Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Einen schönen guten Tag, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: erstens Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes; zweitens Materialien zur Deutschen Einheit und zum Aufbau in den neuen Bundesländern; drittens Agrarbericht 1994. Außerdem hat das Kabinett den Entwurf des Postneuordnungsgesetzes beschlossen.
Das Wort für den einleitenden Bericht zum Gesetzesentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Dr. Rainer Ortleb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie angekündigt, hat sich das Kabinett heute mit dem 17. Änderungsgesetz des BAföG befaßt. In Anbetracht dessen, daß schon im Vorfeld der heutigen Kabinettbefassung den Inhalt der eigentlichen Novelle zum Teil sehr entstellende Berichte umgelaufen sind, halte ich es für notwendig, insbesondere klarzustellen, womit sich diese Novelle befaßt.
Das ist erstens: Die Sozialpauschalen sollen entsprechend den Veränderungen bei den Beitragssätzen für Sozialversicherung, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung angehoben werden, damit bei der BAföG-Berechnung nach wie vor von realistischen Einkommensverhältnissen ausgegangen wird.
Zweitens. Die Förderung von Studierenden, die über berufliche Ausbildung zum Studium gekommen sind, soll auch über eine Altersgrenze von 30 Jahren hinaus möglich sein.
Drittens. Die Einkommensfreibeträge für Alleinerziehende, die für die Rückzahlung der als Darlehen geleisteten Förderung maßgebend sind, sollen verbessert werden.
Es wurde allerdings auch festgelegt, daß es zu keiner Anpassung des BAföG im Zeitraum 1994 bis 1996 kommt. Das heißt, BAföG bleibt bei den Beträgen, die bisher festgelegt worden sind.
Letztlich möchte ich noch darauf hinweisen, daß es Diskussionen um die Frage gegeben hat, einen Studienstandsnachweis nach dem zweiten Semester zu fordern. Es ist ausdrücklich von der Formulierung „üblicher Studienstand" ausgegangen worden, weil man sich durchaus dessen bewußt ist, daß es technische Schwierigkeiten bei der Durchführung von Prüfungen im eigentlichen Sinne geben kann. Dem wird weitgehend Rechnung getragen. Zum anderen sollen aber Konsequenzen daraus gezogen werden, daß beim jetzt schon geforderten Leistungsnachweis nach dem 4. Semester 25 % der Studenten, die bis dahin auch gefördert worden sind, nicht mehr antreten.
Ich möchte insgesamt jedoch auf die Bilanz von BAföG hinweisen, da ungerechtfertigt Zusammenhänge zwischen beabsichtigter Hochschulreform und der 17. BAföG-Novelle gesehen wurden. Das sind zweierlei Dinge. Die Vorstellungen, die zwischen Bund und Ländern dazu erarbeitet worden sind, wie eine Hochschullandschaft in Deutschland in den nächsten Jahren aussehen sollte, umreißen wesentlich weiter reichende Ziele und Reizworte aus anderen Papieren, deren sachgerechte Verwendung ich hier gar nicht erst debattieren will, weil heute nicht die Hochschulreform, sondern die 17. BAföG-Novelle Thema des Berichtes ist. Sie kommen in dieser 17. Novelle nicht vor, können demzufolge auch kein Ausgangspunkt für Protest gegen die 17. Novelle sein.
Außerdem bitte ich noch zur Kenntnis zu nehmen, daß wir in meiner Amtszeit neben der 17. BAföG-Novelle auch die 14., 15. und 16. verabschiedet haben. Diese weisen deutliche Leistungsverbesserungen auf, die man anläßlich der 17. Novelle nicht als ungeschehen hinwegreden darf. Sie gehören zur Gesamtarchitektur des BAföG.
Ich danke.
Herzlichen Dank, Herr Minister.
Wir haben jetzt erst einmal Fragen zu diesem Bericht, dann zu den anderen Themen der Kabinettssitzung, anschließend gegebenenfalls freie Fragen.
Als erste hat sich die Kollegin Doris Odendahl gemeldet.
Herr Minister, ich bin gerne bereit, mich auch in meiner Frage auf das Wesentliche der Beschlüsse zu beschränken. Es heißt im Bericht der Bundesregierung nach § 35, daß nach den beiden Kriterien der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Veränderung der Lebenshaltungskosten eine Anpassung der Bedarfssätze um mindestens 6 % zum Herbst 1994 und eine Anpassung der Freibeträge um 3 % jeweils zum Herbst 1994 und Herbst 1995 angemessen wäre. Meine Frage: Wie viele Studierende und geförderte Schüler in den alten bzw. in den neuen Ländern werden voraussichtlich 1994 und 1995 aus der sogenannten Teilförderung herausfallen, wenn in diesem Zeitraum keine entsprechende Anpassung der Freibeträge von Elterneinkommen bzw. Einkommen der Auszubildenden erfolgt? Ich gehe davon aus, daß sich das Kabinett bei dieser Beratung natürlich auch entsprechende Zahlen erarbeitet hat.
Zum ersten Teil der Frage, der Einschätzung, daß 6 % eine angemessene Aufstockung wäre, und der Tatsache, daß sie nicht erfolgt, muß man feststellen, daß bereits im Zusammenhang mit den Sparmaßnahmen der Regierung festgelegt worden war, daß eine Anpassung 1994 bis 1996 auszusetzen ist. Ich hielt es aber für einen Akt der öffentlichen Fairneß, trotzdem einen entsprechenden Bericht erarbeiten zu lassen, damit man auch weiß, wovon man redet. Daß die Situation des Haushalts des Bundes in diesem Jahr keine Möglichkeit gegeben hat, hier die entsprechende Aufstockung durchzuführen, bleibt eine unüberwindbare Tatsache.
Zur zweiten Frage, die Sie stellten: Ich gehe davon aus, daß es bei der geltenden gesetzlichen Lage hinsichtlich des Mittelbedarfs insgesamt zu höheren Aufwendungen für das BAföG kommt. Die Mehraufwendungen für die Novelle liegen, wenn wir Bund und Länder zusammensehen, bei 75 Millionen DM 1995 und bei 30 Millionen DM 1994. Das heißt also, daß es trotzdem, wenn man nach den bisherigen Förderkriterien geht, zu höheren Ausgaben kommt - natürlich nicht im Sinne einer 6 %igen Anpassung. Daß es generell erhebliche Rückgänge im Förderungssystem gibt, bezweifle ich in diesem Zusammenhang.
Eine weitere Frage der Kollegin Doris Odendahl.
Herr Minister, ich möchte jetzt nicht von „Auswüchsen" sprechen, wie Sie das getan haben. Aber eines interessiert mich doch: Welche Erwartungen setzt denn die Bundesregierung in die Reaktion der betroffenen Auszubildenden und ihrer Eltern? Setzt sie dabei insbesondere auf den Verzicht auf weiterführende Bildung, auf noch zunehmende Erwerbstätigkeit - wenn überhaupt Möglichkeiten bestehen; die Möglichkeiten nehmen ja ab - der Studierenden während des Studiums oder auch noch auf eine zunehmende private Verschuldung derer, die das aus eigenen Mitteln derzeit nicht bestreiten können?
Zunächst: Wenn Sie das Wort „Auswüchse" zitieren, dann kann es sich nur um einen Versprecher gehandelt haben. Ich habe sicherlich Aufwüchse gemeint, wenn es um die Anpassung ging. Ich bitte das zu entschuldigen.
Zweitens. Ich gehe nicht davon aus, daß damit maßgebliche Bildungsbarrieren geschaffen worden sind. Es wäre nicht angemessen, wenn es bei der Diskussion um eine sparsame Haushaltsführung, dazu kommt - ich zitiere jetzt den Ehrenvorsitzenden meiner Partei -, daß wir alle davon reden, der Gürtel muß enger geschnallt werden, aber dabei am Gürtel des anderen zu fummeln beginnen. Hier will ich ausdrücklich noch einmal betonen, daß eine Nichterhöhung nicht einer Kürzung gleichgesetzt werden kann.
Keine weitere Frage mehr? - Dann kommt der Kollege Dr. Dietmar Keller.
Herr Minister, in Ihrer Presseerklärung vom 28. Januar 1994 haben Sie davon gesprochen, daß der Leistungsnachweis eingeführt werden soll, weil 25 % der Geförderten ihn nach dem 4. Semester nicht erbracht haben. Nun werden 28 % der 1,8 Millionen Studenten nach dem BAföG gefördert, d. h. 25 % dieser 28 % sind 7 % der Studenten. Meine Frage lautet: Ist der Leistungsnachweis wegen dieser 7 % der Studenten eingeführt worden?
Man muß hier die prinzipielle Frage sehen. Ich halte es für günstiger, wenn ein Studium von vornherein leistungsorientierter durchgeführt wird. Dazu gehört auch, daß man Leistungsnachweise erbringt. Aus meiner Sicht ist es, auch im Sinne einer Gleichstellung, natürlich günstiger, wenn generell im Studium eine Leistungsorientierung existiert. Der Leistungsnachweis dient dem Studenten auch dazu, rechtzeitig zu erkennen, ob das Studienfach für ihn geeignet und das richtige ist. Das sollte so gelten. Daß sich die Diskussion jetzt auf die Leistungsnachweise im BAföG reduziert, liegt daran, daß wir in der Realisierung der allgemeinen Hochschulreform noch nicht weitergekommen sind.
Nun eine weitere Frage des Kollegen Keller.
Herr Minister, dann müssen Sie davon ausgegangen sein, daß es sich bei den 7 % um diejenigen handelt, die am förderungswürdigsten sind, weil diese ganz offensichtlich zu den 12 % Arbeiterkindern gehören und nicht zu den 60 % Beamtenkindern. Halten Sie es für sozial verträglich, daß diejenigen, die am meisten gefördert werden müssen, die aber in der Regel jobben und Nebenverdienste erwerben müssen, um ihr Studium zu gewährleisten, durch diese Entscheidung am härtesten getroffen werden?
Ich bin nicht von Ihrem Zahlenbeispiel, sondern auf Grund von Erhebungen davon ausgegangen, daß das Leistungsbewußtsein durchaus auch bei
den BaföG-Geförderten und insbesondere bei den Vollgeförderten vorhanden ist. Mir kam es auch darauf an, Vorurteilen hinsichtlich eines latenten Mißbrauchs durch BaföG-Bezieher dadurch zu begegnen, daß man insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit argumentieren kann, das Gesetz verhindere den Mißbrauch und schütze damit auch diejenigen, die keinen Mißbrauch treiben.
Nun kommt der Kollege Dr. Peter Eckardt.
Herr Minister, ich habe eine bescheidene Nachfrage zu dem, was Herr Keller gefragt hat. Wie schätzen Sie eigentlich die hochschul- und bildungspolitischen Folgen ein, die durch einen zusätzlichen Leistungsnachweis nach dem 2. Semester auftreten, wenn wir - worüber wir uns alle einig sind - die Hochschulen auch für begabte Berufstätige öffnen? Ich denke, daß ist die allgemeine Meinung.
Wenn wir uns darauf einigen können, nicht die als Terminus technicus festgelegte Formulierung Leistungsnachweis" zu verwenden, sondern die tatsächliche Formulierung „den Nachweis des üblichen Studienstandes", kann man auch für die Studenten, die über eine berufliche Ausbildung in die Hochschule gelangt sind, entsprechend zertifizieren, ob sie den üblichen Studienstand unter diesen Bedingungen erreicht haben.
Herr Minister, ich habe eine noch bescheidenere Nachfrage: Imponiert Ihnen oder macht die ablehnende Reaktion in der Öffentlichkeit und in der veröffentlichten Meinung all derjenigen, die von Hochschulpolitik ein wenig Ahnung haben, auf Sie zumindest Eindruck?
Natürlich macht es Eindruck auf mich und bestärkt mich darin, daß es notwendig ist, die Hochschulreform komplex anzugehen und zu verhindern, daß einige Schlagzeilen aus den Gesamtprogrammen herausgegriffen werden. Es kommt darauf an, die Sache komplex zu sehen. Dazu gehört es z. B., das Eckwertepapier in seiner Gänze zu lesen und nicht nur darin nach unliebsamen Stichworten zu suchen.
Nun kommt der Kollege Otto Schily.
Herr Minister, gehört es nach Meinung der Bundesregierung auch zu den Bildungsaufgaben, daß die Auszubildenden über die klare Abgrenzung verfassungsrechtlicher Zuständigkeiten informiert werden?
Das halte ich für außerordentlich erforderlich, insbesondere auch im Zusammenhang damit, daß wir am Freitag eine einschlägige Diskussion zu den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission haben. Aus diesem Grunde finde ich gerade eine Vermischung nicht gut, die darin besteht, daß wir gelegentlich den Schwarzen Peter über die von Bund und Ländern zu erbringenden Leistungen hin- und herschieben. Es befremdet mich z. B. auch, daß sich - ich möchte wissen, was geschehen würde, wenn ich das täte -, wenn es um eine Angelegenheit geht, die von Bundesseite zu verantworten ist, Landesminister in die Demonstranten einreihen. Ich müßte daraus schließen, daß ich das das nächste Mal ebenfalls tun müßte. Daher meine ich, jeder muß seiner eigenen Verantwortung dort gerecht werden.
Zu einer Nachfrage Herr Abgeordneter Schily.
Herr Bundesminister, sorgt die Bundesregierung im Sinne Ihrer Ausführungen auch dafür, daß im Rahmen der staatspolitischen Ausbildung Klarheit darüber geschaffen wird, daß für die Festlegung des Termins der Bundestagswahl der Bundespräsident zuständig ist?
Ich glaube, daß Sie mit Ihrer Frage das von mir heute zu verantwortende Thema - 17. BAföG-Änderungsgesetz - deutlich überstrapazieren.
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Ihre Frage, Herr Kollege Schily, hätte eher zu dem Komplex „freie Fragen" gehört.
Nun stellt Kollege Eckart Kuhlwein eine Frage.
Herr Bundesminister, ich habe eine Frage zu den von Ihnen nachgefragten weiteren Leistungsnachweisen, die künftig von denen, die BAföG weiter beziehen wollen, nach zwei Semestern erbracht werden sollen. Haben Sie eigentlich schon einmal Überlegungen angestellt, wer diese Leistungsnachweise organisieren soll, wie die ohnehin überlasteten Hochschullehrer noch zusätzliche Prüfungen abnehmen sollen, was diese zusätzlichen Zwischenprüfungen kosten und welche Aussagefähigkeit solche Prüfungen über den möglichen Studienerfolg nach zwei Semestern haben können?
Im letzten Teil Ihrer Frage ist der Aufhänger dafür gegeben, in folgendem Sinne nachzudenken: Ist es nicht schlimm, daß es an unseren Hochschulen ein Problem ist, nach zwei Semestern beurteilen zu können, ob ein Studium für einen Studenten Chancen hat oder nicht?
Ich schlage vor, daß die erste Nachfrage gestellt werden kann, ohne daß ich mich einschalte. Ich habe den Überblick, ob zwei oder drei Fragen gestellt werden, und werde gegebenenfalls bremsen.
Sie haben also eine Nachfrage, Herr Kuhlwein.
Herr Bundesminister, können Sie sich vorstellen, daß es Studierende gibt, die das erste und vielleicht auch das zweite Semester dazu nutzen, sich allseitig zu informieren,
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den geistigen Horizont zu erweitern und trotzdem fachspezifisch die ersten Schritte zu tun? Oder wollen Sie aus den Universitäten künftig auch in den ersten beiden Semestern Schulen machen?
Ich glaube nicht, daß es gegen das Interesse des Studenten läuft, wenn er die Wahl zwischen einer beratenden Führung durch Fachexperten seines Studienfachs und der Möglichkeit hat, sich in Eigenverantwortung auf eigene Entscheidungen zu verlassen. Sollte er hierzu persönlich in der Lage sein, dann sollte ihn niemand daran hindern. Daß dann aber andere nachfragen, ob er das Leistungsprofil und die nötigen Vorkenntnisse in seinem Fachgebiet mitbringt, das sollte dann ebenfalls akzeptiert werden.
Sie drängen mich wieder zu dem anderen Komplex, der heute eigentlich nicht hierher gehört: Fragen der gesamten Hochschulreform. Wie Sie wissen, plädiere ich eindeutig dafür, daß vor dem Studium eine Beratung stattfindet und in den Anfangsphasen des Studiums ebenso.
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- Man sollte es aber sagen können.
Nun kommt Kollege Günter Rixe.
Herr Minister, der Präsident des Deutschen Studentenwerks hat der Bundesregierung vor ein paar Tagen Vertrauensbruch vorgeworfen. Er hat gesagt, mit der Rückführung des Volldarlehens auf 50 % würden die geförderten Studenten die BAföG-Finanzierung langfristig mitsichern. Jetzt frage ich Sie: Wie sind denn die Rückführungen in den Jahren 1993, 1994 und 1995 bzw. wie schätzen Sie sie ein, und wie wird dieses Geld zur Sicherung von BAföG - genauer gesagt: zur Verbesserung von BAföG - eingesetzt?
In Anbetracht dessen, daß von 1989 bis heute die Zahl der durch BAföG geförderten Studierenden auf 450 000 gestiegen ist und daß lediglich dort Rückgänge zu verzeichnen sind, wo die Einkommenslage das tatsächlich rechtfertigt, glaube ich, daß von einem Vertrauensbruch nicht geredet werden kann. Ich sehe die Formulierung vor allem bezogen darauf, daß man aus der Notwendigkeit, auf Grund des § 35 alle zwei Jahre über die Bemessung von BAföG nachzudenken, nicht auf eine Anpassungsgarantie schließen darf. So weit kann die Freiheit der Entscheidung einer verantwortlichen Regierung nicht beschränkt werden.
Ich habe noch eine Frage: Wie beurteilen denn Sie als Bildungsminister Äußerungen von anderen Regierungsmitgliedern, die sagen, in dieser Situation könnten wir uns auch vorstellen - das müssen wir sogar -, wieder auf Volldarlehen umzusteigen?
Ich halte das im gegenwärtigen Zeitpunkt, auch von der Sache her, nicht für zweckmäßig, weil sich jeder denken kann, wann die Rückzahlungen aus einem Volldarlehen wirksam werden könnten. Niemand darf so pessimistisch sein, daß wir niemals aus der Rezession herauskommen, so daß wir diesen Schritt meiner Ansicht nach nicht nötig haben.
Nun hat der Kollege Waldburg-Zeil das Wort.
Herr Bundesminister, wie beurteilen Sie die Kritik an einer Nichtanpassung - eine solche Nichtanpassung hat es in der sozialliberalen Koalition übrigens mehrfach gegeben - bei einem Vergleich der Stellung der Studenten mit der Stellung von jungen,
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aus der beruflichen Bildung kommenden Leuten - Handwerkern z. B. - die eine Meisterprüfung machen wollen,
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und der Konditionen, die ihnen eingeräumt werden?
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Ich bewundere in diesem Zusammenhang die Geduld des von Ihnen angesprochenen Personenkreises, Graf Waldburg; denn als im Arbeitsförderungsgesetz die Meisterförderung wegfiel, gab es keinen Protest in dieser massiven Form.
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- Herr Kuhlwein, „in dieser Form" habe ich bewußt gesagt. Es gab keine Demonstrationen von Meisteranwärtern, um das hier einmal beispielsweise zu nennen.
Ich möchte die Frage hypothetisch stellen: Was würde wohl geschehen, wenn ich heute an dieser Stelle verkündete, BAföG ist abgeschafft, für Studenten gibt es die Möglichkeit, ein günstig verzinsliches Darlehen - 4 % - aufzunehmen? Meine Damen und Herren, Sie können sich vorstellen, was dann passieren würde. Deshalb sollten wir über die Begriffe von Gleichwertigkeit beider Zweige eines beruflichen Lebens erneut nachdenken.
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Ich darf zur Geschäftslage folgendes sagen. Ich habe zu dem ersten Thema, also zu BAföG, noch die Wortmeldungen von dem Kollegen Vergin, dem Kollegen Kubatschka, dem Kollegen Hansen und dem Kollegen Stephan Hilsberg. Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich damit diesen ersten Themenkomplex abschließen.
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Außerdem habe ich noch Wortmeldungen zum dritten Thema, nämlich zum Agrarbericht. Dann können noch ein paar freie Fragen gestellt werden, falls solche vorhanden sind.
Jetzt hat das Wort der Kollege Vergin.
Herr Minister, das BAföG war ja ursprünglich als ein Sozialleistungsgesetz eingeführt worden. Teilen Sie die Auffassung, daß - wie das in der Presse, wie es in Kommentaren ja immer wieder zum Ausdruck kommt und wie ich das auch beurteile - durch die geplante BAföG-Novelle mit den beschlossenen Maßnahmen einseitig die Einkommensschwächeren erfaßt werden und daß damit auch das Prinzip der Chancengleichheit, das ja mit BAföG hergestellt werden sollte bzw. dem man sich damit annähern wollte, aufgelöst wird?
Sie haben recht darin, daß natürlich jede Form von Sozialleistung die sozial Bedürftigen besonders angeht und damit jede Regelung dazu einseitig die betrifft, die von solchen sozialen Leistungen Gebrauch machen müssen. Was ich dabei insbesondere bedauere, ist, daß wir damit Bildung als leistungsorientierten Raum für die, die die Förderung des Staates benötigen, deutlich festschreiben, ohne es für den Rest zu tun.
Ich meine, daß man alles dafür tun sollte, deutlich zu machen, daß Bildung und Leistungsorientierung zusammengehören, zumal wir in der Zukunft mehr und mehr dahin kommen müssen, daß die Erstausbildung die Strategie des Bildungserwerbs vermittelt. Das Leben fordert ohnehin, daß der Beruf, übertrieben ausgesprochen, tagtäglich neu zu erlernen ist.
Eine Nachfrage. Ich habe gesagt, Sie dürfen gleich selber das Wort nehmen, Herr Kollege.
Sie haben gerade den Leistungskomplex angesprochen, uns aber vor einigen Minuten gemahnt, nicht vom Leistungsnachweis, sondern vom Studienstandsnachweis zu sprechen, wie es im Gesetz stehen würde. Ich bitte Sie daher, dem Hohen Haus doch einmal die Kriterien für diesen sogenannten Studienstandsnachweis zu erläutern, damit ich endlich begreife, wo der Unterschied zwischen dem liegt, was von uns als Leistungsnachweis definiert wird, und dem, was von Ihnen als Studienstandsnachweis eingefordert wird.
Dies spielt insbesondere in Fächern eine Rolle, in denen in den Prüfungsordnungen keine entsprechenden Nachweise gefordert werden, die man für diesen Studienstandsnachweis verwenden könnte. Dort bleibt nichts anderes übrig, als an die Hilfsbereitschaft der in diesen Fachrichtungen tätigen Hochschullehrer vor Ort zu appellieren. Man kann nichts anderes tun, als mit einem Gesetz eine Vorgabe zu machen. Gerade durch die weichere Formulierung, „einen entsprechenden Studienstand nachzuweisen", soll den in der Praxis unterschiedlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden. Damit soll auch, soweit das möglich ist, der Gefahr einer Bürokratisierung vorgebeugt werden.
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- Moment, Herr Kuhlwein.
Ich bitte Sie noch einmal, sich daran zu erinnern, daß ich in verschieden verpackter Form im Zuge der Beantwortung der Fragen heute schon darauf hingewiesen habe, daß man das Problem, wie unsere Hochschulen in Zukunft aussehen sollen, eigentlich nur komplex sehen und lösen kann. Ich wünsche mir, daß das ohne Verzögerung geschieht.
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Jetzt hat Kollege Horst Kubatschka das Wort.
Herr Minister, wenn man bei Ihren Ausführungen zwischen den Zeilen liest, ist klar, Sie führen einen sozialen Numerus clausus ein. Auf der einen Seite wollen Sie eine Verkürzung der Studienzeiten, auf der anderen Seite frieren Sie das BAföG ein. Studenten und Studentinnen sind also gezwungen, arbeiten zu gehen, um ihren Lebensstandard einigermaßen aufrechtzuerhalten. Ist diese Maßnahme nicht kontraproduktiv, und wird es nicht zu einer Verlängerung der Studienzeiten kommen?
Die Philosophie der jetzigen BAföG-Änderung ist nur tragbar, wenn man zugleich hartnäckig und nachhaltig die Mechanismen des Studiums hinterfragt, prüft und gegebenenfalls ändert. Ich bleibe dabei, daß der Kern einer Hochschulreform nur sein kann, das Studium in der Regelstudienzeit studierbar zu machen. Das ist eine eindeutige Forderung an die Verantwortlichen vom Bund bis zur Hochschule selbst. Ich möchte dies auch nicht losgelöst sehen.
Ich kann nicht heute davon sprechen, daß eine Maßnahme durchgeführt worden ist, ohne daß die andere bedacht wurde. Sie wissen, daß bei den Gesprächen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder festgelegt worden ist, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die sich mit den vom Bund her möglichen rahmenrechtlichen Regelungen befaßt. Es wird nach wie vor angemahnt, daß die Länder entsprechende gesetzliche Regelungen formulieren. Übrigens tun das einige Länder sogar.
Nun Kollege Dirk Hansen.
Herr Minister, wie erklären Sie sich, daß die beiden eingangs Ihrer Erklärung dargelegten Punkte, d. h. die Steigerung des Lebenshaltungsindex, bezogen auf das BAföG, und auch die Nichtkappung bzw. das Weiterführen über die Altersgrenze von 30 hinaus, sowohl in der öffentlichen Diskussion in den letzten Tagen überhaupt nicht zum Tragen gekommen sind als auch offensichtlich in Reihen der Opposition, wie gerade eben durch die letzte Nachfrage erkennbar, durch die Verwendung
wie sozialer Numerus clausus schlicht und einfach ignoriert oder geradezu pervertiert werden?
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Herr Vergin, in welchem Zusammenhang ich die Benachteiligung gesehen habe, sollte man gegebenenfalls noch einmal aufarbeiten.
Zur Frage von Herrn Hansen muß ich sagen, ich bedauere natürlich, daß ich mit mindestens vier hanebüchenen Falschmeldungen zu diesem Sachverhalt konfrontiert worden bin. Wenn es offenbar nicht einmal mehr funktioniert, ein relativ lesbares Papier in der Öffentlichkeit so wiederzugeben, daß man es auch wiedererkennt, dann verstehe ich auch völlig, daß z. B. das Eckwertepapier mit dem Eckdatenpapier von Nordrhein-Westfalen verwechselt wird und daß man eigentlich gar nicht genau weiß, was darin steht.
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Eine Nachfrage.
Herr Minister, es ist ja mehrfach angesprochen worden - das ist auch auf allen Seiten erkennbar-, daß der Bundesbildungsminister für die unmittelbare Studienreform, d. h. dafür, beispielsweise auch den Studienstand im zweiten, vierten oder letzten Semester zu beurteilen, nicht zuständig ist. Gleichwohl frage ich Sie: Wie beurteilen Sie als Bundesbildungsminister die Zusammenarbeit mit den Ländern - das sind ja die Verantwortlichen - und den Hochschulen selber - da doch alle von der „Autonomie der Hochschulen" zunehmend überzeugt sind -, um nunmehr auch tatsächlich auf den Weg dahin zu kommen, daß der Studienstand und auch die Studienorientierung - das sage ich an die Adresse des Kollegen Kuhlwein - in den ersten Semestern verbessert werden,
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um von daher den Studierenden die Chance zu geben, sich selber dahin gehend einzuordnen, wo sie im ersten, im zweiten und in folgenden Semestern stehen?
Dr. Rainer Ortleb, Bundesminster für Bildung und Wissenschaft: Erfreulicherweise ist, glaube ich, zwischen Hochschulen und Ländern einerseits und Bund andererseits ein erheblicher Fortschritt in der Übereinstimmung bei der grundsätzlichen Zielstellung eingetreten. Ich merke das - einigen Kollegen hier ist das ja bekannt - bei meinen Besuchen von Universitäten und Fachhochschulen, die ich im übrigen mehr oder weniger flächendeckend durchzuführen versuche. Bei den dortigen Gesprächen fällt mir auf, daß die Bereitschaft von für die Hochschullehre Verantwortlichen und der Studierenden selbst, aus der Misere herauszukommen, vorhanden ist und daß man auch bereit ist, ein auf Berufsziele hin orientiertes Studium zu akzeptieren, was die eigentliche Voraussetzung dafür ist, daß man sowohl helfend wie auch beratend, und zwar auch durch gute Gestaltung des Studiums, entsprechende Angebote machen kann.
Als letzter zu diesem Themenkomplex der Kollege Stephan Hilsberg.
Herr Bundesminister, die vorgesehene Streckung des Anpassungszeitraums in der 17. BAföG-Novelle führt zu einer realen Senkung des BAföG. Ist es Ihre Absicht, über diese Realsenkung des BAföG die Studierendenquote zu senken, und führt dies nicht genau zu dem von Herrn Kubatschka angesprochenen sozialen Numerus clausus?
Das ist nicht meine Absicht.
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Eine Nachfrage des Kollegen Hilsberg.
Sind Sie sich bewußt, daß die ostdeutschen Studenten durch die 17. BAföG-Novelle in doppelter Weise benachteiligt werden, und zwar zum einen durch die geringere Erhöhung, wie es bei den westdeutschen Kollegen auch der Fall ist, und zum zweiten durch die Fortwirkung der Sonderregelung, was die Bewilligungsgrundlage für die Höhe des BAföG betrifft, und wie wollen Sie verhindern, daß sich die ostdeutschen Studenten an dieser Stelle als Studenten zweiter Klasse fühlen müssen?
Beim Thema „Studenten in den neuen Bundesländern" stelle ich bemerkenswerterweise fest, daß es offensichtlich schwierig ist, diesen Studenten die Protesthaltung gegen Reformbestrebungen auch der Bundesregierung zu vermitteln. Ich beobachte eher: Die Studenten an den ostdeutschen Universitäten sind sich relativ sicher, daß man ein Studium in der Regelstudienzeit absolvieren kann, und sie sehen deshalb in der entsprechenden Forderung auch keinen Einschnitt in das Studium.
Daß man daraus schließen könnte, wir würden gerade die ostdeutschen Studenten benachteiligen, stelle ich in Abrede. Der Grundbedarf ist in gleicher Höhe festgesetzt worden. Unterschiede, die es bei den Mieten gibt, werden durch Härteregelungen weitestgehend ausgeglichen. Sie können versichert sein, daß gerade ich, der ich ja selber Ostdeutscher bin, eine völlige Gleichstellung im Sinne eines einheitlichen Deutschlands natürlich als vorrangig und wichtig ansehe. Nur, eine Klassifizierung in dem Sinne, man hätte sie besonders getroffen, muß ich aus realer Beurteilung der Sachlage in der Tat bestreiten.
Wir kommen dann zum zweiten Themenkomplex, nämlich zu den Materialien zur deutschen Einheit und zum Aufbau in den neuen Bundesländern.
Dazu hat sich der Kollege Hinrich Kuessner gemeldet.
Ich habe zunächst eine allgemeine Frage. Hat die Bundesregierung vor, eine Analyse über Schwachstellen beim Aufbau in den neuen Ländern vorzulegen?
Herr Kollege, das ist u. a. Gegenstand dieses Berichts, des Materialbandes, und seiner Bewertung.
Hat die Bundesregierung irgendwann einmal verfassungsrechtlich geprüft, ob der Bund allein über die 93 000 Liegenschaften verfügen kann, über die die TLG jetzt verfügt?
Die verfassungsrechtliche Prüfung steht nicht im Mittelpunkt, sondern im Mittelpunkt dieses Berichts stehen die Materialien über das Geschehen in den östlichen Bundesländern; darunter sind sicher auch Fragen, die mit dem immobilen Vermögen des Bundes zusammenhängen.
Das heißt, daß es nicht geprüft ist?
Die verfassungsrechtliche Seite ist inzidenter enthalten, aber nicht ausdrücklich geprüft.
Zu diesem Themenkomplex liegen mir keine weiteren Fragen vor. Dann kommen wir zu dem dritten Themenkomplex, nämlich dem Agrarbericht. Dazu liegen mir vier Wortmeldungen vor - die werden wir hoffentlich noch schaffen -, nämlich von den Kollegen Hornung, Susset, Sielaff und Schumann.
Sehr geehrter Herr Bundesminister, der Agrarbericht 1994 weist in seiner Gesamtheit ein Bild auf, das sicherlich die schwierigen Verhältnisse der Landwirtschaft widerspiegelt; aber er ist auch sehr differenziert zu sehen. Können Sie bestätigen, daß die konsequente Politik der Bundesregierung bei der Milchmengenregelung und damit bei der Stabilisierung in marktkonforme Größenordnungen das positivste Bild darstellt und damit zeigt, daß die Politik der Bundesregierung in diesem agrarpolitischen Bereich richtig ist?
Herr Kollege, ich kann das bestätigen. Die Einkommensentwicklung im Wirtschaftsjahr 1992/93 ist regional, aber auch nach der Produktionsausrichtung der Betriebe sehr unterschiedlich. Die Bereiche mit hohem Anteil an Futterbaubetrieben und damit auch Milchproduktionsbetrieben - das betrifft vor allem den süddeutschen Raum - sind diejenigen, die in diesem Jahr noch am besten abschneiden. Das zeigt, daß in diesem Bereich die Politik der Mengenbegrenzung und der Preisstabilisierung einen positiven Effekt auf die Einkommensentwicklung hat.
Nun der Kollege Susset.
Herr Bundesminister, nachdem die Einkommen in der Landwirtschaft insgesamt zurückgingen, wäre es interessant, doch einmal zu erfahren: Wie hätten sich die Einkommen der Landwirte in Westdeutschland ohne den soziostrukturellen Einkommensausgleich, für den ja Bund und Länder teilweise bezahlt haben, entwickelt, und wie hätten sich die Einkommen in den neuen Bundesländern entwickelt, wenn die auf den Arbeitskräftebedarf abgestellten Ausgleichszahlungen nicht geleistet worden wären? Wir wissen ja, daß uns die Opposition hier immer wieder der Förderung nach dem Gießkannenprinzip bezichtigt hat. Wie wären die Einkommen ohne diese „Gießkannenförderung" gewesen?
Herr Kollege Susset, die Einkommensentwicklung 1992/93, aber auch die Vorschätzung für 1993/94 zeigen, wie wichtig es ist, daß in dieser schwierigen Anpassungsphase die direkt einkommenswirksamen Zahlungen des Bundes und der Länder aufrechterhalten werden. Ohne den soziostrukturellen Einkommensausgleich von Bund und Ländern wäre die Einkommensentwicklung im Wirtschaftsjahr 1992/93 sehr viel negativer gewesen. Dies zeigt sich zum Teil auch an der Vorschätzung für 1993/94, wo ein Teil des zu erwartenden Rückgangs darauf zurückzuführen ist, daß der soziostrukturelle Einkommensausgleich von 5 auf 3 % gekürzt worden ist, und zu einem Teil auch darauf zurückzuführen ist, daß die Bundesländer ihren Anteil nicht mehr auszahlen.
Auch in den neuen Bundesländern trägt die Anpassungshilfe wesentlich zur Stabilisierung der Betriebe und zur Einkommensentwicklung bei. Ohne die Anpassungshilfe wäre auch hier die Einkommensentwicklung sehr viel schwieriger. Damit wäre der Aufbau der Betriebe in den neuen Bundesländern gefährdet gewesen.
Als nächstes der Kollege Horst Sielaff.
Herr Bundesminister, nach diesem Agrarbericht lagen die Gewinne in allen Betrieben der alten Bundesländer unter denen des Vorjahres. Meine Frage: Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus diesem Bericht, gerade angesichts der Tatsache, daß Sie in diesem Haushalt 1994 fast 187 Millionen DM zusätzlich kürzen müssen, ziehen? Wo werden Sie die Schwerpunkte der Kürzungen setzen, und wann ist mit Entscheidungen zu rechnen?
Herr Kollege Sielaff, wo die Schwerpunkte der Kürzungen sind, kann ich Ihnen heute noch nicht sagen. Wir beraten hier noch innerhalb des Hauses und werden dies dann mit dem Finanzminister abstimmen. Der Finanzminister hat den Ressorts mitgeteilt, daß die Abstimmung bis Mitte März erfolgt sein soll. Ich denke, wir werden dies in den nächsten Wochen auch im Hause und in den Gesprächen mit dem Finanzministerium abschließen können.
Die Konsequenz aus dem Agrarbericht, der die Entwicklung 1992/93 wiedergibt, muß, glaube ich, auf der einen Seite sein, daß wir den Weg weitergehen, die Mengen zu begrenzen, urn eine positive Preisentwicklung insgesamt möglich zu machen. Zweitens muß die Konsequenz darin bestehen, die Landwirtschaft insgesamt in ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Binnenmarkt zu stärken. Denn die Einkommensentwicklung zeigt auch deutliche Unterschiede zwischen wettbewerbsfähigen und nicht wettbewerbsfähigen Betrieben.
Herr Kollege, dies ist eine Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Deswegen bemühe ich mich auch mit den Landesministern um eine Bestandsaufnahme, um wettbewerbsverzerrende Maßnahmen abzubauen, und zwar auf allen Ebenen. Dies ist aber auch eine Aufgabe des Berufsstandes und der Unternehmer selbst, denn Politik kann immer nur zu einem Teil zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen, sie kann Barrieren und Hemmnisse abbauen. Nur, es ist dann noch eine Aufgabe der Unternehmer selbst, ihren Teil durch eine Entwicklung der Betriebe mit dazu beizutragen.
Eine Nachfrage, aber bitte eine kurze, damit die anderen Kollegen auch noch drankommen.
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß die Bundesregierung daran denkt, innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe die Ausgleichszulage zu überprüfen und gegebenenfalls dort zu kürzen?
Herr Kollege, wir prüfen im Augenblick alle nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses in Frage kommenden Titel, ob und in welchem Umfang in diesen Titeln eine Kürzung möglich ist. Diese Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen.
Der Kollege Fritz Schumann.
Herr Bundesminister, im Berichtszeitraum des vorliegenden Agrarberichtes hat es eine weitere drastische Reduzierung der Tierbestände in den fünf neuen Ländern gegeben. Zu welchen Konsequenzen hat das in der Diskussion geführt? Wir wissen, daß sich das auch nach dem Berichtszeitraum, also in jüngster Zeit, speziell im Schweinesektor fortgesetzt hat. Was sind da für Maßnahmen vorgesehen?
Sie weisen zu Recht darauf hin, daß die Zahlen bei den Rindviehbeständen, aber vor allen Dingen auch bei den Schweinebeständen, in den neuen Bundesländern deutlich zurückgegangen sind. Deswegen muß es das gemeinsame Ziel von Bund und Ländern sein, die Veredelungswirtschaft wieder aufzubauen. Hier lassen die Förderrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft in einem begrenzten Umfang eine Förderung auch in den Veredelungsbetrieben zu, etwa eine Förderung im Bereich der Schweinehaltung, die in den alten
Bundesländern nicht zugelassen ist. Wir bemühen uns gemeinsam mit den Ländern, dies umzusetzen.
Ich glaube aber, daß in einer zweiten Phase auch die Betriebe selbst wieder in die Veredelungswirtschaft investieren, nämlich in dem Augenblick, in dem ein Wachstum der Betriebe über Flächenzupacht nicht mehr möglich ist. Die dort entstandenen Betriebe haben sich jetzt erst einmal darauf konzentriert, vorhandene Flächen zu nutzen und den Ackerbau auszubauen, also in diesem Bereich zu investieren. Der sehr viel kapitalintensivere Bereich der Veredelungswirtschaft wird, glaube ich, erst in einer zweiten Phase ausgebaut.
Eine kurze Nachfrage, wenn es gestattet ist. Herr Bundesminister, Sie haben eben gesagt, es gibt Initiativen der Länder. Mir sind solche aus SachsenAnhalt und Brandenburg bekannt. Jetzt wird gesagt, daß speziell auf dem Gebiet des Aufbaus der Schweinebestände EG-Richtlinien dagegensprechen. Kann der Bund dort Unterstützung geben, daß es doch zu solchen Sonderförderprogrammen kommt?
Es gibt die Möglichkeit, vorhandene Bestände bis zu den ursprünglichen Bestandszahlen auch im Rahmen der EG-Richtlinien wieder zu fördern. Es gibt nach den derzeitigen EG-Richtlinien keine Möglichkeit, völlig neue Bestände aufzubauen.
Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist in diesem Bereich bewußt darauf verzichtet worden, eine investive Förderung in einem Bereich vorzunehmen, in dem sich der Markt völlig frei entwickelt. Wir sind aber in Gesprächen mit den Ländern und der EG, ob wir für die neuen Bundesländer Ausnahmeregelungen erreichen.
Als letzter und eigentlich schon außerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit der Kollege Bredehorn, mit der Bitte, sich kurz zu fassen.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundesminister, dieser Agrarbericht ist ja besorgniserregend: abgelaufenes Wirtschaftsjahr minus 6 %, laufendes Wirtschaftsjahr minus 10 bis 15 Gewinnrückgang bzw. Einkommensrückgang. Ist die Bundesregierung bereit, daraus Konsequenzen zu ziehen? Sie haben das vorhin angedeutet. Ich frage ganz konkret nach: Könnte es sein - dieser Einkommensrückgang ist ja trotz der Verteilung der Mittel bundesweit geschehen -, daß man diese Mittel in Zukunft konkreter auch zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Betriebe einsetzt?
Herr Kollege Bredehorn, die Ursachen für den Einkommensrückgang sind sehr unterschiedlich. Sie liegen zum Teil in Bereichen, in denen wir staatliche Eingriffsmöglichkeiten haben. Sie beruhen zu einem Teil, etwa bei den veredelungsintensiven Betrieben, vor allen Dingen bei der Schweinemast, auf sehr geringen Marktpreisen. Das
ist ein Bereich, der nicht staatlich beeinflußt werden kann. Hier geht es darum, daß sich durch eine Anpassung der Produktion an die Nachfrage das Preisniveau wieder stabilisiert.
In all den Bereichen müssen wir versuchen, durch eine gezielte Förderung die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu stärken. Sie wissen, daß dies das Ziel der Agrarpolitik des Bundes ist, auch in Gesprächen mit den Ländern, denn über die Gemeinschaftsaufgabe kann eine gezielte Förderung der entwicklungsfähigen Betriebe nur mit Zustimmung der Länder erfolgen. Das heißt, die Länder sind sogar maßgeblich dafür, in welchen Bereichen investiert wird. Der Bund kann nur die Förderbereiche insgesamt vorschlagen.
Darüber hinaus müssen wir gerade bei der Veredelungswirtschaft gemeinsam überprüfen, was der Grund für die geringere Wettbewerbsfähigkeit auf dem europäischen Binnenmarkt ist. Wir müssen etwa durch eine intensive Diskussion mit den Landwirten erreichen, daß wir Chancen wahrnehmen, z. B. dadurch, daß wir im Bereich der Schweineproduktion die Vorteile, auch die Kostenvorteile einer stärkeren vertraglichen Bindung nutzen. Hier sind auf Grund der Organisation, der intensiveren Abstimmung zwischen Produktion und Verarbeitung andere Konkurrenten unseren Bauern überlegen.
Dies alles gilt es zu tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu verbessern.
Damit sind wir am Ende der Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 12/6691 -Wir kommen als erstes zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 42 des Kollegen Volker Kauder:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß Kommunen aus den neuen Bundesländern mittlerweile in großem Stil Termingeldgeschäfte mit westdeutschen Gemeinden tätigen, da von ostdeutschen Gemeinden für Projekte zwar Geld abgerufen, jedoch nicht sofort verbraucht werden muß, zumal bei Großprojekten öffentliche Zuweisungen pauschal und nicht entsprechend dem Baufortschritt ausbezahlt werden?
Herr Kollege Kauder, nach Erkenntnissen der Bundesregierung beschränken sich Termingeldgeschäfte zwischen ost- und westdeutschen Gemeinden - übrigens ebenso wie Termingeldgeschäfte zwischen westdeutschen Gemeinden untereinander - auf Einzelfälle.
Ursächlich sind kurzfristige Liquiditätsüberschüsse, die z. B. bei den Steuerterminen, bei der vierteljährlichen Anweisung der Zuweisungen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz oder bei Vermögensveräußerungen entstehen. Als Ursache kommen bei den ostdeutschen Gemeinden auch die treuhänderisch verwalteten Mittel aus Veräußerungserlösen hinzu, deren Restitution nach dem Vermögenszuordnungsgesetz noch nicht abgeschlossen ist.
