Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/15/1994

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne hiermit die Sitzung und wünsche einen guten Morgen. Bevor wir beginnen, verlese ich rasch die amtliche Mitteilung. Die Fraktion der F.D.P. hat mitgeteilt, daß der Kollege Dr. Rainer Ortleb als stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ausscheidet. Als neues stellvertretendes Mitglied wird die Kollegin Dr. Cornelia von Teichman vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Kollegin Dr. Cornelia von Teichman als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 12a bis 12c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen und Entsorgung von Abfällen - Drucksache 12/5672 - ({0}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abfallgesetzes und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 12/631 - ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) - Drucksachen 12/7240, 12/7284 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gerhard Friedrich Steffen Kampeter Dr. Liesel Hartenstein Marion Caspers-Merk Birgit Homburger Dr. Klaus-Dieter Feige Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Klinkert, Dr. Rolf Olderog, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum, Dr. Olaf Feldmann, Dr. Jürgen Schmieder und der Fraktion der F.D.P. Maßnahmen zur Sanierung der Ostsee zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz, Ulrike Mehl, Susanne Kastner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Aktionsprogramm zur Sanierung der Ostsee und der Gewässer in den neuen Bundesländern - Drucksachen 12/2251, 12/2553, 12/6609 - Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Ehlers Dietmar Schütz Josef Grünbeck d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verpackungen und Verpackungsabfälle - Drucksachen 12/3407 Nr. 3.10, 12/6606 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gerhard Friedrich Marion Caspers-Merk Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/5672 liegen sieben Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Gerhard Friedrich.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Juli letzten Jahres haben die Berichterstatter der Koalition in elf Punkten aufgezeigt, wo wir den Regierungsentwurf eines Kreislaufwirtschaftsgesetzes überprüfen und überarbeiten wollen. Wir haben Wort gehalten. Heute legen wir Ihnen einen insgesamt neu formulierten Gesetzestext vor. Es wird zum Teil vom „Berichterstatterentwurf" geredet; deshalb, Herr Minister, muß man der Ehrlichkeit halber anfügen: Es handelt sich um ein Gemeinschaftswerk des Bundesumweltministeriums und der Berichterstatter. Wir haben insgesamt etwa 50 Stunden über neue Texte gesprochen und verhandelt. Ich möchte mich für diese sehr gute Zusammenarbeit, vor allem mit dem Abteilungsleiter Ruchay und seinen sehr engagierten Mitarbeitern, sehr herzlich bedanken. Wir haben bei den Verhandlungen auch das Wirtschaftsministerium hinzugezogen. Das hat uns manchmal etwas Zeit gekostet, aber ich möchte sagen, daß sich auch dort engagierte Mitarbeiter befinden, die für Umweltbelange Verständnis haben. Ich habe auch diese Zusammenarbeit in angenehmer Erinnerung. Bei unseren vielen Verbandsgesprächen hat sich herausgestellt - das ist aber nicht verwunderlich -, daß der Versuch, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Umweltrecht auf einem wichtigen Gebiet fortzuentwickeln, wenig Begeisterung auslöst. Natürlich befürchtet die Wirtschaft, daß sie mit neuen Auflagen und Kosten überzogen wird. Ganz abwegig ist der Hinweis, daß ein überzogenes nationales Recht Arbeitsstätten und Arbeitsplätze nur ins Ausland transferiert, ja nicht. Auf der anderen Seite halten wir es für erforderlich, das Umweltrecht kontinuierlich fortzuentwickeln, und einen Stillstand der Umweltpolitik dürfen wir nicht akzeptieren. Wir haben uns deshalb um eine wirtschaftsverträgliche Fortentwicklung des Abfallrechts bemüht. An einigen Stellen unserer Verhandlungen mußten wir auch aufzeigen, daß es für die Umweltpolitiker der Koalition nicht akzeptabel ist, aus dem Kreislaufwirtschaftsgesetz ein Wirtschaftsförderungsgesetz zu machen. Es muß ein Umweltgesetz bleiben. - Der Kollege Müller lacht. Herr Kollege Müller, ich habe am Montag die Presseerklärung der zuständigen Berichterstatterin Ihrer Fraktion gelesen. Das war eine harte Kritik; das läßt ahnen, daß wir auch heute heftig beschimpft werden. ({0}) Vorbeugend möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der SPD - den Kollegen Feige kann ich natürlich in diesem Zusammenhang nicht erwähnen - heute etwas warnen. Herr Müller, Sie haben uns in den letzten Monaten und Jahren im Umweltausschuß mit sehr fundamentalistischen Anträgen konfrontiert. Jetzt lesen wir in der Zeitung, daß es Ihnen nicht gelingt, wesentliche Aussagen und Forderungen in Ihrem Wahlprogramm unterzubringen. Seien Sie also bitte ein bißchen vorsichtig! Ihre Partei bringt zur Zeit selbst ein bißchen zum Ausdruck, daß das, was Sie als Oppositionspolitiker jahrelang beantragt haben, in einiger Hinsicht vielleicht doch unrealistisch ist. Meine Damen und Herren, in dieser Presseerklärung habe ich z. B. gelesen, daß wir hier abfallpolitisch einen Rückschritt vorschlagen, weil wir die Zielhierarchie „vermeiden, verwerten, entsorgen" im Gesetz nicht klar genug verankern. Man muß zunächst einmal darauf aufmerksam machen, daß diese Zielhierarchie im geltenden Abfallrecht überhaupt nicht ernsthaft verankert ist. Wir diskutieren immer so, als ob das so wäre. Wir waren in den Verhandlungen auch kompromißbereit, weil wir festgestellt haben, daß die Zielhierarchie z. B. in unserem § 4 von einer geringen praktischen Bedeutung ist. Diejenigen, die Gesetze auslegen, stellen immer wieder klar, daß aus solchen Hierarchien keine unmittelbaren Rechtspflichten abgeleitet werden können. Wo es konkret wird, werden wir auch sehr viel konkreter und gehen deutlich über das jetzige Recht hinaus. Das Verwertungsgebot des § 5 Abs. 2 unseres jetzt vorliegenden Entwurfs geht weiter als das Verwertungsgebot des bisherigen § 1 a Abs. 2 Abfallgesetz. In Sachen Abfallvermeidung - da haben wir die gleiche Debatte wie bei der Verpackungsverordnung - nutzt es überhaupt nichts, das Gebot des Vermeidens ins Gesetz zu schreiben. Entscheidend ist, welche Instrumente man im Gesetz verankert, um das Vermeiden konkret zu erzwingen. Diejenigen, die sich orientieren wollen, dürfen nicht nur Ihre Presseerklärung lesen, Frau Kollegin Hartenstein. Sie meinen, da gibt es himmelweite Unterschiede. Ich empfehle, § 5 Abs. 1 unseres Entwurfs und § 4 Abs. 1 Satz 2 Ihres Textes zu vergleichen. Es ist praktisch wortgleich. Auch Sie sagen nicht, das Vermeiden wird generell erzwungen, sondern nur nach ganz konkreten Vorschriften. Sie nennen die gleichen Regelungen, die sich aber - jetzt muß ich ehrlich sein - im Inhalt etwas unterscheiden. Aber ein absolutes Vermeidungsgebot, unmittelbar vollziehbar, gibt es auch bei Ihnen nicht. Die Öffentlichkeit interessiert sich vor allem für die Frage, ob Rückstände bzw. Abfälle verbrannt werden dürfen oder gar müssen. Hier finden wir im geltenden Abfallrecht die Bestimmung, daß das Gewinnen von Energie ebenso als Abfallverwertung gilt wie die stoffliche Verwertung. Momentan haben wir also einen Gleichrang. Das wollten wir verändern. Das erste, was wir in der Diskussion der letzten Jahre gelernt haben, ist, daß man zwischen verschiedenen Zielen der Verbrennung unterscheiden muß. Es gibt die Verbrennung als Methode der Schadstoffvernichtung, der Abfallbehandlung, und die Verbrennung mit dem Ziel, vorrangig die Energie als Heizwert aus dem Rückstand herauszuholen. Wir trennen in einer Definitionsbestimmung des § 4 Abs. 4 diese beiden Maßnahmen und unterscheiden klar zwischen der Abfallbehandlung und der energetischen Verwertung. Es geht also überhaupt nicht darum, jede thermische Abfallbehandlungsanlage mit dem ökologischen Gütesiegel „energetische Verwertung" zu versehen. Bis zu diesem Punkt folgt uns auch die SPD; das muß man betonen. Auch in den Anträgen der SPD gibt es den Ersatz primärer Energieträger durch die VerbrenDr. Gerhard Friedrich nung von Abfällen. Wir unterscheiden uns allerdings in der Frage nach dem Verhältnis dieser energetischen Verwertung zur stofflichen Verwertung. Das ist der eigentliche Unterschied. Frau Kollegin Caspers-Merk, hier hatten wir im Regierungsentwurf ursprünglich etwas Ähnliches wie Sie, nämlich den Vorrang der stofflichen Verwertung. Und dann waren wir in einer Phase - ich kann mich noch genau daran erinnern -, in der auch aus Ihren Reihen, aus den Reihen der Öko-Verbände die Verwertung, so wie sie vom DSD in Sachen Kunststoff konkret vorgeschlagen wurde, heftigst kritisiert wurde. Der Hamburger Umweltsenator Vahrenholt hat in der „Zeit" vom 4. Februar ein Plädoyer für die Verbrennung alter Kunststoffe abdrucken lassen. Er hat uns dort eindringlich darauf aufmerksam gemacht, Recycling sei nicht immer gut. Zu glauben, daß Recycling immer gut sei, sei ein schwerer Fehler. Ich bin nicht ganz seiner Meinung. Wir verlangen ja nicht, daß Sie das übernehmen. Wenn daraus Konsequenzen gezogen werden sollen, bitte ich darum, daß wir ernstgenommen werden. Wir greifen damit doch Wortmeldungen aus Ihren Reihen auf. Wir schreiben jetzt - das ist der Kern der neuen Bestimmungen - die umweltverträglichere Verwertungsart vor, und wir wollen, daß für die wichtigsten Rückstände, auch für Kunststoff, bundesweit technische Regelwerke entwickelt werden und daß das Ganze dann in Verordnungsform gegossen wird. Dort soll man herauslesen können, in welchem Umfang z. B. Kunststoff stofflich zu verwerten ist. Wo man klare wissenschaftliche Erkenntnisse hat, daß stoffliches Verwerten besser ist - und dafür spricht häufig einiges -, muß die Möglichkeit gegeben sein und ist sie bei uns auch gegeben, die stoffliche Verwertung durchzusetzen. Nur wo es solche technischen Regelwerke nicht gibt, meine Damen und Herren, taucht das Problem auf, ob wir es dem kleinen Mittelständler zumuten, den in Ihrem Gesetzentwurf verankerten Vorrang der stofflichen Verwertung durch eine Unzahl von Ingenieurgutachten, die er in Auftrag geben müßte, zu widerlegen. Das halten wir nicht für praktikabel. ({1}) Wo wir bundesweit keine klaren Erkenntnisse haben, brauchen wir einfache Kriterien. Wenn jemand anspruchsvoll in einer Anlage den Heizwert eines Rückstandes nutzt, dann wollen wir keine jahrelangen Gutachtenauseinandersetzungen und Gerichtsverfahren. Das Ganze muß praktikabel sein. ({2}) Ich kann abschließend nur noch einen Punkt aus meinen Notizen inhaltlich vortragen. Das Kernstück der Novelle ist die im Gesetz jetzt klar verankerte Produktverantwortung. Trotz aller Pannen beim Vollzug der Verpackungsverordnung, die wir inzwischen überwunden haben, können wir jetzt belegen, daß Hersteller, die ihre Produkte selbst verwerten und entsorgen müssen, schon bei der Produktgestaltung darauf achten, daß die Verwertung erleichtert wird. Blister und ähnliche Verpackungen sind aus den Haushaltswaren- und Lebensmittelgeschäften heute praktisch verschwunden. Die Wirtschaft hat auch gemerkt, daß die hohen Kosten der Verwertung zu der Überlegung zwingen: Kommen wir mit weniger Material aus? Können wir vielleicht sogar auf die zweite oder dritte Verpackung um ein Produkt herum verzichten? ({3}) Wir glauben, daß die Verpackungsverordnung trotz der Pannen gezeigt hat, daß wir mit der Systematik der Produktverantwortung auf dem richtigen Weg sind. Wir bauen das Ganze jetzt im Kreislaufwirtschaftsgesetz aus. Von der SPD unterscheiden wir uns eigentlich nur in einem Punkt, nämlich dadurch, daß wir klarstellen und dabei ehrlich sind: Produktverbote sind in der EG kaum durchsetzbar. Aus Zeitgründen ein letzter Hinweis. Wir haben in vielen Fällen bei Ihren Änderungsanträgen im Ausschuß festgestellt, daß wir eigentlich gemeinsame Anliegen haben und daß es nur um Zweckmäßigkeitsfragen geht. ({4}) - Es gab aber auch einzelne Unterschiede, Frau Kollegin Caspers-Merk. Vor allem bei der energetischen Verwertung sahen wir keine Möglichkeit, uns mit Ihnen im Ausschuß zu einigen. Deshalb hoffen wir, daß es mit den Praktikern des Vermittlungsausschusses des Bundestages und des Bundesrates vielleicht doch noch gelingt, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kluger Mann hat einmal gesagt: In der Politik kommt es nicht auf die Größe der Schritte an, sondern darauf, daß sie in die richtige Richtung gehen. Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf, der heute unter dem anspruchsvollen Namen Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschiedet werden soll, nicht in die richtige Richtung weist, sondern in die falsche Richtung geht. Was Sie vorgetragen haben, Herr Kollege Friedrich, sind nach meiner Auffassung zum Teil Interpretationskünste, die durch den Gesetzestext nicht gedeckt werden. Wir stellen weiterhin fest: Der Gesetzentwurf ist nicht vollzugsfreundlich. Das haben alle Sachverständigen in zwei Anhörungen auch bestätigt. Er ist nicht EG-konform, und er leistet keinen Beitrag zur dringend notwendigen Müllvermeidung. Wir kritisieren das aber nicht nur, sondern wir bedauern gleichzeitig, daß dieses Ergebnis heute vorliegt. Denn im Interesse der Sache, im Interesse der Kommunen, die auf übervollen Deponien sitzen, auch im Interesse der Verbraucher und der Wirtschaft ist es bitter nötig, jetzt die Weichen für eine zukunftsorientierte, d. h. für eine ressourcenschonende Abfallwirtschaft zu stellen. Diese Chance wird mit diesem Gesetzentwurf leider vertan. Wir haben, daran möchte ich erinnern - auch Herrn Minister Töpfer -, bei der Einbringung des Regierungsentwurfs im September 1993 eine konstruktive Zusammenarbeit angeboten. Dieses Angebot war ernstgemeint. Es war ehrlich gemeint, und es hätte auch realisiert werden können, weil nämlich der Töpfer-Entwurf, wenn ich das einmal so sagen darf, trotz aller Schwächen mindestens sinnvolle Ansätze enthalten hat, die man hätte ausbauen können. Nur, vom „Ur-Töpfer" ist kaum etwas übriggeblieben, meine Damen und Herren. ({0}) - Doch. Was die Koalition nach monatelangem internen Streit auf den Tisch gelegt hat, ist nur noch ein Rumpfgesetz. ({1}) Alle vorwärtsweisenden Elemente, lieber Kollege Kampeter, sind herausoperiert worden. Der Koalitionsentwurf tritt auf der Stelle, und partiell - ich habe das gesagt und wiederhole es ausdrücklich - bewegt er sich sogar rückwärts. Ich weiß, Sie bestreiten das. Lassen Sie mich drei Beispiele dafür nennen. ({2}) - Es sind nicht nur Behauptungen, sondern ich möchte dieses auch belegen, lieber Herr Kollege Lippold; deshalb hören Sie bitte zu. Der Vermeidungsgrundsatz, der jedenfalls im ersten Regierungsentwurf noch deutlich als oberste Priorität enthalten war, ist auf der Strecke geblieben. Vermeidung und Verwertung werden auf eine Stufe gestellt; in § 4 sind sie mit „oder" verbunden. ({3}) - Ja, ich kann schon lesen, deutsch und gelegentlich auch Fremdsprachen. - Vermeidung und Verwertung werden in einen Topf geworfen. Zweitens. Der Vorrang - das haben Sie selbst konzediert, Herr Friedrich - des stofflichen Recycling vor der sogenannten energetischen Verwertung, also der Verbrennung, ist weggefallen; auch dies war im Regierungsentwurf, der offiziell im September 1993 eingebracht wurde, wenigstens noch als Sollbestimmung enthalten. Sie haben das herausgestrichen. Statt dessen werden nun, wenn dieser Entwurf Gesetz werden sollte - was ich nicht hoffe -, die Türen für die Müllöfen wirklich weit geöffnet. Es ist Ihr erklärter Wille, die Verbrennung zu erleichtern. Ich beziehe mich auf Ihre eigene Pressekonferenz, die Sie Ende Januar gegeben haben. Die beiden Berichterstatter haben dies ausdrücklich und wörtlich so gesagt. Auch dies steht übrigens im Widerspruch zu den Ausführungen des Herrn Bundesumweltministers, der nämlich gesagt hat - ich habe das noch einmal nachgelesen -, es werde keinen Durchmarsch für die Abfallverbrennung geben. Das steht im Protokoll vom 23. September 1993. Genau dies wird aber eintreten. Übrigens, zur Klarstellung: Aus unserer Sicht ist die Müllverbrennung unter bestimmten Bedingungen sinnvoll und notwendig. Darüber streiten wir uns ja gar nicht. ({4}) - Bleiben wir bei der Sache und nicht bei Personen. Sie ist z. B. notwendig bei Sonderabfällen, zur Schadstoffvernichtung usw. Aber - das bitte ich doch aufmerksam zu verfolgen - wer die Verbrennung so großzügig zuläßt oder - im Bild gesprochen - die Türen für die Müllöfen so weit öffnet, nimmt jeden Anreiz weg, Technologien für stoffliches Recycling weiterzuentwickeln. Das ist nicht innovationsfördernd, sondern das ist innovationshemmend. Das ist der Nachteil an der ganzen Sache. ({5}) Sie schreiben in dem Entwurf, Sie wollen jeweils durch Rechtsverordnungen festlegen lassen, was die besser umweltverträgliche Verwertungsart sei. Nun haben wir sehr schlechte Erfahrungen mit Rechtsverordnungen. Man darf gespannt sein, wann diese Rechtsverordnungen kommen, für welche und für wie viele Stoffgruppen sie kommen, wer die Kriterien festlegt, wer die Ökobilanzen erstellt usw. Es ist Ihnen genauso klar wie uns, daß dies eine sehr aufwendige und langwierige Prozedur sein wird. Drittens. Sie forcieren die Privatisierung auf breiter Front. ({6}) Auch hier hat der Bundesumweltminister im September 1993 versichert, daß die staatliche Verantwortung für die Abfallentsorgung beibehalten werde. Sie regeln es nicht so, wie es bislang möglich und übrigens auch sinnvoll ist, daß die entsorgungspflichtigen Körperschaften Aufgaben an Dritte übertragen können, sondern Sie gehen einen Schritt weiter und sagen, daß die Pflichten selbst auf privatwirtschaftlich organisierte Verbände übertragen werden können und übertragen werden sollen. Ich frage mich - und ich frage auch Sie -, ob dies erstens von den zuständigen Behörden überhaupt noch kontrollierbar ist und ob nicht zweitens die große Gefahr besteht, daß hier Monopolisierungstendenzen im Stile des DSD eintreten, wie wir das schon erlebt haben. ({7}) Der vierte Punkt betrifft die Produktverantwortung. Sie haben sie auch angesprochen, Herr Friedrich. Sie wurde ja immer als Herzstück eines neuen AbfallgeDr. Liesel Hartenstein setzes gepriesen. Sie ist aber im jetzigen Koalitionsentwurf wahrlich zu einer Alibiformel zusammengeschrumpft. Im Grunde steht nichts Substantielles mehr drin. Auch hier ist der Grundgedanke richtig, und wir pflichten diesem Grundgedanken bei, daß man bei der Produktgestaltung auch die Abfallseite sofort mit bedenken sollte. Deshalb lauten unsere Forderungen, daß diese Grundsätze für die Produktverantwortung im Gesetz verankert werden sollten, daß die Hersteller zur Beachtung dieser Grundsätze verpflichtet werden und daß eine klare Definition ins Gesetz geschrieben wird, was mit Produktverantwortung überhaupt gemeint ist. Auch das ist nur noch in wenigen Stichworten angedeutet. Das kann man umschreiben, das kann man umreißen, und das hat für die Auslegung und Ausführung des Gesetzes mit Sicherheit eine wesentliche Funktion. Wir stellen uns ein zweistufiges Vorgehen vor. Ich muß auch hier sagen: Wir hätten - bei gutem Willen Ihrerseits jedenfalls - ein Stück weit zusammenkommen können. ({8}) - Doch, Sie machen gerade Lyrik. In diesen Paragraphen zur Produktverantwortung steht nichts Substantielles mehr, sondern nur noch Lyrik. Daraus kann überhaupt keine praktische Konsequenz mehr gezogen werden. ({9}) Der erste Schritt muß also sein: Die Grundsätze müssen im Gesetz festgelegt werden - ich brauche sie nicht alle zu repetieren -, nämlich: Produktgestaltung soll Produkte hervorbringen, die langlebig, schadstoffarm, wiederverwendbar, reparaturfreundlich, leicht demontierbar usw. sind. ({10}) Diese Grundsätze sollen im Gesetz festgelegt werden. Das ist doch nicht ohne Bedeutung! Im übrigen ist auch der Bundesumweltminister dieser Meinung, denn in seinem Entwurf stand das auch drin. Als zweiten Schritt müssen wir die Ausgestaltung des Instrumentariums anpacken. Das ist richtig. Aber das kann man nicht übers Knie brechen. Dazu ist eine gründliche Diskussion erforderlich. Es stehen bereits Kennzeichnungspflichten und Rücknahmepflichten im Entwurf; es müssen weitere ordnungsrechtliche Instrumente ergriffen werden. Aber es müssen zusätzliche marktwirtschaftliche Instrumente eingeführt werden, beispielsweise Abfallabgaben, wie sie in mehreren Landesgesetzen schon verankert sind. Das ist ein Weg, den wir miteinander hätten gehen können, der nicht im ersten Anlauf zu schaffen ist, der aber in die richtige Richtung führt. Nach unserer Auffassung, liebe Kolleginnen und Kollegen, muß die Chance genutzt werden, durch Setzung richtiger Rahmenbedingungen und durch klare Vorgabe abfallwirtschaftlicher Ziele den technischen Erfindungsgeist in die Richtung zu lenken, daß Vermeidungstechniken weiterentwickelt werden und wirklich ein ökologisches Produktdesign entworfen wird. Das ist eine Aussage, die ich fast wörtlich aus den Expertenanhörungen übernehmen konnte, wo gesagt wurde: Klare Definitionen und klare abfallwirtschaftliche Zielvorgaben - jetzt hören Sie mal zu, die Wirtschaft interessiert Sie ja und auch uns - würden auch den Produktentwicklern in den Firmen die Arbeit erleichtern. Genau an diesen beiden Punkten fehlt es in diesem Entwurf. Im übrigen sind wir auch der Auffassung, daß dies für unsere Industrie hilfreich wäre. Wenn wir die Entwicklung in diese Richtung lenken, dann wird sie auch neue Marktvorteile gewinnen. Kurzum, es ist kein Sinn darin zu erkennen, daß wir eine gigantische Entsorgungswirtschaft aufbauen, die nachher in sich selbst rotiert. Wir haben diese Erfahrung beim Grünen Punkt gesammelt. Das ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Noch weniger ist zu rechtfertigen, auch ökologisch nicht, daß wir die Tore für die Verbrennungsmöglichkeiten so weit aufmachen. ({11}) Vier Kardinalforderungen sind nicht erfüllt; ich wiederhole sie in Stichworten. Wir fordern erstens: Das Gesetz muß vollzugstauglich werden. ({12}) Kaum einer der Experten hat am Gesetzentwurf der Regierung - an Ihrem schon gar nicht - einen guten Faden gelassen. Zweitens. Wir brauchen ein EG-konformes Begriffssystem. Wir können keinen deutschen Sonderweg gehen. Das Wortspiel „Abfälle" und „Rückstände" stiftet nur Verwirrung und führt zu einem totalen Vollzugschaos spätestens nach dem 6. Mai, wenn die EG-Abfallverbringungsordnung ohnehin in Kraft tritt. ({13}) - Die EG übernimmt sie? Nun, das wird ja Kollege Kampeter dann hinkriegen! Drittens. Wir brauchen eine klare Zielhierarchie. Ich habe das schon erläutert. Viertens. Die Abfallentsorgung muß eine öffentliche Aufgabe bleiben, wobei, wie gesagt, die Übertragung von bestimmten Aufgaben - Müllabfuhr, Betrieb von Entsorgungsanlagen usw. - an Dritte eine bewährte Einrichtung ist. Das soll auch weiter so gehandhabt werden. Fünftens. Die Produktverantwortung hat in der Tat eine Schlüsselfunktion. Hier kann der Einstieg in eine neue Ara nicht nur der Abfallwirtschaft, sondern der Stoffwirtschaft insgesamt erfolgen. Diesen Einstieg haben Sie verpaßt. ({14}) - Sie können ja nachher sagen, daß Sie das nicht wollen. Wir wissen es bereits. Dieser Gesetzentwurf ist meilenweit erstens vom Regierungsentwurf, zweitens von dem, was heute abfallwirtschaftlich und stoffwirtschaftlich geboten wäre, entfernt. Sie haben sich damit in eine abfallpolitische Sackgasse hineinmanövriert. Wir werden eine neue Runde, vielleicht sogar mehrere Runden brauchen, um da wieder herauszukommen. Aber der Schwarze Peter liegt bei Ihnen und nicht bei uns. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das bisherige Abfallrecht liefert in der Tat keine genügende Grundlage, um mit den Problemen der Müllvermeidung, der Müllverwertung und der umweltgerechten Entsorgung fertig zu werden. Deshalb hat die Bundesregierung im letzten Jahr den Entwurf für die Novellierung des Abfallgesetzes, also das Kreislaufwirtschaftsgesetz, vorgelegt. Aus meiner Sicht und der der Berichterstatter der Koalitionsfraktionen war dieser Entwurf nicht akzeptabel, weil er unübersichtlich, zu kompliziert und unpraktikabel war. Aus diesen Gründen haben wir einen neuen Gesetzestext erarbeitet, mit dem wir - ganz im Gegensatz zu Ihrer Meinung, verehrte Frau Kollegin Hartenstein - die genannten Probleme beseitigen. Ich hatte bei Ihrer Rede manchmal den Eindruck, daß Sie sich mal wieder auf die längst nicht mehr zur Grundlage gehörende Regierungsvorlage und nicht auf den Berichterstatterentwurf beziehen. Wenn Sie diesen durchgelesen hätten, hätten Sie merken müssen, daß wir genau diese Probleme beseitigt haben. ({0}) Ich glaube, daß wir mit diesem Entwurf einen vernünftigen Kompromiß zwischen Ökonomie und Ökologie gefunden haben. Die letzten Monate galten einem intensiven Abstimmungsprozeß zwischen den unterschiedlichen Meinungen in der Koalition und nicht zuletzt auch in den Fraktionen. Dieser Prozeß umfaßte auch die Auseinandersetzung mit Sachverständigen und Verbänden. Wenn Sie sagen, die Sachverständigen hätten in der Anhörung kein gutes Haar am Entwurf der Berichterstatter gelassen, kann ich nur sagen: Er war nicht Grundlage der Anhörung. ({1}) Was die SPD uns nicht zugetraut hat - das ist es wahrscheinlich auch, was Sie ärgert - und was von den Medien immer wieder bezweifelt wurde, ist heute erreicht: Wir können über einen Gesetzentwurf, der die Lösung der Probleme der Abfallwirtschaft auf eine neue Grundlage stellt, abschließend beraten und abstimmen. Ziel ist es, daß das Gesetz noch in diesem Sommer den Bundesrat passiert und die Novelle noch in dieser Legislaturperiode verkündet werden kann. Ich setze an dieser Stelle - das sage ich ganz deutlich in Richtung SPD - auf die Vernunft des Bundesrats; denn seine Haltung war bisher unklar. Folgt man dem Teil seiner Stellungnahme - schauen Sie sich das einmal an -, der vom Wirtschaftsausschuß formuliert wurde, müßte unser Gesetzentwurf in dem einen oder anderen Punkt sogar noch abgeschwächt werden. Die im Bundesrat ebenfalls beschlossenen, aber entgegengesetzten Wünsche der Umweltpolitiker haben wir teilweise berücksichtigt, aber nicht in den Teilen, wo sie zu dirigistisch waren. Ich frage Sie ganz klar: Was soll man eigentlich von einer Stellungnahme des Bundesrats halten, in der gleichzeitig der Vorrang der stofflichen Verwertung und die Gleichrangigkeit gefordert werden? ({2}) Da also offensichtlich dem Bundesrat die Diskussionen, die wir hinter uns haben, noch bevorstehen, appelliere ich an den Bundesrat, sich an dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Kompromiß zu orientieren, um das weitere Verfahren zu beschleunigen. Ich stelle fest, daß wir damit unsere Hausaufgaben gemacht haben. Mit der heutigen Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes haben wir vor allen Dingen auch für die Wirtschaft - und deswegen ist es um so wichtiger, daß das noch in den Bundesrat kommt und nach Möglichkeit beschlossen wird - Planungssicherheit geschaffen. Das war einer der wesentlichen Punkte. Ich möchte ganz kurz auf die wichtigsten inhaltlichen Punkte eingehen. Im Mittelpunkt des Gesetzes steht die Produktverantwortung. Das betrifft - Frau Kollegin Hartenstein hat das vorhin schon ausgeführt - die §.