Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/4/1994

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10a bis 10h auf: Zukunft der Treuhandanstalt a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt - Drucksache 12/6910 Überweisungsvorschlag: Ausschuß Treuhandanstalt ({0}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Roth, Hinrich Kuessner, Angelika Barbe, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes - Drucksache 12/2291 - ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) - Drucksache 12/6768 - Berichterstattung: Abgeordnete Arnulf Kriedner c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Fritz Schumann ({3}) und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes - Drucksache 12/2604 - ({4}) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) - Drucksache 12/6769 - Berichterstattung: Abgeordnete Arnulf Kriedner Hinrich Kuessner d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Hollerith, Arnulf Kriedner, Richard Bayha, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk, Werner Zywietz und der Fraktion der F.D.P. Klare Perspektiven für sanierungsfähige Treuhandunternehmen zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Müller ({7}), Volker Jung ({8}), Hinrich Kuessner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Industriegesellschaften in den neuen Bundesländern - Drucksachen 12/5147, 12/4679, 12/5998 Berichterstattung: Abgeordnete Paul K. Friedhoff Christian Müller ({9}) e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt ({10}) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Widerruf der Genehmigung des KaliFusionsvertrags - Drucksachen 12/5386, 12/5999 - Berichterstattung: Abgeordnete Holger Bartsch Ulrich Petzold f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Josef Hollerith, Arnulf Kriedner, Ulrich Petzold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Werner Zywietz und der Fraktionen der F.D.P. Altlasten des SED-Unrechtsregimes - Drucksachen 12/5146, 12/6171 - Berichterstattung: Abgeordnete Wieland Sorge g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Fritz Schumann ({13}), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Bestandsgarantie für sanierungsfähige Betriebe der Treuhandanstalt - Drucksachen 12/2848, 12/6770 - Berichterstattung: Abgeordnete Arnulf Kriedner h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses Treuhandanstalt ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Andreas von Bülow, Angelika Barbe, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Belohnung für Rückholung veruntreuten DDR-Vermögens - Drucksachen 12/4102, 12/6463 - Berichterstattung: Abgeordnete Arnulf Kriedner Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, rund dreieinhalb Jahre nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, können wir in einem zentralen Bereich der wirtschaftlichen Integration eine vorläufige Erfolgsbilanz ziehen. Der Kernauftrag der Treuhandanstalt ist erfüllt. Die Zentralverwaltungswirtschaft der früheren DDR wurde aufgebrochen. Private Initiative und Wettbewerb sind an ihre Stelle getreten. Nun sind die verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt neu zu ordnen und so wichtige Weichenstellungen für Wachstum und Beschäftigung in Ostdeutschland zu vollziehen. Niemand von uns hat auch nur annähernd genau gewußt, wie es um die Wirtschaft der früheren DDR Ende der achtziger Jahre bestellt war. Der damalige DDR-Ministerpräsident Modrow hat uns noch ein Volksvermögen von weit über einer Billion Mark der DDR zugesagt. ({0}) - Ostmark. - Er gehört ja zu Ihnen, glaube ich. Der erste Präsident der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, und seine Mitarbeiter gingen auf Grund dessen, was ihnen zur Verfügung stand, in einer groben Schätzung noch von einem Wert des Treuhandvermögens von 500 Milliarden DM aus. Führende westliche Forschungsinstitute erkannten auch erst allmählich das ganze Desaster der sozialistischen Planwirtschaft. Erste Schätzungen gingen noch von einem Produktivitätsverhältnis von rund 40 % zum Westen aus, während es in Wahrheit kaum 30 % waren. Im Rückblick ging es nicht um Verteilungsverfahren für ein Vermögen, sondern um die nationale Aufgabe, eine riesige Erblast solidarisch zu tragen. Das haben wir über den Bundeshaushalt im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms getan. Zu dieser Kostenübernahme stehen wir im Interesse der deutschen Vereinigung, auch wenn es uns den absurden Vorwurf einer angeblich unverantwortlichen Verschuldungspolitik einbringt. Von den ursprünglich erhofften oder behaupteten Milliardenwerten im Industrievermögen der früheren DDR kann keine Rede mehr sein. Bei der Treuhandanstalt wird ein negativer Saldo in Höhe von 275 Milliarden DM auflaufen, und der Kreditabwicklungsfonds wird ohne mögliche Verpflichtungen des Bundes aus der Gewährträgerhaftung für die Staatsbank Berlin rund 140 Milliarden DM zu tragen haben. Die Erblasten des Sozialismus wären ins Unermeßliche angeschwollen, hätten wir nicht unmittelbar auf die marktwirtschaftliche Konzeption der umfassenden Privatisierung gesetzt. Wichtig waren klare Perspektiven für sanierungsfähige Unternehmen und marktwirtschaftlich tragfähige Konzepte zum Erhalt industrieller Kerne. Diese Aufgabe hat die Treuhandanstalt vorbildlich erfüllt. Das ist nicht nur die Einschätzung der Bundesregierung, sondern auch der wissenschaftlichen Forschungsinstitute, des Sachverständigenrats, der OECD und vor allem der Finanzmärkte, die den Kreditbedarf der Treuhand bei sinkenden Zinsen reibungslos gedeckt haben. Führende Politiker aus dem früheren Ostblock haben mich immer wieder auf die Arbeit der Treuhandanstalt angesprochen und deutlich gemacht, daß sie froh wären, über eine vergleichbar effiziente Einrichtung verfügen zu können, wobei sicherlich auch eine Rolle gespielt hat, daß sie froh wären, wenn dahinter ein Staat stände, der das Defizit übernehmen könnte, das ja für 500 Millionen Menschen in anderen Ländern weit größer ist als das für 16 Millionen Deutsche und das im übrigen nicht von Deutschland, sondern von der ganzen Welt zu tragen wäre. Allen, die an diesem großen Werk mitgewirkt haben, an erster Stelle der Präsidentin, Frau Breuel, möchte ich herzlich danken. ({1}) Ich gedenke in diesem Augenblick auch des ersten Präsidenten, Detlev Karsten Rohwedder, ({2}) der vieles begonnen hat und dessen Werk von feigen Terroristen beendet wurde. Ich danke auch besonders dem Verwaltungsrat, der ohne Gegenleistung viel Arbeitskraft und Initiative in die Privatisierung investiert hat. Es ist durchaus keine Selbstverständlichkeit, sich für ein so völlig neuartiges Projekt wie die Privatisierung einer Staatswirtschaft zunächst zur Verfügung zu stellen und dann auch noch an der Auflösung des eigenen Arbeitsfeldes aktiv mitzuwirken. ({3}) - Für eine solche Angelegenheit können Sie die Menschen nicht schlechter bezahlen als die, mit denen sie es zu tun haben. Wenn man sie so bezahlen würde und so wirtschaften würde, wie Sie früher in Ihrer Wirtschaft gewirtschaftet haben, dann wäre alles noch mehr heruntergewirtschaftet worden, wenn ich Ihnen das einmal sagen darf, gnädige Frau. ({4}) Alternativen zur Privatisierung, vor allem uneingeschränkte Bestandsgarantien für Unternehmen und Arbeitsplätze, hätten in eine finanzielle und ökonomische Katastrophe geführt; denn die Durchsubventionierung von Tausenden Unternehmen hätte den kranken nicht geholfen, die gesunden Betriebe aber erstickt. ({5}) Wir können deshalb von Glück sagen, daß SPD und PDS mit ihren Anträgen zur kostenträchtigen Sanierung unter Staatsregie parlamentarisch gescheitert sind. ({6}) Der von uns konsequent beschrittene Weg des marktwirtschaftlichen Strukturwandels läßt uns heute auf eine erfolgreiche Sanierungs- und Privatisierungsbilanz zurückblicken: Seit 1990 hat die Treuhandanstalt über 13 800 Unternehmen privatisiert. Hinzu kommen der Bereich der Reprivatisierung, der Verkauf von kleineren Betrieben des Einzelhandels und Dienstleistungsgewerbes sowie der Verkauf von Liegenschaften, so daß bis Ende Januar 1994 insgesamt rund 50 000 Privatisierungsvorgänge abgeschlossen werden konnten. Dies ist eine Leistungsbilanz, auf die die Treuhandanstalt mit Recht stolz sein kann. Die bis Ende des Jahres auf rund 275 Milliarden DM auflaufenden Verpflichtungen blieben nicht ohne Gegenwert. Sie stehen für weit über 200 Milliarden DM an Finanzhilfen für Unternehmen, für die weitgehende Entlastung der Unternehmen von ökologischen Altlasten, für 1,5 Millionen Arbeitsplatzzusagen und fast 200 Milliarden DM an Investitionszusagen. Bis Ende 1994 wird die Treuhandanstalt voraussichtlich nicht einmal mehr 100 Unternehmen, kaum noch Großunternehmen und einige wenige Minderheitsbeteiligungen und Auslaufgesellschaften besitzen. Es bleiben aber noch eine Reihe von zum Teil längerfristigen Restaufgaben. Die Bundesregierung hat die grundlegenden Eckpunkte für die Neustrukturierung der verbleibenden Aufgaben der Treuhandanstalt am 27. Oktober 1993 beschlossen. Gutachter der Firma Kienbaum haben dieses Konzept bis auf wenige Änderungsvorschläge befürwortet. Über die Vorschläge von Kienbaum soll am 9. März 1994 im Haushalts- und Treuhandausschuß beraten werden. Bei allen Überlegungen zur Neuorganisation des Treuhandbereichs bleibt es das erklärte politische Ziel der Bundesregierung, die für eine historische Übergangszeit geschaffene Großorganisation Treuhandanstalt so schnell wie möglich aufzulösen und den Auftrag wirtschaftlich zu Ende zu führen. ({7}) Das soll durch die Anwendung der folgenden Prinzipien erreicht werden. Erstens. Die verbliebenen Treuhandaufgaben sind auf spezialisierte Träger zu übertragen, die effizient und dezentral für eine rasche Aufgabenerledigung Sorge tragen. Zweitens. Die Verantwortungsbereiche aller Organisationseinheiten sind klar voneinander abzugrenzen, die Organisationsstrukturen transparent zu gestalten. Drittens. Soweit Aufgaben in der Verantwortung der Rest-Treuhandanstalt verbleiben, sind durch Geschäftsbesorgungsvertrag zu steuernde privatwirtschaftliche Organisationseinheiten in die Aufgabenerledigung einzubinden. Viertens. Hoheitliche Aufgaben sind sobald wie möglich auf bestehende Institutionen überzuleiten. Fünftens. Bei der Verlagerung von Aufgabenbereichen von der Treuhandanstalt auf andere Träger ist ein reibungsloser Übergang sicherzustellen. Sechstens. Angesichts des großen finanziellen Gewichts der im Treuhandbereich zu treffenden Entscheidungen sind umfassende parlamentarische und administrative Kontroll- und Eingriffsrechte unverzichtbar. Nach weitgehender Bewältigung der zentralen Privatisierungsaufgabe wird dieser Bereich bei der umformierten Treuhandanstalt nur noch eine nachgeordnete Rolle spielen. Die wenigen, bis Ende 1994 noch nicht privatisierten, aber mittelfristig sanierungsfähigen Beteiligungen der Treuhandanstalt sollen weitgehend auf andere Einrichtungen des Bundes übertragen werden. Dadurch soll eine gezielte Betreuung und baldige Privatisierung der sanierungsfähigen Unternehmen erreicht werden. Die Finanzierung der Treuhandanstalt wird künftig über den Bundeshaushalt erfolgen. Damit erübrigen sich auch weitergehende Diskussionen über die Abgrenzung der öffentlichen Haushalte, die in den letzten Jahren immer wieder vom Kern der gesamtdeutschen Finanzierungsaufgaben ablenken. Im Verantwortungsbereich einer deutlich schlankeren, dezentral organisierten Treuhandanstalt II verbleiben die Aufgaben der Liegenschaftsprivatisierung, des Vertragsmanagements, der Reprivatisierung und der Abwicklung. Bestehende Verpflichtungen, insbesondere zur Beseitigung ökologischer Altlasten, werden von der Treuhandanstalt erfüllt. Neue Aufgaben, die eine zügige Erledigung ihres Auftrages behindern könnten, sollen der Treuhandanstalt jedoch nicht übertragen werden. ({8}) Auf den Gebieten der Vermögenszuordnung, des Investitionsvorrangs und der Grundstücksverkehrsgenehmigung sollte es zunächst bei der eingespielten Aufgabenzuweisung bleiben. Diese Aufgaben werden ohnehin voraussichtlich bis Ende 1996 weitgehend abgearbeitet sein. Die Schaffung neuer Zuständigkeiten vor diesem Zeitpunkt könnte zu einem vorübergehenden Bearbeitungsstillstand führen. Ein solches - unnötiges - Investitionshindernis sollte in jedem Fall vermieden werden. Zu einem späteren Zeitpunkt können die hoheitlichen Aufgaben auf bestehende Einrichtungen von Bund und Ländern übertragen werden. Die hierfür erforderlichen Verordnungsermächtigungen liegen bereits vor. Aufgabe der Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt mbH bleibt es, aus dem Liegenschaftsbestand der Treuhandanstalt und ihrer Unternehmen in angemessenem Umfange Grund und Boden für die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Bundesländer bereitzustellen. Das von der TLG zu verwertende Grundvermögen soll ihr - unter Einschluß von landwirtschaftlichen Umwidmungsflächen - zu Eigentum übertragen werden. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, um der TLG trotz eines sich tendenziell verschlechternden Grundstücksbestandes eine sinnvolle und wirtschaftliche Erledigung der ihr übertragenen Aufgaben zu ermöglichen. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH soll auch weiterhin auf der Grundlage eines Geschäftsbesorgungsvertrages das land- und forstwirtschaftliche Vermögen der Treuhandanstalt verwalten und verwerten. Da die Veräußerung dieses Vermögens nur über einen längeren Zeitraum hinweg möglich ist, wird der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Flächen zunächst langfristig verpachtet. Darüber hinaus soll der Bodenverwertungsgesellschaft die Klärung von Eigentums- und Zuordnungsfragen sowie das Vertragsmanagement für den Bereich Land- und Forstwirtschaft übertragen werden. Auf welche Weise durch das Vertragsmanagement die Restaufgaben der Reprivatisierung und der Abwicklung erledigt werden sollen, ist noch nicht abschließend geklärt. Unser Vorschlag sieht die Ausgründung einer Geschäftsbesorgungs-GmbH mit regionalen Niederlassungen in den einzelnen Ländern vor. Diese Gesellschaften könnten bis Ende 1998 den größten Teil dieses Aufgabenkomplexes bewältigen. Die Gläubiger- und Schuldnerfunktion aus den Verträgen sowie die Letztverantwortung für die Entscheidungen verbliebe aber in jedem Fall bei der Treuhandanstalt und dem Bundesfinanzministerium. Auf der Grundlage der Grundsätze zur Zusammenarbeit von Bund, neuen Ländern und Treuhandanstalt für den Aufschwung Ost vom 14. März 1991 hat sich bei der Bewältigung der Treuhandaufgaben eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten entwickelt. Daran wollen wir festhalten. Die bestehenden Mitwirkungsrechte der neuen Lander im Bereich der Treuhandanstalt, insbesondere im Verwaltungsrat, werden durch den Gesetzentwurf nicht verändert. Der Verwaltungsrat wird auch künftig über alle wesentlichen Vorgänge im Verantwortungsbereich der Nachfolgeanstalt entscheiden. In grundsätzlichen Fragen der Verwertung land-und forstwirtschaftlichen Vermögens üben die neuen Bundesländer darüber hinaus Einfluß über einen Beirat bei der Unternehmensgruppe Land- und Forstwirtschaft der Treuhandanstalt aus. Bei der Verwertung sonstiger Liegenschaften arbeitet die Liegenschaftsgesellschaft der Treuhandanstalt im Rahmen von Vergabeausschüssen eng mit den neuen Ländern, ihren Landesentwicklungsgesellschaften und den Kommunen zusammen. Die künftige Nutzung von Grundstücken wird rechtzeitig mit den Trägern der Planungshoheit abgestimmt. Im Hinblick auf den verbleibenden Aufgabenbereich - Restprivatisierung, Vertragsmanagement, Abwicklung und Reprivatisierung - ist die Bundesregierung bereit, sich mit den betroffenen Ländern über eine frühzeitige gegenseitige Information und Zusammenarbeit zu verständigen. Zur künftigen Gestaltung dieser Verständigung finden intensive Gespräche statt. Allerdings muß bei der Ausgestaltung von Mitspracherechten der Lander die funktionale und finanzielle Verantwortung des Bundes für den weiteren Transformationsprozeß angemessen berücksichtigt werden. ({9}) Die Bundesregierung wird auch im erneuerten rechtlichen Rahmen alles unternehmen, um die Transformation der früheren Staatswirtschaft im Interesse der Bürger so erfolgreich wie möglich zu gestalten. Ich lade alle Beteiligten ein, an dieser wichtigen Aufgabe umfassend mitzuwirken; denn im Kern geht es um Wachstum, Arbeitsplätze und Lebenschancen. ({10}) Kompetenzstreitereien und Eigeninteresse von Institutionen müssen dahinter zurücktreten. Wir haben seit der Wiedervereinigung - trotz vieler Widerstände - viel mehr erreicht und viel mehr verändert, als in den letzten 40 Jahren bewegt wurde. ({11}) Ich nenne nur beispielhaft die Einigung über den Bund-Länder-Finanzausgleich und die Erblastschuldentilgung, die wir im letzten Frühjahr entgegen allen Erwartungen innerhalb weniger Wochen geregelt haben, und zwar eineinhalb Jahre bevor dies zeitlich unabdingbar notwendig war. Wir haben damit verhindert, daß dies in das nun so wahlauseinandersetzungsträchtige Jahr 1994 hereingezogen wurde. ({12}) Wir haben in mehreren Initiativen außerordentlich günstige Bedingungen für die Vergabe von GrundBundesminister Dr. Theodor Waigel stücken zur Förderung des Wachstums und zur Erfüllung sozialer Aufgaben geschaffen. Zum Entschädigungsgesetz liegen nun ebenfalls Vorschläge auf dem Tisch. Vor allem haben wir seit 1990 in vielen Schritten durch drastische Ausgabeneinsparungen inzwischen einen umfassenden Ausgleich für die jährlichen WestOst-Transfers von rund 140 Milliarden DM geschaffen. Bei der Verwirklichung unserer Finanzplanung lagen wir dabei fast immer unter den vorgegebenen Defiziten. In der Summe ist das eine Bilanz einer beachtlichen Leistung für Deutschland, die die Solidarität zwischen Ost und West auf eine feste Grundlage stellt. In der Kontinuität der Erfolge hoffe ich auf zügige und erfolgreiche, weiterführende Beratungen und möglichst einvernehmliche Regelungen, die es der Treuhandanstalt und den anderen Institutionen ermöglichen, so schnell und effizient wie möglich die restlichen Aufgaben zu Ende zu führen und so die Bilanz von über 40 Jahren Sozialismus zumindest rechnungsmäßig abzuschließen. Ich danke Ihnen. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht unser Kollege Manfred Hampel.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich dem Gesetzentwurf zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhand zuwende, ein paar Worte zur Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt und der Treuhandpolitik der Bundesregierung. Das sind nämlich zwei paar Schuhe. Die Tätigkeit der Treuhand ist in der Vergangenheit wiederholt negativ in die Schlagzeilen gekommen. Trotzdem möchte ich bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck bringen, daß mir in der Treuhandanstalt sehr viele engagierte und zuverlässige Mitarbeiter begegnet sind, deren Arbeit ich hoch schätze. Aber nun zur Treuhandpolitik der Bundesregierung. Die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt ist durch das Treuhandgesetz vorgegeben. Der politisch Verantwortliche ist deshalb nicht die Treuhandanstalt, sondern die Bundesregierung. Daher macht es keinen Sinn, dauernd auf den Sack in Berlin einzuhauen, wenn die Esel in Bonn gemeint sind. Frau Präsidentin, um einem Ordnungsruf vorzubeugen: Das ist eine Allegorie aus der Märchenwelt und keine Bewertung der handelnden Personen. ({0}) Die Treuhandpolitik der Bundesregierung hat mit ihren übereilten Privatisierungen erheblich dazu beigetragen, daß ganze Landstriche in Ostdeutschland entindustrialisiert wurden. Herr Waigel, von Aufschwung und Aufbau kann man, glaube ich, in dem Maße noch nicht reden, wie Sie das hier dargestellt haben. Ich habe gestern von Herrn Bundesminister Rexrodt gehört: Keine Experimente! Diese Maxime hätte er vollziehen sollen, als er noch verantwortlicher Mitarbeiter in der Treuhandanstalt war. Vielleicht wäre dann vieles besser gegangen. Vielerorts muß ganz neu angefangen werden. Mit der Einstellung ihrer operativen Tätigkeit hinterläßt die Treuhandanstalt zum Ende diesen Jahres eine Vielzahl noch zu lösender Aufgaben. Nach der Methode „Weiter so, aber noch mehr privatisiert" werden die Probleme nicht gelöst, sondern werden die Fehlentwicklungen fortgeschrieben. Ich komme nun zur politischen Bewertung. Was bei der Beurteilung der augenblicklichen Lage in Ostdeutschland zählt, ist die offizielle und die inoffizielle Arbeitslosigkeit. Was zählt, sind Daten über Investitionen. Was zählt, ist der Anteil Ostdeutschlands am Bruttosozialprodukt Gesamtdeutschlands. Was zählt, sind Warenströme von Ost nach West. Die Fakten belegen nur zu deutlich, daß der Aufschwung Ost bisher noch nicht stattgefunden hat. Das heißt in Zahlen: Ende 1993 lag die offizielle Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland bei 16,2 %. Fachleute schätzen die faktische Arbeitslosenquote eher in der Größenordnung von 40 % ein. Der Anteil der neuen Bundesländer am gesamten Bruttoinlandsprodukt von 1993 lag bei 7,3 %, der Anteil der Wohnbevölkerung dagegen bei 19,2 %. Warenströme von West nach Ost flossen im letzten Jahr in Höhe von über 230 Milliarden DM. In der Gegenrichtung waren es nur ca. 30 Milliarden DM. Wenn sich die Bundesregierung mit der Aussage schmückt, daß der Investitionsanteil der Industrieunternehmen in Ostdeutschland den entsprechenden Anteil in Westdeutschland nur unwesentlich unterschreitet, so muß doch jedem deutlich werden, daß die Investitionen um einige hundert Prozent höher liegen müßten, um einen wirklichen Aufholprozeß in Gang zu bringen. Meine Damen und Herren, das Versagen der Bundesregierung beim Aufbau Ost, wo wir statt blühender Landschaften überwiegend Industriebrachen vorfinden, ist ideologisch begründet. ({1}) - Nach dem Motto „Privatisierung unter allen Umständen", Herr Uldall, wurden die Märkte verkauft und Produktionen in den Westen verlagert. Das können Sie jederzeit nachlesen und nachvollziehen; Sie brauchen sich nur die Statistiken anzusehen. Dem Osten bleiben Transfers: Transfers statt Investitionen, Transfers statt Arbeitsplätze, Transfers als politische Beruhigungspille. Wie sieht das bei den privatisierten Treuhandunternehmen aus? Viele Unternehmen sind viel zu schwach, um auf den Märkten Fuß zu fassen. Sie sind einfach unterkapitalisiert. Ich halte es für eine kaum zu überbietende Dreistigkeit und Ignoranz, daß die Ergebnisse der bisherigen Treuhandpolitik immer wieder als Erfolgsstory propagandistisch verkauft werden. Wir Sozialdemokraten vertreten eine andere Auffassung bezüglich des Auftrages der Treuhand. Unser übergeordnetes Ziel war stets die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in wettbewerbsfähigen Unternehmen, die Erneuerung der Wirtschaftsstruktur zur Nutzung der ostdeutschen Potentiale durch Vorrang der Sanierung. Es stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung jetzt unter Zeitdruck versucht, sich der Treuhandanstalt und ihrer Verantwortung für den Umstrukturierungsprozeß zu entledigen. Sie will noch so viele Betriebe wie irgend möglich privatisieren und die noch verbliebenen Aufgaben in die Hände von privatrechtlich organisierten Einheiten legen. Mit der Treuhandpolitik werden auch in den Nachfolgestrukturen wirtschafts- und finanzpolitische Weichenstellungen für Ostdeutschland für die nächsten Jahrzehnte vorgenommen. Die Bedeutung der Nachfolgeregelung für die Treuhand ist deshalb hoch einzuordnen. Der Treuhandausschuß hat sich daher frühzeitig mit dem Gesetzentwurf beschäftigt. Am 29. November 1993, kurz nach Verabschiedung durch das Kabinett, haben wir ein Expertengespräch zur Umstruktierung der Treuhandanstalt durchgeführt. Schon dieses erste Expertengespräch hat gravierende Mängel im Gesetzentwurf deutlich gemacht. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren war die Bundesregierung fleißig dabei, bereits im Vorfeld unumkehrbare Fakten zu schaffen. Möglichst ohne Beteiligung des Parlaments, möglichst frühzeitig wollte sie Aufgaben aus der Treuhandanstalt heraus in private Beteiligungsgesellschaften verlagern. Beschlüsse im Haushalts- und Treuhandausschuß haben diesen Prozeß erst einmal gestoppt. Meine Damen und Herren, die Treuhandanstalt will die verbliebenen Aufgaben überwiegend privatrechtlichen Nachfolgegesellschaften übertragen, die geeignet sind - ich zitiere hier aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofes -, zuallererst den Interessen der Führungskräfte und der Mitarbeiter der Treuhandanstalt Rechnung zu tragen. Ich zitiere weiter: Die Organisationsvorschläge der Treuhandanstalt sind nach dem jetzigen Erkenntnisstand nicht geeignet, transparente Entscheidungsprozesse zu begünstigen, auf eine wirtschaftliche Verfahrensweise hinzuwirken und eine angemessene Beteiligung der politisch Verantwortlichen, insbesondere der Kontrolle durch das Parlament, zu gewährleisten. Soweit der Bundesrechnungshof. Diese Beurteilung ist vernichtend und sollte die Bundesregierung endlich dazu bringen, über Nachfolgestrukturen noch einmal gründlich nachzudenken. Im Kontext mit dieser Beurteilung durch den Bundesrechnungshof stehen auch die vor einigen Tagen durch eine Indiskretion bekanntgewordenen Zwischenergebnisse eines Gutachtens des Kienbaum-Unternehmens. Die Kernaussage ist: 2 000 Mitarbeiter, im Extremfall auch nur 500, reichen, um die Restaufgaben der Treuhandanstalt zu erledigen. ({2}) Ich höre mit Verwunderung, daß wir in der Beratung am 9. März über dieses Kienbaum-Gutachten reden sollen. Herr Staatssekretär Grünewald hat in der letzten Ausschußsitzung gesagt, es liege noch nicht einmal ein Rohentwurf vor. ({3}) Wir müssen uns mit derart einschneidenden Maßnahmen längerfristig auseinandersetzen. Es reicht nicht aus, es eine Woche vorher zu erfahren, vielleicht ein dickes Paket Papier zu bekommen und gleich die Entscheidungen treffen zu sollen. So geht das nicht. ({4}) Meine Damen und Herren, ich kann heute keine endgültige Aussage über die wirklich notwendige Personalstärke in den Treuhandeinrichtungen machen. Wenn ich mir aber die große Differenz zwischen den Angaben der Treuhand - es wird von ca. 4 000 Personen gesprochen - und denen des KienbaumUnternehmens ansehe, drängt sich mir die Frage auf, ob nicht versucht wird, durch Versorgung von Treuhandmitarbeitern diese zu motivieren, keine Treuhand-Interna an die Öffentlichkeit zu geben. ({5}) - Ich hoffe. Personalanforderungen müssen hinreichend diskutiert und belegt werden, bevor das Parlament Stellung nehmen kann. Mit der Nachfolgeregelung für die Treuhandanstalt besteht in gewissem Umfang die letzte Chance, die Voraussetzungen für einen besseren wirtschaftlichen Übergang zu schaffen. Hierbei gilt es, den Ländern viel stärker als bisher ihre Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zu garantieren. Insofern stehen wir voll hinter den Vorschlägen, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf beschlossen hat. ({6}) - Auch was die Finanzierung anbetrifft. Mit dem Ziel, die Weichen richtig - und das heißt: anders - zu stellen, nun zu einigen Kernelementen einer aus unserer Sicht angemessenen Nachfolgeregelung. Der Bundesfinanzminister will die verbliebenen Treuhandunternehmen im Rahmen einer Beteiligungsführung direkt unter seine Fittiche nehmen. Wir halten diesen Ansatz für falsch. ({7}) Er ist gefährlich, weil Beteiligungsführung zuallererst Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten, aber nicht aktive Einflußnahme zur Sanierung von ostdeutschen Unternehmen bedeuten würde. Darum halten wir es für besser, eine Beteiligungsführung im Rahmen eines Finanzholdingmodells für Ostdeutschland zu organisieren. Mein Kollege Christian Müller wird sich hierzu im einzelnen äußern. In den kommenden parlamentarischen Beratungen orientiert sich die SPD-Bundestagsfraktion an folgenden Zielvorstellungen: Erstens. Stärkere Verantwortung und Mitbestimmung durch die ostdeutschen Länder in den Nachfolgeorganisationen der Treuhandanstalt. Zweitens. Alsbaldige Übertragung der hoheitlichen Aufgaben an die zuständigen Behörden der Länder. Drittens. Klare regionale und strukturpolitische Zielvorgaben für die Treuhandnachfolgeeinrichtungen. Viertens. Anpassung der Personalstärken auf das unbedingt erforderliche Maß. Fünftens. Zeitliche und verfahrensmäßige Festlegung der Auflösung der Treuhandnachfolgeeinrichtungen. Sechstens. Aktive Weiterführung des Einsatzes arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Siebtens. Information und Beteiligung der betroffenen Betriebsräte. Meine Damen und Herren, ein wesentliches Merkmal der Vorstellungen der Bundesregierung zur Nachfolgeregelung ist, soweit wie möglich Aufgaben an privatrechtlich organisierte Gesellschaften zu übertragen. So ist die Gründung der Vertrags-, Reprivatisierungs- und Abwicklungsmanagement GmbH, kurz VRA genannt, vorgesehen. Hierzu zitiere ich ebenfalls aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs: Die Kernaufgabe der Treuhandanstalt ist keineswegs erfüllt durch die Übertragung von Geschäftsanteilen an ehemalige Staatsunternehmen in private Hände. Vielmehr kommt dem Vertragsmanagement nunmehr die bedeutsame und unter Umständen sogar gegenüber dem Privatisierungsvorgang gewichtigere Aufgabe der Überwachung und Sicherstellung der Vertragserfüllung zu. Die VRA hat vertragliche Ansprüche auf Neuinvestitionen und die Erhaltung von Arbeitsplätzen im öffentlichen, regionalwirtschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesse durchzusetzen sowie vielfältige Forderungen und Verpflichtungen aus den Verträgen zu vollziehen, z. B. ökologische Altlasten, Gewährleistungen. Erst mit dem erfolgreichen Abschluß der Tätigkeit der VRA ist die Kernaufgabe der Treuhandanstalt erfüllt. Die Wahrnehmung dieser öffentlichen Interessen ist ausschließlich staatliche Aufgabe und sollte nicht privatisiert werden. Dem ist nichts hinzuzufügen. Zur Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft: Diese Gesellschaft - zur Zeit arbeitet sie als Regiebetrieb im Auftrag der Treuhandanstalt - wird noch über 60 000 Liegenschaften zu verkaufen haben. Die Verwertungspolitik dieser Treuhand-Tochtergesellschaft hat massiven Einfluß auf ostdeutsche Investitionen, und zwar in zweistelliger Milliardenhöhe. Sie nimmt diese Aufgaben wahr, die in überwiegend öffentlichem Interesse stehen, also weitgehend staatliche Aufgaben sind. Diese Gesellschaft will die Bundesregierung nun voll privatisieren. Die Grundstücke sollen in deren Eigentum übertragen werden. Auch intensive Diskussionen über den Nutzen einer solchen Umwandlung haben bisher viele Fragen offengelassen. Diese muß die Bundesregierung erst schlüssig beantworten, insbesondere die Frage, wie Dienstleistungen im öffentlichen Interesse schon dadurch besser erledigt werden können, daß ein Unternehmen private Gewinnmaximierung betreibt. Zur Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft: Die Frage, wie und wieso ein gewinnorientiertes Privatunternehmen landwirtschaftliche Flächen besser verwalten und verwerten kann als ein staatlicher Regiebetrieb im privatrechtlichen Mantel, hat die Bundesregierung ebenfalls nicht schlüssig beantworten können. Mir ist bisher nicht einsichtig, wie man die überaus wichtigen Weichenstellungen der endgültigen Verteilung ostdeutscher Land- und Forstwirtschaftsflächen fast völlig in die Hände Privater geben kann. Dies ist eine öffentliche Aufgabe, dies ist eine staatliche Aufgabe, dies ist eine politische Aufgabe, dies ist eine Aufgabe, die durch vertragliche Regelungen für die Geschäftsbesorgung nicht gelöst werden kann. ({8}) Soviel zu unseren Organisationsvorschlägen. Meine Damen und Herren, abschließend mein Appell an die Bundesregierung: Lassen Sie uns die Aufgabe zur Regelung der Treuhandnachfolge möglichst ohne parteipolitische oder ideologische Vorbehalte erledigen ({9}) und gemeinsam nach den besten sach- und fachgerechten Lösungen suchen. Die SPD ist dazu bereit. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Dr. Hermann Pohler.

