Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung
- Drucksache 12/223 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({0})
Finanzausschsuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Drucksache 11/8472 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Wirtschaft ({1})
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Zum Jahreswirtschaftsbericht liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Fraktion der SPD vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Debattenzeit auf vier Stunden zu beschränken. Hat das Plenum irgendwelche Einwendungen dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal hat der Bundeswirtschaftsminister, Jürgen Möllemann, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht 1991 ist der erste, der sich
auf ganz Deutschland bezieht. Wir alle, alle Deutschen, sind eins in der Freiheit. Wir leben in einem demokratischen Staat zusammen. Das ist ein Glück für unser Volk.
Deutschland aber ist weiterhin geteilt: im Hinblick auf die Lebensverhältnisse der Menschen und im Hinblick auf den Entwicklungsstand der Wirtschaft. Diese innere Teilung zu überwinden ist das oberste Ziel dieser Regierung.
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Das ist eine gewaltige Aufgabe, deren Umfang erst allmählich in unser Bewußtsein tritt.
Die Bundesregierung hat mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost die Voraussetzungen dafür geschaffen, diese Aufgabe zu lösen. Mit dem Gemeinschaftswerk stehen für 1991 und 1992 24 Milliarden DM für die neuen Länder bereit. Wenn man bereits früher beschlossene Hilfen hinzurechnet, stehen insgesamt mehr als 100 Milliarden DM für die neuen Länder zur Verfügung.
Das ist eine gewaltige Summe. Und die Bürger in den alten Bundesländern fragen sich und uns: Warum brauchen die soviel? Die Summen, die wir als Initialzündung zum Aufbau unserer Wirtschaft durch den Marshallplan bekamen, waren doch viel geringer, und wir haben es doch auch geschafft. Sind solche Summen wirklich nötig?
Darauf antworte ich: Ja, sie sind nötig, sie sind sogar bitter nötig. Unsere Probleme von 1949 und von 1991 lassen sich eben nicht einfach miteinander vergleichen: Damals lag unser ganzes Volk am Boden, in Nord und Süd, in Ost und West. Keinem Teil des Volkes ging es besser als dem anderen. Jeder Fortschritt, auch der kleinste, wurde sofort von allen als Fortschritt empfunden.
Das setzte, im Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft, ungeahnte Kräfte frei. Die Bundesrepublik wurde in über 40 Jahren eine der führenden Industrienationen der Welt; ihre Bevölkerung genießt einen der höchsten Lebensstandards der Welt. Die sozialistische DDR jedoch baute ein völlig anderes Wirtschaftssystem auf, das von dem rauhen Wind des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt völlig abgeschirmt war.
So entwickelten sich beide Teile Deutschlands wirtschaftlich sehr weit auseinander: Im Zeitpunkt der Vereinigung betrug die Arbeitsleistung eines Ostdeutschen ein Viertel der Arbeitsleistung eines Westdeutschen. Das heißt: Die Produktivität der DDR-Wirtschaft stand auf einem Niveau, das ziemlich genau dem entspricht, das wir in den 50er Jahren hatten. Das heißt nicht mehr und nicht weniger als dies: Die gesamte DDR-Wirtschaft ist - unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs - mit der Wirtschaft in den alten Bundesländern kaum oder nicht konkurrenzfähig.
Mit einem Wort: Mit der Einführung der D-Mark und der Vereinigung unseres Landes platzte die Seifenblase der 40jährigen kommunistischen Mißwirtschaft. Das aber heißt: Es ist nicht damit getan, die Betriebe neu anzustreichen und hier und da ein paar Verbesserungen einzuführen. Nein, die gesamte Wirtschaft muß von Grund auf erneuert und verbessert werden.
Weder der Zustand der Betriebsgebäude noch die maschinelle Ausstattung noch die gesamten Betriebs- und Vertriebsstrukturen entsprechen den Anforderungen, die zu einem Überleben dieser Wirtschaft nötig wären. Hinzu kommen die ungeheuren Defizite der Infrastruktur, d. h. in allen Bereichen des Verkehrswesens, im Fernmeldewesen, bei der Post. Nichts davon entspricht modernen Standards. Hinzu kommen die riesigen Schäden und Altlasten im Umweltbereich, die in ihrem Ausmaß auch heute noch kaum zu überblicken sind.
Nun sind wir vereint. Das bedeutet, die Menschen in den neuen Bundesländern möchten den gleichen Lebensstandard wie die Menschen in den alten Bundesländern. Sie haben aber, wirtschaftlich gesehen, gegenwärtig im Grunde fast nichts, um sich diesen Lebensstandard aus eigener Kraft zu erarbeiten. Das ist keine Frage ihres guten Willens - der ist da -; unsere ostdeutschen Landsleute sind genauso arbeitswillig, genauso fleißig wie die in den alten Bundesländern. Sie sind aber von Anfang an dem übermächtigen Konkurrenzdruck aus den westlichen Bundesländern ausgesetzt, den sie, auch wenn sie noch so sehr schuften, nur schwer aushalten können.
Es ist kein Wunder, daß sich viele Bürger der neuen Bundesländer angesichts dieser Situation die Frage stellen: Haben wir überhaupt eine Perspektive? Ist nicht aller guter Wille, ist nicht jede Anstrengung von vornherein zum Scheitern verurteilt? - Darauf antworten wir: Nein, liebe ostdeutsche Mitbürger, Sie haben eine Perspektive. Ihre Anstrengungen lohnen sich, denn wir sind ein Volk, und Sie haben Anspruch darauf, daß Ihnen unser Volk in seiner Gesamtheit diese Perspektive eröffnet.
Die Erneuerung der gesamten Volkswirtschaft eines Landes mit 17 Millionen Einwohnern ist eine Aufgabe, die sich unserer Geschichte so noch nicht ge- stellt hat. Die hierfür nötigen gewaltigen Investitionen können zunächst nur aus dem Westen kommen; denn das Bruttosozialprodukt in den neuen Ländern sinkt. Es muß notwendigerweise zunächst sinken; denn von Tag zu Tag erweist sich bei immer mehr Betrieben, daß sie nicht überlebensfähig sind. Die Arbeitslosenzahlen steigen, und sie werden weiter steigen. Wir
haben in den neuen Bundesländern schon jetzt 800 000 Arbeitslose und zwei Millionen Kurzarbeiter. Jeder, der die Realitäten anzuschauen bereit ist, weiß, daß auch ein großer Teil dieser Kurzarbeiter nicht in seinen Betrieben wird weiter tätig bleiben können. Trostreiche Worte allein helfen hier wenig. Wir müssen den Realitäten ins Auge schauen. Niemand wird uns glauben, daß es wirklich eine Perspektive gibt, wenn wir versuchen, den Ernst der Situation schönzureden.
Doch von unten wächst neues Überlebensfähiges nach. Nach einer Untersuchung von Infratest vom November haben in den neuen Ländern seit Beginn letzten Jahres rund eine Million Menschen neue Arbeitsplätze gefunden. Inzwischen ist diese Zahl schon erheblich höher. Über 300 000 neue Gewerbe wurden angemeldet. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zeichnen sich neue unternehmerische Aktivitäten ab. Darauf weist auch die zunehmende Inanspruchnahme des Eigenkapitalhilfeprogramms hin. Die Nachfrage danach ist im ersten Quartal dieses Jahres explosionsartig gestiegen. Auch nimmt die Zahl der Kooperationen zwischen ost- und westdeutschen Unternehmen von Tag zu Tag zu. Durch die bisherigen Privatisierungen der Treuhandanstalt sind rund 500 000 Arbeitsplätze gesichert worden.
Die konkreten Investitionspläne westdeutscher, aber auch ausländischer Unternehmen in den neuen Bundesländern nehmen zu. Das Ifo-Institut geht von Investitionsabsichten allein im industriellen Bereich von 18 Milliarden DM in diesem Jahr aus, einschließlich Investitionen in Bahn, Post und Verkehr sogar von 28 Milliarden DM.
Das ist der Beginn der Erneuerung. Die Menschen in den neuen Bundesländern brauchen nicht die Erhaltung der alten Arbeitsplätze. Was sie brauchen, ist die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, von Arbeitsplätzen, die überlebensfähig sind, die dem Konkurrenzdruck standhalten können und den Menschen eine Lebensperspektive bieten können.
Ich kann die Menschen in Ostdeutschland nur bitten: Verschwenden Sie Ihre Energie nicht darauf, Wirtschaftsstrukturen zu erhalten, die nicht zu erhalten sind. Konzentrieren Sie sich darauf, das notwendige Neue gemeinsam mit uns zu schaffen.
Immer, wenn ich dies unseren ostdeutschen Landsleuten sage, tönt mir die oft verzweifelte Frage entgegen: War denn wirtschaftlich nun alles vergeblich, was wir in den 40 Jahren DDR aufgebaut haben? Darauf muß man, wenn man ehrlich sein will, antworten: Vieles davon war leider vergeblich. Das einzusehen - ich weiß es und kann es sehr gut nachfühlen - ist sehr schwer.
Das in den 40 Jahren DDR relativ gesicherte Leben wurde mit einem hohen Preis bezahlt, mit dem Preis der Teilung Deutschlands und Europas, mit dem Preis der Unfreiheit, mit dem Preis einer ständigen Bedrohung des Friedens. Nur unter diesen Bedingungen konnte sich das DDR-Regime halten. Nun aber haben Sie die Freiheit erkämpft, und das hat auch zur Folge, daß die Wirtschaft unter den Bedingungen der Freiheit steht. Das ist eine schmerzliche Einsicht, da sie bei Millionen von Menschen zu einer tiefgreifenden ErBundesminister Jürgen W. Möllemann
schütterung ihres Lebensplans führt. Die Menschen in Ostdeutschland haben den hohen Preis der Unfreiheit bezahlt, und nun müssen sie auch noch den Preis der Freiheit mitbezahlen. Die Weltgeschichte erscheint bisweilen ungerecht. Aber seien Sie sicher: Wir fühlen diese Ungerechtigkeit, wir lassen Sie nicht allein. Es wird in Deutschland kein Armenhaus der Unterprivilegierten geben, keinen Mezzogiorno. Sie sind gleichberechtigte Mitbürger eines der reichsten Länder der Welt. Ich glaube, deswegen ist es möglich, daß wir es gemeinsam schaffen, ein neues, gemeinsames Haus zu bauen, ein Haus, in dem alle gut und sicher wohnen können. Den Anfang haben Sie gemacht. Ihre Sehnsucht nach Freiheit und die Würde und die rechtsstaaatliche Sensibilität, die Sie sich über die Jahrzehnte des Unrechts hinweg bewahrt haben, sind das Fundament. Sie werden auch weiterhin Bauherr bleiben, gemeinsam mit den Bürgern im Westen.
Was muß nun folgen? Darauf antworten wir: Investitionen, Investitionen und noch einmal Investitionen.
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Nur die Investitionen in moderne Fertigungsstätten schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze, nur sie garantieren die Zukunft. Daraus folgt: Alles, was solche Investitionen fördert, muß getan, alles, was solche Investitionen behindert, muß beseitigt werden. Deswegen ist das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost in seinem Kern ein Programm für öffentliche und private Investitionen. Für private Investitionen ist ein Maximum an Anreizen erreicht. Die 12 %ige Investitionszulage kann z. B. mit den neuen Sonderabschreibungen kumuliert werden. Die Förderung ist damit so günstig wie eine 100 %ige Sofortabschreibung der Gesamtinvestition. Für kleine und mittlere Unternehmen haben wir eine zum Teil noch günstigere Förderung erreicht.
Wir unterstützen die private Initiative mit einem riesigen Infrastrukturprogramm. Für investive Zwecke stehen in den neuen Ländern und ihren Gemeinden allein 1991 insgesamt 50 Milliarden DM zur Verfügung. Hierzu nur eine Rechenübung: Wenn diese Summe von 50 Milliarden DM in der nächsten Dekade jährlich nur um 4 % wächst, so bedeutet das ein Gesamtvolumen von 600 Milliarden DM. Dazu kommen die privaten Mittel für Investitionen, die in der Bundesrepublik wesentlich höher als die öffentlichen Anlageinvestitionen sind.
Hieraus ergeben sich kräftige unmittelbare Beschäftigungsimpulse vor Ort, vor allem für die Bauwirtschaft und das Handwerk. Allein für Verkehrswege und Telekommunikation investiert der Bund in diesem Jahr rund 15 Milliarden DM.
Um den Ausbau der Infrastruktur zu beschleunigen, müssen neue Wege beschritten werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen die Möglichkeiten zur privaten Finanzierung verstärkt nutzen. Erfolgreiche ausländische Beispiele können hier als Vorbild dienen.
Damit investiert werden kann, müssen die Investitionshemmnisse beseitigt werden. Die schwierigen offenen Vermögensfragen waren ein Investitionshemmnis ersten Ranges. Der Verkauf von Unternehmen und Grundstücken wurde erschwert. Die Rückgabe von rechtswidrig enteigneten Vermögenswerten an investitionswillige Alteigentümer kam nur mühsam voran. Das ist ein Hauptgrund dafür, daß sich der Beginn der Wirtschaftserneuerung langsamer vollzog als erwartet. Auf mein Drängen hin sind die Regelungen inzwischen durchgreifend verbessert worden. Investitionen haben eindeutig Vorfahrt erhalten.
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Meine Damen und Herren, unser freiheitliches Rechtssystem, unsere Rechtsgewohnheiten und unsere Rechtspraxis setzen eine Gesellschaft voraus, in der dies alles als ein Teil des Ganzen funktioniert. Doch in der ehemaligen DDR trifft unser freiheitliches Recht auf eine Situation, die auf völlig anderen Grundsätzen aufgebaut war. Hier müssen wir zunächst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen, daß unser Rechtssystem überhaupt funktionieren kann. Wenn wir umgekehrt aber das 100 %ige Funktionieren unseres Rechts zur Voraussetzung des Aufbaus in den neuen Bundesländern machten, dann könnten wir, zumal bei dem unterentwickelten Justizsystem in den neuen Länder, die Wirtschaftserneuerung getrost vergessen. Das betrifft z. B. die gesetzlich vorgeschriebenen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dringlich sind einfachere und schnellere Verfahren.
Das betrifft auch die Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge. Die für das öffentliche Auftragswesen in den westlichen Industrieländern national geschaffenen und international vereinbarten ausgefeilten Wettbewerbsregeln werden den besonderen Erfordernissen in den neuen Bundesländern, nämlich rasche Investitionen und Abbau der Arbeitslosigkeit, nicht gerecht. Die umfangreichen Vergaberegeln sind für die neuen Verwaltungen nicht handhabbar.
Die Bundesregierung hat deshalb die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in den neuen Bundesländern wesentlich erleichtert. Vor gerade neun Tagen hat das Wirtschaftsministerium mit großer Resonanz einen Kongreß in Leipzig abgehalten, um über die Verfahren zu informieren. Mit der Präferenzrichtlinie für kleine und mittlere Unternehmen und dem Erlaß, der die freihändige Vergabe erleichtert, werden die Chancen ostdeutscher Unternehmen, öffentliche Aufträge zu erhalten, kurzfristig erhöht.
Der Aufbau einer mittelständisch strukturierten Wirtschaft wird erleichtert, und es wird auf den noch andauernden Anpassungsprozeß in Wirtschaft und Verwaltung Rücksicht genommen. Die Bundesregierung hat die nötigen Anreize geschaffen, damit Rechts- und Verwaltungsexperten aus den alten Bundesländern die dortigen Behörden unterstützen. Das ist dringend notwendig. Und so rufe ich auch von dieser Stelle aus alle qualifizierten Bürger in den alten Bundesländern, die dort in der Verwaltung tätig sind, auf, unserem Land in der Weise zu helfen, daß sie sich und ihre Kenntnisse und Erfahrungen in den Dienst der neuen Bundesländer einbringen.
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Denn es hat sich eindeutig erwiesen: Eine funktionierende Verwaltung ist eine der Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft.
Deshalb müssen die öffentlichen Hände die neuen Länder und vor allem ihre Gemeinden personell, technisch und organisatorisch noch stärker unterstützten als bisher. Die Verwaltungskräfte in den neuen Ländern müssen intensiv geschult werden. Sie mußten sich auf ein völlig neues Rechtssystem umstellen. Die Bundesregierung hat dazu hilfreiche Beschlüsse gefaßt, und ich hoffe, sie wirken.
Meine Damen und Herren, eine zentrale Rolle bei der Überführung der Staatswirtschaft der ehemaligen DDR in privatwirtschaftliche wettbewerbliche Strukturen spielt die Treuhandanstalt. Sie hat bisher gute Arbeit geleistet. Zwar sind Fehlentscheidungen gefallen,
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und Klagen über zu lange Bearbeitungszeiten sind verständlich, aber die Schwierigkeiten waren außergewöhnlich groß.
Vergessen wir nicht, daß die Treuhandanstalt erst nach dem 3. Oktober 1990 funktionsbezogen aufgebaut werden konnte. Jetzt gilt es, die schwierige Arbeit dieser Einrichtung im Sinne ihres ermordeten Präsidenten weiterzuführen. Das heißt:
Erstens. Wie bisher hat Privatisierung Vorrang, weil sie der erfolgversprechendste Weg für eine Sanierung der dortigen Wirtschaft ist. Marktwirtschaft heißt Privatwirtschaft.
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Zweitens. Aktive Sanierung durch die Treuhand kommt dann in Frage und ist dann nötig, wenn Privatisierung nicht sofort möglich ist, etwa weil im Augenblick Käufer fehlen oder weil es eine überschaubare Zeitspanne zu überbrücken gilt, bis staatliche Investitionsförderprogramme greifen. Bedingung hierfür ist jedoch, daß das Unternehmen ein überzeugendes Sanierungskonzept entwickelt.
Drittens. Unvermeidliche Stillegungen werden sozial verträglich flankiert.
Meine Damen und Herren, wir alle müssen hinzulernen und zu ständiger Korrektur bereit sein. Doch darin liegt gerade die große Entwicklungschance: daß wir am Ziel der Reise in ganz Deutschland und für ganz Deutschland hinzugelernt haben werden, daß Staat, Industrie und Gewerkschaften noch einfallsreicher und wirksamer zusammenwirken können, um die Rahmenbedingungen für Freiheit und Lebenschancen zu sichern. Weniger Staat oder mehr Staat, Privatisierung vor Sanierung oder umgekehrt mögen ja die Themen der Debatte sein, der eigentliche Schlüssel zum Aufschwung liegt jedoch in unserer Lernbereitschaft. Mut und Entschlossenheit, aber auch Miteinander und Mitbestimmung und Sensibilität für das jeweils Machbare werden die Wirklichkeit verändern, nicht akademische Grundsatzdebatten.
In den neuen Ländern brauchen wir den massiven Zustrom von unternehmerischem Know-how. Wir verlangen dabei viel von den Menschen, die sich mit ihren andersgearteten Kenntnissen und Fähigkeiten auf die ihnen neuen marktwirtschaftlichen Anforderungen einstellen müssen. Deshalb bieten wir umfangreiche Hilfen zur beruflichen Qualifizierung an. Deshalb unterstützen wir im öffentlichen Bereich die -extensive Nutzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Übergangszeit. Jede sinnvolle Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wollen wir ermöglichen, und wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen.
Ich wiederhole: Wir lassen unsere ostdeutschen Mitbürger mit ihren Sorgen nicht allein. Der Neuaufbau ihrer Wirtschaft ist nicht nur eine Frage des Geldes. Vielfach fehlt jedoch bei uns im Westen noch das Verständnis für die Situation, in der sich die Menschen im Osten des Landes befinden. Sie sind jetzt zwar frei, aber das bedeutet noch nicht, daß sie die Möglichkeiten dieser Freiheit ausschöpfen können. Auch ein Blinder, dem das Augenlicht wiedergeschenkt wird, braucht eine gewisse Zeit, um sich an das Sehen wieder zu gewöhnen. Er sieht zwar mit den Augen, aber das Gesehene verwirrt ihn eher, als daß es ihm Orientierung gibt. Er muß das Sehen lernen. So müssen unsere Landsleute im Osten erst lernen, in und mit der Freiheit zu leben.
Für uns, die wir das Glück hatten, in der Freiheit zu leben, wäre es schändlich, daraus einen Vorwurf zu entwickeln. In einer Diktatur ist das erste Gebot: Du sollst nicht auffallen. Das aber heißt: Du sollst keine Initiative ergreifen; denn wer das - auf welchem Gebiet auch immer - doch tat, der fiel eben auf, der wurde überwacht und beschattet. Denken durfte nur die Partei, und diese tat es nicht.
Das erste Gebot in einer freien Wirtschaft aber heißt: Es kommt alles auf deine Initiative an. Davor schrecken viele unserer ostdeutschen Landsleute noch zurück. Sie sind gebrannte Kinder, doch sie müssen wieder lernen, Initiative zu ergreifen.
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Wir müssen ihnen dabei helfen, ohne Überheblichkeit, ohne Besserwisserei. Es ist ja kein Verdienst, daß wir uns in unserer eigenen gewohnten Lebensordnung besser auskennen als Menschen, die in einer ganz anderen Lebensordnung groß geworden sind.
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Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der PDS: Wenn man eine solche Bestandsaufnahme macht, dann kann in diesem Haus eigentlich nur eine Partei beschämt schweigen. Das ist die Ihre; denn Sie sind verantwortlich für das, was wir zu kritisieren haben.
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Wir müssen deshalb Verständnis und Geduld haben - auch darin erweist sich unsere Solidarität -, und die Menschen in Ostdeutschland müssen mit sich selbst Geduld haben. Sie wurden durch die Ereignisse, die sie - das danken wir ihnen - selbst herbeigeführt haben, in ein neues Leben gerissen, in dem sie sich erst zurechtfinden müssen. Das wird schneller gehen, als viele noch heute glauben; denn die Freiheit ist ja nicht nur eine anstrengende, sondern auch eine sehr schöne Sache.
Heute, da die Lage noch so ernst ist, sieht man wohl eher ihre anstrengenden Seiten. Aber mit dem Erfolg wird auch die Freude kommen, die die Kräfte freisetzt, die natürlich ebenfalls in ihnen liegen. Ist dieser Motor in den Menschen erst einmal richtig angesprungen, dann werden sie Phantastisches leisten, dann kommt der Zug ihrer Wirtschaft von dem Abstellgleis auf einer höchst modernen Schnellstrecke in Fahrt.
Wie lange wird es brauchen, bis wir am Ziele sind? Das weiß niemand. Wirtschaftliche, politische und psychologische Faktoren greifen hier ineinander und beeinflussen sich wechselseitig.
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Deshalb ist es so wichtig, daß die geplanten Investitionen so schnell wie möglich realisiert werden.
Die Menschen wollen sehen, daß der Aufschwung beginnt. Je länger die Zeit bis zum sichtbaren Neuanfang dauert, desto mehr vergrößert sich die Gefahr, daß sich die Menschen in eine Antihaltung hineinsteigern. Das freilich würde den Aufschwung gefährden. Ich bitte alle, die es in der Hand haben, bei ihrem öffentlichen Auftreten nicht zu dem Herbeiführen einer solchen Antihaltung beizutragen.
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Meine Damen und Herren, die Lokomotive steht für den Zug zur inneren Einheit und zu einem Ausgleich der Lebenschancen in ganz Deutschland unter Dampf. Neue Investitionen und neue Arbeitsplätze im Osten Deutschlands sichern und schaffen auch Arbeitsplätze im Westen. Wir alle profitieren davon - in Schleswig-Holstein wie in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt wie in Rheinland-Pfalz -, wenn in Rostock, Leipzig und Dresden modernste Maschinen stehen.
Die Lokomotive steht unter Dampf. Das heißt, die konjunkturelle Dynamik in den alten Bundesländern ist weiterhin kraftvoll. Das Sozialprodukt hat 1990 mit 4,5 % das höchste Wachstum seit 1976 erreicht. Der Einstieg in das Jahr 1991 war glänzend, besser als irgendwo anders in der Welt. Beschäftigung, Produktion und inländische Auftragseingänge wachsen. Die Investitionsplanungen im verarbeitenden Gewerbe wurden nach der jüngsten Umfrage des Ifo-Instituts kräftig nach oben revidiert. Danach sollen die Investitionen wiederum mit einer zweistelligen Rate wachsen. Trotz hoher Kapazitätsauslastungen bleibt das Preisklima relativ ruhig. Ich erwarte in diesem Jahr eine Fortsetzung des Expansionsprozesses mit beachtlichem Tempo. Im Jahreswirtschaftsbericht geht die Bundesregierung von einem realen Wachstum von 2,5 bis 3 % aus. Mit dieser wirtschaftlichen Dynamik werden wir es schaffen.
Um sie zu erhalten, ist auch der Abbau von vielen liebgewonnenen Subventionen notwendig; denn erstens verzerren sie den Wettbewerb zu Lasten solcher Unternehmen, die ohne staatliche Hilfen auskommen müssen, zweitens verringern sie die Leistungs-, Risiko- und Innovationsbereitschaft der Unternehmen und verführen zur Bequemlichkeit, drittens konservieren sie unrentable Strukturen und beeinträchtigen damit Wachstum, Beschäftigung und internationale
Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen in den alten Bundesländern Subventionen auf allen Gebieten substantiell gekürzt werden. Die günstige wirtschaftliche Lage ist dafür ein besonders geeigneter Zeitpunkt.
Mittelfristig werden Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen in Höhe von 5 Milliarden DM und Finanzhilfen von 1,5 Milliarden DM abgebaut. Die Koalition hat beschlossen, weitere 4 Milliarden DM einzusparen. Damit wird 1992 ein Subventionsabbau von rund 10 Milliarden DM festgelegt. Hierbei darf es, mit Ausnahme der neuen Bundesländer, auch keine Tabus geben.
Das ist zur Wiederaufnahme des Konsolidierungskurses ab 1992 notwendig, um die Neuverschuldung zu begrenzen. Das ist aus Stabilitätsgründen erforderlich, um die Politik der Bundesbank zu unterstützen. Das ist auch gegenüber unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und weltweit notwendig, damit unser Modell der Sozialen Marktwirtschaft auch jenseits der nationalen Grenzen glaubhaft bleibt.
Hinsichtlich der Verbesserung der Wachstumsbedingungen müssen wir mit Nachdruck dafür eintreten, daß der europäische Binnenmarkt vollendet, die Wirtschafts- und Währungsunion parallel mit der politischen Union verwirklicht und der europäische Wirtschaftsraum mit den Staaten der Europäischen Freihandelszone hergestellt wird.
Besonders dringend ist der erfolgreiche Abschluß der GATT-Runde. Sicherung des freien Welthandels heißt vor allem, das Regelsystem des GATT zu stärken, an die heutigen Verhältnisse anzupassen und handelspolitische Disziplin wiederherzustellen.
Dazu müssen wir jetzt den mutigen Schritt wagen, in Sektoren, in denen Marktwirtschaft noch nicht verwirklicht ist, Strukturwandel zuzulassen. Eine der entscheidenden Rahmenbedingungen ist, wie sich der Weltmarkt unter Wettbewerbsbedingungen entwickelt. Ich werde deshalb alles in meiner Kraft Stehende tun, daß es zu einem erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde kommt.
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Wegen der exportorientierten Wirtschaft ist Deutschland in besonderem Maße auf Freihandel und offene Märkte angewiesen. Für uns steht viel auf dem Spiel. Der freiheitlichen Weltwirtschaft verdanken wir unseren Wohlstand; dabei muß es bleiben.
Permanenter Strukturwandel sichert in einer Marktwirtschaft langfristig Dynamik und hohe Beschäftigung. Erfolgreich kann nur sein, wer sich dieser Herausforderung stellt. Erfolgreich wird in Zukunft aber auch derjenige sein, der den ökologischen Strukturwandel als Herausforderung begreift und annimmt. Ökonomisches Handeln und ökologische Verantwortung schließen sich gegenseitig eben nicht aus. Die Wirtschaftspolitik ist gefordert. Sie muß auch für den Umweltschutz die ureigensten Fähigkeiten einer Marktwirtschaft zur Geltung bringen, im Wettbewerb als Entdeckungsverfahren neue Lösungen und Anpassungsmöglichkeiten finden.
Alle Beteiligten müssen in Zukunft mehr Mitverantwortung für ihre Produkte übernehmen, und zwar über den gesamten Lebenszyklus hinweg, von der
Produktion über den Verbrauch bis hin zur Entsorgung.
In der Energiepolitik stehen wir vor der Aufgabe, ein energiepolitisches Gesamtkonzept für die 90er Jahre zu entwickeln. Gerade mit Blick auf die Integration der neuen Bundesländer in die marktwirtschaftliche Energieversorgung müssen die notwendigen wirtschafts- und energiepolitischen Rahmendaten überprüft werden. Politische Entscheidungen sind jetzt erforderlich. Die Energiewirtschaft braucht eine kalkulierbare Basis für die anstehenden Investitionsentscheidungen.
Eine Neuakzentuierung der Energiepolitik ist wegen der durch die Einheit geschaffenen neuen Lage notwendig, aber auch zur Verbesserung der Umwelt und zum Schutz der Erdatmosphäre. Die CO2-Emissionen müssen spürbar reduziert werden. Dazu bedarf es großer Anstrengungen in den verschiedenen Energiebereichen. Das gilt sowohl für die Energieeinsparung als auch für die Förderung erneuerbarer Energien.
Das gilt aber auch für den Einsatz der Kohle und der Kernenergie, der unter dem Aspekt des Treibhauseffektes national und weltweit neu überdacht werden muß.
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Bei dem neuen energiepolitischen Konzept wird es darauf ankommen, den vielfältigen Verzahnungen zwischen diesen energiepolitischen Eckpunkten Rechnung zu tragen. Deshalb müssen wir aufeinander zugehen. Die Chancen für einen Konsens zwischen Bund und Ländern, Parteien und den Beteiligten müssen wir ausschöpfen. Nur wenn wir bereit sind, in einem offenen und fairen Dialog einen gemeinsamen Nenner zu suchen, können wir ein stimmiges, langfristig tragfähiges energiepolitisches Konzept verwirklichen. Ein zweites Kalkar, ein weiteres Wackersdorf können wir uns nicht leisten,
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politisch nicht und wirtschaftlich nicht.
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Aber auch den Stillstand der Energiedebatte können wir uns nicht länger leisten. Ich habe daher diese Woche die politischen Gespräche aufgenommen, um wieder einen Konsens in energiepolitischen Fragen herzustellen; es gab ihn ja einmal. Dieser Konsens sollte dort beginnen, wo vorrangig gehandelt werden muß: in den neuen Ländern. Diese bringen mit einer hohen Braunkohleförderung einen beachtlichen zusätzlichen Beitrag dieses heimischen Energieträgers ein. Das Hauptproblem liegt hier beim unterlassenen Umweltschutz und bei einer unwirtschaftlichen Produktionsweise. Deshalb wird den 100 000 Beschäftigten dort eine hohe Anpassungsfähigkeit abverlangt. So ist die Förderung im letzten Jahr um 20 % zurückgegangen.
Dieser Anpassungs- und Rationalisierungsprozeß stellt Unternehmen, Belegschaften und Gewerkschaften, aber auch die politisch Verantwortlichen vor
große Probleme. Die Regierungserklärung hat klargestellt, daß Braunkohle und Steinkohle für eine sichere Energieversorgung weiterhin unverzichtbar sind. Allerdings wird ihr Beitrag auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegen müssen als bisher.
Nicht nur aus Klimaschutzgründen werden wir über ein niedrigeres Niveau der Steinkohle in der Energieversorgung verhandeln. Auch der unvermeidliche Subventionsabbau ist vor allem über eine Reduzierung der Mengen möglich. Schon die Mikat-Kommission hat einen signifikanten Beitrag des Bergbaus zur Verminderung der finanziellen Unterstützung gefordert. Die jetzt vorgelegte Optimierungsrechnung der Kohle wird diesem Ziel nicht gerecht. Außerdem fordert die EG-Kommission nachdrücklich einen schnelleren Anpassungsprozeß und den Abbau der Subventionen, denn der Binnenmarkt umfaßt auch die Energie. Ich werde die Verhandlungen mit Brüssel jetzt schnell aufnehmen. Dabei wird allen Beteiligten ein hohes Maß an Kompromißfähigkeit abverlangt werden.