Kassenüberschüsse als Folge von Zahlungen des Bundes sind heute kaum mehr möglich. So wurde das kommunale Kreditprogramm bereits kurz nach Anlaufen auf die Auszahlung der Mittel nach Baufortschritt umgestellt. Auch die 1993 gewährte Investitionspauschale in Höhe von 1,5 Milliarden DM wurde von den Ländern erst nach Erbringung eines Verwendungsnachweises von den Verwahrkonten des Bundes abgerufen.
Die zum großen Teil aus Bundesmitteln gespeisten Investitionsprogramme der Länder können ebenfalls nur entsprechend dem Baufortschritt bzw. gegen Vorlage eines Verwendungsnachweises in Anspruch genommen werden.
Die schon in den alten Ländern übliche Möglichkeit, bewilligte Fördermittel bis zu zwei Monate vor Fälligwerden der Zahlung zu beantragen, ist verwaltungstechnisch geboten und deshalb auch in den Haushaltsordnungen der jungen Länder verankert worden. Wenn in Einzelfällen die Verausgabung der Mittel mehr als zwei Monate nach Zuweisungsempfang erfolgt, ist über eine Verzinsung zu entscheiden.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Ist der Bundesregierung also nicht bekannt, daß Fördermittel für kommunale Investitionen, sei es für Kläranlagen oder andere Einrichtungen, pauschal mit Genehmigung in vollem Umfang und nicht nach Baufortschritt ausbezahlt werden?
Ich durfte bereits sagen, daß die kommunale Investitionspauschale des Jahres 1991 in der Größenordnung von weit über 5 Milliarden DM ohne jedweden Verwendungsnachweis und ohne Anknüpfung an den Baufortschritt gewährt wurde. Wir haben diese Programme jedoch umgestellt, so daß heute, wie auch im Westen üblich, große Kassenüberschüsse gar nicht vorhanden sein können, es sei denn wegen Steuerterminen oder - und da geht es um viel Geld - wegen Veräußerungserlösen nach dem Vermögenszuordnungsgesetz, die bis zum Abschluß der Restitution bei den Kommunen nur auf Zeit parken.
Sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, wenn tatsächlich Veräußerungserlöse in größerem Umfang da wären, die Kommunen in den neuen Bundesländern zu Investitionen anzuregen, damit sie nicht das Geld an Gemeinden in den alten Bundesländern ausleihen?
Das ist im Prinzip richtig. Nur können die Kommunen über diese Gelder nicht frei verfügen. Dann ist es auch im Sinne der Sparsamkeit haushaltswirtschaftlich schon geboten, diese Gelder anzulegen. Dazu sind üblicher17862
Pari. Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald
weise primär die Banken berufen. Es sollte keine Geldgeschäfte unter den Kommunen geben.
Nächste Zusatzfrage.
Wenn die Kommunen tatsächlich Geld ausleihen - Sie sagen, es seien Einzelfälle; mir sind allein in meinem Wahlkreis vier Fälle bekannt, so daß wohl nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden kann -, wäre die Frage, ob Zuweisungen, die von Bund und Land kommen, nicht so angerechnet werden können, daß die Investitionen zunächst einmal aus dem eigenen Geld finanziert werden müssen. Sehen Sie Möglichkeiten, diesbezüglich auf die Kommunen einzuwirken?
Auf eine Möglichkeit durfte ich schon hinweisen: Wenn die Zweimonatsfrist überschritten wird, nach der man traditionsgemäß vorher abrufen kann - was aus verwaltungstechnischen Gründen auch notwendig ist -, muß man über die Verzinsung dieser Mittel nachdenken.
Ich sehe ja das Ärgernis. Wir haben auch in der Presse spektakuläre Einzelfälle von Geldverlagerungen von Ost nach West verfolgen müssen. Wir sind auch schon tätig geworden. Wir haben gebeten, daß sich die Länderfinanzminister und die Länderinnenminister - letztere im Wege der Kommunalaufsicht - um diese Frage kümmern mögen.
Dann kommen wir zur Frage 43 des Kollegen Kauder:
Ist auch die Bundesregierung der Auffassung, daß die Leihpraktiken ostdeutscher Gemeinden negativen Einfluß auf westdeutsche Kommunen bezüglich der Akzeptanz hoher öffentlicher Transferleistungen in die neuen Länder haben, und erwägt die Bundesregierung, auf die neuen Länder Einfluß zu nehmen, damit eine entsprechende Kommunalaufsicht Termingeldgeschäfte mit Gemeinden in den alten Bundesländern unmöglich macht?
Aus Sicht der Bundesregierung ist die zinsbringende Anlage vorübergehend nicht benötigter Kassenmittel haushaltsrechtlich geboten und finanzwirtschaftlich sinnvoll. Termingeldgeschäfte zwischen ost- und westdeutschen Kommunen sind jedoch mit Rücksicht auf die politische Außenwirkung in den westdeutschen Ländern problematisch. Die Akzeptanz für die hohen öffentlichen Transferleistungen in die jungen Länder sollte durch derartige Geldgeschäfte ostdeutscher Gemeinden nicht gefährdet werden.
Sinnvoller wäre es daher, wenn die Kommunen Kassenüberschüsse bei ihren Hausbanken anlegten. Die Bundesregierung - ich durfte das schon sagen - appelliert daher an die Kommunen, so zu handeln. Noch in den letzten Tagen des Januar hat Bundesfinanzminister Waigel die Länderfinanzministerkonferenz gebeten, sich mit dieser Frage erneut zu befassen.
Zusatzfrage? - Keine.
Damit kommen wir zur Frage 44 des Kollegen Claus Jäger:
Trifft es zu, daß das unter der Verwaltung der Treuhand stehende Vermögen der ehemaligen Staatspartei SED jetzt zur Förderung der Forschung in den neuen Bundesländern verwendet werden soll, und weshalb wird dieses Vermögen, soweit es versilbert werden kann, nicht zur Verbesserung der Haftentschädigung ehemaliger Häftlinge in den Gefängnissen der einstigen DDR herangezogen?
Herr Kollege Jäger, bereits im Einigungsvertrag ist bindend festgelegt, daß das verbleibende Parteivermögen im Beitrittsgebiet zugunsten gemeinnütziger Zwecke, insbesondere der wirtschaftlichen Umstrukturierung, verwendet werden muß. Bundesregierung, Treuhandanstalt und Unabhängige Kommission Parteivermögen haben auf dieser Grundlage ein Konzept für eine gemeinnützige Verwendung des verbleibenden Parteivermögens erarbeitet. Nach diesem Konzept ist das verbleibende Vermögen zu ca. 60 % für investive und investitionsfördernde Maßnahmen der öffentlichen Hand im Bereich der wirtschaftlichen Umstrukturierung, im übrigen für investive und investitionsfördernde Maßnahmen zu sozialen und kulturellen Zwecken zu verwenden.
Dieses Konzept wird in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen Treuhandanstalt und neuen Ländern einschließlich Berlin umgesetzt.
Bund, Treuhandanstalt und neue Lander sind im Einvernehmen mit der Unabhängigen Kommission Parteivermögen übereingekommen, in 1994 400 Millionen DM aus dem Parteivermögen in den neuen Ländern - einschließlich Berlin ({0}) - einzusetzen. Davon werden 150 Millionen DM für wirtschaftsnahe Forschungsförderung und 250 Millionen DM für kulturelle Zwecke verwendet.
Eine Heranziehung dieses Vermögens für die Haftentschädigung einzelner entspricht nicht den Vorschriften des Einigungsvertrags und des auf dieser Grundlage erarbeiteten Konzepts. Derartige Ansprüche sind in Abschnitt 3 des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes geregelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Jäger.
Herr Staatssekretär, ist denn nach Auffassung der Bundesregierung die Abtragung einer Ehrenschuld der Bundesrepublik Deutschland an die Menschen, die unter dem SED-Regime gelitten haben, nicht ebenfalls als gemeinnützig zu betrachten? Wäre es deshalb nicht sinnvoll, auch diese Aufgabe unter den Bereich Verwertung des SED-Vermögens zu subsumieren?
Ich durfte bereits sagen: Wir haben im Einigungsvertrag eine abschließende Regelung getroffen. Natürlich habe ich Verständnis für Ihre Frage. Aber dieser Tatbestand ist eben auf andere gesetzliche Weise zu regeln, wie es ja auch geschehen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung angesichts der Entlastung, die ja durch die Verwendung dieses Vermögens stattfindet,
eine Möglichkeit, noch einmal die Höhe der Haftentschädigung in ihr besonderes Augenmerk zu nehmen, zumal sie bei den Betroffenen im Wort steht, daß sie, sobald sich dafür eine Möglichkeit ergibt, diese Haftentschädigung auf die Höhe anheben wird, die heute sogar Haftentschädigungsberechtigten aus dem Bereich der früheren SED-Führungsclique zusteht, nämlich 20 DM pro Tag und nicht nur die 10 DM, die die DDR-Häftlinge beanspruchen können?
Herr Kollege Jäger, das ist eine Frage, die das Thema der Verwendung des Parteivermögens sprengt. Bei Ihnen geht es im Kern um die Frage, ob die Bundesregierung es für erforderlich hält, das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz nachzubessern. Das ist im Augenblick auch wegen der finanziellen Situation kein Thema.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Lüder.
Ich möchte, damit für das Haus Klarheit herrscht, folgendes in Frageform kleiden. Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Unabhängige Kommission Parteivermögen allein darüber zu befinden hat, was mit dem von ihr zu bearbeitenden Vermögen der Parteien geschieht, ohne daß die Bundesregierung Weisungsbefugnisse hätte, etwas dahin oder dorthin abzuzweigen, so daß die Fragestellung, die hier vorlag, nur eine Anregungskompetenz der Bundesregierung betreffen könnte, aber keine Entscheidungskompetenz?
Ich sage das nur, damit nicht andere gelockt werden, über Gelder zu verfügen, die weder ihnen noch uns zur Verfügung stehen.
Herr Kollege Lüder, das kann ich Ihnen gern bestätigen, auch aus der leidvollen jüngsten Erfahrung heraus, als die Unabhängige Kommission Parteivermögen nicht sofort bereit war, über diese 400 Millionen DM wie an anderer Stelle vorgedacht zu entscheiden.
Und die auch den Verwendungszweck gegenüber dem verändert hatte, was die Bundesregierung anfangs wollte und hier auch dargelegt hat!
Auch das ist zutreffend.
Weitere Zusatzfragen liegen zu dieser Frage nicht vor.
Nachdem der Kollege Hampel nicht anwesend ist, wird bei den Fragen 45 und 46 entsprechend unserer Geschäftsordnung verfahren.
Die Fragen 47 und 48 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Finanzen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie und Senioren. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Roswitha Verhülsdonk zur Verfügung. Ich rufe die Frage 60 des Kollegen Hubert Hüppe auf:
Müßte nicht denjenigen Beratungsstellen, die sich weigern, die für die Auszahlung der Stiftungsgelder der „Stiftung Mutter und Kind" erforderlichen Formulare entgegenzunehmen, und damit gegen die vom 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 getroffene Anordnung Nr. 4 ({0}), mit allen Stellen zusammenzuarbeiten, die öffentliche oder private Hilfen für Mutter und Kind gewähren, verstoßen, wie dies in meinem Wahlkreis häufiger der Fall ist, die Anerkennung als Beratungsstelle entzogen werden?
Herr Kollege Hüppe, es ist zutreffend, daß nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 nur diejenigen Stellen als Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen anerkannt werden können, die Gewähr dafür leisten, daß sie mit allen Stellen zusammenarbeiten, die öffentliche und private Hilfen für Mutter und Kind gewähren. Die Beratungsstelle muß diese Fördermaßnahmen der Schwangeren vorstellen und die Schwangere bei der Inanspruchnahme dieser Leistungen so effektiv wie möglich unterstützen. Eine Beratungsstelle, die sich weigert, die Stiftungsgelder zu vermitteln, erfüllt eine zwingende Anerkennungsvoraussetzung nicht.
Dies haben die in den Ländern für die Anerkennung zuständigen Stellen sowohl bei der Erteilung der Anerkennung als auch bei der erforderlichen regelmäßigen Überprüfung der Einhaltung der Anerkennungsvoraussetzungen zu beachten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hüppe.
Frau Staatssekretärin, sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß allein in meinem Wahlkreis zwei Beratungsstellen keine Mittel verteilen, die Mittelverteilung auch nicht unterstützen und dies auch noch nicht beanstandet worden ist, ihre Aufgabe nicht darin, gegenüber den Landesbehörden tätig zu werden oder ihrer Aufsichtspflicht Genüge zu tun?
Herr Kollege Hüppe, die Bundesregierung hat, unmittelbar nachdem das Urteil ergangen ist, gerade zu dem Beratungsteil durch mein Ministerium sehr exakte Anweisungen an die Länder gegeben und die zu erfüllende Aufsichtspflicht der Länder hinreichend so definiert, wie ich es soeben vorgetragen habe.
Der normale Fall ist: Wenn jemand glaubt, daß in einem konkreten Fall ein Verstoß vorliegt, dann hat er sich zunächst an die Aufsichtsbehörde der Länder zu wenden; denn wir sind nicht Kontrollorgan für die Länder. Dies ist eine Aufgabe, die die Länder selber wahrzunehmen haben. Wir gehen davon aus, daß die Länder die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage für die Übergangszeit, bis das neue Gesetz in Kraft getreten ist, auch ihrerseits erfüllen.
({0})
Keine Zusatzfrage des Kollegen Hüppe mehr. - Dann noch eine Zusatzfrage des Kollegen Jäger.
Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß ein Bundesland und die in ihm zuständigen Behörden schon jetzt - und nicht erst nach dem 31. Dezember 1994 -dafür verantwortlich sind, daß sich Beratungsstellen an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten und daß ihre Zulassung auch schon vorzeitig widerrufen werden muß, wenn klar festgestellt ist, daß sie sich nicht an diese Auflagen halten?
Uns ist nicht bekannt, daß die Länder anders verfahren, als sich gegenüber den Beratungsstellen an die Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts zu halten. Sie tun das. Alles, was wir im Hause an Kenntnissen haben, weist das aus.
Ich kann natürlich nicht ausschließen, daß es vor Ort einzelne Fälle gibt, wie der Herr Kollege Hüppe sie offenbar kennt. Dann sind die Länder entsprechend anzuweisen, d. h., sie sind zunächst einmal nach ihrer Aufsichtspflicht zu befragen, und ich denke, sie werden der auch nachkommen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Frage 61 des Kollegen Jürgen Meyer:
Bestätigt die Bundesregierung, daß gemäß § 132 Abs. 1 SGB V Krankenkassen Verträge mit „geeigneten Personen" über Pflegeleistungen abschließen können und Altenpflegerinnen und Altenpfleger zur Gruppe „geeigneter Personen" gehören?
Herr Kollege Meyer, nach § 132 Abs. 1 SGB V können die Krankenkassen mit - wie Sie zitieren - „geeigneten Personen" Verträge über die Erbringung von häuslicher Krankenpflege, häuslicher Pflegehilfe, häuslicher Pflege und von Haushaltshilfe abschließen, wenn sie selbst keine geeigneten Personen dafür anstellen.
Welche Berufsgruppen jeweils für die einzelnen Leistungen geeignet sind, ist im Gesetz allerdings nicht näher geregelt, sondern das ist der Entscheidung der Krankenkassen überlassen. Die Krankenkassen haben sich hierbei an den allgemeinen Grundsatz zu halten, daß Leistungen nur durch qualifizierte Leistungserbringer erbracht werden dürfen. Auf diese Entscheidungen hat das zuständige Bundesministerium für Gesundheit dann im Einzelfall keinen Einfluß.
Zur Frage der Auswahl der geeigneten Personen sind die Spitzenverbände der Krankenkassen von der Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Ich kann Ihnen gerne zusagen, daß ich auf Sie zukomme und Sie unterrichte, sobald diese Stellungnahme vorliegt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Meyer.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Zusage und möchte folgende erste Zusatzfrage stellen: Ist der Bundesregierung das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Juni 1993 - Aktenzeichen U ({0}), 28/92 - bekannt, wonach Altenpflegerinnen nicht geeignete Pflegekräfte für die häusliche Pflege sind, und wie verträgt sich nach Meinung der Bundesregierung dieses Urteil mit dem großen Bedarf an Pflegepersonal für ältere Menschen?
Ich kann Ihnen nicht antworten, ob das Urteil meinen Mitarbeitern bekannt ist. Mir persönlich ist dieses Urteil nicht bekannt. Ich gehe davon aus, daß es meinem Hause bekannt ist. Ich will Ihnen gern eine Stellungnahme zu dem Urteil zuleiten. Ich kann mich im Augenblick dazu nicht äußern.
Zweite Zusatzfrage zu dieser Frage.
Ich bedanke mich auch für diese Zusage, Frau Staatssekretärin, und möchte weiter fragen: Wie beurteilt die Bundesregierung unter Kostengesichtspunkten und unter Gesichtspunkten des Pflegenotstands die Aussage des Gerichts - die ich jetzt einfach wiedergebe -, daß ausgebildete Altenpfleger lediglich die Zulassung für die häusliche Pflegehilfe bekommen und deren Tätigkeit unter Aufsicht und Verantwortung eines ausgebildeten Krankenpflegers erfolgen müsse?
Ihre nächste Frage, Herr Kollege, beschäftigt sich ja mit der Problematik der Altenpflegeberufe und ihrer - nicht vorhandenen - bundesrechtlichen Regelung. Ich denke, daß zwischen dem Urteil des Gerichts, von dem Sie sprechen, und dieser Thematik ein Zusammenhang besteht. Das Problem kann meiner Ansicht nach nur gelöst werden, wenn der Altenpflegeberuf die gleiche bundeseinheitliche Anerkennung und Qualifikation erhält wie der Krankenpflegeberuf.
Die Problematik hängt damit zusammen, daß wir in 16 Bundesländern 16 sehr unterschiedliche Ausbildungen im Bereich der Altenpflege haben. Ich nehme an, in dem vorliegenden Falle, in dem das Gericht dieses Urteil gesprochen hat, hat es sich um eine Schmalspurausbildung gehandelt, die das Gericht zu dieser Entscheidung veranlaßt hat. Ich kenne andere Bundesländer, in denen auf landesgesetzlicher Basis sehr gute und qualifizierte Altenpflegeausbildungen bestehen. Da wäre ein Urteil, wie das von Ihnen zitierte sicher nicht ohne weiteres ergangen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lörcher.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, eine Synopse über die Altenpflegeausbildung in den verschiedenen Bundesländern zu machen und diese Synopse den Ausschüssen Bildung und Wissenschaft, Familie und Senioren sowie Gesundheit zur Verfügung zu stellen?
In der Lage ist die Bundesregierung dazu in jedem Falle, und sie ist auch bereit.
Wir kommen nun zur Frage 62 des Kollegen Meyer:
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Gedenkt die Bundesregierung ein gesetzlich geschütztes Berufsbild für Altenpflegerinnen und Altenpfleger mit bundeseinheitlichen Ausbildungsregelungen, fest umschriebenen Tätigkeiten und Befähigungsmerkmalen zu definieren, um die soziale Anerkennung dieser Berufsgruppe zu verbessern, und wann gegebenenfalls soll dies geschehen?
Herr Kollege Dr. Meyer, für die Bundesregierung ist ein klares, bundeseinheitliches Profil des Altenpflegeberufs eine wichtige Voraussetzung für die Hebung des Ansehens dieser Berufsgruppe. Das Bundesministerium für Familie und Senioren hat daher einen mit den betroffenen Fachressorts des Bundes abgestimmten Entwurf eines Altenpflegegesetzes erarbeitet, der u. a. bundeseinheitliche Ausbildungsregelungen, den Schutz der Berufsbezeichnung und den Anspruch auf Ausbildungsvergütung vorsieht. Dieses Gesetz soll durch den Entwurf einer Verordnung, die die Ausbildungsinhalte vorgibt und die Prüfung regelt, ergänzt werden. Der Entwurf ist kabinettsreif. Das ist auch hier in diesem Hause schon mehrfach zur Sprache gekommen.
Der Gesetzentwurf konnte aber wegen des Widerspruchs einiger Bundesländer gegen die Gesetzgebungskompetenz des Bundes noch nicht dem Bundeskabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden. Wir haben uns sehr darum bemüht, diesen Widerstand oder Widerspruch gegen die Gesetzgebungskompetenz aufzulösen, indem wir verfassungsrechtlich kompetente Gutachter gebeten haben, Gutachten zu erstellen. Aber der Prozeß der Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen. Es ist daher gegenwärtig nicht möglich, Termine für das weitere Verfahren zu nennen.
Allerdings, Herr Kollege Dr. Meyer. Unabhängig von dieser Bemühung der Bundesregierung bzw. meines Ressorts ist der Deutsche Bundestag mit der Thematik dadurch befaßt, daß es einen Antrag des Landes Hessen, über den Bundesrat eingebracht, gibt, wonach ein Altenpflegegesetz des Bundes erlassen und beraten werden soll. Der Antrag des Landes Hessen hat sich im wesentlichen - das wird von Hessen überhaupt nicht bestritten - an den Inhalten des Gesetzentwurfs, den mein Haus entwickelt hat, orientiert. Er geht nur in einigen Fragen, bei denen klare Länderkompetenzen gegeben sind, über das hinaus, was wir bundesgesetzlich überhaupt regeln dürfen.
Soweit mir bekannt ist, soll im Bundesrat über diesen Antrag des Landes Hessen im Monat März 1994 eine Entscheidung fallen - ich hoffe, eine positive.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Meyer.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig - und trägt die Bundesregierung in dem von Ihnen erwähnten Entwurf dieser Tatsache Rechnung -, daß Altenpflegerinnen während ihrer Ausbildung behandlungspflegerische Maßnahmen erlernen und bei der Berufsausbildung in Pflegeheimen eigenverantwortlich das Erlernte anwenden?
Das ist Inhalt des Gesetzentwurfes. Er sieht insbesondere eine deutliche Anreicherung in verschiedenen Kompetenzbereichen - in medizinischen, in sozialpsychologischen, in psychosozialen Kompetenzbereichen - für die Ausbildung vor. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß wir zunehmend in Heimen den Tatbestand vorfinden, daß dort psychisch veränderte alte Menschen, an Demenz leidend, in größerer Zahl vorzufinden sind und daß das wohl die aufwendigste und schwierigste Pflege überhaupt ist, die in den Heimen zu leisten ist.
Insoweit ist der Gesetzentwurf, den wir entwickelt haben und von dem ich soeben sprach, auf ganz große Zustimmung aller Krankenpflegeverbände und aller Fachleute gestoßen. Sie warten sehr darauf, daß er endlich die Hürden des Widerspruchs einiger Bundesländer überwindet.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Meyer.
Frau Staatssekretärin, wie begründet es die Bundesregierung - und möchte sie gegebenenfalls im Rahmen der erläuterten Gesetzgebungs- und Verordnungsvorhaben dagegen angehen -, daß in einzelnen Bundesländern Altenpflegerinnen, wenn sie sich selbständig machen wollen, eine Krankenschwester einstellen müssen, die die behandlungspflegerischen Tätigkeiten ausführen muß?
Herr Kollege Meyer, das Problem können wir erst in dem Augenblick lösen, in dem wir ein Bundesgesetz haben. Erst wenn dieses Bundesgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen ist, kann der Bund in dieser Angelegenheit tätig werden. Denn zur Zeit gibt es nur landesgesetzliche oder landesverordnungsrechtliche Lösungen für das Problem, die - wie ich schon sagte - sehr unterschiedlich sind. Insbesondere die neuen Länder, die eine große Fülle von landesgesetzgeberischen Aufgaben zu bewältigen haben, warten darauf, daß es eine bundesrechtliche Lösung gibt, die sie davon entbindet, auch noch diesen Bereich selbst regeln zu müssen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Paul Laufs zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen Walter Schöler:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Deutschen Bundespost, die nach Presseberichten bei dem geplanten Postfrachtzentrum in Krefeld-Hückelsmay einem Anlieger für ein benachbartes Grundstück einen Kaufpreis in Höhe von einer Million DM geboten hat, wenn dieser zugleich den erhobenen Widerspruch durch notarielle Erklärung zurücknimmt unter der Androhung, daß anderenfalls vorübergehend auf dem für das geplante Postfrachtzentrum vorgesehenen Grundstück eine Zwischennutzung mit Asylbewerberunterkünften erfolgt?
Frau Präsidentin, gestatten Sie bitte, daß ich die beiden Fragen des Herrn Kollegen Schöler zusammenfassend beantworte, wenn der Herr Kollege damit einverstanden ist.
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Kollegen Walter Schöler auf:
Wie steht die Bundesregierung zu den im genannten Fall angewandten Verhandlungsmethoden der Deutschen Bundespost hinsichtlich der Akzeptanz der Errichtung von Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber in der Bevölkerung, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um derartige Verhandlungsmethoden zukünftig zu unterbinden?
Herr Kollege Schöler, im Rahmen von Kaufverhandlungen über ein Nachbargrundstück, das für die Errichtung eines geplanten Frachtzentrums in Krefeld-Hückelsmay erforderlich ist, haben sich Verzögerungen ergeben. In diesem Zusammenhang hat die Deutsche Bundespost Postdienst dem Grundeigentümer mitgeteilt, daß zur Vermeidung eines Ausfallschadens auf ihrem Grundstück eine Zwischennutzung erwogen wird, die auch in Form der Unterbringung von Asylbewerbern geschehen kann. Diese Mitteilung wurde als Drohung verstanden. Zwischenzeitlich hat sich die Deutsche Bundespost Postdienst ausdrücklich beim Grundeigentümer dafür entschuldigt, daß dieses Mißverständnis entstehen konnte.
Von der Deutschen Bundespost wurde schon in einer Reihe von Fällen die Unterbringung von Asylbewerbern ermöglicht, wenn Liegenschaften für posteigene Zwecke nicht genutzt werden konnten. Diese Zielrichtung wird im Rahmen der Möglichkeiten beibehalten. Sie entspricht einer wiederholt geäußerten Aufforderung der Bundesregierung an die Unternehmen der Deutschen Bundespost.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schöler?
Herr Staatssekretär, ist der Androhung einer Zwischennutzung dieser Baustelle für Asylbewerberunterkünfte zu entnehmen, daß die Post auf Grund des gegenwärtigen Standes des Bauleitplanverfahrens und des Bebauungsplanverfahrens nicht damit rechnet, daß die gestoppte Baumaßnahme in absehbarer Zeit fortgesetzt werden kann?
Von einer Androhung sollte man nicht sprechen. Nach den mir vorliegenden Informationen, Herr Kollege Schöler, war es der ausdrückliche, telefonisch übermittelte Wunsch des Grundeigentümers, schriftlich über mögliche Zwischennutzungen unterrichtet zu werden. In der Tat: Sollte die Post auf einen anderen Standort für die Errichtung dieses geplanten Frachtzentrums ausweichen müssen, dann muß eine alternative Nutzung des Grundstücks in Krefeld-Hückelsmay gefunden werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schöler?
Daß auf einem Grundstück, auf dem bislang nur mit den Fundamenten begonnen werden kann, von einer Zwischennutzung gesprochen wird, ist schon unverständlich, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der gebotene Kaufpreis den dem Haushaltsrecht gemäßen Bewertungen entspricht und - nach Sachwert- bzw. Ertragswertverfahren - nicht über dem Verkehrswert liegt? Sollte dieser Eigentümer nur eingekauft werden?
Herr Kollege Schöler, in dieser Situation ist das eine Frage der Abwägung. Es ist so, daß die vom Eigentümer des Nachbargrundstücks in einem Verwaltungsstreitverfahren bewirkte Baustillegung für die Deutsche Bundespost Postdienst zu Mehrkosten führt, wenn die Zeitplanung für die Projektabwicklung des neuen Frachtpostkonzepts nicht eingehalten werden kann. Deshalb ist die Deutsche Bundespost Postdienst bereit, über den üblichen Verkehrswert hinaus ein Angebot zu machen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein, keine mehr.
Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren Fragen vor. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reinhard Göhner zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Martin Göttsching auf:
Sind der Bundesregierung Fälle in den neuen Bundesländern bekannt, bei denen Personen Bergbaurechte zu Flächen erhalten, deren Eigentümer sie nicht sind?
Herr Kollege Göttsching, aus dem Grundsatz der Abspaltung bestimmter Bodenschätze vom Oberflächeneigentum und der Unterwerfung dieser Bodenschätze unter ein verselbständigtes System von staatlich zu verleihenden Bergbauberechtigungen, der sogenannten Bergfreiheit von Bodenschätzen, folgt, daß die Verleihung von Bergbaurechten unabhängig von den an der Oberfläche bestehenden Eigentumsverhältnissen erfolgt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Göttsching?
Herr Staatssekretär, ist das zwischen den neuen Ländern und den alten Ländern gleich?
Nein, Herr Kollege. Sie haben nach der Rechtssituation in den neuen Ländern gefragt. In den alten Bundesländern ist die Rechtslage unterschiedlich. Bei bestimmten Bodenschätzen gibt es in bestimmten Ländern Bergfreiheit, im übrigen eine Verbindung mit dem Grundeigentum.
Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
Nein.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Göttsching:
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um denen, die Eigentum an Grund und Boden besitzen, zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn die Bergbaurechte anderen übergeben worden sind?
Herr Kollege Göttsching, das Bundesberggesetz enthält ein umfassendes Regelwerk über das Verhältnis des Bergbauberechtigten zum Grundeigentümer. Diese Vorschriften enthalten detaillierte Bestimmungen über die Inanspruchnahme von Grundstücken für Bergbauzwecke mit entsprechenden Entschädigungsregelungen zugunsten der Grundeigentümer.
Zusatzfrage?
Eingedenk der Tatsache, daß es unterschiedliche Ausgangspositionen in den alten und in den neuen Bundesländern gibt: Was gedenkt die Bundesregierung - nach Einigungsvertrag und nach Beschluß im Deutschen Bundestag - zu tun, damit in den neuen Ländern gleiches Recht für Gleiche gilt?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist ganz selbstverständlich an geltendes Recht gebunden. Der Gesetzgeber hat hier entschieden; eine andere Wertung könnte nur der Gesetzgeber herbeiführen, nicht die Bundesregierung.
Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liegt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich vor kurzem in einer Entscheidung damit zu befassen hatte, nicht vor. Es sind allerdings Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz anhängig.
Weitere Zusatzfrage der Kollegin Iris Gleicke.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Antrag der SPDBundestagsfraktion „Herstellung der Rechtseinheit bei grundeigenen Bodenschätzen" auf Drucksache 12/3969 vom 10. Dezember 1992, der sich mit dem Problem der Verkäufe von Bergrechten durch die Treuhandanstalt und damit der De-facto-Enteignung der Grundeigentümer beschäftigt, mit den Stimmen der Koalition mit der Begründung abgelehnt wurde, es sei kein Handlungsbedarf vorhanden?
Frau Kollegin, dieser Antrag der SPD-Fraktion und die Ablehnung dieses Antrages durch die drei zuständigen Ausschüsse - einschließlich des federführenden Ausschusses - sind der Bundesregierung bekannt.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches angekommen. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär Göhner.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Franz-Josef Feiter zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 5 der Kollegin Frau Marion Caspers-Merk:
Von wem sind mögliche gesundheitliche und umweltbeeinträchtigende Auswirkungen des Kombinationspräparates Apron Plus konkret getestet und untersucht worden, und welche Ergebnisse wurden erzielt?
Frau Abgeordnete, Pflanzenschutzmittel dürfen in der Europäischen Union, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie zuvor von einer amtlichen Behörde geprüft und zugelassen worden sind.
Für einen derartigen Antrag auf Zulassung sind vom Antragsteller umfangreiche Unterlagen zur Beurteilung des Mittels bezüglich seiner Auswirkungen auf Mensch, Tier und Naturhaushalt vorzulegen. Daneben werden in der Regel weitere Untersuchungen nach erfolgter Zulassung im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten durchgeführt. Das Mittel Apron Plus 50 DS - es enthält drei Wirkstoffe - ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen. Daher liegt der zuständigen Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft auch kein Dossier des Zulassungsinhabers über die Auswirkungen und Wirkungen des Mittels vor.
Auf Grund der zugänglichen Literatur, Frau Abgeordnete, ist jedoch folgende Aussage möglich:
Zunächst zu Apron Plus 50 DS: Dieses als Saatgutbehandlungsmittel verwendete Pflanzenschutzmittel ist in Wasser wenig löslich. Es enthält die Wirkstoffe Metalaxyl, Carboxin und Furathiocarb. Das Mittel wird als giftig eingestuft. Verwendung findet es bei der Saatgutbehandlung von Mais, Sorghum, Hirse, Erdnuß, Soja und Gemüsekulturen. Die Wirkstoffe sind wie folgt zu beurteilen:
Zunächst zu Metalaxyl: Der Wirkstoff ist wenig wasserlöslich, er ist nicht fischgiftig. Eine Reizung der Haut ist nicht gegeben, jedoch sind leichte Augenreizungen beim Menschen zu erwarten. Es gibt keinen Hinweis auf ein Krebsrisiko beim Menschen.
Dann zu Carboxin: Carboxin ist nur schwach in Wasser löslich. Es wird durch den Einfluß von Licht rasch abgebaut. Bisherige Langzeituntersuchungen zeigten, daß der Wirkstoff kein Krebsrisiko für den Menschen darstellt. Eine Schädigung von Vögeln und Säugetieren ist nicht zu erwarten. Die Giftigkeit für Fische ist wesentlich geringer als bei Furathiocarb.
Jetzt zu Furathiocarb: Furathiocarb ist ein insektizider Wirkstoff. Er ist giftig für Säugetiere, Vögel und Fische. Der Wirkstoff sollte nicht eingeatmet werden. Der Kontakt mit Haut oder Augen ist unbedingt zu vermeiden. Zu den Vorsichtsmaßnahmen gehört es, Schutzkleidung - Schutzhandschuhe, Brille und Gesichtsschutz - zu tragen.
Die Firma Ciba Geigy hat nach eigenen Angaben aus rein ökonomischen Gründen in Deutschland keine Zulassung des Wirkstoffs Furathiocarb beantragt, da es bereits gute Produkte für den gleichen Anwendungszweck gibt. Es liegen jedoch in Europa Zulas17868
sungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff in folgenden Staaten vor: in Dänemark, in den Niederlanden, in Frankreich und in der Schweiz.
Nach der Einschätzung der Bundesforschungsanstalt für Fischerei ist davon auszugehen, daß das marine Ökosystem insgesamt kaum geschädigt werden dürfte, daß sich die lokale Konzentration, falls Beutel aufplatzen sollten, auf einer Fläche von maximal 100 m2 auf die Fauna auswirken dürfte und daß für die Fischerei und die Fischereierzeugnisse langfristig keine Gefahr zu sehen ist.
Zusatzfrage der Kollegin Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär, Ihre Ausführungen decken sich mit den Informationen der Firma Ciba Geigy, die uns natürlich auch zugegangen sind. Aber nachdem Sie dies hier so dargestellt haben, als gehe von den Beuteln gar keine Gefährdung aus, muß man sich doch fragen, warum wir dann mit einem enormen finanziellen Aufwand Beutelchen für Beutelchen aufsammeln, wenn das alles so harmlos ist. Ich hätte Sie gern gefragt, ob Sie etwas zu den langfristigen Folgen sagen wollen und zu den Folgen, die auftreten können, wenn Kinder mit diesem Produkt im Sand unmittelbar in Kontakt kommen.
Frau Abgeordnete, mir sind die Einzelwirkungen des Mittels nicht bekannt. Ich bitte deshalb um Verständnis dafür, daß ich diese Frage schriftlich beantworten werde.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Caspers-Merk.
Meine zweite Zusatzfrage bezieht sich auf die gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu diesem Themenkomplex gestellten Fragen. Ist vielleicht das Problem bei der Beurteilung von Fragen zu Pflanzenbehandlungsmitteln auch darauf zurückzuführen, daß sich für die Beantwortung der sechs Fragen insgesamt drei Ministerien zuständig fühlen? Ist vielleicht deshalb der Informationstransfer so schwierig?
Frau Abgeordnete, ich glaube nicht, daß dadurch ein Problem entstanden ist, daß drei Ministerien für den komplexen Zusammenhang zuständig sind. Es gibt immer eine hervorragende Abstimmung innerhalb der Bundesregierung.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Susanne Kastner.
Herr Staatssekretär, wurde von seiten Ihres Ministeriums eine Stellungnahme des Umweltbundesamtes bzw. der Biologischen Bundesanstalt über Apron Plus beantragt bzw. liegt diese vor?
Nein, Frau Abgeordnete.
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Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Monika Ganseforth.
Herr Staatssekretär, ist es nach dem, was Sie geantwortet haben, möglich, daß noch andere nicht zugelassene Chemikalien mit noch gefährlicheren und unbekannten Wirkstoffen durch die Bundesrepublik oder um diese herum transportiert werden?
Frau Abgeordnete, mir ist eine solche Information nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Horst Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wohin sollten die Mittel exportiert werden?
Herr Abgeordneter, diese Information habe ich nicht. Ich bin gern bereit, Ihnen diese schriftlich nachzureichen.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Dietmar Schütz.
Herr Staatssekretär, wenn Sie Stellungnahmen der Bundesanstalt und des Umweltbundesamtes nicht eingeholt haben: Beabsichtigen Sie denn, diese Behörden noch einzuschalten, um die Wirksamkeit von Apron Plus genau einschätzen zu können?
Herr Abgeordneter, ich sagte bereits, daß in der Bundesrepublik kein Antrag auf Zulassung dieses Mittels gestellt worden ist. Insofern ist von seiten der Bundesregierung bisher nichts veranlaßt worden.
Noch eine Zusatzfrage der Kollegin Iwersen.
Herr Staatssekretär, liegen Ihnen Erkenntnisse vor, aus denen hervorgeht, mit welcher Dauerhaftigkeit des Verpackungsmaterials von Apron Plus zu rechnen ist für den Fall, daß keine mechanische Beschädigung eintritt? Das heißt, wie lange muß man noch damit rechnen, daß Päckchen dieser Art sowohl das Wasser als auch die Strände verschmutzen und damit eine Gefährdung für Mensch und Tier darstellen?
Frau Abgeordnete, diese Informationen liegen mir nicht vor.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Grünbeck.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, alle Weltmeere abzusuchen, damit wir die Fragen der Opposition beantworten können?
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Herr Staatssekretär, Sie dürfen die Frage des Kollegen Grünbeck gerne beantworten.
Herr Abgeordneter, ich bitte um Nachsicht. Ich hatte die Frage akustisch nicht verstanden.
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Dann muß ich sie wiederholen: Sehen Sie eigentlich eine Möglichkeit für die Bundesregierung, alle Weltmeere abzusuchen, damit wir die Fragen der Opposition beantworten können?
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Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß alle Vorkehrungen getroffen werden - auch von der Bundesregierung, soweit sie zuständig ist -, um das, was an Schaden zu vermeiden ist, zu veranlassen.
Nun noch eine Frage der Kollegin Siegrun Klemmer.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Tatsache, daß sich dieser Unfall in unmittelbarer Küstennähe eines deutschen Gewässers, nämlich der Nordsee, abgespielt hat, Grund genug gewesen wäre, diese Untersuchungen durch Ihr Ministerium oder - mittels der von Ihnen als so hervorragend bezeichneten Zusammenarbeit im Kabinett - durch ein anderes Ministerium anfordern zu lassen?
Frau Abgeordnete, ich versichere Ihnen, daß die Bundesregierung alles Notwendige getan hat und auch in Zukunft tun wird, um solche Gefahren zu minimieren bzw. in Zukunft zu vermeiden.
({0})
Da zu dieser Frage keine weiteren Zusatzfragen vorliegen, kommen wir zur Frage 6 der Kollegin Marion Caspers-Merk:
Wie ist die Haftung im Schadensfall beim Transport gefährlicher Güter und insbesondere von hochgiftigen und in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassenen Pflanzenschutzmitteln geregelt, und strebt die Bundesregierung für diesen Fall die Gründung eines Haftungsfonds analog dem Haftungsfonds für die Entsorgung von Giftmüll an?
Frau Abgeordnete, in der Regel besteht, falls deutsches Recht anwendbar ist, für Schäden an Körper, Gesundheit oder Eigentum, die bei einem Gefahrguttransport entstanden sind, nach §§ 823 ff. BGB eine der Höhe nach unbegrenzte Haftung des Verursachers, soweit die rechtswidrige Schädigung schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, verursacht worden ist. Im Bereich der Seeschiffahrt haftet zudem der Reeder, ohne sich nach § 831 BGB entlasten zu können, gemäß § 485 HGB für den Schaden, den eine Person der Schiffsbesatzung oder ein an Bord tätiger Lotse einem Dritten in Ausführung von Dienstverrichtungen schuldhaft zufügt. Allerdings ist nach Maßgabe der §§ 486f. HGB die seerechtliche Haftung der Höhe nach beschränkt.
Daneben hat sich in großen Bereichen der außervertraglichen Transporthaftung eine Gefährdungshaftung entwickelt, die einen Verschuldensvorwurf nicht erfordert. Beispielsweise besteht für Schäden, die beim Betrieb von Kraftfahrzeugen verursacht werden, eine Gefährdungshaftung nach den §§ 7 ff. des Straßenverkehrsgesetzes, die allerdings der Höhe nach begrenzt ist. Für den Schienenverkehr sieht das Haftpflichtgesetz ebenfalls eine verschuldensunabhängige, aber der Höhe nach begrenzte Haftung vor. Letztlich ist darauf hinzuweisen, daß bei Gewässerverschmutzungen der § 22 des Wasserhaushaltsgesetzes eine der Höhe nach nicht begrenzte Gefährdungshaftung vorsieht, die sich auch auf die Küstengewässer bezieht.
Nichtsdestoweniger verdeutlicht der durch das französische Containerschiff Sherbro ausgelöste Schadensfall, daß eine befriedigende Lösung der Haftungs- und Entschädigungsfrage nicht allein durch die nationale Gesetzgebung, sondern vor allem durch internationale Regelungen herbeizuführen ist. Internationale Instrumente bestehen bislang nur im Bereich des Mineralöltransports in Form des Internationalen Übereinkommens über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und des Internationalen Übereinkommens über die Errichtung eines internationalen Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden.
Die Verkehrsminister von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich haben bei ihrem Treffen am 26. Januar 1994 ihre Entschlossenheit bekräftigt, auf die Fertigstellung eines internationalen Übereinkommens über die zivilrechtliche Haftung für Schäden beim Transport von Gefahrgut auf See bis zum Jahre 1996 zu drängen. Sie haben weiter erklärt, daß bei einem Scheitern dieser Bemühungen als Dringlichkeitsmaßnahme die Einrichtung eines regionalen Entschädigungsfonds ins Auge gefaßt werden müsse.
Ich bitte um kurze Antworten! - Wir sind jetzt eigentlich am Ende der Fragestunde. Ich lasse noch maximal zwei Zusatzfragen der Fragestellerin, aber keine weiteren Zusatzfragen mehr zu.
Herr Staatssekretär, wenn dies jetzt international verhandelt wird, dann räumen Sie doch auch ein, daß beim Transport gefährlicher Güter eine Verschärfung dringend erforderlich ist, weil der Transport dieser Güter eben anders behandelt wird als der Transport beispielsweise von Rohöl. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, wenn alle diese angestrebten Übereinkünfte scheitern?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung sieht die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen. Sie wird diese notwendigen Maßnahmen in Abstimmung mit den verschiedenen Ressorts formulieren und dann entsprechend im internationalen Bereich einbringen.
Die zweite Zusatzfrage der Kollegin Caspers-Merk.
Uns interessiert, ob dieser Fonds in Zukunft auch verschuldensunabhängig haftet, d. h. ob es eine allgemeine Haftung gibt, und ob diese Haftung nicht nur - wie normalerweise beim Transportgewerbe - den Verlust abdeckt, sondern eben auch die Sanierungsmaßnahmen an der Küste?
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung wird auch diese Frage klären.
Nachdem das jetzt eine so kurze Antwort war, würde ich, wenn mir versprochen wird, daß das nicht als Präjudiz gewertet wird, auch noch den Kollegen Burkhard Hirsch mit einer letzten Zusatzfrage aufrufen.
Herr Staatssekretär, mir ist Ihr Hinweis auf die beschränkte Höhe der Gefährdungshaftung bei Kraftfahrzeugen deswegen völlig unverständlich, weil doch daneben die verschuldensabhängige Haftung in unbeschränkter Höhe besteht. Würden Sie mir daher bitte erklären, welche Bedeutung Ihr Hinweis auf die beschränkte Höhe dieser Haftung hier in diesem Zusammenhang haben soll?
({0})
Herr Abgeordneter, meine Aussage bezog sich auf die gesetzliche Regelung. Ich bin gern bereit, Ihnen diese weitere Auskunft, weil sie in die Zuständigkeit des BMJ fällt, schriftlich zu beantworten. - Danke sehr.