§. 22 bis 24 des Entwurfs. Die Produktverantwortung war schon in § 14 Abfallgesetz als Ansatz enthalten. Dieser Ansatz wird ausgebaut und erhält eine sichere Rechtsgrundlage. Durch die Möglichkeit, Rücknahme- und Rückgabepflichten einzuführen, kann der Produzent oder der Vertreiber für die Kosten der Verwertung oder Entsorgung seines Produkts in Anspruch genommen werden. Verwertung und Entsorgung bekommen also für den Hersteller einen Preis, was zur Folge hat, daß sich die Vermeidung immer mehr lohnt. So führen wir indirekt Anreize zur Vermeidung ein. Wenn Sie sagen, das sei Lyrik, dann kann ich nur sagen: Ich möchte von Ihnen ganz gerne wissen, wie das, was Sie unmittelbar gelten lassen wollen, nämlich die Produktverantwortung, eigentlich vernünftig gemacht werden soll, wenn Sie sagen, die Umweltverträglichkeit, die Dauerhaftigkeit, die Reparaturfreundlichkeit der Erzeugnisse, Energie- und Rohstoffeinsparung usw. sollten dabei berücksichtigt werBirgit Homburger den. Diese Kriterien können durchaus in Widerspruch zueinander stehen. Beispielsweise kann es durchaus sein, daß ein langlebiger Kunststoff die von Ihnen genannte Forderung der Entsorgungsfreundlichkeit nicht erfüllt. Folglich kann das gar nicht unmittelbar gelten, wie Sie das wollen. Das würde ins absolute Chaos führen. Im übrigen brauchen wir auch nicht ein einheitliches Produktdesign vorzuschreiben oder gar bestimmte Dinge zu verbieten, wie es von Ihnen immer wieder vorgeschlagen wird. Eine solche Festschreibung von seiten des Staates würde starke Reglementierungen nötig machen und schließlich zur staatlichen Produktnormung führen. Wir wollen aber nicht den Staat zur Wirtschaft machen, und deshalb lassen wir auch den Produzenten die Freiheit, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Produkte umgestalten wollen und können. Denn nur wenn wir der Wirtschaft die Freiheit lassen, geben wir ihr auch die Möglichkeit zur schnellen Anpassung und zum Spielraum für Innovationen. ({3}) Die sind letztendlich dringend nötig, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Das, was Sie machen, Frau Kollegin Hartenstein, würde ich eher als lyrisch bezeichnen als das, was bei uns klar und eindeutig im Gesetz festgelegt ist. Wir halten jedenfalls unseren Ansatz für besser und vor allen Dingen für ehrlicher. ({4}) Es war des weiteren wichtig, die Begrifflichkeiten der EU anzupassen. - Auch das war gerade schon Thema. - Es gibt nun Rückstände, Sekundärrohstoffe sowie Abfälle. Dabei ist klar festgelegt: Sekundärrohstoffe sind verwertbare Rückstände, Abfälle zu entsorgende Rückstände. Dabei haben wir die EU-Begriffe materiell-rechtlich voll übernommen; ich habe das schon x-mal erklärt. Wir haben lediglich die Begriffe anders übersetzt, als dies die deutsche Übersetzung der EU-Abfallrahmenrichtlinie tut. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das deutsche Parlament hinsichtlich der Begriffe an die Übersetzungskünste eines Übersetzers gebunden ist, wenn wir materiell-inhaltlich etwas voll übernehmen. Wir haben also lediglich diesen Widerspruch. Ich möchte nebenbei erwähnen, daß wir diese Begriffe auch in die Baseler Konvention übernommen haben. Es ist wichtig, in beiden Gesetzen eine einheitliche, klare Begriffsbestimmung vorzunehmen, um keine Verwirrung aufkommen zu lassen. Das haben wir gemacht. Mit diesem Gesetzentwurf wird gleichzeitig die EU-Abfallrahmenrichtlinie von 1991 umgesetzt. Dies ist nötig, um den Vollzugsdefiziten der Länder bei der Entsorgung und Verwertung zu begegnen. Dazu zählt vor allem die durch die EU-Richtlinie vorgegebene Einbeziehung der Sekundärrohstoffe, also der verwertbaren Produktionsrückstände. Dies hatte zur Folge, daß wir auch die Überwachung und die schadlose Verwertung regeln mußten. Damit ist das Schlupfloch der Umdeklarierung zu „Wertstoffen" geschlossen. Zukünftig kann man also nicht mehr aus der Abfallüberwachung herausgelangen. Das ist eine ganz wichtige Regelung. Ein heftiger Diskussionspunkt war auch die Frage, welche Art der Verwertung zugelassen werden soll und ob es eine Vorrangregelung für die stoffliche oder die energetische Verwertung geben soll. Im Laufe der Diskussion hat sich deutlich herausgestellt, daß man eben nicht generell behaupten kann - wovon wir vor zwei Jahren auch noch ausgingen -, daß die stoffliche Verwertung immer die ökologisch bessere sei. Deshalb haben wir den Grundsatz festgelegt - und ich glaube, damit kann sich jeder Umweltpolitiker sehen lassen -, daß die umweltverträglichere Verwertungsart Vorrang hat. ({5}) Die Beweislast dafür liegt bei der Behörde. Für die Entscheidung im Einzelfall haben wir klare Kriterien festgelegt, und das war im Interesse einfacher und rascher Entscheidungen notwendig. Das bedeutet also, daß grundsätzlich sowohl die stoffliche als auch die energetische Verwertung zugelassen sind. Das hat im übrigen nichts mit der thermischen Entsorgung zu tun. Voraussetzung dafür, daß die energetische Verwertung und die stoffliche Verwertung als gleichwertig angesehen werden, ist - und jetzt kommen die Kriterien des § 6 Abs. 2, die Sie vorhin so freundlich übergangen haben -, daß der unvermischte Sekundärrohstoff einen Heizwert von 11 000 Kilojoule pro Kilogramm hat und in der Anlage einen Feuerungswirkungsgrad von mindestens 75 % erzielt sowie die Energie auch tatsächlich genutzt wird. Es ist selbstredend so, daß die Anforderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes natürlich auch für diese Anlagen gelten. ({6}) Diese Kriterien, Frau Kollegin Hartenstein, machen meines Erachtens hinreichend deutlich: Die Müllverbrennung - und sei es in noch so modernen Anlagen - erhält damit nicht das Umweltgütesiegel „energetische Nutzung", denn energetische Verwertung wird als „Ersatzbrennstoff" definiert, und es wird auch auf den Hauptzweck der Anlage - § 4 Abs. 4 - abgestellt. Müllverbrennungsanlagen sind aber immer Abfallentsorgungsanlagen, die nebenher die Verbrennungsenergie nutzen. Das heißt also, daß hier ganz klar gezeigt wird, daß die Kritik, die Sie anbringen, an dieser Stelle völlig unberechtigt ist. ({7}) Es war uns auch wichtig, zu regeln, daß zukünftig das Parlament ein Mitspracherecht bei wichtigen Rechtsverordnungen hat. Es mag zwar sein, daß diese Regelung von stringenten Juristen als Kompetenzvermischung zwischen Exekutive und Legislative gesehen wird; die Maßnahme war allerdings dringend notwendig und wichtig. Wir haben in der Organisation der Abfallwirtschaft neue Spielräume geschaffen. Wir geben den Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern die Möglichkeit, durch eigene Einrichtungen ihre Mitgliedsbetriebe von den Verwertungs- und Entsorgungspflichten zu entlasten, was wichtig ist und mit Sicherheit den Vollzug gerade bei kleinen und mittleren Betrieben verbessert. Auch bei den Kommunen erweitern wir die Möglichkeit der Privatisierung. Dies alles sind KannVorschriften, die Wahlmöglichkeiten für eine möglichst effektive Organisation eröffnen. Auch im Verwaltungsbereich werden Deregulierungen vorgenommen, die aber nicht bedeuten, daß etwa die Kontrolle gegenüber den Betrieben eingeschränkt wird, sondern es werden nur unnötige und kostenaufwendige Verwaltungsvorgänge abgeschafft. ({8}) So haben wir z. B. für kleine und mittlere Betriebe eine Mengenschwelle eingeführt, ab der sie gegenüber dem Regierungsentwurf nicht mehr verpflichtet sind, betriebliche Abfallwirtschaftskonzepte und -bilanzen zu erstellen. Gleichwohl bleibt hier das Nachweisverfahren, wohingegen ein Abfallwirtschaftskonzept, gut gemacht, einen großen Betrieb von dem normalen Nachweisverfahren im Einzelfall befreien kann. Folglich haben wir also für beide Bereiche eine hervorragende Möglichkeit geschaffen; Deregulierung ist das Stichwort an dieser Stelle. Um zu gewährleisten, daß Sekundärrohstoffe, die ja verwertbare Rückstände sind, auch tatsächlich verwertet werden, können für bestimmte Stoffe durch Verordnungen Anforderungen festgelegt werden, z. B. Schadstoffhöchstgrenzen oder Verkehrsbeschränkungen. Ziel des Ganzen ist es, diese Stoffe marktfähig zu machen und den Argumenten von Behörden und Firmen entgegenzutreten, die auf Grund überhöhter „Angstwerte" bestimmte Stoffe nicht oder nur unter strengen Auflagen verwenden wollen. Ich denke dabei an Schlacken im Straßenbau oder auch an Aschen auf Sportplätzen. Auch diese Verordnungen sind von der Zustimmung des Bundestages abhängig. Die Novelle des Abfallrechts bringt auch eine exakte Abgrenzung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Dem sind wir nachgekommen, indem wir festgelegt haben, daß stoffbezogene Anforderungen des Abfallrechts an die Verwertung und Entsorgung auch für nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlagen gelten. Gleichzeitig stellen wir aber klar, daß darüber hinaus das Genehmigungsverfahren sich nur nach Immissionsschutzrecht richtet. Zusammenfassend stelle ich also fest: Die Vorstellungen der SPD waren insgesamt zu dirigistisch und daher nicht akzeptabel. ({9}) Die Diskriminierung der Verwertung, Frau Kollegin Caspers-Merk, von Sekundärrohstoffen durch die Bezeichnung „Abfall" wäre umweltpolitisch kontraproduktiv. Die SPD-Forderung nach einem absoluten Vorrang der Vermeidung aller Rückstände vor der Verwertung wäre der Einstieg in eine dirigistische staatliche Reglementierung. Hier weise ich darauf hin: Wir haben die Zielhierarchie , aber es geht um die Frage, ob auch Sekundärrohstoffe in jedem Fall vermieden werden müssen. Wir machen die Abfallvermeidung - die hat Vorrang -, aber Sie wollen die Rückstandsvermeidung und folglich auch ein dirigistisches Eingreifen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Stoffwirtschaft in Ihrem Sinne jedenfalls nicht. ({10}) Die Vermeidung aller Rückstände vor der Verwertung wäre der Einstieg in eine dirigistische staatliche Reglementierung bis hin zur Produktionsnormung. Ich finde es sehr bedauerlich, daß Sie sich nach wie vor im Griff der ÖTV befinden und jeglicher Privatisierung im Weg stehen. ({11}) Die Koalition hat ihre Hausaufgaben in dieser Legislaturperiode zur Reform der Abfallwirtschaft gemacht. ({12}) Wir haben alle Regelungen getroffen, um die Abfallwirtschaft für die Zukunft mit vernünftigen Rahmenbedingungen auszustatten. Mit dem Investitionserleichterungsgesetz wurden Genehmigungsverfahren erleichtert und beschleunigt. Mit der TA Siedlungsabfall hat man die Vorgaben für die Hausmüllentsorgung festgelegt. Damit wurden langwierige Diskussionsprozesse pro und contra thermische Müllbehandlung entschieden. Wir haben mit den Ausführungsgesetzen zum Baseler Übereinkommen ein Instrumentarium geschaffen, um umweltschädliche und illegale Abfallexporte in den Griff zu bekommen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz schafft nun die nötigen Perspektiven für eine intelligente Abfallwirtschaft der Zukunft. Danke. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) Frau Kollegin Homburger, was haben wir denn nun eigentlich am Dienstag abend von Ihnen auf den Tisch gekriegt: einen neuen Entwurf oder den TöpferEntwurf mit unzähligen Veränderungen der Koalition? - Die Antwort darauf sind Sie schuldiggeblieDr. Dagmar Enkelmann ben. Wir haben im Ausschuß darüber diskutiert. Sie haben abgestritten, daß es ein neuer Entwurf sei. ({1}) - Natürlich bin ich im Ausschuß gewesen. Da waren Sie vielleicht nicht da. Meine Damen und Herren, statt blühender Landschaften wachsen in den neuen Bundesländern - und nicht nur dort - die Müllberge. ({2}) Statt einer dringend notwendigen Wende in der Abfallwirtschaft gibt es kosmetische Operationen, die den Patienten nur noch häßlicher machen. Was uns hier als Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgesetzt wird, ist ein semantischer Eiertanz ungeahnten Ausmaßes. Dies zeichnete sich schon bei den Anhörungen hierzu und bei der Schlußabstimmung im Umweltausschuß ab. Nahezu ohne Konsequenzen blieb, daß bis auf den Entsorger Rethmann alle Sachverständigen der Anhörung im September den Entwurf ablehnten; zugegeben: Natürlich taten dies die Vertreter der Industrie und z. B. die Vertreterin von „Besseres Müllkonzept" aus völlig unterschiedlichen Erwägungen. Sie, meine Damen und Herren der Koalition, haben sich ausschließlich die Argumente der Industrie zu eigen gemacht. ({3}) Offensichtlich versuchen Regierung und Mehrheitsfraktionen durch kreisende Bedeutung von Begriffen die Verwirrung um den Abfallbegriff kreislaufartig so zu steigern, bis niemand mehr durchblickt. Ich befürchte daher, wir werden uns auch heute mit der Diskussion über diesen völlig unzulänglichen Gesetzentwurf im Kreise drehen. Hoffentlich kriegt niemand einen Kreislaufkollaps. Ich möchte hier nur einige Beispiele für den sich durch den Gesetzentwurf wie ein gelber Faden ziehenden Begriffswirrwarr nennen. Die rechtlichen Definitionen im Kreislaufwirtschaftsgesetzentwurf erlauben z. B. keine klare Trennung der Begriffe. - Vermeidung und Verwertung sind hier schon angesprochen worden. - So hat die Verwertung im Rahmen dieses Gesetzes keine Legaldefinition erfahren. Die Vermeidung dagegen ist begriffsmäßig überfrachtet. Auch der Rückstandsbegriff ist nicht eindeutig definiert. Ein durch undefinierte Rechtsbegriffe definierter Rechtsbegriff ist jedoch seinerseits wieder undefiniert. Für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen bestehen nach dem Gesetzentwurf weder Pflichten zur Abfallvermeidung auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes noch Sanktionsmöglichkeiten. Die Begrifflichkeiten des Gesetzentwurfs sind in vielen Fällen nicht mit entsprechenden Regelungen der EG kompatibel. Meine Damen und Herren, da, wo es einmal wirklich sinnvoll wäre, EG-Regelungen zu übernehmen, nämlich z. B. den EG-Abfallbegriff, läßt die Bundesregierung es bleiben. Damit wird sie in einer Sackgasse landen. Eine Übereinstimmung mit den europäischen Abfallrichtlinien kann durch die Art und Weise der Formulierung der im Gesetzentwurf benutzten Begriffe nicht mehr hergestellt werden. Und Sie schieben nun die Verantwortung auf die Übersetzer ab; das ist lächerlich. Der Abfallexport wird - begünstigt durch die Töpfersche Begriffsverwirrung - durch diesen Gesetzentwurf übrigens nicht verhindert, im Gegenteil, er wird eher zunehmen. Ist das vielleicht gewollt? Die die Änderung des Düngemittelgesetzes betreffende Einrichtung eines Entschädigungsfonds zur Absicherung der Landwirtschaftsunternehmen vor Risiken aus der Verwertung von Klärschlamm ist angesichts der berechtigten Forderungen der Bauern und ihrer Verbände zu begrüßen. Ein Problem haben wir allerdings mit der Formulierung in Art. 7 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung in der Ausschußfassung: „flächenbezogene Obergrenzen für das Ausbringen von Nährstoffen aus Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft". Allgemeine Obergrenzen werden unseres Erachtens den ungleichen Bodenbedingungen sowie Faktoren wie Kulturartenvielfalt, Anbauverhältnis, Fruchtfolge, Mineraldüngeraufwand u. a. nicht gerecht. Meine Damen und Herren, der Entwurf für ein Kreislaufwirtschaftsgesetz ist verwirrend und für die entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften praktisch nicht handhabbar, ja, er untergräbt letztlich die kommunale Selbstverwaltung. Man wird den Eindruck nicht los, die großen privaten Abfallentsorger und die Müllverbrennungslobby hätten die Feder geführt. In § 6 Abs. 1 des Entwurfs heißt es: Sekundärrohstoffe können stofflich oder energetisch verwertet werden ... Bei gleichwertiger Umweltverträglichkeit nach Maßgabe der in Absatz 2 genannten Voraussetzungen können Sekundärrohstoffe energetisch verwertet werden. Dies bedeutet im Zusammenhang mit der TA Siedlungsabfall nichts anderes als einen Vorrang für die Müllverbrennung. ({4}) Die Müllverbrennung ist teuer, gefährlich, verhindert die Vermeidung und Verwertung von Abfällen. Sie verlagert die Abfallproblematik in Luft und Wasser. Die Reststoffe müssen trotzdem deponiert werden. Bei konsequenter Vermeidung und Verwertung von Abfällen und der konsequenten Entgiftung der Produktion bleibt weniger Restmüll übrig, der deponiert werden muß, als bei der Müllverbrennung. Für die PDS/Linke Liste im Bundestag sage ich in aller Deutlichkeit: Wir teilen Ihre Ansicht nicht, daß die Müllverbrennung - egal, ob sie schönfärberisch als „thermische Verwertung" oder anlagentechnisch als „Schwel-Brenn-Thermoselekt" daherkommt - eine Lösung des Abfallproblems darstellt. ({5}) Wir lehnen die Müllverbrennung ab. Natürlich werden sich auch hier einige Kronzeugen finden, die sagen, da kommt heute oben nur noch heiße Luft und hinten Gold heraus. Meine Damen und Herren, sämtliche Mängel des Gesetzentwurfs hier aufzuführen würde den Rahmen der Tagesordnung sprengen. Ich verweise daher auf die schriftliche Stellungnahme des von uns benannten Sachverständigen für die Anhörung des Umweltausschusses, Oliver Kalusch. Die PDS/Linke Liste im Bundestag wird den vorliegenden Gesetzentwurf für ein Kreislaufwirtschaftsgesetz ablehnen. Er ist völlig unzureichend und entspricht nicht den ökologischen Anforderungen unserer Zeit. Er entspricht vor allen Dingen auch nicht dem von der Regierung in Rio vollmundig geforderten nachhaltigen Wirtschaften. Dieser Gesetzentwurf ist eine umweltpolitische Bauchlandung. Ich hoffe, daß wir uns in der nächsten Legislaturperiode einmal ernsthafter mit der Abfallproblematik auseinandersetzen können. Unabdingbar für uns ist dabei, daß die Abfallentsorgung in die öffentliche Hand gehört. Wir fordern ein System von kommunalen Recyclinghöfen auf Grundlage des Sero-Systems, verbunden mit Getrennt-Sammel-Hol-Systemen in den Haushalten. Natürlich müssen die Kommunen auch mit einer entsprechenden Finanzausstattung versehen werden. Dies ist vernünftig, und dies ist auch Stand der Diskussion in den Bürgerinitiativen und Umweltverbänden. Das Wichtigste für eine zukunftsweisende, umweltfreundliche, ressourcenschonende und sozialverträgliche Abfallwirtschaft ist es, an der Quelle anzusetzen. Die Hersteller von Produkten und Verpackungen sind dabei in die Pflicht zu nehmen, wobei den produzierenden Belegschaften ein weitgehendes Mitspracherecht einzuräumen ist. Grundlage eines Gesetzes, das sich „Kreislaufwirtschaftsgesetz" nennen darf, muß eine Stoffflußkontrolle, eine ökologische Bewertung all der Dinge werden, die früher oder später zu Abfall werden. Fazit: Ein wirkliches Stoffflußgesetz muß her! Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung trägt zu einer weiteren Zertrümmerung des Umweltrechts in der Bundesrepublik bei und wird durch die Aufhebung von Pflichten der Abfallbesitzer und durch den Abbau von Rechten der durch den Umgang mit Abfall Betroffenen zur weiteren Zerstörung der Umwelt beitragen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Allen großen Worten und den Marodeuren der Koalition zum Trotze: Das jetzt vorliegende Kreislaufwirtschaftsgesetz ist nicht geeignet, die Abfallprobleme dieses Landes zu lösen, ganz im Gegenteil. ({0}) Statt endlich eine klare Zielhierarchie einzuführen, verwischt das Gesetz den Unterschied zwischen Vermeidung, Verwertung und Verbrennung völlig. Der Bundesregierung und der Koalition geht es nicht darum, potentielle Abfälle schon bei der Produktion zu vermeiden, sondern darum, mittels Begriffswirrwarr und Augenwischerei die öffentlichen Statistiken zu frisieren. ({1}) Abfälle sollen nämlich bereits dann als vermieden gelten, wenn sie nicht auf öffentlichen Deponien landen. - Wenn das nicht Augenwischerei ist! Wenn Sie das in Abrede stellen und immer wieder behaupten, es sei anders, als es im Gesetzestext steht, dann sage ich: Übernehmen Sie unseren Änderungsantrag zu § 4 des Entwurfs des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes, dann stimmen Interpretation und Wortlaut völlig überein. Wir brauchen klare Prioritäten in der Abfallpolitik. Wir brauchen ein Abfallgesetz, das mit den einschlägigen EG-Richtlinien übereinstimmt. ({2}) Es muß festgeschrieben werden, daß Abfälle oder - um in Ihrem Terminus zu bleiben - Rückstände in erster Linie zu vermeiden sind. Nur nicht vermeidbare Rückstände sind in zweiter Linie auf möglichst umweltschonende Art zu verwerten. Diese Hierarchie fehlt. Erst in dritter Linie sind Stoffe, die weder vermeidbar noch umweltschonend verwertbar sind, möglichst umweltverträglich zu entsorgen. Man sollte meinen, daß es nach über 20jähriger Abfalldebatte jedem vernünftig denkenden Menschen unmittelbar einsichtig sein müßte, daß nur eine solche klare Prioritätensetzung zu einer Verringerung der Müllmengen beitragen kann. Da können Sie noch so viele neue Begriffe erfinden - ob Rückstand oder Sekundärrohstoff -: Müll bleibt Müll, ebenso wie das vorliegende Gesetz allen kosmetischen Operationen zum Trotze genauso ein Schrott ist wie der ursprüngliche Töpfer-Entwurf. Als im Frühsommer des letzten Jahres Politiker und Politikerinnen aller Fraktionen den Töpfer-Entwurf als unbrauchbar, gar als „nicht lesbar" kritisierten - Herr Kollege Friedrich, vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihre einschlägigen Bemerkungen -, da keimte bei mir eine gewisse Hoffnung auf, daß plötzlich eine höhere Eingebung der Koalition Erleuchtung gebracht hat. ({3}) Sie erinnern sich vielleicht, daß ich in meiner Rede vom 1. Juli 1993 anläßlich der Einbringung unseres Antrags für eine vermeidungsorientierte Abfallwirtschaft gleich nach dem zweiten Satz Beifall von seiten der Koalition erntete. Aber den bekam ich nur dafür, daß ich bereit war, die Koalition nicht in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. ({4}) Auf unser Angebot, ein gemeinsames Gesetz aus den Reihen des Parlaments zu erarbeiten, blieb jedoch die Reaktion der Koalition aus. Statt dessen haben einige Amateure ein Gesetz gebastelt, das in vielen Punkten noch schlimmer ist als die Vorlage des BMU. Erinnern wir uns: Am 27. Juli 1993 verkündete der Kollege Friedrich, daß im Entwurf des Kreislaufwirtschaftsgesetzes „zu stark auf ordnungspolitische Maßnahmen gesetzt" werde. Außerdem müßten statt „zu vieler Verordnungsermächtigungen" ökonomische Lenkungsmechanismen größeren Raum finden. Die Kollegin Homburger wird am gleichen Tag wie folgt zitiert: Zentraler Punkt des neuen Gesetzes müsse eine Rücknahmeverpflichtung sein, die mit Abgaben oder einer Zertifikatslösung kombiniert werden müsse. Was ist von diesen vollmundigen Ankündigungen übriggeblieben? Haben Sie einmal nachgezählt, Kollege Friedrich, wie viele Verordnungsermächtigungen es denn nun gegenüber der ursprünglichen Lösung weniger sind? Drei, zwei, eine - oder vielleicht gar keine? ({5}) Was, Frau Homburger, finde ich im neuen Entwurf an marktwirtschaftlichen Instrumenten? Wo finde ich den zentralen Punkt Abgabe? - Ganz einfach: Nirgends. Ein Riesenluftballon - und dann plop. Wenn Sie schon nicht auf uns bzw. unseren Antrag eingehen, warum nehmen Sie dann nicht wenigstens die Ergebnisse des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag zur Kenntnis? Seit Juli 1993 liegt Ihnen der Endbericht des Projektes „Abfallvermeidung und Hausmüllentsorgung " von Frau Anneliese Looß und Christine Katz vor. Da hätten Sie genug Anschauungsmaterial für sinnvolle Strategien und Instrumente der Abfallvermeidung gehabt. Aber nichts da! Statt dessen lassen Sie solche Studien in den Regalen verstauben. Meine Damen und Herren, dagegen können einem beim Lesen des vorliegenden Textes die Tränen kommen - und das nicht nur, weil der Text völlig hektisch mit heißer Nadel gestrickt worden ist. Auf die Vorlage des Art. 7, die erst am Mittwoch nachmittag nachgereicht wurde, will ich gar nicht eingehen. Den wollten Sie ja offensichtlich selbst nicht. Ein anderes Beispiel soll genügen: Nach § 29 sollen die Länder Abfallwirtschaftspläne vorlegen. Vermutlich, weil die Anforderungen an diese Pläne erhöht wurden, sollen diese erstmalig zum 31. Dezember 1999 vorgelegt werden. In § 39 werden die Länder verpflichtet, erstmalig zum 31. Dezember 1995 die Öffentlichkeit über ihre Maßnahmen zur Abfallpolitik zu unterrichten. Diese Unterrichtung enthält „eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung der Abfallwirtschaftspläne" von 1999 - also, ich bitte Sie! -, zu deren Erstellung dann noch vier Jahre Zeit bleiben. Noch absurder wird das Ganze, weil das Gesetz erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten soll, mithin frühestens 1996. Was sollen dann Passagen für 1995 in solch einem Gesetz? Das dokumentiert, daß Sie selbst in diesem Chaos nicht durchsehen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassen, warum wir den Gesetzentwurf ablehnen und nach den Bundestagswahlen unverzüglich eine Neufassung vornehmen werden. Erstens. Statt klipp und klar zu sagen, daß Abfall Abfall ist, sollen die Müllberge durch blumige Wortschöpfungen wegdefiniert werden. ({6}) Zweitens. Für die Koalition gelten alle Abfälle als vermieden, wenn sie nicht auf einer Deponie landen. Gleichzeitig wird die Müllverbrennung zur Maßnahme der Abfallvermeidung erklärt, weil der Müll - wieder so eine Worthülse - als Ersatzbrennstoff deklariert wird. ({7}) - Wenn Sie von Quatsch reden, sollten Sie das Protokoll Ihrer eigenen Rede nachlesen. Drittens. Damit auch noch der Schlacke aus der Verbrennung das Los der Deponierung erspart bleibt, sollen die Grenzwerte so beigebogen werden, daß diese überall im Straßenbau einsetzbar ist.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Feige, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Homburger?