Aber es geht auch dabei um die Interessen der Bürger im vereinten Deutschland. Für diese Bürger in ganz Deutschland, meine Damen und Herren, sind wir der liberale Staat, der starke Staat. Wir schaffen es. Wir haben schon viel geschafft. Unsere Deutschlandpolitik war erfolgreich, weil unsere Außenpolitik schon immer auch die Bürger in Mecklenburg-Vorpommern wie in Brandenburg, in Sachsen und Sachsen-Anhalt, in Thüringen und dem früheren Ost-Berlin zum Ziel hatte, weil sie ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zum Ziel hatte. Jetzt sind sie frei, jetzt haben sie frei bestimmt und sich für die Einheit entschieden. Jetzt haben unsere Wirtschaftspolitik insgesamt, unser Eintreten für offene Märkte wie unsere Strategie Aufschwung Ost wiederum die Einheit, die innere Einheit, den Ausgleich der Lebenschancen und Lebensverhältnisse im vereinten Deutschland zum Ziel. Unsere Deutschland- und Außenpolitik hat die Einheit ermöglicht. Unsere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wird die Einheit vollenden. Ich bitte Sie, daran mitzuarbeiten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, auch diese Wirtschaftsdebatte steht noch unter dem Eindruck der Ermordung von Detlev Rohwedder. Ich möchte heute aber nicht allein an ihn erinnern, der uns Sozialdemokraten besonders nahestand, sondern ich möchte an alle Unternehmerpersönlichkeiten erinnern, die Opfer der RAF wurden und von denen ich alle - bis auf einen - in den Jahren ihres Wirkens gut kennengelernt habe: Hanns Martin Schleyer, Jürgen Ponto, Ernst Zimmermann, Karl-Heinz Beckurts, Alfred Herrhausen und eben auch Detlev Rohwedder.
Wenn die Killer der RAF glauben, sie würden durch diese niederträchtigen Mordanschläge irgendein fortschrittliches Signal aussenden, so irren sie sich total. Lassen Sie mich auf Grund meines eigenen persönliWolfgang Roth
chen Eindrucks von den Ermordeten nur zwei Namen nennen: Rohwedder und Herrhausen. Beide haben sich um soziale Fragen gekümmert.
Herrhausen hatte kurz vor seinem Tod beispielsweise einen Entschuldungsplan für die Dritte Welt erarbeitet, der gerade bei den engstirnigeren Interessenvertretern sehr bekämpft wurde. Rohwedder hatte sich in seiner Treuhandarbeit - davon haben wir uns oft überzeugen können - um die sozialen Fragen der Menschen im Osten nicht nur gekümmert, sondern es hat ihn umgetrieben, gerade auch nach seinen Erfahrungen in Dortmund vorher.
Das heißt, diese Morde haben nicht nur hochqualifizierte Manager beseitigt, sondern auch den sozialen Interessen der Menschen in der großen gemeinsamen Bundesrepublik schwer geschadet. Ich gedenke gerade in Anbetracht dieser großen Leistung, im sozialen Sinne Unternehmer zu sein, ihrer beider und der anderen.
Vor über einem Jahr habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß es nun in der Wirtschaftspolitik nicht mehr um eine Ideologiediskussion: Markt ja, Markt nein, Staat ja, Staat nein, gehe, sondern um die Bewältigung einer unendlich schwierigen Aufgabe, von den chaotischen Zuständen einer zerfallenden Kommandowirtschaft zu einer schließlich sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zu kommen.
Damals habe ich die Bundesregierung Kohl angesichts ihrer zögerlichen Haltung aufgefordert, die Chancen nicht zu verspielen, die in einem sehr schnellen Handeln liegen. Sie haben das damals in der Debatte mit dem törichten Argument zurückgewiesen, man dürfe der Regierung Modrow nicht helfen.
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Das war ein seltsames Argument, zumal de Maizière ein Mitglied dieser Regierung war; daran muß man erinnern.
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Es ging damals nicht um pauschale Zuschüsse,
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sondern darum, die Infrastruktur zu finanzieren, Stadtsanierung anzupacken, ein Kommunikationsnetz zu finanzieren, so daß die Marktwirtschaft eine Chance bekam.
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Sie haben verzögert, und deshalb ist 1990 nichts gelaufen. - Das war der katastrophale Fehler Nummer eins.
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Daß heute beispielsweise in der Bauwirtschaft der früheren DDR noch nicht wirklich Bewegung ist, ist Ihr Fehler. Ich will nur eine Zahl nennen: Im August 1990 betrug die Reichweite der Aufträge in der Bauwirtschaft 3,8 Monate; sie hatte für 3,8 Monate Beschäftigung. Im November war die Reichweite abgesunken - Daten des DIW - auf zweieinhalb Monate. Das heißt, gerade der Bereich, der regional kleine Wirtschaftskreisläufe schaffen würde, ist nicht entwickelt worden. - Das war der zweite katastrophale Fehler.
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Diejenigen, die in den neuen Bundesländern in den harten weltwirtschaftlichen Wettbewerb befördert wurden, brauchten Hilfen, brauchten eine Übergangspolitik. Marktwirtschaft ist nach so langer Abschirmung von der Weltwirtschaft natürlich eine sehr komplizierte Sache. Aber Ihre Vorstellung, im freien Fall lerne man das Fliegen automatisch, hat die Menschen im Osten zum Absturz und nicht die Marktwirtschaft zum Aufbau gebracht. Das ist Realität.
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Nun beklagen Sie, beklagen wir im Osten Tendenzen zur Apathie, Tendenzen zur Aggressivität, auch Tendenzen, die Leistungschancen in einer Marktwirtschaft nicht so einzuschätzen, wie es notwendig wäre.
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Statt nun selbstkritisch mit den eigenen Fehlern umzugehen, fangen Sie jetzt an, die Menschen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer zu beschimpfen, sie seien apathisch; das ist in den letzten Wochen aus Ihrem Kreis mehrfach geschehen.
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In den neuen Bundesländern bricht derzeit industrieller Betrieb um industrieller Betrieb zusammen;
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Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit explodieren; zukunftträchtige Produktionen kommen nicht aus den Startlöchern; die Konzepte für den Übergang fehlen.
Ich will einmal zitieren, wie Sie das vor einem Jahr, im letzten Jahreswirtschaftsbericht, gesehen haben, um deutlich zu machen, wo der Fehler lag - wörtliches Zitat - :
Wirtschaftliche Dynamik mit ihren positiven Auswirkungen wird sich in der ehemaligen DDR sehr schnell entwickeln können, wenn die Kräfte dezentraler Entscheidungen genutzt und im Wettbewerb eingesetzt werden.
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Was ersieht man daraus? Es gab Beschwörungsformeln statt der Planung einer zukunftsorientierten Politik.
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Gegen vielfältige Ratschläge auch der Sachverständigen wurde die Währungsunion durchgezogen,
ohne daß die entsprechende regionale und sektorale Strukturpolitik vorbereitet worden war,
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ohne daß der Treuhand, was die Wirtschaftspolitik betrifft, eine klare Aufgabe gegeben wurde.
Meine Damen und Herren, was wir erleben, ist jetzt leider kein sich selbst verstärkender Aufschwung, das ist vielmehr zur Zeit ein Abschwung Ost, in den die Bundesregierung die Menschen in den neuen Bundesländern geführt hat.
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Meine Damen und Herren, nicht aus Rechthaberei, sondern um die Grundlagen für eine bessere Wirtschaftspolitik zu legen, will ich kurz die geistig-politischen Hintergründe Ihrer Fehlentscheidungen nennen. Sicherlich war die Währungsunion wegen der weggefallenen Grenzen unvermeidbar und sogar schnell notwendig.
({14})
Ich habe das immer vertreten, auch an dieser Stelle. Aber unter wirtschaftspolitischen und beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten war eine derartige Währungsunion natürlich an der Grenze des Verantwortbaren.
Um so mehr war dann die Wirtschaftspolitik gefragt. Wenn ein Wirtschaftsgebiet im industriellen Sektor nur ein Viertel so leistungsfähig ist wie die Nachbarländer, in die es integriert wird - ich meine nicht nur die Bundesrepublik, sondern die ganze EG -,
({15})
dann wird man vom Markt gefegt, wenn man keinen Wechselkursschutz hat.
Die alte DDR hatte bis zum 1. Juli letzten Jahres einen Import-Export-Verrechnungskurs von i DM zu 4,40 Mark Ost. Seit dem 1. Juli lautet der Verrechnungskurs 1 : 1. Das heißt aber, wer keine Scheuklappen hatte, mußte wissen, daß die Mehrheit der Industrie regelrecht hinweggefegt werden würde
({16})
- ich komme gleich darauf - , übrigens nicht nur in bezug auf den Export in den Osten, wie Sie immer behaupten, sondern auch in den Westen.
({17})
- Fragen Sie doch einmal im Haus Quelle nach, wieviel sie eingekauft haben.
Nicht nur hinsichtlich der Exporte in das Ausland, sondern gerade auf dem Binnenmarkt wurde man hinweggefegt. Das heißt, es gab eine regelrechte Importsubstitution. Bitte schön, das werfe ich Ihnen nicht vor;
({18})
dieser ökonomische Vorgang war mit der Währungsunion verbunden. Ich werfe Ihnen vielmehr vor, daß Sie das nicht einmal analysiert und keine entsprechenden Antworten formuliert haben.
({19})
Ich habe, wie gesagt, im letzten Jahr ständig dargestellt, daß die Industrie chancenlos sein wird.
({20})
Was haben Sie denn gesagt? Sie haben gemeint: Der Mittelstand macht es. Ich könnte dazu viele Zitate von Haussmann wiedergeben, der gehen mußte, weil er sich da verschätzt hat.
({21})
Wie kann denn ein Mittelstand erfolgreich sein, wenn die Großindustrie - Leuna, Buna, Wartburg, Trabant, Zeiss und Robotron - praktisch Hunderttausende Arbeitsplätze verliert?
({22})
Wir wissen doch, daß ein funktionstüchtiger Mittelstand sehr stark auch von einer funktionstüchtigen Großindustrie abhängig ist. Schauen Sie sich einmal Baden-Württemberg an. Der schwäbische Mittelstand hängt natürlich auch mit an Daimler, an Bosch, ja, an den Großbetrieben der ganzen Bundesrepublik. Wie kann man sich denn vorstellen, daß ein Mittelstand aus sich heraus die Kraft hätte, in der Industrie erfolgreich zu sein?
Meine Damen und Herren, statt sich nun klarzumachen - zum erstenmal hat heute von der Regierung her Herr Möllemann diesen Unterschied klargemacht; ich bin ihm dankbar dafür - , daß dieser Vergleich mit der Erhard-Ära völlig in die Irre führt, weil wir damals einen Außenschutz und ein exportorientiertes Wachstum hatten - 1 Dollar war 4,20 DM wert - , damals also eine völlig andere Situation herrschte, haben Sie den Träumen der 50er Jahre nachgehangen und so das Handeln vergessen.
({23})
- Meine Damen und Herren, Sie schreien zu Recht dazwischen: „Ihre Vorschläge! ". Die kommen jetzt.
Erstens. Wenn ein Großteil der industriellen Basis sofort wegfällt, müssen unverzüglich kleine regionale Wirtschaftskreisläufe organisiert werden.
({24})
Das kann nur der Staat mit einer Stärkung der Nachfrage.
({25})
In diesen Tagen hat der Altmeister der Wirtschaftspolitik in der derzeitigen Regierung, Herr Schlecht, in großer Unbefangenheit gesagt, daß bei einem derartigen Wirtschaftsumbruch natürlich der Staat in die Nachfragelücke eindringen und vorübergehend einen Anstoß geben muß, damit die mittlere Industrie aufwachsen kann.
({26})
Gut gesagt, Herr Schlecht.
An dieser Stelle will ich sagen: Dies ist die letzte Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht, bei der Sie auf der Regierungsbank sitzen. Leider wird mit Ihrer Pensionierung die Qualität der Regierung schlechter. Ich habe die Hoffnung, daß wir viele Gelegenheiten haben, an anderer Stelle mit Ihnen zu diskutieren und Ihren Rat zu hören. Fahren Sie gut, alter Fahrensmann! Viel Erfolg - und nicht nur Golf!
({27})
Zweitens. Wenn im Osten industriell so viel wegbricht, ist durch Investitionszuschüsse und Sonderabschreibungen eine konsequente Förderung privater Investitionen notwendig, und zwar ab dem Tag, an dem die Währungsunion vollzogen wird. Ich habe damals Sofortabschreibungen gefordert. Jetzt haben Sie 50 % Sonderabschreibungen und zusätzlich einen Investitionszuschuß eingeführt - mit neun Monaten Verspätung. Ich bin ja froh, daß Sie meine Gedanken vom Juni vorigen Jahres, in diesem Hause vorgetragen, übernommen haben.
Herr Möllemann hat recht: entweder Sofortabschreibungen zu 100 % oder eine Kombination aus 50 % Sonderabschreibungen und kumulativen Zuschüssen. Das wirkt gleichermaßen. Ich akzeptiere diese Variante der Regierung. Ich verstehe sehr gut, daß man die Oppositionsvorschläge nicht unbedingt völlig unverändert übernehmen will.
Das ist ein richtiges Instrument. Ich unterstütze Sie in dieser Sache. Ich kann Ihnen nur sagen: Vor neun Monaten wäre dies das richtige Signal gewesen, das uns allen bei der Bewegung von privatem Kapital in Richtung Osten geholfen hätte.
({28}): Das glauben Sie selber nicht!)
Drittens - das ist vielleicht der entscheidende Punkt - :
({29})
Die Treuhandanstalt hatte den Auftrag, 8 000 Betriebe in neue Verantwortung zu überführen. Sie hatte außerdem die Aufgabe, viele Industriekombinate, die marode waren, auf eine gewisse Zeit durchzufinanzieren und, wo es möglich war, beispielsweise zu privatisieren.
Meine Damen und Herren, statt diese Betriebe schrittweise in die Marktwirtschaft zu überführen - natürlich auch in den Fällen, in denen es möglich ist, sie sofort in private Hand zu geben - hat die Treuhandanstalt von der Bundesregierung völlig unrealistische Aufgaben zugeteilt bekommen, nämlich alles schnell zu privatisieren. Das war der erste Auftrag. Man kann nicht einerseits beklagen, daß eine Wirtschaft 40 Jahre unter Kommando stand, und dann die Illusion haben, man könne das blitzschnell unter private Dächer bringen. Das war schon vom geistig-politischen Ansatz her eine Fehleinschätzung.
({30})
Meine Damen und Herren, damit wurde der Prozeß der Beseitigung von Arbeitsplätzen noch verschärft, statt ihn durch eine kluge Politik der Treuhandanstalt abzumildern. Natürlich ist es am besten - wer bestreitet das -, wenn man schnell einen privaten Investor findet,
({31})
der die Struktur eines Betriebes erneuert. Das ist sozusagen die Traumkonstellation: privates Geld, privates Know-how, Management und die Nutzung leistungsfähiger Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern.
({32})
Aber diese Traumkonstellation gibt es leider kaum.
({33})
Deshalb braucht man andere Vorgaben und bessere Instrumente für die Treuhand. Hier gibt es jetzt noch Handlungsbedarf.
Wir schlagen vor, daß die Treuhand die Aufgabe bekommt, nicht nur Eröffnungsbilanzen zu machen - die sind weitgehend fertig - , sondern auch Sanierungskonzepte bis Ende des Jahres für jedes einzelne Unternehmen vorzulegen, Sanierungskonzepte, die dann in der Tat Ausgangsbasis für Gespräche mit der privaten Wirtschaft sein können.
({34})
Aber diese Sanierungskonzepte dürfen nicht nur an privatwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet werden, sondern hier müssen arbeitsmarkt- und regionalpolitische Gründe genauso einbezogen werden. Das fehlt in Ihrem gesamten Denken.
({35})
Damit muß erreicht werden, daß - aus regionalen Arbeitsmarktgründen - Arbeitsplätze an unverzichtbaren Industriestandorten auch dann vorübergehend erhalten werden, wenn das ohne eine mittelfristige Unterstützung des Staates nicht erreichbar ist.
({36})
Hier ist eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen Treuhand, regionaler Politik bzw. Landespolitik, Arbeitsverwaltung und den Gemeinden erforderlich. Hier haben mittelfristig beispielsweise Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften eine besondere Bedeutung. Das gilt etwa für die Werftstandorte in Mecklenburg-Vorpommern, für Arbeitsplätze im Braunkohlegebiet und in den Stahlwerken in Brandenburg, für Chemiestandorte in Sachsen-Anhalt, für
die Mikroelektronik in Sachsen und den Kalibergbau in Thüringen.
Beim Unternehmensverkauf sind in erster Linie die Zahl der gesicherten Arbeitsplätze und der Umfang der vorhersehbaren Investitionen wichtig. Das muß beim Preis bewertet werden. Die Höhe des erzielbaren Preises für die Treuhandanstalt ist erst nachrangig. Das ist unsere Alternative.
Wir sind auch der Meinung, daß den Ländern im Osten das recht und billig sein muß, was wir im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg sehr oft gemacht haben. Ich erinnere an den Fall VIAG. Ich erinnere an Salzgitter. Ich erinnere an die Aktion für Krupp, heute ein gut dastehendes Unternehmen. Ich erinnere an die Aktion für AEG. Mit öffentlichen Sanierungsmitteln, Bürgschaften und Garantien haben wir die jahrelang am Leben gehalten. Ich finde, das ist jetzt auch im Osten notwendig.
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Meine Damen und Herren, ich bin sehr zurückhaltend - ich sage das nochmals - gegenüber schlichten Ideen zur Beibehaltung unter staatlicher Kontrolle. Wo Privatisierung möglich ist, ist sie gut. Die Bundesländer im Osten wären mit einer dauerhaften industriellen Verantwortung auch überfordert.
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Aber vielfältige Übergangsmodelle sind machbar, sind organisierbar und sind auch im Westen früher schon erprobt worden.
Es ist falsch - ich möchte das hier ausdrücklich sagen - , dauernd auf der Treuhandanstalt herumzuklopfen.
({39})
Ich habe von Herrn Rohwedder noch in den letzten Tagen seines Lebens ausdrücklich den Dank bekommen, daß die Sozialdemokraten im Gegensatz zu anderen nicht die Treuhand angegriffen haben, sondern die falschen Vorgaben, die die Bundesregierung der Treuhand gegeben hat.
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Weil der Zwischenruf von vorhin in eine andere Richtung ging, will ich auch etwas zu meiner zurückhaltenden Kritik an der Person von Frau Breuel sagen.
({41})
Ich habe mit Frau Breuel
({42})
ein Erlebnis in einer ganz wichtigen Sanierungsproblematik gehabt. Die Betriebsräte von Hanomag hatten mich gebeten, ihre Interesse mit zu vertreten, als damals Hanomag in Hannover pleite war. Ich muß sagen: Ich bin bei Frau Breuel damals auf Granit gestoßen. Sie hätte den Bankrott von Hanomag zugelassen. Ich lobe unseren früheren Kollegen Ritz, den damaligen Finanzminister von Niedersachsen. - Ich weiß gar nicht, was er heute tut. Früher war er hier agrarpolitischer Sprecher. - Er hat als Finanzminister eingegriffen und Hanomag saniert, heute eine funktionstüchtige private Hannoveraner Firma. Diese Art von Politik will ich. Da habe ich kein Vertrauen zu Frau Breuel.
({43})
Aber Frau Breuel ist das jetzt, und jetzt wird aufgehört, an Frau Breuel herumzumäkeln.
({44})
Jetzt wird genau betrachtet, was Frau Breuel in ihrer Verantwortung tut, und nach einem halben Jahr wird das bewertet. Das ist mein Verhalten in dem Zusammenhang.
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Meine Damen und Herren, wir stehen nun vor neuen Gesprächen zwischen Regierung und Opposition. Wenn Herr Kohl die Unterstützung von uns will, dann müssen Korrekturen in der Wirtschaftspolitik durchgeführt werden. Korrekturen hat es ja schon gegeben. Ich habe hier ein paar erwähnt.
Ich bin der Auffassung, daß drei Felder besonders wichtig sind:
Erstens. Die Eigentumsfrage ist nicht abgehakt. Herr Möllemann, Sie haben zu Recht vor den Verhandlungen mit Kinkel gefordert: Entschädigung geht vor Rückgabe. Das ist nicht realisiert worden. Das Prinzip ist gleich geblieben. Herausgekommen ist eine sehr komplizierte Regelung, die funktionieren kann, erstens wenn der Unternehmer, der hinübergeht, ein ganzes Heer von Rechtsanwälten beschäftigt, die ihn aufklären, und zweitens wenn die Gemeinden und Länder tollkühn ins Rechtsrisiko gehen. Ich glaube, weitere Vereinfachungen sind notwendig. Hier müssen Sie sich korrigieren.
Zweiter Punkt: Ich bin der Auffassung, daß Sie sich in einer zweiten Frage auf Ihre Ausgangsposition zurückbegeben müssen, die Sie jetzt offenbar klammheimlich aufgegeben haben. Sie hatten völlig recht mit der Forderung, daß die Treuhandanstalt vom Finanzministerium weg muß. Es ist einfach schon von der Größe und dem Umfang dieses Ministeriums her nicht akzeptabel, daß die da untergebracht wurde. Der Finanzminister macht nicht nur den Haushalt, er ist auch für die gesamte Finanzpolitik, Steuerpolitik zuständig. Er macht nicht nur internationale Finanzpolitik, nein, er ist auch für die Geldpolitik zuständig, er ist für die Bundesbank zuständig. Nun hat Herr Kohl dem Herrn Waigel auch noch die Treuhandanstalt übertragen. Man sieht schon, daß das Bundesfinanzministerium völlig die wirtschaftspolitische Kontrolle über die Treuhand verloren hatte. Sie war nicht mehr Einflußfaktor. Das ist falsch.
({46})
Meine Meinung ist, Sie sollten einmal so mutig sein, wie Sie es nach Ihrer Operation wieder zeigen, was
das Springen vom Himmel anbetrifft. Bleiben Sie auf der Erde, und kämpfen Sie darum, daß die Treuhandanstalt in Ihr Ressort kommt. Sie haben volle Unterstützung von der Opposition.
({47})
Der letzte Grundsatzpunkt: Ich bin der Auffassung, Sie können mit uns nur ernsthaft verhandeln, wenn die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer nicht beseitigt werden. Kooperation mit uns in der Wirtschafts- und Finanzpolitik für die neuen Bundesländer ist nur möglich, wenn die soziale Symmetrie stimmt. Meine Damen und Herren, soziale Symmetrie ist nicht möglich, wenn die Vermögensmillionäre Steuernachlaß bekommen, während der Durchschnittseinkommensbezieher die Zeche der deutschen Einheit zu zahlen hat.
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Das sind die drei Voraussetzungen.
Wir gehen in diese Gespräche mit einem konstruktiven Willen. Meine Kollegen werden noch einzelne Vorschläge über das hinaus machen, was ich hier in der beschränkten Zeit machen konnte.
Meine Bitte ist, jetzt nicht zu taktieren, sondern wirklich Gemeinsamkeit suchen im Hinblick auf die 3 bis 3,5 Millionen Arbeitslosen im Osten, die vorausgesagt werden. Diese Zahl müssen wir gemeinsam verhindern.
({49})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses ist der erste Jahreswirtschaftsbericht, der sich mit der Wirtschaft in ganz Deutschland beschäftigt. Deswegen müssen wir hier jene Kontrastsituation analysieren, die sich in West- und Ostdeutschland gegenwärtig wirtschaftlich darstellt. Die westdeutsche Wirtschaft erlebt in den alten Bundesländern das neunte Jahr einer ausgeprägten Hochkonjunktur.
({0})
Anhaltendes Wirtschaftswachstum, hohe Preisstabilität prägen die wirtschaftliche Entwicklung.
Gestern noch hat der Zentralverband des Deutschen Handwerks mitgeteilt, daß allein im deutschen Handwerk 600 000 Stellen offen sind, 200 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.
({1})
Mit anderen Worten, Westdeutschland ist die Konjunkturlokomotive Europas und mehr denn je eine der besten Wirtschaftsadressen in der Welt. Diese wirtschaftliche Dynamik brauchen wir auch, wenn wir die großen Herausforderungen in den neuen Bundesländern, die noch in einer wirtschaftlichen Talsohle stekken, bewältigen wollen.
Es zeigen sich dort - wir haben das erst in diesen Tagen bei einem Besuch in Erfurt und Jena erlebt große Umstellungsschwierigkeiten. Aber wen kann das verwundern? Ich meine, wir sollten aus unserer Verantwortung gegenüber den Mitbürgern in den neuen Bundesländern unbequeme Wahrheiten über den Zustand der ostdeutschen Wirtschaft offen aussprechen und dennoch den Menschen Mut für die Zukunft machen und ihnen für den zunächst dornigen Weg in die Marktwirtschaft eine positive Perspektive vermitteln.
Herr Kollege Roth, ich halte auch nichts von Theoriediskussionen über Markt und Staat, sondern was wir brauchen ist ein gemeinsames unideologisches Anpacken. Der Markt ist der Kern einer freien Wirtschaftsordnung. Trotzdem weiß doch jeder, daß mit den Mitteln des Marktes allein die Herausforderung drüben nicht zu stemmen ist.
({2})
Wer es genau nachlesen will, der muß sich Ludwig Erhards berühmten Wiedervereinigungsartikel aus dem Jahre 1953 noch einmal vor Augen führen. Ludwig Erhard sagt dort:
Die Produktivität der ostdeutschen Wirtschaft ist so rasch und so energisch zu bessern, daß der Prozeß der Leistungsangleichung auch zeitlich so kurz wie möglich bemessen werden kann.
({3})
Er sagt dann:
Privates und öffentliches Kapital ist in ausreichendem Maße zu mobilisieren. Der Wirtschaft des Ostens muß der Staat dazu Hilfestellung geben.
Also lassen wir doch die künstlichen Debatten weg - die helfen den Menschen nicht - , sondern schauen wir, daß wir an den Stellen anpacken, an denen die Herausforderungen am größten sind.
Noch ein Wort zu manchen Demonstrationen der letzten Tage und zu manchen Bemerkungen auch aus Ihren Reihen: Versuchen Sie nicht, die Schwierigkeiten drüben damit zu begründen, daß wir jetzt die Wende zu Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam, West- und Ostdeutsche zusammen, unternehmen, sondern machen wir gemeinsam klar: Was wir hier vorfinden, ist ein Erbe von 40 Jahren Planwirtschaft und nicht von wenigen Monaten Marktwirtschaft.
({4})
Wer in diesen Tagen in Erfurt oder Dresden, in Schwerin oder Magdeburg Gespräche führt und Informationen sammelt, der bekommt die Sünden der alten Kommandowirtschaft in vollem Umfang zu spüren: die jahrzehntelange Abschottung gegen internationale Konkurrenz, die Vernachlässigung der Infrastruktur, die totale Bürokratisierung aller Lebensbereiche. Die hohe verdeckte Arbeitslosigkeit aus alten DDR-Tagen spiegelt sich jetzt in der Freisetzung von Arbeitskräften und in Kurzarbeit wider. Ganz besonders ungünstig wirkt sich der weitgehende Zusam1432
menbruch der traditionellen Lieferbeziehungen zu den bisherigen RGW-Staaten aus.
Aber es gibt nicht nur Schatten, sondern auch erstes Licht in der Wirtschaft der neuen Bundesländer. So hat seit Anfang 1990 rund 1 Million Menschen eine neue Beschäftigung gefunden. Über 300 000 Gewerbe sind in dieser Zeit neu angemeldet worden. Mit den bisherigen Privatisierungen der Treuhandanstalt sind 340 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen in Höhe von 50 Milliarden DM angeschoben worden.
({5})
Herr Roth hat soeben von der Baunachfrage gesprochen. Natürlich wissen wir, daß die Schwierigkeiten noch groß sind. Aber gerade in diesen Tagen sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf Grund neuester Zahlen: Es gibt erste Anzeichen dafür, daß die Talsohle der Baunachfrage durchschritten wird. Das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, insbesondere die an die Gemeinden überwiesenen 5 Milliarden DM, helfen mit, daß jetzt auch die notwendigen öffentlichen Investitionen in Gang kommen, die wir gemeinsam dringend brauchen.
({6})
Eine der Schlüsselfragen wird natürlich sein: Wie kommen die Verantwortlichen der Treuhand mit Privatisierung und Sanierung voran? Wenn man diesen etwas künstlichen Streit auf die Substanz zurückführen will, hilft ein Zitat des Sozialdemokraten Manfred Stolpe, der in diesen Tagen in einem Interview gesagt hat: Die beste Sanierung ist die Privatisierung,
({7})
und der darauf hingewiesen hat, daß es jetzt - Herr Roth, das ist vielleicht auch für Sie wichtig - nicht darum geht, zu jammern, sondern darum, anzupakken.
({8})
Er sagt: Wir schaffen es; wir brauchen keine große Koalition; wir brauchen den gemeinsamen Willen für das Aufbauwerk Ost. Und er schreibt dann manchen Demonstrationsagitatoren, auch der letzten Tage, ins Stammbuch: Ich rate den Gewerkschaften zu mehr Sensibilität im Umgang mit den neuen Bundesbürgern; ich warne vor Verhetzung und Demagogie; es darf kein Spiel mit dem Feuer werden.
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Wenn das die Grundlage für Gespräche zwischen der Regierung und den Sozialdemokraten ist, dann sind solche Gespräche nützlich. Aber es geht nicht an, Gespräche zu wollen und gleichzeitig an anderer Stelle Feuer anzuheizen. Wir wollen gemeinsam an Punkten anpacken, in denen wir Gemeinsames leisten können.
({10})
Die Treuhand benötigt bei Kaufangeboten, bei Privatisierungsverfahren und Entscheidungsträgern noch mehr Transparenz. Mit ihrer in der letzten Woche vorgestellten Unternehmensbörse und dem Mittelstandskonzept stellt die Treuhand die Weichen richtig. Sie schafft den Wettbewerb, der bei 3 000 Kaufangeboten von Mittelständlern nötig ist, um marktgerechte Preise und sinnvolle Unternehmenskonzeptionen zu entwickeln.
Aber wir meinen, es können einige zusätzliche Schritte unternommen werden, um Sanierung und Privatisierung voranzubringen. Beispielsweise müssen noch mehr Investmentbanken oder Unternehmensmakler als bisher eingeschaltet werden, um durch Einbeziehung externen Sachverstands den Kreis potentieller Kaufinteressenten zu vergrößern. Darüber hinaus könnten für bestimmte Betriebe mehr als bisher Versteigerungsverfahren genutzt werden oder könnte das „management buy out" forciert werden, damit ein aktiver Mittelstand entstehen kann.
Es hat mich in diesen Tagen in Thüringen tief beeindruckt, mit Vertretern großer Betriebe und den Managern dort und mit den Ausgründern und den Mittelständlern zu sprechen. Ich sage Ihnen ganz offen: Auf uns alle, die dort waren, hat am meisten jener mittelständische Geist Eindruck gemacht, der sich etwa in folgenden Worten eines der Ausgründer ausdrückte: Wir vertrauen auf unsere eigene Kraft; wir rufen nicht in erster Linie nach dem Staat; wir wollen mit Eigeninitiative den Weg machen; und ihr müßt dafür sorgen, daß die bürokratischen Fesseln beseitigt werden. Genau das ist richtig. Das ist der Weg in die Zukunft.
({11})
Ebenso sind die Möglichkeiten der Mitarbeiterbeteiligung stärker als bisher einzubeziehen. Wir können nicht im Westen die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital fördern und sie bei der Privatisierung im Osten ablehnen.
