland AG" bezeichnet werden.
Die wechselseitigen Ring- und Überkreuzverflechtungen der wichtigsten deutschen Finanz- und Industrieunternehmen haben zentrale Bedeutung für die Beschränkung des Wettbewerbs, der Unternehmenskontrolle und für die Machtfülle von Banken und Versicherungen. Ein Beispiel: Die Allianz ist an der Münchener Rückversicherungs AG mit 25 % beteiligt, die Münchener Rückversicherung umgekehrt an der Allianz AG ebenfalls mit 25 %. In das gegenseitige Einflußgeflecht wird nun beispielsweise die Dresdner Bank eingewoben, die zu rund 40 % - direkt oder indirekt - von Allianz und Münchener Rückversicherung kontrolliert wird und selbst jeweils 10 % an diesen Gesellschaften hält. Daneben ist die Allianz direkt mit 10 % an der Deutschen Bank beteiligt, während die Deutsche Bank 10 % an der Allianz und 10 % an der Münchener Rückversicherung hält. Gleichzeitig besitzt die Allianz 25 % an der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, die wiederum an Allianz und Münchener Rückversicherung beteiligt ist - und so weiter, und so weiter.
Die sieben Kerngesellschaften des privaten Finanzsektors haben sich gegen die Kontrollmechanismen des Kapitalmarktes auf Grund von Beteiligungsverflechtungen und Depotstimmen vollständig abgeschirmt. Darüber hinaus kontrolliert diese Kerngruppe bei den meisten großen, nicht unmittelbar konzernabhängigen Aktiengesellschaften entweder über Beteiligungen oder durch Depotstimmen die Mehrheit.
Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Wo Wettbewerb um Führungspositionen, Kontrolle und Haftung für Fehler praktisch ausgeschlossen sind, werden Kreativität und Innovation nicht gefördert, im Gegenteil. Kein Wunder, daß wir uns in Deutschland in einer Innovationskrise befinden. So bestätigte in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses zu Bankenmacht und Wettbewerb der Präsident des Bundeskartellamtes ausdrücklich, daß der starke Einfluß der Banken auf die deutsche Wirtschaft tendenziell innovations-feindlich wirke. Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir uns nun wirklich nicht leisten, wenn wir auf den Märkten der Zukunft konkurrenzfähig bleiben bzw. überhaupt erst wieder werden wollen.
Hinzu kommt der Imageschaden des Finanzplatzes Deutschland. Vergleichen Sie doch einmal die Bedeutung des Finanzplatzes London in Relation zum Industriestandort Großbritannien mit der Frankfurts in Relation zum Industriestandort Bundesrepublik. Da trennen uns Welten! Ausländische Banker sagen ja offen, daß sie in Frankfurt „den freien Wettbewerb und faire Bedingungen für ausländische Marktteilnehmer vermissen", und sie bewerten das Risiko für Außenstehende am deutschen Aktienmarkt deutlich höher als anderswo. Eine wesentliche Ursache sehen ausländische Banker in der engen Verflechtung der Banken mit den wichtigsten Käufern von Aktien: Investmentfonds, Versicherungen und Industrieunternehmen. Die Transparenz sei erheblich erschwert, Marktabsprachen und Manipulationen seien Tür und Tor geöffnet.
Der amerikanische Aktionärsvertreter Joseph Lufkin, der mit seiner Gesellschaft der weltweit größte Anbieter professioneller Unternehmenskontrolle ist und ein stimmberechtigtes Kapital von rund 60 Milliarden DM vertritt, sieht Deutschlands Finanzmärkte heute an der Schwelle zum 19. Jahrhundert stehengeblieben. Ein wichtiger Grund ist nach seiner Auffassung „der große Einfluß der Banken". „Banken sind", so Lufkin weiter, „exzellente Kreditgeber, wunderbare Devisenhändler, ausgezeichnete Wertpapiermakler und vieles mehr, aber eben keine guten Aktionäre. " Der Dresdner-Bank-Vorstand Gerhard Eberstadt scheint dies aufzunehmen, wenn er als „schlichtes Erfolgsrezept" verkündet, jeder solle sich auf das Gebiet konzentrieren, das er am besten beherrscht. Das bedeutet: Auch der Kreditwirtschaft wäre letztlich mit einer klareren Aufgabentrennung gedient.
Wir wollen deshalb, daß Banken und Versicherungen ihre branchenfremden Beteiligungen auf maximal 5 % am jeweiligen Unternehmen reduzieren. Eine Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften soll - wegen der vielfältigen Interessenkollisionen, die auch die Anhörung beispielhaft demonstriert hat - nicht mehr möglich sein. Auch das sogenannte Depotstimmrecht wollen wir abschaffen, da es sich nicht bewährt hat. Krasse Fälle wie jüngst bei der DaimlerBenz AG, in deren Hauptversammlung die Kreditinstitute eine völlige aktionärsfeindliche Entscheidung zum Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren durchgesetzt haben, machen die Zurückdrängung des Bankeneinflusses erforderlich. - Sie lachen: 800 Millionen DM Steuervorteil für die Deutsche Bank mögen für Herrn
Kopper nur „peanuts" gewesen sein; für die übrigen Aktionäre aber ging es um einige Milliarden DM, im Durchschnitt um mehr als 300 DM pro Aktie. - Die Ergebnisse der Anhörung zeigen, daß es durchaus möglich ist, das bisher bereits bei den eigenen Hauptversammlungen der Depotbanken praktizierte Verfahren der Einzelweisungen generell vorzuschreiben.
Für die gesamte Wirtschaft soll die Begrenzung auf maximal fünf Aufsichtsratsmandate pro Person gelten. In einer alten Scherzfrage aus dem Hause der größten deutschen Bank heißt es zynisch, aber zutreffend: Was ist der Unterschied zwischen einer Hundehütte und einem Aufsichtsrat? - Die Hundehütte ist für den Hund, der Aufsichtsrat für die Katz'.
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Gerade das Versagen der Kontrolleure mit allen schlimmen Folgen für die Unternehmen, ihre Arbeitnehmer und Eigentümer ist Anlaß für rasches Handeln. Entsprechende Erklärungen höre ich immer wieder von den geschätzten Kollegen Ost und Lambsdorff, ebenso kürzlich vom Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung.
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- In den Beratungen des Gesetzentwurfs können sie demonstrieren, ob ihr Engagement über die Abgabe mutiger Presseerklärungen hinausgeht.
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Die Bankenvertreter geben inzwischen selbst zu, daß sie für die bisher zulässige und mitunter übliche Zahl von Aufsichtsratssitzen „nicht genug Zeit" haben, so Hilmar Kopper. Eine entsprechende gesetzliche Regelung würde Kopper „mit großer Gelassenheit aufnehmen" . Für andere, denke ich, gilt das ebenso.
Die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in untereinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen wollen wir generell untersagen, die Fusionsaufgreifkriterien den aktuellen Hauptversammlungspräsenzen anpassen. Es ist ja kein Zufall, daß die Deutsche Bank ihren Anteil an Daimler-Benz genau zu dem Zeitpunkt unter die Sperrminorität gedrückt hat, als die Stuttgarter als erstes deutsches Unternehmen ihre Aktie an der Wall Street einführten. Nach amerikanischem Verständnis gilt nämlich schon eine 25%ige Beteiligung als controlling interest.
Wechselseitige Beteiligungen, die nur der Abschirmung vor Kontrolle und Haftung dienen, darf es nicht mehr geben. Stimmrechte aus solchen Verflechtungen dürfen nicht mehr ausgeübt werden.
Generell verbessert werden soll die Transparenz durch erweiterte Offenlegungspflichten. Das beginnt mit den Bezügen jedes einzelnen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds. Das wird, nebenbei bemerkt, die so beliebte öffentliche Debatte darüber, ob Politiker ihr Geld wert sind, angesichts der nicht immer grandiosen Leistungen des deutschen Topmanagements sicher beleben.
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Über die Bezüge hinaus sollen auch begünstigende Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern offengelegt und von der Hauptversammlung genehmigt werden. Beteiligungen sind ebenso auszuweisen wie Spenden jeder Art.
Wir wollen den wirtschaftlichen Verein beseitigen. Denn hinter dieser Rechtsform verbergen sich oft profitable Unternehmen wie Automobilclubs oder Sekten. Auch für diese Unternehmen müssen die allgemeinen Transparenzvorschriften gelten. Darüber hinaus sollen die Rechte der Mitglieder praxisgerecht gestärkt werden.
Wo Fehler gemacht werden, sollen die Verantwortlichen auch dazu stehen und gegebenenfalls die Konsequenzen tragen. Es ist geradezu grotesk, zu beobachten, wie Manager an ihren Sesseln kleben, während manche Politiker - ich denke dabei u. a. an Jürgen W. Möllemann, dessen wirtschaftspolitischen Sachverstand wir im Amt des Bundeswirtschaftsministers mittlerweile schmerzlich vermissen - wegen mitunter vergleichsweise lächerlicher Anlässe zurücktreten. Wie formulierte schon Abs:
Es ist leichter, eine Sau am eingeseiften Schwanz festzuhalten, als einen Vorstand oder Aufsichtsrat haftbar zu machen.