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu meinem Text komme, einige Bemerkungen zu meinem Vorredner, Herrn Hampel: Es ist sicher legitim, daß man zu Beginn des Wahlkampfes versucht, der Regierung alles in die Schuhe zu schieben, was irgendwie verkehrt gelaufen ist. Man sollte aber der Fairneß halber davon ausgehen, wie die Wirtschaft in der ehemaligen DDR wirklich ausgesehen hat. ({0}) Ich bitte einfach, sich doch einmal den Bericht von Herrn Schürer anzusehen, der im Auftrag des Politbüros noch in den letzten Tagen der DDR gefertigt wurde, und die Konsequenzen zur Kenntnis zu nehmen, die dort für die Wirtschaft formuliert sind. Der Bericht endet mit der Feststellung, daß die DDR wirtschaftlich zahlungsunfähig war und daß man, wenn man noch einigermaßen etwas hätte retten wollen, den Lebensstandard in der DDR mindestens noch einmal um 40 % hätte senken müssen. Der Bericht schließt mit der Aussage, daß damit die DDR nicht mehr regierbar gewesen wäre. Man sollte zur Kenntnis nehmen, wie damals der Zustand war, und sollte dabei auch noch berücksich18514 tigen, daß in der darauffolgenden Zeit durch den Wegbruch von ungefähr 80 % des Marktes natürlich eine zusätzliche Erschwerung auf die Wirtschaft zukam. Soviel zu den Vorbemerkungen. Meine Damen und Herren, fast vier Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen. In dieser Zeit ist - wenn es auch in Frage gestellt wird - viel geleistet und einiges auf den Weg gebracht worden. Die Bundesregierung hat zahlreiche gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen und massive finanzielle Hilfen für den Wiederaufbau der vom SED-Regime hinterlassenen maroden Wirtschaft ({1}) in den neuen Bundesländern geleistet. Beendet ist nach dieser Zeit auch die Phase des Übergangs. In dieser Zeit hat die Treuhandanstalt, die sich als zentrale Institution immer als eine Einrichtung der Übergangsphase verstanden hat, eine historische Aufgabe übernommen. Unter äußerst schwierigen Bedingungen wurde, ohne daß Vorbilder existierten, ohne daß es wirkliche Rezepte gab, der Grundstock für eine wettbewerbsfähige ostdeutsche Unternehmensstruktur gelegt. Daran hat die Treuhandanstalt großen Anteil. Noch Mitte 1990 war nahezu jeder zweite Beschäftigte in einem Treuhandunternehmen tätig. Heute sind 98 % der ostdeutschen Beschäftigten in privatisierten, reprivatisierten und kommunalisierten Unternehmen, in Neugründungen, in vielen kleinen und mittleren Betrieben, als Freiberufler oder auch im öffentlichen Dienst tätig. Sicher auch deshalb, weil die Bedingungen schwierig waren, wurde nicht immer alles richtig gemacht. Manches - und da sind wir uns einig - hätte anders getan werden können. Dennoch: Ich glaube, der Leistung der Treuhand gebührt Respekt. Sie hat über 13 000 Unternehmen in den neuen Ländern privatisiert. Durch die Privatisierung wurden 1,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen bzw. gesichert. Mit ihrer Arbeit hat die Treuhandanstalt weit über 180 Milliarden DM an Investitionen in den neuen Bundesländern eingeworben. Heute befinden sich nur noch ca. 260 Unternehmen in ihrem Bestand, und damit zeigt sich, daß ihr eigentlicher Kernauftrag noch in diesem Jahr erfüllt sein wird. Gleichwohl ist damit nicht alle Arbeit getan. Zahlreiche, auch vermögensintensive Aufgaben sind noch zu erledigen. Hierzu zählen das Vertragsmanagement der ca. 47 000 Verträge mit einem Finanzspielraum von 45 Milliarden DM, die Privatisierung und Sanierung noch verbleibender Unternehmen, die Abwicklung der ca. 3 120 Unternehmen bzw. Unternehmensmäntel, die sich in der Liquidation befinden und die noch über etwa 37 530 Beschäftigte verfügen, die Betreuung der eingerichteten fünf Management-KGs als äußerst kostenintensive Aufgabe, für die im Jahre 1994 allein 1,4 Milliarden DM aufgewandt werden sollen, ({2}) die Grundstücksverwaltung und -verwertung für die gewerblichen Immobilien in einer Größenordnung von ca. 60 000 ha sowie die Verwertung und Verwaltung der landwirtschaftlichen bzw. forstwirtschaftlichen Flächen, die sogenannten hoheitlichen Aufgaben aus dem Bereich der Vermögenszuordnung des Investitionsvorrangverfahrens und die Betreuung des Sondervermögens. Wenn wir jetzt über die Zukunft der Treuhandanstalt debattieren, sprechen wir nicht nur über die Um-und Rekonstruierung der Anstalt des öffentlichen Rechts. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß nun nach der Phase des Übergangs die richtigen Signale für die Zukunft zu setzen sind; d. h. daß die Treuhandanstalt als Inbegriff der Phase des Übergangs abgeschafft wird und der Eintritt in die Normalität gelingen muß. Für die organisatorische Gestaltung bedarf es politischen Weitblicks unter Einbeziehung der vielfach noch vorhandenen Chancen. Wir dürfen uns dabei auch nicht der Einsicht verwehren, daß die Treuhandanstalt als zentrale Institution vor allem in den neuen Bundesländern von den dort lebenden Bürgerinnen und Bürgern mit oft schmerzhaften, lebenseinschneidenden Erlebnissen und Empfindungen in Verbindung gebracht wird. Viele Menschen haben durch die Privatisierung ehemals volkseigener Betriebe ihren Arbeitsplatz verloren. Wir dürfen aber nicht verkennen, daß die Ursachen für die vielen schmerzhaften Arbeitsplatzverluste nicht bei der Treuhand selbst zu suchen sind. Sie sind das Ergebnis der sozialistischen Mißwirtschaft. Dies haben wir auch in unserem Antrag Altlasten des SED-Unrechtsregimes deutlich aufgezeigt. ({3}) Die Phase des Übergangs war nicht leicht. Der Eintritt in die Normalität ist ebenfalls schwieriger als erwartet. Auch aus diesem Grund liegt in den jetzt anstehenden Entscheidungen über die Wahrnehmung noch verbleibender Aufgaben nach 1994 eine politische Herausforderung. Die Instrumente des Übergangs müssen durch die erprobten Instrumente der föderalistischen Rechts- und Verfassungsordnung ersetzt werden. Dabei muß sich auch die Treuhandanstalt an den strengen Maßstäben messen lassen, die sie selbst bei ihrer Arbeit an die Privatisierung von Unternehmen gesetzt hat. Selbstverständlich bin auch ich mir bewußt, daß die mit Stand Ende 1993 insgesamt 5 914 Beschäftigten in der Treuhandanstalt ein Recht darauf haben, daß verantwortungsvoll und fürsorglich auch über ihre Zukunft entschieden wird. Allerdings gilt hier die Besonderheit, daß diese Beschäftigten immer gewußt haben, daß sie in einem Unternehmen tätig sind, das eine endliche Aufgabe hat. ({4}) Zudem wollen wir eines klarstellen: Angesichts der angespannten Haushaltslage, angesichts der Schulden, die die Treuhandanstalt in Höhe von ca. 275 Milliarden DM hinterlassen wird, ({5}) wollen wir so genau wie möglich wissen, was denn nun in Zukunft passieren soll. Gestatten Sie: Wenn der Künstler Christo jetzt den Reichstag verhüllt, kann man sicher dazu stehen, wie man will. Die Zukunft der Treuhandanstalt aber soll und darf nicht verschleiert werden. ({6}) Die Bundesregierung hat nun mit ihrem Gesetzentwurf einen organisatorischen Rahmen für die Erledigung der Restaufgaben der Treuhandanstalt vorgelegt. Dieser Rahmen läßt einen weiten Spielraum, so daß im jetzt anstehenden Gesetzgebungsverfahren und in den bis Mitte des Jahres hierzu parallel zu treffenden Entscheidungen über etwaige Ausgründungen von Gesellschaften alsbald entschieden werden kann. Dies wollen und können wir bei konstruktiver Zusammenarbeit aller am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten bis Ende Juni dieses Jahres erreichen. Das Angebot von Herrn Hampel zu dieser gemeinsamen Arbeit habe ich gern zur Kenntnis genommen. Die Philosophie und Strategie aller zu treffenden Entscheidungen muß sein, daß alle Lösungen so effektiv und vor allem auch so transparent wie möglich gestaltet werden. Ebenso wichtig ist, daß die neuen Länder und deren Rechte angemessen berücksichtigt werden. Die strukturpolitische Bedeutung vieler zu treffender Entscheidungen im Bereich des Vertragsmanagements, aber auch im Bereich der Grundstücksverwertung und -verwaltung ist nicht zu verkennen. Die Länder müssen sich aber auch darüber im klaren sein, daß Finanzverantwortung und Entscheidungsverantwortung nicht auseinanderfallen können und dürfen. Es muß noch einmal sorgfältig geprüft werden, wie die Länder und deren struktur- und regionalpolitische Verantwortung stärker eingebunden werden können. Warum etwa sollten die Länder nicht die Verantwortung für die Betriebe übernehmen, die sanierungsfähig sind und die vorher mit dem für die Sanierung erforderlichen Finanzvolumen ausgestattet werden? Bei der weiteren Gestaltung der Aufgaben haben wir auch für das hohe Maß der Vermögenswerte, um die es geht, verantwortungsvoll und sorgfältig zu entscheiden. Wir werden dabei sicherstellen, daß für alle verbleibenden Aufgaben eine wirtschaftlich vertretbare Lösung gefunden wird. Diese soll dafür Sorge tragen, daß so zügig, so wirtschaftlich und mit so wenig Personal wie möglich die verbleibenden Aufgaben möglichst flexibel und dezentral zu Ende geführt werden können. ({7}) Angesichts der finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt werden wir auch dafür Sorge tragen, daß die notwendigen Kontroll- und Eingriffsrechte des Parlaments gewährleistet werden. ({8}) Es gibt noch einigen Klärungsbedarf. Dies gilt z .B. für eine mögliche Ausgründung des Vertragsmanagements. Dies zeigen auch die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs zu diesen Fragen. ({9}) Die zu treffenden Entscheidungen liegen nun in unserer Hand. Wir sind uns unserer Verantwortung auch für die Fortsetzung des Aufschwungs Ost bewußt. Recht schönen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte treten wir in die Phase der parlamentarischen Beratung zur Zukunft der Treuhandanstalt ein. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt der Regierung sehr viel Spielraum, durch Rechtsverordnungen die Strukturen festzulegen, wie die verbleibenden Aufgaben erfüllt werden können. Wir werden in den anstehenden Beratungen unser Augenmerk darauf richten, daß diese Strukturen, wenn immer es sinnvoll ist, nur mit dem Willen des Parlaments festgelegt werden können. Dies schließt auch die notwendige parlamentarische Kontrolle ein, die, wie wir glauben, möglicherweise noch etwas verbessert werden kann. ({0}) Bis Ende 1994 wird die Treuhandanstalt - das ist hier schon gesagt worden - ihren Auftrag weitgehend erfüllt haben. Die Bilanz, die die Treuhandanstalt vorlegen kann, ist - auch wenn Herr Hampel hier eben gesagt hat, wir sollten keine Erfolgsstory daraus machen - eine erfolgreiche. Wir werden uns nicht einreden lassen, daß es kein Erfolg gewesen sei. ({1}) Wir müssen daran erinnern, daß im Sommer 1990 die Treuhandanstalt etwa 8 000 Unternehmen übernahm, aus denen dann durch Aufspaltung und Entflechtung über 13 000 Einheiten entstanden. Von diesen sind nur noch 260, also ganze 2 %, im Portfolio der Treuhandanstalt. Wenn das kein Erfolg ist, Herr Hampel, dann weiß ich nicht, was ein Erfolg sein kann. Mit der Privatisierung sind Investitionszusagen in Höhe von etwa 186 Milliarden DM und Arbeitsplatz18516 zusagen in Höhe von knapp 1,5 Millionen Arbeitsplätzen verbunden. Hier von einem Kahlschlag zu reden, Herr Hampel, kann ich wirklich nicht nachvollziehen. ({2}) - Sie haben gerade die Zahlen gehört, Frau Kollegin, und das Vertragsmanagement, das dies kontrolliert, stellt immer wieder fest, daß diese Zahlen nicht nach unten korrigiert werden müssen, sondern daß sie sogar übererfüllt werden. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, Frau Enkelmann?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sollten einmal in den Treuhandausschuß kommen und sich das dort anhören. Dann könnten Sie hier qualifiziert mitdiskutieren. Es sind über 47 000 Verträge, mit denen sich die Treuhand auseinandersetzt, und ich sagte eben schon, daß die meisten von ihnen nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt werden. Wer das Engagement des ermordeten Präsidenten Herrn Rohwedder oder den genauso großen Einsatz der jetzigen Präsidentin Frau Breuel und ihrer Vorstandskollegen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie wir aus der Nähe betrachten durfte, weiß, wieviel Arbeit dies alles bedeutete und bedeutet. Auch hierfür gebührt ihnen ebenso wie dem Verwaltungsrat unser aller Dank. ({0}) Meine Damen und Herren, in dem schwierigen Umfeld der stärksten Rezession der Nachkriegszeit und - für die ostdeutschen Unternehmen besonders dramatisch - des fast völligen Einbrechens der Lieferbeziehungen zu Osteuropa haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandanstalt mit großem persönlichen Engagement der Marktwirtschaft eine Bresche geschlagen. Ich habe noch das Gezeter der Opposition im Ohr - und das geht hier ja weiter -, die angesichts der Größe der Aufgabe damals bezweifelte, daß die schnelle Umwandlung dieser maroden sozialistischen Staatswirtschaft in eine private Wettbewerbswirtschaft gelingen könne. Sie wollte abwarten, wo schnelles Handeln geboten war. Viele Diskussionen bewegten sich um die Erhaltung unrentabler Betriebe und ihrer Strukturen. Es wurden Staatsholdings gefordert, die Sanierung sollte - so in Ihrem Antrag - Vorrang vor der Privatisierung erhalten. Natürlich sind, wie überall im Wirtschaftsleben, auch bei der Privatisierung Fehler gemacht worden. Darüber ärgern sich nicht nur wir Parlamentarier, sondern auch die Mitarbeiter der Treuhandanstalt. Aber für die Privatisierung gab es kein Drehbuch. Dies ist ein neues Kapitel in einer Geschichte, die vorher so nicht geschrieben war. Aber die in diesen gut drei Jahren erhaltenen oder neu geschaffenen 1 486 875 Arbeitsplätze zeigen, über welche Dimensionen wir hier sprechen. Als Alternative zur Privatisierung wurde bei sanierungsfähigen, aber nicht sofort privatisierbaren Unternehmen das Instrument der Management KG entwickelt. Es ist von uns zumindest mehrheitlich als eine gute Alternative gelobt worden. Obwohl diesen Betrieben, die in die Management KGs eingegliedert wurden, alle Altschulden erlassen und sie mit branchenüblichem Kapital ausgestattet wurden, betrugen die Verluste aller Management KGs 1993 50 000 DM pro Arbeitsplatz. Auch die Planzahlen für 1994 sehen Verluste von ca. 30 000 DM pro Arbeitsplatz vor. Im Zeitraum 1993/94 werden 48 000 DM je Arbeitsplatz bei diesen Management KGs investiert. Dies wird noch einige Jahre so weitergehen; denn, bis die Betriebe privatisiert werden können, wird noch einige Zeit vergehen. An diesen Zahlen kann man unschwer erkennen, wie teuer die Sanierung von Arbeitsplätzen der maroden SED-Wirtschaft den Staat, also uns alle, kommt. Wer etwas von Wirtschaft versteht, muß daraus den Schluß ziehen, daß die Privatisierung, wenn immer möglich, der richtige Weg war und ist und nur in begründeten Ausnahmefällen eine viel teurere Sanierung durch den Staat gerechtfertigt sein kann. ({1}) Deshalb war die Vorfahrt für die Privatisierung die richtige Strategie. Bei allen vorhandenen Schwierigkeiten sind die privatisierten Betriebe den Treuhandbetrieben klar voraus. Herr Hampel, natürlich gibt es dort Schwierigkeiten. Aber schauen Sie sich die Schwierigkeiten an, mit denen die Betriebe, die noch bei der Treuhand sind, zu kämpfen haben. Das sind ganz andere Größenordnungen. Wir sind heute aufgerufen, uns nicht mit der Vergangenheit der Treuhand, sondern mit ihrer Zukunft zu befassen. Dazu gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Vorstellungen. Am 29. November 1993 fand dazu eine Anhörung statt. Die Experten brachten sehr unterschiedliche Standpunkte zum Ausdruck. Die Treuhandanstalt und die Bundesregierung lief er-ten am 31. Januar 1994 einen Bericht dazu. Der Bundesrechnungshof - auch das ist hier gesagt worden - gab eine Stellungnahme am 22. Februar 1994 zu diesem Bericht ab und kommt teilweise zu abweichenden Vorstellungen. Ein vom Bundesministerium der Finanzen in Auftrag gegebenes Gutachten erblickt nun heute morgen das Licht der Welt. Auch hier werden wir sicher viele und, wie ich hoffe, gute Anregungen finden. ({2}) Natürlich haben alle Fraktionen ebenfalls Vorstellungen entwickelt. Herr Kuessner, Sie haben eben einen Zwischenruf gemacht. Den habe ich nicht verstanden. Sie haben vorhin gesagt: Geld ist kein Maßstab. ({3}) - Ich will gar nicht hören, was Sie jetzt wieder rufen. Ich habe einen der vorigen Zurufe verstanden. Der lautete: Geld ist kein Maßstab. Das kann ich mir bei Ihnen recht gut vorstellen. ({4}) Wenn Sie sich einmal überlegen: Auch als Theologe müßten Sie eigentlich wissen, daß auch dort einige Dinge - ({5}) Herr Kuessner, Sie müßten wissen, daß es in der Wirtschaft ohne Geld nicht geht und daß Geld schon ein Maßstab für viele Dinge ist. ({6}) Wenn das kein Maßstab ist, dann weiß ich es nicht. Die Treuhandanstalt und die Bundesregierung haben, wie gesagt, diesen Bericht abgeliefert und dort ihre Vorstellungen erläutert. Wir werden im Parlament daraus unsere Schlüsse ziehen. Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, von welchen Gedanken sich die F.D.P.-Fraktion tragen läßt, wenn es um die Zukunft der Treuhandanstalt geht. Die Arbeit der Treuhandanstalt ist weitgehend beendet. Daraus leitet sich die Verpflichtung ab, die Existenz dieser staatlichen Großinstitution zu beenden. Wir wollen einen weiteren Schritt zur Normalität der Sozialen Marktwirtschaft mit ihren erfolgreichen Gesetzen in den neuen Ländern tun. Die verbleibenden Aufgaben müssen in Organisationsformen überführt werden, die den marktwirtschaftlichen Grundsätzen unserer Wirtschaftsordnung folgen. Wir benötigen für die Treuhand ein Konzept, das die noch zu erledigenden Aufgaben soweit wie möglich in private Hände legt - ich sage: soweit wie möglich - und die staatliche Verantwortung klar definiert und abgrenzt. Dann kann eine ordnungspolitisch saubere Lösung für die Treuhandnachfolge gefunden werden. Unsere Vorstellungen gehen nicht dahin, die Treuhandanstalt mit ihren verbliebenen Aufgaben in verschiedene Gesellschaften aufzuteilen und dann, wenn möglich, diese Gesellschaften zu privatisieren. Wir wollen die Aufgaben privatisieren, wie dies unsere Wirtschaftsordnung vorsieht. ({7}) Die Grundlinien unserer Vorstellungen sind: Erstens. Konzentration der hoheitlichen Aufgaben sowie der Verpflichtungen aus Verträgen der Treuhandnachfolge in einer möglichst kleinen Rechtsnachfolgegesellschaft. Ziel muß der Abbau der hoheitlichen Aufgaben durch Übertragung auf bestehende Einrichtungen der Länder sein, sobald diese organisatorisch dazu in der Lage sind. Dies schließt auch die Auslagerung von operativen Arbeiten von Anfang an ein, die in bestehende geeignete private Unternehmen übergeben werden können. Zweitens. Die noch zur Treuhandanstalt gehörenden sanierungsfähigen Unternehmen sollten möglichst unter Beteiligung der Länder in Führungsholdings zusammengefaßt werden. Dabei erhalten die Unternehmen von der Treuhandanstalt eine ausreichende Kapitalausstattung, so daß eine faire Chance zur Privatisierung nach erfolgreicher Sanierung besteht. Für diese Aufgabe müssen Topmanager aus der Wirtschaft und nicht Topleute aus der Politik gewonnen werden, damit staatsfern, aber marktnah operiert werden kann. Ein solches Konzept ist kein Abschied des Staates von seiner wirtschaftspolitischen Verantwortung für die neuen Länder. Im Gegenteil: Durch weitreichende Privatisierung und Ausrichtung des Staatseingriffs auf gerade das, was Aufgabe des Staates ist, kommt der Gesetzgeber seinen Pflichten im Hinblick auf unsere marktwirtschaftliche Ordnung und auf den sorgfältigen Umgang mit Steuermitteln erst nach. Nicht nur das: Nur wenn es gelingt, noch mehr Privatinitiative einzubinden und auf staatlicher Ebene die Länderverantwortung und ihre Entscheidungsspielräume zu stärken, kann eine marktwirtschaftlich sinnvolle Entwicklung der regionalen Strukturen in den neuen Ländern gelingen, so wie es vor 40 Jahren in den alten Ländern gelang. Die Regelung der Treuhandnachfolge bedarf einer umfassenderen Lösung. Wir können uns vorstellen, daß weitere Bereiche, die nicht zur Treuhand gehörten, die aber auch beim Staat sind, wie Wismut, KoKo-Sondervermögen oder der Komplex der NVA mit einbezogen werden könnten. Ich will in diesem Zusammenhang ein Problem ansprechen, das später noch behandelt wird, nämlich die Schnittstellenproblematik von TLG und BWG. Auch hier gibt es einige Dinge, die wir ernsthaft diskutieren und dann entscheiden müssen. Der Eintritt in eine Phase der Normalität deutscher Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern darf bei der Einbindung der Lander deren Leistungsfähigkeit natürlich nicht überfordern. Die Treuhandanstalt alter Art hat sich dank ihrer erfolgreichen Arbeit wie geplant die Geschäftsgrundlage entzogen. Dies ist im Grunde der größte Erfolg, den eine staatliche Einrichtung für sich verbuchen kann. Ich danke Ihnen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem, Herr Bundesfinanzminister, meine Herren von der Regierungskoalition, stehen Sie ja der SED-Führung nicht mehr nach: in der Fähigkeit zur Schönfärberei. Ich habe eine derartige Lobhudelei in bezug auf die Tätigkeit der Treuhandanstalt selten gehört. Allerdings hat das mit den Realitäten und den Ergebnissen der Tätigkeit der Treuhandanstalt relativ wenig zu tun. ({0}) Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben sich darüber beschwert, daß niemand die Realitäten der DDRWirtschaft kannte. Das ist doch einfach nicht wahr. Sie hatten ganz gute, auf jeden Fall wesentlich bessere Kontakte als andere hier im Hause zu Herrn Mittag und Herrn Schalck-Golodkowski. Da werden Sie schon das eine oder andere erfahren haben. ({1}) Im übrigen gab es ja auch schon vor der Währungsunion Hinweise auf diese Realitäten, z. B. von Bundesbankpräsident Pöhl und anderen Sachverständigen aus der alten Bundesrepublik. Sie waren nur nicht bereit, diese Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, oder Sie wollten sie in Ihrer Richtung verändern. Herr Pohler, von Ihnen hätte ich nun doch irgend etwas Selbstkritisches erwartet. Sie können doch nicht Ihre jahrzehntelange Tätigkeit als sozialistischer Wirtschaftsleiter hier derart denunzieren. Sie müßten sich wenigstens einmal selbstkritisch dazu äußern. Ich finde diese Widersprüche ziemlich unerträglich. ({2}) - Ich weiß gar nicht, wann je in der CDU Selbstkritik herrschte. Sie sprechen hier immer von SED-Mißwirtschaft; aber es war doch zumindest eine SED-, CDU-, LDPD-, NDPD- und DBD-Mißwirtschaft. Insofern haben fast alle Fraktionen in diesem Haus etwas damit zu tun. ({3}) Was ich Sie als nächstes gerne fragen würde: Warum haben Sie sich denn eigentlich geweigert, jemals den realen Wert des Volksvermögens der DDR festzustellen? Das hatte doch seine Gründe. Die Einschätzung des Herrn Rohwedder - 500 Milliarden DM - war eben nicht absurd. ({4}) Ich werde Ihnen sagen, wie es zu dieser Verschuldung gekommen ist: durch die Art und Weise der Währungsunion. Der ehemalige Bundesbankpräsident, Herr Pohl, hat im Treuhand-Untersuchungsausschuß erklärt, daß allein die Tatsache, daß nach der Währungsunion am 1. Juli die Betriebe alle Leistungen in D-Mark zu bezahlen hatten - Löhne, Kosten für Energie etc. -, aber zum großen Teil nur Einnahmen in Rubel hatten, weil sie nämlich Exportbetriebe waren, schon zur vollständigen Verschuldung der Treuhandanstalt führte, weil sie die Ausgaben der Betriebe kreditieren mußte. ({5}) Sie kommen auch um eine andere Tatsache nicht herum. Dabei will ich die wirklichen Mängel in der DDR-Wirtschaft überhaupt nicht leugnen. Aber Sie werden doch einräumen müssen, die Wirtschaften in Polen, in Ungarn, in der Tschechischen Republik waren mit Sicherheit nicht produktiver als die in der DDR. Trotzdem haben Sie dort nicht annähernd soviel Betriebsschließungen, nicht annähernd soviel Arbeitslose wie in den neuen Bundesländern. ({6}) - Ich sage Ihnen, was der Grund ist. Die waren gezwungen, ihre Wirtschaften schrittweise in marktwirtschaftliche Strukturen zu überführen, während Sie als Aufgabe der Treuhandanstalt ungeschrieben und unausgesprochen formuliert hatten: Macht die Wirtschaft der DDR paßgerecht zur westdeutschen und laßt keinerlei Konkurrenz zu. - So sieht das Ergebnis auch aus. Drei Viertel aller industriellen Arbeitsplätze sind im Zuge der Privatisierung vernichtet worden. Das ist eine Tatsache. Ich sage Ihnen noch etwas anderes. Gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keiner anderen Behörde gibt es so viele Ermittlungsverfahren wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandanstalt. Der kriminelle Schaden, um den es dabei geht, ist riesig. Auch das gehört doch wohl zu den Tatsachen und hätte wenigstens einmal erwähnt werden müssen. Warum überhaupt diese Geheimniskrämerei um eine öffentliche Behörde? Nicht einmal der TreuhandUntersuchungsausschuß soll z. B. die Protokolle der Verwaltungsratssitzungen einsehen können. Was haben die Damen und Herren, die dort sitzen, eigentlich zu verheimlichen? Die waren nämlich sämtlich auch in bestimmten Aufsichtsräten und haben eigene Interessen verfolgt. Das ist doch die Tatsache, und das soll nicht herauskommen. Deshalb diese Verweigerungshaltung der Bundesregierung und der Treuhandanstalt gegenüber dem Treuhand-Untersuchungsausschuß. Fakt ist - das ist historisch wirklich einmalig -, daß durch die Politik der Treuhandanstalt der ehemalige Industriestandort DDR auf das Niveau von DritteWelt-Ländern deindustrialisiert wurde. Das Kalkül der Privatisierung ist für die Bundesregierung in zweifacher Hinsicht allerdings nicht aufgegangen. Erstens ist viel, viel Altes zerstört worden, ohne daß Neues entstand. Die Idee der Marktliberalen von einem sich selbst tragenden Aufschwung hat sich restlos blamiert. Zweitens hat die Bundesregierung einst vorgerechnet, daß die Privatisierungsstrategie quasi nichts kostet. Die Angleichung der Produktionsbedingungen an das westdeutsche Niveau sollte aus den Verkaufserlösen der Privatisierung bestritten werden. Statt dessen hinterläßt die Treuhandanstalt nun einen Schuldenberg von 275 Milliarden DM, und dieses Jahr hat gerade erst begonnen. Sie hinterläßt diese SchulDr. Gregor Gysi den aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, u. a. auch deshalb, weil vieles übrigens für einen Apfel und ein Ei verkauft worden ist. Auch die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern können Sie doch nicht länger für dumm verkaufen. Sie können ihnen doch nicht jahrelang erzählen, daß ihre Neubauwohnungen völlig marode sind, wegen der billigen Mieten sozusagen nicht saniert werden konnten, und denselben Leuten dann plötzlich sagen, sie sollen 140 000 DM bezahlen, wenn Sie sie privatisieren, während die Treuhandanstalt riesige Anlagen für 1 DM verkauft. Weshalb verkaufen Sie diese maroden Wohnungen nicht auch für 1 DM? Weshalb sind die plötzlich soviel wert? Diese Widersprüche müssen Sie den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern einmal erklären. ({7}) Es wurde auch hier wieder behauptet, daß die neuen Investoren die Schaffung oder den Erhalt von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen und Investitionen in Höhe von fast - so hat der Bundesfinanzminister gesagt - 200 Milliarden DM zugesagt hätten. Aber auf Drängen des Bundesrechnungshofes mußte die Treuhandanstalt einräumen, daß nur rund 852 000 Arbeitsplätze und nur 88,2 Milliarden DM Investitionen juristisch einwandfrei vereinbart wurden und daher auch einklagbar seien. Mit anderen Worten: Über die Hälfte aller Investitions- und Arbeitsplatzzusagen bestehen aus vagen Absichtserklärungen. Der Bericht des Bundesrechnungshofes, der dem Deutschen Bundestag am 17. September 1993 zugeleitet wurde, rüffelt die Informationspraxis der Bundesregierung wenn auch höflich, so doch bestimmt. Die Treuhandanstalt habe - ich zitiere aus dem Bericht - „in der Vergangenheit vielfach gerade auch gegenüber politischen Gremien undifferenzierte Angaben gemacht" . Meine Damen und Herren, wir sind gegenwärtig Zeugen, daß selbst juristisch wasserdichte Vereinbarungen oder angeblich wasserdichte Vereinbarungen zwischen der Treuhandanstalt und einem privaten Investor gefährdet sind. Der französische Elf-Konzern erwarb die höchst lukrative Minol-Tankstellenkette und die Leuna-Werke, die der Konzern mit rund 5 Milliarden DM sanieren wollte, so die Zusage. Nun möchte sich der Elf-Konzern aus dem Leuna-Projekt zurückziehen. ({8}) Damit wäre aber der Chemiestandort Leuna-Buna in der Bitterfelder Region insgesamt gefährdet. Es bleibt zu wünschen, daß sich der französische Konzern an die Investitionszusagen hält. Daran hat auch der Kanzler ein großes Interesse, denn er hat den Beschäftigten in dieser Region den Erhalt dieses Standorts persönlich zugesagt und sich übrigens speziell für den französischen Investor eingesetzt. Aber ob der Vertrag juristisch wirklich so wasserdicht ist, darf in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Wenn die Treuhandanstalt schon schlechte Verträge schließt, dann muß sie endlich anfangen, dafür auch zu haften. Das gilt in anderen Bereichen auch, warum nicht bei der Treuhandanstalt? Zur Treuhandpolitik gehörte immer auch, bestimmten Konzerninteressen zum Erfolg zu verhelfen. Erinnert sei daran, daß sich zuerst die westdeutschen Großbanken und die Allianz-Versicherung an den Beständen der Banken, der staatlichen Versicherung und ihren Filialnetzen laben durften. Bei der deutschen Kalifusion setzten sich die Bundesregierung und die BASF gegen einen mittelständischen Unternehmer und den Widerstand der Kalikumpel in Bischofferode durch, die im letzten Jahr ein bundesweites Signal setzten, ihre Arbeitsplätze vor der drohenden Vernichtung zu retten. Die EU-Kommission segnete die Kalifusion im Dezember letzten Jahres ab, was das Aus für Bischofferode bedeutete. Das kostet die Steuerzahler runde 2 Milliarden DM, mit denen das deutsche Kalikartell unter der Federführung der BASF saniert werden soll, und über 700 Kalikumpel die Existenzgrundlage. Aber auch hier wird die Einsicht in die Unterlagen verwehrt. Damit nicht genug: Die Bundesregierung sicherte den Kalikumpeln Arbeitsplätze, Ersatzarbeitsplätze und Industriebetriebe in dieser Region zu. Nichts davon ist bislang Wirklichkeit geworden. Sie sind das zweite Mal betrogen worden. Allerdings hat inzwischen die französische Regierung Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die deutsche Kalifusion erhoben, und zwar wegen der marktbeherrschenden Stellung der BASF. Ich sage Ihnen: Dieser Kampf ist offensichtlich noch nicht abgeschlossen. Die Bilanz der Politik der Treuhandanstalt ist also ziemlich verheerend. Es ist auch kein Zufall, daß sie einen derartig negativen Ruf in der Bevölkerung der neuen Bundesländer hat. Übrigens ist ihr Ruf auch in den alten Bundesländern nicht gerade besonders gut, auch wenn die Bundesregierung immer wieder versucht, den Ruf durch Erklärungen aufzubessern, weniger durch Taten. Nicht weniger brisant sind nun die Vorgänge um die Auflösung dieser Behörde am Ende des Jahres. Dieses Haus und vor allem die Landesregierungen in den neuen Bundesländern werden von der Treuhandanstalt und der Bundesregierung vor vollendete Tatsachen gestellt. In Berlin sind längst Fakten vorbereitet und geschaffen worden, die sich für die weitere industrielle Entwicklung in Ostdeutschland verheerend auswirken werden. Nach den bekanntgewordenen Plänen werden vor allem private Gesellschaften das Erbe der Treuhand unter Federführung des Bundes abwickeln. Vor allem die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft und die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, die über ein Drittel des ostdeutschen Grund und Bodens verfügen, sollen nach dem Willen der Bundesregierung die Grundstücke meistbietend verscherbeln. Damit installiert der verantwortliche Bundesfinanzminister ein Investitionshindernis erster Güte; denn zum einen werden damit alle regionalen und kommunalen Ansätze einer Strukturpolitik durchkreuzt. Wie sollen Länder und Kommunen denn Industriepolitik betreiben, wenn ihnen jegliche Mitbestimmung über die Grundstücksprivatisierung vorenthalten wird? Zum anderen existiert ein handfester Interessengegensatz zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits. Während der Bund an hohen Einnahmeerlösen aus den Grundstücksverkäufen interessiert ist, wollen Länder und Kommunen in erster Linie Industrien ansiedeln. Das können sie aber nur, wenn sie die Grundstücke an potentielle Investoren zu möglichst günstigen Konditionen verpachten oder verkaufen können. Was für Grundstücke gilt, gilt entsprechend für übriggebliebene, noch zu privatisierende Industrieunternehmen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Gysi, würden Sie bitte zum Schluß kommen. Diese Lampe bedeutet nämlich etwas.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich bin sofort fertig.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wenn es geht, jetzt wirklich den letzten Satz.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wenn wichtige Teilbereiche aus dem Erbnachlaß der Treuhandanstalt auch noch privaten Gesellschaften übertragen werden sollen, so ist zu befürchten, daß wiederum nur bestimmte und gezielte Konzerninteressen bedient werden. Sie entledigen sich Ihrer Verantwortung, statt sie endlich zu übernehmen. Das Desaster in den neuen Bundesländern hat sicherlich die ehemalige DDR mit zu vertreten, aber inzwischen zu einem beachtlichen Teil auch diese Bundesregierung. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zu einer Kurzintervention erhält Herr Kollege Julius Cronenberg das Wort.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Es wird nicht geleugnet, daß in den neuen Bundesländern erhebliche Probleme, gerade was die Arbeitslosigkeit anbelangt, vorhanden sind. Aber ich erlaube mir die Feststellung, daß immerhin 80 % der Menschen, die arbeiten wollen, Arbeit haben, zum großen Teil an neuen Arbeitsplätzen, und daß diese Menschen ihre Chancen wahrgenommen haben und nicht etwa Miesmacherei betrieben haben. Ich erlaube mir außerdem in diesem Zusammenhang die Bemerkung, Herr Gysi, daß man nicht den Eindruck erwecken sollte, die Menschen in den neuen Bundesländern würden bedauern, daß sie nicht polnische Verhältnisse haben. Ich meine, man kann die Dinge auch übertreiben, so wie Sie das eben getan haben. Gemeldet habe ich mich aus einem ganz besonderen Grund, und zwar deswegen, weil Sie wiederum die Veröffentlichung der Protokolle über die Verwaltungsratssitzungen gefordert haben. Herr Kollege Gysi, dort haben sich Firmen beworben, die kaufen wollten. Die haben ihre Bilanzen offengelegt, die haben ihre Unternehmenskonzepte offengelegt, die haben ihre Patententwicklungen offengelegt. Die haben das in dem Vertrauen getan, daß alles dies nicht der Konkurrenz zur Verfügung gestellt wird. Wenn diese Protokolle der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dann ist das ein Vertrauensbruch erster Güte, und niemand kann dem Verwaltungsrat dann noch wahrheitsgemäß seine Konzeption vorlegen. Deswegen meine ich, gerade Sie als Anwalt müßten Verständnis dafür haben, daß die Einhaltung dieser Vertrauenszusage gegenüber den Bietern gewährleistet wird und die Protokolle nicht in die Öffentlichkeit gelangen dürfen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zu einer Erwiderung erhält der Kollege Gysi das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Cronenberg, würden Sie zugeben, daß ein TreuhandUntersuchungsausschuß keine breite Öffentlichkeit ist? ({0}) Würden Sie mir einräumen, daß es im TreuhandUntersuchungsausschuß sehr wohl die Möglichkeit gibt, dort Unterlagen auch intern und vertraulich zu behandeln? Das war in anderen Untersuchungsausschüssen auch der Fall. Inzwischen hat die Treuhandanstalt gesagt, die Beschlußvorlagen und die Beschlüsse können vorgelegt werden, nur nicht die Protokolle der Diskussionen, weil sich nämlich aus den Protokollen der Diskussionen ergeben würde, welche Interessen die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder wie vertreten haben. Das zweite: Wenn es z. B. einen Vertrag gibt wie bei der Kalifusion und öffentliche Mittel von über 1 Milliarde DM eingesetzt werden, dann ist das nicht nur eine Angelegenheit der entsprechenden privaten Firmen, dann ist das auch eine Angelegenheit der Öffentlichkeit, denn es sind die Steuermittel der Bürgerinnen und Burger, die dabei verwendet werden. Zur ersten Bemerkung will ich noch soviel sagen: ({1}) - Das habe ich nicht verstanden. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Darf ich Sie bitten!

