Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einigen Kollegen nachträglich sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren. Es sind dies der Kollege Wilhelm Rawe, der am 7. Februar seinen 65. Geburtstag feierte, der Kollege Wilfried Böhm ({0}) und der Kollege Jan Oostergetelo, die beide am 9. Februar ihren 60. Geburtstag feierten. Dem Kollegen Helmut Wieczorek ({1}), der heute seinen 60. Geburtstag feiert, spreche ich ebenfalls im Namen des Hauses ciie besten Glückwünsche aus.
({2})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/Linke Liste: Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, Legalisierung von Cannabisprodukten, kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen - Drucksache 12/6873 2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Abschaffung der Wehrpflicht - Drucksachen 12/6033, 12/6557 Der Tagesordnungspunkt 13 h - Öltankerunfälle - soll abgesetzt werden.
Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 207. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. 2. 1994 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz ({4}) - Drucksache 12/6643 Die in der 208. Sitzung des Deutschen Bundestages am 3. 2. 1994 überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen nachträglich folgenden Ausschüssen zur Mitberatung überwiesen werden: Drucksache 12/6717 dem Innenausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft, Drucksachen 12/6718 und 12/4329 jeweils dem Innenausschuß, dem Ausschuß für
Wirtschaft und dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung; Drucksache 12/6699 dem Finanzausschuß.
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 12/6717 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation ({5}) - Drucksache 12/6718 Gesetzentwurf des Bundesrates
Änderung des Postverfassungsgesetzes - Drucksache 12/4329 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Bereinigung des Umwandlungsrechts ({6}) - Drucksache 12/6699 -
Die Punkte ohne Aussprache werden vor der Fragestunde aufgerufen.
Besteht damit das Einverständnis des Hauses? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 sowie den Zusatzpunkt 1 auf:
2. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze
({7}) - Drucksache 12/6853 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({8}) Innenausschuß
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Rechtsfriedens und zur Bekämpfung des Schlepperunwesens
- Drucksache 12/5683 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({9}) Rechtsausschuß
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen
Vizepräsident Hans Klein
Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität ({10})
- Drucksache 12/6784 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({11}) Innenausschuß
d) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung - Verbesserung der Diebstahlsicherungen von Kraftfahrzeugen
- Drucksache 12/6166 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({12})
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Verbesserungen von Diebstahlsicherungen an Kraftfahrzeugen zur Kriminalitätsvorbeugung
- Drucksache 12/6167 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({13})
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hermann Bachmaier, Dr. Hans de With, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Besserer Schutz vor Kfz-Diebstählen - Drucksachen 12/4023, 12/6627 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hermann Bachmaier Dr. Dietrich Mahlo
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Neue Kriminalpolitik ({15}) - Initiative gegen Gewaltkriminalität durch Verschärfung des Waffenrechts
- Drucksache 12/5948 -
Überweisungsvorschlag: Innenausschuß
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Maßnahmen gegen Lauschangriffe; Transparenz von Kommunikationsüberwachung
- Drucksache 12/6658 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({16})
Innenausschuß
Ausschuß für Post und Telekommunikation
ZP1 Beratung des Antrags der Gruppe der PDS/ Linke Liste
Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, Legalisierung von Cannabisprodukten, kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen
- Drucksache 12/6873 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({17}) Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit
Zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zum besseren Schutz vor Kfz-Diebstählen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es ebenfalls so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu unserem eigenen Gesetzentwurf, dem der Koalitionsfraktionen und der Regierung, komme, möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem von der SPD vorgelegten Gesetzentwurf und zu dem Antrag der PDS, wie er mir heute vorgelegt worden ist, machen, und zwar auch deshalb, weil beide, der Gesetzentwurf der SPD wie auch der Gesetzentwurf der Koalition, soweit es um die organisierte Kriminalität geht, wenigstens zum Teil eng zusammenhängen.
Wir lehnen den Gesetzentwurf der SPD ab, sowohl was die Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes angeht als auch was die Änderung des Art. 14 des Grundgesetzes angeht. Für die CDU/CSU besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß wir an dem Ziel festhalten, die Wohnungen, in denen Gangster verkehren, durch elektronische Wohnraumüberwachung aushorchen zu können - um es einmal so zu bezeichnen -, um Informationen aus solchen Wohnungen bekommen zu können. Daran lassen wir keinen Zweifel.
Die Rechtsgelehrten sagen uns - das ist auch Konsens der Fraktionen -, daß dazu die Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes notwendig sei. Ich habe nach wie vor meine Zweifel daran und habe das auch schon artikuliert. Wir haben schon jetzt die MöglichNorbert Geis
keit, Wohnraum zu überwachen, wenn es um die Verhinderung von Straftaten geht. Aber dann, wenn es um die Verfolgung von Straftaten geht, soll plötzlich das Grundgesetz nicht mehr ausreichend sein. Art. 13 soll dem entgegenstehen.
Mir scheint: Dagegen spricht die Logik, und zwar deswegen, weil es ja um Verhinderung von Straftaten geht. Wenn ich einmal überlege, was das Ziel des Strafrechts selbst immer ist, nämlich eine Prävention gegen künftige Verbrechen - durch Verfolgung wird diese Prävention dann ja auch jeweils aktualisiert -, scheint es mir logisch zu sein zu sagen: Eigentlich müßte dieses Vorgehen jetzt schon durch Art. 13 des Grundgesetzes gedeckt sein.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist Konsens unter den Parteien, und es ist übereinstimmende Meinung der Rechtsgelehrten, daß dafür eine Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes erforderlich ist. Deswegen hat es keinen Sinn, sich darüber weiter Gedanken zu machen. Wir müssen die Verfassung ändern. Aber dafür finden wir im Augenblick keine Mehrheit.
Es gibt das klare, aus der Sicht der F.D.P. durchaus begründete Nein zu einer Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes, und es gibt einen Vorschlag der SPD, der, wenn man ihm folgte, uns bei der Verfolgung von Straftaten im Endergebnis gegenüber der jetzigen Situation schlechterstellte.
({0})
Denn nach den Vorstellungen der SPD fielen dann ja auch die Beschlagnahme und die Durchsuchung von Verbrecherwohnungen unter diese Kautelen, die die SPD für die Änderung des Art. 13 jetzt vorschlägt.
({1})
Wir meinen, daß das eine Verschlechterung der Position ist, in der wir im Augenblick sind. Schon allein deswegen meinen wir, daß wir diesen Vorschlag ablehnen und den Versuch unternehmen müssen, weiter zu verhandeln, um bessere Ergebnisse in unserem Sinne zu erzielen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir lehnen auch den Plan ab, den die SPD hat, Vermögen auf den bloßen Verdacht hin, es könnte aus strafbaren Handlungen erworben worden sein,
({2})
einziehen und beschlagnahmen zu können. Wir meinen, daß die rechtswidrige Tat auch nachgewiesen sein muß. Das sehen Sie nicht vor. Uns geht diese beinahe schrankenlose Zugriffsmöglichkeit, die sich da eröffnet,
({3})
zu weit. Deshalb sind wir der Auffassung, daß wir auch diesen Vorschlag ablehnen müssen.
({4})
Im übrigen ist diese weitgehende Zugriffsmöglichkeit des Staates nicht in dem Umfang erforderlich, wie Sie das meinen. Wir haben schon jetzt die Möglichkeit des Zugriffs. Schon jetzt ist es den Gerichten möglich, an das Vermögen der großen Drogenbosse heranzukommen,
({5})
nämlich durch die Vermögensstrafe, ohne daß nachgewiesen werden muß, daß das Vermögen tatsächlich aus strafbaren Handlungen stammt.
({6})
Das Instrument der Vermögensstrafe existiert seit dem 22. September 1992. Wir brauchen erst einmal Erfahrungswerte, um überhaupt feststellen zu können, ob dieses von Ihnen damals abgelehnte Instrument - ({7})
- Ja gut; dann müssen Sie Ihren jetzigen Vorschlag eigentlich erst recht ablehnen.
Das Gesetz sieht auch jetzt schon - das wissen Sie so gut wie ich - die Möglichkeit des erweiterten Verfalls vor, also des Verfalls von Gegenständen, bei denen nicht nachgewiesen werden muß, daß sie aus strafbaren Handlungen kommen, wohl aber natürlich eine Vermutung besteht, daß sie daraus kommen, und
Herr Kollege Geis - Norbert Geis ({0}): - darf ich den Satz zu Ende bringen? - es muß bei diesem erweiterten Verfall allerdings nachgewiesen sein, daß die Tat selbst rechtswidrig ist. Es muß also immer eine rechtswidrige Tat nachgewiesen sein.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen de With?
Bitte sehr.
Herr Kollege Geis, stimmen Sie mir darin zu, daß erstens die von Ihnen erwähnten Instrumente der Vermögensstrafe und des erweiterten Verfalls nach dem Strafgesetzbuch in der Praxis nicht wirksam sind und daß zweitens z. B. der Standardkommentar Dreher/Tröndle zu beidem meint, es sei verfassungsrechtlich nicht angängig?
Ich weiß, daß Herr Tröndle in der Anhörung zu dieser unserer Position damals größte Bedenken erhoben hat. Aber diese
Instrumente der Vermögensstrafe und des erweiterten Verfalls sind in der Praxis noch gar nicht so bewährt, und sie sind noch nicht so ausprobiert worden, so in die Praxis eingeführt worden - dazu bestand noch gar nicht die Möglichkeit; entsprechende Verfahren gab es noch nicht -,
({0})
daß man jetzt schon sagen könnte: Es ist ein Instrument, das verfassungswidrig ist oder das keine Wirkung hat.
Ich meine, daß wir erst einmal diese Möglichkeiten ausschöpfen müssen, und dafür werbe ich. Wir müssen überhaupt erst einmal prüfen, ob damit ein Instrument geschaffen worden ist, das Wirkung hat, oder ob es keine Wirkung hat.
Bayern beispielsweise wird erst im April eine Überprüfung durch Vorlegen von Daten vornehmen - viele Daten gibt es insoweit jetzt noch nicht - und sich dann entscheiden, ob eine solche Vermögensstrafe bzw. ob der erweiterte Verfall wirklich so wirkungslos ist, wie Sie sagen.
Im übrigen, Herr de With, wenn Sie schon der Meinung sind, man sollte Verbesserungen vornehmen: Warum haben Sie seinerzeit nicht dem Vorschlag zugestimmt, den Baden-Württemberg und Bayern zum erweiterten Verfall unterbreitet haben, nach dem weitere Beweiserleichterungen vorgesehen waren? Damals haben Sie diesen Vorschlag von Baden-Württemberg und Bayern zum erweiterten Verfall im Bundesrat mit ihrer Ländermehrheit abgelehnt.
Ich halte deswegen den jetzigen Versuch, sich als die Partei der inneren Sicherheit darzustellen, für untauglich. Es handelt sich bei Ihrem Entwurf um einen unausgegorenen Schnellschuß. Er ist von der Gesetzestechnik her zum Teil - da werden Sie mir unter vier Augen zustimmen - dilettantisch gemacht und in der Begründung streckenweise nicht sehr seriös.
({1})
Ich meine, daß er auch ein wenig von dem katastrophalen Verhalten der SPD-regierten Länder gegenüber der inneren Sicherheit ihrer eigenen Bürger ablenken soll. Es ist nach wie vor eine Katastrophe, wenn in Frankfurt, 30 km von Bayern weg, ein Drogendealer weit billiger davonkommt als in Aschaffenburg. Das ist eine Katastrophe. Die SPD soll erst einmal in ihren eigenen Reihen dafür sorgen, daß ihre Bundesländer die Gesetze, die wir jetzt schon haben, auch wirklich anwenden.
({2})
Im Gegensatz zur SPD legt die Koalition ein sehr differenziertes Gesetzeswerk vor.
({3})
Wenn es die Länder entsprechend umsetzen, kann es wirklich zu einer Waffe im Kampf gegen das Verbrechen werden.
Im Gegensatz zur SPD haben wir allen Überlegungen, die Massenkriminalität dadurch abzuschaffen, daß man bestimmte Taten einfach aus dem Strafgesetzbuch streicht, eine klare Absage erteilt. Man kann Drogenmißbrauch - hier richte ich mich auch an die PDS - nicht dadurch bekämpfen, daß man Drogen freigibt.
({4})
Man kann den Diebstahl im Kaufhaus auch nicht dadurch abschaffen, daß man den Tatbestand einfach aus dem Strafgesetzbuch streicht.
({5})
Man kann doch auch nicht den Straftatbestand der Beförderungserschleichung, der millionenfach bei uns vorkommt und Schaden in Millionenhöhe verursacht - es sei ja zugestanden, daß er bei uns millionenfach vorkommt -, nur deshalb, weil er sich täglich immer und immer wieder ereignet, abschaffen.
({6})
- Nun gut, das sind Vorschläge aus Ihren Reihen.
({7})
- Das sind Vorschläge aus Ihren Reihen. Darüber können wir Zitate vorlegen.
({8})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen. Sie müssen es sich schon gefallen lassen, daß wir Ihnen ein bißchen auf den Zahn fühlen. Wir sind gegen eine solche Entkriminalisierungsdebatte,
({9})
weil wir meinen, daß dadurch die Polizeien draußen nur verunsichert werden. Wir brauchen den entschiedenen Willen der Landesregierungen, den Schutz der Bevölkerung ernst zu nehmen. Daran fehlt es, wie wir meinen, vor allem in den SPD-regierten Ländern.
Weil die Polizei allein schon zahlenmäßig oft gar nicht in der Lage ist, Sicherheit zu gewährleisten, haben sich private Institutionen an das private Sicherungsgewerbe gewandt. Wir bedauern das;
({10})
denn wir sind nach wie vor der Meinung, daß das Gewaltmonopol beim Staat liegen muß.
({11})
Aber weil wir der Realität nicht entweichen können,
haben wir in der Gewerbeordnung insofern eine
Änderung vorgesehen, als die Verantwortung für den
Einsatz von privatem Schutzpersonal enger gefaßt werden soll.
Wir haben gerade auch wegen der Überlegungen zur Massenkriminalität und zur Gewaltkriminalität das Institut des Täter-Opfer-Ausgleichs eingeführt, ein lang diskutiertes Institut. Ich hoffe, daß wir dabei auf Ihre Zustimmung stoßen; es ist ja auch von Ihrer Seite schon oft vorgeschlagen worden. Wir wollen auf diese Weise den Gedanken umsetzen, daß die Versöhnung zwischen Täter und Opfer ebenso ein Ordnungselement in unserem gesamten Gesetzesgefüge ist, wie es auch die Strafe darstellt. Dabei wollen wir die Bedeutung des Strafrechts überhaupt nicht vernachlässigen. Im Gegenteil: Wir schaffen mit diesem Gesetz ja neue Strafrechtsnormen und verschärfen das Strafrecht auf bestimmten Gebieten ganz entscheidend.
Ein Mittel, um dem Strafrecht als Ordnungselement in unserer Gesellschaft eine noch größere Bedeutung zukommen zu lassen, ist der Versuch, schneller als bislang unmittelbar auf die Tat das Strafverfahren folgen zu lassen. Bisher werden die Strafverfahren oft sehr spät angesetzt, so daß die unmittelbare Verbindung zwischen Tat und Strafhauptverhandlung oft nicht mehr besteht. Dadurch, so meinen wir, verliert das Strafrecht an seiner generalpräventiven Bedeutung. Wir meinen, daß wir dann, wenn es gelingt, die Hauptverhandlung schneller auf die Tat folgen zu lassen, einen Schritt weiterkommen und auch insgesamt der Bedeutung des Strafrechts als Ordnungselement in unserer Gesellschaft ein größeres Gewicht geben.
Um das zu erreichen, haben wir die Hauptverhandlungshaft eingeführt. Sie wird heftig diskutiert, aber man kann sich ja im Ausschuß darüber unterhalten, wie wir sie vielleicht im einzelnen noch besser gestalten können. Ich glaube jedenfalls, daß die Hauptverhandlungshaft ein entscheidendes Mittel sein wird, um den Versuch, die Strafverhandlungen schneller den Taten folgen zu lassen, auch verwirklichen zu können.
Wir sind im übrigen der Meinung, daß eine solche Hauptverhandlungshaft eine entscheidende erzieherische Bedeutung haben kann. Denn zum ersten Mal wird der Täter unter Umständen unmittelbar mit der ganzen Härte des Gesetzes konfrontiert. Das mag ihn vielleicht abhalten, künftig Gewalttaten zu begehen.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns natürlich auch überlegt, ob wir nicht das Jugendstrafrecht anders gestalten sollten. Wir sind im Ergebnis dazu gekommen, es bei den Vorschriften zu belassen, wie sie im Augenblick bestehen. Wir wollen nicht verkennen, daß das Jugendstrafrecht und die Möglichkeiten der Resozialisierung durchaus auch für Heranwachsende gelten. Wir wollen diese Möglichkeiten den Heranwachsenden nach wie vor zukommen lassen. Aber wir meinen, daß den Gerichten natürlich schon gesagt werden muß, daß sie bei ihren Entscheidungen, ob bei einem Volljährigen Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, auch ein wenig mitbedenken müssen, welche Verantwortung unsere Rechtsordnung dem Volljährigen sonst aufbürdet und ihm abverlangt. Das, meinen wir, sollten wir den Gerichten sagen; im übrigen aber wollen wir es bei den jetzigen Regelungen lassen.
Wir lassen es auch bei der Regelung des Landfriedensbruchs, wiewohl wir uns natürlich die Frage stellen müssen, ob nicht da auch einmal andere Regelungen notwendig sind, wenn es wirklich nicht gelingen sollte, mit Hilfe dieses Instruments gegen Gewaltdemonstrationen vorgehen zu können.
Wir wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir mit dem Strafrecht allein die Gewalt und die Gefahr von extremistischen Ausschreitungen nicht bekämpfen können. Eine breite Ursachenforschung hat schon eingesetzt. Gewaltdarstellungen im Fernsehen werden inzwischen nachhaltig von allen großen Parteien kritisiert.
({13})
Wir meinen aber auch, daß wir mehr um die Einsicht werben sollten, daß vor allem die Familie ein Bollwerk gegen rechtsextremistische Bestrebungen ist. Viele Jugendliche gehen auf die Straße, weil sie daheim die Nestwärme und die Geborgenheit, die sie brauchen, nicht finden.
({14})
Wir meinen, daß wir stärker Wert auf Bildung legen müssen. Nichts ist der Ideologisierung so sehr ausgesetzt wie das Halbwissen. Bildung, wirkliche Bildung, bändigt Rücksichtslosigkeit und Egoismus mehr als Strafandrohungen. Schließlich müssen wir acht darauf haben, daß unsere Wertvorstellungen, ohne die unser gesellschaftliches Zusammenleben nicht funktionieren kann, nicht weiter absacken, als es derzeit schon der Fall ist.
Wir wollen mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vor allen Dingen der organisierten Kriminalität gegenübertreten. Auch wenn es uns nicht gelungen ist, einen besseren Hintergrund für den verdeckten Ermittler zu schaffen oder die technische Wohnraumüberwachung einzuführen, so meinen wir, daß wir nunmehr eine ganz breite Palette von gesetzlichen Instrumenten vorlegen, die in der Tat geeignet sind, dem organisierten Verbrechen wirkungsvoll entgegenzutreten. Ich denke insbesondere an die Erweiterung der Kronzeugenregelung auf den Bereich der organisierten Kriminalität.
({15})
Ich meine, daß auch die erweiterte Aufgabenstellung des BND bei der Auslandsaufklärung für die Aufklärung der organisierten Kriminalität eine erhebliche Bedeutung hat. Die Koalition hat mit diesem Gesetzentwurf auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, wie ich meine, ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Es kommt nun darauf an, daß das Parlament zügig berät und die Länder die neuen Vorschriften auch konsequent umsetzen.
Norbert Geis Danke schön.
({16})
Frau Kollegin Anke Fuchs, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Geis, das war's?
({0})
Es ist wirklich interessant, daß Sie es wagen, hier zu sagen, die jetzige Regierung habe damit ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Ich finde, sie hat ihre Handlungsunfähigkeit bewiesen, nach dem, was Sie hier heute vorgetragen haben.
({1})
Sie haben dann versucht, Pappkameraden aufzubauen, um das magere Ergebnis Ihrer Beratungen ein bißchen zu verstecken.
({2})
Aber ich glaube, in der Debatte wird Ihnen das nicht gelingen. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik ist die Verbrechensrate, Herr Kollege, stärker gestiegen als während Ihrer Regierungszeit, nämlich um 25 %, bezogen auf die alten Bundesländer.
Ich will zu Beginn meiner Rede - im Grunde noch einmal mit Ihnen zusammen, Herr Kollege Geis, weil wir es gemeinsam irgendwie hinbekommen müssen - zum Ausdruck bringen, daß wir alle Sorge haben müssen, daß die Mitbürgerinnen und Mitbürger den Verbrechensanstieg als Hauptsorge begreifen. Viele Menschen sagen uns - das wissen auch Sie -: Ich wage mich nicht mehr in die Parkanlagen; ich gehe abends nicht mehr raus; ich verhalte mich anders, als ich mich verhalten würde, wenn für öffentliche Sicherheit und Ordnung gesorgt werden könnte. Ich glaube, diese Sorgen müssen wir ernst nehmen, meine Damen und Herren;
({3})
denn Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Dann gilt es, das Vertrauen wieder zu stärken.
Ich will mich nur da mit Ihnen anlegen, wo es sich lohnt. Ich will auch die Gemeinsamkeiten und unser gemeinsames Bemühen herausstreichen. Denn wie können wir erwarten, daß wir mündige Bürger haben, die sich für diese Demokratie einsetzen, wenn sie in ihrem persönlichen Bereich Angst haben müssen, daß sie ausgeraubt werden, so daß sie sich nicht mehr auf die Straße trauen? Ich glaube, diesen Zusammenhang müssen wir erkennen, meine Damen und Herren.
({4})
Dann kommen Sie und sagen, vieles sei Ländersache - das weiß auch ich -, und die Polizei habe viele Aufgaben, die wir anders gestalten könnten. Dazu wird mein Kollege Graf etwas sagen.
Ich glaube aber, für alles gilt: Der Schutzmann auf der Straße muß wieder sichtbar sein. Die Menschen müssen wissen: Er ist ihr Freund und Helfer und nicht der Freund und Helfer der Versicherungen, weil er heute den größten Teil seiner Arbeit damit verbringt, für deren Bürokratie zu arbeiten. Das darf nicht mehr seine Aufgabe sein.
({5})
Der Kollege Günter Graf wird dazu etwas sagen. Sie können meinetwegen auch mit mir darüber diskutieren.
Ich glaube, wir sollten ein bißchen klarmachen, daß hier sowohl die Länder als auch der Bund eine Aufgabe haben. Hier sind viele Defizite, die wir auffangen können.
Ich freue mich, Herr Kollege Geis, daß in Ihrem mageren Gesetzentwurf ein bißchen was zu den privaten Sicherheitskräften enthalten ist. Ich will die Zahlen noch einmal nennen. Es ist übrigens eine unglaubliche „Anerkennung" der jetzigen Koalition, wenn es 280 000 private Sicherheitskräfte und 250 000 Polizisten gibt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren.
({6})
Darauf muß man hier hinweisen.
Wir müssen an dieses Thema herangehen. Wenn Sie dazu Vorschläge machen, werden wir sicherlich darüber diskutieren. Denn eines ist doch klar: Wenn sich die Reicheren die Sicherheit kaufen, dann verlagern sich die Kriminalität und das Opferrisiko auf solche gesellschaftlichen Schichten, die sich weder finanziell noch körperlich gegen diese Kriminalität wehren können. Deswegen wird Sicherheit dann zum Privileg der Wohlhabenden. Das können Sie nicht wollen, das können wir nicht wollen. Es ist an der Zeit, daß wir an dieses Thema herangehen, meine Damen und Herren.
({7})
Ich will jetzt versuchen, die Verbindung zwischen der Alltagskriminalität - von dem, was die Menschen zu Hause spüren - und der Frage zu ziehen, wo die Wurzeln liegen. Ich will heute nur eine Verbindung ziehen, nämlich, daß die Wurzeln in Wahrheit zum größten Teil - auch bei der Alltagskriminalität - im organisierten Verbrechen liegen. Wir verkennen das, glaube ich, manchmal, indem wir so tun, als sei ein Wohnungseinbruch das Ergebnis eines einzelnen Verbrechers, der da einsteigt. Aber wir wissen - so sagt Rudolf Scharping -: Das organisierte Verbrechen hat die Betriebswirtschaft gelernt; auch die wollen keine langen Lagerzeiten mehr. Also ist auch ein Teil der Alltagskriminalität organisierte Kriminalität. Deswegen muß ihr unser Hauptaugenmerk gelten,
({8})
sei es Beschaffung, sei es Kraftfahrzeugschmuggel in osteuropäische Staaten.
Anke Fuchs ({9})
Ich glaube, es ist richtig, daß internationale, dem organisierten Verbrechen zuzurechnende Schlepperorganisationen verantwortlich sind für die Einschleusung von Menschen unter entwürdigenden Bedingungen und auch für unerlaubte Vermittlung und Beschäftigung von Arbeitskräften.
Dann wissen wir inzwischen alle - daß Sie darüber nicht mehr reden, ist schon interessant -, daß international operierende Tätergruppen in brutaler Weise und mit konspirativen Techniken auf vielfältige Art unser Recht brechen. Zielstrebig und rücksichtslos häufen sie Kapital und Vermögen an und schleusen es in den legalen Wirtschaftskreislauf ein. Damit werden nicht nur Bürger in ihren individuellen Rechten verletzt, sondern die Tätergruppen versuchen, die Gesetze der Marktwirtschaft auszuhebeln, versuchen, Einfluß in Verwaltung und Politik zu nehmen. So unterminieren sie die Grundlagen unseres demokratischen Rechtssystems, meine Damen und Herren. Dagegen gilt es anzukämpfen, und dahin zielen auch unsere Vorschläge, die ich Ihnen gleich noch erläutern möchte.
({10})
Auch hier gibt es einen Kreis, weil organisierte Kriminalität zugleich Betäubungsmittelkriminalität ist. Es ist doch so, daß 500 bis 800 Milliarden US-Dollar - man wird ja richtig süchtig, wenn man an soviel Geld denkt - im Rauschgifthandel an Gewinnen gemacht werden. Die Drogengewinne in der Bundesrepublik lagen 1990 bei 4 Milliarden DM, allein im Heroinhandel bei 1,5 Milliarden. Der Arbeitskräfteausfall, Gesundheitskosten und der Aufwand von Polizei usw. sind dabei gar nicht mitgerechnet.
Wenn man sich das allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten überlegt, dann kann es doch nicht so sein, daß Sie in einer solchen Situation ansteigender organisierter Kriminalität mit Auswirkungen auf den Einzelnen und unseren Staat nun ein Gesetz vorlegen, daß Sie auch noch „Verbrechensbekämpfungsgesetz" nennen.
Herr Kollege Geis, ich habe, auch aus eigener Erfahrung, viel Verständnis für Koalitionsschwierigkeiten. Aber wenn Sie dann sagen würden, „Mehr haben wir nicht hingekriegt", wäre das noch ehrlich. Aber daß Sie jetzt bei der elektronischen Wohnraumüberwachung, wenn ich es richtig verstanden habe, so tun, als ob man die Verfassung gar nicht ändern müßte, daß Sie jetzt, weil Sie sich mit der F.D.P. nicht haben einigen können, sagen, eigentlich sei das alles gar nicht so schwer, und Ihr Gesetz reiche aus, das fand ich schon ein bißchen mager. Ich will nicht sagen: erbärmlich. Aber mager war es doch wirklich.
({11})
Nichts gegen bedrohlich angestiegene Alltagskriminalität, nichts gegen organisierte Kriminalität: Sie nehmen eben nicht zur Kenntnis, welche zerstörerischen Folgen für unseren Rechtsstaat dieses organisierte Verbrechen hat. Sie wollen sie nicht an ihrem Nerv treffen, Sie wollen nämlich nicht an die illegalen Geldströme heran. Sie wollen auch keine rechtsstaatlich einwandfreie und effiziente Regelung zur elektronischen Wohnraumüberwachung. Das hat mich nun wirklich völlig überrascht.
({12})
Wir haben auf unserem Parteitag versucht, uns zusammenzuraufen, in der Hoffnung, daß wir gemeinsam auch über technische Wohnraumüberwachung diskutieren. Jetzt sagen Sie, Sie brauchen gar keine Grundgesetzänderung. Ich will es noch einmal sagen, Herr Kollege. Wir sagen, Sie wollen an die illegalen Geldströme nicht heran. Sie wollen organisierte Kriminalität damit nicht abblocken, sondern Sie nehmen -({13})
- Ja, Sie sind doch die Eigentumspartei. Also frage ich: Sind Sie auch die Eigentumspartei bei kriminell erworbenem Geld? Diesen Eindruck habe ich manchmal, meine Damen und Herren.
({14})
Statt dessen bieten Sie Placebos an wie die Beschleunigung von Verfahren. Sie, Herr Kollege Geis, haben das eben vorgetragen. Dann haben Sie wirklich die Dreistigkeit, in dieses Gesetz auch noch die Erweiterungen der Zuständigkeit des Bundesnachrichtendienstes einzubringen.
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Fuchs, geben Sie mir recht, daß ein einschneidender Unterschied darin liegt, ob eine Partei von sich sagt, sie ist eine Partei des Eigentums, oder jemand wie Sie hier so tut, als ob diese Partei eine Partei unrechtmäßigen Eigentums sei?
Ja, das ist Ihre Philosophie, Herr Kollege. Wenn Sie nie mit uns und mit der CDU zusammen bereit sind, dort, wo Geldflüsse sind, die man kontrollieren müßte, Veränderungen vorzunehmen, wenn Sie weder an die Banken heran wollen noch mit uns die Frage stellen - ich komme gleich darauf zurück -: Was mache ich denn mit bemakeltem Eigentum, kann ich es so behandeln wie durch Grundgesetz geschütztes Eigentum? Wenn Sie sagen: Nein, wir wollen nichts ändern!, dann ist der Vorwurf Ihnen gegenüber durchaus berechtigt, meine Damen und Herren.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Ja, bitte sehr.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß es jetzt schon möglich ist, an das Vermögen der Drogenbosse heranzukommen, ohne daß der Nachweis notwendig ist, daß dieses Vermö18160
gen aus strafbaren Handlungen stammt, dann nämlich, wenn das Gericht die Vermögensstrafe ausspricht?
({0})
Ja, darüber haben Sie ja vorhin zu sprechen versucht. § 43 a, die Vermögensstrafe, ist eine aus unserer Sicht verfassungswidrige Waffe. Die Beratungen im Ausschuß können ja ergeben, daß wir unseren Gesetzentwurf mit dieser Überlegung verzahnen. Denn in einem gebe ich Ihnen recht - ich habe ja genau zugehört -: Auch Sie sagen, es kann gerechtfertigt sein, Vermögen einzuziehen, bei dem nur der Verdacht besteht, daß es illegal erworben worden ist.
Wenn wir darüber schon einmal einig sind, meine Damen und Herren, ist es nur eine Frage der Instrumente, wie ich das - verfassungsrechtlich wasserdicht - miteinander kombiniere.
({0})
Frau Kollegin Fuchs, der Kollege Weng wollte noch einmal eine Frage stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich für mich feststelle, daß Sie auf Grund falscher Sachbehauptungen hier ungeheuerliche Bemerkungen über meine Partei losgelassen haben?
({0})
Das nehme ich gern zur Kenntnis. Wenn Sie das so furchtbar trifft, dann kommen mir bald die Tränen. Aber ich bleibe bei meiner politischen Bewertung, meine Damen und Herren.
({0})
Jetzt komme ich noch einmal zum BND. Was machen Sie da? - Man könnte sagen: Ihr seid mir schöne Liberale, wenn ihr behauptet, ihr wolltet nur ein bißchen erweitern, und sagt, man soll nur Zufallserkenntnisse verwerten. Dem entgegne ich: Nein, Sie wollen den Geheimdienst in Zukunft gezielt nach Straftaten in Geldwäsche und Drogenhandel fahnden lassen können. Das ist es, was Sie als neue Aufgabe für den BND vorsehen. Ich sage Ihnen: Damit verletzen Sie das Gebot der Trennung zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsorganen.
({1})
Ich weiß nicht, wie Sie das verfassungsrechtlich sauber begründen wollen. Weil Sie sich nicht haben einigen können, weil Sie an das Grundgesetz nicht herangehen können, machen Sie eine aus unserer
Sicht verfassungswidrige Änderung. Die werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
({2})
Daß das in Ihre „Denke" paßt, wird mir aus folgendem klar: Sie wollen den Bundesnachrichtendienst in einer Grauzone operieren lassen, so als ob wir die Gestapo nie gehabt und nicht rechtzeitig daraus saubere Konsequenzen gezogen hätten!
({3})
Nein, wir wollen doch rechtsstaatliche Prinzipien einhalten. Gerade wenn es um innere Sicherheit und Ordnung geht, darf es keine Grauzonen und keine Verschiebungen der Kompetenzen geben.
({4})
Sie wollen Kompetenzen verschieben, wir machen das nicht mit.
Da hinein paßt auch die Bemerkung von Herrn Schäuble, der sagt, gegebenenfalls werden wir auch noch die Bundeswehr im Inneren einsetzen und Bundeswehrsoldaten zu Notpolizisten machen. Das ist Ihre Auffassung von Aufgabenteilung. Wenn wir das kritisieren, dann müssen Sie das auch zur Kenntnis nehmen.
({5})
- Unser Verständnis von innerer Sicherheit zielt darauf ab, daß wir saubere, rechtsstaatliche Kriterien haben.
({6})
Ich sage noch einmal: Wir als sozialdemokratische Partei haben es uns bei der Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes weiß Gott nicht leicht gemacht. Bei den Vorschlägen, die wir Ihnen heute unterbreiten, haben manche von uns immer noch große Bedenken. Aber daß Sie jetzt so tun, als ob Sie diese Maßnahmen gar nicht brauchen, weil Sie sich mit der F.D.P. nicht haben einigen können, das sollen Sie draußen einmal vertreten. Es ist wirklich absurd, meine Damen und Herren.
({7})
Dann haben wir noch eine Reihe von Vorschlägen, über die man noch diskutieren kann. Das ist aber im Grunde alles nichts Neues. Zum Teil sind es Vorschläge, die von uns aufgenommen wurden, zum Teil wurden sie von Ihnen wiederholt abgelehnt und dann jetzt doch wieder aufgenommen. Da sage ich ein bißchen platt: Das hat alles einen langen Bart. Das ist also keine Politik ohne Bart, sondern eine Politik mit Bart, die Sie da betreiben, indem Sie auf alte Klamotten zurückgreifen, alte Klamotten, über die sicherlich Kollegen von mir noch einiges mehr sagen werden.
Das Thema Drogenabhängigkeit lasse ich im Augenblick einmal außen vor.
Anke Fuchs ({8})
Sie haben viele unserer Vorschriften übernommen; das ist in Ordnung. Aber warum Sie heute unseren Antrag zum besseren Schutz vor Kfz-Diebstählen nicht unterstützen, das habe ich nicht verstanden. Denn ich meine, das wäre eine ganz konkrete, praktische Maßnahme, die bei Ihnen irgendwie ein bißchen verunglückt ist. Ich frage Sie: Warum können wir das nicht heute miteinander beschließen? Dann hätten wir einen wichtigen Punkt und wären ein Stückchen weiter in unserem gemeinsamen Bemühen, für die innere Sicherheit etwas zu tun.
Nun komme ich zu unserem Maßnahmenpaket. Ich sage noch einmal: Die Kombination von Alltagskriminalität und organisierter Kriminalität muß im Auge behalten werden. Deswegen schlagen wir drei wesentliche Elemente vor, die den neuartigen Gefahren für Staat und Wirtschaft Rechnung tragen und die Bekämpfungsstrategien an den Strukturmerkmalen des organisierten Verbrechens ausrichten. Das heißt also, Geld und illegale Gewinne sind Triebfedern des organisierten Verbrechens.
({9})
Deswegen muß unsere Forderung - vielleicht mit Ihnen zusammen, Herr Kollege -, daß Verbrechen sich nicht lohnen dürfen, mit Vorrang gerade in diesem Bereich durchgesetzt werden. Es geht darum, daß man die organisierte Kriminalität in den Nerv hinein trifft, indem man sagt: Ihr könnt mit diesen Verbrechen kein Vermögen gewinnen; ihr könnt kein Geld damit machen. Es darf sich nicht lohnen, daß man für sich kriminelles Geld in Anspruch nimmt.
({10})
Wir wollen, wie Sie wissen, den Staat in die Lage versetzen, daß er die Verfügungsmacht über großes, kriminell erworbenes Vermögen hat. Wir wollen, daß er es den Verbrechern nimmt, weil sie auf Verwaltung, Justiz und Polizei Einfluß nehmen.
({11})
Wir sagen: Dieses Geld untergräbt - und das ist der andere Ansatz, den wollte ich noch einmal mit Ihnen diskutieren, Herr Kollege Geis - die demokratische Rechts- und Wirtschaftsordnung. Es ist also ein öffentlich-rechtlicher Ansatz. Es ist die Frage: Wollen wir zulassen, daß Geld, das aus organisierter Kriminalität kommt, in den Wirtschaftskreislauf einfließt, damit Abhängigkeiten begründet und Justiz und Verwaltung untergräbt?
({12})
Nun kommt der Kernpunkt. Sie sagen: So schlimm ist es nicht, wir müssen nichts tun.
({13})
Wir sagen: Es ist so schlimm. Hier ist eine Bedrohung der öffentlichen Rechtsordnung zu befürchten. Deswegen wollen wir vom öffentlich-rechtlichen Ansatz her sagen: Wir sind auch bereit, Art. 14 GG zu ändern, weil dieses bemakelte Eigentum nicht den Schutz
genießt wie anderes Eigentum in unserer Verfassung.
({14})
Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Bitte sehr.
Frau Kollegin, ich meine, wir sollten den Unterschied zwischen Ihrer und unserer Position klar herausstellen. Wir haben die Gemeinsamkeit, daß wir alle zusammen in diesem Haus auch an das Geld der organisierten Verbrecher herankommen wollen. Dafür gibt es jetzt schon Instrumente; ich habe das vorhin dargelegt.
Aber wir haben - Frau Kollegin, stimmen Sie darin mit mir überein? - den Unterschied zwischen Ihnen und uns insofern, als Sie sagen: Allein auf den bloßen Verdacht hin, dieses Geld könnte aus strafbaren Handlungen stammen, es könnte eine strafbare Tat zugrunde liegen, wollen wir das Vermögen einziehen. Wir sagen: Die strafbare Tat muß zumindest erwiesen sein. Das ist der Unterschied. Stimmen Sie darin überein?
Nein, darin stimmen wir nicht überein, denn Sie haben § 43 a des Strafgesetzbuchs gerade wieder falsch zitiert. Denn da kommt es zum Eingreifen nicht darauf an, daß das Geld aus strafbarer Handlung herrührt. Wir sagen - ich will es Ihnen noch einmal erläutern -: Bemakeltes Vermögen ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 GG kein nach Art. 14 zu schützendes Eigentum. Dieses konkretisieren wir und sagen: Solch bemakeltes Eigentum muß nicht einmal entschädigt werden, sondern es kann eingezogen werden. Nun kommt die Frage: An welche Kriterien binden wir die Einziehung dieses Eigentums? Da ist es nicht so, daß wir sagen: Erklär uns einmal, woher dein Vermögen kommt, sondern es müssen Tatsachen vorliegen, die die Vermutung begründen, daß dieses Geld aus schweren Straftaten der organisierten Kriminalität -- und die sind aufgeführt - stammt. Erwecken Sie also nicht den Eindruck, als ob wir hingehen und fragen: Woher hast du eigentlich dein Geld? Es ist ganz konkret beschrieben, in welchen Fällen die Verdachtsmomente ausreichen, um hier ein Zugriffsrecht zu ermöglichen, weil wir sonst an dieses Vermögen nicht herankommen.
Frau Kollegin Fuchs, der Kollege Dr. Hirsch möchte ebenfalls eine Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin, da ich den Eindruck habe, daß der entscheidende Unterschied immer noch nicht klar ist, darf ich fragen: Sind Sie nicht mit uns der Meinung, daß der entscheidende Unterschied der ist, daß sowohl bei dem erweiterten Verfall als auch bei der Vermögensstrafe, die ja heute schon geltendes Recht sind, die Voraussetzung die ist, daß derjenige, dessen Vermögen eingezogen wird oder bei Vermutung einer Straftat verfällt, schon vor
Gericht gestanden hat und dementsprechend als Täter verurteilt wurde, während es bei dem Entwurf, den Sie uns heute vorlegen, ausreicht, daß nur die Vermutung besteht, daß das Vermögen aus einer Straftat kommt, und Sie die Beweislast dann umdrehen und sagen nun, beweis du mal schön, daß du kein Verbrecher bist? Ist nicht der entscheidende Unterschied der, ob Sie den Bürger im Prinzip für einen anständigen Menschen halten oder ob Sie im Prinzip davon ausgehen, daß jeder ein Verbrecher ist?
({0})
Also doch Eigentumspartei, meine Damen und Herren. Man hört es. - Ja, das ist der Unterschied, Herr Kollege. Es hat aber nichts mit der Unschuldsvermutung zu tun, wie Sie sagen.
Ich will noch einmal unsere Begründung nennen.
({0})
- Man kann doch auch - darauf wurde schon hingewiesen - beim Steuerrecht zugreifen. - Der Kernpunkt ist: Wir leiden doch darunter, daß wir die Täter noch nicht verurteilt haben, in der Zwischenzeit zuwenig Zugriffsrechte haben und die Vermögen verschoben werden können, ohne daß wir dann noch an diese Vermögen herankommen. Dabei handelt es sich um Vermögen, das aus schweren Straftaten erworben wurde.
({1})
Dies muß als Grundsatz zunächst einmal herausgearbeitet werden.
Dann bleibt die Frage: Wie gehe ich mit diesem Vermögen um? Da sage ich noch einmal: Wir betreten hier juristisches Neuland. Vielleicht kann ich Ihnen da noch ein bißchen Nachhilfe geben. Es macht gar keinen Sinn, wenn Sie mit der strafprozessualen Unschuldsvermutung argumentieren, sondern Sie müssen mit uns den Weg gehen, zu sagen: Wir ändern die Einzugsmöglichkeit, weil wir das durch organisiertes Verbrechen erworbene Geld als eine Beeinträchtigung unserer rechtsstaatlichen Ordnung ansehen. Also gehen wir vom öffentlich-rechtlichen Ansatz her an dieses Thema heran. Dann kriegen wir polizeirechtliche Möglichkeiten der Sicherstellung.
Um es klarzumachen, will ich noch einmal sagen: Es kann doch nicht angehen, daß wir immer so lange warten müssen, bis der Täter verurteilt ist. Die Erfahrungen zeigen uns, daß es dann zu spät ist, um diesem aus kriminellem Handeln erworbenen Geld dann noch beizukommen, meine Damen und Herren. Das ist der Kern des Unterschiedes.
({2})
Frau Kollegin Fuchs, der Kollege Otto möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Frau Kollegin, ich versuche, Ihren Gedankengang jetzt zu Ende zu denken. Sie sagen: Es muß uns gelingen, zu verhindern, daß dieses - wie Sie formulieren - bemakelte Vermögen in irgendwelche dunklen Kanäle kommt. - Gut. Soweit nehme ich das zur Kenntnis.
Ich frage Sie jetzt nur ganz konkret: Weshalb muß nach Ihrem Gedankengang dieses Vermögen ohne eine Gerichtsverhandlung eingezogen werden? Reicht es denn nicht völlig aus, wenn unter diesen Voraussetzungen, die Sie nennen, das Vermögen beschlagnahmt und damit festgehalten wird, bis es zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung kommt? Das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Sie wollen das Vermögen praktisch schon wegnehmen, ohne daß dem Täter irgend etwas nachgewiesen ist. Die Beschlagnahme würde nach Ihrer Argumentation doch völlig ausreichen.
Wir sind ziemlich nahe beieinander, Herr Kollege Otto. Sie haben aber offensichtlich unseren Gesetzentwurf nicht gelesen.
Also: Sie gehen mit mir den Weg, daß man bemakeltes Vermögen, bemakeltes Eigentum anders behandeln muß. Dann kommt die Frage: Wie greifen wir zu? Wir wollen zugreifen im Sinne von „sicherstellen" auf Grund des Verdachtes einer schweren Straftat, und dann kann der einzelne sofort nachweisen, daß er das Geld nicht aus einer Straftat hat, sondern ordnungsgemäß eingenommen hat. Im weiteren Verfahren kann er zivilrechtlich gegen die - auch aus Ihrer Sicht notwendige - sofortige Beschlagnahme vorgehen, meine Damen und Herren. Insofern liegt der Unterschied darin, daß wir sagen: sofort zugreifen. Er muß nachweisen, daß dieses Geld nicht aus einem Verbrechen stammt. Dagegen kann er zivilrechtlich vorgehen.
Ich freue mich, Herr Otto, wenn wir sozusagen in dieser Argumentationslinie aufeinanderzugehen. Das läßt hoffen, daß wir in diesem wichtigen Verfahren, nämlich der Kernfrage, wie wir es verhindern können, daß Geld aus organisierter Kriminalität in unsere Wirtschaftskreisläufe hineinkommt, Menschen davon abhängig macht und dann vielleicht neue Abhängigkeiten schafft, zu einer Einigung kommen.
Ich fand Ihre Fragen sehr interessant - vielleicht habe ich mich vorhin nicht deutlich genug ausgedrückt - und sage Ihnen noch einmal: Die sofortige Sicherstellung als polizeirechtliche Maßnahme muß geschehen, damit sich das Vermögen nicht irgendwohin verkrümeln kann, um es ein bißchen platt zu sagen.
({0})
- Nein, der Unterschied ist, daß wir auf Grund von Tatsachen, die den Verdacht begründen, daß es aus schwerer Kriminalität herrührt, die Sicherstellung ermöglichen, und Sie gehen den umgekehrten Weg.
Ich sage noch einmal: Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist die Beeinträchtigung. Deswegen gehen wir ja auf diesen juristisch neuen Weg und sagen: Wir kommen dem mit normalen Gesetzen nicht mehr bei. Wir müssen sehen, daß wir von der Bedrohung der öffentlich-rechtlichen Sicherheit und Ordnung her die Dinge neu regeln.
Anke Fuchs ({1})
Ich sage noch einmal für die weiteren Debatten: Wenn wir uns schon daranmachen, das Grundgesetz zu ändern, und sagen: Art. 14 in der Folge muß geändert werden, damit diese Vermutung betreffend nicht rechtsstaatlich erworbenes Vermögen konkret in diese Gesetze eingeführt werden kann, dann ist das ein gravierender Punkt.
Noch einmal, Herr Kollege Otto: Sicherstellung
- allerdings bei dem Verdacht, durch Tatsachen erhärtet, daß dieses Geld aus organisierter Kriminalität kommt. Dann kann der einzelne dagegen angehen und zivilrechtlich dagegen klagen.
({2})
- Ja, Sicherstellung. Einzug ist Sicherstellung; zuschnappen in dem Moment, in dem das Vermögen noch da ist, nicht aber warten, bis der Täter verurteilt wird, da er sonst in der Zwischenzeit das Vermögen dahin bringen kann, wo wir es nicht so gerne hätten.
Ich freue mich, daß Sie auf diesem Weg mitgehen. Ich sage für meine Fraktion auch: Das ist juristisches Neuland, und wir sind für diese Diskussion offen. Übereinstimmung kann doch zumindest darin gefunden werden, daß wir sagen, wir wollen nicht länger zuwarten, so daß die Polizei überhaupt keine Chance hat, zuzugreifen. Wenn es richtig ist, was ich am Anfang sagte, daß organisierte Kriminalität mit ihren Auswirkungen auf die Alltagskriminalität im Moment das Hauptthema ist, dann müssen wir an dieses Thema auch anders herangehen, als Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, es im Augenblick tun.
({3})
Ich will nicht noch einmal polemisch werden. Aber es ist schon ein bißchen mager, was da von Ihnen kommt. Es tut einem eigentlich leid. Denn wir sagen doch alle miteinander, daß innere Sicherheit ein Bürgerrecht ist. Die innere Sicherheit ist eine notwendige Voraussetzung unserer sozialen und rechtsstaatlichen Ordnung. Deswegen ist sie nicht nur ein sozialdemokratisches Grundanliegen, vielmehr sollten auch Sie sich diesem Thema verstärkt widmen. Innere Sicherheit ist Gewährleistung für die Arbeit aller demokratischen Kräfte. Dem Recht des Stärkeren, das sich in Ihrer Zeit so sehr eingenistet hat, muß, finde ich, wieder die Stärke des Rechts entgegengesetzt werden. Darum wollen wir Sozialdemokraten uns bemühen.
({4})
- Das ist gar nicht bös. Das ist richtig. Wenn Sie sich darüber aufregen, zeigt es mir, daß ich Sie damit ärgere, und auch das ist natürlich ein Teil einer solchen Debatte.
Ich bin nach dem, was Sie an Fragen an uns richten, sehr zuversichtlich, daß Sie mit uns gemeinsam mehr tun, als dem Bundesnachrichtendienst verfassungswidrige Aufgaben zuzuteilen, und mit uns die Frage erörtern: Brauchen wir eine Grundgesetzänderung in
Sachen elektronische Wohnraumüberwachung, brauchen wir eine Änderung von Art. 14 des Grundgesetzes, um dem organisierten Verbrechen wirklich begegnen zu können? Wenn Sie sich dem ein bißchen öffnen könnten, bekommen wir auch gemeinsam etwas zustande. Ich würde mich sehr darum bemühen. Ich glaube, alle Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, daß wir auf diesem Feld für unsere Demokratie gemeinsam etwas zustande bringen.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Detlef Kleinert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Schluß war doch recht versöhnlich, Frau Fuchs. Zwischendurch waren einige andere Töne zu hören.
Der Kern der Sache scheint mir in der Frage zu liegen: Wer tut hier eigentlich etwas, und wer läßt etwas? Sie haben mit Ihrem Antrag versucht, über ein höchst empfindliches Gebiet, mit dem Sie sich offenbar erheblich leichter tun als die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., nämlich über das Eigentum, von dem abzulenken, was wir in gemeinsamen Verhandlungen richtig erarbeitet und was Sie dann im wesentlichen übernommen haben. Das freut uns auch. Auch ich will versöhnlich sein. Das können Sie gerne mit übernehmen. Aber in dem Teil, den Sie selbst erfunden haben, ist es nun leider abstrus. An dieser Stelle gibt es keine Möglichkeiten mehr. Da wird die Grenze der Rechtsstaatlichkeit gesprengt. Da benutzen Sie eine Gelegenheit - ich glaube nicht, daß es wirklich so ist - vermuteter emotionaler Bewegungen in der Bevölkerung, um wieder einmal mit Art. 14 des Grundgesetzes zu hantieren, der in Hessen mit sozialdemokratischer Hilfe auch schon einmal ganz anders ausgesehen hat.
Das ist der Punkt, an dem wir nun gar nicht mitgehen wollen. Dies tun wir nicht deswegen, weil wir überhaupt die Idee hätten, über Art. 14 des Grundgesetzes in Ihrem Sinne gäbe es nach der geschichtlichen Entwicklung der letzten 40 Jahre ein Reden, sondern deshalb, weil wir der Meinung sind, dies geht an vorgeordnete rechtsstaatliche Prinzipien. Ich kann nicht beschlagnahmen und nach fünf Jahren, wenn das Unternehmen pleite ist und der Freispruch erfolgt ist, sagen: Es tut mir leid. Der Richter hat zwar gesagt, du bist unschuldig, du kriegst ja auch zurück, was ich beschlagnahmt habe, aber die Firma ist nun leider pleite. Daran können wir nun einmal staatlicherseits nichts ändern. Was kommt es denn auf eine einzelne Firma an, wenn es um den Kampf gegen „lebensunwertes" Kapital geht?
Wenn Sie „bemakeltes" Eigentum sagen, dann meinen Sie ja vielleicht „bemäkeltes" Eigentum. In Hamburg gibt es so angesehene Maklerfirmen, die sehr nützliche und verdienstvolle Geschäfte betreiben, daß ich das Wort „bemakelt" an dieser Stelle für einen Irrtum halten möchte. Es heißt wohl „bemä18164
Detlef Kleinert ({0})
kelt" . Aber nicht alles, was ich bemäkele, kann ich gleich beschlagnahmen,
({1})
und schon gar nicht kann ich mich bei der Beschlagnahme darauf stützen, was irgend jemand später, viel später einmal zu dem Begriff erfindet, was denn wohl „bemäkelt" so ist.
Nein, wir haben eiserne strafprozessuale Grundsätze. Sie sind im Strafprozeß unglaublich viel wichtiger - weil es um die Freiheit des einzelnen im existentiellen Sinne geht - als im Zivilrecht, wo sie wichtig genug sind. Daran kann man nicht dauernd so rumdrehen und das Ganze dann noch so darstellen, als befände man sich gerade auf einem neuen Anflug zu den Höhen der Rechtsstaatlichkeit.
Herr Kollege Kleinert, gestatten sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Meyer?
Ich bitte darum.
Herr Kollege Kleinert, anknüpfend an Ihren Satz, nicht alles, was man bemäkelt, kann man auch gleich beschlagnahmen, möchte ich Sie fragen: Trifft es zu, daß die F.D.P. - gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner CDU/ CSU - eine Sanktion, nämlich die Vermögensstrafe, gegen unsere Stimmen verabschiedet hat, die es sogar zuläßt, Vermögen einzuziehen, dessen legale Herkunft vom Verurteilten bewiesen werden kann,
({0})
so daß die gesamte Kommentarliteratur sagt:
({1})
Hier hat die Regierungskoalition die Verfassung verletzt, und wir wenden das nicht an?
Das trifft zu. Und das trifft deshalb zu, weil das, was wir ins Gesetz geschrieben haben, am Ende eines rechtsförmlichen Verfahrens und nach einer Verurteilung geschieht, während Sie Ihren Vorschlag der Wegnahme des Vermögens an den Beginn eines Verfahrens stellen, bevor irgend etwas erhellt ist, bevor Beweise erhoben sind. Das ist der gravierende Unterschied zwischen den beiden Vorgängen.
So eine Debatte ist ja schön. Wie sollten Sie auch Opposition sein, wenn Sie uns jetzt nicht irgend etwas am Zeuge zu flicken wüßten, aber es fällt Ihnen offenbar nicht so furchtbar viel dazu ein.
Ich sage Ihnen: Am Anfang eines solchen Verfahrens ist es rechtsstaatlich beim besten Willen nicht zu machen, und das, was am Ende auch den Charakter eines Verdachts hat,
({0})
das ist unbehaglich. Aber es ist in der Voraussetzung gedeckt durch das abschließende Urteil nach einem langen und sorgfältigen Strafprozeß. Das ist eine gänzlich andere Voraussetzung.
Wir haben hier von Frau Fuchs auch gehört, in der Zwischenzeit könnten die Leute mit diesem Kapital weiterwirtschaften. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das richtet sich an die sozialdemokratisch regierten Bundesländer: Zwischenzeit. Die Zwischenzeit zwischen dem Beginn der Ermittlungen und dem abschließenden Urteil, das ist die Dauer des Verfahrens.
Wir haben alles, was irgend möglich ist, in einer Zusammenarbeit herausgefunden, die mich nicht nur politisch, sondern auch menschlich sehr erfreut hat, in Gesprächen, die dem Gesetzentwurf zur Verbrechensbekämpfung zwischen CDU/CSU und F.D.P., zwischen Frau Bundesjustizministerin LeutheusserSchnarrenberger und Herrn Bundesinnenminister Kanther vorausgegangen sind. Wir haben nicht etwa gesagt, hier wird abgeblockt - denn wir haben einmal vereinbart, daß es keine wechselnden Mehrheiten geben soll -, sondern wir haben uns zu überzeugen versucht.
({1})
- Ich darf Ihnen Fragen, die mehr in das Persönliche anderer Menschen gehen, aus Gründen, die Sie besser kennen als ich und die Sie auch sonst stringenter verfolgen als ich, nicht beantworten.
Wir alle sind uns in einem Punkte nähergekommen. Es hat hier Gespräche gegeben, in denen die eine oder andere Seite nicht gesagt hat, dann kommen wir leider nicht weiter, sondern in denen gesagt wurde, das hat mich überzeugt; dann lassen wir das, oder dann machen wir es. Das waren Gespräche, wie man sie sich als wirklich guten Parlamentarismus und als guten Stil zwischen Parlament und Regierung vorstellt. Das Ergebnis haben wir heute auf dem Tisch.
Die schiere Verbitterung, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, sollte Sie nicht dazu treiben, an der Sache weiter herumzumäkeln und nun mit Ihrem einzigen nicht von uns vorgetragenen Vorschlag hier kunstvolle Gegensätze aufzureißen,
Herr Kollege Kleinert!
- sondern Sie sollten sich wirklich unseren Ansichten anschließen.
Ich möchte zum Schluß, Herr Präsident, noch eines sagen:
Sie sind schon ein gutes Stück über die Zeit.
Null, null! ({0})
Uns ist bei dieser Gelegenheit bewußt geworden, daß
der 250jährige Kampf der Liberalen für die Rechte der
Bürger gegenüber dem Staat so viel Erfolg gebracht
Detlef Kleinert ({1})
hat, daß inzwischen auch bei Ihnen zahlreiche Liberale vorhanden sind. Ich bestreite das doch nicht; wir sind nicht so eng. Bei uns sind sie nur konzentrierter vorhanden. Auch bei unserem Koalitionspartner sind sie eigentlich vorhanden.
Bitte, Herr Kleinert, Ihre Zeit ist urn.
Am Ende dieses Weges müssen wir einsehen: Das, was Liberale immer gegen den Staat vertreten mußten, müssen wir jetzt, damit Freiheit gewahrt wird, mit dem Staat vertreten. Wir wollen die Freiheit nach all den Erfolgen, die erzielt worden sind, nicht gegen den Staat, sondern wir wollen die Freiheit im Staat. Dazu gehört unsere Politik der Verbrechensbekämpfung.
Ich danke deshalb allen Beteiligten dafür, daß dieser Gesetzentwurf möglich gewesen ist.
({0})
Entschuldigung, Herr Gysi. Bevor ich Ihnen jetzt das Wort erteile, muß ich erst einmal an die Adresse der F.D.P.-Fraktion sagen: Dann muß man halt mehr Redezeit anmelden. Für den Kollegen Kleinert waren sechs Minuten angemeldet. Ich weiß, Herr Kollege Kleinert, daß Sie die Beendigung Ihrer Reden für einen Lustentzug gegenüber dem Haus halten.
({0})
Aber Sie haben acht Minuten geredet. Mein Geschäft hier ist, auf das Einhalten der angemeldeten Zeiten zu achten. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen darum.
({1})
Als nächster hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungsparteien hatten doch zumindest die Absicht, die innere Sicherheit zum Wahlkampfthema schlechthin zu machen. Ich weiß nicht, ob das noch immer so ist. Wenn ich den CDU-Parteitag richtig verstanden habe, ist das etwas ad acta gelegt. Das ist auch gefährlich, weil das oft mit Desinformation und Demagogie verbunden ist.
Die SPD stand natürlich vor einer schwierigen Situation: Entweder sie erklärt sich in dieser Zeit zur Verteidigerin der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, oder sie versucht den Regierungsparteien den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sie von rechts überholt und selbst weitgehende Einschränkungen von Grundrechten zur Bekämpfung der Kriminalität einfordert. Sie hat sich offensichtlich für den zweiten Weg entschieden. Damit gibt es keine große Partei mehr in diesem Haus, die gegen demagogische Begründungen zur Beschränkung oder Beseitigung von Grundrechten aufsteht.
({0})
Natürlich: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Ost und West haben Angst. Das sind ganz verschiedene Ängste. Es ist z. B. die Angst vor Kriminalität, aber es ist auch die Angst vor Arbeitslosigkeit, vor dem Abbau des Sozialstaates, vor einer möglicherweise nicht mehr gegebenen Sicherheit der Renten und vieles andere mehr.
Ängste kann man abbauen, aber man baut sie meines Erachtens nicht dadurch ab, daß man die eine Existenzsorge durch die andere ersetzt und meint, statt sozialer Sicherheit nunmehr innere Sicherheit bieten zu können, die im übrigen bei all den Gesetzesvorschlägen, die hier auf dem Tisch liegen, auch gar nicht herauskommen wird; denn Tatsache ist es schon, daß der Staat ziemlich ohnmächtig der Kriminalität gegenübersteht.
Aber es gibt meines Erachtens fatale Parallelen zur Asyldebatte.
({1})
Verzeihung, Herr Kollege Gysi, darf ich Sie einen Moment unterbrechen?
Daß ein Kollege im Plenum herumläuft und Unterschriften für einen Antrag sammelt, ist in Ordnung, aber damit ist er noch nicht zum Regierungsmitglied avanciert.
({0})
Ich bitte Sie doch, sich auf Ihren Platz zu begeben. Es gibt ja viele Möglichkeiten, für einen Antrag Stimmen zu sammeln, aber dies ist, glaube ich, ein bißchen außerhalb der Fasson.
Wir trennen sonst natürlich auch nicht ganz so scharf zwischen Regierung und Parlament, aber es wäre vielleicht höchste Zeit; das ist wahr.
Ich will noch einmal an die Asyldebatte erinnern, als wir ja auch ganz wenig über die Ursachen der Migrationsbewegungen gesprochen haben und sich vielmehr Regierung und SPD dann dazu entschieden haben, hinsichtlich dieser Ursachen alles beim alten zu belassen, auch die Verantwortung für die Rüstungsindustrie, auch die Weltwirtschaftsstruktur. Nur eben Abschottung gegenüber den Flüchtlingen selbst wurde angeboten und durchgesetzt.
Aber auch bei der Kriminalität geht es in erster Linie darum, gesellschaftliche und soziale Ursachen aufzuzeigen und ihnen zu begegnen. Statt dessen wird hier Rechts- und Demokratieabbau, die Verschmelzung von Polizei und Geheimdiensten angekündigt, und das alles mit dem stehenden Feindbild der organisierten Kriminalität begründet.
Ich weise darauf hin, daß es immer gute Gründe gibt, um Grundrechte einzuschränken. Man kann immer auf den Mißbrauch hinweisen. Es gibt keine Rechte, die nicht auch mißbraucht werden. Ich habe nur meine Zweifel, ob es richtig ist, sie zu beseitigen oder erheblich einzuschränken, um einen Mißbrauch zu verhindern. Das kommt mir immer so ein bißchen
wie der Bademeister vor, der das Ertrinken von Menschen dadurch verhindern will, daß er das Baden verbietet. Aber die Kunst besteht schon darin, das Baden zu erlauben und dennoch durch Aufklärung, durch Rettungsschwimmer und ähnliches das Ertrinken soweit wie möglich unmöglich zu machen, soweit wie möglich zu reduzieren.
({0})
Hier geht es jetzt um eine ganz verschärfte Aushöhlung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien, und zwar der Rechte des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat,
({1})
um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor diesem Staat, um die Aushöhlung bürgerlicher Grundfreiheiten. Es geht um die Privatsphäre, es geht um die Wohnung, es geht um Fragen der Telefonüberwachung, und es geht um Fragen des Eigentumsschutzes, und das ist eine ganze Menge.
({2})
- Und Sie meinen, daraus müßte man lernen, das jetzt fortzusetzen und in der Bundesrepublik einzuführen? Das finde ich auch beachtlich.
({3})
Darf ich das von meiner Redezeit abziehen, Herr Präsident?
Nein.
Eines ist natürlich eine Frechheit. Was erwarten Sie denn? Erwarten Sie im Ernst, daß wir uns hier hinstellen und fordern, daß das eingeführt wird? Das wäre für Sie logisch, das wäre für Sie konsequent? Erwarten Sie nicht im Ernst, daß wir dagegen vorgehen und daß wir vielleicht auch besonders sensibilisiert sind, gerade weil wir solche Methoden kennen?
({0})
- Es ist mir auch egal, ob Sie mir das glauben. Ich bin nicht hier im Bundestag, um Sie zu überzeugen; das ist auch nicht zu schaffen.
Natürlich wird versucht, die verschiedensten Bereiche der Verbrechen hier zusammenzuführen. Wie ich meine, kommt dabei wenig heraus: eine Vermischung, die es dann auch ganz schwierig macht, mit Gesetzen entsprechend darauf zu reagieren.
Fangen wir beim ersten Bereich an. Das ist die Frage der Gewaltstraftaten im rechtsextremistischen Raum, der Kampf gegen Neofaschismus. Hier werden schärfere Gesetze vorgeschlagen. Aber das Problem sind auch hier nicht höhere Strafandrohungen. Das Problem ist hier die Ursachenbekämpfung, ist die Frage, ob es uns gelingt, Jugendlichen eine Perspektive, einen Lebensinhalt zu geben, oder ob es uns nicht gelingt, und darüber hinaus die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze.
Als in Fulda die Nazis marschierten und neonazistische Symbole mit sich herumtrugen, war das bereits verboten, aber es griff niemand ein. Wir können ja gerne den Strafrahmen erhöhen. Damit ist nichts gewonnen. Das Problem ist: Wie setzen wir die Anwendung dieser Gesetze wirklich durch? Dazu ist der politische Wille erforderlich.
Dann gibt es den zweiten Bereich, nämlich alles, was mit rassistischer Gewalt zu tun hat. Hier müßten wir ganz andere Signale setzen. Der Bundestag müßte sich entschließen, mit der ausländerfeindlichen Politik aufzuhören. Wir müßten eben ein Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer schaffen. Wir müßten sie anders in die Gesellschaft integrieren. Dann würde auch ihre Stellung in der Gesellschaft eine andere werden. Das wäre ein viel wirksameres Instrument im Kampf gegen rassistische Gewalt als allein die Straferhöhung.
Der dritte Bereich ist der Bereich der Drogenkriminalität. Hier stoßen doch im Grunde genommen nur unterschiedliche Kulturen aufeinander. Haschisch ist nicht gefährlicher als Alkohol. Aber die eine Droge kennen wir, und die andere ist uns fremd, und deshalb wird so unterschiedlich darauf reagiert. Aber wie beim Prohibitionsverbot erreichen wir mit dem Verbot letztlich nur mehr Kriminalität, nicht weniger.
Wer der Drogenmafia das Geld entziehen will, muß, glaube ich, den Drogenkonsum selbst entkriminalisieren.
({1})
Dazu haben wir gestern einen Antrag eingebracht, dessen Realisierung eine Menge Kriminalität beseitigen würde. Ich sage: Je mehr Sie die sogenannte Drogenkriminalität strafrechtlich verfolgen, desto mehr Kriminalität rufen Sie dadurch erst hervor. Je riskanter es für den Drogenhändler ist, seine Ware an den Kunden zu bringen, desto höher werden die Preise, desto stärker steigen alle Bereiche des illegalen Handels und letztlich auch der Beschaffungskriminalität.
Wir setzen uns dafür ein, Straffreiheit und Legalisierung beim Drogenkonsum herzustellen, denn der Kreislauf zwischen Illegalisierung, Kriminalisierung, Abhängigkeit und sozialer Verelendung muß durchbrochen werden. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag u. a. dazu auf, die sogenannten leichten Drogen zu legalisieren, den Eigenkonsum zu entkriminalisieren und Modelle zur Substitution nach dem erfolgreichen holländischen Modell zu entwikkeln. Die Freigabe von Drogen, ihre Ausgabe und ihr Verkauf über Apotheken ist der wirksamste Kampf gegen die weltweit operierende Drogenmafia; denn diese lebt von der Illegalisierung des Drogenkonsums.