Es wird höchste Zeit, daß wir das ändern. Es kann auch in der Wirtschaft nicht nach dem Prinzip weitergehen: Die Kleinen henkt man, die Großen läßt man laufen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit unserem Gesetzentwurf bietet sich die Chance zur Behebung eklatanter Mißstände und zur nachhaltigen Stärkung des Standorts Deutschland. Die F.D.P. bezeichnet sich neuerdings ganz offen als Wirtschaftspartei. Da am 16. Oktober nicht nach Kapital, sondern demokratisch nach Köpfen abgestimmt wird, wird den Wirtschaftsliberalen die reine Vertretung des Großkapitals kaum ausreichen. Wenn Sie die fortgesetzte Benachteiligung des Mittelstands aus dem Parlament fegt und die Union ihre Wettbewerbsbehinderungspolitik aus der Opposition heraus betreibt, soll es mir recht sein. Spätestens dann werden wir die konkreten Maßnahmen anpacken, für die Sie im LuftblasenAktionismus nur Lippenbekenntnisse übrig haben.
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Meine Damen und Herren, die Zeit der Nachtwächter-Wirtschaftspolitik ist vorbei. Die können wir uns in Deutschland nicht mehr leisten, denn sie kommt Arbeitnehmer, kleine und mittlere Unternehmen und Verbraucher teuer zu stehen.
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Herr Kollege Gunnar Uldall, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit diesem Antrag versucht die SPD erneut, die Banken gleichzusetzen mit dunklen Mächten, die auf geheimnisvolle Weise die
eigentlichen Machtträger in Staat und Gesellschaft sind.
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Die Herrschaft des Kapitals ist ungebrochen, das Kapital regiert über ein eigenes Netz neben den politischen Strukturen. - Das ist das Bild, das die SPD über den Finanzplatz Deutschland zeichnet. Diese Vorstellungen sind so alt wie der Sozialismus und genausowenig richtig wie der Sozialismus, Herr Bury.
Der von der SPD vorgelegte Entwurf eines Gesetzes für mehr Transparenz und Wettbewerb ist politisch zum Teil verfehlt und enthält mehrere Punkte, die längst geltendes Recht sind. Der Finanzplatz Deutschland hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt, gerade wegen der großen Stabilität im Bankenrecht. Ziel unserer Politik muß es deswegen sein, auch in Zukunft Kontinuität zu wahren.
({1})
Mit der Anhörung, die von Herrn Bury zitiert wurde, sollte insbesondere herausgefunden werden, ob und wo sich Mißbrauchssituationen abzeichnen. In einzelnen Bereichen ergibt sich gesetzgeberischer Handlungsbedarf; das ist richtig. Diesen hat die Bundesregierung erkannt. Diese Erkenntnis setzt sie konsequent um. Ich nenne als Beispiele das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, die Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und die KWG-Novelle. Gerade mit diesen Gesetzen werden nicht nur Insiderregelungen erheblich verschärft und konkretisiert, sondern wird verstärkt der Forderung nach größerer Transparenz Rechnung getragen.
Der SPD-Entwurf enthält kaum neue Aspekte. Die SPD versucht lediglich, ihr altes Lieblingsthema Bankenmacht populistisch wieder aufzuwärmen und den sehr wichtigen Finanzsektor für Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen.
Im Jahre 1989 hat der Bundestag einen fast gleichen Antrag abgelehnt. Im April 1993, also vor 13 Monaten, wurde hier ein fast gleicher Antrag der SPD beraten. Ich habe damals zu diesem Thema gesprochen. Die Einlassungen, die man jetzt zu diesem Thema hört, sind im Prinzip alle gleichlautend. Deswegen kann ich nur sagen: Es wäre leichter gewesen, Herr Kollege Jens, wenn Sie auf Ihre Forderungen verwiesen hätten, die Sie im April 1993 aufgestellt haben, statt Herrn Bury das hier alles noch einmal vortragen zu lassen.
({2})
- Das war ein sehr guter Zwischenruf, Herr Kollege.
Inhaltlich greift der vorliegende Entwurf massiv in das über Jahrzehnte gewachsene Konzernrecht ein. Er enthält gravierende und durch nichts zu rechtfertigende Veränderungen des Bilanzrechts sowie des Aktienrechts. Er konterkariert das Bankenaufsichtsrecht.
Wenn in Deutschland über das Thema der Überkreuzverflechtungen gesprochen wird, dann befinden sich nur die großen deutschen Privatbanken und auch die großen Versicherungen wie die Münchener Rück und die Allianz - Herr Bury hat sie soeben erwähnt - im Visier. Tatsächlich müssen wir aber festhalten, daß die privaten Banken - und das sind wesentlich mehr als nur die Großbanken - in Deutschland einen Marktanteil von nur 30 bis 35 % repräsentieren. Die Sparkassen und die Landesbanken teilen sich hingegen unter dem Schutz der öffentlichen Hand über 50 % des Marktes.
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Es gibt nur wenige Branchen in Deutschland, in denen der Staat einen Marktanteil von über der Hälfte direkt oder indirekt beeinflußt.
Die Überkreuzverflechtungen bestehen also nicht auf dem gesamten Kreditmarkt, sondern nur auf einem Teil des Finanzmarkts. Überkreuzverflechtungen müssen dann unsere besondere Beachtung finden, wenn von diesen eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs ausgeht. Keiner - auch nicht der Antragsteller - wird aber behaupten wollen, daß der Wettbewerb unter den Privatbanken eingeengt wäre. Wenn dort der Wettbewerb ausgeschaltet wäre, würden Landesbanken und Sparkassen diese Schwäche natürlich zu ihrem Vorteil nutzen. Deswegen herrscht unter Banken, Sparkassen, Landesbanken, genossenschaftlichen Banken ein scharfer Konkurrenzdruck. 35 000 Zweigstellen konkurrieren um die Kunden.
Die magische Grenze setzt die SPD bei einer Beteiligungshöhe von 3 % an und verstreut die Regelung dafür - mehr oder weniger zufällig - auf verschiedene Paragraphen. Ihre Absicht, durch eine vollständige Neugestaltung des § 19 des Aktiengesetzes ein Stimmrechtsverbot für wechselseitig beteiligte Unternehmen einzuführen und diese Idee dann auch noch in Vorschriften des Konzernrechts zu verankern, ist systemwidrig. Die Forderung, im Anhang der Bilanz Beteiligungen ab einer Höhe von 3 % auszuweisen und nicht - wie bisher - ab einer Höhe von 25 % sogar von 5 %, wie im Zuge des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes vorgesehen, ist übertrieben.
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Mit einer - auch wechselseitigen - Beteiligung von 3 % läßt sich noch kein nennenswerter Einfluß auf eine Gesellschaft ausüben. Sie erfassen bei dieser Schwelle nicht etwa strukturell bedeutsame Beteiligungen, sondern bereits die reinen Finanzbeteiligungen. Mit 3 % können Sie keinen Einfluß auf die Unternehmenspolitik ausüben, und auch 5 % oder 10 % begründen noch keine Abhängigkeit.
Durch die in der vergangenen Woche verabschiedete Novellierung des Versicherungsaufsichtsgesetzes wird auch für die Versicherungen der Beteiligungsspielraum eingeengt. Zukünftig sind von den Versicherungen strengere Regeln zu beachten, d. h., es dürfen Beteiligungen faktisch nur noch bis zur Höhe von ca. 4 % der Eigenmittel eingegangen werden. Da Beteiligungen an allen Unternehmen, die zu einem Konzern gehören, zusammengefaßt werden, ergibt sich eine weitere Einengung der Beteiligungsmöglichkeiten für die Versicherungen.
Ich komme zu einem weiteren Aspekt, der angesprochen wurde, nämlich dem Anteilsbesitz der Banken. Dieser hat bei weitem nicht die Bedeutung, die ihm in der öffentlichen Diskussion beigemessen wird. Die Beteiligungen an Nichtbanken sind in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Waren im Jahr 1976 die zehn größten privaten Kreditinstitute an allen deutschen Kapitalgesellschaften noch mit 1,3 % an deren Gesamtkapital beteiligt, so waren es zehn Jahre später, im Jahr 1986, nur noch 0,7 %. Seitdem ist der Anteilsbesitz noch weiter zurückgegangen. Im Oktober des vergangenen Jahres waren es nur noch 0,5 % des Kapitals aller Kapitalgesellschaften. Die Einflußmöglichkeiten der Banken auf die Nichtbanken werden also kräftig überschätzt.
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- Ich komme gleich auf das Depotstimmrecht. Warten Sie ein paar Minuten ab und gedulden Sie sich! Aus diesem Zwischenruf schließe ich zumindest, daß Sie gegen diese Zahlen ernsthaft nichts einwenden können.
