Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/21/1994

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Unsere Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Jürgen Sikora, Werner Dörflinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Walter Hitschler, Jörg Ganschow, Lisa Peters, Hans Schuster und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des Wohnungsbaues ({0}) - Drucksache 12/6616 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Haushaltsausschuß gem. § 96 GO Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir können also beginnen. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt Herr Jürgen Sikora.

Jürgen Sikora (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002175, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die in den letzten Jahren um den sozialen Wohnungsbau geführte Diskussion läßt unzweifelhaft erkennen, daß wir dringend zu einer grundlegenden Neuorientierung im sozial geförderten Wohnungsbau kommen müssen, ein Vorhaben, das keinen weiteren Aufschub zuläßt, da immer mehr erkennbar wird, daß wir nicht mehr in der Lage sind, den Fehlsteuerungen mit den aus den 50er Jahren stammenden Fördermodalitäten des sozialen Wohnungsbaus sozial gerecht zu begegnen. ({0}) Dabei zeigt sich, daß die traditionelle intensive Förderung im ersten Förderweg mit zum Teil sehr niedrigen Mieten an die Grenze ihrer Finanzierbarkeit gekommen ist. Auch die Tatsache, daß die Sozialmieter nur beim Bezug der geförderten Wohnung einen Wohnberechtigungsschein benötigen und die Bewilligungsmiete dann auf Dauer festgelegt wird, ohne daß im weiteren Verlauf des Mietverhältnisses die künftige Einkommensentwicklung berücksichtigt wird, erweist sich dabei als besonders ungerecht. Bei steigendem Einkommen kommt es daher immer wieder zu Fehlsubventionierungen, die über die Fehlbelegungsabgabe nur unvollständig ausgeglichen werden können. Insoweit erweist sich das traditionelle Fördersystem immer mehr als sozial ungerecht gegenüber denen, die keine Sozialwohnung bekommen können, ({1}) sowie aber auch im Verhältnis der Berechtigten untereinander. Auch die zunehmende Kluft zwischen der Zahl der bedürftigen Haushalte und der Zahl der geförderten Wohnungen führt dabei immer mehr zu sozialen Ungerechtigkeiten, in deren Folge teilweise echte Problemgruppen des Wohnungsmarktes zu kurz kommen. Eine bloße Beschränkung beispielsweise des ersten Förderwegs auf kleine soziale Problemgruppen wäre dabei gleichwohl unbefriedigend, da sie zu unüberwindbaren Hindernissen für diejenigen führen würde, die geringfügig oberhalb der zur Zeit geltenden Einkommensgrenze liegen und auf dem freien Markt dann meist weitaus höhere Mieten zahlen müßten. ({2}) Meine Damen und Herren, das herkömmliche Fördersystem mit seinen starren und unflexiblen Rahmenbedingungen führt mittlerweile auch dazu, daß infolge einheitlicher Herabsubventionierungen des Mietpreises für alle Haushalte in einem Wohngebäude des sozialen Wohnungsbaus eine angemessene soziale Durchmischung der Neubauten bei Vermeidung eklatanter Fehlbelegungen nicht mehr möglich ist - ein Ergebnis, das heute dazu führt, daß sich durch die einseitige Belegung von Sozialwohnungen Ghettos bilden, in deren Folge der soziale Wohnungsbau nicht nur weiteren Zerreißproben ausgesetzt ist, sondern auch in seiner Akzeptanz, meine Damen und Herren, erheblich belastet wird. Vor dem Hintergrund der unverkennbar gewordenen Problemlagen kann es daher, meine Damen und Herren, keine Zweifel daran geben, daß der soziale Wohnungsbau einer umfassenden Reform unterzogen werden muß. Als Einstieg auf dem Weg zu einer solchen Reform legen wir Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Wohnungsbaus vor, mit dem sich die Absicht verbindet, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus insgesamt zielgerechter auf die individuelle Bedürftigkeit des einzelnen auszurichten, wobei Fehlbelegungen mit Fehlsubventionierungen von vornherein vermieden werden sollen. Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß es dabei nicht darum gehen kann, etwa nur bei den Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau etwas zu verändern und im übrigen alles beim alten zu lassen. Das heißt nicht, meine Damen und Herren, daß wir nicht bereit wären, die Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau zu aktualisieren. Nur, hier sind wir schon der festen Überzeugung, daß mit der bloßen Heraufsetzung der Einkommensgrenzen nicht viel mehr erreicht wird, als daß lediglich der Kreis der Berechtigten erweitert wird, ohne daß eine einzige zusätzliche Wohnung geschaffen werden kann. ({3}) Damit, meine Damen und Herren, hätten wir genau das Gegenteil von dem erreicht, was wir wollen. Denn daß die besonders bedürftigen Sozialwohnungsberechtigten damit schlechtergestellt würden als zuvor, muß jedem klar sein. Hier sind wir schon der festen Überzeugung, daß wir jetzt alles dafür tun sollten, mehr Treffsicherheit für diejenigen zu erreichen, die besondere Versorgungsschwierigkeiten am Wohnungsmarkt haben. Deswegen beabsichtigen wir auch, eine modifizierte Regelung für die Einkommensgrenzen zu treffen, die die bisherige Benachteiligung überwinden und Belegungsstrukturen verbessern helfen sollen. Unter dem Aspekt der Fördergerechtigkeit und des sparsamen Mitteleinsatzes ist es daher unser Ziel, bei Erhöhung der Einkommensgrenzen das Fördersystem auf eine einkommensabhängige Wohnungsbauförderung umzustellen. Ein Vorhaben, das, meine Damen und Herren, im Konzept bereits seit 1992 von der Bundesregierung vorgelegt und im übrigen gemeinsam mit den Ländern, Kommunen und Wohnungsunternehmen in einem sogenannten Planspiel letzten Jahres durchgeprobt worden ist. ({4}) - Ich füge Ihrer Bemerkung nichts hinzu. Danach soll in Zukunft, meine Damen und Herren, die Förderung einmal aus einer Grundförderung bestehen, die geringer ist als die bisherige Förderung im ersten Förderweg und die sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientiert. Mit ihr werden Belegungsbindungen und die gegebenenfalls bestehende Differenz zwischen festzulegender Miete und Marktmiete abgegolten. Die festzulegende Miete soll danach der Vergleichsmiete entsprechen. Hierzu soll künftig eine Zusatzförderung kommen, die je nach Einkommenssituation und Haushaltsgröße des Mieters mögliche Härten durch die festzulegende Miete sozial abfedern soll. Diese Zusatzförderung wird in gewissen Zeitabständen überprüft und an die aktuelle Einkommenssituation und an die Miethöhe angepaßt. Die Grund- und die Zusatzförderung bleiben dabei objektgebunden. Leitgedanke dieser Förderungskonstruktion ist das Prinzip, den Leistungsstärkeren eine höhere Miete zuzumuten, um denjenigen mehr helfen zu können, die die Miete nicht allein zahlen können. ({5}) Mit Blick auf das Problem der Fehlbelegung kann festgestellt werden, daß es in Zukunft für den Neubaubereich im sozialen Wohnungsbau keine Fehlbelegungen und Fehlsubventionierungen mehr geben wird. Ergänzend hierzu werden die für den Bezug einer Sozialwohnung entscheidenden Einkommensgrenzen um 30 erhöht, was zu einer Erweiterung des Begünstigtenkreises von bisher 32 auf künftig 37 % der Haushalte führen wird. Mit dem Ziel der Beseitigung von Benachteiligungen und der Verbesserung von Belegungsstrukturen ist eine Neufassung des Einkommensbegriffs vorgesehen, der künftig auf das verfügbare Einkommen ausgerichtet ist. Danach werden künftig alle positiven Einkünfte sowie auch Lohnersatz- und Sozialleistungen zur Berechnung herangezogen. In diesem Zusammenhang ist für die Ermittlung des Jahreseinkommens der Abzug von besonderen Freibeträgen für Alleinerziehendenhaushalte mit heranwachsenden Kindern, für Haushalte mit Schwerbehinderten und für Haushalte junger Ehepaare vorgesehen. In Zukunft für erwerbstätige Haushalte einen pauschalen Abzug