Eine staatlich kontrollierte Freigabe der sogenannten harten Drogen hätte den Vorteil, daß der Drogenmafia Profitmöglichkeiten entzogen werden würden und die Drogenkonsumenten wenigstens einwandfreie und nicht gepanschte Ware bekämen. Die Entkriminalisierung des Eigenkonsums wäre der wirkDr. Gregor Gysi
samste Beitrag zur Entlastung von Polizei und Justiz, zur radikalen Eindämmung der sogenannten Beschaffungskriminalität. Gleichzeitig würde es uns gelingen, durch das dann herstellbare Vertrauensverhältnis die Menschen Schritt für Schritt von der Sucht zu befreien, über die Gefahren von Sucht aufzuklären. Hier müssen Programme entwickelt werden, um - ähnlich wie beim Alkohol - Abhängigkeiten auch medizinisch wirksam begegnen zu können.
Dann komme ich zur sogenannten organisierten Kriminalität. Der geht es um Gewinn und Geld, das ist wahr. Aber Gewinn und Geld sind doch hohe Werte der Regierungskoalition. Sie sollen doch permanent gefördert werden. Das ist doch Sinn und Zweck von Marktwirtschaft. Einige versuchen es nun mit Methoden, die nicht gefallen.
Aber ich sage Ihnen: Die höchste Form der organisierten Kriminalität
({2})
ist für mich der Waffenexport. Die Bundesrepublik nimmt jetzt beim Waffenexport den dritten Platz in der Welt ein. Ich finde es besonders heuchlerisch, erst die Waffen weltweit zu exportieren, um später die Soldaten friedensstiftend hinterherzuschicken. Solange man legal mit Waffen soviel Geld machen kann, wird es auch immer einige Waffenhändler geben, die nicht einsehen, weshalb sie nicht dürfen, was große Konzerne dürfen und womit diese Milliardengewinne machen.
Ich glaube, wenn wir den Waffenexport generell verbieten würden, wäre das ein wirkliches Mittel, ein wirkliches Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität auf dieser Welt.
({3})
Ich füge hinzu: Ich bin davon überzeugt, daß die Instrumente, die sich jetzt auch die SPD ausgedacht hat, letztlich im Kampf gegen die Kriminalität nicht viel erreichen werden. Die Einschränkung von Bürgerrechten bringt meist nichts.
({4})
Und Sie wissen, daß die wirklich großen Kriminellen über ihre Straftaten weder in Wohnungen noch am Telefon reden; das haben sie gar nicht nötig. Nein, hier wird in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eingedrungen, und zwar mit Argumenten, die ich gut kenne - weil es immer Argumente gibt, um Rechte einzuschränken -, die in der Sache wenig bewegen, die nur die Übermacht des Staates im Verhältnis zur einzelnen Bürgerin und zum einzelnen Bürger wesentlich erhöhen.
Lassen Sie mich zum Vorschlag, Vermögen einzuziehen, und damit zum Angriff auf Art. 14 des Grundgesetzes durch die SPD auch etwas sagen.
Herr Kollege Gysi, Sie sind über Ihre Zeit!
Ich bin sofort fertig.
Es geht ja doch nicht nur um die Frage der Sicherung. Sie wollen es einziehen, wenn der Betreffende nicht nachweisen kann, daß er es rechtmäßig erworben hat. Das ist eine Umkehr der Beweislast. Dies stärkt den Staat ungemein und schwächt die Bürgerin und den Bürger. Häufig werden Bürgerinnen und Bürger nicht in der Lage sein - die Regelung soll ja ab einem Vermögen in Höhe von 15 000 DM gelten -, einen zweifelsfreien Nachweis zu führen.
Das halte ich nicht nur für rechtsstaatlich höchst bedenklich, sondern ich glaube, wir werden dadurch auch irrsinnig viel Unrecht erzeugen. Wir werden in 99 Fällen Unrecht erzeugen, in einem Fall mögen wir recht haben. Aber dieser eine Fall rechtfertigt nicht, 99 anderen ihr Eigentum zu entziehen, ohne daß wir einen Nachweis der illegalen Herkunft erbracht haben. Wir haben nur einen Verdacht, und dieser soll ausreichen, um Menschen ihr Eigentum zu entziehen. Ich glaube, zu solchen Zuständen sollten wir auf gar keinen Fall wieder zurückkehren.
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; das meine ich auch. Aber wer sich bei der Gesetzgebung, Frau Ministerin und Herr Minister, von diesem Sprichwort leiten läßt, läuft Gefahr, daß er nicht nur manchem etwas bringt, sondern auch manches durcheinanderbringt, was besser getrennt bliebe.
Vor allem sollte er sich auf eine Frage gefaßt machen: Bringt er das, was auf dem einschlägigen Gebiet das eine Notwendige ist? Bringt er in dem Fall, der Gegenstand der jetzigen Debatte ist, das, was am allerdringendsten gebraucht wird: Führt das vorgeschlagene Gesetzespaket einen Schritt hin zur Erholung und Wiedergesundung einer an Enthumanisierung erkrankten Gesellschaft?
Ich halte es für unerläßlich, den vorliegenden Entwurf an dieser Frage zu messen; denn offenkundig will er ja einen Beitrag dazu leisten, das Gefühl der Ohnmacht gegenüber brutaler Gewalt, das sich unter uns auszubreiten beginnt, durch entschiedenes Handeln der öffentlichen Gewalt zu bekämpfen und neue Zuversicht wachsen zu lassen.
Ohne Zweifel enthält der Entwurf eine Reihe von Elementen, die in diese Richtung weisen und, zielstrebig angewandt, auch Erfolge herbeiführen könnten. Als erstes und Wichtiges sei hier der neue § 46 a in den Strafgesetzbuchänderungen des Art. 1 genannt. Der hier verankerte Täter-Opfer-Ausgleich ist ein von der Strafrechtswissenschaft diskutiertes und auch schon vielfach praktiziertes Kernstück einer schon lange geforderten Modernisierung der Strafjustiz, deren Hilflosigkeit gegenüber dem desolaten Zustand einer von Gewaltexzessen heimgesuchten Gesellschaft ständig beklagt und erörtert wird.
Ich will nicht verschweigen, daß derjenige, der die Diskussionen der Göttinger Initiative auf dem letzten Deutschen Juristentag miterlebt hat, das hier Vorgeschlagene nur als einen ersten, freilich erfreulichen Ansatz bewerten kann. Aber damit bin ich schon bei den Problemen des Entwurfes, auf die ich später eingehen will.
Ebenso möchte ich aber begrüßen, daß der Gesetzgeber mit deutlicherer Strenge in den Strafmaßen bei Völkerverhetzung und Körperverletzung vorgehen will. Es war in der Tat fällig, das Mißverhältnis in den Strafmaßen zwischen Eigentumsdelikten und Delikten der Körperverletzung wenigstens zu mindern.
Die negativen Seiten des vorgelegten Entwurfes beginnen nicht erst mit Art. 4, aber sie haben hier wie in Art. 12 nach meinem Dafürhalten ein besonderes Ausmaß. Gegen die Art und Weise, wie hier in das Verfahrensrecht der Strafprozeßordnung eingegriffen wird, muß protestiert werden - ich hoffe, nicht nur von mir; es geschieht ja auch von anderer Seite. Der scharfen Kritik, die von einer Reihe namhafter - ich sage ausdrücklich: namhafter - Bürgerrechtsorganisationen angemeldet worden ist, kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.
Am ehesten zu reden bereit wäre ich noch über die verfahrensbeschleunigende Wirkung eines länderübergreifenden Verfahrensregisters, auch wenn ich offen gestehen muß, daß meine datenschutzrechtlichen Bedenken gegen § 476 Abs. 5 auch durch das zustimmende Gutachten des Bundesdatenschutzbeauftragten noch nicht ausgeräumt sind.
Viel schlimmer aber ist es um die Regelungsvorschläge bestellt. die uns unter dem Titel der Verfahrensbeschleunigung vorgelegt werden. Nicht nur, daß sie nicht neu sind und darum von vornherein dem Zweifel unterliegen, ob sie heutigen Herausforderungen in wirklich angemessener Weise begegnen können, aber was im Bereich des § 420 mit der Außerkraftsetzung von § 244 Abs. 2 StPO geschieht, das knüpft nun in der Tat an eine Tradition deutscher Rechtsprechung an, die mit gutem Grund zu den übelstbeleumdeten gehört: das Notverordnungsrecht der sich selbst destruierenden Weimarer Demokratie in Gestalt der Notverordnung vom 14. Juni 1932, die dann vom Nazirecht 1936, 1939 und schließlich mit dem Führererlaß vom 21. März 1942 verschärft und überboten worden ist.
Ich unterstelle niemandem in diesem Hause, daß er diese üble Tradition nachträglich kanonisieren will, aber daß faktisch doch an sie angeknüpft wird, ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit und eines Mangels an genuiner legislativer Kraft.
Genau das aber ist der Kern meiner Kritik an dem vorliegenden Entwurf. Weil die Koalition kein Konzept für eine neue Innen- und Rechtspolitik in einer Gesellschaft hat, die - übrigens auf allen Ebenen - von einer Enthumanisierung und barbarischen Brutalisierung gekennzeichnet ist, schnürt sie ein Paket aus den disparatesten Bereichen der Rechtsprechung und überschreibt dieses seltsame Bündel mit einem Namen, bei dem ihr selbst offenbar so wenig wohl ist. daß sie diesen Namen wieder in Klammern gesetzt hat. Denn was soll er nun eigentlich? Sind das Strafgesetzbuch, die Strafprozeßordnung - und die Reihe könnte ja fortgesetzt werden - kein Verbrechensbekämpfungsgesetz, oder will die Koalition dieses so merkwürdig überschriebene Bündel zum Kern der Rechtsprechung überhaupt erklären? Wenn man auf die ausländerrechtlichen Regeln der Art. 2 und 3 blickt, könnte man das fast vermuten.
Ich will auf Einzelheiten nicht eingehen, sondern nur ganz offen bekennen, welche Assoziationen ich beim Durchlesen Ihres Entwurfes gehabt habe.
Auch in meinen Augen ist das Schlepperunwesen ein Unwesen, meine Damen und Herren, aber ich kann es aus meiner Erinnerung beim besten Willen nicht verdrängen, daß die Zeit noch nicht lange zurückliegt, da Fluchthilfe, auch mit Geldzahlungen verbundene Fluchthilfe, in unserem Lande in hohem Ansehen gestanden hat.
({0})
- Ich sage, ich habe Assoziationen, Herr Otto, und sie sind durch Ihren Gesetzentwurf veranlaßt.
Mir fällt die junge Bosnierin ein, die mich in meiner Dresdener Sprechstunde immer wieder um Hilfe für ihre in der Heimat bedrohten Angehörigen bittet, weil ihre Versuche, eine legale Einreise für diese bedrohten Angehörigen zu erlangen, behördlich immer wieder blockiert werden. Wen wundert es, wenn sie eines Tages nicht mehr zu mir oder zum Sozialamt geht, sondern zu jenen Organisationen, deren Kundschaft so lange nicht aussterben wird, wie Menschen keine anderen Auswege als die illegale Fluchthilfe finden?
Das ist die Folge der Praxis einer Justitia, die die Binde der Unparteilichkeit über ihren Augen erst einmal lüpft, um sich den Ausweis zeigen zu lassen, von dem es abhängt, wie das Recht beschaffen ist, das angewandt wird. Dann freilich verbindet sie ihre Augen, und zwar ganz fest, nicht mit der Binde der unparteiischen Gerechtigkeit, sondern mit der einer wirklichkeitsfremden Bürokratie, aus deren Opfern ein nicht geringer Anteil des Verzweiflungspotentials unserer Gesellschaft besteht.
Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren, daß jemand, der jahrelang abgehört worden ist, die Regelungen, die Sie im Bereich des G-10-Gesetzes vorhaben, ohne Protest werde hinnehmen können, nur weil sie von einer Koalition kommen, die ganz gewiß nichts mit jener zu tun hat, die die Wohn- und Konferenzzimmer in der DDR belauschte?
Aber wer die Grenzen zwischen Polizei und Nachrichtendienst verwischt, dessen Demokratieverläßlichkeit ist in meinen Augen nicht mehr klar. Er rückt ebenso ins Zwielicht wie diejenigen, die öffentlich über die Vermischung von Außen- und Innenpolitik philosophieren.
Schon vor Wochen ist vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gezeigt worden, wo die Alternative zu der in diesem Gesetzentwurf dokumentierten Hilflosigkeit zu suchen ist: in einer Modernisierung des Strafrechtes, das an den zutage liegenden Forderungen einer sozial effektiven Prävention und einer strafrechtlich und tatbeständlich präzisen Definition der organisierDr. Wolfgang Ullmann
ten Kriminalität orientiert ist. Zur sozial effektiven Prävention gehört aber auch eine auf Entkriminalisierung zugehende Reform des Drogen- und Betäubungsmittelrechtes, wie es in vielen Gegenden und in manchen Ländern nicht mehr nur diskutiert, sondern praktiziert wird.
Jahrelang schon haben BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Flüchtlings- und Einwanderungsgesetzgebung gefordert. Wer sie verweigert und meint, sie durch ein Abschieberecht ersetzen zu können, darf sich doch nicht wundern, wenn er abermals ein neues, unabsehbares Terrain von Kriminalität eröffnet.
Herr Kollege Ullmann, Sie sind schon ein gutes Stück über Ihre Zeit.
Darf ich aus der dritten Runde ein paar Minuten herübernehmen?
Nein, das ist gegen die Abmachung. Sie haben zehn Minuten in der ersten Runde. Nur noch einen Schlußsatz, bitte.
Es ist der Schlußsatz.
In Hamburg habe ich an einer Wand lesen können: „Deutschland, packen wir's an!". Meine Damen und Herren, nichts gegen Ihren Parteitag, aber ich muß sagen, bei dem von der CDU angepackten Deutschland ist mir nicht so ganz wohl, weil sich dieses Deutschland vielleicht eher gebeutelt als angepackt fühlt.
Herr Kollege, wenn Sie das jetzt nur noch zu Ende führen.
Aber das eine muß ich zu diesem Gesetzentwurf noch sagen: Das Problem, um das es hier geht, haben Sie nicht gepackt.
({0})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Innern Manfred Kanther.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Der Schutz der Bürger vor Kriminalität ist eine ureigene Aufgabe des Staates. Sie muß entschieden wahrgenommen werden, damit das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat erhalten bleibt. Kriminalität in all ihren Erscheinungsformen darf nicht als unabänderlicher Bestandteil unserer Zivilisation hingenommen werden, auch wenn es leider nie eine kriminalitätsfreie Gesellschaft geben wird. Eine Gesellschaft jedoch, in der die Angst vor Straftaten das Lebensgefühl des einzelnen Bürgers mit prägt, ist nicht wirklich frei.
Zu einer Rechtsordnung, die der Bürger als richtig und gerecht empfindet, gehört sowohl die Anwendung des geltenden Rechts als auch die Schaffung neuen Rechts, wenn sich die Gefährdungssituation in der Kriminalitätsszene ändert. Deshalb müssen wir beides leisten: anwenden und kreativ anpassen. Der
Staat darf in seinen Reaktionen der Verbrechensbekämpfung nicht nachhinken.
({0})
Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung, und die Koalition hat mit diesem Gesetz einen Meilenstein in der Kriminalitätsbekämpfung im Bundestag eingebracht. Seine wesentlichen Elemente sind: Strafe soll der Tat möglichst schnell auf dem Fuße folgen. Deshalb wird das beschleunigte Verfahren zum schlagkräftigen Instrument gegen die Kriminalität ausgebaut. Das Haftrecht wird effektiver ausgestaltet, z. B. durch die Erweiterung des Haftgrundes, der Wiederholungsgefahr. Beim Beweisantragsrecht erfolgt insbesondere im Blick auf Großverfahren eine Straffung. Die Strafvorschriften über Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß werden erweitert. Unter Strafe gestellt wird die Verwendung naziähnlicher Symbole. Das Vereinsrecht wird gegenüber dem organisierten Verbrechen verschärft. Die Strafandrohung bei Körperverletzungsdelikten wird erhöht. Schlepperbanden müssen mit wesentlich härteren Strafen rechnen.
Weil Sie, Frau Fuchs, insbesondere die Frage der organisierten Kriminalität angesprochen haben, sage ich Ihnen: Wenn Ihnen da etwas fehlt, können Sie den Entwurf unmöglich gelesen haben. Die Ausweisung ausländischer erwachsener Drogendealer wird zwingend.
({1})
Die Kronzeugenregelung findet auch auf die organisierte Kriminalität Anwendung. Der Anwendungsbereich des Geldwäschestraftatbestandes wird erheblich ausgeweitet, wie es auch Gegenstand Ihres Beitrags war. Zur Eindämmung von Schutzgelderpressung werden härtere Vermögensstrafen eingeführt.
Gerade mit den illegalen Geldströmen wollen wir uns beschäftigen, wenn wir das G-10-Gesetz dahin gehend verändern, daß der Bundesnachrichtendienst das in seine Ohren aufnehmen darf, was im Äther ist, wenn es um Geldwäsche, Falschgeld, Betäubungsmittelkriminalität, Waffenhandel geht. Gerade das wollen wir.
({2})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singer?
Selbstverständlich.
Herr Bundesminister, können Sie für die Kronzeugenregelung, die wir ja schon seit mehreren Jahren im Betäubungsmittelgesetz haben, auch nur einen einzigen Fall nennen, in dem diese Regelung den Strafverfolgungsbehörden geholfen hat?
Ich glaube, daß wir die Kronzeugenregelung noch viel effektiver anwenden können, als es derzeit geschieht.
Das wollen wir in allen Bereichen des organisierten Verbrechens versuchen.
({0})
Daran, daß sie derzeit nicht befriedigend funktioniert, besteht kein Zweifel. Aber das ist doch kein Grund, ihre Verbesserung nicht zu versuchen.
({1})
Ein wesentlicher Punkt ist, die technischen Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung so einzusetzen, wie sie in unserer Zeit gegeben sind. Ich frage mich, wie Sie nach dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen rufen können, aber immer dann, wenn man Ihnen einen praktikablen Vorschlag macht, z. B. mit der G-10-Novelle, erklären, daß Sie das nicht mittun wollen.
({2})
Ich denke mir, daß wir dazu noch einen erweiterten Gesprächsbedarf haben.
Die innere Sicherheit in Deutschland steht auch unter dem Einfluß tiefgreifender Umwälzungen im politischen und sozialen Gefüge im Osten Europas. Die Öffnung der Grenzen hat neben mehr Freiheit und Freizügigkeit auch eine Reihe von problematischen Begleiterscheinungen mit sich gebracht. Straftätern sind neue Operationsräume eröffnet. Die häufig international organisierte grenzüberschreitende Kriminalität hat erheblich zugenommen, wie insbesondere Kraftfahrzeugverschiebungen, Rauschgift- und Falschgeldkriminalität oder das Schlepper- und Schleuserunwesen zeigen. Diese Erscheinungen treffen natürlich auch andere Länder in Westeuropa, aber uns zuerst und vor allem.
Die Grenzsicherung gewinnt damit eine Bedeutung, die weit über das polizeiliche Vorgehen an der Grenze selbst hinausgeht. Grenzsicherheit erfordert ein konzertiertes Vorgehen vieler staatlicher Einrichtungen. Der Bundesgrenzschutz steht hierbei in vorderster Reihe. Das Bundesgrenzschutzgesetz soll novelliert werden, und das gehört in den Kontext der Anstrengungen der Koalition um die Verbesserung der inneren Sicherheit.
Es besteht ein erhöhter Kontrollbedarf an allen Außengrenzen der Schengen-Staaten, die Ostseeküste eingeschlossen. Wir dürfen hier keine Schlupflöcher lassen, die die organisierten Schleuserbanden sofort besetzen würden, um ihre üble Rolle weiter zu perfektionieren. Wir gehen auf Grund gesicherter Erkenntnisse davon aus, daß die überwältigende Mehrzahl der widerrechtlich nach Deutschland gelangten Ausländer von Schleuserringen gelenkt worden ist, die zu 95 % von ausländischen Menschenhändlern gesteuert werden.
Schleusertum ist eine verabscheuenswürdige, gewissenlose Form des Verbrechens.
({3})
Aus blankem Gewinnstreben machen die Schleuser
ihr schmutziges Geschäft mit den Hoffnungen armer
Menschen. Der Schleuserlohn wird von den Organisationen brutal eingetrieben und steuert manches Opfer, das diese Summen in der Regel nicht unmittelbar entrichten kann, zusätzlich in eine besondere Form von Beschaffungskriminalität, die eine Mitursache für die bedrückende Strafstatistik von Ausländern ist, die sich nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Das strafrechtliche Verhalten der eingesessenen in-und ausländischen Bevölkerung ist nahezu gleich. Das muß in diesem Zusammenhang betont werden, um jeden falschen Zungenschlag zu vermeiden.
({4})
Die elektronische Wohnraumüberwachung ist in diesem Gesetzentwurf - ich sage: leider - nicht enthalten. Zu Beginn des Jahres habe ich im Abhörstreit einen Kompromißvorschlag gemacht. Danach soll die elektronische Wohnraumüberwachung auf bestimmte Schwerverbrechen begrenzt werden sowie von einer richterlichen Genehmigung abhängig sein und soll der Staatsanwalt nur in Eilfällen die Anordnungsbefugnis bei nachträglicher richterlicher Genehmigung haben. Die bereits heute möglichen Telefonüberwachungsmaßnahmen könnten in einen solchen Kompromiß, zu dem ich auch heute noch stehe, einbezogen werden.
Ich bin auch für alle weiteren guten Vorschläge offen, die die notwendige gerichtliche und öffentliche Kontrolle der Überwachungsmaßnahmen ebenso gewährleisten wie deren Wirksamkeit gegen das Verbrechen. Dazu hat es ein Einvernehmen in der Koalition noch nicht gegeben. Ich will das nicht vertuschen. Ich setze insoweit auf die täglich wachsende Einsicht in die Notwendigkeit dieser Maßnahme bei unseren politischen Partnern.
({5})
Ich denke, es gehört zu der Grundüberzeugung von uns allen, daß die Bekämpfung der Kriminalität die gemeinsame Aufgabe aller Demokraten in Bund und Ländern ist, und zwar parteiübergreifend. Um im Interesse der Sache voranzukommen, müssen wir dabei auch den Mut zu konstruktiven Kompromissen haben. Es darf sich aber nicht um verwaschene, formelhafte oder gar wirklichkeitsferne Floskeln handeln.
Verehrte Frau Fuchs, ich kann gar nicht begreifen, was Sie gegen private Sicherheitskräfte, die ja in unserem Entwurf auch angesprochen sind, einwenden, auch wenn Sie ein Zahlenverhältnis - wie immer es aussehen mag - anführen. Es gibt doch niemanden in der Republik - die Ihrer Partei angehörenden Innenminister und Finanzminister bevorzugt angesprochen -, der auch nur auf den vagen Einfall kommen könnte, daß die 100 000, 200 000 oder, wie Sie gesagt haben, 270 000 Angehörigen von privaten Sicherheitskräften durch amtliche Polizei ersetzt werden könnten.
({6})
Also leisten sie einen nützlichen Sicherheitsbeitrag, und wir achten darauf, daß die Arbeitsaufnahme und -durchführung in einem zuverlässigen Zulassungsverfahren geschieht. Das ist doch richtige Politik für die innere Sicherheit.
({7})
Herr Bundesminister, der Kollege Hans de With würde Ihnen gerne eine Frage stellen. - Bitte.
Herr Minister Kanther, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir Sozialdemokraten überhaupt nichts dagegen haben, wenn das private Sicherheitsgewerbe unter schärfere Voraussetzungen gestellt wird,
({0})
damit davon nicht das Odium der schwarzen Sheriffs ausgeht? Genau das hat Frau Fuchs gesagt. Und wollen Sie bitte weiterhin zur Kenntnis nehmen, daß unser Zahlenbeispiel mit 280 000 Leuten im privaten Sicherheitsgewerbe gegenüber etwa 250 000 Polizeibeamten nur belegen soll, daß der Staat dem Verbrechen hinterherläuft, daß sich gerade die Reichen, nicht die Armen schützen und daß deswegen das private Sicherheitsgewerbe ins Kraut schießt? Das ist der Punkt, sonst nichts.
({1})
Herr Kollege de With, in allem Freimut: Das Thema ist nicht geeignet, die Ballonmütze aufzusetzen.
({0})
Sie müssen die Ballonmütze mit der Unterscheidung von Reichen und Armen in dem Zusammenhang absetzen. Wenn das private Sicherheitsgewerbe Arbeitsplätze sichert, in vielen Betrieben Werkschutz ausübt,
({1})
dann ist das ein Beitrag für die Arbeitnehmer. Wenn ich dies so sage, ist meine Antwort in etwa so qualifiziert wie Ihre Frage.
({2})
Also bleiben wir doch bitte dabei, das Thema außerordentlich sachlich zu behandeln. Es ist sehr ungeeignet, in festgefahrenen Gräben zu erstarren. Das private Sicherheitsgewerbe kann einen Beitrag leisten. Es kann die Polizei niemals ersetzen.
({3})
Es darf sie nicht bei der Gewaltanwendung ersetzen, weil der Staat ein Gewaltmonopol hat. Deshalb bin ich gegen Bürgerwehren. Aber ich bin nicht dagegen, daß mit Polizeireserven - welcher Art und welchen Modells auch immer - versucht wird, in der Organisationshoheit der Polizei die überforderte Polizei zu entlasten.
({4})
Ich weiß mich dabei einig mit meinen Länder-Innenministerkollegen auch Ihrer Partei.
({5})
Herr Bundesminister, der Kollege Dr. Ullmann möchte eine Zwischenfrage stellen. Herr Dr. Hirsch, Sie auch?
({0}) Also Herr Dr. Ullmann, bitte.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie mir die Frage, wie Sie die Rolle des staatlichen Gewaltmonopols in diesem Zusammenhang sehen, in einem Moment, in dem just die Gefahr besteht, daß die privaten Sicherheitsdienste Aufgaben der Polizei übernehmen.
Aber Herr Kollege, das tun sie doch gerade nicht.
({0})
Ich meine, wir wissen es doch auch alle, daß die Gewaltanwendung, wenn sie einmal durch private Sicherheitsdienste erfolgt, gegründet ist auf Notwehr oder Nothilfe und eben gerade nicht auf Polizeigesetze
({1})
und daß sie so, wie wir sie im Sicherheitsgefüge anordnen, überhaupt nicht vergleichbar ist mit dem Polizeieinsatz. Ich lasse mir da auch nicht ein Problem aufreden, das ich nicht habe, so wie ich, wenn ich Ihre Frage erweitern darf, gleich auf Ihren Redebeitrag eingehend, sagen möchte: Die Verwischung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Zuständigkeiten ist überhaupt nicht unser Ansatz, ist überhaupt nicht der Ansatz des Novellenvorschlags zum G10-Gesetz, sondern die Ohren, die wir in den Nachrichtendiensten haben, sollen gegen das organisierte Verbrechen technisch aufgestellt sein dürfen.
({2})
- Und dann sollen diese Ohren das, was sie gehört haben, an die zuständigen Behörden der Polizei und der übrigen Dienste weitergeben.
({3})
Weitergabe von gewonnenen Kenntnissen, nicht aber
Eingriffsbefugnis für Nachrichtendienste! Ich muß
schon darauf bestehen, daß die Dinge nicht einfach so wahlkampfkonform zueinandergerührt werden,
({4})
sondern in der Sache auseinandergehalten werden.
({5})
Deshalb würde ich jetzt gerne auch fortfahren, Herr Präsident, weil wir bei dem Thema der Praktikabilität von Vorschlägen sind. Ich kann nur mit Vorschlägen etwas anfangen, die auch praktisch wirksam werden können. Das von der SPD vorgeschlagene mehrstufige Genehmigungsverfahren für den Einsatz akustischer Überwachungsmittel in Wohnungen ist angesichts seiner langwierigen bürokratischen Vorgehensweise an Kompliziertheit und Praxisfremdheit nicht mehr zu überbieten.
({6})
Am einfachsten wäre es,
({7})
wenn Sie mir gestatten, es einmal so zu formulieren, wenn Sie von den entsprechenden Verbrechergangs die frühzeitige Anmeldung ihrer Treffs unter Beifügung der Tagesordnung bei der Polizei verlangten. Dann hätten Sie ungefähr die Praktikabilität Ihres Vorschlags erreicht.
({8})
- Es tut mir leid, wie wollen Sie denn bitte Verbrechergangs überwachen, wenn Sie vorher eine Parlamentskommission und anschließend ein Kollegialgericht zusammenrufen wollen, um überhaupt die Überwachung in Gang setzen zu können? Ehe Sie Steine statt Brot geben, lassen Sie es doch besser bei der gegenwärtigen Situation! Ich bin doch ein Vertreter der notwendigen elektronischen Wohnraumüberwachung gegen Gangster, aber doch in einem praktikablen Verfahren, zu Ende gedacht und nicht mit einem solchen Schnellschuß,
({9})
von dem ich behaupte, daß Sie ihn aus der Situation Ihres Parteitages in die in dieser Frage schwierige Situation der Koalition hineinschießen wollten. Das war der einzige Zweck des Manövers.
({10})
Ähnlich ist es mit den Vorschlägen zur vorläufigen Einziehung von Vermögen, das vermutlich aus schweren Straftaten herrührt. Die von der SPD gewollte vorläufige Einziehung von Vermögen allein durch eine Polizeibehörde außerhalb eines Strafverfahrens im Rahmen polizeilicher Gefahrenabwehr ohne jede Beteiligung eines Gerichts widerspricht elementaren Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit.
Ich brauche doch jetzt nicht vorzulesen, was Herr Dr. Meyer zu dem viel weniger wesentlichen Eingriff der Vermögensstrafe vor nur anderthalb Jahren hier für die SPD an grundsätzlichen rechtsstaatlichen Bedenken geäußert hat. Es ist ihm sogar noch ein NS-Vergleich dazu eingefallen, so wesentlich erschien Ihnen das.
({11})
Und heute haben Sie genau die entgegengesetzte Position. Ich finde, es ist geradezu ein verfassungspolitischer Salto mortale: die Einziehung eines gesamten Vermögens allein durch polizeiliche Entscheidung, akustische Beweissicherung hingegen erst nach Genehmigung durch Parlament und Gericht. Hier haben sich kleinste innerparteiliche Nenner der SPD gegenseitig die Hand geführt.
({12})
Es liegt ein Zwischenfragebegehren des Kollegen Dr. Meyer vor.
Bitte.
Herr Minister, ich möchte Sie nicht zu einer Vorlesung bezüglich Äußerungen, die ich vor anderthalb Jahren gemacht habe, animieren.
Die Gefahr besteht dann allerdings.
Aber ich will Ihnen folgende Frage stellen: Ist nicht - wenn wir gemeinsam von der Feststellung auszugehen haben, daß die Vermögensstrafe, gegen die ich mich engagiert gewandt habe, für verfassungswidrig gehalten und in der Gerichtspraxis nicht angewandt wird - eine Prüfung naheliegend, ob man die doch gemeinsam gewollte Gewinnabschöpfung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens mit außerstrafrechtlichen Instrumenten möglich macht? Sind Sie bereit, sich auf diesen Weg der Überlegungen, auf einen neuen Weg zu begeben?
({0})
Ich antworte so sachlich, wie Sie gefragt haben, und zwar mit Dr. Jürgen Meyer ({0}) am 4. Juni 1992:
Aber: Wer nach der Devise „Augen zu und durch" handelt, der übersieht auch, daß viele Staaten des Europarates bereits angekündigt haben - das sind ja wohl Rechtsstaaten -, uns keine Rechtshilfe bei der Durchsetzung der Vermögensstrafe, die sie für rechtsstaatswidrig halten, zu gewähren.
({1})
Dabei ist Vermögensstrafe ein Ansatz im Strafverfahren,
({2})
ist Strafe und nicht Beschlagnahmung durch die Polizei. Sie zahlen auch Ihre Geldstrafe für Trunkenheit aus Ihrem rechtlich unanfechtbar erworbenen Vermögen. Sie zahlen Vermögensstrafe als Strafe und nicht als polizeiliche Maßregel. Deshalb ist die Vermögensstrafe ein Minus gegenüber dem, was Sie jetzt als Mehr vorschlagen. Das, was Sie vor anderthalb Jahren als Bedenken hatten, müßten Sie jetzt doppelt so hoch gegen Ihren eigenen Vorschlag einbringen.
({3})
Wir haben drei moderne Instrumente geschaffen: einen Geldwäschetatbestand, die Vermögensstrafe und den erweiterten Verfall - unterschiedlich in Kraft seit fünfviertel Jahren.
({4})
Daß es dazu noch nicht viel gerichtliche Erfahrungen gibt, ist unbestritten. Aber warum holen wir sie uns nicht erst ein, bevor wir uns auf so glattes und brüchiges Eis begeben wie Sie mit Ihrem Vorschlag zu Art. 14 folgende? Das ist die Frage.
Ich kann gut mit dem Kollegen Otto denken, der hier in seiner Frage eine Überlegung zum Ausdruck gebracht hat. Wenn sich geltendes Recht als nicht hinreichend erweist, dann müssen Gesetze verschärft werden. Es ist doch gerade der wesentliche Ansatz dieses Verbrechensbekämpfungsgesetzes, daß es im Bereich Körperverletzung oder bei Abhörmaßnahmen G 10 oder beim Haftrecht zu anderen Zeiten passendes Recht an unsere Zeit anbindet,
({5})
an unsere Zeit und die Verbrechensphänomene unserer Zeit.
Herr Bundesminister, es gibt einen Fragewunsch des Kollegen de With.
Selbstverständlich.
Herr Minister Kanther, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen - da ich glaube, daß Sie das nicht richtig sehen -, daß sich die Vermögensstrafe - was Herr Kleinert bestätigt hat - auf legal erworbenes Geld beziehen kann, das konfiskatorisch weggenommen wird, wogegen die Bedenken nach dem Grundgesetz bestehen. Sie sieht damit ganz anders aus als unser System, da wir nur sogenanntes bemakeltes Vermögen wegnehmen wollen, also Vermögen, an dem das Verbrechen klebt und von dem das Verbrechen ausgeht. Das ist etwas völlig anderes.
({0})
Herr Kollege, noch einmal und besten Willens: Das, was Frau Kollegin Fuchs „harte Tatsachen" genannt hat, die zu Vermögenseinzug durch die Polizei führen sollen, ist hinreichender Verdacht einer Straftat, und dann wirkt das geltende Beschlagnahmerecht ausreichend.
({0})
Oder es sind keine „harten Tatsachen", und dann ist dies eine mit den Bedenken des Herrn Kollegen Meyer zu versehene, rechtsstaatsmäßig äußerst bedenkliche Maßnahme.
({1})
Das sind die beiden Möglichkeiten, die ich sehe.
({2})
Übrigens bin ich selbstverständlich sehr gespannt darauf, wie Sie sich in der Anhörung und dann in den Ausschußberatungen in die Vielzahl der Vorschläge dieses Gesetzes einbringen werden, zu dem ich feststellen kann, daß Sie sich ja nur zu zwei Punkten äußern. Wir werden sehen, wie es ausgeht, welche Kompromisse möglich sind. Das ist so in Ordnung.
Aber dort, wo unzweifelhaft Wirksamkeit erzielt werden kann, äußern Sie sich entweder nicht oder ablehnend. Das muß das Verfahren dann auch ergeben, ob Sie eben nur ein Wahlkampfei in die Manege rollen wollten oder ob es Ihnen um die Verbesserung der inneren Sicherheit geht. Darum geht es uns. Dabei leben wir nicht in der Vorstellung, daß die Kriminalitätsbekämpfung jemals mit einem gesetzgeberischen Akt abgeschlossen sein könnte. Die geplanten Neufassungen des Bundeskriminalamtsgesetzes, des Bundesgrenzschutzgesetzes und eines Gesetzes zum Ausländerzentralregister werden weitere wichtige Gesetzesvorhaben im Bereich der inneren Sicherheit sein.
Die Koalition beweist mit diesem Paket die Erfüllung ihres Versprechens, die Setzung eines politischen Schwerpunktes in der Verbrechensbekämpfung zu sehen. Und sie beweist gegen alle Unkenrufe ihre Handlungsfähigkeit in diesem wichtigen Feld.
({3})
Natürlich geht die Arbeit weiter. Es gibt keinen Königsweg in der Verbrechensbekämpfung. Wir müssen statt dessen ein Sicherheitskonzept aus vielen einzelnen Bausteinen entwickeln. Deshalb vermisse ich ja auch Ihre Beiträge zu diesen Bausteinen; zwei herausgegriffene zentrale Aspekte reichen da nicht.
Das Gesetz, das wir heute diskutieren, ist von herausragender Bedeutung für die polizeiliche und gerichtliche Arbeit in der Zukunft. Es ist auch geeignet, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und ihr Vertrauen in die Kompetenz des Staates nachhaltig zu fördern.
Mir liegt ein zusätzlicher Aspekt sehr am Herzen. Wirksame Politik für die innere Sicherheit ist stets zugleich der beste Beitrag gegen die vermeintlichen Ordnungsrezepte politisch radikaler Rattenfänger.
({4})
Der effiziente Schutz der Bürger vor Verbrechen ist unentbehrlich für das Ansehen der Demokratie und
die Leistungsfähigkeit unseres politischen Systems. Wir werden unermüdlich an diesem Thema dranbleiben.
Danke.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, und Herr Minister Kanther, der Sie den Versuch gemacht haben, mir eine Ballonmütze aufzusetzen!
({0})
Ich kann Sie von folgender Wahrheit nicht entbinden: daß die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes inzwischen die Kompetenz der Bundesregierung bezweifeln, sie vor der immer schneller wachsenden Kriminalität noch wirksam beschützen zu können.
({1})
Das ist der Grund, weswegen Sie in der Defensive sind, und Sie haben auch allen Grund dazu. Man muß das einmal sagen.
In der Tat war noch nie die Angst der Leute vor Handtaschenräubereien, vor Kraftfahrzeugdiebstählen, vor Hauseinbrüchen, vor Gewaltdelikten so groß wie nach elf Jahren Kohlscher Kanzlerschaft.
({2})
- Reden Sie nicht daran vorbei. Das ist so. Das belegt auch die Statistik. Deswegen sind Sie so nervös.
({3})
Noch nie war auch die Bedrohung, die von der organisierten Kriminalität ausgeht, so groß und so real.
({4})
Herr Kollege de With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Aber gern. Das verlängert meine Redezeit, das ist gut.
Herr Kollege de With, stimmen Sie mit mir überein, daß das Verbrechen an allererster Stelle in den Ländern bekämpft werden muß, weil dort die Polizeien, die Gerichte und die Strafvollzugsanstalten sind?
({0})
Zunächst einmal hat die Bundesregierung eine Führungsaufgabe, und diese kann und muß sie bei den Länderinnenministerkonferenzen geltend machen. Diese Bundesregierung hat das elf Jahre lang verpaßt und ist erst in den letzten fünf Minuten im Superwahljahr aufgewacht. Das ist die Wahrheit!
({0})
Aber ich will einmal schildern, wie es in unserem Land so ist. Da „parken" - wie es ja so schön heißt - Mafiamörder in Bayern - es ist unbestritten, Herr Innenminister Beckstein; dafür können Sie nichts, aber es ist so -; es kassieren chinesische Erpresser-banden unter Androhung von Gewalttaten bis hin zum Mord Schutzgelder; es werden - es ist seit zwei Jahren so - Kraftfahrzeuge im Wert von mehr als einer Milliarde DM pro Jahr verschoben, meistens in den Osten. Planmäßig werden die Drogenmärkte bei uns mit Millionengewinnen aufgeteilt. Das geht einher mit einer überall spürbaren Beschaffungskriminalität.
Was geschieht? Jetzt kommen Sie überhastet erst mit Ihrem Programm und dann mit diesem schnell und hastig zusammengezimmerten Gesetzesbündel im Superwahljahr.
({1})
Die Begründung ist erst vor wenigen Tagen eingegangen, und die Länder waren überhaupt nicht beteiligt, weil sie gar keine Zeit mehr hatten. Es ging eben so hastig.
({2})
Ich räume ein - das steht außer Zweifel -, daß sich in diesem Sammelsurium - ich nenne es einmal so - natürlich auch viele vernünftige Gedanken und Vorschläge finden. Nur - auch das ist wahr -, die haben wir Sozialdemokraten schon längst gefordert.
({3})
- Ich nenne sie, zuerst den Täter-Opfer-Ausgleich. Lesen Sie unsere Anträge und unsere Große Anfrage. Ich nenne die Anhebung der Strafrahmen bei Körperverletzungsdelikten; wir sagen: schlechthin bei Gewaltdelikten. Unser Antrag liegt seit geraumer Zeit vor.
({4})
Es gibt einen Antrag aus dem Bundesrat, von einem sozialdemokratischen Land initiiert, mit dem Ziel, daß neonazistische Kennzeichen besser bekämpft werden, damit wir besser zugreifen können, wenn es um Volksverhetzung geht. Das lag alles vor, bevor das kam, was Sie jetzt vorschlagen.
Herr Kollege de With, die Kollegin Steinbach würde gern eine Frage stellen.
Aber gerne.
Herr Kollege de With, mit Worten sind Sie hier sehr markig, aber anders sieht es dort aus, wo Sie das Tun vor Ort in der Hand haben. Ich frage Sie: Was halten Sie denn davon, wenn eine SPD-GRÜN-geführte Landesregierung wie in Hessen das Sicherheitsbedürfnis dadurch stärken will, daß
Polizisten jetzt Namensschilder tragen müssen, damit sie auch ja von den Verbrechern rechtzeitig wiedererkannt und unter Druck gesetzt werden können?
({0})
Zunächst waren es die Hessen, als Sozialdemokraten und GRÜNE dort mit ihrer Regierungstätigkeit begannen, die die Zahl der Planstellen der Polizeibeamten erhöht haben. Genau das tun jetzt die Niedersachsen.
Zum zweiten. Es gehört zum Bürgerrecht, daß der Normalbürger weiß, welcher Schutzmann ihn beschützt. Davor muß sich kein redlicher Schutzbeamter fürchten. Das hat nichts mit mangelnder Verbrechensbekämpfung zu tun, aber etwas mit verbesserter Rechtsstaatlichkeit.
({0})
Aber lassen Sie mich fortfahren: Wir räumen natürlich auch ein, daß über die Hafterfordernisse bei Serienstraftätern geredet werden muß.
Frau Ministerin, Sie erinnern sich, das habe ich zweimal während der Beratungen zum Haushalt 1994 gesagt.
Ich füge hinzu: Natürlich war es die Bundesregierung, die jetzt zum G-10-Gesetz einen Vorschlag unterbreitet hat, aber - ich bin ja, wie Sie wissen, Vorsitzender des G-10-Gremiums - wir, einschließlich der Sozialdemokraten, haben seit mehr als einem Jahr gefordert, daß Sie dies vorlegen. Da war die Bundesregierung säumig.
({1})
Selbstredend sind wir Sozialdemokraten der Meinung, daß es nicht angängig ist, daß z. B. nach geltendem Recht und nach dem Kinkel-Erlaß der Bundesnachrichtendienst zur Zeit eine Meldung, die man aus dem Satellitenfunk, aus dem Äther holt, vernichten muß, obwohl diese z. B. Hinweise darauf gibt, daß aus Deutschland eine Giftgasfabrik in ein nordafrikanisches Land geliefert werden soll, und daß wir es uns dann gefallen lassen müssen, daß in den Vereinigten Staaten in der „New York Times" jemand fragt, wo denn die Deutschen mit der Strafverfolgung bleiben. Dazu haben wir immer gesagt: Das muß ein Ende haben. Solche Möglichkeiten müssen wir nutzen. Das geht so nicht an.
({2})
Nur - auch das sage ich -, man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, man darf nicht übertreiben.
({3})
Wenn ich Ihren Entwurf sehe, stelle ich fest: Da haben Sie deutlich zuviel des Guten getan.
({4})
Er ist immer noch besser als Ihr vorangegangener
Entwurf. Ich nenne nur ein Beispiel. Über den § 3 a der
neuen Gesetzesvorlage zur Änderung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, wenn sie gemäß § 100a der Strafprozeßordnung abgehört hat - das sind im Jahr mehr als 3 000, beinahe 4 000 Fälle -, den Bundesnachrichtendienst zu bitten, tätig zu werden, also den Bundesnachrichtendienst - ich sage es einmal ganz vorsichtig - indirekt zum Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zu machen.
({5})
Das wollen wir so nicht. Hier muß es bei einer sauberen Trennung bleiben. Ich glaube, da sind Sie über das Ziel hinausgeschossen. Ich meine, Sie sollten einräumen, daß wir darüber noch einmal beraten müssen.
Herr Kollege de With, jetzt würde Sie gern der Kollege Hirsch etwas fragen.
Aber gerne.
Herr Kollege, ich räume ja ein, daß wir mit dieser Klausel in einen Grenzbereich vorstoßen. Das ist richtig. Aber müssen Sie nicht einräumen, daß in diesem Fall die Maßnahme des Einschaltens des Ohrs des BND zum einen unter der vollen richterlichen Kontrolle steht und zum anderen, daß die Alternative doch nur die wäre, daß man beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden genau dieselbe technische Einrichtung hinstellen müßte,
({0})
so daß es in Wirklichkeit nur darauf ankommt, zu erreichen, daß die Informationen, die auf diese Weise erlangt werden, und zwar in legaler und verfassungsmäßiger Weise, getrennt bleiben und nicht zu anderen Zwecken mißbraucht werden? Ist das nicht der Kern des Problems?
Herr Kollege Hirsch, ich verstehe ja, daß Sie sich hier ein wenig verteidigen müssen. Ich glaube auch, daß durch Sie ein paar Sicherheitskriterien hinzugekommen sind. Nur, an zwei Dingen kommen Sie nicht vorbei: Wenn das geltende Recht so verändert wird, wie Sie es vorschlagen, besteht die Möglichkeit, daß tausende von Anträgen an den Bundesnachrichtendienst kommen, weil es etwa 3 700 Abhörungen gemäß der Strafprozeßordnung gibt, so daß dieses Amt - auch wenn Sie sagen, es müsse herausgelöst werden - im Kern zum Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft wird. Das wollen wir nicht.
Sie wissen genauso gut wie ich - und ich bin der Vorsitzende des G-10-Gremiums -, daß dort das Individualabhören - und was Sie hier wollen, ist Individualabhörung - zur Zeit, wie ich schon ein paarmal gesagt habe, deutlich unter Hundert liegt, weil es so sorgfältig abgeklärt ist und mehrere Kanäle durchlaufen muß.
({0})
Ich meine, Sie wollen doch genauso wenig wie wir, daß hier etwas ins Kraut schießt, so daß der Bürger Angst bekommt. Was wir beide wollen und wonach wir streben müssen, ist, daß wir ein Mittelmaß erreichen. Ich sage nur, Sie haben hier für meine Begriffe überzogen.
({1})
Was Sie nicht vorgeschlagen haben - das habe ich auch schon ein paarmal gerügt -, ist folgendes: Das G-10-Gremium - das ist das Gremium, das Sie dann angehen - sollte die Möglichkeit bekommen, der Öffentlichkeit Berichte zu geben oder mit Zweidrittelmehrheit offenzulegen, was in einem Einzelfall vorliegt. Es darf nicht mehr länger im Dunkeln bleiben, was über das Ohr des BND geht und was das G10-Gremium kontrolliert. Warum schlagen Sie das nicht vor? Wir werden das vorschlagen.
Wir finden natürlich bei den Regierungsfraktionen auch Vorschläge, die wir überhaupt nicht akzeptieren können. Es ist schon darauf hingewiesen worden. Ich weise noch einmal auf die unselige Kronzeugenregelung hin, die überhaupt nichts gebracht hat, bestenfalls Verwirrung.
({2})
Daneben weise ich auf das sogenannte Beschleunigungsverfahren hin, bei dem Sie jetzt bis zu einer Woche verhaften können. Das Übrige will ich nicht bringen. Ich denke, das muß wirklich entschärft werden.
Aber, und das ist unser wichtigster Punkt: Vor allem finden wir bei Ihnen wesentliche Punkte nicht, offensichtlich weil sich Union und F.D.P. nicht einigen konnten und der Regierung die Durchsetzungskraft gefehlt hat. Herr Minister Kanther hat es im Kern sogar indirekt zugegeben, indem er es bedauerte.
Da ist einmal die Reform des Betäubungsmittelrechts. Wo ist sie denn? Dazu können Sie sich nicht aufraffen. Wir haben unsere Vorschläge schon diesem Bundestag vorgelegt.
({3})
Da ist zum zweiten das, was bei unseren Vorhaben im Vermittlungsausschuß zur Geldwäsche liegengeblieben ist. Das haben wir aufgegriffen. Das finden Sie in unserer Gesetzesvorlage.
Da ist schließlich die Position, die man fälschlicherweise großen Lauschangriff nennt. Herr Minister Kanther, ich räume Ihnen ein: Man kann darüber streiten, wie man das ausgestaltet. Aber wir müssen es doch anpacken. Wir können doch den Kriminellsten der Kriminellen keine Freiräume lassen, ganz offenkundige Freiräume. Was denkt denn dann der normale Mensch auf der Straße?
({4})
Ich sage, wir müssen auch den Versuch unternehmen - und wir haben es gewagt, dieses Eisen anzufassen -, inkriminiertes Vermögen, das den Makel auf der Stirn trägt, aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wegzunehmen. Ich werde noch ausführen, wie wir es uns vorstellen, weil ich glaube, daß Sie unseren Antrag noch nicht wirklich sorgfältig gelesen haben.
({5})
Ich sage jetzt schon: Wir sind auch hier für jeden Verbesserungsvorschlag dankbar; nur, anpacken muß man es. Der Mut fehlt bei Ihnen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle wissen, was organisierte Kriminalität bedeutet und besonders dieser das Geld: nicht nur die Finanzierung von Heroin-Deals im großen Stil, nicht nur das Aufrechterhalten einer Werkstätte zum Umfrisieren von gestohlenen Kraftfahrzeugen und der Herstellung gefälschter Papiere, nein, es dient auch der Zahlung von Schweigegeldern, der Unterhaltung von Schlägerbanden und Killern
({7})
und dem Einkaufen bei Industrie und Banken, ja
- und ich drücke es relativ vorsichtig aus - dem Versuch, sich bei der Verwaltung, bei der Justiz und letztlich auch beim Staat einzunisten.
In Italien ist das nicht nur eine Gefahr gewesen. Dort ist es leider Wirklichkeit. Das betrifft nicht nur einige wenige Wohlhabende - nein, es betrifft dort sehr viele, und es bedrückt dort alle. Warum sind denn in Italien ganz spontan mehrmals Hunderttausende auf die Straße gegangen? Weil sie es für unerträglich hielten.
Deswegen müssen wir den Mut haben, ein bißchen
- ich sage das einmal ganz platt - schärfer heranzugehen.
({8})
Unser Vermögenseinziehungsgesetz unterbreitet hier einen solchen Vorschlag. Wie sieht er aus? Er ist zweispurig.
({9})
- Hören Sie doch einmal gut zu, Herr Geis.
({10})
- Eben nicht.
Wir wollen im ersten Gang eine sogenannte Sicherstellung, die im Kern der Beschlagnahme entspricht, die wir jetzt schon haben. Diese Sicherstellung läuft aber automatisch nach sechs Monaten aus. Das heißt: Sie verlängert sich auch gar nicht automatisch. Die Sicherstellung ist nur möglich, wenn auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte die Vermutung besteht, daß hier eine Straftat aus dem Bereich der Schwerstkriminalität vorliegt, nämlich der organisierten Kriminalität. Aus diesem Geld, aus diesem Vermögen muß auch eine Gefahr ausgehen. Schließlich gibt es bei uns dazu noch eine Bagatellgrenze von 15 000 DM.
In diesen sechs Monaten soll die Polizei die Möglichkeit haben, das zweite Verfahren vorzubereiten, in dem endgültig eingezogen wird. Das kann aber nur sein, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit auf Grund hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte besteht,
daß es sich hier um inkriminiertes Geld handelt. Wiederum muß hiervon eine Gefahr schlechthin ausgehen. Wiederum muß deutlich sein, daß das entweder Geld aus der organisierten Kriminalität oder Geld ist, das der organisierten Kriminalität dient.
Hinzu kommt, daß im ersten Fall die Möglichkeit des Widerspruchs beim Landgericht gegeben ist und im zweiten Fall, gewissermaßen im Hauptsacheverfahren, die Möglichkeit, sich über das Landgericht bis hin zum Bundesgerichtshof durchzuprozessieren.
({11})
Der Normalbürger wird doch wissen, wenn er mehr als 15 000 DM auf der Bank hat oder ein Häuschen besitzt, wie er das finanziert hat. Es ist nicht erf orderlich, daß er beweist, wo das herkommt, es reicht aus, daß er der Vermutung widerspricht, indem er die Vermutung erschüttert. Schon ist die Sache klar.
Jeder anständige Normalbürger in der Bundesrepublik, der seine Steuern zahlt, wird sagen können, woher seine Zinsen, woher - das sage ich auch in aller Deutlichkeit - nicht nur sein Häuschen, sein Auto, auch seine Papiere kommen, wenn er sie ordnungsgemäß versteuert. Also: Eine Gefahr besteht nicht.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burkhard Hirsch zu beantworten?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr de With, wenn Sie schon den § 2 Ihres Gesetzes zitieren, sind Sie dann nicht auch so liebenswürdig, Ihren Zuhörern mitzuteilen, daß nach dieser Vorschrift die Einziehung nicht durch einen Richter erfolgt, sondern durch die Polizei, und daß es nicht einmal einer vorherigen Anhörung des Betroffenen bedarf?
({0})
Ich darf antworten. Was die Sicherstellung anlangt, ist es klar, daß wir als kompetente Behörde das Bundeskriminalamt oder die Landeskriminalämter ansehen - nicht etwa den Polizisten von der kleinen Polizeistation. Dagegen kann aber der Richter angerufen werden.
Warum ist der schnelle Zugriff erforderlich? Ganz einfach deswegen, damit der Betroffene, wenn er Lunte riecht, nicht schnell mit seiner Million „abdampfen" kann - etwa nach Luxemburg, einem Land, das ja jeder kennt, einem Land, wohin Gelder verschwinden.
Im zweiten Verfahren besteht dann die Möglichkeit, dies festzumachen. Deswegen das zweispurige Verfahren. Ich kann nicht einsehen, warum aus diesem zweispurigen Verfahren eine Gefahr herrühren kann.
({0})
Ich sage noch einmal: Jeder ordentliche Mensch kann nachweisen oder zumindest belegen, woher sein Geld kommt, und damit der Vermutung widersprechen.
Auch der Abgeordnete Geis möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Geis.
Bitte schön.
Herr Kollege de With, Ihr Gesetzesvorschlag sieht vor, daß die Tat selbst, aus der ein solches Vermögen eventuell stammt, nicht bewiesen sein muß. Sind Sie mit mir nicht einer Meinung, daß Sie, nachdem diese Voraussetzung fehlt, durch die Einziehung und die vorläufige Beschlagnahme jemanden bestrafen, bei dem noch gar nicht erwiesen ist, daß er sich überhaupt strafbar gemacht hat, und sind Sie mit mir der Meinung, daß insoweit gegen den verfassungsmäßigen Grundsatz in dubio pro reo verstoßen wird?
Bin ich überhaupt nicht. Unser System lebt davon, daß es von der persönlichen Verurteilung des Täters losgelöst ist. Beinahe dasselbe machen bei dem erweiterten Verfall auch Sie. Das, was wir machen, hat ein Vorbild in den Vereinigten Staaten, wo es schon seit Jahren praktiziert wird. Sie werden doch wohl nicht behaupten wollen, daß die Vereinigten Staaten kein Rechtsstaatssystem sind, und Sie werden doch wohl auch nicht behaupten wollen, daß das von vielen als kapitalistisch geziehene Land drüben das Eigentum nicht beachtet und bewahrt.
({0})
Wenn die das können, dann, denke ich, werden auch wir das können. Ich meine, Herr Kollege Geis, wir sollten an dieses System nicht mit ideologischen Scheuklappen herangehen.
({1})
Ich fordere Sie auf - alle im Land sind aufgerufen -, Ihren Geist dazu herzugeben, daß wir zu einem für alle befriedigenden rechtsstaatlichen Verfahren kommen. Aber in der derzeitigen Situation mit Ihrer Vermögensstrafe und mit Ihrem erweiterten Verfahren - das gilt schon anderthalb Jahre - ist, ich sage es so, überhaupt kein Staat zu machen. Deswegen brauchen wir neue Instrumente.
({2})
Eine weitere Zusatzfrage von Herrn Geis.
Herr de With, stimmen Sie mir darin zu, daß das, was Sie eben erläutert haben, im Strafprozeßrecht bereits insofern enthalten ist, als wir das objektive Verfahren haben, nach dem
es möglich ist, Vermögen dann einzuziehen, wenn der Täter nicht verurteilt worden ist, weil er beispielsweise flüchtig oder gar nicht da ist? Dennoch muß jeweils die Tat als solche nachgewiesen sein. Das, was Sie wollen, haben wir schon.
({0})
Das haben wir nur zum Teil. Natürlich kenne ich das objektive Verfahren. Ich war lange genug Richter und Staatsanwalt. Aber Sie werden mir doch zugestehen, daß vom objektiven Verfahren in der Praxis so gut wie nie Gebrauch gemacht wird.
({0})
Ein Hindernis ist eben auch, daß im Hintergrund steht, daß jemand eine Tat begangen haben muß und hierzu nach Beweisen gesucht wird. Wir wollen das losgelöst von der Tat und wollen deswegen aus Sicherheitsgründen das zweispurige Verfahren.
Es gibt einen Unterschied, den man mit ein paar lateinischen Vokabeln benennen kann. Ich nenne sie, weil ich danach gefragt werde. Das, was wir bisher als Instrument in das Strafgesetzbuch hineinzusetzen versucht haben, lebt von der Regel ad personam, es klebt an der Person. Wir wollen ein Verfahren, wie es im Jargon so schön heißt, ad rem, das allein auf die Sache bezogen ist. Das macht den Unterschied. Ich hoffe nicht, daß Ihnen Neuigkeiten schlechthin Schwierigkeiten bereiten. Ich hoffe aber auch, daß Sie irgendwann einsehen, daß dieser Weg im Kern doch der richtige ist.
({1})
Was die Überwachung des gesprochenen Worts mit technischen Mitteln anlangt, habe ich das Erf orderli-che schon gesagt. Ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß die Koalition hier eben nicht die Kraft hat, sich bei einem, wie ich meine, wirklich sehr wichtigen Instrument, das viele andere Rechtsstaatsländer haben, nur wir nicht, zu einigen. Es kann bei uns zu Teilen angewendet werden, wenn es um die Prävention geht, aber nicht, wenn es um die Repression geht. Mir soll einmal einer erzählen, wie man in einem praktischen Fall wirklich zwischen der Vorbeugung und der Strafverfolgung unterscheiden kann. Wenn Sie nichts regeln, dann besteht die Gefahr, daß unsere Polizei, weil sie die Täter sucht, einfach das Schild der Vorbeugung nimmt, um der Täter habhaft zu werden. Ich weiß, daß es in der F.D.P. viele gibt, die unserer Meinung sind. Ich hoffe nur, daß dies endlich die Mehrheit wird, damit wir recht bald zu einer vernünftigen Regelung kommen.
Was - auch das sage ich - die sogenannten Restanten aus dem Bereich der Bekämpfung der Geldwäsche anlangt, wissen wir alle, was im Vermittlungsausschuß übriggeblieben ist; ich habe es erwähnt. Wir wollen zusätzlich, daß bei der Geldwäsche schon bei normaler Fahrlässigkeit zugegriffen werden kann, nicht erst bei der groben. Wir wollen, daß der Schwellenwert von 20 000 auf 15 000 herabgesetzt werden kann, was nicht einmal den amerikanischen Vorgaben entspricht.
({2})
Und wir wollen, daß auch die Bankfilialen im Ausland, z. B. in Luxemburg, eingebunden werden, weil sonst alles außer Landes flüchtet und dort dann dasselbe passiert, was wir gerade angreifen wollen.
Und wir wollen auch, daß eine Schadenersatzpflicht eingeführt wird für die Institutionen, für die Banken und die, die es angeht, wenn sie etwas - aus welchen Gründen auch immer - leichtfertig vertun.
All das sind Vorschläge, die liegengeblieben sind, die Sie aber nicht gewagt haben anzupacken.
Ich meine, wenn wir mit der Bekämpfung der Großkriminalität wirklich Ernst machen wollen, müssen wir auch den weiteren Schritt wagen, den wir hier vorschlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich bilanziere, komme ich nicht umhin feststellen zu müssen: Die Regierungsparteien haben in elf Jahren ihre Kohle verbrannt, und sie sind nicht mehr in der Lage, heiße Eisen anzupacken. Das ist die Wahrheit!
({3})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Erwin Marschewski.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Hans de With, Politik beginnt bekanntlich mit dem Betrachten der Realität.
({0})
Und die Bekämpfung von organisierter Kriminalität, von Radikalismus, von Massenkriminalität hat bei uns Priorität; denn Sie wissen ja, es ist nicht einmal zwei Jahre her, daß das letzte große Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in Kraft getreten ist. Und es ist nicht einmal ein Vierteljahr her, seit das Geldwäschegesetz im Bundesgesetzblatt steht. Wir wissen, meine Damen und Herren, nur wenn wir uns entschlossen gegen die Bedrohung der inneren Sicherheit zur Wehr setzen, können wir den Kriminellen das Handwerk legen, und nur dann werden wir dem Postulat einer wehrhaften Demokratie in jeder Hinsicht gerecht, meine Damen und Herren.
({1})
- Sie wollen ja etwas hören, Herr Kollege, ich frage Sie jetzt einmal, gerade Sie da vorne: Was haben Sie denn in dieser Zeit getan? Sie haben bei dem Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität nein gesagt! Sie haben Ihre Zustimmung verweigert!
({2})
Ich kenne Ihre Argumente, ich habe sie nachgelesen.
Sie haben gesagt, da würde nun letztes Endes die
Statik des Rechtsstaates erschüttert, meine Damen
und Herren. Und Sie haben gesagt, das sei alles verfassungswidrig, was sich übrigens als falsch herausgestellt hat. Und Sie haben weiter gesagt, meine Damen und Herren von der SPD, unsere Initiative, die wir eingebracht haben, entspringe einem Law-andorder-Denken, und deswegen sei dies abzulehnen.
Meine Damen und Herren, meine Position dazu: Ich persönlich bin - richtig verstanden - für Law and order, für Recht und Gesetz; denn Sie sind Notwendigkeiten zum Schutz der Freiheit, zum ordentlichen Zusammenleben, und sie dienen letztes Endes dem Schutz der Schwächeren, meine Damen und Herren. Sie haben ausschließlich nein gesagt - ich wiederhole das - zu diesen wesentlichen Vorhaben der Koalition.
({3})
Und deswegen, meine Damen und Herren, wiederhole ich noch einmal, Sie haben ausdrücklich nein gesagt. Das war leider so. Ich weiß, daß es schmerzt, dies zu sagen.
Und deswegen, meine Damen und Herren, legen wir als dritten Schritt unser Gesetz zur Bekämpfung des Verbrechens, das sogenannte Verbrechensbekämpfungsgesetz vor, weil wir meinen, das derzeitige Recht reiche nicht aus, und weil insbesondere die wachsende organisierte Kriminalität dies erfordert und weil der Bürger zu Recht erwartet, daß der Staat alles daran setzt, Gewalt und Kriminalität noch nachhaltiger zu bekämpfen. Das werden wir tun, meine Damen und Herren.
Wir können - das wissen Sie - nur den gesetzlichen Rahmen setzen, weil wir nur für Strafrecht und für Strafprozeßrecht zuständig sind.
Ein Problem ist: Uns fehlen Polizeibeamte. Für die Polizei und den Mangel an Polizeibeamten sind die Länder verantwortlich: Herr Scharping in Rheinland-Pfalz, Herr Schröder in Niedersachsen und Herr Rau in Nordrhein-Westfalen. Das ist die Realität.
({4})
Deswegen wollen wir den Bundesnachrichtendienst in die Bekämpfung des organisierten Verbrechens einbeziehen.
Was war bisher? Bisher war es nur möglich, im Wege der strategischen Kontrolle, d. h. zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs auf Deutschland, den Bundesnachrichtendienst einzusetzen.
({5})
- Ich möchte weiterreden; ich bitte um Entschuldigung.
Da gab es folgendes Phänomen: Wir hatten Zufallsfunde. Wir konnten über den Bundesnachrichtendienst feststellen, daß irgend jemand organisiertes Verbrechen betreibt, daß jemand Menschenhandel betreibt, daß jemand in großem Maße mit Rauschgift handelt. Wir mußten diese Erkenntnisse in den Papierkorb werfen.
Es kann doch nicht sein, Frau Kollegin Fuchs, daß Sie sich ganz bewußt blind machen. Es kann doch nicht sein, daß ich in einem Rechtsstaat Erkenntnisse habe und diese nicht verwerten darf, weil die SPD das nicht will. Das ist falsch.
({6})
- Nein, Frau Kollegin. Ich komme gleich dazu; ich verstehe ein bißchen davon. Vielleicht wäre es doch für Sie interessant, einmal zuzuhören.
Der Abgeordnete Penner möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Herr Kollege Penner.
Herr Kollege Marschewski, Sie haben vorhin zu Recht darauf hingewiesen, daß es ein Hindernis gegeben habe, Zufallserkenntnisse, die dem BND zugänglich gemacht worden waren, zu verwerten. Was war denn das Hindernis? Würden Sie das bitte dem Plenum erzählen?
Ich habe Ihnen gesagt, es gibt und gab nur die Möglichkeit der Verwertung im Wege der strategischen Kontrolle, Herr Kollege Dr. Penner. Unser Problem ist, daß es bei wesentlichen Ereignissen der Betäubungsmittelkriminalität, der Kriegswaffenkriminalität keine Möglichkeit gab, diese Erkenntnisse zu verwerten. Ich sage Ihnen - das wissen Sie doch genausogut wie ich -: Rabta wäre doch verhindert worden, wenn wir diese Erkenntnisse hätten verwerten können. Das ist die Problematik; dies wollen wir ändern. Deswegen benötigen wir den Einsatz des Bundesnachrichtendienstes bei der Verbrechensbekämpfung.
Wir wollen dies erweitern. Es kann doch nicht sein, Frau Kollegin Fuchs, daß die entsprechenden Einrichtungen beim Bundesnachrichtendienst vorhanden sind und daß ich in die Lage versetzt werden kann, über Terrorismus etwas zu erfahren, über Waffen- und Kriegswaffenkriminalität etwas zu erfahren, über Betäubungsmittel etwas zu erfahren, über Geldfälschung etwas zu erfahren, daß ich dies aber - ich wiederhole - in den Papierkorb werfen muß. Die Verbrecher müssen doch über unsere juristischen Verwertungsverbote lachen. Diese Leute, die skrupellos unsere Kinder in die Drogensucht treiben, die Mord auf Bestellung verüben und die im Grunde durch die Lieferung von Kriegs- und Atommaterial unermeßliche Gefährdungen verursachen, müssen lachen über diese Diskussion. Deswegen wollen wir den Bundesnachrichtendienst
({0})
- Frau Kollegin Fuchs, da unterscheiden wir uns - zur Bekämpfung des Verbrechens einsetzen.