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Darum geht es doch gar nicht bei den Protokollen. Ich bin auch sofort fertig. Was die polnischen Verhältnisse betrifft, will ich nur eines sagen: Ich habe nicht gesagt, welche Verhältnisse sich die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern wünschen. Ich habe nur darauf hingewiesen - und das können Sie nicht bestreiten -, daß in allen anderen osteuropäischen Staaten die Industrie viel weniger plattgemacht worden ist als in den neuen Bundesländern. Das hat Gründe, die mit den Interessen der westdeutschen Unternehmen in bezug auf die neuen Bundesländer zu tun hatten, und keine anderen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun erhält der Kollege Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gregor Gysi macht es sich natürlich etwas leicht: Das ist Sozialismus light, das neue Produkt aus dem alten Haus. Es gab natürlich in der DDR vor allen Dingen eine SED und viele Ableger, viele Vasallen. Es wäre, glaube ich, sinnvoll, Gregor Gysi, wenn Sie sich einmal mit Herrn Pohler zusammensetzen, um die Anteile Ihrer Schuld aufzuteilen. Denn, Herr Pohler, auch das hat mich amüsiert: Beim Reden ist Ihnen regelrecht die Spucke weggeblieben, als Sie über die sozialistische Mißwirtschaft gesprochen haben, kenntnisreich, als ob Sie die sozialistische Mißwirtschaft schon seit 1954 aus der Furche Ihrer Kriechspur bekämpft hätten. Herr Bundesfinanzminister Waigel, wenn Sie über die Erblast sprechen, dann sollten Sie natürlich auch Ihren eigenen Anteil an dieser Erblast mit benennen. Wenn man die Bundesrepublik in den 50er Jahren mit den USA in eine Währungsunion gebracht hätte und die D-Mark zum Dollar im Verhältnis 1 :1 umgestellt hätte - rein theoretisch -, dann wäre damals der Morgenthauplan in Erfüllung gegangen, der die völlige Verödung Deutschlands vorgesehen hatte. Es war natürlich auch ein Währungsschock ohne Therapie, den Sie ausgelöst haben. Daran sind viele Betriebe kaputtgegangen. Wenn Sie 1990 vollmundig unter dem Zeichen „Allianz für Deutschland" angetreten sind, dieser riesengroßen Versicherungsgesellschaft, dann sollten Sie sich vielleicht auch einmal Ihren eigenen Schadensfällen stellen. Das wäre zumindest angebracht.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Schulz, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer gestatten?

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Schulz, würden Sie so nett sein, mir zu sagen, worin Sie denn die Schuld von Herrn Gysi sehen. ({0}) - Ja, besonders wegen seines beachtlichen Einflusses auf die Volkswirtschaft der DDR.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Schuld von Herrn Gysi sehe ich heutzutage darin, ({0}) daß er mit dieser gregorianischen Ein-Mann-Show, mit dem Programm „Ostalgysi" durch das Land zieht. ({1}) Das ist die Schuld, daß er die Leute heute für dumm verkauft. ({2}) Über die Treuhandanstalt haben wir in diesem Hause schon oft kontrovers diskutiert. Geholfen hat es bisher wenig. Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung uns zur Fortführung der Arbeit dieser schillernden Institution vorgelegt hat, läßt erwarten, daß sich daran nichts ändern wird. Mein Eindruck ist der, daß diese Regierung in der Treuhandanstalt eine Anstalt zur Entsorgung der Vergangenheit sieht, aber auch zur Entsorgung ihrer eigenen Verantwortung, der Verantwortung von Helmut Kohl für den wirtschaftlichen Niedergang, für den industriellen Zusammenbruch in Ostdeutschland. Sie sollten dabei aber nicht vergessen, daß Sie gleichzeitig mit der wirtschaftlichen Vergangenheit auch die wirtschaftliche Zukunft vieler Menschen in den neuen Bundesländern verdrängen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß wir, als das noch einen Sinn gemacht hätte, einen Entwurf für ein umfassendes Treuhandgesetz vorgelegt haben. Damit wollten wir Druck machen für eine vernünftige und energische Sanierungspolitik der Treuhandanstalt. Vergeblich. Wir haben uns für die Einsetzung des TreuhandAusschusses eingesetzt. Den gibt es zwar, aber Bundesregierung und Treuhandanstalt führen ihn an der Nase herum. Nachdem die Ohnmacht dieses Ausschusses unübersehbar wurde und die Skandale in der Treuhand sich häuften, haben wir die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert. Doch auch der wird mit allerlei Tricks von den Koalitionsfraktionen und auch von manchen Landesregierungen an wirksamer Aufklärung gehindert. Da stellt sich z. B. Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf quer, wenn es darum geht - wir haben es gerade gehört -, die Protokolle des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt, dem auch die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder angehören, in die Untersuchungen des Ausschusses einzubeziehen. Dies sei mit der föderalen Ordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar. Wer darf dann überhaupt noch die Entscheidungen des höchsten Treuhandgremiums überprüfen? Der Untersuchungsausschuß des Bundestages darf es angeblich nicht. Die Landtage dürfen es allenfalls teilweise, doch auch das wird von Unionsabgeordneten bezweifelt. Das traurige Ergebnis dieser Posse: Am Ende dürfen nur die beiden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses Einsicht in die Protokolle nehmen. Aber welche Konsequenz soll das haben? Werden die Einsichten, die Otto Schily und Gerhard Friedrich aus der Lektüre der Verwaltungsratsprotokolle gewonnen Werner Schulz ({3}) haben, im Abschlußbericht des Ausschusses enthalten sein, womöglich geschwärzt, damit niemand sie lesen kann? Jetzt legt uns die Bundesregierung ein Gesetz zur Abwicklung der Institution vor, die zu weiten Teilen die Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft besorgt hat. Auf eine ehrliche Bilanz und eine Schwachstellenanalyse ihrer Arbeit verzichtet die Bundesregierung wohlweislich. Sie beläßt es bei der Feststellung, die unerwartet erfolgreiche Privatisierungsbilanz der Treuhandanstalt erfordere ein neues Konzept für die Zeit nach 1994. Dagegen läßt sich zu Bilanz und Schwachstellen doch noch einiges mehr sagen, was auch für die Zukunft von Bedeutung sein könnte. Die „unerwartet erfolgreiche Privatisierungsbilanz " liest sich aus der Sicht der ostdeutschen Bürger wie folgt: Die Industrie in Ostdeutschland ist zum großen Teil zusammengebrochen, zerlegt oder auf ein Miniaturmaß geschrumpft. Jeder zweite Arbeitsplatz aus DDR-Zeiten ist verlorengegangen. Da würde es sich doch wohl lohnen, genauer zu analysieren, wie das möglich war. Es ist doch wohl allzu einfach, für alle negativen Entwicklungen der letzten Jahre stereotyp die Mißwirtschaft der DDR verantwortlich zu machen und die eigene Mißwirtschaft, die eigenen Fehler unter den Teppich zu kehren. Auch da gibt es einiges festzuhalten. Ich kann das hier nur in Stichworten tun. Da gibt es mangelnde Kenntnis der zu privatisierenden Unternehmen, haarsträubende Eröffnungsbilanz en, unfaire Ausschreibungsverfahren, schlampige Bonitätsprüfungen, schlampige Dokumentation von Vertragsverhandlungen, mangelnde Absicherung von Forderungen. Hinzu kommt eine passive Aufsicht des zuständigen Finanzministers, die ihre Entsprechung in einer intransparenten Informationspolitik und der Abwehr jeglicher Aufsicht durch die Treuhand findet. Die parlamentarische Kontrolle konnte, wie wir alle wissen, diese Lücken nicht schließen. Diese Erfahrungen müßten für die weitere Arbeit aufbereitet und berücksichtigt werden, doch die Bundesregierung verfährt, wie so oft, nach dem Motto: Augen zu und durch! Was bleibt zu tun? Die Sanierung und Privatisierung der verbliebenen Treuhandunternehmen muß qualifizierter und sorgfältiger als bisher fortgeführt werden. Die Treuhandanstalt darf nicht immer weiter Arbeitslose produzieren. Die Kontrolle der vertraglichen Zusagen muß sichergestellt, der Verkauf der Liegenschaften fortgeführt werden. Dabei ist besonders wichtig, daß die verbleibende Arbeit künftig besser auf die Interessen und Bedingungen der ostdeutschen Länder zugeschnitten wird. Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus unserer Sicht wenig geeignet, diese Ziele zu erfüllen und die Arbeit der Treuhandanstalt sinnvoller als bisher fortzuführen. Er trägt nicht zu einer Verbesserung der Aufsicht über die Treuhand bei. Die Bundesregierung will sich offenbar weiter hinter der Treuhand verstecken. Angesichts des zu erwartenden Bedeutungsverlustes des Verwaltungsrates schrumpft auch der Einfluß der Länder. So wird genau das Gegenteil einer stärkeren Einbindung der Länder erreicht. Ihnen ist es weiterhin nicht möglich, Entscheidungen der Treuhandanstalt oder ihrer Tochter- und Nachfolgegesellschaften zu überprüfen. Gleiches gilt für die Reprivatisierung, besonders für den Verkauf von Grund und Boden. Auch hier sind die Länder ohne Einfluß. Auch die unter sachlichen Gesichtspunkten sinnvollere Zuordnung der Sanierungsaufgaben zum Wirtschaftsminister wird nicht angestrebt. Statt dessen bleibt die Aufsicht beim Finanzminister. Wenn wir hier über die Treuhandanstalt reden, dürfen wir eines nicht aus dem Auge verlieren. Wir können uns natürlich viele Gedanken machen, ob es sinnvoller ist, die verbleibenden Aufgaben der Treuhandanstalt beim Wirtschaftsminister oder beim Finanzminister anzusiedeln, doch eines ist gewiß: Solange die Alternative Theo Waigel oder Günter Rexrodt heißt, kann dabei nicht viel Gutes herauskommen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster spricht nun der Kollege Hinrich Kuessner.

Hinrich Kuessner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Pohler, zunächst ein Wort zu Ihren Passagen über marode DDRWirtschaft: Mein Eindruck ist, daß Ihnen diese Passagen immer aufgeschrieben werden. Ich wünschte mir, Sie fänden endlich einmal den Mut, das selbst zu formulieren. Ich glaube, das würde uns politisch weiterhelfen. Der Staatssozialismus in Osteuropa ist gescheitert. Dieses Wirtschaftssystem gehört unwiderruflich der Vergangenheit an. Unsere Aufgabe ist es, die aus der Ostwirtschaft kommenden Unternehmen so zu entwickeln, daß sie der Konkurrenz auf dem Weltmarkt gewachsen sind. ({0}) Die Bundesregierung betreibt dies mit einem Privatisierungsfetischismus. Das Heilmittel heißt: Privatisieren. Schnelle Privatisierung ist die beste Sanierung - Dieser Parole wurde alles unterstellt. Selbst als der Kanzler endlich das Wort von der Erhaltung der industriellen Kerne im Herbst 1992 in den Mund nahm, änderte sich das politische Handeln der Regierung nicht, schon gar nicht das Handeln der Treuhandanstalt. Selbst der Bankenpräsident Martini kommt zu dem Schluß, nachdem er mit der Treuhandanstalt wegen Unternehmenskäufen verhandelt hat: Sie - die Treuhandanstalt soll möglichst schnell alles verkaufen, um zum Jahresende ihre Bücher zu schließen. Ob die Betriebe dann saniert sind oder nicht, ist nicht ihre erste Priorität. Nachzulesen im „Spiegel" 8/1994 auf Seite 89. Weder für Sanierungsmaßnahmen noch für Bonitätsprüfungen war bei der Privatisierung genügend Zeit. Das ergibt die Beweisaufnahme im 2. Untersuchungsausschuß „Treuhandanstalt". Für die Sanierungsfähigkeit hätte die Treuhandanstalt in den vergangenen Jahren viel tun müssen. Die Verleihung des Prädikates „sanierungsfähig" bringt nichts. Unternehmerisches Handeln war gefragt. Gehandelt und sich saniert haben vor allem Gutachter, Berater und Kaufleute. ({1}) Der frühere Leiter der Niederlassung in Rostock, Herr Utz, hat vor dem 2. Untersuchungsausschuß „Treuhandanstalt" berichtet, daß alle Treuhandbetriebe beratergeschädigt waren. Berater - dies nannte er als Beispiel - bekamen an einem Tag 2 600 DM - das war das monatliche Gehalt eines Geschäftsführers -; sie aber haben nicht jeden Tag gearbeitet. Daß das nicht motivierend wirkte, war sehr deutlich. ({2}) Verkauft wurde mit Tempo. Herausgekommen ist dabei mit Stand Ende 1993: Die ostdeutsche Wirtschaft trägt nur mit rund 4 % zur gesamtdeutschen industriellen Warenproduktion bei. 2,2 % der mittelständischen Unternehmen sind Industriebetriebe; in Westdeutschland sind es 14 %. In der Industrie Ostdeutschlands arbeiten weniger als 700 000 Arbeitnehmer; das sind rund 20 % der Industriearbeitsplätze von 1989. Im Juni 1992 kamen in Ostdeutschland auf 1 000 Einwohner nur noch 60 Industriearbeitsplätze; in Westdeutschland waren es zum gleichen Zeitpunkt 114 Arbeitsplätze, also fast doppelt so viele. Seit Juni 1992 gingen in Ostdeutschland noch einmal rund 250 000 Industriearbeitsplätze verloren und der Abbau geht immer noch weiter. Das Niveau der Produktion betrug Ende 1993 35 % des Niveaus vom ersten Halbjahr 1990. Wie stark die Treuhandanstalt auf die Privatisierung allein fixiert war und ist, zeigt auch, daß der Leiter der Innenrevision der Treuhandanstalt im 2. Untersuchungsausschuß erklärte, daß es keinen Prüfungsauftrag des Vorstandes zur Sanierung von Treuhandbetrieben gab. Das Thema Sanierung wurde zwar immer wieder in den Mund genommen; aber die Aktivitäten der Treuhandanstalt lagen und liegen beim Privatisieren. Selbst die Manager in den Management-KGs erhalten Bonuszahlungen für schnelles Privatisieren. Für mich ist das der Grund dafür, daß die Management-KGs so teuer und wenig erfolgreich sind. Die Bundesregierung setzt allein auf Privatisierung, weil sie bis heute kein Konzept für die Umstrukturierung der Wirtschaft in Ostdeutschland entwickelt hat. Privatisieren der Unternehmen als Ziel ist nach meiner Überzeugung grundsätzlich richtig; aber in dieser schwierigen Phase in Ostdeutschland reicht das allein nicht aus, es müssen vielmehr Voraussetzungen für eine erfolgreiche Privatisierung erarbeitet werden. Auch bei der Neuorganisation der Treuhandanstalt fällt der Bundesregierung nichts Neues ein. Auch hier will sie nur privatisieren. Herr Hampel hat bereits aus dem Schreiben des Bundesrechnungshofes an die Vorsitzenden des Haushalts- und Treuhandausschusses vom 22. Februar 1994 zitiert, der meint, daß vor allem die Interessen der Führungskräfte und der Mitarbeiter der Treuhandanstalt im Vordergrund stehen und daß die Organisationsvorschläge nicht sehr hilfreich sind. Die Bundesregierung hat anscheinend noch immer nicht die Größe der Aufgabe erkannt. Die Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft ist weder aus der Portokasse zu bezahlen noch wird sie im Vorbeigehen durch Privatisierung erledigt. Das Warten auf die großen Investoren aus Westdeutschland oder aus anderen Industrienationen macht keinen Sinn. Auch wenn die Konjunktur anspringt, werden nur wenige Investoren nach Ostdeutschland kommen. Die Umstrukturierung wird nur gelingen, wenn wir die vorhandenen Kräfte in Ostdeutschland entwickeln. Das ist ein langwieriger und mühsamer Weg, aber nach meiner Überzeugung der einzige, der erfolgreich sein kann. Für diesen Weg hätten schon längst mehr Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Die Kapitalschwäche Ostdeutscher ist bekannt. Aus der Statistik der Treuhandanstalt wissen wir, daß es inzwischen 2 591 MBO-Privatisierungen gibt. MBO'ler zeigen, daß Initiative Ostdeutscher da ist. Erfolg haben sie, wenn die Kapitalschwäche überwunden wird. Wir haben dazu in den letzten beiden Tagen im 2. Untersuchungsausschuß eindrücklich Betroffene gehört. Wir haben auch eindrücklich gehört, daß ein Niederlassungsleiter in Rostock, Herr Utz, sehr erfolgreich privatisiert hat, weil er die Voraussetzungen mit den MBO'lern erarbeitet hat. Genau dieses hätte zum Programm werden müssen. Gerade weil die Kapitalschwäche bei den ostdeutschen Unternehmen vorhanden ist, ist der Grund und Boden künftig ein entscheidender Faktor. Er muß für eine regionale Strukturpolitik zur Verfügung stehen. Die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft erwartet, daß über sie 150 000 Hektar verwertet werden. Dabei sollen 10 000 Hektar Bauerwartungsland in und um Gemeinden mit über 30 000 Einwohnern sein, die bisher von der BWG verwaltet werden. Die Verwertung dieser Grundstücke wird über die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands in den nächsten Jahrzehnten entscheiden. Wem, für welchen Zweck und zu welchem Preis diese Grundstücke vermarktet werden, wird wirtschaftliches Handeln in Bewegung setzen oder verhindern bzw. verlangsamen. Die ostdeutschen Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften müssen Zugriff auf die Grundstücke bekommen. Sie dürfen nicht nach Höchstangebot verkauft werden, sondern Priorität müssen Gesichtspunkte regionaler Strukturpolitik haben. Wir wissen alle, daß Demokratie und Soziale Marktwirtschaft von unten wachsen und nicht von oben verordnet werden können. Sie brauchen die Initiative vieler einzelner. Weil das so ist, müssen die kommunalen Gebietskörperschaften gestärkt und zu Aktivitäten befähigt werden. Nach meinem Eindruck hat die Bundesregierung dies bisher überhaupt nicht verstanden. Bundesminister Waigel denkt nur an kurzfristige Einnahmen, die sein großes Finanzloch stopfen. Bei den 150 000 Hektar TLG-Flächen läßt sich voraussichtlich etwas erlösen; aber der Bundesfinanzminister vergißt dabei, daß der Geldtransfer von West nach Ost auf Dauer größer wird, wenn die ostdeutsche Wirtschaft nicht auf die Beine kommt. Die Gemeinde Rechlin am Müritzsee in Mecklenburg-Vorpommern ist heute noch durch eine Mauer geteilt. Zwei Drittel der Einwohner waren bis August letzten Jahres russische Soldaten. Jetzt gammeln 120 Einfamilienhäuser und viele andere Gebäude und ein Flugplatz dahin. Die Zukunft dieser verkehrsgünstig und in schöner Natur gelegenen Gemeinde hängt von der Verwertung dieser Grundstücke ab. Bei guter Verwertung schafft sie sich Einnahmen zur Bewältigung der kommunalen Aufgaben. Bei schlechter Verwertung muß sie lange finanziell bezuschußt werden. Der Verkauf von Grundstücken ist nicht immer die Lösung. Daneben ist die langfristige Vermietung und Verpachtung wichtig. Dann haben auch kapitalschwache Ostdeutsche eine Chance, an Grundstücke und damit an Bankkredite zu kommen. Nur so können Ostdeutsche sich einbringen. Nur so werden wir aus der Sackgasse kommen, in die uns die Bundesregierung nach der Einheit geführt hat. Die Privatisierungsideologie hat zur Vernichtung von 2,5 Millionen Industriearbeitsplätzen geführt. Ihr Ergebnis ist Massenarbeitslosigkeit, Auswanderung und Resignation vieler Menschen. Für MecklenburgVorpommern sagt Prognos bis zum Jahre 2010 einen Bevölkerungsrückgang von 400 000 Einwohnern voraus; das sind über 20 %. Die Privatisierungsideologie der Bundesregierung hat vor allem nicht die notwendige Dynamik für einen Aufschwung Ost gebracht. Darum müssen mit der Neuorganisation der Treuhandanstalt neue Politikansätze gemacht werden. Die Menschen in Ostdeutschland müssen erleben, daß sie gebraucht werden, daß sie sich mit ihrem Ideenreichtum einbringen können. Nur so kommen wir aus der Sackgasse. Dazu scheint die Koalition die politische Kraft nicht mehr zu haben. Kanzler Kohl ist ein Mann der Geschichte und nicht der Zukunft. Ich danke Ihnen. ({3})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Josef Hollerith das Wort.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schulz, woher Sie wissen, daß die Treuhandanstalt den Treuhandausschuß angeblich an der Nase herumführt, bleibt mir schleierhaft. Offensichtlich leiden Sie an Tag- oder Alpträumen, denn Sie waren fast nie im Ausschuß. ({0}) Denn wenn Sie im Ausschuß gewesen wären, hätten Sie dort feststellen können, daß gerade das Gegenteil der Fall ist, nämlich daß die Treuhandanstalt Fragen lückenlos und vollständig aufklärt und beantwortet. Ich jedenfalls kann Ihren Ausführungen nicht folgen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Hollerith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel?