Mehr und mehr an Bedeutung gewinnt in diesem Jahr die Privatisierung des von der ehemaligen DDR-Regierung übernommenen Grund und Bodens. Wir begrüßen die von der Bundesregierung beschlossenen Beschleunigungsmaßnahmen. Sie geben Städten und Kommunen die Möglichkeit, z. B. eine Vielzahl von bisher militärisch genutzten Objekten wie Kasernen oder Standortverwaltungen zusammen mit dem Bundesvermögensamt umgehend zu privatisieren.
Eines ist aber auch klar geworden: Nötig sind dabei noch zügigere Verfahrens- und Entscheidungsabläufe. Die langwierigen Genehmigungsverfahren, die wir im Westen gewohnt sind, dürfen kein Maßstab für die Entscheidungen in den fünf neuen Bundesländern sein; denn gerade auf solchen bisher staatlichen Grundstücken können Gewerbeflächen, Gewerbehöfe , Handwerkerhöfe, Technologieparks entstehen, kann die Grundlage für einen Aufschwung auch und gerade im Mittelstand geschaffen werden. Dafür müssen jetzt die Breschen geschlagen werden.
({12})
Die Bundesregierung legt zu Recht auch auf die Sanierungsarbeit der Treuhandanstalt Gewicht. Wichtig ist, daß die Treuhand nun eine Auflistung der Betriebe nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit vornimmt und die Sanierungskonzepte ständig durch unabhängige Sachverständige überprüfen läßt.
Für eine kompetente Führung vieler Treuhandunternehmen müssen noch mehr erfahrene Manager gewonnen werden. Auch das sage ich ganz offen - das spürt man ja auch in Gesprächen mit vielen Arbeitnehmern drüben - : Noch zu häufig finden sich in der Führung von Betrieben die alten Wendehälse,
({13})
die außer Anpassungsfähigkeit wenig zu bieten haben. Ich verstehe die Empörung mancher Bürger in den neuen Bundesländern, wenn nicht selten - um die Sprache zu gebrauchen, die man dort hört - die alten roten Socken zuerst jene Mitarbeiter entlassen, die schon immer eine eigene Meinung hatten.
Deswegen ist es notwendig, daß viele gute Leute aus dem mittleren Management drüben, aus der zweiten, dritten und vierten Reihe, jetzt eine Chance in der ersten Reihe des Managements bekommen und auf diese Weise Talente gefördert werden. Diese Leute aus dem mittleren Management müssen zusammen mit erfahrenen Managern aus dem Westen die Chance bekommen, Unternehmenskonzepte zu entwickeln, zu privatisieren, zu sanieren; denn, Herr Kollege Roth, daß die Treuhand für 6 000 Unternehmen eigene Unternehmenskonzepte entwickeln kann, ohne auf die Kenntnis in den Betrieben zurückzugreifen, halte ich schlichtweg für unmöglich. Es muß von unten kommen und von oben koordiniert werden, damit daraus ein sinnvolles Konzept wird.
({14})
Gegenwärtig wird viel darüber diskutiert, was getan werden kann, um Industriestrukturen drüben zu erhalten und die fünf neuen Bundesländer auch als Standort für Industrieproduktionen in die Zukunft zu führen. Jedermann, der die Dinge kennt, weiß: Es wird sehr bald einen Aufschwung im Gewerbe, im Handel, im Mittelstand, im Handwerk geben. Aber die große Herausforderung ist: Wie erhalten wir die fünf neuen Bundesländer als Standort für Industrieproduktionen?
({15})
Wie verhindern wir, daß die fünf neuen Bundesländer einfach zur verlängerten Werkbank des Westens werden?
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Ich sage ganz deutlich: Das beste Konzept dafür ist nicht sektorale Strukturpolitik, also das, was wir aus dem Westen kennen, was wir bei Luftfahrt, Kohle, Werften in den letzten Jahrzehnten schlecht und recht bewältigt haben. Was wir vielmehr brauchen, ist eine innovative regionale Strukturpolitik, die etwa in Räumen wie Erfurt und Jena oder an der Küste
({17})
oder in Chemnitz und Dresden den Teil der Industrieproduktion, der auf Dauer eine Chance hat, jetzt über die schwierigen Monate hinwegführt, dabei auch staatlich assistiert, aber mit dem Ziel, Hilfen für den Übergang, nicht Hilfen für eine lange Zeit zu geben. Subventionen sind sinnvoll, wenn sie Strukturen entwickeln, die sich im Markt behaupten können, aber nicht sinnvoll, wenn sie auf immer und ewig angelegt sind.
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Wir bitten den Bundeswirtschaftsminister, ein Konzept für eine solche innovative Regionalpolitik zusammen mit den Bundesländern „drüben" zu entwickeln. Denn das Ziel muß sein, auch in den fünf neuen Bundesländern relevante Produktionsstandorte im Interesse der Menschen zu erhalten.
Meine Damen und Herren, jetzt geht es darum, daß das Geld des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost schnell umgesetzt wird und Investitionsvorhaben zügig realisiert werden. Das notwendige Geld steht zur Verfügung.
Das Nadelöhr sind jetzt die Verwaltungsprobleme. 10 000 Beamte aus den alten Bundesländern arbeiten bisher in Ostdeutschland. Aber zwischen 20 000 und 40 000 erfahrene Verwaltungsfachleute werden vorübergehend benötigt werden, um die Aufbauarbeit zusammen mit den Menschen dort zu leisten.
Ich begrüße die Einrichtung der Aufbaustäbe. Nun gilt es aber, unkonventionelle Wege zu gehen, um die Verwaltungsabläufe zu beschleunigen. Dazu gehört beispielsweise die vorübergehende Übernahme bestimmter Verwaltungsaufgaben, z. B. die Aufarbeitung der Grundbücher und die Durchführung von Planfeststellungsverfahren durch Kommunen, Städte und Landkreise in den alten Bundesländern.
Der Aufbau benötigt Verwaltungsexperten aus den alten Bundesländern, die die Geschäftsbesorgung in den Entscheidungsgremien der Kommunen, Städte und Landkreise in den neuen Ländern zeitweise durchführen - nicht um sich als „Besser-Wessis" aufzuspielen, sondern um den Menschen „drüben" partnerschaftlich zu helfen, damit der Aufbau bewerkstelligt werden kann. Denn ohne effiziente Verwaltungen werden Investitionen nicht zügig umgesetzt werden. Wir brauchen die notwendigen Schritte bald und sind froh über die Vorschläge des Innenministers, die jetzt umgesetzt werden können, um die Dinge zu verbessern.
({19})
Meine Damen und Herren, wer Eigeninitiative stärken, den Eigentumsgedanken verankern und die Konjunktur ankurbeln will, muß dafür sorgen, daß möglichst viele Wohnungen „drüben" möglichst schnell privatisiert werden.
Die Stadt Freital in Sachsen hat sich in vorbildlicher Weise entschlossen, 11 000 von 20 000 städtischen Wohnungen zu verkaufen.
({20})
Zwischen 60 % und 100 % der bisherigen Mieter dieser Häuser sind bereit, die Wohnungen zu niedrigen Preisen zu erwerben und sie schnellstens zu modernisieren. Ein solches Konzept schafft Wohnungseigentum und reduziert die Energiekosten. Denn eines ist klar: Wenn die neuen Eigentümer ihre Wohnungen nun renovieren, regen sie die Nachfrage nach Baustoffen an und geben so der Bauwirtschaft, insbesondere dem Bauhandwerk, neuen Schwung. Dieses Modell sollte Schule machen.
({21})
2,8 Millionen Wohnungen befanden sich Ende 1989 in der Hand des SED-Staates.
({22})
Wir erwarten jetzt vom Wirtschaftsministerium und vom Wohnungsbauministerium Vorschläge, wie noch betehende faktische und rechtliche Hindernisse für eine zügige Privatisierung von Wohnungen in Ostdeutschland umgehend beseitigt werden können. Gerade in Zeiten der Kurzarbeit, gerade in Zeiten vorübergehender Arbeitslosigkeit, gerade in Zeiten, in denen wir das Bauhandwerk ankurbeln müssen, gerade in Zeiten, in denen die Wärmedämmung in den Wohnungen „drüben" fast nirgendwo mit der unsrigen vergleichbar ist, sollten wir den Menschen die Chance geben, Eigentum zu günstigen Bedingungen zu erwerben, damit sie selbst anpacken, damit sie mithelfen, daß ihre Wohnungen in Ordnung kommen, damit sie vor hohen Mieten geschützt sind und damit die Baukonjunktur angekurbelt wird, meine Damen und Herren.
({23})
Ich glaube, dies ist dringend notwendig.
Und wenn ich beim Thema Bau bin, meine Damen und Herren, dann will ich, an den Bundeswirtschaftsminister gerichtet, nur hinzufügen: Wir unterstützten alles, was mithilft, beim Wohnungsbauprogramm für die UdSSR - Volumen: 7,8 Milliarden DM - ostdeutsche Bauarbeiter so umfassend wie möglich zu beteiligen.
Ich weiß, warum ich dies hier sage, meine Damen und Herren: Es wäre paradox, wenn Aufträge im Rahmen des 7,8 Milliarden-DM-Wohnungsbauprogramms an Unternehmen vergeben würden, in denen nur ein kleiner Teil ostdeutscher Bauarbeiter beteiligt ist, während „drüben" gleichzeitig Zehntausende von Menschen aus dem Bauhandwerk und dem Baugewerbe nach Arbeit suchen.
({24})
Wir müssen mit der Sowjetunion dafür sorgen, daß hier nicht nur eine gute Leistung für den Aufbau von Wohnungen für die in die Sowjetunion heimziehenden Truppen erfolgt, sondern gleichzeitig auch eine entscheidende Hilfe für die Menschen in den neuen
Bundesländern. Wir bitten die Bundesregierung, alles zu tun, damit dies bei der Vergabe durch die Sowjetunion in jedem Falle gewährleistet wird.
({25})
Meine Damen und Herren, uns stellen sich aber nicht nur große wirtschaftspolitische Aufgaben; vielmehr haben wir in den alten und den neuen Bundesländern - dies kommt im Jahreswirtschaftsbericht vielleicht doch etwas zu kurz - auch die Aufgabe einer noch innovativeren Umweltpolitik. Ober 40 Jahre Sozialismus haben die neuen Bundesländern als ökologisches Trümmerfeld hinterlassen, dessen Altlasten eine schwere Hypothek für den Neuaufbau darstellen. Wie alle wissen: auch im Westen bleiben die Umweltherausforderungen groß. Globale Bedrohungen unserer Existenzgrundlage wie der Treibhauseffekt, das Ozonloch, die Vergiftung der Böden, die Verschmutzung von Luft und Weltmeeren machen die Entwicklung deutlich.
Zur Zeit beruht der Stand der Umwelttechnik, wie man gemeinhin sagt, überwiegend auf dem Einsatz nachgeschalteter Reinigungstechniken, bei denen umweltbelastende Stoffe „end of pipe" oder „downstream", also am Ende des Schornsteins oder flußabwärts, gesammelt werden und dann mit hohem technischen und finanziellen Aufwand entsorgt werden müssen.
Eine zukunftsorientierte Umweltpolitik aber erfordert Konzepte, die einen auf die Vermeidung von Umweltbelastungen ausgerichteten technischen Fortschritt in Gang setzen. Unser aller grundlegender Gedanke muß lauten: Vorsorge statt Nachsorge. Ansatzpunkte hierfür sind sogenannte integrierte Lösungen, die umweltbelastende Emissionen erst gar nicht entstehen lassen.
Ein beeindruckendes Beispiel für den produktionsintegrierten Umweltschutz ist die Herstellung von aromatischen Aminen durch ein neues Verfahren. Dabei ist es gelungen - ich nenne nur eines von Hunderten von Beispielen - , ganze 237 Kilogramm Abfallstoff pro 100 Kilogramm Amine auf nur zwei zu reduzieren.
Zahlreiche Anwendungen moderner Schlüsseltechnologien ermöglichen die ungeahnte Optimierung des Umgangs mit Ressourcen. Denkbar ist alles: von einer computerintegrierten Pflanzenproduktion in der Landwirtschaft bis hin zu Pkw-Motoren, die durch elektronische Steuerung nahezu emissionsfrei betrieben werden können.
Um die Entwicklung und den Einsatz vorsorgender Umwelttechniken zu forcieren, benötigen wir noch stärkere wirtschaftliche Anreize. Forschungs-, Entwicklungs- und Existenzgründungsprogramme für eine solche Ausrichtung, auch steuerliche Anreize wie z. B. Sonderabschreibungen für Investitionen im vorsorgenden Umweltschutz müssen überlegt werden. Eine Vorrangstellung für integrierte Umweltschutzanlagen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge muß in Betracht gezogen werden, oder aber die Beseitigung von bürokratischen Hemmnissen bei Planung, Genehmigung und Bau integrierter Anlagen.
Mir geht es darum, daß wir Wirtschafts- und Umweltpolitik nicht künstlich trennen, daß wir vielmehr verstehen lernen: In den neuen Bundesländern wie in den alten Bundesländern werden wir mit marktwirtschaftlichen Mitteln die Umweltherausforderungen eher lösen können als allein mit bürokratischen und staatlichen. Die Zuständigkeit für ein Gesamtkonzept liegt beim Bundesminister für Wirtschaft. Seine Aufgabe wird es sein, Ordnungspolitik aus einem Guß ressortübergreifend zu koordinieren und marktwirtschaftlich zu konzipieren.
Meine Damen und Herren, damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt. Wir können an dem anknüpfen, was Ludwig Erhard 1953 zur Wirtschaft in Ostdeutschland und zur Lage in Westdeutschland gesagt hat - dies gilt auch für den Umweltschutz -: Soziale Marktwirtschaft, das ist kein mechanistisches Konzept, sondern eine Gesellschaftsordnung, ein Angebot für die Lösung von Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen. Wenn wir in diesem Geist an die großen Herausforderungen in Ost- und Westdeutschland in Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik herangehen, dann werden wir die Herausforderungen meistern.
({26})
Nun erteile ich dem Abgeordenten Henn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Aufforderung von Minister Möllemann müßte ich jetzt eigentlich beschämt schweigen. Da Sie das aber mit zwei Minuten schon bei Frau Wollenberger nicht ausgehalten haben, wüßte ich nicht, wie Sie 20 Minuten Schweigen überstehen sollten. Deswegen werde ich also reden.
Ich will zunächst einmal feststellen, daß die Analyse des Kollegen Roth mit unserer Einschätzung über das vergangene Jahr völlig übereinstimmt. Ich sage das deshalb, weil es sich so wohltuend von der Schelte, die der Herr Streibl und heute auch der Herr Möllemann auf die Bürger der ehemaligen DDR losgelassen haben, abhebt.
({0})
Hier die Menschen mit blinden Kindern zu vergleichen, kann wirklich nur jemandem einfallen, der viel mit Erziehung und Bildung zu tun hatte, aber die Menschen in der DDR haben genug davon, erzogen und von Leuten an die Hand genommen zu werden.
Zum Jahreswirtschaftsbericht möchte ich als erstes feststellen, daß er aus unserer Sicht eine Bankrotterklärung für die ökonomische und soziale Entwicklung im Osten Deutschlands darstellt. Ich zitiere aus dem Bericht:
Der um 16 Millionen Einwohner vergrößerte deutsche Binnenmarkt erfordert im Westen Deutschlands erhebliche Kapazitätserweiterungen.. .
Weiter heißt es in diesem Bericht:
Zwar entstehen ... vor allem im Dienstleistungsbereich neue Betätigungsfelder. Auch deuten
Umfrageergebnisse auf deutlich verstärkte Investitionsengagements westdeutscher Firmen hin. Allerdings dürfte der größte Teil des daraus resultierenden unmittelbaren Produktionseffekts aus westdeutscher Produktion stammen.
Das, so meine ich, ist eine Bankrotterklärung, denn den Erwartungen, die hier ausgesprochen werden, entsprechen die Projektionen hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit: 5,5 % im Westen, bis zu 2 Millionen Arbeitslose im Osten.
Was hat die Bundesregierung nun zu bieten, um gegenzusteuern? Die Frage ist erlaubt, ob sie das überhaupt will. Es bedurfte erst des Auftritts der Herren Biedenkopf und Kühbacher hier im Deutschen Bundestag und des von ihnen organisierten Drucks der Länder- und Gemeindevertreter, um eine Stabilisierung der öffentlichen Finanzen im Osten zu bewerkstelligen. Es waren letztlich die Demonstrationen der Arbeiter und Angestellten in Erfurt, in Leipzig, in Berlin und anderswo, die das sogenannte Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost in Gang gebracht haben. Es bedurfte also eines außerparlamentarischen Drucks, um die Bundesregierung zum Handeln zu bewegen.
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Ich sage, es ist ein sogenanntes Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, denn schon der Titel ist irreführend. Es handelt sich nicht um ein Aufschwungprogramm, sondern um ein Programm, das allenfalls zu einer teilweisen sozialen Abfederung der Krise in den östlichen Ländern führen wird. Das heißt nicht, daß wir nicht auch erwarten, daß von den Sanierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und den Infrastrukturinvestitionen positive Wirkungen ausgehen. Insoweit ist dem Maßnahmenkatalog aus unserer Sicht durchaus zuzustimmen, aber Sanieren und Qualifizieren bleibt letztlich sinnlos, wenn es sich dabei um einen zwar wichtigen, aber nur vorübergehenden therapeutischen Effekt für die betroffenen Menschen handelt und wenn aus diesem Programm keine wirkliche Perspektive erwächst, eine Perspektive in dem Sinne, daß moderne internationale wettbewerbsfähige Produktionsstätten in der gewerblichen Wirtschaft und in der Landwirtschaft entstehen, eine Perspektive, die denen, die heute qualifiziert werden oder noch qualifiziert werden sollen, auch deutlich werden müßte.
Hier hat die Bundesregierung nichts zu bieten außer vagen Erwartungen - wie es im Jahreswirtschaftsbericht heißt -,
... daß die wirtschaftlichen Auftriebskräfte im weiteren Verlauf des Jahres auf niedrigem Niveau und bei stark geänderter Produktionsstruktur allmählich die Oberhand gewinnen werden. Wann die Talsohle überwunden sein wird, läßt sich jedoch nicht vorhersagen.
Hier schimmert die Grundauffassung durch, daß es der Markt schon richten werde. Ich bin jedoch überzeugt, daß die verantwortlichen Kräfte in der Bundesrepublik letztlich nicht einem so naiven Glauben an die Marktkräfte anhängen, wie es in diesen Worten zum Ausdruck kommt. Ich denke, Sie wissen sehr wohl, daß der fortschreitende Prozeß der Entindustrialisierung nur mit staatlicher Intervention zugun1436
sten der DDR-Industriestandorte aufzuhalten ist. Genau an diesem Punkt steht die Regierung im Dilemma. Einerseits muß sie versuchen, den sozialen Protest in der Ex-DDR einigermaßen abzufangen und zu kanalisieren. In diesem Fall sind sogar die Gewerkschaften willkommen. Andererseits darf sie sich nicht mit ihren Freunden, mit ihren - um es vorsichtig zu formulieren - politischen Wegweisern in den westdeutschen Konzernzentralen anlegen. Denn es ist völlig klar: Wenn das Marktvolumen nicht über die 16 Millionen Neubürger hinauswächst und solange Osteuropa wegen fehlender kaufkräftiger Nachfrage als Markt ausfällt, bedeutet staatliche Intervention für Produktionsstandorte im Osten, daß man die Gesamtproduktionsmenge teilen muß, d. h. auf mehr Märkte, auf mehr Anbieter und auf mehr Wettbewerb aufteilen muß und damit auch möglicherweise sinkende Gewinne pro Unternehmen in Kauf nehmen muß.
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Dies kann nicht im Interesse der westdeutschen Industrie liegen. Dagegen hat die Ost-West-Wanderung von qualifizierten Fachkräften und von jungen leistungsfähigen Menschen durchaus Vorteile für die westdeutsche Wirtschaft. Der Druck auf den Arbeitsmarkt bleibt erhalten, berechtigte Einkommensforderungen der Gewerkschaften können begrenzt werden, und weitere Deregulierungen können durchgesetzt werden. Der Bankrott dieser Politik wird kommen. Aber wir als einzige noch konsequente Opposition verstehen unsere Aufgabe dennoch darin, Alternativen aufzuzeigen und auch Maßnahmen vorzuschlagen, die zur Stabilisierung und zur Verbesserung der sozialen Lage beitragen können.
Ich möchte an erster Stelle sagen: Der Mammutkonzern im Gewande einer Behörde, genannt Treuhand, muß aufgelöst werden. Das gesamte Volksvermögen der ehemaligen DDR muß bis auf die Bereiche, in denen eine gezielte staatliche Industriepolitik betrieben werden muß, altschuldenfrei auf Länder und Kommunen übertragen werden. Dort kann man sehr viel besser aus Bürger- und aus Arbeitnehmersicht entscheiden, wie das Eigentum verwertet werden kann. Jeder, der sich in den östlichen Bundesländern umgesehen und umgehört hat, wird bereits damit konfrontiert worden sein, wie über die schleppende Behandlung von Sanierungsplänen und Konzepten bei der Treuhand geklagt wird, wie Vorgänge hin- und hergeschoben werden und daß kein Vorwärtskommen zu erkennen ist.
Deshalb müssen die bezirklichen Treuhandstellen sofort den Ländern übertragen werden. Diese müssen in der Lage sein, endgültig über die Verwendungen des Eigentums zu entscheiden, und sie müssen, wo immer das sinnvoll und möglich ist, die Entscheidungsstrukturen noch weiter dezentralisieren, indem sie die Gemeinden und die Kreistage usw. einbeziehen.
Es sollten dann nur noch diejenigen struktrubestimmenden Unternehmen solcher Schlüsselindustrien wie Stahl, Werften, Maschinenbau, Chemie, Bergbau und Textilindutrie im zentralen Treuhandbereich verbleiben, die im Rahmen eines industriellen Aufbaukonzepts, im Rahmen von Branchenkonzepten, getragen vom Bund und den jeweils betroffenen Ländern, bei paritätischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer gemeinsam einer Modernisierung zugeführt werden müssen. Ohne ein industrielles Konzept wird Ostdeutschland der Sizilianisierung nicht entgehen.
Eine Industriepolitik muß in erster Linie die Anlagenmodernisierung im Auge haben. Aber wir meinen, daß die Bundesregierung auch vorübergehend marktregulierende Maßnahmen, wo notwendig, in Abstimmung mit der Europäischen Gemeinschaft, einführen muß. Es muß dabei um Zielmarken für bestimmte Branchen gehen. Zum Beispiel müßte über eine Interventionsmarke für die Stahlindustrie geredet werden, die, grob formuliert, beinhaltet, daß auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ca. 7 Millionen t Rohstahl oder etwa 15 % der Rohstahlmenge der gesamten Bundesrepublik auch künftig geschmolzen werden. Dies ist so neu nicht. Wir haben das hier im Westen jahrelang gehabt. Hier wurden Mengen und Preise im Rahmen des EGKS-Vertrages reguliert. Das hat den Unternehmen gutgetan, und das ist auch den Regionen und den Menschen, die in den Stahlrevieren leben, gut bekommen.
Man muß einen Interventionspunkt für die Textilindustrie finden, der als untere Linie für Produktionsmengen und für Beschäftigung gesetzt wird. 40 % der Arbeitsplätze in der Textilindustrie sind bereits innerhalb eines Jahres vernichtet worden. Ohne weitere Interventionen werden noch einmal über 100 000 Arbeitsplätze, vor allem Frauenarbeitsplätze, verlorengehen. In der Oberlausitz und in etlichen Regionen des Erzgebirges werden dann endgültig die Lichter ausgehen.
Ich könnte die Reihe der Beispiele fortsetzen. Die Regulierung von Märkten in der Bundesrepublik Deutschland und in der Europäischen Gemeinschaft hat eine lange Tradition. Kohle, Stahl, Agrarwirtschaft und die Textilindustrie selbst sind dafür die besten Beispiele.
Zweitens. Die industriepolitische Konzeption muß mit Umweltpolitik und mit Forschungspolitik verknüpft werden. Dies gilt insbesondere für die chemische Industrie. In Bitterfeld und Wolf en, in Leuna, Buna, Böhlen und Priesteritz müssen Umweltsanierung, Forschungsaktivitäten für neue Produktlinien und Anlagenmodernisierung in einem Gesamtkonzept zusammenfließen. Gegen die Großchemie der alten BRD gibt es ohne staatliche Unterstützung in einem mittelfristigen Zeitraum keine Chane, es sei denn, man würde das Zusammenschrumpfen der ehemals riesigen Kombinate auf die Größe von Kleinunternehmen als eine Perspektive ausgeben.
In diesem Zusammenhang muß auch das wissenschaftliche Potential der ehemaligen DDR angesprochen werden; denn seit Monaten wird in Universitäten und Hochschulen, in Instituten der verschiedenen Akademien und in der Industrie über Abwicklung gestritten, Unsicherheit über künftige Arbeit verbreitet und die wissenschaftliche Arbeit in hohem Maße lahmgelegt. Dies gilt auch für den naturwissenschaftlichen Bereich. Die notwendige Unterstützung von Innovationen, Technologie und Erzeugnissen durch Wissenschaft wird damit gebremst. Diese Situation
gilt es sofort zu beseitigen und die wissenschaftlichen Kapazitäten für den wirtschaftlichen Aufschwung einzusetzen.
Drittens. Investitionszulage, Sonderabschreibungen und insgesamt Maßnahmen der indirekten Investitionslenkung sind schön und gut gedacht, nur letztlich verfehlt, wenn die aus den Investitionen resultierenden Produktionseffekte in die westlichen Länder gehen, wie es der Jahreswirtschaftsbericht in den Perspektiven für 1991 ausweist. Daher schlagen wir eine Staffelung für die Gewährung von Finanzbeihilfen und von Steuererleichterungen für Investitionsmaßnahmen vor. Diese Staffelung soll davon abhängig sein, in welcher Größenordnung tatsächlich Arbeit für die Investitionsgüter und Dienstleistungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR vergeben wird. Damit könnte eine Stärkung des wirtschaftlichen Binnenkreislaufes auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erreicht werden.
Viertens. Als weitere Finanzierungsquelle für Investitionsmaßnahmen im Osten ist das Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft vom 7. Januar 1952 wieder einzuführen. Der damals einmal aufzubringende Betrag - übrigens war das Gesetz auf Vorschlag der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände zustande gekommen - betrug 1 Milliarde DM. Dieser Betrag würde heute, entsprechend der gestiegenen Wirtschaftskraft, eine Summe von ca. 17 Milliarden DM ergeben.
Fünftens. Zur Exportsubventionierung wie überhaupt zur Stärkung vor allem des traditionellen Osthandels hat die PDS schon einiges an Vorschlägen gemacht. Ich will das hier um einen konkreten Vorschlag ergänzen: Herr Minister Möllemann, Sie sollten darüber nachdenken, inwieweit es nicht sinnvoll wäre, im Rahmen einer energiewirtschaftlichen Konzeption, die Sie ja angekündigt haben, eine kräftige Steigerung des Anteils von Erdgas am Primärenergieverbrauch in der ehemaligen DDR durchzusetzen. Dieser Erdgasanteil lag im Vergleich zur alten Bundesrepublik Deutschland ohnehin nur auf dem Niveau von etwas mehr als der Hälfte. Jede zusätzliche Menge Erdgas, die aus der Sowjetunion bezogen würde, würde eine Erhöhung des Devisenfonds der Sowjetunion bedeuten, die damit wiederum Erzeugnisse aus der ehemaligen DDR, die sie dringend braucht, beziehen könnte, ohne sich immer weiter verschulden zu müssen. Ein solcher Weg würde beiden Handelspartnern, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, Vorteile bringen.
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Sechstens. In Ergänzung der sozialpolitischen Flankierung des Umbruchs in der ehemaligen DDR sollte für die gesamte Wirtschaft die Frühpensionierung ab 55 Jahre ermöglicht werden. Wir sind gegen Sonderopfer für Beamte; aber wir sind für die Arbeitsmarktabgabe aller Erwerbstätigen einschließlich der Beamten, der Angestellten, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, und der Selbständigen. Die Arbeiter und Angestellten hatten bereits Opfer zu erbringen, indem sie das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium ABM, das im Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost kräftig ausgedehnt wurde, durch die
Erhöhung ihrer Beiträge letztlich finanzieren. Die Arbeitsmarktabgabe, nicht die Beamtenzulage für hohe und höchste Staatsdiener, die im Osten eingesetzt werden, ist das Gebot der Stunde.
Eine 55er-Regelung, wie sie im Westen bei Kohle und Stahl üblich ist, ließe sich auf diese Weise in Angriff nehmen. Ich denke, wenn alle Teile der Gesellschaft, die Wirtschaft, die Selbständigen und die Beamten, ihr besonderes Scherflein für den Aufbau des Ostens beitragen würden, wie es die Arbeiter und Angestellten es bereits jetzt tun, dann, aber auch nur dann hätten Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, das Recht, über tarifpolitische Überlegungen für eine Solidaritätsabgabe zu reden - ich glaube, dann kann man auch darüber reden -, die im übrigen, wenn sie geschaffen würde, auch in Fonds für Frühpensionierungsmaßnahmen einmünden könnte.
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Als der Herr Verteidigungsminister vor einigen Jahren einen Beförderungsstau bei Offizieren ausgemacht hatte, war die Regierung mit Frühpensionierungen von Offizieren schon ab 45 Jahren fix bei der Hand. Ein Chemiearbeiter in Wolfen, der seine Gesundheit in der Zellulosefertigung gelassen hat, muß in die Arbeitslosigkeit, auch wenn er schon Mitte 50 ist.
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Hier sind angesichts der Massenarbeitslosigkeit großzügige Regelungen sinnvoll. Ältere Arbeitnehmer, auf freiwilliger Basis selbstverständlich, in die Frühpensionierung, Arbeit für die jungen, das wäre eine sinnvolle Ergänzung zur Wirtschaftspolitik.
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Die Vertreter der PDS/Linke Liste glauben natürlich nicht, daß diese Regierung soziale Politik und Politik zugunsten der arbeitenden Menschen in Gang setzt, wenn auf der anderen Seite mächtige Kapitalinteressen im Spiel sind. Ich habe eingangs bereits auf den Zusammenhang zwischen dem Druck von unten aus den östlichen Ländern und der leichten Kurskorrektur hingewiesen. Ich denke, so wird es auch mit unserer Forderung nach einer aktiven Industriesanierungspolitik gehen, einer Forderung, die von den Gewerkschaften ebenso erhoben wird wie von der SPD. Eine Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik wird nur kommen, wenn der Druck der Straße, der Druck in den Betrieben wieder zunimmt.
Nach der Wahnsinnstat von politischen Wirrköpfen gegen den Chef der Treuhand glaubt die Regierung, die ihr unliebsamen Demonstrationen und die Aufrufer diskreditieren zu können, leider nicht ganz ohne Erfolg.
Die Gewerkschaften - auch das will ich sagen - eiern herum. Ein Teil gibt sich mit den wenigen Tropfen sozialen Öls durch das sogenannte Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost zufrieden, andere haben zu Recht nach wie vor zu Montagsdemonstratio1438
nen aufgerufen. Solche Uneinigkeit läßt viele Menschen resignieren.
({7})
Aber bei aller Kritik, die wir an einem Teil der Gewerkschaften haben, was ihre augenblicklich zurückhaltende Rolle als soziale Bewegung für die abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen in dieser Gesellschaft betrifft, ist es unerträglich, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Herr Friedrich Bohl, die ÖTV und die IG Metall angeht. Der Brief an die Vorsitzende der ÖTV, an die Kollegin Wulf-Mathies, beweist, daß der Herr Bohl, wie das Herbert Wehner einmal formulierte, gut beraten wäre, die Bauzeichnung unserer Demokratie noch einmal zu studieren.
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- Lieber Herr Kollege, ich habe schon so viele Demonstrationen und Streiks organisiert, daß ich mir erlauben kann, davon zu reden.
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- An Ihrer Sprache merkt man, daß Sie aus dem tiefsten Bayern kommen. Sie sollten bei meiner Rede gehört haben, daß ich aus Niedersachsen komme.
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Im Rahmen der Möglichkeiten, die wir hatten, konnten wir dort in den letzten Jahrzehnten in der Tat politische und auch gewerkschaftliche Demonstrationen organisieren.