Wenn ich richtig informiert bin, beende ich damit die Fragestunde.
Nach der Fragestunde beginne ich mit den amtlichen Mitteilungen.
Der Kollege Klaus Harries - ich sehe ihn im Augenblick zwar nicht, sage das aber trotzdem - feierte am 27. Januar seinen 65. Geburtstag und der Kollege Dr. Karl-Heinz Klejdzinski am 30. Januar seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere beiden im Namen des Hauses ganz herzlich.
({0})
Aus dem Kuratorium der „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR" im Bundesarchiv scheidet der Kollege Wolfgang Mischnick als stellvertretendes Mitglied aus. Die Fraktion der F.D.P. benennt als seinen Nachfolger den Kollegen Uwe Lühr. - Dies teile ich Ihnen nur zu Ihrer Unterrichtung mit.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung zur Tagesordnung soll der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Mindeststandards bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts" auf Drucksache 12/6715 in verbundener Debatte mit Tagesordnungspunkt 3 beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 3 a bis 3 d und den soeben auf die Tagesordnung gesetzten Punkt auf:
3. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes ({1})
- Drucksache 12/6643 Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens ({2})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993
- Drucksache 12/6669 Überweisungsvorschlag:
Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens ({3})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Petra Bläss, Andrea Lederer, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS/Linke Liste eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({4})
- Drucksache 12/6648 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Frauen und Jugend ({5}) Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Bläss, Andrea Lederer und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Sicherung der unentgeltlichen Bereitstellung von Kontrazeptiva
- Drucksache 12/6647 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Frauen und Jugend ({6}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mindeststandards bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993
- Drucksache 12/6715
Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens ({0})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster das Wort unserer Kollegin Irmgard Karwatzki.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor etwas mehr als anderthalb Jahren, am 25. Juni 1992, haben wir in diesem Hause zuletzt um eine gesetzliche Neuregelung zum Schutz des ungeborenen Lebens gerungen. Es ging darum, den Auftrag aus dem Einigungsvertrag auszuführen und zu einer gesamtdeutschen Regelung zu kommen, um die bis dahin in beiden Teilen Deutschlands geltenden unterschiedlichen Gesetzesgrundlagen zu vereinheitlichen. Dieser Auftrag wartet nach wie vor auf seine Erledigung durch den Gesetzgeber, denn das Ziel, eine verfassungskonforme Neuregelung zu formulieren, wurde verfehlt.
Das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Schwangeren- und Familienhilfegesetz wurde auf Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 28. Mai 1993 in seinen zentralen strafrechtlichen Vorschriften wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklärt. Die wesentlichen Gründe für das Scheitern der mit diesem Gesetz verfolgten Fristenregelung waren erstens die generelle, lediglich an das Fristerfordernis gebundene Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, zweitens die völlig unzureichende Lebensschutzorientierung der Beratung, drittens der Mangel an aussichtsreicher strafrechtlicher Absicherung des Schutzkonzepts gegenüber Arzt sowie familiärem und sozialem Umfeld der Schwangeren und ein Weiteres, die Finanzierung nicht rechtmäßiger Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Die Ausgangslage für die heutige Debatte ist damit klar. Jede Neuregelung muß sich an dem Urteilsspruch orientieren.
Unser Entwurf enthält folgende wesentliche Grundzüge:
Rechtmäßig ist ein Abbruch nur in den unter staatlicher Verantwortung festgestellten Indikationen des § 218a StGB.
Der unter den Voraussetzungen der Beratungsregelung vorgenommene Schwangerschaftsabbruch wird im Wege eines Tatbestandsausschlusses straffrei gestellt. Eine Feststellung der Rechtmäßigkeit im Strafrecht ist damit nicht verbunden. Dies ermöglicht es, den Schwangerschaftsabbruch in anderen Teilen der Rechtsordnung als Unrecht zu behandeln, wie dies z. B. im Bereich der Krankenkassenfinanzierung notwendig wird.
Die zur Straflosigkeit führende Schwangerschaftskonfliktberatung soll die Frau zur Fortsetzung der
SSchwangerschaft ermutigen und hat deshalb zielorientiert und wertgebunden zu erfolgen. Sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe wird sie ergebnisoffen gestaltet.
Die Erteilung der Beratungsbescheinigung, die Anerkennung der Beratungsstellen und die Überwachung der Beratungstätigkeit werden nach Maßgabe der Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts bundeseinheitlich geregelt.
Die Strafvorschriften für ärztliche Pflichtverletzungen werden entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen präzisiert.
Es wird der vom Bundesverfassungsgericht geforderte zusätzliche Straftatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs durch Personen des familiären und sozialen Umfelds geschaffen.
Die unter der Beratungsregelung vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche werden durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht finanziert. Für bedürftige Frauen trägt die Sozialhilfe die Kosten bei nicht rechtmäßigen Schwangerschaftsabbrüchen.
Zu den Einzelheiten werden die nach mir sprechenden Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion Näheres ausführen.
Eine Beratungsregelung auf der Grundlage der Karlsruher Entscheidung bietet wie kein anderer Regelungsvorschlag die Chance für eine längst überfällige Befriedung; denn sie führt in einzigartiger Weise bislang als unvereinbar geltende Positionen zusammen:
Das verfassungsrechtlich begründete Unrechtsurteil gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch bleibt gewahrt und findet in der Rechtsordnung deutlichen Ausdruck.
Die klare Wertrangfolge „Leben vor Selbstbestimmung" bleibt bestehen und bestimmt den Inhalt der verpflichtenden Beratung.
Die bewußtseinsbildende Signalwirkung des Strafrechts wird trotz Verzichts auf die Notwendigkeit einer strafbewehrten Indikationsfeststellung aufrechterhalten.
Die Letztverantwortung der Frau wird respektiert.
Ich halte es für einen Vorteil, daß sich die Beratungsregelung der herkömmlichen Einordnung „Indikationsregelung, Fristenregelung" entzieht. Vom klassischen Fristenmodell unterscheidet sie sich insbesondere dadurch, daß die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nicht von der Einhaltung einer Frist abhängt. Die Beratungsregelung ermöglicht nur die Straffreiheit von beratenen Schwangerschaftsabbrüchen, begründet aber nicht deren Rechtmäßigkeit. Im Vordergrund steht die eindeutig lebensschutzorientierte Beratung, nicht die Anerkennung der Letztverantwortung der Frau. Diese ist vielmehr eine von mehreren Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Schutzkonzepts im Hinblick auf die damit zu erwartenden positiven Auswirkungen für den Lebensschutz in der Beratungssituation.
Meine Damen und Herren, ich mache keinen Hehl aus der Tatsache, daß die Verwirklichung eines solchen Schutzkonzepts der Union einiges an Bewegung abverlangt hat. Jedoch haben wir bei unserem Gang nach Karlsruhe stets Respekt vor der nicht in unserem Sinne verlaufenen demokratischen Mehrheitsentscheidung bekundet und betont, daß es uns um die Sache und nicht etwa um eine Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln ging.
Von daher ist es nur folgerichtig, wenn wir nunmehr ein Konzept mittragen und mitgestalten, für das der verfassungsrechtlich notwendige Rahmen gesteckt ist und welches den damaligen gesetzgeberischen Vorstellungen am nächsten kommt. Dies entspricht unserem Verständnis von parlamentarischer Demokratie, deren Entscheidungen im Zweifelsfall nicht schon durch einen bloßen Willen der Mehrheit, sondern erst durch die vom Bundesverfassungsgericht letztverbindlich festzustellende Vereinbarkeit mit der Verfassung legitimiert werden.
Meine Damen und Herren, so schwierig sich die Abtreibungsthematik in der Rechts- und Lebenswirklichkeit auch gestaltet - die Menschen und vor allem die Frauen erwarten von uns jetzt eine Lösung, die Bestand hat
({0})
und die rechtliche Orientierung bietet. Der in unserer Gesellschaft ohnehin schon besorgniserregende Konsensverlust hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Lebens wird durch ideologisch geführte Auseinandersetzungen nicht kleiner. Insbesondere dem ungeborenen Leben nützt ein solcher wenig.
Wir müssen wieder zu einem Klima finden, in dem sich das Bewußtsein für den Schutzwert und die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens neu entwickeln und entfalten kann. Hierfür sind wir alle gefordert, Staat und Gesellschaft.
Ich bitte deshalb alle Kolleginnen und Kollegen, ernsthaft zu prüfen, ob wir mit dem vorgelegten Entwurf der Koalition nicht eine gemeinsame Basis für einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens finden können.
({1})
Als nächste spricht die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der § 218 läßt uns nicht los. Ganz offensichtlich werden wir den Streit auch in dieser Legislaturperiode nicht begraben können, selbst wenn wir ein Gesetz verabschieden sollten. Zwar hatten wir mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz im Juni 1992 eine breite Mehrheit im Bundestag und eine noch breitere Mehrheit in der Bevölkerung erreicht, aber einen Konsens nicht geschaffen.
Das von der Union angerufene Bundesverfassungsgericht hat das Beratungskonzept der Mehrheit des Hauses mit eigenverantwortlicher Entscheidung der Frau in den ersten drei Monaten grundsätzlich verfassungsrechtlich gebilligt und in den wesentlichen
Grundzügen nicht angetastet. Dennoch war die öffentliche Reaktion auf das Urteil ungeheuer heftig und merkwürdig widersprüchlich. Der Papst begrüßte das Letztentscheidungsrecht der Frau, und die CDU/ CSU erklärte sich zur Siegerin, obwohl sie mit ihrer Klage in allen entscheidenden Punkten verloren hatte.
({0})
Frauen fühlten sich durch patriarchalische Wortwahl und Begründungen abgestoßen und empfanden juristische „Spitzfindigkeit" und Argumentation als Verletzung ihrer Würde, obwohl verfassungsrechtlich gebilligt - ich zitiere der Staat im Beratungskonzept die Letztverantwortung der Frau überläßt. Er gibt ihr Entscheidungshilfen. Aber er bewertet ihre Entscheidung nicht. Er sagt nicht, ihre Entscheidung zum Abbruch im Einzelfall sei rechtmäßig oder rechtswidrig .. .
So Fritz Ossenbühl, der Rechtsvertreter der CDU/ CSU-Mehrheit.
Das Gericht beläßt der Frau die Letztentscheidung, bürdet ihr dafür aber die Ungewißheit auf, ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig entschieden hat. Das Gesetz kann deswegen nicht festhalten, der eigenverantwortlich verlangte Schwangerschaftsabbruch sei „nicht rechtswidrig". Rechtlich zulässig ist es gleichwohl, ihn als straflos oder nicht tatbestandsmäßig zu deklarieren.
Das Verdikt „rechtswidrig", wenn auch nur möglicherweise, empörte die Gemüter in den neuen Ländern noch mehr als die in den alten. Rechtsphilosophische Auslegungen haben in Deutschland Tradition; die Bürgerinnen und Bürger verstehen sie jedoch nicht.
({1})
Angesichts dieser Situation hätten wir uns gewünscht, wir wären zu einer fraktionsübergreifenden Anpassung des grundsätzlich vom Gericht akzeptierten Mehrheitsgesetzes an die Auflagen des Gerichts gekommen. Unsere Versuche, zunächst in der alten Gruppe oder über die Gruppe hinausgehend mit den Sprecherinnen aller Fraktionen zu verhandeln, fielen dem Wunsche von F.D.P. und CDU/CSU zum Opfer, auch in dieser Frage vor der Wahl Koalitionsdisziplin zu demonstrieren. Dieses Muster hatten wir schon vor der Bundestagswahl 1990, als die F.D.P.-Frauen auch von der gemeinsamen Initiative abrücken mußten. Das hat eine Lösung sehr verzögert, aber nicht verhindert, und insofern bin ich guten Mutes.
({2})
Jetzt haben wir zwei Entwürfe, die weiter voneinander entfernt sind, als es der gemeinsamen Grundlinie, wie sie im Gruppenantrag aufgezeichnet war, entspricht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß um der Koalitionseinheit willen in einem Gesetzentwurf demonstriert werden soll, daß sich das Fristenmodell mit Beratungspflicht der F.D.P. und die restriktive Indikationsregelung der CDU/CSU bei Gericht gleichzeitig durchgesetzt haben.
Die Widersprüchlichkeiten kennzeichnen Gesetzentwurf und Begründung der Koalition. Mit ungeheurem Aufwand und seitenlangen Zitaten sollen Verfassungstreue belegt und der notwendige Positionswechsel der CDU/CSU verdeckt werden. Tatsächlich - ich zitierte ja eingangs den Prozeßvertreter der CDU/CSU - ist der Gruppenantrag bestätigt worden einschließlich des Konzepts von Beratung und sozialer Sicherung.
Der Schutzauftrag durch soziale Maßnahmen wurde vom Gericht nachhaltig unterstützt. „Der Staat ... ist ... gehalten, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern, was auch auf den Schutz des ungeborenen Lebens zurückwirkt" - so das Gericht -, und ebenso „die Gleichstellung von Mann und Frau" zu verwirklichen.
Dem Staat wird ausdrücklich die Pflicht auferlegt - ich zitiere - „ Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können" . Das gilt auch und insbesondere für das Angebot der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Das Gericht hält ausdrücklich fest: „Die Bedeutung solcher Leistungen als Maßnahmen präventiven Lebensschutzes hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen, wenn es erforderlich wird, staatliche Leistungen im Hinblick auf knappe Mittel zu überprüfen. "
Weder das Recht auf einen Kindergartenplatz noch ein vernünftiger Familienlastenausgleich dürften danach zur Disposition stehen.
({3})
In einem der reichsten Länder der Welt muß uns immer noch ein Gericht auf das Untermaßverbot für soziale Leistungen und Vorkehrungen zur Vereinbarkeit von Beruf und von Familie als Lebensschutz hinweisen.
({4})
Die SPD setzt im übrigen die Auflagen des Gerichts sehr genau und präzise um, ohne grundlegende Veränderung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes vorzunehmen oder die Strukturen zu verändern. Das ist für uns auch deshalb wichtig, weil eine verwirrende Diskussion um strafrechtliche Begrifflichkeit zu einer grundlegenden Verunsicherung von Frauen, Ärzten und Ärztinnen, insbesondere in den neuen Ländern, geführt hat. Hier muß die Kontinuität des Diskussionsprozesses seit der deutschen Vereinigung deutlich gemacht werden. Es hat Korrekturen gegeben - schwer erträgliche Korrekturen für Frauen -, aber es hat keine Brüche gegeben.
Vom Koalitionsentwurf trennen uns neben dem Verzicht auf die Übernahme weitschweifiger Begründungstexte des Gerichts in das Gesetz vor allen Dingen drei Punkte: Die Beratungsvorschriften, die unnötige Kriminalisierung der Familie der Schwangeren und die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs für Frauen mit unterdurchschnittlichem Einkommen.
({5})
Vorab: Eine Auflage des Bundesverfassungsgerichts haben wir nicht umgesetzt: die Strafe für den
Arzt, der einer Schwangeren das Geschlecht des Embryos mitteilt. Wir sind zwar weit von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt, aber in Indien leben wir nicht und auch nicht in China. Wir interpretieren unsere Wirklichkeit anders als das Bundesverfassungsgericht. Wir halten eine solche Strafvorschrift für eine Diskriminierung von Mädchen und nicht für einen Schutz.
({6})
Wir haben keine kriminologische Indikation eingeführt. Für uns fällt diese unter die medizinische, ebenso - Sie werden sich an unseren ersten Entwurf erinnern - wie die embryologische Indikation. Die erhalten wir nur, weil sie im Gruppenantrag so vereinbart war. Für uns ist die unzumutbare physische oder psychische Belastung der Frau das Kriterium für eine Indikation und kein Tatbestand, der außerhalb ihrer selbst liegt.
Wir haben die Vorschriften über die Anerkennung von Beratungsstellen ebenso wie den § 219 StGB, der die verpflichtende Konfliktberatung regelt, den Erfordernissen des Urteils angepaßt.
Die Ausgestaltungen der Koalition sind unzumutbar und unnötig. Gerade hier - einem Bereich, der für ostdeutsche Frauen schwer verständlich und schwer erträglich ist - erscheint uns jede Ausweitung über das Bundesverfassungsgerichtsurteil hinaus schädlich.
({7})
Das Urteil wird hier von Frauen, Beratungsstellen und Ärzten am wenigsten akzeptiert und als unangemessene Bevormundung angesehen. Wir wollen den Auftrag der Beraterinnen und Berater, aber auch die Grenzen des Auftrags deutlich machen.
Völlig unverständlich ist für mich die strafrechtliche Einmauerung der Schwangeren durch die neuen Strafen für Familie und Umfeld der Schwangeren. Niemand will, daß wildgewordene Familien Frauen unter Druck setzen. Aber im Schwangeren- und Familienhilfegesetz hatten wir nach langen Diskussionen zu Recht erkannt: Dazu brauchen wir Appeasement in den Familien und nichts anderes.
Wir brauchen eine Familiensituation, in der eine ungewollte Schwangerschaft angenommen oder doch wenigstens hingenommen wird. Deshalb sieht das Gesetz unbeanstandet durch das Gericht vor, daß für die Sozialhilfeleistungen an junge Frauen, schwanger oder mit Kindern bis zum 6. Lebensjahr, die Eltern nicht vom Sozialamt herangezogen werden dürfen.
Sinn war und ist, den Familienfrieden zu erhalten. Wie soll dieser nun mit einer völlig unbestimmt auslegungsfähigen Strafandrohung erhalten bleiben? Was ist eine zumutbare, in einer Notlage erbetene materielle Hilfe, die geleistet werden muß, um Strafe abzuwehren? Eine solche diffuse Strafandrohung schützt Leben nicht, sondern führt zur Ablehnung der Schwangeren, des erwarteten Kindes, zur Zerstörung einer ohnehin belasteten Familiensituation.
({8})
Ein Gerichtsurteil muß umgesetzt werden, aber nicht jedes Komma der Begründung. Hier wird das
Gegenteil des Gewollten erreicht. Die Familie wird gegen das werdende Leben festgelegt.
Mit der eindeutigen Interpretation des Nötigungsparagraphen bleiben wir auf gesichertem Rechtsgebiet und verunsichern die Familien nicht zusätzlich.
({9})
Anknüpfend an die Auslegung, daß bei einem von der Frau selbst entschiedenen Schwangerschaftsabbruch nicht feststellbar sei, ob dieser rechtmäßig oder rechtswidrig sei, hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, eine allgemeine Finanzierung all dieser Schwangerschaftsabbrüche durch die Krankenkassen sei nicht rechtens. Wohl aber sei der Staat verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß keine Frau sich gehindert sehe, einen Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt oder eine Ärztin vornehmen zu lassen.
Hier wird die Gewundenheit und Widersprüchlichkeit des Urteils besonders deutlich und für Bürgerinnen und Bürger schier unverständlich. Daß es hier nicht mehr vorrangig um Rechtsinterpretation ging, sondern um das Ringen der Richterinnen und Richter mit dem eigenen Gewissen oder der politisch-ideologischen Herkunft, wird überdeutlich. Immerhin hatte der eigene Gutachter des Gerichts, Schulin, die allgemeine Finanzierung für einen integralen Bestandteil des Beratungskonzepts angesehen.
Deshalb ist der Gesetzgeber um so mehr zu einer klaren, einfachen und verständlichen Lösung aufgerufen. Diese schlagen wir vor. Wir wollen, daß jede Frau, auch die nicht krankenversicherte, die Sozialhilfeempfängerin, zu ihrer oder einer anderen gesetzlichen Krankenkasse gehen kann, ihre letzte Gehaltsabrechnung oder ihren Lohnstreifen vorlegt und auf dieser Grundlage den Abbruch finanziert bekommt, wenn ihre monatlichen Bruttoeinnahmen nicht mehr als 80 % des Durchschnittseinkommens aller Sozialversicherten betragen, d. h. gegenwärtig 3 136 DM brutto im Westen und 2 464 DM in den neuen Ländern.
Diese Regelung erspart uns weitere Nachprüfungen über Mieten und persönliche Verhältnisse. Jede Frau weiß, womit sie rechnen kann, und Arzt bzw. Ärztin wissen es auch. Die Einkommenshöhe entwickelt sich entsprechend der allgemeinen Einkommensentwicklung. Das vereinfachte Verfahren ist auch den Kassen zumutbar. Sie bekommen ihre Kosten vom Bund erstattet.
Das von der Koalition vorgelegte Modell hat alle diese Vorteile nicht.
Schon vor 25 Jahren habe ich für die Reform des § 218 Unterschriften gesammelt. Seitdem hat sich einiges geändert - bei weitem nicht genug.
({10})
Ich hatte gehofft, daß wir mit dem 1992 mehrheitlich beschlossenen Gesetz die Fronten wenigstens für einige Zeit hätten beruhigen können, auch wenn das ein Kompromiß war, der uns Sozialdemokratinnen manches abgefordert hat. Die Klage der CDU/CSU-Mehrheit hat das zunichte gemacht, auch wenn sie für sich fast nichts bewirkt und vor allem neue Fronten aufgerissen hat.
Die immensen Anstrengungen der Jahre 1990, 1991 und 1992 haben immerhin dazu geführt, daß wir die eigenverantwortliche Entscheidung der Frau in den ersten drei Monaten im Beratungskonzept durchgesetzt haben.
Wir möchten noch in dieser Legislaturperiode eine gesetzliche Regelung erreichen. Allerdings ist eine Lösung, die hinter die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts zurückfällt, wie die Koalition sie jetzt vorschlägt, mit uns nicht zu machen.
({11})
Als nächste nimmt jetzt die Kollegin Uta Würfel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Acht Monate seit dem Urteil haben wir uns sorgfältig und intensiv mit ihm auseinandergesetzt. Heute debattieren wir zum erstenmal über das Ergebnis unserer Beratungen bei der Umsetzung der richterlichen Vorgaben. Es ist sinnvoll und dient dem besseren Verständnis, wenn wir uns jetzt noch einmal in Erinnerung rufen, was die Mehrheit des Deutschen Bundestages mit dem sogenannten Gruppengesetz erreichen wollte.
Wir wollten die Fristenregelung mit der eigenverantwortlichen Entscheidung der Frau nach Beratung. Wir wollten die Straffreiheit für Frau und Arzt beim Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft. Wir wollten die Übernahme der Kosten eines Schwangerschaftsabbruches wie bei der Indikationenregelung auch nach der Beratungsregelung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Und wir wollten die Gewährleistung der Lohnfortzahlung für alle Frauen.
Bei der Gestaltung des Gruppengesetzes 1992 war die erwachsene, verantwortungsbewußt handelnde Frau Leitbild unserer Regelungsvorstellungen. Diese Frau entscheidet nach sorgfältiger Reflektierung ihrer Lebenssituation und nachdem sie über wirkungsvolle Hilfen und Rechtsansprüche im Rahmen der Beratung unterrichtet wurde, auf der Basis ihres eigenen Urteilsvermögens, ob die angebotenen Hilfen und die angebotene Unterstützung ausreichend sind und ob sie ihren Konflikt bewältigen helfen oder nicht.
Zur größten Überraschung vieler teilten die Richter des Verfassungsgerichts diese unsere Auffassung. Frau Präsidentin, ich darf zitieren:
Der Staat hat eine bessere Chance zum Schutz des Ungeborenen, wenn er mit der Mutter zusammenwirkt. Es ist daher eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung des Gesetzgebers, wenn er sich zur Erfüllung seines Schutzauftrages einem Konzept zuwendet, das davon ausgeht, jedenfalls in der Frühphase einer Schwangerschaft sei ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter, aber nicht gegen sie möglich.
Das, meine Damen und Herren von der Koalition, ist die Grundlage des Urteils. Die Richter sagten, daß der Gesetzgeber des Schwangeren- und FamilienhilfegeUta Würfel
setzes „den Wechsel im Schutzkonzept" - also von der Indikationenregelung zur Beratungsregelung -„mit vertretbaren Einschätzungen vollzogen" hat. Sie gestehen deshalb der Frau die eigenverantwortliche Entscheidung über Fortsetzung oder Beendigung der Schwangerschaft zu. Diese freie Entscheidung trifft die Frau in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis.
Die Richter verlangen eine Rechtskonstruktion, wie sie der F.D.P.-Entwurf von 1991 enthielt, eine Rechtskonstruktion, nach der die Rechtmäßigkeit, aber auch die Unrechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft von niemandem mehr festgestellt wird, wenn der Schwangerschaftsabbruch auf der Grundlage ganz bestimmter Voraussetzungen erfolgt. Damit kann es niemals wieder Vorgänge wie in Memmingen geben.
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Das Gericht gestattet aber auch - damit hier kein falscher Eindruck entsteht, wiederhole ich das - die Finanzierung aller ärztlichen Leistungen vor dem Abbruch über die gesetzliche Krankenkasse, ebenso von komplikationsbedingten Leistungen während des Schwangerschaftsabbruchs und Leistungen nach dem Schwangerschaftsabbruch, wenn sie durch Komplikationen bedingt sind. Lediglich der operative Teil des Eingriffs soll nicht mehr von den Krankenkassen übernommen werden dürfen.
Das Gericht geht - richtigerweise - noch viel weiter, indem es sagt: Alle ärztlichen Leistungen müssen von der gesetzlichen Krankenkasse für bedürftige Frauen übernommen werden, und zwar nach der Sozialhilferegelung.
Jetzt kommt ein weiteres sehr Verblüffendes: Abweichend vom Charakter der Sozialhilfe darf es in diesen Fällen der Bedürftigkeit von Frauen keinen Regreßanspruch gegen Unterhaltsverpflichtete oder nahe Angehörige geben.
Das heißt zusammenfassend nichts anderes als: Zum erstenmal in der deutschen Rechtsgeschichte wurde den Frauen im Schwangerschaftskonfliktfall zugestanden, auf der Grundlage einer verpflichtend wahrzunehmenden Beratung und nach dem Einhalten einer dreitägigen Bedenkzeit von dem Arzt ihrer Wahl einen Schwangerschaftsabbruch verlangen zu können. Schwangerschaftsabbrüche, die in der Frühphase der Schwangerschaft, also innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis, vorgenommen werden, sind seit Mai 1993 von der Strafdrohung ausgenommen. Frau und Arzt handeln im Einvernehmen mit Recht und Gesetz.
Es mag für viele Kolleginnen und Kollegen in der Union verblüffend sein, daß die Richter dieses Leitbild von der verantwortlich handelnden Frau hatten. Aber nachdem sie es mm zum Maßstab ihres Handelns gemacht haben, wird Ihnen allen doch auch klar, daß an die Beratung, die Dreh- und Angelpunkt dieser Schutzkonzeption ist, ganz bestimmte Anforderungen gestellt werden, daß sie nach ganz bestimmten Kriterien vorgenommen werden muß.
Welches sind diese Kriterien? Die Beratung hat auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin zu erfolgen. Was das heißt, werde ich gleich sagen. Sie muß aber auch ergebnisoffen sein: Es darf keine Bevormundung der Frau stattfinden, es darf keine belehrende Einflußnahme erfolgen, es darf nicht manipuliert werden, und es darf nicht indoktriniert werden. Das sind Vokabeln, die die Richter gebrauchen, die nicht etwa wir Liberalen uns aus den Fingern gesogen haben. Das ist das Leitbild der Beratung.
Es gibt auch keinen Zwang für die Frau im Hinblick auf die von ihr erwartete Gesprächsbereitschaft, also ihre Bereitschaft, an dem Gespräch mitzuwirken. Sie muß es nicht, wenn sie seelisch dazu nicht in der Lage ist. Es wird nur versucht, es zu erreichen.
Ferner dürfen bei der Frau keine Schuldgefühle geweckt werden.
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Es ist also Aufgabe der Beratung, den Frauen in der Beratung zu helfen, damit sie sich ermutigt fühlen können auszutragen.
Daraus, meine Damen und Herren aus der CDU/ CSU, und aus nichts anderem erhält das sich entwikkelnde Leben eine Chance. Nur wenn die Frauen in ihrer Verantwortung ernst genommen werden und ohne Drängen auf das Austragen der Schwangerschaft hin ergebnisoffen ihren Konflikt während der Beratung reflektieren können, erfüllt die Beratung ihren Sinn.
Ich wende mich jetzt ganz besonders an die 30 Kolleginnen und Kollegen aus der CDU, die diesem Konzept nicht folgen können. Die Richter sagen ausdrücklich - ich zitiere -: Die Beratung soll ermutigen und nicht einschüchtern, sie soll Verständnis wecken und nicht belehren, sie soll die Frau nicht bevormunden, sondern sie in ihrer Verantwortung stärken.
Jetzt möchte ich für alle, die bei der Beratung einen Widerspruch in den Begriffen zielorientiert und ergebnisoffen sehen, noch einmal darauf zurückkommen. Eine Beratung, die auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin ausgerichtet ist, ist zielorientiert. Das Ziel ist, der Frau im Rahmen der Beratung so wirkungsvoll Wege aus dem Konflikt aufzeigen zu können, daß sie sich eine Fortsetzung der Schwangerschaft zutraut und daß sie sich einem Leben mit dem Kind stellt. Das heißt also, die Hilfen richten sich auf die Frau, auf das lebendige Wesen Frau. Die Wege, die aus dem Konflikt führen sollen, müssen so wirkungsvoll sein, daß sie die Frau überhaupt erst ermutigen können, die Schwangerschaft fortzusetzen.
Keine Beraterin - sei sie katholisch, von der Caritas, vom Gesundheitsamt oder von „Pro Familia" - kann es verantworten, eine Frau zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft zu ermutigen, wenn die Hilfen, die angeboten werden, nicht tragen können.
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Das tut keine Beraterin. Also geht es darum, daß sich der Staat nicht länger aus der Verantwortung für Frauen mit ihren ungewollten Schwangerschaften stiehlt, sondern daß die Rechtsansprüche tragen und
die Hilfen so effizient sind, daß ein Leben mit dem Kind überhaupt vorstellbar wird.
Und jetzt ein Wort an die Herren Geis und Carstens.
Darf ich einmal unterbrechen, Frau Würfel? Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Otto?
Selbstverständlich.
Frau Würfel, ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht den Eindruck haben, daß eigentlich weiter nichts gemacht worden ist, als die Konflikte am Ende in der Schwangerenhilfeberatung abgeladen zu haben, Konflikte, die ja in Wirklichkeit nicht gelöst sind. Sie sagen auf der einen Seite, es solle nicht belehrend mit der Frau umgegangen werden, und zweitens sagen Sie, es soll aber auch darauf hingewirkt werden, die Schwangerschaft fortzusetzen.
Wie soll das eine Beraterin in der Schwangerenhilfeberatung anstellen, ohne den Konflikt auf ihrem Tisch zu haben, gemeinsam mit der Frau?
Diese Vokabel, Frau Dr. Otto, habe ich so natürlich ganz bewußt nicht gebraucht. Das Schutzkonzept, das die Richter nachvollzogen haben und das bereits Grundlage des Gruppengesetzes war, sieht vor, daß allen Frauen die Gelegenheit gegeben werden muß, in die Beratung zu kommen, und daß durch eine offene Atmosphäre, durch ein Eingehen auf die Nöte der Frau darauf hingewirkt werden soll, es ihr zu ermöglichen, ihre Lebenssituation zu reflektieren.
Das war unser Ziel. Wir möchten schon, Frau Dr. Otto, daß es gelingt, in jedem speziellen Einzelfall auf die Frau einzugehen und ihr dann auch die notwendigen Hilfen aufzeigen zu können.
Es nützt wenig, Frau Dr. Otto, wenn die Frau ihre Ohren auf Durchzug stellt. Ich stelle mir eine Schwangerschaftskonfliktberatung durchaus so vor, daß es gelingt, nachdem die Strafdrohung für die Frau und den Arzt jetzt weggefallen ist und sie somit entkriminalisiert worden sind, eine auf den Einzelfall hin ausgerichtete Beratung zu erreichen. Die Frau soll von niemandem zu irgend etwas gebracht werden.
Es soll jedoch gelingen - und das ist unser aller Ziel und Ihres auch, Frau Dr. Otto, ganz sicherlich -, der Frau durch die Effizienz der Hilfen, die dann allerdings vorhanden sein müssen, so wirkungsvoll Wege aufzuzeigen, daß sie sich einem Leben mit dem Kind stellen kann.
Frau Würfel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
Gern.
Frau Kollegin Würfel, ist Ihnen bekannt, daß es in der Koalition Kolleginnen und Kollegen gibt, die zwar durchaus das Konzept der Beratung, wie Sie es jetzt vorgestellt haben, voll und ganz bejahen können, aber trotzdem Schwierigkeiten haben, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, weil sie der Fristenregelung, die in diesem Entwurf möglicherweise durchaus enthalten sein könnte,
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nicht zustimmen?
Herr Kauder, ich beantworte diese Frage gern. Frau Präsidentin, ich bitte um Verständnis, wenn diese Antwort jetzt ein wenig länger ausfällt, denn das betrifft den Kern des gesamten Geschehens.
Im Laufe der sieben Jahre, in denen ich mich nun mit der Problematik einer ungewollten Schwangerschaft auseinandergesetzt habe, ist mir immer wieder aufgefallen, wie schwer es vielen Menschen fällt, sich vorzustellen, daß die Frau, die in der Lage ist, Leben zu empfangen, auch in der Lage sein soll, im Schwangerschaftskonfliktfall verantwortlich zu entscheiden.
Die Indikationenregelung der Vergangenheit, die die Richter 1976 zugestanden haben, Herr Kauder, zeichnete sich dadurch aus, daß jeweils ein Dritter die Schwere des Konflikts der Frau nachzuvollziehen, zu bewerten, zu beurteilen hatte und damit die Rechtmäßigkeit dieses Abbruchs für sich und für Richter, die zu anderem Ergebnis kommen konnten, festhielt. Das, wovon jetzt abgewichen wird und was die Richter zugestanden haben - und ich meine, das Verfassungsgerichtsurteil gilt für jeden, auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, von denen Sie jetzt sprechen -, bedeutet nichts anderes, als daß auf der Grundlage einer hockqualifizierten, verpflichtend wahrgenommenen Beratung die Frau innerhalb der Frühphase der Schwangerschaft selbst entscheiden darf und kein Dritter, kein Gericht der Welt im nachhinein, nach einem Schwangerschaftsabbruch, mehr feststellt, ob die Gründe, die die Frau hatte, auch ausgereicht haben. Die Frau soll in die Lage versetzt werden, zu einer Meinungsbildung zu kommen, mit der sie ein Leben lang leben kann, die für sie trägt.
Denn schauen Sie einmal: Es ist doch die Frau, die damit leben muß, wenn sie austrägt. Wenn sie nachher dem Leben mit dem Kind nicht gewachsen ist, dann ist es genauso schwer, als wenn sie die Schwangerschaft beendet. Also kann auch nur sie alleine zu dieser Entscheidung kommen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Deswegen bin ich Ihnen dankbar, Herr Kauder, für diese Frage.
Es gibt eine Äußerung der evangelischen Kirche von 1978, die lautet: Es ist an der Zeit, daß die Kirchen - und damit ist auch die katholische Kirche gemeint gewesen - damit aufhören, die Frau als verführbar, sündhaft und schwach sowie nicht fähig anzusehen, im Schwangerschaftskonfliktfall eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.
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Die Richter des Verfassungsgerichts haben nun einstimmig gesagt: Die Frau ist dazu in der Lage.
Ich glaube, die Frage ist beantwortet.
Hoffentlich nutzt es auch etwas.
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Ich war bei Herrn Carstens, und ich war bei Herrn Geis. Herr Geis, ich freue mich, daß Sie hier unten sitzen; denn ich sehe mich gezwungen, Ihnen jetzt noch einmal eine Passage aus dem Urteil vorzulesen.
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- Aber offensichtlich nicht diese Passage.
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Sonst hätten Sie diesen Gesetzentwurf nicht so gemacht, wie er jetzt aussieht.
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Das Urteil lautet:
Es ist dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht verwehrt, für den Schutz des ungeborenen Lebens zu einem Schutzkonzept überzugehen, das in der Frühphase der Schwangerschaft in Schwangerschaftskonflikten den Schwerpunkt auf die Beratung der schwangeren Frau legt, um sie für das Austragen des Kindes zu gewinnen, und dabei im Blick auf die notwendige Offenheit und Wirkung der Beratung auf eine indikationsbestimmte Strafdrohung und die Feststellung von Indikationstatbeständen durch einen Dritten verzichtet.
Genau das wollen Sie nicht. Sie wollen beide sogar hinter das zurückgehen, was das Verfassungsgericht bereits 1976 den Frauen zugestanden hat. Deshalb fasse ich jetzt noch einmal für alle, die guten Willens sind, das Urteil umzusetzen, das zu tun, was die Richter vom Gesetzgeber verlangt haben, zusammen.
Das Gericht hat anerkannt - und das ist das eigentlich Sensationelle an dem Urteil -: Der Letztentscheid der Frau im Schwangerschaftskonfliktfall wird respektiert. Eine Entscheidung gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft ist eine ebenso verantwortliche Gewissensentscheidung wie eine Entscheidung zum Austragen. Die Straffreiheit der Frau und die des Arztes werden nicht mehr von der Feststellung der Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs durch Dritte abhängig gemacht. Der Arzt handelt auf der Grundlage eines rechtswirksamen Vertrages. Damit sind Frauen und Ärzte endlich entkriminalisiert. Es gibt die Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche in staatlichen Kliniken durchführen zu lassen. Die Frau hat Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Deshalb, meine Damen und Herren, und aus keinem anderen Grunde, waren wir Liberalen und ganz besonders ich mit dem Urteil zufrieden, und deshalb habe ich den Richtern Anerkennung gezollt.
Nun zum Gesetzentwurf der SPD: Ja, es hat nicht geklappt mit unserem Zusammengehen. Aber es hat deshalb nicht geklappt, weil ich Ihnen bereits am 19. Oktober schriftlich seitenlang nachgewiesen habe, wo Sie bei Ihren Vorstellungen Unterregeln und überregeln.
So fordern Sie beispielsweise als Voraussetzung für den Tatbestandsausschluß, daß sich der Arzt die Gründe für das Abbruchsverlangen der Frau darlegen läßt. Erreicht er dies nicht und vollzieht er trotzdem den Abbruch, trifft ihn die volle Härte des Gesetzes, nämlich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.
Auch wir haben die Forderung des Verfassungsgerichts umgesetzt, nach der sich der Arzt die Gründe darlegen lassen soll, um zu einer verantwortlichen Entscheidung kommen zu können. Nur hält der Koalitionsgesetzentwurf bei Verstoß gegen dieses Gebot einen Strafrahmen von Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr für geboten, aber auch für ausreichend. Sie, liebe SPD-Kollegen, verschärfen mit dieser Konstruktion die Anforderungen des Verfassungsgerichts an Sanktionen gegenüber dem Arzt aus mir völlig unerfindlichen Gründen.
Außerdem halten Sie an einer strafbewehrten Beratungspflicht bei der embryopathischen Indikation fest. Auch an dieser Stelle gehen Sie über die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts hinaus. Nachdem eine Frau, nachdem Eltern die vernichtende Diagnose gestellt bekommen haben, daß ihr Kind körperlich, seelisch, geistig schwerstgeschädigt sein kann, halten wir es für unzumutbar, sie daraufhin auch noch einer Zwangsberatung unterziehen zu müssen.
Jetzt komme ich zu § 219 StGB. Sie betonen wie auch wir die Ergebnisoffenheit der Beratung, aber Sie unterschlagen ganz bewußt die Zielorientierung auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin. Auf beiden Elementen fußt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Sie setzen diese bewußt nicht um.
Sie scheuen sich auch - ich muß sagen: wie der Teufel das Weihwasser -, in § 218 als Teil der Beratung das Eintreten in eine Konfliktberatung zu verankern. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Konfliktberatung aber ausdrücklich für notwendig erachtet. Es muß versucht werden, in eine Konfliktberatung einzutreten, es soll sich darum bemüht werden - nichts anderes sagt unser § 219 aus.
Bei der ins Auge gefaßten Strafbarkeit für Handlungen von Personen aus dem sozialen Umfeld der gewollt schwangeren, nicht der ungewollt schwangeren Frau greifen Sie nun zur Keule, indem Sie die Nötigung - das ist § 240 StGB - stets als einen besonders schweren Fall qualifizieren
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und dafür einen erhöhten Strafrahmen bis zu fünf Jahren vorsehen. Das bedeutet nichts anderes, als daß Sie auch hier über die Forderung des Bundesverfassungsgerichts hinausgehen. Sie erwähnen auch nicht, daß bereits der Versuch der Nötigung strafbar ist, also daß hier bereits ein Gefährdungstatbestand gegeben ist.
Außerdem ignorieren Sie bewußt die weiteren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, indem Sie
nicht regeln, was vom Verfassungsgericht als unerläßlich zu regeln vorgegeben worden ist. Es geht dabei um die beiden neuen Strafnormen für den Fall, wenn die erbetene Hilfe, die zur Abwendung eines Schwangerschaftsabbruchs unerläßlich ist, nicht geleistet wird oder wenn die Frau durch eine hartnäckige bewußte Einflußnahme zum Abbruch gedrängt wird, obwohl sie gerade dies nicht will und obwohl sie damit unter Umständen ein Leben lang nicht fertig wird.
Ich würde mir wünschen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß Sie sich hier eines Besseren besinnen und sowohl mit Ihren Überregelungen als auch mit Ihren Unterregelungen im Laufe der Beratungen im Sonderausschuß aufhören, zur Einkehr kommen und mit uns gemeinsam den Gesetzentwurf auf den Weg bringen.
Danke.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Debatte wird eine neue Runde im Glaubenskrieg um die Legalisierung oder Kriminalisierung des Abtreibungsrechts eingeläutet, und es ist bereits jetzt abzusehen, daß dies nicht die letzte sein wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber vor die schwierige Aufgabe gestellt, ein Urteil in Rechtsnormen umzusetzen, das an Widersprüchen und Paradoxien kaum zu überbieten ist und bis heute von den meisten Menschen in diesem Lande nicht ohne juristischen Gehirnschrittmacher verstanden wird.
Hinsichtlich der wichtigsten an die Verfassungsrichter gestellten Frage, ob eine Fristenlösung mit strafbewehrter Zwangsberatung verfassungskonform sei oder nicht, haben die Karlsruher Richter mit einem klaren „Jein" geantwortet und ein Lebensschutzgesetz mit de facto Letztentscheidung der Frau erfunden - nicht Fisch und nicht Fleisch.
Hinzu kommt ein höchst kompliziertes System von Vorgaben, die bereits für die Übergangszeit eine stärkere Einmischung staatlicher Aufsichtsgremien in Beratung und Finanzierung festlegten und damit den Landesregierungen über die Rechtsaufsicht je nach politischer Couleur einen mehr oder minder großen Einfluß ermöglichten.
Diese für den Gesetzgeber eher ungünstige Ausgangssituation stellt besonders hohe Anforderung an die Erarbeitung darauf aufbauender Gesetzentwürfe hinsichtlich der Frage, wie die im Urteil durchaus auch vorhandenen Freiräume bei der Umsetzung aufgegriffen, die Handlungsspielräume genutzt wurden und in welche Richtung Problemlösungen gegangen sind.
Ich kann im folgenden nicht auf alle Einzelheiten der vorliegenen Entwürfe eingehen. Ich will versuchen, auf einige grundsätzliche Probleme hinzuweisen, wo sowohl von seiten der Koalition als auch von seiten der SPD der durch das Bundesverfassungsgericht gegebene Handlungsspielraum nicht zugunsten der Autonomie der Frauen beziehungsweise sogar zu deren Nachteil ausgenutzt worden ist.
Das erste Problem ist das der Suche nach vernünftigen Finanzierungskonzepten. Gegenwärtig existieren im öffentlichen Bewußtsein nur zwei Möglichkeiten der Finanzierung eines straflosen, aber nicht indizierten Abbruchs: die Selbstfinanzierung für Besserverdienende oder die Finanzierung über die Sozialhilfe für Sozialhilfeempfängerinnen und Frauen, die unterhalb differierender Einkommensgrenzen liegen. Über weitere Möglichkeiten einer für Frauen günstigeren Finanzierungsvariante, die aus dem Karlsruher Urteil ebenfalls abzuleiten wären, diskutiert niemand ernsthaft.
Ausgangspunkt für diese Varianten ist die Einschätzung der Karlsruher Richterinnen und Richter, daß ein indikationsloser, beratener, strafloser Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen nicht festgestellt rechtmäßig ist. Die Verfassungsrichter haben es offengelassen, ob diese Abbrüche rechtswidrig oder rechtmäßig sind. Sie haben lediglich festgehalten, daß keine Feststellung ihrer Rechtmäßigkeit erfolgt.