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gerne, Frau Präsidentin.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hollerith, können Sie das gleiche, was Sie soeben gesagt haben, auch im Zusammenhang mit der Treuhandniederlassung und den Greiner-Vorfällen wiederholen?

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen nur versichern - jedenfalls habe ich das so im Treuhandausschuß erlebt -, daß die Treuhandanstalt lückenlos aufklärt und alle Fragen beantwortet. Herr Kollege Kuessner, da auch Sie offensichtlich Ihre Erfahrungen mit der Anwesenheit im Treuhandausschuß nicht mehr ganz in Erinnerung haben, muß ich auch Sie bedenken. Denn Sie hätten in Ihrer Zeit der Mitarbeit und der Mitgliedschaft im Treuhandausschuß lernen und erfahren können, daß die Treuhandanstalt sehr wohl, und zwar mit Milliardenbeträgen, Unternehmen saniert, Arbeitsplätze sichert. ({0}) - Er weiß es vielleicht, aber man muß es ihm sagen, wenn er hier unredlich die Unwahrheit sagt. Und Sie hätten auf Grund Ihrer Mitgliedschaft im Treuhanduntersuchungsausschuß - in dem wir beide das Vergnügen haben - feststellen können, daß dort von den von Ihnen benannten Zeugen und Sachverständigen gerade bestätigt wird, daß es Probleme vor allem dann gab, wenn die Privatisierung nicht rasch genug und konsequent genug umgesetzt worden ist. Das hätten Sie gestern sehr wohl hören können, wenn Sie aufgemerkt hätten und wenn Sie hier die Wahrheit sagen wollten. Sehr geehrte Damen und Herren, historisch betrachtet ist die Leistung der Treuhandanstalt einmalig. Niemals zuvor wurden in so kurzer Zeit so viele Unternehmen privatisiert, saniert und ihnen damit die Chance einer neuen Zukunft ermöglicht. Während das Ausland, insbesondere die Staaten Mittel- und Osteuropas, diese Leistung als hervorragend und nachahmenswert klassifiziert, werden die objektiven Daten in den neuen Bundesländern von den Betroffenen subjektiv eher kritisch beurteilt. Dieser subjektiven Sicht müssen allerdings auch deutlich die Ausgangslage und die Bedingungen des alten Systems der kommunistischen Planwirtschaft entgegengehalten werden. Die Treuhandanstalt hat die Altlasten der alten Zentralwirtschaft beseitigt. Die Ursache für die Nöte und Veränderungsnotwendigkeiten der Menschen liegt nicht bei der Treuhand, sondern in der Ressourcenverschwendung des SED-Unrechtsregimes. Die Treuhandanstalt für die Veränderungsnotwendigkeiten verantwortlich zu machen hieße Ursache und Wirkung zu vertauschen. Vor einer solchen unredlichen Argumentation sei auch die SPD gewarnt, denn möglicherweise wäre nicht sie es, die davon profitiert, sondern das kommunistische Nachfolgeoriginal, nämlich die PDS. Zur Privatisierung gab und gibt es keine Alternative. Die statistischen Zahlen zum 31. Dezember 1993 sprechen für sich: Privatisierungserlöse - 45 Milliarden DM, zugesagte Arbeitsplätze - 1,5 Millionen, zugesagte Investitionen -184 Milliarden DM. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zahlen sind keine Luftzahlen, es sind Realitäten. Die Salden werden übertroffen. Das ist eine gigantische Leistung der Treuhandanstalt, des Managements in den Unternehmen, der Mitarbeiter in diesen Unternehmen und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland durch den von ihnen geleisteten Finanztransfer. ({1}) Gewiß sind die Leistungen der Treuhandanstalt politisch und auch sachlich insgesamt positiv zu würdigen. Allerdings bleiben auch Fragen. War das nicht angesichts der nahezu unbegrenzt verfügbaren Mittel eine leichte Aufgabe? Haben nicht all die StasiSeilschaften, ergänzt von kriminellen Wessis, Volksvermögen unnötig vergeudet? ({2}) Sind die illegal - vor allem während der Übergangsphase der Modrow-Regierung bis zur Wiedervereinigung - ins Ausland transferierten Gelder auch wirklich nachhaltig genug verfolgt worden? Sicher ist, daß manche Aufklärung für immer versagt bleiben wird. Sicher ist auch, daß Fehler gemacht wurden. Eine gerechte Beurteilung verlangt allerdings auch, den Sachverhalt in seiner tatsächlichen Bedeutung zu sehen. Bei 45 000 abgeschlossenen Verträgen und den bisher bekanntgewordenen Schäden muß man von einer relativ geringen Zahl ausgehen. Angesichts der riesigen Dimension der Aufgabe ist ein Schadensvolumen von derzeit rund 300 Millionen DM noch als vertretbar gering einzustufen. ({3}) Was wir verlangen, ist, daß sämtliche bekanntgewordenen Fälle krimineller Machenschaften rückhaltlos aufgeklärt und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden. Daß dies geschieht, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat die Treuhand bisher konsequent bewiesen. Auch der Treuhanduntersuchungsausschuß konnte keine neuen Verfehlungen an die Öffentlichkeit bringen, trotz des krampfhaften und offensichtlich sehr interessierten Bemühens einer auch hier im Saal vertretenen Partei. Die Zukunft der Nachfolge der Treuhand muß sich aus meiner Sicht an folgenden Zielen orientieren: Erstens eine möglichst schlanke Organisation der Aufgabenerfüllung; d. h. auch die Treuhand selbst bzw. ihre Nachfolge muß sich an den eigenen Prinzipien messen lassen. Aufgeblähte Personalkörper, die der Versorgung dienen, haben keine Berechtigung. Zweitens. Die Endlichkeit der Aufgabenerfüllung muß deutlich werden. Das heißt z. B., daß die hoheitlichen Aufgaben spätestens 1996 in den Zuständigkeitsbereich der dafür im föderalen Staatsaufbau vorgesehenen Strukturen übergehen müssen. Auch die bis dahin erfolgten Abarbeitungen der Fallzahlen ermöglichen eine Festschreibung dieser Übergangsfristen im Gesetz. Drittens. Die Aufgabenerfüllung muß möglichst wirtschaftlich erfolgen, d. h., für den Steuerzahler darf kein neues Milliardengrab geöffnet werden. Die Sanierung von sanierungsfähigen Unternehmen, z. B. Fortführung in Management-KGs, muß budgetiert werden. Viertens. Die Länder müssen in ihrer regionalen und strukturpolitischen Verantwortung eingebunden sein. Diese Einbindung kann nicht allein so stattfinden, daß die Länder Aufträge erteilen, welche dann der Bund zu bezahlen hat. Zuständigkeit, Verantwortlichkeit setzt auch finanzielle Mitverantwortung voraus. Fünftens. Als großer Immobilienbesitzer muß der Bund seiner Verantwortung, funktionierende Immobilienmärkte und Immobilienteilmärkte zu ermöglichen, gerecht werden. Der Bund hat eine hohe Verantwortung, das Funktionieren dieser Märkte sicherzustellen. Der Vorrang muß deshalb weiterhin bei der Privatisierung des Immobilienvermögens des Bundes liegen, und zwar der möglichst raschen und konsequenten Privatisierung. Die Aufgabe der Projektentwicklung können Private besser als der Staat erfüllen. Bei der Umsetzung der Privatisierung soll sich der Bund bzw. die TLG, wie bisher, auch möglichst der Hilfe Privater bedienen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, meines Erachtens muß eine aufgabenorientierte Konzeption für die Nachfolge der Treuhandanstalt an der Umsetzung dieser Ziele ausgerichtet sein. Eine Entscheidung unter ideologischen Gesichtspunkten - Herr Hampel, Sie haben das erfreulicherweise im letzten Teil Ihrer Rede nicht erkennen lassen; ich bin darüber sehr froh und erwarte, daß Ihren Worten dann in der Beratung Taten folgen, damit wir hier zu sachgerechten Debatten und Lösungen kommen - wäre nicht nur sachfremd, sondern auch politisch schädlich und unverantwortlich für die Menschen in den neuen Bundesländern. Ich bin zuversichtlich, daß wir gemeinsam zu einer sachgerechten Lösung kommen. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Jürgen Türk das Wort.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem von Wolfram Fischer, Herbert Hax und Hans Karl Schneider herausgebrachten Buch ist als Titel zu lesen: „Treuhandanstalt - Das Unmögliche wagen" . Es war in der Tat offenbar unmöglich, sozialistische Planwirtschaft schnell und trotzdem gut in eine sozial und ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft zu überführen. Ich will heute nicht darüber streiten, ob die Umstrukturierung in Ostdeutschland dennoch besser, d. h. mit weniger Mängeln und Fehlentscheidungen im operativen Geschäft, möglich gewesen wäre, ob Privatisierung nicht besser in die Wirtschaftspolitik hätte integriert werden können. Man muß es offen sagen: Die Umstrukturierung ist noch nicht abgeschlossen, und sie bleibt schwierig. Nach Abschluß des Kernauftrages der Treuhand müssen wir uns aber Gedanken machen, wie wir mit den verbliebenen Aufgaben umgehen sollen. Einen Schwerpunkt stellt dabei das Verhältnis von Bund und neuen Ländern zu den Liegenschaften und Immobilien dar. Nach Vorstellung der Treuhand sollen diese auch in Zukunft von der Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft, die in eine Besitzgesellschaft umgewandelt werden soll, verwaltet, vermarktet und neuerdings auch umgewidmet und damit auch entwickelt werden. Ich glaube, daß das zentral nicht leistbar ist, selbst wenn private Vertriebspartner eingeschaltet werden. ({0}) Das gleiche gilt für die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. Wir sollten uns viel mehr von dem Gedanken leiten lassen, Liegenschaften und Immobilien in die Hände derer zu legen, die sie vor Ort der besten Nutzung zuführen können. ({1}) Diese Aufgabe können sie aber nur wahrnehmen, wenn ihnen die Liegenschaften gehören oder sie zumindest verfügungsberechtigt sind. Die Forderung kann deshalb nur lauten: Besitz der BVVG und TLG zusammenfassen und dann an die Länder und Kommunen übergeben. ({2}) Mit dem Abschluß der Treuhandarbeit werden die neuen Länder und ihre Kommunen zu den Hauptverantwortlichen der regionalen Entwicklung, sprich: zum entscheidenden Faktor in der Raumordnungs- und Ansiedlungspolitik. Regionale Wirtschaftspolitik ist nach dem Föderalismusprinzip Ländersache. Jedenfalls wird es schwerlich zu begründen sein, die Besitzstandswahrung des Bundes in dieser Sache als verfassungsgemäß anzusehen. ({3}) Als Alternative zum Bund in Form von TLG und BVVG sehe ich regionale Standortentwicklungsgesellschaften. Größe und Ausgestaltung müssen natürlich den Ländern überlassen bleiben. Um aber gleichzeitig von der Kirchturmpolitik der einzelnen Kommunen wegzukommen - das ist in Westdeutschland genauso -, betrachte ich als optimale Größe die durch die Gebietsreform gebildeten Großkreise. ({4}) Das ist jetzt möglich, weil in vielen Ländern diese Großkreise gebildet worden sind. Diese Oranisationsform sollte den Einsatz Privater und von Investoren einschließen. Vor kurzem klagten in der „Süddeutschen Zeitung" die ostdeutschen Kommunen, daß sie von der Planung und Entwicklung großer Teile ihrer Flächen ausgeschlossen sind, der vorgeschriebene Abstimmungsprozeß der TLG mit den Kommunen nur als Farce bezeichnet werden kann und sich die TLG im Zweifelsfall immer durchsetzt. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bund in Gestalt der TLG als gestrenger Vater, als derjenige, der immer alles besser weiß und immer das letzte Wort hat, entspricht nicht meinen Vorstellungen von Föderalismus. ({5}) Darum entspricht die Forderung, die Liegenschaften und Immobilien in die Hände von Ländern und Kommunen zu legen, nur dem Vollzug der verfassungsgemäßen Arbeitsteilung der öffentlichen Hand, wie sie in Westdeutschland praktiziert wird. Vielen Dank. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Christian Müller das Wort.

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wissen Sie, was ein „Geschichtspessimist" ist? - So wurde man in der DDR bezeichnet, wenn man sich gestattete, an den ideologisch gefärbten Wahrheiten der damaligen Machthaber gelegentlich seine Kritik zu äußern. Immerhin ist mir diese Ehre gelegentlich widerfahren. Ich warte eigentlich jetzt nur noch darauf, daß im Zusammenhang mit solchen Debatten, wenn wir hier kritische Äußerungen bezüglich der Geschichte der letzten vier Jahre machen, irgendwann einmal der Ruf „Ihr seid Geschichtspessimisten" in diesem Plenum erschallt. Das würde mich schon fast nicht mehr wundern. ({0}) - Doch, doch, das kann man schon mal fordern, daß man dies so sieht. - Denn es gehört doch wohl zu den Tatsachen, daß seit April 1991 angesichts des Rückganges der ostdeutschen Industrieproduktion um mehr als 50 % deutlich wurde, daß dort der Verlust der industriellen Basis drohte, ohne daß gleichzeitig neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in ausreichender Zahl entstehen konnten. Dies ist bekanntlich eingetroffen. Beispielsweise hat das produzierende Gewerbe auf diese Art und Weise in Ostdeutschland lediglich noch einen Anteil von 15,5 % an der Gesamtwertschöpfung. Die damit verbundenen, oft katastrophalen Verwerfungen in den Biographien der von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen wirken in einem Ausmaß auf die Gesellschaft, welches wir wohl heute noch nicht so richtig in vollem Umfang abschätzen können. Angesichts dieser absehbaren Entwicklung folgerte damals die SPD-Fraktion, daß das zu befürchtende wirtschaftliche Notstandsgebiet in Ostdeutschland nur durch eine koordinierte Strukturpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden einschließlich der Christian Müller ({1}) Sicherung einer ausbaufähigen industriellen Basis verhindert werden könne. Dabei war immer klar, daß der Treuhandanstalt wegen ihrer zwangsläufig regional wirksamen Entscheidungen eine besondere regionalpolitische Verantwortung zufällt. Im Treuhandgesetz von 1990 war jedoch nichts vorgesehen, was diese Verantwortung ausreichend definierte. Alle unsere Bemühungen, den Prozeß einer Neufestlegung von Stellung und Aufgaben der Treuhandanstalt in Gang zu setzen, blieben vergeblich, was Sie ja ausdrücklich freut. Und letztendlich ist es schon fast ein Witz, wenn heute, also zwei Jahre danach, über den Gesetzentwurf in Drucksache 12/2291 abschließend beraten wird, in dem von unserer Seite nochmals der Versuch unternommen wurde, den gesetzlichen Auftrag der Treuhandanstalt anders zu definieren. Ohne Zweifel: Für diese Art von Gesetzgebung ist es heute aus vielen Gründen viel zu spät. Aber, meine Damen und Herren, es ist erstens nicht zu spät für eine vernünftige Nachfolgelösung für die Treuhandanstalt und die ihr nachgeordneten Organisationen, beispielsweise der TLG, von denen es auch abhängt, welche Chancen die Entwicklung einer lebensfähigen Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland haben wird. Ich bin dem Kollegen Türk ausdrücklich dankbar für seine hier vorgetragene Forderung, TLG und BWG in die Hände von Ländern und Kommunen zu geben, um dafür Voraussetzungen zu schaffen. Ich schließe mich da nachdrücklichst an. ({2}) Es ist in diesem Zusammenhang - zweitens - noch nicht völlig zu spät, den bisher noch nicht privatisierten, aber sanierungsfähigen Treuhandunternehmen den Weg zu einer treuhandfreien Lösung zu ebnen, die ihnen für eine Zeit von ca. fünf Jahren den notwendigen Spielraum für eine Sanierung einräumt. Der Kern unseres vor einem Jahr vorgelegten Vorschlages zur Behandlung der jetzt nicht privatisierbaren Unternehmen mit bestätigten Sanierungskonzepten besteht nach wie vor darin, diese sofort unter dem Dach von Holdings zusammenzufassen, die - in erster Linie für die Funktionen Finanzierung und Kontrolle zuständig - in den Bereichen Recht, Personal, Forschung, Technologie und Marketing beratend tätig sein sollen. Die Tochterunternehmen dieser Holdings müßten nach diesem Ansatz mit weit gefaßtem Handlungsrahmen - und privatisierten Unternehmen weitgehend gleichgestellt - agieren können und dürften nicht mehr von einer - wie auch immer gearteten - Treuhandnachfolgeorganisation abhängen. Dabei ist uns die Bezeichnung „Industriegesellschaften" weniger wichtig als dieser grundsätzliche Ansatz. Eigentümer sollten der Bund und die Länder sein. Arbeitnehmerbeteiligungsmodelle und Kapitalbeteiligungen des Managements wären wirklich sinnvolle Ergänzungen. Meine Damen und Herren, es ist - kurzfristig gesehen - von allergrößter Dringlichkeit, diese sanierungsfähigen Unternehmen soweit wie möglich zu erhalten und über die Rezession hinwegzuretten. Sie sind für die Entwicklung einer industriellen Basis, für einen Neustart in Ostdeutschland unentbehrlich. Dies gilt aber darüber hinaus im besonderen Maße auch für die bereits privatisierten Unternehmen. Bekanntlich ist der Mangel an Eigenkapital - neben der Überwindung von Managementproblemen und Markteintrittsbarrieren - eine der wesentlichen Schwachstellen dieser meist mittelständischen Unternehmen, vor allem der MBOs und der industriellen Existenzgründer. Inzwischen dürfte wohl klar sein, daß diese Probleme nur mit intensiver Unterstützung überwunden werden können. Beispielsweise ist es unumgänglich, die Rahmenbedingungen für privates Beteiligungskapital in den neuen Ländern durch steuerliche Maßnahmen und Begünstigung von Bürgschaften zu verbessern. Privatisierte Unternehmen leiden außerdem sehr stark unter den noch vorhandenen Standortnachteilen. Aus diesem Grunde schlug die SPD vor einem Jahr per Antrag ein Programm zinsverbilligter Modernisierungs- und Betriebsmittelkredite vor, um die Liquidität in den Unternehmen zu verbessern, aber sie wurde von der Koalition zurückgewiesen. Da aber ein solches Kreditprogramm inzwischen bei der KfW eingerichtet wurde - worüber ich übrigens sehr froh bin -, kann unser Vorschlag also so schlecht nicht gewesen sein. Aber das ist hier ja typisch. ({3}) - Eben. Meine Damen und Herren, eine Lösung für diese beiden schwierigen Aufgabenfelder zu befördern ist die Mindestvoraussetzung dafür, in Ostdeutschland wenigstens die Chance für das Wiederentstehen eines ernstzunehmenden Wirtschaftsstandortes zu wahren. Dies wird aber wahrscheinlich insgesamt nur dann gelingen, wenn es tatsächlich zu einem neuen Ansatz einer integrierten Struktur- und Wirtschaftspolitik für Ostdeutschland kommt. Für die erfolgreiche Gestaltung einer solchen Politik scheint es mir unumgänglich zu sein, in enger Zusammenarbeit mit den Aufbaubanken und der Wirtschaftsförderung der Länder die Investitionsfördermittel aus den unterschiedlichsten Quellen, also von EG, Bund und Ländern, programm- und projektgerecht zusammenzufassen. Die Mittel aus dem Europäischen Regionalfonds sollten überwiegend für den Aufbau einer eigenständigen ostdeutschen Industrie eingesetzt werden. ({4}) Als begleitende Maßnahme muß unbedingt das derzeit überwiegend anreiz- und nicht entwicklungsbezogene Instrumentarium der Wirtschaftsförderung, innerhalb dessen auch die Verfügung über preiswerte Grundstücke aus dem Bestand der TLG eine wichtige Rolle spielt, überprüft und auf einige wesentliche Instrumente reduziert werden. Unter dem Strich bedeutet das eine Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik, denn der anreizorientierte Ansatz, so wie er in der westdeutschen Regionalförderung entwickelt worden ist, entspricht offenbar nicht den spezifischen Bedingungen in Ostdeutschland. Vielmehr ist dafür ein entwicklungsorientierter Christian Müller ({5}) Ansatz der Wirtschaftspolitik erforderlich, denn es muß doch festgehalten werden, daß trotz massivster Förderung nach dem derzeit üblichen Fördersystem neue Ansiedlungen die fehlenden Arbeitsplätze nicht annähernd kompensieren konnten und auch in nächster Zeit nicht kompensieren werden. Folglich muß sich die Wirtschaftsförderungspolitik in Zukunft in allererster Linie auf die Stärkung des vorhandenen ostdeutschen Unternehmens- und Unternehmerpotentials konzentrieren. Die zentrale strategische Aufgabe für die Wirtschaftspolitik in Ostdeutschland besteht also in der Entwicklung des endogenen Potentials dieses Teils der Volkswirtschaft, wobei die Aktivierung des vorhandenen innovatorischen Potentials an der ersten Stelle stehen muß. ({6}) Meine Damen und Herren, politische Weichenstellungen in diese beschriebene Richtung sind unumgänglich. Es muß jede Chance genutzt werden, den für die ostdeutsche Wirtschaft nahezu tödlichen Entzug von Vermögens- und Eigentumsrechten aufzuhalten. Diese dürfen nicht überwiegend in Westdeutschland oder im westlichen Ausland konzentriert sein. Ostdeutschland braucht eine regional verankerte Unternehmerschaft für den Wiederaufbau. Dazu muß auch die künftige Konstruktion der Treuhandnachfolge beitragen. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat der Kollege Arnulf Kriedner das Wort.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mich ganz gern mit zwei Kollegen auseinandergesetzt, die in der Debatte geredet haben, die pflichtschuldig demagogische Sprüche abgelassen und dann das Parlament wieder verlassen haben. Das finde ich, auf deutsch gesagt, eine Sauerei. ({0}) Dazu gehört vor allen Dingen der Kollege Gysi, der hier tüchtig in die Saiten gegriffen hat und der Anlaß gegeben hat, sich mit ihm auch im Hinblick auf die vielen Wahlkämpfe auseinanderzusetzen. ({1}) Denn was er an Demagogie hier vorträgt, ist das alte Motto: Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken. Ich muß Ihnen sagen: Mit diesem Motto macht sich Herr Gysi seine Sache ausgesprochen leicht. Er hat auch noch etwas Bedeutendes getan, und Sie sollten dazu einmal eine Anregung aufgreifen, weil das allen anderen im Wahlkampf sehr helfen würde: Er hat sich mit Relationen zwischen dem, was in sonstigen ehemals sozialistischen Ländern, und dem, was in den neuen Bundesländern passiert, auseinandergesetzt. Er hat dabei darauf hingewiesen, daß wir uns am Beispiel Polens oder der Tschechei orientieren sollten. Ich empfehle Ihnen wirklich - das hilft uns sehr -, zu plakatieren, daß Herr Gysi der Meinung ist, daß den Bürgern in den neuen Bundesländern etwa die heutigen Verhältnisse in Polen oder in der ehemaligen Tschechoslowakei zugemutet werden sollten. ({2}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich wirklich gern noch einmal damit auseinandersetzen, weil es eine Geschichtsklitterung der übelsten Art ist, was da passiert. ({3}) - Ich sage: eine Geschichtsklitterung der übelsten Art. Wenn sich jemand hier hinstellt und behauptet, daß in Ländern wie Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Polen, Rußland, der Ukraine oder Weißrußland die Wirtschaft heute besser läuft, weil es dort noch mehr Staatsbetriebe gibt, der war entweder noch nie dort oder erzählt hier bewußt die Unwahrheit oder lügt. Ich sage sogar: lügt. ({4}) Ich will Sie mit den Zahlen konfrontieren, und ich will Ihnen auch sagen, warum der Lebensstandard in diesen Ländern so miserabel ist. Jeder von uns, der im Treuhandausschuß gearbeitet hat, hat sich wenigstens eines dieser Länder einmal angeschaut. Ungarn hat bis heute einen Privatisierungsstand von 23 %, die Tschechische Republik einen von 18 %, die Slowakei einen von 14 %. In Polen liegt der Privatisierungsanteil unter 25 %, in Rußland weit unter 10 %, wobei die Privatisierungen fast ausschließlich im Handel getätigt worden sind, in der Ukraine und in Weißrußland unter 5 %.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will den Gedanken gern noch zu Ende bringen. Angesichts dieser Situation, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es doch wirklich Augenwischerei, davon zu reden, daß es dort noch mehr Staatsbetriebe gebe. Natürlich gibt es die, aber es gibt dort die versteckte Arbeitslosigkeit wie in der ehemaligen DDR, und es gibt eine wirtschaftliche Katastrophensituation etwa in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, und das müssen wir einmal zur Kenntnis nehmen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Kriedner, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage des Kollegen Duve?

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, stimmen Sie mit mir darin überein, daß ein Vergleich mit Zahlen dieser Art, wie Sie sie eben gebracht haben, völlig unsinnig ist, ({0}) wenn Sie bedenken, daß das, was an Wirtschaftssituation in der ehemaligen DDR da ist, überhaupt nicht abzutrennen ist von dem, was an Transferleistungen geleistet worden ist und was all die Volkswirtschaften, von denen Sie eben gesprochen haben, in keiner Weise durch irgend jemanden in diesem Ausmaß erfahren haben? Insofern ist Ihr Vergleich gar nicht zulässig. ({1})

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Sie werden jetzt ganz überrascht über meine Antwort sein: Ich stimme mit Ihnen voll überein. ({0}) Ich habe auf Herrn Gysi und seine Argumentationskette reagiert, und die finde ich so unfair. Sie sollten mit mir gemeinsam auf diese Art und Weise reagieren, weil die Argumentation von Herrn Gysi im Grunde auch ein Angriff auf Ihre Politik ist, nicht etwa nur auf die unserer Seite des Hauses. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist hier in der Debatte sehr vieles gesagt worden, und das ist ja auch ganz verständlich. Wir haben allem in diesem Monat noch zweimal Wahlen, zum einen die Landtagswahlen in Niedersachsen, zum anderen die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein, und wir alle kennen die Latte der Ereignisse, die vor uns liegen. In solchen Debatten wird ja vieles gesagt, was eigentlich mit der Sache, um die es geht, relativ wenig zu tun hat. Ich sage im übrigen, daß das von allen so gehandhabt wird. Aber wenn wir einmal die Differenzen, die hier in der Debatte deutlich geworden sind, ihres Wahlkampfbeiwerks entkleiden, dann muß ich sagen, daß es in einer ganzen Reihe von Punkten erstaunliche Übereinstimmung gibt. Das stelle ich eigentlich auch immer im Treuhandausschuß fest, wo das Ganze wesentlich sachlicher betrachtet wird. Deshalb sage ich, daß uns doch eigentlich daran gelegen sein müßte, ({2}) eine einvernehmliche, vernünftige Regelung für eine Sache zu erzielen, Kollege Kuessner, die eben nicht nur die Koalition in diesem Hause betrifft, sondern über die Länder selbstverständlich auch Ihre Partei. An dieser Sache sollten wir doch arbeiten. Bloß, es ist dem doch nicht dienlich, Herr Kollege Hampel - und da spreche ich wirklich Sie und den Kollegen Müller, der eben gesprochen hat, an -, wenn man zwei Dinge fordert, die einander völlig widersprechen, und diese dann sozusagen als Vorwurf gegen die Regierung formulieren will. Der Kollege Hampel - so habe ich ihn wenigstens verstanden - will nach wie vor eine starke staatliche Verantwortung. Der Kollege Müller hat sich in seinen Ausführungen eben sehr intensiv dagegen ausgesprochen, indem er sinngemäß gesagt hat, daß er vom staatlichen Gängelband weg will. Irgendwo müssen Sie sich dann auch in Ihrer Fraktion einigen. Sie, Kollege Kuessner, haben sich hier ausführlich mit den Preisen auseinandergesetzt, die den Kommunen abverlangt werden. Sie haben im Haushaltsausschuß gesessen, Sie sitzen im Treuhandausschuß, und Sie kennen das Ringen um die Preise für Bundesvermögen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich dem Finanzministerium ein großes Kompliment mache. Es ist nämlich den Kommunen, den Landkreisen und den neuen Bundesländern ausgesprochen weit entgegengekommen. Es gibt inzwischen Rabatte bis zu 80 % für Bundesvermögen. Das hat es noch nie gegeben. ({3}) - Der Finanzminister bestätigt das noch einmal. Ich muß Ihnen sagen: So etwas dann populistisch hier wegzuwischen, das finde ich auch nicht unbedingt fair, weil Sie selber daran beteiligt waren. ({4}) - Kollege Kuessner, Sie sind ein sehr geschickter Redner. Sie wissen Dinge so darzustellen, daß es dann, wenn man vielleicht nur den Wortlaut nimmt, gar nicht mehr so klingt. Aber Sie wollten ja einen ganz gewissen Eindruck erwecken, und das ist Ihnen natürlich gelungen. Damit habe ich mich auseinandergesetzt. ({5}) - Herr Finanzminister, nach draußen sicher nicht, aber hier im Hause, seinen eigenen Freunden gegenüber; die haben ihm ja applaudiert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch einmal sagen: Für meine Begriffe eignet sich kaum ein Thema weniger dazu, es, wenn wir jetzt in den Ausschüssen in die parlamentarischen Beratungen gehen, mit überflüssigen Wahlkampftaktiken zu befrachten, als die Zukunft der Aufgaben, die heute die Treuhandanstalt wahrnimmt. Ich finde, es wäre wirklich des Schweißes derjenigen, die daran arbeiten, wert, hier eine einvernehmliche Regelung zu vollziehen; denn was bringt es uns, wenn wir nach all den Irrtümern, die ja auch mit dem Namen Treuhandanstalt verbunden sind - wer wollte das denn hier im Raume leugnen? -, aber auch nach den Erfolgen - die Wahrheit liegt ja immer in der Mitte, und die Historie wird über diese Wahrheit wirklich richten -, wenn wir nach all diesen Erfahrungen uns hinsetzen und sagen würden, das ist die Sache der einen Seite oder der anderen Seite des Hauses? Wir werden eine einvernehmliche Regelung erzielen müssen, und Kompromisse sind in der Demokratie so, daß man sich irgendwo in der Mitte trifft. Ich rufe jedenfalls dazu sehr intensiv auf, weil ich nicht glauben mag und will, daß Anfang 1995 Argumente, wie sie heute eine Rolle gespielt haben, das gleiche Gewicht haben werden. Aber dann werden uns die Menschen fragen: Warum habt ihr eigentlich keine vernünftige und einvernehmliche Lösung erzielt? ({6}) Darum sollte es uns gehen. Darauf kommt es an. Dazu rufe ich Sie alle auf. Arnulf Kriedner Vielen Dank. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Andreas von Bülow das Wort.