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Feige, können Sie mir bitte sagen, welchen Heizwert vermischter Hausmüll hat?

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Warum soll ich Ihnen das sagen? ({0}) Daß diese Frage von Ihnen kommt, ist natürlich nicht verwunderlich; denn Sie hinterfragen ganz einfach etwas, was Sie in der Debatte im Ausschuß längst hätten erfahren können. In der Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, geht es nicht um Grenzwerte für die Verbrennung, sondern um die Verbrennung insgesamt. Wenn man sich Ihr klimapolitisches Konzept vornimmt, dann stellt man fest, daß es dazu wieder wunderbarerweise im Gegensatz steht. ({1}) Ich will ganz einfach sagen: Selbstverständlich läuft dieses Konzept auf die Müllverbrennung hinaus. Ich bin nicht bereit, in dieser Hinsicht den geringsten Abstrich hinzunehmen. Wenn Sie mit Ihrer einfachen Frage darauf hinaus wollen, ({2}) daß sehr wenig übrigbleibt, dann sage ich Ihnen: Es bleibt immer noch zuviel übrig, weil Müllberge nur durch Müllvermeidung verhindert werden können.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie nach der Frage nach dem Heizwert eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich bitte darum.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Feige, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Heizwert von vermischtem Hausmüll ungefähr bei 8 000 Kilojoule pro Kilogramm liegt ({0}) und daß in § 6 Abs. 2 11000 Kilojoule als Mindestmaß angegeben sind, womit Ihre These, die Müllverbrennung werde hier als energetische Verwertung definiert, widerlegt ist? ({1})

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie kriegen es fertig und sortieren bloß deshalb vor, damit der Heizwert erhöht wird. Auch das traue ich Ihnen durchaus zu. ({0}) Ich bin in der Aufzählung meiner Positionen, warum wir dieses Gesetz nicht annehmen können, stehengeblieben. Den dritten Punkt, die Schlacke betreffend, hatte ich schon genannt. Viertens. Produkthaftung und Eigenverantwortung will die Koalition durch eine umfassende Deregulierung, durch die Abschaffung vermeintlich überflüssiger Vorschriften erreichen. Auf marktwirtschaftliche Instrumente jedoch wird verzichtet. Das war ja wohl Ihr zentraler Punkt gewesen, Frau Homburger. Fünftens. Die Genehmigungsanforderungen an Anlagen werden gesenkt, Nachweisverfahren abgeschafft, und selbst der Probebetrieb von Deponien wird ohne Planfeststellung ermöglicht. Das muß man sich einmal vorstellen: Probebetrieb einer Deponie! Sie können mir doch nicht erklären, es sei praxisnah, daß der Betrieb irgendwann einmal wieder unterbrochen wird. Alles in allem ist auch das jetzt vorliegende Gesetz eine umweltpolitische Seifenblase. Wir können nur an die Länder appellieren, und zwar ausdrücklich nicht nur an die SPD-regierten - ich denke da z. B. an Bayern -, dieses Gesetz abzulehnen. Wir jedenfalls sind bereit, nach den Bundestagswahlen eine Novelle vorzulegen, die vollzugsfreundlich ist, die an den richtigen Stellen unnötigen ordnungspolitischen Ballast abbaut, aber gleichzeitig marktwirtschaftliche Instrumente zur Geltung bringt, die der Abfallvermeidung den richtigen Stellenwert einräumt und die so zu einem Absinken des Abfallaufkommens beiträgt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Siegfried Hornung.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß in diesem vorliegenden Gesetz eindeutig klargestellt wird, daß das Vorrang hat, was am umweltfreundlichsten ist. Damit ist, auch für die Zukunft, kein Platz mehr für Ideologien, auf allen Seiten. Dies ist das Wichtigste, das wir bedenken müssen. In bezug auf die in § 6 angesprochenen Sekundärrohstoffe ist für mich das Wichtigste, die Gleichwertigkeit herauszustellen und so endlich einmal die praktische Möglichkeit zu schaffen, nachwachsende Rohstoffe auch dann einer Verwertung zuzuführen, wenn sie - beispielsweise in Form eines solchen Rednerpults - schon einmal verwendet worden sind. Angesichts der schwierigen Situation unserer Waldwirtschaft müssen wir Schwachholz, Holz überhaupt, auch dann, wenn es bearbeitet und verarbeitet wurde, in den im Grundsatz genannten Bereich für eine Verwertung umsetzen. Ich möchte meinen Dank besonders dafür aussprechen, daß das Anliegen der Landwirtschaft hier ganz deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Ich stelle sogar die Frage, ob es nur das Anliegen der Landwirtschaft ist, denn wir alle sind ja auch Gemeindebürger. Wenn es um Sekundärrohstoffe geht, die aus Siedlungsabfällen - ich denke hier an den Klärschlamm - stammen, dann sind wir wohl letztlich alle betroffen. Insofern ist es gut, daß in diesem Gesetz der Hinweis gegeben und die Regelung geschaffen wird, daß ein Entschädigungsfonds einzurichten ist. Hier wird das verankert, damit endlich jeder in unserer Gesellschaft begreift, daß überall Risiken entstehen können und diese Risiken letztlich gemeinsam zu tragen sind. In diesem Sinne meine ich, daß hier Kreislaufwirtschaft realisiert wird. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Steffen Kampeter.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut sich etwas in Deutschland. Es tut sich etwas in der Umweltpolitik. Es tut sich etwas in der Abfallwirtschaft. Wenn wir in unsere Wahlkreise schauen, ich beispielsweise auf die Hausmülldeponie in meinem Wahlkreis, zeigt sich: In den letzten drei Jahren ist der Eintrag von Abfällen auf die Deponie durch verschieSteffen Kampeter dene abfallwirtschaftliche Maßnahmen halbiert worden. Oder nehmen wir die Entwicklung bei den gewerblichen Abfällen: Steigende Preise und vermeidungsorientierte politische Anreize haben den Aufwärtstrend bei den Sonderabfällen gestoppt. Respekt vor den Maßnahmen der Wirtschaft! Diese Erfahrungen zeigen, daß in den letzten Jahren ein abfallwirtschaftliches Umdenken in den privaten Haushalten, in den Wirtschaftsunternehmen und in der Politik von Bund, Ländern und Gemeinden stattgefunden hat. Der Höhepunkt des Müllbergs scheint überschritten. Diese Entwicklung ist ein Erfolg der Abfallwirtschaftspolitik dieser Koalition. ({0}) Die OECD hat in ihrem kürzlich veröffentlichten Umweltbericht gerade der Abfallwirtschaftspolitik in Deutschland viel Anerkennung gezollt. Für eine Entwarnung - so meine ich - ist es allerdings noch zu früh. Zu viele Verbrennungsanlagen fehlen, zu knapp bleibt der Deponieraum, zu langsam werden Verwertungsanlagen genehmigt. Mit diesem Kreislaufwirtschaftsgesetz wollen wir daher weitere Impulse zur Fortführung unserer Abfallwirtschaftspolitik geben. Für mich ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz eines der Grundgesetze für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft hin zu einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft. Wir werden unseren Industriestandort Bundesrepublik nur dann auf Dauer lebenswert erhalten, wenn wir auch ein unserer Wertschöpfung entsprechend hohes Umweltschutzniveau halten. Um es mit Wolfgang Schäuble zu sagen: Umweltschutz bleibt zentrale Zukunftsaufgabe. ({1}) Eine vermeidungsorientierte Abfallwirtschaftspolitik ist unser Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung, aber auch zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dazu dient das heute zu verabschiedende Kreislaufwirtschaftsgesetz. Die Kernelemente dieses Gesetzes sind klar: Erstens Übernahme des EG-Rechts insbesondere durch klare Begriffsdefinitionen. Unser Bemühen, Begriffe klar zu definieren, ist auch im Bundesrat honoriert worden, indem die Begriffsdefinitionen exakt aus unserer Gesetzesvorlage bei der Basler Konvention übernommen worden sind. Zweitens eine klare Hierarchie „Vermeidung, Verwertung und Entsorgung", die sich allerdings von der Gefahr der ideologischen Verdrehung freihält. Wir wollen nur das machen, was umweltpolitisch nützlich und sachlich geboten ist. ({2}) Drittens eine abgesicherte Rechtsgrundlage für die Rücknahmeverpflichtung. Rücknahmeverpflichtungen werden nach diesem Gesetz praktikabel und verhältnismäßig ausgestaltet. Das vierte Kernelement dieses Gesetzes ist die Fortsetzung unserer auf Privatisierung gerichteten Politik, auch für die Abfallwirtschaft. Dabei wird es kein Weniger an staatlicher Kontrolle geben, wohl aber ein Weniger an bürokratischer Behinderung. Ich freue mich, daß von den Vertretern der Landwirtschaft ausdrücklich anerkannt worden ist, daß wir im Art. 7 dieses Gesetzes im Rahmen einer Rechtsverordnungsmöglichkeit einen Klärschlammfonds einrichten werden. ({3}) Ich gebe zu: Als Umweltpolitiker ist mir das nicht leichtgefallen, weil ich dachte, das könnten die Landwirte anderweitig regeln. Aber wenn es der Sache dient, wollen wir uns als handlungsfähige Koalition diesem Lösungsanliegen nicht verschließen. Ich möchte einiges zur Produktverantwortung und damit zu unserer Philosophie der Rücknahmeverpflichtung sagen. Eine Ökologische und Soziale Marktwirtschaft kann nur entstehen, wenn der Staat privater Initiative entsprechenden Spiel- und Freiraum läßt. Aus Gesprächen mit Unternehmen in Ihren Wahlkreisen wissen Sie alle: Die Unternehmen erwarten von der Politik mit Recht verläßliche Rahmenbedingungen und einen einheitlichen, unbürokratischen Vollzug. Dies gilt gerade in der Abfallwirtschaft. Diesen Spielraum erhalten Unternehmen durch unsere verordnungsgestützte Produktverantwortung. Damit wird die Rücknahmeverpflichtung zum zentralen Instrument unserer Politik. Wer zurücknehmen muß, vermeidet Überflüssiges bei den Produkten. Ohne staatlichen Dirigismus entstehen ein vermeidungsorientiertes Produzieren und ein verwertungsfreundliches Produkt. Damit ist die Produktverantwortung, ist die Rücknahmeverpflichtung ein zutiefst marktwirtschaftliches Instrument, weil sie dem einzelnen Unternehmen entsprechenden Freiraum läßt. Die SPD will nun allen Ernstes ihre Variante der Produktverantwortung durch eine wenige Zeilen umfassende Vorschrift unmittelbar und sofort für alle Bereiche gelten lassen. Damit würde der Landwirt für die Schale seiner Kartoffel rechtsunmittelbar produkt- und rücknahmeverantwortlich. ({4}) Damit müßte ein Heer von Beamten fleißig, aber wahrscheinlich völlig erfolglos eine umfassend unbestimmte Vorschrift kontrollieren. Damit bräche für die deutsche Industrie eine ungewisse Zeit an, da die Folgen dieser Rechtsvorschrift unkalkulierbar und kaum abschätzbar sind. ({5}) Ich frage die SPD: Ist das Ihr Ernst? Haben Sie eigentlich schon einmal mit seriösen Wirtschaftspolitikern über Ihre Vorschläge geredet? ({6}) Ich frage die Sozialdemokraten in den Ländern: Wie wollen Sie diese Vorschrift eigentlich in den Ländern vollziehen? Ideologie gegen marktwirtschaftliche Grundtatbestände, Ideologie gegen die Erfordernisse eines geordneten Vollzugs - das ist ein Programm, das nicht überzeugt. Die CDU/CSU lehnt es ab. Ebenfalls nicht überzeugend ist das, was der Kollege Feige hier vorgetragen hat. In seinem Entschließungsantrag lese ich, daß er Abfallvermeidung durch Maßnahmen wie intensivere und längere Nutzung von Produkten erreichen will. Herr Kollege Feige, wie lange ich meinen Anzug, meine Krawatte, meinen Pullover trage, möchte ich bitte nicht im Kreislaufwirtschaftsgesetz geregelt sehen, sondern das ist meine eigenverantwortliche Entscheidung - und natürlich die meiner Frau. ({7}) Die Maßnahmen, die Sie hier vortragen, greifen sehr weit in das individuelle Entscheidungsrecht ein und werden von uns daher ebenso abgelehnt. ({8}) Unser Konzept von Produktverantwortung gründet auf die Erfahrung, daß die Schaffung von Märkten in verhältnismäßig kurzer Zeit eines konkreten Ordnungsrahmens bedarf. Er muß den wettbewerblichen Freiraum und damit die technologische Innovationskraft ermöglichen. Gleichwohl wird es notwendig sein, diesen Markt auch zukünftig bestreitbar zu gestalten. Marktpositionen dürfen sich nicht verfestigen, sonst wird die Umsetzung der Produktverantwortung zu einer Veranstaltung für wenige Große. Die mittelständische Verwertungs- und Entsorgungsbranche halte ich auch künftig für einen wichtigen Arbeitsplatzfaktor in der modernen Volkswirtschaft der Bundesrepublik. Um dies zu garantieren, sind konkret ausgestaltete Verordnungen erforderlich. Nur so ist es möglich, mehr Abfallvermeidung und -verwertung bei weiterhin offenen Märkten zu organisieren. Lassen Sie mich einiges zu den weiteren Optionen dieses Gesetzes für Privatisierung und Deregulierung ausführen. Bisher war Abfallentsorgung eine öffentliche Aufgabe. So mancher Hoheitsträger lebte in der Empfindung: Mein Müll gehört mir. Mit der Überprüfung von staatlichen Aufgaben gehörte selbstverständlich auch die Abfallwirtschaft auf den Prüfstand. Dabei ging es beileibe nicht nur um die private Erledigung von logistischen Aufgaben. Wir wollen der privaten Wirtschaft in Deutschland mit diesem Gesetz mehr Freiraum geben, damit sie ihre Entsorgungsaufgaben starker eigenverantwortlich und ohne staatliche Gängelung durchführen kann. Das ist auch keine parteipolitische Frage. Es ist nun einmal Tatsache, daß das CSU-regierte Bayern sehr viel mehr Staat in der Abfallwirtschaft betreibt als z. B. das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen. Wir alle wissen: Privatisierung ist ein Gebot der Stunde, und zwar nicht nur aus haushaltspolitischen, sondern auch aus ordnungspolitischen Gründen. Zahlreiche private Kläranlagen in den neuen Ländern zeigen: Private können in der Regel schneller, besser und preisgünstiger anbieten. Darauf kann man im Interesse unserer Bürger nicht mehr verzichten. Mit unseren Vorschriften über die Verbandsbildung sichern wir diese Möglichkeiten ab. Wir nehmen nicht die Kommunen, sondern die Abfallproduzenten als Verursacher in die Pflicht und verleihen so dem Verursacherprinzip, einem der zentralen Prinzipien unserer Umweltpolitik, noch mehr Geltung. Wer behauptet, Privatisierung bedeute Regellosigkeit, zeigt, daß er sich mit unserem Gesetzentwurf leider nicht ernsthaft genug auseinandergesetzt hat. ({9}) Dieses Kreislaufwirtschaftsgesetz vereinheitlicht das bisher sehr uneinheitliche Kontroll- und Überwachungsinstrumentarium. Gleichzeitig führen wir eine Reihe von Deregulierungsmöglichkeiten ein. So wird z. B. ein Unternehmen, das Nachweise über ein bestimmtes Informationsverhalten erbringt, teilweise von Genehmigungen freigestellt. Ich bin sehr gespannt auf den weiteren Verlauf dieser Debatte über das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Ich habe große Zweifel, ob die SPD-Länder im Bundesrat tatsächlich, wie von der SPD-Bundestagsfraktion gefordert, auf eine rein parteitaktische Verweigerungshaltung setzen werden. Die Alternative im Bundesrat lautet doch klar: Ideologie oder Verantwortungsbewußtsein in der Umweltpolitik. ({10}) Die Interessen der SPD-geführten Bundesländer liegen weit auseinander. Es gibt auf der einen Seite die Fraktion der zahlreichen Umweltminister mit und ohne Amt. Die wird auch jedes noch so gute Gesetz vor der Bundestagswahl ablehnen, weil der jeweilige Landesfürst - sicherlich vergeblich - spekuliert, ein so gutes Gesetz nach der Wahl vielleicht selber im Bundesrat einbringen zu können und den Lorbeer einzustreichen. ({11}) Auf der anderen Seite gibt es die Fraktion der uneingeschränkten Verbrennungsbefürworter innerhalb der SPD. Sie möchten der Einfachheit halber alle Rückstände am liebsten verbrennen und lehnen aus diesem Grunde unsere ehrgeizigen abfallwirtschaftlichen Ziele ab. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Zumindest die Länder werden feststellen: Unsere Vorschläge liegen in der Mitte und sind ein tragfähiger Kompromiß. Eines zeichnet sich allerdings ab: Angesichts der vielen widerstreitenden Interessen in der SPD-Mannschaft wird Rudolf Scharping als Meistermacher ebenso scheitern wie sein Duzfreund und Trainerkollege Klaus Toppmöller bei der Frankfurter Eintracht. ({12}) Die CDU-Mannschaft kann dagegen getrost auf ihren Teamchef bauen. Oder wie heißt das in der Fußballersprache: Schaun mer mal! ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Ulrike Mehl.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kampeter, Sie haben Glück. Nach der Weisheit des Altestenrats kommt jetzt ein Einschub zur Ostsee, wohlverpackt zwischen Kreislaufwirtschaftsgesetz und Verpackungsrichtlinie. Es ist ja eine verbundene Debatte. Ganz so weit ist das nicht hergeholt, Herr Kollege Schütz, weil nämlich die Ostsee sehr viel mit Kreisläufen und Abfällen zu tun hat, z. B. im Zusammenhang mit der Zelluloseherstellung. Die Ostsee ist ein Meer, das nach Luft schnappt und ums Überleben kämpft. Obwohl es nur ein 60 000stel des Gesamtwasservolumens der Erde umfaßt, muß es ein 70stel der Abwässer der Weltbevölkerung aufnehmen und verkraften. Laut dem Institut für Meereskunde in Kiel leiden 90 % der Flora und Fauna in der Ostsee unter extremem Sauerstoffmangel. Der Anteil der Großalgen ist in den letzten 30 Jahren auf ein Zehntel zurückgegangen, während gleichzeitig ein übermäßiges Wachstum der Algen stattgefunden hat, die eine schwere Schädigung der Ostsee erkennen lassen. Sicher liegt die hohe Sensibilität der Ostsee in den geologischen Besonderheiten dieses Meeres. Aber gerade das muß zu einem besonders sensiblen Umgang führen. Daß mit der Ostsee dringend etwas geschehen muß, hat man schon vor zwanzig Jahren erkannt und die Helsinki-Konvention vereinbart. Leider leidet das Meer auch zwanzig Jahre danach noch immer unter immenser Atemnot, weil zwischen Erkenntnis, Suchen nach Lösungen und deren Umsetzung viel zu große Zeiträume liegen. Daher ist es erfreulich, daß die Tatsache, daß der Kollaps noch nicht endgültig eingetreten ist, nicht zur völligen politischen Starre geführt hat, sondern wir heute einen fraktionsübergreifenden Antrag zur Sanierung der Ostsee zur Diskussion und Entscheidung gestellt haben. Nun kann man sagen, daß es an Beschlüssen und Empfehlungen nicht fehlt, aber an der Umsetzung. Deshalb hoffe ich, daß die von Bund und Ländern eingeleiteten Maßnahmen durch diesen Antrag weiter befördert werden. Über einige Bereiche wird es noch heftige Debatten geben. Das Hauptproblem der Ostsee sind bekanntermaßen die Schadstoff- und vor allem Nährstoffeinträge. Diese Einträge sind besonders problematisch, weil sie nicht lokalisierbar, also diffuse Quellen sind. Sie entstehen bei industrieller Verbrennung, Hausbrand und Straßenverkehr, aber auch aus Abfall von Schiffen und der Zelluloseerzeugung der skandinavischen Papierindustrie. Das Kieler Institut für Meereskunde erkennt aber die größte akute Gefahr in der Einleitung organischer Stoffe, wie auch Pestiziden, und diese kommen aus der Landwirtschaft. Dieses Beispiel einer der wichtigsten Schadstoffquellen zeigt, daß das im Antrag formulierte Ziel eines schnellen und konsequenten Handelns äußerst schwierig zu erreichen ist. Zum Beispiel ist der Vorschlag des Erlasses einer Düngeverordnung im Sinne einer umweltgerechten Düngung von der Realität weit entfernt. Die jüngst gegebene Antwort auf unsere Große Anfrage zur Grundwasserversauerung bestätigt genau das, nämlich daß es einen übermäßigen Eintrag von Ammoniak mit all seinen Folgen gibt. Der Entwurf dieser Düngeverordnung liegt seit längerem auf Eis. Das ist gut so, weil derzeit keineswegs eine umweltverträgliche Regelung zu sehen ist. Die derzeitige Diskussion über die Landwirtschaft zeigt, daß die Bundesregierung nicht gewillt und nicht in der Lage ist, zumindest unsere Landwirtschaft auf ein ökologieverträgliches Wirtschaften hinzusteuern. Um es klarzumachen: Nicht die Landwirte sind an den Pranger zu stellen, sondern die, die für den politischen Rahmen dieses Wirtschaftens verantwortlich sind. ({0}) Klar ist auch, daß eine Umstellung allein der deutschen Landwirtschaft die Probleme der Ostsee nicht lösen kann, sondern daß dies europaweit geschehen muß. Aber wenn wir bei uns nicht anfangen, können wir kaum den Zeigefinger gegen andere Mitgliedstaaten erheben. ({1}) Dies gilt übrigens auch für das Pflanzenschutzgesetz. Wenn Fachleute feststellen, daß der Eintrag von Pflanzenschutzmittelrückständen ins Grundwasser in erster Linie nicht von der Anwendung oder von Anwendungsfehlern durch Landwirte entsteht, sondern auf der flächenhaften Ausbringung im Rahmen der sogenannten ordnungsgemäßen Landwirtschaft beruht, dann müßten doch alle Alarmglocken läuten. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" ist unser Instrument zur Umstellung der Landwirtschaft auf Umweltverträglichkeit. Statt dieses Gesetz Umwelt- und naturschutzorientiert zu ändern, denkt der Bundeslandwirtschaftsminister darüber nach, den ökologischen Landbau aus dem Förderungskatalog der Gemeinschaftsaufgabe herauszunehmen. ({2}) Das zeigt, wohin die landwirtschaftliche Reise der Bundesregierung geht. Ich halte das für einen Skandal. ({3}) Die Europäische Union hat mit den flankierenden Maßnahmen einen ersten kleinen Schritt zur Umstellung der Landwirtschaft getan. Es ist Aufgabe dieser Regierung, dies europaweit und im eigenen Lande massiv voranzutreiben. Dies ist nicht allein für die Ostsee wichtig, sondern für den gesamten Naturschutz. Nicht der Naturschutz kann die Probleme der Landwirtschaft lösen, sondern nur die Landwirtschaftspolitik selbst. Beim Stichwort „Naturschutz" ist für die Ostsee noch zu sagen, daß es für die Regeneration immens wichtig ist, die Küsten- und Flachwasserbereiche zu schützen. Gerade die Bodden- und Haffgewässer sind ein wichtiger Schadstoffilter, der deshalb einer besonderen, strengen Schutzmaßnahme bedarf. Für Naturschutz sind zwar in erster Linie die Länder zuständig, aber insbesondere bei den großen Gebieten der Küste Mecklenburg-Vorpommerns ist auch der Bund gefragt. Daß die neuen Bundesländer besondere Schwierigkeiten haben, Naturschutzmaßnahmen zu finanzieren, brauche ich sicher nicht ausdrücklich zu sagen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist gerade dabei, Flächen innerhalb eines mit Bundesmitteln geförderten Naturschutzgroßprojektes zu verkaufen. Das zeigt, wie hoch der Druck bei diesem Thema ist. Ich will heute nicht die Gelegenheit verstreichen lassen, zu erwähnen, daß ein neues, überarbeitetes Bundesnaturschutzgesetz das Seinige dazu tun könnte, Ökosysteme besser zu schützen, wenn die Bundesregierung ihr Versprechen zur Novellierung wahrgemacht hätte. ({4}) Die Ostsee leidet nicht nur unter den schädlichen Einleitungen aus Deutschland, sondern insbesondere an denen der großen Flüsse in Polen und der ehemaligen Sowjetunion. In dem Zusammenhang bedauere ich sehr, daß der fast unterschriftsreife Vertrag für die Errichtung einer Oder-Schutzkommission bisher nicht unterzeichnet wurde, und hoffe, daß sich die Tschechische Republik vom gemeinsamen Nutzen dieser Einrichtung noch überzeugen läßt. Einen zweiten Bereich möchte ich noch ganz kurz nennen - aber das Licht hier leuchtet gleich ganz heftig -; es ist der Bereich Verkehr. Solange Deutschland solche Bundesverkehrswegepläne beschließt, wie es die Mehrheit in diesem Hause getan hat, sind wir, glaube ich, nicht berechtigt, uns als die Saubermänner der Welt darzustellen. ({5}) Wenn wir mit unserem Ostsee-Antrag, mit den Rio-Konventionen und den diversen anderen Beschlüssen erfolgreich sein wollen, brauchen wir mehr als Geldmittel für Sanierungsmaßnahmen und Reparaturkonzepte. Dann müssen wir grundlegende Wirtschafts- und Verhaltensrichtungen ändern. Jetzt kann es mit Müll weitergehen. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat der Bundesminister Prof. Dr. Klaus Töpfer das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst: Nach dieser Rede geht es nicht mit Müll weiter, sondern mit einigen klarstellenden Sätzen zu der Frage der Ostsee. ({0}) Dazu möchte ich nur eines gesagt haben: Daß wir aus den deutschen Quellen stammende Nährstoffe und Schadstoffe unserer Verpflichtung entsprechend zurückgeführt haben, steht außer jedem Zweifel. ({1}) Ich habe mich bei den Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern dafür zu bedanken, daß sie in einer sicherlich nicht leichten Situation mit dem Bau von Kläranlagen einen großen Schwerpunkt gesetzt haben, um diesen Zielen entsprechend entgegenkommen zu können. Ich habe vor wenigen Tagen in Schwerin den Polnisch-Deutschen Umweltrat durchführen können. Wir wären ganz selbstverständlich auch hier bereit, noch weiter zu gehen. Ich bedauere, daß wir z. B. die gemeinsame Kläranlage in Swinemünde noch nicht bauen können. Das liegt nicht an uns. Wir haben sogar 20 Millionen DM Fördermittel dafür eingestellt. Wir möchten eine gleiche gemeinsame Kläranlage in Gubin machen. Wir diskutieren über weitere Projekte. Sie sehen, die Bundesrepublik Deutschland ist der Ostsee-Anrainerstaat, der eine gemeinsame Sanierungspolitik für diese so wichtige Ostsee vorangebracht hat. Und das werden wir weiter tun. ({2}) Lassen Sie mich auch zwei Sätze zur Landwirtschaft sagen, meine Damen und Herren. Frau Kollegin Mehl, glauben Sie mir, unseren Landwirten ist seit längerer Zeit bewußt, daß es nicht nach dem Motto geht „Viel hilft viel", sondern nach dem Satz „Viel kostet viel". Unsere Landwirte sind in der Europäischen Gemeinschaft diejenigen, die am stärksten auch danach gefragt werden, warum es uns nicht gelingt, Pflanzenschutzmittel gemeinsam zuzulassen. Grund dafür ist, daß die Zulassungsvoraussetzungen bei uns weitergehen als bei jedem anderen. ({3}) Hier den Eindruck zu erwecken, das sei eine in besonderer Weise von uns zu bewältigende Frage, ist also nicht in Ordnung. Ich wollte das nur in aller Klarheit noch einmal herausgearbeitet haben, damit nicht der Eindruck entsteht, hier bleibe so etwas unwidersprochen. Einig sind wir uns darin, daß die Ostsee dringend intensiv weiterführender, international abgestimmter Maßnahmen bedarf. ({4}) - Ja, das ist in Ordnung. Deswegen wollte ich das zur Klärung gesagt haben. Ich hatte nicht geglaubt, daß bei einem gemeinsamen Antrag soviel Kontroverses von Ihnen hier hinzugefügt würde. Deswegen wollte ich zumindest diese Teilpunkte aufgegriffen haben. ({5}) Jetzt zurück zu diesem Gesetz. Da lassen Sie mich zunächst einmal, genau wie es der Kollege Friedrich getan hat, ganz herzlich danken. Es ist ein Gesetz, das eine völlig neue Grundüberlegung in die Marktwirtschaft einbringt. Wie wäre es dann verwunderlich, wenn darüber nicht kontrovers diskutiert würde, wenn nicht auch ein Regierungsentwurf - man höre und staune - in guter Zusammenarbeit mit den Koalitionsfraktionen weiterentwickelt, umgestaltet würde? Wie wäre es dann verwunderlich, wenn am Ende nicht zwischen Opposition und Koalition Fragen offenblieben, wie man den Schritt noch weiter, noch schneller und noch überzeugender gehen könnte? Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Deswegen herzlichen Dank denen, die bei aller konstruktiv-kritischen Position zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen sind. Ich schließe mich mit vollem Nachdruck natürlich auch dem Dank an, der hier meinen Mitarbeitern ausgesprochen worden ist. ({6}) Es ist eine Arbeit, meine Damen und Herren, die wir intensiv bis in die Vollzugsfähigkeit hinein zu erörtern haben. Dafür braucht man gute Mitarbeiter. Glücklicherweise haben daran hervorragende Mitarbeiter mitgewirkt. Wir wollen unser Konzert auch im Zusammenwirken mit den Bundesländern so weiterbringen. Denn es ist gar keine Frage: Nicht nur die politische Klugheit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Zustimmung des Bundesrats verpflichtet mich, das, was die Bundesländer sagen, sehr ernst zu nehmen. Deswegen wollen wir diese Gespräche unabhängig von dem, was jetzt erörtert wird, fortführen. Das Gesetz ist also ein wichtiger Schritt, ein Schritt, der das ernst nimmt, was uns so viele in klugen Büchern und in Sonntagsreden vorsetzen. Sie sagen, diese Marktwirtschaft leidet daran, daß in ihren Preisen nicht alle Kosten erfaßt sind. Mit großer Freude wird Ernst Ulrich von Weizsäckers Begriff „ökologisch ehrliche Preise" zitiert, und alle sagen, das sei der richtige Ansatz zur Vermeidung. Wenn man bereits in die Produktpreise die Entsorgungskosten hineinrechnet, wird ein marktwirtschaftlicher Anreiz dafür geschaffen, Produkte entsorgungsfreundlich, wiederverwertbar, demontabel, mehrmals nutzbar zu machen, weil man dann bei den Preisen einen Vorteil hat und am Markt besser besteht. Es ist fast eine Dinosaurierdenkweise der SPD-Bundestagsfraktion, zu glauben, in dem Moment, wo eine Hierarchie niedergeschrieben ist, sei die Vermeidungsanstrengung bereits bewältigt. Wir sind der festen Überzeugung, daß sie dann bewältigt ist, wenn es uns gelingt, ökologisch ehrliche Preise, einschließlich Entsorgung, zu machen. Erst dann erreichen wir Vermeidung. ({7}) Ich freue mich natürlich, meine Damen und Herren, daß eine solche Idee in hohem Maße auch Lerneffekte auslöst. Man muß sich immer fragen: Wann wird eine Idee, die immer als Waisenkind behandelt wurde, zu einem blühenden Kind mit vielen Müttern und Vätern? Bei der Verpackungsverordnung haben wir diese Situation. Auch sie war lange Zeit Waisenkind, und ich durfte allein dafür verantwortlich sein. Jetzt läuft die Sache, jetzt kommen Techniken, jetzt sehen wir auf einmal, daß man weltweit darauf schaut, und siehe da, es kommen von allen Seiten Väter und Mütter, die aber eigentlich schon immer dabei gewesen sein wollen. Mit Freude habe ich eine Einladung für eine Veranstaltung am kommenden Montag zur Kenntnis genommen: „Kunststoffrecycling - Innovation für Wirtschaft und Umwelt", veranstaltet vom Vorsitzenden des Verbandes der kunststofferzeugenden Industrie, vom Dualen System Deutschland und vom geschäftsführenden Hauptvorstand der IG ChemiePapier-Keramik, durchgeführt in Ludwigshafen. Ich habe nachgeschaut, wer dort wohl alles spricht, und habe zu meiner Freude gesehen: Grundsatzreferat von Klaudia Martini, Ministerin für Umwelt in Rheinland-Pfalz. Ich freue mich riesig darüber, daß diejenigen, die mir damals gesagt haben, ich trüge für die Kunststoffberge, die aus ihrem Land nicht wegkämen, die Verantwortung, und die jetzt kommen und sagen, daß sie eigentlich noch ein bißchen mehr von diesen Kunststoffabfällen haben möchten, denn sie würden in ihrer Wirtschaft besser verwertet. Auf einmal verwertet die BASF 300 000 t Kunststoffabfälle, und es gibt eine wirtschaftliche Weiterentwicklung. Dies bedeutet eben nicht das Mästen einer Entsorgungswirtschaft, sondern es wird die Verantwortung übernommen durch eine arbeitsteilige Wirtschaft, die auch Verpackungsmittel braucht und die wir dann so zu gestalten haben, daß diese Materialien bestens wiederverwertbar sind. ({8}) Was könnte besser aufgehen?! Deswegen machen wir ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, und deswegen, meine Damen und Herren, streiten wir uns gern noch ein bißchen über Begriffe. Wenn dort der Sieg errungen wird, ist das ja auch ganz schön. Wir wollen das also nicht den Übersetzern zuschieben. Ich spreche gerade Sie an, Frau Kollegin Enkelmann. Es ist ja schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn Sie daherkommen und sagen, daß in Ihrer Heimat jetzt Abfallberge wachsen. Sind Sie einmal im Geiseltal gewesen, und haben Sie gesehen, welche unglaublichen Sauereien eine DDR an Abfällen hinterlassen hat?! (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann ({9}) Es ist unglaublich, wie viele Milliarden DM heute investiert werden, um wirkliche Abfallberge, die völlig ungeordnet „entsorgt" worden sind, zu bewältigen. ({10}) Und dann kommen Sie hierher und sagen irgend etwas über die Abfallentsorgung. Das wollte ich damit wenigstens einmal abgearbeitet haben. Wir haben also eine begriffliche Diskussion. Wir sind der Überzeugung: Wenn wir von Abfällen zur Wiederverwertung sprechen, ist das besser, als sie Sekundärrohstoffe zu nennen, einfach deswegen, weil das bis in die Akzeptanz hinein sinnvoll ist. Ich sehe mich noch im Bundesrat, als wir darüber diskutiert haben, wie wir den Begriff Sonderabfälle ergänzen wollen. Damals wollten wir auch die massenhaft anfallenden Sonderabfälle mit hineinnehmen, etwa REA-Gips. Da hat uns der Bundesrat gesagt: Um Gottes willen, tut das nicht, denn wenn ihr das macht, dann haben wir mit REA-Gips Abfälle, die hinterher keiner verwerten will. Also laßt es dabei und nehmt sie nicht mit in die Abfälle hinein. Wir werden uns auch im Bundesrat in aller Ruhe darüber unterhalten können, welche Begrifflichkeit der beste Weg dafür ist. Dann geht es natürlich um die Frage, wie es mit der Produktverantwortung aussieht. Wir wollen die gesamte Produktverantwortung, aber wir wollen sie Sektor für Sektor einfordern, damit derjenige, der davon betroffen ist, weiß, womit er es zu tun hat. Was ist eigentlich dagegen zu sagen? Wenn ich es im Gesetz mache, gehe ich in die Unverbindlichkeit und bewege gar nichts. Wenn ich mich aber verpflichte und wenn ich den Prügel an der Wand habe zu sagen, entweder ihr geht in eine solche abfall- und rückstandsarme Produktion, oder wir können das auch durch eine Rechtsverordnung durchsetzen, dann haben wir genau die Systematik, die wir in einer Marktwirtschaft eigentlich haben sollten. Dies ist die Grundlage dieses Gesetzes. Wenn wir uns also nur darüber unterhalten, ob die Produktverantwortung ganz generell schon im Gesetz stehen soll und damit nicht praktikabel ist oder uns aufgetragen wird, das für einzelne Bereiche in Verordnungen durchzusetzen, dann könnten wir auch dies ganz sicherlich vernünftig diskutieren. Das ist meine Überzeugung. Dann kommen wir zur Frage der Verwertung. Da schreibt mir, nachdem wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgelegt haben, der Sachverständigenrat für Umweltfragen: Problematisch ist andererseits das alleinige Abstellen der Verpackungsverordnung auf die stoffliche Verwertung. Im Einzelfall kann es wirtschaftlich effizienter und ökologisch effektiver sein, bestimmte Stoffarten, z. B. Kunststoffverpackungen, zu verbrennen. Das schreibt der Sachverständigenrat. Wenn ich jetzt hingehe und sage, was der redet, ist mir gleichgültig, denn ich habe ein Gesetz eingebracht und ändere das nicht, dann zitieren Sie mir das und sagen, der Töpfer ist nicht lernfähig. Jetzt gehen wir hin und sagen: Wir wollen das Kriterium der ökologischen Vorteilhaftigkeit hereinschreiben. Wir wollen nicht Ideologie machen, sondern Umweltpolitik. Dann sagen Sie, das ist ein Einknicken gegenüber der Wirtschaft. ({11}) Wir sind überhaupt nicht eingeknickt. Wir haben nur klargestellt, daß es uns um Umweltpolitik geht. Dann lassen Sie uns bitte doch das machen, was ökologisch sinnvoller ist. Ich kritisiere doch den Kollegen Leinen, Herr Kollege Wagner, im Saarland nicht dafür, daß er ein Planfeststellungsverfahren für eine Müllverbrennungsanlage durchführt. Ich habe doch den Kollegen Vahrenholt in Hamburg nicht kritisiert, daß er sie gerade eingeweiht hat - vom Kollegen Matthiesen einmal ganz zu schweigen. Wieso kann denn das alles richtig sein, während man mir den Vorwurf macht, daß ich hier hinkomme und sage, die ökologische Vorteilhaftigkeit ist das Entscheidende? Das kann doch nicht richtig sein. ({12}) Herr Kollege Feige, es wäre hervorragend und für die Umwelt besser gewesen, wenn wir auch in den neuen Bundesländern schon jetzt die eine oder andere hochtechnische Verbrennungsanlage hätten und daraus Energie erzeugen würden. Da Sie mir noch die kleine Vorlage gemacht haben zu fragen, wie das denn in eure Klimavorstellung hineinpaßt, dann lassen Sie mich nur eines sagen: Wenn wir überall aus Biomasse - das ist im vorliegenden Falle damit gemeint - mit hohen Wirkungsgraden von 75 % Energie herstellen und sie eben nicht in Deponien bringen würden, wo sie durch Methanentwicklung sehr viel mehr Schäden für das Klima verursacht, dann wäre ich herzlich dankbar. ({13}) Dann zeigen Sie mir bitte doch einmal eine Feuerungsanlage für Braunkohle oder neue Kraftwerke, die einen Wirkungsgrad von 75 % erreichen! Das steht jetzt im Gesetz. Es ist eben schon gesagt worden: Meine große Sorge ist, daß mir der Bundesrat sagt, warum stellst du denn so hohe Hürden auf. Ich rede doch nicht wie der Blinde von der Farbe; ich habe doch mit den Kollegen gesprochen. Das erreicht eben die konventionelle Müllverbrennungsanlage nicht. Das ist für uns der entscheidende Punkt. Hier ist nicht eingeknickt worden, meine Damen und Herren, sondern hier ist konsequent Umweltpolitik vorangebracht worden. Wir gehen einen Schritt in eine ökologische und Soziale Marktwirtschaft weiter, die uns bei uns und weltweit hohe Beachtung bringt und wirklich Probleme löst. ({14}) Wer hier alles Rio zitiert und von nachhaltiger Entwicklung spricht: Fragen Sie doch weltweit nach, wo es ein Beispiel dafür gibt, daß jemand Ernst macht mit nachhaltiger Entwicklung, daß jemand den Kreislaufgedanken realisiert. Da sagen Ihnen neun von zehn, es ist die Abfallpolitik, es ist die Kreislaufwirtschaft in Deutschland. Recht herzlichen Dank. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Marion Caspers-Merk das Wort.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit Januar 1991 wird von der Regierung ein neues Abfallgesetz angekündigt. Mehr als drei Jahre sind vergangen, bis es von den Ankündigungen auch zur Tat kommt. Es läßt für die bedrohte Umwelt in der Bundesrepublik Deutschland „hoffen", wenn man von der Ankündigung bis zur endgültigen Verabschiedung über drei Jahre braucht, die durch Streit, durch Absetzung dieses Tagesordnungspunktes ({0}) und durch immer erneute Entschärfung der eigenen Vorlage gekennzeichnet sind. Anfänglich verkündeten Sie, Herr Minister Töpfer, im Namen der Bundesregierung regelrecht Revolutionäres. Inzwischen haben die normativen Kräfte des Faktischen alles entschärft, was abfall- und umweltpolitischen Fortschritt ausmachen könnte. Es gab zwei Ursprungsgesetzentwürfe und nach Protestschreiben einiger Wirtschaftskreise im März 1993 ein abgesprochenes Gesetz, das ja auch die Koalitionsrunde überstand. Aber dies war den beteiligten Wirtschaftskreisen immer noch nicht zahm genug. Über Monate wurde das Gesetz nicht im Umweltausschuß beraten, weil die Koalition den Gesetzentwurf ihres eigenen Ministers überarbeiten wollte. Mindestens viermal wurde das Gesetz auf die Tagesordnung des Ausschusses gebracht und wieder abgesetzt. Nun liegt es vor, dieses Wunderwerk der Koalitionsabsprache und der Formulierungshilfen betroffener Kreise. Von den Zielen des modernsten Abfallrechts der Europäischen Union blieb immer weniger übrig. Aber diese konsequente Interessenvertretung einiger Wirtschaftskreise könnte sich zum Pyrrhussieg entwikkeln. Weite Teile von Handel und Gewerbe und auch weite Teile der betroffenen Industrie sind nämlich nicht mit dem zufrieden, was hier vorgelegt wurde. Ich weise, Herr Kollege Kampeter, ausdrücklich den Vorwurf zurück, wir hätten uns nicht mit denjenigen unterhalten, die hier betroffen sind. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben zahllose Gespräche geführt. Ich kann Ihnen nur sagen, was uns so große Hersteller wie Procter & Gamble erklären. Sie sagen nämlich, das, was hier vorgelegt wird, wird die Produkte verteuern, aber abfallpolitisch nichts Sinnvolles bewegen, ({1}) weil an den Produkten und an den Verpackungen nichts geändert wird. Wir machen nur eines: eine Konzentrationsbewegung der Entsorgungswirtschaft, die letztlich zu einer Verteuerung führt, ohne daß ökologisch etwas bewirkt wird. ({2}) Wir befürchten, bei Ihnen werden unklare Begriffsdefinitionen immer weiter beibehalten; auch der Berichterstatterentwurf hat hieran nichts geändert. Aus Abfällen werden Rückstände und Sekundärrohstoffe, und somit werden Abfälle umdeklariert und wegdefiniert. Wir halten nach wie vor daran fest, daß Ihre Begriffe mit dem EG-Recht, das eindeutig von Abfällen spricht, nicht übereinstimmt. Der Begriffswirrwarr führt im übrigen auch zu keiner Klarheit beim Vollzug. Ich sehe schon wieder die Schuldzuweisungen, wenn dann, wenn Müllskandale aufgedeckt werden, wieder einmal die Bundesländer herangezogen werden und man argumentiert, die Bundesländer sollen doch für den Vollzug sorgen, sie sind schuld an den Müllskandalen. Dabei machen wir hier ein schlampig formuliertes und nicht vollziehbares Gesetz. ({3}) Aber auch inhaltlich, Herr Minister, ist von Ihren Ankündigungen - doch das kennen wir ja schon - immer weniger übriggeblieben. Am 17. April 1991 haben Sie vor dem Umweltausschuß Eckpunkte eines neuen Abfallgesetzes vorgetragen. Dazu gehörte eine klare Zielhierarchie - Vermeidung, Verwertung und Entsorgung - sowie der absolute Vorrang der Abfallvermeidung. Sie werfen uns jetzt vor, daß wir dies aufgegriffen haben. Was ist denn nun richtig: Ihre eigenen Vorstellungen von 1991 und das, was wir hier aufgreifen, oder das, was jetzt noch davon übriggeblieben ist. Damals forderten Sie den klaren gesetzlichen Vorrang der stofflichen Verwertung vor der sogenannten thermischen Verwertung, vulgo Verbrennung. Am 4. Mai 1992 haben Sie - auch wieder vor dem Umweltausschuß - in dem Papier Eckwerte für die Neufassung des Abfallgesetzes vorgelegt, und Sie haben dabei diese klare Zielhierarchie nochmals bekräftigt. In Ihrem Gesetzentwurf vom 15. September 1993 ist die klare Zielhierarchie schon aufgegeben. Hier gehen die Begriffe „Abfallvermeidung" und „Abfallverwertung" schon fließend ineinander über. Als Abfallvermeidung wird in § 4 Ihres ursprünglichen Gesetzes auch die Einbindung von Rückständen in Erzeugnisse und Produkte verstanden. Hier wird bereits Vermeidung mit Verwertung gleichgesetzt. Wir müssen uns vorstellen, daß das Einbinden von gemahlenen Milch- und Safttüten in Spanplatten dann Abfallvermeidung ist. Die Bürger draußen verstehen unter Abfallvermeidung das gleiche wie die SPD-Bundestagsfraktion, nämlich das Nichtentstehen von Abfällen. ({4}) Das ist der entscheidende Vorwurf, den wir Ihnen machen: daß dieses begrifflich nicht mehr klar getrennt wird. Das Wegdefinieren von Abfällen auf dem Papier trägt zur Irreführung der Bürger bei. Deswegen meinen wir: Hier muß wieder begriffliche Klarheit eingefordert werden. Herr Umweltminister, Sie zitieren so gern den Rat der Sachverständigen für Umweltfragen. Der hat im April 1993 gefordert, daß die alte, klare Differenzierung zwischen Abfallvermeidung und Abfallverwertung, die im ersten Gesetzentwurf noch enthalten war, wieder in den Gesetzentwurf hineingeschrieben werden soll; denn die Sachverständigen sagten, es sei nicht gut, was hier gemacht werde, daß nämlich Vermeidung und Verwertung gleichgesetzt werde. Das ist nachzulesen auf Seite 5. Aber auch der klare Vorrang der stofflichen Verwertung vor der sogenannten thermischen Verwertung wurde immer stärker unter Vorbehalt gestellt, findet sich in Ihrem Gesetzentwurf aber immerhin noch als Soll-Vorschrift. Die Berichterstatter der Koalition haben dann aber auch dieser Soll-Vorschrift endgültig den Garaus gemacht. Hier heißt es in § 6 nur noch: „Sekundärrohstoffe können stofflich oder energetisch verwertet werden. Vorrang hat die besser umweltverträgliche Verwertungsart." ({5}) Jetzt kommen wir zu der Frage: Wer weist dies nach? Uns wirft man immer Überregulierungen vor und sagt, wir wollten praktisch dazu beitragen, daß jeder kleine Handwerksbetrieb dies nachweisen muß. Erst im Nachsatz wird bei Ihnen die Gleichrangigkeit genannt, und dann kommen die Kriterien. Wenn ich aber im ersten Satz nachweise, daß die Verbrennung die bessere Verwertungsart ist, dann entfallen eben alle anderen Kriterien, ({6}) und wir haben das, was wir Ihnen vorwerfen: Der Gang zum Ofen wird erleichtert. Sie strafen Ihre eigene Aussage Lügen, die Sie bei der ersten Beratung gemacht haben, als Sie sagten, einen Durchmarsch für die Verbrennung werde es mit Ihnen nicht geben. Das Gegenteil ist der Fall. Der Vorrang der stofflichen Verwertung ist aus dem Gesetzentwurf herausgekippt worden. Ich habe dies deshalb in aller Ausführlichkeit dargestellt, weil das gleiche Schicksal alle anderen Eckpunkte Ihrer abfallarmen Kreislaufwirtschaft erfahren mußten. Die anderen zentralen Punkte, die wir im Ansatz für richtig hielten, waren die Produktverantwortung, die Abfallwirtschaftskonzepte, die Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, die Vorrangstellung der öffentlichen Hand und die Vorbildstellung der öffentlichen Hand. Alle einzelnen Entwürfe sind entschärft und verharmlost worden. ({7}) - Und, Herr Kampeter, Sie kennen Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht; das hat ja auch schon die Ausschußberatung gezeigt. Insofern wundert es mich nicht, wenn Sie hier Fragen dazu stellen. ({8}) Wir haben feststellen müssen, daß in Ihrem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf die Berichterstatter die Ziele vollkommen auf den Kopf gestellt haben. Wir haben feststellen müssen - und das ist unsere Kritik -, daß Ihr ursprünglicher Entwurf nichts mehr mit dem jetzt vorliegenden Entwurf zu tun hat. ({9}) - Frau Kollegin Homburger, ich bitte Sie! Sie wissen ganz genau, daß der Herr Umweltminister den Vorrang der stofflichen Verwertung in seinem Gesetzentwurf hatte. Wenn dies so falsch ist, müssen Sie diesen Vorwurf offensichtlich Ihrem Umweltminister machen; denn wir greifen nichts anderes auf als das, was im ersten Gesetzentwurf enthalten war, und verstärken es sogar noch, weil wir meinen: Wenn man mit der ökologischen Stoffwirtschaft Ernst machen will, muß man zunächst vermeiden, dann stofflich verwerten und nur im Ausnahmefall - auch den lassen wir zu, aber dann muß man dies nachweisen - andere Verwertungsarten zulassen. ({10}) Das ist aber eine Beweislastumkehrung und etwas völlig anderes als das, was Sie uns hier vorschlagen. ({11}) Herr Umweltminister, Sie haben soeben noch einmal vorgetragen, daß Sie so viele Verordnungen erlassen werden, daß die Produktverantwortung über die Verordnungen gesichert wird. Nun kennen wir ja das Schicksal der Verordnungen, die Sie uns angekündigt, aber nie vorgelegt haben. Sie haben im Juni 1991 angekündigt, es kämen die Elektronikschrottverordnung, die Altpapierverordnung, die Altautoverordnung, die Kunststoffkennzeichnungspflicht. Wo sind denn diese Verordnungen geblieben? Wenn dasselbe Schicksal das hat, was Sie unter Produktverantwortung verstehen, können wir nur sagen: Wir glauben diesen frommen Absichtserklärungen nicht. Wir glauben nicht, daß Sie überhaupt noch die Kraft haben, Rechtsverordnungen durchzusetzen. Wir wissen ganz genau, daß die Rechtsverordnungen, die angekündigt wurden, nicht kommen werden. Dort habe ich industriepolitisch die meisten Bedenken, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir nämlich wissen, daß viele Industriekreise auf diese Verordnungen gewartet haben. Wir haben neulich in der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" gehört, daß z. B. deutsche Fernsehhersteller ein Fernsehgerät neuen Typus entwickelt haben. Es enthielte ein Hundertstel der Schadstoffe, wäre demontagefreundlich, langlebig und recyclingfähig. Aber nichts kommt, weil die beteiligten Kreise natürlich sagen: Wir warten, ob diese Elektronikschrottverordnung, die die Rücknahme und Demontage vorsieht, auch wirklich kommt; denn vorher gehen wir nicht mit einem Produkt aufs Band, bei dem der Preis dann die ökologische Wahrheit sagt. Das Gerät wäre nämlich teurer als herkömmliche Geräte. Das ist für uns der entscheidende Punkt. Sie sind industriefeindlich, weil Sie Innovationen in langlebige, recyclingfähige Produkte verhindern. ({12}) Wenn wir die Entstehungsgeschichte des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verfolgen und zusammenfassen, können wir festhalten: Erstens. Der Bundesumweltminister hat einen im Kabinett abgestimmten Gesetzentwurf vorgelegt, der nach Einspruch aus einigen Kreisen der Wirtschaft vollständig auf den Kopf gestellt und umgeschrieben wurde. Zweitens. Der kleine Koalitionspartner hat dem großen Koalitionspartner gesagt, wo es langgeht. ({13}) Drittens. Die Wirtschaftspolitiker haben den Umweltpolitikern diktiert, was hineinkommt. Ich halte das ganze Verfahren und die Art und Weise, wie unsere insgesamt 36 Änderungsanträge abgebügelt wurden, für problematisch und unwürdig. Was bringt eine Ausschußberatung noch, wenn kein Bewegungsspielraum mehr da ist, wenn man unsere Änderungsanträge noch nicht einmal umfassend diskutiert? ({14}) - Alle 36 Änderungsanträge sind einzeln vorgelegt worden, sie sind mit unseren Vertretern aus den Ländern besprochen worden. Das heißt, wir haben ein Konzept nach außen. Sie keimen es. Wir haben Eckwerte für eine ökologische Stoffpolitik vorgelegt, die unsere Grundsätze klarmachen. Wir haben uns aber auch der Mühe unterzogen, in Einzelabstimmungen bei jedem einzelnen Punkt zu sagen, was die SPD-Fraktion anders machen würde, damit wir endlich ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, ein modernes Abfallgesetz bekommen, das diesen Namen wirklich verdient. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Elke Wülfing das Wort.