Die SPD hat aus diesem Fakt richtigerweise geschlußfolgert, daß die ursprüngliche Intention des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes erneut eingebracht werden kann, wonach der Tatbestand des § 218 bei nicht festgestellt rechtmäßigen Abbrüchen nicht als erfüllt gelten kann. Mit der gleichzeitigen Einführung eines speziellen Leistungsgesetzes aber verläßt sie diese Argumentationslinie an der eigentlich interessanten Stelle wieder.
Wenn nämlich eine nicht tatbestandliche Handlung vorliegt, kann diese nicht rechtswidrig sein. Es bliebe einfach offen, ob sie rechtmäßig ist. Dem Gesetzgeber wäre es überlassen, ob er Feststellungsverfahren für erforderlich hält und welche dies sind, beziehungsweise könnte er nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" abbruchwilligen Frauen grundsätzlich die Unschuldsvermutung zugute halten und bis zum gerichtlich zu erbringenden Beweis des Gegenteils eine Rechtmäßigkeit des Abbruchs unterstellen. Eine Kassenfinanzierung wäre damit die Regel, der Beweis der Rechtswidrigkeit mit dem Ergebnis der Selbstfinanzierung die Ausnahme.
Weshalb geht die SPD nicht so weit, sondern löst nun ihrerseits die Finanzierung des Abbruchs aus den von den Krankenkassen finanzierten sonstigen Leistungen heraus und setzt sie damit dem Vorurteil aus, letztlich vielleicht doch irgendwie nicht ganz zu Recht beansprucht zu werden? Etwas weniger Furcht vor dem vermuteten Willen eines patriachalen Gerichts und etwas mehr Respekt vor den Interessen der Frauen kann auch und gerade in Wahlkampfzeiten eigentlich nicht schaden, lieben Kolleginnen.
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Mein zweiter Kritikpunkt richtet sich gegen die Versuche einer Ausweitung des Strafrechts. Die weitergehenden Vorschläge hat hier natürlich die Regierungskoalition, deren Vorliebe für Strafen und Verbote sich mit zunehmender Konzeptionslosigkeit generell zu steigern scheint. Das betrifft zum ersten
das Problem der verkappten Verschärfung der Strafbarkeit für die abbrechenden Ärztinnen und Ärzte.
Für besondere Rechtsunsicherheit dürfte sorgen, daß sich die Ärztinnen und Ärzte die Gründe für den Abbruch darlegen lassen müssen, um davon ihrerseits die ärztliche Verantwortbarkeit des Abbruchs abzuleiten. Die ärztliche Entscheidung über die Verantwortbarkeit des Abbruchs selbst soll aber nicht überprüfbar sein. Ob die vorgetragenen Gründe einen Abbruch rechtfertigen oder ob die Ärztinnen und Ärzte den Abbruch für zulässig halten, soll ebenfalls unerheblich für den Strafausschluß sein.
Wozu - fragt sich da der gesunde Menschenverstand - denn dann die in das Strafrecht neu aufzunehmende Pflicht, wenn nicht, um Ärzte und Ärztinnen zu verunsichern und gegebenenfalls auch gerichtlich belangen zu können?
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Skandalös ist auch die vorgesehende Kriminalisierung des persönlichen Umfeldes der Schwangeren, auch wenn sie sich im Gegensatz zum ursprünglich geplanten Umfang nicht auf Verwandte dritten Grades erstrecken soll. Die Regierungskoalition geht dabei von der Prämisse aus, daß schwangere Frauen nicht in der Lage sind, selbstbestimmt über Austragung oder Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden, sondern daß in den meisten Fällen die Einflüsse ihres Umfeldes zum Schwangerschaftsabbruch führen.
Über die Schwierigkeiten der Durchsetzung und den denunziatorischen Charakter dieser Norm sind sich die Verfasserinnen und Verfasser selbst im klaren. Deshalb versuchen Sie eine Abgrenzung des Gesprächs der Schwangeren mit Dritten von strafrechtlich relevanter Einflußnahme. Dies krankt natürlich an der Frage, auf welchem Wege eine gerichtliche Entscheidung über eine sogenannte Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs herbeigeführt werden soll. Da Beraterinnen und Berater und Ärztinnen und Ärzte der Schweigepflicht unterliegen, ist eine Anzeige der Schwangeren gegen ihr Umfeld, z. B. der Minderjährigen gegen die eigenen Eltern, der einzig mögliche Weg.
Leider bedient sich auch die SPD in ihrem Entwurf der von der Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller so genannten „Lust des Bundesverfassungsgerichts am Strafen", indem sie den Nötigungsparagraphen 240 StGB um das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles einer Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch ergänzt - völlig unnötigerweise, da dies der bisherige Gesetzestext und die Rechtsanwendung schon beinhalten.
In der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit noch eine dritte Kritik, und zwar zum Problem der Beratung. Ein Novum ist es, daß die Beratung nach dem Willen der Verfasserinnen und Verfasser des Koalitionsentwurfs nicht mehr der Information und Hilfe der Schwangeren in einem vermuteten Konfliktfall, sondern allein dem Lebensschutz des Ungeborenen dienen soll. Dies pervertiert Beratung in unerträglichem Maße zur Indoktrination, obwohl die Karlsruher Richterinnen und Richter gerade in der Beratung die Frau in eine vergleichsweise starke Position gebracht hatten, indem sie per Letztverantwortung die Persönlichkeitsrechte der Schwangeren als Grenze der grundsätzlichen Pflicht zur Austragung und der staatlichen Schutzpflicht anerkannten. Und bedenklich ist es auch, daß die Formulierung von einem ausreichenden Netz wohnortnaher Beratungsstellen im neuen Entwurf ohne das Adjektiv „pluralistisch" gefaßt wurde.
Bereits die Übergangsregelungen des Bundesverfassungsgerichtes haben mit ihrer Stärkung der Macht und der Einflußmöglichkeiten staatlicher Aufsichtsgremien den Druck auf Beratungsstellen erheblich gesteigert. Die bisherige „staatsfreie Beratung des westdeutschen Rechts", so die Juristin Monika Frommel, gibt es seit dem Karlsruher Urteil nicht mehr. Dafür nehmen Landesregierungen über die ihnen obliegende Rechtsaufsicht einen erheblichen Einfluß auf den Inhalt und die Organisation der die Beratung anbietenden freien Träger und Verbände. Sie bestätigen damit die Meinung der Vorsitzenden von Pro Familia, Uta Maier, daß die staatliche Überwachung der Tätigkeit der Beratungsstellen einen patriarchalen Übergriff auf einen feministischen Berufsstand darstellen.
Zusammenfassend denke ich, daß mit dem Koalitionsentwurf die Elemente des Bundesverfassungsgerichtsurteils verstärkt worden sind, die vom Selbstbestimmungsrecht der Frau am entferntesten sind. Und leider bewegt sich auch der Gesetzentwurf der SPD zu ängstlich am vermuteten Willen der Verfassungsrichter entlang, ohne wirklich an dessen Grenzen zu rütteln. Die Möglichkeiten der Schadensbegrenzung im Interesse der Frauen werden damit von vornherein beschnitten. Ich hoffe, daß sich hier in der Ausschußarbeit noch Möglichkeiten für Veränderungen ergeben.
Welche Initiativen wird nun die PDS/Linke Liste in die bevorstehende Debatte einbringen? Angesichts der uns jetzt vorliegenden Entwürfe, die behaupten, sich genau an Wortlaut und Intentionen des Karlsruher Urteils zu halten, und auch angesichts der Entscheidung des Verfassungsgerichts selbst, das auf der Skala zwischen absolutem Primat des Lebensschutzes und dem Persönlichkeitsrecht der Schwangeren hin- und herschwankt und in großen Passagen gar keine eindeutige Rechtslage begründet, erscheint es mir und der PDS/Linke Liste als überfällig, wechselnden juristischen Interpretationen des Grundgesetzes in bezug auf eine so existentielle Frage wie die der Legalität der Abtreibung endlich einen Riegel vorzuschieben. Statt die Rechtsunsicherheit der schwangeren Frauen, Ärztinnen und Ärzte und Beraterinnen und Berater weiter zu vergrößern, schlagen wir deshalb vor, durch die Aufnahme des Rechts auf freie Entscheidung der Frau über Austragung oder Abbruch einer Schwangerschaft ins Grundgesetz am Ende dieses Jahrhunderts die rechtliche Diskriminierung der Frau wegen ihrer Gebärfähigkeit zu beenden. Art. 2 des Grundgesetzes soll zu diesem Zweck einen neuen Abs. 3 erhalten, der lautet: „Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht."
Im Wissen um die frauenfeindlichen Machtverhältnisse in diesem Land und die Aussichtslosigkeit auf parteien- und fraktionsübergreifendes Handeln in Zeiten von Wahlkämpfen wird die PDS/Linke Liste deshalb neben der Forderung nach ersatzloser Streichung der §§ 218/219 StGB auch pragmatische Änderungsvorschläge zu den vorliegenden Gesetzesentwürfen machen. Diese werden sich um Schadensbegrenzung im Sinne der Frauen bemühen. Die inhaltliche Übereinstimmung mit der Kollegin Schenk vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Frage freut mich, und ihr Ansatz findet auch meine Unterstützung.
Frau Bläss, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich habe es schon länger signalisiert.
Kann ich diesen Satz ganz kurz beenden?
Den einen Satz noch.
Unsere Vorschläge betreffen im wesentlichen die Formulierung eines Tatbestandsausschlusses bei beratenen Abbrüchen innerhalb von 12 Wochen und, damit einhergehend, die Krankenkassenfinanzierung aller Abbrüche, sofern die SPD ihren Gesetzentwurf nicht selbst dahin gehend ändert, die einmalige Neuzulassung der Beratungsstellen ohne zeitliche Begrenzung, die Beschränkung der Überprüfung der Beratungsstellen an Hand von jährlichen Berichten ohne Hinzuziehen von Protokollen und ein Verbot der Beschlagnahme von Daten.
Frau Bläss, jetzt ist Ihre Redezeit wirklich zu Ende.
Darüber hinaus liegt Ihnen heute auch ein Antrag vor, der die unentgeltliche Bereitstellung aller Verhütungsmittel fordert.
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Als nächstes erteile ich der Kollegin Christina Schenk das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs hat insbesondere den Menschen in den ostdeutschen Bundesländern sehr eindrucksvoll vor Augen geführt, wie hier, in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, über Frauen und ihre Grundrechte gedacht und geredet wird. Die Menschenrechte gelten hierzulande für Frauen nur eingeschränkt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni vergangenen Jahres hat jedoch nicht nur unsere Erkenntnisse über das offizielle Frauenbild in dieser Gesellschaft vertieft, sondern uns dazu auch noch eine anschauliche Lektion über die Möglichkeiten der Durchsetzung totalitärer Auffassungen in einer bürgerlichen Demokratie gegeben. Denn um nichts anderes handelt es sich, wenn eine bestimmte ethische
Anschauung, die unter Mißachtung des grundgesetzlich geschützten weltanschaulichen Pluralismus den Anspruch erhebt, für alle Menschen gültig zu sein, mit Verfassungsrang ausgestattet wird, obwohl sie im Widerspruch zu anderen gesellschaftlich anerkannten ethischen Auffassungen steht.
Immerhin ist im Urteil des Bundesverfassungsgerichts trotz der zwar wiederholten, aber dennoch singulären und nur vor dem Hintergrund religiöser Überzeugungen verständlichen Interpretation des Fötus als Mensch die Vereinbarkeit der Fristenregelung mit dem Grundgesetz konstatiert worden, auch wenn dieser vor dem Hintergrund der DDR-Erfahrungen lächerliche rechtspolitische Fortschritt die Mehrheit der Bundesverfassungsrichter sogleich veranlaßt hat, Rahmenbedingungen vorzuschreiben, die die zugestandene Fristenregelung bis zur Unkenntlichkeit demontieren. Hierzu gehören die Forderungen nach einer Zielorientierung der Beratung, nach staatlicher Kontrolle des personalen Umfeldes der schwangeren Frau, nach zusätzlichen Verpflichtungen der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und schließlich die Verweigerung der Krankenkassenfinanzierung für Abbrüche im Regelfall.
Das Urteil ist ein massiver Angriff auf die Freiheit und die Selbstbestimmung der Frau. Es zeigt ein weiteres Mal, daß die Strafrechtsparagraphen zum Schwangerschaftsabbruch nicht reformierbar sind und daß der Kampf gegen diese Schandparagraphen fortgesetzt werden muß. Das Urteil - das möchte ich hier in aller Deutlichkeit einmal sagen - war einer der Gründe für die Entstehung einer inzwischen bundesweiten Initiative zu einem Frauenstreiktag am 8. März dieses Jahres. Dies - das kann ich auch hier verkünden - ist erst die erste Aktion dieser Art.
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Meine Damen und Herren, der Urteilstext ist ein Sammelsurium von Widersprüchen, von detaillierten Vorgaben einerseits und Ambivalenzen andererseits. Dies kann als Ausdruck tiefgehender Unsicherheit im Spannungsfeld zwischen modernem Denken einerseits und religiösen Überzeugungen andererseits interpretiert werden und darf durchaus auch als ein Indiz für die fortschreitende Erosion christlich-fundamentalistischer Gewißheiten gelten.
Diese Ambivalenzen und Widersprüche eröffnen einen, wenn auch nur geringen Interpretationsraum. Das Urteil muß diese Unklarheiten und Unschärfen insbesondere gegen sich gelten lassen nach dem Grundsatz: im Zweifel für die Frau. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Aufforderungen des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen zu prüfen und sich bei der Gesetzgebung vom Ergebnis dieser Prüfung leiten zu lassen.
Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat einen Antrag eingereicht, der Ihnen vorliegt. Ich möchte darauf hinweisen, daß dies ein Minderheitenantrag ist, ein Antrag, der von der Minderheit einer Gruppe getragen wird. Es gibt eben insbesondere in dieser Frage zuweilen Differenzen zwischen einigen Abgeordneten und der Partei. Dieser Antrag beschreibt - das
möchte ich hier ausdrücklich betonen - nicht unsere Vorstellung von einer Regelung des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften, sondern er schöpft lediglich den durch das Urteil eröffneten Bewegungsraum im Sinne der frauenfreundlichsten Interpretation des Urteils aus, sofern die Bezeichnung „frauenfreundlich" in diesem Zusammenhang überhaupt noch Sinn macht.
Frau Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Aber ja.
Frau Kollegin Schenk, da Sie in Ihrer Rede überwiegend von „Frauenrechten" sprechen: Sind Sie sich bewußt, daß die Hälfte der rund 300 000 Kinder, die im Jahr bei Abtreibungen getötet werden, Frauen sind, denen Sie mit Ihrer Verminderung des Schutzes des Lebens Ungeborener, die Sie beabsichtigen, ihre Grund- und Lebensrechte von Anfang an beschneiden?
Herr Jäger, Ihre Frage macht die grundsätzlichen Differenzen deutlich. Sie macht mir insbesondere deutlich, daß Sie noch nicht verstanden haben, um was es mir geht. Bei keiner einzigen Abtreibung wird ein Kind getötet.
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Das ist die grundsätzliche Differenz zwischen unseren Auffassungen.
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- Genau, das, was Sie meinen, ist Steinzeit. Die Zeit, aus der Sie kommen, kann man da verorten. Aber vielleicht noch nicht einmal das. Ich glaube, man war schon damals etwas weiter, als dies heute in bestimmten Kreisen der Fall ist.
Der Antrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschreibt - das habe ich schon gesagt - nicht unsere Vorstellungen von einer Regelung des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften, sondern er schöpft lediglich den Bewegungsraum aus.
Vereinzelt ist nun die Befürchtung geäußert worden, ein solches Vorgehen würde das Risiko einer erneuten Verfassungsklage mit sich bringen. Ich meine, es wäre nicht das schlimmste, wenn dieses Thema in dieser Legislaturperiode nicht abgeschlossen würde. Im Gegenteil: Unter Umständen ergäben sich in der nächsten Legislaturperiode mit anderen Kräfteverhältnissen im Parlament bessere Möglichkeiten für eine Regelung, die die Interessen und Rechte von Frauen berücksichtigt - zumindest soweit das nach diesem Urteil überhaupt noch geht. Wer also wirklich Interesse daran hat, die Frauen zu schützen, müßte auch ein Interesse daran haben, die Sache mit in die nächste Legislaturperiode hineinzunehmen.
Angesichts der offensichtlichen Tendenzen, das Urteil in restriktiver Weise auszulegen, sind aus unserer Sicht in einer künftigen Regelung folgende Mindeststandards zu garantieren: Zum ersten die Sicherung der Ergebnisoffenheit der Beratung. Ich meine, an der Ausgestaltung der Beratungsregelung ist ganz klar erkennbar, in welchem Maße das Letztentscheidungsrecht der Frau überhaupt respektiert wird. Frauen müssen auf ihr Recht, in der Beratung nichts zu sagen, wenn sie dies nicht wollen, ausdrücklich hingewiesen werden. Versuche, den erklärten Willen der schwangeren Frau zu beeinflussen, haben zu unterbleiben. Jeglichen Indoktrinationsversuchen, wie sie vom Koalitionsentwurf geradezu gefordert werden,
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muß ein Riegel vorgeschoben werden.
Es ist auch zu überlegen, ob die Beratungsbescheinigung der schwangeren Frau nicht schon nach dem ersten Gespräch ausgehändigt werden sollte. Denn es kann nicht angehen, daß die Ausstellung dieser Bescheinigung als Druckmittel gegenüber schwangeren Frauen benutzt werden kann und unter Umständen dazu führt, daß Schwangerschaftsabbrüche unnötig verzögert werden.
Zum zweiten müssen Vorkehrungen für einen größtmöglichen Schutz der Anonymität und der informationellen Selbstbestimmung der schwangeren Frau getroffen werden; von einer Garantie kann angesichts der Festlegungen des Urteils ohnehin nicht mehr gesprochen werden. Insbesondere muß ein Beweisverwertungsverbot sowohl für Unterlagen der Beratungsstellen als auch für ärztliche Patientinnenkarteien gesetzlich geregelt werden.
Zum dritten Punkt. Das ärztliche Gespräch muß, um der schwangeren Frau und dem Arzt bzw. der Ärztin ein höchstmögliches Maß an Rechtssicherheit zu geben, in seinem Inhalt auf die medizinischen Aspekte orientiert sein. Auch hier muß die Frau das Recht haben, ihre Gründe für den gewünschten Schwangerschaftsabbruch zu verschweigen.
Das soziale Umfeld der schwangeren Frau darf unserer Auffassung nach nicht über die geltenden strafrechtlichen Bestimmungen hinaus kriminalisiert werden. Nach den Vorstellungen der Koalition würde einer unerträglichen Schnüffelpraxis von Amts wegen Tür und Tor geöffnet werden. Im § 218d des Koalitionsentwurfes werden drakonische Strafen angedroht, wenn einer Einwirkung auf die schwangere Frau aus - ich zitiere - „verwerflichem Eigennutz" oder einer Versagung „zumutbarer materieller Unterstützung" stattfindet. Danach könnte beispielsweise eine Mutter, die gerade ihr eigenes Kind großgezogen hat und nun die an sie gerichtete Erwartung ablehnt, das Kind ihres Kindes zu betreuen, oder der Erzeuger der Schwangerschaft, wenn er kein Kind will, bestraft werden. Das lehnen wir strikt ab.
({3})
- Wir können uns darüber ja noch einmal im Ausschuß unterhalten. - Eine solche Regelung macht zudem keinen Sinn; denn ein ursächlicher und singulärer Zusammenhang zwischen Handlungen von
Menschen aus dem personalen Umfeld und dem erfolgten Abbruch wird sich grundsätzlich nicht nachweisen lassen. Es gibt nie nur einen Grund für den Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch, es handelt sich immer um ein Motivationsbündel. Der Vorschlag der Koalition ist daher nicht justitiabel und kann also auch nur die Funktion einer Drohung haben - wie, so meine ich, überhaupt für den gesamten Entwurf Drohgebärden charakteristisch sind.
Bezüglich des § 218 muß ein Tatbestandsausschluß formuliert werden. - Das ist hier von anderen, insbesondere von Petra Bläss, schon ausgeführt worden; ich will mir das hier also sparen.
Zur Frage der Finanzierung. - Hier kommt es vor allem darauf an, die Einkommensgrenzen für die Kostenübernahme so hoch anzusetzen, daß auch berufstätige Frauen berechtigt werden, sich die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch erstatten zu lassen.
({4})
Ich schlage daher eine Härtefallregelung in der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Die Einkommensgrenzen würden nach unserer Grundlage im Westen ca. 40 000 DM im Jahr und im Osten etwa 25 000 DM pro Jahr betragen.
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- Frau Würfel, im Rahmen dieser Debatte jetzt ist es leider nicht möglich, das im Detail zu diskutieren. Deswegen finde ich das also nicht so ganz fair.
Ich komme zum Schluß. - Ich meine, daß die Frage des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften es verdient, im kommenden Wahlkampf eine Rolle zu spielen, ist sie doch wie kaum eine andere dazu geeignet, das Frauenbild und den frauenpolitischen Hintergrund der jeweiligen politischen Akteure und Akteurinnen deutlich zu machen. Ich bin sicher, daß die Haltung zum § 218 insbesondere für Frauen zu einem Wahlprüfstein wird.
Dennoch bleibt realistischerweise festzustellen, daß das Urteil Fakten mit Langzeitwirkung geschaffen hat und daß der Hoffnung auf Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen durch bundesdeutsche Gesetze für eine lange Zeit die Grundlage entzogen worden ist. Die Schaffung einer Regelung, die schwangeren Frauen ein souveränes Entscheidungsrecht über Austragung oder Abbruch einer Schwangerschaft ohne Zwangsberatung, ohne Sanktionen strafrechtlicher oder sozialer Art garantiert, bleibt damit eine Aufgabe der Zukunft.
Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hält unverändert an ihrer Forderung nach Streichung der §§ 218 bis 219 fest. Es ist und bleibt das politische Ziel dieser Partei, den Menschenrechten auf Schutz und Achtung der Würde, auf Schutz der Persönlichkeitsrechte auch für Frauen uneingeschränkte Geltung zu verschaffen.
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Als nächste spricht jetzt die Kollegin Ursula Männle.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Zweimal Bonn - Karlsruhe und zurück", so könnte man die 20jährigen Versuche einer Entscheidungsfindung überschreiben.
Die parlamentarisch-juristische Auseinandersetzung um die Reform des § 218 Strafgesetzbuch ist hürdenreich und langwierig, hoffentlich nicht endlos. Zweimal wurde von Mehrheiten im Parlament versucht, eine Fristenregelung durchzusetzen. Zweimal klagte die Union gegen die Mißachtung der Verfassung, und zwar mit Erfolg.
Diejenigen, Frau Schenk, die mit missionarischem Eifer eine Laissez-faire-Freiheit der Frau propagieren, mögen dies beklagen. Der Vorwurf, hier werde eine Mehrheitsentscheidung unterlaufen, der Wille des Volkes mißachtet, ein nicht demokratisch legitimierter Ersatzgesetzgeber gestärkt, läuft ins Leere. Richtig ist: Die in Karlsruhe klagenden parlamentarischen Minderheiten haben ihre moralisch-politische Pflicht wahrgenommen, die Mehrheiten an die Verfassungsgebote zu erinnern und ein verfassungskonformes gesetzgeberisches Handeln einzufordern.
({0})
Die Erfahrung, daß Gesetze selbst zum Vehikel des Unrechts werden können, hat gerade in Deutschland dazu geführt, daß neben einer Wiederbelebung des Naturrechts die Bedeutung richterlicher Normenkontrolle gestärkt wurde. Das Verfassungsgericht ist heute Symbol für den Schutz der Schwächeren gegen die Stärkeren, der Minderheiten gegen die Mehrheiten, der Ohnmächtigen gegen die Mächtigen.
Dies beweist auch das Urteil zum Schwangerschaftsabbruch. Die Richter erklärten eine generelle Legalisierung von Abtreibung während der ersten zwölf Wochen - das war zentraler Punkt des Gruppenantrags - für verfassungswidrig und nichtig. Sie bekräftigten die Lebensschutzgarantie der Verfassung, formulierten dezidierte Vorgaben für den Gesetzgeber, der nun erneut tätig werden muß.
Sie stellten noch einmal fest, daß unser Grundgesetz folgendes gebietet: Das Lebensrecht des Ungeborenen steht über dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter. Der Staat ist verpflichtet, das Leben des Ungeborenen zu schützen. Abtreibung ist grundsätzlich als Unrecht zu bewerten. Nach der Rechtsordnung dürfen Schwangerschaftsabbrüche nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen.
Die Behauptung, das Verfassungsgericht habe eine Fristenregelung bestätigt bzw. lediglich eine andere Wortwahl getroffen, ist schlicht falsch. Die Prinzipien, die ich gerade genannt habe, belegen dies eindeutig. Angeboten wird vom Gericht ein neues Schutzmodell, kein modifiziertes altes Modell. Die Verwendung
bekannter Etiketten wie „Fristenregelung" und „Indikationenregelung" ist irreführend.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Lehmann, kritisiert meines Erachtens zu Recht, daß bislang nicht ausreichend gewürdigt worden sei, daß die Verfassungsrichter einen neuen Ansatz versuchen. Lieber Herr Kollege Kauder, ich empfehle Ihnen und auch allen hier im Haus den sehr lesenswerten Artikel von Bischof Lehmann in dem uns allen übersandten Buch.
Der Wechsel zu einem neuen Schutzkonzept wird vom Gericht damit begründet, daß unter allen bisherigen Regelungen - generelles Verbot, enge und weite Indikationenregelungen, Fristenregelungen - Abtreibung ein Massenphänomen geblieben ist. Es wird deutlich: Die bisherige Gesetzgebung hat nicht ausreichend zum Schutz des ungeborenen Lebens beigetragen. Das müssen wir verändern.
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Die Beratungsregelung, die in unserem Gesetzentwurf getreu den Vorgaben des Verfassungsgerichts umgesetzt wird, ist ein differenziertes, mit präventiven und repressiven Elementen ausgestattetes Schutzkonzept für das Leben. Im Mittelpunkt dieses Schutzkonzepts steht eine Beratung, die die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigt.
Unser Entwurf folgt hier strikt, überwiegend gar wortgetreu den Vorgaben aus Karlsruhe. Besondere Anforderungen werden an Inhalt, Ziel, Durchführung und Organisation der Beratung gestellt. Sie ist weder Inquisition noch Alibiveranstaltung. Die Beratenden haben eine doppelte Aufgabe zu erfüllen. Sie sind zum einen Anwalt der ungeborenen Kinder, müssen deren vom Staat geschütztes Recht auf Leben verteidigen. Sie müssen zum anderen Hilfen für die Frauen zur Bewältigung des Schwangerschaftskonflikts bieten. Beratung kann und darf sich nicht in bloßer Information erschöpfen, auf Hinweise zur rechtlichen Situation beschränken und lediglich an der von der Frau dargelegten Interessenlage orientieren.
Beratung ist auch nicht als bevormundender Druck, als Überredung zu verstehen bzw. mißzuverstehen. Beratung soll und muß Konfliktbewältigungsstrategien mit der Mutter in einem qualifizierten Gespräch entwickeln, konkrete Hilfen anbieten, deutlich die normativen Bindungen der Verfassung darlegen und gleichzeitig die personale Freiheit der Frau respektieren. Ich habe im Verlauf meiner Beschäftigung mit dieser Problematik viele Beraterinnen getroffen, die diese zugegebenermaßen sehr, sehr schwierige Aufgabe hervorragend meistern. Ihnen gebührt großer Dank.
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Die Beratung soll zielorientiert und ergebnisoffen sein. Dies ist kein Widerspruch. Zielorientierung heißt Verdeutlichung des verfassungsrechtlich verbürgten Lebensrechts des Kindes auch gegenüber seiner Mutter, Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft, Eröffnung von Perspektiven für ein Leben mit dem Kind. Denn, meine Damen und Herren, wir wissen alle: Abtreibung ist keine Konfliktlösung. Die eigentlichen Ursachen werden durch eine Abtreibung nicht beseitigt, und die Frau bleibt mit ihrem Konflikt allein. Adressat der Lebensschutzorientierung der Beratung ist deshalb nicht nur die Frau, sondern auch der Vater des Kindes, die Eltern, das gesamte familiäre und soziale Umfeld, die Gesellschaft. Die Beratung verpflichtet zur Mithilfe und zur Unterstützung. Staatliche Beratung ohne gesellschaftliche Hilfe wäre doppelte Moral.
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Die Wertgebundenheit der Beratung steht nicht im Widerspruch zur Ergebnisoffenheit, zur Akzeptanz der Letztentscheidung der Frau. Im Gegenteil, der Verzicht auf die Indikationsfeststellung soll die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Frau erhöhen. Dies soll vor allem dazu führen, in einer Atmosphäre der Offenheit alle Möglichkeiten auszuloten und die Konfliktlage ohne Druck des Ergebnisses zu erörtern. Respekt vor der Letztentscheidung ist im Sinne des Urteils Voraussetzung für die Wirksamkeit des Konzepts „Lebensschutz durch Beratung".
Die Entscheidung hat jedoch keine rechtfertigende Wirkung für einen Schwangerschaftsabbruch. Dies festzuhalten ist sicherlich auch wichtig.
Wer wie die SPD in der Zielorientierung der Beratung eine Beeinträchtigung der Ergebnisoffenheit sieht, verkennt die vom Gericht beabsichtigte Wechselwirkung. Auch bei der Beratung folgt die SPD ihrer bekannten Strategie: Minimalistisch werden die Auflagen aus Karlsruhe umgesetzt, um Maximales an altem SPD-Gedankengut zu retten.
Lassen Sie mich eine, wie ich meine, berechtigte Frage stellen: Warum übernehmen Sie, warum übernimmt die SPD nicht, wie die Koalition, die Formulierung zur Beratung aus der Übergangsregelung, die ja geltendes Recht ist?
({4})
Die Antwort ist offenkundig: Weil die Lebensschutzorientierung der Verfassung mit der Selbstbestimmungsforderung der SPD kollidiert.
Sie wollen zurück hinter Karlsruhe. Die SPD relativiert die Zielorientierung der Beratung und reduziert damit den staatlichen Schutz für das Kind. Die Positionen der Rechtsgüter „Lebensrecht des Kindes" und „Selbstbestimmungsrecht der Frau" werden nicht im Sinne des Urteils als Rangfolge, sondern als Gleichgewichte gewichtet. Die Güterhierarchie wird damit aufgelöst. Es wird nivelliert.
Das neue Schutzkonzept mit dem Schwerpunkt Beratung wird die an es gestellten Erwartungen nur erfüllen können, wenn die Gesellschaft seine Wertgrundlagen akzeptiert. Eltern, Schulen, Medien, gesellschaftliche Institutionen sind gefordert, das Rechtsbewußtsein zu stärken, für ein Umdenken zu werben und die Bedeutung des Lebensschutzes zu lehren.
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Ich appelliere hier insbesondere nochmals an die Medien, diesem Auftrag gerecht zu werden.
Nutzen wir die aktuelle Erziehungs- und Wertedebatte, um mehr als nur Denkanstöße zu geben, um Orientierung hin zur Achtung der Menschenwürde, auch der des Ungeborenen, zu vermitteln!
Das Beratungskonzept ist ein engmaschiges Netz an Schutzmaßnahmen für das Leben. Vor allem aber verlangt das Konzept eine wertorientierte Gesellschaft, in der Bürger und Bürgerinnen Lebensschutz durch Kinderfreundlichkeit leben und vorleben.
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Das Urteil bietet die Chance zu einem Neuanfang für eine Regelung, welche die Verfassungsnormen respektiert, Staat und Gesellschaft stärker als bisher in die Pflicht nimmt, Gefahren für das Leben des Ungeborenen wirksamer bekämpft und insbesondere durch qualifizierte Gespräche mit Frauen in Konfliktsituationen Lebensschutz durch umfassende Hilfe gewährleistet. Das Urteil dokumentiert Wertbindung ohne moralischen Rigorismus, Verständnis für moralisch-rechtliche Konflikte und Praxisnähe. Es vermeidet ein Entweder-Oder. Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, extreme Postionen führen ins Abseits.
Rechtliche Freigabe von Abtreibung ist inhuman, weil ungeborenes Leben zur Disposition gestellt wird. Es wäre ein erster Schritt zur Infragestellung des Lebensrechts aller. Strafe ohne Differenzierung beruhigt zwar das eigene Gewissen, schützt aber, wie Zahlen belegen, das ungeborene Leben nicht.
Der Koalitionsentwurf folgt strikt den Vorgaben aus Karlsruhe. Er ist verfassungskonform, lebensschutzorientiert und praxisnah.
({7})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Hans de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich erinnere noch einmal daran: Es war ein Gruppenantrag zur Reform des § 218, also eine fraktionsübergreifende Initiative, die in Karlsruhe zur Prüfung anstand. Und: Das Bundesverfassungsgericht - wenn Sie, Frau Männle, das auch nicht gern hören - hat nun einmal den Kern des Gesetzes, nämlich die Fristenregelung mit Beratungspflicht und sozialer Abstützung, mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt.
({0})
Es hat dem Gesetzgeber allerdings - darum reden wir gar nicht herum - zum Teil gewichtige Änderungen und Ergänzungen aufgegeben. Gleichwohl meinen wir, daß es deswegen vernünftig gewesen wäre, wenn jene Gruppenmitglieder - es war, nebenbei bemerkt, die übergroße Mehrheit dieses Parlaments - diese Anpassungen und Änderungen auch gemeinsam vorgenommen hätten.
({1})
Bei den Vorgesprächen hat sich jedoch, wie wir wissen, ergeben, daß dies nicht möglich ist. Union und
F.D.P. sind andere Wege gegangen. Ich sage noch einmal: Wir Sozialdemokraten bedauern das.
Das hat dazu geführt, daß es zwei Entwürfe gibt, einen der Koalitionsfraktionen und einen von uns. Beide Entwürfe unterscheiden sich zunächst einmal dadurch, daß der reine Gesetzestext beim Entwurf der Regierungskoalition sage und schreibe 25 Schreibmaschinenseiten benötigt und bei der SPD nur sechs. Das läßt doch wohl die Vermutung zu, die sicherlich richtig ist, daß die SPD nur das Allernötigste geregelt wissen wollte
({2})
und daß die Regierungskoalition - ich wundere mich, Frau Würfel, daß Sie sich dem angeschlossen haben; ich formuliere das einmal so - jedenfalls weitab von der sonstigen Deregulierung ins Überregulieren verfallen ist.
({3})
Was hat uns das Bundesverfassungsgericht, ob wir nun dessen Entscheidung zu eng oder zu weit finden, aufgegeben? Es sind im Grunde folgende sechs Punkte: erstens den Abbruch in den ersten drei Monaten nicht als rechtmäßig anzusehen, zweitens die Beratungsregelung deutlicher auf die Schutzbedürftigkeit des werdenden Lebens abzustellen, drittens das Umfeld der Schwangeren dann ersichtlich unter Strafdrohung zu setzen, wenn von daher die Schwangere zum Abbruch gedrängt wird, viertens den abbrechenden Arzt unter Strafdrohung in seine lebenserhaltenden Pflichten einzubinden, fünftens die Anerkennung und Kontrolle der Beratung stringenter zu fassen und sechstens wieder eine Bundesstatistik einzuführen.
Neu zu regeln ist ferner - darüber herrscht überhaupt kein Streit -, ab wann und wie Schwangere im Falle des Abbruches staatliche Finanzierung erhalten können, wenn sie zur Eigenleistung nicht in der Lage sind. Hierzu hat sich von unserer Seite schon Frau Wettig-Danielmeier geäußert.
Bei der Frage, wie, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgend, der Eindruck zu vermeiden ist, daß ein Abbruch in den ersten zwölf Wochen als rechtmäßig angesehen wird, sind die Formulierungen - das sollte einmal gesagt werden - der Regierungskoalition und die der SPD gar nicht so sehr weit auseinander. CDU/CSU und F.D.P. sprechen davon - ich zitiere -, daß die Abs. 1 bis 4 nicht anzuwenden seien. In diesen Absätzen sind die Straftatbestände enthalten. Die SPD sagt, daß der Tatbestand des § 218 nicht erfüllt sei. Für einen sorgfältigen Leser der Begründung der Koalitionsfraktionen gibt es allerdings Hinweise dafür - das hat Frau Würfel eigentlich angedeutet -, daß sich CDU/CSU und F.D.P. bei der Frage nicht ganz einig waren, mit welchen juristischen Formulierungen der Ausschluß der Strafbarkeit erreicht werden soll. Für die Normalfrau - auch das füge ich hinzu - wird das allerdings weniger von Bedeutung sein, weil diese die juristischen Feinheiten kaum nachvollziehen kann; für die kommt es darauf an, wie das praktisch wirkt, und dafür sollten wir einiges tun.
Bei der Neuformulierung der Beratungsregelung gibt es bei den Koalitionsfraktionen gegenüber dem Entwurf der SPD einen, wie ich meine, sehr gravierenden Unterschied. Die Koalitionsfraktionen stellen den Eingriff in den ersten zwölf Wochen durch den Hinweis auf die Indikation des § 218a Abs. 2 und 3 - ich formuliere das so - optisch, praktisch der Indikationsregelung gleich. Das muß nicht so sein und führt die Durchschnittsleserin - ich sage Leserin - nur zu Irrtümern.
Daß die Koalition damit, das ist ganz klar, den Wortlaut der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts voll übernommen hat, ändert daran gar nichts; denn diese Anordnung dient nur der vorübergehenden Regelung bis zur Neuregelung. Diese kann sich deshalb - wir meinen das wenigstens - eines wirklich weniger verfänglichen Wortlauts bedienen.
Schon während der Verhandlungen in Karlsruhe hatten wir Sozialdemokraten - das ist wieder an Frau Würfel gerichtet; die muß es ja wissen - gegenüber dem Gericht erklärt, daß wir bereit seien, drängenden Einwirkungen Dritter auf die Frau, wobei das Ziel des Abbruchs der wesentliche Punkt ist, dergestalt zu widersprechen, daß wir bereit sind, zu sagen: Jawohl, dies steht unter Strafe. Denn was wollen wir - jedenfalls wir Sozialdemokraten - eigentlich letztlich? Wir wollen, daß die Frau eine eigenverantwortliche Entscheidung trifft; und diese muß geschützt werden. Wir regeln das dadurch, daß wir diese Nötigung in der Regel - nicht, wie Sie behaupten, schlechthin - als einen schweren Fall ansehen. Damit ist unsere Strafdrohung zwar im Kern weiter - das sei eingeräumt -, aber die Strafe, kann ja gering sein. Wir ersparen uns jedoch - und das ist der Punkt -, daß gewissermaßen das Umfeld der Schwangeren strafrechtlich total „eingemauert" wird.
Herr Dr. de With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger?
Aber immer, Herr Jäger. Ich weise Sie nicht zurück im Gegensatz zu Frau Männle.
Herr Kollege de With, ich möchte mich dafür bedanken. Das zeigt doch, daß wir uns um eine ernsthafte Klärung der Probleme bemühen. Deswegen frage ich Sie: Wenn Sie hier die Auffassung vertreten haben, daß die Tötung des ungeborenen Kindes in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten rechtswidrig bleiben müsse, weshalb hat dann Ihre Fraktion - übrigens, der Koalitionsantrag, das muß ich hinzufügen, genauso - nicht zurückgegriffen auf die Bestimmungen in der vorläufigen Übergangsregelung durch das Bundesverfassungsgericht, wo es im letzten Satz bei der Tatbestandsherausnahme aus dem § 218 wörtlich heißt: „Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bleibt auch in diesen Fällen unberührt"? Warum haben Sie diesen Satz nicht in Ihren Fraktionsentwurf mit übernommen?
Wir haben ganz einfach das in unseren Text hineingeschrieben, was sage und schreibe sechsmal im Hauptsacheurteil steht. Und das kann ja wohl nicht falsch sein.
({0})
Bei dem richterlichen Gebot der Einbindung des abbrechenden Arztes durch Strafdrohung sind wir auf gewisse Schwierigkeiten gestoßen. CDU/CSU und F.D.P. haben hier Straftatbestände - um das einmal zu verdeutlichen - in vier Punkten und in einem umfänglichen weiteren Absatz unter dem Stichwort „Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch" eingeführt. Wir Sozialdemokraten sind der Auflage des Gerichts durch Einfügung eines Absatzes 2 in § 218a nachgekommen, indem wir dort in einem Satz die Verpflichtung, auf die uns das Verfassungsgericht hingewiesen hat, aufgenommen haben.
Sicherlich werden wir hier gefragt werden, warum wir nicht ausdrücklich die Pflicht des Arztes unter Strafe gestellt haben, in den ersten zwölf Wochen das Geschlecht des Embryos nicht mitzuteilen, und warum wir nicht eigens unter Strafe stellen, daß der Arzt von der Feststellung des Alters der Schwangerschaft absehen darf.
Ich darf das kurz erläutern. Was das letztere anbelangt, so steht der abbrechende Arzt ohnehin unter Strafe, wenn er nach Ablauf der Fristen abbricht. Er kann sich dabei - das ist ganz klar - auf Dritte nicht verlassen. Wenn er nicht selbst prüft und die Frist überschreitet, macht er sich strafbar. Wir meinen, eines zusätzlichen Straftatbestandes bedarf es deswegen wohl doch wirklich nicht. Das ist eine Überregulierung.
({1})
Hinzu kommt, daß die bloße fehlende eigene Feststellung des Alters der Schwangerschaft wohl nicht von der Strafdrohung erfaßt sein soll, wenn kein Abbruch vorgenommen wird. Also, was Sie hier tun, verwirrt nur.
({2})
Und die Mitteilung des Geschlechts des Embryos durch den Arzt soll nach den Gründen des Urteils ebenfalls unter Strafe gestellt werden, nicht die bloße Feststellung des Geschlechts.
Im Urteilszeitpunkt, also am 28. Mai letzten Jahres, hat das Gericht dazu weiter ausgeführt - ich zitiere wörtlich-, „daß jedenfalls gegenwärtig, nicht darauf gesetzt werden kann, daß die beruflichen Regelungen der Ärzte diese Pflicht gewährleisten könnten". Eine Änderung zu einem späteren Zeitpunkt ist damit - das ist doch ganz offenkundig - nicht ausgeschlossen. Bisher ist kein einziger Fall bekannt geworden, der die Notwendigkeit dieser Strafnorm begründet hätte.
Ich füge hinzu: Wir gestehen und räumen das auch ein, darüber wird sicherlich diskutiert werden müssen. Aber wir stellen uns in den Ausschüssen dieser Diskussion.
Nach den leidvollen Erfahrungen - ich bin damit am Schluß - vieler Frauen angesichts der mangelnden Wirkung der Indikationenregelung, nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1975
und 1993 und schließlich - das sei nicht übersehen - nach der nunmehr in allen Teilen Deutschlands endlich gleichermaßen geltenden Regelung sollten wir - ein Appell an uns alle - die Fehler der Vergangenheit vermeiden. Das Prinzip „Hilfe statt Strafe" ist geblieben; das Verfassungsgericht erwähnt es ausdrücklich. Und noch immer gilt, daß Kürze und Verständlichkeit der Weitschweifigkeit und dem Juristendeutschen vorzuziehen sind.
({3})
Wir sollten uns bemühen, auf dieser Basis - auch im Wahljahr - eine große Mehrheit zu finden.
Vielen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich zunächst das Wort an Herrn Horst Eylmann.
Lieber Herr Kollege de With, ich darf Ihnen mit Genehmigung der Präsidentin zwei Sätze aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorlesen:
Darüber hinaus sind für Personen des familiären Umfeldes in bestimmtem Umfange strafbewehrte Verhaltensgebote und -verbote unerläßlich. Sie müssen sich zum einen darauf richten, daß die betreffenden Personen der Frau den ihr zuzumutenden Beistand nicht in verwerflicher Weise vorenthalten, und zum anderen darauf, daß sie es unterlassen, die Frau zum Schwangerschaftsabbruch zu drängen.
Ihr Gesetzesentwurf erfüllt das nicht.
({0})
Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, das einzuräumen.
„Unerläßlich" heißt: Wenn das nicht geschieht, wenn wir nicht nachbessern, dann kann sich das Beratungskonzept unter Umständen als verfassungswidrig erweisen. Ich stimme keinem Gesetzentwurf zu - ungeachtet dessen, daß ich manches an dem Urteil nicht für überzeugend halte -, der wiederum Unsicherheit hervorruft, so daß es erneut zu einer Klage in Karlsruhe kommt. Das verunsichert in Zukunft noch einmal über Jahre hinweg die Frauen, auf die es hier ankommt.