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Der soeben geschilderte Rückgang betraf vor allem Unternehmen, an denen die Banken zuvor mit über 25 % beteiligt waren. Das ist die Schwelle, ab der sie auf die Gestaltung der Geschäfte strukturell Einfluß nehmen können. Bemerkenswert ist zusätzlich, daß die Anzahl der Beteiligungen gestiegen ist, d. h., die durchschnittliche Beteiligung selber ist zurückgegangen, was vor allem auf die Unterstützungsmaßnahmen im Zuge der deutschen Einheit zurückzuführen ist. Es darf auch nicht vergessen werden, daß von der Politik geradezu gefordert wird, daß sich die Kreditwirtschaft zusätzlich mit 1 Milliarde DM an den Unternehmen in Ostdeutschland beteiligt.
Noch einmal eine interessante Zahl: Der Nominalwert der Beteiligungen der zehn größten Banken erreichte im Jahr 1993 2,3 Milliarden DM. Dies ist ungefähr nur Dreiviertel des Nominalkapitals, wie es eine große Publikumsgesellschaft, z. B. die BASF, hat.
Einige Formen der Beteiligung sollen auch nach Ihrem Entwurf zukünftig erlaubt sein. Der Bundesverband deutscher Banken hat in einer Umfrage die Motive für den Beteiligungserwerb ermittelt. Der reine Anlageerwerb ist die ganz große Ausnahme. Deutlich überwiegen für die Beteiligung die Motive, die auch nach Vorstellung der SPD in Zukunft erlaubt sein sollen.
Seit 1986 wurden von den zehn größten Privatbanken 17 Unternehmen zu Kapitalanlagezwecken erworben -17 Unternehmen seit 1986! Davon betrug die Beteiligung bei nur vier Unternehmen mehr als 50 % - und das in einem Zeitraum von acht Jahren. Ist dafür ein gesetzgeberisches Handeln tatsächlich erforderlich? Ich meine, daß diese Zahlen unnötige Restriktionen nicht rechtfertigen. Unser Interesse muß es sein, den Kreditinstituten den erforderlichen Handlungsspielraum auch in Zukunft zu geben.
Interessant ist allerdings, daß bei einem Kreditinstitut das Beteiligungsimperium zielstrebig und kräftig
ausgebaut wird, nämlich bei der WestLB. Diese befindet sich bekanntermaßen im politischen Einflußbereich der Antragsteller. Ich würde es für sinnvoll halten, Ihre Vorschläge zunächst über die nordrhein-westfälische Landesregierung im eigenen Haus auszuprobieren. Erst wenn diese Vorschläge dort eine positive Resonanz gefunden haben, sollten Sie Ihren Antrag zum vierten oder fünften Male im Bundestag einbringen.
Das nächste Thema ist das sogenannte Depot, Stimmrecht der Banken, das in Wahrheit ein Vollmachtstimmrecht ist, wobei die Vollmacht eben für 15 Monate durch den Aktionär erteilt wird. Künftig wollen Sie die Ausübung des Vollmachtstimmrechts von der jeweiligen Erteilung einer Einzelvollmacht abhängig machen.
Wir lehnen dies wegen des nicht zu bewältigenden Verwaltungsaufwandes bei den Banken und den Anlegern ab. Gerade Kleinanleger werden ihr Stimmrecht künftig nicht mehr ausüben. Die stets wiederholte Sorge der SPD hinsichtlich des etwaigen Mißbrauchs des Vollmachtstimmrechts ist zu relativieren; denn das Kreditinstitut ist dem Aktionär zur Mitteilung über das geplante Abstimmungsverhalten verpflichtet.
Mit Sorge muß uns die rückläufige Präsenz auf den Hauptversammlungen erfüllen. Seit Mitte der 70er Jahre ist bei allen großen Publikumsgesellschaften die Teilnahme an den Hauptversammlungen kontinuierlich zurückgegangen. Einige Beispiele: 1975 lag die Präsenz bei Daimler-Benz bei 93 %, 1992 nur noch bei 79 %. Ähnliche Werte gelten für die Firmen Bayer und BASF.
Folgt man Ihren Vorstellungen und schränkt das Depotstimmrecht weiter ein, dann wird die Beteiligung an den Hauptversammlungen noch weiter zurückgehen.
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Dieses ist dann die Chance für kleine Aktionärsgruppen, einen überproportionalen Einfluß zu nehmen. Schon vor einem Jahr, als wir hier den gleichlautenden SPD-Antrag berieten, habe ich die Frage gestellt, wie wohl eine Hauptversammlung bei Bayer ablaufen würde, wenn man das Depotstimmrecht abschaffte. Es bestünde die Gefahr, daß dann Kadergruppen - z. B. von Umweltverbänden - organisiert würden, die geschlossen in die Hauptversammlung marschierten und dort ihre Beschlüsse durchsetzen würden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Uldall, die der Kollege Bury gern stellen würde?
Eine Sekunde bitte, dann gerne. Gestatten Sie bitte vorher noch einen Satz. - Dieses würde dann zum Nachteil des Unternehmens und der ganz großen Zahl der Aktionäre, die dann nicht vertreten wären, geschehen. Deswegen wiederhole ich: Wenn wir die Aktie stärken wollen, dürfen wir um Gottes willen nicht das Depotstimmrecht aufgeben.
({0})
Bitte, Herr Bury.
Herr Kollege Uldall, ist Ihnen bekannt, daß die von uns vorgeschlagene Regelung heute bereits bei den Hauptversammlungen der Depotbanken gilt und daß die Präsenzen dort nicht geringer sind als bei den von Ihnen genannten Gesellschaften? Wenn Ihnen das nicht bewußt war, würden Sie dann Ihre Ausführungen dahin gehend korrigieren?
Das ist mir selbstverständlich bekannt, Herr Kollege. Auf der anderen Seite empfehle ich einmal, daß Sie in Ihrer eigenen Begründung nachlesen, wie sich die Präsenz entwikkelt hat. Wenn Sie jetzt von dieser Präsenz noch einmal die Stimmrechte abziehen, die durch das Depotstimmrecht oder das Vollmachtstimmrecht abgezogen werden, dann haben Sie natürlich noch weniger Beteiligung auf den Hauptversammlungen.
Wenn dann dieser Fall eintritt, den ich soeben geschildert habe, daß ein bestimmtes Stimmverhalten von kleineren Aktionärsgruppen organisiert wird, dann beeinträchtigt das die Interessen der übrigen Aktionäre, die sich nicht vertreten lassen können, und verschafft dem Inhaber von kleineren Aktienpaketen überproportional starken Einfluß. Deswegen bleibe ich bei meiner Aussage: Wenn wir die Aktie stärken wollen, dürfen wir nicht das Depotstimmrecht aufgeben.
Die SPD-Forderung, im Anhang zur Bilanz die Gesamtbezüge eines jeden einzelnen Vorstandsmitgliedes, jedes einzelnen Mitglieds des Aufsichtsrates und sogar des Beirates auszuweisen, ist in der Sache weit überzogen. Die Bilanz einer Gesellschaft dient der Kontrolle der Gesellschaft, nicht aber ihrer einzelnen Organmitglieder.
({0})
Die Angaben im Anhang der Bilanz, so wie das heute vorgesehen ist, sollen verdeutlichen, welche Beträge die Gesellschaft für Aufsichtsrat, Vorstand und vergleichbare Organe insgesamt aufgewendet hat. Die SPD leistet mit ihrer Forderung, das Einkommen jedes einzelnen Vorstandsmitgliedes offenzulegen, einen wichtigen Beitrag zur Neiddiskussion.
({1})
Die Sozialdemokraten haben ihre Vorschläge unterbreitet im Zuge der allgemeinen Aufmerksamkeit, die der Schneider-Skandal in der Öffentlichkeit gefunden hat. Es ist jedoch festzuhalten, daß mit den Vorschlägen der SPD der Schneider-Skandal seinen Verlauf in gleicher Weise genommen hätte. Ihre Vorschläge haben nicht zur Folge, daß die internen Kreditprüfungen der Banken geändert würden. Die Regeln hierfür sind vorhanden; sie müssen nur entsprechend angewandt werden.
Deswegen erkenne ich in Ihrem Antrag viel Ideologie und nur wenig Sachdienliches. Wir haben ein leistungsfähiges System von Kreditinstituten, das wir
in seiner Funktionsfähigkeit nicht benachteiligen dürfen. Ohne leistungsfähige Banken können wir den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht ausbauen. Wir müssen alles tun, um auch weiterhin über ein leistungsfähiges Bankensystem zu verfügen.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die F.D.P. weiß eigentlich nicht, worüber sie sich mehr wundern soll: über die Unverfrorenheit der SPD, nach über 15 Jahren Diskussion zum Thema „Macht der Banken" fünf Monate vor der Bundestagswahl diesen Gesetzentwurf einzubringen,
({0})
oder über die unsorgfältigen Formulierungen dieses Entwurfs. Fangen wir mit der mangelnden Sorgfalt an, Herr Kollege.
Erstens. Die Forderung nach Offenlegung der Einkünfte der einzelnen Organmitglieder verstößt offensichtlich gegen den Schutz des Persönlichkeitsrechtes,
({1})
von Datenschutzgesichtspunkten ganz zu schweigen. Zum Thema „Transparenz" leistet diese Offenlegung keinen Beitrag. Sie trägt zur Nivellierung der Organbezüge bei. Das will die SPD. Sie will Leistungsanreize beseitigen, und das ist schädlich.