Elke Wülfing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002567, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis zur Wortmeldung von Frau Caspers-Merk habe ich gedacht: Endlich einmal eine sachliche Abfalldebatte. Leider ist seit ihrer Wortmeldung bei mir derselbe Eindruck entstanden, der auch immer entsteht, wenn ich bei mir vor Ort im Kreistag sitze und dort die SPD im Verein mit den GRÜNEN und manchen Bürgerinitiativen über Abfall reden höre. Sie sorgen dafür, daß z. B. in Deutschland nur noch die Hälfte aller Deponien eine Laufzeit von fünf Jahren hat. Mir tut es sehr leid, daß sie gerade in den Kreisen, wo Müllverbrennungsanlagen und Deponien gebaut werden müssen, dafür sorgen, daß Emotionen und nicht Sachlichkeit eine Rolle spielen. Gerade diese Situation ist es, die uns Sorge macht. Müllnotstand, Entsorgungsinfarkt, illegale Abfallexporte - diese Worte kennzeichnen die Diskussion, und es ist ja auch etwas dran. Ich denke, das ist der Grund, weswegen wir uns fragen müssen, was wir ändern müssen. Die gegenwärtige Wirtschaft ist in Teilen noch eine Verbrauchswirtschaft. Rohstoffe werden aus der Natur zur Herstellung der Güter entnommen, wiederverwendet und fallen dann nach Gebrauch als Abfall an, der wieder entsorgt werden muß. Deswegen brauchen wir eine neue Philosophie, die die Produzenten von der Wiege bis zur Bahre für die von ihnen hergestellten Produkte verantwortlich macht. Mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz werden wir erreichen, daß der Produzent bei der Produktion von vornherein vom Abfall her denkt. Allerdings müssen wir auch ehrlich zugeben, daß eine ideale Kreislaufwirtschaft, in der alle Güter vollständig recycelt werden, nicht möglich ist. ({0}) Zum einen müssen bei vielen Recyclingverfahren wieder Rohstoffe oder Energie zugeführt werden, wie z. B. beim Waschen von Mehrwegflaschen Wasser und Wärme. Zum anderen ist Recycling natürlich nur dann sinnvoll, wenn auch die Gesamtökobilanz stimmt und - selbstverständlich - die Wirtschaftlichkeit nicht außer acht gelassen wird. Die Umwelt- und die Wirtschaftspolitiker der Koalitionsfraktionen haben daher zum Kreislaufwirtschaftsgesetz Änderungsanträge eingebracht, die die Ökologie und die Ökonomie miteinander in Einklang bringen. ({1}) Wir haben in langen Verhandlungen auch mit denjenigen, die dieses Kreislaufwirtschaftsgesetz ja später ausfüllen müssen, erreicht, daß die ökologische Zielsetzung nicht zu Überbürokratisierung und zu zu hohen Kosten führt, die unsere Produkte im weltweiten Wettbewerb noch teurer machen, als sie ohnehin schon sind. ({2}) Schließlich sind wir nicht allein auf der Welt, und es ist überhaupt nichts erreicht, wenn die Verbraucher statt teurer deutscher Produkte billige ausländische Produkte kaufen, die ohne jegliche Rücksicht auf Umweltschutzmaßnahmen hergestellt worden sind. ({3}) Auf der anderen Seite wird die stoffliche bzw. energetische Nutzung von Sekundärrohstoffen nicht nur natürliche Rohstoffe ersetzen, sondern selbstverständlich auch zu neuen Produktionstechniken führen, die den Ruf von Deutschland als Nummer eins in der Entwicklung neuer Umwelttechniken weiter fördern. Damit schaffen wir selbstverständlich auch neue Arbeitsplätze. ({4}) In diesem Spannungsfeld muß sich ein neues Abfallrecht bewegen, das erstens Abfallberge abbaut, zweitens Ressourcen schont, drittens Umwelttechnik fördert und viertens - das darf man bitte nicht vergessen - der Wirtschaft nicht die Gurgel zudrückt und damit Tausende von Arbeitsplätzen ins Ausland abwandern läßt. ({5}) - So ist es. Die Änderungsanträge der Umwelt- und Wirtschaftspolitiker richten sich nicht, wie hier schon festgestellt worden ist, auf die Begrifflichkeiten; denn die Begriffe in der EG-Rahmenrichtlinie sind anders definiert. So geht z. B. der Begriff „waste" weit über den deutschen Begriff Abfall hinaus. Außerdem hat der Begriff Abfall in Deutschland ja einen etwas negativen Beigeschmack. Das würde selbstverständlich gerade der stofflichen Verwertung schweren Schaden zufügen. Der Begriff Sekundärrohstoff drückt viel eher aus, was es wirklich ist, nämlich Rohstoff. Ein Beispiel aus der Textilindustrie: Je nach Preis der Rohbaumwolle werden Baumwollgarne entweder aus Rohbaumwolle hergestellt oder aus zerrissenen ehemaligen Unterhosen. Wollen Sie etwa gerne in Bettwäsche schlafen, die aus Unterhosenabfall hergestellt ist, oder lieber in Bettwäsche aus dem Sekundärrohstoff Trikotagen? Ich habe den Eindruck oder zumindest den leisen Verdacht, daß die SPD, weil sie ja lieber vermeiden will, eigentlich dafür sorgen will, daß diese Unterhosen überhaupt erst gar nicht hergestellt werden. ({6}) - Ein Versorgungsnotstand, ja. Damit komme ich zu dem Thema, das bei der SPD derartigen Schaum vor dem Mund erzeugt, nämlich zur energetischen Verwertung. Es ist vorhin schon die „dpa"-Meldung von Dienstag zitiert worden, in der behauptet worden ist, wir würden mit diesem Gesetzentwurf die Tür für Müllöfen weit öffnen. Wenn Sie wollen, daß wir hier sachlich diskutieren, müssen Sie sich, glaube ich, in der Wortwahl doch etwas mäßigen. Wir möchten gerne - und das steht so im Gesetzentwurf; Sie haben es selber zitiert - die umweltverträglichste Lösung bei der Verwertung von Sekundärrohstoffen vorrangig haben. ({7}) Das kann die stoffliche oder die energetische Verwertung sein. Für die energetische Verwertung haben wir strenge Kriterien vorgeschrieben, die Sie auch nachlesen können: 11 000 kJ/kg und nicht, wie Frau Homburger gesagt hat, 8 000 kJ/kg bei Müllverbrennungsanlagen. Das ist ein großer Unterschied, den Sie wahrnehmen sollten. Außerdem steht darin, daß die Asche aus diesen Heizkraftwerken auf Deponien nach der strengen TA Siedlungsabfall wieder deponiert werden muß. Das heißt allein schon, daß Heizkraftwerke hohe immissionsschutzrechtliche Anforderungen erfüllen müssen, wenn sie denn überhaupt gebaut werden dürfen. ({8}) Im übrigen - das muß ich ganz ehrlich sagen - muß mir erst einmal jemand erklären, warum eigentlich Kunststoffe, die auf Erdölbasis ohne Chlorzusatz hergestellt worden sind, nicht auch als Erdölprodukt wieder in die Prozeßwärme eingebracht werden sollen. ({9}) Mir muß erst einmal jemand erklären, warum Kohle, Gas oder Erdöl - also endliche Ressourcen - nicht geschont werden sollen. Ist das Ihre Meinung, oder ist das nicht Ihre Meinung? Ich denke, genau dieses als Ersatzbrennstoff muß und darf sein. Warum es Ihrer Meinung nach nicht sein soll, müssen Sie mir wirklich erst einmal erklären. ({10}) - Was Sie nicht verstehen, Herr Klejdzinski, der Sie sich mit Müll bisher noch gar nicht befaßt haben, das wollen wir einmal dahingestellt sein lassen. Wer den Müllnotstand beseitigen will, wer Produktverantwortung einführen will, die bei dem Hersteller belassen werden soll, wer Abfallexporte verhindern will, der muß diesem Gesetz zustimmen. Ich kann dies auch nur dem Bundesrat empfehlen; denn es löst auch in den Ländern viele Probleme. Vielen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Krause ({0}) das Wort.