({11})
Vielleicht lassen Sie sich da einmal aufklären.
Ich bleibe dabei: Herbert Wehner hat auf die Bauzeichnung - ({12})
Herr Abgeordneter Hinsken, Sie haben zur Zeit nicht das Wort, worauf ich Sie aufmerksam machen muß.
Bitte schön, fahren Sie fort.
Ich wiederhole: Herbert Wehner hat auf die Bauzeichnung unserer Demokratie hingewiesen. Für mich ist wichtig - das sollte für uns alle so sein - , daß auch Demonstrationsrecht Freiheitsrecht ist. Auch das Streikrecht ist Freiheitsrecht. Diese Demonstrationen und Streiks waren nicht nur gut, um Demokratie gegen den SED-Staat zu erkämpfen; sie sind auch gut dafür, die demokratischen
Rechte gegen solche antidemokratischen Gesinnungen wie die des Herrn Bohl zu verteidigen.
({0})
Wer so wütend wie der Herr Bohl auf die Gewerkschaften eindrischt, muß gewichtige Gründe haben; er muß selber fürchterlich unter Druck stehen. Das wiederum kann ich begreifen: Wer den Auftrag hat, einen Kanzler abzudecken, der nicht mehr wagen kann, sich unter das Volk zu begeben, das ihn gewählt hat, muß zwangsläufig Entlastungsangriffe starten.
Die SED-Clique mag das Volk 40 Jahre lang betrogen haben. Das rechtfertigt aber nicht einen einzigen Wahlbetrug in einem demokratischen Rechtsstaat.
({1})
Die direkte Methode des Egon Krenz oder die Ihre: Da gibt es natürlich Riesenunterschiede, aber Wahlbetrug bleibt Wahlbetrug.
Sie haben vier Jahre Zeit, um zu beweisen, daß Sie die Weichen für die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Deutschland richtig gestellt haben. Wenn Sie allerdings nicht zu einer Kurskorrektur Ihrer Wirtschaftspolitik kommen und wenn Sie den Menschen im Osten nicht mit aktiver Industriepolitik eine Chance geben, werden Sie scheitern.
({2})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Grünbeck das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bevor ich zum Jahreswirtschaftsbericht komme, möchte ich Ihnen, Herr Roth, gerne in einem ernsten und in einem heiteren Satz widersprechen.
Sie haben uns, den Koalitionsfraktionen, in einer pauschalen Art den Vorwurf gemacht, wir würden die Bürger der neuen Bundesländer beschimpfen. Ich weise diesen Vorwurf mit großer Entschiedenheit zurück.
({0})
- Ich weise den Vorwurf mit Entschiedenheit zurück!
Ich weise auch den Vorwurf von Herrn Henn zurück, der dem Wirtschaftsminister das gleiche unterstellt hat. So können wir mit Sicherheit nicht zusammenarbeiten. Im Gegenteil, ich sage Ihnen als Unternehmer, der dort drüben seit Jahrzehnten Verbindungen pflegt und sie auch jetzt aktiviert, daß wir alle aufgerufen sind, jegliche Diskriminierung unserer Bundesbürger in den neuen Bundesländern zu unterlassen und ihnen Vertrauen entgegenzubringen.
({1})
Nun ein heiteres Wort. Daß ausgerechnet Sie, Herr Roth, den ich manchmal wegen seiner marktpolitischen Konzeptionen bewundere, den ich bewundere, weil er so beweglich ist, heute die alte Modrow-Kiste
ausgegraben und gesagt haben, wir hätten pauschalierte Unterstützungsbeträge zahlen sollen,
({2})
verführt mich eigentlich zu der humorvollen Feststellung: Sie haben sich von Marx noch nicht gelöst, Sie sind noch immer beim Murks. Wir sind beim Markt, und das ist Ordnung. Das ist unser Prinzip.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung belegt es: Trotz immer stärker werdender Vernetzung aller ökologischen und wirtschaftlichen und insbesondere auch währungspolitischen Fakten hat die Bundesrepublik Deutschland die gegebenen Herausforderungen national und international bestanden. Ich begrüße ganz besonders die heute nacht getroffene Entscheidung, daß man die Telekom-Gebührenerhöhungen abgelehnt und wieder zu vernünftigen Lösungen zurückgefunden hat.
({4})
Wir werden die um 80 % höheren Tarife in den neuen Ländern zurückschrauben. Das ist ein Signal des Vertrauens und der konstruktiven Zusammenarbeit aller.
({5})
Die konjunkturelle Entwicklung unserer Wirtschaft war - getragen vom großen Aufbauwillen der ersten Nachkriegsgeneration und bei großen sozialen und ökologischen Herausforderungen in der zweiten Nachkriegsgeneration - einmalig in der ganzen Welt. Wir waren konstant erfolgreich. Wenn es auch kurze und nicht immer erfreuliche regionale oder sektorale Konjunktureinbrüche gegeben hat, so war insgesamt der Wiederaufbau der bundesdeutschen Wirtschaft eine in der ganzen Welt anerkannte und einmalige Leistung.
Diese gute wirtschaftliche Entwicklung wurde von einer Steuer-, Finanz- und Währungspolitik, die gerade die Bedeutung der Geldwertstabilität für ein Exportland wie die Bundesrepublik Deutschland belegt hat, sowie von einer Wirtschaftspolitik begleitet, deren Markenzeichen die marktwirtschaftliche Orientierung ist und die darauf ausgelegt war und ist, die Wachstumskräfte zu stärken.
Im Jahre 1990 standen in den alten Budesländern nahezu 30 Millionen Menschen in Beschäftigung. Nie war der Beschäftigungsstand höher. Nie wurde ein solches Wohlstandsniveau erreicht. Die FDP steht in
besonderem Maße für diesen klaren marktwirtschaftlichen Kurs.
({6})
Wenn Sie mir erlauben, hier einzufügen, daß gerade Graf Lambsdorff für diesen ordnungspolitischen Kurs hohe Verantwortung übernommen hat, dann bitte ich Sie um Zustimmung, daß wir unserem Graf Lambsdorff die besten Genesungswünsche ins Krankenhaus übermitteln.
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Die sozialen Leistungen, die diese Politik ermöglicht hat, suchen auf der Welt ihresgleichen. Ich darf hinzufügen, daß gerade aus Ihren Kreisen immer wieder die Adresse an uns gerichtet wird, wir seien eine Partei der sozialen Kälte. Wo eigentlich gibt es mehr soziale Wärme als hier, wo durch höchste Beschäftigung bei Geldwertstabililtät für alle Bürger eine solche soziale Wohlstandsgesellschaft errichtet werden konnte? Das ist nicht soziale Kälte, sondern soziale Gerechtigkeit!
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Aus diesem Ergebnis kann abgeleitet werden, daß wir nicht nur die großen Herausforderungen im Hinblick auf die neuen Bundesländer, sondern auch im Hinblick auf die übrigen östlichen Nachbarländer bestehen werden. Daß dies eine große, eine einmalige, eine schwierige Aufgabe ist, wird überhaupt nicht bestritten. Daß es dafür auch keine Patentrezepte und keine Lehrbücher gibt, wissen wir alle. Es gibt in der Geschichte der Wirtschaftspolitik kein Beispiel für die Umstellung von einer dirigistischen Planwirtschaft oder - besser gesagt - einer sozialistischen Mißwirtschaft zu einer sozial und ökologisch ausgerichteten Marktwirtschaft.
Schwierigkeiten müssen überwunden werden. Das kann man nicht mit Katastrophenmeldungen, mit vordergründigen Demonstrationen oder mit einer undisziplinierten Tarifpolitik schaffen. Vielmehr ist jetzt für diese Herausforderung die Solidarität aller Parteien, aber auch der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter, der Gewerkschaften, der Kirchen und aller anderen politisch relevanten und gesellschaftspolitisch wichtigen Gruppierungen gefordert.
Wir müssen einmal festhalten: Auch in der westlichen Welt gibt es kein Land, das alle wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen sowie währungspolitischen Herausforderungen erfolgreicher bestanden hätte als diese Bundesrepublik Deutschland.
Die deutsche Einheit wurde von uns allen ersehnt. Als sie vollzogen war, wurde sie bejubelt. Nun müssen wir alle uns dieser einmaligen Herausforderung stellen.
Der europäische Binnenmarkt wird in naher Zukunft Wirklichkeit. Die Europäische Gemeinschaft erhält dadurch eine neue weltwirtschaftliche Bedeu1440
tung, aber auch eine gesamtwirtschaftliche Verantwortung. Wenn man erkennt, daß durch diese deutsch-deutsche Entwicklung, durch den europäischen Binnenmarkt und durch die Entwicklungen in den osteuropäischen Ländern die Probleme immer größer und schwieriger werden, wenn man dabei berücksichtigt, daß auch weltweit sehr viel in Bewegung geraten ist, und wenn man spürt - wer könnte das unmittelbar nach Beendigung des Golfkrieges leugnen? - , wie weltweit vernetzt die Probleme sind und wie notwendig eine dauerhafte friedliche Lösung ist, dann muß man feststellen, daß es in der Wirtschaftsgeschichte kein vergleichbares Beispiel einer derartigen Herausforderung gegeben hat und daß dies nur zu machen ist, wenn wir das Gegeneinander in unserer Gesellschaft abbauen und das Miteinander, ja, das Füreinander ausbauen.
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Eine ganz besondere Problematik ist dabei die ökologische Herausforderung, die durch die weltweite Klimakonferenz zum Schutz der Erdatmosphäre deutlich geworden ist. Darüber hinaus zeigt sich, daß Reinhaltung von Wasser und Luft, daß Strahlenschutz oder Katastrophenschutz in nationalen Grenzen allein nicht ausreichend zu sichern sind. Hier müssen Grenzen überwunden und internationale Verabredungen und Verträge geschlossen werden.
Aber auch hier zeigt sich, daß die Bundesrepublik Deutschland die Herausforderung dynamisch aufgegriffen hat und heute sowohl bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch bei der Umsetzung von Umweltforschungsergebnissen in praxisorientierte Umweltprojekte eine Vorreiterrolle übernommen hat. Kein einziges Land auf dieser Welt ist auf diesem Gebiet soweit wie wir. Unsere immer größer werdende Sorge ist eigentlich, daß wir unsere westlichen Nachbarn immer stärker davon überzeugen müssen, daß diese ökologische Herausforderung europäisch bestanden werden muß und daß auch in unseren Nachbarländern die Umsetzung gleichermaßen erfolgen muß.
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Wir wissen, daß es nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern insbesondere in allen östlichen Nachbarstaaten bis tief hinein in die Sowjetunion riesige ökologische Probleme gibt, weil man über Jahrzehnte hinweg diese Frage völlig vernachlässigt hat. Daß dies alles nicht nur eine organisatorische, politische und ökologische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung darstellt, wissen wir alle. Daß nicht alles auf einmal geht, wissen wir auch.
Es wird jetzt darum gehen, bei der Umweltpolitik in den neuen Bundesländern, aber auch in allen anderen östlichen Staaten Prioritäten zu setzen. Man wird überflüssige Forschungsprojekte fallenlassen oder zurückstellen müssen, wenn man die ökologische Herausforderung wirklich ernst nehmen will und einen Generationenvertrag konstruiert, der den jungen Menschen in Deutschland, aber auch in ganz Europa Vertrauen in die Zukunft gibt, indem sie erkennen, daß wir nicht die Natur ausplündern und die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen einschränken dürfen.
Dabei wird die Energieversorgung gerade in den neuen Bundesländern eine besondere umweltpolitische Herausforderung werden. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar, daß er bereits jetzt angekündigt hat, ein neues Energiekonzept vorzulegen, das dann schnellstmöglich zur parlamentarischen Beratung ansteht und als neue Konzeption unserer zukünftigen Energiepolitik dienen wird. Wir müssen eine ausreichende, umweltverträgliche und auch preiswerte Energieversorgung für die Weiterentwicklung unserer wirtschaftlichen Grundlagen zur Verfügung haben. Dabei wird der Abbau von Subventionen, dem sich der Wirtschaftsminister dankenswerterweise mit aller Kraft und Entschlossenheit zugewandt hat - wobei er von der FDP-Fraktion voll unterstützt wird - , natürlich eine Herausforderung sein, die wir bestehen müssen.
Den marktwirtschaftlichen Kurs halten - das haben uns die Sachverständigen empfohlen, und sie haben den Auftrag dazu erteilt. Die Sachverständigen warnen davor, sich dem Irrglauben hinzugeben, daß durch überhastete Aktionen und durch immer neue staatliche Fördermaßnahmen der erwünschte Beschäftigungserfolg eintreten könnte. Wir können mit unseren staatlichen Hilfen eine Anschubwirkung auslösen; aber getragen werden muß der Aufschwung von den Unternehmen und ihren Arbeitskräften, von den Selbständigen und den Verwaltungen in den neuen Bundesländern.
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Dabei müssen wir uns ganz klar darüber sein - meine Damen und Herren, lassen Sie mich das mit aller Entschiedenheit darlegen - , daß der Schutz von unrentablen Unternehmen und unrentablen Arbeitsplätzen den Strukturwandel nur verzögern oder gar blockieren wird.
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Wir alle sollten Lehren aus den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in allen anderen westlichen und östlichen Ländern ziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Soziale Marktwirtschaft ist keine Veranstaltung für Schönwetterperioden. Sie löst sicher nicht alle Probleme; aber es gibt kein besseres System.
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Dazu bekennen wir uns, und wir begrüßen den Abbau von Subventionen.
Wir begrüßen ebenso, Herr Bundesminister, die Ankündigung, auch die Deregulierung ernst zu nehmen. Meine Damen und Herren, wer alles reguliert, wer alles regelt, wer alles dem Staat zuordnet, der wird die marktwirtschaftlichen Kräfte schwächen und aushöhlen.
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Ich kann davor nur warnen, denn der eingangs meiner
Ausführungen geschilderte Erfolg der wirtschaftliJosef Grünbeck ({15})
chen, sozialen und ökologischen Entwicklungen in unserer Bundesrepublik war nur möglich, weil wir immer wieder den marktwirtschaftlichen Kurs gehalten haben. Das empfehlen uns die Sachverständigen; das beweisen unsere Ergebnisse. Daher sollten wir uns auch dazu bekennen, und wir sollten nicht bei jeder Gelegenheit diesem bewährten System untreu werden.
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Noch einige grundsätzliche Ausführungen zu den Entwicklungen in den neuen Bundesländern. In den letzten Wochen geisterten - das gilt auch für die heutige Debatte - die Worte „Privatisierung oder Sanierung" durch die öffentliche Diskussion. Mir fehlt bis jetzt die Erwähnung und die Erklärung der Bedeutung einer Entflechtung der Kombinate. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es ganz wesentlich ist, daß wir der Entflechtung der Kombinate eine große Bedeutung beimessen. Hier müssen selbständige unternehmerische Einheiten unabhängig von der Größe geschaffen werden, die aus dem planwirtschaftlichen Denken eines Kombinats herausführen, von der sozialistischen Mißwirtschaft Abschied nehmen und zu leistungsorientierten und wettbewerbsfähigen Unternehmensstrukturen übergehen.
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Ich schließe mich den Ausführungen der Sachverständigen ausdrücklich voll an, nach denen die Aufgabe der Treuhandanstalt weiterhin vorrangig die Privatisierung sein muß. Die Privatisierung ist der Weg zur Sanierung. Sanierungshilfen der Treuhandanstalt können aber da berechtigt sein, wo es darum geht, privatisierungsfähige Unternehmen in ihrem Bestand zu sichern.
Herr Abgeordneter Grünbeck, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heuer zuzulassen?
Wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird, ja.
Ich rechne Ihnen die Zeit nicht an, Herr Abgeordneter. - Bitte sehr.
Herr Abgeordneter, Sie haben eben das Sachverständigengutachten sehr lobend hervorgehoben. Was meinen Sie denn zu folgender Feststellung in der „Frankfurter Rundschau" vom 16. April:
Das „Laborstübchen DDR" als oberstes Stockwerk des wissenschaftlichen Elfenbeinturms ideologisch verblendeter Wettbewerbstheoretiker - das ist wohl so ungefähr das letzte, was verantwortliche Politiker im Kampf gegen den Untergang einer ganzen Volkswirtschaft brauchen können.
Ich berichte ja hier über das Sachverständigengutachten.
({0})
Das war aber ein Kommentar zum Sachverständigengutachten. Mit diesem Kommentar lasse ich Sie allein.
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Zur Treuhandanstalt selbst ist zu sagen, daß nach meiner Auffassung hier eine Änderung der Organisationsstruktur dringend notwendig ist. Das ist dann die Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege.
Es hat sich in den letzten Monaten gezeigt - das wurde auch an Hand von vielen praktischen Beispielen belegt und bewiesen; das soll überhaupt keine Kritik an einzelnen Personen in der Treuhandanstalt sein - , daß das jetzige Organisationssystem dazu führt, daß die Verhandlungen selber unendlich lange dauern, was bei den investitionswilligen Verhandlungspartnern immer mehr Frust auslöst und schließlich zur Resignation führt. Tausende von investitionswilligen Unternehmern haben ihre Verhandlungen beendet und zeigen auch keine besondere Aktivität, neue Verhandlungen aufzunehmen, wenn sich nicht die Struktur der Treuhandanstalt und ihre Bewertung der Unternehmen und der Zukunft der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter am marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen orientieren.
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Die Regelung, daß nicht alle Entscheidungen auf Vorstandsebene fallen müssen, die Beschleunigung der Entscheidungsverfahren, eine bessere Bewertung der unternehmerischen Substanz und eine branchenkundige Entscheidungsebene für die Zukunftsaussichten der Unternehmen - das müßten die Eckpfeiler einer neuen Organisationsstruktur der Treuhandanstalt werden. Wenn dann die Logistik zwischen den Entscheidungsträgern und -ebenen verbessert wird und damit qualifizierte und rechtzeitige Entscheidungen zustande kommen, wird es eine schnelle Neubelebung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern geben.
Wir sollten unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung, diese bestehende Infrastruktur der Unternehmen nützen, insbesondere die bestehenden Verbindungen zu den ehemaligen RGW-Ländern auszubauen. Das kann eine gute Brücke sein, die sich hier anbietet und über die wir die vielfältigen Verbindungsstrukturen zu den östlichen Nachbarstaaten nutzen sollten.
Wir müssen auch achtgeben, meine Damen und Herren, auf die vielen neuen Existenzgründungen, wo mutig und entschlossen gerade kleine und mittlere Betriebe einen neuen Start gewagt haben. Ich bin fest davon überzeugt, daß das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost gerade hier eine wertvolle Hilfe leisten kann, vor allem dann, wenn die zur Verfügung stehenden Finanzmittel jetzt nicht in hektischem Aktionismus insbesondere in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einfließen, sondern eine vernünftige Projektierung stattfindet, die durch beschränkte Ausschreibungen für die Unternehmen in den neuen Bundeslän1442
dern zu Aufträgen für die kleinen und mittleren Betriebe führen kann.
Es muß in diesem Zusammenhang betont werden, daß gerade unsere Konjunktur durch die Wiedervereinigung und durch die Veränderungen im östlichen Europa eine gewaltige Belebung erfahren hat, die in bestimmten Branchen teilweise schon an Überhitzungstendenzen heranreicht. Wer das nicht glaubt, dem könnte ich die Auslastung der Kapazitäten und die damit verbundenen langen Lieferzeiten für bestimmte Produkte nachweisen. Das kann aber auf die Dauer gesehen keine ausgewogene Wirtschaftspolitik sein. Wir müssen dafür sorgen, daß die neuen Bundesländer nicht zu einer Region reiner Handelswege, sondern zu einer Region von Produktionsstrukturen ausgebaut werden, damit sich die Beschäftigtenzahl dort wirklich verbessert.
In diesem Zusammenhang unterstützen wir den Bildungsminister und seine Offensive, möglichst allen jungen Menschen in den neuen Bundesländern einen Ausbildungsplatz sicherzustellen.
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Da ist die Zusammenarbeit mit unserem Wirtschaftsminister ausreichend.
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- Überall, Herr Wissmann. Das wissen Sie und bemerken es öfter mit Wohlwollen.
Abschließend darf ich noch einmal betonen, daß die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre nur dann erfolgreich fortgesetzt werden kann, wenn der Investitionsstandort Bundesrepublik Deutschland
- da schließe ich die alten wie die neuen Bundesländer ein - im internationalen Wettbewerb bestehen kann. Die deutsch-deutsche Entwicklung, die osteuropäische Entwicklung, insbesondere aber der europäische Binnenmarkt machen dies zu einer sehr schwierigen Herausforderung. Um so wichtiger ist es, die geplante Unternehmenssteuerreform wirklich bald zur Entscheidung zu bringen. Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land mit den höchsten Steuern für die Unternehmen. Wir sind das Land mit den kürzesten Arbeitszeiten. Wir haben eine positive Qualifikation und eine hohe Infrastruktur vorzuweisen.
Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb die Ausführungen im Jahreswirtschaftsbericht und fordert alle Kräfte auf, das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung fällt in eine Zeit der wirtschaftspolitischen und wirtschaftlichen Neuorientierung. Der rasante Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft hat die Bundesregierung nach und nach gezwungen, sich zu bewegen, sich den Vorschlägen und Forderungen der
Opposition anzunähern. Die Bundesregierung - das sei anerkennend bemerkt - hat sich vom blindwütigen Marktfeteschismus Schritt für Schritt verabschiedet.
Wenn man sich einmal vergegenwärtigt, mit welchen Aussagen die Bundesregierung, insbesondere der damalige Wirtschaftsminister und der damalige und heutige Bundeskanzler, im Vorfeld der Wirtschafts- und Währungsunion durch die deutschen Lande zog und den DDR-Bürgern - ich zitiere Herrn Haussmann - endlich „richtiges Geld" versprach, dann möchte man meinen, das sei alles viel länger als nur ein Jahr her.
Heute jedenfalls klingen der neue Wirtschaftsminister und der alte Kanzler ganz anders. Sie werden es vermutlich nicht gern hören und uns der Rechthaberei bezichtigen, doch diese Regierung hat mit der übereilt durchgepeitschten Währungsunion und mit ihrer monatelangen Untätigkeit in der Folgezeit den Karren der ostdeutschen Wirtschaft so tief wie nur irgend möglich in den Schlamassel gefahren. Daß das mit teilweiser Unterstützung der SPD geschah, entlastet die Regierung nicht und sollte die Sozialdemokraten vielleicht zu einer etwas selbstkritischeren Haltung veranlassen. Wir von den Bürgerbewegungen/GRÜNEN können keine Freude daran empfinden, mit unseren Warnungen vor den Folgen der Währungsunion recht gehabt zu haben. Unsere Warnungen und Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Aber glücklich macht uns das nicht.
Nachdem der Bund mit der Verbesserung der Investitionsförderung, dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost und der Revision des Treuhandauftrags nun einige notwendige Korrekturen seiner Politik eingeleitet hat, treten die sogenannten fünf Weisen auf den Plan und rufen: Jetzt reicht es. Der Staat solle den Marktkräften nicht ins unsichtbare Handwerk pfuschen, sonst werde der Aufschwung Ost ernstlich gefährdet.
Auf der anderen Seite mehren sich die Anzeichen, daß die ostdeutsche Krise keine Übergangskrise, sondern von Dauer ist, daß nach der SED-Mißwirtschaft nun der schmerzhafte Prozeß der Anpassung an die Marktwirtschaft der ostdeutschen Wirtschaft weitere tiefe Wunden schlägt, daß der wirtschaftliche Aufholprozeß quälend lange dauern wird und ohne massive staatliche Unterstützung, die den Marktkräften auf die Sprünge hilft, kaum vorankommen wird. Der Weg aus der Krise ist offenbar ebenso lang wie der Weg, der in die Krise geführt hat.
Wenn man die wesentlichen Aussagen des Jahreswirtschaftsberichts, des Sachverständigenrates und der IWG-Studie über die wirtschaftlichen Aussichten der neuen Bundesländern zusammennimmt, könnte das Ergebnis lauten: Langfristig sind die Aussichten blendend, nur kurzfristig betrachtet sind sie finster. Doch wagt mittlerweile niemand mehr zu sagen, wann die angekündigten Verbesserungen für die Menschen in den neuen Bundesländern tatsächlich wirksam und greifbar werden.
So ist der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung ein Dokument unausgesprochener Selbstkritik und bangen Hoffens. Wir möchten diese Debatte nutWerner Schulz ({0})
zen, um zu klären, wohin die Reise jetzt geht. Noch vermissen wir ein klares Wort des Wirtschaftsministers zum Sondergutachten der fünf Weisen. Die Lokomotive steht zwar unter Dampf, Herr Möllemann, aber man hat den Eindruck, der Zug steht woanders.
Wir möchten wissen, welche Chancen für eine konstruktive Arbeit in den demnächst zu bildenden Arbeitskreisen aus Koalition und Opposition bestehen. Wir glauben, daß nach der ersten Euphorie über die deutsche Einheit und der darauf folgenden Ernüchterung angesichts der tatsächlichen Probleme jetzt die Zeit ist, um ernsthaft darüber zu reden, was Solidarität in Deutschland für die nächsten zehn bis dreißig Jahre bedeuten kann und muß. Die Marktkräfte allein - das zeigt die Studie des Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nur zu deutlich - werden selbst unter günstigsten Voraussetzungen in diesem Zeitraum nicht zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen West- und Ostdeutschland führen.
Massive Transfers über die öffentlichen Haushalte von West nach Ost sind eine notwendige Form dieser Solidarität. Es ist offenkundig, daß das mit Wohlstandseinbußen der Westdeutschen verbunden ist und sein wird. Allerdings hat die bisherige, sozial absolut unausgewogene Politik der Bundesregierung dazu beigetragen, diese Wohlstandseinbußen extrem ungerecht zu verteilen.
Ab 1994 steht nach dem Einigungsvertrag die volle Einbeziehung der ostdeutschen Länder in den Länderfinanzausgleich an. Spätestens dann muß der Länderfinanzausgleich so geregelt werden, daß er dem verstärkten Entwicklungsgefälle gerecht werden kann. Notwendig ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Reform der Einnahmeverteilung zwischen Bund und Ländern, um die Eigenständigkeit und die ausreichende Versorgung von Ländern und Gemeinden mit eigenen Einnahmen zu ermöglichen.
Die Finanzpolitik des Bundes muß sich also für die kommenden Jahre auf einen deutlich höheren Mittelbedarf als bisher geplant und auf eine gerechtere und sozialere Verteilung der Lasten orientieren. Hierfür bilden die im jüngsten Gutachten der Memorandumgruppe geäußerten Vorschläge eine sehr gute Diskussionsgrundlage.
Aber, meine Damen und Herren, Teilen ist mehr als Geldverteilen. Ebenso unverträglich wie das langfristige Auseinanderfallen der Einkommensverhältnisse zwischen Ost und West wäre eine dauerhafte Auseinanderentwicklung der Beschäftigungs- und Arbeitslosenraten. Die Debatte um die Verteilung der Arbeit wird ein weiterer Prüfstein des tatsächlichen Willens zur deutschen Einheit sein. Aber alle Solidarität wird nicht hinreichen, wenn nicht die Weichen für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands richtig gestellt werden.
Der Sachverständigenrat scheint uns sagen zu wollen: Bestehende Arbeitsplätze sind in der Regel schlecht, neu zu schaffende dagegen besser. So redet nur, wer nicht selbst betroffen ist. Es ist eine gefährliche Naivität, zu glauben, die ostdeutsche Wirtschaft könne auf das Gros der jetzt bestehenden Arbeitsplätze schlichtweg verzichten. Der Sachverständigenrat hält starr an der Auffassung fest, daß Unternehmen und Arbeitsplätze, die nicht kurzfristig privatisierbar sind, offenbar nicht sanierungswürdig seien.
Im Gegenteil, Unternehmen, die auf mittlere Sicht sanierungsfähig sind, müssen saniert werden, auch dann, wenn sich kurzfristig kein Käufer findet. Die Politik der Treuhand muß sich ändern. Ansonsten ist in den nächsten Monaten und Jahren der Verlust des größten Teils der Arbeitsplätze in den Treuhandunternehmen zu befürchten. Daran ändern auch die zwischen der Bundesregierung und den Ländern getroffenen Vereinbarungen wenig; die allerdings in die richtige Richtung weisen.
Wir werden demnächst einen Gesetzentwurf zur Neuorientierung der Treuhandanstalt in den Bundestag einbringen, der folgende Ziele verfolgt:
Erstens. Die Treuhand muß den klaren gesetzlichen Auftrag bekommen, die ihr anvertrauten Unternehmen zu sanieren, wenn diese nicht sofort unter Erhalt ihrer Substanz privatisierbar sind und wenn dies auf mittlere Sicht erfolgversprechend ist. Das wird auf den größten Teil der jetzt noch im Besitz der Treuhand befindlichen Betriebe zutreffen.
Zweitens. Bei der Sanierung von Unternehmen müssen der Erhalt einer möglichst großen Zahl von Arbeitsplätzen, die Bewahrung eigenständiger Unternehmen mit ausreichender Fertigungstiefe sowie die konsequente Umweltsanierung und ökologische Modernisierung der Unternehmen im Vordergrund stehen.
Drittens. Die Treuhandanstalt muß dazu mit den angemessenen finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um notwendige Entschuldungen durchzuführen und die Sanierungsaufgabe zu erfüllen. Ihr Kredit- und Bürgschaftsrahmen muß erheblich ausgeweitet werden. Überdies müssen Möglichkeiten geschaffen werden, den Treuhandunternehmen neues Eigenkapital zuzuführen und, wo notwendig, für einen befristeten Zeitraum Verluste abzudecken.
Viertens. Die politische Verantwortlichkeit für das Handeln der Treuhand muß ersichtlich, ihre demokratische Kontrolle verstärkt werden.
Fünftens. Die Länder müssen einen deutlich verbesserten Einfluß auf die Arbeit der Treuhand bekommen. Die kürzlich zwischen Ministerpräsidenten und Bundesregierung vereinbarten Regelungen sind nur ein erster Schritt in diese Richtung.
Bei der bisherigen Bilanz der Treuhand fällt auf, daß bei ausländischen Investoren nach wie vor große Zurückhaltung gegenüber dem Wirtschaftsstandort Ostdeutschland herrscht. Dies wirft kein gutes Licht auf das Marketing der Treuhandanstalt und ist kein gutes Zeichen für die Zukunft. Der Binnenmarkt 1992 steht auch vor der ostdeutschen Tür und damit verschärf ter Wettbewerb auf dem europäischen Markt. In diesem Wettbewerb wird die ostdeutsche Wirtschaft ohne Zufluß von internationalem Kapital, Geschäftsverbindungen und Know-how noch größere Schwierigkeiten bekommen als ohnehin zu erwarten sind. Überdies ist nicht damit zu rechnen, daß der ernorme Kapitalbedarf der ostdeutschen Länder überhaupt ohne
Werner Schulz ({1})
nennenswerte Investitionen ausländischer Unternehmen zu decken sein wird.
Im Gegensatz zur Meinung des Sachverständigenrats sind wir der Auffassung, daß über weitere Präferenzen für den ostdeutschen Wirtschaftsstandort dringend nachgedacht werden muß. Ob hierfür eine generelle Mehrwertsteuerbefreiung für ostdeutsche Waren und Dienstleistungen oder ein Präferenzsystem nach dem Vorbild der Berlin-Förderung der richtige Weg ist, sei dahingestellt. In jedem Falle muß noch für eine geraume Zeit die Wettbewerbsschwäche der ostdeutschen Wirtschaft durch solche Hilfen kompensiert werden.
Leider ist es noch so, daß ostdeutsche Produkte schon deswegen nicht gekauft werden, weil es ostdeutsche Produkte sind. Natürlich ist das nicht nur mit Präferenzen in den Griff zu bekommen, sondern hängt auch von psychologischen Faktoren, der Rückbesinnung auf eigene Qualitäten, einem sich allmählich ändernden Konsumverhalten ab.