({1})
Ein zweiter wichtiger Punkt - weil Sie sich so aufregen: da sind wir einer Meinung -: Sie haben gesagt - ich wiederhole das und bin völlig Ihrer Auffassung -, Verbrechensantrieb sei der Verbrechensgewinn - das ist keine Frage -- und sei vor allen
Dingen die zu seiner Sicherung dienende Geldwäsche. Deswegen bin ich insbesondere dem Koalitionspartner, der F.D.P., sehr dankbar, daß er meinem persönlichen Anliegen - Herr Dr. Hirsch - gefolgt ist, den Tatbestand des § 261 um Geldfälschungsdelikte, Unterschlagung, Betrug, Untreue und Urkundendelikte entsprechend zu erweitern. Dies dient auch der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, aber dies dient auch insbesondere der Bekämpfung der Regierangs- und Vereinigungskriminalität, einer der drückendsten Hinterlassenschaften der SED-Diktatur in Deutschland.
Meine Damen und Herren, wir können und wollen nicht zulassen, daß die Bonzen der Regierangs- und Vereinigungskriminalität das Geld, das sie durch ihre Untaten beiseite geschafft haben, gefahrlos und rechtmäßig waschen können, nur weil der Tatbestand des Geldwäscheparagraphen 261 zu eng ist. Das wollen wir verhindern.
Ich lese davon wie von vielen Dingen nichts in Ihrem Entwurf.
({2})
In einem Punkt, Herr Kollege de With, sind wir einig. Wir müssen z. B. auf Luxemburg einwirken, natürlich die EG-Richtlinien zu beachten, aber ich fordere mehr. Ich fordere, daß die EG-Richtlinie auch in bezug auf den Schwellenwert entsprechend verändert wird. Sie kennen die Summen, die hohen Summen, die natürlich nicht in Ordnung sind. Ich meine, wir sollten beides machen.
Wir sollten auf Luxemburg einwirken; wir sollten darüber hinaus erreichen, daß im Rahmen der EG eine Richtlinie geschaffen wird, die den neuen Aussagen der Kriminalitätsbekämpfung Rechnung trägt.
Zwischenfrage des Abgeordneten de With. - Bitte schön, Herr Abgeordneter de With.
Herr Kollege Marschewski, nachdem ich erfreulicherweise schon höre, daß Sie in diesem Bereich etwas tun wollen: Warum sind Sie denn nicht bereit, einfach unserem Vorschlag zuzustimmen? Dann kriegen Sie sehr schnell per Gesetz die Möglichkeit, die in Luxemburg an den Kanthaken zu kriegen.
Ich denke über Vorschläge nach, und ich habe Ihnen gesagt, es ist doch wirklich ein gutes Angebot, daß wir sagen, wir verändern den Tatbestand des § 261. Ich glaube, das ist sehr wesentlich. Wir können über weitere Vorschläge durchaus diskutieren. Das werden wir im Gesetzesvorhaben sicherlich machen, Herr Kollege de With.
Ein weiteres, was Sie auch nicht in Ihrem Gesetzentwurf besprochen haben. Ich meine die Kampfansage an professionelle Schlepper.
Meine Damen und Herren, daß die Asylgesetze greifen, weiß die Bevölkerung, und daß Schlepper immer neue kriminelle Methoden erdenken, schreibt die Presse.
Herr Kollege Ullmann, ich achte Sie ja sehr, aber der Vergleich zwischen dem Fluchthelfer und dem Schlepper zeigt für mich - entschuldigen Sie bitte - doch eine gewisse Verirrung oder Verwirrung Ihrer Aussage.
Meine Damen und Herren, bei den Schleppern geht es darum, kriminelle Gewinne zu machen, und damals bei den Fluchthelfern ging es darum, letzten Endes zu erreichen, den Leuten zu helfen, die die Freiheit suchten, die die Abkehr von der Diktatur suchten. Das ist für mich ein vehementer Unterschied; das kann man nicht in einen Topf werfen, meine Damen und Herren!
({0})
Die Bitte um eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ullmann.
Herr Kollege Marschewski, sind Sie mit mir einer Meinung, daß bei Häftlingsverkäufen vom MfS und damit von der SED gewaltige Gewinne gemacht worden sind?
Herr Kollege Dr. Ullmann, Sie haben sich wohl von Ihrer Verwirrung und Verirrung immer noch nicht gelöst?
Ich darf fortfahren, meine Damen und Herren, ich darf einen weiteren Punkt des Verbrechensbekämpfungsgesetzes ansprechen, den nicht aufhörenden Einsatz gegen die Rauschgiftkriminalität, namentlich gegen die Rauschgiftdealer. Daß wir eine Freigabe von Drogen als falsch ansehen, daran halten wir fest.
Meine Damen und Herren, für uns ist und bleibt die resignative Flucht in die Legalisierung eine Kapitulation vor diesem Verbrechen. Unsere Politik heißt Prävention, heißt Hilfe statt Strafe für die Betroffenen, heißt aber vor allem Kampf gegen Dealer, harte Bestrafung von Dealern.
Deswegen haben wir das Ausländergesetz beträchtlich verschärft. Wer zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen eines Rauschgiftdeliktes verurteilt wird, wird ausgewiesen.
Meine Damen und Herren, wir sind ein ausländerfreundliches Land und bleiben dies, aber verurteilte ausländische Rauschgiftdealer haben in Deutschland nichts zu suchen; die wollen wir ausweisen!
({0})
Jetzt wieder ein paar Worte zu Herrn Kollegen Singer zum SPD-Entwurf, der nur ein magerer Entwurf ist, Frau Kollegin Fuchs. Vier, fünf Pünktchen haben Sie zusammengefaßt, das ist alles. Sie haben nichts von einer Kronzeugenregelung gesagt, die - so muß ich sagen - in Italien Erfolge zeigt. Sie haben nichts von einem beschleunigten Verfahren gesagt.
Das Verfahren reicht doch nicht, meine Damen und Herren. Es kann doch nicht sein, daß jemand heute festgenommen wird, daß er vernommen wird, daß er am anderen Tag wieder freigelassen wird und daß er sein Unwesen weiter treiben kann. Das reicht doch nicht aus. Wenn ich an Oberhof, an die internationale Problematik denke, meine Damen und Herren, so
wäre es doch richtig gewesen, schon jetzt dieses Verfahren einzuführen. Was in Italien bei der Fußballweltmeisterschaft möglich war, sollte, so meine ich, auch in Deutschland möglich sein.
Ein weiterer Fall ist die Verkürzung der Fünfjahresfrist. Meine Damen und Herren, wenn jemand, ohne rechtskräftig verurteilt zu sein, 50 Strafdelikte begeht, 50 Autos knackt, dann haben wir doch keine Möglichkeit, ihn in Untersuchungshaft zu bringen. Das kann doch nicht richtig sein. Deswegen lassen wir die Fünfjahresfrist wegfallen: ein gutes Unterfangen unseres Gesetzesvorhabens.
({1})
- Ach, Herr Professor Meyer, ich komme gleich zu Ihnen.
Jetzt zum Thema des Einsatzes technischer Mittel in Gangsterwohnungen. Daß Sie dies neuerdings bejahen und warum Sie dies tun, ist sicherlich kein Geheimnis, meine Damen und Herren. Es ist schlecht kopiert und natürlich unpraktikabel. Ich will Ihnen, lieber Kollege Wiefelspütz - es ist besser, weil es neutral ist - das Urteil der Presse über das, was Sie vorgetragen haben, zitieren.
Diese SPD,
so schreibt die „Süddeutsche Zeitung",
die sich jahrelang mit der Polizei nur dann beschäftigt hat, wenn diese über die Stränge schlug, versucht nunmehr, das von ihr fast aufgegebene Terrain der inneren Sicherheit zu besetzen ... Was der Wahlkampf so die „Süddeutsche Zeitung" weiter - doch so alles fertigbringt.
Meine Damen und Herren, wahr ist eines: daß Sie zu jenem Unionsanliegen stets nein gesagt haben, im Bundestag, im Bundesrat und auf Ihren Parteitagen. Und wahr ist auch, daß das, was Sie vorschlagen, unpraktikabel ist. Wie wollen Sie denn eine Parlamentskommission in Ferienzeiten hierher nach Bonn bringen, um über Einzelfälle zu entscheiden!
Ich wiederhole, was vorhin gesagt worden ist.
({2})
- Ich möchte jetzt zu Ende reden. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es gab Zwischenrufe und Zwischenfragen genug. Haben Sie bitte Verständnis.
Verfassungsrechtlich geradezu abenteuerlich, meine Damen und Herren, ist Ihre Konstruktion der Vermögenseinziehung. Ich habe folgende Bedenken
- Kollege Kleinert hat das Beispiel mit den pleite gehenden Firmen genannt -: Warum umfaßt Ihr Schadensausgleich keinen Vermögensschaden, warum keinen entgangenen Gewinn, warum keinen Anspruch auf Naturalrestitution?
Meine Damen und Herren, wenn Sie jemandem sein Geld für fünf Jahre wegnehmen, ist er pleite. Das ist das Problem. Und deswegen meine ich, daß Ihr Vorschlag nicht rechtmäßig ist.
({3})
Daß Sie zudem Ihre Vorschläge voneinander abhängig machen nach dem Motto „Alles oder nichts", läßt zweifeln, ob Sie es wirklich ernst meinen.
Prantl in der „Süddeutschen Zeitung" schreibt dazu, Herr Professor Meyer:
Je abwegiger die Ausführungen eines Prüfungskandidaten, um so schwieriger die Korrektur.
Und er fährt fort:
Die SPD, Konvertit der inneren Sicherheit, zeigt den typischen Übereifer eines Konvertiten. Ihr früheres Desinteresse an Fragen der inneren Sicherheit will sie jetzt immer noch Prantl - nicht mein Freund, aber immer noch Prantl - ({4})
- Hören Sie zu, Frau Fuchs, das ist so herrlich; ich muß das zweimal sagen!
Ihr früheres Desinteresse an politischen Fragen der inneren Sicherheit will sie jetzt durch besondere Inbrunst vergessen machen.
Und weiter:
Die inhaltliche Qualität des SPD-Gesetzentwurfes - diese ist, kurz gesagt, ziemlich traurig. Doch dies so die „Süddeutsche" weiter dürfte in den nächsten Monaten kaum eine Rolle spielen, vorderhand geht es ja um Wahlkampf.
({5})
Meine Damen und Herren, uns geht es um mehr.
({6})
Das ist die dritte Aktion. Frau Kollegin Fuchs, Sie haben zu wesentlichen Gesetzesvorhaben nein gesagt. Uns geht es um mehr, uns geht es darum, den Bürger vor Kriminalität zu schützen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß Sie auf Ihrem Parteitag diesen Kurswechsel - wenn es denn wirklich einer war - so vollzogen haben. Ich denke mir, es wäre schön, wenn Sie aufrichtige Konvertiten wären. Wir werden Sie natürlich bei der Behandlung der weiteren Gesetzesbefolgung an Ihren Taten messen.
Herzlichen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Wiefelspütz das Wort.
Herr Kollege Marschewski, wir haben ja jetzt alle begriffen, daß Sie auch seriöse Zeitungen lesen - das war sehr aufschlußreich -, in denen auch manchmal Kommentare
stehen, die sehr kritisch sind. Dafür ist der Redakteur verantwortlich.
Ich will auf folgendes hinweisen. Ich räume ja ein, daß es Ihnen weh tut, daß Ihnen in diesem wichtigen Wahljahr 1994 ein Kampagnethema entgangen ist. Es tut Ihnen, Herr Marschewski, und Ihren Parteifreunden auch weh, daß die SPD - nicht allein nach unserer Auffassung, sondern auch nach Auffassung vieler Bürgerinnen und Bürger - ein erhebliches Maß an Kompetenz, an Sachverstand im Bereich der inneren Sicherheit aufzuweisen hat.
({0})
Sie merken - auch das tut Ihnen weh -, daß wir dies durch eine Fülle von parlamentarischen Initiativen hier in diesem Hause vortragen.
Das Thema der elektronischen Überwachung ist sicherlich ein sehr ernstes Thema und auch nur ein Ausschnitt aus dem, was wir heute hier bereden. Nur sollten Sie sich ein bißchen zurückhalten. Wenn es Ihnen in Ihrer Koalition nicht gelingt, diesen wichtigen Punkt in Gestalt eines Gesetzentwurfs auf die Reihe zu bringen, dann gebieten es, so meine ich, einfach der Anstand und auch die Fairneß, sehr zurückhaltend zu sein mit Ihrer Kritik an einem Gesetzentwurf der SPD, der genau diesen Punkt aufgreift.
Über Details kann man reden. Aber Sie haben erkennbar nicht die politische Kraft, dies auf die Reihe zu bringen. Deswegen rate ich Ihnen, das ganze Problem etwas niedriger zu hängen und ein bißchen bescheidener aufzutreten.
({1})
Zur Erwiderung erteile ich dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort.
Lieber Herr Kollege Wiefelspütz, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese nette Darstellung. Ich werde mich in Zukunft bessern; das verspreche ich Ihnen.
Allerdings sollten Sie auch sagen, wie die Abstimmungsergebnisse auf Ihrem Parteitag in bezug auf den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen zustande kamen und wie in Ihrer Fraktion kämpfend darüber abgestimmt worden ist, die Asylgesetze letzten Endes doch zu beschließen. Ich glaube, dann kommen wir zu einer gemeinsamen Meinung.
({0})
Nunmehr erteile ich der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn auf die wirklich wichtigen Fragen im Zusammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung zu sprechen kommen und mich nicht auf ein Randthema beziehen und dieses in den Mittelpunkt stellen. Ich möchte etwas zum Gesetzentwurf der Regierungskoalition sagen, der gerade die Handlungsfähigkeit dieser Koalition ganz deutlich unter Beweis stellt. Wir haben diesen Entwurf nicht, wie vielleicht Sie, meine Kollegen von der SPD, dieses Thema angehen, aus Kampagnezwecken vorgelegt, sondern wir haben diesen Entwurf aus Verantwortung erarbeitet, weil wir die Ängste der Bürger vor Kriminalität ernst nehmen. Deshalb haben wir uns auch nach ausführlichen und intensiven Beratungen innerhalb der Koalition über wesentliche gesetzgeberische Maßnahmen verständigt.
Wir waren uns auch immer darüber einig, daß neben Gesetzesänderungen natürlich ganz dringend Maßnahmen zur Beseitigung von Defiziten im Gesetzesvollzug und zur Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit - besonders auch international - erforderlich sind.
({0})
Deshalb dürfen wir nicht einfach die Verantwortlichkeiten auf den Bund verlagern.
({1})
Was nützen die besten, feinsten, ausgeklügeltsten Gesetze, wenn sie nicht angewandt werden oder angewandt werden können, weil es in den Ländern an der notwendigen Ausstattung der Polizei mangelt, und zwar personell und organisatorisch, vor allen Dingen auch gerade im Verfahrens- und Verwaltungsablauf, weil die Polizei mit zusätzlichen Auf gaben belastet ist, die gar nicht von ihr unmittelbar erledigt werden sollten? Die Polizisten sollen nicht in den Amtsstuben sitzen, sondern auf der Straße Präsenz zeigen.
({2})
Die Vorschläge des Entwurfs sind ein fairer und ausgewogener Kompromiß, und zwar einerseits im Hinblick auf die Notwendigkeit einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung und andererseits im Hinblick auf die Wahrung unverzichtbarer Grund- und Freiheitsrechte der Bürger. Zu den besonderen Herausforderungen der Kriminalität gehört auch ein Phänomen, das mir in den Beratungen bisher viel zu kurzgekommen ist, nämlich das Problem der Straf taten, die auf rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Motivation und Einstellung beruhen.
Deshalb haben wir gerade in diesem Entwurf Regelungen im Strafrecht vorgesehen. Wir liegen hinsichtlich § 86a überhaupt nicht auseinander. Wir sehen andere Regelungen, die aus meiner Sicht besser anwendbar sein werden, bei der Volksverhetzung und bei der Aufstachelung zum Rassenhaß vor.
({3})
Wir wollen damit auch einen von den Ländern seit langem geäußerten Wunsch erfüllen, indem wir ein zentrales staatsanwaltschaftliches Informationssystem einrichten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat diesem Entwurf, so wie er jetzt in diesem Text verankert ist, ausdrücklich zugestimmt, Herr Ullmann. Er hat gegenüber dem, was wir dort
vorschlagen, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch die Ergänzung des Untersuchungshaftrechts sehen, womit wir gerade auch dem Problem reisender rechtsradikaler Straftäter besser gerecht werden wollen, die, wie wir das leider erleben müssen, häufig in kurzen Abständen an verschiedenen Orten immer neue Straftaten begehen, ohne daß die Justiz ihrer bisher in allen Fällen habhaft werden konnte.
Die Notwendigkeit dieser Strafrechtsverschärfungen darf dabei allerdings nicht den Eindruck entstehen lassen, als sei der Staat dieser Form der Kriminalität gegenüber bisher völlig wehrlos gewesen. Ich möchte auch an dieser Stelle mit Nachdruck darauf hinweisen, daß sich die Strafjustiz auch schon auf der Grundlage der bestehenden Gesetze den Herausforderungen durch Fremdenfeindlichkeit, durch Rechtsextremismus erfolgreich stellen konnte. In den ersten neun Monaten des Jahres 1993 sind in mehr als 3 000 Urteilen fremdenfeindlich motivierte Straftaten geahndet worden, darunter in über 1 000 Fällen durch Verhängung von Freiheits- oder Jugendstrafe, und in etwa 150 Fällen betrug das Strafmaß mehr als zwei Jahre Freiheits- oder Jugendstrafe.
Ich glaube, es ist wichtig, daß in der Öffentlichkeit nicht immer wieder falsche Vorstellungen über Umfang und Intensität der strafrechtlichen Reaktionen, die jetzt schon erfolgen, entstehen. Sonst wird es nämlich immer schwieriger, mit diesem Problem der Kriminalitätsentwicklung und vor allen Dingen mit der Furcht vor Kriminalität, die oft nicht sehr realitätsbezogen ist, zurechtzukommen.
Ein weiterer wichtiger Punkt in dem Entwurf ist die Neuregelung des beschleunigten Verfahrens. Die Strafgerichte sollen die Möglichkeit erhalten, auf frischer Tat ertappte Täter bei einfach gelagerten Sachverhalten binnen weniger Tage zu verurteilen, um dadurch vor allem der Alltagskriminalität besser Herr zu werden.
Um zu erreichen, daß diese besondere Verfahrensart stärker als bisher genutzt wird - denn wir haben in der Bundesrepublik ein großes Gefälle von Norden nach Süden -, sieht der Entwurf die Straffung der Beweisaufnahme zur Vereinfachung und Beschleunigung der Hauptverhandlung vor. Aber eine Beeinträchtigung von Rechten des Angeklagten, der das in einer verkürzten Hauptverhandlung gefundene Urteil mit Rechtsmitteln überprüfen lassen kann, ist damit - anders als bei der rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Forderung nach gänzlicher Abschaffung des Beweisantragsrechts - eben nicht verbunden.
Das beschleunigte Verfahren kann zu einem schlagkräftigen Instrument gegen kleine und mittlere Kriminalität werden. Aber auch hier müssen die Länder bei der Organisation der Justiz mitziehen. Sonst kann das nicht funktionieren.
({4})
Eine besondere Rolle in der politischen Diskussion spielt - und das ist auch heute hier der Fall - die organisierte Kriminalität. Genau weiß man nicht, in welchem Umfang diese Form der Kriminalität bei uns verbreitet ist, wir sind aber der Meinung, daß wir ihr große Beachtung schenken müssen. Aus diesem Grund soll jetzt u. a. die Abschöpfung illegal erworbener Gewinne bei typischen Delikten der organisierten Kriminalität - ich nenne hier nur die Schutzgelderpressung - verbessert und auch das Vorgehen gegen professionelle Schlepperbanden erleichtert werden.
({5})
- Sie zitieren immer e in en Rechtswissenschaftler, es gibt aber mehrere. Wir haben Anhörungen dazu gehabt. Man kann hier vielleicht unterschiedlicher Meinung sein, aber wenn Sie sagen, das sei verfassungswidrig, dann muß ich sagen, daß ich nicht weiß, ob schon eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, wo das zur Überprüfung gestellt wird.
Wenn Sie immer die bisher fehlende Anwendung beklagen: Das Gesetz ist ja erst seit September 1992 in Kraft. Es sind oft sehr umfangreiche Verfahren, die durchgeführt werden müssen. Da können Sie nicht erwarten, daß innerhalb eines Jahres riesige Erfolgsbilanzen vorgelegt werden können. Geben wir dem Recht doch eine Chance, sich in der Praxis tatsächlich zu bewähren!
({6})
Damit es sich bewähren kann, sind wir immer wieder bei der Polizei und bei der Justiz in den Ländern. Es mag ja stimmen, was der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnoor, vorige Woche auf einer Tagung zur inneren Sicherheit sagte, daß angesichts der leeren öffentlichen Kassen eine Personalaufstockung bei der Polizei nicht möglich ist. Dann besetzen Sie doch erst einmal die vorhandenen Planstellen, die im Haushalt etatisiert und verankert sind! Leugnen Sie nicht den Umstand, daß Personalbedarf bei der Polizei besteht! Aber was machen Sie? Sie verfallen in einen Aktionismus zur Gesetzgebung, und zwar an Stelle von diesem notwendigen Handeln.
({7})
- Das ist kein Aktionismus, was wir in diesem Paket vorgelegt haben, das ist etwas, wohinter gerade viele von Ihnen aus der SPD stehen. Wir haben gesagt, daß, wenn gute Vorschläge aus dem Bundesrat vorhanden sind, wir sie einbauen. Das ist doch auch der richtige Weg in einer parlamentarischen Auseinandersetzung.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen de With zu beantworten?
Bitte.
Bitte sehr, Herr de With.
Frau Ministerin, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß unserem Wiesbadener Beschluß vom Parteitag letzten Jahres eine lange, lange Beratung in den zuständigen Fachgremien vorangegangen ist, mit der Folge, daß das, was jetzt
das Licht der Welt erblickt hat, nicht in wenigen Monaten produziert wurde, sondern innerhalb von zwei Jahren? Wie können Sie das als Aktionismus bezeichnen?
Den Kern Ihres Gesetzentwurfes, den Sie hier vorgelegt haben, bei dem es um die Vermögenssicherstellung und -einziehung geht, kann man wirklich nur als Aktionismus bezeichnen; denn den von Ihnen vorgesehenen Vermögenseinzug außerhalb des Strafrechts zu verankern ist nur ein schlecht getarnter Trick, mit dem Sie nur den Anschein suggerieren möchten, als handele es sich bei der Einziehung von Vermögen nicht um eine Strafe, sondern um eine Art Verwaltungshandeln. Die Hoffnung, die Sie daran knüpfen, man werde außerhalb des Strafrechts die Umkehr der Beweislast eher als im Strafrecht akzeptieren können, ist aus meiner Sicht nur mit bedenklich eingeschränktem Rechtsbewußtsein zu erklären.
({0})
Da hat man wirklich etwas ganz primitiv Gestricktes aufgeschrieben. Auch außerhalb des Strafrechts werden Sie die Umkehr der Beweislast nicht - auch nicht mit Ermittlungsschwierigkeiten - begründen können. Sollten Sie auf die einzig mögliche Idee verfallen, die Zulässigkeit der Beweislastumkehr mit der hohen Generalprävention, mit der hohen Abschreckungsund Befriedungsfunktion der Vermögenseinziehung zu begründen, dann demaskieren Sie nicht nur Ihre rechtlich wirklich obskure Konstruktion,
({1})
sondern Sie zeigen, daß die Sicherstellung und die Einziehung von Vermögen das ist, was sie tatsächlich auch sein wird, nämlich eine Strafe, eine Sanktion, aber außerhalb des Strafrechts. Das ist der Kern Ihres Vorschlags und der ist rechtsstaatlich nicht vertretbar.
({2})
Frau Ministerin, halten Sie eigentlich Ihre Wortwahl für angemessen angesichts der Tatsache, daß wir alle miteinander ganz erhebliche Sorgen haben im Hinblick auf die organisierte Kriminalität, und angesichts der Tatsache, daß wir als SPD für uns in Anspruch nehmen, ernsthaft den Versuch zu unternehmen, der natürlich diskutabel ist, hier eine Antwort auf neuartige Herausforderungen zu geben, bei denen es nicht nur um Kriminalität geht - das wäre schon schlimm genug -, sondern eigentlich um den Bestand einer freiheitlich-demokratischen Rechtskultur?
Frau Ministerin, bevor Sie antworten, möchte ich Sie kurz auf die Geschäftslage aufmerksam machen. Angesichts von Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes kann ich Ihnen selbstverständlich nicht das Wort entziehen, aber Sie reden allmählich auf Kosten Ihrer Fraktionskollegen Dr. Hirsch und van Essen. Die Zeit für Frage und Antwort wird selbstverständlich nicht angerechnet.
Ich halte die Wortwahl - ich glaube, man muß es so direkt sagen, um es auf den Punkt zu bringen - für gerechtfertigt; denn - das muß man einmal klar sagen - das Schuldprinzip, das Verbot der Verdachtsstrafe und die Unschuldsvermutung werfen Sie hier über Bord. Auf neue Herausforderungen kann man nur im Rahmen unseres Rechtsstaats und unter Beachtung der in unserer Verfassung niedergelegten Rechte reagieren.
({0})
Da muß man den Art. 13 beachten und den Art. 14 genauso beachten.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Günter Graf das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich auf einige andere Aspekte der heutigen Debatte eingehe, möchte ich noch einmal ganz kurz etwas zu dem sagen, was hier in der Debatte mehrfach angeklungen ist, nämlich so nach dem Motto: die Verantwortung auf die Länder verlagern; da sitzt die Polizei.
Ich möchte den Bund erstens nur einmal in aller Deutlichkeit daran erinnern, daß er zuständig ist für die Grenzsicherung im weitesten Sinne, für Schlepper, für illegale Einwanderung. Ich erinnere in aller Deutlichkeit an die Situation des Bundesgrenzschutzes. Beim Bundesgrenzschutz gibt es immer noch ein erhebliches Planstellenfehl. Werden Sie Ihrer Verantwortung erst einmal gerecht!
Ein Zweites. Wenn Sie das Land Niedersachsen nennen, darf ich nur einmal daran erinnern, daß die damalige Albrecht-Regierung - ich sage das hier in aller Deutlichkeit - den Personalabbau kontinuierlich betrieben hat. Wären wir den Vorstellungen gefolgt, würde heute in Niedersachsen die Vereidigung von jungen Polizeianwärtern im Wohnzimmer des Innenministers gemacht werden können.
({0})
Diese Situation hat sich verändert. Das Personal wird aufgestockt, und es werden zusätzlich Angestellte eingestellt, um genau das zu erreichen, was wir immer fordern, nämlich die Polizei zu entlasten. Das nur als kurze Anmerkung dazu.
({1})
Ich möchte einige andere Dinge ansprechen, die wir, wenn wir über den Aspekt der inneren Sicherheit, der Kriminalität sprechen, nicht unbeachtet lassen sollten. Ein Aspekt ist heute, meine ich, noch nicht angesprochen worden. Wenn ich das tue, dann kann ich es Ihnen von den Koalitionsparteien nicht ersparen, darauf hinzuweisen, daß Sie im Bereich der inneren Sicherheit in der Vergangenheit im Grunde genommen versagt haben; denn die dargestellte
bedrohliche Kriminalitätsentwicklung ist durch Ihre Politik der Entsolidarisierung und Spaltung dieser Gesellschaft, der Ausgrenzung, der Randgruppenbildung, der sozialen Kälte zumindest mit verursacht worden ist, die immer mehr Menschen an den Rand unserer Gesellschaft gedrückt hat.
Herr Abgeordneter Graf, dies veranlaßt den Abgeordneten von Larcher, Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu wollen. Ich rechne Ihnen das nicht auf die Redezeit an.
Bitte.
Herr Kollege Graf, können Sie bestätigen, daß im letzten Haushalt der Regierung Albrecht bei den Stellen der Kripo 116 kw-Vermerke angebracht waren - das heißt: es wären 116 Kripobeamte weniger geworden, wenn es keinen Regierungswechsel gegeben hätte - und 459 kwVermerke bei den Stellen der Schutzpolizei angebracht waren, daß nach dem Regierungswechsel diese kw-Vermerke aufgehoben wurden und zusätzlich 58 Kripobeamte und 93 Schutzpolizisten neu eingestellt wurden?
({0})
Ich kann die Zahlen nicht im einzelnen bestätigen, aber ich kann bestätigen, daß in Niedersachsen Personalabbau in der Form betrieben worden ist, wie Sie es dargestellt haben. Ich habe das, glaube ich, eben schon deutlich gesagt.
({0})
Kolleginnen und Kollegen, die drastische Verschlechterung des wirtschaftlichen und sozialen Umfelds, die dramatische Entwicklung der immer weiter zunehmenden Arbeitslosigkeit, die Infragestellung sozialer Einrichtungen, die verfehlte Wohnungsbaupolitik, die ständig steigende Obdachlosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen, haben zu einer Entsolidarisierung geführt, die durch eine zunehmende Gewaltbereitschaft in unserem Lande gekennzeichnet ist. Hinzu kommt, daß die Bundesregierung eine wirksame Integrationspolitik gegenüber den bei uns seit vielen Jahren lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zielstrebig verhindert hat.
Kolleginnen und Kollegen, die politische Auseinandersetzung urn Fragen der öffentlichen Sicherheit und der Gewalt in Deutschland muß deshalb auch eine Auseinandersetzung um Grundwerte in unserer Gesellschaft sein. Wie ich einleitend bereits festgestellt habe, ist eine wesentliche Ursache für Gewalt und für die Opfersituation, in der sich viele Menschen befinden, daß in der Ära Kohl Zivilcourage, Bereitschaft, für den anderen einzutreten, Menschlichkeit in dieser Ellenbogengesellschaft abhanden gekommen sind.
({1})
Deshalb muß darüber geredet werden - auch wenn Sie das nicht gerne hören, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien -, daß wir in Deutschland unter Ihrer Regierungsverantwortung eine Gesellschaft der sozialen Kälte bekommen haben.
({2})
- Das zu hören ist natürlich unbequem, aber es muß gesagt werden.
Wie hat sich diese Gesellschaft entwickelt? - Es ist eine Gesellschaft geworden, in der der Erfolg der Maßstab aller Dinge ist;
({3})
eine Gesellschaft, in der als Lebensziel vorgegeben wird, notfalls auch unter Mißachtung der Gesetze die schnelle Million zu machen und sich dann in den Ruhestand zurückzuziehen; eine Gesellschaft, in der bewundert wird, wer sich durchsetzt, wo die Frage nach der moralischen Qualität der Erfolgreichen immer erst dann gestellt wird, wenn sie stürzen; eine Gesellschaft, in der es ein Kavaliersdelikt geworden ist, den Staat zu betrügen, Steuern in Millionenhöhe zu hinterziehen oder Subventionen zu erschleichen. Man darf sich nicht wundern, wenn in einer solchen Gesellschaft Entsolidarisierung eintritt und junge Menschen positive Werte wie z. B. Solidarität und Mitmenschlichkeit nicht mehr erleben und damit auch nicht mehr nachahmen können.
Es ist das Ergebnis Ihrer zwölfjährigen Regierungszeit, daß Deutschland heute vom Kampf der Cleveren, vom Einsatz der Ellenbogen und einem Klima des Raffens und der Vorteilsnahme um jeden Preis geprägt ist. Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, haben uns die 1983 vom Bundeskanzler verkündete geistig-moralische Wende anders vorgestellt, als sie sich heute in unserem Land darstellt.
({4})
Aber - auch das darf nicht unerwähnt bleiben - diese Regierung hat auch in moralischer Hinsicht abgewirtschaftet. Wir Sozialdemokraten werden mit aller Klarheit die Grundwertedebatte gegen all diejenigen führen, die bei der Wirtschaftskriminalität wegschauen, die mit ihrem Kreuzzug für die Ellenbogengesellschaft die solidarischen und moralischen Grundlagen unseres Zusammenlebens zerstören, die die Zweidrittelgesellschaft verwirklichen und mit großer Geste und viel Pathos gegen Ladendiebe und Schwarzfahrer zu Felde ziehen.
Sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Otto zu beantworten?
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie vielleicht den Appell Ihres Fraktionskollegen Wiefelspütz ernst nehmen, wonach dieses Thema so schwerwiegend ist - das wissen gerade Sie als früherer Polizeibeamter sehr gut -, daß es sich für
Hans-Joachim Otto ({0})
eine so platte Polemik, wie Sie sie hier bringen, überhaupt nicht eignet? Wir sind in der Analyse weitgehend einig. Wir sollten uns nicht dazu hinreißen lassen, eine Debatte über die innere Sicherheit in einer solchen Weise zu führen, wie Sie dies hier tun. Sind Sie mit mir der Meinung, daß der Appell des Kollegen Wiefelspütz, den er eben in die andere Richtung gerichtet hat, vielleicht auch für Ihre Richtung zutreffend sein könnte?
Ich habe den Appell des Kollegen Wiefelspütz sehr gut gehört, und ich nehme ihn natürlich auch an. Aber ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Ich halte es für nicht angebracht, gegenüber der deutschen Öffentlichkeit so zu tun, als gehe es nur um Gesetze, als gehe es um die Verantwortung der Länder für mehr Polizei, und damit hätten wir das Problem der Kriminalität in den Griff bekommen. Ich spreche die Dinge in aller Deutlichkeit an - wenn auch nach Ihrem Geschmack ein wenig zu hart -, damit wir wissen, worüber wir reden. Es ist doch ein Irrtum, den Leuten weiszumachen, wir könnten mit einigen wenigen Mosaiksteinchen das Problem der Kriminalität in den Griff bekommen.
({0})
Das Problem ist umfassend. Es geht bei der Ursachenerforschung los, es geht damit los, daß wir uns wesentlich mehr mit der sozialen Prävention zu befassen haben und umfaßt dergleichen mehr. Wenn dies nicht erfolgt, dann können wir zwar über diese Dinge reden, am Ende aber wird sich Entscheidendes nicht verbessern.
({1})
Ich habe eben darauf hingewiesen, daß es uns nicht hilft, die Steuerbetrüger laufenzulassen, aber die kleinen Ladendiebe und Schwarzfahrer mit aller Härte des Gesetzes zu erfassen und entsprechend zu bestrafen. Dies kann nicht sein.
Ich will ein Weiteres nennen: Auch die Drogenpolitik dieser Bundesregierung ist von einer nicht zu übertreffenden Selbstgerechtigkeit geprägt.
({2})
Durch ihr völliges Versagen in diesem Feld trägt diese Bundesregierung maßgeblichen Anteil an der Ausbreitung der organisierten Kriminalität
({3})
und der immer weiter ausufernden Beschaffungskriminalität.
({4})
Wer an dieser gescheiterten Drogenpolitik, Herr Kollege Otto, weiterhin festhält, macht sich mitschuldig an den riesigen Schäden und Verlusten, die durch Wohnungseinbrüche und Diebstähle als Folgen der Beschaffungskriminalität entstehen. Heute bereits
gehen 40 % aller Einbrüche auf das Konto von Drogenabhängigen.
({5})
Herr Otto, hören Sie mal zu, bevor Sie wieder Zwischenfragen stellen! Vielleicht gebe ich einen Hinweis dazu.
({6})
- Es ist immer schwer, zuzuhören, wenn man die Wahrheit gesagt bekommt, die man nicht hören will.
Wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß eine wirksame Politik gegen Drogen neben verstärkter Prävention und deutlich gesteigerten Therapieangeboten auch ausreichende, kontrollierte Substitutsangebote umfaßt, um die Gefahr des Abgleitens der Süchtigen zu verringern. In diesem Zusammenhang muß auch die Rolle des Strafrechts neu überdacht werden und eine schwerpunktmäßige Verfolgung der organisierten Drogenkriminalität und der Dealer erfolgen, während der Besitz von Cannabis-Produkten in kleinen Mengen zum Eigenverbrauch nicht mehr bestraft und beim Besitz von harten Drogen in kleinen Mengen zum Eigenverbrauch künftig vom Legalitäts- zum Opportunitätsprinzip übergegangen werden sollte. Wenn Sie hier gegenüber der Öffentlichkeit immer den Eindruck erwecken wollen, dies sei eine Freigabe, dann ist das nicht richtig, dann ist das nicht korrekt, dann streuen Sie der Öffentlichkeit ganz bewußt Sand in die Augen. Das Ergebnis ist: Wir kommen mit Mitteln des Strafrechts an die Drogenabhängigen nicht heran. Das sind kranke Menschen, da müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen. Wir zeigen Wege auf, wir werden darüber miteinander zu reden haben.
({7})
Kolleginnen und Kollegen, ein beträchtlicher Teil der sogenannten Massenkriminalität hat seine Wurzeln in Wahrheit im organisierten Verbrechen, beispielsweise in der Beschaffungskriminalität, dem organisierten Kraftfahrzeugschmuggel nach Osteuropa, den organisierten Ladendiebstählen oder Wohnungseinbrüchen. Jede dieser Straftaten hat ein Opfer. Vor allem die Vielzahl der Fälle z. B. beim Einbruch oder beim Straßenraub schädigen die öffentliche Sicherheit und belasten das Sicherheitsempfinden der Bürger. Sie unterminieren das Rechtsempfinden und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der staatlichen Organe und Institutionen. Das ist die eine Seite der organisierten Kriminalität, die weniger bekannte oder die zumeist von den Verantwortlichen verschwiegene.
Die andere ist, daß sich die organisierte Kriminalität weltweit in einem erschreckenden Maße ausbreitet.
Sie ist bereits jetzt zu einer Bedrohung für viele Staaten und Gesellschaften geworden.
({8})
Das Ziel dieser Verbrechergruppen ist es, möglichst schnell hohe finanzielle Gewinne zu erzielen, um ihre Machtposition zu vergrößern. Bei der Verfolgung dieser Ziele werden die bestehenden Infrastrukturen der modernen Volkswirtschaften in effektiver Weise entsprechend ausgenutzt. Es gehört zum Wesen der organisierten Kriminalität, daß sie staatliche Institutionen korrumpiert und daß sie wegen enormer Wettbewerbsvorteile legale Wirtschaftsbereiche in ihre kriminelle Praxis einbezieht. Die materiellen und ideellen Schäden der organisierten Kriminalität bedrohen die Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsordnung auch in dieser Bundesrepublik Deutschland. Dies darf nicht länger verschwiegen und verharmlost werden. Durch die Zunahme der Korruption, die zwischenzeitlich, wie gestern im Fernsehen zu sehen war, auch vom Bundesinnenminister zugegeben wird, durch das Anwachsen der wirtschaftlichen und politischen Macht der organisierten Kriminalität entsteht eine erhebliche Gefahr für unseren demokratischen Rechtsstaat.
Insbesondere auf Grund der nicht ausreichenden gesetzlichen Instrumentarien gelingt es der Polizei nur in Ausnahmefällen, an die Hintermänner dieser kriminellen Organisationen heranzukommen. Oft kennt die Polizei zwar die Drahtzieher, aber ihr fehlen die Beweise.
Kolleginnen und Kollegen, nach nunmehr über elfjähriger Regierungszeit hat die Bundesregierung sozusagen auf den letzten Metern in diesem Wahlkampfjahr ein sogenanntes Verbrechensbekämpfungsgesetz vorgelegt. Der vorgelegte Entwurf - das ist, glaube ich, in der heutigen Debatte von meiner Kollegin Anke Fuchs und meinem Kollegen Hans de With deutlich gesagt worden - ist im Grunde genommen zahnlos. Er ist unzureichend und wird den notwendigen Erfordernissen nicht gerecht. Eines allerdings dokumentiert dieser Entwurf ganz deutlich, nämlich den Versuch, den offenkundigen Riß in der Regierungskoalition zu übertünchen und die erschreckende Handlungsunfähigkeit der Regierung in ganz zentralen Fragen zu überdecken.
Meine Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Punkt aus Ihrem Konzept herausgreifen. Die Bundesregierung strebt eine systematische Ausweitung der Überwachungstechnik für die Geheimdienste in Deutschland an. Im Bereich der Strafverfolgung betreibt die Regierung damit eine Strategie, die zu einer verhängnisvollen Kompetenzvermischung bei den Aufgaben von Polizei und Nachrichtendiensten führen muß und die für die Demokratie in Deutschland mit hohen Risiken beladen ist.
Den Geheimdiensten Zuständigkeiten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität einzuräumen würde nicht nur zu einer weiteren Aufsplitterung der Kompetenzen und damit zu unnötigen Effizienzverlusten führen, sondern dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Grundsatz der Trennung zwischen Verfassungsschutz und Polizei widersprechen.
({9})
Alle diejenigen, die die Geheimdienste in die Strafverfolgung einschalten wollen, befinden sich gefährlich nahe an der Praxis diktatorischer Regime.
({10})
Es war das Kennzeichen der ehemaligen DDR - das hat diese Debatte wohl schon an anderer Stelle deutlich gemacht -, daß dort zwischen der sogenannten Staatssicherheit auf der einen Seite und den Strafverfolgungsbehörden auf der anderen Seite nicht getrennt worden ist. Deshalb: Die Verfolgung der organisierten Kriminalität muß ausschließlich die Aufgabe von Polizei und Justiz bleiben.
({11})
Eine Vermischung mit Geheimdiensten darf es in dieser Frage nicht geben.
Dieses gilt gleichermaßen für die vorliegenden Pläne der Bundesregierung, die Bundeswehr für polizeiliche Aufgaben einzusetzen, nur weil diese Bundesregierung bislang nicht in der Lage war, den Bundesgrenzschutz an die neue politische Aufgabenstellung anzupassen und alles zu tun, damit die notwendige Personaleinstellung erfolgt, damit die Verantwortlichen ihre Aufgabe im Grenzbereich in entsprechender Form wahrnehmen können.
Das gilt nicht nur für den Grenzbereich, sondern auch für andere Bereiche. Wenn man sich heute anschaut, was sich in den letzten Monaten im Bereich der Bahnhöfe und der Luftsicherheit vollzogen hat, dann stellt man fest: Die Bahnpolizei selbst ist nicht mehr in der Lage, die Aufgaben wahrzunehmen.
Dann komme ich wieder zum Thema Gewaltmonopol. Wir stellen immer mehr fest, daß private Sicherheitskräfte von staatlicher Seite eingestellt werden, um auf Bahnhöfen, in U-Bahn-Schächten und dergleichen Sicherheit zu gewährleisten - eine Aufgabe, die im Grunde genommen, denke ich, durch die dafür Vorgesehenen zu leisten ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht. Heute ist seine erste Lesung. Wir werden über die einzelnen Punkte in den Ausschüssen in entsprechender Weise zu beraten haben. Wenn ich richtig zugehört habe, stelle ich fest: Es gab einige Zeichen, von denen ich denke: Vielleicht gibt es noch irgendwo eine Annäherung.
Wir sind uns darüber im klaren, daß gerade, was die Frage des Art. 14 GG - Eigentum - angeht, juristisches Neuland betreten wird. Aber wir sind ganz sicher, daß es notwendig ist, in diesem Bereich etwas zu tun. Es kann doch von keinem in diesem Land begriffen werden, daß ein Bürger aus der Stadt Y mit seinem - ich übertreibe und überzeichne jetzt - Cadillac am Freitag vormittag um 11 Uhr zum Sozialamt kommt, seine Sozialhilfe abholt, sich in den Cadillac setzt, zu seinem Wohnhaus fährt - wunderschön gelegene Villa, mit allem Möglichen, alles toll geregelt -, wobei wir genau wissen bzw. die Polizei
weiß, daß dieser gute Mann dieses Vermögen ganz offensichtlich durch Straftaten erworben hat, im Einzelfall der Nachweis allerdings nicht ganz konkret zu führen ist. Das wollen wir hier sicherstellen. In diesen Fällen - und um die geht es - wollen wir sagen: Beweise du uns, woher dein Vermögen kommt! Darüber muß man nachdenken; und darüber müssen wir doch miteinander reden können.
Ich hoffe, daß Sie sich in den Beratungen nicht so erbittert und verbohrt zeigen werden, wie Sie das heute tun.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach etwas kantigem Anfang - ich bedauere, daß Frau Kollegin Fuchs nicht mehr da ist - hat die Debatte überwiegend ruhiges Fahrwasser gefunden. Ich wundere mich, wie oft hier bekannte Steckenpferde vorgeführt werden. Ich verstehe auch diese Hin- und Herschieberei zwischen Bundesgesetzgeber, Land, Polizei, Justiz und Ursachenforschung nicht.
Wir wissen doch alle, daß Kriminalitätsbekämpfung nur funktioniert, wenn alle zusammenarbeiten.
({0})
Da hat jeder seine Aufgabe zu erfüllen. Jeder - das sage ich auch bezogen auf die Polizei, über die Sie, Herr Kollege Graf, jetzt besonders gesprochen haben - hat seine Aufgabe noch nicht völlig erfüllt. Die Polizeiorganisation ist krank. Sie ist krank. Ich hoffe, daß ich noch Zeit habe, das nachher näher auszuführen.
Aber ein Bekenntnis gehört doch für jeden an den Anfang, was an sich zur Zusammenarbeit führen sollte: Es ist eine wesentliche Aufgabe des Staates, Eigentum und Leben der Bürger zu schützen. Bei dieser Aufgabe darf er nicht kneifen. Da gibt es keinen Ausweg. Wenn der Staat diese Aufgabe nicht erfüllt, wird der Bürger versuchen, wie man so sagt, sein Recht in die eigene Hand zu nehmen. Und auf den schwachen Staat folgt der starke Mann. Daher ist es eine urliberale Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das Recht durchgesetzt wird.
Aber man muß auf der anderen Seite genauso sagen, daß das Bedrohungsgefühl der Bevölkerung der Wirklichkeit nicht entspricht. Ich bin beunruhigt, wenn ich höre, wie man es darstellt. Wie ist denn die tatsächliche Bedrohung? Liegen wir denn international im Vergleich weit übermäßig in der Kriminalität? Nein, wir liegen im unteren Mittelfeld, was ja dafür spricht, daß das nicht mit unseren Gesetzen zusammenhängt, sondern strukturelle Ursachen hat.
Da wird einem der Vorwurf der Verharmlosung gemacht. Manche Reden, manche Wahlkampfreden werden doch nach dem Motto gehalten: Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen. Je schlimmer die Situation dargestellt wird, um so heller strahlen die eigene Leistung und die eigenen Forderungen, die man erbringen will.
Bei aller Bereitschaft, Kriminalität wirksam zu bekämpfen, darf die Frage, ob denn nun dafür jedes Mittel recht ist, und die Frage nach den Grenzen der Zulässigkeit weder diskriminiert werden, noch darf sie unzulässig sein.
({1})
Darum stelle ich sie.
Ihr Gesetzentwurf enthält, was die Frage des Eigentums angeht, eine etwas skurrile Lösung; das wird man bei aller gebotenen Zurückhaltung sagen müssen. Das ist hier auch wirklich hinlänglich dargestellt worden. Die Überlegung, daß im Verwaltungswege das Vermögen eingezogen wird, und dem Bürger bleibt es dann überlassen, darzustellen, daß er kein Schlitzohr ist, das ist eine groteske Vorstellung.
Aber dasselbe sage ich auch bei der Wanze. Bei dem Lauschangriff, bei der Überwachung nicht von Räumen, sondern von Menschen in Räumen, da wird in dem Gesetzentwurf der SPD das ausdrücklich selbst bis in die Schlafzimmer hinein vorgeschrieben. Sie versuchen, den Schutz institutionell zu erreichen durch verfassungsdurchbrechende Gesetze, also mit Zweidrittelmehrheit, oder durch ein Hintereinanderspannen von parlamentarischen und gerichtlichen Instanzen usw.
Aber Sie kommen doch trotz allem an der einen Grundfrage nicht vorbei, daß es in unserer Strafprozeßordnung aus gutem Grunde viele Grenzen gibt, wo Sie sagen könnten: Das sind ja eigentlich rechtsfreie Räume. Was ist mit dem Beratungsgeheimnis? Was ist mit den Berufsgeheimnissen? Was ist mit dem Zeugnisverweigerungsrecht? Was ist mit dem Gebot der offenen Vernehmung? Alles das sind Grenzen, wo man sagen könnte: Das stört die Wahrheitsfindung. Trotzdem will niemand von uns an diesen Grenzen rütteln.
Genau dieselbe Frage müssen Sie, trotz aller institutionellen Sicherungen, auch stellen und beantworten: Wie weit wollen Sie gehen, Menschen zu belauschen? An der Frage kommt keiner vorbei, kommen wir nicht vorbei, kommen die Konservativen nicht vorbei, und Sie kommen auch nicht daran vorbei. Niemand kommt daran vorbei.
({2})
Aber sie muß gestellt und sie muß offen und ehrlich beantwortet werden. Das ist der Punkt.
Zum Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben; ich möchte mich, nachdem er hier ausführlich dargestellt worden ist, nur auf wenige Punkte konzentrieren. Erleichterung der Strafverfolgung bei rechtsextremistischen Taten ist ein ganz wesentlicher Punkt. Da geht es nicht nur um die Ursachenbekämpfung. Wir haben 1992 6 500 Straftaten dieser Art gehabt mit 6 Toten und 608 Verletzten, im ersten Halbjahr 1993 fast 4 000 Straftaten dieser Art. Daß hier wirklich Remedur geschaffen werden muß, auch durch eine Veränderung der Strafdrohung und der Tatbestände, ist klar.
Anhebung der Strafdrohung bei der Körperverletzung. Ich glaube nicht, daß das abschreckend wirkt, aber ich glaube, daß es ein Moment der Gerechtigkeit ist, daß die Strafdrohung für Eigentumsverletzungen sich wesentlich von der der Körperverletzung unterscheidet.
({3})
Ausdehung der Vorschriften gegen Geldwäsche. Herr Kollege Marschewski, ich glaube nicht, daß Sie mich überredet haben. Wir waren vielmehr von Anfang an der Meinung, daß natürlich die wesentlichen Tatbestände, Subventionsbetrug usw., erfaßt werden müssen.
Beschleunigtes Verfahren. Ich halte das für eine ganz elementare, wichtige und notwendige Entscheidung, an der wir viele Jahre arbeiten, wo hier in der Tat von der Justizministerin mit Recht darauf hingewiesen worden ist, daß das Beweisantragsrecht nicht beeinträchtigt wird.
Aber alles, was ohne dieses beschleunigte Verfahren versucht worden ist, läuft doch auf eine Aufweichung der Tatbestände, um die Beweisfragen zu erleichtern, oder den sogenannten Unterbindungsgewahrsam hinaus, also die Frage, ob denn die Polizei in Bayern 14 Tage lang jemanden festhalten kann, zwar mit richterlicher Entscheidung, aber ohne daß er eine Straftat begangen hat.
({4})
Ich glaube, daß das beschleunigte Verfahren wesentlich ist.
Ich komme schließlich zum umstrittenen Einsatz der technischen Einrichtungen des Bundesnachrichtendienstes bei der Kriminalitätsbekämpfung. Ich sage dem Kollegen Penner, der vorhin eine Zwischenfrage stellen wollte: Wir waren doch zusammen in den anderen Ländern und haben festgestellt, wie sich die Kriminalitätsbekämpfung in bestimmten Deliktsbereichen im Ausland verschachtelt, wohingegen wir Trennungsgebote haben, und daß es in der Tat kaum hinnehmbar und auch schwer erklärbar ist, daß Unterlagen über erkannte Straftaten, die bei Gelegenheit aufgenommen werden, vernichtet werden müssen und bei der Verfolgung nicht benutzt werden dürfen. Das kann so nicht funktionieren, und deswegen schlagen wir diese Neuregelung vor. Sie wird ja in einer Anhörung behandelt werden. Ich sage Ihnen: Der gesetzliche Zuständigkeitskanon des Bundesnachrichtendienstes wird nicht geändert; die Verfassung wird nicht geändert. Wir bleiben im Rahmen unserer Verfassung.
({5})
Es fällt die Fünfjahresfrist. Sie wissen, daß wir heute ja nicht benachrichtigen müssen, wenn fünf Jahre vergangen sind. Es gibt die volle richterliche Kontrolle und die Beteiligung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Ich glaube, daß das eine Regelung ist, die man akzeptieren kann, über die wir aber im einzelnen streiten werden.
Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Kollegen Penner zuzulassen?
Aber sicher.
Bitte schön, Herr Dr. Penner.
Auch ich glaube, daß wir bei diesen zusätzlichen Möglichkeiten des BND sehr genau auf den Text werden achten müssen, um zu zutreffenden Wertungen zu kommen. Das scheint mir bisher etwas zu kurz gekommen zu sein.
Aber, Herr Hirsch, ich frage Sie: Wenn tatsächlich - davon müssen wir beide ja ausgehen - Gelegenheitserkenntnisse beim BND nicht verwertet werden konnten, warum ist dieser ominöse Erlaß, der unter der Ägide des seinerzeitigen Präsidenten Kinkel geschaffen worden ist, nicht aufgehoben worden?
Jetzt kommen wir in ein juristisches Proseminar. Sie wissen im Grunde genommen die Antwort, die lautet: weil Art. 10 Grundgesetz dem entgegensteht.
({0})
Es müßte dann Art. 10 geändert werden. Bei der Lösung, die wir jetzt vorschlagen, verehrter Herr Kollege, ist es deswegen nicht erforderlich, weil wir in diesem Bereich die volle richterliche Kontrolle zulassen und damit Art. 10 und ebenso Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz unberührt bleiben. Das ist doch die Lösung.
Die Bemerkung, die Frau Fuchs am Anfang gemacht hat, bringt mich doch noch dazu, daran zu erinnern - weil ja in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, wir täten nichts -, was denn alles schon in der Sucht nach immer neuen Gesetzen gemacht worden ist. Wir haben bei dem OrgKG, bei dem Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, eine Anhebung der Strafandrohung, erweiterten Verfall, Vermögensstrafe, gesetzliche Regelung der Rasterfahndung, gesetzliche Regelung des verdeckten Ermittlers, polizeiliche Beobachtung, Belauschen und Photographieren mit elektronischen Mitteln außerhalb der Wohnung. Wir haben das Geldwäsche-und Gewinnaufspürungsgesetz mit der polizeilichen Beobachtung, wir haben die Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes.
Meine Damen und Herren, mich beschleicht dabei allmählich ein Unbehagen. Wir machen ein Gesetz nach dem anderen und warten nicht einmal ab, wie das, was wir beschlossen haben, sich in der Wirklichkeit bewährt. Wir lassen uns von der öffentlichen Meinung, die wir ja schüren - auch selbst treiben wir uns hinein-, in einen Gesetzesgalopp hineinbringen, der allmählich unser Rechtssystem verändert. Ich verstehe unter Rechtssystem die Verwirklichung des Gesetzes in einem fairen Verfahren. Wir sind dabei, unser Strafverfolgungsrecht, auch unser Polizeirecht, in eine Art - ich bitte, diese harte Formulierung zu entschuldigen - innenpolitisches Kriegsrecht, eine Art innenpolitische Aufrüstung zu verwandeln. Der Verdächtige wird sofort ein Gangster. Wir machen
Initiativermittlungen ohne konkreten Anlaß. Wir wollen Kontaktpersonen polizeilich erfassen, die selber überhaupt keine Straftat begangen haben. Es gibt in einzelnen Ländern, wie wir wissen, Überlegungen, polizeiliche Zuständigkeiten einzuführen gegen Leute, die gar nichts getan haben, sondern von denen die Polizei annimmt, daß sie vielleicht in Zukunft eine Straftat begehen können.
Ich sage Ihnen: Wenn wir diesen Weg weitergehen, dann können Sie sich Ihre Wertediskussion in die Haare schmieren. Denn wir können nicht sagen: Wir wollen unsere verfassungsmäßigen Werte erhalten, wenn wir sie gleichzeitig in immer größerer Geschwindigkeit abbauen und vernichten.
({1})
Das funktioniert nicht. Deswegen appelliere ich, diesen Weg der Hektik der Gesetzgebung nicht weiterzugehen, sondern sorgsam zu prüfen, ob ein Schritt, den wir gemeinsam beschließen, notwendig ist, und die Zurückhaltung auch dann zu wahren, wenn viele ungeduldige Heißsporne meinen, sie könnten sich dabei Verdienste erwerben.
({2})
Das Wort hat nunmehr der Staatsminister des Inneren des Freistaats Bayern, Herr Minister Dr. Beckstein.
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Länder haben im Bereich der inneren Sicherheit wichtige Kompetenzen. Für die Bayerische Staatsregierung ist der Schutz des Bürgers vor Verbrechen und Vergehen seit jeher ein besonders wichtiges Anliegen. Deswegen glaube ich, ist es legitim, wenn auch ich bei dieser wichtigen Debatte auch aus der Sicht des Freistaats Bayern spreche.
Der Entwurf für das Verbrechensbekämpfungsgesetz der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. ist ein bedeutender Fortschritt. Ich begrüße es besonders, daß, wie in unserer Bundesratsinitiative vom November 1992 gefordert, die erhöhte Strafandrohung und der Einsatz des Instrumentariums zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gegen Schlepperbanden eingeführt werden.
Gerade nachdem der enge Zusammenhang zwischen illegaler Zuwanderung, Asylmißbrauch und Kriminalitätsentwicklung hervorgehoben worden ist, ist das wichtig. Deswegen, Herr Abgeordneter de With: Diejenigen, die die Verzögerung der Beseitigung dieser Schwierigkeiten im Bereich Asylmißbrauch zu verantworten haben, haben damit auch mehr als zwei Drittel des Zuwachses an Verbrechen und Vergehen in Bayern zu verantworten.
({1})
Es ist eindeutig nachweisbar, daß Kriminalitätstourismus und Zuwanderungskriminalität in einem engen Zusammenhang stehen.
({2}) - Sie müssen sich das schon anhören.
Sehen Sie sich die Kriminalitätsstatistiken der Länder sorgfältig an, dann werden Sie feststellen, daß sich die Kriminalitätsbelastung der ansässigen Bevölkerung, unabhängig davon, ob Deutsche oder Ausländer, in den letzten zehn Jahren nicht nennenswert verändert hat, daß aber ein dramatischer Anstieg der Kriminalität der sich kurzfristig hier Aufhaltenden festzustellen ist.
Deswegen muß derjenige, der engagiert etwas tun will, die Erscheinungen des Kriminalitätstourismus und der kurzfristigen Zuwanderungskriminalität angehen. Wer das nicht sieht, der hat keine Ahnung.
({3})
Mit der Einführung der Kronzeugenregelung für den Bereich der organisierten Kriminalität und einer wesentlichen Verschärfung des Haftrechts werden weitere zentrale bayerische Forderungen erfüllt. Ich wundere mich schon darüber, daß hier in einer so oberflächlichen Weise die Frage der Kronzeugenregelung negativ dargestellt wird. Natürlich hat sie im Bereich des Terrorismus bisher nichts oder nicht viel gebracht, aber die kleine Kronzeugenregelung im Betäubungsmittelbereich ist doch eine der tragenden Säulen der Ermittlungen der Polizei.
({4})
Jedenfalls wird mir das von all meinen Leuten des Landeskriminalamtes gesagt.
Deswegen kann ich hier nur an die Kollegen der SPD gerichtet sagen: Sie sollten sich darüber informieren! Die Erweiterung im Bereich der organisierten Kriminalität ist durchaus eine erfolgversprechende Maßnahme. Sie wird wie keine einzige Maßnahme der Stein der Weisen sein. Auch die elektronischen Maßnahmen sind nur ein Baustein. Aber wenn man ein großes Problem angehen will, muß man alle Möglichkeiten aufnehmen und darf sich nicht irgendwelche Denkverbote leisten.
({5})
Für das Strafverfahrensrecht, meine Damen und Herren, kann mit der Einführung des beschleunigten Verfahrens für einfach gelagerte Fälle bei gleichzeitiger Beschränkung des Beweisantragsrechts eine wesentliche Verbesserung erreicht werden. Damit würde versucht, den lange verlorenen Grundsatz, daß die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen soll, erneut durchzusetzen.
Daß eine schnelle Strafe viel wirksamer ist als die Frage: ein Monat mehr oder weniger, wird Ihnen jeder Anwalt deutlich sagen. Deswegen ist das Anliegen, daß die Strafe schnell der Tat folgt, von zentraler Bedeutung. Nur dadurch können wir wirklich Fortschritte in besonderer Weise erreichen.
({6})
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({7})
Für wichtig halte ich auch die vorgesehene Strafrahmenerhöhung bei Körperverletzungsdelikten und die Einführung eines besonderen Straftatbestands für das Mitführen von Waffen beim illegalen Drogenhandel. Letzteres ist insbesondere deshalb wichtig, weil wir feststellen, daß die international organisierten Dealerbanden auch auf den Endverbrauchermarkt Zugriff nehmen, wodurch eine enorme Brutalisierung - auch des Ameisenhandels - stattfindet. Dem muß frühzeitig Einhalt geboten werden.
({8})
- Ein Fachbegriff, den Sie, Herr Kollege, vielleicht in der kriminologischen Diskussion nachlesen sollten. Alle Polizeibeamten aller Bundesländer wissen, daß es sich um den Bereich von zwei bis fünf Gramm handelt. In diesem Bereich, das ist neu, aber von der Front aller Bundesländer her völlig einheitlich klar, ist neuerdings festzustellen, daß internationale Banden versuchen, Zugriff zu nehmen, was wir mit großer Sorge sehen.
Aber wer als Landesinnenminister täglich an der Front steht und dort auch Entscheidungen treffen muß, kommt nicht um die Feststellung herum, daß der Entwurf für das Verbrechensbekämpfungsgesetz nicht voll befriedigt, z. B. in den Bereichen der Gewaltkriminalität und der Massenkriminalität.
So fordere ich z. B. für die bessere Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen eine Verschärfung der Strafandrohung. Das „In-die-Wohnung-Eingreifen" ist etwas, was von zentraler Bedeutung für das Sicherheitsgefühl des normalen Bürgers ist. Deswegen muß der Tatsache, daß die Wohnung heilig ist, auch mit einem veränderten Strafrahmen begegnet werden. Jeder weiß, daß aus solchen Straftaten auch sehr leicht Verletzungen der körperlichen Integrität erfolgen können. Es ist die Horrorvorstellung eines jeden Bürgers, daß er, wenn er nachts nach Hause kommt, plötzlich bei sich zu Hause einen Einbrecher findet. Deswegen muß hier eine andere Strafdrohung erfolgen als in anderen Bereichen.
({9})
Ich will noch eine Bemerkung zur Frage privater Sicherheitsdienste machen, weil ich mich gewundert habe, wie Frau Kollegin Fuchs das behandelt hat. Ich meine, daß Sie hier völlig losgelöst von der Diskussion aller Länderinnenminister diskutiert. Alle Länderinnenminister bemühen sich darum, den Abbau sogenannter polizeifremder Aufgaben durchzuführen, z. B. im Bereich der Begleitung von Schwertransporten. Das geht nur dann, wenn gleichzeitig private Sicherheitsdienste hierfür zur Verfügung stehen.
Deswegen ist die Diskussion, wie sie vorhin Frau Fuchs geführt hat, gegenüber der Innenministerkonferenz völlig abstrus. Dort bemüht man sich, mögliche Aufgaben, die nicht von der Polizei vollzogen werden müssen, auf andere Bereiche zu verlagern, damit die Polizei für die eigentliche hoheitliche Tätigkeit mehr Zeit hat.
Aber gerade dann braucht man für Sicherheitsdienste in sensiblen Bereichen ein besseres Instrumentarium. Deswegen ist es richtig, daß wir hier Vorschriften zur besseren Kontrolle in das Verbrechensbekämpfungsgesetz aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, im Bereich der organisierten Kriminalität sind allerdings wichtige Forderungen noch aufzustellen: Einsatz technischer Mittel in Wohnungen; ein Rechtfertigungsgrund milieugerechten Verhaltens für verdeckte Ermittler; weitestgehende Beweiserleichterung zur Anordnung des erweiterten Verfalls des Vermögens; Ausweitung der Telefonüberwachung auf Straftaten der Geldwäsche; Einführung der lebenslangen Freiheitsstrafe bei bandenmäßigem Drogenhandel in besonders schweren Fällen und Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden an der Beobachtung der organisierten Kriminalität.
Wir müssen uns wieder die Erkenntnisse, die von allen Experten im In- und Ausland geteilt werden, zur Grundlage machen. Das allerwichtigste bei der Bekämpfung der hochprofessionell agierenden organisierten Kriminalität ist, die Abschottung zu überwinden und auf die Profite Zugriff zu nehmen. Um die Abschottung zu überwinden, brauchen wir auch die Möglichkeit des Einsatzes technischer Hilfsmittel.
Die in § 100 a der Strafprozeßordnung zugelassene TÜ kann allenfalls Ermittlungsansätze liefern. Aber man verabredet sich allenfalls zu einem persönlichen Gespräch. Die Meinung, die hierzu vor kurzem von der Bundesjustizministerin erklärt worden ist, daß es nicht mehr erforderlich ist, die Wohnung abzuhören, wenn man weiß, wo man sich trifft, zeigt, daß man von der Praxis sehr weit entfernt ist.
({10})
Ich darf hierfür Herrn Luciano Violante, den Chef der italienischen Mafia-Jäger, wörtlich zitieren, der gesagt hat:
Wir haben in Italien die Möglichkeit des Lauschangriffs. Wenn sich also Mafia-Bosse treffen, müssen sie von der Gefahr ausgehen, daß sie abgehört werden. Wenn es diese Möglichkeit in Deutschland nicht gibt, ist es gut möglich, daß sich Mafiosi künftig in Ihrem Lande absprechen werden... Deutschland bietet Angriffsflächen, weil es noch nicht über die geeigneten Mittel gegen das organisierte Verbrechen verfügt.
Gerade die F.D.P., die sonst soviel von Europa redet, sollte bei den Mitteln der Kriminalitätsbekämpfung wenigstens europäische Standards annehmen.
({11})
Frau Fuchs hat vorhin auch für mich sehr eindrucksvoll dargestellt, welche Zusammenhänge zwischen Alltagskriminalität und organisierter Kriminalität bestehen. Die SPD muß sich dann allerdings vorwerfen lassen, daß sie sich über Jahre hinweg massiv gegen das erforderliche Handwerkszeug zur Be18192
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({12})
kämpfung der organisierten Kriminalität gewendet hat.
({13})
Sie haben sich über lange Jahre hinweg gegen den Einsatz technischer Hilfsmittel gewendet. Auch Ihr jetziger Entwurf ist für die Praxis völlig untauglich. Die Polizeipräsidenten sagen uns, daß wir, wenn wir vorher ein parlamentarisches Kontrollgremium und ein entsprechendes Kollegialgericht befassen müssen,
({14})
nur den erwischen, der sich rechtzeitig, drei oder vier Wochen vorher, angemeldet hat. Für die Praxis ist das untauglich.
Herr Minister, Sie sind bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Singer zu beantworten?
Staatssekretär Dr. Günther Beckstein ({0}): Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß die Führung des Bundeskriminalamts den Entwurf der SPD zur elektronischen Wohnraumüberwachung als praktikabel und ohne weiteres in der Praxis durchführbar bezeichnet hat?
({0})
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({1}): Er ist besser als nichts. Aber es wird keinen ernsthaften Sachverständigen aus dem Bereich der Praxis geben, der nicht sagt, daß hier außerordentlich hohe Hürden eingeführt sind. Er ist besser als nichts. Die SPD hat sich bewegt. Sie hat ihre jahrelange Verweigerungshaltung, durch die sie für den Zuwachs der Kriminalität ein großes Maß an Verantwortung trägt, verändert. Das ist zu begrüßen. Es reicht aber nicht aus.