von jeweils 10 % für Steuern vom Einkommen, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung einzuführen kann je nach Einzelfall eine Anhebung der pauschalen Abzugsbeträge um bis zu 30 % insgesamt bedeuten. Im Zuge dieser Neuregelung soll zugleich auch der Weg für eine Vereinheitlichung der Einkommensregelungen in der Wohnungsbauförderung und beim Wohngeld eröffnet werden. Zur Vermeidung einseitiger Belegungsstrukturen im kommunalen Wohnungsbestand sowie im Bereich des Genossenschaftswesens bzw. werkgeförderten Wohnungsbaus wollen wir durch Änderung der Freistellungsregelung im Wohnungsbindungsgesetz sicherstellen, daß künftig wieder eine bedarfsgerechte Belegung dieser personengebundenen Wohnungsbestände erfolgen kann. Im Vorgriff auf eventuelle zusätzliche Regelungen wollen wir bereits jetzt die gesetzliche Grundlage für eine Orientierung des sozialen Wohnungsbaus an einer kosten- und flächensparenden Bauweise schaffen. Der Gesetzentwurf sieht daher eine grundsätzliche Verpflichtung für eine Förderbestimmung vor, der zufolge künftig nur der Wohnungsbau gefördert werden soll, der den Anforderungen des kosten- und flächensparenden Baus Rechnung trägt. Es kommt neu hinzu, daß künftig als weitere Förderungsart des Wohnungsbaus die Sicherung von Belegungsrechten für die Kommunen zugunsten sozial benachteiligter Haushalte ermöglicht werden soll. Deshalb ist vorgesehen, über eine Modernisierungsförderung Belegungsrechte im Wohnungsbau erwerben zu können, um über diesen Weg auslaufende Belegungsbindungen zu verlängern oder im freifinanzierten Wohnungsbau und im Wohnungsbestand gegebenenfalls neu begründen zu können. Eine solche Regelung ist auch deswegen erforderlich, weil in den kommenden Jahren ein Großteil der in den 50er Jahren preisgünstig gebauten Wohnungen aus ihren sozialen Bedingungen herauswachsen werden. Meine Damen und Herren, mit dem Modell der einkommensorientierten Förderung wird nicht nur eine größere soziale Treffsicherheit erreicht werden, sondern infolge der verbesserten Fördereffizienz kann insbesondere auch eine größere Zahl von Wohnungen gefördert werden. So lassen diese Neuregelungen beispielsweise durchaus berechtigt erwarten, daß das einkommensorientierte Fördermodell um ca. 30 kostengünstiger sein kann als herangezogene Vergleichsmodelle. Im Vergleich zum reinen ersten Förderweg alter Prägung kann die Förderintensität pro Wohnung sogar um bis zu zwei Drittel des finanziellen Aufwandes für eine traditionelle Sozialwohnung gesenkt werden, was im Ergebnis bedeutet, daß wir mit gleichen öffentlichen Mitteln erheblich mehr Wohnungen fördern können, als das bislang der Fall war. Auch was den Anreiz für Investoren anbelangt, kann festgestellt werden, daß sich allein aus der Mietenkonzeption in Zukunft wieder erhöhte Anreize für den Wohnungsbau ergeben dürften. So bietet der vorliegende Gesetzentwurf den Investoren die Möglichkeit, annähernd die Mietkonditionen zu vereinbaren, die im frei finanzierten Wohnungsbau gelten. Dabei dürfte wesentlich sein, daß eine Dynamisierung der Mieten sowie die Vereinbarung kürzerer Belegungsbindungen mit der Förderung verbunden werden können. Die Anwendung der einkommensorientierten Förderung ist im Rahmen des sogenannten dritten Förderweges vorgesehen, wobei den Ländern die Weiterführung des ersten und des zweiten Förderweges weiterhin freigestellt bleiben wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Sikora, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seifert?

Jürgen Sikora (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002175, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr, ja.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Sikora, befürchten Sie nicht, daß, wenn sich selbst die Sozialmiete an der frei vereinbarten Vergleichsmiete orientiert, insgesamt ein Preisauftrieb im Vergleichsmietensystem entsteht, weil der Druck von unten da ist?