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles an der Politik der Bundesregierung kritisiere ich, aber es ist unredlich, die Umweltpolitik zu kritisieren. Wo gibt es ein sozialdemokratisch regiertes Land auf dieser Erde, das deutsche Umweltstandards hat? Dann soll man doch erst einmal in der Sozialistischen Internationale, in den eigenen Reihen kehren, ehe man hier die wirklich weltniveauvorbildliche deutsche Umweltpolitik kritisiert. ({0}) Wo sind denn die grünen Minister? Wo sind sie denn? Daß der Steinewerfer Trittin nicht hier sitzt, verdankt er dem Umstand, daß wir Republikaner nicht in den Landtag von Niedersachsen gekommen sind. Aber wo ist denn der Fischer? Der ist doch auch nicht da. Nicht die Fundis und die Realos haben die Umweltpolitik gemacht, auf die wir Deutsche stolz sein können. Es sind - wenn ich es einmal so sagen darf - die „Praktikalos" gewesen. Über alle Parteigrenzen hinweg muß ich sagen: Es sind Töpfer und Harries, es sind Rieder und Grill und aus den neuen Ländern Ehlers, auf die - welche Politik auch immer vertreten wird - Deutschland stolz sein kann. Ich sage das über alle Parteigrenzen hinweg. ({1}) Dr. Rudolf Karl Krause ({2}) Aber ich bin hier nicht als Claqueur. Ich meine, dieses Gesetz ist ausreichend, aber es reicht dann auch. ({3}) Ich möchte auf vier Dinge hinweisen und mich inhaltlich der Vorrednerin anschließen. Erstens. Wir brauchen eine ökologische Produktverantwortung nicht nur der deutschen Produzenten. Wir brauchen eine ökologische Produktverantwortung auch der Importeure. ({4}) Wir brauchen kein Öko-Dumping. Es darf nicht sein, daß wegen zu hoher grüner Eigendiskriminierung ausgeflaggt wird und Umweltsünder, ja Umweltverbrecher dann hier importieren dürfen. Zweitens. Wir haben etwa 8 bis 9 Millionen arbeitswillige Beschäftigungslose in diesem Land. Ökologie muß deshalb mit wirtschaftlichem Augenmaß und mit wirtschaftlicher Verantwortung durchgeführt werden. Die deutsche Wirtschaft darf nicht immer mehr in eine ökologische Abseitsfalle hineinlaufen. Das, was in der unteren Elbe an ökologischer Politik mit Augenmaß - ich sage es noch einmal - auch von Ehlers und Harries betrieben wird, das wünsche ich mir für ganz Deutschland. Drittens. Wir haben eine Entsorgungsbelastung der privaten Haushalte gerade in den neuen Ländern, die finanziell nicht mehr zu verantworten ist. Mit einer Wirtschaftspolitik, die das Sozialprodukt in den neuen Ländern auf das Niveau von Tunesien heruntergedrückt hat, darf man den Haushalten nicht zumuten, mehr zu bezahlen als wirtschaftliche Wohlstandszentren auf dieser Welt. Wenn bis vor kurzem Brüssel die Nordsee mit ungeklärten Abwässern hat verschmutzen können, dann muß nicht das kleinste mitteldeutsche Dorf teuerste Anlagen haben, dann muß nicht das Wasser bergauf gepumpt werden und nach mehreren Jahren der Klärschlamm zurück auf die Felder kommen. Ein Letztes. Der Minister hat von ökologisch ehrlichen Preisen gesprochen. Ich stimme dem zu. Das muß aber auch international gelten. Ökologisch ehrliche Preise dürfen nicht durch Öko-Dumping unterlaufen werden. Wenn man sich auf dem Globus den kleinen Wurmfortsatz Europa und dann das kleine Deutschland darin ansieht, so ist doch klar, daß in der Umweltpolitik am deutschen Wesen die Welt nicht genesen wird, gar nicht genesen kann. Deswegen muß es einen Vorrang der Sozialpolitik, der Wirtschaftspolitik vor der Ökologie geben. Bevor hier von links kritisiert wird: Dann machen Sie in den Ländern, in denen Sie zur Zeit regieren, doch erst einmal das, was Deutschland getan hat. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückständen, Verwertung von Sekundärrohstoffen und Entsorgung von Abfällen. Dazu liegen Ihnen die Drucksachen 12/5672 und 12/7240 Nr. 1 vor. Ferner liegt hierzu eine Vielzahl von Änderungsanträgen vor, über die ich jetzt einzeln abstimmen lasse. Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7246 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7247. - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7248. - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. ({0}) - Und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entschuldigung. Das halten wir im Protokoll fest. Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7249. - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der SPD-Fraktion abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/7250. Wer stimmt dafür? -Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen dann zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7251. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/7252. Dazu hat die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Teilung der Abstimmung verlangt. Wir stimmen deshalb zunächst über Nr. 1 des Änderungsantrags ab, soweit sie sich auf § 21 Abs. 2 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bezieht. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der F.D.P.-Fraktion und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Wir stimmen jetzt über Nr. 1, soweit sie sich auf § 21 Abs. 1, 3 und 4 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bezieht, sowie über Nr. 2 des Änderungsantrags ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Damit ist Drucksache 12/7252 insgesamt abgelehnt. Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Er liegt Ihnen Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg auf der Drucksache 12/7257 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Änderungantrag mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen nunmehr zur dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Ihnen auf der Drucksache 12/7253 vorliegt. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/ Linke Liste ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Ihnen auf der Drucksache 12/7258 vorliegt. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Abfallgesetzes und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/631 vor. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 12/7240 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen dieser Entwurf des Bundesrates abgelehnt, so daß sich nach unserer Geschäftsordnung eine weitere Beratung erübrigt. Wir stimmen nun ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu den Anträgen der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD zur Sanierung der Ostsee und der Gewässer in den neuen Bundesländern. Das sind die Drucksachen 12/2251, 12/2553 und 12/6609. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden. Wir stimmen jetzt noch ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Das liegt Ihnen auf Drucksache 12/6606 vor. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltungen von PDS/Linke Liste und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung von den übrigen Fraktionen angenommen. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um den Zusatzpunkt 8 zu erweitern: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Grünbuch der Kommission über die Europäische Sozialpolitik - Weichenstellung für die Europäische Union - Drucksachen 12/7064 Nr. 2.6, 12/7243 Dieser Punkt soll ohne Aussprache behandelt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren. Wir stimmen über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksache 12/7243 ab. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? -Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Meine Damen und Herren, nun kommt eine amtliche Mitteilung: Es ist interfraktionell vereinbart worden, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Richtlinie des Rates über Pauschalreisen - er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/5354 vor - sowie die Beschlußempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses dazu auf Drucksache 12/7013 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zurückzuverweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Es ist so beschlossen. Nunmehr rufe ich den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 1992 - Drucksachen 12/4600, 12/6322 - Berichterstattung: Abgeordnete Claire Marienfeld Dieter Heistermann Interfraktionell wird eine Debattenzeit von einer Dreiviertelstunde vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Bevor ich nun dem Wehrbeauftragten, Alfred Biehle, das Wort gebe, möchte ich im Haus die Zustimmung einholen, daß die Abgeordnete Lederer ihre Rede zu Protokoll geben darf.*) Sie hat sich damit entschuldigt, daß sie einen dringenden anderen Termin hat. - Das Haus ist offensichtlich damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. *) Anlage 2 Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Ich erteile dem Wehrbeauftragten, Herrn Alfred Biehle, das Wort. Alfred Biehle, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu meinem Jahresbericht 1992, der heute nochmals beraten wird, hatte ich mich bereits bei seiner ersten Beratung im Plenum am 18. Juni 1993 ausführlich äußern können. Das Bundesministerium der Verteidigung hat dazu in der Zwischenzeit ausführlich Stellung bezogen und ist bemüht, die aufgezeigten Mängel abzustellen. Inzwischen liegt auch schon der Jahresbericht 1993 veröffentlicht vor. Er soll ebenfalls in Kürze im Parlament eingehend beraten werden. In ihm sind, wie ich meine, viele Themen des Jahresberichtes 1992 fortgeschrieben worden, weil die Probleme noch nicht gelöst sind oder sich die Anliegen nicht erledigt haben. Ich möchte mich an dieser Stelle daher darauf beschränken, aus dem Bericht 1992 einige Schwerpunkte anzusprechen. Auf Grund der Einsparungen haben sich die Rahmenbedingungen für die Streitkräfte nunmehr seit einigen Jahren weiter verschlechtert. Besonders deutlich treten die Auswirkungen der Einsparungen für mich auf dem Gebiet der Ausbildung hervor. In vielen Bereichen herrscht Unruhe und Unzufriedenheit wegen der Ungewißheit, wie es beruflich und persönlich für den einzelnen Soldaten weitergehen wird. Entgegen den Zusicherungen hinsichtlich des Umfangs der Streitkräfte gehen viele Soldaten von weiteren Reduzierungsmaßnahmen aus. Das Vertrauen in die Zusagen auf den Bestand von Standortentscheidungen ist vielfach zumindest problematisch. ({3}) Neben den fehlenden oder zu teuren Wohnungen, mangelnden Arbeitsplätzen für die Angehörigen, insbesondere für die Ehefrauen, Schwierigkeiten bei der Integration in das neue Umfeld ist dies eine weitere Ursache dafür, daß es vielfach an der Bereitschaft der Soldatenfamilien fehlt, an den neuen Standort umzuziehen. Dankenswerterweise hat der Verteidigungsausschuß am Mittwoch dieser Woche dem Thema Wohnungsfürsorge, wie ich glaube, in mehrstündiger Beratung neue Schubkraft gegeben. Auch das BMVg hat diesem Bereich höchste Priorität zugeordnet. Durch die jüngsten Entwicklungen haben die Stimmung in der Truppe, teilweise aber auch das Selbstbewußtsein vieler Soldaten weiter Schaden genommen. Nach dem Einsatz in Kambodscha ist zwischenzeitlich nunmehr auch der Einsatz deutscher Soldaten in Somalia zu Ende gegangen. Bis auf einen ermordeten Kameraden sind alle Soldaten wieder heil in die Heimat zurückgekehrt. Mit Aufmerksamkeit verfolge ich weiterhin die Begleitumstände für derartige Auslandseinsätze. Schmerzlich müssen die Soldaten stets aufs neue erfahren, daß der gemeinsame Konsens hinsichtlich solcher Einsätze immer noch weit entfernt ist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch dankbar feststellen, daß die sechs Bundeswehrsoldaten, die als technische Berater in Ruanda wirkten, mit ihren Familien dank der Hilfe belgischer Soldaten alle wohlbehalten zu Hause eingetroffen bzw. außerhalb Ruandas in Sicherheit sind. Allen Soldaten, die im Ausland, aber auch zu Hause, Dienst geleistet haben und noch leisten, gebührt Dank und Anerkennung für ihr großes Engagement und ihre Leistungsbereitschaft. Das in der Zwischenzeit mit großer Mehrheit verabschiedete Auslandsverwendungsgesetz gewährleistet nunmehr die dringend notwendige soziale Absicherung vor den besonderen Gefahren der Auslandseinsätze. Das hat zu einer weitgehenden Beruhigung bei den betroffenen Soldaten und insbesondere bei ihren Familien geführt. Der Attraktivität des Wehrdienstes - ich sage das sehr deutlich - muß erhöhte Aufmerksamkeit gelten, zumal die Zahl der Kriegsdienstverweigerer bei den Ungedienten erschreckend steigt. Im Januar waren es rund 15 000 Verweigerer; das ist die höchste Monatszahl seit der Golfkrise. Mit Nachdruck möchte ich hier noch einmal auf die Notwendigkeit der Neuregelung des Dienstzeitausgleichs hinweisen. Ziel muß es bleiben, den Soldaten für dienstlich notwendigen Mehreinsatz einen spürbaren Ausgleich zu gewähren. Um allerdings zu erreichen, daß anstelle des begehrten Freizeitausgleichs ein finanzieller Ausgleich akzeptiert wird, müssen zur Erhöhung der Attraktivität dieses Ausgleichs die Vergütungssätze merklich angehoben werden. Eine vorgesehene Verbesserung des Ausgleichs für Wochenenddienste mit einem Wochenendbonus ist sicher eine sinnvolle Maßnahme, um den Verlust von attraktiver Freizeit erträglicher zu machen. Die künftige Neugestaltung der Dienstzeitregelung muß jedenfalls so beschaffen sein, daß sie als gerecht empfunden wird. Eine schnelle Neuregelung ist dringend geboten. Der derzeitige Zustand ist eine mir immer wieder genannte Ursache für viele Schwierigkeiten im dienstlichen Bereich. Auf meine kritischen Ausführungen zur Umsetzung der Beteiligungsrechte in der Truppe bleibt zu hoffen, daß die in der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung angekündigten Maßnahmen schnell greifen und zu einer wesentlichen Verbesserung der Beteiligung und der Information der Vertrauenspersonen beitragen. Bedauerlicherweise ist die neue ZDv 10/2 bis heute noch nicht erlassen. Es drängt auch hier. Den Vertrauensleuten fehlt damit nach wie vor die konkrete Unterlage, die ihnen Aufschluß über ihre Rechte geben kann. Die Berufs- und Lebensplanung junger Wehrpflichtiger soll durch die Herabsetzung des Einberufungshöchstalters auf 25 Jahre verbessert werden. Ich hoffe, daß Beratung und Beschlußfassung der Novelle des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes alsbald abgeschlossen werden können. Wehrbeauftragter Alfred Biehle Die durch einige Medien verbreiteten Informationen haben bereits zu vielen falschen Hoffnungen bei den Wehrpflichtigen geführt. Mit der Neufassung könnte die gesetzliche Absicherung zumindest einer der bisher nur administrativ gewährten Wehrdienstausnahmen, nämlich die Nichtheranziehung dritter und weiterer Söhne, erfolgen. Die angespannte Wehrersatzlage macht es den Kreiswehrersatzämtern immer schwerer, auf individuelle Wünsche junger Wehrpflichtiger flexibel und angemessen einzugehen. Die hierdurch insgesamt aufgetretene Unruhe und Verunsicherung bei den Betroffenen äußert sich in einer großen Zahl von Eingaben, in denen die Petenten um meine Unterstützung bitten, jetzt nicht einberufen zu werden. Sie glauben, bei späterer Einberufung nicht mehr zwölf Monate ableisten zu müssen. Zum Schluß noch ein Wort zum Rechtsextremismus: Die Entwicklung in unserer Gesellschaft gibt sicherlich Anlaß zu großer Aufmerksamkeit. Nach meinen Beobachtungen gibt es keine Anhaltspunkte für entsprechende Tendenzen in der Bundeswehr. Hierüber sind wir uns wohl alle einig. Wachsamkeit ist gleichwohl geboten. Deshalb sollte die Bundeswehr im Rahmen ihrer - allerdings begrenzten - Möglichkeiten - ich meine, sie kann nicht nachholen, was vorher in der Gesellschaft versäumt worden ist - durch eine effektive Gestaltung der politischen Bildung in der Truppe vorbeugend wirken. Der politischen Bildung in der Truppe muß künftig noch mehr Bedeutung beigemessen werden. Dies gilt insbesondere bei der Dienstaufsicht. Viele Kriege und militärische Auseinandersetzungen in aller Welt machen sichtbar, daß Demokratie und Freiheit nur dann Bestand haben, wenn sich die Bürger auch dafür engagieren. Gefordert ist - wie ich meine - eine wehrhafte Demokratie. Die Politik und die maßgeblichen Bereiche unserer Gesellschaft sind gefordert, den Stellenwert der Bundeswehr in besonderer Weise deutlich herauszustellen. Hierzu bedarf es dringend eines möglichst breiten Konsenses in der Politik. Das ist auch die große Bitte aller Soldaten an die Parlamentarier. Das zu erreichen sollte daher unsere gemeinsame Aufgabe sein. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahresbericht 1992 des Wehrbeauftragten ist im Verteidigungsausschuß sehr ausführlich behandelt worden. Ich möchte mich deshalb auf einige Aussagen zu den Gesamtzusammenhängen konzentrieren. Der Jahresbericht ist ganz entscheidend durch die Tatsache geprägt, daß sich die Bundeswehr in dem tiefgreifendsten Umwandlungsprozeß seit ihrer Gründung befindet. Die Bundeswehr hat bei der Bewältigung dieser Aufgabe bereits Großartiges geleistet. Ich nenne nur das Stichwort der Verwirklichung der inneren Einheit in der Armee. ({0}) Aber der tiefgreifende Wandlungsprozeß bringt natürlich auch viele Probleme und Schwierigkeiten mit sich. Die finanzpolitischen Probleme belasten die Bundeswehr mittlerweile unerträglich. Die erneute Einsparung von 1,25 Milliarden DM war sicherheits- und verteidigungspolitisch nicht zu begründen. Dies darf kein Dauerzustand sein. Ich meine, diese Kürzungen müssen dem Verteidigungshaushalt zurückgegeben werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Klejdzinski möchte eine Zwischenfrage stellen. - Bitte schön.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, habe ich richtig gehört, daß Sie gesagt haben: „Der Jahresbericht 1992 ist jetzt, 1994, vorgelegt worden bzw. wird zum ersten Male diskutiert"?

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen, Herr Kollege Klejdzinski, als Mitglied des Verteidigungsausschusses, daß im Juni 1993 dieser Bericht 1992 in erster Lesung hier behandelt worden ist. Damals hatte der Kollege, der neben Ihnen sitzt, dazu gesprochen. Im November letzten Jahres gab es dazu die entsprechenden Beratungen im Verteidigungsausschuß. Heute erfolgt dazu die abschließende Beratung. Das ist richtig. ({0}) - Ich stimme Ihnen zu. Wir, und zwar alle Fraktionen des Parlamentes, müssen darauf achten, daß das zukünftig eher geschieht. Der Bericht 1993 muß in diesem Jahr abschließend beraten werden. Aber es liegt ein wenig auch an uns selbst. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht darauf hingewiesen, daß die Wehrpflichtigen ihren Dienst zum Teil mit einer kritischen Einstellung antreten, da ihnen der Sinn der allgemeinen Wehrpflicht nach dem Ende des Kalten Krieges fraglich erscheine. Außerdem werde es von den jungen Männern heute oft nicht mehr als notwendig empfunden, einen Dienst für den Staat zu leisten. In einer Zeit, in der zunehmend nur noch von Rechten und immer weniger von Pflichten die Rede ist, wundert es nicht, daß eine der wichtigsten Pflichten gegenüber dem Staat, die allgemeine Wehrpflicht, zunehmend in Frage gestellt wird. Diese Diskussion trägt im übrigen erheblich zur Verunsicherung in der Truppe selbst sowie bei den jungen Wehrpflichtigen vor ihrer Einberufung bei, zu einer Verunsicherung, auf die der Wehrbeauftragte ebenfalls hingewiesen hat. Ich finde, diese Diskussion ist völlig überflüssig. Alle Fraktionen dieses Hauses haben sich erst vor wenigen Wochen einstimmig für den Erhalt der allgemeinen Wehrpflicht ausgesprochen. Das ist gut so; denn die Wehrpflicht braucht einen breiten Konsens und hat ihn auch verdient. ({1}) In diesem Zusammenhang begrüße ich auch sehr das eindeutige Bekenntnis zur Wehrpflicht, das der Bundesminister der Verteidigung im jüngst vorgestellten Weißbuch abgelegt hat. Ich warne aber auch davor, die Wehrpflichtigen als finanzpolitische Verfügungsmasse zu betrachten. Wir müssen uns jedem Versuch entgegenstellen, daß die Wehrpflichtigen aus den Streitkräften verdrängt werden oder daß ihnen auch nur eine geringere Bedeutung gegeben wird. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Augustinowitz, der Abgeordnete Koppelin möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sehr gern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abegeordneter.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Augustinowitz, da Sie auf das Weißbuch und damit auf die Zahl 370 000, die da festgeschrieben ist, abheben, darf ich Sie fragen, wie Sie einen Bericht in der „Welt am Sonntag" vom letzten Sonntag beurteilen, wo wieder ganz andere Zahlen genannt werden. Es schwirren auch Gerüchte herum, daß uns der Verteidigungsminister Ende des Monats eine Zahl von 320 000 nennen will. Diese Zahlenspielereien kommen ja überwiegend aus dem Verteidigungsministerium. Haben Sie weiterhin Verständnis dafür, daß der eine oder andere Überlegungen anstellt, was das Thema Wehrpflicht angeht, wenn solche laufend veränderten Zahlen aus dem Ministerium kommen? ({0})

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, um Ihre Frage zu beantworten: Sie wissen ganz genau und tragen zum Teil selbst dazu bei, daß immer wieder gewisse Zahlen hier in den Raum gestreut werden. Was alles so aus dem Ministerium kommt - das wissen Sie selber -, muß man nicht immer für bare Münze nehmen. ({0}) Wenn Sie abgewartet hätten, hätten Sie zur Kenntnis nehmen können, daß ich gegen Ende meiner Rede darauf noch zu sprechen komme. Ich muß Sie bis dahin einen Moment noch vertrösten. ({1}) Ein besonderes Problem ist die große Zahl der Kriegsdienstverweigerer. Da es um die Größenordnung dieser Gruppe in der letzten Zeit einige Verwirrung gegeben hat, möchte ich hier für Aufklärung sorgen. Die Zahl der im Jahre 1993 gestellten Anträge ist, allerdings auf einem unerträglich hohen Niveau, gegenüber 1992 leicht zurückgegangen. Aber dieser Rückgang liegt ausschließlich daran, daß weniger Soldaten und Reservisten einen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Die Zahl der Ungedienten - das ist die für die Bedarfsdeckung der Bundeswehr entscheidende Gruppe -, die einen Antrag gestellt haben, ist im Jahre 1993 dagegen weiter angestiegen, obwohl insgesamt weniger Wehrpflichtige gemustert worden sind als 1992. Der Trend zur Kriegsdienstverweigerung ist ungebrochen. Zirka 40 % der tauglich gemusterten jungen Männer eines Jahrganges stellen derzeit einen Antrag auf Verweigerung. Der entscheidende Grund für diese erschreckend hohe Zahl ist nicht eine gesunkene Akzeptanz des Wehrdienstes. Vielmehr sind die massiven materiellen und immateriellen Vorteile, die Zivildienstleistende gegenüber Grundwehrdienstleistenden genießen, die Ursache. Der Wehrdienstbeauftragte hat auf diese Ungleichbehandlung in seinem Jahresbericht 1993, der auch vorliegt, dankenswerterweise in großer Deutlichkeit hingewiesen. Um der Entwicklung der KDV-Quote, die letztlich die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gefährdet, entgegenzusteuern, hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, einen Bericht zur Gleichbehandlung von Wehrund Zivildienstleistenden vorzulegen. Es ist zu hoffen und zu erwarten, daß die von der Bundesregierung in diesem Monat vorzulegenden Maßnahmen auch geeignet sind, den Mißstand der Ungleichbehandlung und damit den Anreiz zur Verweigerung des Wehrdienstes zu beseitigen. Der Bundesrat hat mit der Mehrheit der SPDregierten Bundesländer unlängst eine Verkürzung des Zivildienstes von 15 auf 12 Monate gefordert, also eine Angleichung der beiden Dienste, und den Vermittlungsausschuß angerufen. Diese Forderung ist absurd. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weist sie mit aller Entschiedenheit zurück. Die längere Dauer des Zivildienstes ist ein tragendes Indiz für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung. Eine Herabsetzung der Dauer des Zivildienstes und damit die Abschaffung auch des letzten Aspektes der Probe auf das Gewissen wäre verfassungswidrig.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Augustinowitz, Ihr Fraktionskollege Breuer hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Augustinowitz, können Sie bestätigen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu dem unsäglichen Postkartengesetz der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung vor 1982 einmal festgestellt hat, daß der zivile Ersatzdienst die lästige Alternative zum Wehrdienst sein sollte, und ist es heute nicht eher so, daß sich die Sachlage umgekehrt hat? ({0})