Zum zweiten Bereich will ich deutlich sagen: Wir brauchen die Einbeziehung des Verfassungsschutzes in die Beobachtung der organisierten Kriminalität. Es ist abstrus. Wenn Sie mit Ihrem früheren Kollegen Porzner reden, erfahren Sie, welche Erkenntnisse der Bundesnachrichtendienst in der Praxis im Bereich internationaler Waffenhandel, im Bereich internationaler Rauschgifthandel hat. Diese Erkenntnisse werden in den Papierkorb geworfen. Und Sie widersetzen sich jetzt dem, daß diese Erkenntnisse eingebracht werden.
({2})
Das ist doch die alte SPD-Linie von vor zwei oder drei Jahren.
({3})
- Frau Abgeordnete Fuchs hat sich vorhin massiv gegen diese Regelung gewendet. - Deswegen meine ich, hier müssen Sie massiv sagen, daß das angewendet und eingebracht werden muß.
({4})
Herr Staatsminister, zunächst muß ich Sie fragen, ob Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Hirsch beantworten. Ich rechne Ihnen das nicht auf Ihre Zeit an. - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, ich hoffe, Sie haben sich eben versprochen oder vertan. Ist Ihnen wirklich nicht bekannt, daß die Erkenntnisse, die der Bundesnachrichtendienst heute - ich sage: in bedauerlicher Weise in einer katastrophal schlechten Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt - in Rauschgiftländern bekommt, keineswegs vernichtet werden, sondern natürlich in die polizeiliche Arbeit einfließen?
Ich frage Sie weiter: Wenn Herr Porzner Ihnen dargestellt haben sollte, daß der Bundesnachrichtendienst Kenntnisse, die heute unter den Schutz des Art. 10 des Grundgesetzes fallen und die er vernichten muß, in großem Umfang habe, dann möchte ich Sie einmal fragen, wie Sie glauben, daß eine solche Aussage des Präsidenten Porzner zustande kommt, wenn er, wie er uns immer versichert, die Information nach dem Gesetz ohne Kenntnisnahme sofort vernichtet?
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Herr Abgeordneter Hirsch, ich hatte gedacht, daß wir über Grundfragen in diesem rechtlichen Bereich nicht diskutieren müssen.
({1})
Die Grundvoraussetzung heißt: Auslandserkenntnisse sind selbstverständlich zulässig. Ich hatte angenommen, daß wir als Fachleute selbstverständlich wissen, daß es um Inlandserkenntnisse geht. Selbstverständlich müssen Sie zugeben, daß Inlandserkenntnisse, die vorhanden waren, sofort vernichtet werden. Aber das sind doch Banalitäten. Wir sollten eine Fachdiskussion dadurch nicht verlängern.
Inlandserkenntnisse, die der BND bekommt, müssen vernichtet werden. Es gibt dazu nicht nur mündliche, sondern auch schriftliche Äußerungen des Präsidenten des BND. Diese Vernichtung ist auch dringend erforderlich. Darüber sollten wir uns eigentlich nicht groß auseinandersetzen.
Herr Abgeordneter Dr. Hirsch möchte eine Zusatzfrage stellen. Sind Sie bereit, auch die zu beantworten?
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Staatsminister, muß ich Ihrer Äußerung entnehmen, daß Ihnen nicht bekannt ist, daß es sich um Auslandserkenntnisse handelt, die unter dem Schutz des G 10 stehen, weil
sich darunter möglicherweise ein deutscher Gesprächspartner befindet oder weil es sich immer nur um internationale Telefongespräche handelt, der Bundesnachrichtendienst aber keine Kenntnis von Inlandsgesprächen hat? Ist Ihnen das unbekannt?
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Herr Abgeordneter Hirsch, es ist doch durchaus vorstellbar - und ich glaube, das ist jedem, der sich damit beschäftigt, auch bekannt -, daß im Rahmen von Auslandsüberwachungen Details über Inlandsgeschehen erkannt werden können. Diese Erkenntnisse müssen vernichtet werden. Daß das nicht auf Dauer so geht, ist Bestandteil des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, das Sie übrigens mit vorgelegt haben. Weil Sie das auch erkannt haben, verstehe ich nicht, daß Sie sich jetzt in der Öffentlichkeit wieder dagegen wehren.
Wir müßten jetzt, wenn Sie bereit sind, dem Abgeordneten de With die Möglichkeit geben, seine Frage zu stellen.
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Ja.
Herr Staatsminister Beckstein, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich hier in diesem Saal vor etwa zwei Stunden in dieser Debatte des langen und breiten ausgeführt habe, daß das G-10-Gremium mit allen Beteiligten, auch mit der SPD, die Bundesregierung vor mehr als einem Jahr aufgefordert hat - die Bundesregierung ist insoweit säumig -, endlich Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, damit die bestehende Lücke ausgefüllt werden kann, daß damit auch die SPD dahintersteht, und daß ich gesagt habe: Ich habe u. a. einen Punkt der Kritik, und das ist der vorgelegte Paragraph 3 a, weil ich fürchte, daß dies den BND teilweise zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft macht, daß wir darüber aber reden müssen. Wie können Sie also sagen, nein, das wollten wir nicht?
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Herr Abgeordneter, das Vorgehen, einen Beschluß zu fassen, damit die Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag vorlegt, würde ich von jemandem verstehen, der nicht im Bundestag ist. Von jemandem, der Mitglied des Bundestages ist, erwarte ich, daß er dann selbst einen Gesetzesvorschlag vorlegt; oder er muß sich vorhalten lassen, daß er es nicht ernst meint.
({1})
- Wir haben im Bundesrat entsprechende Vorschläge vorgelegt. Ich werde nachher noch mit einem kurzen Punkt darauf kommen.
({2})
Lassen Sie mich hier noch einmal deutlich sagen: Frau Fuchs hat sich vorhin gegen die im Verbrechensbekämpfungsgesetz vorgesehene Einbindung des BND und eine Erweiterung der BND-Befugnisse ausgesprochen. Ich weiß zwar, daß in der SPD zwischen den unterschiedlichen Bereichen nach wie vor eine massive Diskrepanz besteht. Trotzdem hatte ich angenommen, daß das, was Frau Fuchs gesagt hat, auch für die weiteren Teile der SPD gilt.
({3})
Lassen Sie mich noch zwei Punkte zum Bereich der Einbindung des Verfassungsschutzes ansprechen. Ich halte es für konsequent, daß der BND seine Erkenntnisse weiterleiten darf. Dementsprechend meine ich auch, daß die übrigen Verfassungsschutzbehörden, ohne daß das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz aufgehoben wird, ihre Möglichkeiten einbringen sollen.
Ich halte es für eine schwere Unterlassung unseres Staates, wenn sich jemand von der Qualität der Familie Escobar in Deutschland aufhält - Sie wissen, Escobar: Medellin-Kartell - und wir keinen konkreten Anfangsverdacht für konkrete Straftaten haben, daß wir dann keine polizeilichen Maßnahmen einleiten können. Ich halte es aber für dringend geboten, daß wir Leute von dieser Qualität - wir haben ja auch andere, manchmal erfahren wir sehr kurzfristig von ausländischen Diensten davon -, Leute der ersten Garnitur von Mafia-Organisationen, Rauschgifthändler, wenn sie in Deutschland sind, dann auch entsprechend begleiten können und daß damit der Verfassungsschutz mit seinen Befugnissen seiner Sicherungsaufgabe für unser Land nachkommen kann. Das halte ich für dringend erforderlich.
({4})
Das, so meine ich, sollte auch entsprechend aufgenommen werden.
Ein letztes, Herr Präsident, darf ich das noch ausführen. Im Bereich der Gewinnabschöpfung sind wir uns darüber einig, daß die gesetzlichen Instrumentarien nicht ausreichen.
({5})
Hier stimme ich auch der SPD zu. Allerdings meine ich, daß die Vorschläge der SPD hier nicht weiterführen und insbesondere in einer massiven Weise gegen Art. 14 des Grundgesetzes verstoßen.
({6})
Mir ist allerdings unverständlich, warum die SPD noch vor ein bis zwei Jahren im Bundesrat entsprechende Vorschläge der Bayerischen Staatsregierung, nämlich den Landesantrag zum Entwurf der Bundesregierung zu einem Strafrechtsänderungsgesetz, am 16. Februar und am 18. April 1990 im Unterausschuß Recht im Rahmen der Behandlung des OrgKG als zu weitgehend abgelehnt hat, während wir sagen: Wenn der Straftäter rechtskräftig verurteilt ist, dann kann auch die Beweislastumkehr mit entsprechenden Sicherungsmaßnahmen zuvor, die wir vorgeschlagen haben, vorgenommen werden. Jetzt haben Sie einen Salto mortale gemacht. Ich würde mir allerdings wünschen, daß nicht nur Sie als Vorturner in der ersten Garnitur des Bundestages das erkennen, sondern daß auch diejenigen in den weiteren Linien und in der allerletzten Linie der SPD in Bayern das merken und nicht unsere bisherigen Vorschläge noch als zu weitgehend darstellen.
Herr Minister, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Sie können so lange reden, wie Sie wollen, aber das geht auf Kosten der Redezeit der CDU/CSU-Fraktion.
Staatsminister Dr. Günther Beckstein ({0}): Ich habe nur noch eine halbe Seite, die ich als versöhnliche Schlußbemerkung vortragen will.
Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren, die heutigen Anmerkungen als ein Angebot zur Diskussion der wesentlichen Vorschläge aufzufassen. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz ist ein wesentlicher Fortschritt, so daß es sich lohnt, auf seiner Basis die weiteren Vorschläge zu erarbeiten.
Unsere Bürgerinnen und Bürger fühlen sich nicht durch den Staat, sondern durch das Verbrechen bedroht. Deswegen wird es allerhöchste Zeit, energische Maßnahmen einzuführen. Die Polizei braucht das Handwerkszeug dazu, um mit den Verbrechen des Jahres 1994 auch mit den Möglichkeiten des Jahres 1994 fertig zu werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben hier heute auf- und abschwellend einen Wettbewerb der beiden großen Parteien, wer der bevorstehenden Katastophe im Bereich der Kriminalität entschiedener und wehrhafter entgegentritt.
Ich sehe in dieser Richtung der Diskussion eine Gefahr. Der Anstieg der Kriminalität im Westen Deutschlands wird hier hochgeredet.
({0})
-Ich empfehle z. B. Ihnen, mein Herr, den Artikel von Werner Lehne in der „Frankfurter Rundschau" vom 10. und 11. Februar zu lesen, wo er sich im einzelnen damit auseinandersetzt, was auf dem Gebiet der Kriminalität passiert. Er legt auch dar, daß im Bereich der Massendelikte - um die handelt es sich hier zu einem erheblichen Teil - die Chance hoher Aufklärungsraten nur besteht, wenn die Polizei mit der Anzeige auch die Tatverdächtigen mitgeliefert erhält. Er spricht von struktureller Erfolglosigkeit der Polizei.
Es wird auch außer acht gelassen - mit Ausnahme von Herrn Graf, den ich ausdrücklich ausnehmen möchte -, daß Kriminalität etwas mit sozialen Fragen zu tun hat, daß es einen sozialen Hintergrund von Kriminalität gibt. Es wird im Grunde ausschließlich darauf orientiert, Kriminalität mit polizeilichen, mit strafrechtlichen Mitteln zu verfolgen.
Im Osten, wo wir tatsächlich eine Kriminalitätsexplosion haben, ist die Steigerung im wesentlichen auf den gesellschaftlichen Umbruch, der dort stattgefunden hat, zurückzuführen. Auch dort rangiert noch heute die Besorgnis vor Kriminalität hinter den Fragen der Sicherung des Arbeitsplatzes und der Wohnung.
Ich meine also, wir können eine solche Debatte nicht führen, indem wir eine große Kriminalität herbeireden
({1})
und gleichzeitig ausschließlich auf die Antwort des Strafrechts verweisen. Ich halte das für gefährlich.
Welche Mittel werden nun angeboten? Ich möchte zu zwei Themen etwas sagen, einmal zum sogenannten beschleunigten Verfahren. Ich kann den Deutschen Anwaltverein sehr gut verstehen, der in diesem Zusammenhang sagt: Die Vorschläge zur Einschränkung des Beweisrechts in einem beschleunigten Strafverfahren führen zur Gefahr von Fehlurteilen. Warum wird dieser alte Hut, der in einem früheren Gesetz schon einmal abgelehnt worden war, wieder hervorgeholt?
Das gleiche gilt für die Kronzeugenregelung. Der Herr Minister Kanther hat hier gesagt: Die Kronzeugenregelung hat zwar keinen Erfolg erzielt, aber wir weiten sie jetzt auf andere Gebiete aus.
Es ist nicht wahr, daß das alles neue Mittel sind. Man hat diese Mittel gehabt. Man hat über diese Mittel in der Auseinandersetzung mit der KPD diskutiert. Man hat über derartige Mittel in der Auseinandersetzung mit der RAF diskutiert. Jetzt diskutiert man das wieder einmal, und nun hofft man, endgültig zum Erfolg zu kommen. Es geht immer wieder um dieselben Medikamente, die für unterschiedliche wirkliche oder herbeigeredete Krankheiten angewandt werden sollen.
Der SPD-Entwurf eines Zweiten Gesetzes macht mich insgesamt - das muß ich gestehen - ziemlich ratlos. Mich irritiert vor allem die Gefahrenlage, die Sie dort beschreiben. In der Gemeinsamen Verfassungskommission war der Grundtenor unserer Diskussion um die Verfassung von seiten der Regierungskoalition, daß sich alles bewährt habe. Von der SPD gab es eine ganze Reihe von unterstützenswerten Vorschlägen. Jetzt plötzlich haben wir hier ein Notstandsszenario von seiten der SPD. Im Herbst 1992 hat sie noch zu Recht, wie ich meine, das Gerede des Kanzlers über den Staatsnotstand kritisiert, und jetzt bringen Sie das selbst.
Sie sprechen in der Begründung Ihrer Vorschläge davon, daß die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats insgesamt unterminiert würden. Ich halte das für eine sehr starke Formulierung, und ich bin der Meinung, sie wird in keiner Weise bewiesen. Welches Land beschreiben Sie denn, in dem die Gesetze der Marktwirtschaft von Kriminellen ausgehebelt werden?
Wir haben im Rechtsausschuß über die Vorwürfe beraten, die zur Verflechtung der Staatsanwaltschaft mit der organisierten Kriminalität erhoben wurden, und wir waren uns dort einig, daß sie in dieser Form nicht berechtigt sind.
Ich halte es für schlimm, daß es heute zwischen den beiden großen Parteien einen Wettbewerb bei der Einschränkung von Grundrechten gibt. Widerstand
dagegen leisten offenbar nur noch BÜNDNIS 90, die F.D.P. in Teilen und die PDS.
In diesem Wettbewerb um die Einschränkung von Grundrechten ist jetzt das suchende Auge der SPD-Fraktion auch noch auf den bisher unbeschädigten Grundgesetzartikel 14 gefallen. Ich kann Ihren Entwurf in dieser Frage nicht ernst nehmen.
Ich habe ja Verständnis dafür, daß die SPD jetzt die Koalition in der Frage des Lauschangriffs und der Geldwäsche vorführen will, nachdem Sie vorher in der Asylfrage vorgeführt worden sind. Ich meine nur, daß die Grundrechte - damit meine ich das ganze Ensemble der Grundrechte - eine denkbar ungeeignete Spielwiese für derartige Manöver ist.
Sollten Sie von der SPD diesen Entwurf nur im vollen Vertrauen darauf eingereicht haben, daß er an der F.D.P. scheitern wird, so meine ich, daß das jene taktischen Manöver sind, die zur Parteienverdrossenheit von immer mehr Wählern in Deutschland führen.
Noch ein Wort an meinen Vorredner, den bayerischen Innenminister Dr. Beckstein. Er hat hier gesagt, keine Maßnahme wird ein Stein der Weisen sein, und er hat erklärt, es dürfe keine Denkverbote geben. Ich habe Sorge, wenn ein Stein zum anderen kommt - einer der Steine wird nach der bayerischen Meinung wahrscheinlich auch das Verbot der PDS sein -, was für ein Gebäude wir dann mit Hilfe dieser bayerischen Steine in diesem Staat haben. Ich befürchte, es wird ein autoritärer Staat sein.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es drängt mich, doch noch ein Wort zum SPD-Entwurf zu sagen, gerade weil der Kollege Graf vorhin so stark von der Seite der Praxis und der Polizei her gesprochen hat, im wesentlichen nach meinem Herzen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, so sehr ich Ihr Anliegen teile, daß wir den Mafiosi das, was sie sich da angeeignet haben, abnehmen müssen, und so sehr ich der Kollegin Fuchs recht gebe, daß man da Neuland betreten muß: Ihr Entwurf ist meines Erachtens noch nicht das hieb- und stichfeste Neuland, das man dazu braucht, der feste Boden, den wir haben müssen. Das hat meines Erachtens drei Gründe.
Herr de With ist gerade nicht da; ich wollte ihn gerade anreden. Er hat gesagt, wir müssen jene Leute, von denen ich eben gesprochen habe, packen. Richtig so! Aber Ihr Entwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, packt ja nun eben die Bürger. Das tut er - Herr Hirsch hat es vorhin deutlich gesagt - hinsichtlich der Wanze, und das tut er natürlich auch im Bereich des Eigentums, wo Sie eine Regelung vorschlagen, bei der ich nun leider sagen muß: Ich würde Ihnen ja gerne folgen, aber man muß das wirklich entkräften, was Herr Kleinert gesagt und was Herr Hirsch vorgebracht hat, auch das, was die Justizministerin gesagt hat. Das muß widerlegt werden. Ich glaube, das ist nötig, damit die Sache hieb- und stichfest wird. Das ist mein Anliegen, das ich mit Ihnen teile.
Ich habe eine Vermutung, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum das so gekommen ist. Frau Fuchs hat einen Ansatz zu einer präzisen Definition von organisierter Kriminalität gemacht. Das braucht man, denke ich, wenn man das machen will, was Sie vorhaben. Aber das, was Frau Fuchs vorgeschlagen hat, war viel zu eng. Wir haben ja im Rechtsausschuß mit Herrn Zachert darüber diskutiert. Er hat uns einen unabgeschlossenen Merkmalskatalog vorgelegt; das ist wieder zu weit. Was wir brauchen, ist meines Erachtens eine strafrechtlich präzise Definition von organisierter Kriminalität.
Der dritte Grund, meine Damen und Herren, ist: Sie haben meines Erachtens recht, daß diejenigen, die die Grundrechte gegen die Interessen der Gesellschaft und gegen die Autorität des Staates mißbrauchen, natürlich die Grundrechte verwirken. Dann muß es aber vorher ein Verfahren geben, damit man so mit ihnen umgehen kann, wie Sie das wollen, und zwar im Bereich des Art. 14.
Unser Grundgesetz hat ja eine Andeutung zu einem solchen Verfahren im Bereich des Art. 18, Verwirkung von Grundrechten. Ich weiß natürlich, daß das Verfahren, wie es jetzt ist, im wesentlichen auf das Verbot verfassungswidriger Parteien ausgerichtet ist. Aber wir können uns doch, wenn wir schon Neuland betreten wollen, auch einmal überlegen, ob es nicht ein Art.-18-Verfahren geben kann, das sich gegen die Mafiosi und alle diejenigen richtet, die durch ihr Handeln zeigen, daß sie die Grundrechte verwirkt haben. Dann könnte man auf sichereren Pfaden zu dem Neuland gelangen, auf das Sie hingewiesen haben.
Das eine muß ich den Kollegen von der SPD nun allerdings doch noch bescheinigen, und ich sage das auch in Richtung auf die F.D.P.: In einer Hinsicht hat der Entwurf den Vorzug eines deutlicheren Problembewußtseins, nämlich im Bereich der Grundrechte. Das Gesetz spricht freilich die sorgfältige und vorsichtige Sprache von Herrn Hirsch. Aber es ist leider offen gegen eine Exegese, Herr Marschewski, wie Sie sie vorhin im Fortissimo vorgetragen haben, und zwar bei der Vermischung von nachrichtendienstlichen und polizeilichen Aufgaben.
({0})
Hier ist der Entwurf der SPD, so möchte ich sagen, eine Problemanzeige, die ich sehr schätze, wenn auch noch nicht die Lösung der Probleme. Und damit stimme ich allem anderen zu.
({1})
Der Abgeordnete Dr. Krause ({0}) hat nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Große Teile der deutschen Bevölkerung erwarten, daß die Verbrechensbekämpfung verschärft wird, daß die Gesetze verschärft werden und daß sie auch exakter durchgeführt werden. Bevor ich hierauf eingehe, möchte ich sagen: Ich bin verwundert, daß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Antrag zur Verschärfung des Waffenrechts eingebracht hat und niemand dazu gesprochen hat. Ich möchte nur zweierlei dazu sagen.
Erstens. Wir brauchen eine Verschärfung im Vorgehen gegen illegalen Waffenbesitz und Waffenmißbrauch. Es kann nicht sein, daß Waffennester entdeckt und ausgehoben werden und nach wenigen Stunden sämtliche daran Beteiligten wieder auf freien Fuß gesetzt werden.
Zweitens. Wir brauchen eine im Schengener Abkommen geforderte Harmonisierung des europäischen Waffenrechts. Aber zu fordern, daß der legale Waffenbesitz erschwert werden soll, heißt, die rechtschaffenen deutschen Jäger und Sportschützen zu bestrafen, weil es einen Kriminalitätstourismus gibt, der leicht anderswo legal beschaffte und bei uns verbotene Waffen über die Grenzen hereinbringt.
({0})
Diese Forderung ist dasselbe, als wollte man das Phänomen der steigenden Massenvergewaltigung dadurch beseitigen, daß man den ehelichen Beischlaf gesetzlich reglementiert.
({1})
Hier wird man wohl die Ursache bekämpfen müssen.
Nun noch einiges zum Gesetzentwurf. Inhaltlich kann ich diesen Veränderungen natürlich voll zustimmen, obwohl sie mir in manchen Punkten nicht weit genug gehen. Vieles, was die beiden Innenminister Kanther und Beckstein gesagt haben - entschuldigen Sie bitte, daß ich das so offen sage -, wird wortwörtlich auch auf den Versammlungen gesagt, die ich besuche und auf denen ich rede. Da gibt es keinen Unterschied.
({2})
Aber einen Unterschied gibt es doch: Eine Regierung wird danach beurteilt, welche Bilanz sie am Ende ihrer Regierungszeit vorlegt. Wenn gesagt wurde, daß in anderen europäischen Ländern in ähnlicher Weise eine Kriminalitätsexplosion stattgefunden hat, dann ist eben die nationale EG-Politik anderer Länder und auch unseres Landes mit verantwortlich für diese Kriminalitätsexplosion.
Es ist in der Tat so - wer sich damit ernsthaft beschäftigt, weiß es -, daß sich die Zahl der Delikte bis 1990 von 4,2 Millionen auf 4,5 Millionen nur langsam erhöht hat. Jetzt sind wir aber wahrscheinlich bei über 7 Millionen. Das ist eine Bilanz, an der der Wähler die Regierungen in Bund und Ländern messen wird. Woran denn sonst?
Lassen Sie mich bitte zu zwei Einzelheiten noch etwas sagen: zunächst zum Tatbestand der Volksverhetzung. Wer zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, muß wegen Volksverhetzung bestraft werden. Das hat meine ungeteilte Unterstützung. Das muß sich aber gegenüber jedermann anwenden lassen. Wenn also bestimmte Bevölkerungsteile diffamiert werden, wie z. B. Tausende grundanständige Menschen, die ich innerhalb der Partei der Republikaner kenne, wenn mit einer perfiden Technik der Lüge unzusammenhängende Dinge so schnell nebeneinandergeschnitten werden, daß der falsche Eindruck entsteht, es bestünden Zusammenhänge, wenn zu Haß gegen Teile der Bevölkerung aufgerufen wird, dann wird Volksverhetzung begangen.
Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes sagt klar: Niemand darf wegen seiner Rasse, seiner Herkunft, seiner politischen Überzeugung benachteiligt oder bevorzugt werden. Das muß auch gegenüber denen gelten, die ihre Stellung mißbrauchen, um zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufzurufen. Ich selber habe in Hannover erlebt, daß ein SPD-Oberbürgermeister unmittelbar vor unserem Versammlungslokal eine Kundgebung abgehalten hat und nur noch die Polizei mit Wasserwerfern einem weiteren Ausufern der Gewalt von linken Chaoten entgegenwirken konnte, nachdem bereits 50 meiner Parteifreunde verletzt worden waren. Wer so etwas organisiert, muß sich nach denselben Maßstäben dieses Gesetzentwurfes messen lassen.
Ich hoffe, dieses Gesetz kommt durch und wird angewandt. Ich hoffe, daß es ein erster Schritt sein wird, um endlich Rechtsstaatlichkeit gegenüber dem Bürger durchzusetzen; denn eine weitere Kriminalitätsexplosion, über die 7 Millionen Delikte hinaus, wäre in der Tat nicht zu verantworten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Prof. Dr. Jürgen Meyer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein vorläufiges Resümee der heutigen Debatte über die im Mittelpunkt der Diskussion stehenden beiden Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion einerseits und der Regierungskoalition andererseits ergibt aus meiner Sicht folgende Feststellungen.
Der SPD-Entwurf konzentriert sich auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, hat also einen präzise beschriebenen Anwendungsbereich. Er geht von der Grundforderung aus, daß sich Verbrechen nicht lohnen dürfen, und trägt der Tatsache Rechnung, daß der Eigentumsschutz von Art. 14 des Grundgesetzes nicht für ein Vermögen gilt, das aus Straftaten stammt. Nach meinem Eindruck ergeben sich aus der heutigen Debatte durchaus Verständigungsmöglichkeiten, die in den bevorstehenden Beratungen auszutesten und auszudiskutieren sein werden.
Demgegenüber ist beim Entwurf der Regierungskoalition auch durch die Debatte nicht ganz klargeworden, was eigentlich mit Vorrang bekämpft werden
Dr. Jürgen Meyer ({0})
soll. Es handelt sich um ein Sammelsurium von Vorschriften, durch die in acht verschiedene Gesetze, vom Strafgesetzbuch bis zur Gewerbeordnung, eingegriffen werden soll. Sie beziehen sich zum Teil auf die organisierte und zum Teil auf die Massenkriminalität.
({1})
Eine Konzeption ist nicht erkennbar.
({2})
Soweit Vorschläge aus dem sogenannten Sicherheitspaket '94 von Bundesinnenminister Kanther nicht übernommen worden sind, wird immerhin deutlich, auf welche Initiativen sich diese Koalition in den letzten Monaten ihres segensreichen Wirkens nicht mehr verständigen kann. Insofern handelt es sich eher um eine Konfliktbilanz der Regierungskoalition als um einen, wenn auch reichlich verspäteten, Tätigkeitsnachweis.
({3})
Unser Entwurf eines außerstrafrechtlichen Vermögenseinziehungsgesetzes ist unmittelbar nach seiner Einbringung von dem F.D.P -Fraktionsvorsitzenden Dr. Solms, der die F.D.P. gerne als Partei des Eigentums bezeichnet, mit einer Bemerkung kritisiert worden, der sich die Frau Justizministerin vorhin sinngemäß angeschlossen hat. Ich zitiere Herrn Dr. Solms:
Wer Eigentum auch ohne Schuldnachweis beschlagnahmen will, ist auf dem besten Wege, bei vielen Bürgern auch das letzte Vertrauen in die Schutzfunktion des Staates zu zerstören.
Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, als ob es nicht auch um den Schutz des Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger gegen schwerste Verbrechen unter Einsatz von Millionenvermögen ginge!
({4})
Abgesehen davon, daß die Unschuldsvermutung nur im Strafrecht gilt und bisher von den nach unserem Entwurf zuständigen Zivilgerichten nicht angewandt wurde, rufe ich folgendes in Erinnerung: Es war die Regierungskoalition unter Einschluß der F.D.P., die trotz der von uns in Übereinstimmung mit vielen Sachverständigen geäußerten Bedenken vor 18 Monaten die Vermögensstrafe nach § 43a StGB eingeführt hat. Sie soll - und das ist in manchen Redebeiträgen offenbar ein bißchen verdrängt worden - sogar dann verhängt werden können, wenn der wegen bestimmter Straftaten zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe Verurteilte nachweist, daß er sein Vermögen völlig legal erworben hat. Unserer Auffassung, daß diese Sanktion verfassungswidrig ist, hat sich inzwischen die gesamte Kommentarliteratur angeschlossen. Die Vermögensstrafe wird deshalb praktisch nicht angewandt. Das ist die Situation, in der der Gesetzgeber handeln muß, und deshalb haben wir Sozialdemokraten unseren Entwurf vorgelegt.
Heute schlägt die Regierungskoalition allen Ernstes vor, die leerlaufende Sanktion der Vermögensstrafe auch bei gewerbs- oder bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern oder gewerbs- oder bandenmäßiger Verleitung zu mißbräuchlicher Asylantragstellung einzuführen. Im Entwurf wird das als Fortentwicklung der Grundlagen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität angepriesen. Bei den organisierten Kriminellen werden Sie damit allenfalls Heiterkeit ernten; denn die Vermögensstrafe wird auch weiterhin nicht angewandt werden. Was Sie vorlegen, ist insoweit eine Schaueinlage und nicht seriöse Gesetzgebung.
({5})
Ihr von uns vorhergesehenes Scheitern bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sollte uns zu gemeinsamem und intensivem Nachdenken veranlassen, wie wir die Gewinnabschöpfung durch Beweiserleichterung und eine Umkehr der Beweislast außerhalb des Strafrechts, also verfassungsfest, ermöglichen können. Der SPD-Entwurf betritt, wie mehrfach dargestellt, Neuland. Wir laden Sie ein, bei dieser kreativen Gesetzgebungsaufgabe mitzuwirken.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Soweit die Regierungskoalition mit einer Vielzahl neuer Vorschriften der Massenkriminalität zu Leibe rücken will, hat man offenbar vergessen - das hat mein Kollege Günter Graf vorhin schon angesprochen -, daß eine wirkungsvolle Kriminalitätsbekämpfung in diesem Bereich zuallererst bei den sozialen Ursachen ansetzen muß.
Noch vor wenigen Monaten hat die Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und Massenkriminalität" ausdrücklich eingeräumt, daß Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und fehlende Zukunftsperspektiven unbestreitbare Ursachen für den Anstieg der Kriminalität seien. Aber im Zeichen des herannahenden Wahlkampfes will man davon offenbar nichts mehr wissen. Gegenüber allen Versuchen, durch gesetzgeberischen Aktivismus von den wahren Ursachen des Kriminalitätsanstiegs abzulenken, wiederhole ich auch in dieser Debatte: Es ist die von dieser Regierung mit zu verantwortende Verarmung, die erfolglose Arbeitsmarktpolitik und die Begünstigung individuellen Erfolgsstrebens gegenüber mitmenschlicher Solidarität, die einen Preis fordert, der sich auch und nicht zuletzt in der Kriminalitätsbelastung ausdrückt.
({6})
Der Entwurf eines Kriminalitätsbekämpfungsgesetzes der Regierung konzentriert sich - wie wir sehen - auf das Strafrecht. Immerhin ist zumindest auf den ersten Blick erfreulich, daß nunmehr auch die Koalition mehr als drei Monate nach dem von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf die ausdrückliche Berücksichtigung des Täter-Opfer-Ausgleichs im strafrechtlichen Sanktionensystem vorschlägt. Leider geschieht das nur halbherzig. Insofern hätte man sich doch besser an unserem, von der Koalition schamhaft mit Stillschweigen übergangenen, umfassenderen Entwurf orientiert; denn die Koalition schlägt nur unterschiedslos die Möglichkeit einer Strafmilderung vor, während wir bei Vermögensdelikten, im Unterschied zu Gewaltdelikten, jedenfalls dann eine obligatorische Strafmilderung vorsehen, wenn dem Täter vor der Entdeckung der
Dr. Jürgen Meyer ({7})
Tat eine vollständige Wiedergutmachung des entstandenen Schadens und eine Aussöhnung mit dem Opfer gelungen ist.
Was die Regierungskoalition vorschlägt, ist eigentlich nichts Neues, sondern eher die Bestätigung einer längst geltenden Rechtsprechung. Ich hoffe, daß wir gemeinsam einen mutigeren Schritt nach vorne gehen können. Die Opfer und die Wiedergutmachung des ihnen zugefügten Schadens müssen stärker als bisher in den Mittelpunkt des Strafverfahrens gerückt werden.
Ich will aus Zeitgründen meine Bedenken hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung eines sogenannten beschleunigten Verfahrens, auch hinsichtlich einiger Punkte der Verschärfung des Haftrechts hier nicht ausführen.
Ich stelle hier abschließend fest: Wo handeln sinnvoll wäre, erweist sich die Regierungskoalition leider als handlungsunfähig.
({8})
Im Bereich der organisierten Kriminalität fehlen nach wie vor ausreichende Zeugenschutzprogramme, die nach unserer Überzeugung wesentlich mehr brächten als die vorgeschlagene Ausdehnung des zweifelhaften Instruments des Kronzeugen. Wann endlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, legen Sie zur Eindämmung der Drogenkriminalität den Entwurf eines Grundstoffüberwachungsgesetzes vor, damit Chemikalien zur Herstellung harter Drogen nicht mehr so leicht wie bisher exportiert werden können? Kolumbien und andere Länder der Dritten Welt weisen mit Recht darauf hin, daß es eine faktische Zusammenarbeit zwischen der deutschen Chemieindustrie und den internationalen Drogenkartellen gibt. Dem sollte endlich ein Riegel vorgeschoben werden.
({9})
Was die unterlassene gesetzliche Regelung von elektronischen Diebstahlsicherungen an Kraftfahrzeugen angeht, stelle ich fest: Ihre Untätigkeit hat dazu geführt, daß vor wenigen Monaten Millionen von Kraftfahrern eine erheblich erhöhte Zahlung für ihre Kasko-Beiträge leisten mußten. Das ist die Folge Ihrer Politik.
({10})
In anderen Bereichen darf man geradezu froh darüber sein, daß sich die Regierungskoalition als handlungsunfähig erweist. Ich nenne beispielhaft nur die in dem Sicherheitspaket 1994 von Kanther geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts, über die wir nach der überfälligen Antwort auf unsere Große Anfrage zu reden haben werden. Es geht hier auch um Reformen, Frau Ministerin, etwa des Jugendstrafvollzugs, zu denen die Regierung nach dem fast vier Jahre alten Beschluß des Bundestages längst Entwürfe hätte vorlegen müssen.
Mein Schlußsatz: Wir Sozialdemokraten werden es nicht zulassen, daß Jugendliche und Heranwachsende zu Sündenböcken einer verfehlten Politik gemacht werden. Statt nach zwölf eher matten Jahren nun plötzlich Muskeln zu zeigen, sollte diese zerstrittene und politisch reichlich erschöpfte Regierung endlich die Gelegenheit zur Erholung auf den Oppositionsbänken erhalten.
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Manfred Heise.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bessere Schutz vor Kfz-Diebstählen entwickelt sich von Tag zu Tag zu einem großen gesellschaftlichen Anliegen, wobei alle Betroffenen, also Staat, Wirtschaft, Industrie und die Versicherer, zu einer gemeinsamen Vorgehensweise aufgerufen sind.
Ich will, meine Damen und Herren, im Rahmen dieser Debatte dieses Thema ein wenig näher beleuchten. Dabei steht die traurige Bilanz zu Buche, daß im Jahre 1992 vom Bundeskriminalamt insgesamt 131 329 Kfz-Diebstähle erfaßt werden mußten, wobei rund 70 000 der gestohlenen Fahrzeuge auf Dauer abhanden kamen, bei leider immer noch weiter steigender Tendenz, 1993 144 057 Fahrzeuge, ein weiteres Plus von 9,7 %. Fast ausnahmslos handelt es sich bei den auf Dauer verschwundenen Fahrzeugen um hoch- und neuwertige Wagen von renommierten Herstellern. Bei einem angesetzten Durchschnittswert von 30 000 DM je Fahrzeug ergibt sich ein Schaden von etwa 1,8 Milliarden DM; Kollege de With hat auf diesen großen Betrag schon hingewiesen.
Ich möchte nur einige Maßnahmen nennen, die einen wirksamen Gegenpol zu dieser erschreckenden Entwicklung bilden:
Zunächst brauchen wir dringend stärkere Polizeikräfte - auch das wurde hier schon gesagt - und eine verbesserte internationale Zusammenarbeit beim grenzüberschreitenden Verkehr. Mit solchen administrativen Maßnahmen kann dem organisierten Verbrechen wirksam entgegengetreten werden.
Ferner aber ist auch die Kfz-Diebstahlsicherung entscheidend zu verbessern; denn den Fahrzeugkäufern ist es nicht mehr zu vermitteln, ein Produkt abzunehmen, für das der Hersteller keine ausreichende Sicherung zu gewähren vermag.
Im Ausschuß für Verkehr wurde von uns am 1. Dezember 1993 ein Änderungsantrag eingebracht, und zwar zum insgesamt - so würde ich doch sagen - begrüßenswerten SPD-Antrag, der allerdings in zwei Punkten andere Auffassungen vertritt. Der Rechtsausschuß hatte diese Auffassungen mehrheitlich so übernommen.
Wir, d. h. CDU/CSU und F.D.P., sind der Meinung, daß erstens eine umgehende Änderung der Richtlinie 74/61/EWG über Sicherungseinrichtungen gegen unbefugte Benutzung, so z. B. durch die obligatorische Einführung von elektronischen Wegfahrsicherungen, erreicht werden muß. Eine EG-Regelung, in der diese elektronische Wegfahrsperre nicht vorgeschrieben ist, ist wertlos, und man müßte dann in der Tat über andere Vorgehensweisen nachdenken.
Nach der erfolgten kurzfristigen - hier muß man unterstreichen: kurzfristigen - Richtlinienänderung könnten die nationalen Vorschriften in der StVZO geändert werden, hier speziell die §§. 38a und 38 b. Im
Gegensatz zur Opposition wird von uns - gerade auch wegen der internationalen Verpflichtungen Deutschlands - dieser Weg beschritten. Ein Alleingang zur Änderung der StVZO würde neben Wettbewerbsverzerrungen auch zu Irritationen innerhalb der Europäischen Union führen. Auch die Erteilung der Betriebserlaubnis spielt hierbei eine besondere Rolle.
Zweitens forderten wir von der Bundesregierung bis zum 1. März einen Bericht darüber, ob Möglichkeiten für die Einführung fälschungssicherer Kfz-Kennzeichen vorhanden sind. Dagegen forderte die Opposition, die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierfür sofort zu schaffen. Ich schlage vor: Lassen Sie uns diesen Bericht abwarten, ehe wir an weitere Maßnahmen denken. Bekanntlich muß bei fälschungssicheren Kfz-Kennzeichen besonders auch die Frage nach der diebstahlsicheren Anbringung geklärt sein, wobei heute -
Herr Kollege, ich weiß, daß Sie wenig Zeit haben. Würden Sie trotzdem eine Zwischenfrage gestatten? - Das wird nicht auf die Redezeit angerechnet.
Ja, bitte.
Da Sie einräumen, daß es uns jetzt doch möglich wäre, im Verordnungswege die §§ 38a und 38b der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zu ändern, was zur Folge hätte, daß obligatorisch die Wegfahrsperre elektronischer Art eingeführt werden müßte, frage ich Sie: Sind Sie nicht bereit, zu akzeptieren, daß dies, täten wir das im Alleingang, die EU möglicherweise dazu bringen könnte, rascher zu verfahren, als sie es bisher tut, nachdem sie schon - ich kann es gar nicht anders formulieren - unendlich viel Zeit verplempert hat, was bedeutet, daß unendlich viel Fahrzeuge gestohlen worden sind, die sonst nicht gestohlen worden wären?
({0})
Herr Kollege de With, ich hatte schon gesagt: Die Änderung der EG-Richtlinie muß kurzfristig kommen; sonst muß man in der Tat etwas anderes machen. Wir haben auch bei der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses erlebt, daß diese Auffassung so vertreten wurde. Wir sind der Auffassung, daß danach erst die StVZO zu ändern ist.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ganz kurz folgendes sagen: Ein Kfz kann heute in 10 bis 15 Sekunden aufgebrochen und gestohlen werden. Eine totale und absolute Diebstahlsicherung gibt es nicht. Mit den vier Punkten - mechanische Sperren, Warnanlagen, elektronische Sicherungseinrichtungen und organisatorische Maßnahmen - kann man die Täter jedoch an ihrem verbrecherischen Tun effizient hindern, wenn nicht sogar entscheidend behindern.
Ich muß noch einmal sagen: Eindeutig hilfreich und entscheidend ist eigentlich nur die elektronische Wegfahrsperre, die das komplette Motormanagement außer Betrieb setzt. Wir appellieren an die Automobilindustrie, Diebstahlsicherungen zu einem erschwinglichen Preis anzubieten. In der öffentlichen Anhörung sind uns Beträge zwischen 400 und 600 DM genannt worden. Ich meine, daß der Kunde bereit ist, für diese Sicherung einen angemessenen Preis zu zahlen.
Wichtig ist auch, daß sich die Versicherer etwas Neues einfallen lassen, z. B. einen Abschlag bei Höchstentschädigung, wenn das Fahrzeug nicht mit qualifizierter Diebstahlsicherung ausgestattet ist, oder gestaffelte Beiträge je nach Ausstattungsgrad und Fahrzeugalter.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Insgesamt leisten wir so einen Beitrag zur Zurückdrängung der organisierten Kriminalität in unserem Land und in Europa.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nun spricht als nächster der Kollege Jörg van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der mehr als vierstündigen Debatte sind fast alle Argumente schon mehrfach gebracht worden. Es ist deshalb nicht hilfreich, wenn ich hier meine vorbereitete Rede halte. Vielmehr möchte ich ein persönliches Fazit der Dinge ziehen, die mir beim Verbrechensbekämpfungsgesetz wichtig sind.
Punkt 1: Herr Professor Meyer, Sie haben kritisiert, daß wir verschiedene Dinge zusammengefaßt haben. - Das ist richtig; deshalb nennen wir unser Gesetz auch nicht 2. OrgKG, sondern Verbrechensbekämpfungsgesetz, um damit deutlich zu machen, daß wir die vielen verschiedenen Defizite, die wir erkannt haben, aufgreifen und die entsprechenden Schritte ergreifen, um diese Defizite abzubauen. Genau das tun wir.
({0})
Der zweite Punkt: Sie haben kritisiert, daß wir Defizite außerhalb des Rechts nicht aufgegriffen haben. Es ist richtig: Auch die sehen wir. Sie brauchen nur in unser Programm „Innere Sicherheit" zu schauen, um zu erkennen, daß wir die vielen anderen Dinge, die Sie zu Recht angesprochen haben - z. B. die Defizite in der Ausbildung, die allgemeine Wertediskussion -, auch sehen und zu ihrer Lösung einen vernünftigen Weg aufzeigen.
Eine dritte Bemerkung: Ich meine, unsere Bürger haben zu Recht den Eindruck, daß im Bereich der inneren Sicherheit etwas geschehen muß. Wir können uns nicht darauf zurückziehen, daß wir im internationalen Vergleich bei bestimmten Straftaten im Mittelfeld liegen. Es gibt eindeutig zu viele Straftaten. Gerade die Anzahl der Straftaten, die in den persönlichen Bereich unserer Mitbürger eingreifen, ist seit der deutschen Wiedervereinigung stark gestiegen: Raubüberfälle auf offener Straße, die für die Betroffenen häufig mit Todesangst verbunden sind, Wohnungseinbrüche, die dazu führen, daß - neben dem
Videorecorder und vielen anderen Dingen - auch Gegenstände, an denen das Herz hängt, weg sind.
Mir ist wichtig, daß die Schieflage, die in unserem Strafgesetzbuch lange Zeit vorhanden war, in Zukunft beseitigt ist. Angriffe auf das Eigentum wurden nämlich grundsätzlich schärfer sanktioniert als Angriffe auf die körperliche Integrität. Jährlich rund 15 000 allein wegen einfacher Körperverletzung verurteilte Täter - darunter sind natürlich auch Delikte des Straßenverkehrsrechts - machen deutlich, wie wenig Achtung vor dem Mitmenschen und seiner körperlichen Unversehrtheit besteht. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, daß wir in diesem Bereich ebenso wie in anderen Bereichen der Körperverletzungsdelikte die Strafandrohung erhöhen.
Ein weiterer Punkt, der mir auch wichtig ist: In unserer Gesellschaft steht der Aktive, der Täter, im Mittelpunkt. Es gibt kaum Interesse für die Opfer von Straftaten.
({1})
Das ist für mich in exemplarischer Weise ganz besonders im Falle Marianne Bachmaier deutlich geworden. Als sie nur die Mutter war, deren Tochter Schaden erlitten hatte, hat sich niemand für sie interessiert. Sie wurde erst zum Medienstar, als sie selbst zur Täterin wurde. Diesem Aspekt müssen wir in Zukunft eine stärkere Aufmerksamkeit widmen. Deshalb bin ich sehr froh, daß uns ein erster Einstieg in einen Täter-Opfer-Ausgleich gelingt, der dazu führen wird, daß die Interessen der Opfer in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Ich denke, daß das außerordentlich wichtig ist.
Nächste Bemerkung: Ich bin lange Zeit in der Strafverfolgung gegen rechtsradikale Täter tätig gewesen. Das wissen hier im Hause fast alle, bis auf den bayerischen Innenminister, der in einem „Focus"Interview gesagt hat, in der F.D.P.-Fraktion sei niemand, der aktive Erfahrung in der Strafverfolgung habe. - Ich muß sagen, ich freue mich deshalb mit besonderem Nachdruck, daß die Defizite, die ich selbst auch immer gespürt habe - bei § 86 a StGB, bei der Frage des Haftrechts, bei den §§ 130, 131 StGB -, endlich beseitigt werden. Ich denke, daß das ein deutliches und notwendiges Zeichen ist.
Eine kritische Bemerkung: Bei der Geldwäsche mußten wir nach kurzer Zeit nachbessern. Das ist kein Ruhmesblatt für uns. Ich höre auch schon Kritik von den Anwälten, die sagen, das sei konturenlos, was wir dort vorgesehen hätten. Ich habe die Kritiker zu einer Anhörung eingeladen, damit sie uns bessere Vorschläge machen. Ich bin mal gespannt, was wir dort hören werden.
Wir verbessern die Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung bei Schutzgelderpressung, und das macht deutlich, daß wir natürlich auch im Bereich der organisierten Kriminalität tätig sein müssen. In diesem Bereich - das kann ich nur unterstreichen, weil es viele hier schon gesagt haben -- gibt es keinen Königsweg. Weder die eine noch die andere Maßnahme allein wird es uns ermöglichen, den notwendigen Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu führen. Für mich als Liberalen ist im übrigen - das darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang deutlich sagen - die Frage der Sicherung der Freiheit des einzelnen Bürgers durch den Staat - wir haben als Liberale häufig nur die Frage der Sicherung der Freiheit des Bürgers gegen einen zu starken Staat in unserer Diskussion - wichtig, denn gerade im Bereich der organisierten Kriminalität ist der einzelne Bürger beim Schutz seiner Freiheit auf die Hilfe des Staates angewiesen.
({2})
Deshalb kommt für mich der versuchsweisen Einführung der Kronzeugenregelung - die ist insbesondere von den Kollegen der SPD kritisiert worden - eine wichtige Mosaiksteinfunktion zu.
({3})
Wer die Erfolge anderer Staaten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, insbesondere in Italien, sieht, wird erkennen, daß ein Bündel von verschiedenen Maßnahmen zu den tagtäglich in den Zeitungen zu lesenden Verhaftungen von Spitzenleuten der Mafia geführt hat.
Wir Liberalen verkennen natürlich nicht - Sie haben es auf den Punkt gebracht -, daß es bei der Kronzeugenregelung zu einer einschneidenden Durchbrechung des Legalitätsprinzips kommt, daß das Rechtsstaatsprinzip verletzt und auch der Gleichbehandlungsgrundsatz berührt sein kann. Das müssen wir alles bedenken, aber wir nehmen eine Güterabwägung vor. Wir sagen, daß die Gefahren durch die organisierte Kriminalität für das Leben, für die Freiheit, für andere hohe Rechtsgüter schwerer wiegen als die Umstände, die auch gesehen werden müssen. Es wird die Zukunft erweisen müssen, welche weiteren Mosaiksteinchen einer solchen Güterabwägung zugeführt werden müssen.
Wir haben bei der Debatte über die Frage des Abhörens von Gesprächen in Wohnungen deutlich gemacht, daß wir ein Instrumentarium schaffen müssen, das dafür sorgt, daß der Schutz des wichtigen Grundrechts auf der einen Seite und die notwendigen Interessen der Strafverfolgung auf der anderen Seite miteinander abgewogen werden. Es gibt bei Art. 13 Grundgesetz dazu eine Fülle von Vorschlägen: durch den Innenminister, durch die SPD, durch die CDU, durch den einen oder anderen in der F.D.P. Ich vermisse deutlich eine solche Abwägung bei Ihnen bei Art. 14 Grundgesetz. Schauen Sie es sich einmal an: Sie überlassen die nähere Regelung einem einfachen Bundesgesetz in Ihrem Entwurf für Art. 14. Das bedeutet, daß in Zukunft nahezu unbeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. Das kann bei einem so wichtigen Grundgesetzartikel einfach nicht hingenommen werden.
({4})
Der zweite Aspekt: Herr Professor Meyer, Sie wissen, ich habe in der Koalition dafür gesorgt, daß wir neben §§ 111 o und 111p StPO noch die Vorschrift des § 443 StPO, der einen besseren Zugriff auf Vermögen ermöglicht, aufgenommen haben. Es ist schon zu
Recht darauf hingewiesen worden, daß diese Vorschrift erst kurze Zeit in der Welt ist. Es geht doch nicht an, daß man sofort wieder ans Grundgesetz geht, bevor überhaupt irgendwelche Erfahrungen vorliegen.
({5})
Es gibt bislang keinerlei Stimmen der Praxis, die sagen, daß diese Vorschriften nicht gegriffen haben. So kann man mit unserem Grundgesetz einfach nicht umgehen.
Wir muten der Justiz viel zu. Ich höre das auch von meinen Kollegen aus der Justiz. Aber - und auch das muß gesagt werden - wir erleichtern die Arbeit der Justiz auch, nämlich mit der vorsichtigen Erweiterung des Selbstleseverfahrens in der Hauptverhandlung und auch mit der Vorschrift des § 257a StPO, wonach das Gericht bestimmen kann, daß Beweis- und weitere Verfahrensanträge schriftlich zu stellen sind.
Das hat heftige Kritik bei den Anwälten gegeben, die meinen, damit werde das Geheimverfahren eingeführt. Ich halte diese Kritik nicht für berechtigt. Jedem Prozeßbeteiligten steht es frei, auf seine schriftlichen Anträge - in welcher Form auch immer - hinzuweisen. Nein, die Einführung des Geheimverfahrens ist das mit Sicherheit nicht.
Es hat Bestrebungen gegeben, § 105 des Jugendgerichtsgesetzes zu ändern. Ich habe mich dagegengestellt und möchte dazu die Auffassung des Richterbunds wiedergeben, der meiner Ansicht nach das Richtige gesagt hat. Er sagte, die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende sei sachgerecht und lasse zu vernünftiger Anwendung Raum.
Seitdem ich im Deutschen Bundestag bin, habe ich sehr für das staatsanwaltschaftliche Informationssystem gekämpft, weil es uns sowohl die Bekämpfung reisender Gewalttäter als auch reisender Intensivtäter besser ermöglicht. Ein wichtiger Aspekt ist auch, daß die Justiz damit in ihrer Informationsmöglichkeit mit der Polizei gleichzieht. Auch das ist wichtig, und das wünsche ich mir.
Die vielen verschiedenen neuen Regelungen dienen uns allen und dem Rechtsfrieden unserer Gesellschaft. Etwas Besseres kann man zum Schluß einer Rede nicht feststellen.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat der Kollege Ortwin Lowack das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Rechtzeitig zum Wahlkampf legt die Koalition ein Verbrechensbekämpfungsgesetz vor. Meine lieben Koalitionäre: Merken Sie eigentlich nicht, daß sich die Bürger in unserem Land gerade dadurch mehr oder weniger verschaukelt oder für dumm verkauft fühlen müssen?
Es ist ein Gesetz, das Verbrechen bekämpfen will, aber im Grunde genommen ein Sammelsurium verschiedener Regelungen, die nichts mit der Verbrechensbekämpfung zu tun haben. Denken Sie daran, daß im beschleunigten Verfahren die Höchststrafe ein Jahr betragen soll, dort, wo das Verbrechen eigentlich erst beginnt. Es liegt aber auch eine maßlose Übertreibung in dem, was man vorgibt, hiermit regeln zu wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was der Bürger draußen befürchtet - die unglaubliche Zunahme bei Gewalttaten, bei Raubdelikten -, wird mit diesem Gesetz gerade nicht erfaßt, allenfalls am Rand. Ich habe den Eindruck, daß das, was im Hintergrund für diese hochschnellende Kriminalität in unserem Land entscheidend ist, überhaupt nicht angegriffen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Verfall der Autorität unseres Staates ist doch zunächst einmal im Verfall der politischen Grundsätze und Überzeugungen begründet, die die Parteien heute eben nicht mehr verkörpern und die sie nicht mehr vermitteln können. Ein Gesetz zu ändern, in dem ganz wichtige Prinzipien der Verteidigung und auch von Beschuldigten in Frage gestellt werden, ist dann im Grunde genommen nur der Ausdruck einer ganz großen inneren Schwäche.
Wenn ich mir im Abschnitt „Beschleunigtes Verf ah-ren" § 417 StPO anschaue, dann frage ich mich doch zuallererst - nicht nur als Jurist, sondern auch als jemand, der andere zu vertreten und zu verteidigen hätte -: Was sind eigentlich die Maßstäbe dafür, damit ich ein Verfahren für die Beschleunigung als geeignet ansehen kann? Dann lese ich die folgenden Paragraphen und Absätze und stelle fest: Nichts steht drin. In § 419 StPO wird dann gesagt, daß ein Maßstab sei, wenn das Gericht es auf Grund des Antrags der Staatsanwaltschaft für geeignet hält. Das sind wieder keine Grundsätze des Gesetzgebers, wann dieses Verfahren mit massivsten Eingriffen in die Verteidigerrechte zum Tragen kommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Rechte des Verteidigers sind die Rechte des Bürgers. Aber wenn die Rechte des Verteidigers eingeschränkt werden, werden auch die Rechte des Bürgers eingeschränkt. Das war Gegenstand eines Gesprächs, an dem gestern eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen teilgenommen haben.
Es geht weiter. Die zentrale Registrierung, für die man durchaus gute Gründe finden kann, ist natürlich paradox, wenn es im Entwurf heißt, daß der Beschuldigte, der rechtskräftig freigesprochen wird, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird, trotzdem in diesem Register drin bleiben soll, so als ob er wie ein Straftäter im Straßenverkehr bereits rechtskräftig seine Punkte bekommen hätte. Das funktioniert nicht.
Und wenn Strafanzeigen gegen den Bundeskanzler, meine lieben Koalitionäre, kämen, weil er sich nach § 130 StGB deswegen strafbar gemacht hat, weil er einen wichtigen Teil unserer Bevölkerung, der hart um seine Arbeitsplätze kämpft und hart arbeitet, beschimpft, daß er sich in einem „kollektiven Spielzeug- oder Freizeitpark" fühlen würde, dann kommt auch ein Bundeskanzler nie mehr aus diesem Register
heraus. Sie sollten sich einmal überlegen, welche Konsequenzen das, was Sie hier vorgelegt haben, hat.
Nein, das Schlimmste, was passieren kann, ist das ständige Herumarbeiten an einer Strafprozeßordnung, so daß sich ein Rechtsgefühl überhaupt nicht entwickeln kann, weil niemand mehr weiß, was sein Recht eigentlich noch ist. Dies ist aus meiner Sicht einer der schwierigsten und gravierendsten Verstöße gegen die Rechtssicherheit.
Dort aber, wo man wirklich etwas für die Motivation der Richter, Staatsanwälte, Polizei und Bürger tun könnte, dort schweigt das Gesetz. Dort wäre aber in Wirklichkeit anzusetzen.
Nein, der Staat hat versagt. Das müssen wir leider feststellen. Aber dieses Versagen mit einem derartigen Gesetz kaschieren zu wollen, würde nicht helfen. Es würde nur schaden.
Deswegen lassen Sie mich mit einem kleinen Vierzeiler schließen:
Allein Ihr täuscht den Bürger nicht, er wird es sich nicht gefallen lassen und hält demnächst bei Euch Gericht,
er läßt jetzt nicht mehr mit sich spaßen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Überweisungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen zu dem Tagesordnungspunkt 2 a bis 2 e, 2 g und 2 h sowie zu Zusatzpunkt 1 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung beim Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Maßnahmen gegen Lauschangriffe auf Drucksache 12/6658 - das ist Tagesordnungspunkt 2h - soll, entgegen dem Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung, beim Rechtsausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 f. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum besseren Schutz vor Kfz-Diebstählen auf den Drucksachen 12/4023 und 12/6627.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6871 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt nun für die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen, und zwar mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12a bis 12 c auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
- Drucksache 12/6753 Überweisung svorschlag:
Finanzausschuß ({0}) Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Umweltstatistiken
({1}) - Drucksache 12/6754 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Friedliche Lösung des Kurdenproblems in der Türkei
- Drucksache 12/6858 -Überwe i sung svorschla g: Auswärtiger Ausschuß
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 a bis 13 g und 13i auf:
Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fortführung von Unterstützungen der Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen
({3})
- Drucksache 12/4874 - ({4})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({5})
- Drucksache 12/6806 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hans-Hinrich Knaape
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6807 Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Sauer ({7})
Dr. Wolfgang Weng ({8})
Uta Titze-Stecher
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Errichtung einer Stiftung BundespräsidentTheodor-Heuss-Haus
- Drucksache 12/5916 - ({9})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
- Drucksache 12/6791 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Freimut Duve
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6795 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres
Ina Albowitz
Rudolf Purps
c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches ({12})
- Drucksache 12/6482 - ({13})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({14})
- Drucksache 12/6804 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Walter Franz Altherr
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({15}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6805 Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Sauer ({16})
Dr. Wolfgang Weng ({17})
d) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Europäischen Gemeinschaften über die Durchführung des Artikels 11 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 12/4468 - ({18})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({19})
- Drucksache 12/6818 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Regenspurger Fritz Rudolf Körper
Heinz-Dieter Hackel
e) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 18. Juni 1992 zur Revision des Übereinkommens über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts
- Drucksache 12/5839 - ({20})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({21})
- Drucksache 12/6794 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Stephan Hilsberg
Dirk Hansen
f) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Dezember 1992 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge
- Drucksache 12/5837 - ({22})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({23})
- Drucksache 12/6862 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Werner ({24}) Karsten D. Voigt ({25})
Dr. Olaf Feldmann
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Möglichkeit einer Fondslösung für Entschädigungsleistungen an Zwangsarbeiter aus dem Zweiten Weltkrieg
- Drucksachen 12/1973, 12/6725 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Roswitha Wisniewski Wolfgang Lüder
Uwe Lambinus
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses ({27})
Übersicht 12
über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
- Drucksache 12/6640 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Eylmann
Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 13a, zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Unterstützungsfortführungsgesetzes auf den Drucksachen 12/4874 und 12/6806.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol18204
Vizepräsidentin Renate Schmidt
len, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13b, Zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über die Errichtung einer Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus auf den Drucksachen 12/5916 und 12/6791. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf bei zwei Stimmenthaltungen einstimmig in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen?
- Damit ist dieser Gesetzentwurf bei zwei Stimmenthaltungen einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13 c und zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf zur Änderung des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches auf Drucksache 12/6482. Der Ausschuß für Gesundheit empfiehlt auf Drucksache 12/6804, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 12/6482 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen.
({28})
- Ich weiß, daß ich schnell spreche; ich möchte Ihnen die Zeit auch nicht zu lang werden lassen. Ich darf noch einmal sagen: Ich lasse jetzt abstimmen über den Gesetzentwurf des Bundesrates - wie ich es schon einmal gesagt habe - auf Drucksache 12/6482 und darf noch einmal diejenigen bitten, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen wollen, ihr Handzeichen zu geben. - Ich bin begeistert. Wunderbar. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Es ist begriffen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
({29})
- Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Sie glauben es nicht: Ich könnte Ihnen jetzt die Zettel geben und könnte es immer noch.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13 d und zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit den Europäischen Gemeinschaften zum Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften auf Drucksache 12/4468. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6818, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13 e. Dabei handelt es sich um den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts auf Drucksache 12/5839. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft empfiehlt auf Drucksache 12/6794, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf bei zwei Gegenstimmen angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13f. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge auf Drucksache 12/5837. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6862, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Ich komme nun zum Tagesordnungspunkt 13 g. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Möglichkeit einer Fondslösung für Entschädigungsleistungen an Zwangsarbeiter aus dem Zweiten Weltkrieg auf den Drucksachen 12/1973 und 12/6725. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Gegenstimme angenommen.
Der Tagesordnungspunkt 13h ist abgesetzt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 13i, zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht auf Drucksache 12/6640. Dabei handelt es sich um die Übersicht 12. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksache 12/6855 Ich rufe als ersten Geschäftsbereich den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Bernd Schmidbauer zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen Norbert Gansel:
Haben sich in der Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes Zielkontrollkarten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR oder andere Unterlagen über Abhörmaßnahmen befunden, und welcher Verwendung sind sie zugeführt worden?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Gansel, auf Ihre erste Frage darf ich Ihnen antworten, daß sich im Bundeskanzleramt zu keiner Zeit, weder in noch außerhalb seiner Zuständigkeit, Zielkontrollkarten oder andere Unterlagen über Abhörmaßnahmen des ehemaligen MfS befunden haben. Dies war bis zum Zeitpunkt 7. Februar diesen Jahres richtig.
Wir haben am Abend des 7. Februar 1994 eine große Anzahl Zielkontrollkarten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR übergeben bekommen. Ich schätze die Zahl auf 20 000 bis 25 000. Die Pakete wurden dem Bundesbeauftragten für die StasiUnterlagen ungeöffnet übergeben. Sie sind jetzt bei der Gauck-Behörde unter Verschluß.
Dies alles geschah in Abstimmung mit der Parlamentarischen Kontrollkommission, als es darum ging, dafür zu sorgen, daß sich solche Zielkontrollkarten nicht verstreut ohne Aufsicht befinden, sondern nur unter Aufsicht der dafür zuständigen Behörde. Das ist im Anschluß an den 7. Februar diesen Jahres passiert.
Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Welchen Inhalt haben diese Zielkontrollkarten? Sind sie Kontrollkarten über einzelne Personen, einzelne Anschlüsse oder einzelne Gespräche, und werden sie bei der Gauck-Behörde in Zusammenarbeit mit anderen Stellen weiter ausgewertet?
Diese Zielkontrollkarten sind für die Strafverfolgungsbehörde auf Anfrage zugänglich. Die Zielkontrollkarten waren Einzelkarten, die sich auf Anschlüsse bezogen haben. Aber hinter diesen Anschlüssen verbergen sich natürlich Namen. Es ging aber auch um Anschlüsse in Ämtern, Ministerien und Behörden, die nicht personenspezifisch überwacht wurden.
Ich sagte bereits, es waren über 20 000. Sie können davon ausgehen, daß es weit über das Doppelte gewesen sein kann. Die Anschlüsse sind sehr perfektioniert durch die Hauptabteilung III überwacht worden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Sind diese Anschlüsse ständig überwacht worden, und auf welchen Zeitraum bezieht sich die Überwachung?
Es gab Anschlüsse, die ständig überwacht wurden. Es gab Anschlüsse, die bei Bedarf überwacht wurden. Es gab Anschlüsse, die sporadisch überwacht wurden. Die wichtigsten Anschlüsse waren Anschlüsse, die ständig überwacht und mitgeschnitten wurden und dann der entsprechenden Führung des Ministeriums oder anderen Behörden zugänglich waren.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Brecht.
Gibt es eine Möglichkeit, daß die betroffenen Bürger über die Tatsache der Existenz einer solchen Kontrollkarte informiert werden, oder ist das durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht abgedeckt?
Das ist durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz geregelt. Durch Anfrage des Betroffenen oder der Betroffenen bei der GauckBehörde kann in Erfahrung gebracht werden, wer einer solchen Überwachung unterlegen hat und wer nicht.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Heyenn.
Herr Staatssekretär, sind diese Karten aufbereitet und vorsortiert worden, oder soll das erst durch die Gauck-Behörde erfolgen?
In welchem Zustand sich die Karten befinden, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich sagte, wir haben die übergebenen Pakete nicht geöffnet. Sie wurden abgeholt und befinden sich jetzt in der Gauck-Behörde. Es gibt aber neben diesen Zielkontrollkarten eine Fülle an Zielkontrollkarten, die mit Sicherheit aufgearbeitet sind und die sich bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden oder bei den entsprechenden Behörden befinden. Aber all diese Karten müßten entsprechend dem Stasi-Unterlagen-Gesetz der Gauck-Behörde angezeigt worden sein, so daß bei der Gauck-Behörde jetzt darüber Übersicht bestehen müßte, in welchen Händen sich restliche Zielkontrollkarten befinden.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Bindig.
Sie haben gesagt, daß die Karten am 7. Februar im Bundeskanzleramt eingegangen sind. Können Sie angeben, woher sie gekommen sind, als sie dort eingegangen sind?
Das kann ich selbstverständlich, und ich mache das auch im zuständigen Gremium in dieser Woche oder in der nächsten Woche. Wenn die Parlamentarische Kontrollkommission tagt, wird dort wie über alle diese Dinge sehr offen gesprochen. Das zuständige Gremium wird auch über den Absender das Notwendige erfahren.
({0})
Weitere Zusatzfragen liegen mir zu dieser Frage nicht vor.
Wir kommen zur Frage 2 des Kollegen Gansel:
Haben sich im Bundeskanzleramt Protokolle über Abhörmaßnahmen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR oder Auswertungsberichte über solche Maßnahmen befunden, und, wenn ja, zu welchem Zweck?
Herr Kollege Gansel, im Bundeskanzleramt haben sich zu keiner Zeit Protokolle über Abhörmaßnahmen des ehemaligen MfS der DDR oder Auswertungsberichte über solche Maßnahmen befunden; nachgeordnete Behörden jetzt ausgenommen. Sie haben gefragt: in der Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes. Dafür ist
dann meine Antwort, die ich Ihnen soeben gegeben habe, gültig. Ich schließe nicht aus, daß sich in nachgeordneten Behörden solche Protokolle, wenn sie spezifisch bei einer Auswertung Verwendung finden mußten, befunden haben.
Ein großer Teil dieser Protokolle wurde laut Beschluß des Kabinetts im März 1990 vernichtet. Alles, was hinterher aufgetaucht ist und übergeben wurde, mußte der zuständigen Behörde angezeigt oder der zuständigen Behörde übergeben werden.
Zusatzfrage des Kollegen Gansel.
Welche nachgeordneten Stellen des Bundeskanzleramts kommen dafür in Frage, Herr Staatsminister?
Ich könnte mir vorstellen, daß sich solche Dinge in den Händen eines Nachrichtendienstes, der nachgeordnet ist, für die Auswertung, falls Bedienstete betroffen sind, befunden haben oder befinden und nur zur Auswertung im Zusammenhang mit dem Betroffenen dann herangezogen werden. Dies ist aber dann den Betroffenen auch bekanntgegeben worden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Sind solche Auswertungen oder Zielkontrollkarten auch dem Generalbundesanwalt zur Verfügung gestellt worden, und ist von dort dann an die Gauck-Behörde die Benachrichtigung erfolgt, daß diese Karten oder Dossiers existieren?