Außerordentlich hilfreich wäre es, bei öffentlichen Ausschreibungen im Westen und im Osten Deutschlands bei entsprechender Qualität der Waren und Dienstleistungen solchen Betrieben den Zuschlag zu geben, die in Gebieten mit mehr als 15 % Arbeitslosigkeit - einschließlich Kurzarbeit - tätig sind. Das ist EG-konform und würde die lukrativen Aufträge der öffentlichen Hand spürbar nach Osten verlagern.
So wichtig klare Eigentumsverhältnisse, bessere Verwaltungen, Sonderabschreibungen, massive Investitionsanreize für Ostdeutschland sind, ausschlaggebend ist, daß die bestehenden Betriebe so schnell wie möglich bessere Marktchancen auf bestehenden Märkten bekommen. Die gerechte Verteilung der deutschen Marktchancen auf östliche und westliche Unternehmen wird zum Gradmesser der Solidarität, wird zum Prüfstein der Einheit. Eine solche Umverteilung an Arbeit läuft darauf hinaus, daß im Endeffekt Arbeitsplätze aus dem Westen nach Osten abwandern müssen.
Ergänzend zu den genannten Maßnahmen muß eine energische sektorale und regionale Strukturpolitik den notwendigen Strukturwandel begleiten und absichern. Die Notwendigkeit eines solchen grundlegenden Strukturwandels begründet zugleich die außerordentliche Chance, eine Modernisierung der ostdeutschen Wirtschaft unter ökologischen Vorzeichen von Anfang an konsequent in Angriff zu nehmen.
Die Entwicklung der westdeutschen Wirtschaft ist der naheliegende Maßstab für den Osten. Das darf jedoch nicht bedeuten, daß der Osten nach den eigenen Fehlentwicklungen nun auch noch die Fehler des Westens nachvollziehen muß. Doch angesichts der bisher bekanntgewordenen Pläne der Bundesregierung steht dies zu befürchten. Wir brauchen einen wirtschaftspolitischen Rahmen, der die ökologische Sanierung und den ökologischen Umbau mit der schnellen Schaffung zukunftsgerichteter Arbeitsplätze verbindet. Hier sind - auch angesichts der Bedrohung der Menschheit durch die Erwärmung der Erdatmosphäre - Eckdaten zu setzen, um das Umweltvorsorgeprinzip als Leitlinie bundesdeutscher und globaler Wirtschaftspolitik durchzusetzen und zu praktizieren.
Dies ist um so notwendiger, um zu verhindern, daß die bereits erkannten Fehlentwicklungen in den alten Ländern im Osten wiederholt und potenziert werden. Kluge und weitsichtige Entscheidungen in dieser Hinsicht sind auf Dauer wesentlich preisgünstiger als die nachträgliche Reparatur von Fehlentscheidungen und Irrtümern. In den ostdeutschen Bundesländern ist der strukturelle Rahmen für eine dezentrale und effiziente Energiepolitik sowie für eine Verkehrs- und Städtebaupolitik zu schaffen, die sich nicht an den gescheiterten Vorstellungen der 60er Jahre im Westen orientiert, sondern aus dessen Fehlentwicklungen lernt.
Im Energiebereich ist dafür Sorge zu tragen, daß der Stromvertrag der westdeutschen Energieversorgungsunternehmen mit der Treuhand und der Regierung der ehemaligen DDR, welcher die auf einseitige, auf mehr Umsatz und Gewinn zielende Struktur der Energiewirtschaft West übernimmt, für null und nichtig erklärt wird. Statt dessen ist die Rekommunalisierung der Energieversorgung zu realisieren.
Notwendig ist ein Stadterneuerungsprogramm, das von den Kommunen der ostdeutschen Bundesländer gestaltet wird. Mit einem solchen Programm kann nicht nur ein Beitrag zur Abwanderung drohender Beschäftigungslosigkeit geleistet werden, sondern auch eine umweltgerechte Stadtsanierung erfolgen. Eine beschäftigungsorientierte kleinteilige Stadterneuerung, nicht die Fortsetzung industriealisierter Großplattenbauweise, ist ein wirksames Mittel, um zahlreiche Arbeitsplätze in handwerklichen und mittelständischen Betrieben sowie in Beschäftigungsgesellschaften zu schaffen.
Im Verkehrssektor sind die strukturellen Bedingungen für den Vorrang des öffentlichen Personenverkehrs zu schaffen. Dazu bedarf es der vorrangigen Vergabe öffentlicher Mittel für die Sanierung und den Ausbau des Schienennetzes bzw. den Einrichtungen der Deutschen Reichsbahn. Hier muß ein Signal gegen den individuellen Pkw-Verkehr gesetzt werden, der sich angesichts kollabierender Städte und der drohenden Klimakatastrophe zunehmend als Fossil einer falschen Mobilitätsphilosophie erweist. Gleiche Vorteile sind dem Güterverkehr einzuräumen, der in Ostdeutschland - welch günstige Ausgangssituation - vorwiegend per Schiene erfolgt.
Von besonderer Bedeutung für den Aufbau einer ökologischen Wirtschaft in den ostdeutschen Ländern ist die rasche Entwicklung einer entsprechenden Forschungslandschaft. Gerade die Forschungsinfrastruktur entscheidet heute wesentlich mit über Qualität und Entwicklungsmöglichkeiten von Wirtschaftsräumen. Die Politik der Bundesregierung sieht leider anders aus: Ein stimmiges Konzept zur Durchsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung, gerade für den Aufbau der neuen Bundesländer von besonderer Bedeutung, ist sie bisher schuldig geblieben.
Mit den geplanten Maßnahmen- und Beschleunigungsgesetzen geht sie sogar in die umgekehrte Richtung. Dort wo Bürgerbeteiligung und Rechtmäßigkeit
Werner Schulz ({2})
von Verfahren von besonderer Wichtigkeit sind, bei den Verkehrsplanungen, beabsichtigt die Bundesregierung die rigidesten Einschränkungen. Das erinnert fatal an die überwunden geglaubte dirigistische Planungsbürokratie.
Den Menschen im Osten sollen die Rechte, die sie noch kaum ein Jahr besitzen und die sie kaum angewendet haben, gleich wieder entzogen werden. Dies kann nicht verwundern, setzt doch Minister Krause im Verkehrsbereich auf Konzepte aus den 30er Jahren, statt die Modernisierung und Sanierung des umfangreichen Schienennetzes zu favorisieren. Das deckt sich mit der Energiepolitik, die mit dem Energievertrag vom vergangenen Jahr falsch läuft und bis heute nicht korrigiert wurde.
Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt das Umdenken der Regierung, aber auch die Halbherzigkeit des Umdenkens. Wir werden das uns Mögliche tun, um diesen Denkprozeß zu vervollständigen.
({3})
Das Wort hat der Minister für Wirtschaft und Verkehr des Landes Rheinland-Pfalz, Herr Minister Rainer Brüderle.
Staatsminister Rainer Brüderle ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei soviel Einigkeit über die Diagnose der Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik kommt es darauf an, daß auch bei der Therapie alle an einem Strang ziehen, und zwar Bund und Länder jeweils nach ihren Möglichkeiten und Kompetenzen. Vor allem dürfen sich Ost und West, alte Länder und neue Länder nicht gegeneinander ausspielen lassen.
({1})
Fest steht, daß der grundlegende Konflikt zwischen der zur Zeit unumgänglichen offensiven Ausgabenpolitik der öffentlichen Haushalte und dem Ziel der Geldwertstabilität weiter an Brisanz gewinnen wird. Welche Form der Finanzierung auch immer gewählt wird, fest steht, daß der wirtschaftliche Strukturwandel in den neuen Ländern Zeit braucht, nicht zuletzt deshalb, weil der wirtschaftliche Strukturwandel ohne den politischen und den sozialen Wandel nicht möglich ist. Und fest steht, daß hohe Ausgaben der öffentlichen Hand für die Finanzierung der deutschen Einheit gleichzeitig Einsparungen in anderen Bereichen notwendig machen.
Was aber noch schwerer wiegt, sind die Fragen, die sich mit diesen Feststellungen verknüpfen. Wie hoch sind eigentlich die unumgänglichen Ausgaben, die zum wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Ländern eingesetzt werden müssen? Wie stark muß die Wirtschaftspolitik tatsächlich lenken und mit Milliardenbeträgen in den Strukturwandel eingreifen? Wo können Ausgabenkürzungen sinnvoll ansetzen, und wo müssen sie aus ordnungspolitischen Gründen vorgenommen werden?
Ich kann nicht leugnen, daß mich die aus den neuen Ländern erhobenen Forderungen nach jahrelangen Milliardentransfers mehr als nachdenklich stimmen. Natürlich besteht kein Zweifel daran, daß massive
Hilfen insbesondere für den Infrastrukturausbau notwendig sind. Ich darf daran erinnern, daß gerade Rheinland-Pfalz als eines der ersten Länder bereits kurz nach Öffnung der Mauer ein konkretes Patenschaftsprogramm mit dem Land Thüringen in die Wege geleitet hat. Gerade deshalb kennen wir die Schwierigkeiten in den neuen Ländern aus eigener Erfahrung und wissen ganz konkret um die Probleme in der Praxis.
Es darf kein Zweifel daran aufkommen, daß die entscheidende Frage der nächsten Zeit lautet: Wann kann sich die Wirtschaftspolitik aus der direkten Einflußnahme auf die Gestaltung des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Ländern zurückziehen? Es kann nicht angehen, daß vorübergehend notwendige ökonomische Lenkungsversuche über Jahre hin zementiert werden.
Rheinland-Pfalz setzt sich gegenüber der EG mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, daß sich der bürokratische Aufwand der Integrationspolitik in Grenzen hält, daß keine planende Industriepolitik betrieben wird und keine goldenen Zügel der Bevormundung angelegt werden.
({2})
- Herr Roth, die Fraktionen werden von Mal zu Mal größer. - Es ist deshalb nur konsequent, wenn wir auch in der Bundesrepublik darauf achten, daß sich die klare ordnungspolitische Linie in der gemeinsamen deutschen Wirtschaftspolitik so bald wie möglich durchsetzt. Es kommt deshalb darauf an, daß das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, das eine echte Gesamtstrategie zur Förderung von öffentlichen und privaten Investitionen darstellt, möglichst effizient umgesetzt wird. Ohne die Verwaltungshilfe aus den alten Bundesländern wird es deshalb nicht gehen.
({3})
Rheinland-Pfalz hat daher bereits für dieses Jahr beschlossen, im Rahmen des Thüringen-Programms den Anteil der Verwaltungshilfe erheblich zu erhöhen.
Wir sehen aber gleichzeitig, daß der Aufbau der Verwaltung noch nicht den Fortschritt genommen hat, den wir uns erhofft haben.
({4})
Ich bin deshalb sicher, daß die Frage, wie noch effektiver, noch schneller Hilfe für die Verwaltung in den neuen Ländern geleistet werden kann, bundesweit in diesem Jahr eine große Rolle spielen muß.
({5})
- Vieles ist sehr wahr, Herr Kollege.
Eine andere Erfahrung, an die ich erinnern möchte, ist die Tatsache, daß in den öffentlichen Haushalten in den neuen Ländern zwar die Einnahmen relativ genau geschätzt werden können, daß die Ausgabenseite, der tatsächliche Finanzbedarf jedoch noch äußerst diffus ist. Die Forderung nach einem Kassensturz wird inzwischen viel zitiert. Aber nichtsdestoweniger wird am Ende des ersten regulären Haushaltsjahres
Staatsminister Rainer Brüderle ({6})
nach westlichem Vorbild in den neuen Ländern ein solcher Kassensturz notwendig sein, will man ein realistisches Bild vom Finanzbedarf und von den notwendigen Weichenstellungen bei der Aufbaupolitik für die neuen Länder erhalten.
Der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Ländern ist der Schlüssel für die stabile Wirtschaftsentwicklung in ganz Deutschland. Doch zugleich wird die wirtschaftliche Situation unseres Landes zu einem wesentlichen Teil von der Wirtschaftskraft der sogenannten alten Länder mitentschieden. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das aus Sicht des Landes Rheinland-Pfalz an dieser Stelle genannt werden muß. Ich meine die neuen regionalen strukturpolitischen Aufgaben, die aus den geplanten oder bereits eingeleiteten Maßnahmen zum Truppenabbau bei den Stationierungsstreitkräften und der Bundeswehr entstanden sind.
Die zivile Nutzung ehemals militärisch genutzter Flächen ist nach der endgültigen Ratifizierung des Zwei-plus-Vier-Vertrages darüber hinaus zu einem Problem von bundesweiter Bedeutung geworden. Um so wichtiger war es, daß die Bundesregierung auf den von Rheinland-Pfalz initiierten Beschluß des Bundesrates zur Förderung der zivilen Nutzung bisheriger Militärstandorte positiv reagiert und der Planungsausschuß für die regionale Wirtschaftsstruktur die Aufstellung eines Sonderprogramms für die vom Truppenabbau und von Rüstungseinschränkungen besonders betroffenen Gebiete beschlossen hat.
Darüber hinaus werden von Rheinland-Pfalz Strukturhilfemittel des Bundes eingesetzt, um die militärisch besonders belasteten Regionen zu unterstützen.
({7})
Fast die Hälfte der Strukturmittel sind in RheinlandPfalz in den letzten Jahren in militärisch belasteten Regionen eingesetzt worden.
({8})
Wichtig sind pragmatische Ansätze. So müssen z. B. Zivilbeschäftigte zur Erhaltung aufgegebener Standorte weiter eingesetzt werden, eine Aufgabe, die nach Lage der Dinge von der Bundesvermögensverwaltung übernommen werden muß.
({9})
- Sie sollten ihn lesen. Dann wissen Sie es, Herr Kollege.
({10})
- Ich höre auf das, was ich hören möchte.
Der Bundesfinanzminister ist hier aufgefordert, gemeinsam mit der Landesregierung nach flexiblen Lösungen zu suchen. Auch die Altlastenfrage muß zügig geklärt werden,
({11})
um die rasche zivile Anschlußnutzung sicherzustellen.
({12})
- Sie sehen, der Beifall steigert sich.
({13})
- Regen Sie sich nicht auf! Ich bin sehr gelassen. Wir werden gut abschneiden.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Roth?
Staatsminister Rainer Brüderle ({0}): Natürlich. Es ehrt mich.
({1})
- Deshalb, weil ich mehr Zeit gewinne. Dann kann ich mehr reden.
Herr Minister, das „ehrt mich" war schon einmal eine gute Antwort, bevor ich überhaupt etwas gefragt habe.
In den Kreisen links von mir Staatsminister Rainer Brüderle ({0}): Herr Roth, ich sehe da sehr wenige. Die meisten von Ihrer Fraktion sind draußen.
- aber immerhin; jetzt kommt die Frage - ist der Vorwurf laut geworden, dies sei die größte Wahlkampfveranstaltung, die Sie in diesem rheinland-pfälzischen Wahlkampf durchgeführt hätten.
({0})
Staatsminister Rainer Brüderle ({1}): Herr Roth, ich darf zu einem Abbau Ihres Informationsdefizits beitragen: Es ist von der Zahl der Anwensenden her, insbesondere seitens der sozialdemokratischen Fraktion, eine sehr bescheidene Präsenz und deshalb eine kleine Veranstaltung.
({2})
- Nein. Aber sonst bin ich eigentlich gewohnt, daß mehr Zuhörer da sind. Ich darf Ihnen berichten, daß ich mit der Präsenz auf meinen Wahlkampfveranstaltungen außerordentlich zufrieden bin. Ich hätte mich gefreut, wenn noch mehr Sozialdemokraten meinen guten Ausführungen zugehört hätten.
({3})
Meine Damen und Herren, Rheinland-Pfalz strebt an, einen der acht Militärflugplätze im Lande als zivilen Verkehrsflughafen zu nutzen.
Wir werden mit der Umnutzung des Flugplatzes Zweibrücken, der bereits im September dieses Jahres
Staatsminister Rainer Brüderle ({4})
von den amerikanischen Streitkräften freigegeben wird, in Rheinland-Pfalz ein Modellprojekt für die zivile Nutzung eines ehemaligen Militärstandortes durchführen. Ich hoffe, daß dieses Pilotprojekt sowie die von der Landesregierung Rheinland-Pfalz im Rahmen ihres sogenannten 18-Punkte-Programms entwickelten Maßnahmen dazu beitragen werden, daß der Truppenabbau in der Bundesrepublik insgesamt als Chance für den Strukturwandel in den betroffenen Regionen genutzt werden kann.
({5})
Wir werden die wirtschaftliche Zukunft, die Integration des gesamten Deutschlands in die Europäische Gemeinschaft und neue Herausforderungen, wie sie am Beispiel der wirtschaftlichen Folgen des Truppenabbaus deutlich werden, selbstbewußt und verantwortungsbewußt mittragen, aber auch mitgestalten.
Deshalb ist Rheinland-Pfalz bereit, den gesamtwirtschaftlichen Überlegungen Rechnung zu tragen - und das durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Wir sind bereit, im Interesse der Sache ungewöhnliche und nicht einfache Wege zu gehen. So hat Rheinland-Pfalz mit seinem Entschluß, im Bundesfernstraßenbau auch Landesmittel einzusetzen, signalisiert, daß die Landesregierung im Interesse der deutschen Einheit bereit ist, eigentlich Unmögliches möglich zu machen. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist nur dann voll zu überblicken, wenn man in Betracht zieht, daß die Landesregierung parallel zu dieser Mitfinanzierung neue Verkehrskonzepte im öffentlichen Personennahverkehr einleitet, daß wir die Verbesserung des Schienenverkehrs vorantreiben und modernste, umweltschonende Güterverkehrszentren einplanen.
({6})
Rheinland-Pfalz hat sich in den letzten Jahren in die Spitzengruppe der wirtschaftlich stärksten Bundesländer hochgearbeitet. Unsere Exportquote beträgt fast 37 % und sucht ihresgleichen.
({7})
Wir nutzen diese neu gewonnene Stärke, um die Standortvoraussetzungen in unserem Land weiter zu verbessern und - wie das Beispiel der Mitfinanzierung im Bundesfernstraßenbau zeigt - zugleich einen nicht unerheblichen Beitrag zur gemeinsamen Bewältigung der augenblicklichen finanzpolitischen Aufgaben zu leisten.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe Jens.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß schon sagen - ich will einmal versuchen, frei zu sprechen - : Es war unverschämt,
wie der Brüderle hier über Rheinland-Pfalz gesprochen hat.
({0})
Er hat offenbar wohl noch nicht mitbekommen, daß wir über den Jahreswirtschaftsbericht debattieren.
({1})
Sie haben am Anfang so ein paar Allgemeinplätze gebracht - aber, Herr Brüderle, wirklich nur Allgemeinplätze; ich muß sagen: dummes Geschwätz -, und dann haben Sie etwas über Rheinland-Pfalz, über den Ausbau des Infrastrukturbereichs, etwa des Nahverkehrssystems, erzählt.
({2})
Nein, das ist nicht in Ordnung. Das ist ein Mißbrauch der Redezeit, die wir hier zur Verfügung haben, meine Damen und Herren.
({3})
Und wenn Herr Brüderle noch einmal ein bißchen über Rüstungskonversion nachlesen will, dann kann er sich gern die Papiere besorgen, die wir Sozialdemokraten erstellt haben.
({4})
Darin steht viel mehr und viel Besseres als das, was hier soeben zum besten gegeben worden ist.
({5})
Ich will aber zum Jahreswirtschaftsbericht -
Verzeihung, Herr Kollege Jens, darf ich Sie mit einer Bemerkung unterbrechen.
Wenn mir die Zeit dafür nicht angerechnet wird.
Natürlich nicht. - Es ist natürlich völlig legitim, daß Sie sich mit den Äußerungen eines Vorredners politisch - auch scharf - auseinandersetzen. Nur, das Wort vom „Mißbrauch der Redezeit" bedürfte dann einer sehr subtilen Differenzierung. Dann kämen wir auf Usancen, die von seiten der Bundesratsbank
({0})
schon des öfteren angewandt wurden.
({1})
Ich glaube, das hilft uns nicht weiter. Wir sind nun
einmal ein Parlament mit politischem Schlagabtausch.
Vizepräsident Hans Klein
Also, ich möchte nur das Wort vom „Mißbrauch der Redezeit" zurückweisen.
({2})
- Ich habe es ja ebenfalls lieb gesagt, Herr Kollege Roth.
Meine Damen und Herren, ich wollte zum Jahreswirtschaftsbericht reden und nicht über die Strukturprobleme in Rheinland-Pfalz.
({0})
- Sei doch mal ruhig! - Ich muß allerdings am Anfang noch einmal ein paar Bemerkungen zum Sachverständigengutachten machen. Die Debatte über das Gutachten steht schließlich ebenfalls auf dem heutigen Plan.
Der Sachverständigenrat, meine Damen und Herren, spricht davon, daß wir Ende 1991, also Ende dieses Jahres, 1,7 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Kurzarbeiter in den neuen Bundesländern haben. Das ist aus meiner Sicht vielleicht noch ein bißchen untertrieben. Aber es ist auf alle Fälle - ich hoffe, für uns alle - ein erschreckendes Ergebnis, was der Sachverständigenrat für dieses Jahr prognostiziert. Das sollte uns hellhörig machen, und wir sollten darüber nachdenken, wie man Abhilfe schaffen kann.
Ich habe allerdings auch wieder das Gefühl, daß der Sachverständigenrat in dem Elfenbeinturm kräftig nach oben gestiegen ist. Es ist sicherlich richtig, daß man ökonomische Sachzwänge erkennen muß. Aber manchmal ist etwas zwar ökonomisch richtig, aber politisch einfach nicht durchsetzbar. Hier sollte der Sachverständigenrat vielleicht die Theorien der neuen politischen Ökonomie bei seiner Analyse einmal etwas stärker beachten und uns etwas praktikablere Vorschläge an die Hand geben.
({1})
Ich will noch etwas zu dem Vorwurf sagen, wir wollten alles lenken und leiten, wir betrieben extreme Strukturpolitik: Nein, meine Damen und Herren, ein Ordnungspolitiker wie Ludwig Erhard hat seinerzeit regionale und sektorale Probleme ganz zweifellos erkannt. Er hat im Schiffbau, im Wohnungsbau massiv interveniert, weil er dafür die Notwendigkeit sah. Dieses gilt auch für unsere Zeit. Wir müssen den neuen Ländern kräftig helfen, meine Damen und Herren. Auch das sollte der Sachverständigenrat erkennen.
Wichtig ist ganz zweifellos, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Hier, glaube ich, müßten Sie von der Regierungspartei erkennen, daß das Investitionshemmnis Nr. 1 - das ist meine tiefe und feste Überzeugung - der außerordentlich hohe Nominal- und Realzins ist, den wir zur Zeit zu verzeichnen haben. Er blockt einfach die Sachinvestitionen ab, weil ein Kapitalanleger sein Geld eher in Finanzkapital hineinsteckt als etwa in die Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Anschaffung von Maschinen. Sorgen Sie dafür,
daß der Zins nach unten geht, und Sie sorgen dafür, daß die Entwicklung drüben besser vorankommen kann.
({2})
Die Abschaffung des Sparbuchs, wie es in der Novellierung des KWG vorgesehen ist, ist völlig falsch. Eine kräftige Anhebung des Sparerfreibetrages bei der Einkommensteuer, so daß sich das Sparen verstärkt lohnt, dagegen wäre sehr richtig. Das entspräche dem, was wir Sozialdemokraten gefordert haben.
({3})
Zweitens müssen Altschulden und Altlasten bei den drüben vorhandenen Betrieben beseitigt werden. Wenn wir privatisieren wollen, dann können wir das nicht machen, indem wir die Betriebe noch mit Altschulden und ökologischen Altlasten belasten. Diese müssen zunächst einmal beseitigt werden, wenn sich überhaupt Käufer finden sollen.
Drittens: Sorgen Sie dafür, daß die Treuhand nicht am finanzpolitischen Gängelband gehalten wird, sondern endlich in die Kompetenz des Bundeswirtschaftsministeriums gestellt wird, damit eine etwas flexiblere, vernünftigere Wirtschaftspolitik als bisher betrieben werden kann!
({4})
- Wenn er etwas richtig macht, dann sagen wir das auch. Er hat ja bisher weitgehend auch das gemacht, was wir vorher vorgeschlagen haben, Herr Kittelmann.
({5})
Für uns ist auch der Mittelstand wichtig, Wolfgang Roth hat darauf hingewiesen. Aber wir haben zur Zeit die Situation, daß es drüben viele gut ausgebildete Industriemeister gibt, die sich gern als Handwerksmeister niederlassen möchten, und wir warten auf eine entsprechende Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums, um dieses Problem zu lösen. Sie kommt nicht, weil die hiesigen Interessenten, nämlich der Zentralverband des deutschen Handwerks, hier bremsen. Wenn der Möllemann so viel Durchsetzungskraft hat, wie er zur Schau gestellt hat, dann müßte er eigentlich auch dieses Hindernis überwinden und endlich dafür sorgen, daß sich drüben viele Industriemeister nach unseren Regeln als Handwerksmeister selbständig machen können.
({6})
Wenn Sie z. B. für die Verbraucher drüben etwas tun wollen, dann sorgen Sie dafür, daß im Bereich des Handels wettbewerbsfähige Strukturen geschaffen werden. Zur Zeit gibt es viele Regionen, wo Supermärkte eine Region monopolartig beherrschen und kleine Händler keine Chance mehr haben, sich selbständig zu machen, weil die Großen bereits dort sind.
({7})
Das ist aus meiner Sicht eine falsche Entwicklung. Hier müßten Sie die Weichen neu stellen.
Herr Kollege Jens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hitschler?
Gern.
Herr Jens, sind Sie überzeugt, daß Sie mit dieser Forderung jetzt eigentlich etwas Neues gesagt haben, oder rennen Sie damit beim Wirtschaftsministerium nicht offene Scheunentore ein?
({0})
- Es wird ja was getan.
Wir haben gedrängt. Die Antwort lautet: Es wird noch dieses Jahr brauchen, bis die entsprechende Verordnung erlassen ist. - Das ist uns leider viel zu lange. Die Verordnung müßte spätestens bis zum Beginn der Sommerpause auf dem Tisch liegen, so daß hier Klarheit geschaffen wird.
({0})
Ich will aber nicht nur kritisieren.
({1})
Die Innovationshilfen für kleinere und mittlere Unternehmen in der ehemaligen DDR, die jetzt festgeschrieben worden sind, sind vernünftig. Sie gehen übrigens auch auf eine Forderung der Sozialdemokraten zurück. Vernünftig wäre es aber auch, Hilfen nicht nur für die Einführung neuer Produkte und Produktionsverfahren zu geben, sondern auch für den Absatz der dort vorhandenen Produkte; denn viele Produkte sind gut, aber werden einfach nicht verkauft, weil sie nicht dementsprechend vermarktet werden können. Auch hier müßte der Bundeswirtschaftsminister einmal darüber nachdenken, dies in die Förderung aufzunehmen.
Ein Wort zur Finanzierung. Ich habe auch Herrn Brüderle eben so verstanden - ich weiß nicht, ob ich das richtig gehört habe, es war sehr allgemein gehalten - : Wenn der Herr Biedenkopf, der Ministerpräsident von Sachsen, CDU-Mitglied, jetzt gesagt hat, wir müßten davon ausgehen, daß über zehn Jahre hinweg jedes Jahr mindestens 100 Milliarden DM vom Westen in den Osten fließen müßten, dann hat er recht. Lügen Sie sich selbst und der Öffentlichkeit doch nicht wieder etwas in die Tasche, indem jetzt Politiker aufstehen und sagen: Das geht beim besten Willen nicht, und so darf es nicht sein! Die Wahrheit ist, daß wir davon ausgehen müssen: Zehn Jahre lang müssen wir den Leuten drüben kräftig helfen, nur dann schaffen wir die Umstrukturierung so, wie wir sie haben wollen.
({2})
- Aber dann kritisieren Sie den Herrn Biedenkopf nicht, dann akzeptieren Sie das, was er gesagt hat!
({3})
Ich will nicht über die gesamten Steuerpläne philosophieren. Für mich war die Erhöhung der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit ganz schlimm, eine Erhöhung der Lohnnebenkosten, über die Sie, als Sie ein bißchen jünger waren, dauernd geschimpft haben. Das, was Sie hier beschlossen haben, trägt nun wirklich dazu bei, daß die Schwarzarbeit kräftig ansteigt und daß der Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland an Attraktivität verliert.
({4})
Dies war eine völlige Fehlentscheidung. Überlegen Sie sich noch einmal, ob Sie das mit dem, was Sie bisher gesagt haben, wirklich vereinbaren können.
Ganz schlimm wird es dann, wenn es so kommt, wie ich befürchte: Dies alles wird durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer abgelöst. Man verweist auf Europa, was überhaupt nicht richtig und Lügerei ist. Eine Mehrwertsteuererhöhung ist nun wirklich das aller-schlechteste Finanzierungsinstrument, das wir uns vorstellen können.
({5})
Meine Damen und Herren, es wurde viel über die deutsch-deutschen Probleme gesprochen. Sie alle haben darüber gesprochen. Ich glaube, die Bundesregierung sitzt nicht in einem einsamen Boot oder auf einer Insel der Seligen. Wir müssen uns - das kommt mir leider zu kurz - verstärkt auch um die weltwirtschaftlichen Probleme kümmern, wenn wir im internationalen Gefüge nicht abrutschen wollen. Hier, meine ich, ist der Druck der Regierung zur Schaffung einer europäischen Währungsunion viel zu gering. Hier müßte mehr getan werden. Es ist ein einmaliges Erlebnis, daß der Bundesbankpräsident den Bundeskanzler beim Thema Schaffung der Europäischen Währungsunion öffentlich kritisiert.
Ich sage nur: Auch wir wollen eine unabhängige Zentralbank. Auch wir wollen strenge Regeln über die Kreditaufnahme der öffentlichen Hand. Aber wenn aus Ihren Reihen verstärkt gesagt wird, dies könnte erst erreicht werden, wenn wir eine Konvergenz in der Preisentwicklung und bei der Wirtschaftspolitik haben, dann sagt man, man will die Währungsunion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Das kritisieren wir. Das geht nicht. Wir sollten hier als gute Europäer kräftig vorangehen.
({6})
Eine zweite Bemerkung zu einem weltwirtschaftlichen Problem: Ich meine, diese Regierung hat Mit1450
schuld - ich sage nicht: sie allein; vor allem mit den Franzosen - , daß die GATT-Verhandlungen jetzt immer noch nicht zum Erfolg gekommen sind. Das schreibt auch der Sachverständigenrat. Hier müßten wir endlich bereit sein, ganz klar auf Exportsubventionen für Agrarprodukte ein für allemal zu verzichten.
({7})
Diese Exportsubventionen machen den Weltmarktpreis kaputt. Sie tragen dazu bei, daß dieses Zeug in vielen anderen Ländern nicht angebaut werden kann. Sie tragen im Grunde zur Ausbreitung des Hungers weltweit bei. Hier erwarte ich eine klare Position der Bundesregierung. Sie hat aber schon viel versäumt; denn das sogenannte Fast-track-Verfahren ist zur Zeit in den Vereinigten Staaten nicht in Kraft. Es steht in den Sternen, ob es überhaupt wieder eingerichtet wird.
({8})
Wenn es nicht wieder eingerichtet wird, dann scheitern die GATT-Verhandlungen. Dann, meine ich, hat die Bundesregierung wirklich viel Schuld auf sich geladen.
({9})
Ein dritter Punkt, der mir ganz wichtig ist und der auch aus unserem Antrag hervor geht, den wir Ihnen vorgelegt haben, ist die Umstrukturierung der Länder im Ostblock. Hier müssen wir etwas tun, um marktwirtschaftliche Verhältnisse in der UdSSR, in Polen und in Ungarn einzuführen. Ich weiß ganz genau, daß es zunächst einmal darauf ankommt, daß drüben die entsprechenden Beschlüsse gefaßt werden und die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Aber wir müssen finanziell etwas tun. Hermes-Kredite reichen nicht aus. Ich glaube, wir brauchen zinslose Kredite, vielleicht sogar Zuschüsse, um die Aufträge vor allem in die neuen Bundesländer zu lenken. Das liegt im Interesse der neuen Bundesländer. Das liegt aber auch in unserem Interesse; denn wenn die Menschen im Osten erst einmal begreifen, wie gut es uns geht, und sie zu Millionen zu uns kommen, schaffen wir uns Probleme, mit denen wir dann nicht fertig werden.