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich kann Ihnen da nur voll zustimmen. Deswegen wäre gerade eine Verwirklichung der Forderung der SPD-regierten Bundesländer eine wirklich unerträgliche Situation. Es ist bedauerlich, daß sich auch die Verteidigungspolitiker der SPD-Bundestagsfraktion bei einer anderen Gelegenheit zu dieser Forderung verstiegen haben. ({0}) Der letzte Punkt aus den Angelegenheiten der Wehrpflichtigen, die der Wehrbeauftragte in seinem Bericht angeführt hat, ist die Frage des Einberufungsalters. Der Wehrbeauftragte hat völlig zu Recht ausgeführt, daß sich der Einberufungsgrundsatz „jung vor alt" bewährt hat. Im Rahmen der bereits verabschiedeten Änderungen des Wehrpflichtgesetzes haben wir daher die generelle Altersgrenze von 28 auf 25 Jahre herabgesetzt. Ein weiteres vom Wehrbeauftragten angesprochenes Problem sind die Defizite in der politischen Bildung in der Truppe. Der Bundesminister der Verteidigung hat eingeräumt, daß dem staatsbürgerlichen Unterricht im Vergleich zu anderen Ausbildungsgebieten mitunter nicht der gebotene Stellenwert zuerkannt wird. Die Vorlage eines entsprechenden Berichts ist für den Sommer dieses Jahres angekündigt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet von diesem Bericht effektive Maßnahmen zur Verbesserung der politischen Bildung in der Truppe. Wir messen diesem Bereich große Bedeutung bei, um dem Anspruch eines Staatsbürgers in Uniform tatsächlich gerecht zu werden. Auch im Berichtszeitraum 1992 mußte sich der Wehrbeauftragte wieder mit einigen Fällen von entwürdigender Behandlung von Soldaten durch andere Soldaten auseinandersetzen. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese Verfehlungen kein typisches Phänomen für die Bundeswehr insgesamt, sondern absolute Ausnahmen sind. Dennoch ist jeder einzelne Fall ein Fall zuviel. ({1}) Es muß daher die ständige Aufgabe der Vorgesetzten sein, dieses Problem auszumerzen. Verstöße gegen die Menschenwürde haben in der Bundeswehr absolut nichts zu suchen. Eine gewisse Unruhe ist auch eingetreten auf Grund der unsäglichen Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit bestimmter Formen internationaler Einsätze. Hier muß ich den Kollegen von der SPD den Vorwurf machen, mit ihrer Haltung zur Frage von internationalen Einsätzen zu dieser Unsicherheit erheblich beigetragen zu haben. ({2}) Ich erwarte auch von der Opposition verantwortliche Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik. ({3}) Das wäre für die Bundeswehr und auch für Deutschland insgesamt wichtiger als die sicherheitspolitischen Lippenbekenntnisse, die Ihr Vorsitzender diese Woche in Washington abgelegt hat. Wie begründet die SPD denn eigentlich ihr Ja zum Einsatz der NATO in Gorazde, wenn sie gleichzeitig mehrere Klagen gegen die Bundesregierung auf diesem Gebiet anstrengt? Ich komme zum Schluß. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Kollege Koppelin - jetzt komme ich nocheinmal zu Ihnen -, steht für eine Politik, die der Bundeswehr und ihren Angehörigen Sicherheit gibt. ({4}) Dies betrifft nicht nur den Punkt der internationalen Einsätze. Ein Planungsumfang der Bundeswehr von 370 000 Soldaten und eine Wehrdienstdauer von 12 Monaten sind nach wie vor konzeptionell begründet und sicherheitspolitisch erforderlich. Die Bundeswehr braucht einen breiten Konsens unter den demokratischen Parteien. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bekennen uns entschieden zur Bundeswehr und zur allgemeinen Wehrpflicht. Herr Wehrbeauftragter, Sie leisten mit Ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur ständigen Überprüfung der demokratischen Armee Bundeswehr. Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre Arbeit und für Ihren Bericht. Vielen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dieter Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unruhe in der Bundeswehr ist nicht mehr zu überhören. Bildlich dargestellt: Die Bundeswehr befindet sich im Sinkflug. Wesentliche Landehilfen sind ausgefallen; die Bordsysteme arbeiten ungenau. Niemand weiß, ob das jetzige System Bundeswehr sauber zur Landung gebracht wird oder ob es die Landebahn verpaßt und eine Bruchlandung vollzieht. Um im Bild zu bleiben: Auf die entscheidende Frage „Wo landet die Bundeswehr?", deren Beantwortung die SPD-Bundestagsfraktion, aber auch die Soldaten der Bundeswehr seit Jahren einfordern, bleibt die Regierung die Antwort schuldig. Die Herausgabe des Weißbuches durch das BMVg ist geradezu ein exemplarisches Beispiel für diese Hilflosigkeit. Unsere Angebote an den Bundesverteidigungsminister und an die Koalition, gemeinsam eine Bundeswehrplanung aus einem Guß zu machen, verhallten ungehört. Heute schlingert die Bundeswehr von einem Reförmchen zum anderen. Niemand kann mehr erkennen, wie es denn mit der Bundeswehr weitergehen soll. Viel Vertrauen ist inzwischen verspielt. Die Soldaten wollen generell Gewißheit über ihre künftigen Aufgaben, also ihren Auftrag, erhalten und legen zunehmend Wert darauf, daß dies einvernehmlich und verbindlich von allen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, mitgetragen wird. ({0}) Vieles von dem, was die Soldaten wünschen, hätte im Parlament schon entschieden sein können, wenn die Bundesregierung und die sie tragende Koalition es gewollt hätten. ({1}) Gebetsmühlenartig werden hier Umfangszahlen der Bundeswehr vor sich hingemurmelt, die alle drei Tage neu definiert werden und doch keinen Bestand haben. Noch schlimmer ist das Chaos, wenn es um den Verteidigungsetat geht. Was da an leerem Stroh gedroschen, wie da mit leerem Beutel eine Bundeswehrplanung projektiert wird, dieses Kunststück wird in die Geschichte eingehen, allerdings nicht als Ruhmesblatt. ({2}) Alle Welt weiß, daß das Geld in der Bundeskasse knapp ist. Die Hoffnung zu verbreiten, daß es den Verteidigungsetat schon nicht treffen würde, war politisch leichtfertig und in der Wirkung verheerend. Der Versuch der Koalition, sich mit leeren Standardformeln über die Zeit zu retten, wird angesichts der finanziellen Entwicklung im Bundeshaushalt immer offensichtlicher. Jeder Truppenbesuch bestätigt, daß die finanziellen Engpässe zu massiven Ausbildungseinschränkungen geführt haben. Sie sind dafür verantwortlich, daß der Befehl „Bundeswehr stillgestanden!" im wahrsten Sinne des Wortes konsequent umgesetzt wurde. Für die Folgen einer solchen Politik müssen allerdings die Soldaten ihren Rücken hinhalten. Sie haben die Bundeswehr im Glauben gelassen, daß durch ihren Einsatz in Kambodscha und Somalia alles beim alten bliebe, es künftig sogar zur ständigen Aufgabe der Bundeswehr gehöre, überall eingesetzt zu werden. Schon heute klaffen Auftrag und Mittel so weit auseinander, daß nicht einmal die internen Hausprobleme gelöst werden können. Wie sollen dann andere Aufgaben eigentlich erfüllbar sein? Wir stellen heute fest: Unsere Analysen der Entwicklung des Verteidigungsetats waren richtig. Die Wirkung dieser Eingriffe trifft die Bundeswehr in einer Phase des Umbaus und der Umgliederung mit Folgen, deren Ausmaß noch nicht abzuschätzen ist. ({3}) Schon immer haben wir bezweifelt, ob der Verteidigungsminister den Mut aufbringt, bei der Bundeswehrplanung weit genug zu springen. Mit dem, was der Finanzminister der Koalition zubilligt, wird man nur ein kurzes Hemd für die Bundeswehr schneidern können. Wie viele Fragezeichen stehen hinter diesen jetzt neuen Zahlen, und wie schön hatte der Bundesminister der Verteidigung das in der Planungsleitlinie 1994 formuliert - ich zitiere -: „Ich will sparen, aber nicht erleiden, sondern gestalten." Nichts davon hat Bestand gehabt. Nicht einmal Potemkinsche Dörfer sind von diesen Planungen übriggeblieben. Der längst schon überwunden geglaubte Gammeldienst wird in der Truppe wieder Einzug halten, wenn keine ausreichende Ausbildung möglich ist. Leerquartale, Kürzungen und Streichung von Übungen und Übungsmaterial bestimmen heute den Bundeswehralltag. Da wird einer Reservistenkonzeption das Wort geredet, aber gleichzeitig werden die Wehrübungsplätze massiv zusammengestrichen. Eingeplante Reservisten müssen ausgeplant werden. Meine Damen und Herren, das Wort Planung mag im BMVg und in der Bundeswehr schon keiner mehr in den Mund nehmen, zu viele Papierkörbe quellen nämlich davon über. Bei der Einbringung dieses Jahresberichtes des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages hatte die SPD-Bundestagsfraktion den Verteidigungsminister darauf hingewiesen, daß das Haus Bundeswehr dringend der Renovierung bedarf, daß die Probleme der Bundeswehr nicht im Fassadenbereich, sondern im Inneren liegen. Wir fragen: Nimmt er sich genug Zeit für die Bundeswehr und ihre Probleme, und entscheidet er eigentlich rechtzeitig? Zu Recht erwarten die Soldaten bei der Umstrukturierung der Bundeswehr, daß ihre persönlichen Belange und die Belange ihrer Familien sach- und zeitgerecht berücksichtigt werden. Lange Trennungszeiten der Soldaten von ihren Familien sind familienfeindlich. Trennungsgeld ist kein Ersatz. Eine Frau schrieb mir, sie habe sich bei ihrer Heirat mit einem Soldaten praktisch verpflichtet, künftig als Alleinerziehende zu leben. So sieht das in viel zu vielen Familien aus. Die Wohnungsfürsorge hat deshalb höchste Priorität. Soldaten und ihre Familien wissen, daß sie umziehen müssen. Aber als Spielball unzureichender Planung fühlen sie sich mißbraucht. Viele Soldaten fragen sich: Gibt es tatsächlich am Ende dieses Jahres noch die Kompanie, in der ich eingeplant wurde, oder geht der Wanderzirkus wieder von vorne los, wie es im Jargon der Betroffenen jetzt schon heißt? Die Instabilitäten innerhalb der Bundeswehr sind nicht den Soldaten anzulasten. Die Soldaten leisten ihren Dienst unter sehr erschwerten Bedingungen. Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Soldaten und den zivilen Mitarbeitern in der Bundeswehr deshalb besonders für ihren Einsatz danken. ({4}) Dieser Dank entspringt der Würdigung und Anerkennung ihrer Arbeit und Leistung. Wir bitten Sie, Herr Staatssekretär, diesen Dank zu übermitteln. Der Weg der Integration von Soldaten der Bundeswehr und der ehemaligen NVA ist richtig und muß konsequent weiterverfolgt werden. Seit Jahren fordert die SPD-Bundestagsfraktion eine klare Ausplanung der Personalstruktur. Würde jetzt noch das Personalstrukturmodell 370 vorgelegt, so würde dies der Truppe nicht gerecht, weil es überholt, nicht mehr passend und nicht finanzierbar ist. Es ist für die Soldaten eine Zumutung, immer noch mit diesen Vorgaben arbeiten zu müssen. Wir leiten daraus die Forderung ab: Legen Sie endlich eine Planung vor, die trägt und auf einer Finanzlage aufbaut, die mittelfristig abgesichert ist. Herr Staatssekretär, Sie müssen den Soldaten und den zivilen Beschäftigten in der Bundeswehr sagen, was unter Ihrer Verantwortung geschehen wird. Alle wollen wissen, wo der von Ihnen eingeschlagene Weg enden soll. Die Soldaten sind bereit dazu, klare und eindeutige Entscheidungen zu akzeptieren. Aber hier ein Reförmchen und da noch ein Reförmchen, dies ist Flickschusterei. Das haben im übrigen auch unsere Soldaten nicht verdient. Lassen Sie auch das unehrliche Zahlenspiel, indem von Bandbreiten bei Einberufungen bzw. Personalumfängen geredet wird. Die SPD bekennt sich zur Wehrpflicht. Wie lange die Wehrpflicht als wichtiges Element unserer Streitkräfte erhalten werden kann, hängt entscheidend davon ab, wie viele Wehrpflichtige einberufen werden können, die Erfüllung welcher Aufgaben wir ihnen abverlangen, welche Anforderungen wir an sie stellen und wie wir die Wehrgerechtigkeit herstellen können. Zu fragen ist zuallererst, was für Kräfte wir für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen und mit welchen Kräften wir künftig internationale Aufgaben wahrnehmen wollen. Danach hat sich die Personalauswahl und auch die Bundeswehrstruktur zu richten. Die SPD hat auf ihrem Wiesbadener Parteitag ihre Eckwerte einer künftigen Bundeswehrplanung offengelegt. Daran werden wir uns nicht nur orientieren, nein, diese werden wir auch so umsetzen. Es gibt die Botschaft, neue Planungsleitlinien im April dieses Jahres vorzulegen. Diese werden wir an unseren Eckwerten messen und daran, ob sie der Aufgabe gerecht werden, die Bundeswehr aus dem Schlingerkurs herauszubringen. Schon einmal haben Sie in der Koalition, und das durch ihren Minister, erklärt - das war 1992 - und bei der Planungsleitlinie 1994 angekündigt, daß es das Ziel der Planungskonferenz sei, letztmalig, man höre und staune, den Bauplan abzustimmen, der die komplexen weiteren Arbeiten bestimmt. Ihre Ankündigung damals, bis zum Jahresende 1992 eine Bundeswehrplanung aus einem Guß vorzulegen, hatte keine lange Lebensdauer. Wir werden sehen, ob die Koalition noch die Kraft aufbringt, sich wenigstens mit einem Bundeswehrplan 1995 aus dieser Legislaturperiode zu verabschieden. ({5}) Lassen Sie mich noch ein paar notwendige Anmerkungen zu Problemen der Wehrpflichtigen machen. Bei meinen Gesprächen mit ihnen wurde überdeutlich, wie die Wehrungerechtigkeit sie tief verletzt. Sie bringen immer weniger Verständnis dafür auf, daß einige dienen und andere verdienen. Deshalb war die Kürzung des Entlassungsgeldes bei den Wehrpflichtigen ein großer Fehler. Sie fühlen sich nämlich doppelt betrogen. Der Eindruck, wieder würde bei den Schwächsten gespart, sitzt tief. Vermehrt wird auch die Einberufungspraxis kritisiert. Lebensältere Wehrpflichtige werden aus dem Beruf heraus einberufen. Das ist volkswirtschaftlich unvernünftig. Diese Praxis leistet der Wehrpflicht in der Tat einen Bärendienst, weil damit ein unverhältnismäßiger Eingriff in die persönliche Lebensplanung der betroffenen Wehrpflichtigen verbunden ist, die sich häufig genug darum bemüht haben, in jungen Jahren einberufen zu werden. Andererseits gibt es arbeitslose Jugendliche, denen man durch eine Einberufung besser helfen könnte. In der Tat, hier würde es hilfreich sein, differenzierter vorzugehen. Die SPDBundestagsfraktion hatte für die Herabsetzung des Einberufungshöchstalters auf 25 Jahre lange vor der Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf in die parlamentarische Debatte eingebracht, der die Interessen der Beteiligten, nämlich der Wehrpflichtigen, der Wirtschaft und des Staates, angemessen berücksichtigt. ({6}) Doch unser Gesetzentwurf scheiterte an der Uneinsichtigkeit der parlamentarischen Mehrheit der Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P. Es bleibt dabei: Der Umbau der Bundeswehr erf ordert den gesamten Einsatz der politisch Verantwortlichen. Er muß vom Wehrbeauftragten kritisch begleitet werden. Wir wissen, daß der Wehrbeauftragte und seine Mitarbeiter sich nach Kräften bemühen, dem Deutschen Bundestag Aufklärung darüber zu geben, welche Entwicklung die Bundeswehr nimmt, ob Verstöße gegen die Grundsätze der Inneren Führung vorliegen, wo Sorgen der Soldaten sichtbar werden, wie die Stimmung in der Truppe ist. Das ist gut so. Gerade jetzt muß sich der Wehrbeauftragte bewähren, muß er die Hand am Puls der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter haben, muß er aufzeigen, wenn sich im Prozeß der Umgliederung Fehlentwicklungen auftun. Nur in Kenntnis aller Fakten wird das Parlament die Konsequenzen ziehen können. Auffällig ist, daß die Stellungnahme des Beirats für Innere Führung zum Wehrbeauftragtenbericht der Truppe nicht mehr zugänglich gemacht wird. Wir bitten das BMVg eindringlich, dies in Zukunft wieder sicherzustellen. Die SPD-Bundestagsfraktion sichert Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, zu, Sie und Ihre Mitarbeiter bei Ihrer nicht leichten Arbeit voll zu unterstützen. Leiten Sie bitte auch unseren Dank an alle Mitarbeiter weiter. ({7}) Ich fasse zusammen. Die Soldaten wollen wissen, wie die Kombination von Landesverteidigung, Bündnisaufgaben, UNO-Einsätzen und humanitären Hilfen als neue Aufgabe zu lösen ist, auf welcher Zeitachse die Reform der Streitkräfte stattfindet und wann Geräte und Systeme, Ausrüstungs- und Führungsmittel und die notwendige Logistik zur Verfügung stehen. Auftrag und Mittel müssen in Übereinstimmung gebracht werden. Die Soldaten und Zivilbeschäftigten wollen eine klare und baldige Entscheidung darüber, was letztendlich aus dieser Bundeswehr wird. Die Bundeswehr kann sicher sein, daß die SPD ihren Beitrag dazu leisten wird, daß die Unsicherheiten in der Bundeswehr abgebaut werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Günther Nolting.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Bericht des Wehrbeauftragten aus dem Jahr 1992 möchte ich eingangs auf die nach wie vor gültige Dienstzeitregelung eingehen; der Herr Wehrbeauftragte hat diesen Komplex auch schon erwähnt. Viele Soldaten beklagen sich über eine ungleiche Behandlung und haben ihren Unmut im Jahr 1992, aber auch im Jahr 1993 zum Ausdruck gebracht. Sie haben darauf hingewiesen, daß die einen finanziell entschädigt werden, weil sie wegen ihrer Funktion für den Dienstbetrieb unentbehrlich sind, daß aber die anderen, deren Abwesenheit den Dienstablauf nicht beeinträchtigt, vorwiegend in den Genuß des begehrten Freizeitausgleichs kommen. Ich habe schon darauf hingewiesen: Schaut man sich den neuesten Bericht 1993 an, so kann man feststellen, daß sich die Situation in diesem Bereich eher noch verschlechtert hat. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich die F.D.P. für diese Dienstzeitregelung eingesetzt und sie auch schließlich durchgesetzt hat, auch gegen den Willen - lieber Kollege, Sie waren dabei - des Verteidigungsministeriums. Diese Dienstzeitregelung war meiner Ansicht nach insofern ein großer Erfolg, als es gelungen ist, die Dienstzeit der Soldaten insgesamt zu senken, vor allem aber ein Bewußtsein dafür zu entwickeln, daß die Zeit der Soldaten nicht unbegrenzt und kostenlos zur Verfügung stehen kann und auch nicht darf.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heistermann?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich gestatte.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Herr Kollege Heistermann.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nolting, können Sie mir zusagen, daß der abgesetzte Punkt „Dienstzeitregelung", der in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses auf der Tagesordnung stehen sollte, wenigstens in der anderen Woche auf die Tagesordnung gesetzt wird?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Heistermann, wir haben in der nächsten Woche ein Obleutegespräch. Ich nehme Ihre Bitte gerne auf. Der Kollege Kolbow wird das dann allerdings wahrscheinlich auch tun. Ich denke, wir werden in der nächsten Zeit in einer Sitzung die Möglichkeit haben, um eben auch die Notwendigkeit aufzuzeigen, daß die jetzige Regelung einer Veränderung bedarf, daß sie der Praxis angepaßt werden muß. Ich meine, daß wir dann auch die Probleme bereinigen können, die es jetzt im Truppenalltag gibt, und daß wir dann auch ein hohes Maß an Gerechtigkeit schaffen werden. Ich sichere Ihnen das zu. Meine Damen und Herren, ich habe mit Interesse gelesen, daß das Verteidigungsministerium die Erarbeitung einer Studie über Mängel und Schwachstellen der politischen Bildung in der Bundeswehr angeordnet hat. Wir Liberalen sagen dazu: Die Bundeswehr hat einen wichtigen Bildungsauftrag zu erfüllen. Sie kann und soll junge Staatsbürger mit den Werten und den Institutionen unser freiheitlich-demokratischen Grundordnung vertraut machen. Hier hat die Bundeswehr vor allem in den letzten Jahren in den neuen Ländern wertvolle Arbeit und damit auch zur inneren Einheit Deutschlands einen wichtigen Beitrag geleistet. ({0}) Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat aber auch die Chance, durch gezielte Aufklärung den drohenden rechtsextremen Tendenzen gerade unter jungen Menschen entgegenzuwirken. Der Wehrbeauftragte hat darauf hingewiesen: Auch in der Bundeswehr hat es Vorfälle rechtsextremen Verhaltens gegeben. Ich denke aber, daß diese ein Spiegelbild der momentanen Strömungen in unserer Gesellschaft sind, ohne daß ich diese Tendenzen verharmlosen will. Für mich ist es in diesem Zusammenhang besorgniserregend, daß der Wehrbeauftragte auch von Versuchen der rechtsextremen Szene berichtet hat, unsere Streitkräfte gezielt zu unterwandern. Ich denke, alle Demokraten hier im Hause müssen darauf Obacht geben. Dennoch bin ich der Meinung, die fast 40jährige Geschichte der Bundeswehr hat gezeigt, daß es an der Loyalität und der Treue der Soldaten zu unserer Verfassung nicht den geringsten Zweifel gibt. ({1}) Meine Damen und Herren, die Bundeswehr kann im Bereich der politischen Bildung zwar nicht die Schule der Nation sein, durch den hohen Durchlauf junger Männer kann und muß sie aber im Bereich der Erwachsenenbildung auch die wichtige Aufgabe wahrnehmen, rechten Strömungen schon im Ansatz zu begegnen. Die politische Bildung in der Truppe muß deshalb in der Ausbildung den Raum einnehmen, der ihr gebührt, und darf nicht vernachlässigt werden. Lassen Sie mich zum Abschluß zwei aktuelle Themen aufgreifen. Der Kollege Heistermann hat sie bereits angesprochen. Erstens. Die bereits im vergangenen Jahr erfolgte Kürzung des Entlassungsgeldes und die Zurücknahme der Zahlung des Verpflegungsgeldes an dienstfreien Tagen auf den einfachen Tagessatz ist nicht nur bei den Wehrpflichtigen - wie ich meine, zu Recht - auf wenig Gegenliebe gestoßen. Sie wissen, daß die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik der F.D.P. diese Kürzungen deshalb auch abgelehnt hat. Ich denke, auch die Attraktivität des Wehrdienstes hat unter dieser Maßnahme gelitten. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir hier einen Ausgleich schaffen können, eventuell durch eine Wehrsolderhöhung. ({2}) Zweitens. Ich will an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik der F.D.P.-Bundestagsfraktion den geplanten Verwaltungskostenzuschlag zum Verpflegungsgeld ablehnt, der vor allem die unteren Einkommensgruppen bei Zivilangestellten sowie bei Zeit- und Berufssoldaten belastet. Meine Damen und Herren, es ist generell die Frage zu stellen und vor allen Dingen auch zu beantworten, wie ein weiterer Ansehensverlust des Wehrdienstes verhindert werden kann, denn im öffentlichen Bewußtsein ist längst gängige Auffassung, Wehr- und Zivildienst seien gleichgestellt, und man könne inzwischen frei wählen. Das Grundgesetz aber gibt hierauf eine klare Antwort: Grundsätzlich hat jeder Wehrpflichtige den Wehrdienst zu leisten. - Der Zivildienst ist danach nur die Ausnahme von der Regel. Es ist deshalb die Aufgabe der Politik und der Gesellschaft, die Prioritäten wieder zurechtzurücken. Wir brauchen deshalb - dies sage ich zum Abschluß - eine verbindliche Bundeswehrplanung, die - ausgehend von der sicherheitspolitischen Lage - den Auftrag formuliert, dann die Eckwerte festlegt und schließlich hieraus den Finanzrahmen ableitet. Dieser muß dann auch langfristig Bestand haben, meine Damen und Herren, damit es eben nicht immer wieder zu Spekulationen - wie von den verschiedensten Seiten vorgetragen - kommt. Wir alle, vor allen Dingen auch die Bundeswehr, brauchen hier Planungssicherheit. Lieber Kollege Heistermann, ich habe die Bekenntnisse zur Bundeswehr, die hier vorgetragen wurden, sehr wohl gehört, und persönlich will ich das auch gar nicht in Abrede stellen. Es ist von Eckwerten der SPD gesprochen worden, die sehr gut seien. Ich habe hier allerdings keine gehört, aber davon werden wir ja vielleicht in den weiteren Diskussionen hören. Ich will aber noch ganz kurz aufzeigen, wie die SPD-Wirklichkeit aussieht. Da gibt es SPD-geführte Kommunen, die Patenschaften mit der Bundeswehr aufkündigen. Da beschließen SPD-geführte Kommunen soldatenfreie Städte; ({3}) ich kann das auch belegen. Der SPD-Parteitag beschließt, Vereidigungen von Soldaten nur noch in Kasernen stattfinden zu lassen. ({4}) Die SPD will offensichtlich die Bundeswehr verstekken. Teile der SPD - wie die Nachwuchsorganisation - beschließen die Auflösung der NATO und damit ja wohl auch der Bundeswehr und nähern sich hier den Beschlüssen der GRÜNEN. ({5}) - Ich kann das gern hinüberreichen. Auch die GRÜNEN, die ja heute in dieser Debatte nicht anwesend sind, haben ja gerade auf ihrem letzten Parteitag beschlossen, die Bundeswehr aufzulösen, aus der NATO auszutreten und schließlich auch die NATO aufzulösen. Gleichzeitig bieten sich die GRÜNEN als Koalitionspartner der SPD an. Ich hätte es als sehr wohltuend empfunden, Herr Kollege Heistermann, wenn Sie sich auch zu diesen Dingen einmal geäußert hätten, wenn Sie sich von diesen Beschlüssen klar abgegrenzt, wenn Sie sich von den Beschlüssen der GRÜNEN distanziert hätten. Dann hätten Sie in diesem Hause Klarheit geschaffen. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lassen Sie mich diesen Satz gerade noch zu Ende sagen, Herr Präsident. Der Kollege Irmer hat ja gestern in der Debatte auch schon auf die widersprüchlichen Aussagen zur Sicherheitspolitik hingewiesen, die aus Ihrer Fraktion kommen. Ich brauche das hier nicht zu wiederholen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Klejdzinski?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte auch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Nolting, stimmen Sie mir zu, daß zu diesen entscheidenden Fragen des Verhältnisses der SPD zu den GRÜNEN, die Sie teilweise angesprochen haben, unser Parteivorsitzender eindeutig erklärt hat, was geht und was nicht geht? Er hat beispielsweise mit Entschiedenheit unsere Zusage betont, zur NATO zu stehen. Ist es nicht unzulässig, Einzelstimmen zu zitieren? Ich tue es ja auch nicht; ich sage nicht: In der F.D.P. gibt es Leute, die 280 000 bis 370 000 Mann anbieten. Ich nehme die Auseinandersetzung, die Sie parteiintern führen, nicht als Maßstab und stelle dies nicht generell als F.D.P.-Meinung dar. ({0})

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber, Herr Kollege Klejdzinski, das ist es doch gerade, was Sie aufgezeigt haben, das Dilemma der SPD, ({0}) daß Ihr Bundesvorsitzender Erklärungen abgibt, daß aber Teile, nicht Einzelstimmen, sondern große Teile Ihrer Partei genau das Gegenteil nicht nur in der Öffentlichkeit vertreten, sondern auch beschließen, so wie es die Jusos als Teil der SPD gerade getan haben. Das ist das Dilemma, auf das Sie hingewiesen haben. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Nolting, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte auch eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin, selbstverständlich, gern.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Nolting, können Sie mir zustimmen, daß wir heute in der Rede des Kollegen Heistermann gerade ein Beispiel für das Verwirrspiel der SPD bekommen haben, der auf der einen Seite erklärt hat, die SPD wolle an der Wehrpflicht festhalten, während wir auf der anderen Seite wissen, daß im Regierungsprogramm der SPD eine Bundeswehr mit einem Umfang von 300 000 Mann steht? Das kann ja irgendwo nicht stimmen. Würden Sie mir zustimmen, daß das ein Beispiel für das Verwirrspiel ist?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Koppelin, in dieser Frage stimme ich Ihnen absolut zu. ({0}) Das ist genau das Verwirrspiel, auf das der Kollege Klejdzinski auch schon hingewiesen hat. Er hat es nur anders sehen wollen; aber letztendlich zielte die Frage genau darauf ab.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich frage Sie, ob Sie die letzte Frage des Kollegen Heistermann zu diesem Komplex zulassen.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, obwohl er genügend Zeit hatte, hier die Vorstellungen der SPD vorzutragen. Bitte schön!

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich, Kollege Nolting. Nachdem Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich Ihnen wenigstens noch Gelegenheit geben, eine Frage von mir zu beantworten. Kann ich aus Ihrem Redebeitrag jetzt schließen, daß die F.D.P. für die Abschaffung der Wehrpflicht ist, wenn ich das richtig interpretiere, was der Kollege Koppelin landauf, landab erklärt, daß er nämlich für eine Freiwilligenarmee sei, und daß Ihr Bekenntnis zur Wehrpflicht, das Sie hier abgelegt haben, eigentlich eine einsame Position in der F.D.P. ist? Oder wie habe ich das jetzt zu interpretieren?

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Heistermann, ich bedanke mich bei Ihnen, daß Sie sich um mein Wohlergehen sorgen. Ich bin in dieser Frage überhaupt nicht einsam. Der vorletzte F.D.P.-Bundesparteitag hat mit Dreiviertelmehrheit, so glaube ich, beschlossen: Die F.D.P. will keine Berufsarmee, die F.D.P. tritt für die allgemeine Wehrpflicht ein. Sie wissen aber, daß wir eine unabhängige Kommission mit Professor Jacobsen hatten, der aufgezeigt hat, daß man bei einem Umfang von 370 000 Mann sehr wohl an der allgemeinen Wehrpflicht, wie sie jetzt besteht, festhalten kann, daß aber dann, wenn diese Zahl unterschritten wird, neue Überlegungen angestellt werden müssen. ({0}) Der Beschluß des F.D.P.-Parteitages sieht denn auch vor, daß wir, wenn diese Zahl von 370 000 Mann unterschritten wird, sehr wohl zu neuen Überlegungen kommen müssen, auch in der Frage der Gerechtigkeit. Ich denke, da sind wir in der Koalition überhaupt nicht auseinander, und da sind wir auch mit Ihnen von der Opposition nicht auseinander, und es muß ja wohl jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestages gestattet sein, ({1}) daß er weitergehende Überlegungen anstellt. Ich fühle mich in der liberalen Partei gerade deshalb auch sehr wohl, weil ich hier diese Möglichkeiten habe. ({2}) Eine andere Frage ist damit komme ich auf das zurück, was ich eingangs sagte -, ob hier Überlegungen angestellt werden, die in die Zukunft gehen, oder ob Sie jetzt wie Teile Ihrer Partei den Status quo ändern wollen. Darin besteht der Unterschied. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß für die Arbeit danken, die der Wehrbeauftragte und seine Mitarbeiter im letzten Jahr und in den Jahren zuvor geleistet haben. Ich denke, die Institution des Wehrbeauftragten als Kummerkasten der Bundeswehr hat sich bewährt. Herr Wehrbeauftragter, ich sichere Ihnen weiterhin die Unterstützung der F.D.P.-Bundestagsfraktion zu. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Zum Schluß dieser Debatte erteile ich dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, unserem Kollegen Bernd Wilz, das Wort.

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht 1992 des Wehrbeauftragten ist eine umfassende Darstellung der inneren Lage der Streitkräfte. Ich möchte deshalb zunächst dem Wehrbeauftragten sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hierfür auch ausdrücklich den Dank des Bundesministers der Verteidigung aussprechen. ({0}) Die Vorschläge und Anregungen, aber auch die kritischen Anmerkungen des Wehrbeauftragten sind für uns stets ein wichtiger Gradmesser der Stimmung in der Truppe und über sie, ein Gradmesser, dem gerade in Zeiten des Umbruchs und der Umstrukturierung besondere Bedeutung zukommt. Die Bundesregierung hat den Jahresbericht 1992 gewissenhaft geprüft und ausgewertet. Eine ausführliche Stellungnahme wurde am 8. Juni 1993 zusammen mit dem Jahresbericht der Truppe bekanntgegeben. Wo immer möglich und angezeigt, hat die Bundesregierung die Empfehlungen des Wehrbeauftragten aufgegriffen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Der Bericht über den Sachstand und die Ergebnisse der eingeleiteten Maßnahmen wurde dem Verteidigungsausschuß am 29. März 1994 vorgelegt. Wie in früheren Jahren hat der Wehrbeauftragte in seinem Bericht Beispiele aufgenommen, wo Menschenführung in den Streitkräften nicht zeitgemäß und das Verhalten von Vorgesetzten nicht angemessen erschien. Ich begrüße ausdrücklich, daß der Wehrbeauftragte über solche Einzelfälle berichtet, die jeweils konsequent geahndet wurden. Ich sehe darin eine wichtige erzieherische Funktion für unsere Vorgesetzten und gleichzeitig eine Schutzfunktion für die ihnen untergebenen Soldaten. Unabhängig davon bin ich aber ebenso wie der Beauftragte der Auffassung, daß der zwischenmenschliche Umgang in den Streitkräften gut ist. Nicht umsonst sind die für die Bundeswehr geltenden Prinzipien der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform beispielhaft für viele andere Armeen und haben sich in den letzten Jahren zu Exportschlagern für die jungen Demokratien in Osteuropa entwickelt. ({1}) Mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Verbesserung der Ausschöpfung der Rekrutenjahrgänge wird eine wesentliche Forderung des Wehrbeauftragten bis Mitte 1994 erfüllt. Dabei wird im Rahmen des Möglichen sichergestellt werden, daß die Rekruten ihre Standorte in vertretbaren Reisezeiten erreichen. Nachdrücklich möchte ich aber darauf hinweisen, daß durch Aufgabe von mehr als 200 Standorten und die Einbeziehung der neuen Bundesländer heimatferne Einberufungen nicht zu vermeiden sein werden. Den Zivildienstleistenden wird dies nicht zugemutet. Der Wehrbeauftragte hat zu Recht festgestellt, daß die Wehrpflichtigen nicht nur in finanzieller Hinsicht schlechter gestellt sind als die Zivildienstleistenden. Wir müssen den Wehrdienst als vorrangigen Dienst mit Verfassungsrang wieder allen Bürgern deutlich machen und gleichzeitig eine Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden sicherstellen. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag hierzu in Kürze einen Bericht zuleiten. Zweifelsohne lagen die größten Herausforderungen bei der Umstrukturierung der Bundeswehr sowohl nach dem Bericht des Wehrbeauftragten als auch in der Praxis der Truppe in den neuen Ländern. Gerade dort aber gab es auch viele sichtbare Erfolge, die deutlich machen, daß dies Probleme des Übergangs gewesen sind und einer zeitlichen Begrenzung unterliegen. Es ist auch von dieser Stelle schon mehrfach darauf hingewiesen worden - und ich will es noch einmal verdeutlichen -: Wohl keine andere Institution hat für die Vollendung der deutschen Einheit und für das Zusammenwachsen der Gesellschaft in so kurzer Zeit so viel geleistet wie die Bundeswehr. Darauf können wir alle stolz sein. ({2}) Teilweise finden berechtigte Forderungen des Wehrbeauftragten wie z. B. die Verbesserung der Beförderungssituation von Mannschaftsdienstgraden oder die Überarbeitung der Dienstzeitausgleichsregelung vorerst am unzureichenden Verteidigungshaushalt ihre Grenzen. Die Planungen des Bundesministeriums der Verteidigung zu weiteren zukunftsgerichteten Lösungen in diesen und anderen Bereichen schreiten dennoch fort. Wir hoffen dabei, in unseren Bemühungen eine breite parlamentarische Unterstützung zu finden. Herr Kollege Heistermann, ich habe mit großer Aufmerksamkeit zugehört, was Sie heute zum Geld gesagt haben. Es wäre ein absolutes Novum, daß die Sozialdemokraten einmal nicht vom Verteidigungshaushalt Geld wegräumen, sondern etwas zulegen wollen. Ich würde das außerordentlich begrüßen. ({3}) Bei einigen Kolleginnen und Kollegen aus Ihrer Fraktion hatte ich bisher allerdings eher den Eindruck, als ob sie den Verteidigungshaushalt als den Steinbruch der Nation ansähen. Wenn das mit Ihrer heutigen Erklärung beendet wäre, dann - à la bonne heure! - werden wir das in den nächsten Wochen feststellen. Ich nehme Sie gerne beim Portepee.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Staatssekretär, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Kollegen Kolbow?