Jürgen Sikora (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002175, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Kollege Seifert, das befürchten wir nicht. Wenn wir das befürchteten, würden wir Ihnen nicht eine solche Regelung vorschlagen. Im Gegenteil, wir glauben, daß wir - ich habe deutlich darauf hingewiesen; der Gesetzentwurf weist es auch aus - mit dem Modell mit Grundförderung, Zusatzförderung und Wohngeld eine Basis geschaffen haben, die durchaus zu einer Vergünstigung führt, weil wir eben auch kostensparend bauen können. Ich habe eben darauf hingewiesen, wir können im Wohnungsbau insgesamt schon von der Bausubstanz kostensparend bauen und können von daher auch entsprechende Mieten kalkulieren. Sie werden im Vergleich zum Markt im übrigen nicht höher sein, sondern allenfalls ortsüblich, und das kann, wie wir wissen, auch niedriger sein. ({0}) - Auch das gehört natürlich dazu. - Also, Herr Kollege Seifert, diese Bedenken tragen wir nicht, ganz im Gegenteil. Meine Damen und Herren, zurückkommend auf den Gesetzentwurf ist zu sagen, daß der in der Vergangenheit ab und an schon einmal totgesagte soziale Wohnungsbau vor dem Hintergrund der angespannten Wohnungsmarktlage in den kommenden Jahren eher noch an Bedeutung gewinnen wird. Die Zukunft des Wohnungsbaus liegt allerdings in mehr Flexibilität und Überwindung alter, verbrauchter Mechanismen. Deswegen halten wir es jetzt auch für richtig, daß der Einstieg in eine Neuordnung vorgenommen wird, wobei wir erst in der nächsten Legislaturperiode zu einer zusammenfassenden Reform durch ein drittes und damit neues Wohnungsbaugesetz kommen können. Dabei liegt uns sehr daran, nunmehr in den weiteren Beratungsgängen mit Ihnen eine offene und vor allem sachgerechte und sachbezogene Diskussion führen zu können. Wir laden Sie dazu ein. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht Kollege Achim Großmann.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Deutschland herrscht Wohnungsnot. Die Fertigstellungen reichen trotz tagtäglich euphorisch verbreiteter Zahlen nicht aus, um diese Wohnungsnot abzubauen. Denn die Wirklichkeit sieht so aus: In die meisten neuen Wohnungen können die, die eine Wohnung suchen, gar nicht erst einziehen, weil die Miete zu hoch ist. ({0}) Legen Sie also Ihre Neubaustatistiken aus der Hand, und nehmen Sie dafür die Armutsberichte in die Hand! Während die Zahl der bezahlbaren Wohnungen ständig abnimmt, nimmt die Zahl der Armen ständig zu. Zwei Millionen Wohnungen fehlen, die Obdachlosigkeit wächst, die Mieten steigen ständig schneller als die Lebenshaltungskosten und fressen damit immer mehr vom Einkommen auf. Was wir jetzt brauchen, ist eine kreative aktive Wohnungspolitik, die Lösungen jetzt findet, die nicht vertagt, verschiebt, auf Kommissionen verweist und Verantwortlichkeiten wegdrückt. ({1}) Wir wollen eine sozial gerechte Förderung des Wohnungseigentums, damit mehr Wohnungen gebaut werden. Das lehnen Sie ab. Wir wollen bessere Bedingungen für den genossenschaftlichen Wohnungsbau, damit mehr Wohnungen gebaut werden. Das lehnen Sie ab. Wir wollen die Luxussubventionen stoppen, damit sie nicht in Luxusneubauten und Luxusmodernisierungen fließen. Wir wollen dieses Geld sparen, um in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Diese Änderungen lehnen Sie ab. ({2}) Dabei wird die Situation im sozialen Wohnungsbau immer schlimmer. Unter den historischen Fehlentscheidungen dieser Regierung in den 80er Jahren leiden die Wohnungssuchenden noch heute. Sie haben den sozialen Wohnungsbau ganz einfach kaputtgespart. Unter den Kanzlern Schmidt und Brandt hat die damalige sozialliberale Koalition im Schnitt 140 000 Sozialwohnungen pro Jahr gebaut. Unter Ihren Regierungen waren es im Schnitt pro Jahr 70 000, also gerade einmal die Hälfte. Mitte der 80er Jahre haben Sie die Fördermittel im sozialen Wohnungsbau fast auf Null gefahren, Sie haben die Gemeinnützigkeit zerschlagen, und Sie haben die Bindungsfristen im sozialen Wohnungsbau gekürzt. Die Folgen dieser Politik nehmen dramatische Ausmaße an. Hatten wir 1987 noch ca. 4 Millionen sozial gebundene Wohnungen, so sind es jetzt nur noch 2,7 Millionen, wenn nicht noch weniger. Nach wie vor fallen jedes Jahr mehr Wohnungen aus den sozialen Bindungen heraus, als neue hinzugebaut werden. Die Zahl der Sozialwohnungen nimmt also ständig ab. Weniger als 10 % der Wohnungen in der Bundesrepublik sind sozial gebunden. Damit gehört unser Land