({2})
Zweitens. Die SPD fordert die Offenlegung für alle Unternehmensbeteiligungen ab 3 % oder 100 Millionen DM Börsenwert. - Das steht mit einer 5-%-Grenze, die völlig ausreicht, schon im Entwurf des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes, das wir gerade in den Ausschüssen beraten. Die 100-Millionen-Grenze kann man akzeptieren. Sie folgt einer Entscheidung des Kammergerichts, ist aber gerade bei großen Gesellschaften nicht aussagekräftig.
Völlig außer acht läßt der SPD-Entwurf, wie bei täglich schwankenden Börsenwerten die Meldepflicht eigentlich gehandhabt werden soll.
({3})
Über mehr Transparenz für Vorschaltgesellschaften sollten wir im Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz beraten und entscheiden.
Drittens. Beteiligungsbesitz soll für Banken und Versicherungen in gleicher Weise eingeschränkt werden. - Das verkennt völlig den unterschiedlichen Geschäftsverkehr beider Branchen. Versicherungsgesellschaften müssen das Geld ihrer Versicherten anlegen. Wo denn bitte, wenn nicht auch in Aktien?
({4})
Wir klagen doch dauernd darüber, daß die deutschen Kapitalsammelstellen im Aktienmarkt viel zu zurückhaltend sind.
Viertens. Wechselseitig beteiligten Unternehmen soll ab 3 % Beteiligung die Stimmrechtsausübung auf der Hauptversammlung untersagt werden. - 3 % sind keine Beteiligung, die maßgeblichen Einfluß verleiht. Die Grenze ist völlig willkürlich.
Fünftens. Das Vollmachtstimmrecht soll nur noch über Einzelvollmachten ausgeübt werden. - Hat die SPD die mangelhafte Präsenz auf den Hauptversammlungen der Volkswagen-AG übersehen? Da gibt es eine solche Bestimmung. Wollen Sie das bei allen deutschen Aktiengesellschaften? Ihr Entwurf vertreibt die privaten Aktionäre endgültig von den deutschen Hauptversammlungen. Die Aktionärsvereinigungen werden von Ihnen kurzerhand ermordet.
({5})
- Ich nehme überhaupt nichts zurück. Das ist die Wirkung Ihres Gesetzentwurfes.
({6})
- Also, dann sagen wir „fahrlässige Tötung". Angesichts Ihrer Schlampereien in dem Gesetzentwurf, nehme ich „Mord" zurück und ersetze das durch „fahrlässige Tötung".
Sechstens. Die SPD will das Vorgehen gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 Aktiengesetz schon bei einer Hinterlegung von nominal 1 Million DM Aktien der Gesellschaft zulassen. - Man kann über eine Erleichterung diskutieren; da bin ich mit Ihnen einig. Aber man muß auch darauf achten, daß dem Mißbrauch, sprich: der Erpressung - und da gibt es genug Fälle, es gibt auch Gerichtsentscheidungen dazu -, nicht Tür und Tor geöffnet wird. Diese Gefahr übersieht Ihr Entwurf.
Wir finden es, meine Damen und Herren, erstaunlich, daß der Entwurf nach jahrelanger Diskussion mit so heißer Nadel genäht worden ist.
({7}) Einige Punkte sind durchaus diskutabel.
Erstens. Am wichtigsten ist uns die Begrenzung des industriellen Beteiligungsbesitzes der Banken.
({8})
- Ich komme noch auf das Machen zurück, Herr Jens.
- Dabei scheint uns eine Grenze von 10 bis 15 % realistischer als der Vorschlag einer 5-%-Grenze. Sollten hierbei stille Reserven aufgelöst werden, müßte das steuerunschädlich gemacht werden.
Die Macht der Banken - da bin ich etwas anderer Ansicht, Herr Uldall, als Sie - resultiert aus dem Zusammentreffen von Beteiligungsbesitz, Aufsichtsratsmandaten, Kreditvergabe, Emissionskonsortium für Eigenkapital und Vollmachtstimmrecht. Wir behaupten nicht, daß es nachgewiesenen Machtmißbrauch gibt. Aber Ordnungspolitik hat für Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen Machtmißbrauch nicht möglich ist.
({9})
Gefahren muß vorgebeugt werden. Schadensverhütung ist der ordnungspolitische Grundsatz, nicht Reparaturarbeit. Es kommt hinzu, daß der Beteiligungsbesitz der Banken an konkurrierenden Unternehmen den Wettbewerb behindert. Der Beteiligungsbesitz der Banken ist nach Untersuchungen des Kartellamtes in diesem Zusammenhang innovationsfeindlich.
Zweitens. Die SPD schlägt eine Begrenzung von fünf Aufsichtsratsmandaten pro Person vor. Das ist zu kurz gesprungen. Die Zahl ist nicht entscheidend, sondern die Qualifikation. Mancher ist schon mit einem Mandat überfordert.
({10})
Die von der SPD geforderte Begrenzung auf fünf Mandate ist eine Begünstigungsklausel für die Großbanken. Sie haben genug Personal in der zweiten und dritten Ebene, um nicht ein einziges Mandat abgeben zu müssen. Sie müssen sich nur einmal mit ihnen unterhalten, dann werden Sie feststellen, was sie zu dieser Vorstellung sagen. Sie können das leicht akzeptieren, fröhlich. Richtiger wäre es z. B., den Aufsichtsratsvorsitz doppelt zu rechnen. Der Vorsitz bedeutet fast immer eine größere Inanspruchnahme.
Richtig wäre es auch, dem Aufsichtsrat eigene Kontrollmöglichkeit über den Abschlußprüfer der Aktiengesellschaft oder über einen eigenen Wirtschaftsprüfer zu geben. Es ist verwunderlich, daß sich der SPD-Entwurf mit der Rolle des Wirtschaftsprüfers überhaupt nicht befaßt. Er kommt bei Ihnen gar nicht vor.
Wir sollten uns einmal überlegen, ob wir nicht nach fünf Jahren einen Wechsel der Abschlußprüfer bei Aktiengesellschaften vorschlagen, damit die Freundschaftsbeziehungen, die da entstehen, unterbrochen werden.
({11})
Nach meiner Erfahrung sind unsere Aufsichtsräte zu groß. Wir sollten die Obergrenze absenken. Das kostet aber auch Gewerkschaftsmandate.
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, eine aktuelle Frage - Herr Rossmanith, die können Sie vielleicht weitergeben -: Was hat eigentlich der bayerische Ministerpräsident Stoiber im Aufsichtsrat der Bayerischen Vereinsbank zu suchen?
({12})
Der Freistaat Bayern hat dort mittelbar ca. 10 % der Stimmrechte - nach SPD-Interpretation im Gesetzentwurf einen „maßgeblichen Einfluß". Die Bank bestreitet das. Herr Stoiber sollte sein Mandat schleunigst niederlegen. Er hätte es nach Art. 57 der Bayerischen Verfassung niemals annehmen dürfen. Aber vielleicht ist er noch immer ein verkappter Staatswirtschaftler wie sein großer Lehrmeister. Die Nichtpriva20162
tisierung der Bayerischen Versicherungskammer spricht dafür.
({13})
Meine Damen und Herren, die SPD greift meinen vor langer Zeit gemachten Vorschlag auf, die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten konkurrierender Unternehmen durch das Kartellamt verbieten zu lassen. Das ist richtig. Der Antrag der Sozialdemokraten zielt offensichtlich auf den IG-Metall-Vorsitzenden Zwickel, der gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied bei BMW und VW ist. Weitere Fälle sind mir nicht bekannt.
({14})
Da es nur einen Fall gibt, werden Sie bei Ihrer profunden Kenntnis der wirtschaftspolitischen Landschaft, verehrter Herr Professor Jens, diesen einen Fall wohl gekannt haben, als Sie diesen Entwurf geschrieben haben.
({15})
Nun einige Anmerkungen zum Thema Unverfrorenheit der SPD:
Erstens. Dieser Entwurf kann in dieser Legislaturperiode nie mehr Gesetz werden. Er ist reines Wahlkampfgeklingel, und die SPD weiß das ganz genau.
Zweitens. Seit 1974 - damals in einem Aufsatz für das „Manager Magazin" - fordere ich die diversen Bundesregierungen auf, in dieser Frage aktiv zu werden.
({16})
- Sie bekommen die Antwort darauf. Warten Sie. Schreien Sie nicht zu früh.
1979 habe ich als Bundeswirtschaftsminister auf dem Deutschen Banken-Tag dazu gesprochen - eine Rede, die den damaligen Versammlungsleiter dieser Festveranstaltung zu einer sofortigen Entgegnung veranlaßte. Das war bei der Mitgliederversammlung nicht gerade üblich. Was sagte unser damaliger Koalitionspartner SPD, von Helmut Schmidt bis Herbert Wehner? Daran können Sie sich alleine die Finger verbrennen, wir nicht. Das war die Antwort, und nichts geschah. Jetzt, Herr Jens, machen Sie hier großes Getöse.
({17})
- Helmut Schmidt ist auch lernfähig. Der hat jetzt ein Buch veröffentlicht, da finde ich viele Thesen meines Wendepapiers wieder. Ich fand das richtig eindrucksvoll.