Herr Kollege Jens, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Herr Kollege Grünbeck.
Herr Kollege Jens, begeben Sie sich nicht in ein ordnungspolitisches Abseits, wenn Sie auf der einen Seite beklagen, daß unser Zinsniveau zu hoch ist, und auf der anderen Seite ständig neue Kapitaleinsätze für Interventionen und Subventionen fordern, die natürlich durch den Zugriff auf den Kapitalmarkt den Zinssatz nicht senken, sondern erhöhen werden?
Herr Grünbeck, Sie brauchen ja diese Ausgaben nicht unbedingt über Kredite zu finanzieren,
({0}) so wie Sie das bisher immer gemacht haben.
({1})
Was Sie sich da in der letzten Zeit erlaubt haben, das war ein eklatanter ökonomischer Sündenfall. Uns haben Sie beschimpft, als wir 33 Milliarden DM Schulden gemacht haben; Sie selbst machen jetzt 70 Milliarden DM Schulden. Das muß man von Zeit zu Zeit einmal herausstellen.
({2})
Entscheidend ist doch, was wir mit dem Geld machen. Wenn es rational für investive Zwecke zur Umstrukturierung angelegt wird, dann ist es vernünftig.
({3})
- Nein. Wenn Sie aber jetzt mit den Krediten konsumtive Ausgaben in der ehemaligen DDR finanzieren, dann ist das völlig falsch.
({4})
Völlig falsch! Überlegen Sie sich das noch einmal, Herr Grünbeck!
Meine Damen und Herren, ich muß langsam zum Schluß kommen. Aber ich sage - und das werde ich immer wieder sagen, und das muß man auch ganz deutlich sagen - : Diese Bundesregierung hat bei ihren Belebungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern viel kostbare Zeit verloren. Hätte sie doch eher die Vorschläge der Sozialdemokraten aufgegriffen, dann wären wir drüben in den neuen Bundesländern bei der Umstrukturierung ein ganzes Stückchen weiter.
({5})
Ich sage auch - ich habe versucht, das in einigen Punkten darzulegen - : Die Bundesregierung, Herr Möllemann - er ist nicht mehr da - , hat etwas getan; das gebe ich gerne zu. Trotzdem springt die Bundesregierung mit den jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen noch immer zu kurz. Bitte - ich meine vor allem die Zuhörer -, sehen Sie sich einmal die Anträge an, die auf dem Tisch liegen! Sehen Sie sich einmal an, was wir Sozialdemokraten in unserem Antrag vorschlagen.
({6})
Lassen Sie uns über die einzelnen Maßnahmen sehr ausführlich und konkret reden. Aber davon muß noch manches verwirklicht werden, wenn wir das Problem in den Griff bekommen wollen. Und sehen Sie sich auch den Antrag der CDU an. Im Grunde genommen
enthält er wirklich Allgemeinplätze, mit denen wir nicht weiterkommen.
Meine Damen und Herren, der junge Macher im Bundesministerium für Wirtschaft macht zwar viel. Aber macht er auch das Richtige?
({7})
Für uns kommt die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft bisher zu kurz. Wir Sozialdemokraten stehen aber insbesondere für das Soziale in der Marktwirtschaft.
({8})
Der Wohlfahrtsstaat, den wir einmal errichtet hatten,
({9})
ist in den letzten Jahren leider kräftig demontiert worden. In unserer Sozialen Marktwirtschaft geht es eben nicht nur um Wettbewerb und freie Märkte - darum geht es auch -, es geht nicht nur um solide Finanzen und um eine Begrenzung der Staatsquote. Es geht vielmehr auch um das, was ein Mann wie Wilhelm Röpke, der vor allem Ihnen nahesteht, die „moralische Säule" der Marktwirtschaft nannte. Gerade dieser moralische Aspekt verpflichtet uns zur Absicherung der Arbeitsplätze bei der Umstrukturierung der neuen Bundesländer. Er verpflichtet uns auch zur konkreten Hilfe für die Länder im Osten und für die ärmsten Länder der Dritten Welt.
Schönen Dank.
({10})
Herr Abgeordneter Rudolf Kraus, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal mit der Rede auseinandersetzen, die Herr Jens hier gehalten hat. Das war eine meines Erachtens bemerkenswerte Aufzählung einerseits von Forderungen und andererseits von Wohltaten für die Leute.
Herr Jens, Sie haben davon gesprochen, daß wir wahnsinnig viel kostbare Zeit durch zögerliches Vorgehen verloren haben.
({0})
Ich darf Sie daran erinnern, daß gerade in Ihrer Partei sehr viele Menschen noch vor etwas mehr als einem Jahr der Auffassung waren, daß man eine Wirtschafts- und Währungsunion erst möglichst spät verwirklichen sollte, daß das überhaupt nicht pressieren würde. Es gab bei Ihnen in der Partei Leute, die sogar der Meinung waren, es sei zweckmäßig, zu versuchen, den Staat DDR zu reformieren und zu einem Staatswesen zu machen, in dem demokratischer Sozialismus praktiziert werden kann. Heute den von Ihnen gemachten
Vorwurf zu erheben, halte ich gerade von seiten der Sozialdemokraten für völlig ungerechtfertigt.
({1})
Herr Jens spricht sich gegen alle Formen der Einnahmenvermehrung aus. Er ist der Auffassung, Lohnnebenkosten dürften nicht erhöht werden. Das ist richtig. Auch wir sind der Meinung, daß das eine schädliche Angelegenheit ist. Die Einkommensteuern dürfen selbstverständlich nicht erhöht werden, außer für die „breiten Massen" von Menschen, die als Verheiratete über 140 000 DM im Jahr verdienen. Damit werden Sie bestimmt keine Probleme lösen.
Sie sagen: Die Mineralölsteuer darf nicht erhöht werden. Kein Mensch erhöht sie besonders gerne. So läßt sich die Liste der Erhöhungen, die Sie nicht wollen, natürlich ohne weiteres fortsetzen. Ihre Leute laufen doch draußen im Land herum und sagen, die Mineralölsteuererhöhung sei eine ganz schlimme Sache, insbesondere für die strukturschwächeren Gebiete. Deswegen dürfe man das nicht tun.
({2})
Das ist eine Forderung, die man immer wieder hört.
({3})
- Es gibt möglicherweise immer einen Abgeordneten, der für eine Position das Gegenteil gesagt hat.
({4})
- Ich glaube, da sind Sie ein Naturgenie; da haben Sie von uns nichts lernen müssen.
Meine Damen und Herren, man kann natürlich sagen: Keine Einnahmeverbesserung, gleichzeitig aber sehr viel mehr Ausnahmen. Das Ganze darf aber nicht zu Lasten der Kreditaufnahme gehen und damit dazu führen, daß die Zinsen noch höher werden.
({5})
Ich glaube also: Gemessen an den von Ihnen heute gehörten Vorschlägen, können wir wahrscheinlich relativ wenig lernen. Wir sind sehr gut beraten, bei der Politik zu bleiben, die wir eingeschlagen haben.
({6})
Herr Roth hat sich dafür ausgesprochen, die Sanierungen im Bereich der Treuhand sehr viel stärker in den Vordergrund zu rücken. Ich bin mit Ihnen, Herr Roth, sehr wohl der Meinung, daß es mit Sicherheit eine ganze Menge von Betrieben gibt, die bei entsprechender Geduld und bei entsprechendem Einsatz im Kern natürlich sanierungsfähig sind,
({7})
daß das getan werden muß und daß das, was erhaltungsfähig ist, längerfristig auch erhalten werden soll.
Das entspricht auch der offiziellen Politik der Treu1452
hand. Trotzdem glauben wir, daß Privatisierung vorgehen sollte.
Wenn wir schon über die Sanierung sprechen, Herr Roth: Meines Wissens haben Sie Ihre beruflichen und wirtschaftlichen Erfahrungen - zwar nur kurzfristig, aber immerhin doch - bei der Neuen Heimat gesammelt. Die Neue Heimat ist ein Beispiel dafür, wie man zu lange sanieren kann, sehr viel fremdes Geld in einen Betrieb hineinsteckt und am Schluß dann für 1 DM verkaufen muß. Wir sollten daraus lernen, daß es für die Treuhand wirtschaftlich durchaus sehr interessant sein kann, die Betriebe zu Preisen zu privatisieren, die vielleicht unter dem liegen, was man erreichen könnte, wenn man über Jahre hinweg verhandelt. Wir glauben daran, daß eine solche Privatisierung den Menschen sehr viel mehr helfen kann.
Ein Wort noch zu Herrn Schulz, der hier für die GRÜNEN gesprochen hat. Er hat erneut auf seine Warnungen aus früheren Zeiten vor der Wirtschafts- und Währungsunion hingewiesen und gesagt, er habe rechtzeitig die Ängste artikuliert. Herr Schulz, wir bezweifeln das nicht. Ich möchte nur sagen: Was soll das in der jetzigen Zeit? Gab es denn wirklich eine Alternative zur Wiedervereinigung und zur Wirtschafts- und Währungsunion?
({8})
Es gab weder eine ökonomische noch eine politische Alternative.
({9})
Ich glaube, man sollte sich auch von Ihrer Seite aus mit dieser Tatsache abfinden. Herr Schulz, ich glaube, es ist kein guter Dienst an den Menschen in den neuen Bundesländern, wenn man ständig nur Katastrophen malt.
({10})
Sie sagen: 40 Jahre hat es gedauert, bis dieser Staat sich kaputtgemacht hat, und vielleicht wird es genauso lange dauern, bis man aus der Krise herausgeführt wird. Mit dieser Einstellung können Sie nicht viel erreichen. Es dient niemandem, was Sie hier sagen.
Lassen Sie mich auch noch sagen: Niemand in dieser Bundesrepublik Deutschland fällt sozial ins Bodenlose. Diese Feststellung ist gerechtfertigt und auch richtig. Es gibt kaum jemanden, der in unserem sozialen Netz nicht wesentlich besser untergebracht wäre, als das in der früheren DDR der Fall war, natürlich mit Ausnahme der privilegierten Klasse; das mag sein, ist aber gut und gewollt; für die breite Masse der Bevölkerung gilt dies ganz sicher nicht.
Der Jahreswirtschaftsbericht 1991 sowie das Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates belegen die derzeitig unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung innerhalb Deutschlands. Während das wirtschaftliche Wachstum, die Auslastung der Produktionsbetriebe und die Investitionsfreudigkeit in den alten Bundesländern weiter auf hohem Niveau liegen, befindet sich die Wirtschaft in den neuen Bundesländern gut neun Monate nach Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mitten im
Umstrukturierungsprozeß. Die zunächst noch weiter steigende Arbeitslosigkeit ist natürlich ganz besonders schmerzlich. Aber wir denken, daß sie angesichts der notwendigen Umstrukturierung der desolaten Wirtschaft nicht zu umgehen ist. Die Arbeitslosigkeit kann aber natürlich nur dann am schnellsten überwunden werden, wenn wir möglichst gute Voraussetzungen für die Investitionen schaffen. Auf diesem Sektor haben wir sehr viel getan.
Die Lage am Arbeitsmarkt in den alten Ländern hat sich natürlich auch 1990 weiter verbessert. So nahm die Zahl der Beschäftigten um rund 720 000 Menschen zu. Die Anzahl aller Beschäftigten wurde damit so stark erhöht, wie das zuletzt in den 50er Jahren der Fall gewesen ist. Die Arbeitslosenquote lag mit 6,9 erstmals wieder unter dem Niveau von 1982. Im März 1991 betrug sie sogar nur noch 5,8 %. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ging weiter zurück und stellt in den alten Ländern mittlerweile kein besonderes Problem mehr dar.
Man fragt sich sowieso - diese Frage hat man schon hundertmal gestellt - , wie aussagekräftig die Arbeitslosenstatistik trotz dieser günstigen Zahlen in Wahrheit ist. Wenn Herr Späth für einen einzigen Sektor der Wirtschaft, nämlich für das Handwerk, gestern feststellen konnte, es fehlten 600 000 Arbeitskräfte, dann, glaube ich, ist das eine Aussage, die uns zu denken geben sollte und die uns erneut auffordert zu überprüfen, inwieweit - das, was ich hier sage, gilt zumindest für die alten Länder - die Aussagen überhaupt realistisch sind. Wahrscheinlich darf man annehmen, daß die Verhältnisse in Wahrheit günstiger sind, als das in den Statistiken zum Ausdruck kommt.
Die Entwicklung in den neuen Bundesländern ist allerdings gegenläufig. Durch die notwendige Schließung von Unternehmen und Unternehmensteilen sowie durch die damit leider verbundene Entlassung von Arbeitnehmern verschärft sich die Situation auf dem dortigen Arbeitsmarkt. In dieser Lage ist es natürlich notwendig, Augenmaß und Flexibilität zu zeigen. Das trifft insbesondere auf die Tarifpartner zu. Es ist notwendig, daß Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Lohnabschlüsse tätigen, die sich an der Produktivität orientieren und die der Produktivitätssteigerung, die zweifelsohne eingetreten ist und weiter eintritt, nicht zu sehr davonlaufen.
Es wäre auch nicht gut, wenn wir zuviel Geld in Arbeitsplätze investierten, die letztlich überflüssig und in hohem Maße unproduktiv sind. Geld für derartige Dinge würde den notwendigen Spielraum für die Finanzierung von Investitionen zugunsten wirklich rentabler, rentierlicher Arbeitsplätze natürlich einengen.
Ich komme nun auf die Demonstrationen zu sprechen, die in letzter Zeit - Gott sei dank - etwas in den Hintergrund traten, aber die über einen bestimmten Zeitraum hinweg gerade von der Sozialdemokratie besonders gefördert worden sind. Ihr sicher guter Feund, Herr Steinkühler, macht eine große Demonstration in Berlin, zu der er 150 000 Leute erwartet. Er gibt sehr viel Geld dafür aus. In manchen Zeitungen ist von einer Million DM die Rede gewesen. 1 000 Busse sollen gechartert worden sein; Sonderzüge
wurden angemietet, und am Schluß kommen dann einige wenige Leute. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist der mißlungene Versuch, Volkszorn einzukaufen und im weiten Land einzusammeln.
({11})
Ich denke, daß ihm das sicher auch eine Lehre sein wird. Aus der Sicht der Veranstalter ist das natürlich ein besonders ineffizientes Ergebnis. Bei so viel Geld so wenig Volkswut in Berlin, das kann sicher nicht so fortgeführt werden.
({12})
Wir denken, daß es sehr viel besser wäre, wenn die Gewerkschaften, was manche Teile der Gewerkschaften ja auch tun wollen, mit den Arbeitgebern und natürlich auch der Politik zusammenarbeiteten, um Verhältnisse zu schaffen, die die Entwicklung in der früheren DDR sehr viel schneller vorantreiben könnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte, weil meine Redezeit abläuft, nur noch auf einen Punkt ganz besonders hinweisen. Wir diskutieren im Augenblick in erster Linie über die finanziellen Belastungen, die auf Grund der Wiedervereinigung entstehen. Viel zu wenig wird darüber gesprochen, welche großen Chancen und Möglichkeiten die Wiedervereinigung auch im ökonomischen, im wirtschaftlichen Bereich für uns alle eröffnen wird. Kurzfristig sehen wir, daß der ungeheuer gute konjunkturelle Zustand der alten Länder ganz selbstverständlich sehr viel mit der Wiedervereinigung, mit der Entwicklung, die sich daraus herleitet, zu tun hat. Es gab noch nie eine wirtschaftliche Situation, in der die Kapazitäten so ausgelastet waren, wie es jetzt der Fall ist.
({13})
- Bei uns im Westen, natürlich. - Davon profitiert die Wirtschaft in den alten Bundesländern kurzfristig. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen.
Ich möchte sagen: Die Ausgaben, unter deren Last viele Leute stöhnen, refinanzieren sich bereits heute zu einem erheblichen Teil durch die konjunkturelle Entwicklung in den alten Ländern. Nicht von ungefähr sind die Beschäftigungszahlen bei uns ganz gewaltig gestiegen. Das hat natürlich auch damit zu tun.
Mittelfristig werden wir sehen, daß dann auch die Dinge zum Tragen kommen, die von uns bisher unter der Rubrik „Kosten der Teilung" aufgezählt worden sind.
({14})
Sie alle kennen die Zahlen: 40 Milliarden DM allein für ein Jahr; annähernd die Hälfte davon für Berlin, die andere Hälfte für alle möglichen Maßnahmen einschließlich der Zonenrandförderung. Wenn auch derartige Subventionen, die sich im Laufe der Jahre summiert haben, nicht sofort abgebaut werden können, so wird das doch längerfristig der Fall sein.
Die Bundesrepublik Deutschland wird ökonomisch auch aus der veränderten politischen Lage, die es uns ermöglicht hat abzurüsten, gewaltig profitieren. Die
Zahlen in Milliardenhöhe sind im Augenblick noch gering. Sie werden sich schon in den nächsten drei Jahren auf jährlich 12 Milliarden allein in dem Bereich der Verteidigung summieren. Dasselbe gilt für die Entwicklungen in anderen Bereichen, beispielsweise durch den Wegfall der Grenzen.
Ich glaube, daß die Wiedervereinigung nicht nur ein ungeheurer politischer Erfolg und ein nicht zu überbietender Beitrag zur Friedenssicherung ist, sondern längerfristig für uns alle auch ein erhebliches wirtschaftliches Potential darstellt und daß wir in die Lage versetzt werden, hier in diesem Deutschland einen wirklich sozialen, wirtschaftlich prosperierenden und ökologisch ausgerichteten Staat zu bilden.
Ich bedanke mich.
({15})
Meine Damen und Herren, der Kollege Roth hat vorhin in seiner Intervention bei der Rede des Ministers Brüderle auf die Besetzung des Hauses hingewiesen. Ich stelle fest, daß viele Kollegen unter Zeitdruck ihre Wochenendwahlkreisplanungen durchführen mußten.
Ich habe hier eine Rednerliste von weiteren neuen Rednern vorliegen, was zur Folge haben wird, daß die Beratungszeit auf dem Wege der wunderbaren Zeitvermehrung weit über die vier vereinbarten Stunden hinausreicht. Ich möchte mir deshalb nur den vorsichtigen Hinweis erlauben, daß es möglich ist, eine vorbereitete Rede zu Protokoll zu geben.
({0})
Als nächste hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Elke Leonhard-Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde jetzt, obwohl ich rheinland-pfälzische Abgeordnete bin, keine rheinland-pfälzische Wahlkampfrede halten. Wir blicken dem 21. mit Gelassenheit entgegen, und wir werden uns dann in veränderten Fronten wieder begegnen.
({0})
- Der rheinland-pfälzische Minister hat sich verzogen. Wenn er mit uns in einer Koalition sitzt, werden wir ihn verpflichten.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Redezeit beträgt zehn Minuten. Kürze - so der von uns allen gleichermaßen geschätzte Theodor Fontane - soll eine Tugend sein. Aber sich kurz zu fassen heißt meistens auch, sich grob zu fassen.
({2})
Damit komme ich auf meinen Vorredner zurück. Für mich ist es allerdings beruhigend, daß meine Fraktionskollegen von dem feineren, wenn auch kleineren Flügel meiner Partei, sich mit den Feinheiten des heute zu erörternden Gegenstandes bereits befaßt
haben und mir als Nachfolgerin der Kanalarbeiter nun das Grobe bleibt.
({3})
- Du gehörst dem an; wir reden später darüber.
Ich beginne mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1991 der Bundesregierung. Beim Lesen des Berichts stelle ich mir zwei Fragen: Erstens. Haben Sie angesichts der wachsenden Probleme der deutschen Vereinigung ein ausreichendes Problembewußtsein entwikkelt? Zweitens. Welche Maßnahmen dürfen wir von Ihnen in Kürze erwarten?
Da ich mich nicht erst seit dem 9. November 1989 mit der DDR beschäftigt habe - ich habe über 100 Manuskripte vor mir liegen gehabt und an die 20 Bücher herausgegeben, und zwar zu Zeiten, als Sie noch rote Teppiche ausrollten - , macht es mich nachdenklich und besorgt, in welch leichtfertiger Art und Weise Sie von Anfang an an die Probleme der Vereinigung herangegangen sind. Dies gilt gleichermaßen für die wirtschaftliche Ausgangslage, die Wachstumserwartungen und Ihre Einschätzung der Arbeitsmarktentwicklung.
Es macht mich nachdenklich und besorgt, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in dieser entscheidenden Zeit wirtschaftspolitisch nicht qualifizierter beraten wurde.
({4})
Ich frage mich: Wer hat ihn eigentlich beraten? Der Wirtschaftsminister jedenfalls lief ihm in der schwierigsten Situation unseres Jahrhunderts davon. Der Neue ist zwar kein Ökonom; uns Sozialdemokraten
- das glaube ich sagen zu können - ist aber ein aktiver Nichtökonom lieber als ein nichtaktiver Ökonom.
({5})
- Wir unterstellen, daß er noch ein aktiver wird.
Wir Sozialdemokraten hoffen - ich glaube, es war Goethe, der sagt, es sei in jedem Falle besser, zu hoffen als zu verzweifeln; also wir verzweifeln nicht, sondern wir hoffen weiter -, daß der nächste Jahreswirtschaftsbericht andere Antworten bieten wird.
({6})
- Sie müßten einmal ruhig sein; Sie sehen besser aus, wenn Sie den Mund zuhaben.
({7})
Also, wir hoffen, daß der nächste Jahreswirtschaftsbericht andere Antworten bieten wird und daß Sie sich nicht um eines windigen politischen Wettbewerbsvorteils willen - das sollten Sie sich einmal anhören - weiterhin etwas vormachen. Der ebenso verhängnisvolle wie unselige Dreiklang von Ahnungslosigkeit, Ideologisierung und Verharmlosung muß ein Ende haben.
({8})
- Entschuldigen Sie; Sie werden erkennen - vieles haben Sie nicht erkannt - , daß ich keine Jungfer bin.
({9})
- Seien Sie mal ruhig!
Dennoch - ich unterstreiche dieses „dennoch" - nehme ich alle Rechte einer Jungfernrede in Anspruch und antworte Ihnen jetzt nicht auf Ihre Zwischenrufe, sondern sage Ihnen: Wir wollen nicht einfach der Kritik wegen kritisieren, im Gegenteil: Sie haben uns Sozialdemokraten bei der Bewältigung der größten Herausforderung dieses Jahrhunderts an Ihrer Seite, wenn Sie sich endlich von den erbärmlichen ordnungspolitischen Klischees lösen.
({10})
Die Bedeutung der deutschen Vereinigung für die Sicherheit unserer Währung darf nicht verkannt und die politisch-soziale Stabilität Europas darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
({11})
Sie gehen im Jahreswirtschaftsbericht von der Annahme aus, die Probleme im Osten Deutschlands seien zu lösen - ich zitiere - , wenn die Leistungsfähigkeit und die Dynamik der deutschen Wirtschaft erhalten und weiter gestärkt würden.
Die enorme Simplifizierung des Marktgeschehens, zurückgehend auf die Denkschulen - so denke ich mir einmal - neoklassischer Ökonomen wie Herbert Giersch - ich kann im übrigen sagen, daß ich ihm vor 15 Jahren ebenfalls fasziniert zuhörte, daß ich ihm jedoch auf Grund meiner sozialdemokratischen Immunisierung nie verfiel - , verleitete Sie dazu, von Anfang an die wirklichen Probleme der durch bürokratisch-zentralistische Entscheidungen ruinierten Wirtschaft im Osten zu unterschätzen. Sie konzentrierten sich auf Agitprop-Methoden und - das kann man Ihnen vorwerfen - verzerrten den Begriff Sozialismus wider besseres Wissen. Sie verkennen damit die wirkliche Lage der Menschen, die zu Passivität verurteilt waren und deren Spontanität bestraft wurde.
Wir Sozialdemokraten werden auf keinen Fall zulassen, daß Ihre erbärmliche Fixierung auf die blutleere Theorie und Ihre Eiseskälte gegenüber Einzelschicksalen Menschen in die Verzweiflung treiben.
Meine Damen und Herren, Ärmel hochkrempeln allein reicht nicht. Wir schreiben nicht das Jahr 1948; das ist oft gesagt worden. Wir können für den Osten
Deutschlands kein zweites Wirtschaftswunder erwarten.
Wer dennoch vergleicht, unterschätzt den in Nachkriegsdeutschland bereits vorhandenen Anschub der Wirtschaft. So war der enorme Aufschwung vielen Faktoren zuzuschreiben. Erwähnt seien der Kürze der Zeit wegen nur der oft zitierte, auch psychologisch wirksame Marshallplan, das Investitionshilfegesetz und das Lastenausgleichsgesetz. Außerdem wurde die Exportwirtschaft - mein Kollege Roth hat das gesagt - durch einen Dollarkurs von 4,20 zu 1 massiv begünstigt.
Im Vergleich dazu ist das Bild in den Ländern der ehemaligen DDR ein grundsätzlich anderes. Die Währungsunion des Jahres 1990 bedeutete für weite Teile der ehemaligen DDR-Wirtschaft das Aus. Auf Grund der zwar richtigen - das haben wir immer gesagt - und notwendigen Ausweitung des D-Mark-Gebietes mußten die früheren Märkte wegfallen. Hier auf ein Wirtschaftswunder zu hoffen ist gegen jeden ökonomischen Sachverstand. Mit der Währungsunion sank die industrielle Warenproduktion um 50, 60, ja 70 To und mehr.
Für uns Sozialdemokraten gibt es keinen dritten, vierten oder sonstigen Weg; für uns gibt es keine Alternative zur Sozialen Marktwirtschaft. Allerdings verstehen wir das Attribut „sozial" als konstitutives Element und lassen es nicht zum Schnörkel einer Sonntagsrede degenerieren.
({12})
Erst in diesen Tagen gestehen Sie im Jahreswirtschaftsbericht zu - zumindest zum Teil - , daß es in der ehemaligen DDR zu einer enormen Arbeitslosigkeit kommen wird. Sie versuchen, dies mit dem Argument der verdeckten Arbeitslosigkeit wieder zu kaschieren. Ich will Sie nicht - ich weiß, das nervt Sie - mit Oskar Lafontaine neurotisieren. Ich erinnere daher in diesem Zusammenhang an die im letzten Jahr herausgegebene Untersuchung meines Parteifreundes Klaus von Dohnanyi, der schon im Herbst vergangenen Jahres ohne den Apparat eines wissenschaftlichen Instituts, ohne Kanzleramt und Wirtschaftsministerium eine genaue Berechnung anstellte. Diese Berechnung hält auch heute noch jeder Überprüfung stand. Ein spitzer Bleistift und das Anschreiben von 200 Instituten erbrachten klare Zahlen.
Diese eine Bemerkung sei mir gestattet: Wir wählen am kommenden Sonntag in Rheinland-Pfalz einen neuen Landtag, und ich bin dankbar, daß mit Klaus von Dohnanyi ein Mann, der rechnen und selbständig denken kann, wirtschaftlicher Berater des Ministerpräsidenten wird.
({13})
- Sie hätten das Buch mal lesen sollen.
({14})
- Na, hören Sie mal! Sie fragen die falschen Sachen.
Ich komme zum Jahreswirtschaftsbericht zurück. Es macht mich nachdenklich und besorgt, daß Sie nicht den Gedanken human orientierter Wissenschaftler und Praktiker folgten, sondern sich auf die zynischmenschenverachtende Denkweise jener Neoklassiker stützen, für die Arbeitslosigkeit kein Grund zum Lamentieren ist. Das können Sie nachlesen. Ich gebe Ihnen auch gern Nachhilfeunterricht.
Im März 1991, ein halbes Jahr nach der deuschen Vereinigung und ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion, gibt es im Osten Deutschlands 808 000 Arbeitslose und über 2 Millionen Kurzarbeiter, von denen annähernd 60 % weniger als die Hälfte ihrer bisherigen Arbeitszeit tätig sind. Dies sind jetzt schon 2 Millionen Menschen. Die Talsohle - das wissen wir alle - ist längst noch nicht erreicht. 3 bis 4 Millionen Arbeitslose werden bald Realität sein.
Wen das psychische Elend dieser Menschen nicht überzeugt, sollte wenigstens die Demotivation und die Einschränkung der aktiven Rolle der Menschen nicht unterschätzen. Sie sind Gift für jede freie Wirtschaft und Gesellschaft. Sie stellen sozialen Sprengstoff bisher unbekanntem Ausmaßes dar.
Meine Damen und Herren, wer heute 45 Jahre alt ist, kann nicht zehn Jahre warten, bis die Transformation gegriffen haben wird.
({15})
Dann geht er in Rente, und was hatte er von seinem Leben?
Frau Kollegin, das rote Licht am Rednerpult bedeutet, daß Ihre Redezeit schon seit geraumer Zeit abgelaufen ist.
({0})
Was passiert eigentlich, wenn ich Ihrem Rat nicht folge und das Pult nicht verlasse? Heißt es dann „Frau des Gründers der DDR wurde bei ihrer ersten Rede abgeschleppt"
Ich darf also weiterreden.
Bitte, Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluß.
({0})
Wir Sozialdemokraten fordern nicht erst seit dem 8. März Beschäftigungs- und Qualifizierungsoffensiven. Sie jedoch finanzieren statt dessen Arbeitslosigkeit. Eigentumsrechtliche Unsicherheiten -
Entschuldigung, Frau Kollegin, Sie haben keine Redezeit mehr. Schließen Sie Ihre Rede mit einem Satz!
Ich fragte eingangs nach dem Problembewußtsein und komme nicht umhin festzustellen: Sie konnten weder die aktive Rolle der Menschen mobilisieren, noch konnten Sie die dringend erforderlichen wirtschaftlichen Anreize schaffen. Es ist weitgehend unklar, wem Ihre Maßnahmen wirklich helfen werden. Den Menschen in der ehemaligen DDR jedenfalls nicht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Lassen Sie mich bitte an dieser Stelle wieder einmal sagen: Es macht dem Präsidenten überhaupt keinen Spaß, einer charmanten Kollegin das Wort wegzudrängen.
({0})
Nur: Wenn wir Vereinbarungen treffen, müssen wir uns auch daran halten. Wenn ich zweimal darauf hinweise, geht es nicht, daß man weiterredet, als sei kein Hinweis erfolgt. Wir sind ohnehin schon zeitlich weit im Rückstand.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit dem Jahreswirtschaftsbericht ein ebenso umfassendes wie fundiertes Programm vorgelegt, wie sie die Vereinigung unseres Vaterlandes auch wirtschaftlich bewältigen will. Wir setzen wie beim Wiederaufbau nach dem Kriege auf die schöpferischen Kräfte des Marktes, d. h. auf die Leistungsbereitschaft und die Schaffenskraft unserer Mitbürger in den alten und in den neuen Bundesländern. Dabei sind wir uns der Verantwortung einer Sozialen Marktwirtschaft voll bewußt. Deshalb wird der Umstrukturierungsprozeß sozial abgefedert. Der jüngste Eckpfeiler in dieser Strategie ist das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost mit einem Gesamtvolumen von immerhin 24 Milliarden DM.
Der Bund und die westlichen Länder bieten den neuen Bundesländern finanzielle Unterstützung für den Aufbau in einer Breite und in einer Qualität, wie es das in der Geschichte unseres Landes noch nie gegeben hat.
({0})
Naturgemäß konzentrieren sich die Maßnahmen der Regierung primär auf die Gegenwart und die unmittelbare Zukunft. Denn je mehr sich der marktwirtschaftliche Prozeß in den neuen Bundesländern beschleunigen wird, um so geringer wird der Bedarf für ergänzende staatliche Absicherung sein.