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wilz, wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit Ihren euphorischen Aussagen gerade die Tatsache, daß die BundesregieWalter Kolbow rung und die sie tragende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. für das Haushaltsjahr 1994 1,25 Milliarden DM zum Sparen vorgesehen haben und die Sozialdemokratie nur 780 Millionen DM? ({0})

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Sehen Sie, Herr Kollege Kolbow, zunächst einmal ist es richtig, daß Sie ja immer von vornherein Kürzungen vorgeschlagen haben, immer. Sie haben ja selber benannt, welche Kürzungen Sie vorgeschlagen haben. Sehen Sie, umgekehrt ist diese Bundesregierung ({0}) in einer Verantwortung für alle Felder der Politik. Wir haben natürlich auch große Verantwortung gegenüber den neuen Bundesländern. Wir haben Verantwortung gegenüber vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks, wir haben gesellschaftspolitische Aufgaben zu erfüllen, und ich glaube, wir sind nach bestem Wissen und Gewissen dieser Verantwortung nachgekommen. Die Bundesregierung hat dies konzeptionell so geleistet, wie es tragbar ist. Aber dennoch- und da wäre ich dankbar, wenn Sie uns unterstützten - wäre es gut, wenn wir in Zukunft wieder ein Stück nach oben gehen könnten. Wir benötigen für die mittelfristige Finanzplanung 47,5 Milliarden DM. Ich möchte nur sagen: Es wäre gut, wenn wir in der Entwicklung noch ein Stück zulegen könnten. Wenn Sie uns dabei unterstützten, dann würde ich das außerordentlich begrüßen. ({1}) Die in dem Bericht genannten Schwierigkeiten bei der Umstrukturierung der Bundeswehr sind vor allem auf unerwartete Korrekturen in der ohnehin engen Finanzausstattung der Streitkräfte zurückzuführen. Kurzfristige Einsparungen im Verteidigungshaushalt beeinträchtigen den Betrieb der Bundeswehr und haben naturgemäß auch Auswirkungen auf die Motivation und vor allem auf den Ausbildungsstand der Truppe. Darauf hat der Wehrbeauftragte nachdrücklich hingewiesen. Die Unterfinanzierung der Bundeswehr und ein teilweise vorhandenes Mißverhältnis von Auftrag und Mitteln wird uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei der Behandlung des Jahresberichts 1993 noch intensiv beschäftigen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Zapf?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Ja, selbstverständlich.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich im Zusammenhang mit den schwierigen Finanzfragen im Verteidigungshaushalt einmal nachfragen, inwieweit Sie die Vorschläge des General Huber zur Einsparung von rund 2 Milliarden DM im Verteidigungshaushalt pro Jahr umzusetzen gedenken? ({0})

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Sehr verehrte Frau Kollegin Zapf, ich darf feststellen: Der Bundesminister der Verteidigung und die politische Leitung des Hauses sind überaus kreativ. Sie haben Mut zu neuen Lösungen, und sie haben General Huber ausdrücklich ermuntert und beauftragt, über die Arbeitsgruppe AGAB wirklich zukunftsweisende Lösungen bei Privatisierungs- und Logistikfragen aufzuzeigen. ({0}) Sie dürfen sicher sein, Frau Kollegin Zapf, daß wir alles tun werden, was dort sinnvoll ist, was zur Einsparung führt, damit es umgesetzt werden kann. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Zapf?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Ja.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Frau Kollegin.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es auf die außerordentliche Ermutigung durch die Bundesregierung zurückzuführen, daß der General Huber seine Pensionierung beantragt hat?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Sehr verehrte Frau Kollegin Zapf, da der General Huber zunächst gesundheitliche Probleme hatte, konnten wir mit ihm noch nicht persönlich reden. Es gehört sich im Leben - das ist ein Prinzip des menschlichen Umgangs miteinander -, daß man sich zunächst einmal geistig austauscht und fragt: Was gibt es da für Gründe? Was wollen Sie wirklich? Dem werden wir selbstverständlich gern nachkommen. Sie dürfen sicher sein: Bei uns ist das alles in den besten Händen. ({0}) Die Bundesregierung geht den Reformprozeß der Bundeswehr entschlossen an. Mit der Herausgabe des Weißbuches 1994 wurden eine Analyse der sicherheitspolitischen Lage vorgelegt, der Auftrag der Bundeswehr abgeleitet und die dazu benötigten Fähigkeiten aufgezeigt. Auf dieser Basis werden zur Zeit Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse in konzeptionellen Leitlinien zusammengefaßt und nächste Woche dem Verteidigungsausschuß vorgestellt werden. Beides zusammen bildet die Grundlage für das künftige Gesamtbild der Bundeswehr und ihrer Angehörigen. Damit, verehrter Kollege Heistermann, bekommen Sie Antworten auf die kritischen Fragen, die Sie heute gestellt haben. ({1}) Ich darf Ihnen auch sagen, daß wir natürlich Ihren Dank an die Bundeswehrführung, an die Soldaten und Angehörigen der Bundeswehr sehr gerne übermitteln werden. ({2}) Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen: Es gibt nicht das Problem der Wehrungerechtigkeit. Was es gibt, ist das Problem der Dienstungerechtigkeit. ({3}) Wehrgerechtigkeit haben wir; denn 97 bis 99 % derer, die zum Dienst zur Verfügung stehen, dienen. Aber es sind eben fast 30 %, die gar nicht dienen, weil sie wehruntauglich oder unabkömmlich sind oder weil Ausnahmeregelungen greifen. Sie wissen, daß wir mit dem Wehrpflichtgesetz - da bin ich der Koalition für das, was sie hier umgesetzt hat, überaus dankbar - auch gerade bei den Tauglichkeitskriterien vernünftige Modifizierungen vornehmen können, so daß wir in der Zukunft ein Stück mehr Dienstgerechtigkeit bekommen werden. Die vielfältigen und sachkundigen Erkenntnisse, Anmerkungen und Empfehlungen des Wehrbeauftragten wurden und werden in alle Untersuchungen über die künftige Bundeswehr einbezogen. Sie bilden damit einen wichtigen Beitrag für den Umstrukturierungsprozeß der Bundeswehr. Lassen Sie mich noch etwas aufgreifen, weil es mehrfach angesprochen worden ist. Herr Kollege Augustinowitz, ich versichere Ihnen ausdrücklich, daß wir gemeinsam größten Wert auf eine überzeugende, kritische und staatsbürgerliche Unterrichtung der Soldaten legen. Es mag sein, daß das in der Vergangenheit in dem einen oder anderen Fall vielleicht nicht bis zum letzten so gemacht worden ist, wie es hätte sein sollen. Aber wir haben sichergestellt, haben veranlaßt, daß für unsere Soldaten ein breites Angebot vorliegt und sie ihrer Verantwortung stets gerecht werden können. Wenn ich einmal an Aussiedler, Ausländer, Asylanten und wen auch immer denke: Es gibt keine Institution in Deutschland, die sich den Ausländern gegenüber so freundlich gezeigt hat wie die Bundeswehr. Denn wir sind in Wahrheit die einzigen, die entweder Unterkünfte geräumt haben oder zusammengerückt sind. Wir haben gesagt: Bitte, wir teilen unsere Kasernen mit Menschen, die bei uns eine Notunterkunft suchen. Ich glaube, es ist vorbildlich, was die Bundeswehr und unsere Soldaten hier geleistet haben. ({4}) Meine Damen und Herren, ich darf mich abschließend bei Ihnen allen für das große Interesse bedanken, das Sie der Bundeswehr wieder erwiesen haben. Noch einmal auch Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses meinen herzlichen Dank! Ich danke auch Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache 12/6322 ab. Darin sind viele Bitten, Aufträge und Wünsche an den Bundesminister der Verteidigung enthalten, die Herr Wilz eben schon dargestellt hat. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei Enthaltung von Frau Dr. Enkelmann ist die Beschlußempfehlung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt - Drucksache 12/7138 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Innenausschuß Rechtsausschuß EG-Ausschuß Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Kollegen Dr. Klaus Töpfer, das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt ist eine wichtige gesetzliche Initiative. Dadurch wird der Anspruch eines jeden Bürgers begründet, Informationen über die Umweltdaten zu erhalten, die bei Umweltbehörden vorhanden sind. Der Gesetzentwurf, den wir heute zum erstenmal erörtern, setzt eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahr 1990 in deutsches Recht um. Ich erinnere mich noch sehr genau an die intensiven Beratungen, die wir im Europäischen Ministerrat dazu gehabt haben, und an die hohen Erwartungen und Wünsche, die gerade unsere Umweltverbände an die Verabschiedung dieser Richtlinie gerichtet haben. Aber es geht nicht nur um die Umsetzung dieser Richtlinie. Die Begründung eines allgemeinen Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen ist eine grundlegende Weiterentwicklung, ja, eine Neuerung im deutschen Recht. Anders als in einigen anderen Industriestaaten, ich erwähne in besonderer Weise die Vereinigten Staaten - den „Freedom of Information Act", Frankreich und die skandinavischen Länder, kannte das deutsche Recht bisher keinen freien Zugang zu Umweltinformationen. Es gab bisher vielmehr den allgemeinen Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit, der hier einzuhalten war. So gab es ohne Nachweis eines berechtigten Interesses keinen Zugang zu den Akten. Ich weiß aus vielen praktischen Diskussionen noch als Landesminister in Rheinland-Pfalz, wieviel Ärger und berechtigte Besorgnisse bei Bürgern und Umweltverbänden geherrscht haben, wenn das „berechtigte Interesse" etwa an Informationen über die Einleitung in die Flüsse nicht nachgewiesen werden konnte. Bei manchem Beteiligten herrscht auf der anderen Seite die Sorge, das neue Informationsrecht der Bürger könne zu erheblichem Verwaltungsaufwand führen, zur Beeinträchtigung der Verwaltungseffizienz beitragen, wieder mehr Bürokratie begründen, Kosten verursachen, also dem, was wir uns vorgenommen haben, nämlich eine schlankere Verwaltung und einen möglichst nicht aufgeblähten Bürokratieapparat, zuwiderlaufen. Diese Besorgnisse sind natürlich ernst zu nehmen. Das waren die eigentlichen Gründe dafür, warum diese EG-Richtlinie eben nicht - das trage ich hier mit Bedauern, nicht nur pflichtgemäß vor - fristgerecht bis Ende 1992 umgesetzt worden ist und daß wir dieses Umsetzungsverfahren nun wirklich zu einem vernünftigen Ergebnis bringen müssen. Diese aufwendigen Vorbereitungen, Vorarbeiten und intensiven Gespräche mit den Bundesländern haben sich, wie ich meine, jedoch gelohnt. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf bei Änderungswünschen in Einzelheiten, die wir, glaube ich, sehr gut einarbeiten können, im wesentlichen zugestimmt. Wichtig in der Gesetzeskonzeption ist der Ausgleich zwischen dem Interesse des Informationssuchenden und dem Interesse an einer Zurückhaltung schützenswerter Informationen, also des Datenschutzes im weitesten Sinne des Wortes. So sieht der § 4 den Anspruch auf Informationszugang für jedermann vor. Die Entscheidung über die Zugangsart, wie man also die Informationen bekommt - ob durch Auskunft oder durch direkte Einsicht -, liegt dann bei der Behörde selbst. Ich glaube, wir sollten das nicht generell vorgeben und regeln, sondern es aus dem Einzelfall und der besseren Kenntnis vor Ort regeln lassen. Für den auch grundrechtlich gebotenen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist in § 8 eine besondere Ausnahmeregelung vorgesehen. § 10 legt ausdrücklich fest, daß Gebühren kosten-. deckend erhoben werden sollen und können - auch dies, um Mißbrauch und wie auch immer geartete Inflationierungen von Zugang zu Informationen zu begrenzen. Auf die Regelung des Verwaltungsverfahrens ist im Interesse der Deregulierung weitgehend verzichtet worden - auch hier, glaube ich, in richtiger Aufnahme der Erwartung der Bundesländer. Hier können also die Länder weitere Verfahrensregelungen treffen. Unnötige Belastungen der Vewaltung werden durch den Gesetzentwurf vermieden. Meine Damen und Herren, Fortschritte im Umweltschutz sind nur bei wirklich hohem Umweltbewußtsein und bei Engagement der Bürger zu erzielen. Dafür sollten wir nicht nur in Sonntagsreden werben, sondern auch die rechtlichen Voraussetzungen bezüglich des Zuganges zu Informationen schaffen. Denn nur ein gut informierter Bürger kann dieses Engagement, dieses eigenverantwortliche Handeln wirklich in Entscheidungen einbringen. Wenn wir diese Offenheit wollen, dann wollen wir auch die Information entsprechend zur Verfügung stellen. Das Gesetz wird den notwendigen Dialog zwischen Bürger und Verwaltung fördern, und es wird nicht zu einem Übermaß an Bürokratie führen. Deswegen hoffe ich, daß wir dieses Gesetz in diesem Hohen Hause ohne falsche parteipolitische Konfrontation und möglichst in Übereinstimmung verabschieden können. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Dietmar Schütz, Sie haben als nächster Redner das Wort, bitte.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Töpfer hat schon darauf hingewiesen: Endlich, nach anderthalb Jahren, haben wir den Entwurf vor uns liegen. Darauf haben wir überflüssigerweise schon anderthalb Jahre gewartet. Die verzögernde Behandlung dieser Materie zeigt, wie schwer es sich die Bundesregierung, aber auch die Länder und in beiden ohne Zweifel die Bürokratien machen, ihr Wissen offenzulegen. Es zeigt auch, daß wegen der Struktur der deutschen Verwaltung und ihren Abschottungstendenzen gegenüber der Öffentlichkeit in der Sache Schwierigkeiten bestehen, die erforderliche Transparenz herzustellen. Die Tatsache, daß ein Entwurf der Bundesregierung vorliegt, der diskutiert werden kann, läßt uns nach all den Jahren intensiver Diskussion verwundert die Augen reiben, daß das Kind wohl doch noch geboren wird. Ob es allerdings so schön und wohlgeraten ist, wie wir es erhofft und erträumt haben, müssen wir sehen. Wir haben nicht für den Bereich des Informationszugangs wie in den USA und in den skandinavischen Ländern so weit gehende Vorschriften. Wir haben uns auf das Umweltinformationszugangsrecht beschränkt. Ich habe schon in meiner früheren Stellungnahme darauf hingewiesen, daß es bei unserer demokratischen Verfassungsentwicklung nur schwer zu begreifen ist, daß sich das Prinzip der Öffentlichkeit, welches mindestens eine Cousine, vielleicht sogar eine Schwester des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips ist, nur so schwer durchsetzen kann und wir das jetzt das erste Mal in Gesetzesform vorliegen haben. Bei aller Weiterentwicklung der Demokratie und des Rechtsstaates ist unsere Bürokratiestruktur in ihren Wurzeln immer noch ein Kind des 19. Jahrhunderts und fühlt und benimmt sich teilweise auch noch so. Bürokratien und ihre Sachwalter schotten ihre Erkenntnis- und Entscheidungssphären immer noch eher gegen den Bürger ab, als daß sie sich ihm gegenüber öffnen und mit dem Bürger zusammen die auftretenden Probleme lösen. ({0}) Wenn wir mit dem Informationsgesetz gegen diese Abschottungstendenzen angehen, so wissen wir, daß wir nur einen kleinen Schritt auf dem Weg zu einem emanzipatorischen Aufbruch des Bürgers wagen. Zum Streckenlauf müssen noch viele andere Fachbereiche, eben die anderen Ressorts, dazukommen. Aber ist denn der vorgegebene Entwurf wenigstens für den Umweltbereich ausreichend, erfüllt er zumindest die grundlegenden Anforderungen, die die EG-Richtlinie erhebt? Ich will in dieser ersten Lesung des Regierungsentwurfs nur einige Aspekte ansprechen; wir werden sie bei der Anhörung am nächsten Montag noch tiefer erörtern. Erstens zum Behördenbegriff. Wir haben ein Umweltinformationsgesetz vorgelegt bekommen, nach dem lediglich die Behörden die Aufgaben des Umweltschutzes wahrzunehmen haben, die ihre Informationen herauszugeben haben. Damit ist jede Behörde gemeint, die Zustandsmerkmale der Umweltgüter oder Daten, vor allem Emissionsdaten, aller Umweltmedien verwaltet. Der Behördenbegriff ist in der EG-Richtlinie etwas anders - wie ich meine: weiter - gefaßt. Die Richtlinie spricht von Behörden, die Aufgaben „im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen", und gibt damit einen deutlich weitergesteckten Rahmen als die sich bei der Definition des Behördenbegriffs eher restriktiv verhaltende Bundesregierung. Tatsache ist jedoch, daß sehr viele umweltrelevante Daten, vor allem in konfliktträchtigen und sensiblen Bereichen, bei Behörden anfallen, die sich nur bei Gelegenheit mit Umweltschutzmaßnahmen in engerem Sinne befassen. Ich meine hier etwa Daten einer Wasserbaubehörde, einer Straßenbaubehörde und Daten, die im Zusammenhang mit Planungen dieser Behörden auftreten. Wir wissen, wie sensibel die Daten sind, die wir aus dem Elbausbau, aus dem Emsausbau, aus dem Straßen- und Trassenausbauten haben. Das sind alles umweltrelevante Daten, die auch wir wissen wollen und die diese Behörden herausrücken müssen, nach unserem Gesetz aber nicht herausgerückt werden müssen. Auch für diese Daten muß also klar sein, daß sie nicht nur im Rahmen der Verfahrensbeteiligung, sondern allgemein zur Verfügung stehen. Die Definition der Behörde muß deshalb im Gesetzestext weitergefaßt werden. Wir werden darüber am Montag noch einmal zu reden haben. Zweitens zur Art des Informationszuganges. Herr Minister Töpfer hat vorhin schon einen dieser Punkte angesprochen. Zur Verfahrenserleichterung und zur Beschleunigung von Verfahren empfiehlt es sich nach meiner Auffassung, von Anfang an alle relevanten Daten zu veröffentlichen und eine völlig offene Informationspolitik zu betreiben, anstatt den Bürger, soweit es sich um förmliche Genehmigungsverfahren handelt, über die sogenannten Jedermann-Beteiligungen zu zwingen, in die Verfahren einzusteigen. Ein Mehr an Offenheit von Daten erscheint mir auch dem Aspekt der Beschleunigung und der Forderung nach einer schlanken und kosteneffizienten Verwaltung eher gerecht zu werden als ein Weniger. Die Ausgestaltung der Art des Informationszuganges wird im Regierungsentwurf allein in das Ermessen der Behörde gestellt; ein Rechtsanspruch z. B. auf Akteneinsicht besteht damit nicht. Diese Einschränkung bleibt deutlich hinter dem geltenden Verfahrensrecht zurück, das eben nur bei Verfahrensbeteiligungen gilt. Es bleibt aber auch hinter den bisher bekannten Vorschriften in den Ländern zurück. Der Sinn der hier diskutierten Regelung ist erkennbar - Herr Töpfer hat darauf hingewiesen -: Die Behörde will die Verfahrenshoheit behalten, um so auch Obstruktions- und Störversuche, die möglicherweise auf ein Lahmlegen der Verwaltung zielen, zu vermeiden. Ich muß ehrlich gestehen, daß ich an dieser Stelle geschwankt habe, weil ich darin natürlich auch viele Mißbrauchsmöglichkeiten sehe. Gleichwohl sollten wir nicht von der Regel abgehen, daß Offenheit und Transparenz vorgehen. Im Rahmen dieser Vorgabe ist eine effektive und beschleunigte Verwaltungsarbeit meines Erachtens sehr wohl durchzuführen, weil dies im Kontext allgemein aufgebauter Akzeptanz erfolgt. Wer langfristig und verläßlich seine umweltrelevanten Kenntnisse offenlegt, wird in diesem Klima der Offenheit und Glaubwürdigkeit weniger Anforderungen auf Akteneinsicht erhalten als bei erkennbaren Abschottungs- und Geheimhaltungstendenzen. In einem solchen Kontext kann eine gegebenenfalls verfahrensnotwendige Akteneinsichtsverweigerung glaubwürdig gemacht werden. Sie ist auch ab und zu einmal notwendig. Deshalb ist diese Norm auch aus Gründen der Verwaltungseffektivität richtig. In der Abwägung zwischen Offenheit und Effektivität gibt es kein Gegeneinander; vielmehr bedingt die Offenheit die Effizienz. Den letzten Punkt will ich nur kurz behandeln. Er betrifft die Kostenpflichtigkeit. Die Kosten und die Gebühren dürfen nicht prohibitiv wirken. Wir müssen immer noch die Möglichkeit des Zugangs aufrechterhalten, nur soll die Verwaltung natürlich nicht ohne Gegenleistung arbeiten müssen. Die EG-Richtlinie spricht in diesem Zusammenhang von Angemessenheit. Ich finde, das ist eine richtige Vokabel, die wir möglicherweise noch in den Gesetzestext aufnehmen sollten. Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die politische Einbettung dieses Gesetzes zu sprechen kommen. Es macht Sinn, daß wir im Zusammenhang mit der Diskussion über Standortfaktoren über Verfahrensbeschleunigung und Verwaltungsvereinfachung, über zeitliche Straffung und Effizienzsteigerung sprechen. Dabei dürfen wir jedoch nicht den verhängnisvollen Fehler machen, den Bürger möglichst weitgehend aus den Verwaltungsprozessen herauszuhalten. Denn zum einen erreichten wir über den dann mit Sicherheit beschrittenen Klageweg das genaue Gegenteil dessen, was wir eigentlich wollten. Zum anderen - und das wiegt noch schwerer - verstießen wir damit in eklatanter Weise gegen den permanenten Auftrag einer freiheitlichen Gesellschaft, mehr Demokratie zu wagen. Ich will für meine Partei sagen: Das gilt auch für die Verfahrensschritte. Weniger Bürokratie, das wollen wir alle. Weniger Bürgerbeteiligung - und damit weniger Demokratie -, das will hier hoffentlich niemand. Moderner, effektiver und zukunftsträchtiger als die „Geheimratsmentalität" vieler mit Verwaltungsaufgaben Befaßter ist es, den Bürger als Beteiligten im Diskurs einzubeziehen, ihn nicht auszugrenzen, sondern ihn zu integrieren. Das Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen ist ein wertvoller Teil der Realisierung umfassender demokratischer Bürgerrechte. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dieses durchzusetzen. Ich denke, daß wir nach den Anhörungen möglicherweise die eine oder andere abweichende Formulierung in den Gesetzestext einbringen und die Bedenken, die ich formuliert habe, Berücksichtigung finden. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, bei der ersten Lesung dieses Gesetzes hat jetzt als nächster unser Kollege Dr. Jürgen Starnick das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002219, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung kann vermelden, nach schwerer Geburt ein gesundes Kind zur Welt gebracht zu haben. Am 7. Juni 1990 verabschiedete der Rat der Europäischen Gemeinschaft die Richtlinie für den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt. Damit sollte jedem Bürger, genauso wie beispielsweise Natur- und Umweltschutzorganisationen und der Presse, das Recht eingeräumt werden, bei den zuständigen Behörden Umweltdaten von Unternehmen abzufragen, und zwar ohne Nachweis eines besonderen Interesses. Die EG-Kommission, die diese Richtlinien erarbeitet hatte, verfolgte damit zwei Ziele: Einerseits sollte eine breite Information der Öffentlichkeit die Umsetzung des Umweltrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten besser kontrollierbar machen, andererseits sollte ein Instrument zur Durchsetzung von Umweltstandards innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geschaffen werden. Am 31. Dezember 1992 lief die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten ab. Die Bundesrepublik war diesem Zeitplan nicht gefolgt, sondern vermochte erst jetzt den Entwurf für ein Umweltinformationsgesetz dem Parlament vorzulegen. Ausnahmsweise war die Bundesrepublik diesmal nicht Musterknabe der Europäischen Union; daß wir aber ein solcher Nachzügler sind, berührt einen Parlamentarier schon unangenehm. Offenbar ist die positive politische Wirkung eines solchen Gesetzes vielfach unterschätzt worden. In einem demokratischen Rechtsstaat erfüllen die Offenlegung von Behördenakten sowie die Information der Öffentlichkeit sehr wichtige Funktionen. Sie dienen vor allen Dingen dazu, den Konsens zwischen den Bürgern und dem Staat zu erhalten, indem die Bürger die Möglichkeit bekommen, staatliches Handeln kritisch zu begleiten. Nun mag es für viele Vollzugsbehörden unangenehm sein, daß der Informationszugang auch der Kontrolle des Behördenhandelns dient. Andererseits kann es aber Akzeptanz und in der Folge Interesse am Verwaltungsgeschehen wecken und viele Bürger zum Mitwirken im Umweltschutz stimulieren. Information ist notwendige Voraussetzung für Partizipation. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf sieht den Zugang zu allen Informationen über den Zustand der Gewässer, der Luft, des Bodens, der Tier- und Pflanzenwelt sowie der natürlichen Lebensräume vor. Auch Informationen über Tätigkeiten und Maßnahmen, die die Umwelt beeinträchtigen können oder sie auch schützen, sollen dem Bürger zugänglich gemacht werden. Alle Bürger und juristischen Personen des Privatrechts haben ohne Nachweis eines Interesses Anspruch auf Informationszugang. Die Vollzugsbehörden werden verpflichtet, Akteneinsicht zu gewähren. Sie sollen sich aber nicht hierauf beschränken, sondern von sich aus an die Bürger mit für sie relevanten Informationen herantreten. Vor allem aber sollten sie nicht durch hohe Gebühren neue Hürden aufbauen. Natürlich bedarf es auch der Beschränkung des Zugangs zu Informationen. So muß der Schutz, den private Belange wie personenbezogene Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nach dem bisherigen Recht genießen, gewahrt bleiben. Auch darf ein solches Gesetz nicht dazu dienen, die staatliche Kompetenzordnung zu unterlaufen. Das Gesetz muß sich auch darauf beschränken, nur materielle Voraussetzungen für den Informationsanspruch abschließend zu regeln. Da die Entscheidung über den Antrag auf Informationsgewährung ein Verwaltungsakt ist, richtet sich das Verfahren im übrigen nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern. Danach können die Länder weitere Verfahrensregelungen treffen. Meine Damen und Herren, vor Ostern lag bereits zur ersten Lesung ein Entwurf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Informationsgesetz vor, das jetzt in den Ausschüssen gemeinsam mit der Vorlage der Bundesregierung beraten werden kann. Ich sehe in beiden Vorlagen viele Gemeinsamkeiten und hoffe, daß die Entwürfe trotz einiger gravierender Differenzen - insbesondere in der Auffassung, wieviel Schutz Privatbelangen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zugebilligt werden muß - wegen der doch wesentlichen Gemeinsamkeiten im Grundanliegen in den Ausschüssen zügig und weitgehend im Konsens beraten werden können. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Umsetzung der EG-Umweltinformationsrichtlinie ist längst überfällig - darauf haben verschiedene Kollegen hier schon hingewiesen -, und das in einem Staat, der alle in der Welt immer glauben machen will, er sei Vorreiter in Sachen Umweltschutz. ({0}) Wer heute sein Recht auf Information wahrnehmen will, stößt auf eine Phalanx der Ablehnung in bundesdeutschen Behörden - dies übrigens unabhängig davon, welche Partei die Landesregierung, den Regierungspräsidenten oder den Oberstadtdirektor stellt. Überall klagen Bürgerinnen und Bürger vor den Verwaltungsgerichten ihr Recht auf Akteneinsicht ein. Ich denke, das müßte nicht sein, wenn die Bundesregierung ihrer Pflicht auf Umsetzung der EG-Richtlinie fristgerecht nachgekommen wäre. Bezeichnend ist: Wenn es der Wirtschaft nützt, ist die Eile, mit der EG-Entscheidungen umgesetzt werden, groß. Geht es jedoch um die Belange der Bürgerinnen und Burger, dauert es wesentlich länger. Meine Damen und Herren, auch das fördert Politikverdrossenheit. Bemerkenswert, ja entlarvend ist, was der Verband der Fleischmehlindustrie zum Entwurf der Bundesregierung Stellung nehmend bemerkte - ich zitiere -: Die Umsetzung der Richtlinie muß unseres Erachtens so restriktiv wie möglich geschehen. Die politische Absicht des UIG ist es, dem nicht betroffenen Bürger Auskünfte über betriebliche Anlagen zu geben. Dies kann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Anlagebetreibern und Behörde gefährden. Ich frage Sie: Wovor hat eigentlich die Wirtschaft Angst? Was ist mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und betroffener Bevölkerung? Das ist offenkundig kein Thema für die Unternehmen. Dem Gesetzentwurf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist im großen und ganzen nur zuzustimmen. Die PDS/Linke Liste im Bundestag ist jedoch der Ansicht, daß einige Absätze präzisiert werden müßten. So müssen die Bestimmungen des Gesetzes unbedingt drittschützende Wirkung haben. Für die Erteilung von Auskünften dürfen den Auskunftssuchenden keinerlei Kosten entstehen. Über den Kostenhebel kann sonst das Informationsrecht auf kaltem Wege ausgehebelt werden. Meines Erachtens ist die Information der Bürgerinnen und Bürger nicht nur ein Recht, sondern vor allen Dingen auch eine Pflicht der Behörden und gehört damit zu deren selbstverständlichen Aufgaben. Warum denn eine doppelte Bezahlung? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der letzten Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt, unserer Frau Kollegin Dr. Renate Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem vielen, was schon gesagt worden ist, nur kurz einiges ergänzen. Der Minister hat bereits die Abwägungen, die bei diesem Gesetz eine Rolle spielen, nämlich zwischen effizientem Verwaltungshandeln einerseits und dem berechtigten Informationsinteresse des Bürgers andererseits, dargestellt. Nachdem auch ich einmal - er war gemeinsam mit mir Staatssekretär - Staatssekretärin war und auch die andere Seite kenne, möchte ich diesen Gesichtspunkt, der bisher nicht angesprochen worden ist, hier ebenfalls einmal zur Erwägung geben. Meine Beamten waren mit der Beantwortung von Kleinen Anfragen der Abgeordneten zum Teil so zugedeckt, daß sie mit der eigentlichen Aufgabe, nämlich der Erstellung von Vorlagen für eine verbesserte Gesetzgebung, zu meinem Mißfallen oft im Verzug waren. Auch Herr Schütz - der nicht mehr da ist - hat das in seiner letzten Rede so zu Protokoll gegeben. Er hat sich nämlich über die mangelnde Offenheit nicht der Bundesregierung, sondern des Bundesrates beschwert, als er eine Auskunftspflicht gewünscht hat. Wenn wir uns die Synopse anschauen, die uns als Grundlage für unsere Anhörung bereits auf dem Tisch liegt, und dort lesen, welche Änderungen der Bundesrat gegenüber dem Vorschlag der Bundesregierung einbringt, und wenn wir andererseits die ersten Stellungnahmen der Sachverständigen ansehen, die wir am Montag zu hören bekommen, dann stellen wir fest, daß die Konfliktlage eher zwischen Bundesregierung und Bundesrat auf der einen Seite und sehr engagierten umweltschützenden Sachverständigen auf der anderen Seite, die die totale Informationspflicht fordern, besteht als etwa zwischen Bundesregierung und Bundesrat. Ich möchte hier noch einen Gesichtspunkt einbringen, nämlich die Frage der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben das angesprochen. Ich bin überzeugt: Je mehr Umwelttechnologie, je mehr Umweltindustrie in unserem Wirtschaftskreislauf eine Rolle spielen, desto stärker wird natürlich auch der berechtigte Schutz der Geschäftsgeheimnisse eine Rolle spielen. Warum haben wir denn ein Urheberrecht, warum haben wir ein Markenrecht, um einmal ganz andere Bereiche anzusprechen? Weil wir genau wissen, daß natürlich die Effizienz, der Wettbewerb, die Konkurrenz auch von dem jeweiligen Vorsprung des einzelnen bei der Entwicklung neuer Verfahren abhängig sind. Das ist einer der wichtigsten Motoren unserer Marktwirtschaft: die hohe Effizienz auf der Basis, auf der letztlich Wohlstand und - als Basis des Wohlstandes - die Verbesserung des Umweltschutzes möglich sind. Ich habe gestern die neuesten Berichte aus Rußland von einem Kohlekraftwerk gelesen. Auf den Fotos sieht man völlig verschmutzte, lungengeschädigte Bergarbeiter, und die dicke Überschrift - das steht übrigens in einer linken Zeitung - lautet: Umwelt spielt für die Genossen keine Rolle, Überleben steht für sie im Vordergrund. Das heißt, im Grunde genommen konnte das Bewußtsein dafür, daß man nicht auf Kosten seiner Gesundheit nur um der Arbeit und um der Befriedigung seiner Grundbedürfnisse willen die Industrie zu organisieren hat, letztlich nur in den wohlhabenderen Industriestaaten, auch bei uns, wachsen. Schauen Sie sich einmal an, unter welchen katastrophalen Umweltbedingungen wir noch vor hundert Jahren produziert und konsumiert haben! Ich behaupte, alle, die jetzt noch hier im Saal sind, gehören zu der durchaus qualifizierten Minderheit der engagierten Umweltschützer, über alle Parteigrenzen hinweg. Es wird vorrangig unsere Aufgabe sein müssen, um Zustimmung, um allgemeine Akzeptanz für dieses Umweltgesetz zu werben. Denn es ist keineswegs so, daß dieses beim Normalbürger schon auf große Begeisterung stößt. Wenn ich nur daran denke, was ich mir in meinem Wahlkreis bei einer Verschärfung der Umweltvorschriften, z. B. dem Auto gegenüber, z. B. den Kläranlagen gegenüber, anhören muß! Da sagt keiner: „Bitte, wir möchten gerne noch mehr Gebühren, noch höhere Kosten, um die Umwelt noch mehr zu schützen", sondern ich bekomme in dieser Hinsicht das absolute Gegenteil zu hören. Deswegen lassen Sie uns die im Grunde genommen minimalen Unterschiede, die wir hier haben, begraben, und konzentrieren wir uns darauf, daß es uns überhaupt gelingt, möglichst noch vor der Sommerpause, dieses Gesetz gemeinsam zu verabschieden, es auf einen vernünftigen Weg zu bringen und dann zu erreichen, daß es tatsächlich auch in vernünftiger und allgemein akzeptierter Weise umgesetzt wird. Lassen Sie mich noch einen Akzent ansprechen, den auch ein Sachverständiger am Montag einbringen wird. Er hat nämlich gesagt - das ist ein sehr ehrlicher Gesichtspunkt -: Dieses Umweltgesetz darf natürlich nicht zu einer Kultivierung des SanktFlorian-Prinzips führen. Auch Sie erleben in Ihren Wahlkreisen: Das Umweltbewußtsein ist dann besonders hoch, die Zahl der Bürgerinitiativen steigt massiv, wenn es um eine für den Bürger unangenehme Anlage geht, selbst - das hat mich besonders erschüttert - bei einfachen Deponien, gar nicht zu sprechen von Verbrennungsanlagen oder sonstigen Umweltfolgenbeseitigungsanlagen. Da kann es leicht sein, daß Umweltengagement mit dem Sankt-Florian-Prinzip verwechselt wird. Man sagt, die Bürgerinitiative ist solange massiv, solange die Gefahr besteht, im eigenen Naheinzugsbereich könnte eine solche Anlage entstehen. In dem Moment, in dem gewährleistet ist, daß sie hundert Kilometer weiter entsteht, ist das Bewußtsein, sozusagen seine eigene Umweltverschmutzung möglichst zu reduzieren, sehr schnell wieder auf Null gefallen. Ich glaube, in dieser Hinsicht werden wir noch viel, viel tun müssen. Wir müssen vom theoretischen Umweltbewußtsein des Bürgers, der gern eine sehr saubere Umwelt haben möchte, zum praktischen Umweltbewußtsein gelangen, nämlich dazu, daß er weiß, daß ihn dies etwas kostet, daß sein Konsum, wenn er denn umweltfreundlicher sein wird und sich besser in den Naturkreislauf einschmiegt, natürlich auch entsprechend höhere Kosten verursacht, die er letztlich selber zu tragen hat, die er weder auf die Kreise noch auf die Industrie noch auf sonst irgend etwas Abstraktes, schon gar nicht auf die Entwicklungsländer, abschieben kann. Wenn dieses Umweltinformationsgesetz dazu beiträgt, diese Eigenverantwortung aller beteiligten Bürger zu fördern, dann hat es aus meiner Sicht einen der wichtigsten Zwecke erfüllt. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nach der Rede der Frau Vorsitzenden des EG-Ausschusses liegen mir weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 12/7138 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Innenausschuß sowie an den EG-Ausschuß vorgeschlagen. Gibt es noch weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zum letzten Tagesordnungspunkt, den wir heute behandeln wollen, nämlich zum Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Chemikaliengesetzes - Drucksache 12/7136 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch hier eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort wiederum unserem Herrn Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Chemikalienrecht ist ganz sicherlich durch die Entwick19086 lung in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend vorangebracht worden. Wir haben, vielleicht gemeinsam mit den Vereinigten Staaten, als erste eine solche stoffbezogene Umweltpolitik in Gang gesetzt, die nicht mehr nur auf die einzelnen Umweltmedien, auf Wasser, Luft, Boden hin ausgerichtet ist, sondern auf die einzelnen chemischen Stoffe. Das Chemikaliengesetz 1982 war ein Meilenstein auf diesem Gebiet. Wir haben eine erste Novelle dazu acht Jahre später, nämlich 1990, verabschiedet. Wir haben mit dieser Novelle damals, wenn Sie so wollen, einen nationalen Alleingang gewagt, in Kenntnis der Tatsache, daß die Europäische Gemeinschaft damals bereits ebenfalls Regelungen in der Gemeinschaft insgesamt angestrebt hat. Wir haben damit, wie ich glaube, die Erörterung in der Gemeinschaft entscheidend mit vorangebracht. Wenn wir heute diese Novelle, die zweite Überarbeitung des Gesetzes, betrachten, so finden wir: Das ist eine volle Bestätigung der Politik, die wir damals betrieben haben. Ich möchte das einmal sagen, weil ja zur damaligen Zeit, 1990, sehr kritisch darüber diskutiert worden ist, ob man mit Blick auf die große Bedeutung der chemischen Industrie in Deutschland hier vorangehen könne. Ich glaube, es war eine gute Sache. Natürlich wird die betroffene Wirtschaft immer die Frage nach der Harmonisierung in den Mittelpunkt stellen. Dabei geht es auch um Arbeitsplätze, um die Gefahr der Verlagerung von Arbeitsplätzen. Aber es ist deutlich geworden, daß mehr Chemikaliensicherheit auch mehr Vertrauen, mehr Akzeptanz und ein wichtiges Stück Zukunftssicherung für die chemische Industrie in Deutschland darstellt. Ich freue mich, daß diese Bemühung um eine gemeinsame Verbesserung und Veränderung sich gerade auch in der EnqueteKommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" noch einmal bestätigt. Ich glaube, daß das eine vernünftige Vorgehensweise bei einer so bedeutenden Frage der Industriegesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Meine Damen und Herren, diese zweite Novelle steht natürlich in engem Zusammenhang mit der Novelle von 1990 und der zwischenzeitlichen Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft. Eine positive Ausstrahlung ist erfolgt; vieles ist jetzt auch europäisch harmonisiert worden. Wesentliche Aspekte der jetzt umzusetzenden Fortentwicklung z. B. des EG-Anmeldeverfahrens sind inhaltlich praktisch deckungsgleich mit dem, was wir bereits 1990 eingeführt haben. Bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs war vornehmlich zu überprüfen: Wie gehen wir mit den Dingen um, die bei uns bereits 1990 eingeführt worden sind und bei denen die EG immer noch nicht so weit geht, bei denen wir also nach wie vor über die Regelungen der Europäischen Gemeinschaft hinausgehen. Die Bundesregierung hat sich hierzu für ein Konzept entschieden, das von der grundsätzlichen Beibehaltung der 1990 eingeführten Regelungen ausgeht. Erleichterungen haben wir dort vorgenommen, wo wir Forschung und Entwicklung fördern wollten. Ich glaube, das ist mehr als berechtigt. Hier sind zwischenzeitlich auch bei uns bessere Erkenntnisse herangewachsen. Das auch mit Blick auf die Erhaltung des Forschungsstandorts Bundesrepublik Deutschland für die chemische Industrie anzupassen ist nicht ein Rückschritt, sondern eine kluge Absicherung, weil wir sonst Forschungen in andere Länder abgeben würden, wo im Zweifel mit weniger Vorsorge gearbeitet werden müßte. Das war also die Ausnahme; ansonsten erfolgte eine Beibehaltung des weiterreichenden Konzepts, wo die EG bisher nicht nachgezogen hat. Das gilt insbesondere - lassen Sie mich das ansprechen, weil es in der Wirtschaft und in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wird - für die Prüflisten für neue Exportstoffe und Zwischenprodukte, also konkret um § 16 b des bestehenden Chemikaliengesetzes. Wir wollen ihn beibehalten. Ich greife das deswegen auf - ich sage es noch einmal -, weil es intensiv diskutiert wird, und ich sage Ihnen die Gründe, warum wir der Meinung sind, hier nicht auf das erst jetzt erreichte Niveau der Gemeinschaft zurückgehen zu sollen. Wir haben in vielen Bereichen gesehen, wie wichtig solche Informationen über Zwischenprodukte und Exportstoffe sind. Wenn Sie an die Erörterungen einiger Stoffe in den Störfallbereichen, die wir vor nicht langer Zeit in Hessen gehabt haben, denken, erkennen Sie, daß es wichtig ist, solche Informationen zu haben. Bei den Stoffen, die exportiert werden, gibt es viele Rückwirkungen, bis hin zu Transportrisiken, z. B. bei Apron plus und anderen Pflanzenschutzmitteln, die uns über die Nordsee wieder an die Strände gespült werden. Das zeigt, daß solche Informationen sinnvoll sind. Es ist also erforderlich, solche Informationen zu bekommen. Zweitens arbeiten wir intensiv daran, dieses in der Europäischen Union ebenfalls noch durchzusetzen. Der EG-Ministerrat hat die Notwendigkeit von Regelungen anerkannt. Wir werden das weiter vorantreiben. Ich bin der Meinung, daß wir in absehbarer Zeit auch hier eine Harmonisierung haben werden. Ich glaube, die bisherigen Erfahrungen mit der Anwendung des § 16b lassen nicht erkennen, daß die Beibehaltung dieser Vorschrift in der Übergangszeit, die ich so kurz wie möglich halten möchte, damit die anderen nachkommen, für die Wirtschaft eine unvertretbare Belastung darstellt. Meine Damen und Herren, auch bei diesem wichtigen Bereich der Zwischenprodukte und Exportstoffe ist in bezug auf die Chemikaliensicherheit im Ergebnis klar, daß wir das, was 1990 bei uns gemacht worden ist, nicht zurücknehmen, sondern uns darum bemühen, das innerhalb der Gemeinschaft zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Ich bin dankbar dafür, daß auch die Erörterungen im Bundesrat erwarten lassen, daß wir hier weitgehend in Übereinstimmung handeln können. Wir werden alles daransetzen, in einer umfassenden Erörterung auch dafür Verständnis zu erzielen. Es wäre für den Standort Deutschland wichtig, hier nicht in der Kontroverse, sondern in einer gemeinsamen Wertung das festzuschreiben, was die Europäische Union jetzt endlich erreicht hat, und darauf hinzuwirken, daß unsere besseren Regelungen in Kürze auch bei anderen durchgesetzt werden. In diesem Sinne bietet die Bundesregierung, bietet der Bundesumweltminister eine offene und eine auf die Gemeinsamkeit hin ausgerichtete Diskussion dieses wichtigen Gesetzes an. Recht herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt", unserem Kollegen Ernst Schwanhold, das Wort.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will gern auf einen Aspekt von Herrn Töpfer gleich eingehen. Selbstverständlich geht es darum, eine Harmonisierung im europäischen Maßstab zu erreichen und Standortnachteile möglichst gering zu halten. Aber das, was uns zur Zeit als Standortnachteil erscheint, kann mittelfristig auch Standortvorteil sein bzw. werden. Ich denke, daß wir diesen Weg, diese schmale Furche der gesicherten Umweltstandards gehen müssen, die sich übrigens nicht nur auf Chemikalien und auf Schadstoffe beziehen, sondern die sich auf den Stoffeinsatz insgesamt beziehen müssen. Hier geht es darum, eine Entwicklungslinie zu finden, die in die Zukunft weist und uns Chancen bei effizientem Energieeinsatz, bei effizientem Stoffeinsatz und einer Minimierung von Stoffumsätzen insgesamt eröffnet. Von daher glaube ich, daß die Vorlage möglicherweise zwischen Bund und Ländern konsensfähig zu machen ist. Dazu bedarf es noch einiger Annäherungen. Ich möchte zwei Punkte dazu nennen. Es macht natürlich wenig Sinn, nur gefährliche Stoffe zu benennen und Stoffzubereitungen mit einem Übergewicht an gefährlichen Stoffen herauszunehmen. Hier bedarf es dringend der Nachbesserung, natürlich auch der Harmonisierung. Die Verschleierungspraxis, von „minder giftig" auf „gesundheitsgefährdend" zu gehen, scheint mir nicht tolerabel zu sein. Wir müssen abstufen zwischen „gesundheitsgefährdend", „stark gesundheitsgefährdend", und „sehr stark gesundheitsgefährdend". Wir müssen also versuchen, die Schadstoffe und die Stoffe insgesamt zu klassifizieren, so daß für den Verbraucher und für jeden einsichtig ist, um welche Kategorie von Stoffen es sich handelt. Wenn ich die einzelnen Ausformulierungen der Novellierung zurückstelle, bin ich der Meinung, daß sich mit dem Chemikaliengesetz vier Hauptziele verbinden lassen müßten. Bei diesen vier Hauptzielen sehe ich jedenfalls im Moment noch keinen ausreichenden Ansatz. Erstens. Innovationsförderung bei umweit- und gesundheitsverträglichen Stoffen; also nicht nur ein restriktives Ziel im Chemikaliengesetz, sondern ein innovatives, in die Zukunft gerichtetes Ziel. Zweitens. Schaffung einer höheren Akzeptanz durch mehr Transparenz. Auch dort gibt es Mängel, auch dort sind Veränderungen notwendig. Drittens. Aufarbeitung der Altstoffe in einem überschaubaren Zeitraum. Wir haben im Grunde ein Chemikaliengesetz, das völlig hinter der Zeit herläuft: Es gibt 20 000 Altstoffe - je nachdem, wie man dies definiert -, aber erst wenige davon sind untersucht. Wir kommen mit den Neuanmeldungen kaum nach. Wir sind noch nicht auf dem Weg, durch StrukturWirkungs-Analysen und Struktur-Wirkungs-Beziehungen eine Vorauswahl treffen zu können, in welche Kategorie von Schadstoffen etwas gehört. Hier besteht noch die Notwendigkeit der Grundlagenforschung. Viertens. Verminderung der Zahl von Tierversuchen. Ich könnte eigentlich zu jedem einzelnen Punkt Ausführungen machen: wo es mangelt, wo es Fehler gibt, wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt. Ich will dies nicht tun. Diese vier Kategorien sollen zunächst reichen. Ich will den Versuch unternehmen, Ihnen noch etwas zu den Differenzen zu sagen, die sich zwischen uns und Ihnen in der Wertung des Chemikaliengesetzes mit Blick auf die Zukunft ergeben. Ich meine, wir sollten aus der Vorreiterrolle in Europa, die wir durchaus schon einmal gehabt haben und beim Chemikaliengesetz vielleicht auch noch haben, eine Zukunftsstrategie für Europa insgesamt machen. Ich hatte eben angesprochen, daß es nicht sinnvoll ist, zu differenzieren zwischen Schadstoffen, Rio-Stoffen und jenen Stoffen, die insgesamt anthropogen in die Umwelt hineingetragen werden, mindestens nicht sinnvoll in rechtlicher Betrachtung. Wer kann eigentlich sagen, daß wir ein Chemikaliengesetz allein und kein Stoffeinsatzgesetz insgesamt brauchen? Wir haben uns in der Enquete-Kommission im Rahmen einer Studie, die Herr Rehbinder geschrieben hat, mit der Frage auseinandergesetzt: Wie können wir das Ziel der Stoffumsatzreduktion bei Aufrechterhaltung der Bedürfnisbefriedigung erreichen? Wie erreichen wir damit, daß Stoffe, die heute noch nicht als Schadstoffe erkannt sind, schon in einer Rechtssystematik enthalten sind, wenn sie dann übermorgen Schadstoffe werden? Das ist mit dem Chemikaliengesetz nicht möglich, wenn Stoffe auf Grund neuer Erkenntnisse übermorgen zu Schadstoffen werden. Dies geht allenfalls mit einem allgemeinen Stoffregime. Ich glaube, daß diese Novellierung ein Ansatzpunkt wäre, in Europa den Versuch zu unternehmen, zu einem allgemeinen Stoffregime zu kommen. Das Stoffrecht hat derzeit viele Lücken: Die einzelnen Stoffrechte sind nicht ausreichend koordiniert und integriert. Es gibt Lücken im Bodenschutz. Die Betonung liegt auf einer Änderung der Freisetzung von Stoffen. Es gibt keine Strategie im Hinblick auf einen verminderten Einsatz von Stoffen, keine Strategie gegen die indirekte Freisetzung gefährlicher Stoffe über Produkte. Es gibt kein generelles Stoffstrom-Monitoring. Schließlich fehlt die Transparenz der Stoffströme. Deswegen will ich noch einmal die Ziele nennen: Es geht jetzt nur ansatzweise um Ressourcenschutz; aber es muß um einen generellen Ressourcenschutz gehen. Es muß zukünftig um die Berücksichtigung des Rohstoffeinsatzes bei der Produktion gehen. Es muß um die Berücksichtigung des Rohstoffeinsatzes und der Ressourcen beim Produktdesign und bei der Produktverwendung gehen. Und es muß große Transparenz der Stoffströme geben. Das Chemikaliengesetz ist daher nicht allein zu entwickeln. Deshalb ist ein großer Rundumschlag, ein Befreiungsschlag quasi, notwendig, um einen Teilbereich, der sich auch als Standortnachteil bei uns erweist, aus der Diskriminierung herauszubekommen. - Wenn wir diskriminieren lassen, werden wir auch keine Akzeptanz herstellen. - Ich will deshalb noch einmal - in Abgrenzung zu einem allgemeinen Stoffrecht - sagen, daß nach meiner festen Überzeugung das Gefahrgutbeförderungsgesetz davon ausgenommen werden muß. Ich glaube, Pflanzenschutzmittel, Biozide, Düngemittel und Waschmittel müßten in ein einheitliches Stoffrecht integriert werden. Der Vereinheitlichungsbedarf besteht bei den Produktanforderungen. Er muß das Chemikaliengesetz ablösen. Weiterer Harmonisierungsbedarf besteht in der Aufhebung des Verhältnisses zwischen genehmigungsbedürftigen und nichtgenehmigungsbedürftigen Anlagen. Die Biozide im nichtagrarischen Bereich müssen aufgenommen werden. Eine Gesamtoptimierung durch einen stoffpolitischen Ansatz in allen Umweltmedien bei immissionsschutzrechtlichen Verfahren muß vorgenommen werden. Sie sehen, eine Fülle von Gesetzen, die in einen allgemeinen stoffpolitischen Ansatz integriert werden könnten. Dies wäre Reregulierung auf hohem Niveau und nicht der in diesem Zusammenhang fälschlicherweise immer wieder geforderte Begriff der Deregulierung. Zu einem solchen Gesetzgebungsverfahren sind wir bereit. Ich glaube, die Industrie wird mittelfristig davon profitieren, und es könnte sich daraus ein Innovationsschub für die deutsche Industrie ergeben. Ich danke für die Geduld. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, vorletzter Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Jürgen Starnick.