Drittens. Zum Schluß ein Stück aus dem Tollhaus, das Herr Ullmann schon kurz angesprochen hat: In seiner Ausgabe vom 24. Mai 1994 lobt der PlatowBrief die beteiligungspolitischen Erfolge der Westdeutschen Landesbank: im Bereich Maschinenbau die Mehrheit bei Gildemeister und Autania, im Bereich
Touristik 30 % bei TUI, 90 % bei Thomas Cook, auf dem Kaufhaussektor 25 % bei Horten, 10 % bei Asko und im Stahl- und Anlagenbau 33 % bei der Preussag.
So geht das fröhlich weiter: Köln-Düsseldorfer Rheinschiffahrt, Mauser, VEW, Babcock, HoeschKrupp, Harpener, Fuchs, Petrolub, LTU, Accu-Hoppecke usw. Fusion nach Fusion im Landesbankenbereich.
Vorgestern meldete schließlich noch die Presse: „Westdeutsche Landesbank will Deutsche Verkehrsbank AG kaufen."
Nun kommen Sie, Herr Jens, als nordrhein-westfälischer Abgeordneter der SPD bitte an dieses Podium und nehmen Sie zu den Aktivitäten Ihres Kollegen Neuber und der Westdeutschen Landesbank Stellung.
({18})
Sie kommen mir vor, Herr Jens, wie der Direktor einer Schnapsfabrik, der Abstinenz predigt.
({19})
Meine Damen und Herren, die F.D.P. hält das hier angesprochene Thema im Sinne von mehr Wettbewerb und im Sinne von mehr Transparenz seit langem für regelungsbedürftig. Aber die SPD mißbraucht ein wichtiges Thema nach der Melodie: Sozialdemokratische Bankenmacht ist gute Bankenmacht, private Bankenmacht ist schlechte Bankenmacht.
({20})
So lassen wir Sie nicht davonkommen.
({21})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium der Justiz Rainer Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach all der auch sachdienlichen Polemik - wenn ich das einmal so sagen darf - möchte ich auf das breitgestreute Potpourri von Eingriffen eingehen, die die SPD-Fraktion in unserem Wirtschaftsrecht vorsieht. Da gibt es sicherlich einiges Bedenkenswertes - das wird auch gar nicht bestritten -, teilweise aber auch Unsinniges.
({0}) - Werden Sie gleich sehen.
Häufig begegnet uns Altbekanntes aus der Bankenmachtdiskussion, die auch Graf Lambsdorff gerade aufgenommen hat. Interessenten, denen die Bundestagsdrucksachen nicht immer ganz so geläufig sind, die nicht wissen, wie man sie beziehen kann, können diesen Text, den Sie hier in der Bundestagsdrucksache abgeliefert haben, weitgehend wortgleich in einer juristischen Fachzeitschrift nachlesen, allerdings unter dem Namen eines Rechtslehrers, der im übrigen in
anderem Zusammenhang massiv für die Einschränkung der Mitbestimmung eingetreten ist. Insoweit ist das eine ganz interessante Parallele.
Der Inhalt dieses Gesetzentwurfes, aber auch der Zeitpunkt seiner Einbringung deuten darauf hin, daß Sie damit nur Wahlkampftaktik verbinden. Darauf ist ja mehrfach hingewiesen worden.
({1})
- Naja, so wird das wohl kaum gelingen, Herr Kollege.
Ich möchte auf dieses Wahlkampfgeklingel nicht eingehen. Ich will mich eher dazu äußern, was vielleicht im Ansatz richtig ist, möchte aber auf einige wenige andere Punkte auch eingehen, nämlich darauf, daß Sie so en passant eine grundlegende Änderung des gesamten BGB-Vereinsrechts vorsehen wollen und das vier Monate vor der Wahl - wie Sie das umsetzen wollen, ist mir völlig schleierhaft -, daß Sie Offenlegungspflichten propagieren, die unsere gemeinsamen Bemühungen, Herr Kollege, um notwendige Erleichterungen im Rahmen der Mittelstandrichtlinie konterkarieren, daß Sie mit einem Federstrich, in wenigen Worten, die Kapitalbeteiligungsbranche ins Ausland verlagern wollen.
Ich will aber einige Worte zur Reform des Aufsichtsrates sagen. Sie möchten die Aufsichtsratsmandate auf fünf pro Person beschränken. Im Grundsatz bin ich damit einverstanden. Das ist eine Forderung, die ich schon vor mehreren Jahren in diesem Hause erhoben habe. Der Aufsichtsrat ist eben kein Ehrenamt, sondern eine der anspruchsvollsten Aufgaben unseres Wirtschaftslebens, die ein erhebliches Engagement jedes Aufsichtsratsmitglieds erfordert. Das beschränkt notwendigerweise die Zahl der Mandate, die eine Person ordnungsgemäß wahrnehmen kann.
({2})
- Wir werden Ihnen in der nächsten Legislaturperiode Vorschläge unterbreiten, denn wir sind ja bei der Überprüfung des Aktienrechts. Es ist Ihnen bekannt, daß das Aktienrecht insgesamt in der nächsten Legislaturperiode einer Überprüfung unterzogen wird, auch unter den notwendigen europäischen Gesichtspunkten.
Es besteht überhaupt kein Anlaß zu überzogenen Schnellschüssen. Auch die Negativbeispiele der jüngsten Vergangenheit geben keinen Anlaß dazu. Man könnte auch einmal - das ist natürlich nicht so publicitywirksam - die zahllosen Fälle erwähnen, in denen die Aufsichtsräte reibungslos funktionieren. Aber das scheint Ihnen ja nicht zu gefallen.
Es ist umsichtig zu prüfen, wie wir unser System im Aktienrecht optimieren können. Dazu gehört auch die Frage, ob eine Beschränkung der Zahl der Aufsichtsratsposten allgemein oder auf die Vorsitzmandate bezogen wichtiger ist. Gerade den Aufsichtsratsvorsitzenden müssen wir stärker als bisher in die Pflicht nehmen.
Dazu gehört aber auch die Frage von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen. Es ehrt Sie, wenn Sie in Ihrem Entwurf klar aussprechen, daß
es hier nicht nur um die Vertreter der Anteilseigner, sondern auch um die von Graf Lambsdorff erwähnten Arbeitnehmervertreter geht.
Ich komme nun zu einem Punkt von größter Tragweite, dem Sie in Ihrem Entwurf allerdings nur 14 Zeilen widmen, nämlich zu der weitgehenden Einschränkung des Vollmachtstimmrechts auf den Hauptversammlungen unserer Aktiengesellschaften. In Ihrer Begründung sprechen Sie von Einzelvollmachten. Wenn man aber den Gesetzestext liest, auf den es ja bekanntlich ankommt, sollen nicht nur Einzelvollmachten, sondern auch Einzelweisungen zu allen Tagesordnungspunkten erforderlich sein.
({3})
Und wie es mit gesetzlichen Verweisungen so ist, gilt das ja nicht nur für Kreditinstitute, sondern zugleich auch für die Aktionärsvereinigungen, die damit wohl erledigt wären. Ich hoffe, daß Sie sich das gut überlegt haben, denn das dient nicht gerade einer Aktionärsdemokratie.
Was Sie vielleicht nicht so sorgfältig bedacht haben, ist,
({4})
daß Sie mit einer solchen Regelung genau das Gegenteil von dem erreichen würden, was Sie selber wollen. Sie wollen doch offenbar, Herr Kollege Bury, daß die Stimmen der Kleinaktionäre stärker zur Geltung kommen. Das kann ja nur das Ziel sein.
({5})
Die Wirkung dieser Regelung wäre aber ein weiteres Absinken der Hauptversammlungspräsenzen und eine Verödung unserer Hauptversammlungen, die Sie an anderer Stelle Ihres Entwurfs selbst beklagen.
Es ist zu Recht auf die Hauptversammlung von VW hingewiesen worden: 2 % bis 3 % Präsenz der Kleinaktionäre - das kann ja wirklich nicht befriedigen. Ähnliches erleben wir im übrigen bei Gesellschaften, die vinkulierte Aktien haben, im wesentlichen bei den Versicherungsgesellschaften. Auch dort sind die Präsenzen sehr gering.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe in der Vergangenheit in meinem Bankleben, aber auch als Anwalt natürlich eigenes und fremdes Kapital zu vertreten gehabt. Wenn man jedesmal bei der Bank Einzelvollmachten einreichen müßte, wird die Präsenz nicht immer gewährleistet, weil es viel zu umständlich wäre, bei jeder Hauptversammlung die Formulare auszufüllen. Das tut man einfach gar nicht. In Ihrer Bankerfahrung, die Sie in den zwei Jahren bei der Volksbank machen konnten, wird Ihnen das nicht anders gegangen sein als mir.
Wir müssen also darüber nachdenken, wie ein vernünftiges Vollmachtstimmrecht gewährleistet werden kann. Mit dumpfen Vorbehalten gegen die Kreditinstitute allein wird es nicht getan sein.