Ich brauche Ihnen die Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern nicht im einzelnen aufzuzählen. Das alles ist im Jahreswirtschaftsbericht umfassend dargestellt.
Allein in diesem Jahr stehen in den neuen Bundesländern rund 50 Milliarden DM für Investitionen für staatliche Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung. Regelungen zur Beseitigung von Hemmnissen für Investitionen wurden getroffen. Die private Investitionstätigkeit wird unmittelbar durch steuerliche und sonstige Maßnahmen ganz massiv gefördert. Die vielgescholtene Treuhandanstalt macht trotz der allzu voreiligen und oberflächlichen Kritik in der Öffentlichkeit weit bessere Fortschritte, als es uns manche Berufspessimisten glauben machen möchten.
Aus dem Bundeshaushalt fließen in diesem Jahr insgesamt nahezu 100 Milliarden DM in die neuen Bundesländer. Auch in den nächsten Jahren sind Finanzzuweisungen in ähnlichen Größenordnungen vorgesehen.
Zur Finanzierung dieser marktwirtschaftlichen Strategie hat die Bundesregierung ein ausgewogenes Konzept aus Ausgabeneinsparungen, Einnahmeverbesserungen und Kreditfinanzierung vorgelegt, das weder die Kapitalmärkte noch die Bürger, noch die Wirtschaft überfordert. Die Finanzmärkte, Herr Kollege Jens, haben das im übrigen auch honoriert. Denn wir haben einen zwar noch zu hohen, aber immerhin einen Kapitalmarktzins, der einen halben Prozentpunkt unter dem vom September 1990 liegt.
Der Sachverständigenrat hat in seinem am vergangenen Wochenende vorgelegten Sondergutachten unseren Weg zu einer erfolgreichen Umstrukturierung im Osten Deutschlands ganz uneingeschränkt bestätigt. Die Sachverständigen teilen in diesem Gutachten nicht nur unsere Bewertung der wirtschaftlichen Lage und die von der Bundesregierung eingeleitete Therapie, sie warnen uns auch vor Attentismus und fordern uns ganz ausdrücklich und nachdrücklich auf, marktwirtschaftlich Kurs zu halten.
({1})
Wer jetzt mit leichter Hand ständig neue Forderungen ausstreut, die deutsche Einheit müsse noch bis zum Ende dieses Jahrtausends jährlich mit dreistelligen Milliardenbeträgen aus den öffentlichen Kassen subventioniert werden, wie es eben Herr Jens wieder getan hat, beweist, lieber Herr Kollege, sehr wenig Vertrauen in die Marktwirtschaft.
Ich bin sicher: Der einmal in Gang gekommene marktwirtschaftliche Entwicklungsprozeß wird sich selbst schnell verstärken und so zu einer Annäherung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern führen.
({2})
Auch das Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik hält ein reales Wirtschaftswachstum von 10 To jährlich in den neuen Bundesländern in den nächsten Jahren für realistisch. In diesem Punkt stimmen wir mit dem Gutachten uneingeschränkt überein.
({3})
Wir verteilen die durch die internationale und nationale Entwicklung unvermeidbar gewordenen Steuererhöhungen gleichmäßig auf alle Schultern. Wir wollen trotz der engen Haushaltsspielräume auch in den kommenden Jahren die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum weiter verbessern und einen noch wirksameren Familienlastenausgleich erreichen.
Wir werden schließlich wie bisher bei allen steuerpolitischen Maßnahmen auch die Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden aufgabengerecht berücksichtigen.
In der Aktuellen Stunde und ja auch heute haben Vertreter der Opposition immer wieder auf die angeblichen Disparitäten zwischen Steuererhöhungen für die breite Masse und Steuersenkungen zugunsten weniger Großvermögensbesitzer hingewiesen. Diese völlig unzutreffende Behauptung wird auch durch die gebetsmühlenartige Wiederholung nicht richtiger. Denn die Unternehmen und die sogenannten Besserverdienenden tragen durch den an ihren höheren Einkommen orientierten Solidaritätszuschlag, durch die gestiegenen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und auch im Rahmen der anderen Erhöhungsmaßnahmen in erheblichem Umfang zur Finanzierung mit bei.
Absolut wahrheitswidrig ist es, im Zusammenhang mit der geplanten Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der teilweisen Verringerung der Vermögensteuer für Betriebsvermögen von einer Privilegierung der Reichen zu sprechen.
Die vom Bundesfinanzminister eingesetzte Sachverständigenkommission zur Reform der Arbeitsplatzbesteuerung sieht eine Kompensation vor. Diesen Vorschlag haben wir uns zu eigen gemacht.
Auch ist es schlicht falsch, im Zusammenhang mit den geplanten Erleichterungen bei den ertragsunabhängigen Steuern von einem Geschäft zu Lasten Dritter, nämlich zu Lasten von Ländern und Gemeinden, zu sprechen. Ich meine, gerade unsere Länder und unsere Gemeinden haben in den letzten Jahren erfahren, daß eine wirtschaftsfördernde, auf private Investitionen und die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze gerichtete Steuerpolitik die Einnahmebasis ihrer Haushalte nicht schmälert, sondern entscheidend verstärkt. In den letzten Jahren, von 1981 bis 1991, haben die kommunalen Steuereinnahmen immerhin um 28 Milliarden DM zugenommen, und in diesem Jahr dürfen unsere Kommunen Steuermehreinnahmen in einer Größenordnung von sage und schreibe 4,2 Milliarden DM erwarten.
Ein letztes Wort noch zu der Forderung, auf Steuererhöhungen gänzlich zu verzichten: Ich sehe, lieber Herr Kollege Jens, immer wieder mit großem, ja mit ganz großem Erstaunen
({4})
- nein - diesen Widerspruch, der sich daraus ergibt, daß die SPD-regierten Länder von Anfang an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gefordert haben und diese Forderung auch heute immer noch erheben und daß die Opposition hier im Bundestag, wie eben auch Sie wieder, dem genau entgegenspricht.
({5})
- Lieber Herr Kollege Jens, diese Art der Arbeitsteilung werden wir nicht unwidersprochen und ungestraft durchgehen lassen.
({6})
Wir haben die Finanz- und steuerpolitischen Entscheidungen getroffen, und wir haben alle Veranlassung - dazu gibt uns auch die Lektüre des Jahreswirtschaftsberichts hinreichend Anlaß - , mit guter
Hoffnung und mit frohem Geist in die Zukunft für die alten wie die neuen Bundesländer zu schauen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Frau Kollegin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Sie haben das Wort.
So leicht wie der Kollege Vorredner kann man es sich natürlich auch machen. Wir stehen mitten in der größten wirtschaftspolitischen und industriepolitischen, mitten in der größten regionalpolitischen Krise der deutschen Nachkriegsgeschichte,
({0})
und die Regierung und alle Debattenredner der Koalition arbeiten mit einer verharmlosenden Sprache und versuchen, von den Tatsachen abzulenken,
({1})
und ernennen uns zu Berufspessimisten.
({2})
Ich meine, Sie sollten sich die Fakten schon einmal gründlich ansehen.
Leider ist es so, daß auch im Jahreswirtschaftsbericht 1991 kein reales Bild der Verhältnisse gezeichnet wird, nirgendwo klar nach Branchen, Sektoren und Regionen gesagt wird, wohin die Reise geht, und nirgendwo den wirtschaftlich Verantwortlichen, auch in den Regionen, klar gesagt wird, auf welche Schwierigkeiten, ja welche ungeheuren Dimensionen von Problembewältigung sie und wir alle uns einzustellen haben.
Ich meine nicht, daß sich die Menschen in den neuen Bundesländern über diese Realitäten hinwegbetrügen würden. Aber ich meine, es ist schon eine Zumutung, wenn im Jahreswirtschaftsbericht steht - ich zitiere In den neuen Bundesländern ist der Übergang von der sozialistischen Kommandowirtschaft zur Sozialen Marktwirtschaft mit einem tiefgreifenden Strukturumbruch verbunden.
Das, Herr Wirtschaftsminister Möllemann, ist wahrhaftig das Understatement des Jahres.
Wir registrieren einen weitgehenden Zusammenbruch des Industriestandorts neue Bundesländer und absehbare Massenarbeitslosigkeit in Ausmaßen, die die der großen Depression weit, ja massiv übertrifft. Was soll man angesichts dessen zu solchen schönfärberischen Bemerkungen noch sagen? Dabei lagen uns seit Mitte August vergangenen Jahres alle Informationen über das absehbare Desaster von den Instituten und auch vom ehemaligen Wirtschaftsministerium der DDR vor. Es lagen Schätzungen, die damals sehr optimistisch waren, darüber vor, daß etwa ein Drittel der damaligen DDR-Industrie akut konkursgefährdet wäre, ein knappes Drittel überlebensfähig und der Rest nur mehr bedingt sanierungsfähig wären.
Das, was damals bereits weithin optimistisch war, hätte uns alarmieren und auch zu Handlungen veranlassen müssen. Wir haben Ihnen damals einige Dinge vorgeschlagen. Ich finde es unfair, wenn der Herr Kollege Grünbeck so tut, als habe die Sozialdemokratie, damals vertreten durch Herrn Roth, nicht klar gesagt, auf welchen Gebieten investiert werden solle. Wir haben keineswegs pauschal 15 Milliarden DM verlangt, sondern sehr dezidiert gesagt, in welchen Bereichen, von der Städtebauförderung bis zur Infrastruktur, etwas gemacht werden solle, wohl wissend, daß damit vor einem Dreivierteljahr bis einem Jahr gar nicht begonnen werden kann.
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Sie haben diese Chance damals verspielt, weil Sie meinten, Sie könnten und wollten in dieser Frage nicht helfen.
Die zweite Sache ist: Es ist für mich auch beklemmend, daß sich auch der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Sondergutachten immer noch einer beschönigenden Sprache bedient, auch wenn er härter als der Jahreswirtschaftsbericht formuliert und nur von längerfristigen Krisen strukturschwacher Regionen mit erheblichen Arbeitsmarktungleichgewichten spricht. Was für eine Änderung des Sinngehalts des Wortes „erheblich" in der Wirtschaftspolitik! Früher haben wir als erhebliches Ungleichgewicht alles bezeichnet, was in etwa über eine Arbeitslosenquote von 10 % hinaus ging. Heute müssen wir mit Arbeitslosenquoten von weit über 30, 40, ja 50 % in einzelnen Regionen rechnen. Man diskutiert das mit Schönfärbereien und bezeichnet das mit Begriffen, wie „erhebliche Arbeitsmarktungleichgewichte", obwohl man offen von regionalen Zusammenbrüchen, ja Katastrophen sprechen müßte.
Ich glaube, wir kommen um die Fakten, nämlich einen gewaltsamen Deindustrialisierungsprozeß in den östlichen Bundesländern und das ökonomische Herabsinken ganzer Regionen zu einer sozialen Transferkolonie mit einem heute schon miserablen regionalen Image, wenn wir nichts Gründliches dagegen tun, eigentlich nicht herum.
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- Wir sollten, Herr Kollege Grünbeck, wenigstens einmal die Fakten auf den Tisch legen. Wir sollten nicht - wie auch Ihr Vorredner - mit Schönfärbereien darüber und nicht von Berufspessimisten sprechen, sondern sagen: Die harten Fakten müssen auf den Tisch, und dann muß noch darüber geredet werden, wie man schneller das Effektive macht.
Die Bundesregierung hat nun endlich und sehr spät die Gelder zur Verfügung gestellt. Sie hat jetzt endlich geklotzt, wo im vergangenen Jahr nur gekleckert worden ist. Wertvolle Zeit wurde vertan, und nun sind viele Voraussetzungen für privatwirtschaftliche Investitionen nicht geschaffen, geschweige denn auch nur im fortgeschrittenen Stadium der Planung. Wir wissen alle, was hohe Arbeitslosenraten, die auch nur einige Monate zu verzeichnen sind, an unvermeidlichen Wanderungsbewegungen vor allem jüngerer Arbeitnehmer auslösen. Wir wissen übrigens auch, was das dann an Standortnachteilen für die Region bedeutet, deren einzige Stärke derzeit das Vorhandensein jüngerer qualifizierter Facharbeiter ist.
Übrigens: Warum ist denn von den Abwanderungsraten in diesen Bereichen im Jahreswirtschaftsbericht nicht die Rede? Da hat man überall keine statistischen Grundlagen, da kann man in keiner Region abfragen. Es ist doch peinlich, Herr Kollege, daß nach Regionen keineswegs abgefragt ist, welche Abwanderungsraten vorhanden sind. Das ganze Thema ist Ihnen höchst peinlich, und dabei bleibt es.
Für uns ist aber wichtig, daß zunächst einmal saniert wird. Wir wissen, daß einmal kaputte Regionen industriell wiederaufzuforsten, beinahe unmöglich und nur unter extrem hohen Kosten möglich ist. Deswegen sind auch wir für Privatisierung. Aber auch Sanieren ist unumgänglich. Das, was der Kollege Kraus hier mit wünschenswerter Klarheit gesagt hat, sollte ruhig auch von seiten des Wirtschaftsministeriums deutlicher aufgenommen werden. Man wird um Sanierung nicht herumkommen. Das wird teuer werden. Darüber sollte man die deutsche Öffentlichkeit nicht hinwegtäuschen.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hitschler?
Aber mit Vergnügen.
Sehr verehrte Frau Kollegin, worin unterscheidet sich denn eigentlich das, was Sie vorgeschlagen haben - Sie sagen, Sie sind für Privatisierung und Sanierung - , von dem, was die Bundesregierung hier vorgetragen hat?
Lieber Herr Kollege, wir haben hier ja mehrere Runden und auch Fragenstunden mit der Bundesregierung über die Frage gehabt, welche Politik die Treuhand zu verfolgen hat. Dabei haben wir sie zunächst gefragt, was für Richtlinien sie hat. Darauf hat der zuständige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium klar gesagt, daß die Treuhand die Aufgabe der Privatisierung, aber keineswegs die Aufgabe habe, Strukturpolitik zu betreiben, um Regionen zu sanieren. Dies können Sie zweifelsohne nachlesen.
Wir haben hinreichend nachgefragt und gesagt: Um Gottes willen, die Treuhand muß doch bei der ganzen Aufgabe der Verwaltung von Betrieben bedenken, daß sie eine volkswirtschaftliche, eine strukturpolitische, eine regionalpolitische Verantwortung hat; sie kann doch nicht einfach dichtmachen. Darauf ist gesagt worden: Die Politik der Treuhand sei eindeutig: Privatisierung vor allen anderen Dingen; sie habe - so wörtlich - keine struktur- und regionalpolitische Aufgabe.
Solange das der zuständige Staatssekretär der Bundesregierung sagt, Herr Kollege, gehe ich davon aus, daß das richtig ist. Wenn man hier vorsichtige Ansätze bei den in der Debatte sprechenden Kolleginnen und Kollegen der Koalition hört, daß man davon abzuweichen gedenke oder daß hier Umdenkungsprozesse im Gang sind, dann begrüße ich das, wie Sie,
lieber Herr Kollege, merken, ausdrücklich in dieser Debatte. Ich nenne den Kollegen sogar lobend beim Namen, auch wenn er einer Konkurrenzpartei in Bayern angehört.
Wenn Sie noch hören wollen,
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daß wir in diesem Punkt weiter loben, sage ich Ihnen, daß auch wir der Meinung sind, daß der Sachverständigenrat und auch die Bundesregierung zu Recht darauf hinweisen, daß die ostdeutschen Firmen sich dem Weltwettbewerb unabgeschirmt stellen müssen und daß sie vielfach weder mit ihren Produkten bezüglich Qualität, Aufmachung und technischem Niveau den gestiegenen Ansprüchen genügen noch zu wettbewerbsfähigen Kosten produzieren.
Das alles ist sicher nicht falsch. Und doch übersehen die Regierung und vor allem der Sachverständigenrat
- der in seinem Sondergutachten, das hier kaum zur Sprache gekommen ist, die Regierung besonders scharf rüffelt, sie sei nicht marktwirtschaftlich genug - zwei wichtige Bedingungen für eine Marktwirtschaft mit hoher spezialisierter Arbeitsteilung, die mindestens so wichtig und konstitutiv sind wie Wettbewerb und Konkurrenz, nämlich Kooperationsbeziehungen und Synergien zwischen den Lieferanten und den Abnehmern nicht nur im industriellen Sektor und vor allem die hohen Markteintrittskosten für ostdeutsche Unternehmen im westdeutschen Bereich. Es geht für sie ja nicht nur darum, ein Produkt zu verkaufen, sondern sie verkaufen gleichzeitig Service, Qualität und Problemlösungspakete. Nicht nur im Produktwettbewerb, sondern auch in diesen zentralen Fragen haben die ostdeutschen Unternehmen derzeit die schlechteren Karten. Sie sind von ihren alten Kunden und Absatzmärkten weitgehend abgeschnitten. Sie haben kaum Chancen, neue Beziehungen aufzubauen und sich auch im Westen in die Wirtschaft zu integrieren.
Herr Präsident, ich bekomme wegen der Zwischenfrage noch ein bißchen Zeit dazu?
Frau Kollegin, während der Zwischenfrage ist die Uhr angehalten worden. Das rote Licht leuchtet also zu Recht.
Deswegen meine ich - ({0})
- Ich freue mich immer, Herr Kollege Kittelmann, über Ihre netten Zwischenrufe. Ich habe mich allerdings auch gefreut, wie Ihnen die Kollegin Elke Leonhard heute wenigstens für fünf Minuten den Mund geschlossen hat.
({1})
Zu einem Punkt möchte ich noch eine Warnung aussprechen. Wenn die Menschen in den neuen Bundesländern die von ihnen selber produzierten Waren für zweitklassig halten und nur zurückhaltend oder gar nicht kaufen, wenn selbst Kommunalpolitiker sich im Zweifelsfall an westliche Abnehmer wenden und
wenn Handelsketten, die sich auch im Osten etabliert haben, nicht einmal in ihren Filialen in Cottbus oder Dresden örtlichen Herstellern eine Chance geben, dann werden wichtige Absatzmärkte und Hunderttausende von Arbeitsplätzen verlorengehen. Der Bundeswirtschaftsminister sollte mit den großen Einkaufsketten und Einkaufsgesellschaften darüber reden, daß die Waren der ostdeutschen Hersteller nicht weiter diskriminiert werden, und gegebenenfalls auch administrative Maßnahmen ergreifen.
Zum Schluß: Die öffentliche Hand als Nachfrager sollte sich weit über das hinaus, was Sie an lobenswerten Ansätzen mit der VOB und VOL unternommen haben, darum bemühen, daß ostdeutsche Produzenten auch in den westlichen Ländern bei der öffentlichen Nachfrage etwas mehr Chancen als bisher bekommen.
({2})
- Bitte.
Das wäre ein bißchen viel verlangt: die Redezeit überschreiten und dann noch eine Zwischenfrage beantworten wollen.
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Friedhelm Ost.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, Sie haben auf das Sondergutachten vom 13. April 1991 hingewiesen. Darin schreiben die Sachverständigen in der Tat - ich darf zitieren - : „Viele haben schon aus ihren Köpfen verdrängt, daß viereinhalb Jahrzehnte sozialistischer Mißwirtschaft den Grund für die wirtschaftliche Misere gelegt haben. " Wir alle sollten das nicht verdrängen, sondern im Blick behalten: Aus dem jahrzehntelang angepriesenen Arbeiter- und Bauernparadies war für die meisten unserer Landsleute wahrlich die Hölle geworden.
({0})
- Vielleicht war es auch ein Zwischenstück. Aber es war schlimm genug.
({1})
Wir sollten dafür ein hohes Maß an Sensibilität entwickeln.
({2})
- Gut.
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- Die DDR war für viele Menschen politisch und menschlich wahrlich auch die Hölle. Das können Sie nachvollziehen. Ich weiß, Ihnen fällt das schwer, weil Sie sehr eng mit der SED zusammengearbeitet haben.
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- Lieber Herr Kollege Roth, deswegen hat es mich nicht so sehr gewundert, daß Sie der Regierung Modrow noch großartig Geld geben wollten.
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- Über die Häufigkeit der Besuche - auch von Saarländer zu Saarländer - , die Innigkeit - ({6})
- Wir sind ein Rechtsstaat.
Meine Damen und Herren, überwiegend hat das Wort der Redner, und das ist Herr Ost.
({0})
Lieber Herr Kollege Roth, mich hat sehr gewundert, daß Sie die Regierung Modrow so unterstützen wollten. Sie hätten doch wissen müssen, daß da Luftbuchungen vorgenommen worden wären, wie das bei der PDS doch geschehen ist.
({0})
Wir sind doch jetzt noch auf der Suche nach den verbuchten Millionen.
Ich wundere mich auch sehr, daß Sie zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft abgeben - auch Sie, Frau Kollegin Leonhard - , aber doch nach wie vor immer mit dem Staatsinterventionsimus kokettieren. Das war bei Ihnen durchgängig zu hören. Sie glauben, Sie seien allwissend. Ich habe nur nicht gehört, daß Sie die Märkte von heute und morgen kennen.
Sie wissen ganz genau, wer den Wartburg noch abruft.
({1})
Als Herr Rohwedder die Arbeitnehmer im Automobilwerk Eisenach gefragt hat, wer denn bereit sei, mit einem großen Rabatt einen solchen Wagen zu kaufen, hat sich niemand gemeldet. Das war doch sehr beeindruckend.
Herr Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?
({0})
Bitte.
Kittelmann, Ruhe! - Lieber Herr Ost, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich letztes Jahr in der Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht gesagt habe: erstens: Stadtsanierung, zweitens: Telekommunikationsnetz, drittens: das Eisenbahnwesen zu verbessern; es sei notwendig,
direkte Projekte zu finanzieren? Können Sie mir sagen, wie das funktionieren soll, ohne daß der Staat Mittel bereitstellt?
Ich komme darauf noch, Herr Kollege Roth.
({0})
- Ich ziehe meinen Vorwurf nicht zurück. Denn unter der Regierung Modrow, von der Sie vorhin gesprochen haben, hätten wir das alles doch nicht hinbekommen; das wissen Sie doch ganz genau.
({1})
Da haben wir zwar viele Dinge in Gang gesetzt, aber manche Dinge - das sehen wir - funktionieren auch heute noch nicht so richtig, weil die Verwaltung in der Tat weiter verbessert werden muß, weil teilweise noch alte Seilschaften am Werke sind und neue Seilschaften - ich gebe das zu - manchmal nicht viel besser funktionieren.
({2})
- Wir haben die Regierung de Maizière sehr intensiv unterstützt.
Aber, lieber Herr Kollege Roth, wenn es Ihnen schwerfällt - ich habe das bei vielen sozialdemokratischen Kollegen gehört - , Ludwig Erhard nachzuvollziehen, sollten Sie doch einmal bei Karl Schiller nachhören. Er selber hat in Fernsehinterviews und Reden öffentlich sehr deutlich gesagt, daß der Kurs der Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik richtig ist.
({3})
- Ich habe ihn erst kürzlich im Fernsehen gesehen. Da hat er noch einen steuerpolitischen Vorschlag - ({4})
- Nein, Herr Kollege Roth, Sie sollten einmal Karl Schiller konsultieren. Dann fällt Ihnen zur Wirtschaftspolitik noch etwas Besseres ein, vielleicht auch das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft.
({5})
Ich glaube in der Tat, daß einige doch noch sehr starke Nostalgiegefühle haben, wenn sie an den Sozialismus denken. Wir haben das nicht. Wir sagen sehr deutlich - der Wirtschaftsminister hat das heute vorgetragen; es steht im Jahreswirtschaftsbericht der
Bundesregierung - : so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig.
({6})
Vor allem in der Übergangsphase ist es richtig, daß wir Strukturveränderungen staatlich begleiten können. Die Treuhand kann zwar privatisieren, sie kann teilweise sanieren,
({7})
aber sie kann nicht die gesamte regionale Strukturpolitik übernehmen, Herr Kollege.
({8})
Doch es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen der Treuhand und den Länderregierungen. Es gibt Treuhand-Kabinette, in denen man gut zusammenarbeitet. Nur: Sie selber haben die Vereinigung nicht gewollt, aber im vorhinein schon gewußt, wie man das alles am besten bewältigt. Das wundert mich doch sehr.
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- Das mag durchaus so sein. Ich wünsche Ihnen einmal dieses schöne Amt.
Auch hat mich gewundert, daß Franz Steinkühler
- und der steht Ihnen ja wahrlich nahe - eine große Demonstration veranstaltet - aber die Demonstrationen werden jetzt doch wesentlich kleiner - und dann sagt, hier werde, ideologisch borniert, auf den Markt vertraut. Das wundert mich bei diesem Mann schon sehr. Denn die Gewerkschaften haben den FDGB-Vorsitzenden Tisch noch vor 3 Jahren stürmisch gefeiert. Die IG-Metall ist der größte Beitragszahler des DGB; Sie können die Finanzen ja einmal nachschauen. Und vor allem war die IG-Metall an der grandios geführten gemeinwirtschaftlichen Unternehmensgruppe von Co op über die Neue Heimat bis zur BfG massiv beteiligt.
({10})
Da haben Sie doch wunderbar praktiziert, wie es eben nicht geht.
Wenn wir in dieser Umbruchphase, die für die Menschen dramatisch genug ist, eine klare Diagnose und Analyse vornehmen, dann hätte ich mir natürlich gewünscht - das ist vorhin auch bei Ihnen angeklungen -, daß wir auch darauf hinweisen, daß wir ein gutes Rezept und auch Erfolge haben:
({11})
dank der guten Wirtschaftspolitik und auch dank des guten Zusammenarbeitens von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gewerkschaften gleichermaßen.
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Wir haben seit fast einem Jahrzehnt, seitdem wir die SPD-geführte Regierung abgelöst haben, ein gutes, solides Wirtschaftswachstum. Es betrug im vorigen Jahr real 4,6 %, nominal 8,2 %. Das war ein Zuwachs von über 180 Milliarden DM. Und da sind wir doch auch solidarisch genug, einen Teil dieses Zuwachses an die neuen Bundesländer zu transferieren: zur Entwicklung der Infrastruktur, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen, wo dies sinnvoll ist.
Ich sage ganz offen: Wir sollten unseren Landsleuten doch Mut machen und ihnen sagen, daß hier gerade dank des richtigen Kurses mit der Sozialen Marktwirtschaft vor allem auch die Arbeitnehmer profitiert haben: mit sicheren Arbeitsplätzen, mit mehr Arbeitsplätzen, mit neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, aber auch in der Einkommenspolitik. Letzteres wird immer so gerne verdrängt. Wenn Sie sich das einmal genau angucken, stellen Sie fest: Die Löhne und Gehälter haben in den letzten vier Jahren brutto um 25 % zugenommen, netto sogar um 26,4 %. Dank der hervorragenden Stabilitätspolitik ist auch ein reales Plus von 20 % geblieben.
Lieber Herr Kollege Jens, Sie haben auf die Geld-und Kapitalmärkte hingewiesen. Der Kollege Grünewald hat seinerseits darauf aufmerksam gemacht, daß wir seit Jahresanfang, seitdem wir klare haushaltsund finanzpolitische Signale ausgesandt haben, ein allmähliches - ich gebe Ihnen zu: noch nicht voll befriedigendes - Abgleiten der Zinsen feststellen können, auch am Kapitalmarkt. Das können Sie nachvollziehen. Es ist nicht so, wie Sie es gesagt haben, daß die Investitionen abnehmen. Gerade der Ifo-Investitionstest zeigt, daß wir in diesem Jahr sogar mit einem Ansteigen der Investitionen rechnen können: etwa plus 13 %. Solche Ergebnisse hätten Sie sich Ende der 70er Jahre und Anfang der 80er Jahre gewünscht. Da haben wir in der Tat ein Minus zu verzeichnen gehabt. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß wir in den alten, aber auch in den neuen Bundesländern Investitionen brauchen, um Arbeitsplätze zu sichern und um heute und morgen Einkommen zu schaffen.
Es wäre, glaube ich, ein wichtiges Signal, wenn man durch stärkere Kooperation eine Synchronisierung der Wirtschaftsentwicklung auf hohem Niveau in den alten und neuen Bundesländern erreichte. Wir haben hier eine große Wirtschaftskraft. Zu Recht fragen Politiker aus anderen Ländern - in Polen, der Sowjetunion oder wo auch immer - : Wenn ihr im wiedervereinigten Deutschland es nicht schafft, die fünf neuen Bundesländer zu entwickeln, wer soll es dann schaffen?
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Natürlich ist Solidarität, aber auch Kooperation gefragt. Man muß bisweilen auch über ideologische Schatten springen.
Ich glaube, daß diese Bundesregierung mit ihrer Wirtschaftspolitik seit 1982/83 bewiesen hat, daß sie über die richtigen Rezepte verfügt. Ich halte auch den Jahreswirtschaftsbericht, der vorgelegt worden ist, für ein gutes Kursbuch, obwohl man in der Tat bei der einen oder anderen Etappe noch Korrekturen anbringen kann.
Vielen herzlichen Dank.
({14})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr unser Kollege Herbert Meißner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich aus dem Brandenburgischen hier nach Bonn komme, habe ich zunehmend das Gefühl, ich käme in eine heile Welt. Die gewaltige Dimension der Strukturveränderung in den ostdeutschen Ländern - niemand kann sich dem entziehen - hinterläßt tiefgreifende Veränderungen.
Ich will versuchen, an Hand von Momentaufnahmen zur Beleuchtung des Jahreswirtschaftsberichtes beizutragen. Die globalen Strukturereignisse sind mittlerweile allen klar. Aber warum greifen die vielen Milliarden für die neuen Bundesländer, die jetzt zur Verfügung stehen, nicht und verändern die Situation? Ich stelle zunächst einmal nüchtern fest, daß die eingeleiteten Fördermaßnahmen für die neuen Bundesländer im Rahmen des Gemeinschaftswerks begrüßenswert sind.
({0})
- Das ist richtig.
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Meine erste Momentaufnahme beginnt in einer kleinen 3 000-Seelen-Gemeinde. Hier hatte der Gemeinderat schon 1988 mit dem Bau eines Ärztehauses begonnen. Dann stagnierte der Bau in der letzten Zeit der SED-Herrschaft wegen fehlender Gelder. Jetzt wurde dieses Projekt schon bald nach der Kommunalwahl neu belebt. Der Bedarf dafür war vorhanden; die Planung wurde sogar erweitert und ist inzwischen abgeschlossen. Als durch die eingeleiteten Fördermaßnahmen endlich die Mittel zur Verfügung standen, nahm vor etwa drei Wochen der Baubetrieb seine Arbeit auf. Doch just am 9. April, also in der vergangenen Woche, kommt der Alteigentümer mit einer einstweiligen Verfügung vom Gericht. Der Bau mußte gestoppt werden, die Handwerker ziehen wieder ab, und dieser Baubetrieb muß schon jetzt kurzarbeiten. Dieses Projekt war für den Baubetrieb ein kleiner Hoffnungsschimmer.
An dieser Stelle wende ich mich an den Bundesminister der Justiz. Sie kennen doch die schwierige Situation an den Gerichten in den ostdeutschen Ländern. Müssen nicht gerade deshalb die gesetzlichen Novellierungen und Ergänzungen besonders für die Übergangszeit eine eindeutige Sprache sprechen?
Hier fehlt die klare Entscheidung „Entschädigung vor Rückgabe".
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Kollege Meißner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hitschler?
Ja, bitte.
Herr Kollege Meißner, könnte die einstweilige Verfügung, von der Sie gesprochen haben, nicht darauf zurückzuführen sein, daß die dortigen Richter noch keine Kenntnis vom Hemmnisbeseitigungsgesetz hatten, das wir hier im Deutschen Bundestag beschlossen haben, nach dem eine Investition in einem solchen Falle, wie Sie ihn geschildert haben, keine Rückgabeansprüche mehr zuläßt? Dieser Fall ist rechtlich eigentlich längst geklärt.
Das will ich Ihnen gerne zugeben. Dennoch funktioniert diese Regelung momentan noch nicht, wie Sie sehen.
({0})
- Das will ich auch zugeben. Die Zeit läuft uns weg.