Prof. Dr. Jürgen Starnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002219, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor zwölf Jahren das Chemikaliengesetz - oder genauer: das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen - in Kraft trat, war dies die Geburtsstunde eines neuen Rechtsgebietes. Dieses damals neue Gesetz konnte mit seinem produkt-, medien- und schutzübergreifenden Charakter nicht auf einen Vorläufer zurückblicken. Es hatte eine Pilotfunktion - da stimme ich Herrn Töpfer voll zu - mit Wirkung auf unsere Partner in der Europäischen Union. An ihm orientierte sich auch die EG-Chemikalienrichtlinie. Wenn nunmehr eine Gesetzesnovelle zur Umsetzung der 7 Änderungsrichtlinie dieser EG-Chemikalienrichtlinie vorliegt, so ist dies ein weiterer Schritt zur Harmonisierung des Stoffrechts in Europa. Sie schafft vor allen Dingen auch Waffengleichheit im Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten. Bislang waren der hohe Zeitaufwand und auch die erheblichen Kosten, die für das Prüf- und Anmeldeverfahren im Rahmen des Chemikaliengesetzes für neue Stoffe aufgebracht werden mußten, durchaus ein standortrelevanter Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen. Allerdings hat sich dies rückblickend nicht so stark ausgewirkt - auch hier stimme ich Herrn Töpfer zu -, wie in der Diskussion um die erste Novelle zum Chemikaliengesetz, die im August 1990 in Kraft trat, von der Industrie befürchtet wurde. Die Zahl der Anmeldungen neuer Stoffe nach dem Chemikaliengesetz hat 1993 einen neuen Höchststand erreicht. Sie ist von 81 Anmeldungen neuer Stoffe im Jahre 1991 auf 107 im Jahr 1992 und 131 in 1993 gestiegen. Diese Entwicklung zeigt die hohe Innovationskraft der deutschen chemischen Industrie und kann als Beweis dafür gewertet werden, daß die deutsche chemische Industrie auch unter schwierigen Wirtschaftsbedingungen schöpferisch Neues entwikkelt und durch die Chemikaliengesetzgebung nicht so erheblich beeinträchtigt wurde wie vielfach beklagt. Hohes deutsches Sicherheitsniveau und Innovations-kraft der chemischen Industrie sind demnach durchaus in Einklang zu bringen. Wenn nunmehr mit der Umsetzung der Novelle in diesem Gesetz die Eingangsmengenschwellen eines Anmeldeverfahrens von bisher einer Tonne auf 10 kg Vermarktungsmenge pro Jahr abgesenkt und zudem die Prüfungsanforderungen noch ausgeweitet werden, so ist dies sicherlich eine zusätzliche Kostenbelastung für die chemische Industrie. Diesmal trifft diese Kostenbelastung aber die chemische Industrie innerhalb der Europäischen Union gleichmäßig. In verstärktem Maße werden in dieser Novelle ökotoxikologische Prüfungen verlangt - dies mit Recht, weil unser Wissen über ökotoxikologische Wirkungen von Stoffen bisher mangelhaft gering ist. Die Novelle zur Umsetzung des EG-Rechts bewirkt nicht nur eine innere Harmonisierung des Chemikalienrechts, sondern zudem vielfach auch Vereinfachungen. Die Einbeziehung des DDT-Gesetzes von 1972 möchte ich hier kurz erwähnen. ({0}) Natürlich darf man nicht verkennen, daß die Verschärfung des Chemikalienrechts der chemischen Industrie mehr und mehr abverlangt und daß die Aufwendungen zur Entwicklung und Einführung neuer Produkte steigen. Für große Firmen ist das weitgehend hinnehmbar, für mittlere und kleinere Firmen erhöht sich hierdurch aber die Markteintrittsbarriere. Insofern ist zu begrüßen, daß mit der Novelle auch die Möglichkeit eines zeitlichen Aufschubs von Prüfungspflichten bei Erprobungsprodukten geschaffen wird, wodurch besonders mittleren und kleinen Firmen die Kostenentlastung während der Entwicklungs- und Erprobungsphase zugute kommt. Bei einer Weiterentwicklung des Chemikalienrechts ist dieser Aspekt stärker zu beachten. Generell wird man sich aber in Zukunft die Frage vorlegen müssen, ob eine Detaillierung und Verfeinerung des Chemikalienrechts noch einen erheblichen Nutzen erwarten läßt, solange noch eine lange Liste unbearbeiteter Altstoffe vorliegt. Ich stimme Herrn Schwanhold zu: Eine langfristige zukünftige Entwicklung sollte auch unser Bemühen einschließen, ein geschlossenes Stoffrecht in Europa zu schaffen, das Spezialgesetze wie Biozid- und Arzneimittelgesetze ebenso einbezieht, wie Prinzipien einer abfallarmen Kreislaufwirtschaft und der Ressourcenschonung. Unser Bemühen sollte zukünftig hierauf besonders ausgerichtet sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, zum Schluß der ersten Debatte zu diesem Gesetz erteile ich jetzt einem weiteren Vorsitzenden einer Enquete-Kommission dieses Hauses das Wort, nämlich unserem Kollegen Dr. Klaus Lippold. Er ist Vorsitzender der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre". Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einführend herausstellen, was der Bundesumweltminister bereits anklingen ließ, nämlich den Sachverhalt, daß wir in der Bundesrepublik mit einem sehr umfassenden Chemikalienrecht einen Standard erzielt haben, der weltweit führend ist und von dem man sagen kann, daß es schön wäre, wenn er in anderen Bereichen der Welt genauso realisiert wäre, wie er bei uns realisiert ist. Man muß auch einmal das, was an Positivem geschaffen wurde, hervorheben; denn immer nur zu kritisieren würde bedeuten, daß wir Zweifel daran wecken, ob wir wirklich voranschreiten. Ich will ganz deutlich sagen: Wir schreiten voran. ({0}) Ich will auch auf einen anderen Punkt noch einmal aufmerksam machen, Herr Schwanhold, den Sie angesprochen haben. Das Altstoffkonzept, das wir nach langer Arbeit und in Abstimmung mit allen Betroffenen durchgebracht haben, hat eine Strukturierung geschaffen, die durchaus sagen läßt, daß wir vorrangig bei den Positionen ansetzen, bei denen es um Gefährdung geht, bei denen Gefährdung besonders große Vorsorgepflichten erfordert. Wir haben hier weltweit eine Vorreiterrolle, weil kein anderer Staat Altstoffprüfpflichten in der Intensität wie wir vorschreibt. Nun kann Herr Schwanhold wieder sagen, es muß alles schneller gehen, es hätte noch gestern geschehen müssen. Aber wir müssen auch sehen, daß die Möglichkeiten, die wir haben, nicht unerschöpflich sind. Ich glaube, Sie selbst gestehen zu, daß all das, was schön und gut wäre, so nicht realisiert werden kann. Wenn ich am Beispiel Ihrer Kommission sehe, mit welchen Erwartungen an das Konzept einer Ökobilanz insbesondere im Stoffbereich herangegangen wurde, und wenn ich sehe, wie schwierig es ist, einen solchen an und für sich idealtypisch guten Grundgedanken umzusetzen, Herr Schwanhold, dann wird doch deutlich, daß das Erheben von Ansprüchen eine relativ einfache Angelegenheit ist, daß sich aber ihre Realisierung wesentlich schwieriger gestaltet. Wir haben vor vier Jahren mit dem Chemikaliengesetz einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn gemacht und bei der Verabschiedung dieses Gesetzes auch - uns unserer Vorreiterrolle durchaus bewußt - Wettbewerbsnachteile in Kauf genommen. Lassen Sie mich vor dem Hintergrund, daß heute gesagt wird, hier werde EG-weit wenigstens in Teilen vereinheitlicht, deutlich machen, daß wir vor vier Jahren internationale Konkurrenzpositionen, die wir heute als ganz relevant ansehen müssen, gar nicht erkannt haben. Vor vier Jahren haben wir Indien noch als ein Schwellenland betrachtet, bei dem auf diesem Gebiet de facto von uns überhaupt nichts erwartet wurde. Heute ist dieses Land ein ernstzunehmender Konkurrent, in dem, Herr Schwanhold, auch Betriebe, die in Ihrer Nähe angesiedelt sind, nicht nur über Produktion, sondern auch über Forschung investieren. Ich will nur deutlich machen, daß wir uns heutzutage nicht nur auf die EG konzentrieren dürfen, und daß derjenige, der Entwicklung nur noch nach diesem Maßstab beurteilt, in umweltpolitischen Fragen wie in wirtschaftspolitischen Fragen einen ganz falschen Weg beschreitet. Deshalb ist es wichtig, daß wir auch bei den GATT-Regelungen darauf achten, daß die Frage der Umweltschutzkomponente in einer ganz anderen Form angesprochen und mit in die Gespräche einbezogen wird, als das bislang der Fall gewesen ist. Wenn wir in die Debatte hineingehen - hier nehme ich das Angebot des Umweltministers gern auf -, möchte ich auch, daß wir sehr offen diskutieren, wie wir - bei erkannter Notwendigkeit der Vorsorgepolitik in diesem Bereich - Innovation weiter erleichtern können, weil sich, wie in anderen Bereichen auch, im wirtschaftlichen Bereich generell immer deutlicher herausgestellt hat, daß wir mit neuen Produktionen, mit neuen Produktionsanlagen wesentlich mehr Umweltschutz bewirken, als wenn wir in den alten Bereichen stehenbleiben. Deshalb ist Erleichterung von Innovation auch ein Beitrag zu mehr Umweltschutz. Wir sollten auch noch einmal diskutieren, was der Bundesforschungsminister hier vorgelegt hat. Ich habe es mir noch einmal ausführlich zu Gemüte geführt. Es ist die Frage, inwieweit Innovationshemmnisse durch Gesetzgebung bestehen und inwieweit wir - ich sage das so deutlich - bei fortschreitenden Sicherungsansprüchen und bei fortschreitender Vorsorge trotzdem versuchen, mehr Praktikabilität in diesen Prozeß hineinzubringen, um über neue Produkte, über neue Stoffe wesentlich mehr Umweltschutz und Umweltvorsorge zu garantieren. Lassen Sie mich eines sagen: Wir sollten, Herr Schwanhold, sehr behutsam mit der Frage des europäischen Stoffrechts sein, denn wir wecken sonst Dr. Klaus W. Lippold ({1}) Erwartungen, die so schnell nicht umzusetzen sind. Ich würdige ganz besonders, daß die EG in den letzten Jahren in der Frage des Umweltschutzes eine andere Haltung als früher eingenommen hat, daß sie dem Umweltschutz eine wesentlich höhere Priorität einräumt - und dies nicht nur verbal, sondern auch inhaltlich. Wir müssen trotzdem sehen, daß es weite Bereiche gibt, in denen wir ungeheure Schwierigkeiten haben. ({2}) Ich warne in diesem Zusammenhang davor, in die Euphorie zu verfallen, daß wir hier EG-einheitliche Regelungen bekommen, wenn ich sehe, daß vor dem Hintergrund der Maastricht-Diskussion die Subsidiaritätsformel uns jetzt wiederum dazu bringt, hinter die einheitlichen Standards zurückzugehen. ({3}) Wenn ich an die Luftverschmutzungsrichtlinie denke, die die EG jetzt konzipiert und bei der sie davon abgeht, einheitliche Standards und Vorgaben zu schaffen, wobei sie das Ganze regionalisieren will, dann sollten wir vor dem Hintergrund einer solchen Entwicklung ein einheitliches europäisches Stoffrecht, das eine ungeheuer komplexe Angelegenheit ist, nicht in der Form darstellen, als sei dies etwas, was man nur zu wollen brauche, und es würde realisiert. Ich meine, wir sollten sehen, daß wir möglichst viel im eigenen Land bewirken, und zwar nicht nur unter dem Stichwort Umweltschutz und Umweltschutzvorsorge, sondern natürlich auch in Verbindung mit dem Komplex Arbeitsschutz, Vorsorge am Arbeitsplatz. Ich glaube, daß wir uns einig sind, den Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Wirkungen voranzutreiben, gleichzeitig aber auch den Innovationscharakter dabei ausreichend zu berücksichtigen. In diesem Sinne hoffe ich, daß wir uns in der Beratung gemeinschaftlich zu einem guten Ergebnis zusammenfinden werden, weil ich gerade bei dieser Novelle Anknüpfungspunkte dafür sehe, in einem breiten Bereich Gedanken gemeinschaftlich voranzubringen. Ich hoffe auf eine fruchtbare Kooperation in der Ausschußarbeit. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf der Drucksache 12/7136 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse, zusätzlich an den Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß für Wirtschaft, vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. April 1994, 13 Uhr ein. Ich hoffe, daß Sie am Wochenende ein paar freie Stunden haben, und wünsche, daß wir uns gesund und munter am Anfang der Woche hier wiedersehen. ({0}) Die Sitzung ist geschlossen.