Ich gehe davon aus, daß der Generalbundesanwalt in der Beziehung zur zuständigen Gauck-Behörde sowohl Einsicht in diese Protokolle hat und auch weiß, welche Protokolle sich in welchem Besitz befinden.
Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung werden die Frage 3 der Kollegin Jutta Müller ({0}) und die Frage 4 des Kollegen Ludwig Stiegler schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Hier steht zur Beantwortung Herr Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Ortwin Lowack:
Welche Wirksamkeit hat das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 in der Außenwirkung, nachdem der Text des Urteils nicht zusammen mit den Vertragsunterlagen in Rom - etwa als Interpretationserklärung - hinterlegt wurde?
Herr Kollege, § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes regelt die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Diese binden innerstaatlich die Verfassungsorgane des
Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Eine über die nationale Rechtsordnung hinausgehende „Außenwirkung" kommt Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zu.
Herr Staatsminister, halten Sie es dann nicht für nicht nur fahrlässig, sondern geradezu absolut unvertretbar, daß die Bundesregierung in Kenntnis dessen, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur Innenwirkung hat, sie nicht zumindest als Interpretationserklärung mit der Urkunde hinterlegt hat, um damit klarzumachen, daß das, was einen selber bindet, auch völkerrechtlich in irgendeiner Form zum Ausdruck gebracht werden muß?
Nein, Herr Kollege. Es bestand dazu keine sachliche Notwendigkeit. Es bestehen keine Differenzen bei der Auslegung des Vertrages zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem Bundesverfassungsgericht. Soweit dies für das Bundesverfassungsgericht von Bedeutung war, hat sich die Bundesregierung auf Bitten des Gerichts durch Rückfragen bei unseren Partnern durchaus vergewissert, daß keine unterschiedlichen Interpretationen bestehen.
Im übrigen kann ich nochmals sagen: Es ist unseren Partnern der Europäischen Union bewußt, daß es eine solche Auslegung gibt. Eine Hinterlegung dieser Auslegung des Bundesverfassungsgerichts bei einem solchen Vertragsentwurf ist nicht nur unüblich, sondern wäre auch allen bisherigen Usancen entsprechend falsch.
Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.
Herr Staatsminister, nachdem leider die völkerrechtliche Lage ja ganz anders ist und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eben nur dann völkerrechtlich verbindlich für andere überhaupt dargelegt worden sein kann, wenn dieses Urteil zusammen mit der Urkunde hinterlegt worden wäre, und niemals ersetzt werden kann durch die Stellungnahmen von Regierungen, die ja auch ersetzt werden können, frage ich trotzdem: Warum ist dann dieser Schritt - der einzige, der wirklich zu einer völkerrechtlichen Verbindlichkeit führen konnte - nicht gegangen worden?
Ich habe Ihnen bereits gesagt, warum dieser Schritt nicht gegangen worden ist. Ich darf aber wiederholen: Soweit das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Maastricht einen Hinweis auf die Bereitschaft der Bundesregierung enthalten hat, den Partnern das parlamentarische Verfahren z. B. beim Übergang in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion mitzuteilen, so ist diese Mitteilung zwischenzeitlich erfolgt. Die Partner sind informiert. Es bedurfte nicht einer Hinterlegung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes.
Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Die Fragen 6 und 7 des Kollegen Dr. Olaf Feldmann werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Rudolf Bindig auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Fachorganisationen der humanitären Hilfe, so z. B. die Deutsche Welthungerhilfe, die eigentliche humanitäre Hille, welche die Bundeswehr in Somalia geleistet hat, auf lediglich 2,3 Mio. DM geschätzt haben, und wie hoch veranschlagt die Bundesregierung selbst die Leistungen für die Einzelprojekte, gemessen an den üblichen Maßstäben der humanitären Hilfe und der Entwicklungspolitik?
Herr Kollege, der Verband der Bundeswehr zur Unterstützung von UNOSOM II hat in Belet Huen Hilfsmaßnahmen durchgeführt, die als „humanitäre Hilfe" im weiteren Sinne bezeichnet werden können. Die Bundeswehr ist dabei nicht in Konkurrenz zu Hilfsmaßnahmen oder entwicklungspolitischen Projekten deutscher Hilfsorganisationen getreten. Die Hilfsleistung der Bundeswehr fand in einem völlig anderen Zusammenhang statt. Ein Kostenvergleich mit ähnlichen Maßnahmen von Nichtregierungsorganisationen ist deshalb weder möglich noch angebracht.
Zusatzfrage, Herr Kollege Bindig.
Herr Staatsminister, es müßte, da gerade Ihr Haus Erfahrungen hat, wie teuer humanitäre Hilfsmaßnahmen sind und was dafür geleistet werden kann, doch möglich sein, nach den üblichen Maßstäben einmal aufzulisten, was es nach Ihren Erfahrungen kosten würde, eine Schule zu bauen, Kranke zu versorgen, Brunnen zu bohren. Wird so etwas bei Ihnen nicht gemacht?
Ich kann Ihnen nur sagen, daß es nicht unsere Aufgabe war, in Einzelheiten eine Aufstellung der Maßnahmen, die es am Rande der Tätigkeit der Bundeswehr in Belet Huen gegeben hat, vorzulegen. Das Auswärtige Amt ist, was den Titel „Humanitäre Soforthilfe" betrifft, an dem ganzen Unternehmen auch nur mit kleineren Beträgen beteiligt gewesen. Im wesentlichen sind die Leistungen vom Bundesverteidigungsministerium und zum Teil aus dem Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erbracht worden.
Ich darf Ihnen, was die Aufstellung betrifft, gern sagen, daß 250 000 DM aus dem Auswärtigen Amt dem Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt worden sind, z. B. für medizinische Hilfsgüter zur Versorgung somalischer Patienten in Belet Huen. Das ist eine Summe. Es gibt sicher noch weitere Summen, die, wenn Sie es unbedingt wollen, aufgelistet werden können. Aber es bezieht sich hierbei im wesentlichen nicht auf den Titel „Humanitäre Hilfe" des Auswärtigen Amtes.
Zweite Zusatzfrage.
Da ich meine Frage an die Bundesregierung und nicht an ein Ministerium gerichtet habe, möchte ich Sie bitten, mir zu sagen: Nimmt denn die Bundesregierung als Ganzes eine
Evaluierung ihrer humanitären Leistungen, die sie dort erbracht hat, vor?
Natürlich sind bei den Maßnahmen, die in Belet Huen getroffen worden sind - das ist schon im Hinblick auf Abrechnungen notwendig -, entsprechende Möglichkeiten der Einsicht gegeben. Ich kann jetzt nur nicht sämtliche Einzelmaßnahmen aufzählen und sie Ihnen mit den entsprechenden Summen, die dafür verwendet worden sind, auflisten. Ich nehme an, daß Ihnen das schriftlich geliefert werden kann.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.
Herr Staatsminister, ist der Eindruck gerechtfertigt, daß dieselben humanitären Wirkungen mit sehr viel niedrigeren Mitteln hätten erreicht werden können, wenn es anders gemacht worden wäre, z. B. über eine Organisation, die in humanitärer Hilfe Erfahrungen hat?
Frau Kollegin, Sie wissen, daß die Operation in Somalia zustande kam, um humanitäre Hilfe überhaupt leisten zu können, was vor dem Einsatz internationaler Truppen auf Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nicht mehr möglich war. Wir haben uns an diesem Beschluß beteiligt. Sie kennen den Ablauf.
Ich glaube, es ist falsch, aus der Retrospektive aufrechnen zu wollen, was andere Organisationen hätten tun können, wenn dieser Einsatz nicht erfolgt wäre. Der Einsatz war notwendig, weil er vom Sicherheitsrat beschlossen wurde. Er war auch notwendig, um humanitäre Hilfsleistungen in Somalia überhaupt durchführen zu können, von denen vor dem Eintreffen ausländischer Truppen über 70 %, fast 80 % nicht an die Empfänger gelangt waren, sondern durch die marodierenden Banden konfisziert wurden. Das hat den Einsatz ausgelöst.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Frage 9 des Kollegen Bindig:
Wie hoch wird nunmehr nach den verschiedenen Etatkürzungsverfahren des Bundeshaushaltes 1994 der freiwillige Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die beratenden Dienste des Menschenrechtszentrums in Genf ({0}) im Jahr 1994 effektiv sein, der auf ausdrückliche Initiative aus dem Parlament heraus zur Verstärkung des präventiven Menschenrechtsschutzes auf 200 000 DM heraufgesetzt worden ist?
Herr Kollege, für den freiwilligen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für die beratenden Dienste des Menschenrechtszentrums in Genf wurden für das Haushaltsjahr 1994 die von Ihnen angesprochenen 200 000 DM zugewiesen. Eine Kürzung wurde nicht vorgenommen.
Zusatzfrage, Kollege Bindig.
Die erübrigt sich dann.
Wir kommen damit, weil weitere Zusatzfragen nicht vorliegen, zur Frage 10 des Kollegen Dr. Eberhard Brecht:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß sie zugesagt hat, das Angebot Pakistans an die UNO, 3 000 Soldaten für einen sofortigen Blauhelm-Einsatz in Bosnien-Herzegowina zur Verfügung zu stellen, dadurch zu unterstützen, daß Deutschland für die Ausrüstung der Pakistani mit Panzern und Schützenpanzern sorgt, und wie verhält sich die Bundesregierung zu der öffentlich geäußerten Kritik des pakistanischen Außenministers, daß sie dem Versprechen bislang nicht nachgekommen sei?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird den Vereinten Nationen für UNPROFOR ein Materialpaket im Abgabewert von rund 11,7 Millionen DM inklusive Instandsetzungskosten zur Verfügung stellen. Das Materialpaket ist von den Vereinten Nationen zur Ausrüstung des pakistanischen Truppenkontingents vorgesehen und geht sogar über das Angebot des Bundeskanzlers an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 5. Juli 1993 hinaus. Dies haben die Vereinten Nationen mit Schreiben vom 6. Dezember 1993 der Bundesregierung gegenüber ausdrücklich positiv hervorgehoben. Die Auswahl des Materials ist in Abstimmung mit Pakistan zügig erfolgt.
Eine Vor-Ort-Inspektion des Materials durch Vertreter der Vereinten Nationen in Begleitung pakistanischer Experten kam auf pakistanischen Wunsch erst Ende Dezember 1993 zustande.
Am 23. Februar - sprich: gestern - haben in Bonn im Bundesverteidigungsministerium unter Beteiligung pakistanischer Militärs Verhandlungen mit dem Sekretariat der Vereinten Nationen stattgefunden, in denen die Details der Abgabemodalitäten geregelt wurden. Die Bundesregierung ist daher über Pressemeldungen zu kritischen Äußerungen des pakistanischen Außenministers zu diesem Thema überrascht.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Brecht.
Herr Staatsminister, ich bin inzwischen auch über diesen letzten Stand informiert worden.
Ich möchte Sie trotzdem fragen, inwieweit denn solche Ausrüstungsgegenstände durch den Haushalt der Vereinten Nationen getragen werden oder inwieweit die Bundesrepublik Deutschland die volle Summe für diese Ausrüstungsgegenstände trägt.
Soweit mir bekannt ist, wird das Materialpaket von uns finanziert und den Vereinten Nationen zur Verfügung gestellt. Es handelt sich ja bei diesem Material vorwiegend um altes NVA-Material, das der Bundeswehr zur Verfügung steht, das aber vorher auch von pakistanischer Seite und von seiten der UN geprüft und für gut befunden worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Brecht.
Herr Staatsminister, gibt es Vereinbarungen mit Pakistan darüber, wieweit dieses NVA-Material nach der Beendigung der UNPROFOR-Mission verwandt werden soll? Gibt es also eine Endverbleibsklausel?
Herr Kollege, das kann ich leider nicht beantworten. Die Verhandlungen wurden im Verteidigungsministerium geführt. Ich mache mich gerne kundig und teile Ihnen das mit.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatsminister Schäfer.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Georg Gallus werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 13 des Kollegen Dr. Hartmut Soell:
Trifft es zu, daß Beamte des Bundesministeriums des Innern skandinavischen Reedereien den Vorschlag gemacht haben, Autos nach dem Aussehen der Insassen so vorzusortieren, daß Wagen von „unverdächtigen, nordischen" Passagieren ({0}) in deutschen Häfen zuerst, die Autos mit „fremdländisch" aussehenden Passagieren zuletzt an Land fahren sollen, damit deutsche Grenzbeamte sich letzteren konzentriert widmen können?
Herr Kollege Dr. Soell, die Antwort ist sehr kurz, nämlich nein.
Ich gehe davon aus, daß es eine Zusatzfrage gibt.
Herr Staatssekretär, können Sie erklären, weshalb Pressemeldungen in dieser Richtung im „Tagesspiegel", die später dann in einem Artikel von Gesine Schwan in der „Zeit" aufgegriffen worden sind, nicht dementiert wurden?
Herr Kollege, ich bin die falsche Adresse. Ich kann dazu nur sagen, wir können es uns nicht erklären. Jedenfalls ist ein solcher Vorgang bei uns nicht bekannt.
Und eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Soell?
Nichtwissen, Frau Präsidentin, kann man nicht weiter erfragen.
Ich dachte, Ihnen fällt noch etwas ein, Herr Kollege Soell.
Dem Kollegen Lüder fällt noch eine Frage ein.
Herr Staatssekretär, die Frage ist nur auf Beamte des Innenministeriums bezogen. Darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß sie sie auch auf Beamte des Bundesgrenzschutzes oder sonstiger Dienststellen, die dem Bundesinnenministerium nachgeordnet sind, beziehen?
Auch die zählen zu unseren Beamten. Sie dürfen die Antwort auch darauf beziehen, ja.
Wir kämen dann zur Frage 14 des Kollegen Dr. Hartmut Soell:
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Ist die Bundesregierung bereit, falls der in der vorhergehenden Frage genannte Sachverhalt zutrifft, den oder die für diesen menschenverachtenden Exzeß bürokratischer Unvernunft Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und den dadurch entstandenen Schaden für das internationale Ansehen Deutschlands soweit wie möglich wiedergutzumachen?
Aber ich nehme an, daß sie dann gegenstandslos ist.
Ja.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär Lintner.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Die Frage 15 des Kollegen Joachim Tappe wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Mir wird gerade gesagt, daß der Kollege Laumann sofort hier eintrifft. Hätten Sie noch ein paar Minuten Zeit, Herr Staatssekretär? Dann würde ich die Fragen 16 und 17 zurückstellen.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung.
Die Frage 18 der Kollegin Dr. Christine Lucyga wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Bei den Fragen 19 und 20 des Kollegen Helmut Wieczorek ({0}) wird entsprechend unserer Geschäftsordnung verfahren.
Die Frage 21 des Kollegen Ludwig Stiegler wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 22 des Kollegen Otto Schily. Auch diese Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind Sie schon wieder erlöst, Herr Staatssekretär. Herzlichen Dank, daß Sie da waren.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Die Frage 23 des Kollegen Dietrich Austermann, die Frage 24 des Kollegen Joachim Tappe wie auch die Frage 25 des Kollegen Jürgen Augustinowitz und die Frage 26 des Kollegen Otto Schily werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 27 des Kollegen Ortwin Lowack:
Welchen Wert mißt die Bundesregierung einer engeren rüstungspolitischen Zusammenarbeit mit Frankreich bei, und welche Ergebnisse werden konkret angestrebt ({1})?
Herr Kollege Lowack, der deutsche und der französische Verteidigungsminister haben zuletzt anläßlich der 10. Tagung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates gefordert, daß neue Lösungen im Bereich der Rüstungsindustrie gefunden werden müssen. Gleichzeitig haben sie ihre Unterstützung für die im Rahmen der Westeuropäischen Union laufenden Bemühungen im Hinblick auf das Entstehen einer europäischen Rüstung bekräftigt. Die Minister haben ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß unter Nutzung der Möglichkeiten des Maastrichter Vertrages eine europäische Rüstungsagentur bald geschaffen werden kann.
Die derzeitige Organisation für Rüstungsprogramme und Rüstungsforschungsprogramme der deutsch-französischen Zusammenarbeit soll vereinfacht werden. Die Minister haben ihre nationalen Rüstungsverantwortlichen aufgefordert, sich einander verstärkt anzunähern und eine effiziente bilaterale Organisationsstruktur vorzuschlagen. Ein entsprechender Bericht ist bei der nächsten Tagung des Deutsch-Französischen Sicherheits- und Verteidigungsrates vorzulegen.
Die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen oder Anteilen davon ist Bestandteil der deutsch-französischen Rüstungskooperation z. B. bei Flugzeugen, Panzerabwehrlenkflugkörpern und Flugabwehrraketensystemen.
Da Frankreich ein eigenes Jagdflugzeug „Rafale" entwickelt, hat es sich leider nicht an der Entwicklung des europäischen Jagdflugzeuges Eurofighter 2000 beteiligt. Deutschland entwickelt dieses Flugzeug in Zusammenarbeit mit Großbritannien, Italien und Spanien.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.
Ganz herzlichen Dank, Frau Kollegin. Ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, daß sich die Verteidigungsminister getroffen haben, daß sie bekräftigt haben, daß sie gehofft haben, daß sie aufgefordert haben. Aber gibt es angesichts der langen deutsch-französischen Zusammenarbeit denn überhaupt nichts Konkreteres als nur diese Aufforderung, besonders bei der Frage der deutsch-französischen Rüstungsagentur? Soll sie zurückgestellt werden, bis vielleicht eines Tages einmal entschieden sein könnte, daß man keine oder eine europäische Rüstungsagentur schaffen will?
Dies ist nicht so, Herr Abgeordneter Lowack; denn es gibt eine ganz konkrete Zusammenarbeit. Wie die europäische Rüstungsagentur funktionieren kann, das wird derzeit untersucht.
Aber ich kann Ihnen auch etwas ganz Konkretes zur deutsch-französischen Zusammenarbeit sagen: Frankreich ist neben anderen Nationen an einer größeren Anzahl von Vorhaben als Kooperationspartner beteiligt. Zur Zeit wird an 14 Systemen gearbeitet, vor allem an den Systemen Flugabwehrraketenpanzer II „Roland", Panzerabwehrhubschrauber II „Uhu" und Kleinfluggerät für Zielortung „Drohnen". Dies
sind die Dinge, um die es schon konkret geht, und es gibt weitere, die ich jetzt nicht aufzähle.
Außerdem gibt es Einrichtungen, in denen Deutschland und Frankreich bei der Rüstung bilateral zusammenarbeiten: im deutsch-französischen Forschungsinstitut Saint Louis - ISL - mit rund 460 Beschäftigten, im Bureau de Programmes Franco-Allemands in Paris mit rund 100 Beschäftigten und im deutschfranzösischen Hubschrauberbüro in Koblenz mit rund 50 Beschäftigten.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Lowack.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin.
In Abänderung meiner Frage, die etwas unpräzise ist, da es heißen muß „einer Zusammenarbeit beim europäischen Jäger und dem ,Rafale' ", möchte ich fragen, ob tatsächlich schon alle Brücken abgebrochen sind oder abgebrochen sein müssen, die zu einer Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Systemen immer noch führen könnten - trotz des unterschiedlichen Entwicklungsstandes, wobei der Unterschied gar nicht so fürchterlich groß ist, wie er oft dargestellt wird.
Herr Abgeordneter Lowack, ich kann mir bei dem guten deutschfranzösischen Verhältnis nicht vorstellen, daß Brükken abgebrochen sind.
Es ist derzeit so, daß zweierlei Systeme entwickelt werden, aber mit Sicherheit werden Verhandlungen über viele Dinge geführt, auch über diese Frage.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Fragen 28 und 29 des Kollegen Klaus Francke werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches angekommen. Herzlichen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekretärin.
Wir können jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz zurückkommen. Ich rufe die Fragen 16 und 17 des Kollegen Karl-Josef Laumann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es in der ehemaligen DDR Arbeitseigentum gegeben hat ({0}), und sind der Bundesregierung Gerichtsurteile bekannt zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Entzug von Arbeitseigentum unter § 1 Abs. 3 des Vermögensgesetzes fällt?
Plant die Bundesregierung gesetzgeberische Schritte, um die spezielle Fallgruppe, der das Arbeitseigentum entzogen worden ist, zu entschädigen?
Herr Kollege, als Arbeitseigentum wurde in der ehemaligen DDR der landwirtschaftlich genutzte Grund und Boden bezeichnet, der aus dem staatlichen Bodenfonds praktisch unentgeltlich vor allem an sogenannte Neubauern verteilt worden war. Es war zweckgebunden, nämlich an die Bewirtschaftung des Grund und Bodens geknüpft, unverkäuflich, unverpachtbar, unbelastbar und nur beschränkt vererblich.
Die Aufgabe der Bewirtschaftung hatte den Verlust des Arbeitseigentums zur Folge, der nach Maßgabe der sogenannten Besitzwechselverordnung erfolgte. Dabei handelte es sich um einen rein systembedingten Entzug des Arbeitseigentums, der keinen diskriminierenden Charakter aufwies.
Daher liegt nach der Systematik des Vermögensgesetzes in der Regel kein Restitutionstatbestand vor. Nur in besonders gelagerten Einzelfällen kann der Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 3 des Vermögensgesetzes, nämlich der Vermögensverlust auf Grund unlauterer Machenschaften, gegeben sein. Dies gilt z. B. für Fälle, in denen dem Inhaber des Arbeitseigentums trotz vorhandenen Willens zur Weiterbetreibung seiner Wirtschaft durch Amtsmißbrauch oder vergleichbare Maßnahmen der ihm zur Nutzung zugewiesene Grund und Boden entzogen worden ist.
Diese Rechtsauffassung vertritt auch das Verwaltungsgericht Dresden in einer Entscheidung vom 17. Juni 1993 zum Aktenzeichen 5 K 383/92. Weitere Gerichtsentscheidungen zu dieser Fragestellung sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
({0})
- Dann kommen wir zur nächsten Frage des Kollegen Laumann. Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung plant keine Entschädigung derjenigen Personen, denen ihr Arbeitseigentum entzogen worden ist. Wie ich ja bereits eben ausgeführt habe, war der Entzug des Arbeitseigentums systembedingt. Er traf gleichermaßen jeden, der die Bewirtschaftung des ihm zugewiesenen Grund und Bodens aufgegeben hatte.
Die Gemeinsame Erklärung beider deutscher Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 und ihr folgend das Vermögensgesetz sehen demgegenüber im wesentlichen nur die Wiedergutmachung spezifischen Teilungsunrechts vor. Sie verfolgen nicht das Ziel einer Totalrevision aller in 40 Jahren DDR-Geschichte geschaffenen Rechtszustände oder, besser gesagt, Unrechtszustände.
({0})
Auch hier liegen keine Zusatzfragen vor. Damit sind wir jetzt endgültig am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich komme nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Hier steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Manfred Carstens zur Beantwortung zur Verfügung.
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dietmar Schütz werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Horst Kubatschka:
Wie beurteilt die Bundesregierung aus finanzieller und umweltpolitischer Sicht ({0}) den Einsatz von Anruf-Sammeltaxen ({1}) zur Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs, und wie beurteilt sie die niederländische Initiative, jedem Langstreckenfahrgast einen Ast-Gutschein für die Fahrt bis zur Haustür auszustellen?
Die Bundesregierung begrüßt den Einsatz von Anrufsammeltaxen zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs, soweit dies teuren und energieaufwendigen Linienverkehr nach starren Fahrplänen und mit großen Fahrzeugen ersetzen oder ergänzen kann. Für den Einsatz von Anrufsammeltaxen spielen aber eher verkehrspolitische und finanzielle Erwägungen eine Rolle als umweltpolitische. In ihrem Bericht über den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche, Bundestagsdrucksache 11/5746, hat sich die Bundesregierung zum Einsatz von Anrufsammeltaxen eingehend geäußert.
Im Rahmen des Eisenbahnneuordnungsgesetzes vom 27. Dezember 1993 ist auch das Personenbeförderungsgesetz geändert worden. In § 8 Abs. 2 Personenbeförderungsgesetz ({0}) wird der Verkehr von Taxen und Mietwagen bei Einsatz im Liniennahverkehr ausdrücklich als öffentlicher Personennahverkehr anerkannt.
Öffentlicher Personennahverkehr und Umfang und Form des Einsatzes von Anrufsammeltaxen fallen aber in die Aufgabenzuständigkeit der Länder und Kommunen. Diese haben zu entscheiden und finanziell zu verantworten, ob und inwieweit ein Angebot von Anrufsammeltaxen eingerichtet und jedem Langstreckenfahrgast, wie auch im geschilderten Fall der niederländischen Initiative, ein Anrufsammeltaxengutschein für die Fahrt bis zur Haustür ausgestellt werden soll. Zum Aufbau geschlossener Transportketten im öffentlichen Personenverkehr - Mobilitätsgarantie - kann dies in Ausnahmefällen sicherlich sinnvoll sein. Jedoch dürfte häufig der allgemeine Linienverkehr ein ausreichendes Angebot bereitstellen.
Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie sehen also aus der Sicht des Bundes keine Möglichkeit, diese sinnvolle Einrichtung in Form von Modellen zu fördern oder durch Hinweise an die Verbände dieser Sache nachzugehen?
Wenn Sie so fragen, dann möchte ich sagen, Herr Kubatschka, daß wir das durchaus einmal im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages, in dem ja auch Sie sind, behandeln sollten; oder wenn Sie nicht Mitglied des Ausschusses sind, so habe ich Sie doch dort einige Male gesehen, ebenso schon des öfteren bei verkehrspolitischen Fragen hier im Hause. Ich muß bei der Aussage verbleiben, daß wir als Bund nach der neuen
Gesetzgebung nicht mehr zuständig sind. Aber wenn wir auf irgendeine Weise förderlich einwirken können, dann wollen wir das gerne tun.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen, daß Sie mir bestätigen, daß ich zumindest ein auffälliger Abgeordneter bin.
Ein Problem ist die mangelnde Information. Den Fahrplan von Hamburg bis München oder bis in den nächsten Ort kennt man. Doch dann ist die Information für den Ankommenden, wie er weiterkommt, mangelhaft. Sehen Sie da eine Möglichkeit der Informationsverbesserung
Ja, auf alle Fälle, wobei ich davon ausgehe, daß auch die Länder sich untereinander abstimmen werden, wie sie das in ihrem Land jeweils organisieren wollen und wie sie dann auch imstande sind, länderübergreifende Informationen zu geben. Ich bleibe dabei: Wenn der Bund helfen kann, sind wir dabei.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit kommen wir zur Frage 33 des Kollegen Reinhard Weis:
Inwieweit stehen Planungen für einen Großflughafen im Kreis Altmark-Ost südwestlich der Stadt Stendal ({0}) in Übereinstimmung mit den Verkehrsplanungen der Bundesregierung für einen Großflughafen Berlin-Brandenburg?
Der Bundesregierung ist eine Planungsstudie der Firma AIRAIL über einen Großflughafen bei Stendal, Elbe-Airport, bekannt. Diese Studie steht nicht in Übereinstimmung mit der Verkehrsplanung des Bundes, die in Abstimmung mit den Ländern Berlin und Brandenburg einen Großflughafen bei Berlin vorsieht.
Zusatzfrage des Kollegen Weis.
Herr Staatssekretär Carstens, ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung die Möglichkeit sieht oder beabsichtigt, das Kapital, das die AIRAIL bereit ist in einem eigenen Flughafenprojekt zu verwirklichen, in das Flughafenprojekt Berlin/Brandenburg zu lenken.
Welches Kapital meinen Sie? Ich habe das akustisch nicht verstanden.
Will die Bundesregierung darauf einwirken, das Kapital, das die AIRAIL in ein eigenes Flughafenprojekt zu stecken bereit ist, in das gemeinsame Flughafenprojekt Berlin/Brandenburg einzubeziehen?
Da hat die Bundesregierung nicht allzu viele Einwirkungsmöglichkeiten. Durch die Aussage, die ich hier mache, ist ja ein Trend beschrieben. Vielleicht überlegt es sich die Seite, die das Kapital zur Verfügung stellen will, dies in Ihrem Sinne anzulegen. Darüber hinaus einzu18212
wirken ist nicht so leicht und sollte auch möglicherweise unterbleiben.
Dann habe ich noch eine Nachfrage: Könnte sich die Bundesregierung vorstellen, ihre 26%ige Beteiligung an der Berlin/ Brandenburger Flughafen GmbH zugunsten weiterer privater Investoren zurückzuziehen?
Wir sind immer bereit, über Privatisierungsmöglichkeiten nachzudenken. In Berlin jedoch handelt es sich natürlich um einen sehr wichtigen Vorgang. Das muß genauestens durchdacht werden.
Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor. Damit sind wir auch am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Klinkert zur Verfügung.
Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Helmut Lamp werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen damit zu Frage 36 der Kollegin Monika Ganseforth:
Aus welchen Gründen ist die Altölrichtlinie 90/313/EWG von 1986, nach der der Aufbereitung von Altöl der Vorzug vor der Verbrennung gegeben wird, bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt, und wann ist damit zu rechnen?
Frau Kollegin Ganseforth, zunächst einmal geht die Bundesregierung davon aus, daß sich Ihre Frage auf die Richtlinie des Rates über die Altölbeseitigung vom 16. Juni 1975, geändert durch die Richtlinie des Rates vom 22. Dezember 1986, bezieht. Bei der von Ihnen erwähnten Richtlinie 90/313/EWG handelt es sich um die Richtlinie des Rates über den freien Zugang von Informationen über die Umwelt.
Die 1986 geänderte Altölrichtlinie, deren Bezeichnung 75/439/EWG ist, ist in nationales Recht umgesetzt worden. Allerdings erfolgte die Umsetzung nicht in einer speziellen Verordnung. Es wurden vielmehr verschiedene Rechtsnormen herangezogen. Im wesentlichen waren dies das Abfallgesetz vom 27. August 1986, die Abfallbestimmungs-Verordnung vom 3. April 1990, die Abfall- und Reststoffüberwachungsverordnung vom 3. April 1990 und die Altölverordnung vom 27. Oktober 1987. Darüber hinaus waren berührt das Wasserhaushaltsgesetz, das Chemikaliengesetz mit der PCB-, PCT- und VC-Verbotsverordnung, das Bundes-Immissionsschutzgesetz mit der 1., 4., 13. und 17. BImSchV sowie die TA Luft.
Eine Zusatzfrage, Kollegin Ganseforth.
Herr Staatssekretär, erst einmal schönen Dank dafür, daß Sie das mit der Nummer richtiggestellt haben. Ich habe es nicht nachgeprüft, meinte aber die Altölverordnung.
Herr Staatssekretär, stimmt die Verordnung, die sagt, daß der Aufbereitung der Vorzug vor der Verbrennung gegeben werden soll, mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das wir gerade diskutieren, überein? Im Abfallgesetz ist ja vorgesehen, daß bei ökologischer Gleichwertigkeit die thermische Verwertung der stofflichen vorgezogen werden kann. Dies richtet sich nach dem Brennwert von Braunkohle - den hat Öl ja - und danach, ob der Wirkungsgrad von Kraftwerken in Höhe von 40 % eingehalten wird, was auch der Fall ist.
Meine Frage ist also, ob das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das die thermische Verwertung unter bestimmten Gründen der stofflichen vorzieht, mit dieser Altölverordnung auf europäischer Ebene übereinstimmt.
Frau Kollegin Ganseforth, zunächst einmal geht die EG-Verordnung auch beim Vorrang der stofflichen Verwertung davon aus, daß diese gefordert wird - so wörtlich -, sofern keine technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Sachzwänge entgegenstehen.
Sie haben jetzt eine ganze Reihe von Einzelheiten des Kreislaufwirtschaftsgesetzes genannt, die allerdings in der Bearbeitung dieses Gesetzes teilweise schon Veränderungen erfahren haben. So stimmt also nicht mehr, daß der Heizwert von Rohbraunkohle herangezogen wird, sondern der in der Zwischenzeit von den Koalitionsfraktionen angedachte Heizwert liegt wesentlich über dem von Rohbraunkohle.
Zum anderen ist im Kreislaufwirtschaftsgesetz keine Bevorzugung der thermischen Verwertung vorgesehen, sondern allenfalls die Möglichkeit auch der thermischen Behandlung. Insgesamt geht das Kreislaufwirtschaftsgesetz aber davon aus, daß eine bevorzugte stoffliche Verwertung anzustreben ist. Dies soll auch dadurch zum Ausdruck kommen, daß z. B. der Begriff „Sekundärrohstoff" eingeführt werden soll, der dann beinhaltet, daß eine solche Verwertung auch ökologisch sinnvoll ist.
Hier, glaube ich, haben auch die Oppositionsparteien Möglichkeiten, konstruktiv an der Ausgestaltung dieses Gesetzes mitzuwirken. Wir haben ja heute damit begonnen, und ich hoffe, daß diese Konstruktivität in der weiteren Beratung noch zum Ausdruck kommen wird.
Zusatzfrage.
Ist also davon auszugehen, daß das Kreislaufwirtschaftsgesetz der europäischen Richtlinie Rechnung trägt, daß beim Altöl die stoffliche Verwertung vor der Verbrennung kommt? Denn die Firmen, die sich - was wir für den richtigeren Weg halten - auf stoffliche Verwertung eingestellt und Investitionen getätigt haben, sind sehr darauf angewiesen, daß das jetzt nicht durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz unterlaufen wird. Ist davon auszugehen, daß das dem entsprechen wird?
Die generelle Zielstellung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist, daß prioritär eine stoffliche Verwertung angestrebt wird. Eine energetische Behandlung oder Verwertung
schließt das Kreislaufwirtschaftsgesetz aber nicht aus.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Frage 37 der Kollegin Monika Ganseforth:
Wie beurteilt die Bundesregierung aus umweltpolitischer Sicht Ugilec, das nach dem Verbot von PCB als Additiv für Hydrauliköle verwendet wird und bei dem das Chloratom durch Fluor bzw. Brom ersetzt wird, so daß Furane entstehen, und hält sie die Produkthaftung des Herstellers oder ein Verbot von Ugilec für angebracht?
Frau Kollegin, die als PCB-Ersatzstoffe verwendbaren Stoffe Ugilec 121 - auch Ugilec 21 genannt - und Ugilec 141 sind in der Bundesrepublik Deutschland wie folgt geregelt:
Nach der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 14. Oktober 1993 und der Gefahrstoffverordnung vom 26. Oktober 1993 ist das Herstellen, Inverkehrbringen und Verwenden des Stoffes Ugilec 121 verboten. Ugilec 121 wurde bereits vor diesem Termin nicht mehr hergestellt.
Ab 18. Juni 1994 ist nach den Vorschriften der oben genannten Verordnungen das Herstellen, Inverkehrbringen und Verwenden des als PCB-Ersatzstoff eingesetzten Stoffes Ugilec 141 verboten. Das Verwendungsverbot gilt bis zum 31. Dezember 1996 nicht für Anlagen, die sich am 18. Juni 1994 bereits in Betrieb befanden.
Nach der Gefahrstoffverordnung ist der Stoff als „gefährlich für die Umwelt" einzustufen. Bei der Pyrolyse von Ugilec 141 können polychlorierte Dibenzofurane entstehen. Bei Ugilec 141 und Ugilec 121 ist entgegen Ihrer Fragestellung allerdings kein Chloratom durch Fluor bzw. Brom ersetzt.
Zusatzfrage der Frau Kollegin Ganseforth.
Herr Staatssekretär, ist dann davon auszugehen, daß das Problem mit den Additiven, die als Ersatz für PCB verwendet werden und das Altöl zu Sondermüll machen, nur noch eine Übergangszeit betrifft?
Ja.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für sinnvoll, daß die Additive, die dem Öl zugefügt werden, bekanntgegeben werden müssen? Denn es ist für die Aufbereitung oder auch für die thermische Behandlung, die ich nicht für den richtigen Weg halte, wichtig zu wissen, welche Additive dem Öl beigefügt sind. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Hersteller zu verpflichten, die Additive anzugeben?
Ich persönlich halte diese Verfahrensweise für sinnvoll, kann Ihnen aber im Moment nicht genau sagen, wie der Bearbeitungsstand in der Bundesregierung ist.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit kommen wir zur Frage 38 des Kollegen Horst Kubatschka:
Welche Mindestabstände von Hochspannungsleitungen zur Wohnbebauung und zu Kindergärten und Schulen hält die Bundesregierung für sinnvoll, und beabsichtigt sie beim Bau neuer Hochspannungstrassen über bebautes Gebiet rechtsverbindliche Grenzwerte oder eine Verkabelungspflicht einzuführen?
Herr Kollege Kubatschka, zur Zeit erarbeitet der Bundesumweltminister auf der Grundlage des Bundes-Immissionsschutzgesetzes den Entwurf einer Rechtsverordnung, der u. a. Werte für niederfrequente elektromagnetische Felder festlegen soll. Die Festlegung bestimmter Abstände ist wegen der unterschiedlichen räumlichen Anordnung der einzelnen Phasen an Hochspannungsmasten und den sich daraus ergebenden stark variierenden Feldern nicht sinnvoll. Aus den im Verordnungsentwurf vorgesehenen Grenzwerten ergibt sich die Möglichkeit, vor Ort auf Grund der technischen Voraussetzungen Mindestabstände zu ermitteln.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka? - Bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie keine Grenzwerte angeben wollen: Wie wollen Sie dann aber Gemeinden und Bauplanungen beeinflussen? Wie kann, wenn eine Starkstromleitung durch ein Gebiet geht, den Gemeinden, die die Bauleitplanung machen, an die Hand gegeben werden, welche Mindestabstände eingehalten werden müssen?
Herr Kubatschka, es ist nicht so, daß keine Grenzwerte angegeben werden sollen, sondern keine Abstände. Die Grenzwerte beziehen sich auf Immissionen, und diese Immissionen sind von vielen technischen Einflüssen, die sich gegenseitig beeinflussen, abhängig. Insofern ist es technisch nicht sinnvoll, ausschließlich mit Abständen zu arbeiten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Werden dann bei diesem Verfahren, das Sie nennen, Rechenverfahren mitgegeben, an denen naturwissenschaftlich exakt nachgewiesen werden kann, daß der Abstand eingehalten wird, so daß Bürger vor Starkstromleitungen, die bei ihnen Ängste hervorrufen, keine Angst mehr zu haben brauchen?
Man wird hier keine Rechenverfahren anwenden müssen, sondern dies kann man durch einfache Messungen elektromagnetischer Felder auf gleiche Art und Weise erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage von der Kollegin Ganseforth.
Ist es nicht vorstellbar, daß man zwar die elektrischen Felder mißt und danach einen Bebauungsplan macht, daß man aber
womöglich später höhere Spannungen erhält oder daß sich die Verhältnisse ändern, so daß den Bebauungsplänen die Basis entzogen wird und damit Häuser oder ganze Gegenden nicht mehr bewohnbar sind? Öffnet das solchen Befürchtungen und solcher Praxis nicht Tür und Tor?
Die technische Konstruktion von Hochspannungsleitungen ist für die jeweilige Spannung maßgebend. Eine nachträgliche Änderung der Spannung ist technisch nicht möglich.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Conradi.
Die Gemeinde, Herr Staatssekretär, muß doch, wenn sie einen Bauleitplan aufstellt, ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, an Planungssicherheit haben, damit sie nicht vor dem Verwaltungsgericht nachher, wenn der Plan angefochten wird, verliert. Wie wollen Sie der Gemeinde ohne klare Abstandswerte diese Möglichkeit geben? Allein mit nachträglichen Messungen ist die Gemeinde doch auf sehr unsicherem Grund.
Herr Conradi, ich wiederhole, daß Sie alleine mit der Angabe von Abständen noch nicht auf das elektromagnetische Feld in Erdbodennähe schließen können. Es wird hier gewisse Analogieschlüsse von Beispielkonstruktionen geben, von denen man auf die mögliche Bebauung schließen kann.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Die Frage 39 der Kollegin Jutta Müller wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 40 des Kollegen Peter Conradi:
Wer in der Bundesregierung ist für die von Fachleuten als „unglaubliche Verschandelung" und „atemberaubende Scheußlichkeit" ({0}) bezeichneten neuen Telefonhäuschen der TELEKOM verantwortlich, und aus welchen Gründen verzichtet die TELEKOM bei diesen neuen Telefonhäuschen auf ihre bisherige Signalfarbe postgelb?
Herr Kollege Conradi, die Gestaltung und Farbgebung der Telefonhäuschen ist eine betriebliche Angelegenheit der Deutschen Bundespost Telekom, für die der Vorstand des Unternehmens verantwortlich ist.
Die Deutsche Bundespost Telekom installiert seit März 1991 eine neue Generation von Telefonhäuschen, die im Rahmen breit angelegter Feldversuche erprobt und ausgewählt wurden.
In der Farbgestaltung entsprechen die Telefonhäuschen grundsätzlich den Unternehmensfarben. Bis zur Postreform I waren sie ein Produkt der Post und damit gelb. Jetzt sind sie eine Dienstleistung des Unternehmens Deutsche Bundespost Telekom. Die neue Gestaltung und die Farbgebung verdeutlichen den Produktcharakter und die eindeutige Anbindung an das Unternehmen.
({0})
Das Argument der schlechten Sichtbarkeit wird vor allem aus Gründen der Gewöhnung genannt. Veränderungen von Dingen, an die man seit langem gewöhnt war, bringen zunächst häufig Verunsicherung mit sich und führen zu kritischer Distanz.
Das neue Design der Telefonhäuschen ist von der Deutschen Bundespost Telekom bewußt so gewählt worden, weil davon eine besondere Signalwirkung ausgeht. Die Farbe Magenta im oberen Bereich der Häuschen hat eine hohe Fernwirkung, die durch Beleuchtung noch erhöht wird.
({1})
Gerade auf die Integration der neuen Telefonhäuschen in ein gewachsenes Stadtbild hat die Deutsche Bundespost Telekom bei der Gestaltung besonders Rücksicht genommen; denn in der Vergangenheit wurden die gelben Telefonhäuschen von den Städten und Gemeinden oft als besonders störend und aufdringlich empfunden.
({2})
Ich weiß, daß ich mich hier oben jeden Gelächters zu enthalten habe, aber es fällt schwer, Herr Staatssekretär; es fällt schwer.
({0}) - Das geht nicht!
({1})
- Nein, das dürfen die nicht. - Herr Kollege Conradi, Sie dürfen jetzt aber eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatssekretär, darf ich meinen Dank für die ausführliche und sachkundige Beantwortung meiner nicht unbedingt freundlich gemeinten Frage mit der Zusatzfrage verbinden, ob Sie sich vorstellen können, daß ein deutsches Unternehmen, das sein Produkt - in diesem Fall das Angebot einer Dienstleistung - über Jahrzehnte mit einer bestimmten Farbe und Form in der Öffentlichkeit verbunden hat - man nennt das Corporate identity -, darauf verzichten würde,
({0})
ein Unternehmen etwa wie Daimler-Benz auf den Mercedes-Stern oder wie BMW auf die weiß-blaue Raute verzichten würde, so wie die Bundespost das hier getan hat?
Herr Kollege Conradi, ich kann es mir vorstellen, weil es der Wirklichkeit entspricht,
({0})
gerade in diesem Fall. Die Farbe Magenta gehört in der Tat seit 1990 zur Corporate identity
({1})
des Unternehmens Deutsche Bundespost Telekom und prägt seither das Erscheinungsbild des Unternehmens, und zwar in allen Bereichen.
Die zweite Zusatzfrage.
Das muß mir entgangen sein. -- Aber ich möchte dann doch gern die Frage anschließen, ob Sie das als einen besonderen Beweis der unternehmerischen Handlungsfähigkeit dieses Unternehmens betrachten. Oder sehen Sie das auch als eine zusätzliche Begründung dafür, dieses Unternehmen endlich zu privatisieren, damit solcher Unfug zukünftig nicht mehr geschieht?
Herr Kollege Conradi, es war ja Ausfluß der Postreform I, daß der Vorstand solche Unternehmensentscheidungen in eigener Verantwortung und in eigener Zuständigkeit treffen konnte. Das entzieht sich der politischen Einflußnahme.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Horst Schmidbauer.
Herr Staatssekretär, können Sie denn Angaben dazu machen, was Ihre Farbenfreudigkeit an Kosten verursacht hat?
Es ist so, daß die alten Telefonhäuschen je nach Abnutzungsgrad und Reparaturbedürftigkeit nach und nach ausgetauscht werden. Eine generelle Auswechslung findet nicht statt. Diese Umstellung erfolgt in einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren, so daß keine zusätzlichen Kosten auftreten.
Wir kommen zur Frage 41 des Kollegen Peter Conradi:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung den für diese Entscheidung verantwortlichen Beamten inzwischen befördert und bei der Privatisierung der TELEKOM für einen Vorstandsposten in derselben ausersehen hat, und warum beantragt die Bundesregierung für diese Leistung nicht den Deutschen Design-Preis 1994?
Herr Kollege Conradi, die Annahmen treffen nicht zu.
Das neue Corporate Design ist im Jahre 1990 entwickelt und Anfang 1991 vom Vorstand der Deutschen Bundespost Telekom beschlossen worden. Der Aufsichtsrat des Unternehmens war frühzeitig unterrichtet und hat keine Einwände erhoben.
Am Wettbewerb um den Bundespreis Produktdesign können nur neue Serienprodukte teilnehmen, die von Wirtschaftsministern oder -senatoren der Länder dafür nominiert werden. Ihre offenbar von Sachkenntnis getragene Anregung, Herr Kollege Conradi, kommt jedenfalls zu spät, da die Telefonhäuschen bereits seit drei Jahren erfolgreich eingesetzt werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Conradi?
Ich bedanke mich für die Antwort, Herr Staatssekretär, die meine Befürchtung über die unternehmerische Zukunft der Bundespost völlig ausräumt.
Weil weitere Zusatzfragen nicht vorliegen, kommen wir zur Frage 42 des Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann:
Wie viele Postämter plant die Deutsche Bundespost 1994 zu schließen, und welche Postämter sind im einzelnen davon betroffen?
Frau Präsidentin, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen des Kollegen Ullmann zusammenfassend beantworte, wenn der Kollege damit einverstanden ist?
Ja. - Herr Kollege Ullmann, sind Sie damit einverstanden?
Wenn ich meine Zusatzfragen entsprechend stellen kann.
Freilich, Sie dürfen die vier Fragen alle miteinander stellen.
Dann rufe ich auch die Frage 43 des Kollegen Dr. Wolfgang Ullmann auf:
Auf welche Weise wird dabei der Forderung des Infrastrukturrates für Post und Telekommunikation Rechnung getragen, bei solchen Schließungen nicht schematisch vorzugehen, sondern die örtlichen Gegebenheiten im Sinne einer flächendekkenden Versorgung ausreichend zu berücksichtigen?
Herr Kollege Ullmann, die regionale und örtliche Organisation des Postfilialnetzes ist eine kontinuierliche dezentrale Aufgabe der jeweils zuständigen Direktionen der Deutschen Bundespost Postdienst bzw. der Postämter mit Verwaltungsdienst. Da der dauerhafte Bestand einer Postfiliale in erster Linie nachfrageabhängig ist und jede Entscheidung über eine eventuelle Schließung erst nach einer Einzelfallprüfung durch diese Dienststellen erfolgt, ist eine bundesweit gültige Aussage über die Anzahl und die Standorte der im Jahr 1994 betroffenen Postämter oder Poststellen im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich. Es existieren hierfür auch keine zentralen Vorgaben.
Die internen Organisationsrichtlinien des Unternehmens Deutsche Bundespost Postdienst sehen für die Einrichtung einer Postfiliale ein bestimmtes Mindestnachfragevolumen vor, das im Rahmen eines Verkehrsmengenermittlungsverfahrens laufend ermittelt wird. Sinkt die Nachfrage unter diesen Wert, ist die Postfiliale zu schließen. Den einzelnen Filialen sind Einzugsbereiche zuzuordnen, die sich nicht mit den Bereichen benachbarter Filialen überschneiden sollen.
Pari. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
Diese Organisationsrichtlinien stehen in Übereinstimmung mit dem vom Deutschen Bundestag am 2. Dezember 1981 einstimmig gefaßten Beschluß zur Postversorgung gemäß Bundestagsdrucksache 9/408. Von einem schematisierten Vorgehen bei eventuellen Schließungen kann nicht gesprochen werden, da die Dienststellen der Deutschen Bundespost Postdienst in jedem Einzelfall die Vorgaben dieses Beschlusses auf die konkrete örtliche Situation anwenden müssen.
Erste Zusatzfrage, Herr Kollege Ullmann.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ihre ausführliche Antwort erübrigt meine erste Zwischenfrage. Ich erlaube mir deshalb, folgendes zu fragen: Wie erklären Sie angesichts der von Ihnen sehr einleuchtend dargelegten Praxis, daß es in Einzelfällen wegen derartiger Entscheidungen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Post und der Bevölkerung kommt? Mir liegt der Fall der Poststelle Schwarzenberg/Sonnenleiten vor, bei dem es auch in der örtlichen Presse heftige Proteste gegen die noch nicht durchgeführte, aber beabsichtigte Schließung dieser Poststelle gibt. Offenkundig ist in diesem Terrain die Nachfrage ja sehr stark.
Herr Kollege Ullmann, natürlich gibt es Proteste in der Bevölkerung, und zwar immer dann, wenn in der Nähe der betroffenen Bürger eine Poststelle oder ein Postamt mit dem Hinweis geschlossen wird, daß in einer Entfernung von einem oder von zwei Kilometern eine andere Poststelle oder ein anderes Postamt zur Verfügung steht. Kein Bürger verzichtet gerne auf ein gewohntes Postamt oder eine Poststelle in seiner Nähe.
Nun muß ich Sie darauf hinweisen, daß die Nachfrage nach Dienstleistungen, die über den Postschalter abgewickelt werden, in den vergangenen Jahren sehr stark zurückgegangen ist, die Kosten sich aber gleichzeitig dramatisch erhöht haben. Deshalb besteht eine Kostenunterdeckung im Vertriebsnetz der Deutschen Bundespost Postdienst, die auf Dauer nicht hinnehmbar ist und zu einer Anpassung des Vertriebsnetzes zwingt.
Weitere Zusatzfragen, Herr Kollege Ullmann?
Herr Staatssekretär, nicht ganz verstehe ich den Widerspruch zwischen Ihrer Aussage, daß die Nachfrage so sehr abgesunken sei und daß es solche Konfliktsituationen gibt. Das scheint doch irgendwie unausgeglichen zu sein.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Ullmann, daß auch ich mich bei vielen Beispielen hier gewundert habe, daß bei der Schließung von Poststellen, die nachweislich nur sehr wenige Transaktionen pro Tag haben - in der Größenordnung von 10 bis 20 -, dann Proteste kommen und Unterschriftslisten mit vielen hundert Unterschriften. Das ist auch für mich ein Widerspruch. Meine Antwort war immer an die Bürger, daß sie doch bitte die Poststellen entsprechend nutzen sollen, dann können wir sie auch offenhalten.
({0})
Ich habe jetzt noch drei Zusatzfragen. Mehr lasse ich nicht mehr zu, weil wir dann am Ende der Fragestunde angekommen sind. Es gibt noch Zusatzfragen der Kollegin Ganseforth, des Kollegen Kubatschka und des Kollegen Seifert.
Frau Kollegin Ganseforth.
Frau Präsidentin, ich habe eigentlich zwei Zusatzfragen. Ich dachte, weil es zwei Fragen waren, könnte ich die beiden stellen. Kann ich die hintereinanderweg stellen?
Nein.
Dann muß ich die wichtigere nehmen.
Ja, weil die Fragestunde zu Ende ist.
Herr Staatssekretär, könnte die zurückgehende Nachfrage nicht auch daran liegen, daß durch die Dreiteilung oder Zerschlagung der Post Postbank Telekom und Briefpost nicht mehr anständig zusammenarbeiten, daß die Zusammenarbeit in den Postämtern so schlecht geworden ist, daß darauf der Nachfragerückgang zurückzuführen ist?
Das läßt sich an Hand der Erfahrungen und Untersuchungen so nicht bestätigen, vielmehr geht die Nachfrage nach Dienstleistungen, die über den Schalter abgewickelt werden, deshalb zurück, weil andere Techniken genutzt werden, etwa Automaten, etwa das Faxgerät, weil das Telefon stärker genutzt wird als früher, also in der Verhaltensänderung der Verbraucher die Begründung zu suchen ist.
Kollege Kubatschka.
Herr Staatssekretär, einen Grund haben Sie natürlich vergessen zu erwähnen, daß Sie sich selber Konkurrenz machen mit den Postagenturen und damit die Poststellen vor allem auf dem flachen Land aushungern. Der Mißerfolg einer Postagentur kann auch an den Geschäftsleuten liegen und nicht an dem mangelnden Umsatz; ich habe in meinem Gebiet einen Fall, wo es anscheinend zu Unterschlagungen gekommen ist. Sie schließen die Poststelle. Was bieten Sie dann den Bürgern als Ersatz an, oder wollen Sie auf diese Nachfrage verzichten?
Herr Kollege, der Betriebsversuch Postagenturen wird seit Oktober 1992 durchgeführt, im großen und ganzen mit sehr gutem Erfolg. Man hat die Standorte für die Postagenturen so ausgewählt, daß nicht der Effekt eintritt, den Sie befürchten, nämlich daß Verkehrsmengen abgezogen werden von den posteigenen Poststellen und
Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Pari. Staatssekretär Dr. Paul Laufs
Postämtern. Daß in einzelnen Fällen Probleme entstehen können derart, wie Sie sie am Schluß dargestellt haben, ist sicher nicht zu bestreiten. Insgesamt kann man aber sagen, daß die Postagenturen von den Kunden sehr gut angenommen werden, daß sie sehr erfolgreich arbeiten und daß deshalb dieser Betriebsversuch weiter ausgebaut werden soll, allerdings immer berücksichtigend, daß man sich nicht das Geschäft in den posteigenen Stellen schädigen darf.
Nun die letzte Zusatzfrage des Kollegen Seifert.
Kollege Laufs, wir haben im Ausschuß schon des öfteren über diese Frage diskutiert. Ich will das hier nicht weiter vertiefen, aber wollen Sie nicht wenigstens auf die Frage von Herrn Dr. Ullmann zugeben, daß die kommunikative Funktion eines Postamts insbesondere in dünn besiedelten Gegenden sehr wichtig ist und mit rein betriebswirtschaftlichen Kriterien überhaupt nicht zu messen ist und daß hinzukommt, daß durch sehr ungünstige Öffnungszeiten tatsächlich die Möglichkeit, diese Ämter zu benutzen, immer weiter eingeschränkt wird und daraus eine fehlende Nachfrage folgt, die dann zur Schließung führt?
Es ist richtig, Herr Kollege Seifert - wir haben schon oft darüber diskutiert -, daß die Postversorgung insbesondere auf dem Lande durch starken Nachfragerückgang, nicht zeitgemäße Einrichtung der Poststellen und unzureichende Tagesöffnungszeiten gekennzeichnet ist. Wenn Sie so wollen, befinden wir uns hier in einem Teufelskreis aus Versorgungsdefiziten, hohen Kosten und Nachfragerückgang.
Deshalb versucht man die Erschließung neuer Vertriebswege. Die Postagenturen werden, wie gesagt, von den Kunden sehr gut angenommen, auch im Hinblick darauf, daß sich dort dann ein Ort der Kommunikation findet.
({0})
- Es ist Ihnen versprochen worden, daß wir das demnächst im Ausschuß machen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende der Fragestunde und deutlich über die vorgesehene Zeit hinausgekommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und zur Anderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 12/5890 - ({0})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1}) - Drucksache 12/6811 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann ({2})
bb) Bericht des Haushaltsausschusses
({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6812 - Berichterstattung:
Abgeordnete Roland Sauer ({4}) Dr. Wolfgang Weng ({5})
Helmut Wieczorek ({6})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({7}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Psychotherapeutische Versorgung gesetzlich Krankenversicherter und Zugang zu den Berufen des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
-- Drucksachen 12/5913, 12/6811 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Lohmann ({8})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wolfgang Lohmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fragestellung hinsichtlich der Telefonhäuschen und die sehr ernsthafte und der Sache auch zeitlich angemessene Beantwortung hat mich wieder etwas beruhigt. Es war wahrscheinlich ein wesentlicher Beitrag zum Abbau von Politikverdrossenheit.
Insofern wundert mich gar nicht, Herr Kollege Conradi - weil Sie für die Gestaltung dieses Hauses mitverantwortlich sind -, über was man so alles reden kann, vor allen Dingen hinsichtlich der Farbgebung.
({0})
Andererseits verspreche ich mir von dem Thema, das wir jetzt haben, doch - was die Bürgerschaft betrifft - wesentlich mehr. Denn nach mehreren vergeblichen Anläufen und nach jahrelanger kontroverser und teilweise ermüdender Diskussion ist heute nun endlich der Tag der Entscheidung gekommen. Der Gesundheitsausschuß hat die Beratung der 85. Sitzung vom 2. Februar abgeschlossen. Dabei hat er dem Gesetzentwurf in der Ihnen vorliegenden Ausschußfassung zugestimmt.
Durch das Gesetz sollen die Heilberufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geregelt und die gesetzlichen Grundlagen für eine eigenverantwortliche heilberufliche Tätigkeit der Angehörigen dieser Berufe geschaffen werden.
Wolfgang Lohmann ({1})
Den Beruf des psychologischen Psychotherapeuten sollen nur Diplompsychologen mit einem Universitätsabschluß oder einem Abschluß, der diesem gleichsteht, ergreifen können. Bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten soll auch der erfolgreiche Abschluß eines Studienganges der Pädagogik oder der Sozialpädagogik den Zugang zur Ausbildung ermöglichen, weil die Ausbildung in diesen Studiengängen in besonderem Maße zum Umgang mit psychisch gestörten Kindern und Jugendlichen befähigt.
Das Gesetz definiert in § 1 Abs. 3, was Ausübung von Psychotherapie im Sinne des Gesetzes sein soll. Die Berufsbefugnis soll nur die psychotherapeutischen Behandlungen abdecken, die
mittels wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren zur Feststellung, Heilung oder Linderung von psychischen Störungen mit Krankheitswert vorgenommen werden.
Die Beschränkung der Berechtigung auf wissenschaftlich anerkannte Verfahren soll verhindern, daß die Befugnis zur Ausübung von Psychotherapie möglicherweise zur Scharlatanerie ausufert.
({2})
Die fachliche Eignung für die Ausübung des Berufs des psychologischen Psychotherapeuten wird durch eine mindestens dreijährige ganztägige oder fünfjährige berufsbegleitende Ausbildung in der Psychotherapie erworben, die mit einer staatlichen Prüfung abschließt. Zugang zu dieser Ausbildung haben Personen, die ein Studium der Psychologie an einer Universität oder einer gleichstehenden Hochschule absolviert haben.
Es ergibt sich damit stichwortartig, berufsrechtlich: Berufszulassung zur Ausübung des Berufs des psychologischen Psychotherapeuten und zur Ausübung des Berufs des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Definition der Psychotherapie als jede mittels wissenschaftlich anerkannter Verfahren vorgenommene Tätigkeit zur Festlegung, Heilung oder Linderung von psychischen Störungen mit Krankheitswert, mindestens dreijährige ganztägige oder mindestens fünfjährige berufsbegleitende, mit Bestehen einer staatlichen Prüfung abschließende Ausbildung und Übergangsvorschriften für vor Inkrafttreten des Gesetzes tätige qualifizierte psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Krankenversicherungsrechtlich: Der Erstzugang des Patienten zum psychologischen Psychotherapeuten und eine konsiliarische Abklärung der Indikation, eine stimmberechtigte Beteiligung an der Erarbeitung der Richtlinien im Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen, ein Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen, die Bildung eines Budgets für die Vergütung der psychologischen Psychotherapeuten
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koalition hat eine Reihe von Änderungsanträgen in den Gesetzentwurf eingebracht. Zugleich wurden auch die Vorschläge des Bundesrates im wesentlichen aufgegriffen. Durch das Ersetzen beispielsweise der Erlaubnis durch die Approbation und die Einführung der Konsiliarregelung soll das Ziel der Gleichwertigkeit als Heilberuf für die psychologischen Psychotherapeuten deutlich gemacht werden.
({3})
Weiter wurden der Indikationskatalog gestrichen und die Budgetierungsregelungen wie auch die Übergangsregelungen geändert. Für uns standen bei den Übergangsregelungen immer zwei Gesichtspunkte im Vordergrund: Erstens ist die Qualität psychologisch-psychotherapeutischer Leistungen unbedingt zu sichern, und zugleich, zweitens, war eine Ausgrenzung ganzer Personengruppen, die bisher psychologische Psychotherapie betrieben haben, unbedingt zu vermeiden. Es durfte also vor allen Dingen keine Sackgassen geben.
Der Beruf des psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten wird nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Damit wird der lang gehegte Wunsch der Psychotherapeuten zur Zulassung zur Versorgung von Patienten im System der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt.
Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs und bei der weiteren Beratung ist größter Wert darauf gelegt worden, daß eine ausufernde Kostenbelastung der gesetzlichen Krankenkassen vor dem Hintergrund des Gesundheitsstrukturgesetzes, das in vielen Bereichen Budgetierungen eingeführt hat, auf jeden Fall vermieden wird. Deshalb sieht das Gesetz für die ersten drei Jahre nach Inkrafttreten ebenfalls für den Bereich, den wir hier ansprechen, eine Phase strikter Budgetierung vor, nach deren Auslaufen das Vergütungsvolumen, wie bereits das Vergütungsvolumen für Ärzte nach dem Auslaufen der strikten Budgetierung, festzusetzen ist.
Da - und darüber ist lange diskutiert worden - der tatsächliche Bedarf nicht genau abzuschätzen ist, was auch in der Anhörung bestätigt wurde, konnte eine Bedarfsplanung natürlich nicht eingeführt werden, wie sie beispielsweise im Gesundheitsstrukturgesetz für die Vertragsärzte vorgesehen ist.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. gehen bei der Budgetierung davon aus - das wird sehr wichtig -, daß im Jahre 1996 ein Vergütungsvolumen für die nichtärztlichen Psychotherapeuten zur Verfügung steht, das unter Berücksichtigung der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen der GKV dem entspricht, was im Jahre 1993 für die nichtärztliche psychotherapeutische Versorgung zur Verfügung stand. Das ist eine wichtige Feststellung, weil vielfach, auch in der öffentlichen Anhörung, in diesem Zusammenhang zweifelnde Fragen gestellt wurden, wie es denn 1996 aussähe. Deswegen ist das ausdrücklich noch einmal festgehalten worden.
Die Selbstbeteiligung ist ein weiteres Instrument zur Mengensteuerung und eine Kostenbremse, aber auch zur Therapieerleichterung. Es muß von Anfang an sichergestellt werden, daß es nicht zu einer unwirtschaftlichen Inanspruchnahme psychotherapeutischer Leistungen kommt, wenn diese als eigenständige Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.
Wolfgang Lohmann ({4})
Dem Vorwurf, daß von dieser Regelung besonders die finanziell schwächer gestellten Personen betroffen sind, ist entgegenzuhalten, daß gerade für diesen Personenkreis die Sozialklausel und die gleitende Härtefallregelung greift.
Die Koalitionsfraktionen sehen aber die Einführung einer sozial zumutbaren Selbstbeteiligung nicht nur wegen ihrer mengensteuernden Wirkung als unverzichtbar an. Durch die Selbstbeteiligung wird auch die Eigenverantwortlichkeit und die Motivation des Versicherten gefördert, die Behandlung - wie es ja in der Vergangenheit häufig geschehen ist - nicht vor ihrem erfolgreichen Abschluß abzubrechen.
Die Mitglieder der Koalition erwarten, daß der wissenschaftliche Beirat gemäß Art. 1 § 11 unverzüglich installiert wird, um möglichst bald Konsens darüber herzustellen, welche Verfahren - ich verwies vorhin auf die wissenschaftliche Anerkennung im Sinne berufsrechtlicher Regelungen - dieses sind. Die neuen Richtlinien sind erstmalig zum 31. Dezember 1994 zu beschließen. Damit ist sichergestellt, daß mit Inkrafttreten der neuen Vorschriften zur psychotherapeutischen Versorgung diese Richtlinien dann verbindlich sind, so daß insbesondere die Zulassungen nach § 134 a ohne Zeitverzögerung - das ist ja sehr wichtig - ausgesprochen werden können.
Hinsichtlich der berufsrechtlichen Übergangsrichtlinien sind wir der Auffassung, daß es für die FünfJahres-Frist, auch hinsichtlich der korrespondierenden Vorschriften, nicht auf die ununterbrochene Mitwirkung an der psychotherapeutischen Krankenversorgung ankommen kann. Gerade bei Unterbrechung der Mitwirkung, wie beispielsweise bei einer Schwangerschaft, kommt es nach dem Zweck der Übergangsvorschriften darauf an, daß in dem in diesem Gesetz genannten Zeitraum, beispielsweise 1. Januar 1994 bis 31. Dezember 1995, die geforderten Qualifikationsnachweise erbracht werden.
Wir bekräftigen noch einmal unsere Auffassung, daß es Ziel der krankenversicherungsrechtlichen Zulassung sein muß, die Krankenkassen zu veranlassen, im Rahmen des Bedarfs der von ihnen zu gewährleistenden psychotherapeutischen Versorgung ihrer Versicherung jeden Psychotherapeuten, der bisher an der Kassenversorgung teilgenommen hat, bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, sofern er die Approbation nachweist, die notwendigen Nachqualifikationen in den anerkannten Richtlinienverfahren zu ermöglichen. Insofern erwarten wir auch, daß die Spitzenverbände der Krankenkassen unverzüglich die notwendigen Empfehlungen beschließen. Dabei ist davon auszugehen, daß die theoretischen Anforderungen nicht höher sind als im berufsrechtlichen Teil. Hinsichtlich des Nachweises der praktischen Erfahrung ist davon auszugehen, daß zehn Fälle à 50 Stunden unter Supervision ausreichend sind. Die Verabschiedung der Empfehlungen der Spitzenverbände ist deshalb vordringlich, weil ja schließlich die Therapeuten erwarten können, daß sie unverzüglich Klarheit darüber erhalten, wie sie die von den Krankenkassen zu fordernden Nachqualifikationen in zumutbarer Zeit erwerben können.
Noch ein Gedanke zu dem Konsiliarmodell. Das bedeutet, daß der psychologische Psychotherapeut den Patienten nach Indikationsstellung, maximal nach zwei Sitzungen, an einen ärztlichen Psychotherapeuten überweisen muß, auch mit dem Ziel der organmedizinischen Abklärung, die dieser durchführt bzw. koordiniert. Nach seiner Untersuchung teilt der ärztliche Psychotherapeut dem psychologischen Psychotherapeuten das Ergebnis in seinem Konsiliarbericht mit, ohne daß der Konsiliarbericht bindend ist. Die Rücküberweisung des Patienten ist berufsrechtlich verpflichtend. Die Indikation des psychologischen Psychotherapeuten wird mit diesem Modell im Gegensatz zu unserem und dem ursprünglichen Ansatz der Regierung nicht im Sinne eines Arztvorbehaltes bestätigt.
Meine Damen und Herren, zu dem Ergebnis der Beratung des Antrags der SPD-Fraktion verweise ich auf den Ihnen vorliegenden Ausschußbericht, in dem die abweichenden Voten Berücksichtigung gefunden haben. Herr Schmidbauer, vermute ich, wird das Notwendige zu der Auffassung der SPD sagen.