Ich glaube, wir müssen das machen, was notwendig ist und was wir in dieser Legislaturperiode noch schaffen können. Da haben Sie einen Punkt erwähnt, nämlich das Umwandlungsrecht. Ich darf Sie sehr
höflich bitten, wenn in den nächsten zwei, drei Wochen das Umwandlungsrecht und das Recht über die kleinen Aktiengesellschaften zur Beratung anstehen, dem Regierungsentwurf zuzustimmen. Dazu haben Sie eine gute Gelegenheit hier in diesem Plenum.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Herr Kollege Professor Dr. Uwe Jens, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich bemühen, das nicht noch zu verlängern. Ich stelle jedoch fest, Graf Lambsdorff: In der einen oder anderen Sache sind wir nicht weit auseinander.
({0})
- Nein; es wäre ja sinnvoll, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode auf diesem Felde endlich etwas Vernünftiges zustande bringen würden.
({1})
- Ich glaube nicht, daß wir das noch schaffen werden. Es ist aber wichtig - eigentlich auch in Ihrem Interesse -, daß wir Pflöcke einrammen, daß wir deutlich machen, hier besteht Handlungsbedarf, und daß wir dementsprechend das in der nächsten Legislaturperiode auch umsetzen. Das wäre mein dringender Wunsch.
({2})
Ich muß allerdings auch einmal ein bißchen polemisch werden, Graf Lambsdorff.
({3})
- Das ist völlig richtig, ja. - Ich habe manchmal das Gefühl, Sie sind auf einem Auge ein bißchen blind.
({4})
Sie schimpfen immer gerne über die Banken. Da haben Sie insbesondere die WestLB im Visier. Bei den Versicherungen, mit denen Sie beruflich so ein bißchen verflochten sind, wollen Sie keinen Handlungsbedarf erkennen. Das ist nicht in Ordnung. Das ist verdächtig.
({5})
Wenn Sie immer über die WestLB schimpfen, will ich Ihnen einmal sagen, was schon mein Kollege Bury gesagt hat: Dieser Gesetzentwurf soll natürlich für alle Banken gelten, auch für die WestLB; das ist keine Frage. Aber dann klammern Sie doch nicht immer die anderen drei Großbanken aus, die auf diesem Felde
genauso aktiv sind und noch aktiver sind als die WestLB.
({6})
Auch das ist nicht in Ordnung, finde ich wenigstens.
Daß es auf diesem Felde keine neuen Fakten gibt, finde ich, ist nicht in Ordnung. Die Welt ist im Bereich der Banken und Versicherungen in der letzten Zeit ziemlich durcheinander gerüttelt worden. Ich erinnere an den Fall Robert Maxwell, wo ein geschickter netter junger Mann - oder gar nicht mehr so jung - die Banken um einige hundert Millionen betrogen hat, ganz zweifellos zu Lasten der kleinen Kreditnehmer und zu Lasten der kleinen Aktionäre.
Das gleiche geschah im Fall Jürgen Schneider und auch im Fall Metallgesellschaft mit dem Herrn Schimmelbusch an der Spitze. Alles läuft darauf hinaus, daß die kleinen Leute über die Theke gezogen werden.
Insofern bin ich zutiefst davon überzeugt: Auf diesem Felde müssen wir endlich etwas Vernünftiges zustande bringen.
({7})
Also, ich finde es wichtig, daß die Sozialdemokraten hier dokumentieren: Eine richtige Sache wird weiterverfolgt, auch wenn das Ihnen von der F.D.P. und der CDU/CSU natürlich überhaupt nicht in den Kram paßt.
Wir gehen mit Max Weber nach der Devise vor: Wir bohren beharrlich dicke Bretter und kommen am Ende dann doch zum Erfolg.
({8})
Das ist Politik, nicht nur reden und quatschen, sondern handeln; darauf kommt es an, und das werden wir hier auch noch hinbekommen.
({9})
- Der hat auch noch etwas anderes gesagt; das ist richtig.
Wenn wir hier wirklich wollen, daß die kleinen Aktionäre ihr Recht stärker in Anspruch nehmen können, wenn wir etwas dafür tun, daß die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen tendenziell verbessert wird, dann sind das Schritte in die richtige Richtung. Dann sind wir diejenigen, die marktwirtschaftliche Prinzipien auf unsere Fahnen geschrieben haben, und diejenigen, die das bekämpfen, sind die eigentlichen Sozialisten in unserer Gesellschaft.
({10})
Wir haben zwei Anträge eingebracht. Jetzt haben wir zu diesem Thema noch einen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt. Er ist meines Erachtens schon sehr wichtig.
Im übrigen: Die Anzahl der Wissenschaftler, die sich ohne Zorn und Eifer und ohne politische Emotionen mit diesem Thema befassen, wird immer größer. Insofern bekommen wir Rückendeckung, für die wir sehr dankbar sind. Deshalb sind wir auch davon überzeugt: Irgendwann läuft das Faß über. Irgendwann wird die Bevölkerung sagen: Warum haben die Politiker auf diesem Felde nichts Vernünftiges zustande gebracht?
Die Banken und Versicherungen, Graf Lambsdorff, reden gerne und laut von dem Wettbewerb, dem sie ausgesetzt sind. Ich glaube aber, sie wissen häufig gar nicht, was wirksamer Wettbewerb wirklich ist. In diesem Bereich, Herr Kollege Uldall, gibt es zweifellos viele Unternehmen, die am Markt tätig sind; Neugründungen aber sind fast unmöglich, Pleiten verhindert gewissermaßen das staatliche Aufsichtsamt.
({11})
Nur wenn Kunden Hunderte von Millionen DM an Krediten wollen, wenn es also um Großkredite geht, gibt es einen gewissen Wettbewerb. Dann werden die Personen wie Herr Schneider von den Banken hofiert.
Ein Restwettbewerb besteht aus meiner Sicht aber auch zwischen den Sparkassen, genossenschaftlichen Banken und privaten Kreditinstituten. Normalerweise folgen die Kreditinstitute den Leitzinserhöhungen der Bundesbank sofort, den Leitzinssenkungen mit erheblicher Verzögerung. Diesmal aber haben offenbar die Sparkassen die letzte Leitzinssenkung der Bundesbank schnell an die Kunden weitergegeben; das ist gut so. Sollten die Sparkassen, wie es Wirtschaftsminister Rexrodt lautstark propagiert, in den Besitz der privaten Kreditinstitute übergehen, wird dieser Restwettbewerb völlig eliminiert. Ich meine, meine Damen und Herren: Das muß mit allen Mitteln verhindert werden.
({12})
Uns geht es im Kern dieses Gesetzentwurfes um das Aufbrechen von Verkrustungen, um die Steigerung der Innovationskraft in der Volkswirtschaft, wie Kollege Bury schon gesagt hat. Herbert Giersch schreibt: Zwei Dinge machen uns zur Zeit außerordentlich zu schaffen: Zum einen ist dies der Aufbau von Industriekapazitäten und Produktionsmöglichkeiten in Südostasien und demnächst in Osteuropa. Dort kann das, was wir bisher produziert haben, im allgemeinen günstiger und genausogut produziert werden. Zum anderen aber sind es auch die Verkrustungen in unserer eigenen Volkswirtschaft. Diese sind zum Teil staatlich, durch Reglementierungen bedingt - ich will dies überhaupt nicht in Frage stellen; wir müssen darangehen -, es gibt aber auch Verkrustungen in der privaten Wirtschaft, vor allem im Finanzsektor und in den großen Unternehmen.
Zum Beispiel gibt es im Banken- und Versicherungsbereich die berühmten Überkreuzverflechtungen: Die Bank A hat einen Kapitalanteil an der Versicherung B, und B ist bei A beteiligt. Bei den Ringverflechtungen geht es um mehr als zwei Unternehmen, urn sich gegenseitig zu kontrollieren und den Einfluß von außen abzuschotten. Mit Hilfe des Depotstimmrechts wird die Machtballung zusätzlich abgesichert. Hinzu kommen die Beteiligung an anderen Unternehmen unterhalb der Schwelle für die Fusionskontrolle und außerdem der gegenseitige Austausch von Aufsichtsratsmandaten.
Außenstehende und insbesondere die große Zahl der Kleinaktionäre, aber auch ausländische Kapitalbesitzer, sind auf diese Weise vom Einfluß auf die Deutschland AG ausgeschlossen worden. Man kocht in diesem Bereich gewissermaßen im eigenen Saft. Dementsprechend unappetitlich ist auch das Ergebnis.
({13})
Bei der Zurverfügungstellung - Graf Lambsdorff, vielleicht können Sie mir da zustimmen - von Risikokapital für die deutsche Wirtschaft haben die Banken und Versicherungen aus meiner Sicht versagt. Dabei wäre dies doch so dringend notwendig. Das amerikanische Modell des „Venture-capital", des Risikokapitals, wurde nicht übernommen. Bei der Prüfung von risikoreichen Vorhaben überwiegt bei den Banken immer bürokratisches Renditedenken. Damit jedoch können wir unsere Wirtschaft nicht wieder in Schwung bringen. Deshalb sind Reformen dringend erforderlich.