Dr. Andreas Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000299, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor rund einem Jahr haben wir Sozialdemokraten die Forderung erhoben, die Bundesregierung möge zur Rückholung veruntreuten DDR-Vermögens Belohnungen für Hinweise, die zur Auffindung bisher nicht bekannter Vermögenswerte führten, aussetzen. Wir sind dankbar, daß es eine Einigkeit über alle Fraktionen hinweg gibt, daß diese Initiative aufgegriffen werden soll. Wir sind auch dankbar, daß die Bundesregierung bereits Richtlinien verabschiedet hat und daß diese teilweise schon in die Praxis umgesetzt sind. Ich hoffe sehr, daß auch noch genügend getan wird, um sie zu veröffentlichen. Dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen, einem bedrückenden Gefühl Ausdruck zu geben. Herr Staatssekretär Grünewald, Sie haben uns in einer sehr frühen Ausschußsitzung bestätigt, daß im KoKoBereich mehr oder weniger mafiaähnliche Strukturen vorgeherrscht haben und hinterlassen worden sind. ({0}) Das Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut hat das bestätigt und KoKo als einen Verschnitt von Mafia mit Staatsorganen bezeichnet. Hunderte von Firmen, Hunderte von Briefkastenfirmen rund um den Globus herum, Tausende von Konten auf verschiedenen Banken ebenfalls rund um den Globus, nicht zuletzt in den Paradiesen, die für Geldwäsche eingerichtet worden sind, machen dies deutlich. Das gilt auch heute noch. Die Bundesregierung hat letztlich die Erbschaft einer mafiösen Organisation angetreten und muß damit fertig werden. Heute noch geht es um Milliardenwerte, denen mit Intelligenz und Hartnäckigkeit nachgegangen werden muß. Da gibt es ausstehende Forderungen ehemaliger KoKo-Betriebe, an die sich Nachfolgefirmen heranmachen, teilweise mit ähnlichen Seilschaften, um sie in die eigenen Taschen stecken zu können. Es geht um Grundvermögen, das von Stasi-Leuten unter Decknamen an sich selbst - dann mit Klarnamen - veräußert wird. Es geht um schwarze Kassen, wiederum rund um den Globus. Es geht um den fantastischen Fall, daß z. B. der Spion Tiedge - das war einer unserer schlimmsten Spionagefälle in der Bundesrepublik Deutschland - im letzten Moment noch MfS-Vermögen, etwa 100 000 DM, zugeschanzt bekommt, die zuständige Staatsanwaltschaft sich aber geweigert hat, die entsprechenden Sicherstellungen durchzuführen. Um zu zeigen, um was es geht, nenne ich noch einige Beispiele. Bei Herrn Moksel in Bayern wurde eine Untersuchung seiner Firma durchgeführt. ({1}) - Er hat auch in die CSU-Kassen gespendet. Wenn Sie sich das richtig ansehen, werden Sie das feststellen. Er ist jetzt von März aufgenommen worden, so daß wir die Strukturen des Vorgehens auch dieses Herrn ungefähr kennengelernt haben. ({2}) - Nicht übereifrig. Er spendet, aber er spendet auch in Ihre Kassen. Aber lassen wir doch diese parteipolitischen Geschichten im Hintergrund. Wir können auch die Konten von Herrn März betrachten. Auch das ist wichtig. Als die Durchsuchungen bei Herrn Moksel stattgefunden haben, wurde fast gleichzeitig festgestellt, daß hei Herrn Wischniewski, dem Inhaber der Firma F. C. Gerlach, plötzlich Papier-Rauch aus dem Kamin kam. Die Nachbarschaft fühlte sich gestört und benachrichtigte die Polizei. Diese traf ein, durchsuchte - wahrscheinlich schon vorgewarnt, was da vorzufinden wäre - die Unterlagen des Herrn Wischniewski bzw. das Brandgut und konnte allein durch diese zufällige Kombination die Überweisung und den Transport - ein Teil davon Richtung Israel - von im Endeffekt rund 300 Millionen DM verhindern. Es gibt Vorfinanzierungen, die nicht verbraucht und jetzt in Sicherheit gebracht worden sind, mit denen die DDR Anzahlungen für Embargogüter getätigt hat, die noch ausstehen und rückgefordert werden müssen. Jetzt machen sich wiederum Seilschaften daran, sie einzuholen. Die einzige Einheit, über die wir Sozialdemokraten sagen können, daß wir Vertrauen haben, daß sie mit großer Hartnäckigkeit, Intelligenz und Nachhaltigkeit diesen ganzen Fragen nachgeht, ist die beim Polizeipräsidenten in Berlin eingerichtete Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität, die sich teilweise mit den Zuständigkeitsschwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung, aber auch und insbesondere innerhalb der Staatsanwaltschaft in Berlin furchtbar herumschlägt. Deswegen, Herr Staatssekretär, ist meine große Sorge, daß dieses Instrument der Auslobung zwar wichtig ist und Hilfe bringen könnte, daß aber, wenn jetzt im vierten Jahr nach der Vereinigung nicht endlich Sorge dafür getragen wird, daß wirklich eine hartnäckige, nachhaltige und systematische Verfolgung dieser ganzen Vermögenstatbestände umgesetzt wird, auch dieses Signal wiederum ungehört verhallen wird und nicht zum Erfolg führt. ({3}) - Wir sind uns ja durchaus einig, daß es auch dort einige Kritik anzubringen gibt. Es gibt einige Kritik an der Nichtnutzung des ganzen Sachwissens der Geheimdienste, etwa des BND und auch des Bundesverfassungsschutzes, anzubringen. Insgesamt ist die ganze Struktur des Nachverfolgens des Vermögens so organisiert, daß man eigentlich sagen kann: So töricht kann ein Staat seine Verfolgung von Vermögenstatbeständen nicht organisieren. Von daher bin ich der Meinung, daß, auch wenn es jetzt schon fünf Minuten nach zwölf ist, dringend nachgearbeitet werden muß. Dies gilt auch für die Nachfolgerin von Frau Limbach. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Dr. Ulrich Briefs das Wort.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Probleme, die mit der Überleitung der früheren DDR-Produktion und DDRWirtschaft auf die Bedingungen des vereinigten Deutschlands verbunden sind, die Probleme, die mit der vergangenen und der noch verbleibenden Tätigkeit der Treuhandanstalt entstanden sind, werden uns noch lange begleiten. Die Treuhandanstalt war von Anfang an eine verfehlte Konstruktion. Vielleicht hätten die letzten DDR-Regierungen 1990 eine konsequente Überführung des weitaus größten Teils der früheren DDR-Betriebe in die Hände der Belegschaften oder der Gemeinden praktizieren sollen, statt ein Riesenkonglomerat wie die Treuhandanstalt zu gründen. Hier liegt vielleicht auch ein ganz großes Versäumnis der Regierung Modrow vor. Dieses Riesenkonglomerat - das größte, wenn auch zeitlich befristete Unternehmen, das es überhaupt je gab - mußte auch zu allen möglichen kriminellen Praktiken in der Treuhandanstalt und um die Treuhandanstalt herum einladen. Verfehlt war aber insbesondere die Anlage der Treuhandanstalt deshalb, weil genau das fehlte, was absolut unerläßlich ist, wenn man eine ganze Volkswirtschaft von den Bedingungen der sozialistischen Staatswirtschaft mit Comecon-Integration auf eine marktwirtschaftlich dezentrale Ordnung umstellt, in der Betriebe auf eigene Rechnung und Verantwortung wirtschaften. Was nämlich fehlte, war eine entsprechende staatlich gesetzte Strukturplanung und Strukturpolitik mit entsprechenden Konzepten und deren Absicherung. Was im Grunde fehlte, war - ich sage es noch einmal - eine systematische Industrie-, Wirtschafts-, Struktur- und Entwicklungspolitik, wie wir sie in bestimmten Formen seit langem in allen möglichen Bereichen in Westdeutschland praktizieren. Es ist die plan- und konzeptionslose Vorgehensweise dieser Bundesregierung und dieser Koalition gewesen, die uns in der Folge insbesondere auch die verbleibenden riesigen finanziellen Lasten der Treuhandanstalt eingebracht hat, nämlich allein über 250 Milliarden DM öffentliche Schulden, ca. 3 500 DM für jeden Einwohner der Bundesrepublik. Die Substanz der DDR-Wirtschaft jedenfalls kann in keinem Fall negativ gewesen sein. Mindestens die Grundstücke - es ist bereits angesprochen worden - verkörperten und verkörpern auch heute noch einen Wert von zig Milliarden DM. ({0}) Aber die Privatisierungspolitik dieser Bundesregierung hat dazu geführt, daß dieses Vermögen zum Nulltarif oder für den sprichwörtlichen 1-DM-Restbuchwert bzw. weit unter Wert an private Interessenten wie z. B. den früheren CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht, veräußert wurde. Eine Minusrechnung, deren Folgen jetzt wir alle tragen, konnte nur zustande kommen, weil die Bundesregierung, weil der Staat - darum geht es - den Ertragswert des DDR-Vermögens nicht durch eine entsprechende Strukturpolitik, durch Förderungsund Umstellungsmaßnahmen, durch Programme erhalten bzw. geschaffen bzw. verbessert hat. Das wäre auch der Weg gewesen, um dem rabiaten Entindustrialisierungsprozeß in Ostdeutschland und der Entstehung der fast 40 % tatsächlicher Arbeitslosigkeit - so hoch ist sie nämlich in Wirklichkeit - in Ostdeutschland entgegenzuwirken. Daß die Bundesregierung damit auch den Interessen der westdeutschen Wirtschaft und Industrie Rechnung trug, sei nur am Rande angemerkt. Die westdeutsche Wirtschaft und insbesondere die Industrie hatten nämlich in den 70er und 80er Jahren hochmoderne, aber größtenteils überdimensionierte Kapazitäten aufgebaut. Sie hatten diese auch noch im sogenannten Wiedervereinigungsboom in den Jahren 1990/91, der allerdings allein im Westen stattfand, wenn auch nur wenig innovativ, erheblich ausgebaut. Der rasche Zusammenbruch zahlreicher DDR-Betriebe hat die DDR-Nachfrage auf diese westdeutschen Überkapazitäten gelenkt und diese zumindest vorübergehend ausgelastet. Das ist der schlichte ökonomische Grundtatbestand in diesem Überleitungsprozeß. Die Geschichte der Treuhandanstalt ist so eine Geschichte des gemeinsamen Versagens der letzten DDR-Regierung und der jetzigen Bundesregierung. Die Treuhandanstalt, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft werden wegen der Versäumnisse dieser Bundesregierung insbesondere die Zukunft der Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland belasten, belasten mit Schulden, mit Arbeitslosigkeit, mit der Unterentwicklung Ostdeutschlands, mit notwendigen riesigen Finanztransfers von West nach Ost. Treuhandanstalt und Bundesregierung haben gemeinsam in Ostdeutschland eine perspektivlose Situation geschaffen. Das ist eigentlich das Schlimmste, was man in dieser Situation feststellen kann und leider muß. Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat Herr Abgeordneter Krause das Wort.

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An die Analyse der Kollegen Kuessner und Hampel kann man vollinhaltlich anschließen. Die Treuhandentscheidungen sind vor Ort nicht transparent. Fragen zu stellen darf nicht politisch tabu bleiben. Über alle Parteigrenzen hinweg sind sich die mitteldeutschen Abgeordneten in der Bewertung der Erscheinungen ja eigentlich einig. Nach dieser Treuhand-Debatte bleiben aber folgende Fragen weiterhin offen: Erstens. Wollte die DDR-Volkskammer die Zerstörung von 80 % der industriellen Arbeitsplätze wirklich, als sie die Treuhand schuf bzw. bestätigte? Mit Dr. Rudolf Karl Krause ({0}) Sicherheit doch wohl nicht. Kann man jetzt also sagen, die Treuhand hat ihren ursprünglichen Auftrag erfüllt? Zweitens. Ist die Treuhand der Liquidator der DDR-Industrie? Warum kamen Verkäufer, Gutachter und Käufer nicht nur alle aus Westdeutschland, sondern meist auch noch aus denselben Firmenställen? Drittens. War denn der Einigungsvertrag wirklich die bedingungslose Kapitulation der DDR vor der westdeutschen Wirtschaft? Ist das auf DDR-Seite wirklich beabsichtigt gewesen? Viertens. Gab es so etwas wie einen oder viele neue Morgenthaupläne zur Demontage der DDR-Industrie, zur Ausschaltung der Konkurrenz? Das ist nicht einmalig in der Welt. Was jetzt in Argentinien passiert, hat viele Parallelen zu dem, was bei uns in Mitteldeutschland geschehen ist. Fünftens. In der Geschichte ist die Treuhandarbeit nicht einmalig, Herr Kollege Hollerith. Man kann sie vergleichen mit den Kirchenenteignungen durch die Reformation, die damals sehr große soziale Not mit sich gebracht haben. Man kann sie vergleichen mit den Säkularisierungen der geistlichen Fürstentümer und Stifte 1805. Man kann sie natürlich auch vergleichen mit der Aufteilung des Indianereigentums durch die weißen Siedler. Wer, so muß man fragen, sind die Gewinner der Treuhandpolitik heute? Sechstens. Mitteldeutschland, Mecklenburg und Brandenburg werden von westdeutschen und internationalen Konzernen und Bankenkonsortien übernommen. Vier Millionen verloren ihren Arbeitsplatz. War denn das der Kernauftrag der Treuhand, der jetzt angeblich erfüllt ist? Eigentum, das vorher, in welcher Form auch immer, zu 100 % in der Hand von DDRBürgern war, befindet sich jetzt zu über 90 % in der Verfügungsgewalt Fremder. Muß man das nicht wirklich mit der Vertreibung der Indianer vergleichen? Siebentens. Ein Industrieland auf einer Fläche von über 110 000 Quadratkilometer wurde an fremde Eigentümer gegeben, ohne daß die ursprünglichen Eigentümer eine einzige Mark erhalten hätten, ohne daß ihnen auch nur eine symbolische Mark gezahlt worden wäre. Muß man nicht die Fragen stellen: Wer steht dahinter, und wann gab es das schon in der Geschichte? Ein Vorletztes. Wir haben von der PDS einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Treuhandgesetzes. Leider ist keiner von der PDS mehr da. Aber keine Partei sollte sich der Täuschung hingeben, man könne politische Konkurrenz, von welcher Seite auch immer, mit pauschalen Verdächtigungen, Verleumdungen abstempeln und damit von der Bildfläche verschwinden lassen. Gerade die PDS wird, weil sie bestimmte Fragen ohne Tabus aufgreift, von einer großen Zahl der Wähler in Mitteldeutschland gewählt werden. ({1}) Ich fordere für meine Partei genauso wie hinsichtlich jeder anderen Partei eine saubere Auseinandersetzung in der Sache. Ich mahne an, daß man über sachliche Fragen sachlich spricht! ({2}) Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Treuhandpolitik ist auch Ursache einer neuen Vertreibung und einer neuen Völkerwanderung. Die Zahlen für Mecklenburg wurden hier genannt. Sie verursachte die Vertreibung von 4 Millionen hochqualifizierten Arbeitern, Meistern und Ingenieuren aus ihren Betrieben. Das haben die mitteldeutschen Wähler 1990 mit Sicherheit nicht gewollt. Ich zitiere zum Abschluß den Kollegen Hampel aus Köthen in Sachsen-Anhalt: Die Märkte wurden verkauft, oft wurden sie verramscht; ich denke an Zucker, ich denke an Milch und an andere Dinge. Die Märkte wurden verteilt, die Produktion in den Westen verlagert. Dieser Kernauftrag der Treuhand wurde leider viel zu gut erfüllt. Aber gewollt hat das 1990 in der Ex-DDR wohl niemand. Danke.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Freimut Duve das Wort.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich denke, bei aller unterschiedlichen Bewertung dessen, was die Treuhand geleistet hat und was sie nicht geleistet hat, gibt es ein Moment, das wir bedenken sollten und das hier angesprochen werden sollte. Einer der wenigen politischen Morde in unserem Land ist am Vorstandssprecher der Treuhand verübt worden. Dieser politische Mord hat für viele Mitarbeiter, auch für die Nachfolgerin, außerordentlich große Probleme geschaffen. Ich wollte gerne, daß wir uns in diesem Deutschen Bundestag auch dieses Momentes, dieses Mordes, erinnern, wenn wir kritisch mit der Treuhand umgehen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun der Kollege Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Verehrtes Bundestagskollegium! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich ein bißchen mit dem Selbstlob des Bundesfinanzministers auseinandersetzen, der nun einem Verein für Geschichtsklitterung, der sich Bundesregierung nennt, angehört. Denn gerade mit diesem Bundesfinanzminister verbindet sich nun das Desaster der deutschen Einheit und der Probleme, die bisher daraus resultieren. Ich darf daran erinnern - Theo Waigel hat gerade den Saal verlassen ({0}) - oh ja, das ist prima -, der Hauptfehler war, daß er zum 1. Juli 1990 einen Vertrag unterzeichnet hat, der in der Konsequenz nicht nur mit sich gebracht hat, daß die für den Konsum möglichen finanziellen Mittel um etwa 1 000 % aufgewertet wurden, was für uns einen Leistungsbilanzeinbruch von über 105 Milliarden DM innerhalb eines Jahres bedeutet hat, viel entscheidender war auch, daß mit diesem falschen Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, für die der Finanzminister die Verantwortung trägt, auch die Schulden der kleinen Betriebe der Pioniergeneration um 1 000 % aufgewertet wurden mit allen Konsequenzen, die sich heute noch für diese Betriebe daraus ergeben. Vor allem wurde mit der Vereinbarung über die Transferrubel-Guthaben Betrug in einer Größenordnung Vorschub geleistet, der den deutschen Steuerzahler bisher sicher schon über 12 Milliarden DM gekostet hat. Nein, die Treuhand war von vornherein eine Mißgeburt. Theodor Waigel hat es leider versäumt, den eigentlichen Vater dieser Mißgeburt anzuführen, Hans Modrow. Die Bundesregierung hat die Treuhand deshalb übernommen, weil es für sie die Möglichkeit war, die eigene Verantwortung noch dadurch abzublocken, daß das Bollwerk der Treuhand für einen wichtigen Teil der Entscheidungen vorgeschoben wurde, die eigentlich Regierungsentscheidungen hätten sein müssen. Lieber Kollege Duve, die Tatsache, daß Karsten Rohwedder der erste Präsident der Treuhand wurde, hatte natürlich auch damit zu tun - neben seiner beruflichen Qualifikation -, daß er Mitglied der Sozialdemokratie war, denn damit wollte man deutlich machen, daß es auch eine Sache der Sozialdemokratie ist und nicht nur einer unionsgeführten Regierung. Sie müssen das auch einmal wissen, wenn Sie es nicht schon gewußt haben. Dem Finanzministerium selber war die Kontrolle über die Treuhand sofort entglitten. Sie ist gar nicht wahrgenommen worden. Ich darf an eine sehr muntere Diskussion bei der Landesgruppe in Wildbad Kreuth im Januar 1991 erinnern, bei der es eigentlich nur darum ging, zu verhindern, daß der Wirtschaftsminister Einfluß gewinnt, aber nicht um Perspektiven für die Treuhand. Nein, für die Erhaltung der Arbeitsplätze, für die Schaffung zukunftsorientierter Arbeitsplätze und für das Bewahren der Märkte, die sich mit Mittelosteuropa entwickelt hatten, ist damals nichts getan worden. Aber ich glaube doch, wir sollten einer Gruppe und vielen Mitarbeitern in der Treuhand trotz allem Dank dafür aussprechen, daß sie oft unter unsäglichen Bedingungen und Voraussetzungen versucht haben, aus einer Mißgeburt das Beste zu machen. Das gleiche gilt für die Mitarbeiter im Finanzministerium, die sich oft mit abstrusen Entscheidungen vor Ort auseinandersetzen und sich einen Sachverstand aneignen mußten, der eigentlich gar nicht ihrer Ausbildung entsprochen hat, wie ich überhaupt den Vorwurf machen muß, daß in dieser Bundesregierung der unternehmerische Sachverstand überhaupt keine Rolle gespielt hat, weil er nicht mehr repräsentiert ist. Kein einziges Mitglied dieser Bundesregierung hat eigene unternehmerische Erfahrung. Da kann man sich vorstellen, weshalb solche wirtschaftspolitischen Entscheidungen getroffen werden. Auch die 15 Monate, die der Bundesfinanzminister einmal im Vorzimmer eines Ministers als berufliche Ausbildung verbracht hat, und das Erbsenzählen später im Haushaltsausschuß, sind sicher keine unternehmerischen Qualifikationen. Nein, die 500 bis 600 Milliarden Deutsche Mark, die wir in der Zwischenzeit in Transfers gesteckt haben, haben doch im Endergebnis noch nicht einmal bewirkt, daß ein Viertel des Bruttosozialprodukts der neuen Bundesländer aus eigener Kraft erwirtschaftet wird. Darin zeigt sich doch die Fehlinvestition dessen, was bisher passiert ist, und das muß natürlich Konsequenzen haben. Nur erwarte ich von einer Bundesregierung, daß sie, wenn sie das Ergebnis ihrer Politik vorlegen muß, nicht mit Geschichtsklitterung versucht, über das hinwegzutäuschen, was nun einmal die Wahrheit ist. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zuerst über den Tagesordnungspunkt 10a ab. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur abschließenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt auf Drucksache 12/6910 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 10b, Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Treuhandgesetzes auf Drucksache 12/2291. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6768, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/2291 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt, und damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch die weitere Beratung. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10c. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste zur Änderung des Treuhandgesetzes auf Drucksache 12/2604. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6769, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe PDS/ Linke Liste auf Drucksache 12/2604 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit sehr großer Mehrheit abgelehnt, und nach unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10d. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zu klaren Per18534 Vizepräsidentin Renate Schmidt spektiven für sanierungsfähige Treuhandunternehmen auf Drucksache 12/5998, Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5147 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen noch einmal zu Tagesordnungspunkt 10d und zur Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zum Antrag der Fraktion der SPD zu Industriegesellschaften in den neuen Bundesländern auf der Drucksache 12/5998, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/4679 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit der Stimmenmehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 10e und der Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Widerruf der Genehmigung des Kali-Fusionsvertrags auf Drucksache 12/5999. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5386 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit sehr großer Mehrheit angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10f, der Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zu den Altlasten des SED-Unrechtsregimes auf den Drucksachen 12/5146 und 12/6171. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 10g, Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Bestandsgarantie für sanierungsfähige Betriebe der Treuhandanstalt auf Drucksache 12/6770. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/2848 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit mit großer Mehrheit angenommen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 10h, zur Beschlußempfehlung des Ausschusses Treuhandanstalt zum Antrag der Fraktion der SPD zu einer Belohnung für die Rückholung veruntreuten DDRVermögens auf den Drucksachen 12/4102 und 12/6463. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen. Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus Kübler, Rudolf Bindig, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Lage der Menschenrechte in Indien - Drucksachen 12/4392, 12/5687 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Besteht damit Einverständnis? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren. Ich möchte zu diesem Tagesordnungspunkt indische Teilnehmer und den pakistanischen Botschafter hier im Parlament begrüßen. Herzlich willkommen! Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Klaus Kübler das Wort.

Dr. Klaus Kübler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwere Menschenrechtsverletzungen sind eher ein zunehmendes schreckliches Phänomen als ein abnehmendes. Schwere Menschenrechtsverletzungen gibt es nicht nur in den klassischen Diktaturen, sondern zunehmend auch in demokratisch verfaßten Staaten. Wer Indien und seine Menschen kennt und liebt, der kümmert sich um Indien nicht nur über Entwicklungspolitik oder wirtschaftliche, technologische und kulturelle Kooperation, sondern auch und insbesondere über die Kooperation in Menschenrechtsfragen mit dem Ziel der nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtssituation in Indien. Deshalb ist bei der Großen Anfrage nicht der Weg der Konfrontation, sondern der Weg des verpflichtenden Dialoges gewählt worden, ({0}) auch im Hinblick auf die hohe Qualität der deutschindischen Beziehungen. Die Menschenrechtslage in Indien ist in großem und erschreckendem Maße unbefriedigend. Dies gilt für fast alle Teile Indiens: Kashmir, Jammu, Punjab, Assam, Nagaland, Manipur, Tripura, Mizoram, Meghalaya, Andhra Pradesh und Bihar. Dies gilt für das Verhalten der Polizei, für Übergriffe gegen Adivasis und Dalits, für Frauen- und Mädchenmorde, für Zwangskinderarbeit und für millionenfache Schuldknechtschaft. Die nach wie vor schwierige soziale Situation Indiens oder die unbestritten vorhandenen terroristischen Aktivitäten, die - von welcher Seite auch immer kommend - scharf zu verurteilen sind, können dafür weder ausreichende Erklärung noch Legitimation sein. Dies bestätigt auch die Bundesregierung in ihrer ausführlichen Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion, eine Antwort, die eine insgesamt gesehen kritische und objektive Bestandsaufnahme der Menschenrechtsverletzungen in Indien enthält. Auch die Genfer Menschenrechtskommission beschäftigt sich immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen in Indien. In Indien, einem Land mit demokratischer Verfassung, kümmern sich, anders als in Diktaturen, zahlreiche Nichtregierungsorganisationen - Menschenrechtsgruppen, Organisationen von Ureinwohnern, Unberührbaren und Minderheiten, eine große unabhängige Presse, ({1}) Parlamentarier, Schritsteller und Philosophen - um die praktische Durchsetzung von Menschenrechten in Indien. Viele von ihnen sind an uns herangetreten. Die Diskussion in Deutschland soll für sie alle ein unterstützendes Signal sein. In diesem Sinne hat die Große Anfrage sicherlich schon viel bewegt und wird weiteres bewegen. Ich erhoffe und erwarte in Zukunft mehr als in der Vergangenheit von der indischen Regierung. Die Voraussetzungen dafür - ich will dies sehr positiv formulieren - wären gegeben, zumal Indien die Menschenrechtsverletzungen allgemein nicht bestreitet. Zu den Voraussetzungen gehört das Vorbild Ghandis der Gewaltlosigkeit, eine demokratische Verfassung, die Anerkennung - das ist ganz wichtig - der universellen Geltung der Menschenrechte durch Indien, eine insgesamt gesehen vertretbare Rechtsordnung, die nur konsequent vollzogen werden muß, die Überprüfung allerdings der umfänglichen Ausnahmerechts- und Sicherheitsgesetzgebung, die Bekämpfung der Korruption, die Einsetzung einer Menschenrechtskommission - auch das ist ganz wichtig - und die Dialogbereitschaft - das ist ebenso wichtig - der indischen Regierung, für mehr Transparenz und Zugang für internationale Menschenrechtsorganisationen zu sorgen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, zur grundsätzlichen Verbeserung der Menschenrechtssituation in Indien einen noch verstärkten und kontinuierlichen Menschenrechtsdialog auf allen Ebenen mit Indien zu führen. Ich danke Ihnen. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Heribert Scharrenbroich.

Heribert Scharrenbroich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001945, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicher zu begrüßen, daß der Bundestag immer wieder die Lage der Menschenrechte in Ländern diskutiert, in denen Folter, Übergriffe der Sicherheitsorgane, Verschwindenlassen, Kinderarbeit, Unterdrückung von Minderheiten oder Verletzung von Grundrechten gerade bei indigenen Völkern zu beklagen sind. Deswegen hält die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch eine Debatte der Menschenrechtslage in Indien für angebracht. Die durchaus kritische und sehr dezidierte Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage bietet hierzu eine gute Gelegenheit. Ich möchte auch begrüßen, daß die Nichtregierungsorganisationen, insbesondere Amnesty International, sich um wertvolle Aufklärungsarbeit über die Menschenrechtslage in Indien bemühen. Je offener die indische Regierung diesen Dialog zuläßt und pflegt, um so sachlicher wird dieser Dialog geführt werden, und um so besser werden die Menschenrechte auch wieder respektiert werden. Diesen Wettlauf sollte man also pflegen. Ich möchte die indische Regierung bitten, auch nicht überempfindlich zu sein, wenn es kritische Äußerungen, zu denen ja nun aller Anlaß besteht, seitens Amnesty International gibt. Nicht jedermann in Deutschland ist sich der Schwierigkeiten bewußt, ein so heterogenes Land wie Indien als politische Einheit zu festigen. Zu den Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Religionen und Ethnien kommen die wirtschaftlichen und sozialen Spannungen. Die erheblichen Unterschiede in Herkunft, in Erziehung und materiellem Besitz sind für Indien ebenso kennzeichnend wie die Tatsache, daß hier ebenso viele Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben wie in ganz Afrika südlich der Sahara. Unerwähnt bleiben dürfen auch nicht die bekannten separatistischen und auch terroristischen Aktionen. Alles dies erschwert mit Sicherheit die Bemühungen der indischen Regierung, die Menschenrechtslage erfolgreich zu verbessern. Ich sage das ausdrücklich; denn jeder, der sich wirklich um eine Verbesserung der Lage der Menschenrechte bemüht, muß auch die Realität eines Landes zur Kenntnis nehmen. Aber ich füge auch hinzu, die indische Regierung würde uns mißverstehen, wenn sie diese Aufzeichnung von Problemen so verstehen würde, als würden wir nicht weiter auf eine Verbesserung der Respektierung der Menschenrechte in Indien drängen. ({0}) Diese Debatte ist für uns nicht nur eine Pflichtübung, weil eine Große Anfrage vorliegt, sondern sie ist für uns ein willkommener Anlaß, unsere Sorgen auszudrücken. ({1}) Meine Fraktion hält vor allem die Politik des Dialogs sowohl zwischen den Parlamenten als auch zwischen den Regierungen unserer beiden Länder für das wichtigste Mittel, um die Lage der Menschenrechte zu verbessern. Die indische Regierung stellt sich - das sei nicht geleugnet - zunehmend diesem Menschenrechtsdialog. Sie räumt ein, daß es Defizite in der Umsetzung der Gesetze und daß es auch Exzesse bei der Terrorismusbekämpfung gibt. Mit Präsidialverordnung vom 29. September - Herr Kollege Kübler ist bereits darauf eingegangen - hat die indische Regierung eine unabhängige Menschenrechtskommission eingesetzt, die mit ehemaligen Richtern und unabhängigen Menschenrechtsexperten besetzt ist. Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich; aber die Effizienz dieser Kommission muß sich noch erweisen. Ich würde sehr gern empfehlen, daß wir auch möglichst bald Kontakt mit dieser Kommission bekommen. Wir haben hier sehr gute Erfahrungen mit anderen Ländern. Ich erinnere z. B. an Guatemala. Ich glaube, es ist auch im Interesse Indiens, daß uns Mitglieder dieser Kommission besuchen und mit uns diesen Dialog fortführen, aber auch mit den deutschen Nichtregierungsorganisationen. ({2}) Wir halten es für richtig, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort den ungelösten zwischenstaatlichen Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir als einen besonderen Spannungsherd auf dem indischen Subkontinent bezeichnet, der den Frieden in der Region belastet. Es ist zu begrüßen, daß die Troika der Europäischen Union ungehindert in Kaschmir ihre Beobachtungen anstellen konnte und daß jetzt auch das Internationale Rote Kreuz eingeladen ist. Angesichts der Klagen über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Kaschmir möchten wir der indischen Regierung nahelegen, von sich aus - und nicht unter dem Eindruck, als wenn es eine Sanktion wäre - Sonderberichterstatter der UNO-Menschenrechtskommission einzuladen, die in Kaschmir, aber auch in anderen Problemzentren, den Vorwürfen der Folter, des Verschwindenlassens von Personen oder der willkürlichen Erschießung nachgehen können. Es kann nur im Interesse von Indien sein, daß wir hier weitere sachliche Berichte von diesen respektierten Persönlichkeiten erhalten. ({3}) Unterstreichen möchte ich aus der Antwort der Bundesregierung die Erkenntnis, daß Exzesse von Sicherheitsorganen nicht genügend aufgeklärt werden. Wir nehmen zwar zur Kenntnis, daß die indische Regierung die Polizei eindringlich aufgefordert hat, unerlaubte Vernehmungsmethoden zu unterbinden und das Folterverbot strikt umzusetzen. Wir möchten die indische Regierung allerdings auch auffordern, zu überprüfen, wieweit die Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung von Übergriffen der Sicherheitsorgane durch bestimmte Notstands- und Sicherheitsgesetze nicht unzulässig erschwert wird. Ich glaube, diese Notstandsgesetze sollte man doch einmal kritisch überprüfen. Das hat einen ganz tiefen Grund. Wie in allen Teilen der Welt gilt auch natürlich für Indien, daß die Nichtverfolgung von Straftaten von Sicherheitsorganen immer wieder zu neuen Menschenrechtsverletzungen geradezu ermuntert. Straflosigkeit von solchen Verbrechen ist mit eines der größten Probleme beim Bemühen, die Menschenrechte zu verbessern. ({4}) Wir maßen uns nicht an, Lehrmeister des mit uns freundschaftlich verbundenen Landes Indien zu sein. Unsere moralische Verpflichtung, gegen Menschenrechtsverletzungen einzutreten, würden wir aber verletzen, wenn wir uns nicht bemühen würden - es gelingt uns nicht immer, das müssen wir ehrlicherweise zugeben -, eine Gleichbehandlung von Ländern, seien sie groß oder klein, anzustreben. ({5}) Über allem sollte allerdings die Feststellung stehen, daß die Bundesregierung im Rahmen des grundsätzlich guten deutsch-indischen Verhältnisses den Menschenrechtsdialog mit Indien und Pakistan auf hoher politischer Ebene führt und daß beide Regierungen diesen Menschenrechtsdialog als eine politische Unterstützung der positiven Entwicklung auf dem Subkontinent verstehen. Ich möchte die Bundesregierung auffordern, auf dem von ihr eingeschlagenen Weg des konstruktivkritischen Dialogs fortzufahren. Sie hat dabei sicher die Unterstützung des ganzen Hauses. Herzlichen Dank. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht die Kollegin Ingrid Walz.