({1})
Noch eins, meine Damen und Herren: Die Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs ist eine traurige, ja, eine schlimme Geschichte. Sie ist eine Geschichte des Leidens der Frauen und der Verantwortungslosigkeit der Männer. Ich stehe hinter diesen Strafvorschriften, weil sie endlich einmal im Sinne einer positiven Generalprävention geeignet sind, den Männern, die eine Frau geschwängert haben, klarzumachen, daß auch sie, verdammt noch mal, Pflichten zu erfüllen haben.
({2})
Möchten Sie auf die Kurzintervention antworten, Herr de With?
({0})
Herr Kollege Eylmann, Ihre Intervention ehrt Sie. Nur, ich stelle fest: Was die Gründe anlangt, sind wir völlig d'accord. Der einzige Streit herrscht darüber, wie die Gründe, auf die auch das Verfassungsgericht, das uns auffordert, zu einer Strafvorschrift zu finden, eingegangen ist, im einzelnen auszuführen sind.
Wir meinen, daß es im Sinne der Kürze und der Vermeidung von weitschweifigen Formulierungen angemessen sei, einen schweren Regelfall in den Nötigungsparagraphen einzufügen, weil damit dreierlei deutlich wird:
Einmal ist der Strafrahmen weiter als bei Ihnen.
({0})
Wir wollen damit ganz deutlich zum Ausdruck bringen, daß die Eigenverantwortung nicht gedrückt werden darf, was - das räume ich unumwunden ein - vornehmlich die Männer betrifft.
Das zweite ist: Wenn wir das in die Nötigungsvorschrift einfügen, dann ist klar, daß aus dem Umfeld jedermann - auch jede Frau - angesprochen wird, der bzw. die einen unzulänglichen Druck oder ein Bedrängen ausführt.
Ich sage als drittes: Wir sollten das jetzt nicht zu einem Entweder-Oder hochpeilen, sondern uns darüber sachlich im Ausschuß unterhalten.
Ich sage noch einmal: Es geht nicht um den Kern, um den Grund, sondern allein um das Wie im Strafgesetzbuch. Hier sollte man sich überlegen, was man schaffen will: eine wirklich gewichtige Vorschrift mit einem weiten, großen Strafrahmen oder viele kleine Vorschriften.
Vielen Dank.
Zu einer weiteren Kurzintervention erhält Frau Uta Würfel das Wort.
Lieber Herr Kollege de With, ich bin keine Juristin. Deswegen habe ich mich unendlich schwergetan, das alles zu begreifen, was im Juristendeutsch geregelt ist.
Ich habe gelernt: Eine Nötigung ist das Drohen mit einem empfindlichen Übel oder das Drohen mit Gewalt, um dann jemanden zu einer Tat zu bringen, die er im Grunde genommen nicht begehen will.
Das, was wir eben vom Kollegen Eylmann zu Recht vorgelesen bekommen haben, ist etwas völlig anderes. Da wird nicht mit Gewalt gedroht, wenn man etwas nicht tut, und da wird auch nicht mit einem empfindlichen Übel gedroht.
({0})
Vielmehr geht es darum, daß eine Frau nicht durch intellektuelle, hartnäckige Einflußnahme zu etwas veranlaßt wird, was sie im Grunde genommen nicht will. Diese hartnäckige Einflußnahme muß, ohne daß
mit Gewalt oder mit einem empfindlichen Übel gedroht wird, dazu führen, daß der Schwangerschaftsabbruch erfolgt. Erst dann kann ermittelt werden. In Ihren Fäden der Nötigung handelt es sich um etwas vollkommen anderes.
Das zweite, was der Kollege Eylmann hier vorgelesen hat, war, daß die erbetene materielle Hilfe unerläßlich gewesen sein muß, um den Schwangerschaftsabbruch nicht vorzunehmen, daß die Frau das Kind unbedingt hat haben wollen und daß das Nichtgewähren dieser Hilfe dann dazu geführt hat, daß der Abbruch vorgenommen worden ist. Der Abbruch muß also erfolgt sein.
Ich begreife wirklich die Welt nicht mehr, wenn das Verfassungsgericht sagt, daß diese beiden neuen Strafnormen geschaffen werden müssen, Sie sich aber einfach weigern, das zu tun, und statt dessen, ohne das wirklich auszudrücken, eine weitere Klage vor dem Verfassungsgericht in Kauf nehmen. Deren Ergebnis kann nur sein, daß dieselben Richter zu denselben Schlüssen kommen und sagen: Ihr braucht uns nicht für blöd zu halten; wenn wir euch diese Strafnormen vorschreiben und ihr sie nicht umsetzt, werden wir nicht sagen: sie waren unnötig; wir wollten sie im Grunde genommen gar nicht haben.
Deshalb hat die Koalition diese beiden Strafnormen umgesetzt, und zwar so restriktiv wie möglich.
({1})
Als nächster spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden sich erinnern: Bei der eindrucksvollen Debatte in diesem Hause im Juni 1992 lagen dem Deutschen Bundestag sieben Gesetzentwürfe zur Entscheidung vor, die zeigten, wie kontrovers die Auffassung über die rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs war. Sie beruhten zum Teil auf unterschiedlichen ethischmoralischen Wertvorstellungen, zum Teil aber auch nur auf unterschiedlichen Auffassungen darüber, inwieweit der Staat ethisch-moralische Wertvorstellungen mit den Mitteln des Strafrechts oder anderen Mitteln durchsetzen darf, soll oder muß.
Die Debatte zeigte deutlich: Weitgehend bestand parteiübergreifend Einigkeit darüber, daß ungeborenes Leben möglichst wirkungsvoll zu schützen sei. Umstritten war vor allem das Wie.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 setzt durch seine Auslegung der Verf as-sung zum Teil - hier gebe ich der SPD recht - ganz enge Maßstäbe für das Wie. Diese Maßstäbe sollten wir unbedingt beachten.
({0})
Denn wir dürfen nicht das Risiko einer erneuten verfassungsrechtlichen Beanstandung eingehen.
Auf dieser Basis ist nunmehr ein breiter politischer Konsens möglich. Das zeigt der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, mit dem wir eine gemeinsame
Linie für die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gefunden haben, obwohl wir vor dem Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Positionen vertreten haben und deshalb zwangsläufig in der Interpretation des Urteils nicht in allen Punkten einer Meinung sind oder sein können.
Der Koalitionsentwurf behält die vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gebilligte Konzeption einer Beratung zum Schutze des ungeborenen Lebens in der Frühschwangerschaft bei und beachtet dabei die Vorgaben des Gerichts. Er stellt eindeutig klar, daß der Schutz des ungeborenen Lebens das Ziel der Beratung ist, und macht zugleich deutlich, daß dieses Ziel nur erreicht werden kann, wenn die Beratung ergebnisoffen geführt wird. Die Beratung soll die Frau möglichst für eine eigene, verantwortliche Entscheidung zum Austragen ihres Kindes gewinnen. Aber auch wenn sich die Frau nach der Beratung zum Schwangerschaftsabbruch entschließt, wird diese Entscheidung respektiert.
Aus liberaler Sicht möchte ich darauf hinweisen, daß die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der Frau nicht erzwungen und daß eine Beratungsbescheinigung nicht verweigert werden darf.
Wenn sich eine schwangere Frau im Sinne der Beratungsregelung hat beraten lassen, so tritt das grundsätzlich auch für die schwangere Frau geltende strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs zurück.
§ 218 Abs. 5 StGB des Koalitionsentwurfs sieht an Stelle des vom Bur, desverfassungsgericht für nichtig erklärten Ausschlusses der Rechtswidrigkeit in § 218a StGB in der Fassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes einen Tatbestandsausschluß vor. Durch den Tatbestandsausschluß werden die Schwangerschaftsabbrüche nach Beratung entkriminalisiert. Das grundsätzliche strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs tritt in diesen Fällen zurück. Die verfassungrechtliche Mißbilligung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb besonders schwerer Konfliktlagen bleibt hiervon natürlich unberührt.
Die Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung werden grundsätzlich nicht als gerechtfertigt angesehen. Sie werden aber auch nach dem Gesetzentwurf der Koalition in bestimmten Rechtsbereichen - u. a. im Strafrecht, im Sozialhilferecht, bei der Entgeltfortzahlung -, und zwar auch entsprechend der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, nicht als Unrecht behandelt.
({1})
So sind zwar Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse für solche Schwangerschaftsabbrüche selbst ausgeschlossen. Bedürftigen Frauen wird aber aus Mitteln der Sozialhilfe - bei gesetzlich versicherten Frauen unter Einschaltung der gesetzlichen Krankenversicherung - der ärztliche Eingriff ermöglicht.
Das in der Öffentlichkeit oft gehörte Schlagwort „rechtswidrig, aber nicht strafbar" wird dieser sicherlich komplizierten rechtlichen Einordnung von
Schwangerschaftsabbrüchen nach der Beratungsregelung nicht gerecht.
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Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen der in § 218a Abs. 1 bis 3 StGB des Koalitionsentwurfs geregelten medizinischen, embryopathischen oder kriminologischen Indikation sind im Bereich der gesamten Rechtsordnung als rechtmäßig anzusehen. Sie werden von der gesetzlichen Krankenkasse getragen. Eine Beratungspflicht ist nicht vorgesehen.
Das Bundesverfassungsgericht hält im Rahmen einer Beratungskonzeption sowohl die Strafbewehrung bestimmter ärztlicher Pflichten als auch die Schaffung von Strafvorschriften für Personen aus dem Umfeld der Schwangeren für erforderlich. Der Koalitionsentwurf enthält deshalb mit §§ 218c und 218 d StGB zwei neue Strafvorschriften, die eng auf strafwürdiges Verhalten in diesem Bereich begrenzt sind.
Herr Kollege Dr. de With, ich glaube, wenn Sie das Urteil noch einmal kritisch lesen, werden Sie sehen, daß wir nicht umhin können, das Umfeld der Schwangeren wenigstens in einem eingeschränkten Umfang, so wie wir es im Koalitionsentwurf vorgesehen haben, strafrechtlich zu würdigen, wenn es zum Schwangerschaftsabbruch kommt.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht im einzelnen noch auf die Entwürfe der SPD eingehen, wie ich es ursprünglich vorgesehen hatte, weil meine Redezeit abgelaufen ist. Ich möchte aber deutlich machen, daß wir hoffen, daß durch die weitere parlamentarische Diskussion noch untereinander Überzeugungsarbeit geleistet wird, damit ein Konsens auch unter Einbeziehung von Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen und des Bundesrates zustande kommt und wir den Auftrag des Einigungsvertrages noch in dieser Legislaturperiode erfüllen können.
Ich glaube, die Fragen, die mit den §§ 218 ff. StGB zusammenhängen, sind so diffizil, so kompliziert, daß wir versuchen sollten, einen gemeinsamen Weg zu finden, um dann auch vor dem Bundesverfassungsgericht gemeinsam bestehen zu können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Reinhard Göhner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beratung und Hilfe müssen, so denke ich, nach unser aller Auffassung im Mittelpunkt aller Bemühungen zum Schutz des ungeborenen Lebens stehen. Aber die Rechtsordnung einschließlich des Strafrechts und des davon ausgehenden Rechtsbewußtseins bleiben von erheblicher Bedeutung. Ich möchte zu diesen rechtlichen Aspekten einige Anmerkungen machen, auch im Lichte der bisherigen Diskussion.
Der Gesetzentwurf der Koalition will mit der Beratungsregelung die Schwangere auch in einem Konflikt für das Leben gewinnen. Aber das darf über eines nicht hinwegtäuschen:
Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter. Ein solcher Schutz ist nur möglich, wenn der Gesetzgeber ihr einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbietet und ihr damit die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen. Dieses grundsätzliche Verbot des Abbruchs und der Pflicht zum Austragen des Kindes sind zwei untrennbar verbundene Schutzelemente des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes.
Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein. Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht - wenn auch nur für eine begrenzte Zeit - der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.
Mit diesen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes in den zentralen Leitsätzen 3 und 4 des Urteils ist jede Form von Fristenregelung versperrt. Eine Rechtfertigung gibt es nur in den drei Fällen der Indikation unter staatlicher Verantwortung.
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- Wenn Sie sagen: „Das ist pharisäerhaft" , dann kann ich nur sagen: Das, was ich gerade zitiert habe, ist wörtlich Bundesverfassungsgericht. Sie haben eben immer noch Schwierigkeiten, sich mit dieser Entscheidung abzufinden, wie Ihr Gesetzentwurf auch offenbart. - Legal ist ein Abbruch nur, wenn in dem vorgesehenen überprüfbaren Verfahren eine Indikation ausdrücklich festgestellt ist.
Die Funktion des Strafrechts zum Schutz des ungeborenen Lebens wird durch die Beratungsregelung verlagert, nicht aufgehoben. An der Strafdrohung gegenüber der Frau ändert sich im Vergleich zum früheren Indikationenrecht der alten Bundesrepublik überhaupt nichts; denn die Straffreiheit für die Schwangere bei Abbruch in den ersten zwölf Wochen nach erfolgter Beratung war ja auch Bestandteil der alten Indikationsregelung. Für die Schwangere ändert sich nur: Die Beratung erfolgt jetzt nach dem Koalitionsentwurf so, wie vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben: in einem genau festgelegten Verfahren und unter staatlicher Verantwortung, wie das Gericht zu Recht betont hat. Und es gibt ein zweites Aufklärungs- und Beratungsgespräch auf den Schutz des ungeborenen Lebens hin mit einer Darlegungspflicht der Schwangeren, nämlich beim Arzt.
Geändert ist die Strafdrohung gegenüber dem Arzt. Dies wird in der öffentlichen Diskussion gelegentlich unterschlagen. Heute klang es einmal an. Früher war der Arzt strafbar, wenn er einen Abbruch ohne Indikation vornahm. Heute gibt es einen gesonderten, neuen Straftatbestand mit neuen strafbewehrten Pflichten des Arztes. Der Arzt muß sich z. B. die Gründe des Abbruchs im Rahmen eines - eben zweiten - Aufklärungs- und Beratungsgespräches darlegen lassen und dabei den Pflichten zum LebensDr. Reinhard Göhner
Schutz hin nachkommen. Während bei der Beratung durch die Beratungsstelle letztlich ein Beratungsschein ausgestellt werden muß, bedeutet die Verpflichtung, sich die Gründe des Abbruchs von der Schwangeren darlegen zu lassen, daß der Arzt darauf hinwirken muß.
Nur in extremen Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn die Schwangere nicht darlegungsfähig ist, kann ein Arzt ohne Darlegung der Gründe durch die Schwangere einen Abbruch straflos durchführen. Dies übrigens ist eine Konsequenz auch des SPD-Gesetzentwurfes und begründet natürlich eine völlig neue, strafbewehrte Pflicht zum Lebensschutz hin durch den Arzt. Der Arzt ist im Rahmen seiner ärztlichen Verantwortung verpflichtet, auf den verfassungsmäßigen Schutz zum ungeborenen Leben hin zu beraten, aufzuklären, und zu handeln.
Von Ihrer Seite, von der Seite der SPD-Fraktion, ist der Gesetzentwurf der Koalition mehrfach öffentlich als verkappte Indikationenregelung bezeichnet worden.
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- Dann, Frau Wettig-Danielmeier, waren die Berichte, in denen das gerade aus Ihrem Munde zitiert wurde, falsch. Jedenfalls stand es mehrfach so als wörtliches Zitat in der Presse.
Ich halte eigentlich von diesem Streit um Begriffe nichts. Das, was wir hier unternehmen, ist - um mit Bischof Lehmann zu sprechen - der Mut zu einem neuen Modell jenseits bisheriger Indikations- oder Fristenregelungen mit neuen, auch im Strafrecht neuen Regelungen.
Dazu gehört auch der soeben hier schon andiskutierte neue Straftatbestand gegenüber sozialem und familiärem Umfeld. Das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, in Ihrem Gesetzentwurf stehen haben, ist nichts weiter als das geltende Recht; denn daß nach dem geltenden Recht die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch in der Regel ein besonders schwerer Fall ist, können Sie in jedem Strafrechtskommentar und in allen einschlägigen Entscheidungen nachlesen. Ohnehin treten Konsequenzen nur für das Strafmaß ein.
Das Verfassungsgericht aber - Kollege Eylmann hat das vorhin hervorragend gekennzeichnet - verlangt aus guten und überzeugenden Gründen einen besonderen Straftatbestand, der die Fälle des strafbaren Handelns, nämlich durch Unterlassen, durch Verweigerung von Hilfeleistung des Vaters beispielsweise, unter Strafe stellt.
Wahr ist auch, daß unser Vorschlag, wie wir ihn als Koalition vorlegen mit diesem Straftatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruches, über die Mindestanforderung des Verfassungsgerichtes hinausgeht.
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Das tun wir bewußt, insbesondere da, wo das Verfassungsgericht gesagt hat: Der Gesetzgeber soll prüfen, inwieweit auch eine stärkere strafrechtliche Erfassung im sozialen Umfeld erforderlich ist. Ich finde, es
ist vernünftig, daß wir mit unserem Gesetzentwurf hier eine Regelung getroffen haben.
Ihr Gesetzentwurf unterscheidet sich von dem Koalitionsgesetzentwurf neben dieser Frage - den zusätzlichen, bei Ihnen fehlenden Straftatbeständen gegenüber dem Arzt und dem familiären und sozialen Umfeld - aber vor allem durch die Beschreibung des Zieles und der Aufgaben der Beratung in § 219. Das ist der gravierendste Unterschied. Die Beschreibung dieses Beratungszieles und der Aufgaben ist nicht nur etwas Deklaratorisches, sondern es hat große praktische Konsequenzen, weil es jedenfalls im Koalitionsentwurf - nicht bei Ihnen - und nach den insoweit eindeutigen Vorgaben des Verfassungsgerichtes zugleich die Grundlage für Anerkennung und Überwachung der Beratungsstellen ist.
Mit der außerordentlich dünnen und sehr knappen Regelung zur Beratungstätigkeit in Ihrem Gesetzentwurf werden Sie nämlich nicht den Anforderungen des Verfassungsgerichts gerecht, und zwar in dem Punkt, wo das Verfassungsgericht sagt, daß die Beratung unter staatlicher Verantwortung auf das Leben hin erfolgen muß. Ihr Beratungsziel ist neutral formuliert und relativiert, indem Sie erneut,
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wie schon bei der verfassungswidrigen Formulierung des Beratungsziels im Gruppenantrag, gleichrangig die Anerkennung des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens auf der einen Seite und der Eigenverantwortung der Frau auf der anderen Seite nebeneinanderstellen.
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Das ist für Sie gleichrangig.
Aber genau mit der Begründung der Nichtgleichrangigkeit, d. h. mit dem Vorrang des Lebensschutzes des ungeborenen Kindes hat das Verfassungsgericht die verfassungswidrige Formulierung des Beratungszieles aus dem Gruppenantrag beanstandet. Jetzt legen Sie das gleiche in ähnlicher Formulierung in nach meiner Überzeugung verfassungswidriger Weise vor.
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Deshalb bin ich der Überzeugung, daß Ihr Gesetzentwurf an mindestens diesen beiden Punkten verfassungswidrig ist: beim Beratungsziel und bei der Nichtaufnahme eines weiteren Straftatbestandes gegenüber dem familiären Umfeld.
Ich sage noch einmal: Welch große Bedeutung dies hat, ist dem Gesamtkomplex der Beratungsregelung, nicht nur dem § 219 selbst zu entnehmen. Wir haben im Koalitionsentwurf eine umfassende Regelung über die Anerkennung, über die Tätigkeit, über die Aufgaben und auch über die Überwachung der Beratungsstellen. Ich halte dies für wichtig. Es ist ja seit mehr als einem Jahrzehnt das Ziel der CDU/CSU in diesem Hause, eine solche bundesgesetzliche Beratungsregelung zu erreichen.
Ich bin davon überzeugt, daß wir mit diesem Vorschlag sicherstellen, daß das in Zukunft für alle Beratungsstellen gilt, die in vielen Fällen übrigens schon heute - ich nenne insbesondere die kirchlichen Beratungsstellen - natürlich diesen Anforderungen entsprechen und nachkommen. Deshalb, glaube ich, ist eine Beratungsregelung, die entpönalisiert, aber nicht legalisiert, die im Kern auf Beratung setzt, in ihrer Wirksamkeit und Effizienz gegenüber dem Schutz des ungeborenen Lebens vor allem davon abhängig, inwieweit es gelingt, diese Vorgaben für die Beratung in die Praxis umzusetzen.
Das Urteil des Verfassungsgerichts hat uns die Chance zu einer Befriedung der Diskussion gegeben. Ich meine, daß gerade unter dem Gesichtspunkt einer gesamtdeutschen Regelung wir alle verpflichtet sind, dieses Angebot zu einer befriedenden Regelung aufzugreifen. Deshalb möchte ich an uns alle appellieren, insbesondere an die SPD-Fraktion, den vom Verfassungsgericht gesetzten Anforderungen nachzukommen. In mindestens zwei Punkten ist das in Ihrem Gesetzentwurf noch nicht der Fall.
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Als nächster spricht jetzt der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes im Juni 1992 war eine große Stunde des Parlaments. Die dem Gesetz zugrunde liegende Konzeption „Hilfe statt Strafe" ist auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Mai 1993, das uns im übrigen zu einigen Korrekturen zwingt, nicht in Frage gestellt, sondern bestätigt worden. Daran müssen sich die heute vorliegenden Gesetzentwürfe messen lassen.
Was die Hilfe angeht, auf die auch das Gericht besonderen Wert gelegt hat, wird es eine Rücknahme insbesondere des Rechts auf einen Kindergartenplatz mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht geben.
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Wie aber steht es mit dem von der Mehrheit dieses Parlaments gewollten und vom Gericht grundsätzlich gebilligten Rückzug des Strafrechts? Davon ist im Entwurf der Regierungskoalition leider wenig zu erkennen. Der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion, die gegen den Gruppenantrag gestimmt und nach ihrer Abstimmungsniederlage geklagt hat, ist das nicht vorzuwerfen. Die F.D.P. aber verläßt durch ihre Zustimmung zu dem neuen Konzept den 1992 erreichten Konsens. Sie opfert den Geist des Gruppenantrages auf dem Altar der Koalitionstaktik. Ich will das begründen.
Erstens. Das Strafbarkeitsrisiko der Frau, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entschließt, kann sich gegenüber dem alten Recht von 1975 ohnehin nur geringfügig verändern. Denn schon dort war in dem vielfach übersehenen § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB ein persönlicher Strafausschließungsgrund für den Fall vorgesehen, daß der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen waren. Das wird in der Kommentarliteratur als „verkappte Fristenregelung" bezeichnet, Herr Göhner. Das sollte man zur Kenntnis nehmen. Diese Regelung gilt unverändert und vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet weiter.
Der eigentliche Vorwurf gegen den Frauenarzt Dr. Theissen bestand ja auch darin, daß er den Frauen ein unnötiges Strafbarkeitsrisiko zugemutet hat, indem er nicht auf vorheriger Beratung bestand.
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Zweitens zur Strafbarkeit dritter Personen, die Hilfe bei Schwangerschaftsabbrüchen leisten: Die Frage, ob ein Abbruch im Rahmen des Beratungskonzepts tatbestandsmäßig oder rechtswidrig ist, wirkt sich strafrechtlich vor allem für diejenigen dritten Personen aus, die der Frau im Zusammenhang mit dem für sie straflosen Schwangerschaftsabbruch Hilfe leisten, sei es etwa durch Nennung eines Arztes oder durch Übernahme der Kosten des Abbruchs oder ähnliches. Strafbare Teilnahme setzt eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige Haupttat voraus. Daran fehlt es nach den klaren Feststellungen des Gerichts zum Tatbestandsausschluß bei allen Abbrüchen unter den Voraussetzungen des Beratungskonzepts.
Wir stellen das in unserem Gesetzentwurf eindeutig fest. Im Entwurf der Regierungskoalition findet sich dazu Widersprüchliches in der Begründung. Der Gesetzestext selbst ist offen formuliert. Außerdem sieht der Entwurf - wesentlich weitergehend als unserer - neue Strafbestimmungen gegen Ärzte und ihr Hilfspersonal vor. Das ist vor allem für Ostdeutschland ein Quantensprung ins Strafrecht. Die Einschüchterungsfolgen sind schon jetzt zu spüren.
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Drittens zur Strafbarkeit des persönlichen Umfelds der Schwangeren: Der wichtigste strafrechtliche Unterschied beider Entwürfe besteht in Ihrem Versuch, eine Mauer des Strafrechts um die Schwangere herum zu bauen, eine Drohkulisse für ihre nächste Umgebung, die ihresgleichen sucht.
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Sie gehen dabei in legislatorischem Übereifer, Frau Kollegin Würfel, weit über die Vorstellungen des Gerichts hinaus.
Unser Vorschlag, der die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schweren Fall der Nötigung mit deutlich erhöhter Strafdrohung einordnet, geht, Herr Kollege Eylmann, auf ein Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts am 9. Dezember 1992 zurück. Der Richter Böckenförde hatte den Kollegen de With und mich gefragt, ob die von uns vertretene Bundestagsmehrheit nicht - entgegen ihrem ursprünglichen
Dr. Jürgen Meyer ({4})
Entwurf - bereit wäre, nach Art des CDU/CSUMinderheitenentwurfes, des sogenannten Werner-Entwurfes, die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch mit einer höheren Strafdrohung zu versehen. Wir haben diese Frage grundsätzlich bejaht.
Dem entspricht unser jetzt vorliegender Entwurf. Im Unterschied zu dem anderen Entwurf wählen wir jedoch die systematisch richtige Einordnung im Nötigungstatbestand selbst und bedienen uns der üblichen Technik der Regelbeispiele. Damit schaffen wir keine neue Strafvorschrift, sondern sehen lediglich eine Strafschärfung vor, die der besonderen Schutzbedürftigkeit der Willensfreiheit der Schwangeren und des durch die Willensbeugung letztlich verletzten hohen Rechtsgutes des vorgeburtlichen Lebens entspricht. Mehr verlangt auch das Gericht nicht.
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Wir erfassen zum einen die im Urteil genannten Fälle, in denen die Frau zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt wird. Zum anderen aber erfassen wir auch die weiter genannten Fälle, in denen der Frau zumutbare Hilfe in verwerflicher Weise vorenthalten wird. Denn die Drohung etwa der Eltern, die Tochter im Falle der Geburt eines nichtehelichen Kindes auf die Straße zu setzen oder ihr keinen Unterhalt zu zahlen, ist selbstverständlich die Androhung eines empfindlichen Übels und deshalb strafbare Nötigung.
Was schlägt demgegenüber die Regierungskoalition vor? Sie erfindet einen völlig neuartigen Straftatbestand der Mitverursachung eines Schwangerschaftsabbruchs gemäß § 218d, der eigentlich aus zwei Tatbeständen besteht. Im ersten Absatz wird die Einwirkung aus verwerflichem Eigennutz erfaßt - was immer das sein mag. Es handelt sich nämlich um ein dem StGB bisher in dieser Addition fremdes Begriffspaar, das in hohem Maße unbestimmt ist und deshalb Spekulationen und Ängste auslösen muß.
Die Entwurfsverfasser haben das auch erkannt; denn in der Begründung führen sie über eine ganze Seite aus, was alles nicht gemeint ist. Die gemeinten Fälle hingegen werden nicht näher bezeichnet, wenn man einmal von dem wenig hilfreichen Hinweis auf den Tatbestand des Menschenhandels gemäß § 180 b absieht, wo bereits der Begriff der Einwirkung zu finden sei.
Noch nebelhafter ist der zweite Absatz, wo es um die neuartige Strafbarkeit der Eltern und des Partners einer minderjährigen Schwangeren wegen unterlassener Hilfe in einer Notlage geht. Es findet sich kein Hinweis dazu, wann die Hilfe zumutbar, d. h. nach dem vorgeschlagenen Gesetzeswortlaut „ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten oder eigener schutzwürdiger Interessen" möglich sein soll. Statt dessen findet man in der Begründung den abwegigen und immerhin das schlechte Gewissen der Verfasser zeigenden Satz:
Zur Fortsetzung einer nicht mehr erwünschten Partnerschaft oder zu grundlegenden Änderungen ihrer Lebensplanung sollen sie - die Täter - nicht mit den Mitteln des Strafrechts gezwungen werden.
Ja, wozu dann?
Durch die Unbestimmtheit des Koalitionsvorschlags öffnet sich ein breites Feld für Einschüchterung und auch für Erpressungsversuche bei späteren Konflikten. Es ist bezeichnend, daß selbst der ohne Zweifel sehr strafrechtsfreudige Minderheitenentwurf der Kollegen Geis und Carstens jedenfalls den zweiten Absatz des Vorschlages der Regierungskoalition nicht übernimmt und deutlich näher am SPD-Entwurf liegt.
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Die Frau Kollegin Würfel hätte es vor einiger Zeit wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten, daß man ihr in einer wichtigen Frage - trotz ihrer abwegigen juristischen Ausführungen von vorhin - den Kollegen Geis geradezu als Beispiel für Liberalität vorhalten müßte.
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Folgt man dem Vorschlag der Regierungskoalition, so ist die Schwangerschaft kaum noch ein freudiges Ereignis, sondern eher eine Anknüpfungstatsache, die jederzeit die Polizei, den Staatsanwalt und das Strafgericht auf den Plan rufen kann - eine schwer erträgliche Vorstellung. Daß auch der Schwangeren selbst die repressive Bedrohung ihrer nächsten Umgebung durch ein ganz neues Strafrecht unangenehm sein kann, ist offenbar nicht bedacht worden. Mit einem Aufruf zu Hilfe statt Strafe hat das Ganze wenig zu tun.
Das Gericht hat in seiner Übergangsregelung keine neuen Straftatbestände schaffen können, weil das Sache des Gesetzgebers ist. Aus strafrechtlicher Sicht ist daher die Übergangsregelung eindeutig besser als der Entwurf der Regierungskoalition.
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- Konnte es nicht. Richtig. Das war gut so.
Mein Schlußsatz: Deshalb appelliere ich vor allem an die Kolleginnen und Kollegen, die mit uns im Juni 1992 den Gruppenantrag verabschiedet haben: Kehren Sie bitte zurück zu unserer gemeinsamen Grundkonzeption. Und für die F.D.P. füge ich hinzu: Versuchen Sie, doch ein bißchen liberaler zu sein.
Danke.
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Es spricht als Abgeordnete Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Neuregelung des § 218 geht es für mich um ein Gesetz, das dem Schutz des ungeborenen Lebens gerecht werden und dabei doch die vielfach vorhandenen und sehr unterschiedlichen Konfliktlagen von Frauen berücksichtigen muß. Dies stand für mich schon bei den Debatten im Jahre 1992 im Mittelpunkt. Heute wie damals muß es in erster Linie um Hilfe gehen und nicht um Strafe.
({0})
Denn auch das wissen wir: Leben ist nicht gegen, sondern nur mit den Frauen zu schützen.
Ich bin froh, daß durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verkürzung der Diskussion auf die Schlagworte Indikationen- und Fristenlösung überwunden ist. Ich muß aber sagen, daß mich das, was unmittelbar nach der Urteilsverkündung und bis heute an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisiert und dazu polemisiert wurde, schon außerordentlich betroffen macht und bei mir die Frage aufwirft, in welcher Art und Weise wir eigentlich mit unseren grundgesetzlichen Institutionen umgehen. Ich frage Sie an dieser Stelle: Wie sollen eigentlich die Menschen in den neuen Bundesländern zur Akzeptanz dieser Demokratie kommen, wenn selbst Parlamentarier in einer Weise Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kritisieren oder beschreiben, die ich nicht für angemessen halte?
({1})
Ich muß Ihnen auch an dieser Stelle sagen, daß durch die Beschuldigung des Klägers ein nicht verfassungskonformes Gesetz auch nicht verfassungskonformer wird.
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- Sie beschuldigen diejenigen, die vor dem Verfassungsgericht geklagt haben, immer wieder direkt oder indirekt und erwecken dadurch den Eindruck, als sei die Frage, ob das Gesetz verfassungskonform oder nicht verfassungskonform ist, damit in irgendeiner Weise verbunden.
Meine Damen und Herren, das Urteil entspricht meiner Grundüberzeugung, daß das Abtreibungsrecht nicht geeignet ist, dem Selbstbestimmungsrecht der Frau unbegrenzten Raum zu geben. Es muß aus der Rechtsordnung ersichtlich sein, daß ein Schwangerschaftsabbruch Leben zerstört und deshalb nicht allein in der Beliebigkeit der Eltern stehen kann. Auf der anderen Seite aber war und ist es für mich ebenso unbefriedigend, wenn andere als die Schwangere die Entscheidung darüber treffen sollen, wann sie einen Schwangerschaftsabbruch ohne strafrechtliche Konsequenzen durchführen lassen kann und warm nicht. Es war für mich immer der unbefriedigende Teil der Indikationenlösung, daß Ärzten letztendlich die gesamte, auch strafrechtliche Verantwortung für die Bewertung einer Konfliktsituation aufgebürdet wurde, die objektiv nach meiner Auffassung nicht überprüfbar ist.
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Der wesentliche Schritt - und genau das tut das Bundesverfassungsgericht - kann nur sein, der Frau Hilfe bei ihrer Entscheidung zu geben, und zwar durch eine sinnvolle Konfliktberatung.
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Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen setzt dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes konsequent um, zum Teil sogar wortgleich. Er verschärft nichts, und er nimmt auch nichts hinzu, was nicht durch das Bundesverfassungsgericht so gefordert worden wäre. Sie von der SPD wissen das und
streiten es dennoch ab. Ich bin der Meinung, dadurch verunsichern Sie Frauen, Beraterinnen und Ärzte.
({5})
Kern der Gesetzesregelung ist die verfassungsmäßig ausgestaltete Beratung, deren Ziel und Aufgabe die Ermutigung der Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ist. Die Beratung gilt dem Schutz des ungeborenen Lebens. Dies muß sie auch durch eine entsprechende Zielorientierung deutlich machen, sonst ist sie nicht verfassungsgemäß. Der Koalitionsentwurf übernimmt wörtlich die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts. Das Beratungsziel ist nicht, daß die Frau zum Austragen der Schwangerschaft gedrängt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht sagt klar und deutlich, daß die Beratung ergebnisoffen zu führen ist.
Die bisherige Indikationenlösung in den alten Bundesländern hat ebenso wenig wie die Fristenlösung in den neuen Bundesländern Abtreibungen wirksam verhindern können. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung keine neuen Fronten aufgemacht - wie hier behauptet wurde -, sondern es hat die Erfahrungen mit der Indikationenlösung aus den alten Bundesländern ausgewertet und ein Urteil fortgeschrieben, ohne die Grundsätze des Urteils aus den 70er Jahren aufzugeben.
Das Gericht ist davon ausgegangen, daß eine Strafandrohung dem Austragen des Kindes eher entgegensteht. Es hält darüber hinaus eine Indikationsfeststellung durch einen Dritten für verzichtbar, wenn eine Beratung verpflichtend vorgeschrieben wird.
Deshalb wollen wir die Beratung so ausgestalten, daß eine bewußte Entscheidung hervorgerufen wird. Dies entspricht unserer Achtung vor dem Verantwortungsbewußtsein der Frau und stärkt ihre Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben. Allen, die dem Gericht an dieser Stelle Frauenfeindlichkeit vorwerfen, kann ich nur sagen, daß sie letztendlich nicht willens sind, das Dilemma von Frauen, die sich in einer Konfliktsituation befinden, anzuerkennen.
({6}) - Ja, so ist das aus meiner Sicht.
Die SPD wiederholt in ihrem jetzigen Entwurf - deshalb regen Sie sich gerade so auf - den Fehler, den Sie schon im Jahre 1992 gemacht haben, indem Sie versuchen, die Beratung von jeglicher Zielbestimmung fernzuhalten, und sich weigern, die Konfliktsituation als eine menschliche Situation von Frauen anzuerkennen und auch anzuerkennen, daß es ein eigenständiges Lebensrecht des ungeborenen Kindes gibt. Dies muß aus unserer Sicht anerkannt werden.
({7})
Meine Damen und Herren, wie ernst wir es mit dem Schutz des ungeborenen Lebens tatsächlich meinen, wird nicht zuletzt daran zu erkennen sein, wie die Beratungsstellen ausgestattet werden und in welcher Weise es ihnen gelingt, mit den verantwortlichen Behörden vor Ort zusammenzuarbeiten. Ich möchte von dieser Stelle aus sagen, daß die Beratungsarbeit,
die Arbeit der Beraterinnen wichtig ist und daß sie die Unterstützung des gesamten Parlamentes verdienen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 festgestellt, daß Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich rechtswidrig sind, es sei denn, ihre Rechtmäßigkeit wurde durch Dritte festgestellt. Beim Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregelung wird auf die Feststellung der Rechtmäßigkeit verzichtet. Er ist deshalb lediglich straffrei. Für die Rechtsordnung wird damit klargestellt: Ein Schwangerschaftsabbruch, für den keine Indikation eingeholt wurde, wird als rechtswidrig mißbilligt. Nur das Hinzutreten bestimmter Umstände wie die Pflichtberatung erlauben es, von einer Bestrafung abzusehen.
Ich weiß, daß die grundsätzliche Rechtswidrigkeit eines Schwangerschaftsabbruches, die das Gericht festgelegt hat, für Frauen und Ärzte ein Problem darstellen kann. Aber auf der anderen Seite ist im Sinne des grundgesetzlichen Auftrages dem Schutz des Lebens höchste Priorität zu geben. Dies ist eine rechtstheoretisch vernünftige und in der Praxis auch tragbare Antwort auf die Problematik.
Mit dem von der F.D.P. und der Mehrheit der Union vorgelegten Entwurf wird es gelingen, soziale Härten zu vermeiden. Dies zeigt die heutige Praxis bereits.
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Ich möchte zum Abschluß sagen, daß es zum ersten jetzt darauf ankommt, das Gesetz möglichst schnell zu verabschieden, damit Ärzte, Berater und Frauen auf einer sicheren Rechtsgrundlage arbeiten können. Es muß zum zweiten darum gehen, die bereits beschlossenen sozialen Maßnahmen auch wirklich umzusetzen, damit sich der Schutz des ungeborenen Lebens auch im Schutz des geborenen Lebens wiederfindet. Ich möchte hier namentlich den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erwähnen.
Frau Merkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hüppe?
Ich nehme an, ich beantworte die Frage, ohne daß sie gestellt wurde.
Frau Wettig-Danielmeier, Sie haben heute den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz explizit angesprochen. Ich möchte Sie an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, daß aus SPD-regierten Ländern, nämlich aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, inzwischen bekanntgeworden ist, daß sie Anträge im Bundesrat einbringen werden, die eine Verschiebung der Verwirklichung dieses Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz enthalten.
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- Es gab eine Abstimmung im nordrhein-westfälischen Landtag. Mit der absoluten Mehrheit der SPD ist dafür gestimmt worden. Noch gestern hat die schleswig-holsteinische Regierung in Person von Frau Moser erklärt, daß die Verwirklichung des Rechtsanspruchs zum 1. Januar 1996 leider nicht zu schaffen sei.
Liebe Frau Wettig-Danielmeier, das Sprechen mit einer gespaltenen Zunge
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bei einer so ernsten Frage wie dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hilft uns wirklich nicht weiter.
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Ich mache Sie an dieser Stelle darauf aufmerksam, daß die CDU/CSU-Fraktion in Abstimmung mit dem Finanzminister - nicht zu meiner Freude - damals beschlossen hat, daß wir den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem 1. Januar 1999 wollen. Sie haben damals im Bundestag und im Bundesrat erklärt - auf Nachfrage sind Sie dabei immer wieder geblieben -, daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zum 1. Januar 1996 umgesetzt wird.
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Sie haben anschließend im Bundesrat gesagt, dies werden Sie tun, wenn sich der Bund an der Finanzierung beteiligt oder zumindest die Aufteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder verändert wird. In den Solidarpaktverhandlungen ist der Länderanteil an der Umsatzsteuer von 37 % auf 44 % angehoben worden. Jetzt aber, nachdem das Bundesverfassungsgerichtsurteil verkündet wurde, sagen Sie - besser: die Ländervertreter in Ihrer Partei -, nun hätten Sie leider die Einsicht, daß Sie dies alles nicht schaffen können. Die Zahlen haben sich nicht geändert, die Fakten haben sich nicht geändert; nur das, was Sie tun und sagen, hat sich geändert.
({4})
Diese Form des Redens mit einer gespaltenen Zunge nutzt den Eltern nicht, nutzt den Kindern nicht. Ich bitte Sie, ein solches nicht zu wiederholen.
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Zu einer Kurzintervention Frau Kollegin Wettig-Danielmeier und anschließend der Kollege Jäger.
({0})
- Die können Sie vom Platz aus machen, Frau Kollegin.
Ach so. - Aber nun bin ich gerade hier. Vorhin wurden alle Kurzinterventionen von hier aus gehalten.
Unüblich!
Ja. Deswegen bin ich auf dieses schmale Brett gegangen. - Also: Frau Merkel, es tut mir leid. Auch Sie haben in Ihrer Fraktion nicht jeden einzelnen auf Ihrer Linie. Herr Geis wird sicherlich nachher etwas anderes sagen als das, was die Mehrheit vorgetragen hat.
({0})
Sie können nicht damit argumentieren, daß die eine
oder andere Stimme im Verbund der SPD Probleme
sieht. Sie haben die Länder doch ermuntert! Sie
wissen, daß sich noch heute die Ländersozialminister und die -jugendminister klar für das Recht auf Kindergartenplatz eingesetzt haben, mit allen Stimmen.
({1})
- Nein, nein. Von einer Verschiebung war nicht die Rede. Wir haben im Präsidium der SPD am Montag genau dies verhindert, weil wir der Meinung waren, daß das nicht adäquat ist, daß wir das Recht auf Kindergartenplatz umsetzen müssen, auch wenn es kneift.
({2})
Allerdings muß ich auch ein Wort zur Finanzierungsleistung sagen. Sie wissen ganz genau, daß die Umverteilung der Umsatzsteuer genau diesen Punkt nicht einbezogen hat und daß insofern die Verpflichtung des Bundestages, die wir allesamt eingegangen sind,
({3}) von der Bundesregierung nicht erfüllt ist.
({4})
Das heißt: Die Finanzierungsfragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind nach wie vor nicht geklärt.
({5})
Das ist eine offene Flanke, die erhalten bleibt. Dennoch sprechen wir uns nach wie vor für die Einhaltung der Fristen zur Umsetzung des Rechts auf Kindergartenplatz aus und werden alles tun, das auch zu verwirklichen.
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Frau Ministerin zur Antwort.
Frau Wettig-Danielmeier, ich möchte dazu nur zwei Dinge sagen. Das eine ist: Vom Bund wird keine Initiative zur Verschiebung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ausgehen.
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- Das ist eine Feststellung, weiter nichts. Ich stelle nur nüchtern fest, daß der Landtag Nordrhein-Westfalen mit den Stimmen aller Landtagsabgeordneter inklusive des zuständigen Jugendministers darauf gedrängt hat, eine Bundesratsinitiative einzubringen, obwohl ich mit dem Ministerpräsidenten des Landes vor dem Beschluß im Bundesrat darüber gesprochen habe, ob dieses Recht auf einen Kindergartenplatz umsetzbar ist oder nicht.
Der zweite Punkt: Ich bitte Sie, noch einmal zu bedenken - das wissen Sie genausogut wie ich -: Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist zwar ein Bundesgesetz, aber es gibt doch rechtlich keine Zweifel, auch nicht für die Herren Ministerpräsidenten, die dem im Bundesrat bei der Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes zugestimmt haben, daß die Länder und dann die Kommunen für die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz zuständig sind. Genau deshalb haben sie auch erklärt, daß die Bundesbeteiligung nur über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung denkbar ist.
Dann - Frau Wettig-Danielmeier, das gehört zu den betrüblichen Erfahrungen auch von SPD-Jugendministern - hat bei den Solidarpaktverhandlungen dieser Rechtsanspruch als eine neue Pflichtleistung der Kommunen und Länder offensichtlich keine Rolle gespielt.
Ich sage Ihnen nur, Frau Wettig-Danielmeier, daß die CDU-regierten neuen Bundesländer den Rechtsanspruch haben, Baden-Württemberg kurz davor steht
({1})
und in Bayern die Situation auch nicht so schlecht ist.
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Deshalb müssen Sie sehen, wie Sie in SchleswigHolstein und in anderen Ländern mit der Sache klarkommen.