Meine Damen und Herren, dies ist ein bedeutender Tag für die Psychotherapie in Deutschland. Lassen Sie uns, auch wenn nicht alle nur denkbaren Vorstellungen verwirklicht werden konnten, diesem Gesetz jetzt endlich, nach rund 16 Jahren, zum Durchbruch verhelfen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Als nächster hat nun der Kollege Horst Schmidbauer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute eine Uraufführung.
({0})
Wir erleben den Versuch, ein Gesetz im Eilverfahren durchzuziehen. Wir erleben den Versuch, ein Gesetz, mit heißer Nadel gestrickt, über die Bühne zu bringen.
Woran denkt man denn, wenn die Eile so geboten ist? Man denkt daran, daß das Gesetz vielleicht am 1. Mai 1994, am 1. Juni 1994 in Kraft tritt. Aber weit gefehlt, die Uraufführung findet erst 1996 statt.
Aber ich denke, es ist trotzdem heute schon geboten und nicht 1996, daß wir die Unterversorgung in der Psychotherapie und die Zwei-Klassen-Struktur in der Psychotherapie überwinden. Ich denke, daß es vor allem wichtig ist, die gleichberechtigte Ebene zwischen Psychotherapeuten und Ärzten zu schaffen.
Ich habe erfahrene Parlamentarier gefragt, ob es Vergleichbares gebe, daß zwischen der Veröffentlichung des Drehbuches und der Uraufführung zwei Jahre Zeit verstreichen müssen.
({1})
Die Antwort: Das Verfahren Psychotherapeutengesetz ist einmalig. Wir sagen: Diese „Einmaligkeit"
haben die Menschen nicht verdient. Sie erwarten
Horst Schmidbauer ({2})
keine neuen Überschriften, sondern sie erwarten Taten.
Aber all die Bedenken hatte die SPD zurückgestellt, um zu einer Lösung zu kommen.
({3})
In der ersten Phase hatten wir besonders konstruktiv gearbeitet, so konstruktiv, daß dem Referentenentwurf, der so unausgewogen und widersprüchlich war, nach acht Wochen die Luft ausging. Die SPD hatte die konstruktive Zuarbeit über den Bundesrat organisiert.
({4})
- Mit großem Erfolg, Herr Kollege Hoffacker, denn ca. 20 sehr substantielle Anträge haben die Regierung und Sie von der Koalition in ihren Gesetzentwurf übernommen.
({5})
- Das können wir dann nachlesen.
Das hat zu fundamentalen Änderungen im Berufsrecht geführt. Dies hat letztendlich dazu geführt, daß wir dem berufsrechtlichen Teil zustimmen konnten.
Ich denke, das war ein guter Einstieg für die zweite Phase. Wir waren schon halb über den Berg und dachten, wir würden das Ziel erreichen, weil wir den berufsrechtlichen Teil gemeinsam passieren lassen konnten. Auf diesem halben Weg haben uns dann die Ideologen der Koalition eingeholt, die Spitze des Berges schon im Auge.
Die Koalition hatte beim Anblick der Ärzteschaft kalte Füße bekommen. Sie wurde beim sozialrechtlichen Teil steif und blieb letztendlich unbeweglich. Von einer gleichberechtigten Ebene zwischen Psychotherapeut und Arzt will man nichts mehr so recht wissen. Über die Hintertüre soll mit dem sogenannten Kooperationsverfahren das alte Delegationsverfahren mit seinem Nadelöhr salonfähig gemacht werden.
({6})
Bei der notwendigen Änderung im SGB V hat man im Leistungskatalog die Aufnahme und damit die Gleichstellung für die Leistungen der Psychotherapie verweigert.
Bei der Behandlung von psychotherapeutischen Themen im Bundesausschuß ist die Vertretung der Psychotherapeuten gleichberechtigt mit den Ärzten und Krankenkassen abgelehnt worden. Dem SPD-Antrag, der dies gefordert hat, hat man einen Korb gegeben.
Bei den Übergangsvorschriften war man sich zwar bei der Überschrift einig. Die Überschrift lautete: Durch die Übergangsregelung darf das Anforderungsprofil für die Ausbildung nicht unterlaufen werden. Bei der konkreten Abfassung mußte man feststellen, daß die Bundesregierung mehr von gegriffenen als von fundierten Daten ausgegangen ist, wenn es um die Zahl der Theoriestunden oder die Zahl der abgeschlossenen Behandlungsfälle ging.
Bei der Gewichtung der Vorbedingungen konnte nicht abschließend geklärt werden, ob dabei Äpfel mit Äpfeln verglichen wurden oder Äpfel mit Birnen.
({7})
Aber noch schlimmer: Daß die Budgetierung ein ungeeignetes Mittel ist und daß es kein Steuerungsmittel ist, haben wir spätestens mit dem GSG gelernt.
({8})
Die Budgetierung, wie sie die Regierung vorschlägt, verfehlt deshalb das Ziel. Die Budgetierung, so wie wir sie heute vorfinden, bedeutet letztendlich eine Reduzierung der Versorgung und vor allem eine Halbierung der Honorare.
({9})
Dabei hatten wir der Koalition nicht nur einen Steg gebaut, sondern eine dauerhaft haltbare Brücke. Unser Ziel war dabei, den Sicherstellungsauftrag mit einem Vertragsmodell den Krankenkassen zu übertragen. Die Krankenkassen könnten dann regional, bedarfsorientiert die Leistungen direkt mit den Psychotherapeuten vereinbaren bzw. sich einkaufen.
Die Koalition, besonders Sie, Herr Dr. Hoffacker, hatten ja unsere Brückenbaupläne mit großen Augen verfolgt. Ich darf aus einem Beitrag zitieren, den Sie verfaßt haben:
Das als Alternative von der SPD insofern vorgeschlagene Einkaufsmodell im Bereich der Psychotherapie hat unter Wettbewerbsgesichtspunkten durchaus einige positive Aspekte. Die Zeit ist jedoch für eine derartige weitgehende Neuordnung der Anbieterstrukturen auch in einem Teilbereich der Krankenversicherung noch nicht reif.
Wir hätten Sie gerne, Herr Kollege Hoffacker, an die Hand genommen, damit Sie die Unsicherheit beim Betreten der Brücke überwinden können oder erleben können, daß die Zeit auch für solche Modelle reif ist.
Herr Kollege Schmidbauer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoffacker?
Natürlich.
Herr Hoffacker, bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bei dem Einkaufsmodell entgangen, daß dieses Drohpotential in dem Artikel, den Sie von mir zitieren, auch auf die SPD Anwendung finden sollte?
Herr Kollege Hoffacker, das ist doch kein Drohpotential. Wir haben Ihnen die Chance gegeben zu sagen: Laßt uns diesen Weg gemeinsam gehen. Wir haben ein konstruktives Modell vorgeschlagen. Sie wären damit aus der
Horst Schmidbauer ({0})
unsäglichen Rolle, die Sie mit der Budgetierung übernommen haben, herausgekommen, und Sie hätten Lösungen im Psychotherapeutengesetz schaffen können, daß es in Zukunft den Aufgaben gerecht wird. Aber die Chance haben Sie leider nicht genutzt, und Sie werden das nun irgendwann nachholen müssen.
({1})
Aber es kam doch noch schlimmer. Alleine auf weiter Flur steht die Koalition mit ihrem Abkassiermodell.
({2})
Weder die Krankenkassen - inklusive der TechnikerKrankenkasse, die das bisher praktizieren mußte - noch die meisten Fachverbände,
({3})
noch die betroffenen Patientinnen und Patienten wollen den Weg der Selbstbeteiligung der Koalition mitgehen.
Es ist schon bezeichnend, daß man sich ausgerechnet die psychisch Kranken als Experimentierfeld herausgesucht hat. Dabei wissen wir doch, daß gerade in der Gruppe der psychisch Kranken der Anteil sozial schwacher Personen krankheitsbedingt besonders hoch ist.
({4})
Einen Einstieg in die Selbstbeteiligung auf dem Rükken von psychisch Kranken wird es deshalb mit der SPD nicht geben.
Der berufsrechtliche Teil war ausgewogen, war zustimmungsfähig. Der sozialrechtliche Teil ist schludrig gemacht und zusätzlich durch die Blockierungshaltung der Koalition nicht zustimmungsfähig gewesen. So bleibt für die SPD trotz allem Engagement nur die Ablehnung des Gesamtgesetzes, und so werden wir heute stimmen. Ich glaube, diese Linie wird die Koalition auch im Bundesrat begleiten.
Den vielen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, noch mehr aber den vielen Menschen, die der Hilfe bedürfen, versprechen wir: Sie brauchen mit uns keine 15 plus 2 Jahre zu warten. Es ist genug, daß behandlungsbedürftige Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen durchschnittlich sieben Jahre auf eine adäquate Behandlung warten müssen.
Es ist genug, nein, zuviel, wenn jährlich 1 151 Millionen DM für Psychopharmaka ausgegeben werden. Es ist genug, wenn Hunderttausende von Menschen zu chronifizierten Patientinnen und Patienten werden und davon im Jahr 25 000 frühverrentet werden.
({5})
Ich denke, die Menschen brauchen nicht bis 1996 auf die Uraufführung des Gesetzes zu warten.
({6})
Mit einer SPD-geführten Regierung werden wir dieses Gesetz 1995 schaffen, aber dann so, daß es seinem Namen gerecht wird, aber dann so, daß es seiner Aufgabe im Interesse der Menschen gerecht werden kann.
({7})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es findet heute weithin Akzeptanz, wenn gerade auch angesichts der eindrucksvollen naturwissenschaftlich-technischen Fortschritte in der Medizin das zunehmende Defizit an personaler Zuwendung und menschlicher Einfühlung beklagt wird.
Vor allem die Behandlung der häufigen psychosomatischen Erkrankungen oder auch der funktionellen Störungen mit einem fast unerschöpflichen Repertoire apparativer Diagnostik - an dessen Ausschöpfung die Ärzte unglücklicherweise auch noch existentiell interessiert sein müssen - und ihre vorwiegend medikamentöse, nicht selten sogar operativ-invasive Therapie führt dabei immer wieder zu langandauernden sogenannten Patientenkarrieren, die leider allzuoft menschlichen Tragödien gleichkommen.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund besitzt das vorliegende Gesetz sowohl einen hohen berufspolitischen als auch einen nicht zu unterschätzenden gesundheitspolitischen Stellenwert. Mit seinen berufsrechtlichen Regelungen wird die Ausbildung und Berufszulassung zum psychologischen Psychotherapeuten und zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf eine wissenschaftlich solide gesetzliche Grundlage gestellt. Zugleich findet damit ein neuer eigenständiger akademischer Heilberuf seine seit langem anstehende staatliche Anerkennung. Das sollte eigentlich eine unerläßliche Voraussetzung für die Qualität der psychotherapeutischen Arbeit im Lande sein.
Im Ergebnis der Beratungen im Gesundheitsausschuß, bei denen vielfach auf Vorschläge des Bundesrates zurückgegriffen werden konnte, ist der ursprüngliche Kabinettsentwurf, insbesondere im berufsrechtlichen Teil, deutlich verbessert worden. Zu nennen sind hier u. a. die Approbation, die Streichung des sogenannten Indikationenkatalogs oder auch die jetzt zumindest vom Gesetzgeber ermöglichte Öffnung für weitere wissenschaftlich anerkannte Verfahren. Schließlich wird es mir wohl keiner verübeln, wenn ich mich darüber freue, daß die in der DDR ausgebildeten Fachpsychologen der Medizin eigentlich von Anfang an die Berücksichtigung im Gesetz gefunden haben, die der Qualität ihrer Aus- und Weiterbildung entspricht.
Sollte es allerdings im Rahmen der Entscheidungen, die nun in den Bundesausschuß Ärzte und Krankenkassen verlagert sind, allein bei den bisherigen Richtlinienverfahren bleiben - das leitet nun zum sozialrechtlichen Teil des Gesetzes über -, so würde das zu erheblichen Beeinträchtigungen der Patientenversor18222
gung besonders in den neuen Bundesländern führen. Das Hauptpotential der psychotherapeutischen Arbeit basiert dort, wie übrigens auch in anderen Staaten, auf der wissenschaftlichen Gesprächspsychotherapie. Wer sich bei einer Ablehnung dieses Verfahrens heute noch auf das hier zugrunde liegende Forschungsgutachten beruft, der sollte doch wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß in diesem Gutachten erstens im Westen nur die bis 1983 erschienenen Publikationen und zweitens im Osten die entsprechenden wissenschaftlichen Entwicklungen einschließlich vorliegender evaluierender Untersuchungen noch gar nicht berücksichtigt sind.
Weshalb müssen wir das Gesetz trotz der bisher genannten Positiva dennoch ablehnen?
({0})
Erstens. Die völlig unsoziale und psychisch Kranke diskriminierende Zuzahlungsregelung von 25 % soll bestehenbleiben. Damit kann der sozialrechtliche Teil dieses Vorhabens nach wie vor nur als verheerend bezeichnet werden. Der von maßgeblichen Teilen der Koalition favorisierte, im Ganzen aber wohl noch nicht gewagte Marsch in eine brutale Zweiklassenmedizin soll für den Teilbereich der Psychotherapie vorweggenommen werden.
({1})
- Was recht ist, muß auch gesagt werden.
({2})
Den behandlungsbedürftigen Menschen sollen damit ab 1996 neue Zuzahlungen in einer Größenordnung von insgesamt mehreren hundert Millionen DM jährlich aufgebürdet werden. In geradezu klassischer Form geht es um den Einstieg in ein anderes Gesundheitswesen, in ein Gesundheitswesen, das seine wachsenden Kosten immer weniger solidarisch über Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, dafür jedoch zunehmend direkt aus privaten Mitteln der Kranken deckt.
Diese Gesamtentwicklung, die den gesundheitlichen Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung diametral entgegensteht, lehnen wir entschieden ab. Für den einzelnen handelt es sich dabei nicht selten um Summen von mehreren tausend Mark, die aus der eigenen Tasche zuzulegen sind.
({3})
- Das kann man ausrechnen. - Das ist für die Mehrheit der Bevölkerung, die weder unter Sozialklauseln fällt noch von den Härtefallregelungen wesentliche Erleichterungen erhoffen kann, eine Belastung mit beträchtlicher Abschreckungswirkung, ganz zu schweigen von der besonders schwierigen Lage, in die bekanntlich nicht verdienende Ehefrauen oder auch junge Menschen über 18 Jahre geraten können.
Ohnehin gibt es noch eine beträchtliche Hemmschwelle, Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Während solche Behandlungen aber bisher auch mittleren und unteren Einkommensschichten tendenziell besser zugänglich wurden, stellt man nun wieder die Weichen für eine Umkehrung dieses Trends.
Zweitens. Wir lehnen dieses Gesetz zum weiteren ab, weil die noch immer vorgesehene Budgetierung, auch wenn sie nunmehr durch eine Öffnungsklausel ergänzt wurde, dazu führt, daß künftig von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht ein Mehr an Mitteln, sondern anteilsmäßig eher weniger als bisher für Psychotherapie ausgegeben werden kann. Das wird übrigens automatisch bestimmte Therapieformen benachteiligen. Dann sind also billige Therapieformen gefragt.
Abschließend sei gesagt: Dieses Gesetz ist unsozial und ungerecht. Für die psychotherapeutische Versorgung der Patienten bringt es keine Verbesserung. Gerade das aber wäre sein oberstes Ziel. Im Gegenteil, hier sind empfindliche Verschlechterungen zu befürchten. Wohlweislich sollen die Menschen seine Folgen auch nicht vor 1996 zu spüren bekommen.
Was das Gesetz selbst betrifft, so hoffe ich allerdings, daß die von vielen Seiten geleistete umfangreiche Arbeit keineswegs vergeblich war. Ich denke, daß es bei anderen Mehrheitsverhältnissen möglich ist, in relativ kurzer Zeit eine in den entscheidenden Punkten geänderte Fassung zu verabschieden, die dann sowohl der Entwicklung der Heilkunde und ihrer Berufe als auch den Interessen der behandlungsbedürftigen Menschen gerecht wird.
Ich bedanke mich.
({4})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nachgerechnet: 17 Jahre, Herr Lohmann, haben wir auf dieses Gesetz gewartet, und ich denke, wir können uns schlecht Vorwürfe machen; denn es gab in den 17 Jahren sehr unterschiedliche Koalitionen. Wenn man es wirklich gewollt hätte, hätten die unterschiedlichen Koalitionen ein solches Gesetz durchsetzen können.
({0})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen - in diesem Gesetzgebungsverfahren haben wir es alle gemerkt -, daß es sehr unterschiedliche Auffassungen und Einschätzungen zu diesem Gesetz gab. Es waren nicht nur auf der einen Seite die Ärzte und auf der anderen Seite die Psychologen, sondern auch innerhalb dieser letztgenannten Berufsgruppe gab es sehr unterschiedliche Auffassungen, welche Inhalte hier eingebaut werden sollten.
Trotzdem, so denke ich, liegt jetzt ein Kompromiß vor. Rom ist ja auch nicht an einem Tag erbaut worden. Gesetze werden weiterentwickelt, Gesetze werden den modernen Entwicklungen angepaßt. Ich denke, wir haben es gar nicht schlecht gemacht, daß wir für die Psychologen jetzt ein Berufsbild geschaffen haben, worauf sie viele Jahre gewartet haben. Dies ist für mich das Entscheidende; denn mit diesem BerufsDr. Dieter Thomae
bild, meine Damen und Herren, können wir jetzt eine Qualifikation festlegen, und die Qualifikation ist das Beste, was wir durch die Approbation für diesen Bereich schaffen konnten. Damit sage ich auch sehr deutlich: Mit dieser berufsrechtlichen Regelung, meine Damen und Herren, können wir auch die Scharlatane, die in diesem Bereich tätig sind - ich spreche nur einmal von verschiedenen Sekten, die angeblich auch diese psychologische Betreuung durchführen -, ausgrenzen. Das ist für mich einer der entscheidenden Punkte in diesem Beruisrecht. Ich bin froh, daß wir es geschaffen haben.
({1})
Meine Damen und Herren, fernerhin meine ich, wir sollten in' der Tat auch die Zusatzbezeichnungen ermöglichen. Der Patient soll wissen, auf welchem Spezialgebiet der Psychologe tätig ist. Dies können wir von Bundesseite nicht tun, aber ich hoffe, daß die Länder bereit sind, diese Zusatzinformationen gesetzlich festzulegen.
Es wurde hier schon gesagt: Im Berufsrecht gab es in einem großen Umfang Einigkeit. Im sozialrechtlichen Teil gibt es mehr strittige Punkte zwischen Koalition und Opposition.
Es ist so, meine Damen und Herren, daß Psychologen nicht allein im Rahmen des Delegationsverfahrens oder im Rahmen der Technikerregelung tätig waren. Wir wissen auch, daß andere Krankenkassen im Rahmen der Kostenerstattung psychotherapeutische Behandlungen finanziert haben.
({2})
Meine Damen und Herren, wir wollen die Versorgung sicherstellen. Wir wollen, daß hier ausgezeichnete Qualifikationen verankert werden, und wir wollen dies, meine Damen und Herren, nicht durch ein Delegationsverfahren. Wir hatten über ein Kooperationsverfahren nachgedacht. Aber die Koalition ist zu der einstimmigen Auffassung gelangt, daß das Konsiliarmodell zunächst das entscheidende Modell ist, um eine Gleichrangigkeit zwischen Ärzten und Psychologen sicherzustellen.
Ich wiederhole noch einmal eindeutig die Ausführungen von Herrn Lohmann: Der Patient geht zum Psychologen, er geht zur somatischen Untersuchung zum ärztlichen Psychologen, und hier wird ein Konsiliarbericht erstellt. Dieser Konsiliarbericht wird zur psychologischen Behandlung mitgenommen, aber der Psychologe entscheidet allein, welche Behandlung er durchführt. Das ist der entscheidende Punkt. Dazu kommt noch, daß laut Berufsrecht im Konsiliarmodell der Patient zum Psychologen zurückkommen muß. Damit werden zwei wichtige Punkte erfüllt.
({3})
Ich denke, das ist eine vernünftige Lösung, die die Koalition hier angeboten hat.
Meine Damen und Herren, Budget-Bedarfsplanung, ja oder nein? Darüber kann man sicherlich sehr intensiv streiten; ich bekenne dies. Beide Lösungen, auch Ihre Lösung von der SPD, wären denkbar gewesen.
Aber der Bedarf in der Psychologie ist unbegrenzt. Ich denke, jedem Bundestagsabgeordneten könnte man erklären, daß er einen Psychologen morgens, mittags und abends benötigt.
({4})
Der Bedarf ist also unbegrenzt.
Weil wir dies wissen, haben wir uns für das Budget entschieden. Wir wollen drei Jahre Erfahrungen mit dem Budget sammeln. Anschließend werden wir sicherlich wissen, in welchem Umfange das Budget ausreicht, und hieraus Konsequenzen ziehen.
({5})
Wenn Sie den Ausschußbericht genau lesen, sehen Sie, daß die finanziellen Grenzen nicht geändert und das Volumen nicht gekürzt worden ist, wie es hier behauptet wurde. Vielmehr wird das gleiche Geldvolumen, zugerechnet bis 1996, für die Behandlungen zur Verfügung stehen. Zusätzlich haben wir noch eine Öffnungsklausel festgelegt.
Herr Kollege Dr. Thomae, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?
Bitte schön, Herr Kirschner.
Bitte.
Herr Kollege Dr. Thomae, wenn Sie hier in den Raum stellen, daß die Abgeordneten morgens, mittags und abends eine psychotherapeutische Behandlung benötigten
({0})
- ich stelle ja nur die Frage -, wie wollen Sie das dann unter dem Budget, das Sie hier festschreiben, überhaupt noch finanzieren?
Herr Kirschner, ich bin da ruhig. Bei dem Einkommen eines Abgeordneten kann eine Selbstbeteiligung von 25 % nennenswert Abhilfe schaffen.
({0})
Nun zur Thematik der Selbstbeteiligung: In der Tat führen wir hier zum erstenmal die Selbstbeteiligung ein. Ich möchte aber betonen: 1996, beim nächsten Schritt der Gesundheitsreform, muß nach meiner Auffassung neben diesem Sektor auch im ärztlichen Bereich eine Selbstbeteiligung eingeführt werden, um eine Gleichstellung zu erzielen. Ich sage das ganz ehrlich. Ich denke, wir können nicht auf Dauer in einem Bereich eine Selbstbeteiligung einführen und in einem anderen Bereich nicht. Damit das klar ist: Ich sage dies von seiten der F.D.P.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Kollege Thomae?
Bitte schön.
Bitte, Herr Kollege Kirschner.
Herr Kollege Dr. Thomae, heißt dies, daß Sie als F.D.P. unter dem Stichwort Gleichbehandlung auch in allen anderen ambulanten Bereichen der ärztlichen Versorgung die Kostenerstattung plus Selbstbeteiligung anstreben?
Herr Kirschner, ich weiß, daß Sie das Konzept der F.D.P. kennen. Deshalb wissen Sie: Wir wollen generell eine Selbstbeteiligung in allen Bereichen, und wir favorisieren die Kostenerstattung.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß dieses Gesetz nun verabschiedet werden kann. Ich bedanke mich bei den Kollegen. Ich bedanke mich auch bei dem Minister und seinen Mitarbeitern für die Mühe, die sie 17 Jahre aufgebracht haben. Ich denke, wir sollten dieses Gesetz ab 1996 in Kraft treten lassen.
Herzlichen Dank.
({0})
Frau Kollegin Christina Schenk, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schaffung eines Gesetzes, das die Arbeit von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen endlich auf eine vernünftige Grundlage stellt, ist überfällig. Ich meine, es ist mittlerweile auch erklärungsbedürftig, wieso die Bundesrepublik 17 Jahre - ich habe in meinem Manuskript stehen: 16 Jahre; aber ich folge Ihnen da - nach dem letzten gescheiterten Versuch, in den alten Bundesländern ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, nun ein Psychotherapeutengesetz bekommen wird, dessen Intentionen so verwässert worden sind, daß die Akzeptanz schwerfällt.
Ich möchte dazu zunächst die Kernpunkte der gegenwärtigen Situation benennen:
Erstens. In der medizinischen und psychologischen Fachwelt besteht Einigkeit darüber, daß der ambulante psychotherapeutische Bereich in der Bundesrepublik nur schwach entwickelt ist. Das ist für hilfesuchende Menschen mit Angst- und Depressionserkrankungen ein unhaltbarer Zustand.
Zweitens. Das 1991 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellte Forschungsgutachten zu den Fragen eines Psychotherapeutengesetzes hat festgestellt:
Statt früh und ambulant kommt es spät - und
dann meist stationär - zur Psychotherapie.
Die Vernachlässigung des ambulanten Sektors hat u. a. auch dazu beigetragen, daß es zur „Bettenburg Deutschland" gekommen ist. Die Bundesrepublik hält mit ihrem Bestand an Betten für die psychosomatische und psychotherapeutische Behandlung den Weltrekord - und das, obwohl die Fixierung auf die stationäre Behandlungsform stets die teuerste Lösung ist.
Drittens. In der Bundesrepublik gibt es 900 000 psychopharmakaabhängige Frauen und 500 000 betroffene Männer. Diese Tatsache ist auch eine Folge der großen Hürden und langen Wartezeiten, die Hilfesuchende immer noch überwinden müssen, bevor sie einen von den Kassen finanzierten Psychotherapieplatz erreichen, so es ihnen denn überhaupt gelingt.
Diese Form der Therapie, wenn man die bloße Verabreichung von Pharmaka überhaupt so nennen darf, ist immer schnell zu haben und garantiert hohe Gewinne für die Pharmaindustrie. Für das Gesundheitswesen hingegen wird diese Therapieform unglaublich teuer, vor allem dann, wenn man die Folgekosten für die Abhängigkeitsbehandlung und für das chronifizierte Leid miteinrechnet.
Das alles zusammen, meine ich, sollte doch den Weg zu einer vernünftigen Regelung ebnen. Leider ist das nun nicht so. Ich meine, ein ganz wesentlicher Grund dafür, daß die menschlich und zugleich auch ökonomisch gebotene Ausbreitung der ambulanten Psychotherapie auf so offenkundigen Widerstand stößt, liegt in der Tatsache begründet, daß im Feld der ambulanten Psychotherapie rivalisierende Berufsgruppen tätig sind und danach trachten, ihre Position zu sichern oder auszubauen.
Es bemühen sich einerseits Ärzte und Ärztinnen mit psychotherapeutischem Zusatztitel und andererseits psychotherapeutisch ausgebildete Diplompsychologen und -psychologinnen um diesen Markt. Bisher ist es den ärztlichen Standesorganisationen bestens gelungen, die Gruppe der psychologischen Psychotherapeuten und -therapeutinnen nicht als eigenverantwortlich agierende Berufsgruppe zuzulassen.
Es dürfte jedoch inzwischen unstrittig sein, daß eben gerade diese Berufsgruppe absolut unverzichtbar ist. Das bereits zitierte Forschungsgutachten spricht da auch eine sehr deutliche Sprache.
So durchläuft ein psychosomatisch kranker Mensch eine durchschnittlich siebenjährige organmedizinische Behandlung, bevor seine Erkrankung ärztlicherseits als seelisch bedingt diagnostiziert wird. Die Gutachter stellen fest, daß 21 bis 33 % der Patienten von Allgemeinmedizinern und Internisten unter psychoneurotischen oder psychosomatischen Erkrankungen leiden, aber nur bei 3 bis 4 % diese Diagnose auch tatsächlich gestellt wurde. Die langjährige Verkennung und Fehleinschätzung von psychisch bedingten Erkrankungen führt zu langjährig diagnostisch-therapeutischem Aufwand, der den Betroffenen wenig nützt, aber große Kosten verursacht.
Wer nun die ärztlichen Stellungnahmen und die Entwürfe zum Psychotherapeutengesetz sichtet, wird zu seinem Erstaunen feststellen müssen, daß nicht die fälschlich organmedizinische Behandlung von psychisch bedingten Erkrankungen das Problem sei, sondern umgekehrt die fälschlich psychologische Behandlung von nicht diagnostizierten Organerkrankungen.
In den ersten Entwürfen zum Psychotherapeutengesetz war dann auch die Rede davon, daß ein Arzt die Indikation zur Behandlung durch einen Psychologen stellen müsse. Ich meine, es ist doch geradezu widersinnig, jene Berufsgruppe mit psychotherapeutischen Einschätzungen sich befassen zu lassen, in deren akademischem Bildungsweg der seelische Faktor gerade oft zu kurz kommt.
Im überarbeiteten Entwurf ist nun zu lesen, daß am Beginn der Psychotherapie der ärztliche Ausschluß einer Organerkrankung stehen müsse. Ich meine, daß dem Konsiliarmodell ein sehr vernünftiger Gedanke zugrunde liegt, aber andererseits möchte ich bezweifeln, daß die wechselseitige Vor- und Zwischenschaltung konkurrierender Berufsgruppen zum Nutzen für die Betroffenen ist. Im übrigen kann ich mir nicht vorstellen, daß ein erwachsener Mensch, der unter Bauchschmerzen oder Migräne leidet, zuallererst einen Psychotherapeuten aufsucht.
Meine Damen und Herren - ich komme dann zum Schluß -, der bisherigen Diskussion um die Schaffung eines Psychotherapeutengesetzes fehlt die Entschiedenheit. Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, gerade bei der Psychotherapie mit hohen Zuzahlungen zu experimentieren. Herr Thomae hatte ja angedeutet, in welche Richtung das geht. Außerdem verletzt dies den schon 1967 sozialgerichtlich bestätigten Grundsatz der Gleichbehandlung von körperlicher und seelischer Krankheit, aber wie wir gehört haben, wird sie ja kommen, wenn auch anders, als wir uns das vorstellen.
Auch die vorgesehene Budgetierung ist ein Bremsklotz, da sie die gegenwärtige Versorgungslücke festschreibt.
Ich finde es sehr bedauerlich, daß die positiven Intentionen eines Psychotherapeutengesetzes nicht konsequent umgesetzt werden konnten, und wir, d. h. die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, werden daher dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Herrn Bundesminister für Gesundheit, unserem Kollegen Horst Seehofer, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann es nicht oft genug sagen: 16 Jahre ist es nach bayerischer Mathematik her, daß der erste Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes vorgelegt wurde. Was mich dabei überrascht: Der Kollege Schmidbauer spricht nach 16 Jahren Diskussion von einem Gesetzgebungsverfahren im Eilverfahren.
Ja, Herr Kollege Schmidbauer, der Bundestag - darauf muß ich heute noch einmal hinweisen - ist kein Schlafsaal. Wir werden dafür bezahlt, daß wir nicht nur schwätzen und reden, sondern auch entscheiden, daß wir die Hand heben und Gesetze verabschieden.
({0})
Es gab auch großen Beifall auf der Tribüne.
Dafür bedanke ich mich. Dann darf ich vielleicht noch einen Änderungsvorschlag unterbreiten, dem die Koalition folgen könnte. Mein Vorschlag wäre, daß alle Teilnehmer, die jetzt gerade Beifall geklatscht haben, bei der ersten psychotherapeutischen Behandlung automatisch von der 25prozentigen Selbstbeteiligung befreit sind.
({0})
- Meine Damen und Herren, das ist kein unlauterer Wahlkampf, sondern es ist ein bahnbrechendes Gesetz, das wir heute vorlegen: bahnbrechende Regelungen für die neuen Heilberufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und ihre sozialversicherungsrechtliche Stellung.
Ich meine, das Gesetz erfüllt einen langjährigen Wunsch vieler Patienten und auch der Psychologen. Jeder Psychotherapeut, der die entsprechenden Aus- und Weiterbildungsanforderungen erfüllt, wird zur Versorgung von Patienten im System der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich zugelassen. Das ist ein Novum. Gerade angesichts der finanziellen Engpässe in der gesetzlichen Krankenversicherung ist es keineswegs selbstverständlich, daß wir einen völlig neuen Leistungszweig einführen.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidbauer?
Wenn er sich das zumuten will, ja.
Bitte, Herr Kollege Schmidbauer.
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß auch ein Gesetz in seiner Entstehungsgeschichte einen Anspruch auf Solidität hat, und stimmen Sie mir zu, daß die entscheidenden Änderungen in diesem Gesetz erst in allerletzter Minute eingebracht worden sind und daß Sie keinesfalls darauf bauen können, daß das Gesetz von seinem Grundaufbau, sprich: Referentenentwurf, die Solidität erfahren hat, die ein Gesetz nach 17 Jahren vielleicht erfahren sollte?
({0})
Eine so leichte Frage habe ich heute abend nicht mehr erwartet. Wir haben als Regierung schon einen ohnehin guten Gesetzentwurf vorgelegt.
({0})
Ich dachte nicht, daß der überhaupt noch verbesserungsfähig ist. Dann aber betreten die Abgeordneten der Koalition in der Gestalt von Paul Hoffacker, Wolfgang Lohmann, Wolfgang Zöller und Dieter Thomae im Parlament und in den Ausschüssen die Bühne, quälen die Regierung und verbessern einen ohnehin guten Gesetzentwurf noch weiter.
({1})
Es ist ein sehr solider Gesetzentwurf. Ich verhehle
nicht, Herr Kollege Schmidbauer, daß wir als Regierung und ich als Minister es gar nicht so gern haben,
18226 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Februar 19s-Bundesminister Horst Seehofer
wenn unsere Gesetzentwürfe vom Parlament auch noch verbessert werden.
Es ist ein gutes Gesetz, und es kommt in einer Zeit, in der es niemand erwartet hat. Wo wir den meisten in der gesetzlichen Krankenversicherung Sparopfer abverlangen, stellen wir die Weichen für bahnbrechende Neuregelungen in der deutschen Medizin.
({2})
Es ist bahnbrechend, Herr Kollege Schmidbauer, weil dieses Gesetz auch ein Beitrag für die sprechende Medizin ist. So manchem Leiden ist durch ein intensives Gespräch nämlich eher auf den Grund zu kommen als durch Röntgenapparate, und so manchem helfen die richtigen Worte mehr als Pillen und Tropfen. Deshalb ist das Gesetz an der richtigen Stelle.
({3})
Gerade in diesem Bereich besteht Nachholbedarf. Bei allem Segen für Medikamente und die Schulmedizin: Es muß umgesteuert werden, weg von der puren Apparatemedizin hin zur Zuwendungsmedizin, die nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche des Menschen berücksichtigt. Dieses Ziel verfolgen wir nicht nur mit der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte, sondern dieses Ziel verfolgen wir auch mit dem Psychotherapeutengesetz, das wir heute abschließend beraten werden.
Ich möchte an die Opposition im Deutschen Bundestag sowie an die SPD-regierten Länder appellieren, die mit diesem Gesetz verbundenen Verbesserungen nicht mehr zu gefährden. Es ist jetzt höchste Zeit, eine jahrzehntelange intensive Diskussion zu beenden, einen Schlußstrich zu ziehen. Sosehr man bei jedem Gesetz sagen kann, dieses oder jenes könnte noch anders gestaltet werden - diese Koalition handelt nach dem Motto: Kleine Taten, die man ausführt, sind besser als große, die man nur plant.
({4})
In dem Punkt unterscheiden wir uns ganz wesentlich von der sozialdemokratischen Partei.
Das Ergebnis der Diskussion rechtfertigt es, das sorgfältig ausgewogene Gesetzeswerk im Interesse der neuen Heilberufe und der Patienten jetzt endlich wirksam werden zu lassen. Die Bundesländer sollten deshalb bei ihrer Beratung die Zustimmung zum Gesetz nicht versagen.
Ich sagte bereits, daß der Regierungsentwurf durch Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen weiterentwickelt worden ist. Die jetzt zur Verabschiedung anstehende Fassung hat in einer ganzen Reihe von Fragen auch Anregungen des Bundesrates aufgegriffen. Dies gilt für die Schaffung einer Approbation für die neuen Berufe ebenso wie für die Übergangsregelungen, die die Vorstellungen des Bundesrates weitgehend widerspiegeln.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß wir dieses Psychotherapeutengesetz jetzt nicht wieder als Spielwiese für die Wiederholung altbekannter Argumente für und gegen eine Zuzahlung der
Versicherten oder die globale Begrenzung der Gesamtvergütung benutzen sollten.
({5})
Es geht nicht, wie bei den Diskussionen in der Vergangenheit, um die Steuerung der Inanspruchnahme und die Angebote langjähriger Leistungen der GKV, sondern um die erstmalige volle Integration einer neuen Berufsgruppe mit neuem Leistungsspektrum in die Sozialversicherung. Die Frage der Eigenverantwortung des Versicherten und der Steuerung des Leistungsangebotes stellt sich insofern in völlig anderer Weise als bei den bereits etablierten Leistungen. Deshalb appelliere ich an die Opposition, nicht in die alten Denkschemen zurückzufallen und in ihnen zu verharren.
Wenn der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion behauptet, an der Ideologie der Selbstbeteiligung lasse die Koalition das Gesetz scheitern, dann hat er sich im Ansprechpartner geirrt. Genau diesen Vorwurf nämlich müßte er an die eigenen Reihen richten,
({6})
an diejenigen, die an ihrem ideologisch begründeten Veto zur Selbstbeteiligung festhalten und damit das Gesetz gefährden.
Ich dachte, daß wir mit dem Gesundheitsstrukturgesetz diese unselige Diskussion über die Selbstbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland endlich beendet haben, nachdem es die SPD war, die unserer neuen Selbstbeteiligungsregelung im Arzneimittelbereich und gerade der Umstellung bei der Packungsgröße zugestimmt hat.
({7})
Die Koalition hat ihre Kompromißbereitschaft auf diesem Feld bewiesen. Ich erinnere daran, daß ursprünglich eine weit höhere Selbstbeteiligung als jetzt zur Diskussion stand. Ich sage hier in aller Deutlichkeit aber auch noch einmal: Eine gesetzliche Regelung ohne wirksame Ausgabenbegrenzung - dies schließt die vorgesehenen Zuzahlungen ein - ist nicht vertretbar. Hier sollte keiner falsche Hoffnungen in die Bundesratsverfahren legen; denn ein Verzicht auf diese Regelungen würde zwangsläufig zu einer finanziellen Überlastung der gesetzlichen Krankenversicherung, einer Überforderung der Beitragszahler und einer Steigerung der Lohnnebenkosten führen. Das kann niemand wollen.
({8})
Wir müssen den Menschen sagen, daß wir mit dieser Selbstbeteiligung und mit den hohen Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Spitzenqualität bieten. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, wenn wir das noch eingeführt haben, gehört die gesetzliche Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland zu den leistungsfähigsten Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt.
({9})
Wir haben auch eine Härtefallregelung: Kinder und Jugendliche haben ausdrücklich Anspruch auf volle Kostenübernahme durch die Krankenkasse. VersiBundesminister Horst Seehofer
cherte mit geringem Einkommen und bedürftige Personengruppen wie z. B. Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger sind ebenfalls von der Eigenbeteiligung befreit. Für Versicherte, die nicht unter diese Sozialklausel fallen, ist eine gleitende Härtefallregelung vorgesehen, nach der die Belastung entsprechend dem Bruttoeinkommen bis zum Erreichen der vollen Selbstbeteiligung kontinuierlich steigt. Diese Härtefallregelungen sorgen dafür, daß kein Versicherter, meine Damen und Herren, auf eine ausreichende psychotherapeutische Versorgung verzichten muß. Es steht außer Zweifel, daß die vorgesehene Zuzahlungsregelung einerseits finanzpolitisch, andererseits auch sozialpolitisch unverzichtbar und auch zumutbar ist.
Ebenso unverzichtbar ist eine zeitlich begrenzte Budgetierung der Leistungsausgaben in diesem Bereich; denn nur so bleiben die finanziellen Mehrbelastungen kalkulierbar. Durch die Budgetierung schaffen wir einen verläßlichen Finanzrahmen.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?
Ja, wenn mir das alles nicht angerechnet wird.
Das wird es nicht.
({0})
Man muß immer wieder fragen; denn der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herr Kollege Rüttgers, ist anwesend. Dann geht es genau nach den Spielregeln. Deshalb wollte ich mich noch einmal vergewissern.
({0})
Bitte, Kollege Kirschner.
Herr Minister, welche Funktion soll denn nun diese 25prozentige Selbstbeteiligung haben? Soll sie eine Steuerungsfunktion zu mehr Wirtschaftlichkeit haben, oder was soll sie bewirken, außer daß die Patienten zusätzlich zur Kasse gebeten werden?
Lieber Kollege Kirschner, genau deshalb habe ich doch an uns alle appelliert, endlich mit diesen alten Denkdogmen im Zusammenhang mit der Selbstbeteiligung aufzuhören, ob dies nun Steuerungswirkung hat, ob es eine Einnahmequelle ist usw. Ich weiß nur eines: Ohne diese Selbstbeteiligung können wir das Psychotherapeutengesetz nicht in Kraft setzen und auch nicht finanzieren. Das müssen wir der Bevölkerung sagen.
({0})
Was die Steuerungswirkung der Selbstbeteiligung betrifft, so habe ich eine sehr, sehr zurückhaltende Meinung. Aber ich weiß, ohne die Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit diesem Gesetz können wir das, was notwendig ist, nicht finanzieren. In unserer derzeitigen wirtschaftlichen Lage können wir doch nicht anstelle dieser Selbstbeteiligung die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung erhöhen und damit die Quelle kaputtmachen, aus der das Ganze finanziert wird, nämlich unsere Volkswirtschaft.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Ja. - Das wird ein langer Abend!
Bitte, Herr Kollege Seifert.
Herr Minister, es ist klar, daß Sie Ihre Position darstellen und sagen, wie die Regierung das sieht. Aber sagen Sie bitte: Ist es nicht vorprogrammiert, daß Menschen, die über lange Zeit psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, selbst dann, wenn sie noch ein einigermaßen ausreichendes Einkommen haben, in die Sozialhilfe gehen müssen, weil sie später nicht mehr zuzahlen können? Das ist doch das Gleiche wie bei der Pflege!
Nein, überhaupt nicht. Sie werden ja dann ohnehin befreit. Wir haben seit dem Jahre 1989 in der Praxis beste Erfahrungen mit dieser Härtefallregelung. Wir bekommen gerade jetzt im Zusammenhang mit der Medikamentenzuzahlung täglich Hunderte von Anfragen. Es löst sich immer wieder auf, und wir können immer wieder guten Gewissens sagen, daß die Menschen, die es brauchen, durch die Härtefallregelung in der Bundesrepublik Deutschland die Spitzenmedizin bekommen.
({0})
Ich möchte in diesem Zusammenhang, nachdem der Kollege Thomae hier gesagt hat, daß das aus der Sicht der F.D.P. gewissermaßen Vorbildfunktion haben müßte, sicherheitshalber hinzufügen: Bei aller Freundschaft, lieber Dieter Thomae, es ist ja in Deutschland offensichtlich unmöglich, nicht von der F.D.P. regiert zu werden, was ich auch sehr begrüße.
({1})
Nur, meine Damen und Herren, ich möchte als weiteren Punkt hinzusetzen: Keiner von uns weiß, wie die nächste Stufe der Gesundheitsreform aussieht. Aber eines können wir uns als Parlament gemeinsam überlegen, bevor wir uns ständig mit solchen Nebensächlichkeiten wie jetzt gerade beschäftigen: ob es gelingt, bei der Härtefallregelung über dieses Gesetz
hinaus auch in anderen Bereichen neben der Härtefallregelung, wie wir sie heute haben, die auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Menschen Rücksicht nimmt, vielleicht einmal eine Härtefallregelung zu definieren, die auf medizinische Indikationen abgestellt ist. Das wird ja schon jahrelang diskutiert und ist bisher immer an der Abgrenzbarkeit gescheitert. Vielleicht gelingt es. Wir sind dafür offen. Allerdings müssen Sie dann auch bereit sein, bei der nächsten Gesundheitsreform mitzuwirken, Herr Professor Pfaff.
So, jetzt läuft wieder Ihre Redezeit.
Jetzt läuft wieder die Zeit.
Meine Damen und Herren, damit es auch hier klar ist: Die Grundlohnanbindung des Honorarvolumens für nichtärztliche Psychotherapie ist auf drei Jahre befristet. Ich denke, ich darf auch hier im Namen der Koalition das gleiche wie beim Gesundheitsstrukturgesetz sagen: Sie bleibt auch auf drei Jahre befristet. Anschließend gilt wie für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung der Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Wir brauchen diese drei Jahre, weil wir in vielen Bereichen Neuland betreten und uns auf der sicheren Seite bewegen müssen. Es bleibt aber bei dieser dreijährigen Befristung. Die strikte Grundlohnanbindung für die Jahre 1996 bis 1998 ist insoweit gelockert, als die Ausgaben für nichtärztliche Psychotherapie in jedem Fall - meine Damen und Herren, man muß sich das vorstellen: in jedem Fall! -, unabhängig von der weiteren finanziellen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, eine Höhe von 1,25 % der vertragsärztlichen Gesamtvergütungen erreichen können. Hinzu kommen die Eigenleistungen der Versicherten durch die Zuzahlung von 25 %.
Einer der klügsten Änderungsanträge zu diesem Gesetz ist der Vorschlag des Gesundheitsausschusses, in diesem Falle der Koalition, durch eine Öffnungsklausel für den Bedarfsfall die Möglichkeit der Aufstockung des Budgets zuzulassen. Ich begrüße ausdrücklich diesen Vorschlag; denn sollte sich in der Praxis zwischen 1996 und 1999 herausstellen, daß das Budget für eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung nicht ausreicht, dann ist es in der Kompetenz der Bundesregierung, des Bundesministers, das Budget auch ohne langes Gesetzgebungsverfahren aufzustocken.
({0})
Wir haben also diese Dinge so flexibel gestaltet, daß das Budget auch aus heutiger Sicht für eine bedarfsgerechte Versorgung ausreicht.
Nun noch etwas zum Stichwort Bedarf: Ich denke, derzeit kann es keine Zulassung nach Bedarf, wie es die SPD in ihrem Änderungsantrag vorschlägt, geben. Anders als im vertragsärztlichen Bereich fehlen für die psychotherapeutische Versorgung im Augenblick gesicherte Daten, um den allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad feststellen zu können. Ich dachte nicht, daß in einer hochtechnisierten Welt wie der Bundesrepublik Deutschland weder die Krankenkassen noch die Verbände der Psychotherapeuten uns zuverlässig sagen können, wie viele Psychotherapeuten derzeit an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilnehmen. Noch viel weniger, meine Damen und Herren, sind Aussagen darüber möglich, wie groß 1996 der Bedarf an Psychotherapeuten sein wird.
Ich sage noch einmal: Bei allen noch strittigen Diskussionspunkten darf der wesentliche Inhalt des Gesetzes nicht übersehen werden. Im Mittelpunkt stehen die Qualifikation der Psychotherapeuten und die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung. Man kann sogar sagen, durch die Qualitätsvorschriften in diesem Gesetz, durch die Ausbildungsvorschriften, durch die Qualifikationsnachweise haben wir in diesem Bereich der psychologischen Psychotherapie einen Qualitätsstandard, wie wir ihn in manchen anderen Bereichen der Gesundheitsversorgung eigentlich noch wünschen würden.
({1})
Der Patientenschutz und die Qualitätsfrage sind entscheidende Ausgangspunkte in diesem Gesetz. Der Gesetzentwurf läßt nämlich nur wissenschaftlich anerkannte Verfahren zu. Durch die gesetzliche Verankerung von Wissenschaftlichkeit der psychotherapeutischen Verfahren werden dubiose Verfahren ausgegrenzt. Das Gesetz tritt damit auch der Scharlatanerie auf dem Gebiet der Psychotherapie entgegen. Dies ist auch von Bedeutung in bezug auf den Mißbrauch von Psychotherapie. Die qualitativ gute Ausbildung für diese neuen Heilberufe rechtfertigt es, daß am Ende der Ausbildung die Erteilung der Approbation steht.
Hohe Qualitätsanforderungen sind für die neuen akademischen Heilberufe unerläßlich. Der Gesetzentwurf schreibt deshalb eine mindestens dreijährige ganztägige oder mindestens fünfjährige berufsbegleitende, mit Bestehen einer staatlichen Prüfung abschließenden Zusatzausbildung in der Psychotherapie bzw. in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zwingend vor. Außerdem werden die Mindeststundenzahlen an theoretischer und praktischer Ausbildung sowie die Mindestzahl an Patientenbehandlungen im Gesetz vorgegeben. Das Nähere - es ist schon gesagt worden - muß noch durch Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit festgelegt werden. Wir werden dies sehr schnell vorlegen, meine Damen und Herren, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen können.
Entsprechende Vorentwürfe haben wir den Ländern schon zugeleitet. In ihnen ist auch eine Mindeststundenzahl für die Lehranalyse und Selbsterfahrung vorgegeben. Das ist für die spätere Tätigkeit ein wichtiger Bestandteil der Zusatzausbildung.
Die berufsrechtlichen Übergangsvorschriften richten sich an den hohen Qualitätsanforderungen und an den Anforderungen des Patientenschutzes aus und verbinden langjährige Berufserfahrung mit notwendiger qualifizierter Theorie.
Meine Damen und Herren, auch die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen sozialversicherungsBundesminister Horst Seehofer
rechtlichen Übergangsregelungen berücksichtigen eine wesentliche Forderung der Psychotherapeuten.
Was ich auch für einen gewaltigen Fortschritt halte, ist die konsiliarische Zusammenarbeit zwischen psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten, weil sie den uralten Streit, welche Kompetenz der psychologische Psychotherapeut und welche Kompetenz der Arzt hat, endlich beenden. Es war eine glänzende Idee, die uns gekommen ist. Das unterscheidet uns auch wieder, Herr Kollege Schmidbauer: Obwohl wir sehr rasch gehandelt haben, hat uns trotzdem der Herrgott mit einer glänzenden Idee ausgestattet, nämlich mit dem Konsiliarmodell.
({2})
Insgesamt - das ist meine Schlußbemerkung - ist das Psychotherapeutengesetz für die Psychotherapeuten in der Bundesrepublik Deutschland ein entscheidender Schritt zu einer angemessenen beruflichen Anerkennung. Ich appelliere noch einmal an die SPD, an diejenigen, die jetzt noch, kurz vor dem Ziel, die Verwirklichung des Gesetzes blockieren wollen: Verlieren Sie beim Blick auf das Wünschbare nicht das Gespür für das Machbare! Daß wir in Zeiten knapper Mittel dieses Gesetz auf den Weg bringen, ist alles andere als selbstverständlich. Die finanziellen Spielräume sind ausgeschöpft. Wer Maximalforderungen durchsetzen will, läuft Gefahr, am Ende mit leeren Händen dazustehen. Wir können es gegenüber den Menschen, die die Psychotherapie brauchen, aber auch gegenüber den Psychotherapeuten einfach nicht mehr vertreten, daß wir nach fast 20jähriger Diskussion am Ende wiederum mit leeren Händen dastehen.
Ich sage jedem, er sollte sich nicht davon beeindrukken lassen, daß die SPD bei jedem Gesetz ankündigt: Wir lehnen zwar jetzt das Gesetz ab, aber 1995, wenn ihr uns wählt, werden wir das Gesetz verabschieden. Meine Damen und Herren, erstens müssen wir in Erinnerung rufen: Solange die SPD an der Regierung war, hat sie es nicht verabschiedet. Zweitens wird sie keine Gelegenheit haben, das Gesetz zu verabschieden, weil wir im Oktober wieder die Mehrheit bekommen werden.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Hans-Hinrich Knaape.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das zur Abstimmung stehende Gesetz schafft Klarheit in vielen Positionen, hat aber aus der Sicht der Opposition Mängel, die nachgebessert werden müssen.
Das Gesetz gibt den psychologischen Psychotherapeuten und den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten - dies ist hervorzuheben - berufliche Anerkennung und Sicherheit gegenüber den ärztlichen Kollegen, die nach Qualifikation ebenfalls psychotherapeutisch tätig sein können. In dieser Hinsicht bestand im Ausschuß Übereinstimmung. Darauf sei hingewiesen; denn die flüchtige Feder des Berichterstatters hebt dies im Bericht nicht besonders hervor. - Warum eigentlich nicht, Herr Lohmann?
Die heilkundliche Psychotherapie ist und bleibt Bestandteil der ärztlichen Heilkunde. Sie kann aber - das ist die wichtigste Aussage des Gesetzes - von Psychologen - nur von diesen - bei Personen im Kindes- und Jugendalter auch von Pädagogen und Sozialpädagogen, sofern der Abschluß eines Universitäts- oder Hochschulstudiums das Fach Klinische Psychologie als Prüfungsfach in sich einschloß, nach Durchlaufen einer qualifizierten, zeitlich, praktisch und theoretisch definierten Ausbildung in anerkannt psychotherapeutischen Verfahren an geeigneten Ausbildungsstätten, selbständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden. Die hohe Verantwortung des Berufs wird durch die Erteilung der Approbation hervorgehoben.
Die Ausbildung hebt auf die Vermittlung eingehender Grundkenntnisse in wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren ab - dies begrüßen wir - und fordert eine vertiefte Ausbildung in einem wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren. Insofern ist gegenüber dem ersten Entwurf die Einengung auf zwei psychotherapeutische Verfahren aufgehoben worden und der Fortschreibung wissenschaftlicher Erkenntnis zum Nutzen therapiebedürftiger psychisch Kranker Spielraum gegeben.
Hervorzuheben ist auch, daß die praktische Tätigkeit während der Ausbildung an einer klinischen Einrichtung der Psychiatrie, an der psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden, absolviert werden muß und der Auszubildende für die Dauer von mindestens sechs Monaten Erfahrungen an anderen psychotherapeutischen oder psychosomatischen Versorgungseinrichtungen oder in psychotherapeutischen Praxen von Ärzten oder psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sammeln muß.
Es ist schon wesentlich, daß die Beziehung der psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur ärztlichen Disziplin Psychiatrie während der Ausbildung sichergestellt und aufrechterhalten wird und daß sich die Prüfungen auf die medizinischen Ausbildungsinhalte auch gerade aus diesem Fach erstrecken.
Die flüchtige Feder merkt man aber in § 11 des Gesetzes, der die wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens als Voraussetzung für die Entscheidung darüber, ob es für die psychotherapeutische Behandlung zugelassen werden soll oder nicht, regelt. Alternativ - darin liegt der Fehler - wird hier die Erstellung eines Gutachtens durch Vertretungen der psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeuten auf Bundesebene sowie der Bundesärztekammer einem von diesen Organisationen gemeinsam zu bildenden wissenschaftlichen Beirat gegenübergestellt. Die Alternative ist falsch! Das Gutachten und auch der Beirat sind richtig, aber logisch und sicherer wäre erst die Erteilung des Gutachtens und dann die Entscheidung des Beirates nach Kenntnisnahme des Gutachtens. Die zuständige und entscheidende Behörde sollte sich
18230 Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Dr. Hans-Hinrich Knaape
bei ihrer Entscheidung auf ein Gutachten und auf den Beirat stützen können.
Hier ist zu kritisieren, daß wir in letzter Zeit häufig auf der Basis einer Tischvorlage und ohne Zeit, sie abwägend zu lesen - der Fehler liegt auf der Seite der Regierungskoalition -, und ohne Bereitschaft zur Offenheit und zur sachlichen Diskussion im Ausschuß schnell entscheiden mußten, also aus einer Konstellation heraus handelten, die nicht nur aus meiner Sicht, sondern sicherlich auch aus der Sicht der Wähler und vor allem der durch das Gesetz Betroffenen zur Verdrossenheit gegenüber den Politikern führt - zumal wenn man beachtet, daß das Gesetz im wesentlichen sowieso erst 1996 in Kraft tritt.
Die Übergangsbestimmungen des Gesetzes gewährleisten ebenso wie die Ausbildungsbestimmungen, daß nur qualifizierte, beruflich erfahrene psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten für den Beruf zugelassen werden. Ebenso sind die Übergangsbestimmungen für die im Angestellten- oder Beamtenverhältnis tätigen nichtärztlichen Psychotherapeuten unter anderem an Landeskliniken einbezogen, obgleich gerade von diesen Berufsgruppen innerhalb eines therapeutischen Gesamtkonzeptes bei psychotherapeutisch behandlungsbedürftigen psychiatrischen Patienten jeweils psychotherapeutische Verfahren und Methoden überwiegend ergänzend und nicht ausschließlich angewendet werden.
Berufsrechtlich gibt es Übereinstimmung und tragfähige Kompromisse zwischen Regierungskoalition und Opposition im Gesetz, aber im sozialrechtlichen Teil doch erheblich abweichende Meinungen. Sicher ist es richtig - aus vielerlei Gründen -, daß die ärztliche Monopolstellung nicht grundsätzlich aufgegeben wird. Aber die Wandlung vom Delegations-über das Kooperations- zum Konsiliarverfahren, d. h. zur gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht der psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, den Bericht eines Vertragsarztes mit abgeschlossener psychotherapeutischer Weiterbildung einzuholen, konterkariert letztlich die ärztliche Konsiliartätigkeit. Ich hoffe aber, daß die Psychologen es mit Fassung tragen. Es wird mit der Nachsicht eines Psychotherapeuten emotional und mental zu bewältigen sein.
({0})
Hier wird festgeschrieben, daß der diplomierte Psychologe, der von seinem Diplom-Studium her in der Regel, besonders theoretisch, in Neurosentheorie auch besser als der Arzt qualifiziert ist - er ist in klinischer Psychologie geprüft und hat eine dreijährige Ausbildung absolviert -, gezwungen wird, den Konsiliarbericht eines Vertragsarztes mit einer psychotherapeutischen Weiterbildung einzuholen. Diesen Bericht soll er dann beim Antragsverfahren zur Durchführung der Psychotherapie vorlegen. Auch wenn dieser, wie es im Bericht des Herrn Lohmann heißt, nicht bindend ist, wird er trotzdem von Bedeutung sein. Das ärztliche Ziel des Konsiliums wird hier ins Groteske - ich unterstelle, nicht absichtlich, sondern glaube eher, weil es nicht ausdiskutiert worden ist - gedrängt.
Der pflichtbewußte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut könnte - auch wenn er dies nicht tun wird - z. B. ein autistisches Kind zur Klärung der Diagnose und Festigung des Heilplanes einem Facharzt für Gynäkologie mit der Zusatzbezeichnung „Psychotherapie" vorstellen, würde dann aber sicher durch dessen nicht bindenden Konsiliarbericht auch nicht klüger werden. Ein ärztliches Konsilium ist eine kollegiale Hilfe, es ist eine Absicherung der diagnostischen Auffassung sowie eine Hilfe und Erweiterung der eingeschlagenen oder beabsichtigten Therapie und wird in dieser Hinsicht auch von den nichtärztlichen Psychotherapeuten verstanden und genutzt werden.
({1})
Anders herum wäre es aber eben auch möglich, und Mißbrauch ist nicht auszuschließen.
Zu einem anderen Problem, der Selbstbeteiligung bei der Finanzierung der Kosten der Therapie. Selbstbeteiligung kann Leidensdruck erzeugen. Leidensdruck ist Voraussetzung für erfolgreiche Psychotherapie. Eine finanzielle Selbstbeteiligung kann ungewollt psychisch gestörte behandlungsbedürftige Patienten von der Psychotherapie ausschließen. Die Psychotherapeuten werden Schwierigkeiten haben, die potentiellen Patienten bei unzureichendem Leidensdruck trotz gegebener Indikation - von Motivation wollen wir gar nicht reden - wegen der Zuzahlung zur Psychotherapie zu überzeugen, nicht zu überreden.
Sicher: Ein gewisses Klientel, das es sich finanziell leisten kann - vielleicht das, was Sie, Herr Thomae, ansprachen -, wird sich darin gefallen, sich bereitwillig der Psychotherapie zu unterziehen, um seine neurotischen Störungen zu kompensieren. Aber um die geht es nicht. Es geht z. B. um zwangskranke Phobiker, Schizophrene mit umschriebener psychiatrischer, psychotherapeutisch angehbarer Symptomatologie, die sie zur Psychotherapie nicht werden bewegen können, weil sie die Zuzahlung nicht verinnerlichen und akzeptieren.
({2})
Die Budgetierung des von den Kassen aufzubringenden Betrags für psychotherapeutische Leistungen mit einen Anteil von 1,25 von Hundert an den Ausgaben der Krankenkassen für die Gesamtheit der vertragsärztlichen Leistungen soll zunächst für das Jahr 1995 nicht überschritten werden, scheint uns aber recht willkürlich gewählt zu sein. Das Vergütungsvolumen wird der Bedeutung der Psychotherapie im Gesamtkomplex der Krankenversorgung in bezug auf psychische Störungen nicht gerecht. Hier ist eine andere Lösung notwendig.
Die SPD vertritt weiterhin die Ansicht, daß der Bedarf nichtärztlicher wie ärztlicher Psychotherapeuten regional unterschiedlich sein kann und deshalb jeweils von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen auf Landesebene vertraglich vereinbart werden muß. Wir lehnen die Budgetierung ab, sehen in ihr eine planwirtschaftDr. Hans-Hinrich Knaape
liche Ausrichtung, eine staatlich diktierte Vergütungsobergrenze und eine Fessel für ein freiheitlichmarktwirtschaftlich orientiertes Gesundheitswesen, welches durch freiberuflich tätige Ärzte und psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten realisiert wird.
Wir gehen davon aus, daß die Psychotherapie an Bedeutung in der gesundheitlichen Versorgung unserer Bevölkerung gewollt und bewußt zunehmen wird und hier durch das Gesetz der Spielraum nicht gegeben wird. Wir gehen deshalb davon aus, daß stärker, als im Gesetz vorgesehen, die bestehenden Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, ergänzt durch nichtärztliche Psychotherapeuten, zusammen mit den Krankenkassen entscheiden müssen und daher eine bedarfsgerechte Orientierung nicht durch ein Budget mit limitierter psychotherapeutischer Behandlung vorgeschrieben werden kann.
Meine Damen und Herren, wir sehen, daß das vorliegende Gesetz wesentliche Verbesserungen in der Anerkennung nichtärztlicher Psychotherapeuten im Gesundheitswesen
({3})
- danke - als Ergebnis einer jahrelang schleppend verlaufenen Diskussion in sich einschließt. Dies unterstützen wir. Wir lehnen es aber ab, da dieses Gesetz den aus der Medizin nicht wegzudenkenden Berufsständen wirtschaftliche Fesseln anlegt und nicht im Interesse und zum Nutzen der Kranken ist, für die die solidarische Krankenversicherung stehen muß. Aus diesen - und nur aus diesen - Gründen lehnen wir das Gesetz ab, und wir werden die Mängel zu novellieren wissen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, Drucksachen 12/5890 und 12/6811.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen das übrige Haus ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den gleichen Stimmenverhältnissen wie in der zweiten Lesung angenommen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir kommen nun noch zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur psychotherapeutischere Versorgung gesetzlich Krankenversicherter und zum Zugang zu den Berufen des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Drucksache 12/6811.
Der Aussschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5913 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit der gleichen Mehrheit wie vorher angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt mir zu diesem Tagesordnungspunkt eine Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor. Es ist eine Erklärung zur Abstimmung. Die kann man entweder mündlich oder schriftlich abgeben. Derjenige, der das machen will, ist aber gar nicht im Saal. Wir nehmen sie deswegen nicht zu Protokoll.
Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes ({1})
- Drucksache 12/6154 - ({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3})
- Drucksache 12/6782 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Iwersen Jürgen Sikora
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Jürgen Sikora das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. September 1992 zufolge ist die im Bundeskleingartengesetz verankerte Regelung der Höchstpachtzinsbemessung in bezug auf die privaten Verpächter von Kleingärten für unvereinbar mit Art. 14 des Grundgesetzes erklärt worden.
Ziel des von der Bundesregierung vorgelegten und heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzentwurfes ist es daher, eine ausgewogene und auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben ausgerichtete Pachtzinsneuregelung in das Bundeskleingartengesetz aufzunehmen, die zum einen den Verpächtern von Kleingärten eine angemessene Rendite gewährleistet, zum anderen aber im Rahmen der sozialpolitischen Prinzipien des Kleingartenwesens bleibt, um auch in Zukunft sicherzustellen, daß Bevölkerungs18232
gruppen der unteren und mittleren Einkommensschichten sowie Familien mit Kindern die Möglichkeit erhalten bleibt, einen Kleingarten zu pachten, bzw. sie vor der Verdrängung aus der Kleingartenpacht geschützt sind.
Das ist ein Ziel, meine Damen und Herren, dem wir uns gerade vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Entscheidung in ganz besonderer Weise verpflichtet sehen, da die Nutzung von Kleingärten in Deutschland nicht nur einen traditionellen und in seiner sozialen Funktion bedeutenden Faktor im gesamten Siedlungswesen darstellt, sondern gerade auch für die weitere Entwicklung in unseren Städten und Gemeinden von nicht untergeordneter Bedeutung ist.
Die Tatsache allein, meine Damen und Herren, daß sich das Kleingartenwesen von seiner ursprünglichen Wesensart - der Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln - wegbewegt hat und heute mehr der Freizeit-und Hobbybetätigung dient, kann dabei nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einrichtung von Kleingärten für große Teile unserer Bevölkerung nach wie vor zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse beiträgt und damit eine unverzichtbare sozialpolitische Funktion erfüllt.
Aber auch die Tatsache, daß das heutige Kleingartenwesen von nahezu einer Million Kleingärtnern getragen wird und es unter Hinzurechnung ihrer Familien einen Bevölkerungsanteil zwischen drei und vier Millionen Menschen erreichen dürfte, zeigt, daß das Kleingartenwesen weder an seiner Bedeutung noch an seiner sozialen Funktion verloren hat. Das wird auch daran deutlich, daß die Nachfrage nach Kleingärten ungebrochen hoch ist, so daß es nach wie vor gerechtfertigt ist, daß wir dafür Sorge tragen, daß die Preisbildung für Kleingartenpachten nicht völlig dem freien Spiel der Kräfte überlassen bleibt.
Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir Bestrebungen für eine völlige Freigabe der Pachtzinsen, wie sie vom Bundesverband der Verpächter von Kleingartenland und des Deutschen Bauernverbandes gefordert worden sind, nicht gefolgt, sondern haben uns für die im Gesetzentwurf vorgesehene Beibehaltung der kleingartenrechtlichen Pachtzinsbindung entschieden. Damit, meine Damen und Herren, dürfte klargestellt sein, daß es eine Aufgabe der Pachtzinsbindung nicht geben wird,
({0})
so daß alle Beteiligten im Kleingartenwesen voll darauf vertrauen können, daß das Bundeskleingartengesetz in seiner bewährten Form auch für die weitere Zukunft erhalten bleibt.
({1})
Dem Gesetzentwurf zufolge, meine Damen und Herren, ist unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eine Anhebung des Höchstpachtzinses auf den vierfachen Betrag des ortsüblichen Pachtzinses im erwerbsrnäßigen Obst- und Gemüseanbau vorgesehen, was praktisch zu einer Verdoppelung des bisherigen Höchstpachtzinses führt, so daß es den Verpächtern nunmehr durchaus möglich ist, eine angemessene Rendite zu erzielen.
Diesem Aspekt dient auch die jetzt gesetzlich geregelte Möglichkeit der Kostenüberwälzung von öffentlich-rechtlichen Lasten - wie der Grundsteuer oder der StraBenreinigungsgebühren - auf den Pächter, so daß auch hierdurch den Eigentümerbelangen in besonderer Weise Rechnung getragen werden kann.
Meine Damen und Herren, für den Erhalt des Kleingartenwesens wird es auch in Zukunft von Bedeutung sein, daß wir daran festhalten, daß Kleingärten Grünflächen im Sinne des Bauplanungsrechtes bleiben und nicht zu Wochenendhäusern oder Ersatzwohnhäusern abgewandelt werden.