Ingrid Walz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002426, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Menschenrechtsweltkonferenz in Wien im Juni 1993 hat die Universalität der Menschenrechte ausdrücklich bekräftigt, und dieses nach einer vorangegangenen sehr hitzigen Diskussion. Sie hat den Schutz der Menschenrechte als legitimes Anliegen der Staatengemeinschaft anerkannt. Dieser Tage - wir haben es in den Zeitungen gelesen - befaßte sich die UNO-Menschenrechtskommission mit staatlich geduldeter Folter und politischem Mord auf der ganzen Welt. Der Bericht der Kommission spricht davon, daß sich die Verfahren wegen Verstößen gegen die Menschenrechte in den vergangenen Jahren fast verdoppelt und die individuellen Eingaben ein sehr beängstigendes Niveau angenommen haben. Erstmals mußte sich auch die Bundesrepublik Deutschland wegen der zunehmenden Gewalt gegen Ausländer in einem abgetrennten Verfahren vor der Kommission verantworten. Ich sage dies deshalb, weil bei unseren indischen Freunden nicht der Eindruck entstehen darf, als wenn wir den Balken im eigenen Auge nicht sehen würden. Aber warum diskutieren wir heute die Menschenrechtslage in Indien? Meine Damen und Herren, die Antwort lautet: Die Einhaltung der Menschenrechte kann nicht allein durch Konventionen, durch das UNO-Menschenrechtszentrum, die Einrichtung vielleicht eines Hohen Kommissars der Vereinten Nationen oder eines Internationalen Strafgerichtshofes erreicht werden. Meine Damen und Herren, die Einhaltung der Menschenrechte, deren Überwachung und öffentliche Anprangerung bei Verletzung ist Aufgabe von uns allen. Wir alle sind die Träger des Aktionsprogramms der Menschenrechtsweltkonferenz. Wir alle - damit meine ich zuerst jeden einzelnen hier in der Bundesrepublik, aber auch die Menschenrechtsorganisationen sowie die Parlamente und die Regierungen - sind gehalten, unseres Nächsten Hüter zu sein, ({0}) seine Rechte zu achten und zu schützen. Dieses, meine Damen und Herren, gilt nicht nur für unseren NächIngrid Walz sten hier in der Bundesrepublik - in Halle ist wiederum ein Übergriff auf einen Ghanaer erfolgt, der uns beschämen sollte -, sondern es gilt auch für die Menschen „in einem fernen Land". Meine Damen und Herren, die Transparenz, die weltweite Diskussion ist das beste Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen. ({1}) Die Lage der Menschenrechte in Indien ist heute Gegenstand dieser fernen und doch so nahen Betrachtung, weil wir uns auch hier betroffen fühlen. Wir wollen in aller Freundschaft, aber auch in aller Deutlichkeit - so wie es unsere Freunde, aber auch weniger Wohlmeinende uns gegenüber getan haben - auf Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Indien aufmerksam machen. Meine Damen und Herren, es steht außer Zweifel, daß es zu Fehlverhalten der Sicherheits- und Polizeikräfte kam. Die indischen Strafverfolgungsbehörden haben darauf reagiert. Gott sei Dank waren die Vorwürfe nicht in allen Fällen berechtigt. Über die Zahl der vergewaltigten Frauen in Polizeigewahrsam - es wird von 1 000 Fällen geschrieben - wird zwar gestritten, aber als Teilnehmerin einer Diskussion in der Polizeiakademie in Hyderabad habe ich erfahren: Es finden Vergewaltigungen und Übergriffe statt. Aber gleichzeitig hat mich bei dieser Diskussion beeindruckt, wie ernsthaft und offen sich die indische Polizei mit diesem Thema beschäftigt. ({2}) Meine Damen und Herren, die massiven Menschenrechtsverletzungen in Kaschmir können nicht unter den Tisch gekehrt werden und wurden auch beim letzten Besuch von Premierminister Rao in der Bundesrepublik Deutschland deutlich angesprochen. Ebenso muß offen darüber diskutiert werden, daß Millionen Kinder gesetzeswidrig zur Arbeit gezwungen werden. ({3}) Diesen Kindern wird ihre Jugend genommen, ihre Lebensperspektiven werden geschmälert und zerstört. Wir haben mit den indischen NGOs und indischen Unternehmen ein Gütesiegel eingeführt, das Kinderarbeit vorbildlich bekämpft, und zwar durch bewußten Kauf bei uns, aber auch durch Bildungsangebote für Kinder dort. Ich kann nicht alle Punkte der Großen Anfrage, die sehr ehrlich beantwortet wurden, interpretieren. Ich möchte nur noch auf einen Punkt hinweisen, der mir wichtig ist: nämlich auf die Ursachen für die Entstehung von Gewalt. Indien ist die größte Demokratie dieser Welt, aber Indien ist auch das Land mit den meisten Armen. Die Armut löst Gewalt aus: auf seiten der Armen, aber auch auf seiten der Ordnungskräfte. Diesen Zusammenhang müssen wir sehen, und die indische Regierung muß ihn bekämpfen. Die meisten Armen sind weiblichen Geschlechts. Häufig hat die Gewalt gegen Frauen ihre Ursache in strukturellen Bedingungen, in der gesellschaftlichen Stellung der Frau, in ihrer Mißachtung und Geringschätzung. Dazu gehört die Tötung neugeborener Mädchen und weiblicher Föten im Mutterleib, dazu gehören aber auch die Mitgiftmorde. Indien ist ein Rechtsstaat, doch wie schwierig die Durchsetzung von Rechten, die Einhaltung und das Einklagen von Rechten ist, wissen wir selbst. Wir wissen, wie groß die Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und -wirklichkeit sein kann. Jeder demokratische Rechtsstaat muß daran wachsen. Wir haben Verständnis für die schwierige Aufgabe Indiens, gerecht gegen seine benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu sein und Rechtsverletzungen zu verfolgen. Aber, meine Damen und Herren - und damit will ich schließen -: Es gibt keine Menschenrechte ohne Gerechtigkeit. ({4}) So wie es bei uns nicht hingenommen werden darf und kann, daß Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft oder Hautfarbe in ihren Rechten beschnitten werden, so darf auch Indien - jeder steht auf dem Prüfstand der Weltöffentlichkeit - nicht die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land verschließen. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Ursula Fischer.

Dr. Ursula Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000557, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin soeben von einem mehrtägigen Studienaufenthalt aus Indien zurückgekehrt und habe keinen Grund, die Menschenrechtslage in diesem Land zu rechtfertigen oder gar zu verteidigen. Schließlich leben über 40 % des 900-Millionen-Volkes unter dem Existenzminimum. Das heißt, das ureigenste Menschenrecht auf Leben, auf ein Leben in Würde wird millionenfach nicht verwirklicht. Das aber spielt in der Großen Anfrage einer Partei, die sich sozial und demokratisch nennt, leider keine Rolle. Und nur eine umfassende und ausgewogene Diskussion über Menschenrechtsverletzungen in Indien hätte Sinn gemacht. Meine Beobachtungen in Dörfern und Städten bestätigen die frappierende Entdeckung der Anfragenden, daß „zwischen Gesetzeslage und Wirklichkeit eine große Kluft" besteht. Dennoch: Ich schäme mich für diese einseitige Große Anfrage, die ganz bestimmt nicht dazu angetan ist, die Menschenrechtslage der betroffenen Menschen zu verbessern. Meine Damen und Herren, wohlgemerkt: Ich bezweifle nicht die menschenrechtsverletzenden Fakten, die zusammengetragen worden sind, und jede Verletzung ist eine zuviel. Ich bezweifle lediglich, ob es menschenrechtspolitischen Sinn macht, die Arbeit des Bundestages 30 Minuten lang zu belasten, und ob im Falle Indiens eine diesbezügliche einseitige Große Anfrage angemessen ist. Denn: Erstens. In Indien herrscht seit Ausrufung der Republik 1950 eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie. Sie garantiert formal alle bürgerlichen und politischen Menschenrechte. Die Verfassung ist dort oberstes Gesetz. Demokratische Grundnormen werden in dieser pluralistischen Gesellschaft seit viereinhalb Jahrzehnten insgesamt eingehalten, manchmal sogar besser als hierzulande; ich könnte Beispiele bringen. Zweitens. Im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungsländern sind Regierung - wie die linke - und demokratische Opposition bestrebt, die Einhaltung der Menschenrechte immer umfassender und nachhaltiger durchzusetzen, auch ohne Beitritt zu genannten internationalen Konventionen. Drittens. Unbestreitbar ist, daß es in diesem Riesenland mit für mich unvorstellbaren sozialen, religiösethnischen, politischen und ökonomischen Problemen von demokratischen Grundnormen Abweichungen und Verletzungen der Menschenrechte gibt. Abgeordnete des indischen Parlaments und Vertreter verschiedenster Parteien verweisen darauf, daß sie dagegen auch künftig kämpfen werden. Viertens. Die Einseitigkeit der Kritik im Westen, wie sie auch in der Großen Anfrage zum Ausdruck kommt, besteht darin, daß menschenrechtsverletzende Handlungen des indischen Staates aufgegriffen werden, während das ebenso menschenrechtsverletzende Vorgehen von hindu-chauvinistischen, islamisch-fundamentalistischen und Extremisten der Sikhs völlig ausgeblendet wird. Gerade Aktionen dieser Kräfte aber sind es nicht selten, die zu Gegenreaktionen des Staates führen, Menschenrechtsverletzungen inbegriffen. Wir sind informiert worden, daß das indische Parlament in Kürze den Bericht der nationalen Menschenrechtskommission zur Menschenrechtssituation in Indien entgegennehmen wird. Wir täten gut daran, es vor allem unseren Kolleginnen und Kollegen im indischen Parlament zu überlassen, die Probleme der Rechte der indischen Menschen zu untersuchen und Wege zur Überwindung von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land zu weisen, als primär die deutsche Bundesregierung in dieser Art und Weise darum zu ersuchen. Die PDS/Linke Liste ist übrigens der Auffassung, daß wir selber auf diesem Gebiet genügend Hausaufgaben zu erfüllen hätten, wie Frau Walz schon gesagt hat. Denn auch im vereinten Deutschland klafft bekanntlich nicht selten zwischen Gesetzeslage und Wirklichkeit eine große Kluft. Meine Damen und Herren, was würden wir sagen, wenn eine derartig einseitige Große Anfrage im indischen Parlament hinsichtlich Deutschlands zur Diskussion stünde? ({0}) Ich hoffe nur, wir würden das dann genauso freundschaftlich auffassen. Dann bin ich natürlich mit Diskussionen in dieser Art und Weise einverstanden. Aber das, denke ich, würden wir nicht ertragen. Darüber sollten wir einmal nachdenken. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Gerd Poppe das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reaktionen von indischer und anderer Seite im Vorfeld dieser Debatte sind bedenkenswert, zeigen zugleich aber, wie notwendig die Diskussion über Menschenrechte in anderen Ländern ist. Diese Form von Einmischung steht im Einklang mit den Verpflichtungen, die die Signatarstaaten der UN-Pakte und ihrer Zusatzprotokolle eingegangen sind. Das gilt umgekehrt genauso, wenn die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der internationalen Menschenrechtsarbeit auf den Prüfstand gerät. Menschenrechtsverletzungen sind weltweit zu beklagen. Ihre Dimensionen sind allerdings sehr unterschiedlich. Umfassende Debatten über Regimes wie im Iran oder in China, wo elementare Grundrechte systematisch und aufs gröbste verletzt werden, sind längst überfällig. Sie wären eigentlich auch zu führen, bevor wir uns den Menschenrechtsverletzungen in Indien zuwenden. ({0}) In der Kürze der Zeit kann ich nur zwei Problemfelder kurz anreißen. Das erste: Der Konflikt in Jammu und Kaschmir, in Nachfolge des britischen Imperiums entstanden, lähmt zweifellos alle Bemühungen um einen friedlichen Ausgleich zwischen Pakistan und Indien. Trotz aller vom Nachbar Pakistan forcierten Zuspitzungen des Konflikts bleibt es eine Tatsache, daß sich neben terroristischen Gruppen auch indische Sicherheitskräfte gravierender Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir schuldig gemacht haben. Ihre Systematik - von „Asia Watch" eindrücklich belegt - wird von indischer Seite nach wie vor kleingeredet, trotz anerkennenswerter Bemühungen, den Zugang zum Konfliktgebiet offener als früher zu gestalten. Wir fordern beide Seiten dieses Konfliktes auf, endlich zur Basis des „Simla Accord" von 1972 zurückzukehren, ohne die eine friedliche indischpakistanische Zukunft keine Chance hat. ({1}) Zweitens. Das Schicksal der „Adivasi", also der indigenen Völker Indiens, bleibt, ohne direkte Beeinflussung durch Nachbarn, ein Hauptproblem der indischen Gesellschaft. Zweifellos ist der indische Staat hier gefangen zwischen den gigantomanischen und letztendlich zerstörerischen Entwicklungsphantasien des IWF einerseits und Indiens tiefverwurzelten multikulturellen und multiethnischen Traditionen andererseits. Eine sinnvolle Entwicklung muß sich um den Ausgleich mit den naturnahen indigenen Völkern bemühen. Das setzt einen Ausgleich mit der Natur voraus. Hauptaufgabe einer auch von Deutschland zu unterstützenden binnenindischen Entwicklungspolitik sollte daher sein, die auch in Indien neuen Ansätze zur Orientierung auf eine Vielzahl kleinerer Entwicklungsprojekte zu fördern. Im Rahmen dieses Kurzbeitrags kann ich Themen wie die ökonomisch erzwungene Kinderarbeit und die traditionell verwurzelte spezifische Entrechtung von Frauen in Indien nur noch aufzählen. Zum Abschluß möchte ich aber die Tatsache hervorheben, daß die indische Gesellschaft eines der wenigen Gemeinwesen in Asien ist, das bislang allen Versuchungen zu ethnisch oder religiös motivierten Lösungen erfolgreich widerstanden hat. ({2}) Indien bleibt das weltweit größte Demokratiemodell, in dem 120 Millionen Muslime, gleichberechtigt mit über 100 Nationalitäten und Religionen, eine säkular begründete Heimat gefunden haben. Wir sind auch heute gut beraten, die unvorstellbar großen tagtäglichen Aufgaben dieser 800- oder 900-MillionenDemokratie in unserer zwangsläufig eurozentristischen Beurteilung sehr zurückhaltend zu bewerten. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Freimut Duve.

Freimut Duve (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000425, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich kann gleich an das anknüpfen, was der Kollege Poppe gesagt hat: Bosnien ist in Europa. Es ist, verglichen mit der Vielfalt der Sprachen und der Religionen, die Indien als Demokratie meistert, sozusagen ein einfaches Gebilde. So etwas wie in Bosnien ist in Indien nach der tragischen Trennung und nach der Gründung dieses Indien nicht wieder passiert. Insofern können wir Europäer nur mit Bedacht und Behutsamkeit das Ohr sein für die, die dort schreien. Das ist die Aufgabe von demokratischen Parlamenten; das Ohr für die zu sein, die um Hilfe rufen, sei es in Demokratien oder Diktaturen. Diese Rolle darf kein Parlament aufgeben. Wenn sich das indische Parlament für Dinge interessieren würde, die in Deutschland passierten, dann müßten wir anerkennen, daß auch das indische Parlament das Recht hat, Ohr zu sein für das, was hier geschieht. Das ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. ({0}) Indien hat durch die Gründungsfigur dieses Staates, durch Gandhi, ungeheuer in die Welt gewirkt. Es gäbe die Bewegung in Amerika, die von Martin Luther King ausging, nicht ohne Gandhi; es gäbe viele Dinge in Europa nicht ohne Gandhi. Ich möchte Gandhi zitieren - es ist ein sehr persönliches Wort -: Eines schlug tiefe Wurzeln in mir: die Überzeugung, daß Moral die Grundlage aller Dinge und daß Wahrheit die Substanz aller Moralität ist. Ich bin davon beeindruckt, daß unser Botschafter in Indien in der Lage war, die Wahrheit in einer offenen Gesellschaft zu erkunden, als die Bundesregierung vom Parlament gefragt wurde: Wie steht es denn mit den Menschenrechtsverletzungen in Indien? Das ist ein gutes Zeichen, und das sollten wir beherzigen, denn wir haben solche guten Zeichen häufig nicht. Ich will das Folgende auch an die Adresse des anwesenden Botschafters von Pakistan sagen: Diese Debatte heute, verehrter Herr Botschafter, kann für die Opponenten Indiens kein Anlaß sein, irgendwelche Früchte - wo auch immer - zu holen. Nein, es ist eine Debatte mit einem befreundeten Land, und es ist auch eine Debatte, die fragt: Was ist denn die Rolle Indiens nach dem Ende des Kalten Krieges? Was ist denn die Rolle Indiens in einer Zeit, wo Zivilität auf der einen Seite und Terror auf der anderen Seite die beiden neuen Markzeichen des Jahrzehnts sind und hoffentlich nicht des nächsten Jahrhunderts sein werden? ({1}) In der Frage Zivilität hat Indien ungeheuer viel geleistet, und in der Frage Terror sind wir alle bedroht. ({2}) - Wir werden sicher auch noch eine Debatte über das führen müssen, was in Pakistan ist. ({3}) Deshalb ist hier nicht der Anlaß, das eine gegen das andere auszuspielen. Denn das ist seit 1948 die neue Qualität der Menschenrechtsdebatte: Es geht nicht mehr darum, daß der Gegner die Brutalität der Barbaren darstellt, nämlich die Brutalität der anderen, und bei sich selber nur die Opferrolle feiert. ({4}) Wir haben eine andere Qualität durch die Gründung der UNO bekommen, und diese Qualität sehe ich jedenfalls auch in der indischen öffentlichen Diskussion akzeptiert. Ich glaube, daß Indien eine große Rolle im Indischen Ozean spielen kann. Ich hoffe nur, daß diese Rolle - auch als Beispiel für Nachbarn - mehr auf Gandhi fußen wird als auf der hohen Rüstung, die sich auch Indien in den letzten zwanzig Jahren angeschafft hat. Wir werden in Freundschaft diese Signale weiter sehr ernst nehmen. Ich danke der Bundesregierung für eine alles in allem sehr präzise und gute Antwort auf unsere Große Anfrage. Ich muß es wiederholen: Eine offene Gesellschaft präsentiert auch offen das, was an Grausamkeiten und Brutalitäten bei ihr stattfindet. Wir haben viele Diktaturen, wo man nicht einmal reingucken konnte. Das konnte man in Indien. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschenrechtslage auf dem indischen Subkontinent ist Gegenstand kritischer Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und auch unserer Öffentlichkeit. 1992 hat der Deutsche Bundestag eine Große Anfrage zu einigen Menschenrechtsaspekten in Pakistan an die Bundesregierung gerichtet. 1993 folgte die Große Anfrage zur Menschenrechtslage in Indien, deren Beantwortung zu einer eingehenden Befassung mit den politischen, ethnischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten dieses Landes in Südasien führte. Es ist von meinen Vorrednern schon zu Recht gesagt worden, daß Indien mit seinen 900 Millionen Einwohnern oft als die größte Demokratie der Erde bezeichnet wird, daß Indien eine Verfassungs- und Rechtsordnung besitzt, die die grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte garantieren. Justiz und Presse sind frei. Indien ist Vertragsstaat wichtiger internationaler Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte. Indien ist dabei, den Weg in das kommende Jahrhundert als moderner Industriestaat anzutreten, der anderen asiatischen Ländern nicht nachstehen soll. Indien ist auch ein Land mit einer komplexen sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Vielfalt und leitet aus dieser Heterogenität die Verpflichtung zu Säkularismus und Toleranz ab. Kastengegensätze, religiöse und ethnische Spannungen sowie wirtschaftliche Ungleichgewichte haben jedoch immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt. Die blutigen Ausschreitungen im Anschluß an die Ereignisse in Ayodhya sind uns in schlimmer Erinnerung. Die Menschenrechtslage in Indien wird seit langem von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisch beobachtet. Ich erinnere an die Publikation von Amnesty International vom März 1992 über Menschenrechtsverletzungen an Inhaftierten, die in Frage 17 der Großen Anfrage angesprochen wird. Hauptvorwürfe, die auch Gegenstand der Großen Anfrage sind, lauten: exzessive Gewaltanwendung von Sicherheitskräften bei der Bekämpfung sezessionistischer Bewegungen, hauptsächlich in Kaschmir, Punjab und Assam, das Verschwindenlassen von Personen, die sezessionistischer oder terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden, Folter und Todesfälle von Häftlingen in Polizeigewahrsam, Benachteiligung sozialer Gruppen und Kasten sowie von Minderheiten gegenüber Dritten. Auch als Partner und Freund dieses wichtigen Landes in Südasien können wir Indien nicht aus der Verantwortung entlassen, die es für den Schutz der Menschenrechte hat. Die Bundesregierung hat daher die Große Anfrage sehr ernst genommen. Ich freue mich, daß unsere Antwort weitgehend auf Zustimmung stößt. Die Bundesregierung sieht auch mit Genugtuung, daß sich die indische Regierung zunehmend dem Menschenrechtsdialog stellt und wichtige Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte und zu mehr Transparenz bei der Umsetzung von Rechtsnormen getroffen hat. Am 29. September des vergangenen Jahres - hier ist die Antwort der Bundesregierung zu Frage 20 der Großen Anfrage fortzuschreiben - ist eine unabhängige indische Menschenrechtskommission eingesetzt worden. Sie besteht vorwiegend aus ehemaligen Richtern, ist regierungsunabhängig und hat richterliche Vollmachten. Diese Kommission hat inzwischen ihre Arbeit aufgenommen und überprüft auch alle indischen Gesetze auf ihre Menschenrechtsverträglichkeit. Ich erwähne ferner ergänzend zur Großen Anfrage, daß die indische Regierung am 9. Februar dieses Jahres das Internationale Rote Kreuz erstmals zu einer Informationsreise nach Kaschmir eingeladen hat. Ich verweise ebenfalls auf die jüngste Reise der Botschafter der Troika in Delhi nach Jammu und nach Kaschmir. Die Botschafter konnten sich in Srinagar, Jammu und Leh, also Ladakh, frei bewegen und unbehindert mit Bürgerrechtlern und oppositionellen Politikern sprechen. Es gibt Hinweise, daß die indische Regierung auch Amnesty International in ihren Menschrechtsdialog einbeziehen will. Ich halte das für einen erfreulichen Fortschritt. Die Bundesregierung hat wiederholt, zuletzt beim Besuch von Premierminister Rao im Februar 1994 - ich habe noch vor wenigen Wochen mit meinem Kollegen im indischen Außenministerium -, die Lage der Menschenrechte in Indien mit großem Engagement angesprochen und sich in einigen Einzelfällen bei ihren indischen Gesprächspartnern verwandt. Vor allem die Lage in Kaschmir ist weiterhin Gegenstand unserer Sorge. Wir können gravierende Ausschreitungen der Sicherheitskräfte - etwa im Kaschmirtal - nicht einfach außer acht lassen. Es liegen gerade heute wieder Pressemeldungen über Vorfälle von gestern vor, bei denen - ich glaube, es waren 18 - sogenannte Guerillakämpfer durch das indische Militär erschossen wurden. Es gibt andererseits leider auch fast täglich Exzesse gegen Zivilisten auf seiten der Separatisten in Kaschmir. Die Bundesregierung hat an die indische Regierung appelliert, Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte zu ergreifen und einen politischen Prozeß in Gang zu bringen, der der inneren Aussöhnung der Bevölkerung dient. Eine wichtige Voraussetzung, meine Damen und Herren, ist wirklich die Wiederaufnahme eines konstruktiven Dialogs mit Pakistan, für den wir uns nachhaltig gegenüber beiden Regierungen einsetzen. ({0}) Wir haben das mit Premierminister Rao getan, und wir werden das auch tun, wenn Frau Bhutto im April nach Bonn kommen wird. Die Bundesregierung hofft, daß Indien seine Politik der Öffnung und Transparenz in Menschenrechtsfragen fortsetzt. Gerade - das ist hier auch zum Ausdruck gekommen - weil unser Verhältnis zu Indien von traditioneller Freundschaft bestimmt ist, liegt uns daran, daß Indiens internationales Ansehen nicht von Zweifeln an seiner Menschenrechtspolitik überschattet wird ({1}) und wir im Dialog mit unseren indischen Partnern auch darauf einwirken. Unter Dialog verstehe ich, daß Parlamentarier und Vertreter der Regierung immer auch den Dialog zwischen den Parlamentariern, und nicht immer nur den Dialog zwischen Regierungen suchen. Wir selbst haben die Möglichkeit, daß wir in diesem Dialog - das gilt auch für die Parlamente beider Staaten - auf Indien in dem Sinne, wie wir es heute tun, einwirken. Ich glaube, das ist eine Form, die man auch in Indien als angemessen bezeichnen wird. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunkts. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 und den Zusatzpunkt 3 auf: 12. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - Drucksache 12/6911 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({0}) Innenausschuß Rechtsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger, Gerd Poppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbot des Rüstungsexportes - Drucksache 12/6798 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß ZP3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der EG-Harmonisierung des Exportkontrollrechts für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck ({2}), Stand Ende Oktober 1993 - Drucksache 12/6187 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Auswärtiger Ausschuß EG-Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall, dann ist das so beschlossen. Zunächst einmal erteile ich dem Abgeordneten Peter Kittelmann das Wort.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Thema ist heute zum wiederholten Male die Rüstungsexportkontrolle und die Dual-use-Problematik. Dies ist sowohl in Deutschland wie auch in der Europäischen Union ein Problem. Nationale und europäische Rüstungsexportkontrollen sind heute, ob man will oder nicht, untrennbar miteinander verbunden. Im Vertrag von Maastricht zur Gründung der Europäischen Union haben sich die zwölf Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verständigt. Sie umfaßt „sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betreffen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört" . Der entsprechende Artikel im Maastrichter Vertrag für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit den darin festgelegten Zielen muß auch eine gemeinsame europäische Rüstungsexportkontrollpolitik beinhalten. Noch sind wir davon weit entfernt. In den einzelnen Mitgliedstaaten gelten unterschiedlich strenge Regelungen. Die deutschen Regelungen sind dabei nicht nur in Europa, sondern auch weltweit am restriktivsten. Im Gegensatz zu ihren europäischen Konkurrenten sind die deutschen Unternehmen davon besonders nachteilig betroffen. Wettbewerbsnachteile und Diskriminierungen der deutschen Wirtschaft gehen zu Lasten der Zukunftschancen sowie der Kooperations- und Technologiefähigkeit und gefährden zahlreiche Arbeitsplätze. ({0}) Den Vorteil verbuchen die europäischen Partner, die hier weniger restriktive Bestimmungen anwenden und ihren Unternehmen damit Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die Sozialdemokratische Partei verhält sich vor allen Dingen jetzt im niedersächsischen Wahlkampf wie ein Chamäleon. Herr Schröder redet mit doppelter Zunge, wie viele andere in der SPD auch. Wir werden das heute auch wieder erleben, wenn Herr Bachmaier redet. Herr Ministerpräsident Schröder wechselt die Manuskripte, je nach dem, in welcher Situation und vor welcher Versammlung er sich gerade befindet. So geht es nicht! ({1}) Diese Problematik existiert nicht nur im Hinblick auf Waffen und sonstige Rüstungsgüter, sondern auch für Dual-use-Güter. Dabei handelt es sich - wie wir wissen - um Güter, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können. Das geht teilweise bis zur Narretei, betrifft nämlich Fliesdrückmaschinen, bestimmte Stähle, Pumpen, Dichtungen, elektronisch gesteuerte Ventile, ja, sogar Lastkraftwagen. Damn-ter fallen auch fast alle Produkte der Chemieindustrie, deren militärischer Einsatz gegebenenfalls kaum zu kontrollieren ist, z. B. Pflanzenschutzmittel. Die Harmonisierung der Exportkontrollen für Dual-use-Güter hätte an sich schon mit dem Inkrafttreten des gemeinsamen Binnenmarktes erledigt sein müssen. Aber auch hier konnte man sich bis heute in Brüssel nicht einigen. Über den aktuellen Stand wird uns die Bundesregierung nachher informieren. Die vergangenen Debatten zu diesem Problembereich wurden von der SPD mit Polemik, falschen Anschuldigungen, Verunglimpfungen und Verdächtigungen begleitet. Die SPD hat keine Gelegenheit ausgelassen, die Bundesregierung als Rüstungstreiber, ja, als Kriegstreiber zu diffamieren. In der Aktuellen Stunde am 13. Januar wurde von einem Redner, der auch heute wieder sprechen wird, sogar behauptet, daß „deutsche Rüstungsexporte zur Verschärfung von Krisen und zum Ausbruch von Kriegen einen unverzichtbaren Beitrag" leisten. Dabei hat man sich vor allem auf Zahlen des Stockholmer SIPRI-Institutes und des Waffenregisters der Vereinten Nationen bezogen und versucht, den Eindruck zu erzeugen, die deutsche Rüstungsindustrie würde die Dritte Welt mit Waffen überschwemmen. Eine Überprüfung durch die Stiftung Wissenschaft und Politik kommt zu einem völlig anderen Ergebnis. ({2}) Ich würde uns alle, auch die Opposition, bitten, diesen Bericht aufmerksam durchzulesen. Ich hoffe, Sie haben es getan. ({3}) Ich zitiere im einzelnen wörtlich: - ... die ausgewiesenen Spitzenplätze nahezu ausschließlich auf die Abgabe von altem NVA- und Bundeswehrmaterial durch die Bundesregierung zurückzuführen sind und sich der angeblich zugrunde liegende Exportboom folglich auch nicht in den Auftragsbüchern der deutschen Rüstungsindustrie niederschlug, wie behauptet, - die deutsche Industrie am globalen Rüstungsexport nur zu einem verschwindend geringen Anteil beteiligt ist, - mit Ausnahme eines nach Südkorea gelieferten U-Bootes alle deutschen Rüstungsexporte in NATO-Staaten oder nach Skandinavien gingen, mithin kaum einen existentiellen und erst recht keinen „unverzichtbaren" Beitrag zur Verschärfung von Krisen und zum Ausbruch von Kriegen werden leisten können und - der Spitzenplatz im SIPRI-Register darüber hinaus primär aus der Anwendung einer fragwürdigen Methode zur Umsatzberechnung resultiert. So weit der Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ich bitte die SPD - wir haben Probleme genug -, diese Richtigstellung dieses Instituts zur Kenntnis zu nehmen und nicht weiter mit unwahren Zahlen, Daten und Fakten hier zu operieren. ({4}) Ich gehe noch einen Schritt weiter: Das angeblich so seriöse Institut SIPRI hat schlicht manipuliert. Das Register der Vereinten Nationen beteiligt sich wohl aus Unkenntnis an dieser Verwirrung. Die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, sollte sich bei den dafür vorgesehenen internationalen Organisationen dafür einsetzen, daß diese Form von Fehlinformationen und Unterstellungen in Zukunft ausgeschlossen ist. Es reicht langsam, die deutsche Öffentlichkeit mit manipulierten Daten und Falschmeldungen in die Irre zu führen. ({5}) Lassen Sie mich zur europäischen Harmonisierung unseres Außenwirtschaftsrechts zurückkommen. Um die künftige EG-Verordnung für die Exportkontrolle von Dual-use-Gütern innerstaatlich umzusetzen, ist eine Änderung der Zuständigkeitsregelung im Außenwirtschaftsgesetz notwendig. Damit sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß das Bundesausfuhramt auf der Grundlage einer künftigen EG-Verordnung Exportgenehmigungen für Dualuse-Waren erteilen kann. Außerdem werden die Befugnisse der Kontrollbehörden für die Überwachung von den Rechtsakten der Europäischen Union im Bereich des Außenwirtschaftsrechts erweitert. Diesem Ziel dient der Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, das heute in der ersten Lesung beraten wird. Auch hier eine Klarstellung: Die CDU/CSU - ich bin sicher: die Koalition - bleibt mit Überzeugung bei ihren harten strafrechtlichen Regelungen für illegale Lieferungen. Es geht nicht darum, diese zu schwächen. Nein, wir sind, wenn es darauf ankommt, sogar für eine Verschärfung für kriminelle Straftäter. ({6}) Die Harmonisierungsverhandlungen in Brüssel sind, wie gesagt, noch nicht abgeschlossen; dies deshalb, weil Frankreich und Großbritannien u. a. nicht bereit waren, eine einheitliche Ausfuhrregelung auf dem hohen deutschen Niveau zu akzeptieren. Die Bundesregierung steht in einem Spannungsfeld zwischen der aus der Erfahrung geborenen weitgehenden Kontrollregelung im deutschen Recht und dem Suchen nach einem europäischen Kompromiß. Es ist anzuerkennen - wir sind dafür dankbar -, daß sich die Bundesregierung in Brüssel um Kompromisse bemüht, die eine gemeinsame europäische Lösung ermöglichen. Für die CDU/CSU steht fest - ich wiederhole es -, daß wir unbedingt eine europäische Harmonisierung der Exportkontrolle erreichen müssen. Wir haben mehrfach über Konsequenzen diskutiert, welche Nachteile für die deutsche Wirtschaft ansonsten entstehen werden. Jetzt geht es darum, eine Lösung zu finden, die das gemeinsame politische Wollen weiter aufrechterhält, daß kriminelle Täter nicht die Möglichkeit von Schlupflöchern und Umgehungsmöglichkeiten im einheitlichen Binnenmarkt finden. Andererseits müssen die jetzt bereits bestehenden strengen nationalen Kontrollen europäisch harmonisiert werden. Eine weitere Verschärfung unseres bestehenden Außenwirtschaftsgesetzes darf nicht die Alternative sein. ({7}) Mit Sicherheit käme es dann zu noch größerem Bürokratismus, zu längeren Genehmigungs- und Lieferzeiten und zu noch größeren Ungewißheiten und Unberechenbarkeiten im Warenverkehr. Eine weitere Verschärfung der deutschen Regelungen würde die deutsche Industrie und damit den High-Tech-Bereich der deutschen Wirtschaft gewaltigen Belastungen aussetzen. Die deutsche Wirtschaft wäre als Kooperationspartner in Europa kaum noch gefragt. Europäische Konkurrenzfirmen sind doch schon heute dabei - ohne uns Deutsche -, wichtige Zukunftsprojekte im High-Tech-Bereich zu realisieren. Auch British Aerospace - um nur ein Beispiel zu nennen -, die bisher verstärkt mit der DASA zusammengearbeitet hat, ist in zunehmendem Maße an einer Kooperation mit der französischen Industrie interessiert. Hier geht es langfristig um Hunderttausende von Arbeitsplätzen und nicht um Polemik oder Überziehung von Sachverhalten. Meine Damen und Herren, eine moderne, hochtechnisierte Wirtschaft wie die deutsche darf sich nicht in Europa und in der Welt isolieren. Gerade im zunehmend schärfer werdenden internationalen globalen Wettbewerb werden wir uns nicht von den Auslandsmärkten verabschieden dürfen. Wir müssen den Wettbewerb und die neuen Herausforderungen annehmen und die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland sichern. Entscheidend ist, daß das Spannungsverhältnis zwischen einer effektiven Rüstungsexportkontrolle und den Erfordernissen des gemeinsamen Binnemarktes so schnell wie möglich aufgelöst wird. Es gilt, eine Lösung zu finden, die sowohl der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und Europa wie einer notwendigen verantwortlichen Nonproliferation kritischer Rüstungspotentiale in Krisengebieten Rechnung trägt. Dieser Aufgabe sollten wir uns ohne falsche Emotionalität und ohne Heuchelei gemeinsam widmen. Um gleiche Wettbewerbschancen für die am Markt konkurrierenden Unternehmen in der Europäischen Union zu schaffen, sollten nationale Ausnahmeregelungen ausgeschlossen, lange Übergangsfristen vermieden, Kontrolltatbestände klar definiert und Genehmigungstatbestände nach Waren und Ländern auf wirklich sensible Fälle begrenzt werden. Das ist die Haltung, mit der wir in den nächsten Wochen in die politische Diskussion in den Ausschüssen gehen, wobei wir miteinander - hoffentlich auch mit der Opposition, zumindest mit den Sozialdemokraten - eine Lösung finden müssen. Denn es geht nicht, daß wir die Öffentlichkeit mit falschen Fakten und falschen Zahlen verwirren und gleichzeitig wissen, daß es ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Interesse ist, für die Arbeitsplätze und für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Ich danke Ihnen. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hermann Bachmaier.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf zur Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes nimmt sich auf den ersten Blick recht unverfänglich aus. Wer könnte z. B. etwas dagegen haben, im Außenwirtschaftsgesetz die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die auf europäischer Ebene zu. harmonisierenden Genehmigungs- und Kontrollvorschriften auch in der Bundesrepublik umgesetzt werden können? Auch hat sicherlich niemand etwas dagegen, daß eine vor zwei Jahren versehentlich entstandene Gesetzeslücke im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts endlich geschlossen wird. Sicherlich spricht auch manches dafür, die Erteilung von Auskünften aus Strafverfahrensakten gesetzlich zu regeln und einzugrenzen, nachdem die Vorgaben des Volkszählungsurteils noch immer nicht generell umgesetzt sind. Sicherlich ist es auch dringend notwendig, die Voraussetzungen für Mitteilungen an das Waffenregister der UNO zu schaffen, damit wir ein Gesamtbild erhalten können. Bei näherer Betrachtung kann man sich aber durchaus fragen, ob es sinnvoll ist, die außenwirtschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Umsetzung europäischer Exportgenehmigungs- und -kontrollmechanismen im Bereich der militärisch und zivil nutzbaren Güter in einem Zeitpunkt zu schaffen, in dem die anzustrebenden Regeln in zentralen Punkten zwischen den EU-Partnern noch höchst umstritten sind. Dient es, so frage ich mich, unserem auch von der Bundesregierung immer wieder beschworenen Verhandlungsziel, den deutschen Genehmigungs- und Kontrollstandard auch im Rahmen harmonisierter europäischer Regelungen aufrechtzuerhalten, wenn wir schon jetzt den innerstaatlichen Rahmen zur Umsetzung der noch umstrittenen inhaltlichen Regelungen schaffen? Gerade vor dem Hintergrund, daß interessierte Kreise aus Wirtschaft und Politik immer wieder versuchen, die angestrebte europäische Harmonisierung dafür zu mißbrauchen, den mühsam erkämpften deutschen Genehmigungs- und Kontrollstandard schon wieder aufzuweichen, wäre es sinnvoll gewesen, keine unter Umständen mißverständlichen Signale während der noch laufenden Verhandlungen auszusenden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? Auf Ihre Redezeit wird sie nicht angerechnet.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bachmaier, Sie haben gerade von Politikern gesprochen, die etwas mißbrauchen. Rechnen Sie dazu auch Ihren niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder, der leidenschaftlich für den Erhalt seiner Rüstungsarbeitsplätze jetzt im Wahlkampf eintritt, oder ist es etwas anderes, wenn er das tut?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich das richtig sehe, hat sich Herr Ministerpräsident Schröder zum Bereich der europäischen Harmonisierung der Dualuse-Güter auf keinen Fall in der Weise engagiert, wie das anderweitig vor ungefähr sechs Wochen in diesem Hause geschehen ist. Dafür gibt es keinerlei irgendwie geartete Äußerung des Herrn Ministerpräsidenten Schröder. ({0}) -Das klingt überhaupt nicht entschuldigend. Ich habe im übrigen dazu auch in der letzten aktuellen Debatte hier Anfang Januar das Notwendige gesagt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wenn der Abgeordnete Bachmaier bereit ist, eine weitere Frage zu beantworten, dann bitte schön.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es sein muß.