({1})
Ein weiteres Beispiel zur Arbeitsmarktsituation. Wir hatten, so meinten einige, Glück gehabt: Zur Verbesserung der Situation in der Telekommunikation wurden Verträge zunächst bei uns vergeben. Die Telekom hat vor drei Wochen mit Erdarbeiten für das Kabelnetz begonnen. In der darauffolgenden Zeit wurde ganz nebenbei festgestellt: Die Arbeiten werden von einer Münchener Firma mit Arbeitern aus Jugoslawien ausgeführt.
({2})
Können Sie das noch verstehen? Ich kann es nicht verstehen, das tut mir furchtbar leid.
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In meinem nächsten Beispiel muß ich noch einmal die Situation der Häuslebauer in den ostdeutschen Ländern betrachten. Das ist schon mehrmals geschehen, trotzdem ist es wert, hier erwähnt zu werden. Knapp 1 Million Häuslebauer haben mit der Einführung der Währungsunion eine böse Überraschung überlebt. Ihre Kreditinstitute verlangten schlagartig marktwirtschaftliche Zinsen. Dies ist jedoch nicht alles. Der Häuslebauer zahlt für die Müllabfuhr, für die Fäkalienbeseitigung und den Schornsteinfeger marktübliche Preise.
({4})
- Natürlich. - Wer kennt nicht die erheblichen Instandsetzungs- und Reparaturkosten für ein Eigenheim, ja gerade für ein Eigenheim in den ostdeutschen Ländern? Dazu kommen die erst jetzt erheblich gestiegenen Kosten für Elektroenergie und andere Energieträger, wie Kohle und Gas - alles in marktwirtschaftlichen Größen. Nur eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist bei dem Häuslebauer keine marktwirtschaftliche Größe geworden, nämlich sein Einkommen.
({5})
Im besten Fall kann er als Lohn- bzw. Gehaltsempfänger mit etwa 50 % des üblichen Einkommens rechnen. Viel schlechter sind Arbeitslose, Kurzarbeiter oder gar Rentner dran; Sie haben doch keine Chancen, diesen Kostendruck abzufangen und dennoch einigermaßen vernünftig zu leben.
Auch wenn Sie dieser Problematik mit der Übernahme wenigstens der Zinsen bis zum 3. Oktober 1990 und darüber hinaus mit einer Art Zinsgeldmöglichkeit ähnlich dem Wohngeld jetzt schnell beikommen möchten, ist es dafür eigentlich schon zu spät. Wenn die Menschen nicht verzweifeln sollen, müssen kurzfristige, sehr kurzfristige Veränderungen zum Tragen kommen. Wie soll denn in dieser Branche der erwartete Investitionsschub eintreten? Wir erwarten ja auch da etwas. Jeder von uns möge sich bitte den Optimismus vorstellen, als die Häuslebauer nach Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion glaubten, daß sie ihre Häuser nun endlich nach westlichem Standard erneuern könnten. Aber sie kamen vom Regen in die Traufe.
Ein letztes Beispiel. In meinen Landkreis - er hat eine Größe von 725 km2 - gibt es allein 128 Objekte des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Darüber hinaus gibt es zwölf Objekte der ehemaligen SED und viele weitere Objekte von Versorgungseinrichtungen. Dazu gehören solche Einrichtungen wie ein Diplomatenklub, das Schloß Teupitz, die Herzog-villa und ein Diplomatenjagdgebiet.
Ein weiteres Objekt hat allein eine Flächenausdehnung von 55 Quadratkilometern. Ja, Sie hören richtig: 55 Quadratkilometer.
Etwa 20 bis 30 % dieser Objekte sind, wie man so schön sagt, von der Treuhandanstalt vermarktet oder - sicherlich meistbietend - verkauft worden. Einige werden für kommunale Zwecke genutzt.
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Die anderen 70 % dieser Objekte schlummern noch vor sich hin. Es ist eine lange Zeit bisher vergangen.
Dies bedrückt mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, und mich bedrückt auch, daß kaum ein Ossi hier als Käufer in Frage kommt; denn nur wenige hatten die reale Chance, in der ehemaligen DDR Rücklagen zu bilden.
Ich meine, wir sollten doch für Chancengleichheit sorgen, wie sie das Grundgesetz fordert. Diese ist hier nicht gegeben.
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Nicht einmal die Kommunen kommen - aus den verschiedensten Gründen - für die Nutzung in Frage. Ein Grund liegt darin, weil die kleinen Kommunen aus fachlicher Kompetenz oder aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage sind, eine kommunale Nutzung solcher Objekte planerisch oder gar wirtschaftlich vorzubereiten. Die jetzt angestrebte kommunale Gebietsreform ist meines Erachtens nach eine der wichtigsten Aufgaben. Hier sind die Landesregierungen gefordert. Die kommunalen Verwaltungen müssen in die Lage versetzt werden, ihre Mitarbeiter zu qualifizieren und parallel dazu fachkompetent und schlagkräftig die durch das Gemeinschaftswerk gebotenen Möglichkeiten zu nutzen, damit das Geld, das jetzt zur Verfügung steht, auch wirklich an die richtige Stelle kommt.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren der Koalition, haben mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost eine Reihe von wirtschaftlichen Fördermaßnahmen belebt, wie sie die Sozialdemokraten schon lange gefordert haben. Ergreifen Sie doch ganz einfach das wiederholt unterbreitete Angebot meiner Partei: Machen Sie mit uns ein wirkliches Gemeinschaftswerk für die Menschen im Osten und im Westen daraus!
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, Ihr Einverständnis setze ich voraus, daß der Kollege Kittelmann seine Rede zu Protokoll gegeben hat.
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Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Hermann Pohler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es steht außer Frage, daß sich die Wirtschaft der neuen Bundesländer in einem schwierigen Anpassungsprozeß befindet. Die ursprünglich mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingetretene Euphorie ist verflogen.
Eine sozialistische Mißwirtschaft kann aber nun einmal nicht in wenigen Monaten in eine blühende Marktwirtschaft verwandelt werden.
Die gegenwärtige Anpassungskrise ist auch keine Krise der Sozialen Marktwirtschaft. Es sind die schweren Hypotheken vierzigjähriger Planwirtschaft, die jetzt von uns allen abgetragen werden müssen.
Hart trifft das vor allem die Menschen in den neuen Ländern, die arbeitslos geworden sind oder es noch werden. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß es für sie eine völlig neue Situation ist, mit der sie nie gelernt haben umzugehen.
Um so unverantwortlicher ist das Verhalten von politischen Strömungen und der Gewerkschaften, Stimmungen gegen die Soziale Marktwirtschaft zu machen. Nicht Demonstrationen, sondern Innovationen und Investitionen sind jetzt das Gebot der Stunde. Es gilt nicht, die Bürger zu verunsichern, sondern es gilt, sie zu informieren und die Wege zum Aufschwung aufzuzeigen; denn neben Schatten gibt es bereits jetzt erstes Licht in der wirtschaftlichen Entwicklung. Da es einigen meiner Vorredner aus der Opposition schwerfällt, dies zu erkennen, will ich nachfolgend versuchen, einige Beispiele aufzuzeigen.
Mit all unseren beschlossenen Maßnahmen, insbesondere dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, haben wir eine Gesamtstrategie und einen Finanzrahmen beispielloser historischer Dimension geschaffen. Besonders wirkungsvoll ist die Investitionspauschale in Höhe von insgesamt 5 Milliarden DM, weil sie schnell wirkt. So wurde z. B. in Leipzig unter Einbeziehung aller Dezernate ein Katalog zum sinnvollen Einsatz der zur Verfügung stehenden 160 Millionen DM erarbeitet. Wie mir bestätigt wurde, ist abgesichert, daß 40 bis 50 % der Vorhaben sofort nach Beschlußfassung durch die Stadtverordnetenversammlung begonnen werden können. Soweit ich informiert bin, ist dies am letzten Mittwoch geschehen.
Der vordringliche Einsatz der örtlichen Kapazitäten ist dabei gesichert, und damit beginnt der Kreislauf des Geldes; denn mit der Arbeit fließen die Steuern und damit Geld in die schmalen Kassen der Kommunen.
Ich nenne weitere positive Ergebnisse, die deutlich sichtbar sind.
Allein in meinem Bundesland, dem Freistaat Sachsen, sind in den ersten beiden Monaten 1991 bereits 18 000 neue Gewerbe angemeldet worden. Im Rahmen des Kommunalkreditprogramms sind in Sachsen bis vergangene Woche 628 Kreditzusagen mit einem Volumen von 1,7 Milliarden DM bewilligt worden. Im Bereich des Mittelstands der neuen Länder ist auch unter Berücksichtigung von Betriebsschließungen eine Erweiterung von über 20 000 neuen Unternehmen zu verzeichnen.
Wie die beiden nachfolgenden Fälle zeigen, gibt es auch für größere Industriebetriebe positive Beispiele. So ist das Drehmaschinenwerk in Leipzig mit Firmen aus den alten Ländern und der Schweiz eine enge Verbindung eingegangen und hat nicht nur in den Ostländern, sondern auch auf dem EG-Markt bereits Fuß gefaßt und hat somit wieder eine Perspektive. Ein weiteres Beispiel ist die Warnow-Werft an der Ostseeküste, die mit Hilfe der Thyssen GmbH ein Sanierungskonzept erarbeitete, das unter Nutzung der spezifischen Kenntnisse der Werft langfristig nicht nur den Schiffsbau für die SU, sondern auch für die westlichen Länder sichern kann.
Im Baubereich geht es gleichfalls voran. So verzeichnete das Landratsamt Leipzig im vorigen Jahr insgesamt 150 Anträge auf Erteilung von Baugenehmigungen. Jetzt sind es täglich rund 50 Anträge, die gestellt werden.
Herr Kollege Pohler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grünbeck?
Bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß bis gestern abend auf dem Messestand der Treuhand in Hannover 7 000 Unternehmen nach neuen Kooperationsverträgen nachgefragt haben und daß das besser ist als alle Schwarzmalerei, die die Opposition heute hier angeboten hat?
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Ich danke für die Erkenntnis. Mir war diese Zahl noch nicht bekannt.
Einige Bemerkungen zur Treuhand. Die Arbeit der Treuhand insgesamt ist nach Anlaufschwierigkeiten durchaus ein positiver Bestandteil der Arbeitsmarktentwicklung. Allein im ersten Quartal 1991 konnten 150 000 Arbeitsplätze dauerhaft gesichert sowie Investitionen von 8 Milliarden DM vereinbart werden. Insgesamt sind durch die Treuhand 341 000 Arbeitsplätze gesichert und Investitionen von 50 Milliarden DM angeschoben worden. Ich glaube, auch dies muß man bei aller Kritik an die Adresse der Treuhand und bei dem Vorwurf, daß manches schneller gehen könnte, fairerweise einmal feststellen.
Dies und auch die Tatsache, daß man an den Wochentagen in Leipzig und anderen Städten kaum noch Hotelzimmer erhält, weil sie mit Geschäftsleuten belegt sind, halte ich für ein deutliches Zeichen eines beginnenden Aufschwungs.
Es sollte auch nicht übersehen werden, daß wir nicht alleinstehen. Auch seitens der Europäischen Gemeinschaften werden erhebliche Kraftanstrengungen beim Aufbau der neuen Länder unternommen. Die Kommission hat kürzlich für die neuen Bundesländer und den Ostteil Berlins ein Konzept beschlossen, das ein Fördervolumen von rund 6,2 Milliarden DM für den Zeitraum 1991 bis 1993 beinhaltet.
Noch einige Bemerkungen zur Arbeitslosigkeit. Sie ist nicht nur die Folge der Umstrukturierung der Wirtschaft, sondern auch die Folge der vormals nur verdeckten hohen Arbeitslosigkeit, die jetzt immer off ener zutage tritt. Wir sollten aber dennoch nicht verschweigen, daß bereits über eine Million Arbeitsplätze in den neuen Ländern geschaffen wurden und daß diese Menschen damit wieder eine feste Beschäftigung erhalten haben.
Bei all diesen sichtbaren Erfolgen und ersten Zeichen eines beginnenden Aufschwungs in den neuen Ländern kann und darf die Situation nicht schöngeredet werden. Noch immer gibt es bedeutende Hemmnisse im Bereich der Investitionen und der Wirtschaft. Als ein wesentlicher Störfaktor wird in der Regel die nicht ausreichende Verwaltung genannt. Die Verwaltungshilfe durch die alten Bundesländer will nicht so recht in Gang kommen. Auch der Austausch von Beamten zum Zweck der Qualifizierung hält sich in bescheidenem Rahmen. Ohne massiven Transfer von verwaltungstechnischem Know-how werden die großen Aufgaben jedoch nicht bewältigt werden können.
Bei der Beurteilung dieser Maßnahmen ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß sie viel Zeit in Anspruch nehmen, Zeit, die wir in den neuen Ländern nicht haben. Zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands sollte daher über eine weitere Vereinfachung gesetzlicher Grundlagen nachgedacht werden. Andernfalls besteht durchaus die Gefahr, daß die für die neuen Länder zur Verfügung gestellten und dringend benötigten Mittel nur teilweise abgerufen werden.
Ausgehend von den sich abzeichnenden guten Ergebnissen der direkt in die Kommunen gelangten Investitionspauschale sollte auch geprüft werden, ob weitere Mittel aus dem Programm Aufschwung Ost auf gleichem Wege bereitgestellt werden können.
Dringend notwendig ist auch die Beseitigung der gewaltigen Infrastrukturengpässe. Ich meine, daß das von Minister Krause erarbeitete Konzept, auch auf diesem Gebiet die private Wirtschaft einzubeziehen, nicht uninteressant ist.
Bezüglich der Fernsprechverbindungen - auch ein nicht unwesentlicher Faktor für die Belebung der Wirtschaft - meine ich, daß Telekom erste Erfolge verbuchen kann. Was vor kurzem noch schwierig war, ist jetzt problemlos möglich, z. B. das Telefonieren zwischen Leipzig und den Regionen der alten Länder. Auch in anderen Städten ist bereits eine spürbare Verbesserung zu verzeichnen.
Die aufgezeigten ersten Ergebnisse wie auch die noch vorhandenen Probleme zeigen, daß der von uns eingeschlagene marktwirtschaftliche Kurs konsequent beizubehalten und an erster Stelle das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost umzusetzen ist.
Den Ausschlag für einen schnelleren oder langsameren Erfolg werden jedoch immaterielle Aspekte geben, nämlich die Leistungsbereitschaft, die Kreativität und der Eigenverantwortungswille der Menschen.
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, es liegen noch zwei Wortmeldungen vor. Nächster Redner ist unser Kollege Gerd Andres.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr: Über 40 Jahre kommunistische Mißwirtschaft ist für den desolaten Zustand in den fünf neuen Bundesländern verantwortlich. Aber genauso wahr ist, daß diese Bundesregierung entgegen allen Warnungen, entgegen allem ökonomischen, sozialen und finanziellen Sachverstand gemeint hat, allein auf die kapitalistische Marktwirtschaft setzen zu können.
Meine Damen und Herren von der Koalition und der Bundesregierung, Sie haben verhängnisvolle Fehler gemacht. Dazu gehört die Regelung der Eigentumsfrage als ein Beispiel. Ich sage Ihnen hier: Auch die Kinkel-Regelung hilft hier kaum weiter, weil sich unsere Warnungen in den Anhörungsverfahren, die verfahrensmäßigen Probleme, die sich ergeben, würden die ganze Angelegenheit weiter behindern, bewahrheitet haben.
Ich sage Ihnen: Das Gesetz zur Förderung von Investitionen wird auch in den vor uns liegenden Wochen und Monaten nicht zu dem von Ihnen gewünschten Erfolg führen. Dazu gehören Regelungen wie die Frage der Altlasten, die Sie im Staatsvertrag getroffen haben; dazu gehören schlichte Unterlassungssünden, die Sie in diesem Hause über Wochen und Monate vorgetragen haben. Ich denke, das, was meine Kolleginnen und Kollegen bisher dazu geäußert haben, ist leider wahr. Aus dieser Verantwortung können Sie sich bei allen schönen Reden nicht herausstehlen.
Im Jahreswirtschaftsbericht finden wir den bemerkenswerten Satz:
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind wichtige Elemente der Sozialen Marktwirtschaft.
Es geht weiter mit der Formulierung:
Im Vordergrund müssen dabei die Verbesserung der Beschäftigungsentwicklung und die Flankierung des Umstellungsprozesses in den neuen Bundesländern stehen.
Beiden Sätzen stimme ich ausdrücklich zu.
Aber im gleichen Jahreswirtschaftsbericht verfällt die Bundesregierung in den Fehler, den sie bereits 1990 gemacht hat: Die Entwicklung auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt wird geschönt, Risiken werden bagatellisiert. Dies gilt besonders für die Beschäftigungsentwicklung. Aus der Luft gegriffen prognostiziert die Bundesregierung in diesem Jahreswirtschaftsbericht eine Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern zwischen 1,1 und 1,4 Millionen Menschen. Der Bundesarbeitsminister, der bekanntermaßen dem Wirtschaftskabinett angehört, hat bereits in einem Artikel im „Handelsblatt" vom 9./10. Februar die mögliche Arbeitslosigkeit in den fünf neuen Bundesländern auf bis zu 50 % geschätzt.
Das Sondergutachten der Sachverständigen hat - neben vielen Dingen, die ich massiv kritisieren muß - die Arbeitsmarktentwicklung, wie ich glaube, noch relativ realistisch eingeschätzt. Dort heißt es: Ende 1991 werden vermutlich 1,7 Millionen Personen arbeitslos sein. Die dann folgenden Prognosen sind doch für uns bei einer Debatte des Jahreswirtschaftsberichts besonders wichtig.
Hier steht:
Auch bei einem raschen Strukturwandel und einem baldigen Durchbruch der Auftriebskräfte wird sich die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern nur allmählich, über Jahre hinweg, abbauen. Nicht jeder Arbeitslose wird in das Berufsleben zurückfinden. Langzeitarbeitslosigkeit wird sich herausbilden.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Bei den Erfahrungen mit der westdeutschen Arbeitsmarktentwicklung und einer sich mehr und mehr steigernden Langzeitarbeitslosigkeit ergeben sich daraus bestimmte Schlußfolgerungen, zu denen ich jetzt etwas sagen möchte.
Ich denke, es ist unbedingt notwendig, in den nächsten Wochen und Monaten Massenentlassungswel1466
len, die die neuen Bundesländern treffen werden, zu verhindern.
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Wir werden am 1. Juli die Situation haben, daß 700 000 Menschen aus den Warteschleifen des öffentlichen Dienstes, 400 000 Menschen aus der Landwirtschaft, Hunderttausende aus dem Bergbau und möglicherweise rund 1 Million Menschen aus der metallverarbeitenden Industrie von Arbeitslosigkeit betroffen sein werden, weil die Kündigungsschutzregelungen, die bis jetzt vorhanden sind, dann entfallen.
In dem Zusammenhang eine Zwischenbemerkung. Ich finde es sozusagen zynisch, und ich finde es doppelzüngig, wenn man solche Regelungen, die die Gewerkschaften in Wahrung ihrer Verantwortung, die sie den Menschen gegenüber haben, dort getroffen haben, in Form einer ideologischen Wadenbeißerei immer öffentlich attackiert, wie Herr Wissmann und andere es getan haben. Ich denke, alle Kraftanstrengungen sind notwendig, um diese Wellen von Massenarbeitslosigkeit, die auf uns zukommen, zu verhindern. Wir müssen verhindern, daß viele Hunderttausende von Menschen in Arbeitslosigkeit versinken, deren Einzelschicksale gesellschaftlich überhaupt nicht mehr erfaßt werden können.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört die Verlängerung der Kurzarbeitergeld-Regelung; dazu gehören ganz massive AB-Maßnahmen. Ich finde es auch doppelzüngig, wenn sich der Herr Grünbeck hier hinstellt und an die freie und Soziale Marktwirtschaft appelliert, die Anfragen beim Messestand der Treuhand zitiert, die ja nichts weiter besagen, als daß es 7 000 Anfragen und nicht 7 000 konkrete Projekte gegeben hat, und gleichzeitig in Seitenbemerkungen, wie die FDP das immer so schön kann, AB-Maßnahmen und andere beschäftigungswirksame Schutzmaßnahmen attackiert. So kommen wir in der Angelegenheit nicht weiter.
Was mich verrückt macht, ist nicht die Position Privatisierung. Ich bin sehr für Privatisierung; ich würde mir wünschen, viel mehr privates Kapital ginge in die neuen Bundesländer. Was mich verrückt macht, sind die Privatisierungsideologen, die hier immer auftreten und damit andere sinnvolle Schutzmaßnahmen attakkieren und öffentlich zu desavouieren versuchen.
Für mich gehört auch - dazu hätte ich in der Diskussion eines Jahreswirtschaftsberichtes gerne mehr gehört - eine Verzahnung von regionaler und struktureller Industriepolitik dazu. Wo legt diese Bundesregierung eine Konzeption für Industriepolitik in den neuen Bundesländern vor; wo ist sie bitte?
Ich bin sehr einverstanden, wenn der Bundeswirtschaftsminister in die Sowjetunion fährt und dort über bestimmte Möglichkeiten, die wir alle für richtig gehalten haben, Aufträge über tausend Eisenbahnwaggons in die neuen Bundesländer holt.
Aber wo sind entsprechende Maßnahmen für die Maschinenbauindustrie, für die chemische Industrie, für andere große Industriekomplexe, die wir in den
neuen Bundesländern haben? Wo ist die Konzeption der Bundesregierung, mit einer solchen Maßnahme Standorte zu erhalten? Ich sage ausdrücklich dazu: Es geht nicht darum, diese Standorte auf Dauer durch solche Maßnahmen zu erhalten, weil ich denke, daß Privatisierung sinnvoll sein kann.
Aber es muß doch jetzt darum gehen, in der Übergangsphase, in den großen Strukturanpassungskrisen dafür zu sorgen, daß nicht ganze Industriestandorte einfach verschwinden. Denn wenn sie einmal platt gemacht worden sind, die Belegschaften sich wegentwickelt haben und in anderen Beschäftigungssektoren landen, ist es nicht mehr möglich, sie irgendwie wieder ins Leben zu rufen.
Es muß darum gehen, darüber zu streiten und zu diskutieren, welche Unternehmensstandorte, welche Industriestandorte bei möglicherweise zugegebenen betriebswirtschaftlichen Problemen, die sie momentan haben, über bestimmte Phasen hinweg erhalten werden können. Denn wer sagt Ihnen denn, daß ein Unternehmen, das momentan betriebswirtschaftlich nicht rentabel ist, durch entsprechende Stützungs und Hilfsmaßnahmen nicht in einem, anderthalb oder zwei Jahren wieder rentabel arbeiten kann?
Der Kollege Wolfgang Roth hat viele Beispiele aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland genannt. Ich hielte es für verhängnisvoll, wenn man hier einer ideologischen Auffassung von Marktwirtschaft folgt, die meint, man müsse Privatisierungsprozesse, für die wir uns im Westen in der Folge der Bewältigung von Nachkriegsproblemen 10, 20, 30 und mehr Jahre Zeit gelassen haben, nun in den neuen Bundesländern innerhalb geringer Zeitspannen übers Knie brechen und damit dafür sorgen, daß nicht nur die Menschen in Massenarbeitslosigkeit fallen, sondern auch die industrielle Infrastruktur kaputtgemacht wird.
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Dazu gehören auch Stützmaßnahmen für den Osthandel. Ich sage Ihnen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich will das einmal im Zusammenhang mit einer sektoralen und strukturpolitischen Frage einfach formulieren: Es gab in der ehemaligen DDR einen großen Produzenten von Filmen. Das ist die Filmfabrik Wolfen, Orwo. Wir wissen, daß die Filmfabrik Orwo personalmäßig hoffnungslos überbesetzt war; darüber streiten wir nicht. Dort sind notwendige Personalanpassungsmaßnahmen zu treffen; sie sind aber sozial flankiert durchzuführen.
Jetzt stellt sich die Frage: Gibt es Chancen und Möglichkeiten, diesen einzigen Standort der Filmproduktion dort sinnvoll zu erhalten, oder gibt es sie nicht? Da kann man natürlich aus Wettbewerbsgründen mit der schlichten Philosophie herangehen: Das bißchen machen Bayer und andere aus dem Westen doch mit; also machen wir die Fabrik doch platt. Nur gibt es dort ein Potential von Menschen, die in diesem Betrieb über Jahrzehnte gearbeitet haben, die über Produktivkräfte, über Fertigkeiten verfügen, die in diesem Betrieb ihr Arbeitsleben verbracht haben, auch jüngere Menschen.
Es wäre doch sinnvoll, zu prüfen, ob nicht durch Hilfen und Stützungsmaßnahmen - auch beispielsweise für die Abwicklung von Ostaufträgen - , auch durch staatliche Hilfsmaßnahmen und durch staatliche Politik dieser Industriestandort in einer verkleinerten und sinnvollen Kapazität erhalten bleiben kann.
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Wenn man alles den freien Kräften der so Sozialen Marktwirtschaft überläßt, werden viele sinnvolle Standorte, die möglicherweise überleben können, in den nächsten Wochen und Monaten verschwinden.
Wenn diese Bundesregierung hierzu keine Konzeption vorlegt, trägt sie die Verantwortung dafür, daß hunderttausendfach, millionenfach Menschen in den fünf neuen Bundesländern in die Hoffnungslosigkeit entlassen werden.
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Herr Kollege Andres, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Deswegen kann ich auch keine Frage mehr zulassen.
Die Fragen, die ich hier aufgeworfen habe, harren einer sinnvollen Antwort. Diese Bundesregierung ist aufgefordert, im Sinne der Menschen in den fünf neuen Bundesländern mit Konzeptionen und mit kooperativen Angeboten über den Tisch zu kommen. Die Sozialdemokraten haben auch mit der Verabredung der Arbeitsgruppen beim Bundeskanzler deutlich gemacht, daß sie zu solchen sinnvollen Hilfsmaßnahmen für die Menschen in den neuen Bundesländern bereit sind und daß sie daran mitwirken werden. Es kommt aber darauf an, daß Sie sich bewegen und daß Sie, wie auch in vielen Einzelfällen in den letzten Monaten, erkennen, daß viele Positionen, die Sozialdemokraten hier vorgetragen haben und die Sie noch im Wahlkampf verteufelt und verunglimpft haben, sehr sinnvoll sind. Deswegen sollten wir für die Menschen in den neuen Bundesländern gemeinsam reden und gemeinsame Maßnahmen finden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat nunmehr Herr Kollege Dr. Klaus Lippold.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Roth hat vorhin davon gesprochen, daß uns die Bundesregierung in den Abschwung Ost geführt hat. Ich sage ganz klar und deutlich: Ich halte das für eine sehr polemische, parteipolitische Entgleisung.
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Ich bin sehr froh, Herr Kollege Roth, daß Ihr Kollege Meißner deutlich gemacht hat, daß das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost zu begrüßen ist, daß dieses Gemeinschaftswerk Aufschung Ost Früchte
trägt und daß dieses Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost dazu führt, daß Betriebe geschaffen und erhalten werden, daß jedoch natürlich auch Schwierigkeiten bestehen.
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Aber, Herr Kollege Jens, wenn Sie Herrn Kollegen Meißner aus Ihrer Fraktion zuhören, dann werden Sie feststellen, daß diese Schwierigkeiten auf Gebieten liegen, auf die die Bundesregierung keinen direkten Einfluß hat und auf denen wir uns über Verwaltungshilfen bemühen können und auch bemühen werden.
Das, was ich bislang gesagt habe, führt mich zu einer generellen Äußerung. Es ist eigentlich erstaunlich, daß die Kollegen aus den alten Bundesländern die Bundespolitik bis zum Geht-nicht-mehr kritisieren und daß die Kollegen aus den neuen Bundesländern, ebenfalls aus der Sozialdemokratie, erstens diese positiv begleiten - ich erinnere an Herrn Stolpe; der Beitrag von Herrn Meißner geht in die gleiche Richtung - und zweitens deutlich machen, daß hier vernünftige Ansätze vorhanden sind. Das heißt, Sie müssen vor dem Hintergrund der neuen Position einmal aus den parteipolemischen Ansätzen der alten Situation heraus und sehen, daß uns die Wiedervereinigung halt eben vor neue Fragen stellt. Das ist wichtig.
Ich kann nicht auf der einen Seite sagen, Herr Roth, die Privatisierung ist eine Art Trauminstitution, und dann hinterher auf der anderen Seite sagen: Aber wir machen trotzdem alles anders. Ich habe Ihre Ausführungen relativ wörtlich mitgeschrieben. Wissen Sie, das kann man so nicht tun.
Außerdem erwecken Sie immer den Eindruck, als würde seitens der Bundesregierung ausschließlich auf Privatisierung und nur auf den Markt gesetzt. Wir setzen nicht ausschließlich auf Privatisierung und auf den Markt; wir setzen auf die Soziale Marktwirtschaft.
Frau Kollegin Leonhard, um das deutlich zu machen: Selbst mit dem, was Sie gesagt haben, hinken Sie dann immer noch der Entwicklung hinterher. Der Bundeswirtschaftsminister hat in erfreulicher Weise deutlich gemacht, daß wir auf eine ökologisch orientierte Soziale Marktwirtschaft setzen und daß wir dabei nicht nur in den westlichen Ländern, sondern auch in den neuen Bundesländern die Probleme des Umweltschutzes, die unter der sozialistischen Regierung überhaupt keine Beachtung fanden und zu ökologischen Katastrophen geführt haben, mit berücksichtigen, mit aufgreifen und Lösungen zuführen werden.
Es wäre doch nur gut gewesen, wenn Sie von der Sozialdemokratie, die Sie sonst immer Lücken aufdecken und bei den bisherigen Berichten gefragt haben, warum der Jahreswirtschaftsbericht nicht auf den Umweltschutz eingehe, diesen Part jetzt erst einmal gewürdigt hätten, und zwar insbesondere die Art, wie das Umweltschutzkapitel, orientiert an Vorsorge und orientiert an Vermeidung, diese Fragen aufgreift und deutlich macht, daß wir die Fragen in Kooperation lösen können, von der Verpackungswirtschaft über die Altlastensanierung bis hin zur Luftreinhaltung.
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
Aber wer hier nur polemisiert und wer sich, Frau Kollegin, in zwölfeinhalb Minuten langer Redezeit nicht mit Fakten und nicht mit konkreten Tatsachen auseinandersetzt, sondern nur Sprechblasen abläßt,
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der mißbraucht eigentlich die Zeit, verehrte Kollegin, die er hier zur Verfügung hat.
Nein, wir meinen, daß wir schon eine Kombination aus sozial orientierter und gleichzeitig ökologisch orientierter Marktwirtschaft schaffen müssen. Die Ansätze dazu haben wir.
Ich will noch einmal deutlich machen, daß ich es besonders begrüße, daß auch durch die Arbeit der Treuhand nicht nur Dienstleistungsunternehmen erhalten und umstrukturiert werden und daß nicht nur im Handwerksbereich etwas getan wird, sondern daß sich in den angesprochenen industriepolitischen Bereichen genauso Erfolge zeigen, und zwar primär mit der Maßgabe der Privatisierung. Wenn wir dieses gemeinschaftlich vorantreiben würden und nicht durch unhaltbares Gerede die Situation psychologisch verschlechtern - jeder weiß, daß auch das von entscheidender Bedeutung sein kann -, kämen wir sicherlich weiter.
Ich habe mir erlaubt, auf die Beiträge der Kollegen einzugehen, Herr Präsident. Deshalb gebe ich das wohlvorbereitete Manuskript zu Ihren Händen, mit der Bitte, es dem Protokoll beizufügen.
Meine Damen und Herren, die Aussprache zum Jahreswirtschaftsbericht 1991 ist beendet.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/223 und 11/8472 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Die Vorlage auf Drucksache 12/223 soll zusätzlich an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/391 sowie zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/377. Diese Anträge sollen an dieselben Ausschüsse wie der Jahreswirtschaftsbericht überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 25. April 1991, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.