({14})
Besonders notwendig ist aus unserer Sicht, wie in unserem Gesetzentwurf vorgesehen, erstens das Verbot von Überkreuz- und Ringverflechtungen - Graf Lambsdorff stimmte zu -, zweitens die Begrenzung von Beteiligungen von Banken an Nichtbanken auf 5 %, mit wenigen Ausnahmen. Wir könnten über den Prozentsatz noch einmal reden, Graf Lambsdorff. Dann kommt auch auf diesem Felde Konsens zustande.
Ich bin auch, drittens, für unsere Regelung bezüglich des Depotstimmrechts. Schlagen Sie etwas Vernünftigeres vor, und wir sind bereit, darüber zu reden. Das Depotstimmrecht per se aber verhindert, daß der Kleinaktionär, der ganz genau weiß, daß er überhaupt keinen Einfluß auf die Entscheidung hat, zur Hauptversammlung geht.
({15})
Wir sind viertens für die Begrenzung der Aufsichtsratsmandate. Wir können noch bessere Regelungen finden, wie Sie es angedeutet haben; ich habe überhaupt nichts dagegen: Prüfen wir verstärkt die Qualität! - Wie wir das machen wollen, weiß ich beim besten Willen nicht. Aber wenn jetzt jemand zehn, ja zum Teil fünfzehn Mandate hat, ist er aus meiner subjektiven Sicht hoffnungslos überfordert und kann seiner Aufgabe beim besten Willen allein aus zeitökonomischen Gründen nicht nachkommen. Das muß wirklich verändert werden, Graf Lambsdorff.
Ein eifriger Kritiker auf diesem Felde ist ja bekanntlich Professor Ekkehard Wenger aus Würzburg. Ich
kenne ihn nicht persönlich. Aber ihm wird von vielen Kommentatoren bescheinigt, daß er die richtigen Themen besetzt habe, nur in der Art und Weise, wie er die Kritik vortrage, würde er ein bißchen überziehen. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn Ekkehard Wenger seine Themen nicht in dieser Art und Weise vortragen würde, würde er mit Sicherheit in unserer Gesellschaft überhaupt nicht gehört werden. Deshalb bin ich ihm dankbar, daß er dieses Thema aufgegriffen hat und uns von wissenschaftlicher Seite in unserem Vorhaben unterstützt.
Wir Sozialdemokraten werden dieses Problem in Zukunft mit besonderem Nachdruck verfolgen. Wir müssen auch, glaube ich, dringend der weltwirtschaftlichen Herausforderung energischer begegnen, um Arbeitsplätze in unserem Lande zu sichern und zu schaffen.
Zur Sicherung des Standorts Deutschland gehört für mich, erstens die Verkrustungen im staatlichen - das hatte ich schon gesagt -, aber auch im privatwirtschaftlichen Bereich aufzubrechen, und genau darauf zielt unser Gesetzentwurf; zweitens Forschung und Entwicklung vor allem auch in den neuen Bundesländern verstärkt zu fördern, was diese Regierungskoalition bisher versäumt hat; drittens kleine und mittlere Unternehmen besser zu unterstützen, weil sie das dynamische Element unserer Wirtschaft sind; viertens eine langfristige europäische Strukturinitiative auf den Weg zu bringen, um die transnationalen Netze besser miteinander zu verbinden.
Professor Jens, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?
({0})
Kurzintervention? Okay!
Zur Sicherung des Standorts Deutschland gehört fünftens vor allem die Einführung von sozialen und ökonomischen Mindestbedingungen in allen Ländern, mit denen wir Handel treiben. Nur so werden wir auf dem Wege zu einer sozialen und ökologischen Weltmarktwirtschaft vorankommen.
Meine Damen und Herren, der Finanzbereich, über den wir heute sprechen, ist aber keineswegs isoliert vom Produktionsbereich zu sehen. Beide, Produktion und Finanzen, gehören zusammen. Nur mit Kreditgewährung und Geldhandel werden wir die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland nicht ernähren können.
Passen wir auf, daß keine zusätzlichen Gräben in unserer Gesellschaft entstehen zwischen denen, die gerne hohe Zinsen haben möchten, weil sie Kapital besitzen, und denen, die Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe benötigen, weil sie kein Kapital besitzen. Um diese Gräben zu verringern, um den Finanz- und Produktionsbereich stärker miteinander zu verbinden, brauchen wir dringend auch das Gesetz
für mehr Wettbewerb und Transparenz, das wir heute vorgelegt haben.
Ich sage Ihnen, dieser Gesetzentwurf liegt im Interesse der Millionen von kleinen Kreditnehmern, dieser Gesetzentwurf liegt im Interesse der Millionen von kleinen Aktionären. Philip Rosenthal hat recht: Wir brauchen in Zukunft dringend die Beteiligung der Arbeitnehmer, wenn wir sie in diese Gesellschaftsordnung voll integrieren wollen, sowohl am Sagen
- über die Mitbestimmung - als auch am Haben
- über die Beteiligung am Produktivkapital. Dafür leistet auch dieser Entwurf einen kleinen Beitrag.
Ohne dieses Gesetz bleibt aus meiner Sicht die bekannte Vision von Ludwig Erhard, ein Volk von Kleinaktionären zu schaffen, eine unrealistische Utopie. Helfen Sie deshalb mit, daß wir auf diesem Felde endlich etwas zustande bekommen.
Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren! Das war der letzte Redner.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs 12/7350 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Andere Vorschläge gibt es nicht.
Aber bevor ich die Überweisung beschließen lasse, muß ich Graf Lambsdorff noch zu einer Kurzintervention das Wort geben.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Jens, wenn dieser Gesetzentwurf den weiten Kreis von Problemen, die Sie hier angesprochen haben und die zum Teil existieren, wirklich behandeln würde, dann könnten wir darüber reden. Dieser Gesetzentwurf enthält aber nichts, um z. B. Pleiten wie bei Schneider oder Metallgesellschaft zu verhindern. Sie haben die Frage angeschnitten, daß Banken und Versicherungen bei uns nicht in Konkurs gehen. Da rief Herr Uldall dazwischen, dies sei ja gut. Auch an dieser Tatsache ändert dieser Gesetzentwurf nichts. Dann müßten Sie nämlich mehr liberalisieren, dann müssen Sie weniger Banken- und Versicherungsaufsicht einführen, und dann müssen Sie bereit sein zu sagen: Wir schützen den Versicherungskunden und den Einleger, aber wir schützen nicht die Aktionäre, und wir schützen nicht das Institut im Fall von Wettbewerb, auch im Fall von Konkursgefahr. Darüber können Sie mit mir reden.
Wenn Sie ferner sagen, die Verkrustungen sollten aufgebrochen werden, dann müssen Sie sich die Frage stellen - und sie beantworten -, warum es denn in Deutschland so gut wie keine feindlichen Übernahmeangebote gibt. Das liegt an der Verquikkung unserer Gesellschaften untereinander, das liegt aber auch an der Mitbestimmung.
Detlef Rohwedder hat einmal gesagt: Die erste Barriere gegen feindliche Übernahmen in Deutschland ist die Mitbestimmung, ganz besonders die
Montan-Mitbestimmung. Darüber kommt keiner hinweg. Ich glaube, daran ist etwas wahr. Auch dieses Instrument, das seine guten Seiten hat, führt bei uns zur Verkrustung. Ich bin für mehr Wettbewerb.
Man kann sich immer wieder fragen, wie in den Bereichen, die Sie genannt haben, Produktivkapital gefördert werden soll. Mit Ihrem Gesetzentwurf nicht!
Ich sage noch einmal, Herr Jens: Ihre Vorschläge zum Vollmachtstimmrecht sind nachteilig für die Kleinaktionäre und verbessern deren Position nicht.
({0})
Meine Damen und Herren, nunmehr bitte ich um Zustimmung zu dem eben vorgetragenen Überweisungsvorschlag. - Widerspruch dagegen erhebt sich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Krebsregister ({0})
- Drucksache 12/6478 - ({1})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2})
- Drucksache 12/7726 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer ({3})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/7727 Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Sauer ({5})
Dr. Wolfgang Weng ({6})
Uta Titze-Stecher
Der Ältestenrat hätte Ihnen vorgeschlagen, eine halbe Stunde zu diskutieren. Dieser Vorschlag erübrigt sich, weil die Abgeordneten Frau Dr. Ackermann, Detlef Parr und die Parlamentarische Staatssekretärin Bergmann-Pohl bereit sind, ihre Reden zu Protokoll zu geben.
Der Abgeordnete Schmidbauer legt Wert darauf zu sprechen. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen ja heute über ein wichtiges Thema, nämlich über die Frage, wie die Zukunft in der aktiven Bekämpfung der Volkskrankheit Krebs bei uns aussehen soll. Ich möchte ganz deutlich machen: Wir möchten uns bei der Lösung durch nichts überbieten lassen, sondern nach wie vor deutlich machen, daß wir für eine aktive Bekämpfung der Krebskrankheit eintreten.
Für uns ist es genauso wichtig - auch dabei lassen wir uns nicht überbieten -, die entsprechenden
Grundlagen für eine aktive Gesundheitspolitik und eine wirksame Prävention zu schaffen. Wir wissen, daß wir in der Bundesrepublik in diesem Bereich großen Nachholbedarf haben. Der große Nachholbedarf liegt bei uns vor allem in der Gesundheitsberichterstattung.