Prof. Dr. Karl Heinz Hornhues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000960, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bachmeier, könnten Sie sich vorstellen, daß Sie zwischenzeitlich irgend etwas vielleicht nicht mitbekommen haben, oder darf man Ihnen da etwas nachliefern?

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin für ergänzende Informationen immer dankbar, Herr Kollege Hornhues. Nur lag die Positionierung von Herrn Ministerpräsidenten Schröder in einem anderen Bereich, in einer anderen Debatte des vergangenen Jahres. Er hat in keiner Weise einer Aufweichung des europäischen und insbesondere des deutschen Rüstungskontrollrechts das Wort geredet. ({0}) Meine Damen und Herren, gut verpackt ist in dem Gesetzentwurf das offensichtlich eigentliche Anliegen, einen weiteren Schritt zur dauerhaften Legitimierung der umstrittenen und höchst gefährlichen Abhörermächtigung für das Kölner Zollkriminalinstitut zu tun. Die Bundesregierung setzt offensichtlich darauf, daß die vor zwei Jahren in der Beratung im Bundestag, im Bundesrat und in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken gegen diese neuartigen und weitgehenden Abhörmöglichkeiten einer dem Bundesfinanzminister unterstellten Institution mittlerweile verflogen sind oder die Kritiker von damals heute nicht mehr den Mut haben, sich gegen diese umfassenden Abhörermächtigungen zu Wort zu melden. Weil die §§ 39 ff. des Außenwirtschaftsgesetzes auch innerhalb der Koalition nicht unumstritten waren, wurde die Telefonabhörermächtigung für das Zollkriminalinstitut bis zum 31. Dezember 1994, also bis Ende dieses Jahres, befristet. Über eine Verlängerung der Frist sollte, so wurde damals erklärt, im Lichte der gemachten Erfahrungen beraten und entschieden werden. Außer der pauschalen Bewertung, daß die bisherige Erprobungsphase noch zu kurz, die bislang gewonnenen Erfahrungen jedoch erfolgversprechend seien, ist in der Begründung des Entwurfs nichts zu lesen. Es werden auch keinerlei Fakten mitgeteilt, die es dem Gesetzgeber erlauben würden, das Für und Wider einer verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Norm auch nur annähernd im Lichte der bisher gewonnenen Erfahrungen abzuwägen. Es gehört, meine Damen und Herren, schon ein gerütteltes Maß an Unverfrorenheit dazu, den Gesetzgeber mit derart unbelegten Behauptungen zu konfrontieren und ihn zu einer Entscheidung zu zwingen. Die jetzige Vorgehensweise der Regierung erhärtet den schon vor zwei Jahren geäußerten Verdacht, daß die Regierung schon damals nicht im Traum daran dachte, die gegen den Widerstand des Bundesrates durchgepaukten Abhörbefugnisse für das ZKI tatsächlich auf drei Jahre zu befristen. Das schon damals erkennbare Ziel der Regierung war es, über die Einstiegsdroge einer Befristung eine weitreichende und dauerhafte Abhörermächtigung für das Zollkriminalinstitut zu schaffen und damit die bei den Justizorganen angesiedelte Telefonüberwachung nach § 100a der Strafprozeßordnung zu unterlauf en. Wir Sozialdemokraten und die Mehrheit des Bundesrates wollten verfassungsrechtlich höchst sensible Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis nur zulassen, wenn diese Eingriffe ausschließlich über die an das Legalitätsprinzip gebundenen Staatsanwaltschaften vorgenommen werden. Diesen Streit haben wir damals mit großer Hartnäckigkeit miteinander geführt. Das aber paßte Ihnen damals wie heute überhaupt nicht in den Kram. Sie wollten eine möglichst unklar definierte und weitgesteckte Eingriffs-und Abhörermächtigung für das dem Bundesfinanzminister unterstellte Zollkriminalinstitut haben, um nach den jeweiligen Opportunitätserwägungen Abhöraktionen bei Gericht zu beantragen und durchzuführen oder auch, wenn es opportun erschien, davon Abstand zu nehmen. Heute wie damals wenden wir uns dagegen, das Zollkriminalinstitut und damit auch den Bundesfinanzminister mit geheimdienstähnlichen Vollmachten auszustatten. Heute wie damals gilt, daß unser Rechtsstaat derartige Methoden präventiver Ausforschung ohne konkreten Tatverdacht und ohne Legalitätskontrolle nicht verträgt. Auf dem Hintergrund der von der Koalition im sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetz vorgesehenen weitreichenden Abhörermächtigungen für den Bundesnachrichtendienst stellt sich die umfassende Abhörbefugnis für das Zollkriminalinstitut im Bereich der Rüstungsexportkontrolle in einem neuen und noch dramatischeren Lichte dar. Ganz offensichtlich war das damalige kompromißlose Vorgehen der Bundesregierung zur Schaffung der Abhörermächtigungen für das ZKI der erste Schritt für den Ausbau umfassender Abhörmöglichkeiten durch Einrichtungen des Bundes, die den rechtsstaatlichen Regeln des für die Staatsanwaltschaften geltenden Legalitätsprinzips entzogen sind. Mit den nunmehr vorgesehenen Ermächtigungen für den BND wird auch noch das für unseren Staat bislang grundlegende Prinzip der Trennung von Polizei und Geheimdiensten unterlaufen. Es ist deshalb heute mehr denn je geboten, dem flächendeckenden Ausbau von Abhörbefugnissen, die ausschließlich dem Opportunitätsprinzip - darum geht es ganz entscheidend - unterworfen sind, Einhalt zu gebieten. Nach wie vor gilt, daß wir keinen grenzenlosen Überwachungsstaat brauchen, um den Exporteuren des Todes das Handwerk zu legen. Um illegale Rüstungsexporte bereits im Vorfeld zu verhindern, stellen zügig durchzuführende Außenwirtschaftsprüfungen - um dies als Beispiel zu nennen - das wirksamste Instrument dar. Darüber hinaus kann nicht oft genug betont werden: Wer illegale Rüstungsexporte wirksam verhindern will, muß den legalen Rüstungsexport einschränken. Auch die von Politikern der Koalition vom Zaun gebrochene Diskussion um eine Ausweitung des legalen Rüstungsexportes und eine Aufweichung der vorhandenen Genehmigungs- und Kontrollmechanismen wirkt nicht gerade abschreckend auf potentielle illegale Rüstungsexporteure. Ein erster und entscheidender Schritt, Rüstungsexporte einzuschränken, ist - wie wir dies in unserem Antrag zur Ergänzung des Grundgesetzes vorgeschlagen haben - ein grundsätzliches verfassungsrechtliches Verbot von Rüstungsexporten außerhalb der bestehenden Bündnisverpflichtungen. Wenn Sie diesem Antrag zur Ergänzung des Grundgesetzes ihre Zustimmung geben, helfen Sie am ehesten mit, Rüstungsexporte zu beschränken. Wenn Sie aber weiterhin derart bedenkliche Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis vornehmen wollen, leisten Sie unserer verfassungsrechtlichen Ordnung einen Bärendienst. Im übrigen, meine Damen und Herren - auch dies möchte ich hier ausführen; Herr Staatssekretär Kolb, das geht auch an Ihre Adresse -, wären Sie gut beraten, wenn Sie vor einer weiteren Verlängerung der verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Abhörermächtigungen wenigstens das Ergebnis des vom Bundesland Rheinland-Pfalz angestrengten Normenkontrollverfahrens beim Bundesverfassungsgericht abwarten würden, das Ihr Parteifreund Caesar, Herr Kolb, mit so großem Nachdruck in Karlsruhe betreibt. Herzlichen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Klaus Beckmann das Wort.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes dokumentiert die Entschlossenheit dieser Regierung, den mit der Ausfuhrgenehmigung und Exportkontrolle befaßten Organen ein wirklich effektives Instrumentarium zur Erfüllung ihrer Aufgaben an die Hand zu geben. Die Exportkontrolle von zivil und militärisch nutzbaren Dual-use-Gütern wird in die Zuständigkeit des Bundesausfuhramtes fallen, wenn in Zukunft Genehmigungen auf der Grundlage einer EG-Verordnung zu erteilen sind. Dies - das wünschen wir alle - gewährleistet eine Genehmigungspraxis aus einer Hand. Es ist nun zu hoffen, daß diese Bündelung des Sachverstandes dazu beiträgt, daß Ausfuhr- und Genehmigungsvorschriften nicht zu einem Hemmschuh für den deutschen Außenhandel werden. Wie ich an dieser Stelle bereits erklärt habe, kann die jüngste Erfahrung mit der Arbeit des Bundesausfuhramtes hoffen lassen. Es steht indes außer Frage, daß zur Durchsetzung von Ausfuhrverboten, zur Vermeidung von Gesetzesverstößen und Umgehungen ein funktionierendes Kontrollsystem unerläßlich ist. Dazu gehört neben der Schaffung von Bußgeldtatbeständen natürlich auch eine rechtliche Grundlage für das Zollkriminalamt hinsichtlich der Beschaffung von Daten und der Sicherung von Beweisen. Insofern muß ich Ihnen, Herr Kollege Bachmaier, deutlich widersprechen. Der Gesetzentwurf sieht eine weitere befristete Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vor. Ich denke, daß derzeit eine unbefristete Festschreibung verfrüht wäre. Es sollte zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Regelungen abgewartet werden, auch wenn ich persönlich überzeugt bin, daß die im Außenwirtschaftsgesetz enthaltenen Vorschriften verfassungskonform sind. ({0}) Uneingeschränkt zu begrüßen ist jedoch die Verbesserung des Datenaustausches zwischen Bundesausfuhramt und anderen Behörden. Diese ermöglicht nicht nur eine gesteigerte Effizienz bei der Kontrolle von Exporten, sie trägt auch zur Beschleunigung der Verfahren bei - ein Tatbestand, der bisher von der beteiligten Wirtschaft immer wieder gerügt und dessen Verbesserung eingefordert worden ist. Der Kontakt zu Umweltschutzbehörden wird auch dabei helfen können, illegale Abfallexporte zu verhindern, die, sofern sie publik werden, wie im jüngsten Fall Albanien, auch ein besonders negatives Licht auf Deutschland werfen. Der Gesetzentwurf enthält formelle und verfahrenstechnische Regeln zur Vorbereitung auf die bevorstehende EG-Verordnung zur Exportkontrolle von Dualuse-Gütern. Diese geplanten Änderungen und Ergänzungen des Außenwirtschaftsgesetzes dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in inhaltlicher Hinsicht bei den Verhandlungen zu dieser Verordnung der Durchbruch noch nicht geschafft ist. Die Bundesregierung hat für diese schwierigen Verhand18546 lungen um die Rückendeckung des Parlaments gebeten. Für die Fraktion der F.D.P. möchte ich hiermit unsere Unterstützung versichern. Die deutsche Position, so richtig sie ist, hat es auf europäischer Ebene regelmäßig schwer, in diesem Fall ganz besonders schwer. Darüber haben wir auch in diesem Hause schon mehrfach debattiert. Es ist daher wichtig, unseren europäischen Verhandlungspartnern geschlossen und überzeugend gegenüberzutreten. Aktionen wie der vorliegende Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zum Verbot des Rüstungsexports schwächen aber die deutsche Verhandlungsposition. Wenn hohe Standards europaweit vereinbart werden sollen, so müssen unsere Vertragspartner ein Einsehen in die Gründe dafür haben. Die, wie ich meine, realitätsferne Täubchenrhetorik vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird in England und Frankreich allenfalls Mitleid erwecken. Überzeugen wird sie nicht. Ich denke sowieso, daß Sie sich mit diesem Antrag, meine Damen und Herren vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schon einmal für Ihr Mannheimer Programm warmgelaufen haben, das Sie nun vollends regierungsunfähig gemacht hat. Meine Damen und Herren, die politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern von 1982, die unverändert und unvermindert fortgelten, sollten bei den Beratungen zu einer EG-Verordnung unsere Richtschnur sein. Bei dieser Meßlatte wird die Erreichung eines einigermaßen zufriedenstellenden Ergebnisses schwierig genug sein. Vielen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Gerd Poppe hat nunmehr das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege, ich will dieses Mannheimer Programm nicht verteidigen. Ich sehe aber einen besonderen Unterschied in den Forderungen zum Rüstungsexport und anderen, die sich zur NATO und zur Bundeswehr äußern. Ich bitte, das doch nicht alles unter einen Hut bringen zu wollen. Meine Damen und Herren, wir erleben gegenwärtig, wie in vielen Ländern versucht wird, das Schrumpfen des heimischen Marktes für Rüstungsgüter durch Exportoffensiven wenigstens teilweise auszugleichen. Dabei wird auch vor weiteren sensiblen Bereichen, wie dem der Dual-use-Güter, nicht Halt gemacht. Bekanntlich sind viele von diesen auch zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen nutzbar. In den USA werden die Exporte erleichtert, das COCOM-Regime läuft Ende des Monats aus. Für manche Staaten im Osten, z. B. Rußland und die Slowakei, ist der Rüstungsexport eine Hauptquelle nennenswerter Exporterlöse. Es ist völlig unklar, wie in Zukunft die Weiterverbreitung sinnvoll kontrolliert werden soll, ganz zu schweigen vom Fehlen jeglicher Bemühungen, dieses Problem gemeinsam mit den Staaten zu regeln, die daran interessiert sind, Technologien aus den Industrieländern zu beziehen. Die G 7, die Gruppe der größten Industriestaaten, ist dafür kein ausreichender Rahmen, denn wirksame Kontrolle ist nur in Kooperation mit allen Beteiligten möglich. Kurz: Die Aussichten für alle Potentaten, die sich ihre eigenen Raketen oder sonstige Mordwaffen beschaffen, oder selbst herstellen wollen, verbessern sich ständig. Da will die deutsche Industrie natürlich nicht zurückstehen. Scheinheilig wird vor nationalen Alleingängen gewarnt. Zuletzt tat sich der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau damit hervor. Wenn es eines Tages um den Schutz der heimischen Produktion gehen sollte, wird man sich, ohne rot zu werden, auf die Subsidiarität berufen. Im Moment wird vor allem die Europakarte gespielt. Im Verein mit Unterstützern aus der Regierungskoalition pocht die Rüstungsindustrie auf die Harmonisierung der technischen Abwicklung von Exporten in der Europäischen Union, wohl wissend, daß angesichts deren absehbarer Unzulänglichkeiten viele Schlupflöcher für Umweggeschäfte offenstehen werden. Denn solange eine gemeinsame Exportpolitik mit gemeinsamen Kriterien nicht vereinbart wird, ist eine europaweite Regelung zur Abwicklung des Exports von Dual-use-Gütern ziemlich wertlos. Dann werden die Exporteure pro forma eben in Luxemburg, Frankreich oder Portugal angesiedelt. Für Rüstungsgüter im engeren Sinne ist eine abgestimmte Politik innerhalb der EU noch weniger in Sicht. Dieses Defizit will die Rüstungsindustrie ausnutzen, und sie verlangt, ihre privatwirtschaftlichen Gemeinschaftsprojekte mit westeuropäischen Partnern denselben Bedingungen zu unterwerfen wie regierungsseitig vereinbarte Waffenkoproduktionen. Sollten sich solche Forderungen durchsetzen, werden wir uns in wenigen Jahren mit Skandalen zu befassen haben, die den von Rabta in den Schatten stellen. Eine Andeutung davon haben wir diese Woche mit den Berichten zu neuerlichen Lieferungen für die B- und C-Waffen-Produktion in Libyen schon bekommen. In Deutschland wird dann niemand mehr verantwortlich sein, denn es ist ja nur an Partner in der Europäischen Union geliefert worden, oder der Exporteur war eben in einem anderen EU-Staat angesiedelt. Daß dann Waffen oder sensitive Technologien in den Irak oder andere Staaten gelangen, die sich für Kriege hochrüsten, davon wird niemand auch nur die leiseste Ahnung gehabt haben. Wir brauchen gar nicht mehr zu warten, bis der erste Fall dieser Art eintritt. Es gibt ihn bereits. Manche werden sich noch an die Absicht der Firma Eurometall erinnern, Artilleriegranaten in die Türkei zu liefern, wofür 1992 die Genehmigung verweigert wurde. Mit nicht geringer Verwunderung konnten wir kürzlich der Presse entnehmen, nunmehr sei die komplette Fabrikanlage in die Türkei geliefert worden. Natürlich haben wir das nicht selbst gemacht. Es war die niederländische Regierung, die den Export genehmigt hat. Denjenigen in Kurdistan oder anderswo, die Opfer von mit dieser Anlage produzierten Granaten werden, wird es nicht im geringsten helfen, wenn Deutschland die direkte Verantwortung dafür von sich schieben kann. Nun gibt es zur Begründung der Notwendigkeit von Rüstungsexporten oder gar deren Erleichterung noch das Totschlag-Argument vom drohenden Verlust von Arbeitsplätzen. In der Tat ist dieses Problem nicht zu unterschätzen. Statt sich aber mit Alternativvorstellungen zur militärischen Produktion auseinanderzusetzen, argumentieren manche Rüstungsfirmen mit der erpresserischen Alternative, sie entweder ihre Exportgeschäfte uneingeschränkt abwickeln zu lassen oder aber Betriebe zu schließen. So soll die Politik in die Knie gezwungen werden, und sie knickt allzuoft ein, weil es ja um Arbeitsplätze geht. Wir sehen die einzige Möglichkeit, die unkontrollierte Verbreitung deutscher Waffen und Rüstungstechnologien auf Dauer zu unterbinden, in einem generellen Verbot des Rüstungsexports. Natürlich sehen wir auch, daß es mit einem Verbot allein nicht getan ist. Deshalb werden wir demnächst einen Gesetzentwurf zur Konversion vorlegen, der weit mehr als die Umstellung der Rüstungsproduktion umfassen wird. Für die heutige Debatte genügt es festzuhalten, daß wir Rüstungsexporte nicht nur einfach ablehnen, sondern auch geeignetere Möglichkeiten aufzeigen werden, um Arbeitsplätze zu erhalten und zukunftssicher zu gestalten. Für die in der Regel hochqualifizierten Beschäftigten in der Rüstungsproduktion sollte es dafür vergleichsweise gute Chancen geben. Bei einer solchen Umstellung werden Härtefälle nicht vollständig vermeidbar sein. Aber auch Rüstungsexporte sind, volkswirtschaftlich gesehen, nicht ohne Risiko. Wo sie z. B. mit Hermes-Krediten abgesichert werden, zahlt letztendlich der Steuerzahler für den Fall, daß der Empfängerstaat zahlungsunfähig wird oder infolge politischer Veränderungen nicht mehr willens ist, die Rechnung zu begleichen. Das passierte z. B. der französischen Regierung im Fall Irak. Nach dem Golfkrieg sah sich dort die staatliche Exportversicherung mit 5 Milliarden DM irakischer Schulden allein aus Waffengeschäften konfrontiert. Bezahlen muß nun der französische Steuerzahler. Ein anschauliches Beispiel für die Risiken einer Kombination von Rüstungsexport und zivilem Export liefert das Geschäft Großbritanniens mit Malaysia. Für den Export von Waffen im Wert von 1 Milliarde Pfund mußte die britische Seite auch einen Staudamm in Malaysia finanzieren. Aus Verärgerung über britische Untersuchungen zu diesen Zusammenhängen sowie über Berichte von eventuell geflossenen Schmiergeldern hat die Regierung Malaysias für alle britische Firmen einen totalen Geschäftsstopp verhängt. Die Verluste auf zivilen Märkten werden ein Vielfaches des Rüstungsgeschäftes betragen. Aus solchen Fällen sollten Lehren gezogen werden. Die elementare Erkenntnis, daß Frieden für eine Volkswirtschaft allemal besser ist als Krieg - wenn auch nicht so profitabel für die Rüstungsindustrie -, hat auch für die Länder Konsequenzen, in denen die Waffen nicht benutzt, sondern nur hergestellt werden. Dies gilt für die Bundesrepublik, die Europäische Union und auch für jene ost- und ostmitteleuropäischen Länder, die, wie vorhin schon erwähnt, vorerst auf Rüstungsexporte angewiesen sind. Hier müßte der Westen Hilfe bei der Umstellung anbieten, etwa durch die Europäische Union, den Internationalen Währungsfonds oder die G-7-Gruppe. Alleiniges Vertrauen in den Markt hilft da nicht weiter; sonst wird in nicht allzuferner Zeit ein schwunghafter Plutoniumhandel zu beklagen sein. Mit der Beschränkung auf zivile Produktion lassen sich nicht nur Märkte langfristig besser absichern, auch die Gefahr weiterer, gewaltsam ausgetragener Konflikte, für die wir Deutschen wegen unserer Waffenlieferungen Mitverantwortung tragen, kann verringert werden. Ein erster Schritt zur Beendigung des Exports militärisch relevanter Güter muß das konsequente Verbot des Exports in Spannungsgebiete sein. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für europäische Regelungen einzusetzen, die nicht dem kleinsten gemeinsamen Nenner entsprechen. Es darf keine Aufweichung des deutschen Exportkontrollsystems zugelassen werden. Nötig vielmehr ist seine kurzfristige Festschreibung als europäischer Mindeststandard.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet eine Reihe von Korrekturen zum Außenwirtschaftsgesetz, die man positiv bewerten und denen man zustimmen kann. Im Kern der Sache aber geht es um eine deutsche Anpassung an die Mitgliedstaaten der EG, deren Rüstungsexportpolitik ein wesentlicher Bestandteil ihrer Außenpolitik ist. Von diesen Staaten kam der Widerstand gegen die strengeren deutschen Exportvorschriften. Diesen Widerstand konnten oder wollten die deutschen Regierungsvertreter nicht überwinden. So wird unseres Erachtens die Chance aufgegeben, die restriktiven exportpolitischen Grundsätze, wie sie in Deutschland 1982 parteiübergreifend festgelegt wurden, auch europaweit durchzusetzen. Von wichtigen Bereichen der deutschen Wirtschaft, vor allem von der Rüstungsgüterindustrie, wurden die bekannten Zugeständnisse unterstützt und gefördert. Die Ursachen dafür liegen auf der Hand und wurden in diesem Haus schon mehrfach diskutiert. Zwei Aspekte möchte ich aber im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf hervorheben. Erstens. Die private Wirtschaft drängt nach einer stärkeren Beteiligung an der internationalen Rüstungskooperation. Dazu wird nunmehr das staatliche Monopol aufgegeben und die private Rüstungskooperation der staatlichen gleichgestellt. Zweitens. Mit der neuen EG-Verordnung über die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck öffnet sich meines Erachtens eine Hintertür für den Rüstungsexport. Bei Kooperationsprogrammen wird die Exportgenehmigung durch den Staat entschieden, in dem der Hersteller seinen Hauptsitz hat. Die Zulieferstaaten haben zwar ein Konsultationsrecht, doch die Kontrollpraktiken sind in den Mitgliedstaaten so unterschiedlich, daß gegebenenfalls die eigenen, gewissenhafteren Kontrollen umgangen werden können. Ohne Zweifel würde sich mit der Annahme des uns vorliegenden Gesetzes und mit dem Inkrafttreten der EG-Vorschriften über die Ausfuhrkontrolle die Auftragsbücher einiger Rüstungskonzerne besser füllen lassen. Dennoch geht diese Entwicklung in die falsche Richtung. Das Argument vom Erhalt der Arbeitsplätze muß in diesem Kontext als kurzsichtig, moralisch fragwürdig und, langfristig gesehen, als sachlich falsch beurteilt werden. Vorteile für Produktion und Beschaffung entstünden nur scheinbar; denn jede Milliarde mehr in den Auftragsbüchern für Produkte, die nur Zerstörungspotential, eben nicht Entwicklungspotential darstellen, behindert den Absatz für sinnvolle Produkte, behindert die Entfaltung ökonomischer Potenzen in den Ländern, die diese Produkte kaufen. Außerdem beschreiten wir damit in noch stärkerem Maße als bisher den Weg der weltweiten Verbreitung von Rüstungsgütern. Diese Form der Aufrüstung führt früher oder später zu militärischen Konflikten. Die von Deutschland gelieferten Waffen und das militärisch nutzbare Gerät könnten sich eines Tages auch gegen deutsche Soldaten richten. Unter Beachtung der Wirtschaftsprobleme von heute braucht Deutschland eine grundsätzlich neue Wirtschaftspolitik, die vor allem die Probleme der Welt von morgen im Auge hat. Der uns heute gleichzeitig vorliegende Antrag der Bundestagsgruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Verbot des Rüstungsexports beinhaltet Forderungen, die mit unserer Zukunftsvision von einer Welt ohne Waffen voll übereinstimmen. Gleichzeitig verkennen wir jedoch nicht, daß die über Jahrzehnte gewachsenen militärischen Strukturen und die dazu erforderlichen miteinander verknüpften Rüstungsproduktionen nicht über Nacht - etwa durch Änderung des Grundgesetzes - aufgelöst werden können. Der Weg zur vollen Einstellung der Rüstungsproduktion und damit auch des Rüstungsexports ist ein langer und schwieriger Weg, der über eine Vielzahl von Einzelschritten gegangen werden muß. Bei all ihrer Bedeutung ist die Frage der Rüstungsproduktion außerdem ein von anderen Grundsatzfragen abhängiges Problem. Nach unserer Auffassung wären die im Augenblick brennendsten Fragen der Sicherheitspolitik folgende: erstens die Überprüfung und Veränderung des Auftrags der Bundeswehr, der NATO und der WEU in Richtung einer eindeutigen Ausrichtung auf Selbstverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit, zweitens