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Meine Damen und Herren, die nächste Kurzintervention macht der Kollege Jäger. Weitere Kurzinterventionen lasse ich nicht zu.
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Wir haben eine Rednerliste. Argument und Gegenargument sind ausgetauscht. Der Kollege Jäger bringt jetzt offensichtlich noch eine abweichende Meinung dazu. - Wenn anders verfahren werden sollte, müßten wir unsere Ordnung ändern. Kurzinterventionen sind keine Subdebatte.
Bitte, Herr Kollege Jäger.
({1})
Herr Präsident, der Kollege Meyer und auch die Kollegin Merkel haben betont, die beiden neuen Gesetzentwürfe gingen davon aus, daß Tötungen ungeborener Kinder in den ersten zwölf Wochen zwar rechtswidrig seien, aber straffrei sein müßten. Insofern gab es zwischen ihnen Übereinstimmung.
Jetzt weise ich auf folgendes hin: Entgegen der Behauptung, man halte sich ganz eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wird die Bestimmung in der Ziffer 2 der einstweiligen Anordnung des Verfassungsgerichts für die Übergangsregelung in beiden Entwürfen weggelassen, eine Bestimmung, in der es wörtlich heißt: Das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs bleibt auch in diesen Fällen unberührt.
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Das findet sich in den Entwürfen nicht wieder.
Ich stelle fest, daß sich damit beide Entwürfe nicht eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten und daß hier noch Nachholbedarf bei den Beratungen besteht.
Ich habe noch eine zweite Frage.
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Herr Kollege Meyer und Frau Kollegin Merkel, Sie sagen, das Strafrecht solle eher zurückgedrängt und die Hilfen sollten in den Vordergrund gestellt werden. Ich frage -
Herr Kollege Jäger, Sie können jetzt im Rahmen einer Kurzintervention keine Befragung anderer Kollegen vornehmen.
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Herr Präsident, Sie haben recht. Ich frage deshalb nicht, sondern ich stelle fest, daß in beiden Entwürfen - das wurde von den Rednern nicht hervorgehoben - jenes Paket an Hilfen fehlt, das das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausdrücklich anmahnt, und daß auch insofern ein Abweichen von diesem Urteil gegeben ist. - Diesen Widerspruch habe ich bisher nirgendwo erklärt gefunden.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Niehuis.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Frau Ministerin Merkel, Ihr Vorwurf der Doppelzüngigkeit in einer normalen politischen Auseinandersetzung zeigt mir im Grunde: Das ist der normale Endpunkt all der Reden, die hier von der CDU/CSU gehalten wurden. Ich will Ihnen sagen, was mein Eindruck ist: Sie haben bis heute Ihre herbe Enttäuschung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im letzten Jahr nicht verkraftet.
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Ich sage dies, weil mir bei Ihnen, Frau Männle, aufgefallen ist, daß Sie einfach nicht mehr wahrhaben wollten, daß die beiden Pole, die vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden mußten, wirklich die Pole „Fristenregelung" und „Indikationenregelung" waren.
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Das Bundesverfassungsgericht hat, was diese beiden Pole betrifft,
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ganz eindeutig gesprochen und hat die Fristenregelung - mit einem Beratungskonzept - bestätigt, umrahmt von dem politischen Willen zu einer kinder-, familien- und frauenfreundlichen Gesellschaft. Damit werden Sie sich auch in den parlamentarischen Beratungen abfinden müssen.
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- Da sich gerade Herr Hüppe meldet, möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem kursierenden Entwurf von Herrn Geis und anderen machen. Wenn man die „FAZ" liest, so ist man doch erstaunt, daß Sie - nicht Sie, Herr Hüppe, aber Herr Geis - dann sagen, Ihnen sei das CDU-Programm wichtiger als der Spruch des Bundesverfassungsgerichts. Dies ist auch der Eindruck, den ich hier stellenweise gehabt habe. Ich denke, solchen Bestrebungen dürfen wir nach diesem Urteil hier nicht die Mehrheit geben.
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Verzeihung, Frau Kollegin. Kollege Hüppe meldet sich offensichtlich zu einer Zwischenfrage. Das hat er vorhin auch schon getan. Als ich die Kollegin unterbrach, hat er die Frage zurückgezogen. Wollen Sie nun fragen oder nicht?
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- Dann fragen Sie bitte.
Er weiß ja noch nicht, was ich alles erzählen will, aber bitte.
Frau Kollegin, wenn Sie eben gesagt haben. daß vom Bundesverfassungsgericht eine Fristenregelung akzeptiert worden ist, dann werden Sie das Urteil ja hoffentlich gelesen haben.
({0})
Ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, daß auf Seite 83 des Originaltextes wörtlich steht:
Insgesamt muß aber das Schutzkonzept so ausgestaltet sein, daß es geeignet ist, den gebotenen Schutz zu entfalten, und nicht in eine zeitlich begrenzte rechtliche Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs übergeht oder als solche wirkt.
Das mag - ich habe das Urteil nun nicht so wie Sie gerade bei mir - auf Seite 83 stehen. Auf einer anderen Seite steht, daß der Gesetzgeber vollkommen recht getan hat, diesen Weg in eine kinderfreundliche Gesellschaft zu beschreiten und die Letztentscheidung der Frau endlich einmal gesetzlich durchzusetzen. Das steht an einer anderen Stelle, und insofern nutzt mir dieses Zitat gar nichts.
({0})
- Frau Würfel kann die Stelle auswendig. ({1})
Ich denke, daß die Bestrebungen, die ich Ihnen und Herrn Geis vorgeworfen habe, im nachhinein etwas, was nicht gewonnen hat, doch noch in den Entwurf der Koalition einzubringen, recht erfolgreich gewesen sind.
Ich finde es sehr gut, daß wir im Bundestag versuchen, nun eine noch größere Mehrheit für eine Fristenlösung mit einem Beratungskonzept zu erreichen. Aber wir müssen das dann auch so tun, daß das Gesamtkonzept stimmig bleibt. Da ist mir bei näherem Hinsehen aufgefallen, daß einiges an dem CDU/ CSU-F.D.P.-Entwurf eben nicht mehr die Stimmigkeit bringt, die wir brauchen, damit eine Fristenlösung mit Beratungskonzept bei Letztentscheidung der Frau auch wirklich die volle Wirkung entfalten kann, die sie verdient. Ich erzähle Ihnen nichts Neues, Herr Hüppe, wenn ich Ihnen sage, daß wir uns einfach über ein Urteil unterhalten müssen, das über 200 Seiten lang ist und in sich Widersprüche hat. Aber wenn dies so ist, dann sind wir als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber aufgefordert zu unterscheiden: Was sind grundsätzliche Bemerkungen und Begründungen der Verfassungsrichter und der Verfassungsrichterin, und was sind die Stellen, die umsetzbar, sinnvoll und machbar sind? Ich denke, dies hat der SPD-Entwurf geschafft, der CDU/CSU-F.D.P.-Entwurf überhaupt nicht.
({2})
Ich habe Ihnen gesagt, das, was Sie tun, tun Sie mit Halbherzigkeit. Die Halbherzigkeit - § 219 ist häufig thematisiert worden - wird gerade bei § 219 StGB deutlich. Frau Merkel hat gemeint, wir werfen dem Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle Frauenfeindlichkeit vor. Nein, das Bundesverfassungsgericht hat überaus deutlich gemacht, daß Frauen nicht bevormundet werden dürfen, daß sie nicht eingeschüchtert werden dürfen, daß schließlich sie als letzte über den weiteren Gang entscheiden müssen. Wenn ich mir jetzt Ihren § 219 anschaue, so fällt mir allerdings auf, daß Sie von den vielen, vielen Sätzen im Urteil über die Ergebnisoffenheit oder die Letztentscheidung der Frau aber auch keinen einzigen in Ihr Konzept aufgenommen haben. Sie fangen Ihren § 219 mit einem einzigen Satz an - den haben Sie hier auch zitiert-, und der heißt: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens", Punkt, nichts weiter. All das, was ich von Ihnen gehört habe, war eigentlich der Stolz, daß Sie gesagt haben, wir haben hier ganz bewußt nur die Zielorientiertheit genannt und haben die Eigenverantwortung der Frau weggelassen.
({3})
Sie werden mit diesem § 219 dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht mehr gerecht.
Was sehr viel schlimmer ist - mein Kollege Hans de With hat es schon gesagt -: Durch Ihre Formulierung des § 219, mit der Sie auf § 218a Abs. 1 bis 3 verweisen, versuchen Sie, in § 219 heimlich eine Indikationslösung hineinzubringen. Das geht nicht, und das geht auch weg von einem guten Beratungskonzept.
({4})
Für mich ist unverkennbar - Frau Würfel, ob Sie das hören wollen oder nicht -, daß bei § 219 die CDU/CSU bei dem Kompromiß überall gewonnen hat. Ich erinnere mich noch an Ihren Jubel nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil. In Ihrer Presseerklärung am 1. Juni 1993 haben Sie geschrieben, daß das Bundesverfassungsgericht eines deutlich gemacht habe, nämlich wie eine Beratung nicht sein dürfe, d. h. sie dürfe keine Schuldgefühle wecken, nicht einschüchtern und keinen Druck erzeugen.
({5})
Aber genau dies machen Sie durch Ihre Formulierung in § 219.
({6})
- Durch den Verweis auf § 218a Abs. 1 bis 3. Da verweisen Sie auf Indikationen. Diese sollen der Schwangeren während der Schwangerschaftskonfliktberatung bewußt gemacht werden. Das ist heimliche Indikation, und das ist Druckausübung.
({7})
- Aber sicher ist das so.
Ich möchte jetzt noch etwas zu Frau Merkel sagen, die vor mir geredet hat. Ich finde es schon sehr verwunderlich, daß sich eine Bundesfrauenministerin hier hinstellt und das Bundesverfassungsgerichtsurteil lobt, aber ganz vergißt, die wesentlichen Stellen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu zitieren, das sich seitenlang darüber ausläßt, daß das wichtigste Schutzkonzept zum einen ist, daß eine Gesellschaft die Gleichstellung von Frau und Mann anerkennt und noch sehr viel mehr tun muß, um dies durchzusetzen, und zum anderen, daß eine Gesellschaft mehr und bessere Familienpolitik machen muß, mehr, als wir im Schwangeren- und Familienhilfegesetz durchgesetzt haben. Wenn ich Frau Merkel, die mit ihrem Gleichberechtigungsgesetz aber auch alles tut, um die Gleichstellung von Mann und Frau nicht durchzusetzen, vor diesem Hintergrund betrachte, dann hätte ich hierzu ein Wort erwartet.
({8})
Es lohnte sich wirklich, an dieser Stelle über die familienfreundliche Gesellschaft und die Politik dieser Bundesregierung zu diskutieren. Wenn ich mir Ihren § 218 d vornehme, in dem Sie formulieren, all diejenigen müßten bestraft werden, die trotz Hilfeersuchens von Schwangeren keine Hilfe leisteten, dann ist es für mich ein ganz reizvoller Gedanke, die Familienpolitik der Bundesregierung unter diesem Aspekt des § 218d einmal vor Gericht zu stellen.
({9})
Ich möchte jetzt noch etwas zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sagen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Ja. - Ich möchte, daß Sie wissen, daß diejenigen, die das Schwangeren- und Familienhilfegesetz hier gemeinsam verabschiedet haben und die vom Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis nehmen mußten, daß auch das Bundesverfassungsgericht dies als einen ganz wichtigen Punkt in dem Konzept ansieht, also wir, weiterhin darauf
bestehen werden, daß dieser Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch überall in unserer Republik umgesetzt wird.
({0})
Das betone ich hier noch einmal, und das lasse ich mir von Ihnen auch nicht ausreden.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu jenen, die in der Fraktion der CDU/CSU der Einbringung dieses Entwurfs nicht zugestimmt haben. Wir kamen nach gründlicher Diskussion - ({0})
- Das ist in der Fraktionsabstimmung eine Gruppe von sicherlich nicht nur 30, sondern weit über 60 Leuten gewesen.
({1})
Deswegen sind wir der Auffassung, daß auch wir hierzu etwas sagen sollten.
Ich möchte eindeutig feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 28. Mai 1993 eine Linie, eine Ebene für das vorgegeben hat, was innerhalb des in der Verfassung Liegenden vertretbar und auch machbar ist. Wenn ich von dieser Linie, von dieser Ebene ausgehe, dann möchte ich ganz eindeutig feststellen, daß aus meiner Sicht der Entwurf der Koalition oberhalb davon liegt. Er ist meines Erachtens verfassungskonform.
Das gleiche Urteil vermag ich im Hinblick auf den Entwurf der SPD leider nicht auszusprechen. Dieser Entwurf ist nach meiner Auffassung eindeutig verfassungswidrig, und zwar zumindest in drei Punkten.
({2})
Da haben wir zum einen in der Frage der Rechtswidrigkeit die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch eine Unrechtsbewertung in bezug auf Not- und Konfliktslagen im Beratungsfall. Hier hat die Koalition doch einen klaren Bezug auf andere Rechtsbereiche hergestellt und gesagt, daß es sich hier nicht einfach um eine Nicht-Rechtswidrigkeit handle, wenn dieser Tatbestandsausschluß nach Beratung in Anspruch genommen wird. Dergleichen hat die SPD nicht getan.
Das zweite. Auch hinsichtlich der Beratung - es ist schon angesprochen worden - geht die SPD - und niemand kann das weginterpretieren, der einigermaßen Deutsch kann - von einer Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit aus - schon syntaktisch ist das deutlich - und stellt nicht die Priorität des Schutzes des Lebensrechtes des Kindes in den Vordergrund, wie dies das Verfassungsgericht gefordert hat.
Ich möchte drittens eindeutig sagen, daß auch im Bereich des Schutzes vor und der Abwehr von Nötigung die SPD meines Erachtens unterhalb dessen geblieben ist, was das Verfassungsgericht eigentlich will.
Ich möchte aber zu beiden Entwürfen kritische Anmerkungen machen; denn sonst könnte ich dem Koalitionsentwurf ja zustimmen. Nach meiner Auffassung kommt bei aller rechtlichen Würdigung in dem Entwurf der Koalition in § 218 Abs. 5, was den Tatbestandsausschluß anlangt, nicht für jedermann deutlich genug zum Ausdruck, daß hier tatsächlich das Lebensrecht des Ungeborenen auf dem Spiel steht und daß hier tatsächlich der Schwangeren die Letztentscheidung eingeräumt wird; wohlgemerkt nach einem bestimmten Verfahrensgang, nach einer Beratung, auch nach einem Beratungsgespräch mit dem abbrechenden Arzt; aber die Schwangere - und dies räumt das Verfassungsgericht ein - ist in der Lage, in diesem Falle eigenverantwortlich zu entscheiden über Tötung oder Nichttötung des ungeborenen Kindes, ihres Kindes. Dies kann bei aller Würdigung der Meinung des Bundesverfassungsgerichts nach unserer und meiner Auffassung von uns Abgeordneten nicht einfach hingenommen und auch noch in Gesetzesform festgeschrieben werden.
({3})
Ich glaube deswegen, meine Damen und Herren, daß wir Kritiker diese Beratungsregelung, die sich ja auch an eine Frist von zwölf Wochen knüpft, mit Fug und Recht immer wieder eine verkappte Fristenregelung nennen. Eine solche ist es.
Meine Damen und Herren, wenn ich von Fristen spreche, dann möchte ich auch einen Grundsatz ansprechen. Ich weiß um die Problematik, daß wir eigentlich Unrecht tun und falsch handeln, wenn wir gerade in diesem Bereich des Schutzes des ungeborenen Kindes generell mit Fristen umgehen. Denn das Leben entwickelt sich nicht innerhalb von Fristen, ist nicht sprunghaft an irgendeine Wochenfrist gebunden, sondern es ist ein konstanter Vorgang. Deswegen kann man diese Regelung, wonach die Tötung nach beiden vorliegenden Gesetzentwürfen innerhalb der ersten zwölf Wochen möglich sein soll, also letzten Endes eine Entkriminalisierung, als Abgeordneter, so meine ich, nicht einfach unwidersprochen hinnehmen. Aber ich räume ein, hier mögen Sie anders denken; dies ist jedermanns Recht. Ich möchte deutlich sagen: Auch wenn da ein Bischof eine Erklärung abgibt, entbindet dies mich persönlich nicht von einem individuellen Entscheid meines Gewissens, das zunächst einmal prinzipiell auf Wahrung und Rettung menschlichen Lebens angelegt sein muß.
({4})
Ich möchte ausdrücklich auch im Hinblick auf die Hilfen noch ein Wort anfügen. Auch hier bin ich der Auffassung, daß beide Entwürfe zu kurz springen. Denn ich mache kein Hehl daraus: Wenn das Verfassungsgericht sagt, daß das Beratungskonzept nur im Gesamtzusammenhang auch zusätzlicher Hilfen vertretbar ist, dann muß ich in alle Richtungen fragen: Wo sind diese zusätzlichen Hilfen?
Hier, so muß ich sagen, ist gerade aus meiner Sicht in einem solchen fundamentalen Bereich wie Schutz des ungeborenen Kindes das Argument, die Kassen
Herbert Werner ({5})
seien knapp, meine lieben Damen und Herren, ein denkbar schwaches. Denn wenn man es wollte, so wie es in anderen Bereichen der Gesetzgebung und gerade im sozialpolitischen Bereich wiederholt der Fall war, könnte man mit gemeinsamer Anstrengung das Gesamtkonzept von Schutz und Hilfe sehr wohl erhöhen.
({6})
Schließlich möchte ich auch noch ein Wort im Hinblick auf die Indikationen sagen, die in beiden vorliegenden Entwürfen auch angesprochen sind. Auch dort - das ist für mich interessant - tauchen unterschiedliche Wochenfristen auf. Interessant ist für mich in dem Zusammenhang auch - und ich vermag dem nicht zu folgen -, daß das Verfassungsricht diese Indikationen, wenn ich einmal von der medizinischen absehe, generell auf die Ebene der Rechtfertigungsgründe gehoben hat. Ich weiß nicht, ob dies tatsächlich die letzte Erkenntnis im Gesamtzusammenhang mit dem Schutz des ungeborenen Kindes ist; aber das sei dahingestellt.
Eines verstehe ich jedoch gar nicht: daß beide Gesetzentwürfe gerade für diese kritischen Fälle
- ich denke an die embryopathische und an die kriminologische Indikation - eine Sozialberatung nicht vorsehen, sondern darauf verweisen, daß meist ein entsprechendes Beratungsgespräch mit dem Arzt
- im Falle des Koalitionsentwurfes mit dem Amtsarzt - bei der kriminologischen Indikation stattfindet.
Schließlich fehlt jeglicher Hinweis auf eine korrekte Dokumentation seitens des abbrechenden Arztes. Und damit - das hat heute eine Kollegin auf der Linken schon gesagt - ist das ganze Verfahren aus jeder Form der Justitiabilität letzten Endes herausgenommen.
({7})
Dies kann auch nicht das Bewußtsein im Hinblick auf Vermehrung des Schutzes des ungeborenen Lebens schärfen.
Deswegen sind wir Kritiker gegen beide Entwürfe, und deswegen, meine Damen und Herren, werden wir noch einen eigenen Entwurf vorlegen.
Vielen Dank.
({8})
Frau Kollegin Würfel, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, ich danke Ihnen, denn ich habe Anlaß, mich noch einmal an meine Kollegin Frau Dr. Niehuis zu wenden.
Frau Dr. Niehuis, es ist keineswegs so, wie Sie sagen, daß wir klammheimlich versucht hätten, hei dem § 219 irgendeinen Hinweis auf Indikationstatbestände einzufriemeln. Bitte schlagen Sie die Seite 21 unseres Entwurfes auf. Dort sehen Sie, daß es sich lediglich um eine Folgeänderung zur Einfügung des Tatbestandsausschlusses an dieser Stelle handelt.
Im übrigen möchte ich mir erlauben, gerade Sie daran zu erinnern, daß Sie wollten, daß ich als Liberale den § 219 StGB bei einer Neuregelung wieder aufnehme. Wir Liberalen wollten dies nicht. Unser Gesetzentwurf enthielt auch keinen neuen § 219. Weil Sie als SPD mir gesagt haben, Sie wollen das wieder haben, habe ich in vorauseilendem Gehorsam bei den Verhandlungen mit der CDU/CSU diesen § 219 wieder eingefügt.
({0})
Sie haben mir damals genau das gesagt, was Sie jetzt heute hier als angeblich anerkennend vorgetragen haben, nämlich daß ich mit dieser „Lyrik", die ich nämlich im F.D.P.-Gesetzentwurf drinhatte, aufhören soll, zu beschreiben, wie eine Beratung vom Charakter, vom Umfang und vom Inhalt her auszugestalten sei. Daraufhin habe ich das gelassen, weil Sie das so haben wollten, und habe, wie Sie sehen, unter dem Abs. 2, der den Beratungsteil beinhaltet, zu einer gewissen Kürze gegriffen. Danach ist die Beratung auf den Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichtet und ergebnisoffen zu führen.
Ich finde es nicht fair, wirklich nicht, Frau Dr. Niehuis, wenn Sie hier behaupten, wir würden die Ergebnisoffenheit bei der Beratung nicht mehr vorsehen. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Herr Werner, nun zu Ihnen: Die Dokumentationspflicht über das, was der Arzt nach dem Gespräch mit der Frau vor dem Eingriff festzuhalten hat, wird, wie es das Bundesverfassungsgericht wollte, im ärztlichen Standesrecht geregelt.
Das Gericht hat uns darüber hinaus gesagt, daß die Pflichtverletzungen, für die wir jetzt eine Regelung vorgesehen haben, auch von der Bundesärztekammer im Zusammenwirken mit den Länderkammern hätten geregelt werden können. Unser gemeinsamer Besuch bei der Bundesärztekammer hat leider ergeben, daß sich diese außerstande sieht, in einem angemessenen Zeitrahmen im Zusammenwirken mit den Länderkammern die Pflichtverletzungen der Ärzte zu regeln. Deswegen haben wir das von seiten des Gesetzgebers getan, damit wir die Rechtsunsicherheit bei den Ärzten, Beraterinnen und Frauen wirklich bald beenden können.
Noch etwas anderes, Herr Werner: Was für ein Verfassungsverständnis haben Sie und Ihre - wie Sie sagen - 59 anderen Abgeordneten? Monatelang haben acht Richter des Verfassungsgerichtes des Zweiten Senats darum gerungen, dieses Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung der Frau im Schwangerschaftskonfliktfall auszuloten und zu sinnvollen Vorgaben auch für den Gesetzgeber zu kommen. Das ganze Bemühen dieser Richter wird doch deutlich durch den Umfang des Urteils und die Art und Weise, wie die Sache mit größter Behutsamkeit, aber auch Verständnis für die Interessen der Frau und des ungeborenen Lebens behandelt worden ist.
Bei Ihnen, den 60 Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, begreife ich immer noch nicht: Wie wollen Sie denn dem ungeborenen Leben wirklich eine Chance geben, wenn Sie nicht in das Blickfeld Ihrer Entscheidung die Frau nehmen, die
ungewollt schwanger geworden ist? Nachdem schon die Richter in der Lage waren, nachzuvollziehen, daß es auf die Frau ankommt, daß sie im Rahmen der Beratung für das Aufzeigen von Wegen aus der Konfliktsituation gewonnen werden muß -
Frau Kollegin Würfel, Verzeihung, zwei Kollegen würden gerne Zwischenfragen stellen, der Kollege Geis und die Kollegin Niehuis. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Ja, selbstverständlich. Ich möchte nur noch diesen einen Satz zu Ende führen. - Wenn schon die acht Richter in der Lage waren, dies auf der Grundlage der Anhörung vor dem Verfassungsgericht zu erkennen, dann frage ich mich, warum Sie das nicht nachvollziehen.
Herr Kollege Geis.
Frau Kollegin Würfel, können Sie sich vorstellen, daß es hier im Deutschen Bundestag Kolleginnen und Kollegen gibt, die den Spruch des Verfassungsgerichtes, soweit das Verfassungsgericht sagt, die Frau habe die letzte Entscheidung, deshalb nicht nachvollziehen, weil sie der Auffassung sind, daß niemand - auch nicht die eigene Mutter - die Entscheidung treffen kann, ob ein anderer - oder sogar das eigene Kind - leben darf oder nicht leben darf?
Wenn das so ist, Herr Kollege Geis, dann würde das doch bedeuten, daß in keinem einzigen Fall irgendein Mensch über diesen Sachverhalt urteilt und die Rechtmäßigkeit eines solchen Tuns feststellt, festhält oder beurteilt. Wenn das so ist, daß Sie der Frau das Urteilsvermögen absprechen, dann müssen Sie es auch dem Arzt, dem Kriminologen, und dem Staatsanwalt - oder wem auch immer - absprechen. Dann darf keiner diesen Sachverhalt beurteilen und die Feststellung der Rechtmäßigkeit treffen.
({0})
Eine weitere Frage?
Würden Sie mir zustimmen, daß es nicht um das Urteil, sondern daß es um die Entscheidungsfreiheit geht? - Ich will meine Frage präzisieren. Es geht um die Entscheidung darüber, ob es irgendeinem Menschen überhaupt erlaubt sein kann, darüber zu entscheiden, ob ein anderer leben darf oder nicht. Meinen Sie, daß diese Entscheidung in die Hand eines Menschen gelegt sein darf?
Wenn Sie zustimmen, daß ein Richter oder eine Richterin entscheiden darf, ob ein Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig war oder nicht, daß ein Arzt entscheiden kann, ob auch in dem Fall, in dem das Leben der Mutter bedroht ist, der Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden kann, legen Sie das Ermessen über diese Entscheidung in die Gewalt eines anderen Menschen. Sie erkennen einfach nicht an, daß auch die Frau ein Mensch ist, wenn sie im Schwangerschaftskonfliktfall entscheidet. Das ist ein und dasselbe.
({0})
Frau Kollegin Dr. Niehuis.
Frau Kollegin Würfel, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß sich das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil seitenlang mit den Problemen der Schwangerschaftskonfliktberatung auseinandergesetzt hat und daß diese seitenlange Auseinandersetzung gerade die Frage betraf, wie man mit dem Konflikt vorgeburtliches Leben und Notlage der Frau oder eigenes Recht und eigenes Leben der Frau umgeht, und daß das Bundesverfassungsgericht aus diesem Grunde gesagt hat, daß immer zwischen Zielorientiertheit und Ergebnisoffenheit bezüglich vorgeburtlichen Lebens und Frau entschieden werden muß? Wenn Sie dem zustimmen, frage ich Sie: Warum haben Sie in § 219 StGB - darüber streiten wir - nur gesagt:
Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.
Die Frau ist Schlichtweg fallengelassen.
Meine zweite Frage betrifft die heimliche Indikation, über die wir streiten. Sie sagen, das sei in § 219 StGB nicht enthalten. Wenn wir uns darauf einigen können, daß eine Indikation etwas ist, daß man sagt: Das kann Grund genug sein -
Frau Kollegin, bitte eine Frage.
Wir hatten uns geeinigt, daß ich auf die Kurzintervention verzichte und eine Frage stelle. Ich bemühe mich, all das zu fragen.
Nicht in der Länge einer Kurzintervention. Das war nicht die Einigung.
Es geht um die Frage, wie Frau Würfel den folgenden Satz in § 219 StGB des Koalitionsentwurfs interpretiert:
Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat
- d'accord und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann,
- in Ordnung; aber nun kommt es wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die, vergleichbar den Fällen des § 218a Abs. 1 bis 3, so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt.
Würden Sie mir nicht zustimmen, daß hier der Frau bewußt gemacht werden muß, wann es für sie überhaupt zulässig ist, eine Schwangerschaft abzubrechen? - Und das ist heimliche Indikation.
Ich danke Ihnen, daß Sie so ausführlich dargelegt haben, Frau Dr. Niehuis, was Sie damit überhaupt gemeint haben. Jetzt verstehe ich es erst richtig.
Sie werden mir bestätigen, daß in der Übergangsanordnung der Text dieser Passage ganz genauso lautet und daß wir in diesem Fall nichts anderes gemacht haben, als sie zu übernehmen. Auch Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf einfach Bestandteile abgeschrieben. Sie werden sich jedoch erinnern, Frau Dr. Niehuis, daß wir bei den gemeinsamen Beratungen zum Gruppengesetz genau diese Auffassung geteilt haben. Wir haben gesagt: Immer dann, wenn eine Frau erwägt, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, befindet sie sich in einer ungeheuren Bedrängnis, in einer Bedrängnis, die so groß ist, daß sie den uns bekannten Zumutbarkeitsindikationstatbeständen gleichwertig ist. Insofern habe ich persönlich überhaupt nichts dabei gefunden, das hier so zu bestätigen, wie es die Richter gesehen haben.
Wenn wir - hier müssen wir ganz glaubwürdig sein - der Auffassung sind, daß der Normalfall und das Wünschenswerte ist, daß sich eine Frau auf ihr Kind freuen kann, und das Unnormale dann liegt, daß eine Frau einen Schwangerschaftsabbruch erwägt, weil sie sich in einer derartigen Bedrängnis befindet, die so schwer wiegt, daß sie den Indikationstatbeständen vergleichbar ist, muß sie das Recht haben, in einem Zeitraum von zwölf Wochen eigenverantwortlich zu entscheiden. Deswegen habe ich das übernommen. Ich habe am Anfang des § 219 StGB für meine Fraktion klargestellt, daß die zielorientierte Schwangerschaftsberatung im Konfliktfall nichts anderes sein kann, als der Frau effiziente Wege aus ihrem Konflikt aufzuzeigen, damit sie zur Fortsetzung der Schwangerschaft mit dem Ziel des Austragens des Kindes ermutigt werden kann.
Der Umkehrschluß ist genauso richtig - das betrifft auch das, was Herr Werner gesagt hat -: Wenn diese Hilfen in der nächsten Zeit nicht angeboten werden können, wenn der Staat nicht aufhört mit der Heuchelei, die es in der Vergangenheit gab, dann fällt unsere Fristenregelung wieder. Deshalb müssen wir alle gemeinsam in den vor uns liegenden Monaten dafür sorgen, daß die Hilfen auch kommen. Dann werden wir uns noch einmal über die Konstruktion des § 219 StGB unterhalten, die ich sowieso nicht haben wollte.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/6643, 12/6669, 12/6648 und 12/6647 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Gesetzentwurf der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6648 soll zusätzlich dem Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens und dem Haushaltsausschuß, der Antrag auf Drucksache 12/6647 zusätzlich dem Sonderausschuß Schutz des ungeborenen Lebens überwiesen werden.
Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/6715 soll zur federführenden Beratung an den Sonderausschuß Schutz des ungeborenen
Lebens und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Frauen und Jugend und den Ausschuß für Familie und Senioren sowie den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des Zwischenberichts des 3. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes
- Drucksache 12/6700 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Lohmann ({0})
Horst Schmidbauer ({1}) Dr. Christoph Schnittler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Scheu.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Jahren 1981 bis 1985 und vereinzelt auch noch danach sind - so der derzeitige, nicht abschließende Kenntnisstand - vermutlich mehr als 2 300 Bluterkranke und Transfusionsempfänger in der Bundesrepublik mit dem todbringenden Aidserreger infiziert worden. In nicht genau bekannten Fällen ist die Krankheit auf den Ehepartner oder auf das Kind übertragen worden.
Waren diese tödlichen Infektionen bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt und unter Anlegung der im Conterganbeschluß des Landgerichts Aachen postulierten, im Gesetz über die Arzneimittelsicherheit ausgeprägten Maßstäbe wirklich alle unvermeidbar, oder hätten sie wenigstens teilweise noch verhindert werden können? Reichen die heute geltenden Vorschriften aus, nach Maßgabe des Möglichen Transfusionsrisiken zu begegnen? Sind die Betroffenen, denen ihre Gesundheit nicht wiedergegeben werden kann, und ihre Angehörigen wenigstens materiell so gestellt, wie es dem sozialen Rechtsstaat angemessen ist?
Darin bestehen im Kern die Aufträge, die der Deutsche Bundestag mit einmütigem Beschluß vom 29. Oktober 1993 dem Untersuchungsausschuß zur Klärung aufgegeben hat. Solche Ausschüsse werden manchmal als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln" instrumentalisiert. Der 3. Untersuchungsausschuß ist dafür nicht - für keine Seite - geeignet. Zu schwer lastet das Gewicht der unmittelbaren Verantwortung gegenüber den Opfern. Letztlich geht es um die Integrität von Ämtern, Wissenschaftlern, Ärzten, pharmazeutischen Unternehmungen und politischen Entscheidungsträgern, deren Aufgabe es gemeinsam ist, Leben und Gesundheit der Bürger zu schützen und Gefahren abzuwenden, also um die Kategorien Vertrauen und Verantwortung.
Der Ausschuß hat sich dieser Aufgabe bislang mit großer Ernsthaftigkeit und unter Verzicht auf Effekthaschereien gestellt. Es ist des Bemerkens wert, daß sämtliche Beschlüsse, Anträge und Empfehlungen nach ausgezeichneter Vorbereitung durch die Mitarbeiter des Sekretariats am Ende intensiver Beratungen stets einstimmig verabschiedet werden konnten. Nur deshalb war es auch in so kurzer Zeit möglich, daß der Ausschuß heute einen ersten umfangreichen Zwischenbericht mit Empfehlungen zur Sicherheit von Blut und Blutprodukten und zur laufenden Arzneimittelgesetzgebung vorlegen kann.
Wir hätten gehofft, daß dies auch zur wirtschaftlichen und sozialen Absicherung der Betroffenen mit positivem Ergebnis möglich gewesen wäre. Allein, die Verhältnisse sind nicht - noch nicht - so, daß sich auf seiten aller Beteiligten die Einsicht schon hätte durchsetzen können, eine Regelung mit abschließender Befriedungsfunktion nach dem Vorbild der Contergan-Stiftung für angemessener zu halten als die Verweisung der Betroffenen auf den Rechtsweg. Der Ausschuß gibt diesen Gedanken nicht auf und erachtet ihn nach wie vor für den im Interesse aller Beteiligten gebotenen Weg.
Ebenso wäre nach dem vorläufigen Scheitern einer Stiftungslösung eine Klarstellung des Untersuchungsauftrags wünschenswert. Danach soll der Ausschuß untersuchen, ob und inwieweit eine Staatshaftung - Art. 34 Grundgesetz, § 839 BGB - besteht und wie die haftungsrechtliche Situation der infizierten Personen ist.
Im Hinblick auf die Subsidiarität der Staatshaftung setzt die Frage denknotwendig die Prüfung voraus, ob die Verletzten „auf andere Weise Ersatz zu erlangen" vermögen. Mithin muß der Ausschuß - seinem Auftrag gemäß - als Vorfrage eine allgemeine Klärung anstellen, ob Einstandspflichten von Arzneimittelherstellern, Blutspendediensten, Krankenhäusern und Ärzten mit hinreichender Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnten. Staatliche Arzneimittelaufsicht kann die primäre Eigenverantwortung der unmittelbar Handelnden weder ersetzen noch sie daraus entlassen.
Jeder Untersuchungsausschuß betritt in gewisser Weise Neuland. Für unseren Ausschuß besteht dieses darin, daß er aufzuklären hat, ob im Bereich der Arzneimittelsicherheit - für die Hersteller und Anwender im erster Linie die gesetzliche Verantwortung tragen - der Staat seine hinzutretenden Pflichten nach Gesetz und Recht wahrgenommen hat. Diese Frage - so oder so -- zu klären dient dem hohen öffentlichen Interesse, zu dem die Inanspruchnahme von Vertrauen verpflichtet: dem Prinzip Verantwortung.
Fehleinschätzungen und Irrtümer können jedem unterlaufen und sind nichts Ehrenrühriges. Auch objektive - zivilrechtliche - Fahrlässigkeit, wenn es sie denn gegeben haben sollte, indizierte für sich allein noch nicht individuell-persönliche Vorwerfbarkeit. Wohl aber, meine Damen und Herren, begründete sie die Anstandspflicht, für die Folgen angemessen einzustehen.
In diesem Sinne bin ich überzeugt, daß der Ausschuß seinen Auftrag abschließen wird, auch wenn die noch zur Verfügung stehende Zeit uns zwingen wird, Schwerpunkte zu setzen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Herr Kollege Horst Schmidbauer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf zwei Beinen wollten wir uns heute weiterbewegen. Nun müssen wir das auf einem Bein tun. Die Koalition hat uns auf einer Beschlußhälfte sitzengelassen; der interfraktionelle Antrag, der heute für den Zwischenbericht zur Abstimmung stehen sollte, hatte zwei Teile. Es ist eigentlich schade, daß die Koalitionsfraktionen ihre Kollegen im Untersuchungsausschuß im Regen stehen ließen. Bis zum Montag war alles noch einstimmig. Das wäre eine gute Grundlage gewesen, nach einem Skandal Vertrauen in der Bevölkerung wiederzugewinnen.
Ich denke, daß ich für den gesamten 3. Untersuchungsausschuß sprechen kann, wenn ich feststelle: Die Schuldfrage darf nicht vernebelt werden. Der Untersuchungsauftrag dazu ist klar, und ich zitiere ihn noch einmal:
Der Ausschuß soll untersuchen, ob und inwieweit die Bundesregierung für die unterlassene Hilfeleistung gegenüber den Opfern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche und für die unterlassene Ermittlung der Schuldigen verantwortlich ist.
Bevor aber die Frage der Staatshaftung angegangen werden kann, müssen wir alle zivilrechtlichen Fragen, z. B. die haftungsrechtliche Situation der Infizierten und ihrer Angehörigen - so ein weiterer Teil des Untersuchungsauftrages -, klären. Deshalb stellt der Teil II des interfraktionellen Antrags des Ausschusses - der heute nicht zur Abstimmung steht - für uns lediglich eine Präzisierung des Untersuchungsauftrages dar.
„Unmenschlich im Namen des Rechts" - hieß es vor kurzem im „Rheinischen Merkur". Immer wieder werden wir gefragt: Wo steht der Untersuchungsausschuß bei der Aufarbeitung der Vergangenheit, bei der Klärung der Verantwortlichkeit?
Dazu war zunächst viel Vorarbeit notwendig. 18 Beweisanträge mußten erarbeitet und in die Tat umgesetzt werden. Umfangreiche Akten der Behörden, der Gerichte und der Hersteller waren anzufordern und sind nun zu sichten. In dieser Zeit wurde eigentlich doppelt gearbeitet; denn parallel dazu hat der Untersuchungsausschuß Empfehlungen für die Lösungen der Zukunft erarbeitet. Ich glaube, liebe Kolleginnen, meine Damen und Herren, der Empfehlungsteil des Untersuchungsberichtes kann sich sehen lassen. Das Ziel können wir noch in dieser Legislaturperiode erreichen. Ich denke, wir sind dies den Patientinnen und Patienten - noch mehr den Opfern - schuldig.
Unsere Vorstellungen zum Arzneimittelgesetz versprechen den Menschen mehr Sicherheit und eine bessere Position, wenn es um Rechtsansprüche geht.
Horst Schmidbauer ({0})
Dazu zählen beispielhaft: ein Spendersystem mit Dauerspendern für Blut und Plasma; eine nationale Eigenversorgung für Blut und Plasma; keine Barentschädigung, damit nicht Risikogruppen angezogen werden; eine Produktionskontrolle bis hin zur Chargenprüfung durch ein unabhängiges Institut; eine Dokumentationspflicht, die einen raschen und zuverlässigen Rückgriff vom Empfänger über den Hersteller bis zum Spender garantiert; eine Meldepflicht, deren Unterlassung kein Kavaliersdelikt mehr sein wird; ein Risikomanagement, das bei dem kleinsten Alarm anspringt und postwendend handelnd zum Schutz des Verbrauchers reagiert; ein Risikomanagement, das sich nicht über mangelnde Kompetenz weinerlich äußert.
Unmenschlichkeit im Namen des Rechts - ist das nicht eine Verpflichtung, den Menschen zum Recht zu verhelfen? Das kann nur erreicht werden, wenn die Position des Patienten, des Opfers verbessert wird. Dies wird geschehen: durch Beweislasterleichterung, damit die Opfer nicht auch noch die Schwierigkeit der Beweisführung haben; durch Schmerzensgeld, damit die Opfer in Zukunft nicht mehr billig abgespeist werden; durch einen Haftungsanspruch für die mittelbar Geschädigten, also für die Frau, den Mann und die Kinder, die durch das Opfer infiziert wurden.
Unmenschlichkeit im Namen des Rechts - keiner will es eigentlich gewesen sein. Aber alle haben großes Mitleid mit den Opfern. Schön, könnte man sagen, daß sich bei den Herren in den Vorstandsetagen zumindest dieses Bewußtsein entwickelt hat. Doch durch diese Steigerung der Betroffenheit ist bei den Opfern die Betroffenheit nicht kleiner geworden. Die Opfer gehen weiterhin leer aus.
So läßt uns die Pharmaindustrie wissen: Zu jeder Zeit sind alle möglichen und notwendigen Maßnahmen zur Sicherheit unserer Produkte getroffen worden. Trotz allen Mitgefühls mit den Betroffenen sind wir nicht in der Lage, uns an der Finanzierung des Entschädigungsfonds zu beteiligen.
Für das Deutsche Rote Kreuz, so hört man, ist „ein schuldhaftes Verhalten der DRK-Blutspendedienste nicht erkennbar" . Deshalb sieht man sich nicht in der Lage, eine „verbindliche Erklärung zur Errichtung eines gemeinsam finanzierten Entschädigungsfonds" abzugeben. Auch die Gesundheitsbehörden haben immer nach jeweiligem Kenntnisstand alles Notwendige veranlaßt.
Alles bestens, könnte man meinen, wären da nicht 2 314 HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte und mittlerweile mehr als 600 Tote. Alle haben eine reine Weste, und wenn überhaupt Fehler gemacht wurden, dann waren es die anderen.
Was hilft den Opfern alles Mitgefühl? - Wir alle wissen: Eine Wiedergutmachung ist nicht möglich. Wir alle sind uns einig: Es muß zumindest einen Ausgleich für den immateriellen Schaden geben, für den Verlust von Gesundheit und Leben, damit unser Rechtsempfinden und unser Schamgefühl nicht weiter verletzt werden.
Aber keiner will bezahlen, weil alle nach dem Motto handeln: Erst kommt das Geschäft, und dann kommt die Moral. Das gilt für die verantwortlichen pharmazeutischen Unternehmen; das gilt erst recht für deren Versicherer. Die Pharmaversicherer rechnen zwar „mit mehreren hundert Millionen Schadensersatzansprüchen aus bisher unbekannten Fällen von HIVInfizierungen" -1 300 haben sie bereits mit 120 Millionen DM entschädigt; die Frage ist, wo die anderen Infizierten sind, durch die noch mehrere hundert Millionen DM auf sie zukommen -, aber pikieren sich über „die jetzt mit politischem Druck eingeforderten Zusatzleistungen jenseits von Rechtsansprüchen mit ihrem für die Haftpflichtversicherer nicht tragbaren präjudiziellen Charakter".
Dabei, denke ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, hatte man doch aus der Contergan-Affäre gelernt: Man hat einen Pharmapool eingerichtet für das Großrisiko, das keiner wollte, das nach der ConterganAffäre letztendlich aber doch eintrat. Der Blut-AidsSkandal aber zeigt: Der Pharmapool hat seine Bewährungsprobe nicht bestanden. Denn ginge es nach dem Wunsch der Hersteller und ihrer Versicherer, dann würden für diese Katastrophe bezahlen: unmittelbar die Opfer und ihre Angehörigen sowie -- wenn es eine Leistung des Staates gäbe - die Bürger als Steuerzahler. Die gleichen, die sonst immer nach Deregulierung rufen, fordern den Staat auf, zu regulieren, was eigentlich ihre Aufgabe wäre. Sie würden es - ich zitiere, weil es besonders makaber ist - „sehr begrüßen, wenn die öffentliche Hand die Opfer der Katastrophe großzügig unterstützen würde".
Mit den Plasmaunternehmen, die so reden, könnte man schon fast wieder Mitleid haben. Sie sind selbst „Opfer" geworden. Der Industrie ist nämlich daran gelegen, die Lösung schnell und geräuschlos über die Bühne zu bringen. Denn das Ansehen und das Vertrauen müssen rasch wiederhergestellt werden. Aber die - die Rückversicherer -, denen sie ihre Prämien für Großrisiken anvertraut haben, wollen für eine rasche Lösung nichts „herausrücken" . Allem Anschein nach sind der Versicherungswirtschaft ihre steuerfrei gebunkerten Millionen lieber als der Erhalt ihrer Großkundschaft.
Aus dem Contergan-Skandal haben wir gelernt: Wir brauchen einen Versicherungspool. Aus dem Aids-Skandal müssen wir lernen: Wir brauchen eine kollektive Selbstversicherung der Pharmaunternehmen.