Unserer Auffassung nach wird die soziale Funktion nur erhalten bleiben können, wenn es bei den bewährten Prinzipien des Kleingartengesetzes bleibt und eine klare Abgrenzung zu klassischen Wochenend- und Freizeitgarteneinrichtungen gezogen wird.
Das gilt in besonderem Maße für die gerade aus kleingartenrechtlicher Sicht in Größe und Ausstattung normierte Laube, die der kleingärtnerischen Nutzung und dem vorübergehenden Aufenthalt dienen soll und in keinem Fall ein dauerndes Wohnen beinhaltet. Dabei, meine Damen und Herren, muß es auch in Zukunft bleiben, wenn wir nicht zulassen wollen, daß es über die Anhebung des Ausstattungsstandards der Laube zu verkleinerten Eigenheimen kommt und der Entwicklung zu einem Wochenendhausgebiet damit Tür und Tor geöffnet würde.
Das würde auch dazu führen, daß durch die Anhebung der Ausstattungsschwelle Wertsteigerungen bzw. Kaufpreisbildungen initiiert würden, die bei Ablösung oder Pächterwechsel von vornherein diejenigen Neubewerber ausschließen würden, die zu den einkommensschwächeren Kleingartenfreunden gehören. Damit würde auch einem Verdrängungsprozeß Vorschub geleistet werden, vor dem wir den Kleingartenpächter gerade schützen wollen.
Herr Kollege Sikora, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?
Ja, gerne, bitte sehr.
Bitte sehr, Herr Kollege Seifert.
Herr Kollege Sikora, da Sie gerade von der gewaltigen Wertsteigerung sprechen, die durch den höheren Ausstattungsgrad entstehen könnte: Wissen Sie nicht, daß sehr viele Kleingärten von Generation zu Generation innerhalb einer Familie weitervererbt werden und daß man daran sozusagen mit seinem Innersten hängt und daß da eine innere Einstellung zu eben diesem Stück Erde und zu eben dieser Laube besteht, die man selbst mit seinen eigenen Händen bzw. die der Vater oder die Großeltern geschaffen haben?
Herr Kollege Seifert, das widerspricht ja nicht der Aussage, die ich hier getan
habe. Vererben kann stattfinden und wird auch ungestört stattfinden und ist sehr zu begrüßen. Aber dort, wo eine Vererbung oder eine Weitergabe auf diesem Wege nicht möglich ist, sondern wo durch Ablösung oder eben nur durch Nacherwerb ein Kleingartenfreund eine solche Parzelle bekommen kann, siegen die Kriterien, die dazu führen, daß wir zu Preisentwicklungen kämen, die von diesen sozialschwachen oder einkommensschwächeren Personenkreisen bezahlt werden können. Das ist das Problem.
Das Kleingartengesetz - das füge ich noch ausdrücklich hinzu - hebt ja auf die sozialen Belange ab. Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß auch Kleingartenfreunde, die weniger einkommensstark sind, die Möglichkeit haben, solche Parzellen zu erwerben, und sich dann nicht mit den horrenden Preisen für Kleingärten, die eigenheimähnlichen Charakter haben, auseinandersetzen müssen.
Meine Damen und Herren, ich darf fortfahren. Insgesamt würde eine großzügigere Ausstattung der Lauben im Ergebnis dazu führen, daß das gerade erst gesicherte Prinzip der Pachtpreisbindung verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen wäre.
Herr Kollege Sikora, darf ich Sie fragen, ob Sie noch eine Zusatzfrage des Kollegen Weiermann zulassen.
Bitte sehr, ja.
Bitte, Kollege Weiermann.
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß das jetzige Kleingartenrecht ausdrücklich festhält, daß eine Laube, einschließlich Freisitz, 24 Quadratmeter Fläche nicht übersteigen darf, und daß somit auch die Gefahr, daß das zu einem Wochenendhäuschen umfunktioniert werden könnte, nicht gegeben ist?
({0})
- Ja, Sie müssen es besser wissen, Frau Ministerin. Es wäre aber auch das erste Mal, daß Sie etwas besser wissen.
({1})
Ist Ihnen aus dem Urteil heraus, das das Verfassungsgericht im September 1992 gefällt hat, wo man sich auf einen höheren Wert des Kleingartens gegenüber früheren Jahren bezogen hat, nicht eigentlich auch die Logik bekannt, wenn man aus der Entwick lung den Schluß zieht, den Pachtpreis auf das Vierfache anzuheben und sich damit sozusagen den hygienischen Bedingungen des 20. Jahrhunderts anzupassen und eine Ver- und Entsorgung zuzulassen?
Sehr verehrter Kollege, ich komme in meiner Rede noch zu dem Bereich, den Sie jetzt schon angesprochen haben. Ich will jetzt meiner eigenen Rede nicht vorgreifen und Ihnen nur soviel antworten: Natürlich ist mir bekannt, daß die Laubengröße 24 Quadratmeter mit Freisitz umfaßt.
Das ist selbstverständlich. Ich weiß nicht, warum Sie das zu einer Frage erheben.
Bloß, was sich damit verbindet, Herr Kollege, ist die Tatsache, daß wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß bei Wahrung dieser 24 Quadratmeter heute schon ein Ausstattungsstandard erreicht ist, der uns in die Gefahr bringt, daß es nicht mehr um die Laube geht, sondern daß mehr aus der Laube geworden ist. Das ist es, was uns Sorge bereitet, weil es nicht mehr im Einklang mit der jetzigen Gesetzeslage und schon lange nicht mit den verfassungsrechtlichen Kriterien steht.
Das ist klargestellt, und daran hat sich auch nichts geändert. Im Gegenteil: Wir müssen Vorsorge treffen, daß wir nicht Tendenzen eröffnen, die dazu führen, daß dort ein Eigenheim oder eine Laube mit eigenheimähnlichem Charakter entsteht, die das Gesamte verfassungsrechtlich ins Schwanken bringt. Ich habe extra darauf hingewiesen. Sie können uns abnehmen, daß wir uns damit befaßt haben und daß wir Sorge haben. Wenn Sie den Text des Verfassungsgerichtsurteils lesen, werden Sie feststellen, daß indirekt auf diesen Bereich hingewiesen worden ist. Das ist die Pachtpreisbindungsklausel, die ja im Grunde auf das Bundeskleingartengesetz abhebt. Dort steht ausdrücklich in § 3, daß wir uns nur Lauben einfacher Ausstattung gestatten können. Das ist der schlichte Sachverhalt. Dabei wollen wir auch bleiben.
Herr Kollege Sikora, jetzt beginnt wieder Ihre Redezeit.
Schönen Dank, Herr Präsident, für den Hinweis. Ich fahre dann mit Ihrer Genehmigung fort.
Die verfassungsrechtlichen und sozialpolitischen Zusammenhänge sind es, meine Damen und Herren, die uns Veranlassung geben, es bei der bewährten gesetzlichen Regelung zu belassen. Das gilt im übrigen auch für die aufgeworfene Frage der Ver- und Entsorgung von Kleingartenanlagen, die sich aus den Anforderungen - Herr Kollege, jetzt komme ich dazu - des Landesrechtes ergeben, wobei die Frage, welche Erschließungsanlagen erforderlich sind, nicht zuletzt von den örtlichen Gegebenheiten abhängig ist. So ist es beispielsweise bei der Wasserversorgung der Entscheidung vor Ort überlassen, wie sie im einzelnen hergestellt werden soll, ob jeder Garten einen Wasseranschluß erhält oder ob sich mehrere Kleingärten eine Zapfstelle teilen sollen. Auch was die Beseitigung der Abwässer anbelangt, ist grundsätzlich festzustellen, daß die jeweils vorgesehene Art der Abwasserbeseitigung im Einklang mit den geltenden wasserrechtlichen Vorschriften bzw. bebauungsplanmäßigen Festsetzungen stehen muß, so daß ein weiterer gesetzlicher Regelungsbedarf durch das Bundeskleingartengesetz nicht besteht, sehr verehrter Herr Kollege. Das will ich Ihnen in Ergänzung zu Ihrer gestellten Frage in aller Deutlichkeit nachträglich sagen.
Nicht anders ist in diesem Zusammenhang auch die jetzt wieder neu gestellte Forderung nach Versorgung mit Elektrizität, Gas oder Wärme zu beurteilen, die nicht zu den typischen Voraussetzungen einer kleingärtnerischen Nutzung gehören und, einmal abgese18234
hen von Gemeinschaftseinrichtungen wie den Vereinsheimen, auch nicht erforderlich sind. Eine diesbezügliche gesetzliche Regelung im Bundeskleingartengesetz ist auch deswegen abzulehnen, weil damit der Charakter der Kleingartennutzung verfälscht und der Unterschied zu Freizeit- und Wochenendhauseinrichtungen faktisch aufgelöst würde.
Mit anderen Worten, meine Damen und Herren: Wenn wir es wirklich ernst mit den sozial begründeten Prinzipien des Kleingarten- und Pachtwesens meinen und dabei vor allem im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen bleiben wollen, dann dürfen wir es nicht zulassen, daß es zu gesetzlichen Mogelpackungen kommt, wie sie gegebenenfalls durch den hier von der SPD gestellten Antrag ausgelöst würden. Wir werden daher heute den von Ihnen, meine Damen und Herren, gestellten Antrag ablehnen, da sich materiell keine neuen Erkenntnisse ergeben haben.
Soweit sich jedoch aus der Praxis Einzelregelungsfragen ergeben, wie sie beispielsweise auch vom Bundesrat in seiner Stellungnahme aufgezeigt wurden, wollen wir der Möglichkeit der freiwilligen Vereinbarung zwischen Verpächtern und Kleingartenorganisationen den Vorzug vor einer Änderung des Bundeskleingartengesetzes geben, da so die örtlichen Gegebenheiten besser berücksichtigt werden können, als es durch ein Bundesgesetz geregelt werden kann. Ziel unseres hierzu im Ausschuß eingebrachten Antrages ist es dabei, mit den Ländern zu einem Mustervertrag zu kommen, der solche vertraglichen Vereinbarungen für die am Kleingartenwesen beteiligten Parteien rahmenrechtlich sichern und gestalten hilft.
Damit, meine Damen und Herren, können wir zusammenfassen: In Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Ausschußanhörung und der dort von den Sachverständigen überwiegend zum Ausdruck gebrachten Auffassung stellen wir fest, daß sich erstens das Bundeskleingartengesetz bewährt hat und daß zweitens über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus kein weiterreichender Novellierungsbedarf besteht. Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich daher erklären, daß das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes unsere volle Zustimmung findet.
Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich muß Sie darauf aufmerksam machen: Ich kann nicht verhindern, daß hier jemand etwas verteilt. Aber wir sind nach der Geschäftsordnung übereinstimmend der Meinung, mit Schriften oder ähnlichem darf keine öffentliche Wirkung erzeugt werden. Deshalb habe ich die Bitte an die Frau Kollegin Lederer, daß auch sie unseren Regelungen entspricht. Sie braucht die Taschen nur umzudrehen, dann sind wir wieder in Übereinstimmung mit unserer Geschäftsordnung.
({0})
Frau Kollegin Gabriele Iwersen hat jetzt als nächste Rednerin das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ziel der Änderung des Bundeskleingartengesetzes ist die Anhebung des Höchstpachtzinses für Kleingartengrundstücke. Dazu zwingt uns das Bundesverfassungsgericht. Der Kollege Sikora hat das bereits erläutert.
Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Verdoppelung des Höchstpachtzinses gegenüber der jetzt geltenden Regelung sowie die Bemessungsgrundlage wurden sowohl von den Interessenverbänden der Kleingärtner als auch von den meisten Vertretern einzelner Kommunen und den Ländern Nordrhein-Westfalen und Berlin akzeptiert. Die SPDFraktion wird diesem Entwurf deshalb auch zustimmen.
Daß der Bundesverband der Verpächter von Kleingartenland die gesetzliche Regelung mit der Bindung des Höchstpachtzinses an den Pachtzins im erwerbsmäßigen Obst- und Gemüseanbau am liebsten ganz aufgehoben haben und durch Absprachen zwischen Pächtern und Verpächtern ersetzt sehen will, kann ich verstehen, aber nicht unterstützen.
Dagegen geben mir einige Äußerungen des Deutschen Städtetages durchaus zu denken. Der Versuch über die Kleingartenpacht zu einer Haushaltskonsolidierung der Kommunen zu kommen, erscheint mir unvereinbar mit der sozialen Funktion der Kleingartenanlage, über die Herr Sikora bereits ausführlich gesprochen hat.
Es ist zwar richtig, daß die Gartenfreunde, die einen Kleingarten haben, gegenüber denjenigen priviligiert sind, die seit Jahren auf den Wartelisten stehen. Aber dieses Privileg führt auch zu einer erheblichen Leistung für die Allgemeinheit.
Die liebevoll gepflegten Kleingartenkolonien sind in allen Städten beliebte Ziele der erholungssuchenden Spaziergänger, die hier mehr als in den meisten öffentlichen Parkanlagen die Vegetation der unterschiedlichen Jahreszeiten beobachten und bewundern können, und das, ohne Eintritt zu zahlen, wie es auch in den Grünanlagen, die die Städte mit sehr viel Geld unterhalten, üblich ist.
({0})
- Wie bitte: „Was"? Es ist doch wohl klar, daß die Kleingartenanlagen kostenlos begangen werden können.
({1})
- Nein, ich sagte soeben: Kein Eintritt, wie auch in den Parkanlagen, die allerdings für die Kommunen sehr teuer in der Unterhaltung sind.
({2})
Unter diesem Gesichtspunkt sollte die Anregung des Städtetages aufgegriffen werden, die schon 1982 im Referentenentwurf zum Bundeskleingartengesetz enthalten gewesene Verpflichtung, KleingartenanlaGabriele Iwersen
gen in der Regel öffentlich zugänglich zu machen, in ein überarbeitetes Gesetz aufzunehmen. Denn jetzt ist es zwar die Regel, aber es wird durchaus nicht überall so gehandhabt. Es gibt auch Kolonien, die nicht zugänglich sind.
Die Behauptung, daß kein Unterschied zwischen Kleingärten, Campingplätzen und Freizeitgärten bestünde und deshalb auch gleiche Pacht gezahlt werden sollte, ist einfach falsch. Camping- und Freizeitgartenanlagen sind in den meisten Fällen der Öffentlichkeit entzogene Flächen, von denen zum Teil sogar eine erhebliche Belästigung für Mensch und Tier außerhalb der Grundstücksgrenzen ausgeht.
Es sollte deshalb die Aufgabe der Gartenvereine sein, j eder Tendenz zur Umwandlung von Kleingärten in Freizeitgärten entgegenzuwirken. In der Stellungnahme des Deutschen Städtetages vom 23. August 1993 wird nicht nur die mögliche Verdreifachung des jetzigen Pachtpreises gefordert, sondern auch eine zukünftige Orientierung des Pachtzinses am jeweiligen Bodenwert vorgeschlagen.
({3})
Das, meine Damen und Herren, wäre dann wohl mit Sicherheit der Anfang vom Ende der Kleingartenidee.
({4})
Deshalb bin ich froh, hier sagen zu können: Eine derartige Regelung hat in diesem Parlament keine Mehrheit und wird sie hoffentlich auch niemals bekommen.
Zurück zur gärtnerischen Nutzung: Zum einen sind Art und Umfang der wirtschaftlichen Nutzung in den meisten Kleingärtnervereinen in rechtsverbindlichen Bestandteilen der Satzungen geregelt, genauso das Verbot, die Laube zu Dauerwohnzwecken zu nutzen. Ein guter Vereinsvorstand stellt die Einhaltung dieser Ordnung auch sicher. So steht z. B in der Gartenordnung des Kleingärtnervereins „Wochenend" e. V. Wilhelmshaven:
Verstößt das Mitglied gegen die Bestimmungen des Pachtvertrages, Satzung oder Gartenordnung
({5})
- ja, Sie brauchen sie nur herüberzureichen -,
verpachtet oder vermietet es seinen Garten oder einen Teil dessen an Dritte weiter bzw. benutzt seine Laube zu Dauerwohnzwecken oder betreibt darin ein Gewerbe, so ist der Verein nach erfolgloser Mahnung berechtigt, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, ohne daß ein Anspruch auf Entschädigung besteht.
Sie sehen daran also, es gibt durchaus Möglichkeiten, sich da auch durchzusetzen. Die Befürchtung, alles werde von alleine zu Dauerwohnzwecken genutzt, ist einfach haltlos.
Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, daß in der eben erwähnten Kolonie, wo ein Drittel der Parzelle kleingärtnerisch genutzt werden muß, gute Erträge erbracht werden. Das Interesse an Obst und Gemüse aus eigenem Garten ist in den letzten Jahren ohnehin wieder erheblich angestiegen. Vielleicht liegt es am Mißtrauen gegenüber den im freien Handel angebotenen Waren.
Ein Gartenfreund mit Hang zur Buchführung hat mir sein stolzes Ergebnis aus dem 400 qm Garten vom vorigen Jahr aufgelistet. Ich will nur einen Teil davon zitieren: 300 Pfund Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen, 50 Pfund Johannis- und Stachelbeeren, 30 Pfund Erdbeeren, 150 Pfund Kartoffeln, 80 Pfund grüne Bohnen,
({6})
15 Pfund Wurzeln - andere nennen das Mohrrüben -, 20 Pfund Zwiebeln, 70 Pfund Grünkohl - das ist besonders wichtig in unserer Gegend -,
({7})
30 Pfund Tomaten, 50 Pfund Rhabarber, 100 Stangen Porree - die waren allerdings ein bißchen dünn -, 10 Knollen Sellerie und 25 Kopf Salat.
({8})
- Nein, der hat da keine Villa darauf gebaut, sondern nur seine 24 qm bebaut. 18 Kopf Kohl - Weißkohl, Rotkohl und Wirsingkohl; Schwarzkohl wächst bei uns nämlich nicht - hat er auch noch geerntet.
({9})
- Nein, ist nicht dabei. Vielleicht mag er das nicht.
({10})
Dazu erntete er ungezählte Gurken, Radieschen, Kräuter und wunderschöne Blumen.
Für die Kleingartenanlagen in Wilhelmshaven hat der Rat der Stadt schon vor Jahren eine kontrollierte einwandfreie Abwasserbeseitigung beschlossen und mit den Vereinen vertraglich geregelt. Danach müssen alle Pächter, die ein WC installiert haben, das Schmutzwasser entweder in den Kanal einleiten oder über Kleinkläranlagen versickern und die Gruben ordnungsgemäß entleeren lassen.
Die Abfuhr ist alle vier Jahre erforderlich. Den Preis setzt der Rat der Stadt fest, zur Zeit 110 DM pro Grube. Wer dieses Geld sparen will, darf kein WC installieren. Er muß eben laufen. Der Vereinsvorstand überprüft die Lauben, guckt nach, ob ein WC da ist oder nicht, und organisiert die Abfuhr. Diese Regelung hat sich im Interesse der Reinhaltung des Grundwassers und der Entwässerungsgräben phantastisch bewährt.
Folgender Ansicht, die besonders in Nordrhein-Westfalen, aber auch im Bundesbauministerium vertreten wird, muß deshalb mit allem Nachdruck widersprochen werden: Eine den hygienischen Anforderungen entsprechende Toilette sei nicht mit der in § 3 Abs. 2 des Kleingartengesetzes geforderten „einfachen Ausführung" der Laube vereinbar, weil dadurch ein dauerndes Wohnen ermöglicht werde. Meine Damen und Herren, zu jedem Arbeitsplatz gehört heutzutage die Möglichkeit, eine Toilette zu benut18236
zen. So gibt es z. B. sogar Baustellenklosetts. Falls jemand das nicht kennt, kann er sich das angucken. Denn es ist nur wenigen Personen gegeben, erst nach Feierabend ihr Bedürfnis zu befriedigen.
({11})
Der Kleingarten ist zwar keine Arbeitsstätte im Sinne des Gesetzes, aber wer gerade im Frühjahr oder Herbst stundenlang im Garten arbeitet, benötigt einfach zwischendurch eine Toilette. Gerade für ältere Menschen ist der Weg quer durch die Gartenkolonie bis zur Gemeinschaftstoilette nicht zumutbar oder auch gar nicht möglich.
Schon seit vielen Jahren ist es bekannt, daß der Komposthaufen im Interesse der Reinhaltung des Grundwassers nicht als Bedürfnisanstalt benutzt werden sollte. Deshalb ist mir der Widerstand gegen die einfachste Form von Hygiene im Kleingarten völlig unverständlich - egal, ob er aus einer Landesregierung kommt, ob er aus einer Kommune kommt oder aus dem Bundesbauministerium.
({12})
Ich bedauere deshalb ausdrücklich, daß der Änderungsantrag der SPD-Fraktion keine Mehrheit im Bauausschuß gefunden hat. Trotzdem versuchen wir es natürlich noch einmal. Denn nur durch diese Ergänzung kann Rechtssicherheit für diejenigen geschaffen werden, die inzwischen erkannt haben, daß die Tomaten auch ohne die Jauche aus dem Kübel wachsen, daß Regenwasser heutzutage nicht mehr zum Kaffeekochen geeignet ist und daß ein Elektrorasenmäher leiser ist als ein Benziner.
Unser Vorschlag lautet: Im Kleingarten ist eine Laube in einfacher Ausführung mit höchstens 24 qm Grundfläche einschließlich überdachtem Freisitz zulässig, zu der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gehören können.
Dauerhaftes Wohnen wird dadurch ohnehin nicht möglich; denn das Wasser muß im Winter zentral abgestellt werden, weil die Leitungen nicht frostfrei verlegt sind. Das ist nämlich „einfache Ausführung"
Da diese notwendige Ergänzung hier vermutlich nicht mehrheitsfähig ist, stimmen wir statt dessen der vielleicht weniger notwendigen Ergänzung des § 3 zu, damit die Belange des Umweltschutzes, des Naturschutzes und der Landschaftspflege noch stärker berücksichtigt werden. Hoffentlich sehen die Kommunen besonders in Nordrhein-Westfalen ein, daß sie im Interesse des Umweltschutzes eben doch eine ordnungsgemäße Abwasserentsorgung brauchen, egal ob mit Kanalanschluß oder Sickergrube.
Damit dieses Gesetz, das für Pachtverhältnisse mit privaten Verpächtern rückwirkend ab 1. November 1992 gelten wird, schnell in Kraft treten kann, stimmt die SPD-Fraktion dieser fragmentarischen Änderung des Bundeskleingartengesetzes zu, obwohl wir es als unbefriedigend betrachten.
Den Gartenfreunden in den neuen Bundesländern wünsche ich, daß sie so schnell wie möglich Klarheit über die Eigentumsverhältnisse an den von ihnen
Benutzen Grundstücken bekommen, um endlich die notwendigen Zwischenpachtverträge abschließen zu können.
({13})
- Der Bestandsschutz ist leider eine Frage, die hiermit nichts zu tun hat. Er gehört ins Planungsrecht und nicht ins Bundeskleingartenrecht. Aber natürlich haben Sie recht.
Die Übergangsfristen zur Angleichung an den Höchstpachtzins bis 1998 müßten eigentlich ausreichen. Allerdings kann ich nicht genau sagen, wie die Belastung durch die Erstattung der öffentlich-rechtlichen Lasten an den Verpächter zu Buche schlagen. Aber auch hier soll die Möglichkeit, in bis zu fünf Teilleistungen abzuzahlen, helfen.
Ich bitte noch einmal um Ihre Stimme für unseren Änderungsantrag auf Drucksache 12/6872 und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt unsere Frau Kollegin Lisa Peters.
({0})
Ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen. Das Ganze ist doch positiv zu sehen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Ich will mich hier nicht weiter über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auslassen. Ich denke, Herr Sikora hat das Nötige sehr ordentlich gesagt. Außerdem ist das eine Kurzrunde, und meine Kurzrunde ist so kurz, daß ich nur vier Minuten habe. Es gibt aber einige andere Dinge, die kurz ausgeführt werden müssen.
Der Bundestag ist also aufgefordert zu reagieren. Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ist dabei, dieses Gesetz zu ändern. Wir wollen es heute beschließen. Spätestens bei den sehr ausführlichen Beratungen zum Kleingartengesetz konnten wir feststellen, daß die wenigen vorgeschlagenen Änderungen gut überlegt sein mußten, ja, daß sich viele Menschen betroffen fühlten. Heute hätten wir nach meiner Ansicht ohne Anstrengung eine zweistündige Debatte haben können, wenn alles das gesagt werden sollte, was man eigentlich sagen müßte.
({0})
Kleingärten haben auch heute noch - das haben uns die vielen Zuschriften gezeigt, und das hat auch die durchgeführte Anhörung bestätigt -, eine ganz wichtige Funktion in unseren Gemeinden, besonders in unseren großen Städten. Sie sind planungsrechtlich Grünflächen, keine Baugrundstücke, keine Baugebiete. Kleingärten haben eine wichtige ökologische Funktion im Rahmen der Durchgrünung unserer
Städte und Gemeinden. Sie haben - auch das haben meine Vorredner schon ausgeführt - eine hohe soziale Funktion, führen Menschen an die Natur heran, lassen Natur erleben, machen es möglich, daß gerade auch junge Menschen bleibende Eindrücke für ihr Leben im Umgang mit Natur, mit Boden, Pflanzen und Tieren gewinnen.
({1})
- Das ist nett, das baut auf. - Ich habe mich über die aktive Mitarbeit der Vereine und Verbände sehr gefreut. Hier wurde deutlich, daß Menschen dahinterstehen, daß Bürger und Bürgerinnen ihren Kleingarten wollen und vom Gesetzgeber erwarten, daß Regelungen getroffen werden.
Diese Regelungen werden wir heute deutlich machen. Die Pachtpreise sollen angehoben werden. Zukünftig wird es möglich sein, den vierfachen Wert, wie er als Pachtpreis im Obst- und Gemüseanbau verlangt werden könnte, zu nehmen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - auch das ist knapp angerissen worden - hat aus seiner Sicht für eine völlige Freigabe plädiert. Das ist jedoch nicht nachvollziehbar. Dadurch würden auf Dauer Bürger und Bürgerinnen mit kleinem oder mittlerem Einkommen ausgeschlossen; sie könnten keinen Garten mehr pachten. Das ist nicht gewollt.
Alle Kleingärtnerinnen und Kleingärtner in der Bundesrepublik, die einen Garten pachten möchten, müssen dazu Gelegenheit bekommen. Das heißt, Städte und Gemeinden müssen aufgefordert werden, bei Änderung von Flächennutzungsplänen, die zur Zeit wegen des gestiegenen Bedarfs an Wohnbebauung überall anstehen, mehr Kleingartenland auszuweisen, und zwar in mit Verkehrsmitteln des ÖPNV erreichbarer Nähe. Die Schreiben und auch die Anhörung haben gezeigt, daß ein großer Bedarf vorhanden ist, daß wir lange Wartelisten haben. Auch in den neuen Ländern, so wurde uns bestätigt, Herr Seifert, ist der Trend, einen Kleingarten sein eigen nennen zu können, ungebrochen.
Die Politik sollte diese Tatsachen mehr würdigen und auf allen Ebenen unterstützen. Die F.D.P.-Fraktion will allerdings, daß der Kleingarten auch in Zukunft Kleingarten bleibt; Gabriele Iwersen, da unterscheiden wir uns etwas. Weiterhin soll man Gemüse erzeugen und sich an blühenden Blumen und Sträuchern freuen können. Auch ein einfaches Dach über dem Kopf - diese 24 qm mit Terrasse - gegen die Unbilden der Witterung kann vorhanden sein. Dabei sollte es aber auch bleiben. Eine kostenaufwendige Erschließung für Strom-, Wasser- und Kanalanschluß wollen wir nicht zulassen. Hier befinden wir uns mit den Wünschen und Forderungen, wie sie in der Anhörung zum größten Teil ausgedrückt wurden, im Einklang.
Die Praxis beweist einfach, daß man hier nicht mehr zulassen kann. Die Investitionskosten wären dann für den Kleingärtner nicht mehr zu bezahlen, würden seine Möglichkeiten weit übersteigen. Hier darf man keine Türen öffnen, die umgehend zu großen Scheunentoren werden. Auf der anderen Seite können die Erschließungsanlagen, würden sie denn gebaut werden können, auf keinen Fall aus dem allgemeinen
Steueraufkommen bezahlt werden. Auch bei der Stundung sind Zinsen aus laufenden Mitteln zu begleichen, meine Herren und Damen. Die F.D.P.-Fraktion möchte noch mehr Kleingärten für Wartende, weil sie eine segensreiche Funktion erfüllen.
Frau Kollegin Peters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Ja.
Frau Peters, Sie sind doch sonst eine Frau, die immer vom praktischen Leben ausgeht und davon Gesetze ableiten will.
Das praktische Leben sagt doch jetzt ganz dezidiert, daß die Leute Strom, Wasser und Toilette bereits haben, weil sie das ganz einfach brauchen. Warum wollen Sie denn die jetzt zwingen, das wieder zurückzunehmen? Warum gehen Sie nicht vom Leben aus und sanktionieren das, statt eine negative Entwicklung vorantreiben zu wollen? Das paßt doch gar nicht zu Ihnen.
Herr Seifert, ich habe irgendwo mal gelernt, daß wir überall gesetzliche Grundlagen haben. Wenn ich in einem Kleingarten eine Toilette bauen ließ, brauchte ich irgendeine gesetzliche Grundlage dafür, sonst habe ich diese schwarz installiert, oder die Gemeinde hat das irgendwie zugelassen. Ich denke, wir können hier nicht im nachhinein etwas sanktionieren, was wir dann bei jedem Hausbau, der schwarz erfolgt, auch sanktionieren müßten. So einfach ist das.
({0})
Herr Seifert, meine Vorrednerin Frau Iwersen hat das lang und breit und auch sehr ordentlich ausgeführt: Gemeinden haben heute schon alle Möglichkeiten, diese Dinge in irgendeiner Weise nicht zu sanktionieren und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Wir wollen es hier nicht festschreiben, und da kann ich Ihnen, Herr Seifert, aus langer kommunalpolitischer Praxis antworten: Wenn Sie diese Dinge hier festschreiben, dann werden ordentliche Leitungen gebaut, und Sie würden in zwei Jahren ganz klar sagen, das kann niemand mehr bezahlen. Aus allgemeinem Steueraufkommen, meine Herren und meine Damen, kann so etwas nicht mehr bestritten werden.
({1})
Die Uhr ist leider abgelaufen, sonst würde ich noch etwas über Pachtpreise reden. Herr Seifert, ich habe mir das heute einmal ganz praktisch ausgerechnet. - Ich schließe mit dem Satz: Wir wollen alles mit Augenmaß machen, und wir möchten, daß weiterhin möglichst viele Kinder im eigenen Kleingarten im Dreck moddern können.
Schönen Dank.
({2})
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Ilja Seifert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Abstimmung stehende Novellierung des Bundeskleingartengesetzes ist eigentlich ein Ausdruck tiefgreifender Interessenkonflikte zwischen Bodeneigentümern und -nutzern. Sie stellt jedoch nur die Spitze eines Eisberges jener Gesetzesvorhaben dar, mit denen Hunderttausende von ostdeutschen Häuslebauern, Siedlern und Freizeitgärtnern um Haus und Garten gebracht werden sollen. Wir reden jetzt hier in diesem Hohen Haus eine halbe Stunde lang, damit Sie dann beschließen können, was drei bis vier Millionen Menschen betrifft und betroffen machen wird.
Da hat also das Bundesverfassungsgericht befunden, daß die privaten Verpächter von Kleingartenland in ihrem Profitstreben unzulässig behindert werden.
({0})
Sehen wir uns doch mal die Fakten an, Herr Kansy: Wie der Bundesverband der Gartenfreunde an Hand der offiziellen Statistik herausgefunden hat, machte ein Bauer bei landwirtschaftlicher Nutzung seiner Fläche 1991/92 im Durchschnitt einen Gewinn von 1 423 DM pro Hektar. Ein Verpächter von Kleingartenland dagegen macht 6 800 DM Gewinn, also mehr als das Vierfache, ohne selbst auch nur eine Hand zu rühren.
Die Grundbesitzerlobby wollte nun die völlige Freigabe der Pachtzinsen, wohlwissend, daß von einer „Waffengleichheit" zwischen Verpächtern und Pächtern angesichts des faktisch herrschenden Monopols an Grund und Boden zumindest in Ballungsräumen nicht die Rede sein kann. Was gilt hier eigentlich noch der Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hitschler?
Sehr gern.
Bitte, Herr Kollege Hitschler.
Herr Kollege Seifert, wollen Sie hier allen Ernstes behaupten, daß eine Jahrespacht von 18 Pfennig pro Quadratmeter Boden Ausdruck eines unangemessenen Profitstrebens sei?
Herr Dr. Hitschler, die Verpächter wollen Gewinn machen. Das leugnen Sie doch auch nicht. Und die Zahlen, die ich nannte, stammen vom Bundesamt für Statistik. Das zu zitieren wird doch erlaubt sein - oder? Darum geht es. Ich habe nur die Zahlen benutzt, die offiziell zur Verfügung stehen.
({0})
- Ich habe gesagt, es geht den Verpächtern um Gewinn. Oder nicht?
({1})
- Ich habe die Zahlen genannt, die pro Hektar herauskommen.
({2})
- Ja, aber der Verpächter hat doch mehrere Hektar, und er verpachtet das an alle in der Kolonie.
({3})
- Ja, das machen Sie doch mal.
Nun fahren wir aber fort.
Ich fahre jetzt in meinem Text fort: Die Regierung schlägt nun die Verdoppelung des Zinses vor. Das wird allerdings an einen sehr hohen Preis gekoppelt: Die Laube in einfacher Ausführung mit maximal 24 m2 einschließlich überdachten Freisitzes soll Standard bleiben. Also weg mit Stromanschluß, Wasserversorgung und Toilette, Verkleinerung der bestehenden Gartenhäuser, Abriß der Pergola und des Grills.
Das sind aber Dinge, die zu DDR-Zeiten offiziell, mit Genehmigung und sogar Förderung errichtet wurden. Leute, die sich nicht an der Costa Brava ein Häuschen kaufen können, werden da bestraft. Die hier zutage tretende Regelungswut finde ich unerträglich. Die gab es nicht einmal zu DDR-Zeiten.
Was hier die SPD heute vorschlägt, unterstützen wir ausdrücklich. Das will ich ganz klar sagen.
Angesichts der vorherrschenden Meinung der Kleingartenverbände, daß eine Ablehnung des Regierungsentwurfs nur noch Schlimmeres bewirken würde, hatten wir uns im Ausschuß ursprünglich der Stimme enthalten, weil wir nicht in einer Front mit der Grundbesitzerlobby stehen wollten. Aber nach nochmaliger Beratung mit Vertretern der Betroffenen müssen wir dieses Gesetz nun ablehnen.
Wir fordern folgende Veränderungen: erstens Begrenzung der Pachten auf einen festen Betrag und nicht eine variable Pacht, zweitens keine Überwälzung der öffentlichen Lasten auf die Kleingärtner in Anerkennung der ökologischen Funktion ihrer Anlagen in den Städten, drittens umfassenden Bestandsschutz von Kleingärtnern in ganz Deutschland einschließlich der Dauerbewohner in den ostdeutschen Ländern - das ist nun einmal eine Tatsache - und viertens eine Öffnungsklausel in diesem Gesetz, die es entsprechend den Art. 28 und 70 des Grundgesetzes den Ländern und Kommunen gestattet, unter Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten vernünftige Regelungen zu finden. - Herr Präsident, ich sehe Ihr Blinken; ich höre auch sofort auf.
Ich bin also der Auffassung, daß ohne zwingende Not kein einziger Kleingarten vernichtet werden darf. Das gehört übrigens auch der SPD und ihrem Senator Nagel in Berlin ins Stammbuch geschrieben, der immerhin ein Drittel der bestehenden Flächen einfach überplant hat, die in seinem Flächennutzungsplan nicht mehr vorkommen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
- Ja, aber auf Kosten der Kleingärtner. Das ist etwas anderes.
({1})
- Meine Redezeit ist leider abgelaufen, Herr Kansy. Aber ich bin dafür, daß die bestehenden, durchaus vorhandenen Flächen, die z. B. im Eigentum des Bundes sind, für Wohnbauten genutzt werden, aber nicht die Flächen, die von Kleingärtnern zu sehr sinnvoller freizeitgärtnerischer und ökologischer Arbeit genutzt werden. Ich bedanke mich auch für diese Nachfrage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erteile zum Schluß dieser Debatte das Wort der Frau Ministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, unserer Frau Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von dem Gesetz, das heute beschlossen wird, sind vier Millionen Kleingärtner und ihre Familien betroffen. Es war wichtig und notwendig, daß das Gesetz zügig beraten und verabschiedet worden ist. Das ist der Fall gewesen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen im Bauausschuß dafür.
Ich finde es auch besonders wichtig, daß das Gesetz nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben, aber dennoch sozialverträglich gestaltet worden ist. Ich bin froh, anmerken zu können, daß die Kernpunkte der Regierungsvorlage erhalten geblieben sind, nämlich die Pachtzinsbegrenzung, die Begrenzung auf die Verdoppelung der bisherigen Höchstpacht, aber auch die Stufenlösung für die neuen Bundesländer, um den anderen Einkommensverhältnissen in den ostdeutschen Bundesländern Rechnung zu tragen.
Für die Bundesregierung war und ist die Pachtzinsbegrenzung ein besonders wichtiger Punkt, um die soziale Funktion des Kleingartenwesens auch in Zukunft erhalten zu können. Diese Pachtzinsbegrenzung ist verfassungsrechtlich legitimiert. Deswegen müssen auch die Begrenzungen des Verfassungsrechts besonders sorgfältig beachtet und eingehalten werden.
({0})
Die Legitimation ist zum einen sozialpolitisch: Kleingärtner sind im wesentlichen Mieter, die über die Nutzung eines Kleingartens eventuell vorhandene Mängel in ihrer Wohnung oder in ihrem Wohnumfeld ausgleichen können und wollen.
Die Pachtzinsbegrenzung ist zum anderen baurechtlich legitimiert: Dauerkleingärten sind häufig in Bebauungsplänen verankert, oder sie liegen im Außenbereich und vermitteln damit keine Baurechte.
Damit ist schon klar, daß Kleingärten Grünflächen und kein Bauland sind und daß sie in diesem Charakter erhalten werden müssen, wenn die Pachtzinsbegrenzung weiterhin verfassungsrechtlich Bestand haben soll.
({1})
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß für die verfassungsrechtliche Legitimation die Gestaltung und Ausstattung der Lauben von größter Wichtigkeit sind. Lauben sind zulässig im Rahmen der gärtnerischen Nutzung. Deswegen gibt es die Begrenzung auf all das, was hier schon diskutiert worden ist.
Ich denke, meine Damen und Herren von der SPD, daß wir uns einig sind, daß wir alles unterlassen sollten, um einen Vorwand für einen nächsten Kläger vor dem Verfassungsgericht zu liefern.
({2})
Herr Kollege Seifert, Sie haben heute hier wieder ein Musterbeispiel der üblichen üblen PDS-Kampagnen geliefert und damit auch schon einen Hinweis darauf gegeben, wie Sie offensichtlich die nächsten Monate des Jahres 1994 zu gestalten gedenken. Sie wissen ganz genau, daß es im geltenden Recht Bestandsschutz für alles das gibt, was nach dem zum Zeitpunkt des Baus geltenden Recht gebaut worden ist. Deswegen gibt es Bestandsschutz selbstverständlich auch für die Lauben, die in den ostdeutschen Bundesländern mit der Genehmigung, die damals notwendig war und auch nach den dort geltenden Gesetzen erteilt wurde, gebaut worden sind.
Das gleiche gilt selbstverständlich in den westlichen Bundesländern, wo ebenfalls der Bestandsschutz im geltenden Recht gewährleistet ist.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?
Ja, selbstverständlich.
Bitte, Kollege Dr. Seifert.
Frau Ministerin, wollen Sie denn nicht einmal zur Kenntnis nehmen, daß nicht ich die Leute aufhetze, sondern daß die Leute vor Ihrem Gesetzentwurf Angst haben und daß es bei dem Bestandsschutz zwar um die Leute geht, die jetzt schon dort sind, ich aber vorhin schon einmal die Frage gestellt hatte: Wie ist das mit der Weitervergabe an Kinder und Enkel? Geben Sie den Menschen Sicherheit, daß sie dort bleiben können - auf Jahrzehnte? Dann ist es gut.
Aber Herr Kollege Seifert, wenn Ihnen so daran gelegen wäre, die Menschen nicht zusätzlich zu verunsichern, dann hätten Sie heute gesagt: Es gibt im geltenden Recht Bestandsschutz. Dann hätten Sie sich hier nicht hingestellt - und Sie werden selbstverständlich weiter18240
verbreiten, was Sie heute hier gesagt haben - und so getan, als gäbe es diesen Bestandsschutz nicht. Ich denke, daß damit Ihre üblen Absichten schon sehr deutlich dokumentiert worden sind.
({0})
Im Interesse der Kleingärtner, die wirklich Rechtssicherheit brauchen - die bekommen sie heute abend -, die sozialverträgliche Regelungen brauchen - die werden heute abend hier verabschiedet -, bitte ich Sie, meine Damen und Herren, auch darum, daß wir insgesamt dafür sorgen, daß die Verunsicherung, die verbreitet werden soll, zurückgewiesen wird und daß ganz klar und deutlich wird: Der Bestandsschutz und die örtlichen Vereinbarungen, die jetzt schon existieren, werden selbstverständlich auch in Zukunft weiter gelten.
Danke schön.
({1})
Der Kollege Weiermann bekommt das Wort zu einer Intervention gemäß § 27 der Geschäftsordnung.
Ich bitte um Entschuldigung; ich mache es kurz. Ich war vielleicht eben zu spät dran, als ich die Ministerin fragen wollte, was sie auf der westdeutschen Seite unter Bestandsschutz versteht.
Was wollen Sie konkret schützen? Ist schon der Schutz der inhaltlichen Ver- und Entsorgungselemente, wenn sie vorhanden sind, für Sie Bestandsschutz?
({0})
- Entschuldige mal, man muß ja wissen, worum es geht. Wenn es um Bestandsschutz geht, wenn es um Sicherheit geht, wenn man will, daß die Rechtsunsicherheit in den Städten aufhört, dann bitte ich um Erklärung und Aufklärung in der Frage, was Sie unter Bestandsschutz in der alten Bundesrepublik Deutschland verstehen. Das, was in anderen Bereichen gilt, ist mir klar, aber was verstehen Sie im Bereich der alten Bundesrepublik Deutschland unter Bestandsschutz?
({1})
Frau Ministerin, Sie müssen nicht antworten, aber Sie dürfen.
Herr Kollege, ich habe gerade im Handbuch des Deutschen Bundestages nachgesehen. Sie sind Ehrenmitglied einer Kleingartenkolonie in Dortmund, damit allerdings in einem Bundesland, das die Rechtslage genauso beurteilt wie die Bundesregierung. Insofern ist es Ihnen selbstverständlich genauso geläufig wie allen anderen fachkundigen Kollegen hier im Raum, daß Bestandsschutz in Ost und West genau das gleiche meint, nämlich alles das, was auf der Grundlage des geltenden Rechts mit den entsprechenden notwendigen Genehmigungen gebaut worden ist. Natürlich spricht nichts dagegen, auf örtlicher Ebene Vereinbarungen zu treffen.
Damit sollten wir uns wirklich darauf verständigen, daß wir selbstverständlich wissen, was in den Kleingartenkolonien Sache ist, daß dies auf der örtlichen Ebene entstanden ist, daß es seine Begründung hat, aber wir sollten nicht alle Bereiche des Lebens so verrechtlichen,
({0})
daß wir die sozialen Ziele, die wir damit verfolgen, gleichzeitig wieder mit aufs Spiel setzen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes, Drucksachen 12/6154 und 12/6782.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6872 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen?
- Bei Stimmenthaltung des BÜNDNISSES 90/Grüne Liste ist der Antrag abgelehnt.
({0})
- Entschuldigung, das war mein Versprecher. Ich meinte: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? ({1})
- Gut, jetzt sind die Zwischenrufe beendet. - Bei Gegenstimmen der PDS/Linke Liste und Stimmenthaltung der GRÜNEN ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen. Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 5 a bis 5 c und zum Zusatzpunkt 2:
5. a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dieter Heistermann, Angelika Barbe, Anni Brandt-Elsweier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Helmuth Becker
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Herabsetzung des Einberufungshöchstalters
- Drucksache 12/3856 ({2}) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({3})
- Drucksache 12/6558 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes
- Drucksache 12/5089 - ({4})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({5})
- Drucksache 12/6559 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6667 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Werner Müller ({7})
Carl-Ludwig Thile
Horst Jungmann ({8})
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Vera Wollenberger, Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, weiterer Abgeordneter und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes
- Drucksachen 12/5767, 12/6636 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Dieter Heistermann
ZP2 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Abschaffung der Wehrpflicht
- Drucksachen 12/6033, 12/6557 Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Augustinowitz
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wehrpflicht- und des Zivildienstgesetzes liegt ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wenn wir die notwendige Ruhe hergestellt haben, würde ich gerne die Aussprache eröffnen. - Das kann ich jetzt. Ich erteile zunächst dem Kollegen Dieter Heistermann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat sich heute mit der Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflicht- und Zivildienstgesetzes, eingebracht von der Bundesregierung, zu befassen. Seit langem liegt dem Bundestag ein Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion vom 26. November 1992 auf Drucksache 12/3856 vor, der zum Ziel hat, das Einberufungshöchstalter auf 25 Jahre herabzusetzen und die administrativen Ausnahmen zur Einberufungspraxis auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage zu stellen. Der Grundsatz „jung vor alt" soll danach gesetzlich abgesichert werden.
Schon 1990 hatten wir die Bundesregierung aufgefordert, sicherzustellen, daß Zusagen der Nichtheranziehung von Wehrpflichtigen, z. B. für alleinerziehende Väter und für dritte Söhne, ohne Befristung erteilt werden sollten und daß Wehrpflichtige, die sich selbst nicht um eine Zurückstellung vom Grundwehrdienst bemüht haben, nach Vollendung des 25. Lebensjahres nicht mehr einberufen werden.
Alle diese Anträge wurden von der Koalition abgelehnt. Immerhin haben diese SPD-Anträge bewirkt, daß sich das BMVg durch administrative Maßnahmen dazu gezwungen sah, dem Anliegen der SPD, wenn auch unzureichend, nachzukommen.
In einem Spruchtext des Bundesministeriums der Verteidigung vom September 1990 zur Heranziehung lebensälterer Wehrpflichtiger heißt es:
Erfahrungsgemäß kommt es bei lebensälteren Wehrpflichtigen häufiger zu Härtesituationen im Zusammenhang mit einer Wehrdienstleistung. Mit zunehmendem Alter unterliegen sie häufiger als jüngere Wehrpflichtige gesundheitlichen und eignungsrelevanten Einschränkungen.
Warum gilt das nicht mehr? Was hat sich eigentlich geändert?
Wehrpflichtige, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten, sollten bis auf weiteres nicht einberufen werden, wenn sie mehr als drei Jahre keine Nachricht von den Wehrersatzbehörden erhalten hatten. Jetzt bestimmte das Prinzip Zufall, wer nun dienen und wer nicht dienen mußte.
Zur Zeit erleben wir eine Welle von Einberufungen lebensälterer Wehrpflichtiger im Alter von 26 und 27 Jahren, die zum Grundwehrdienst einberufen werden. Was soll eigentlich der Gesetzentwurf der Bundesregierung bewirken? Der Öffentlichkeit wird glauben gemacht, daß das Einberufungsalter auf 25 Jahre herabgesetzt wird. In der Praxis läuft es aber genau andersherum, indem von den Wehrersatzbehörden die über 25jährigen zum Grundwehrdienst einberufen werden.
Das ist volkswirtschaftlich ein Schaden, für Streitkräfte eine unnötige Erschwernis und stellt für die betroffenen Wehrpflichtigen, die sich häufig darum bemüht haben, in jungen Jahren einberufen zu werden, einen sozial unverträglichen Eingriff in die persönliche Lebensplanung dar. Hier bleibt nur die Kommentierung: Diese Bundesregierung wechselt ihre Grundsätze schneller, als eine vollautomatische Kamera Bilder schießen kann.
({0})
Die administrativen Ausnahmeregelungen haben vielfach zu Ungerechtigkeiten geführt, da in einigen Fällen davon Gebrauch gemacht worden ist und in anderen nicht. Dies hatte zur Folge, daß sich immer wieder junge Wehrpflichtige ungerecht behandelt fühlten. Es grassierte wieder der bekannte Spruch: Die einen dienen, die anderen verdienen.
Zunehmend klagten junge Wehrpflichtige darüber, daß nicht erkennbar sei, ob sie noch einberufen würden oder nicht. Viele Arbeitgeber haben aus diesen Gründen keine Daueranstellung mehr vorgenommen, wenn nicht der Nachweis der Ableistung des Wehrdienstes erbracht war. Bei allen Beteiligten stellten sich Unsicherheit und Unzufriedenheit ein.
({1})
Auch der Wehrbeauftragte hat in vielen Berichten darauf hingewiesen, daß die Frage der Dienstgerechtigkeit die jungen Wehrpflichtigen sehr stark bewegt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist dabei wesentliches Motiv. Was macht die Koalition in ihrem Antrag? Wird Gleiches auch gleichbehandelt? Da sind Zweifel angebracht.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7. Juni 1993 auf Drucksache 12/5089 läßt nun wieder zu, daß Wehrpflichtige in bestimmten Fällen, z. B. bei Zurückstellung wegen persönlicher Härte, Ausbildung oder UK-Stellung, auch über das 25. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres einberufen werden können.
({2})
Im Vorgriff auf die zu erwartende parlamentarische Verabschiedung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung wurde die administrative Regelung durch das Bundesministerium der Verteidigung bereits seit Juli 1993 diesem Gesetzentwurf angepaßt.
Für die Wehrpflichtigen hat sich deshalb seit Mitte 1993 die Situation wieder wesentlich verändert, weil sie in bestimmten Fällen über das 25. Lebensjahr hinaus zum Grundwehrdienst einberufen werden können. Gleiches gilt für die Zivildienstleistenden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt deshalb weit hinter dem zurück, was bisher administrative Ausnahmeregelungen ermöglichten.
({3})
Nach wie vor wird vom Bundesministerium der Verteidigung einseitig das Interesse der Bedarfsdekkung für die Streitkräfte verfolgt - und dies ganz zu Lasten der Lebens- und Berufsplanung der jungen Menschen. Noch bevor man definitiv weiß, wie viele Wehrpflichtige wir brauchen, werden Bedingungen festgelegt, deren Sinn und Zweck zu Recht bezweifelt werden darf.
Es ist augenscheinlich, daß bei diesem Konflikt Akzeptanzprobleme auftauchen werden. Auf Grund der zusätzlichen Einsparungen im Verteidigungshaushalt macht die Altersgrenze von 28 Jahren überhaupt keinen Sinn mehr, weil jährlich mehr als 20 000 Wehrpflichtige weniger einberufen werden können, als ursprünglich vorgesehen war.
Warum will man eine Personalreserve schaffen, die eines Tages wiederum durch administrative Entscheidungen sang- und klanglos ausgemustert wird? Gerade dieses Vorgehen führt zu Verdruß und berechtigtem Ärger bei den Betroffenen. Man kann nicht einerseits dauernd bestimmte Dienstungerechtigkeiten beklagen, aber andererseits selbst Dienstungerechtigkeiten produzieren. Hunderttausende von jungen Menschen wurden in den letzten Jahren durch administrative Streichungen von der Ableistung des Grundwehrdienstes ausgenommen. Daß das bei denen, die zum Dienst herangezogen wurden, keine Freude ausgelöst hat, dürfte verständlich sein. Dieses Vorgehen ist nicht den jungen Menschen anzulasten, sondern jenen, die dafür die politische Verantwortung tragen.
Durch Änderung der Tauglichkeitskriterien sollen nun auch eingeschränkt taugliche Wehrpflichtige einberufen werden können. Durch die Änderung des § 8 a des Wehrpflichtgesetzes werden in Zukunft auch diejenigen herangezogen werden können, die für die bisherige Grundausbildung nicht tauglich waren, aber berufsbezogene Tätigkeiten ausüben können. Das Bundesministerium der Verteidigung geht pro Jahrgang von ca. 20 000 bis 30 000 zusätzlichen Wehrpflichtigen aus. Macht eine solche Regelung angesichts der Diskussion, die Personalumfänge bei der Bundeswehr zu senken, vor allem militärisch eigentlich Sinn?
Der Wehrbeauftragte hat bei der Beratung dieses Gesetzes darauf hingewiesen, daß man gerade in der Praxis auf Schwierigkeiten stoßen werde, die geeigneten Arbeitsplätze innerhalb der Bundeswehr für die eingeschränkt Tauglichen zu finden. Zwar bemühe sich die Bundeswehr zur Zeit darum, in Schulen und entsprechenden Einrichtungen Einsatzplätze zu finden, wo die Belastungen geringer sind, doch die Truppe sei schon jetzt mit Ausnahmen und Befreiungen bei Grundwehrdienstleistenden sehr belastet. Die Frage, was für eine Bundeswehr diese Bundesregierung eigentlich will, muß erlaubt sein. Eine Antwort darauf ist nicht erkennbar.
Die Kritik des Kommissariats der Deutschen Bischöfe an dem Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes können wir Wort für Wort mittragen. Dabei stoßen insbesondere die Änderungen der Tauglichkeitskriterien sowohl aus verfassungsrechtlichen als auch aus ethischen Gründen auf erhebliche Bedenken. So schreibt Prälat Bocklet:
Die Verfolgung des Zieles „mehr Dienstgerechtigkeit" durch Heranziehung Untauglicher
könnte daher die Diskussion um die VerfassungsDieter Heistermann
mäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht unter heutigen Bedingungen eher verschärfen.
An anderer Stelle heißt es weiter:
Zu befürchten ist auch, daß die angestrebte Gesetzesänderung auf Dauer nicht zur Glaubwürdigkeit der Politik in bezug auf die Bundeswehr und allgemeine Wehrpflicht beitragen kann.
Das sind schon bemerkenswerte Festellungen. Es steht allerdings zu befürchten, daß sich die Bundesregierung von solchen Argumenten nicht mehr beeindrucken läßt.
({4})
Was die „Dritte-Söhne-Regelung" betrifft, begrüßen wir die gesetzliche Regelung.
({5})
Wir haben hier allerdings eine wesentliche Einschränkung zu machen; denn es finden nur die zwei Brüder Anrechnung, welche den Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet haben. Eine freiwillige Dienstzeit von mehr als zwei Jahren wird nicht angerechnet. Wiederum wird zu kurz gesprungen, und viele Fälle bleiben außerhalb der gesetzlichen Regelung. Wer kennt nicht die Fälle, wo durch die freiwillige Weiterverpflichtung nur eines Bruders der dritte Bruder trotzdem zur Ableistung des Grundwehrdienstes herangezogen wird? Jeder weiß, daß es Wehrdienstausnahmen gibt, wo die Eingriffe in die persönlichen Lebensverhältnisse längst nicht so gravierend sind wie in einer Familie mit drei Söhnen, die alle gedient haben.
Man fragt sich allerdings, warum hier so kurzsichtig gedacht wird, anstatt klar und eindeutig zu regeln: Wenn zwei Brüder gedient oder sich verpflichtet haben, wird der dritte Bruder freigestellt. Zu einem solchen Schritt haben Sie sich nicht durchringen können.
Vom Gesetzentwurf der Bundesregierung, der weitergehende Regelungen vorsah, bleibt vieles auf der Strecke. Wiederum werden Fragen vor sich hergeschleppt, weil man sich in der Koalition nicht zu klaren Entscheidungen durchringen konnte.
Die Beratungen dieses Gesetzentwurfes im Bundesrat haben zudem gezeigt, daß die Ländervertretung mit vielen Auffassungen der SPD übereinstimmt.
({6})
Das betrifft die Dauer des Zivildienstes und auch die Dauer des Wehrdienstes, aber auch die Feststellung, daß Kriegsdienstverweigerer zu 100 % zum Zivildienst herangezogen werden, während derjenige, der nicht verweigert und wehrpflichtig ist, immerhin die Chance hat, an einer Einberufung vorbeizukommen. Wo bleibt da die Gleichheit vor dem Gesetz?
Neue gesellschaftliche Entwicklungen, z. B. die zunehmende Zahl nichtehelicher junger Familiengemeinschaften, finden bei dieser Gesetzesänderung nicht die entsprechende Würdigung. Sie vernachlässigen solche wesentlichen Veränderungen in der
Gesellschaft durch Nichtbeachtung und schaffen keinerlei gesetzliche Regelung dafür, wie solche Tatbestände ordentlich gehandhabt werden sollen.
({7})
Ich fasse zusammen. Mit dem jetzt zu verabschiedenden Gesetz werden nicht die notwendigen Regelungen erreicht, die zur Lebens- und Planungssicherheit für junge Menschen notwendig sind.
({8})
Sie betreiben weiterhin die Politik der Konzeptionslosigkeit, und schon dieses wird nicht zur Akzeptanzerhöhung der Wehrpflicht, sondern zu weiteren Vertrauensverlusten führen. Anstatt klare, saubere gesetzliche Regelungen zu treffen, setzen sie lieber auf administrative Hilfskrücken.
Zu den Anträgen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - „Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes" - und PDS/Linke Liste - „Abschaffung der Wehrpflicht" - erkläre ich für die SPDBundestagsfraktion, daß wir diese Anträge ablehnen werden. Es ist schon bezeichnend, daß die Vertreter dieser Gruppe bei der Beratung ihrer eigenen Anträge im zuständigen Ausschuß nicht anwesend waren.
({9})
So sollte man mit einem Thema dieser Bedeutung nicht umgehen.
({10})
Die SPD-Fraktion wird den Gesetzentwurf der Bundesregierung ablehnen. Wir halten den SPD-Entwurf für konsequenter, weil er für alle Betroffenen gesetzlich geregelte Bedingungen schafft. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu unserem Entwurf.
({11})
Nun hat das Wort der Kollege Jürgen Augustinowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Tatsache, daß sich die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland sehr bewährt hat.
({0})
Sie ist eine der entscheidenden Grundlagen deutscher Verteidigungspolitik und muß dies auch in Zukunft bleiben. Sie darf auch in Zeiten knapper Finanzen nicht leichtfertig in Frage gestellt werden.
({1})
Als Berichterstatter möchte ich Ihnen die drei wichtigsten Änderungen des Wehrpflichtgesetzes kurz erläutern. Es geht zunächst um die Änderung des § 8 a, in dem die Kriterien der Tauglichkeit für den Wehrdienst festgelegt werden. Zur Zeit werden 20 % bis 25 % eines Jahrganges ausgemustert und stehen damit für keinen Dienst zur Verfügung. Das führt bei denjenigen, die zum Dienst herangezogen werden, natürlich zu dem Gefühl, ungerecht behandelt zu
werden. Im übrigen ist diese Quote ein Haupteinwand gegen die allgemeine Wehrpflicht.
Bisher orientierte sich die Wehrdienstfähigkeit eines jungen Mannes entscheidend daran, ob er körperlich den strengen Anforderungen der militärischen Grundausbildung genügt. Diese Regelung ließ völlig außer acht, daß es in der Bundeswehr eine große Zahl von Verwendungen gibt, die zivilberuflichen Tätigkeiten entsprechen. Ich nenne als Beispiel die Verwendung als Stabssoldat, die weitestgehend einer zivilberuflichen Bürotätigkeit entspricht.
Die Wehrdienstfähigkeit orientiert sich künftig nicht mehr ausschließlich an den Anforderungen der Grundausbildung, sondern auch daran, ob der Wehrpflichtige für bestimmte Verwendungen in der Bundeswehr unter Freistellung von der Grundausbildung tauglich ist.
Mit der Neufassung des § 8a soll also die viel zu hohe Ausfallquote verringert werden. Dies ist ein Beitrag zur Verbesserung der Dienstgerechtigkeit. Da die Erreichung einer möglichst hohen Dienstgerechtigkeit von allen Fraktionen des Hauses als wichtige Voraussetzung für die Beibehaltung des bewährten Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht angesehen wird, müßte die Neufassung an und für sich die Zustimmung aller Fraktionen finden.
({2})
Der geänderte § 8a wird sechs Monate später als die übrigen Bestimmungen in Kraft treten, damit sich die Truppe ausreichend darauf vorbereiten kann, geeignete Dienstposten in ausreichender Anzahl zu bestimmen, um so eine sinnvolle Verwendung der Wehrdienstleistenden sicherzustellen. So wird auch den Wehrersatzbehörden ermöglicht, die erforderlichen Vorbereitungen zur Umsetzung des § 8 a zeitgerecht durchzuführen. Unter altem Recht erlassene Musterungsbescheide behalten natürlich ihre Gültigkeit.
Der zweite wesentliche Punkt des Gesetzentwurfes ist die gesetzliche Herabsetzung der allgemeinen Heranziehungsaltersgrenze von 28 auf 25 Jahre. Mit dieser Maßnahme wird die bewährte Praxis festgeschrieben, die Wehrpflichtigen möglichst früh zum Dienst heranzuziehen. So wird verhindert, daß ein wesentlicher Anteil der Wehrpflichtigen im Falle einer späteren Einberufung aus gesundheitlichen, beruflichen oder familiären Gründen nicht mehr für den Wehrdienst zur Verfügung steht. Auch diese Maßnahme ist also ein Beitrag zur Verwirklichung von Dienstgerechtigkeit.
Mit der Herabsetzung der Heranziehungsaltersgrenze sind wir uns auch mit den Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion einig. Unser Gesetzentwurf sieht allerdings einige Ausnahmetatbestände vor, die eine Einberufung in Einzelfällen auch noch bis zum 38. bzw. 32. Lebensjahr zulassen. Hiermit soll zum einen die Deckung des Bedarfs an Grundwehrdienstleistenden in militärfachlichen Verwendungen sichergestellt werden. Die Ausbildung der Wehrpflichtigen, die für diese Verwendungen in Frage kommen, geht regelmäßig über das 25. Lebensjahr hinaus. Es bleibt das Geheimnis der SPD, deren Gesetzentwurf praktisch keine Ausnahmetatbestände vorsieht, wie sie den Bedarf an Grundwehrsdienstleistenden in militärfachlicher Verwendung decken will.
Die Ausnahmetatbestände stellen weiterhin sicher, daß auch künftig diejenigen bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres zum Wehrdienst herangezogen werden können, die wegen einer Zurückstellung nicht vor Vollendung des 25. Lebensjahres gezogen werden konnten. Ich bin der Auffassung, es ist gerecht, denjenigen, der auf eigenen Wunsch zurückgestellt wurde, nach Ablauf der Zurückstellung auch dann noch zum Dienst heranzuziehen, wenn er älter als 25 Jahre ist.
Darüber hinaus ermöglichen die Ausnahmetatbestände den Wehrersatzbehörden, individueller auf die Lebens- und Berufssituation der Wehrpflichtigen einzugehen. Insgesamt sind die vorgesehenen Ausnahmetatbestände im Interesse der Wehrpflichtigen und im Hinblick auf die Verbesserung der Dienstgerechtigkeit notwendig.
Als letzten wesentlichen Punkt unseres Gesetzentwurfes möchte ich die sogenannte Dritte-SöhneRegelung anführen. Die Wehrdienstausnahme für die dritten Söhne einer Familie war bisher nur administrativ geregelt. Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf soll sie zu einer gesetzlichen Wehrdienstausnahme gemacht werden. In einem bald folgenden zweiten Schritt zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes ist geplant, das Musterungs- und Erfassungswesen neu zu ordnen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Angleichung der Länge von Wehr- und Zivildienst, also eine Verkürzung des Zivildienstes auf zwölf Monate gefordert. Diese Forderung ist auf Grund der massiven materiellen und immateriellen Vorteile, die die Zivildienstleistenden zur Zeit gegenüber den Wehrdienstleistenden genießen, völlig inakzeptabel.
({3})
Ich bin der Meinung - und verweise hier auf das Beispiel Österreich -, daß überlegt werden muß, wie die zahlreichen Privilegien der Zivildienstleistenden gegenüber den Wehrdienstleistenden ausgeglichen werden können. Gemäß einem Auftrag des Parlamentes prüft die Bundesregierung zur Zeit geeignete Maßnahmen.
Die Debatte zur Wehrpflicht und die Verhandlungen im Ausschuß haben einen erfreulichen Konsens unter allen Fraktionen dieses Hauses ans Tageslicht gebracht: das eindeutige Bekenntnis zur allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland. Anträge beider Gruppen zur Abschaffung der Wehrpflicht wurden im Verteidigungsausschuß einstimmig abgelehnt.
({4})
Die Wehrpflicht braucht einen breiten Konsens in der Politik, und sie hat ihn auch verdient.
Um so unverständlicher sind für mich Einzelstimmen - zum Teil auch aus den Koalitionsparteien -,
die ohne triftige Gründe beinahe jedes Wochenende in den Medien die Aussetzung oder gar die Abschaffung der Wehrpflicht fordern.
({5})
Dieses Vorgehen halte ich für verantwortungslos, weil damit unter den jungen Wehrpflichtigen eine große Unsicherheit erzeugt wird, die letztlich auch zu Lasten der Bundeswehr geht. Ein besonders verantwortungsloses Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit waren in diesem Zusammenhang Äußerungen des Kollegen Koppelin.
({6})
Doch ich wiederhole, daß die kritischen Stimmen zur allgemeinen Wehrpflicht in diesem Hause eindeutig in der Unterzahl sind. Alle Fraktionen haben sich immer wieder für den Erhalt der Wehrpflicht in Deutschland ausgesprochen. Damit haben wir auch ein eindeutiges Zeichen für die Lebensplanung der Wehrpflichtigen der kommenden Jahrgänge gegeben.
In der öffentlichen Diskussion gibt es Vorschläge, die Wehrpflicht statt bei der Bundeswehr auch bei der Polizei oder beim Bundesgrenzschutz ableisten zu können.
({7})
Nach § 49 des Bundesgrenzschutzgesetzes, der sogenannten Grenzschutzdienstpflicht, ist das für den Bereich des BGS bereits möglich. Die zunehmend fließenden Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit lassen es sinnvoll erscheinen, die Ableistung der Wehrpflicht auch bei der Polizei oder beim BGS zu ermöglichen.
({8})
Die Bundesregierung ist aufgefordert, die Grenzschutzdienstpflicht möglichst bald zu reaktivieren.
Bei all diesen Überlegungen muß jedoch im Vordergrund stehen, daß die Deckung des Bedarfs der Bundeswehr an Wehrpflichtigen absoluten Vorrang hat. Es darf keinesfalls zu einer Aufweichung des Prinzips der allgemeinen Wehrpflicht kommen. Ich bin der festen Überzeugung, daß die Verteidigung unseres Vaterlandes nicht die Aufgabe einiger weniger Söldner, sondern die Aufgabe aller Bürger ist.
({9})
Jeder sollte zu dieser nationalen Aufgabe seinen befristeten Beitrag leisten.
Bei der Infragestellung der allgemeinen Wehrpflicht ist deutlich das Bestreben zu erkennen, das Modell der arbeitsteiligen Gesellschaft auch auf den Verteidigungsbereich anzuwenden und hier zu einer „GmbH für die Verteidigung" zu kommen. Dahinter verbirgt sich der Versuch, bei denjenigen in unserem Volk auf Stimmenfang zu gehen, die eine Übernahme von Pflichten für die Gemeinschaft ablehnen.
Die allgemeine Wehrpflicht hat in den vergangenen Jahrzehnten zu dem hervorragenden Verhältnis zwischen der Bundeswehr und der deutschen Bevölkerung beigetragen.