die Schaffung solcher regionaler und weltweiter Sicherheitssysteme, die NATO und WEU überflüssig machen würden. Wenn es der Völkergemeinschaft gelingen würde, diese Schritte zu gehen, würden sich viele der heute zur Diskussion stehenden Fragen von selbst erledigen. Ungeachtet dieser ergänzenden Bemerkungen zum Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten wir ihn für ein insgesamt gutes und nach vorn weisendes Dokument und werden das Grundanliegen in den Ausschußberatungen unterstützen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort erteile ich nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Heinrich Kolb. Dr. Heinrich L. Kolb, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von einigen Debattenteilnehmern ist hier heute morgen wieder eine sehr generalisierende Debatte geführt worden. Nun ist dieses Generalisieren nicht schlecht, weil es die Möglichkeit bietet, zwischen den verschiedenen Problemkreisen der Exportkontrolle zu unterscheiden: den illegalen Exporten, den Rüstungsgüterexporten und den Dual-use-Exporten. Nachdem wir aber Mitte Januar hier zuletzt eine breite Debatte gerade zu diesem Themenkreis hatten und Ihnen der Wirtschaftsminister persönlich die Position des Hauses vorgetragen hat, möchte ich mich heute auf den vorliegenden Gesetzentwurf konzentrieren. Dieser Gesetzentwurf verfolgt ein dreifaches Ziel. Er will zum einen das Außenwirtschaftsgesetz auf die europäische Rechtslage einstellen, zweitens verstärkt er die Kontrollinstrumente des Außenwirtschaftsrechts zur Verfolgung illegaler Exporteure, und drittens deckt er die Rüstungskontrolle der Vereinten Nationen. Zum ersten: Der Entwurf setzt das Bundesausfuhramt in die Lage, künftig, wenn die Brüsseler Beratungen abgeschlossen sind, auch Genehmigungen nach der EG-Dual-use-Verordnung erteilen zu können. Nun kann man kritisieren, daß wir hier bereits heute initiativ werden, bereits heute handeln; aber ich will darauf hinweisen, Herr Kollege Bachmaier, daß durch den Entwurf, durch die Umsetzung keinesfalls inhaltlich eine Präjudizierung vorgenommen worden ist. Wir müssen natürlich auch sehen - und ich glaube, das ist in unser aller Interesse -, daß wir gegebenenfalls nach erfolgreichem Abschluß der Verhandlungen nur eine relativ kurze Übergangsfrist haben werden. Wir müssen auch sehen, daß wir möglicherweise mit der Sommerpause des Parlaments in Konflikt kommen könnten; das Bundesausfuhramt wäre dann unter Umständen nicht in der Lage, Genehmigungen zu erteilen. Insofern halte ich es für sehr verantwortlich, heute - ohne inhaltlich zu präjudizieren, ich betone das - zu handeln. Zum Verhandlungsstand selbst - der Herr Kollege Kittelmann hatte hier ja eine Anregung gegeben - will ich heute nur kurz rekapitulieren; der Bundeswirtschaftsminister hat Ihnen ja bereits Mitte Januar Entsprechendes vorgetragen. Zusammenfassend kann ich sagen: Für die Kontrolle von Dual-useGütern haben die Verhandlungen in Brüssel gezeigt - und der Stand ist nach wie vor derselbe -, daß unsere EG-Partner unser stringentes Exportkontrollsystem in einigen wichtigen Punkten nicht mittragen. Das gilt in erster Linie für Regeln zum konventionellen Rüstungsbereich, aber auch für Dienstleistungen und den sensitiven Wissenstransfer. Wir werden daher wohl im Binnenmarkt mit einer einschlägigen EG-Verordnungsregelung bisherige Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Kontrollen abändern müssen. Wir werden prüfen müssen, ob wir die Kontrollen nur noch auf einen harten Kern von Ländern, die sich in der internationalen Völkergemeinschaft ins Abseits gestellt haben, und auf einen möglichst kleinen, abgegrenzten Warenkreis erstrecken sollen. Einen solchen, sich aus der europäischen Lage ergebenden Schritt einer Modifizierung der deutschen Vorschriften können wir - ich betone das - aber nur tun, wenn wir gleichzeitig das Kontrollinstrumentarium des Außenwirtschaftsrechts so ausgestalten, daß illegale Exporteure praktisch keine Chance haben, mit ihren Exporten durchzukommen und unserem Land Schaden zuzufügen. Der Entwurf schlägt daher vor, die Geltungsdauer der 1992 eingeführten Regelungen zur Beschränkung des Post-, Brief- und Fernmeldegeheimnisses zur Verhinderung schwerwiegender Kriegswaffen- und Ausfuhrdelikte vom 31. Dezember 1994 bis zum 31. Dezember 1996 zu verlängern, den Datenaustausch des Bundesausfuhramts mit anderen Behörden, die Informationen über sensitive Exportvorgänge haben, zu verbessern und schließlich auch die Bußgeldandrohung bei Verstößen gegen Einzelanordnungen des Bundeswirtschaftsministeriums von derzeit 2 000 DM - Stichwort: Portokasse - auf die im AWG übliche maximale Höhe von einer Million DM anzuheben. Ein Wort noch zur Telefonüberwachung illegaler Exporteure, die, Sie erinnern sich - Herr Kollege Bachmaier hat dies hier noch einmal gewürdigt -, 1991 umstritten war. Das ist verständlich, denn schließlich handelt es sich um einen Eingriff in ein Grundrecht. Aber ich meine, wir haben die Regelungen rechtsstaatlich ausgestaltet. Auch der bisherige Erfolg gibt uns recht. Sie haben kritisiert, Herr Kollege Bachmaier, daß die Begründung an dieser Stelle relativ dünn ausgefallen ist. Ich räume das ein, will aber darauf hinweisen, daß wir selbstverständlich in den Bundestagsausschüssen, so wie wir dieses auch in den Ausschüssen des Bundesrats getan haben, sehr, sehr ausführlich über die Praxis dieser Regelung unterrichten werden, um eine angemessene Entscheidungsgrundlage zu geben. Ich will hier darauf hinweisen, daß das Zollkriminalamt seit Oktober 1992 in insgesamt elf Verfahrenskomplexen Anträge nach §§. 39 ff. gestellt hat. Anlässe für die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen waren in vier Fällen Anhaltspunkte für beabsichtigte Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, in den übrigen Fällen der Verdacht auf geplante Zulieferungen zu Nuklear- und Raketenprogrammen verschiedener sensibler Länder sowie in einem Fall auf geplante Lieferungen militärischer Güter in den Irak. Von diesen elf Verfahrenskomplexen ist es in fünf Komplexen zur Einleitung förmlicher Strafverfahren gekommen. Der größte Erfolg, wenn ich so sagen darf, Herr Kollege Bachmaier, besteht in der Ausschaltung des deutschen Hauptlieferanten zum Nuklearprogramm eines fremden Landes und der Enttarnung seiner Beschaffungsorganisation in Deutschland und in Westeuropa. Man kann natürlich kritisieren, daß diese Vorschrift eine sehr weitreichende Ermächtigung ist. Ich hätte nicht hören mögen, welche Diskussionen hier heute geführt worden wären, wenn es nicht gelungen wäre, mit diesem neuen Instrument den Hauptlieferanten in dem genannten Fall auszuschalten. ({0}) Der Gesetzentwurf leistet schließlich einen Beitrag zu der künftig stärkeren Rolle der Vereinten Nationen bei der Rüstungsexportkontrolle. Im Kriegswaffenkontrollgesetz soll die Grundlage für jährliche Meldungen über Ein- und Ausfuhren bestimmter Kriegswaffen an das Waffenregister der Vereinten Nationen geschaffen werden. Für dieses Register, das zur besseren Transparenz von Rüstungsexporten führen soll, hat sich in den letzten Jahren insbesondere auch die Bundesrepublik Deutschland eingesetzt. Ich hoffe, für dieses wohl gemeinsame Anliegen Ihre Zustimmung zu finden wie im übrigen für den Gesetzentwurf in seiner Gesamtheit. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Elke Leonhard das Wort.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Entwurf des Achten Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes geht es im wesentlichen um die redaktionelle Anpassung der unterschiedlichen Normen auf Binnenmarktniveau. Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Es geht hier um mehr als um pure Semantik. Ich sage es schlicht und meine es ernst: Unsere Aufgabe lautet, die Zementierung eines dauerhaften Prozesses zur Verminderung von Rüstungsexporten voranzutreiben. Bereits in den 60er Jahren haben Olof Palme und Willy Brandt mit ihrer Arbeit für Abrüstung und gleiche Entwicklungschancen den richtigen Weg gewiesen: Rüstungsexportkontrolle ist die bessere Friedenspolitik. Doch die Realität ist bedrückend. Die Rüstungsberge des kalten Krieges haben großen Anteil an den heißen Kriegen der Gegenwart. Wir verzeichnen weltweit über 30 Kriege. Die Fakten der Statistiken sind niederschmetternd. Rußland plant, seine Waffenexporte 1994 zu verdoppeln, die Tschechische Republik exportierte 1993 für 176 Millionen Dollar Waffen; das waren 17 Millionen Dollar mehr als 1992, also zu Zeiten des Gesamtstaates. Diese Reihe ließe sich beliebig fortführen - ich würde es auch gern tun -; ich habe die Zahlen gerade in einem Artikel verfaßt und auch die Tatsache erwähnt, daß wir uns schuldig machen, wenn wir weiterhin die EG-Türen für den zivilen Export der Länder Ost- und Mitteleuropas schließen. „No entrance" ist keine Lösung. Der illegale Handel geht ins Uferlose. Die Politik steht diesen grausamen, menschenverachtenden Entwicklungen offensicht18550 lieh noch immer mit Ohnmacht und absolut unzureichenden Instrumentarien gegenüber; das haben wir heute vormittag des öfteren gehört. Meine Damen und Herren, ungeachtet aller Realpolitik sollte ein hehres Ziel der Staatengemeinschaft nicht aus den Augen verloren werden: Bereits in der Präambel ihrer Charta bekennen sich die Vereinten Nationen zu der Aufgabe, „die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien". Ein richtiger Schritt in Richtung Rüstungsexportkontrolle und Transparenz im Waffenhandel wurde bereits mit der Schaffung des UN-Waffenregisters getan. Begrüßenswert, wenn auch überfällig, ist der eingefügte § 12a des Art. 2 des neuen Entwurfs zum Außenwirtschaftsgesetz. Durch das Instrumentarium des UN-Waffenregisters und die Pflicht zur Offenlegung läßt sich auf diesem Feld einiges bewegen. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist ein Minimalschritt. Ich befürchte, die allgemeine Zivilisierung der Weltpolitik wird weiter auf sich warten lassen. Für die Zukunft muß gelten, dieses Ziel in Etappen zu realisieren. Aktueller Streitpunkt ist und bleibt die Anpassung an die künftige EG-Verordnung. Ein Teil des Hauses spricht von Aufweichung der bisherigen restriktiven Handhabung - das haben wir heute morgen wieder gehört -, ein anderer Teil von der überfälligen und notwendigen Öffnung des Binnenmarktes. Ich meine, Grundlage dieser Diskussion muß die Gleichung sein: größtmöglicher Respekt vor allen ethischen und moralischen Kriterien bei gleichzeitiger größtmöglicher Berücksichtigung ökonomischer Notwendigkeiten. Führen wir uns deshalb noch einmal vor Augen, um was es eigentlich geht. Seit Einführung des Europäischen Binnenmarktes muß in der Systematik der Rüstungsexportkontrolle zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern differenziert werden. Die Waffen werden auch weiterhin gemäß Art. 223 der Römischen Verträge ausschließlich auf nationaler Ebene reglementiert. Die Ausfuhrkontrolle der sonstigen Rüstungsgüter und der Dual-use-Waren aber muß in der Europäischen Union einheitlich geregelt werden. Diesem Prinzip hat der Deutsche Bundestag bei der Ratifizierung der Verträge zum Binnenmarkt mit großer Mehrheit zugestimmt, und ich meine, zu Recht. Die nationalen Volkswirtschaften müssen in Europa gleiche Chancen im Wettbewerb haben. Die Verhandlung über eine harmonisierte europäische Exportkontrollregelung für zivil und militärisch nutzbare Güter zeigt in einer Reihe von Fragen - wie wir gesehen haben - Einvernehmen; in anderen Bereichen verzeichnen wir seit mehrjährigen Verhandlungen ein Treten auf der Stelle. Der bisherige um die Mitgliedstaaten gezogene Zaun an den Binnengrenzen soll beseitigt und dafür an den Außengrenzen, man könnte sagen: dichter - die einen wollen ihn höher, die anderen niedriger - gemacht werden. Im Klartext: Ich befürchte nach der langen Diskussion und nach sorgfältiger Prüfung der europäischen Argumente, daß unsere Auffangnorm der Außenwirtschaftsverordnung die Hürde nach Europa nicht nehmen wird. Konkret steht die vom früheren Wirtschaftsminister Möllemann gerühmte Exportkontrollsystematik auf dem Prüfstand, die den Export friedensgefährdender Güter verhindern sollte. Wir müssen uns heute fragen: Hat sie das bewirkt? Wir müssen sagen: Nein, absolut nein. Wenn wir die bundesdeutsche Rüstungsexportkontrollpolitik betrachten, kann kein Zweifel bestehen, daß dieser Weg von ständigen Rückschlägen gekennzeichnet ist. Dabei gilt es insbesondere einer Tatsache Rechnung zu tragen: Die Entgleisungen im Bereich des Mißbrauchs kamen und - wie ich leider hinzufügen muß - kommen immer noch aus unserem Land. Der Bericht des ZDF-Magazins „Kennzeichen D" brachte es an den Tag: Deutsche Firmen helfen Libyen offensichtlich weiterhin beim Chemiewaffenbau. Mein Kollege Norbert Gansel und ich haben gestern zu diesem ungeheuerlichen Vorfall Fragen an die Bundesregierung gerichtet, die in der nächsten Woche Gegenstand der Regierungsbefragung sein werden. Deshalb möchte ich es an dieser Stelle nicht weiter ausbauen, aber lassen Sie mich schon heute die Frage an die Bundesregierung richten: Welche Genehmigungen hat die Bundesregierung im Waren-und Dienstleistungsverkehr erteilt oder abgelehnt, die im Zusammenhang mit einer Kampfstoffanlage in Libyen stehen oder stehen könnten? Eines macht mich mehr als nachdenklich und besorgt: Auch die im internationalen Vergleich restriktivsten Exportbestimmungen konnten bislang nicht verhindern, daß ausgerechnet deutsche Unternehmen wegen heikler Waffengeschäfte immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Daher lautet die Kardinalfrage, die nach einer pragmatischen Lösung verlangt: Wie kommen wir zu einer Lösung, die - das möchte ich besonders Ihnen sagen, Herr Kittelmann - den zivilen Export nicht weiter stranguliert, die Bürokratie nicht weiter aufbläht, die Realität des grenzenlosen Binnenmarkts respektiert, den ethisch-moralischen Bedenken und berechtigten Anliegen der Kirchen und Friedensinstitutionen gerecht wird? Im Dialog mit Kirchen, Friedensgruppen, in ständigen Gesprächen mit europäischen Zollbehörden, dem Ausfuhramt, der Industrie, wissenschaftlichen Instituten und auch unter Einbeziehung der individualpsychologischen Binsenweisheit, daß das Böse zu verbieten nicht weiterhilft und daß schwarze Schafe nur wirkungsvoll ausgemerzt werden können, wenn wir sie international ächten und national der schärfstmöglichen Sanktionierung zuführen, sehe ich nur einen überzeugenden Zielkompromiß. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle wiederholen, was ich in den letzten Wochen und Monaten in mehreren Artikeln, Kommentaren, Bundestagsreden als Versuch des Fin-dens eines Konsenses thematisiert habe. Es bleibt nach meiner Interpretation der Fakten nur ein Ausweg: Ein neues System der Exportkontrolle muß etabliert werden, das den militärischen Mißbrauch verhindert. Die Lücke, die durch die europäische Harmonisierung entsteht, muß umgehend durch ein entsprechendes Strafgesetz geschlossen werden. Tatbestände, die bislang unter Genehmigungspflicht standen, müssen zukünftig unter Strafandrohung verboten werden. Dem Strafgesetzbuch wäre vor InkraftDr. Elke Leonhard-Schmid treten der europäischen Exportverordnung folgender Paragraph hinzuzufügen: „Mit Strafe oder Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer . " Ich übergebe dies nachher dem Protokoll, denn ich fürchte, ich komme zeitlich nicht hin, wenn ich diese Ausführungen jetzt vortrage. Lassen Sie mich deshalb abschließend sagen: Ich bin sicher, daß wir angesichts der erschütternden Erfahrungen des Mißbrauchs einen Konsens finden und diesen in die weiteren Beratungen einer künftigen EG-Verordnung konstruktiv einbringen werden. Vergessen wir eines nicht: Effektive Rüstungsexportkontrollpolitik ist aktive Friedenspolitik. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie mit dem Verfahren, das Frau Leonhard vorgeschlagen hat, einverstanden sind*) und rufe den nächsten Redner, Volker Kauder, auf.

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung nach einem generellen Verbot von Rüstungsexporten, wie sie in dem Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhoben wird, ist abwegig und wäre außen- und sicherheitspolitisch verhängnisvoll. Nicht zuletzt durch ihren Parteitagsbeschluß zur Abschaffung der Bundeswehr und der NATO haben sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aber endgültig von rationaler, nachvollziehbarer Außen- und Sicherheitspolitik verabschiedet. ({0}) Sie werden in diesem Bereich ohnehin nicht mehr ernstgenommen. Meine Damen und Herren, wir brauchen die deutsche Wehrtechnik wie eh und je. Als Land, dessen Wohlstand sich hauptsächlich auf den Export gründet, können wir nicht auf Rüstungsexporte verzichten; dies allein schon aus der Forderung nach einer modernen, handlungsfähigen NATO heraus. Allerdings sind auch wir der Meinung, daß Rüstung nicht ungezügelt exportiert werden soll. Ich halte es für notwendig, noch einmal klarzustellen, worum es uns in erster Linie geht. Eine Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder der politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahre 1982 steht überhaupt nicht zur Debatte. Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz hat sich bewährt und mit dazu beigetragen - und dies gewiß auch unter wirtschaftlichen Opfern -, daß wir international über einen hervorragenden Ruf verfügen. Über die im Kriegswaffenkontrollgesetz aufgeführte Länderliste läßt sich im Einzelfall zwar immer wieder streiten; dies ändert jedoch nichts daran, daß wir in keinem Fall Waffen in Spannungsgebiete liefern werden. Darin sind wir uns ja alle einig. Deutschland wird e) Anlage 2 auch in Zukunft nicht Tummelplatz von großkalibrigen skrupellosen Waffenexporteuren sein. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, daß es bei uns eine sehr strenge Strafandrohung bei Verletzung des deutschen Exportkontrollrechts gibt, und diese wollen wir beibehalten. Der Kollege Kittelmann hat ja erklärt, daß man bereit sei, Verschärfungen in diesem Bereich hinzunehmen. ({1}) Ich finde es unerträglich, daß immer wieder so getan wird, als ob wir von der Koalition womöglich noch den illegalen Waffenexport gutheißen würden. Genau dies ist nicht der Fall. ({2}) Wir haben jedoch in Teilbereichen, seien es die Dual-use-Produkte oder bei Kooperationsvorhaben innerhalb unserer NATO-Partner, den Bogen überspannt. Es geht hier nicht mehr nur um wirtschaftliche Interessen eines Industriezweiges, in dem immer noch Hunderttausende von Menschen einen Arbeitsplatz haben. Es geht auch um elementare Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir nicht unser Außenwirtschaftsgesetz mit dem unserer europäischen Nachbarn harmonisieren, werden wir in naher Zukunft erleben, wie ein ganzer wehrtechnischer Industriezweig wegbricht. Die sicherheitspolitischen Auswirkungen nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze NATO wären verheerend. Denn eines ist klar: Ohne eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik gibt es keinen gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt. Wenn es keinen gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt gibt, wird das gesamte europäische Verteidigungskonzept Schaden nehmen. ({3}) Wir brauchen in Deutschland Industriekapazitäten, die unsere Verteidigungsfähigkeit, unsere Bündnisfähigkeit und unsere Kooperationsfähigkeit im Bündnis gewährleisten, ja die unsere Glaubwürdigkeit sicherstellen. Bei den wehrtechnischen Produkten der Neuzeit handelt es sich in der Regel um hochkomplexe, komplizierte und teure High-Tech-Produkte, die von Firmen in der Regel nur noch in Kooperation und Arbeitsteilung entwickelt und hergestellt werden können. Wir haben ja im gesamten industriellen Sektor zunehmend Kooperationsvorhaben mit internationalen Verflechtungen. Wenn der deutschen wehrtechnischen Industrie weiterhin Kooperationen in diesem Bereich aufgrund extremer restriktiver Beschränkungen im Exportrecht erschwert werden, werden wir uns über kurz oder lang vom gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt verabschieden, mit allen negativen Konsequenzen für das gesamte Bündnis und für unsere Wirtschaft. Hier sind wir uns einig mit Vertretern von Gewerkschaften und Betriebsräten, beispielsweise denen von Rheinmetall, die an die Delegierten des Hamburger CDU-Parteitags den Brief, den sie Herrn Zwickel von der IG Metall geschrieben haben, geschickt haben. Sie formulieren - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich zwei Sätze zitieren -: Eine verläßliche Verteidigungspolitik setzt voraus, daß bei einem erheblich verminderten Verteidigungsetat darauf geachtet wird, durch internationale Rüstungskooperationsprogramme in der Europäischen Union und im NATO-Bündnis die Grundlage für eine finanziell machbare Ausrüstung der Bundeswehr zu schaffen. Ohne die kontrollierte Beteiligung an Rüstungsexporten ist dieses sicherheitspolitische Ziel jedoch nicht zu erreichen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hören doch in so vielen Fragen auf die Gewerkschaften; Sie sind von ihnen ja schier schon abhängig. Ich frage Sie: Warum denn nicht auch in dieser Frage? Denn dazu hätten Sie allen Grund. ({4}) Wir können schon jetzt beobachten, wie England und Frankreich in Kooperationsvorhaben die deutsche wehrtechnische Industrie links liegenlassen. Aufgrund der extrem strengen deutschen Rüstungsexportkontrolle, der teilweise unverhältnismäßig langen Genehmigungsverfahren und der daraus resultierenden Unzuverlässigkeit der deutschen Wirtschaft ist die deutsche wehrtechnische Industrie schon heute als Kooperationspartner im Bündnis immer weniger gefragt. Wir finden uns zunehmend in der Rolle des Juniorpartners und Zulieferers von Subsystemen. Unsere vormalige Entwicklungsführerschaft im Systembau gehört schon jetzt schier der Vergangenheit an. Meine Damen und Herren, um es ganz deutlich zu sagen: Wenn nicht bald Änderungen eintreten, wird die jetzige Praxis zum Sargnagel der deutschen Wehrtechnik werden. Hochinnovative Industriezweige sind davon ebenso betroffen wie weite Teile des exportintensiven deutschen Maschinenbaus. Wenn wir uns weiterhin mit unseren rigiden Exportbestimmungen isolieren, klinken wir uns schon kurzfristig aus allen Kooperationsvorhaben aus. Deswegen muß es unser Ziel sein, die Exportkontrollvorschriften zumindest auf der Ebene der Europäischen Union zu harmonisieren. Denn eines ist klar: Nur in einem gemeinsamen Rüstungsmarkt haben wir die Möglichkeit, Einfluß auf unsere Partner auszuüben. Aber in Anbetracht der dramatischen Situation - und ich weiß, wovon ich rede, da in meinem Wahlkreis zwei große Wehrtechnikbetriebe mit Hunderten von Arbeitsplätzen und weltweit führendem Know-how in ihrem Marktsegment vor dem Abgrund stehen - tut sich noch eine weitere Forderung auf: Die Endverbleibsklausel bei Kooperationsprodukten in Europa muß fallen. Wir haben 40 Jahre lang auf unsere Partnerländer im Bündnis vertraut. Warum sollen wir ausgerechnet auf diesem Gebiet unseren Bündnispartnern verantwortliches Handeln absprechen? Dies ist unredlich, ja geradezu beleidigend. ({5}) Meine Damen und Herren, es liegt mir fern, einer völligen Abkehr von der restriktiven Exportpolitik das Wort zu reden. Allerdings können wir auch nicht unsere hohen restriktiven Vorgaben zum allgemeingültigen Maßstab in Europa erheben. Wir müssen darauf hinarbeiten, daß unsere wehrtechnische Industrie kooperationsfähig bleibt, und dies bei einer weiterhin restriktiven Exportpolitik, die wir beibehalten, jedoch europäisch anpassen wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Debatte. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/6911, 12/6798 und 12/6187 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich möchte mich bei denjenigen, die bis zum Schluß hiergeblieben sind, herzlich bedanken. Es würde mir nicht schwerfallen, das sozusagen persönlich zu tun. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes, erholsames Wochenende und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 9. März 1994, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.