Wir halten, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dem Ziel des nationalen Hilfsfonds fest. Wir lassen die Opfer nicht länger allein. Wir verhelfen den Opfern zu ihrem Recht.
({1})
Das Wort hat der Kollege Professor Christoph Schnittler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Arzneimittel sind Produkte ganz besonderer Art. Der Kranke nimmt sie ein, urn seine Gesundheit wiederherzustellen, vielleicht sogar um zu überleben. Er vertraut auf ihre heilsame Wirkung und setzt voraus, daß sie ihm nicht Schaden verursachen.
Arzneimittel können in der Regel aber auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. HIV-Infektionen durch Blut und durch Blutprodukte, die ja zu den Arzneimitteln gerechnet werden, sind besonders tragisch und schwerwiegend. Dies leitet sich zunächst einmal daraus her, daß Aids eine außergewöhnlich heimtückische und nach dem heutigen Stand der Wissenschaft tödliche Erkrankung ist.
Wesentlicher scheint uns aber die Quelle der Infektion zu sein: Blut und Blutprodukte, wie sie viele schwer und chronisch Erkrankte - z. B. Bluter und Frischoperierte - ständig erhalten müssen und deren Zuverlässigkeit sie weder beeinflussen noch kontrollieren können.
({0})
Für die Sicherheit der Arzneimittel ist zunächst stets der Hersteller verantwortlich. Hier kann es keine Abstriche geben. Immer ist aber auch der Staat gefragt, der im Rahmen seiner Daseinsvorsorge auch seinen Aufsichts- und Kontrollpflichten nachkommen und Risiken begrenzen muß.
Der 3. Untersuchungsausschuß hat sich mit diesem Fragenkomplex grundlegend auseinandergesetzt. Sein Zwischenbericht konzentriert sich vor allem auf zwei Punkte: Einmal auf Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Virussicherheit von Blut und von Blutprodukten, zum anderen auf Empfehlungen zur raschen Hilfe für Betroffene über die kurzfristig vom Bundesministerium für Gesundheit geschaffene und sicher noch erweiterungsbedürftige Soforthilfe hinaus. Das letztere ist uns das Wichtigste. Diese Empfehlungen müssen rasch von Parlament und Bundesregierung aufgenommen werden, damit sie auch gesetzgeberisch umgesetzt werden können.
Die Arbeit mit dieser naturwissenschaftlich wie rechtlich sehr schwierigen Materie hat natürlich eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die einer weiteren sorgfältigen Erörterung bedürfen.
Für die Betroffenen ist über den Ausgleich materieller Schäden hinausgehend ein Schmerzensgeld in höchstem Maße wünschenswert. Ein solches ist aber im Arzneimittelgesetz nicht vorgesehen und könnte zunächst nur aus der deliktischen Haftung nach dem BGB abgeleitet werden, aber eben nur bei nachgewiesenem Verschulden. Ein Schmerzensgeld ohne Verschulden ist, wie ich mich habe unterrichten lassen, dem deutschen Recht bisher fremd. Deshalb müssen solche Vorschläge sehr sorgfältig auch von Rechtsexperten geprüft werden, damit unsere Rechtssystematik nicht verletzt wird und damit keine unabsehbaren Weiterungen im Rechtssystem entstehen.
Ich bedaure außerordentlich, daß eine Stiftungslösung bisher gescheitert ist, weil sich Pharmaindustrie, Versicherer, Rotes Kreuz und öffentliche Hand im Prinzip einer solchen verweigert haben. Sie wäre sicher die beste Lösung im Interesse der Betroffenen, weil sie Prozesse weitgehend überflüssig macht.
Die Schwierigkeiten und psychischen Belastungen einer Prozeßführung sind es aber doch, die den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Ansprüche so sehr erschweren. Prozeßkostenhilfen sind wohl nicht das eigentliche Problem; sie werden von den Ländern ohnehin gewährt. Für jeden, dessen Lebenszeit absehbar durch einen solchen Unfall begrenzt ist, ist aber die lange Prozeßdauer wohl das Schlimmste; und sie ist schon wegen der Schwierigkeiten bei der Gewinnung geeigneter Sachverständiger auch bei gutem Willen nicht ohne weiteres zu verkürzen.
Viele Menschen, die durch Arzneimittel, durch ärztliche Kunstfehler oder auch durch andere Produkte eine irreversible und nicht oder schwer vorhersehbare Gesundheitsschädigung erlitten haben, befinden sich in einer ganz ähnlichen Lage. Wäre nicht für solche Fälle eine umfassende Stiftung die beste und zukunftweisende Lösung? Der Gedanke ist bestechend, und er müßte zumindest dann realisierbar sein, wenn Betroffene ihre Haftungsansprüche an diese Stiftung abtreten und diese den Rechtsstreit mit den Verursachern führt. Vielleicht könnte es möglich sein, für eine solche Initiative die Unterstützung eines breiteren Kreises auch privater Spender zu gewinnen. Einfach ist es sicher nicht.
Meine Damen und Herren, der 3. Untersuchungsausschuß wird sich nunmehr auch verstärkt dem ersten Teil seines Auftrags zuwenden, nämlich aufzuklären, ob die Bundesregierung und die ihr unterstellten Einrichtungen immer ihrer Sorgfalts- und Kontrollpflicht nachgekommen sind. Wir sind das den Betroffenen schuldig, auch wenn es eine absolute Sicherheit nicht geben wird.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Betroffenheit ist oft gut und wirksam und zeitigt auch manchmal Resultate. Aber sie kann auch lähmen und von den tatsächlichen Problemen ablenken. Davor möchte ich warnen.
Verständlicherweise hat sich der 3. Untersuchungsausschuß in seiner Arbeit zuerst den drängendsten Fragen der Entschädigung, einer angemessenen wirtschaftlichen und sozialen Absicherung der Opfer und den nicht minder akuten Problemen der gegenwärtigen und künftigen Sicherheit von Blut und Blutprodukten zugewandt.
Wo stehen wir dabei heute? Alle Empfehlungen, die zweifellos in engagierter und sachkundiger Weise zusammengestellt wurden, haben eigentlich nur einen Schönheitsfehler: Sie waren alle durchweg mehr oder minder schon bekannt.
Wirksamer Patienten- und Verbraucherschutz ist aber nur dann möglich, wenn die zuständigen staatlichen Behörden durch den Gesetzgeber so gestärkt werden, daß sie nicht erst bei eingetretenem Schaden, sondern bereits bei einem wissenschaftlich begründeten Verdacht, auch bei einer dann durchaus noch umstrittenen Datenlage und nicht zuletzt auch gegen die Widerstände von starken Interessengruppen, wie der Industrie, Entscheidungen treffen und durchsetzen können. Aber genau das ist bis heute in diesem Lande nicht geschehen.
Da spätestens seit Ende 1984, nachdem erstmals bei Blutern der Antikörpertest eingesetzt werden konnte, das Ausmaß der Tragödie bekannt wurde, stehen wir kurz vor dem Datum, an dem zehn Jahre verstrichen sind, ohne daß der Gesetzgeber die Schlußfolgerungen für die Sicherheit von Blut und Blutprodukten gezogen, und ohne daß die Opfer eine angemessene Entschädigung erhalten hätten. Alle wichtigen Empfehlungen, die der Untersuchungsausschuß jetzt unterbreitet und die die Regierung nun offensichtlich abgewartet hat, hätten doch längst im Entwurf des neuen Arzneimittelgesetzes stehen müssen - besser noch: Sie hätten schon längst Gesetzeskraft haben müssen.
Meine Damen und Herren, aufgegriffen und ausgebaut hat der Ausschuß den Vorschlag einer Stiftungslösung, um zu einer angemessenen Entschädigung zu kommen. Leider ist eine solche mehr als gerechtfertigte Lösung wegen der ablehnenden Position der Rückversicherer der Pharmaunternehmen, aber auch wegen einer zumindest hinhaltenden Position der Bundesregierung und der Länder bisher nicht zustande gekommen. Wie, meine Damen und Herren, wollen wir das einer sensibilisierten Öffentlichkeit erklären? Der Ausschuß antwortet darauf mit dem Vorschlag, seinen Untersuchungsauftrag dahin gehend zu erweitern und zu klären, ob zivilrechtliche Verantwortlichkeiten begründet sind und von den Betroffenen mit hinreichender Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können. Damit würden die Opfer letztlich doch - wenn auch mit Unterstützung - auf den Weg einer zivilrechtlichen Klage mit all ihren Belastungen, zeitlichen Verzögerungen und Unwägbarkeiten verwiesen werden müssen.
Zusammenfassend ist aus meiner Sicht zu sagen:
Erstens. Der Zwischenbericht und die vorgelegten Beschlußempfehlungen zeigen, daß der Ausschuß eine sachkundige Arbeit geleistet hat. Sie zeigen aber auch, daß das bisherige Ergebnis in keinem Verhältnis zum eingesetzten Aufwand steht. Vor allem muß das auch aus der Sicht der Opfer enttäuschend sein.
Zweitens. Ich finde - und ich sage das gerade auch mit Blick auf die Betroffenen mit Bedauern - unsere Auffassung bestätigt, daß es dieses Untersuchungsausschusses nicht bedurft hätte, wenn die Regierung ihre seit langem bestehende Verantwortung wahrgenommen hätte.
Im übrigen lasse ich mich gerne durch den Verlauf der weiteren Arbeit eines Besseren belehren, dann nämlich, wenn es der Ausschuß wenigstens erreicht, daß angemessen geholfen wird und daß aus der Analyse des Geschehenen die richtigen Lehren gezogen werden, übrigens nicht nur für Bluter und ihre Angehörigen, sondern für alle von Aids Betroffenen.
({0})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Wolfgang Lohmann ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dr. Fischer, ich bedauere ein wenig, daß
Sie der Gelegenheit nicht widerstehen konnten, die Voreingenommenheiten, d. h. die Vorwegnahme dessen, was ein Untersuchungsausschuß erst prüfen und untersuchen soll, auch hier bei der Vorlage des Zwischenberichtes wieder von sich gegeben und sich damit doch letztendlich sehr populistisch verhalten haben. Ich sage das auch deswegen in allem Ernst, weil es Ihnen - möglicherweise aus zeitlichen Gründen - auch über weitere Passagen unserer Arbeit nicht möglich war, sich daran zu beteiligen. Insofern können Sie nicht sagen, daß das Ergebnis unserer Untersuchungen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand gestanden hat.
Ich möchte zunächst festhalten: Mich hat die Arbeit - ohne mich selbst als Beteiligter loben zu wollen - insofern beeindruckt, als fast zum erstenmal ein Untersuchungsausschuß nicht und auch nicht von einer interessierten Öffentlichkeit oder veröffentlichten Meinung als Kampfinstrument in der politischen Auseinandersetzung gebraucht oder sogar mißbraucht worden ist, sondern die Diskussionen und Verhandlungen waren davon geleitet, gemeinsam den Ursachen für das Schreckliche, was passiert ist, auf den Grund zu gehen, Vorkehrungen zu treffen bzw. Maßnahmen vorzuschlagen, daß künftig so etwas nicht wieder geschehen kann und den Betroffenen, soweit es überhaupt in unserer Macht steht, durch weitere Vorschläge zu helfen. Dafür bin ich dankbar. Dies zeigt auch, daß alle Beweisbeschlüsse, die erst nach teilweise längerer Diskussion zustande gekommen sind, trotz in Nuancen unterschiedlicher Auffassungen einstimmig verabschiedet worden sind. Dies ist, jedenfalls soweit ich weiß, für Untersuchungsausschüsse nicht selbstverständlich.
({0})
Meine Damen und Herren, die Schwerpunkte des Untersuchungsauftrages sind bekannt, sie sind schon mehrfach genannt worden. Die Koalition hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, daß Maßnahmen zur Verbesserung der Hilfe für die Betroffenen sowie Überlegungen zur Verbesserung der Sicherheit von Blut und Blutprodukten mit Priorität behandelt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden dem Plenum heute mit einem Votum des Ausschusses vorgelegt.
Grundsätzlich erscheint es zweckmäßig, alle Vorschriften, die sich mit der Infektionssicherheit von Blut und Blutprodukten befassen, in einer eigenständigen Regelung zusammenzufassen. Um kurzfristig Verbesserungen zu erreichen, wurde eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet, die noch in dieser Legislaturperiode im Rahmen der Beratungen zum 5. Änderungsgesetz zum Arzneimittelgesetz umgesetzt werden sollten. Wir mußten auch aus Zeitgründen diese Trennung vornehmen.
Diese Vorschläge beziehen sich insbesondere auf die Herstellung von Blut und Blutprodukten, auf die lückenlose Dokumentation vom Blutspender bis zum Empfänger sowie auf ein verbessertes Risikomanagement für einen wirkungsvolleren Patientenschutz.
Die Bemühungen des Ausschusses, eine von Herstellern, Versicherungen, Bund und Ländern getragene Stiftungslösung zu finden, sind vorerst jedenWolfgang Lohmann ({1})
falls, wie schon mehrfach genannt, gescheitert. Wir bedauern das alle sehr, weil dies vor allem die Chance geboten hätte, unbürokratisch, relativ schnell und unter Vermeidung langwieriger prozessualer Auseinandersetzungen zu einem Ergebnis zu kommen. Hier ist mehrfach gesagt worden: Wir geben die Hoffnung nicht auf. Aber von der Hoffnung allein kann man nicht leben. Weil das so ist, empfehlen wir, wenigstens zu versuchen, das bestehende humanitäre Soforthilfeprogramm zu erweitern. Auch hier ist bereits ein erstes Gespräch mit Vertretern der Versicherungswirtschaft geführt worden, um zu erreichen, daß der Fonds wenigstens in gewisser Weise aufgestockt wird, damit zumindest die sogenannten Sekundärinfektionen mit berücksichtigt werden können, die bei der humanitären Soforthilfe des Ministers unter anderem aus finanziellen Gründen bisher keine Berücksichtigung finden konnten.
Nach dem fortgesetzten Bemühen um eine Verbesserung der Situation für die HIV-infizierten Betroffenen werden sich - auch das in die Zukunft gesehen - die weiteren Untersuchungen des Ausschusses vorrangig mit Fragen zur Verantwortung der Bundesregierung und des Bundesgesundheitsamtes mit seinen Instituten für die HIV-verunreinigten Blutprodukte befassen. Erste informelle Auskünfte der seit 1980 tätigen Gesundheitsminister wurden zur Vorbereitung der Beweiserhebung eingeholt. Auf Grund von immerhin 18 Beweisbeschlüssen sind bereits umfangreiche Unterlagen von BMG, BGA, Staatsanwaltschaften und Firmen angefordert worden und zum Teil bereits eingegangen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, daß dieser Zwischenbericht einen ersten Beitrag für mehr Sicherheit von Blut und Blutprodukten unter anderem durch die Änderung des AMG leistet und daß es auch gelingt, zumindest weitere Hilfen durch eine Ausweitung der humanitären Soforthilfe zu bewirken. Wenn dies allein schon möglich wäre - auch wenn dies natürlich nicht ausreicht -, hätte sich unsere Arbeit bisher schon gelohnt.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Fischer noch einmal das Wort.
Herr Lohmann, ich möchte auf zwei Vorwürfe eingehen; der erste Vorwurf war der des Populismus. Den weise ich hier weit von mir, und Sie wissen auch warum. Ich denke, es ist keinem der Ausschußmitglieder übelzunehmen, wenn es für ihn schwierig ist, die Flut von Fakten und ähnlichem, die wir bekommen - Sie ja auch - zu gewichten. Ich muß an dieser Stelle sagen, daß es mir natürlich nicht immer möglich ist, an dem Ausschuß teilzunehmen. Sie wissen auch warum. Ich finde dies sehr unfair. Es ist aber immer jemand von uns da. Dies wird Ihnen auch nicht entgangen sein. Aber dies ist nicht so schlimm, es ist gewöhnlich so.
Ich frage mich an dieser Stelle: Welche Ergebnisse sind gewollt, welche Ergebnisse sind nicht gewollt, und was kann man überhaupt mit diesem Untersuchungsausschuß machen? Sie wissen ganz genau, daß ich gegen die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses gewesen bin. Ich habe das auch begründet. Ich habe begründet, daß es eine Expertenkommission hätte geben müssen, die uns ganz schnell - übrigens genauso schnell, wie es jetzt geht, oder vielleicht noch schneller - sehr sachkompetente Ergebnisse vorlegt, über die wir, vielleicht in einer Anhörung, entscheiden können. Das ist für mich nach wie vor der bessere Weg.
Ich bleibe dabei, daß der Aufwand zu den Ergebnissen, die hier gezeitigt werden - das hat gar nichts mit Angriffen auf die Arbeit zu tun -, in keinerlei Verhältnis steht. Denn die meisten Dinge - das liegt in der Natur der Sache - sind an sich bekannt und werden hier nur zusammengeschrieben. Man stößt dann an Grenzen, die politisch nicht gewollt sind. Es wird immer sehr betroffen getan, und der Informationsfluß wird sehr niedrig gehalten, damit nichts an die Öffentlichkeit kommt.
({0})
- Das ist so, jedenfalls ist das mein Eindruck. Ich frage mich, was wirklich gewollt ist. Die SPD hat damals gesagt, daß bestimmte Sachen möglicherweise verzögert und vertuscht werden sollen. Ich werde abwarten, inwieweit das gelingt.
({1})
Herr Abgeordneter Lohmann, wollen Sie als Redner darauf in einer Kurzintervention antworten?
({0})
- Danke schön.
Dann können wir zur Abstimmung über die erste Beschlußempfehlung des 3. Untersuchungsausschusses kommen. Diese liegt Ihnen auf Drucksache 12/6700 vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Interfraktionell ist auf Drucksache 12/6731 beantragt, die im Zwischenbericht ausgesprochene Empfehlung zur weiteren Behandlung an den Ausschuß für Gesundheit zu überweisen sowie den Zwischenbericht der Bundesregierung zur Kenntnisnahme und Berücksichtigung zu übermitteln. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist dies angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt Aktuelle Stunde, der von der Fraktion der SPD beantragt wurde, auf:
ZP2 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Benachteiligung von Familien mit Kindern und niedrigem Einkommen durch die aktuell ergehenden Bescheide über den Kindergeldzuschlag für 1993
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Ich erteile zunächst einmal der Abgeordneten Ingrid Matthäus das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgerechnet die sozial besonders Schutzbedürftigen, die Familien mit kleinen Einkommen, sind es, die bei dieser Bundesregierung mehr und mehr unter die Räder kommen. Die Bundesregierung kümmert sich nicht um sie - und. die Familienministerin erst recht nicht, obwohl doch gerade sie im Kabinett die Verpflichtung hätte, mehr als andere für die berechtigten Belange der Familien mit Kindern einzutreten.
({0})
Das neueste Ärgernis ist, daß Familien mit Kindern und niedrigen Einkommen jetzt auch noch der Kindergeldzuschlag von bis zu 65 DM verwehrt wird. Frau Rönsch sagt dazu, die Verweigerung des Kindergeldzuschlages sei in Ordnung, weil er eine freiwillige Leistung des Staates sei, auf die die Familien keinen Anspruch hätten.
({1})
Weiß denn die Familienministerin nicht, daß es in der offiziellen Kindergeldbroschüre des Familienministeriums auf Seite 7 heißt:
Kann wegen niedrigen Einkommens dieser steuerliche Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll benutzt werden, wird als Ausgleich hierfür ein Zuschlag zum Kindergeld gezahlt.
Genau dagegen verstößt aber die Bundesregierung. Wenn z. B. Alleinerziehende mit einem Kind mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 10 000 DM oder ein Ehepaar mit einem Jahreseinkommen von 20 000 DM den Kindergeldzuschlag beantragen, der ihnen nach Auskunft der Bundesregierung zusteht, weil sie vom steuerlichen Kinderfreibetrag nichts haben, dann bekommen sie zu ihrer Überraschung einen ablehnenden Bescheid. Mehr als eine halbe Million Familien mit mehr als einer Million Kindern erhalten nicht den als Ausgleich vorgesehenen Kindergeldzuschlag,
({2})
weil es die Bundesregierung unterlassen hat, die Rechtsgrundlagen für den Kindergeldzuschlag an die geänderte Besteuerung des Existenzminimums anzupassen. Ihre Untätigkeit geschieht mit Vorsatz. Der CDU-Kollege Eppelmann - er ist doch aus Ihrer Fraktion! - nennt das einen Skandal. Wo er recht hat, hat er recht, meine Damen und Herren.
({3})
Dann müssen sich die Familien mit Kindern sagen lassen, 1993, 1994, 1995 könne man das j a hinnehmen, 1996 werde das ohnehin geregelt. Das ist doch ein Hohn, Frau Rönsch. Die Kinder in diesen armen Familien brauchen, wie wir als Eltern wissen, ihren Unterhalt, ihr Essen, ihre Schulutensilien heute. Diesen Familien jetzt den Kindergeldzuschlag zu verwehren, damit der Bundesfinanzminister seine Haushaltslöcher stopfen kann - das darf eine Familienministerin nicht hinnehmen.
Übrigens: Der Kindergeldzuschlag von 65 DM macht immerhin fast soviel aus wie das Kindergeld fürs erste Kind in Höhe von 70 DM. Eine Familie mit geringem Einkommen bekommt durch dieses Fehlverhalten der Bundesregierung nicht - wie ihr eigentlich zusteht - 135 DM - das wären die 70 DM Kindergeld und die 65 DM Kindergeldzuschlag -, sondern nur 70 DM. Familien mit Spitzeneinkommen bekommen aber die 70 DM Kindergeld und 181 DM Entlastung aus dem steuerlichen Kinderfreibetrag - macht 251 DM! 70 DM für die Kleinen, 251 DM für die Reichen! Wer sich noch ein Gefühl für soziale Ungerechtigkeit bewahrt hat, für den ist das einfach unerträglich.
({4})
Frau Rönsch, geradezu peinlich wird es, wenn Sie sagen, das sei alles viel zu kompliziert, das könne man jetzt nicht hinkriegen. Ganz abgesehen davon, daß Sie von dieser Unterlassung bereits ein halbes Jahr wissen: Dieser komplizierte Familienlastenausgleich geht doch auf diese Bundesregierung zurück, weil sie dahinter die unsozialen Wirkungen vertuschen kann. Wenn Sie sich jetzt selber darin verheddern, dann ist das doch die Schuld dieser Bundesregierung. Greifen Sie doch einfach unsere Lösung „250 DM Kindergeld vom ersten Kind an" auf; dann haben Sie auch nicht diese Verkomplizierung!
Nein, Frau Rönsch, Ihre Familienpolitik ist ohnehin eine Chronik von Unterlassungen:
Wo waren Sie, als der Wuermeling-Paß im Haushaltsentwurf gestrichen werden sollte? - Sie haben da die Familien mit Kindern im Stich gelassen. Es war die Opposition, die das dann korrigiert hat.
Wo waren Sie, als den Familien unter Verstoß gegen die Verfassung sogar das Existenzminimum ihrer Kinder besteuert wurde? - Die Familien mußten erst nach Karlsruhe gehen, um sich dort ihr Recht gegen diese Bundesregierung zu erstreiten. Sie haben sie im Stich gelassen.
({5})
Letztes Beispiel: Warum tun Sie nichts gegen den Mißstand, daß ein Spitzenverdiener allein für die Eheschließung in einem Jahr mit 22 842 DM Steuerersparnis durch das Ehegattensplitting
({6})
vom Staat mehr bekommt als ein Geringverdiener mit einem Kind in 14 Jahren? - Bis weit in Ihre Unionsfraktion hinein wird eine Reform des Ehegattensplittings gefordert, was richtig wäre; nur Frau Rönsch läßt die Familien mit Kindern im Stich.
({7})
Wir fordern Sie auf, Frau Rönsch: Schaffen Sie diesen Skandal mit dem Kindergeldzuschlag unverzüglich aus der Welt! Wenn Sie sagen, Sie könnten das
nicht hinbekommen, dann tun Sie wenigstens einmal etwas für die Familien, und nehmen Sie ihren Hut!
({8})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Klaus Riegert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist überflüssig.
({0})
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, glauben offensichtlich, mit der schwierigen Materie des Kindergeldzuschlags ein Thema gefunden zu haben, das sich trefflich für Wahlkampfzwecke mißbrauchen läßt.
({1})
Wenn Sie, Frau Matthäus-Maier, behaupten, die Bundesregierung habe es versäumt, den Kindergeldzuschlag an die geänderte Regelung über das steuerliche Existenzminimum anzupassen, die Bundesregierung stopfe so Haushaltslöcher auf Kosten der Familien mit kleinen Einkommen, dann nehmen Sie es mit der Wahrheit nicht so genau.
({2})
Sie verunsichern mit Halbwahrheiten die Familien und tragen so weiter zur Politikverdrossenheit bei.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, durch die geltende Regelung zum Kindergeldzuschlag wird kein Gebot des Verfassungsgerichts verletzt.
({4})
Keine Familie erhält zur Zeit weniger Geld als vorher, und niemand bekommt weniger, als ihm zusteht. Im Gegenteil: Vielen Familien kommt die höhere Besteuerungsgrenze von 21 000 DM für Paare und 10 500 DM für Alleinerziehende zugute. Jetzt zahlt keine Familie mehr Steuern für ihr Existenzminimum. Viele Familien haben weniger Steuern zu zahlen, als dies früher der Fall war. Forderungen nach einem Rücktritt von Familienministerin Hannelore Rönsch sind billige Wahlkampfpolemik, zudem gehe ich davon aus, daß sie gar keine Hüte trägt. Dies sind Schnellschüsse, die von Unkenntnis der wahren Sachlage zeugen.
Sie, meine Damen und Herren Sozialdemokraten, bauen mit dieser Aktuellen Stunde einen Popanz auf. Sie wollen davon ablenken, daß Sie selber nicht wissen, was Sie wollen.
({5})
Der eine fordert Verbesserungen beim Kindergeldzuschlag, die andere will die Kinderfreibeträge und den Zuschlag abschaffen. Ein Einheitskindergeld in gleicher Höhe vom Sozialhilfeempfänger bis zum
Millionär soll her. Andere Stimmen in der SPD locken mit einer Kinderkasse. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Sie bekämpfen den dualen Familienlastenausgleich, und dies mit untauglichen Mitteln. Ein Einheitskindergeld von 250 DM erfordert einen zusätzlichen Finanzbedarf von rund 32 Milliarden DM. Selbst wenn man Einsparungen in Höhe von 18,2 Milliarden DM gegenrechnet und berücksichtigt, bleibt eine Finanzierungslücke von rund 14 Milliarden DM. Diese Lücke können Sie auch mit der Kappung des Ehegattensplittings nicht schließen. Wollen Sie die Bürger mit noch mehr Abgaben und Steuern belasten? Oskar Lafontaine redet draußen vor Wirtschaftsvertretern davon, die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Seinen Genossen empfiehlt er, keine neuen milliardenschweren Forderungen aufzustellen, und appelliert an die eigenen Reihen: Nichts versprechen, was nicht einzuhalten ist; es gibt nichts zu verteilen.
Meine Damen und Herren, mir persönlich fällt es schwer, mit Blick auf den wirtschaftlichen Niedergang des Saarlands Ministerpräsident Oskar Lafontaine große wirtschaftliche Kompetenz zu unterstellen.
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Doch recht hat er, wenn er die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen anregt und vor weiteren finanziellen Belastungen warnt.
Wenn ich mir aber den Vorschlag einer Einrichtung einer Kinderkasse anschaue, dann hat der Präsident des BDI, Tyll Necker, recht: Noch immer überwiegen in der SPD ineffektive Umverteilungsstrategien. Sie wollen für die Kinderkasse den Bürgern erst 5 % ihres Einkommens aus der linken Tasche ziehen, um ihnen dann unter Abzug eines Disagios für Verwaltungsbürokratie wieder 600 DM pro Kind in die rechte Tasche zu stecken. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen dem Bürger das Einkommen belassen und nicht Wegsteuern. Das duale System hat sich bewährt. Wir werden es weiter ausbauen.
Wir arbeiten an einem Gesamtkonzept zum Umbau der Familienförderung. Mehr soziale Gerechtigkeit vor allem für Familien mit niedrigem Einkommen ist Kernstück dieser Überlegungen. Die Familienministerin strebt u. a. an, den komplizierten Kindergeldzuschlag zu streichen und statt dessen das Kindergeld gerade für einkommensschwächere Familien spürbar anzuheben. Ich bin mir sicher, daß unsere Bürgerinnen und Bürger unsere seriöse Arbeit sehr wohl von Ihrer vordergründigen Wahlkampfpolemik unterscheiden können.
({7})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink.
Meine Herren! Meine Damen! 1994 ist das Jahr der Familie. Die heutige Debatte ist aber wohl ein Zeichen dafür, in welcher Krise die Familienpolitik steckt. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1992 erklärt, daß ab 1993 bei der Einkommensbesteuerung Erwerbsbezüge in Höhe eines am Sozialhilferecht orientierten Existenz17908
minimums steuerfrei zu belassen seien. Es hat also das Einkommenssteuerrecht wegen des Grundfreibetrags und des geltenden Steuertarifs für verfassungswidrig erklärt. Die Bundesregierung hat die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts bisher leider noch nicht voll erfüllt.
({0})
Seit 1993 klafft eine Lücke im Steuerrecht. Familien mit Kindern steht laut Gesetz neben dem Kindergeld ein steuerlicher Freibetrag als Lastenausgleich zu. Niedrigverdiener können davon aber nicht immer profitieren. Wenn die Kinderfreibeträge im Einkommenssteuerrecht wegen eines zu geringen Einkommens nicht zum Tragen kommen, muß allerdings unter bestimmten Bedingungen ein Kindergeldzuschlag gewährt werden. Dies ist offensichtlich nicht in jedem Fall geschehen. Deshalb diese Debatte.
({1})
Nach Schätzungen von „Focus" bekommen 840 000 Familien mit 1,4 Millionen Kindern weniger Steuerentlastung und Zuschläge, als ihnen zustünden. Nachlässigkeit? Verantwortungslosigkeit? Wo immer die Verantwortung für den Nichtvollzug liegt, hier werden natürlich Rechte von Menschen verletzt. Die Vermutung liegt nahe, daß das ständige Bekenntnis vieler Politiker, die Familie stünde im Mittelpunkt von Politik, eben doch nur ein Lippenbekenntnis ist.
Wenn wir es mit einer glaubwürdigen Familienpolitik ernst meinen, dann dürfen Paare oder Alleinstehende nicht dafür bestraft werden, daß sie Kinder haben. Schon heute liegen Familien mit Kindern zu viele Stolpersteine im Wege. Es gibt nicht genügend Kindergartenplätze, die Wohnungssuche ist mühsam, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet sich in vielen Fällen als unmöglich. „Jahr der Familie" - man/frau könnte weinen.
Der Deutsche Familienverband wehrt sich gegen die Verwendung des Begriffs „Familienlastenausgleich" und spricht von „Familienleistungsausgleich" ,
({2})
und dies nicht zu Unrecht; denn Eltern erbringen Leistungen für die Gesellschaft, die diese in ungenügendem Maße honoriert. Schließlich sind es die Kinder, die unsere Sozialsysteme finanzieren. Der Generationenvertrag ist gefährdet.
So ist es nicht in Ordnung, wenn Alleinerziehende und Ehepaare mit Kindern steuerlich schlechter dastehen als kinderlose Ehepaare.
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Bei uns werden die Kosten für die Kinder privatisiert und die Leistung für die Gesellschaft sozialisiert. Doppelverdienende Eltern müssen zwei Einkommen versteuern, können aber die Kinderbetreuungskosten nur zu einem verschwindend geringen Teil von der Steuer absetzen. Frau Matthäus-Maier, ich kann mir da nicht verkneifen zu sagen, daß Sie mit Ihrer verheerenden Bezeichnung „ Dienstmädchenprivileg " dazu beigetragen haben, daß der Haushalt bisher leider nicht als „Betrieb" anerkannt ist.
Volkswirtschaftliche Berechnungen besagen, daß sich zwischen einem Doppelverdienerehepaar und einem Einzelverdienerehepaar mit zwei Kindern ein Einkommensnachteil von 20 000 DM im Jahr ergebe. Nach 20 Jahren Kindererziehung belaufe sich dieser Vermögensunterschied auf 500 000 DM.
Nach Schätzungen von Experten deckten im Jahre 1992 alle Staatshilfen gerade einmal 11 % der gesamten Kinderkosten. Auch wir Liberalen sind der Meinung, daß es stärkere gesellschaftliche Belohnungen für die Leistung der Kindererziehung geben müßte.
({4})
- Es ist sehr schwierig. Sie wissen ja selbst, wie schwierig es ist, Finanzpolitikern Familienpolitik deutlich zu machen.
Frauen und Männer in der F.D.P. fordern seit langem, erstens die Anerkennung der Zeiten von Kindererziehung und der Pflege zu verbessern und dabei die Tatsache zu berücksichtigen, daß Familienarbeit auch gleichzeitig mit der Erwerbsarbeit geleistet wird, d. h. eine berufstätige Mutter darf in der Rente nicht schlechter gestellt sein als eine kinderlose Kollegin - die F.D.P. setzt sich also für additive Kindererziehungszeiten ein -, zweitens den Ausbau eigener Anwartschaften der Frauen, d. h. Änderung der Hinterbliebenenrente im Sinne des Rentensplittings, und zwar z. B. durch Anrechnung einer Kinderkomponente, drittens die steuerliche Absetzbarkeit aller Kinderbetreuungskosten und viertens die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings.
Wenn wir den staatlichen Auftrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern nach Art. 3 des Grundgesetzes ernsthaft verwirklichen wollen, dann brauchen wir in erster Linie qualifizierte Kinderbetreuungsmöglichkeiten. In jeder Kommune müßten die Prioritäten im Haushalt zugunsten von Kindergartenplätzen geändert werden. Sonst wird die Neuregelung des § 218, die einen staatlichen Schutz des ungeborenen Lebens vorsieht und die die Frauen zum Austragen auffordert - wir haben es ja in der Debatte gerade gehört - unglaubwürdig. Nach einer repräsentativen Umfrage stellen derzeit 250 000 junge Frauen ihren Wunsch nach einem zweiten Kind zurück, weil sie bereits Schwierigkeiten hatten, das erste Kind in einem Kindergarten unterzubringen.
Fazit: Glaubwürdige Familienpolitik kostet Geld, wenn sie kein Lippenbekenntnis bleiben soll. Deshalb müssen wir die Konsequenzen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil und aus der Steuerreform in angemessener Zeit ziehen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute weht der Geist sozialdemokratischer Opposition wieder einmal mächtig durch den Bundestag.
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Nachdem die SPD der Koalition auf fast allen Gebieten Zugeständnisse gemacht hat - von der Abschaffung des Asylrechts über die Zerschlagung der Post bis zum großen Lauschangriff -, steht diese Aktuelle Stunde ganz im Zeichen der kompromißlosen Härte, der knallharten Opposition, die ihren Ausdruck in der offenbar unverzichtbaren Rücktrittsforderung an Frau Rönsch findet. Da selbst aus der CDU/CSU Kritik an Frau Rönsch laut geworden ist und Herr Eppelmann, sicherlich unter Verkennung parlamentarischer Entscheidungsabläufe, gar ein Machtwort des Kanzlers erflehte, darf die SPD Frau Rönsch anschießen. Das alles war vorhersehbar und ist meiner Meinung nach dementsprechend scheinheilig, langweilig und auch ein Stück öde.
Die PDS/Linke Liste wird demgegenüber heute konstruktiv und staatspolitisch weise
({1})
im Sinne der Kloses und Strucks handeln und nicht den Rücktritt von Frau Rönsch fordern. Wir sind, ganz im Gegensatz zur SPD, der Meinung, daß Frau Rönsch eine vorbildliche Repräsentantin der Familienpolitik der Bundesregierung ist.
({2})
Frau Matthäus-Maier, ich glaube nicht, daß ein Rücktritt irgend etwas an dieser Politik zum Positiven verändern würde. Die PDS/Linke Liste ist jedenfalls nicht dieser naiven Meinung, die Verhältnisse seien goldrichtig, es fehlten nur die richtigen Politikerinnen und Politiker.
Zu den Fakten: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich wird von dieser Bundesregierung einfach nicht umgesetzt. Nicht nur, daß das gegenwärtig gültige steuerfreie Existenzminimum von 10 500 DM bzw. 21 000 DM immer noch weit unter den 12 000 bzw. 24 000 DM bleibt, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1992 steuerfrei zu stellen gewesen wären; durch die Nichtanpassung der Berechnung des Kindergeldzuschlags an die erhöhten Grundfreibeträge wird an viele Bürgerinnen und Bürger auch kein Kindergeldzuschlag mehr ausgezahlt.
Die Pressemitteilung der Familienministerin vom 24. Januar hat die Berichte über die Verweigerung des Kindergeldzuschlages für Einkommensschwache nicht entkräften können. Was für Frau Rönsch allerdings lediglich „Probleme" sind, die - ich zitiere -„auf Grund der Übergangsregelung zur Steuerfreistellung entstanden sind", bedeutet weitere Einkommensverluste, wie meine Vorrednerin eben schon sagte, für über 840 000 einkommensschwache Familien mit Kindern.
Anfang des Jahres hatte sich die Familienministerin noch für die komplette Steuerfreistellung des Kinderexistenzminimums ausgesprochen und ausgerechnet den steuerlichen Kinderfreibetrag von jetzt 4 104 DM positiv hervorgehoben. Ich habe bereits bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß die PDS/Linke Liste auch den steuerlichen Kinderfreibetrag aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit ablehnt. Es ist eine von der Bundesregierung steuerpolitisch gewollte Tatsache, daß die Entlastungswirkung dieses Kinderfreibetrages bei Geringverdienern 65 DM im Monat beträgt, während sie eben bei Spitzenverdienern auf 181 DM im Monat steigt.
Die Schieflage des geltenden Familienlastenausgleichs wird vor allem dann deutlich, wenn man das Ehegattensplitting ebenfalls berücksichtigt. Ein kinderloses Ehepaar kann jährlich auf Grund des Splittings zusätzlich über 22 842 DM verfügen. Eine Familie mit niedrigem Einkommen und einem Kind erhielt bisher über Kindergeld und Kinderfreibetrag jährlich höchstens 1 620 DM. Und selbst diese lächerlich geringe Summe, die weit unterhalb der Mindestkinderkosten - sie betragen rund 600 DM im Monat - liegt, wurde zum 1. Januar 1993 auch für diejenigen gestrichen, die Kinder erziehen und mit ihrem Einkommen über den alten Freibeträgen, aber noch unter den 1993 erhöhten Grundfreibeträgen lagen. Schuld daran war allerdings nicht eine öffentlich und offen erklärte Streichung des Kindergeldzuschlages - das wäre ehrlich -, sondern die trotz alledem unzureichende Neuregelung des steuerfreien Existenzminimums innerhalb des Föderalen Konsolidierungsprogramms.
Nicht nur mir drängt sich mittlerweile der Verdacht auf, die Bundesregierung habe die Anhebung des Grundfreibetrages durch die stillschweigende Inkaufnahme des Wegfalls des Kindergeldzuschlages teilweise gegenfinanzieren wollen. Auch die von Frau Rönsch für 1996 versprochene endgültige Regelung des Grundfreibetrages ist nicht dazu angetan, mein Mißtrauen zu zerstreuen. Denn erstens hat das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung verpflichtet, die als verfassungswidrig erkannte Regelung bis spätestens 1996 durch eine verfassungsgemäße zu ersetzen - warum wollen Sie damit eigentlich so lange warten? -, und zweitens hatten sich bisher bei der Festlegung der Höhe des steuerfreien Existenzminimums stets die restriktiven Vorstellungen des Finanzministers durchgesetzt. Warum sollte dies 1996 anders sein? Selbst dann, wenn die Bundesregierung die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Kindergeld, zum Kinderfreibetrag, zum Grundfreibetrag und zu den Erziehungszeiten ohne Abstriche umsetzen würde, dann bedeutete dies nicht mehr als die Durchsetzung der - so der Präsident des Bundesverfassungsgerichts wörtlich - untersten Grenze des gerade noch Akzeptablen.
Frau Dr. Höll, Sie überschreiten jetzt Ihre Zeit.
Es ist mein letzter Satz. - Aus Sicht der PDS/Linke Liste bedeutet eine verfassungsgemäße Regelung noch lange nicht, daß diese ausreichend oder gar richtig wäre. Frau Rönsch, treten Sie bitte nicht zurück. Ersparen Sie der Bundeskasse Pensionszahlungen!
Ich danke Ihnen.
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Der Abgeordnete Konrad Weiß hat nunmehr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtzeitig zum Auftakt des Jahres der Familie hat die Familienministerin deutlich gemacht, was Sie unter familien- und kinderfreundlicher Politik versteht. Das Bundeskindergeldgesetz wurde weder rechtzeitig noch im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes novelliert. Die Leidtragenden werden die ärmsten Familien in unserem Land sein. Eine Sparpolitik, die den Armen nimmt und den Reichen läßt, verdient diesen Namen nicht.
Auch der jetzt geltende Kinderfreibetrag und der Kindergeldzuschlag sind sozialpolitisch fehlsteuernd und ungenügend. Bei der gegenwärtigen Praxis steht eine Familie mit einem hohen steuerpflichtigen Einkommen immer erheblich besser da als eine Familie, die den Kindergeldzuschlag erhält. Das heißt, das soziale Anliegen, einkommensschwachen Familien eine spürbare Hilfe zu geben, wird durch die geltenden Regeln nicht erreicht. Die Maßnahmen der Familienministerin verschärfen diese Situation sogar noch.
Erfreulicherweise gibt es in den Regierungsparteien immer mehr Kolleginnen und Kollegen, die die familienfeindliche Politik der Bundesregierung nicht länger mitverantworten wollen. Alexander Graf von Schwerin, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, nannte das Vorgehen der Bundesregierung eine - ich zitiere - „himmelschreiende Ungerechtigkeit". Der Kollege Norbert Eimer stellte völlig zu Recht fest - ich zitiere wiederum -: „Die bisherige Regelung beim Kindergeldzuschlag ist ungerecht und verfassungswidrig." Rainer Eppelmann, der designierte Vorsitzende der CDA, sprach sogar von einem Skandal.
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Bedauerlicherweise haben die markigen Sprüche bislang keine Konsequenz. Entweder ist der Bundeskanzler tatsächlich im Geiste schon zurückgetreten, wie man angesichts seines Regierungsdesasters befürchten muß, oder aber die Politik dieser Koalition ist im Kern tatsächlich von unerhörter sozialer Kälte und erschreckender Familienfeindlichkeit. Auch dafür gibt es gravierende Anzeichen.
Oder kann sich der Bundeskanzler nicht gegenüber der Familienministerin durchsetzen? Solange diese Koalition es nicht fertigbringt, die Reichen stärker zu belasten und die Schwachen mehr zu fördern und zu unterstützen, sollte sie das Wort „sozial" aus ihrem Sprachgebrauch streichen.
Nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes waren 1993 ca. 1,8 Millionen Kinder in Deutschland auf Sozialhilfe angewiesen. Auch der Armutsbericht von DGB und Paritätischem Wohlfahrtsverband bestätigt die hohe Armutsbetroffenheit von Kindern und Jugendlichen. In Westdeutschland sind bereits 30 % der Kinder und Jugendlichen auf Sozialhilfe angewiesen, in Ostdeutschland sogar knapp 44 %.
Armut von Kindern und Jugendlichen ist mehr als reine Einkommensarmut. Kinder und Jugendliche sind dadurch in der Regel in ihren Bildungsmöglichkeiten behindert, sind gesundheitlich gefährdet, wohnen beengt und sind in vielfältiger Weise in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gestört.
Führen Sie sich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, doch einmal vor Augen, was das heißt, wenn diese Kinder- und Jugendarmut so bleibt, was es bedeutet für die Persönlichkeitsentwicklung, die soziale Einbindung der Betroffenen und damit für unser Gemeinwesen insgesamt! Die Folgen dieser verfehlten Familienpolitik spüren wir doch alle schon und werden sie in Zukunft immer deutlicher spüren.
Alleiniges Ziel einer gerechten und sozialen Familienpolitik muß es sein, Kindern gleiche Entwicklungschancen zu bieten, unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern. Wer ausgerechnet bei den Kindern spart, gefährdet ihre Zukunft und damit die Zukunft unseres Landes.