Wenn wir heute im Vergleich zu anderen Staaten in der Gesundheitsberichterstattung zurückliegen, dann hängt das vor allem damit zusammen, daß uns die entsprechenden Grundlagen fehlen. Eine der wesentlichen Grundlagen, um Gesundheitsberichterstattung zu leisten, um die entsprechenden präventiven Maßnahmen einleiten zu können, ist eben z. B. das Krebsregistergesetz.
Deswegen ist es für uns als sozialdemokratische Fraktion des Bundestages ganz wichtig, für eine bundeseinheitliche Regelung, für ein Bundeskrebsregister einzutreten. Wir sind so weit gegangen, selbst die verfassungsrechtlichen Fragen zurückzustellen, damit deutlich wird, daß für uns dieses Anliegen im Vordergrund steht. Wir haben deshalb bereits 1992 einen Entschließungsantrag zum Krebsregistersicherungsgesetz eingebracht, der die Bundesregierung ausdrücklich auffordert, in diese Richtung tätig zu werden.
Ich denke, man darf nicht aus den Augen lassen zu fragen, wie das Gesetz zu bewerten ist. Man muß wissen, ob und wie die Ziele des Gesetzes zu erreichen sind, ob wir das, was wir wollen - den Menschen zu helfen - schaffen können. Von dieser Warte her muß man das sehen.
Aber der zentrale Punkt einer solchen gesundheitspolitischen Aufgabe für das Bundesgebiet ist natürlich die Überlegung, wie diese Aufgabe wahrgenommen werden soll. Da dies in hohem Maß die Kompetenzen und die Aufgabenstellungen sowohl der Länder als auch des Bundes berührt, kann man eine solche gesundheitspolitische Aufgabe nur im Konsensprinzip lösen. Man kann sie nicht gegen die Beteiligten lösen, man kann sie nur miteinander lösen.
Wir glauben, daß es falsch ist, ein solches Gesetz den Ländern praktisch überzustülpen, weil das den Eindruck hinterläßt - dies ist ja durch Fakten belegt -, man mache das Gesetz und die anderen, in dem Fall die Länder, sollten bezahlen. Ich denke, durch solch ein Überstülpen ist in diesem Lande kein Konsens zu schaffen. Daher besteht die Gefahr, daß es zu einem Widerstreit kommt und wir nicht die Lösungen schaffen können, die wir brauchen.
Wir müssen darauf achten, daß das Notwendige geschieht. Darin liegt das Versagen der Regierung; denn das Gespräch des Ministers, das mit den Länderchefs zu führen war, hat nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt, hat dort keine Bewegung hineingebracht. Deswegen stehen wir heute vor der Situation, bei der aktiven Krebsbekämpfung keinen Konsens zwischen Bund und Ländern gefunden zu haben. Das ist bedauerlich.
Wir müssen überprüfen, ob das Krebsregistergesetz die Anforderungsprofile, die es haben soll, tatsächlich erreicht. Ein erstes Kriterium dafür ist die Qualität, also die Meldedichte. Die Fachleute sagen - und
Horst Schmidbauer ({0})
belegen das mit Erfahrungen weltweit -: Wenn nicht eine Meldedichte von mindestens 90 bis 95 % erreicht ist, kann man ein solches Gesetz in den Papierkorb werfen, weil seine Aussagen, vor allem im weltweiten Vergleich, nicht akzeptabel sind und keine ausreichende Grundlage für eine epidemiologische Forschung darstellen.
Zum zweiten geht es um die Vergleichbarkeit, den gemeinsamen Nutzen. Zum dritten geht es um die Frage, wie man eine solche Aufgabe möglichst kostensparend erreichen kann. Zum vierten ist die Frage zu stellen, wie der Datenschutz besser zu gewährleisten ist.
Der letzte Punkt ist: Braucht man für eine ausreichend hohe Aussagekraft des Krebsregistergesetzes eine hundertprozentige Erfassung, eine Erfassung des gesamten Bundesgebietes, oder genügt die Erfassung eines regionalen Ausschnitts von 30 bis 40 %?
Ich denke, Prüfungen sind notwendig, um das exakt festzustellen. Denn es geht um sehr viel Geld. Wir sind, glaube ich, den Bürgern gegenüber verpflichtet festzustellen, ob es gerechtfertigt ist, das Geld auszugeben. Die Fachleute sprechen davon, daß es 80 Millionen DM, daß es 100 Millionen DM im Jahr sind. Dafür müssen wir entsprechende Prüfungsmaßstäbe anlegen.
Diese Frage ist nicht unbegründet, weil wir erleben, wie die Praxis ist. In der Zwischenzeit erkennen wir, daß nur noch ein Register, das im Bundesgebiet vorhanden ist, die Anerkennung nach WHO-Maßstäben bekommt. Das ist das Krebsregister des Saarlandes, das einen Erfassungsgrad von 96 % hat. Wir haben die bedauerliche Situation, daß das Krebsregister in Hamburg unter den WHO-Wert abgesunken ist und bei etwa 70 % liegt. Wir haben die bedauerliche Situation, daß das Krebsregister in Münster den Maßstäben nicht gerecht wird. Wir haben die bedauerliche Situation, daß das Krebsregister der ehemaligen DDR in der Zwischenzeit auf einen Erfassungsgrad von 20 % abgesunken ist. Das heißt also: Wenn es nicht innerhalb kürzester Zeit wieder einen hohen Erfassungsgrad von über 90 % erreicht, ist es für die Aufgabenstellung wertlos. Auf diese Frage müssen wir eingehen.
Wenn wir erkennen, daß die Erfassung, die Organisation, die Finanzierung im Gesetz nicht ausreichend geregelt sind, dann dient das Gesetz leider nicht dazu, das Ziel zu erreichen. Wir haben das Ziel in der Frage der Meldung z. B. nicht erreichen können, weil das von der Regierung vorgeschlagene Gesetz die sogenannte Einwilligungslösung vorsieht. Sie hat dazu geführt, daß in Münster, in Hamburg und auch in den neuen Bundesländern die erforderliche Meldedichte nicht erreicht wird und damit die Krebsregister in ihrer Aussagekraft wertlos werden.
Der zweite Punkt ist die Organisation des Krebsregisters. Auch da müssen wir feststellen, daß die Aufteilung in zwei Verfahren uns nicht zum Ziel bringt. Der Gesetzentwurf verhindert im Prinzip eine wirkungsvolle Arbeit. Die Aufteilung in zwei verschiedene Krebsregister- Organisationsstrukturen kostet Geld und bringt uns kein Stück weiter. Das sind die Erfahrungen der Anhörung. Alle Fachleute haben
davor gewarnt, eine solche Erfassungsstruktur, eine solche Organisation zu machen. Leider sind diese Stimmen nicht berücksichtigt worden.
Das heißt, man muß nach der analytischen Kraft fragen, man muß fragen, ob denn wirklich dieses Modell die Grundlage ist. Wenn das nicht reicht, dann bitte ich die Kolleginnen und Kollegen der Koalition, doch einmal bei dem Erfinder nachzufragen, der der Bundesregierung dieses Modell vorgeschlagen hat. Derselbe Erfinder dieses Modells betreibt in Mainz ein Kinderkrebsregister. Das betreibt er nach den klassischen, traditionellen WHO-Strukturen. Das, was er der Bundesregierung vorgeschlagen hat, ist ein Experiment, das weltweit bisher keinerlei Vorbilder hat. Das, was die Bundesregierung vorschlägt, verursacht dagegen nur Kosten und bringt uns in der Sache nicht voran. Deswegen müssen wir die Fragen um so nachdrücklicher stellen.
Mein dritter Punkt ist: Wenn es um die Finanzierung geht, müssen wir sehen, daß es eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern ist. Deshalb ist es notwendig, daß sich Bund und Länder gemeinsam an dieser Finanzierung beteiligen. Da kann es nicht angehen, daß die eine Seite im geringsten Fall 60 oder 80 Millionen DM aufwenden muß, wie die Länder, und die Bundesregierung 200 000 DM von ihrer Seite her aufwendet. So kann man Gemeinschaftsaufgaben nicht lösen.
Es ist schade, daß das Ziel, das wir gemeinsam wollen, nämlich endlich eine aktive Grundlage für die Krebsbekämpfung voranzubringen, durch das Verhalten der Koalition zum Scheitern verurteilt ist. Deswegen bitte ich, heute zumindest als Grundlage unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
({1})
Da die anderen Reden zu Protokoll gegeben worden sind und weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, sind wir damit am Ende der Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Krebsregister. Das liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/6478 und 12/7726 vor. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Dagegen? - Enthaltungen! - Bei Enthaltung der SPD-Fraktion in zweiter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten Lesung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Dagegen? - Enthaltungen! - Dann ist der Gesetzentwurf mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Lesung angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/7728 vor. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich bei denjenigen, die bis zum Schluß hier geblieben sind, herzlich bedanken und Ihnen ein angenehmes und, zum Teil jedenfalls, erholsames Wochenende wünschen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Juni 1994, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.