({10})
Sie ist der personifizierte Ausdruck der Verbundenheit des Volkes mit seinen bewaffneten Streitkräften. Ich habe keinen Zweifel, daß die Bundeswehr auch in Zukunft eine Wehrpflichtarmee bleiben muß.
Vielen Dank.
({11})
- Bei meiner letzten Rede.
Nun spricht der Kollege Günther Friedrich Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Wert der Anträge der Gruppen BÜNDNIS 90 und PDS auf Abschaffung von Wehrpflicht und Zivildienst auch daran messen, daß die antragstellenden Gruppen bei den Beratungen ihrer eigenen Anträge im federführenden Verteidigungsausschuß überhaupt nicht anwesend waren und sich somit auch überhaupt nicht beteiligt haben.
({0})
Offensichtlich nehmen die Gruppen von BÜNDNIS 90 und PDS ihre eigenen Anträge nicht einmal ernst.
({1})
Diese Gesetze betreffen immerhin einige hunderttausend junge Menschen. Ich denke, darüber hinaus wäre die Mitarbeit im Ausschuß, Frau Kollegin, auch angebracht gewesen.
Meine Damen und Herren, wir als F.D.P. treten für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht ein, wobei die Dauer des Wehrdienstes der jeweiligen Auftragslage angepaßt werden muß. Durch die Wehrpflicht wollen wir die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft gewährleisten. Wir wollen aber auch gewährleisten, daß sich die Gesellschaft weiterhin für diese Bundeswehr verantwortlich fühlt und daß sich diese Gesellschaft nicht von der Bundeswehr abkoppelt. Ohne die Wehrpflicht ist Deutschland nicht in der Lage, Streitkräfte in angemessener Stärke und Aufwuchsfähigkeit zu unterhalten.
Ich sage aber auch ausdrücklich dazu: Spekulationen über Details wie Umfang und Struktur der zukünftigen Streitkräfte vor einer politischen Auftragsformulierung und der Herbeiführung eines Konsenses lehnen wir hierzu ab. Es gibt leider aus allen Fraktionen, Herr Kollege Augustinowitz, Kollegen, die sich hierzu äußern, ohne daß der Auftrag überhaupt formuliert wurde.
Ich darf, liebe Kollegen, an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß der Auftrag der Streitkräfte für das Jahr 2000 und folgende langfristig zu formulieren ist, damit eine entsprechende planerische Umsetzung erfolgen kann. Wir brauchen diese langfristige - ich betone ausdrücklich: langfristige - konzeptionell
skizzierte deutsche Verteidigungspolitik. Ich selber habe deshalb Ende Januar ein Diskussionspapier unter dem Titel „Bundeswehr 2000" vorgelegt, in dem entsprechende Überlegungen für die Bundesrepublik angedacht und angeregt wurden. Ich hoffe, mit diesem Papier dazu beizutragen, daß die jetzt dringend notwendig gewordene Diskussion in Gang gesetzt wird. Reaktionen des Verteidigungsministeriums in den letzten Tagen zeigen mir auch, daß einige Anregungen schon aufgenommen wurden. Ich hoffe, Herr Staatssekretär, daß auch weitere Anregungen aus meinem Papier noch übernommen werden.
Meine Damen und Herren, beim Gesetzentwurf der SPD zur Herabsetzung des Einberufungshöchstalters erkennen wir als F.D.P. das Bemühen der Opposition an, in diesem Zusammenhang einen konstruktiven Vorschlag zu machen. Wir erkennen aber leider auch nur das Bemühen an. Wir bemängeln nämlich, daß die Sozialdemokraten mit ihrem Antrag auf halbem Weg stehengeblieben sind. Denn der Regierungsentwurf zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes senkt zum einen die allgemeine Heranziehungsaltersgrenze - außer in wenigen begründeten Ausnahmefällen - von 28 auf 25 Jahre und sieht zum anderen die Neuregelung der Erfassungs- und Musterungsvorschriften sowie eine Änderung der Wehrüberwachungsvorschriften vor.
Da wir Musterung und Dienstantritt möglichst kurz aufeinanderfolgen lassen, entfallen damit die bei älteren Wehrpflichtigen früher häufig erforderlichen Nachmusterungen zunehmend. Außerdem geben wir jungen Menschen mehr Sicherheit für ihre Lebensplanung, indem wir diese bei der Einberufung besser berücksichtigen.
Bei der heutigen Debatte habe ich allerdings den Eindruck, daß der Kollege Heistermann für die SPD den Gesetzentwurf nicht gelesen hat oder ihn vielleicht nicht lesen wollte.
({2})
Gestatten Sie mir den Hinweis: Administrative Ausnahmefälle hat es bereits unter SPD-Verteidigungsministern gegeben. Auch damals, lieber Kollege Heistermann, wurde bis zum 28. Lebensjahr eingezogen. Nicht ein einziger Kritikpunkt, der hier heute von seiten der SPD vorgetragen wurde, ist in Ihren eigenen Antrag aufgenommen worden. Ich bitte darum, das nachzulesen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Dritte-Söhne-Regelung als - ich sage einmal - Betroffener sprechen.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heistermann zu?
Ich lasse diese Zwischenfrage selbstverständlich zu; aber die Uhr darf nicht weiterlaufen.
Kollege Nolting, können Sie mir wenigstens darin folgen, wenn ich feststelle, daß es unter unserer gemeinsamen Regierungsverantwortung nicht passiert ist, daß Hunderttausende von Wehrpflichtigen durch einen administrativen Akt von der Ableistung des Wehrdienstes gestrichen worden sind, ohne daß das Parlament formal beschlossen hat? Man hat sie einfach aussortiert. Können Sie sich vorstellen, welche Gefühle das bei den Betroffenen hinterläßt? Die einen dienen, die anderen verdienen.
Deshalb wollen wir einfache, nachvollziehbare, klare gesetzliche Vorschriften haben und nicht allein der Administration solche Entscheidungen überlassen.
Lieber Kollege Heistermann, wir befinden uns heute in einer anderen Zeit. Wir haben eine Reduzierung und eine Umstrukturierung der Bundeswehr, wie Sie wissen, vorzunehmen. Wir haben andere finanzielle Rahmenbedingungen - ich glaube, dies muß ich vorausschicken -, denn in den siebziger und auch in den achtziger Jahren stand bedeutend mehr Geld zur Verfügung.
Ich stimme mit Ihnen überein, daß die in den letzten Monaten getroffenen Maßnahmen, die gerade Wehrpflichtige spüren, von diesen natürlich negativ aufgefaßt wurden. Sie wissen, daß gerade wir - auch ich als Obmann der F.D.P. - dieses kritisiert haben und daß ich mir andere Maßnahmen gewünscht hätte.
({0})
- Wir alle, glaube ich.
Ich bitte aber wirklich mit zu berücksichtigen, daß uns nicht damit gedient ist, hier heute Kritik anzubringen, ohne daß Sie selbst in Ihrem Entwurf entsprechende Änderungsvorschläge aufgenommen haben. Sie stellen sich hierhin, kritisieren einen Antrag der Koalition bzw. der Bundesregierung, die genau das Ziel verfolgt, das Sie hier vorgetragen haben, nämlich Dienstgerechtigkeit in diesen Bereichen herzustellen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe eben gesagt: Ich bin ein Betroffener der Dritte-Söhne-Regelung. Ich bin in diesem Hause möglicherweise einer der wenigen, der als dritter Sohn einer Familie Grundwehrdienst geleistet hat. Ich habe schon darauf hingewiesen: Es geht uns in diesem Bereich gerade um Dienstgerechtigkeit, wenn wir Wehrdienstausnahmen jetzt gesetzlich festschreiben wollen. Es geht nicht um Wehrgerechtigkeit, wie einige glauben.
Was aber bedeutet Wehrdienstgerechtigkeit? Unser Rechtssystem - und entsprechend auch unser Wehrsystem - ist doch gerade deshalb gerecht, Kollege Heistermann, weil es nicht wie in totalitären Regimen alle Menschen über einen Kamm schert, sondern die Umstände der Zeit und die Belange der einzelnen Menschen berücksichtigt.
Als ich 1969 zum Grundwehrdienst eingezogen wurde, nachdem meine beiden Brüder bereits Wehrdienst geleistet hatten, habe ich mich nicht ungerecht behandelt gefühlt. Wenn aber heute, da die Diskrepanz zwischen Familien, die Opfer bringen, und
Familien, die keine Opfer bringen, immer größer wird, eine Entlastung für die Erstgenannten geschaffen wird, dann ist dies für mich und sicherlich auch für die Betroffenen ein Beitrag zu mehr Dienstgerechtigkeit.
Ähnliches gilt für eine Anpassung der Tauglichkeitskriterien, mit der vermieden werden soll, daß die Zahl derer, die überhaupt keinen Dienst mehr leisten, weder bei der Bundeswehr noch im zivilen Bereich, weiter ansteigt.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch in diesen Fragen weg vom alten Denken. Wir müssen neue Wege beschreiten. Wir wollen und wir werden zukunftsorientiert handeln. Dafür steht die F.D.P., dafür stehen wir Liberalen. Der Regierungsentwurf ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Daher stimmen wir ihm zu. Den anderen vorliegenden Anträgen der Opposition können wir aus den genannten Gründen nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Nun hat die Kollegin Andrea Lederer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst kurz zu der polemischen Eingangsbemerkung von Ihnen, Herr Kollege Nolting, Stellung nehmen. Erstens. Nennen Sie mir mal einen ersten parlamentarischen Geschäftsführer der großen Fraktionen, die noch zu drei Fachausschüssen zu rennen haben. Zweitens. Soll ich Ihre Bemerkung so verstehen, daß Sie eigentlich gerne unserem Antrag zugestimmt hätten, wenn Sie dagewesen wären? Dann hätte ich ja glatt Hoffnung und würde den noch einmal einbringen.
({0})
- Nein, es ist billige Effekthascherei, jedesmal hier wieder mit solchen Bemerkungen Stellung zu nehmen. Sie wissen es genau. Es fällt Ihnen zum Thema offenkundig schlicht nichts anderes ein.
Ich komme zum Thema. Mit dem, was heute verabschiedet werden soll, soll meines Erachtens ein weiterer Mosaikstein in der verhängnisvollen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Regierungskoalition verabschiedet werden. Denn anstatt sozusagen dem Gebot der Zeit Rechnung zu tragen, die Wehrpflicht abzuschaffen, weniger auf Militär zu setzen, sollen auch noch Vorschläge verabschiedet werden, die im Grunde genommen dazu führen, daß noch mehr Menschen in die Wehrpflicht eingebunden werden.
Wir bleiben dabei: Demilitarisierung wäre das Gebot der Stunde. Dazu gehört als ein erster Schritt die Abschaffung der Wehrpflicht wie auch aller anderen damit im Zusammenhang stehenden Zwangsdienste.
Ich will ganz kurz auf die Argumente eingehen. Das Zitat, das häufig kommt, die Wehrpflicht sei ein legitimes Kind der Demokratie, ist historisch und politisch widerlegt. Es ist nicht die Wehrform oder die Frage, was die Bundeswehr schließlich macht, bestimmend, sondern es ist die Sicherheits- und Außenpolitik der Bundesregierung. Und was dort passiert, können wir seit drei Jahren verfolgen. Es geht ununterbrochen um die Erweiterung des militärischen Handlungsspielraums. Hiervon werden auch bald die Wehrpflichtigen betroffen werden.
({1})
- Schon wieder so was langweilig Polemisches! Hören Sie mal den Argumenten zu. Setzen Sie sich damit auseinander. Sie wissen genau, daß Sie in den Podiumsdiskussionen ziemlich dumm dastehen, wenn es um diese Fragen geht.
Ich wundere mich über die Bemerkung von Herrn Augustinowitz, der im Zusammenhang mit Berufs- und Zeitsoldaten immerhin von „Söldnern" spricht. Sie scheinen da offenbar auch ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu haben.
Die Wehrpflicht verhindert überhaupt nicht, daß künftig weiter internationale Militäreinsätze stattfinden, die ja im übrigen verstärkt stattfinden sollen. Das heißt, die Existenz der Wehrpflicht hat leider überhaupt keinen Einfluß auf die Politik, die mit der Bundeswehr gemacht wird.
Ich will zum Schluß noch kurz zu der neu losgebrochenen Diskussion zur allgemeinen Dienstpflicht auf dem CDU-Parteitag Stellung nehmen. Offenkundig hat die CDU keine Möglichkeiten, mal festzustellen, ob es nun eigentlich Wehrgerechtigkeit oder Webrungerechtigkeit gibt. Der eine sagt, es herrsche Rekrutennotstand, der andere sagt, es herrsche Wehrungerechtigkeit. Ich glaube, wir sollten abwarten, was die Antwort auf eine Kleine Anfrage von uns ergibt. Wir werden dann die Fakten haben. Sie werden dann feststellen, daß eine Wehrungerechtigkeit besteht.
Wer in dem Kontext dann noch von massiven Vorteilen der Zivildienstleistenden zu sprechen wagt,
({2})
der macht sich gänzlich lächerlich, die immerhin zu 100 % und mit großen Nachteilen ihren Dienst zu versehen haben.
({3})
Infolgedessen bleiben wir dabei: Abschaffung der Wehrpflicht und infolgedessen auch des Zivildienstes stehen eigentlich auf der Tagesordnung. Wir werden das gemeinsam mit entsprechenden Friedensinitiativen weiter vertreten. Ich bin davon überzeugt, daß Sie nicht mehr lange die Defizite Ihrer Sozialpolitik über den Zivildienst werden stopfen können, weil nämlich im Prinzip dann irgendwann die Abschaffung der Wehrpflicht auch ins Haus steht.
Ich danke.
({4})
Nun spricht Frau Kollegin Vera Wollenberger.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Nolting, ich muß allerdings auch etwas zu Ihrer verbalen Attacke von vorhin sagen: Wenn Sie mich gefragt hätten, warum ich nicht im Ausschuß war, bevor Sie solche starken Worte am Rednerpult verlieren, dann hätte ich Ihnen gesagt, daß ich krank gewesen bin. Sie kennen die Situation unserer Gruppe. Wenn man zu acht im Bundestag sitzt, dann findet man nicht immer einen Ersatzmann oder eine Ersatzfrau. Ich finde es auch sehr billig, sich so zu äußern, wie Sie es getan haben.
({0})
Im übrigen haben wir diese Debatte über die Wehrpflicht nicht nur in einer Ausschußsitzung geführt, sondern wir führen sie schon sehr lange und mit großem Ernst. Es ist eigentlich schon lange klar - auch wenn Sie sich noch weigern, das zuzugeben -, daß die allgemeine Wehrpflicht, zumal bei 370 000 Soldaten Personalobergrenze und besonders dann, wenn diese Personalobergrenze noch mehr abgesenkt werden wird, nicht zu halten ist, schon gar nicht aus Gründen der Verteidigungskultur, wie Herr Rühe neulich gemeint hat. Die allgemeine Wehrpflicht kann auch nicht durch eine allgemeine Dienstpflicht weiterentwickelt werden, wie sich das die Junge Union wünscht, noch durch eine allgemeine Dienstpflicht gerettet werden, wie Herr Teufel meint, und sie ist schon gar nicht, wie Herr Arbeitsminister Blüm gesagt hat, ein Mittel gegen eine Gesellschaft zunehmenden Tralalas. Denn wer so etwas von sich gibt oder solche Scheinalternativen aufbaut, setzt sich dem Verdacht aus, daß er einer Partei angehört, die sich offenbar im Prozeß eines zunehmenden Gagas befindet.
Der notwendige Gemeinsinn hierzulande wird nicht durch eine verfassungswidrige Art der Arbeitspflicht erzwungen, sondern durch mehr Identifizierungsmöglichkeiten in einer lebenswerten, offenen Gesellschaft. Aus diesem Grunde hat unsere Gruppe beantragt, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr sukzessive zu verkleinern. Selbst Herrn Teufel ist doch aufgefallen, daß 26 % aller Männer eines Jahrgangs weder Kriegs- noch Zivildienst leisten. Wer da noch von Wehrgerechtigkeit redet wie Kollege Breuer, scheint mit diesem Begriff etwas anderes zu meinen, als gemeinhin darunter verstanden wird.
({1})
Meine Damen und Herren, das Festklammern an der Wehrpflicht ist inzwischen zutiefst demokratiefeindlich und fördert die vielbeschworene Politikverdrossenheit gerade bei jungen Menschen. Wir sollten uns doch einig sein, daß wir uns gerade den Verlust von jungen Menschen nicht leisten können. Ich würde mich deshalb freuen, wenn Sie dieser Tatsache endlich ins Auge sehen und unseren Anträgen zustimmen könnten. Dann wäre nämlich auch das Problem des Herrn Augustinowitz gleich gelöst. Der überteuerte Zivildienst ist entbehrlich und sollte abgewickelt werden. Zum Beispiel hat die Universität Bonn, die Universität dieser Stadt - bei der kann man sich erkundigen -, längst festgestellt, daß es volkswirtschaftlich billiger ist, in den sozialen Arbeitsbereichen die Einsätze mit qualifiziertem Personal durchzuführen und nicht mit Zivildienstleistenden. Es wäre also auch die beste Alternative zu den von Ihnen behaupteten Privilegien der Zivildienstleistenden,
({2})
diesen Dienst einfach abzuschaffen.
Völlig in die falsche Richtung geht der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entgegen der Behauptung, die Altersgrenze werde von 28 auf 25 Jahre herabgesetzt, bedeutet der Entwurf de facto für viele das genaue Gegenteil. Denn nach § 5 Abs. 1 Ziffer 1 Buchstabe a des zu ändernden Wehrpflichtgesetzes sollen diejenigen bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres einberufen werden können, die wegen einer Zurückstellung nicht bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres herangezogen werden konnten. Das ist aber eher die Regel als die Ausnahme. Vor allem junge Männer in Ausbildung, sei es im Studium oder in einer beruflichen Ausbildung, sind selten vor dem 25. Lebensjahr damit fertig. Daneben sind alle diejenigen betroffen, die einen eigenen Betrieb aufbauen oder sich um Angehörige in Not kümmern.
Zudem soll der Kreis der Dienstpflichtigen durch Herabsetzung der Tauglichkeitskriterien ausgeweitet werden.
Weiter sieht der Koalitionsantrag vor, künftig auch 17jährige und Ausländer der Wehrüberwachung zu unterwerfen. In der Praxis müßten sich auch Schwerbehinderte, Geistliche und andere Gruppen, die gar nicht der Wehrpflicht unterliegen, bei einem längeren Auslandsaufenthalt beim Kreiswehrersatzamt melden.
So, meine Damen und Herren, fördert man kaum die Identifikation mit diesem Gemeinwesen. Solange die Wehrpflicht noch bestehen wird, müssen Wehrpflichtige vermehrt zu möglichst sinnvollen Alltagsaufgaben freigestellt werden. Deshalb haben wir beantragt, hauptberufliche Feuerwehrleute vom Grundwehrdienst zu befreien, um die schwierige Personalgewinnung der Feuerwehren zu erleichtern. Vielleicht, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, könnten Sie sich dazu durchringen, diesen Antrag zu unterstützen. Ich bin ganz sicher, daß Sie damit einen Pluspunkt in der Öffentlichkeit erreichen würden.
({3})
- Ja, das würde mir auch nichts ausmachen. Für eine gute Sache wäre ich gern dazu bereit.
Aber ich sehe, daß ich meine Redezeit ohnehin schon überschritten habe. Ich war auch am Ende meiner Rede. Ich wollte nur noch sagen: Es zeichnet sich ab, daß die Wehrpflicht in dieser Legislaturperiode noch nicht abgeschafft wird, aber in der nächsten Legislaturperiode kommt das bestimmt.
Vielen Dank.
Jetzt hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Wilz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es außerordentlich, daß im Interesse unserer Wehrpflichtigen, aber auch der Gesellschaft insgesamt diese Debatte heute geführt wird. Gleichzeitig danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, die in den beratenden Ausschüssen konstruktiv mitgearbeitet haben. Ich fand das nicht nur hochinteressant, sondern bedeutungsvoll für uns alle.
Ihnen, Frau Kollegin Lederer, würde ich gerne ins Stammbuch schreiben: Wenn etwas verhängnisvoll ist, dann ist es das, was Ihre Vorgängerpartei SED 40 Jahre lang auf deutschem Boden getrieben hat.
({0})
Die Wehrpflicht hat sich in den vergangenen 38 Jahren bewährt und ist zur selbstverständlichen Norm für unsere Gesellschaft geworden. Dabei kommt es für uns in erster Linie auf die Einbindung der Bundeswehr in Volk und Gesellschaft an. Das können wir nur über die Wehrpflicht erreichen.
Sie macht auch deutlich, daß unser Gemeinwesen nicht nur Rechte und Freiheiten bietet, sondern auch eine ganz persönliche Pflicht abverlangt. In bester demokratischer Tradition legt die Wehrpflicht den Schutz des Staates in die Hände aller Bürger. Sie übernehmen damit Verantwortung für den Fortbestand ihres Gemeinwesens, anstatt sie einem professionellen Dienstleistungsunternehmen zu übertragen.
Wer die Wehrpflicht abschaffen will, will eine andere Sicherheitspolitik für Deutschland, will eine andere Bundeswehr und will letztendlich auch eine andere Gesellschaft. Genau das wollen wir nicht.
({1})
Unter den neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen muß die Bundeswehr in der Lage sein, zwei verteidigungspolitische Hauptfunktionen zu erfüllen. Zum einen muß sie kurzfristig zusammen mit Verbündeten und Partnern zur Bewältigung von internationalen Krisen und Konflikten beitragen können. Zum anderen muß sie für den unwahrscheinlichen und zugleich ungünstigsten Fall, nämlich die Verteidigung Deutschlands und des Bündnisses, über die Fähigkeit zum Aufwuchs und Einsatz von ausreichenden Verteidigungskräften verfügen.
Der Umfang unserer Streitkräfte muß der Größe, Lage, Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft Deutschlands angemessen sein und einer ausgewogenen Lastenteilung im Bündnis gerecht werden. Er ist für unseren Einfluß im Bündnis mitbestimmend.
Über die Wehrpflichtigen bleibt die Bundeswehr im engen Kontakt mit der ganzen Bevölkerung, besonders auch mit der jungen Generation. Mehr als die Hälfte unserer Berufs- und Zeitsoldaten, aber auch ein Großteil der qualifizierten Reservisten gewinnen wir aus den Besten der Grundwehrdienstleistenden.
({2})
Sie kommen mit ihrer Berufs- und Lebenserfahrung zu uns und erleben Tugenden wie Verläßlichkeit, Kameradschaft, Verantwortungsbewußtsein und Teamgeist.
({3})
Der Austausch junger Menschen zwischen Ost und West wird durch die Wehrpflicht wesentlich gefördert und trägt dazu bei, die innere Einheit Deutschlands zu vollenden.
({4})
Für uns ist natürlich auch von besonderer Bedeutung, daß die Ausbildung der Grundwehrdienstleistenden noch weiter gestrafft und verbessert wird. Zur Gestaltung einer sinnvollen, fordernden und erlebnisreichen Ausbildung wollen wir u. a. den dritten Offizier in der Einheit einführen.
Darüber hinaus streben wir an, künftig den in Methodik und Didaktik geschulten Feldwebel als Gruppenführer einzusetzen. Im gleichen Zusammenhang wird derzeit geprüft, wie wir zu mehr zivilberuflichen Nutzungsmöglichkeiten aus militärischer Ausbildung kommen können. Es ist ja nicht einzusehen, warum ein junger Wehrpflichtiger das bei der Bundeswehr erworbene Fachwissen, z. B. im Sanitätswesen oder im technischen Bereich, nicht als Zertifikat bescheinigt, ins Zivilleben mitnehmen und anerkannt bekommen soll.
Natürlich muß die allgemeine Wehrpflicht mit Wehrgerechtigkeit einhergehen. In Deutschland gibt es in Wahrheit auch kein Problem der Wehrgerechtigkeit, sondern es gibt einen Mangel an Dienstgerechtigkeit im Sinne des Dienens für die Gemeinschaft.
Rund 30 % eines Geburtsjahrgangs werden als nicht wehrdienstfähig gemustert oder aus gesetzlichen Gründen vom Wehrdienst befreit. Sie leisten keinerlei Dienst. Mehr als 20 % eines Geburtsjahrgangs leisten Dienst bei Polizei, Bundesgrenzschutz, im zivilen Katastrophenschutz, im Entwicklungsdienst oder als anerkannte Kriegsdienstverweigerer im Zivildienst.
Damit steht nur noch knapp die Hälfte eines Geburtsjahrgangs für den Wehrdienst zur Verfügung. Dies reicht gerade noch aus, um den Bedarf der Streitkräfte zu decken; denn einschließlich des Rekrutierungsbedarfs für Berufs- und Zeitsoldaten werden jährlich etwa 170 000 bis 180 000 Wehrdienstfähige aus allen Berufsgruppen für den Dienst in der Bundeswehr benötigt.
Ich möchte dabei auch das leider weitverbreitete Mißverständnis ausräumen, es gäbe weitaus mehr junge Wehrpflichtige, als die Bundeswehr gebrauchen kann. Vielmehr benötigen wir heute praktisch jeden verfügbaren jungen Mann - und zwar, Herr Kollege Heistermann, nicht nur die Jüngsten -, weil eben die Jahrgangsstärken deutlich geringer geworden sind. Lag die Zahl der 19jährigen erfaßten jungen Männer in den 80er Jahren allein im alten Bundesgebiet bei durchschnittlich 480 000, erreichen die gesamtdeutschen Zahlen in den nächsten zehn Jahren im Durchschnitt nur noch rund 375 000.
Wenn knapp ein Drittel eines Geburtsjahrgangs keinerlei Dienst leistet, wird dies in der Gesellschaft natürlich als ungerecht empfunden. Allein mehr als 20 % eines Jahrgangs sind nach den gültigen Taug18250
lichkeitskriterien nicht wehrdienstfähig. Ein großer Teil davon aber geht uneingeschränkt seinem Beruf nach. Mancher verdient sogar als Spitzensportler sein gutes Geld.
Die Koalition hat deshalb mit der heute zu beratenden Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes Maßnahmen zur Erweiterung der Tauglichkeitskriterien eingeleitet, um möglichst alle Berufstauglichen auch zu einem Dienst am Staat einberufen zu können. Warum soll ein junger Mann, der in seinem Betrieb einen Computer bedient, dies nicht auch bei der Bundeswehr oder im Zivildienst tun können? Die körperlichen Anforderungen der allgemeinen Grundausbildung sollen nicht länger alleiniger Maßstab für die Dienstfähigkeit eines jungen Mannes sein.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es kommt jetzt, wenn Sie hier und heute das Gesetz beschließen, darauf an, daß wir das dann auch in die Öffentlichkeit transportieren und daß wir dafür in den Schulen, an den Universitäten und in den Medien - geschlossen mit der gesamten Politik, vom Bundestag über die Landtage bis in die Kommunalparlamente - eintreten.
Herzlichen Dank.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Herabsetzung des Einberufungshöchstalters auf der Drucksache 12/3856. Der Verteidigungsausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6558, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3856 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5 b. Dabei handelt es sich um die Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes auf den Drucksachen 12/5089 und 12/6559. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/6874 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 c. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Abschaffung der Wehrpflicht und des Zivildienstes auf Drucksache 12/6636. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/5767 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 2: Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste zur Abschaffung der Wehrpflicht auf Drucksache 12/6557. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/6033 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Kubatschka, Dr. Klaus Kübler, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
THORP-Wiederaufbereitungsanlage für nukleare Brennstoffe in Sellafield im Vereinigten Königreich
- Drucksache 12/5165 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Auch hier bitte ich um Ihr Einverständnis, daß Reden zu Protokoll gegeben werden können. Mir liegen solche Ersuchen bereits vor. Besteht damit Einverständnis? - Das ist der Fall.*)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.
Als erstes hat Kollege Horst Kubatschka das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Irische See ist das strahlendste Meer der Welt. Dieser zweifelhafte Ruf wird der Irischen See bleiben. Auch der Allantik bekommt einen Teil der strahlenden Last mit. Wir Deutschen tragen dazu bei, gleich nach den Japanern. Als die Russen kürzlich im Pazifik radioaktives Material verklappten - das ist nicht zu billigen -, sahen die Japaner und die Deutschen zwar den Splitter im Auge des anderen, übersahen aber den Balken im eigenen Auge.
*) Vgl. Anlage 3
Unbekannt ist das Problem Sellafield nicht. Seit Jahrzehnten geistern die Namen durch die Presse: Windscale, Sellafield. Darüber waren und sind die Schlagzeilen meistens negativ, und die Wiederaufbereitungsanlage THORP sorgt dafür, daß es so bleibt. Deswegen müssen wir Deutschen aus THORP aussteigen, wie es die deutschen Kunden, wie es die deutsche Industrie eigentlich wünscht.
Im eigenen Land ist die Wiederaufbereitung gescheitert. Sie ist kein Thema mehr. Sowohl wegen des Widerstands der Bevölkerung als auch aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Wiederaufbereitung in Wackersdorf gestoppt. Jetzt versucht die Bundesregierung, den deutschen Atommüll teilweise zur Wiederaufbereitung nach Großbritannien zu verschieben. Dabei gibt es genügend Gründe gegen THORP. Schon das Europäische Parlament zeigte sich zutiefst beunruhigt. Es führte gegen THORP u. a. folgende Gründe aus. Erstens: Schwach radioaktive Abfälle werden in flüssiger Form aus der Unterwasserpipeline in die Irische See freigesetzt; zweitens: Gasförmige Abfälle entweichen aus einem Schornstein der Sellafield-Anlage in die Atmosphäre; drittens: Es wird nicht die bestmögliche Technologie zur Verhinderung dieser Ableitungen angewandt.
Der federführende Ausschuß des Deutschen Bundestages hat daher die Entschließung des Europäischen Parlaments zustimmend zur Kenntnis genommen - entgegen den Ausführungen der Bundesregierung. Europa will die THORP-Anlage nicht.
Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen. Während der 30jährigen Lebensdauer der Anlage werden 21 000 t abgebrannte Kernbrennstoffe verarbeitet. Der Transport ist eine der Schwachstellen. Per Schiff, per Bahn, per Flugzeug wird angeliefert bzw. heimtransportiert. Einen Vorgeschmack des Problems haben wir letztes Jahr erlebt. Ein japanisches Kriegsschiff mußte einen Transporter mit radioaktivem Material weltweit auf seinem Heimweg begleiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung ist sich sehr wohl der Belastung bewußt, genauso wie die anderen Staaten auch. Deswegen hat die Pariser Kommission zur Abwehr der Meeresverschmutzung im Juni 1993 beschlossen, daß dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um radioaktive Einleitungen in die europäischen Meere zu reduzieren und zu beseitigen. Deutschland stimmte zu, allerdings erst nach einigem Zögern und nur in einer entschärften Form. Die PARCOM-Mitgliedstaaten empfehlen, THORP nicht in Betrieb zu nehmen, und sie begründen dies mit der zu erwartenden radioaktiven Verseuchung der Umgebung der Anlage. Nur Großbritannien hat sich dieser Resolution widersetzt und sie nicht unterstützt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres Problem ist das Edelgas Krypton. Die Bundesregierung geht davon aus, daß mittelfristig - was heißt eigentlich mittelfristig? - die Krypton-Emission reduziert wird. Dies hat wenigstens die britische Regierung mit ihrem Genehmigungsentwurf vom 15. Dezember 1993 so festgelegt. Für THORP soll eine Technologie zur Zurückhaltung von Krypton entwickelt werden. Der Betreiber ist aber in Wahrheit nur verpflichtet, jährlich über die Wege zur weiteren Reduzierung von Krypton zu berichten. Es besteht also nur Berichtspflicht. Er wendet nicht einmal eigene Mittel für die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet auf.
Die Betreiberfirma hat von 1977 bis 1982 eine einzige Methode zur Krypton-Zurückhaltung erforscht und für nicht brauchbar erklärt. Seither ist die Forschung nicht mehr weiterbetrieben worden. Es ist nicht davon auszugehen, daß der britische Betreiber weiterforschen wird, geschweige denn eine brauchbare Rückhaltevorrichtung einbauen wird. Dazu ist er auch überhaupt nicht verpflichtet.
Auch ein Grenzwert für Uran, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde neu eingeführt. Er liegt aber so hoch, daß Uran im gleichen Umfange wie bisher eingeleitet werden kann. An den Betriebsabläufen in Sellafield muß sich also nichts ändern. Es ist alles nur Augenwischerei.
Noch einige Bewertungen aus britischer Sicht:
Eine Studie des englischen Gesundheitsamtes vom September 1993 schließt einen Zusammenhang zwischen dem Betrieb von Sellafield und den gehäuft auftretenden Leukämiefällen im Umfeld der Anlage nicht mehr aus. Dies ist eine Feststellung, die getroffen wurde, bevor Sellafield II in Betrieb geht.
Die britische Atomschutzbehörde beziffert die Zahl der Toten durch die Inbetriebnahme von THORP weltweit mit 200 pro Jahr.
Die bisher aufgeführten Gründe setzen sich vor allem mit Sicherheitsproblemen bzw. mit den Problemen der Umweltbelastung auseinander. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine andere Betrachtungsweise: Schauen wir uns auch das Argument der Wirtschaftlichkeit an.
Die Industrie setzt längst nicht mehr auf Wiederaufbereitung. Nachdem sie den Rechenstift angesetzt hat, ist dies auch leicht zu erklären. Die direkte Endablagerung wäre die wirtschaftlichere Methode. Die Industrie rechnet damit, daß die direkte Endablagerung zwischen 30 und 50 % billiger käme. Auch ein 100%iger Aufschlag wird nicht ausgeschlossen.
Auch der Bundesrechnungshof kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Die Wiederaufbereitungsanlage ist teurer als die direkte Endablagerung. Die deutschen Betreiber überprüfen auch, wie man aus diesen Verträgen aussteigen kann. Wiederaufbereitung ist ein ökonomischer Unsinn. Warum sollte also THORP weiter betrieben werden?
Die Plutoniumwirtschaft und die Brütertechnologie beinhalten ein unvertretbar hohes Risiko. Dies lernt allmählich auch Japan. Man kann es in der Presse nachlesen. Die japanische Regierung hat beschlossen, die Planung für eine Ausweitung der Plutoniumindustrie zu verzögern. Der Bau eines zweiten schnellen Brüters in Japan wird weit ins nächste Jahrtausend verschoben.
Aus den genannten Gründen sollte der Deutsche Bundestag den Antrag der SPD-Fraktion annehmen. Die Bundesregierung setzt auf eine teure, auf eine gefährliche Lösung. Es ist eigentlich nur eine Scheinlösung. Nachdem der Irrweg in Wackersdorf aufgege18252
ben wurde, darf er nicht in Großbritannien weiterverfolgt werden.
Ich muß sagen: Ich verstehe die Briten auch nicht. Warum wollen sie mit Macht der nukleare Mülleimer dieser Welt werden?
Ganz zum Schluß: Ich bin eigentlich froh, daß wir dieses Problem zur späten Stunde diskutieren; denn das heißt, daß nichts passiert ist. Wenn wir das tagsüber zur besten Zeit diskutierten, wäre es ein schlechtes Zeichen; denn dann hätten wir ein neues Unglück gehabt. Davor mögen wir bewahrt sein, trotz des Unsinns, der in THORP geschieht.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nun hat Herr Dr. von Geldern das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin in Sellafield gewesen und habe dort mit den Betreibern, aber auch mit den Genehmigungsbehörden, mit Bürgern, mit Landwirten gesprochen. Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir das Thema sehr sachlich behandeln.
Eine vom zuständigen britischen Energieminister und vom Bundesumweltminister im Juli 1989 eingesetzte deutsch-britische Arbeitsgruppe hat die Sicherheitsstandards für die Auslegung von modernen Wiederaufbereitungsanlagen in unseren beiden Ländern verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß sowohl die Sicherheitsgrundsätze und die grundlegenden Anforderungen an die Sicherheit von Wiederaufbereitungsanlagen als auch die in den beiden Ländern geltenden Strahlenschutzbestimmungen für das Personal und die Umgebung gleichwertig sind und einem sehr hohen Standard entsprechen. Die jeweiligen Grundsätze für den Strahlenschutz stehen voll im Einklang mit den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission und den Sicherheitsstandards der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 30. April 1992 im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach Art. 37 Stellung genommen und ist - ich zitiere der Ansicht, daß die Durchführung des Plans zur Ableitung radioaktiver Abfälle aus der Anlage THORP am Standort Sellafield weder im Normalbetrieb noch bei einem Unfall der in den Allgemeinen Angaben untersuchten Art und Größenordnung zu einer unter gesundheitlichen Gesichtspunkten signifikanten radioaktiven Kontamination des Wassers, Bodens oder Luftraums eines anderen Mitgliedstaats führen könnte.
Die Ableitung flüssiger und gasförmiger radioaktiver Stoffe mit dem Abwasser und der Abluft kerntechnischer Anlagen ist ein üblicher betriebsbedingter Vorgang. Er wäre nur dann zu beanstanden, wenn er eine Überschreitung der zulässigen Grenzwerte zur Folge hätte. Das ist aber nicht zu erwarten. Die tatsächlichen Ableitungen radioaktiver Stoffe bleiben erfahrungsgemäß unterhalb der Grenzwerte, die sich aus den Euratom-Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte ergeben. Das überwachen nach dem Radioactive Substances Act von 1960 das in Großbritannien zuständige Inspektorat und das Ministerium für Landwirtschaft in London. Nach den Feststellungen dieser Behörden werden die geplanten Genehmigungswerte für radioaktive Ableitungen aus der Wiederaufarbeitungsanlage THORP eine Strahlenexposition, Herr Kollege Kubatschka, von ungefähr 1 % der durchschnittlichen natürlichen Strahlenexposition zur Folge haben.
Kein Mitgliedstaat der Europäischen Union entscheidet allein darüber, welche Risiken von anderen Ländern zu akzeptieren sind. Auch Großbritannien hat sich durch den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften den Bestimmungen des EuratomVertrages unterworfen und hat insbesondere die Euratom-Grundnormen für den Strahlenschutz in das innerstaatliche Recht umgesetzt.
Wie alle anderen Mitgliedstaaten der EU übermittelt es nach Art. 37 des Euratom-Vertrags der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben, auf Grund deren festgestellt werden kann, ob die Durchführung dieses Plans eine radioaktive Verseuchung des Wassers, des Bodens oder der Luft in einem anderen Mitgliedstaat verursachen kann.
Die Kommission der Gemeinschaften gibt dazu eine Stellungnahme ab. Sie richtet nach Art. 38 des Euratom-Vertrages an die Mitgliedstaaten Empfehlungen über den radioaktiven Gehalt der Luft, des Wassers und des Bodens. In dringenden Fällen gibt sie dem betreffenden Mitgliedstaat auf, innerhalb einer von ihr gesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Überschreitung der Grundnormen zu vermeiden und die Beachtung der Vorschriften zu gewährleisten. Es gibt übrigens auch noch die Möglichkeit, sich an den Europäischen Gerichtshof zu wenden.
Es kann daher keine Rede davon sein, daß ein einzelner Staat ungeachtet der Bedenken anderer Länder allein darüber entscheide, welche Risiken auch von anderen Ländern zu akzeptieren seien.
Die Forderung, jegliche Ableitung radioaktiver Stoffe ins Meer oder in die Luft zu verhindern, würde dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit widersprechen, weil diese Forderung nur mit einem unangemessen großen Aufwand erfüllbar wäre, dem kein entsprechender Nutzen an weiterer Verminderung der Strahlenexposition der Bevölkerung gegenüberstünde.
Was jetzt die Frage der Haftung betrifft: Ausreichende Haftungsregelungen bestehen bereits durch das Übereinkommen vom 29. Juli 1960, das sogenannte Pariser Übereinkommen, und das Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963, das Brüsseler Zusatzübereinkommen, die beide sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien ratifiziert worden sind.
Auch Irland, von dem die Forderung nach Haftungsregelungen zuerst ausging, könnte durch Beitritt zu diesen Übereinkommen und Erlaß eines nationalen Umsetzungsgesetzes relativ einfach am internationalen Atomhaftungsregime teilnehmen.
Was jetzt den Transport der abgebrannten Brennelemente nach Sellafield betrifft, so liegt es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, daß an einer geordneten, den atomrechtlichen Vorschriften entsprechenden Entsorgung der Kernkraftwerke festgehalten wird. Das Auswärtige Amt hat dementsprechend in einem Notenwechsel mit der britischen Botschaft in Bonn vom 18. Juli 1990 die Zusicherung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland übermittelt, daß sie nicht beabsichtigt, Gesetzgebungsoder Verwaltungsmaßnahmen zu ergreifen, welche die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke und der British Nuclear Fuels Limited über die von der BNFL vorzunehmende Wiederaufarbeitung verhindern und insbesondere die BNFL daran hindern würden, ihre vertragliche Option zur Lieferung des radioaktiven Abfalls an das RWE auszuüben.
Bestätigt wurde ferner, daß dies auch für künftige ähnliche Verträge zwischen der BNFL und deutschen Kernkraftwerksbetreibern gelten solle.
Die Genehmigungen zur Beförderung der Kernbrennstoffe müssen nach den Vorschriften des § 4 unseres Atomgesetzes erteilt werden, wenn die dort genannten Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen. Zuständig ist das Bundesamt für Strahlenschutz. Ein willkürliches Unterbinden der Transporte durch die Bundesregierung ist nach rechtsstaatlichen Prinzipien also auch gar nicht möglich.
Sie merken schon, meine Damen und Herren und Sie, Herr Kollege Kubatschka, der Sie hier den Antrag begründet haben, daß wir nicht der Meinung sind, daß man diesem Antrag am Ende stattgeben könnte, aus einer ganzen Reihe von tatsächlichen und rechtlichen Gründen.
Ich halte es aber für richtig, wenn der Antrag an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur vertiefenden Beratung verwiesen wird. Wir haben ja, wie Sie richtig gesagt haben, die Resolution des Europäischen Parlaments auch zustimmend zur Kenntnis genommen und sollten uns wegen der Brisanz des Themas weiter damit beschäftigen.
Ich hielte es übrigens auch für richtig, wenn der Ausschuß eines Tages einmal einen Besuch in Sellafield machte, mit den Betroffenen, mit den Betreibern, mit den Behörden und allen anderen spricht, so wie ich das vor einigen Monaten getan habe. Auch wenn es zur Zeit wieder einmal eine unmäßige und auch unbegründete Kritik in einem Teil der veröffentlichten Meinungen an politischen Dienstreisen gibt, hielte ich es doch für sinnvoll, wenn wir uns Sellafield einmal genau unter die Lupe nähmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Und nun spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Klinkert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Sie nicht wundern, daß die Bundesregierung dem vorliegenden SPD-Antrag in seinen beiden Elementen nicht zustimmen kann. Dies betrifft sowohl die beantragte Feststellung des Deutschen Bundestages als auch die Aufforderung zu den vier genannten Aktionen der Bundesregierung.
Die vom Europäischen Parlament artikulierten Sicherheitsbedenken gegen die THORP-Wiederaufbereitungsanlage, die der Deutsche Bundestag antragsgemäß aufgreifen soll, sind sachlich nicht gerechtfertigt, denn die bei THORP angewendeten Strahlenschutzgrundsätze stehen voll im Einklang mit den Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission und mit den Strahlenschutz- und Sicherheitsstandards von EURATOM. Mein Kollege Dr. von Geldern wies bereits darauf hin, daß die von THORP ausgehenden Kontaminationen in keiner Weise und zu keinem Zeitpunkt zu einer Gefährdung von Wasser, Boden und Luft führen können.
Daraufhin sind zwischenzeitlich in Großbritannien die erforderlichen Genehmigungen erteilt worden. Nicht allein die Tatsache der Ableitung flüssiger und gasförmiger Stoffe ist maßgeblich, sondern die davon ausgehenden möglichen Beeinträchtigungen für Mensch und Umwelt. Entgegen der Behauptung, es werde nicht die bestmögliche Technologie zur Verhinderung dieser Ableitung angewandt, haben die britischen Behörden aber gerade darauf besonderes Augenmerk gelegt und haben dies auch durch entsprechende Kontrollen und Verfügungen durchgesetzt.
Nachweislich unzutreffend ist die Behauptung eines unvertretbaren Risikos der sogenannten Plutoniumwirtschaft. Hier haben wir eine der Ihren entgegengesetzte Meinung. Die langjährigen Erfahrungen von Deutschland besagen aus unserer Sicht genau das Gegenteil.
Herr Kubatschka, die meines Erachtens diskriminierenden Bemerkungen zu Großbritannien hat Dr. von Geldern ja zum Teil schon aufgegriffen. Sie dokumentieren da natürlich die Ausstiegshaltung der SPD, die, wenn sie in Deutschland selbst es nicht erreichen kann, dann über diese Hintertür - ({0})
Wenn sie in Deutschland selbst nicht dazu führt, daß der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie damit erreicht werden kann, wollen Sie das über die Hintertür erreichen, indem Sie in Ländern außerhalb Deutschlands eine solche Aufarbeitung torpedieren.
Fehl geht auch die Behauptung der risikoreichen Großtechnologie der Plutoniumwirtschaft generell. Die europäischen Staaten entscheiden für sich, was sie in ihrem Land für vertretbar halten. Dies ist keine Angelegenheit, die wir ihnen vorschreiben können.
Die im Zusammenhang mit den Forderungen des Beschlußantrags aufgestellte Behauptung, durch den Betrieb von THORP würden sich die radioaktiven Ableitungen um 1 000 % erhöhen, ist in zahlenmäßiger Hinsicht falsch und auch irreführend, denn die durch THORP bedingt zusätzliche Strahlenexposition
in der Umgebung liegt im Schwankungsbereich der natürlichen Strahlenexposition. Und selbst durch die Emission ist das, was in Sellafield und Umgebung gemessen werden kann, durchaus unter dem, was andernorts an natürlicher Strahlenexposition auftritt.
({1})
Auch das Verlangen nach Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung ist nichts, was außerhalb von Großbritannien entschieden werden kann. Und Ihre Frage zur Leukämie: Sie wissen ganz genau, daß dies statistisch nicht erwiesen ist, denn solche Leukämiefälle, wie sie in Sellafield festgestellt wurden, treten auch an anderen Orten auf, wo nachweislich überhaupt keine strahlenmäßige Belastung der Bevölkerung zu verzeichnen ist.
Die Forderung nach Unterbindung der Kernbrennstofftransporte nach Sellafield widerspricht EG-Recht und wäre darüber hinaus auch nach deutschem Recht rechtswidrig; denn die nach § 4 des Atomgesetzes erforderlichen Beförderungsgenehmigungen müssen erteilt werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Das Atomgesetz räumt hier keinen Ermessensspielraum ein.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Antrag auf Drucksache 12/5165 sollte abgelehnt werden, weil die dort angeführten Feststellungen ein unzutreffendes Bild der tatsächlichen Gegebenheiten vermitteln und weil die Bundesregierung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht in der Lage wäre, die an sie gerichteten Forderungen zu erfüllen.
Im übrigen glaube ich wie mein Kollege von Geldern, daß wir darüber im Ausschuß noch einige interessante Detailberatungen führen können.
Vielen Dank.
({2})
Die Reden der Kollegen Baum und Enkelmann sind zu Protokoll gegeben worden.*) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/5165 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Fritz Schumann ({0}), Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes
- Drucksache 12/6448 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1})
*) Anlage 3
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
Es ist vereinbart worden, daß sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.*)
Wir müssen über die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/6448 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse abstimmen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Poppe, Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbesserung der Situation und des Status der Flüchtlinge aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien durch eine humanitäre Aufnahmepraxis
- Drucksache 12/6687 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({2}) Auswärtiger Ausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten erhalten soll. Besteht damit Einverständnis? - Dies ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich darf darauf hinweisen, daß der Redebeitrag von Frau Kollegin Ulla Jelpke **) zu Protokoll gegeben worden ist. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Damit erteile ich das Wort dem Kollegen Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ergebnis der Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder vom 9. Februar 1994 ist insgesamt enttäuschend, auch wenn es auf Grund der massiven öffentlichen Reaktionen gelungen ist, die drohende generelle Abschiebung der kroatischen Flüchtlinge vorerst zu verhindern.
Es muß aber ein weiteres Mal klar gesagt werden: Auch in Kroatien herrscht weiterhin Krieg. In Kroatien leben, teilweise unter unvorstellbaren Bedingungen, über 500 000 Flüchtlinge aus Kroatien, vor allem aber aus Bosnien-Herzegowina. Das Land ist schon jetzt mit der Zahl der Flüchtlinge überfordert, viel mehr, als Deutschland es je sein könnte. Kroatien kann diese Flüchtlinge weder ordentlich unterbringen noch ernähren, noch die erforderliche soziale Infrastruktur gewährleisten.
Abschiebung bedeutet unter diesen Umständen das Ingangsetzen eines großen Flüchtlingstrecks. Es wäre unmenschlich, die Flüchtlinge in ihre zerschossenen und besetzten Heimatorte zurückzuschicken. Ebensowenig wäre zu verantworten, wenn die Rückschie-
*) Anlage 4 **) Anlage 5
bung der kroatischen Flüchtlinge dazu führte, daß die kroatische Regierung ihrerseits bosnische Flüchtlinge loszuwerden sucht, um die kroatischen Flüchtlinge aufnehmen zu können.
Unter diesen Umständen überantwortet die Weigerung des Bundes, finanzielle Hilfen für die Rückkehr von kroatischen Flüchtlingen bereitzustellen, diese und ebenso die bosnischen Flüchtlinge in Kroatien einem völlig ungewissen Schicksal. Eine Rückkehr ist dann verantwortbar, wenn sie nicht nur in sichere Gebiete erfolgt, sondern zugleich mit einer individuellen finanziellen Hilfe, z. B. für eine Existenzgründung, verbunden wird.
Es gibt aber nicht nur die Flüchtlinge aus Kroatien in Deutschland; deshalb bezieht sich unser Antrag auch auf andere Flüchtlingsgruppen aus dem früheren Jugoslawien.
Auf der Bund-Länder-Konferenz der Innenminister ist es wieder zu keiner Einigung über die Anwendung des neuen § 32a AuslG gekommen. Der vage Beschluß einer besseren Verteilung der Kriegsflüchtlinge auf alle Bundesländer ist unzureichend, da der entscheidende Punkt, nämlich die finanzielle Beteiligung des Bundes an der Unterbringung der Flüchtlinge, erneut ausgeklammert wurde. Schon jetzt ist deshalb zu befürchten, daß die Verteilungsverhandlungen im Sande verlaufen werden. Länderegoismen werden wieder vor humanitären Gesichtspunkten rangieren.
Der Aufenthaltsstatus der bosnischen Flüchtlinge bleibt damit weiter ungeklärt. Sie geraten in einen unwürdigen Kreislauf: Erstens werden die bosnischen Flüchtlinge, wenn sie Sozialhilfe beantragen, von den Kommunen in das Asylverfahren gedrängt. Zweitens bedeutet dies ein monatelanges Leben in Gemeinschaftsunterkünften mit sogenannten Essenspaketen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Drittens wird der Asylantrag abgelehnt, was von vornherein feststeht. Viertens wird immer wieder kurzfristig für einige Monate die Duldung ausgesprochen, und fünftens werden die Flüchtlinge nach längerer Zeit wieder an die Kommunen verwiesen.
In diesem Kreislauf bleiben sie, obwohl durch das Kriegsgeschehen und die damit einhergehende ethnische Verfolgung traumatisiert, ohne jegliche psychosoziale Hilfestellung. Die Kinder können keine Schulen besuchen. Menschen, die dringlich so etwas wie einen normalen Alltag brauchen, müssen weiter im ungewissen Dickicht bürokratischer Verwaltung leben.
Wenn schon Europa diesen Krieg nicht beenden kann, genügt es nicht, das Sarajevo-Ultimatum mit seinen Auswirkungen als Erfolg zu feiern, zumal die serbische Aggression an anderen Orten mit großer Heftigkeit fortgesetzt wird. Das Mindeste, was die Bundesrepublik und ganz Europa leisten müssen, ist die humane Aufnahme und Versorgung der bosnischen Flüchtlinge.
Dies bedeutet, wie wir es auch in unserem Antrag vorschlagen: erstens die Schaffung eines klaren aufenthaltsrechtlichen Status in Form der Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen, zweitens die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Unterbringung und
Versorgung, was die psychosoziale Betreuung der traumatisierten Flüchtlinge einschließen muß, und drittens sollte den Bosniern langfristig ein Status eingeräumt werden, der dem der Unionsbürgerschaft entspricht. Diese Menschen haben nämlich keinen Staat mehr, in dem sie sich gefahrlos aufhalten können, und es ist fraglich, ob sie ihn je wieder bekommen werden. Ein erster Schritt hierzu muß sein, die Visumspflicht für bosnische Flüchtlinge aufzuheben.
Lassen Sie mich noch eine Entscheidung besagter Bund-Länder-Innenministerkonferenz ansprechen, die mich empört hat, nämlich den Umgang mit Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern. Der Beschluß der Innenminister, es sollten zunächst Verhandlungen mit der kroatischen Regierung darüber geführt werden, daß Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern nichts geschieht, wenn sie zurückkehren, kommt einer Verhöhnung dieser Flüchtlinge gleich. Es gibt keinerlei Garantie dafür, daß eine solche Zusage eingehalten würde.
Hinzu kommt natürlich, daß es ebenso Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens gibt, speziell aus Restjugoslawien, also Serbien und Montenegro. Dort droht ihnen zehnjährige Haft oder Schlimmeres. Keinen Abschiebeschutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zu gewähren, bedeutet zumindest, diese der Gefahr auszusetzen, als sichere Todeskandidaten an die Front geschickt zu werden.
Nicht umsonst hat deshalb das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 23. Oktober 1993 schon gefordert, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern einen Rechtsstatus zu gewähren, anstatt ihre Deportation in ihr Land zuzulassen.
Auch die Vertreterin des UNHCR in der Bundesrepublik Deutschland hat darauf hingewiesen, daß bei wehrpflichtigen kroatischen Männern ein besonderes Schutzbedürfnis bestehe. Darüber hinaus ist der UNHCR der Auffassung - ich zitiere -,
daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt von Abschiebungen nach Serbien, einschließlich Kosovo, abgesehen werden sollte, insbesondere im Hinblick auf Personen, denen im Herkunftsland ein Verfahren wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion droht.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, daß der Deutsche Bundestag in großer Übereinstimmung, wobei sich die Kolleginnen und Kollegen von der PDS allerdings enthalten hatten, bereits am 10. Dezember 1992 die Bundesregierung aufgefordert hat, Deserteuren aus dem Kosovo und der Vojvodina so lange eine Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik zu gewähren, bis sie nicht mehr mit einem Strafverfahren rechnen müssen.
Trotzdem ist für Kosovo-Albaner die aufenthaltsrechtliche Situation in der Bundesrepublik bis heute völlig ungeklärt, obwohl sie massiver Verfolgung ausgesetzt sind. Selbst das Auswärtige Amt konstatierte mit aller Vorsicht - ich zitiere ein Überziehen staatlicher Gewalt ..., willkürliche Übergriffe und körperliche Mißhandlungen
seitens der Sicherheitsbehörden in zahlreichen
Fällen, ... gewalttätige Exzesse im Polizeigewahrsam.
Einige Verwaltungsgerichte erkennen KosovoAlbaner als asylberechtigt an, andere lehnen Asylgesuche ab. Eine ähnlich unübersichtliche Lage besteht hinsichtlich von Anträgen auf Aussetzung der Abschiebung. Für diese Flüchtlinge muß eine einheitliche Lösung gefunden werden, die ihnen die Ungewißheit nimmt. Dies kann angesichts der Lage im Kosovo nur ein Abschiebestopp sein. Als aufenthaltsrechtlicher Status sollte den Kosovo-Albanern einheitlich die Aufenthaltsbefugnis bewilligt werden.
Ich erinnere nochmals an den eben zitierten Bundestagsbeschluß vom Tag der Menschenrechte 1992. Ich hatte ihn nicht als beliebige Phrase anläßlich eines jährlich wiederkehrenden Rituals verstanden. Wir alle, auch die Bundesregierung, sind uns doch wohl der Situation im Kosovo bewußt, die nicht erst seit neuestem besteht und die sich seit 1989 ständig verschärft hat.
Ich bin mir darüber im klaren, daß in der Regel nicht die Bundesregierung bzw. der Bundesinnenminister über die Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse entscheidet, obwohl § 33 des Ausländergesetzes derartiges ausdrücklich vorsieht. Aber wenn die Bundesregierung sich entschieden für den Abschiebestopp einsetzt und gegebenenfalls den Ländern eine finanzielle Entlastung zusichert, dann kann und wird diesen Flüchtlingen auch geholfen werden.
({0})
Als nächster hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ist nach meinem Dafürhalten in weiten Bereichen durch den Beschluß der IMK vom 9. Februar überholt, zumindest soweit es sich um die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Kroatien handelt.
Ich will vorab ganz allgemein sagen: Bürgerkriegsflüchtlinge können immer nur vorübergehend in der Bundesrepublik Aufnahme finden. Es kann nicht um Aufenthaltsbewilligungen auf Dauer gehen. Deutschland hat wohl derzeit bei sich 300 000 bis 350 000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen. Was die Aufnahme anbelangt, haben wir damit wohl gut das Zehnfache von dem aufgenommen, was andere europäische Länder zusammen geleistet haben. Deshalb ist eine Abschiebung, insbesondere der Kroaten, wie von der IMK beschlossen, notwendig und, ich finde, auch gerechtfertigt, wenn der Bürgerkrieg in den Gegenden, aus denen diese Flüchtlinge stammen, beendet ist.
Ich möchte in dem Zusammenhang ganz kurz darauf verweisen: Das Land Kroatien wirbt, wie ich höre, um Touristen, ist also wohl in der Lage, auch Menschen aufzunehmen, die aus diesem Lande stammen. Letztlich ist auch festzuhalten: Wir müssen aufnahmefähig, auch vor unserer Bevölkerung, bleiben für die, die wirklich in Not sind, und können dann dort, wo bürgerkriegsähnliche Zustände beendet wurden, auch stringenter vorgehen.
Ich möchte noch eines persönlich hinzufügen: Ich halte es nicht für richtig, daß wir in dieser Phase über finanzielle Rückführungsprogramme diskutieren, Herr Kollege, weil ich einfach glaube, Gastfreundschaft ist das eine, und da meine ich, kann sich Deutschland sehen lassen. Es kann aber nicht angehen, daß, wenn eine Gastfreundschaft zu Ende gehen kann und muß, dann noch quasi finanzielle Leistungen dazukommen müssen, um jemanden zu bewegen, wieder in sein Heimatland zurückzugehen. Ich finde, man sollte eher an die Bereitschaft dieser Menschen appellieren, nachdem es zu Hause wieder bergauf gehen soll, am Aufbau ihres Heimatlandes mitzuarbeiten. Ganz anders beurteile ich die Situation natürlich dort, wo die Gegenden zerstört sind, wo Krieg herrscht. Bezüglich der Kosovo-Albaner ist derzeit nicht über eine Abschiebung in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Um was es in den letzten Monaten im Kern ging, waren die Kroaten. Dazu meine ich, habe ich meinen Standpunkt hier sehr deutlich gemacht.
Ich kann Ihren Ausführungen und Ihrem Entschließungsauftrag insoweit auf gar keinen Fall folgen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun hat Frau Kollegin Dr. Sonntag-Wolgast das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Würde man in diesen Tagen und Wochen die Bundesbürger fragen, was denn mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien geschehen soll, die bei uns Hilfe und Aufnahme suchen - ich bin ziemlich sicher, daß eine große Mehrheit sagen würde: Jawohl, die sollen erst einmal alle hierbleiben. Sogar die Scharfmacher an den Stammtischen, die ansonsten gegen sogenannte Überfremdung, gegen Schmarotzertum und Scheinasylanten wettern, kämen vermutlich an einer milden Haltung gegenüber den Opfern des Krieges vor unserer Haustür nicht vorbei, allein schon deshalb, liebe Kollegen und Kolleginnen, weil das schlechte Gewissen und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Mordtaten und Greueln des Balkankonflikts nach Ausgleich verlangt.
Dennoch muß man sagen: Die Thematik taugt nicht für die große pauschale Lösung einer Politik der offenen Arme. Ein Königsweg zeichnet sich ohnehin nicht ab. Notwendig sind vielmehr äußerst differenzierte Schritte und Reaktionen, die dort, wo es möglich und verantwortbar ist, den Flüchtlingen die Rückkehr und auch den Neubeginn ihres Lebens erleichtern, ihnen zugleich auch zumuten, in anderen Fällen den Aufenthalt hier bei uns verlängern.
Die Bundesrepublik - das kam eben schon zur Sprache - hat rund 370 000 Flüchtlinge aufgenommen; das sind mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern. Ich glorifiziere diese Zahl nicht; denn sie erscheint angesichts der Not, angesichts des Elends und des Leides der Vertreibung immer noch dürftig. Deutschland hat mm einmal allein schon aus historischen Gründen eine besondere
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Pflicht zum humanitären Engagement, weil das militärische ausscheidet. Dorthin zurückzukehren, wo Gebiete inzwischen befriedet sind, wo die Kämpfe nicht mehr aufflackern, wo Ansätze zur Normalisierung spürbar sind, können wir Flüchtlingen auf erlegen. Es gehört auch zum Preis der neugewonnenen Souveränität eines Landes, Menschen wieder aufzunehmen, auch unter schwierigen Bedingungen. In anderen Fällen wiederum können wir Abschiebungen nicht zulassen.
Ein Teil des Antrages von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist gewissermaßen durch tätige Reue zumindest teilweise nicht mehr aktuell - Gott sei Dank. Ich meine, wie Sie wissen, die Forderung, die Abschiebung kroatischer Flüchtlinge über den 30. März 1994 hinaus auszusetzen. Das wird jedenfalls für einen Teil der Betroffenen geschehen.
Die SPD-Fraktion hat sofort nach Bekanntwerden der ursprünglichen Beschlüsse der Länderinnenminister Kritik angemeldet und darauf gedrängt, je nach Einzelfall und Lage zu entscheiden und zu gestaffelten Programmen zu kommen. Wir haben uns damals z. B. gegen die Abschiebung in serbisch besetzte Gebiete gewandt. Wir haben auf mögliche Zwangsevakuierungen hingewiesen und die besonderen Probleme bei ethnisch gemischten Ehen genannt. Wir begrüßen, daß sich die Innenminister jetzt auf ein zeitlich gestrecktes und modifiziertes Verfahren verständigt haben. Allerdings kann ich den zuständigen Ministern auch im nachhinein den Vorwurf nicht ersparen, daß sie mit ihrem früheren, undifferenzierten Beschluß eine derartige Aufregung und auch berechtigte Empörung überhaupt erst verursacht haben - unter den Betroffenen wie auch bei allen anderen, denen eine humane und rechtsstaatlich fundierte Flüchtlingspolitik am Herzen liegt. Liebe Kollegen und Kolleginnen, diese Verunsicherung in weiten Teilen der Öffentlichkeit wäre wohl vermeidbar gewesen.
Kein Zweifel darf daran aufkommen, daß der allgemeine Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina aufrechterhalten werden muß.
Etwas anders liegt die Sache bei den Kosovo-Albanern. Daß die Zuwanderung von dort zu uns besonders stark ist, hat nachvollziehbare Ursachen. Es ist seit Jahren ein Spannungsgebiet, strukturell unterentwickelt und fast ohne Zukunftsaussichten für seine Bewohner. Sie sind Repressalien ausgesetzt. Übrigens werden Asylanträge oft anerkannt. Wir verlangen keinen pauschalen Abschiebestopp, aber sehr sorgfältige Einzelfallprüfungen. Sollten die Konflikte freilich zu offenen Konfrontationen führen, stellt sich die Frage nach einem allgemeinen Abschiebestopp neu.
Nun zu unserer Thematik, der Forderung nach einem Bleiberecht für die Kriegsdienstverweigerer und die Deserteure aus dem ehemaligen Jugoslawien. Wir haben umfassende Erkundigungen eingeholt, aus mehreren Quellen, unter anderem auch beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Fahnenflüchtige haben sowohl nach Auskunft des Auswärtigen Amtes als auch des UNHCR bei ihrer Rückkehr in Serbien und Montenegro nicht mit Gefahr für Leib und Leben zu rechnen, wohl aber mit geringfügigen Freiheitsstrafen. Ich will das nicht verniedlichen, aber es erklärt vielleicht, warum die Länderinnenminister einen generellen Abschiebestopp für die serbischen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure zur Zeit nicht vorsehen. Es bleibt aber auch festzuhalten: In jedem Abschiebefall müssen die Betroffenen dennoch Abschiebehindernisse geltend machen können. Die Ausländerbehörden sollten verpflichtet sein, so sorgsam und so umfassend wie nur irgend möglich, ihre Informationen über die jeweilige Situation und die Schicksale zusammenzutragen und zu überprüfen.
Ich will noch eines sagen: Ihre Entscheidung über das weitere Vorgehen gegenüber den kroatischen Flüchtlingen haben die Innenminister bei ihrer Konferenz mit einer Forderung an die Bundesregierung verknüpft, umgehend Gespräche mit der kroatischen Regierung über die Rückführung der Menschen aufzunehmen. Dabei nun soll die Bundesregierung darauf hinwirken, daß Deserteure Straffreiheit genießen und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung beachtet wird. Bis zum 31. März sollen diese Verhandlungen abgeschlossen sein.
Sie können übrigens mit mehr Druck und besseren Erfolgsaussichten geführt werden, wenn die Bundesregierung in der Tat zu finanziellen Hilfen für ein Aufbauprogramm bereit ist. Das muß nicht so kostenträchtig sein, Herr Lintner, wie es uns die Bundesregierung bei ihrer Ablehnung weismachen wollte. Es braucht 30 Millionen DM nicht zu übersteigen und könnte doch wertvolle Hilfe, etwa bei Reparaturen von Häusern, Telefonleitungen und der Ausstattung von Kindergärten, leisten.
Ich muß hier eine letzte Anmerkung anbringen, auch wenn sie allmählich den Charakter der gebetsmühlenhaften Wiederholung annimmt. Wir nehmen die heutige Debatte zu dem Thema erneut zum Anlaß, die Verwirklichung dessen anzumahnen, was nach dem Asylkompromiß vereinbart war, aber immer noch nicht praktiziert wird: Ich meine, den Bürgerkriegsflüchtlingen endlich die Nutzung des entsprechenden Status möglich zu machen. Daß sie weiter in ziemlich aussichtslose Asylverfahren gedrängt werden und daß die Gemeinden ihnen sogar dazu raten müssen, Asylanträge zu stellen, damit die Kosten von den Ländern übernommen werden und nicht die Kasse der Kommunen belasten, ist und bleibt ein Mißstand und eine Mißachtung bundesgesetzlicher Regelungen.
Wir werden nicht aufhören, dieses zu nennen und anzuprangern, bis die Bundesregierung und vor allem die Länder endlich für Abhilfe sorgen. Ich kündige deswegen für meine Fraktion schon jetzt eine parlamentarische Initiative in nächster Zeit an.
Ich danke Ihnen.
({0})
Auch der Redebeitrag der Kollegin Schmalz-Jacobsen ist mit Ihrem Einverständnis zu Protokoll gegeben ). Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
*) Anlage 5
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/6687 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen; die Federführung soll jedoch entgegen dem Überweisungsvorschlag in der Tagesordnung beim Innenausschuß liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 25. Februar 1994, 9 Uhr ein und wünsche Ihnen einen schönen weiteren Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.