Deshalb fordert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine grundlegende Reform des Familienlastenausgleichs. Einerseits ist das gestaffelte Kindergeld nicht bedarfsgerecht, andererseits begünstigen das Ehegattensplitting und die Ausgestaltung des steuerlichen Kinderfreibetrages begüterte Familien überproportional im Vergleich zu Alleinerziehenden oder zu arbeitslosen Eltern.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird deshalb, wenn wir Regierungsverantwortung mitübernehmen, den Familienlastenausgleich in einen Kinderlastenausgleich umwandeln. Allein durch die Abschaffung des Ehegattensplittings ständen jährlich über 30 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung, die wir in ein bedarfsgerechtes Kindergeld investieren werden.
Kinder sind in Deutschland die eigentlichen Wohlstandsopfer. Für so viel Unsinniges und Unverantwortliches ist Geld da, nur nicht für sie. Familien, die Kinder haben, werden bestraft. Familien mit mehreren Kindern müssen oft auf vieles verzichten, was für ihre Nachbarn selbstverständlich ist. Sicher, es kann und soll nicht Aufgabe des Staates sein, eine völlige Gleichheit herzustellen. Aber für ausgleichende Gerechtigkeit haben wir, die politische Verantwortung tragen, allemal zu sorgen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, in diesem Sinne unmittelbar tätig zu werden.
Ich erteile nunmehr der Bundesministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte ist ein typisches Beispiel dafür, wie man auch in Wahlkampfzeiten mit Familienpolitik nicht umgehen sollte.
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Ich denke, dieses Thema hat es verdient, daß man seriös damit umgeht.
Ich habe mich gefreut, Frau Matthäus-Maier, daß Sie heute hier nicht mehr behauptet haben, mit der jetzt diskutierten Regelung zum Kindergeldzuschlag würde ein Beschluß des Bundesverfassungsgerichts umgangen. Das haben Sie in der Presse gesagt. Es
steht in irgendeiner Boulevardzeitung; ich würde es da nachlesen.
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Frau Dr. Höll, Sie haben hier behauptet, Familien erlitten dadurch Einkommensverluste. Auch dies trifft nicht zu. Es hat keine Familie weniger. Hier werden Familien verunsichert. Ich glaube, dies dürfen wir auch in Wahlkampfzeiten nicht tun. Wir müssen Familien informieren.
Frau Matthäus-Maier, ich frage Sie: Wo waren Sie beim Erziehungsgeld, beim Erziehungsurlaub, bei all den Regelungen, die wir in den letzten Jahren für Familien erreicht haben? Wo waren Sie?
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Wenn Sie sich heute hier hinstellen und den Kindergeldzuschlag verteidigen, dann hätten wir Sie gerne die ganze Zeit schon an unserer Seite gehabt.
Dann kommt noch ein Aperçu mit dem Wuermeling-Paß. Sie haben die Diskussion ja wohl mitbekommen. Wenn Sie dazu ja sagen, würde ich doch darum bitten, daß Sie hier korrekt berichten, wie die Gespräche verlaufen sind und wem es zu verdanken ist, daß er weiterhin im Haushaltsplan enthalten ist.
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- Frau Matthäus-Maier, da Sie ja immer bei diesen Beratungen dabei waren, wissen Sie das sicherlich.
Nun gibt es also ein Papier aus unserem Ministerium, das lediglich einen Teilaspekt eines ganz komplizierten Zusammenhangs zwischen einer Neuregelung im Steuerrecht und dem Kindergeldzuschlag behandelt. Ohne Hinweis auf die rechtlichen Zusammenhänge, ohne Erörterung von Fragen z. B. - Nebensächlichkeiten für die SPD - der Finanzierbarkeit und ohne Hinweis auf die Möglichkeiten einer praktischen Verwirklichung der zugrunde gelegten Vorstellung einer Ausweitung des Kindergeldzuschlages werden Zahlen über betroffene Familien und Kinder und mögliche Steuereinsparungen genannt.
Wir haben dieses Papier im Ministerium natürlich auch unter Berücksichtigung der darin nicht enthaltenen Fragen diskutiert. Ich hätte mir das auch bei Ihnen gewünscht. Darm hätten Sie vielleicht die eine oder andere Antwort gefunden.
Herr Kollege Habermann, wir informieren auch in der Zukunft immer wieder gerne. Aber, bitte, werten Sie die Papiere dann auch aus. Stellen Sie doch die richtigen Fragen.
Bei unserer Auswertung ist herausgekommen: Erstens. Eine rechtliche Verpflichtung zur Änderung oder Ergänzung der Kindergeldzuschlagsregelung, wie sie den Berechnungen zugrunde gelegt worden ist, besteht nicht. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 1992 fordert ausschließlich die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Steuerpflichtigen. Einen Grundfreibetrag für jedermann in Höhe des Existenzminimums hat es dabei nicht für notwendig gehalten.
Zweitens. Bei der Diskussion um die richtige Ausgestaltung der Übergangsregelung habe allerdings ich Wert darauf gelegt, daß Ehepaare den doppelten Freistellungsbetrag gegenüber Alleinstehenden erhalten. Das war mir sehr wichtig; das haben wir gemeinsam mit der Arbeitsgruppe erkämpft.
Drittens. Der Kindergeldzuschlag orientiert sich am Grundfreibetrag, nicht an einer anders definierten Steuerfreigrenze. Eine Übertragung der Anspruchsvoraussetzungen für den Kindergeldzuschlag auf die neue Regelung ist deshalb ausgeschlossen gewesen, weil zu den steuerlich relevanten Einkünften bei der Neuregelung auch die Erwerbseinkünfte, z. B. Renten, Wohngeld usw., zu berücksichtigen sind.
Viertens. Durch die höhere Steuerfreigrenze zahlen viele Familien jetzt weniger Steuern als vorher. Auch das, Frau Matthäus-Maier, müßten Sie wissen. Das hätten Sie hier einfach der Ordnung halber auch erwähnen sollen.
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Keine Familie erhält weniger Kindergeldzuschlag als vorher. Das, sehr geehrte Frau Dr. Höll, müßten Sie wissen, da Sie im Ausschuß sitzen. Das wäre übrigens nicht so, wenn die Übergangsregelung unter Einbeziehung der Erwerbseinkünfte zukünftig die Grundlage für die Zahlung eines Kindergeldzuschlags wäre.
Jetzt will ich noch etwas zum Herrn Kollegen Eppelmann sagen. Ich wünsche mir, Sie würden ihn öfter zitieren, auch in anderen Arbeitsbereichen.
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Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten die Gelegenheit wahrgenommen und mit Herrn Kollegen Eppelmann selbst gesprochen oder z. B. mit Herrn von Schwerin. Ich habe es getan. Die Äußerungen, die Sie aus der Zeitung vorgetragen haben, sind nicht authentisch.
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Holen Sie diese Gespräche doch nach!
Ich habe Ihnen soeben die Gründe genannt, warum wir die Entscheidung seinerzeit so getroffen haben. Eine überzeugende und politisch wie praktisch machbare Alternative hat es dazu nicht gegeben. Daran ändern auch alle falschen Behauptungen, die heute hier aufgestellt worden sind, nichts. Es ist dabei vollkommen unbedeutend, ob diese falschen Behauptungen aus Unkenntnis aufgestellt werden oder ob es eine politische Diffamierung sein soll. Ich muß Unkenntnis voraussetzen, Frau Matthäus-Maier. Denn das eine oder andere kam mir schon ein wenig suspekt vor.
Sie haben vollkommen ignoriert - auch das müßten Sie wissen -, daß Familien unterhalb des Existenzminimums in der Regel zum Teil von Sozialhilfeleistungen leben. Diese Familien hätten keine Mark mehr, wenn sie den Kindergeldzuschlag erhielten. Er würde nämlich unmittelbar auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
Bei der bisherigen Kindergeldzuschlagsregelung, die von uns beibehalten worden ist, liegen die Dinge natürlich etwas anders, weil hier Erwerbsbezüge nicht in die Berechnung einbezogen werden.
Für mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt festzuhalten: Wir haben uns bei der Gestaltung der Übergangsregelung genau an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten, indem wir eine Regelung gefunden haben, die ohne Veränderung des Steuertarifs und des Grundfreibetrags dazu führt, daß unterhalb des Existenzminimums keine Steuern gezahlt werden müssen.
Eine Änderung des Kindergeldzuschlagsrechts in der geforderten Richtung stünde im Gegensatz zu diesen Vorgaben. Wenn wir tun wollten, was die Opposition fordert, wäre die Steuerfreistellungsgrenze ein zweiter Grundfreibetrag. Genau das soll er aber nicht sein. Das ist vom Bundesverfassungsgericht nicht verlangt worden.
Deshalb steht die Entscheidung, das Kindergeldrecht für die Übergangszeit unverändert zu lassen, im Einklang mit dem vom Bundesverfassungsgericht geforderten Übergangscharakter der Zwischenlösung. Keine der anderen denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten des Kindergeldzuschlagsrechts führt zu überzeugenden oder auch nur zu akzeptablen Alternativen. Ein Kindergeldzuschlag allein auf der Grundlage von Erwerbseinkünften und der Steuerfreistellungsgrenze würde bisher zuschlagsberechtigte Eltern davon ausschließen. Das wäre in der Tat eine unbillige Schlechterstellung einer großen Zahl von Familien.
Ich bleibe dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen: Für die Übergangszeit bis 1996 gab es keine bessere Regelung als die, die wir getroffen haben. Ab 1996 wollen wir das Kindergeldrecht neu gestalten. Wir sind für ein bedarfsorientiertes Kindergeldsystem, nachdem das Existenzminimum von Kindern im Steuersystem durch einen entsprechend hohen Kinderfreibetrag berücksichtigt worden ist. Wir werden dann dafür sorgen, daß in einer einfacheren Form alle Familien unterhalb der Besteuerungsgrenze ein ausreichend hohes Kindergeld erhalten. Ich denke, wir müssen das Kindergeldrecht wesentlich transparenter machen, damit auch solche Debatten im Deutschen Bundestag unterbleiben können. Denn nur deshalb, weil Familien auf Grund der schwierigen Materie des Kindergeldrechts teilweise gar nicht durchschauen, welche Leistungen der Staat erbringt, hat die Opposition die Chance, hier eine solche Kampagne zu betreiben.
({7})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Christel Hanewinckel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ihnen etwas mitgebracht. Ich habe Ihnen die Überschriften der Tickermeldungen zum Stichwort Familie vom 8./9. Januar 1994 mitgebracht: „Rönsch: Leistungen für Familien müssen weiter ausgebaut werden",
({0})
„Rönsch fordert kinderfreundlichere Gesellschaft",
({1})
„Rönsch fordert höhere Kinderfreibeträge",
({2})
„Rönsch zum Jahr der Familie: Rücksichtslosigkeit stoppen",
({3})
„Rönsch sagt: Einsparungen und Verteilungskämpfe dürfen nicht auf dem Rücken der Familie ausgetragen werden" ,
({4})
„Rönsch fordert mehr Steuergerechtigkeit".
({5})
Das sind tolle Meldungen. Fast allen kann man mit Applaus zustimmen, wenn es denn in der Realität von der Familienministerin so umgesetzt würde. Wieso eigentlich stellt sich die Familienministerin dieses Landes hin und stellt Forderungen auf, was eine Regierung alles zu tun hätte? Meines Wissens gehört sie noch zum Kabinett Kohl. Oder hat sich da inzwischen etwas geändert?
({6})
- Sie hat keinen Geldesel; da stimme ich Ihnen zu. Aber ich denke, ihre Aufgabe ist es, sich im Kabinett dafür einzusetzen, daß Familien nicht nur das bekommen, was sie benötigen, sondern auch das, was dem abhilft, was in verschiedenen Urteilen festgestellt wurde, nämlich daß die Familien in diesem Lande immer noch benachteiligt werden.
({7})
Frau Rönsch repräsentiert, Frau Rönsch reagiert, aber sie agiert nicht.
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- In der Presse; genauso ist es. Sie agiert in der Presse, indem sie tolle Pressemitteilungen herausgibt. Wenn man diese aber genauer abklopft, stellt man fest, daß sie vorne und hinten nicht stimmen, denn Familienpolitik durch Frau Rönsch findet in diesem Kabinett nicht statt. Diejenigen, die eigentlich Familienpolitik betreiben, heißen Rexrodt und Waigel. Wo war Frau Rönsch denn beim FKP und beim SKWPG, als die Leistungen für die Familie gekürzt wurden? Hat da irgend jemand von Ihnen gehört, daß sie als Lobby-istin laut geschrien hat? Das haben die Familien selbst und andere tun müssen. Frau Rönsch mußte erst mit der Nase darauf gestupst werden.
Ich denke, es ist in der Tat besser, Frau Rönsch schweigt weiterhin und taucht ab.
Es ist aber gut, daß es in diesem Lande noch eine gut funktionierende Außenstelle des Familienministeriums gibt, nämlich das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber und die Gesetzgeberin zum Handeln. Was passiert? Frau Rönsch ist dabei, sich darum zu kümChristel Hanewinckel
mern, den Familienlastenausgleich verfassungsgemäßer und sozial gerechter zu gestalten. Aber sie stellt fest, daß sie im Gestrüpp dessen, was Sie von der Koalition selber über lange Jahre aufgebaut haben, stolpert. Sie sagt immer, ihr sei die Materie zu kompliziert. Wenn es denn so ist, Frau Rönsch, dann überlassen Sie das Feld jemand anderem.
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Tauchen Sie ab, und bleiben Sie auf Tauchstation.
Die Familien, die betroffen sind, müssen sehr genau rechnen und tun dies auch. Sie haben schon festgestellt, was ihnen durch diese falsche Regelung verlorengeht.
Andere Schlagzeilen in diesem Lande betreffen die Situation der Familien. Es gibt Schlagzeilen über Familien und Familienverbände, über die Familien im Osten, über die Alleinerziehenden, über Kinder und Jugendliche; das sind Schlagzeilen, die für dieses Haus nicht rühmlich sind, die auch nicht rühmlich sind für Ihre Familienpolitik, Frau Rönsch. Es ist dringender denn je, daß sich Ihr Haus endlich an die Umsetzung eines verfassungsgemäßen und sozial gerechten Familienlastenausgleichs macht.
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Durch die Nichtanpassung der Einkommensgrenzen im Kindergeldgesetz müssen die Familien auf „Zuwachs" verzichten. Aber „Zuwachs" haben nicht nur die Familien, sondern hat auch diese Gesellschaft bitter nötig.
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Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Renate Diemers das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Forderungen zu stellen, auch wenn sie maßlos sind und jeder realistischen Finanzierungsgrundlage entbehren, das ist offensichtlich die Gepflogenheit der SPD-Bundestagsfraktion.
({0})
Diese durchsichtigen Manöver wirken auf mich so wenig aufregend wie der Anschein, daß Sie, meine Damen und Herren von der SPD, glauben, die Familienpolitik für sich entdeckt zu haben. Schade, daß sich dieser Glaube noch nicht bis zu den Bundesländern herumgesprochen hat, in denen eine SPD-Mehrheit regiert;
({1})
denn sonst wäre in all diesen Ländern die Zahlung eines Landeserziehungsgeldes ebenso selbstverständlich wie der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.
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Schade auch, daß Sie offensichtlich in der Begeisterung darüber, die Familienpolitik scheinbar entdeckt zu haben, eine bis an den Rand des Erträglichen gehende Polemik jeder familienpolitischen Sachdiskussion vorziehen.
Das läßt mich allerdings unbeeindruckt. Mit Entschiedenheit wehre ich mich jedoch gegen Ihre ständigen Versuche, die Familien in bezug auf familienpolitische Leistungen zu verunsichern.
({3})
Diese in der Sache nicht gerechtfertigten, aber bewußt suggerierten Verunsicherungen sind in meinen Augen verantwortungslos.
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Würden Sie sich tatsächlich mit der Familienpolitik auseinandersetzen, dann müßte Ihnen bewußt sein, daß wir uns in der Phase der Umsetzung des verfassungsgerichtlichen Auftrags zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums befinden. Dazu gehört, daß sich in der Übergangszeit keine Familie schlechter stehen wird, im Gegenteil.
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Viele Familien profitieren von der höheren Besteuerungsgrenze. Wir haben es gehört. Hinzu kommt die Folgewirkung, daß auf Grund der veränderten Einkommensberechnung viele Familien gegenüber Kinderlosen einen steuerlichen Vorteil erhalten. Die eingeleiteten Regelungen zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums müssen daher fairerweise unter dem Gesichtspunkt gewertet werden, daß sich der Kinderfreibetrag nicht in jedem Falle auswirkt, daß aber auch keine Familie für ihr Existenzminimum zu Steuerleistungen herangezogen wird.
({6})
- Ich freue mich ja darüber, daß Sie mit Ihrer Anfrage indirekt die Wirksamkeit des dualen Systems und meine im Fachausschuß vorgetragene Überlegung zur Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs bestätigen. Allerdings gehe ich dabei von der Tatsache aus, daß nur der Personenkreis Steuern zurückfordern kann, der auch Steuern bezahlt hat.
Demzufolge stelle ich in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht und meiner Fraktion fest: Unterhaltsleistungen der Eltern für ihre Kinder sind Ausgaben, die von der Besteuerung freigestellt werden müssen. Nur so ist eine steuerliche Gleichbehandlung von Kinderlosen und Steuerpflichtigen mit Kindern und - unter Berücksichtigung des von der Steuer zu befreienden Existenzminimums der Kinder - zu erreichen.
Es muß deutlich sein, daß mit dieser Klarstellung die Eltern nicht etwas Zusätzliches erhalten, sondern daß sie lediglich keine Steuern auf Einkünfte bezahlen, die sie im Gegensatz zu Kinderlosen nicht zu ihrer freien Verfügung haben.
Für mich ist der steuerliche Kinderfreibetrag, der dem Existenzminimum entsprechen muß, der beste Weg, um zwischen Kinderlosen und Steuerpflichtigen mit Kindern Steuergerechtigkeit herzustellen. Denn der Betrag, der nicht der Steuerpflicht unterliegt, ist für jede Familie gleich hoch.
Ich warne ausdrücklich davor, Ihrem Gerede auf den Leim zu gehen, wonach der steuerliche Kinderfreibetrag, der je nach Steuersatz zu einer höheren Steuerersparnis führt, eine ungerechte Behandlung der Kindererziehung im Steuerrecht sei.
Wenn uns bewußt ist, daß erst nach Abzug des Existenzminimums für Kinder von der Steuerbemessungsgrundlage die aktive Familienförderung ansetzen kann, dann müssen wir die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Genau das werden wir tun. Genau das haben wir mit der stufenweisen Berücksichtigung des Existenzminimums, das künftig nicht nur Kinder, sondern alle Familienmitglieder berücksichtigt, eingeleitet.
({7})
Das bedeutet: Weil sich die Erhöhung des Kinderfreibetrages für Familien mit höherem Einkommen stärker auswirkt als für Familien mit geringem Einkommen, muß das Kindergeld prozentual deutlich angehoben werden. Deshalb streben wir eine Kindergeldreform an, die bewirkt, daß an Spitzenverdiener kein Kindergeld zu zahlen ist.
({8})
Ausdrücklich betone ich, daß deshalb das duale System aus einem Steuerfreibetrag in Höhe des Existenzminimums für Kinder, das den zielgenauen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllt und das die Ausgestaltung der Familienförderung nach Bedarfsgesichtspunkten uneingeschränkt ermöglicht, allen anderen Systemen vorzuziehen ist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dieses Ziel nachdrücklich verfolgen. Wir wissen, daß die Bundesfamilienministerin auf unserer Seite ist. Deshalb werden wir ihr in Verfolgung unseres gemeinsamen Zieles den Rücken stärken und fordern alle Beteiligten, denen es ernst mit der Familienpolitik ist, auf, uns in der Umsetzung dieses Zieles zu unterstützen.
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Das Wort hat die Kollegin Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink.
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- Entschuldigung, da liegt mir die falsche Liste vor.
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- Entschuldigung, der Fehler liegt nicht beim Präsidium. Die Kollegin Funke-Schmitt-Rink war zweimal gemeldet und hat jetzt einmal zurückgezogen.
Das Wort hat die Kollegin Doris Odendahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema dieser heutigen Aktuellen Stunde über die Benachteiligungen von Familien mit Kindern und niedrigem Einkommen ließe sich in jeder Sitzungswoche aus immer neuen Anlässen diskutieren.
({0})
Der Katalog immer neuer Leistungskürzungen, mit dem Familien mit Kindern und kleinem Einkommen von dieser Bundesregierung von Monat zu Monat abgestraft werden
({1})
- ich komme gleich zum Detail -, ist beispiellos. An dieser Strafexpedition sind nahezu alle Ressorts beteiligt: Familie und Senioren, Frauen und Jugend, Arbeit und Soziales, Wohnen, Gesundheit und Finanzen.
Das hat nun offenbar den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft nicht ruhen lassen. Deshalb hat er mit der heute im Kabinett beschlossenen 17. BAföG-Novelle gleich zweimal zugeschlagen: Das Bundesausbildungsförderungsgesetz wird eingefroren - schönes Wort -, Kindern aus einkommensschwachen Familien wird damit der Zugang zu weiterführender Bildung versperrt. Wer arm ist, braucht auch nicht zu studieren, heißt offenbar die neue Bildungspolitik dieser Bundesregierung.
({2})
Ich muß jetzt schon ganz nachdrücklich fragen: Schämen Sie sich denn da eigentlich gar nicht?
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In ihrem eigenen 10. BAföG-Bericht führt die Bundesregierung aus, daß nach den beiden Kriterien des § 35 BAföG, der Entwicklung der Einkommensverhältnisse und der Veränderung der Lebenshaltungskosten, eine Anpassung der Bedarfssätze um mindestens 6 % zum Herbst 1994 sowie eine Anpassung der Freibeträge um 3 % jeweils zum Herbst 1994 und Herbst 1995 angemessen wäre.
Der Bundesbildungsminister spricht inzwischen von einem „BAföG de luxe". So luxuriös ist aber die Studentenwelt nicht.
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- Das ist in Ordnung, Frau Baumeister. Nur, inzwischen haben sich generell die Voraussetzungen sehr verändert. Sie waren schon lange nicht mehr da.
Ich will jetzt gar nicht sagen, wovon Studierende heute leben. Aber toll ist, daß zur gleichen Zeit damit die von allen gewollte und angestrebte Verkürzung der Studienzeiten
({5})
angesichts der katastrophalen Situation der Hochschulen, aber auch angesichts der sozialen Situation der Studierenden überhaupt nicht denkbar wäre. Das paßt so schön zusammen. Damit machen Sie die angestrebten Ziele der Hochschulreform systematisch kaputt. Das ist der eine Teil.
Nun ist es mit dem Einfrieren allein nicht genug gewesen; denn immer, wenn es zur Kürzung sozialer Leistungen kommt, kommt der Mißbrauchsgedanke ins Spiel. Auf den gehe ich jetzt auch noch ein.
Als überzeugender Abschreckungseffekt für ein Hochschulstudium sollen künftig generell allen Eltern, deren Kinder nicht zügig studieren, KinderDoris Odendahl
geldanspruch und Steuerfreibetrag entzogen werden. Ein Leistungsnachweis soll nunmehr nach zwei Semestern erfolgen. Wer ihn nicht erbringt, fliegt nicht nur aus der Förderung, sondern die Eltern werden gleich doppelt bestraft.
Was hat das alles mit Familienlastenausgleich zu tun? Kinder in der Ausbildung kosten Geld. Kinder, die von ihren Eltern auf weiterführende Einrichtungen geschickt werden, verursachen mehr Kosten als andere.
Noch vor wenigen Wochen hat der Bildungsminister im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft erklärt, daß die Anpassung der Bedarfssätze und der Einkommensfreibeträge aus dem BAföG-Titel des Ministeriums erbracht werden könne. Sie sei finanziell abgedeckt.
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- Das hat alles etwas mit dem Familienlastenausgleich zu tun. Ich sage Ihnen auch warum. Sie haben hier X Anhörungen auf Antrag Ihrer eigenen Fraktion gemacht, wie man den Familienlastenausgleich im Bereich der Ausbildung betreiben könne. Nichts haben Sie dazugelernt.
Meine Damen und Herren, weil Sie immer wieder fragen, warum das dazugehört: BAföG ist und bleibt ein Sozialleistungsgesetz, das nicht zur Steuerung des Hochschulzugangs und der Studiendauer auf dem Rücken von Studierenden aus einkommensschwächeren Verhältnissen mißbraucht werden darf.
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Sie hatten sich ja einmal zum Ziel gesetzt, den Familienlastenausgleich in Gang zu bringen. Inzwischen mußte das Bundesverfassungsgericht Ihnen dabei nachdrücklich mit Fristsetzung auf die Sprünge helfen. Ihre Ankündigungen waren vollmundig, Ihr Leistungsnachweis ist beschämend. Ihre Vorschläge zur 17. BAföG-Novelle heißen Einfrieren, Abschrekken und Aussperren.
Die SPD-Fraktion wird Ihren Vorstellungen energisch entgegentreten; und die SPD-regierten Länder werden im Bundesrat diesem neuen Anschlag auf Familienlastenausgleich - denn das hat damit zu tun - und auf Chancengleichheit in der Bildung Einhalt gebieten.
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Herr Kollege Gunnar Uldall, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Frau Matthäus-Maier, Sie waren schon viel besser. Früher konnten Sie zu großen finanzpolitischen Themen hier im Plenum sprechen; und heute reicht offensichtlich schon ein schwieriges, ein kompliziertes Thema, um hier eine Debatte zu entfachen in der Hoffnung, daß die Öffentlichkeit oder die hier teilnehmenden Abgeordneten nicht in der Lage sind, so schnell die komplizierten Sachzusammenhänge nachzuvollziehen. Sie werden im Laufe meines Beitrags hören, was im einzelnen hierzu zu sagen ist.
Sie rufen in Ihrem Beitrag den Eindruck hervor, Frau Matthäus-Maier, als wenn es für Familien mit Kindern eine Verschlechterung geben würde.
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Dieses ist nicht richtig. Ich freue mich, daß Sie das schon jetzt korrigieren.
({1})
In Ihrem Beitrag klang das eben ganz anders. - Frau Odendahl hat vorhin von Leistungskürzungen gesprochen. Auch dieses ist nicht richtig. Ich fordere Sie auf: Nennen Sie eine Familie, bei der eine Verschlechterung durch die Gesetzgebung eingetreten ist, die wir hier besprechen! Sie werden es nicht können. Aber wir können viele Familien nennen, bei denen es eine Verbesserung gegeben hat, Frau Matthäus-Maier.
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Sie nutzen eine schwierige und komplizierte Rechtslage aus, die schwer zu verstehen ist, um Unsicherheit zu verbreiten. Dieses ist nicht richtig.
Die Grafik, die neulich in einem Magazin abgebildet war, mag in sich richtig sein. Aber diese Grafik ist, wenn sie allein betrachtet wird, im Rahmen einer steuerpolitischen Diskussion nicht aussagefähig. Denn diese Grafik stellte auf die Entlastungswirkung ab. Dieses ist jetzt der Kernfehler, sehr geehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, den Sie gemacht haben. Eine Entlastungswirkung kann nur dann eintreten, wenn es vorher eine Belastung gegeben hat. Da wir aber durch die Änderung der Steuergesetzgebung vor einem Jahr die Belastung beseitigt haben, zieht natürlich auch die Entlastung nicht mehr.
Dieses möchte ich an einigen Zahlen erläutern. Es tut mir leid: Finanzpolitik ist immer mit Zahlen verbunden. Aber das macht die Finanzpolitik ja auch so schön, denn man kann das dann nicht so, wie man es gern möchte, interpretieren;
({3})
sondern in der Finanzpolitik steht man zu dem, was dann in Zahlen exakt auszudrücken ist.
Bei einer ledigen Mutter mit einem Kind trat eine Steuerpflicht bisher erst nach Abzug von Werbungskosten, Vorsorgepauschalen, aber ohne Abzug des Kinderfreibetrages bei einem Einkommen von 5 616 DM ein. Diese Mutter erhielt den vollen Kindergeldzuschlag von 780 DM. Dieses bleibt.
Die zweite kritische Größe in Höhe von 9 720 DM ist bei der ledigen Mutter mit einem Kind zu finden, die den Kinderfreibetrag voll ausnutzen kann. Hier ändert sich nichts.
Die dritte kritische Größe findet man bei einer Mutter mit 14 633 DM, die den Kinderfreibetrag voll auslasten kann und dann unter die neue, angehobene Steuerfreigrenze rutscht. Diese Mutter wird durch unsere Gesetzgebung um 932 DM entlastet. 932 DM
- gönnen Sie das dieser Mutter nicht, Frau Matthäus-Maier?
({4})
Warum wurde der Steuerbetrag gesenkt? Weil das Verfassungsgericht gefordert hatte, daß das Existenzminimum freigestellt wird. Nun könnte man sagen: Auch bei dem Kind müßte das Existenzminimum freigestellt werden. Richtig, Frau Kollegin. Und genau das hatten wir ein halbes Jahr vor dem Verfassungsgerichtsurteil getan. Deswegen wurde es vom Verfassungsgericht nicht erneut gefordert. Wir haben damals, im Frühjahr 1992 - ein halbes Jahr vor dem Verfassungsgerichtsurteil -, rückwirkend zum 1. Januar den Kinderfreibetrag um 1 000 DM angehoben, das Erstkindergeld um 40 % erhöht, den Kindergeldzuschlag auf monatlich 65 DM angehoben, und wir hatten damit exakt den Betrag erreicht, den ein Kind als Existenzminimum steuerfrei erhalten muß.
Herr Kollege, bitte!
Darf ich den einen Satz zu Ende bringen?
Damit haben wir exakt das getan, was notwendig war und was deswegen vom Verfassungsgericht in seinem anderen Urteil nicht mehr gefordert wurde.
Meine Damen, meine Herren
Herr Kollege, das war der Satz!
Abschließend - es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ich melde mich noch einmal oder ich darf -
Nein, nein! Fünf Minuten - und basta! Bitte, Herr Kollege, ich habe Sie aufgefordert, und Sie haben noch 16, 17, 20, 25 Sekunden dazu gesprochen. Wir haben fünf Minuten vereinbart. Bitte, lassen Sie den nächsten Kollegen an das Rednerpult!
Ich werde mich noch einmal melden.
Und ich werde Ihnen das Wort nicht mehr erteilen!
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Als nächster hat der Kollege Michael Habermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Uldall, Familien geht es schon so schlecht, daß Sie große Mühen haben werden, weitere Maßnahmen zu ersinnen und zu erfinden, damit es ihnen noch schlechter geht. Aber solche Maßnahmen fallen dieser Bundesregierung sicher auch noch ein; denn ich habe gehört: Selbst wenn Sie den Familien das letzte Hemd ausgezogen haben, würde dann Theo Waigel die FKK-Steuer für Familien einführen.
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Mit diesem Kindergeldskandal, liebe Kolleginnen und Kollegen, zeigt die Bundesregierung ihr wahres Gesicht. Sie nutzt das Dickicht des Paragraphengestrüpps des Kinderlastenausgleichs, um Familien den ihnen verfassungsrechtlich zustehenden Kinderlastenausgleich unbemerkt zu verweigern.
Für die Öffentlichkeit wird die Problematik heruntergespielt: Alles ist nur halb so schlimm; wir haben das Problem erkannt; ab 1996 wird alles besser. Alles klar auf der Titanic!
Die SPD ist derweil für die Familienministerin und I für die Union zum Buhmann geworden. Wir versuchen angeblich, eine komplizierte Materie für Wahlkampfzwecke zu mißbrauchen, und wir verunsichern die Familien mit Halbwahrheiten.
In der Tat, der Kinderlastenausgleich ist eine komplizierte Materie. Er ist zudem in seiner gegenwärtigen Form sozial ungerecht sowie in seiner Höhe wirkungslos und, wie Sie ihn insgesamt handhaben, auch verfassungswidrig. Ihr kompliziertes duales System des Kinderlastenausgleichs hat versagt. Und Sie haben auch recht: Wir Sozialdemokraten werden diesen viel zu komplizierten Kinderlastenausgleich und das, was Sie damit Familien antun, in den kommenden Wochen und Monaten geißeln.
Nicht wir Sozialdemokraten mißbrauchen Ihre skandalöse Familienpolitik, sondern Sie mißbrauchen die Familien seit Jahren als Ihre Sparbüchse im Bundeshaushalt. Dagegen wehren wir uns gemeinsam mit den Familien in Deutschland.
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Wir verunsichern auch nicht mit Halbwahrheiten. Nein, wir klären auf, wo wir Ihre Unwahrheiten aufdecken. Die Menschen in diesem Land sind verunsichert, weil Ihr Reden und Ihr Handeln nicht mehr übereinstimmen, weil Sie nicht halten, was Sie versprechen und weil Sie sich in Ihrer Familienpolitik nicht einmal an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten.
Die Arbeitsteilung bei Ihnen funktioniert. Während die Bundesregierung und die Union nicht nachlassen, Leistungsverbesserungen zu versprechen, kassieren Sie bei Familien ab. Mit dem neuesten Kindergeldskandal verlieren Sie und die Bundesregierung vollends Ihr Gesicht.
Während sich die Koalitionsparteien bei Vorschlägen für die Besserstellung von Familien überschlagen, greifen Sie, Frau Ministerin, den Familien ungeniert und hemmungslos in die Tasche. Sie betreiben derzeit Sozialabbau mit Hilfe des Paragraphendschungels des Kinderlastenausgleichs, und Sie halten daran fest.
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Sind 517 DM Steuerfreistellung pro Kind und Monat schon lange nicht mehr das Existenzminimum für ein Kind, so müssen Hunderttausende von Familien jetzt erfahren: Noch nicht einmal diese dürftige Steuerfreistellung erhalten sie. Hunderttausende Familien werden zur Zeit aus dem dualen System des Lastenausgleichs hinauskatapultiert. Weder Kinderfreibeträge
noch Kindergeldzuschlag können sie nutzen. Und: Sie wußten, was Sie taten.
Da hilft auch nicht die erste Schutzbehauptung Ihrer Pressestelle vom 21. Januar, Frau Ministerin. Angeblich war Ihnen dieser Sachverhalt nicht bekannt. Nach der Presse vorliegenden Informationen wurde die politische Führung des Familienministeriums - und damit Sie - umfassend informiert, und das schon im Frühsommer 1993. Am 24. Januar geben Sie dann zu, daß Sie durchaus die Probleme sehen, die entstanden sind. Aber Sie halten es für zumutbar, daß die Familien über drei Jahre keine das Existenzminimum der Kinder steuerfreistellende Leistungen erhalten.
Die Taktik Ihres Pressereferates, Ihnen Unkenntnis über den Vorgang zu attestieren, macht die Sache nur noch schlimmer. Was sind Sie eigentlich für eine Ministerin, die nicht über elementare Dinge ihres Hauses Bescheid weiß? Was wissen Sie sonst alles nicht, was an familienpolitisch relevanten Vorgängen in diesem Haus bearbeitet wird? Mit welcher Kompetenz wollen Sie für die Interessen von Familien streiten?
Frau Ministerin, Sie haben nicht nur keine Nähe zu den Lebenslagen von Familien in diesem Land, Sie haben auch Ihr Haus nicht im Griff. Sie können es nicht führen.
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Sie haben in Ihrer Chefetage ein Bermuda-Dreieck, in dem wichtige Informationen einfach verschwinden. Einmal weiß die Staatssekretärin nicht, was Sie über das Existenzminimum von Kindern geschrieben haben. Dann wollen Sie nicht wissen, daß dieses Existenzminimum für hunderttausende Familien schon heute nicht mehr verfassungsgemäß gehandhabt wird.
Statt eines familienpolitischen Bauchladens, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen die Familien eine ehrliche und verläßliche Politik, die vor allem sozial gerecht ist. Diese Bundesregierung hat seit ihrem Regierungsantritt die Familien planmäßig, wohlüberlegt und in bewußter Absicht benachteiligt. Ihre Sonntagsreden können sich Familien ersparen. Auf Ihre leeren Versprechungen können Familien verzichten. Aber auf eine verfassungskonforme Behandlung, auf ein Minimum an sozialer Gerechtigkeit und auf die Rückgabe des Geldes, das Sie verfassungswidrig Familien wegnehmen, wollen Familien nicht verzichten. Und das mit Recht!
Kehren Sie als Bundesregierung unverzüglich zu einer verfassungskonformen Politik für Familien zurück, und, Frau Rönsch, ziehen Sie Konsequenzen aus Ihrem Versagen!
Herr Kollege, jetzt ist Ihre Redezeit zu Ende.
Weder Sie noch Ihre Politik haben die Familien in Deutschland verdient.
Herr Präsident, ich bin zu Ende.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried Fockenberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kampagne entlarvt die Unkenntnis ihrer Verursacher.
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Das, was wir in den letzten Tagen in Zeitungen lesen und in Magazinsendungen im Fernsehen sehen und hören konnten, übersteigt das Maß dessen, was noch politisch verantwortbar ist.
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Behauptet wird - und auch Herr Habermann konnte es gerade nicht sein lassen -, daß die Bundesministerin für Familie und Senioren trotz entsprechender Informationen ihres Hauses es versäumt habe, den Kindergeldzuschlag an eine neue Steuerfreigrenze anzupassen, und damit vielen Familien etwas vorenthalten habe, was ihnen angeblich zustehen soll.
Wenn das so wäre, könnte ich die Aufregung sogar verstehen. Eine genaue Beschäftigung mit den zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Zusammenhängen zwischen Steuerrecht und Kindergeld führt aber sehr schnell zu der Erkenntnis, daß hier offensichtlich viel zu früh und ohne Sachkenntnis Behauptungen in die Welt gesetzt wurden, die der Familienministerin schaden sollen, den Familien aber offensichtlich nicht helfen.
Für mich ist deutlich, daß der Kindergeldzuschlag dem Verlauf des Steuertarifs nachgebildet ist. Seine Höhe verläuft unterhalb des Grundfreibetrages genau spiegelbildlich der nach unten verlängerten Besteuerungslinie, und zwar so lange, wie der Kinderfreibetrag nicht ausgeschöpft werden kann.
Der Kindergeldzuschlag, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist also an zwei Voraussetzungen gebunden:
Erstens. Es muß sich um ein zu versteuerndes Einkommen unterhalb des Grundfreibetrages handeln.
Zweitens. Die Einkünfte, die der Berechnung zugrundegelegt werden, müssen Einkünfte im Sinne des Steuerrechts sein.
Die Steuerfreigrenze der Übergangsregelung zur Verwirklichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 1992 ist weder ein erhöhter Grundfreibetrag, wie es von vielen der Kritiker einfach unterstellt wird, noch ist diese Steuerfreigrenze nur durch Einkünfte im Sinne des Steuerrechts definiert. Hinzuzurechnen sind vielmehr im wesentlichen alle Transfers außer der Sozialhilfe. Es können also durchaus Familien oberhalb der Besteuerungsgrenze liegen, die mit ihrem zu versteuernden Einkommen unterhalb des alten Grundfreibetrages liegen. Das macht deutlich, daß die geforderte Anpassung des Kindergeldzuschlags an das neue Recht ohne große rechtliche Veränderungen einfach nicht möglich ist. Ich habe auch keinen Hinweis darauf gefunden, daß sie rechtlich geboten sei.
Deshalb unterstütze ich die Bundesfamilienministerin nachdrücklich in ihrer Feststellung, daß es zu der geltenden Übergangsregelung keine bessere Alternative gegeben hat.
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Ich setze mich allerdings mit gleichem Nachdruck dafür ein, daß wir bei der endgültigen Regelung, die spätestens 1996 in Kraft treten muß, das Kindergeld unterhalb der Besteuerungsgrenze so hoch ansetzen müssen, daß die derzeitige Diskussion dadurch überflüssig wird.
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Zu einer Kurzintervention die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Herr Uldall, Sie haben meine Ausführungen mit der Bemerkung kritisiert: Wenn es keine steuerliche Belastung gibt, kann es auch keine Entlastung geben. Dies ist unzutreffend. Der Kindergeldzuschlag ist damals genau dafür geschaffen worden, daß diejenigen, die zuwenig verdienen, die also auch keine Steuern zahlen, um in den Genuß des steuerlichen Kinderfreibetrages zu kommen, als Ersatz dafür den Kindergeldzuschlag erhalten. Ich lese noch einmal den einen Satz aus ihrer offiziellen Broschüre vor:
Kann wegen niedrigen Einkommens dieser steuerliche Kinderfreibetrag nicht oder nicht voll genutzt werden das heißt, ist die steuerliche Belastung nicht da -,
wird als Ausgleich hierfür ein Zuschlag zum Kindergeld gezahlt.
Dies enthalten Sie den Familien mit niedrigen Einkommen vor.
Frau Rönsch sagte, ich hätte die Unwahrheit gesprochen. Frau Rönsch, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen; die Wahrheit ist - daran kommt niemand vorbei -: Es gibt in diesem Lande Hunderttausende von Familien mit Kindern und niedrigen Einkommen, die einerseits nicht in den Genuß der Entlastung des Kinderfreibetrages bei der Steuer kommen und andererseits zugleich auch nicht in vollem Maße in den Genuß des Kindergeldzuschlages kommen. Diese Kombination, weder das eine noch das andere, widerspricht dem System, ist familienfeindlich und unsozial. Ich frage Sie einfach: Warum können Sie sich nicht dazu durchringen, diesen Familien endlich die ihnen zustehenden 65 DM zu gewähren?
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Ein weiterer Punkt: Frau Funke-Schmitt-Rink sprach mich auf das „Dienstmädchenprivileg" an. Ich möchte Ihnen erklären, wie es zu dieser Wortschöpfung gekommen ist. Dies geschah selbstverständlich nicht, um Haushaltshilfen zu diskriminieren. Viele von uns können ihre Tätigkeit überhaupt nur wahrnehmen, weil sie Haushaltshilfen haben. Nein, es ist durch folgenden Ablauf entstanden:
Frau Kollegin, die zwei Minuten sind um.
Darf ich das noch eben erklären?
Ja.
Ich habe folgendes gesagt: Es kann doch wohl nicht sein, daß Otto Normalverbraucher seine Kinder morgens in den Kindergarten schickt und den oft hohen Kindergartenbeitrag nicht von der Steuer absetzen kann, aber reiche Leute, gut verdienende, die nachmittags die Kindergärtnerin vom Vormittag privat für ihre beiden Kinder einstellen, 12 000 DM von der Steuer absetzen können und davon über die Hälfte vom Staat zurückbekommen. Dies gab es nicht einmal unter Kaiser Wilhelm, daß ich Dienstpersonal zur Hälfte vom Staat bezahlt bekomme. Dies ist der Hintergrund, vor dem dieses Wort geprägt wurde. In der Sache ist es richtig. Wir werden es abschaffen, dann haben wir eine halbe Milliarde Mark, um die Position der Familien mit Kindern zu verbessern.
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Frau Kollegin MatthäusMaier, Sie haben mich mit Ihrer Wortmeldung in eine geschäftsordnungsmäßige Zwickmühle gebracht; denn im Grunde müßten jetzt alle drei angesprochenen Kolleginnen und Kollegen noch einmal das Wort nehmen können.
Als erster hat der Kollege Uldall das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, ganz kurz zu den sogenannten Dienstmädchen. Wenn Sie nicht ermöglichen, daß für sie ordnungsgemäß Beiträge an die Sozialversicherung und Steuern abgeführt werden müssen, dann drängen diese Mädchen in die Schwarzarbeit.
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Die Mädchen, die in den Haushalten arbeiten, stehen dann ohne Altersversorgung da.
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- Für denjenigen, der ein solches Dienstmädchen einstellt, ist das finanziell ein Nullsummenspiel.
Die SPD hat durch Herrn Habermann eben wieder behauptet, daß Hunderttausende von Familien herauskatapultiert werden würden. Ich stelle noch einmal fest: Es gibt nicht eine Familie, die herauskatapultiert und schlechtergestellt wird. Aber es gibt viele Familien, die bessergestellt werden.
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Schließlich hat die SPD diesem Gesetzgebungsvorhaben im Bundesrat doch zugestimmt. Herr Habermann, wir kennen uns ja gut aus dem Finanzausschuß. Sie haben dort keinen Gegenantrag gestellt. Hier handelt es sich also einfach um Verunsicherung von Bürgern, die eine schwierige Materie natürlich nicht so leicht verstehen können.
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Ein letzter Satz: Es ist mehrfach Frau Ministerin Rönsch angesprochen worden. Als Finanzpolitiker habe ich erlebt, wie Sie, Frau Ministerin, hart und energisch für die Belange der Familien gekämpft und sich durchgesetzt haben. Die Kritik der SPD ist absolut haltlos. - Sie haben unser Vertrauen, Frau Ministerin.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnungspunkte.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 3. Februar 1994, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.