zu den Schlußlichtern der Europäischen Union. Parallel zu dieser Entwicklung der deutlichen Abnahme von Sozialwohnungen verläuft eine zweite Entwicklung, die uns sehr viele Sorgen macht. In eine Sozialwohnung kann nur einziehen, wer unter eine bestimmte Einkommensgrenze fällt. Diese Einkommensgrenze aber ist seit mehr als zehn Jahren nicht angehoben worden. ({3}) - Aber wie? Wir streiten ja darum, wie das geschehen soll. Sicherlich werden Sie feststellen, daß das, was Sie vorschlagen, überhaupt nicht ausreicht, die Probleme z. B. in den Ein- bis Zwei-Personen-Haushalten auszugleichen... Der Staat hat also weit mehr als zehn Jahre lang Fehlbeleger produziert, weil er die Einkommensgrenze nicht angehoben hat. Anschließend versucht er diese Fehlbeleger anzuprangern. Die normale Arbeitnehmerin, der normale Arbeitnehmer findet heute keinen Zugang mehr zum sozialen Wohnungsbau, ob einfacher Polizeibeamter, Postbote, Krankenschwester oder Kindergärtnerin. ({4}) Alle verdienen zwar nicht viel, aber zuviel für den sozialen Wohnungsbau. Dies hat Auswirkungen auf die Struktur unserer Wohngebiete, denn sowohl in Neubauten als auch bei Umzügen kommen oftmals nur noch Familien in den Genuß einer Sozialwohnung, die kein eigenständiges Einkommen mehr haben, sondern von Transferleistungen leben, also von Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und anderen staatlichen Unterstützungsleistungen. ({5}) In der Konsequenz bedeutet dies, daß sich immer ärmer werdende Bevölkerungsteile in bestimmten Wohngebieten konzentrieren. Die Gefahr wächst, daß Stadtteile zu Slums oder Ghettos werden. In einzelnen Städten hát diese drohende Entwicklung bereits begonnen. Meine Damen und Herren, die Konsequenz ist klar: Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, also deutlich mehr Sozialwohnungen als bisher. Wir brauchen andere Bedingungen für den Zugang zu diesen Wohnungen, um eine gesunde Mischung dieser Bestände zu ermöglichen. Ich habe großen Zweifel daran, ob der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf dies leisten kann. ({6}) - Nun hören Sie doch zu! Sie können ja meckern, wenn Sie meine Rede zu Ende gehört haben. Sie sind so unruhig; Sie haben anscheinend ein schlechtes Gewissen, wenn Sie diesen Gesetzentwurf vorlegen. ({7}) - Also, bei manchen warte ich wirklich auf den ersten klugen Zwischenruf. Im Ziel sind wir uns einig: Das System des sozialen Wohnungsbaus muß reformiert werden. ({8}) Aber um den Weg, Herr Kansy, werden wir uns streiten, und zwar gehörig. Wir haben in den Bundesländern, in denen wir Regierungsverantwortung tragen, mit dem einkommensorientierten Umbau des sozialen Wohnungsbaus längst begonnen. Der Bund hinkt hinterher. Erst kurz vor Toresschluß dieser Legislaturperiode legen Sie uns diesen Gesetzentwurf vor. Mehr als ein Jahr ist die Diskussion durch ein ungeeignetes Konzept der Bauministerin blockiert worden. Der soziale Wohnungsbau soll noch komplizierter werden. Bezahlbarer Wohnraum wird noch knapper. Bürokratische Hemmnisse werden auf- statt abgebaut, und der klassische soziale Wohnungsbau mit langen BindunAchim Großmann gen wird abgewürgt. Das waren Urteile der Fachpresse und der Fachleute über dieses Konzept. Sie, Frau Ministerin, haben zu diesem Konzept ein Planspiel veranstaltet. Die Beteiligten waren sich weitestgehend einig: Das System sei verwaltungstechnisch zu aufwendig, datenschutzrechtlich fragwürdig, haushalts- und steuerpolitisch unseriös und wohnungspolitisch ineffektiv. ({9}) Trotz dieser vernichtenden Kritik übernehmen Sie das Konzept vom Grundsatz her in Ihren Gesetzentwurf - für uns völlig unverständlich. Ich will diese grundsätzliche Kritik an einigen Punkten erläutern. Das Thema der Einkommensgrenze wird mein Kollege Norbert Formanski aufgreifen. Eine der wichtigsten Fragen bei der Förderung des sozialen Wohnungsbaus ist natürlich die Verteilung der finanziellen Lasten. Schon in den letzten Jahren war es so, daß Länder und Gemeinden deutlich mehr Fördermittel aufbrachten als der Bund. Der Anteil des Bundes liegt zur Zeit unter 20 %. Mit dem neuen Gesetzentwurf will sich der Bund noch weiter aus dieser finanziellen Beteiligung herausstehlen. ({10}) Da soll es in Zukunft die Grundförderung geben, einen einmaligen Betrag pro Wohneinheit. Hinzu kommen soll die Zusatzförderung, die während der gesamten Zeit der Bindung Jahr für Jahr, abhängig vom Einkommen des Mieters, gezahlt werden soll. ({11}) Der Bund - hören Sie gut zu, Herr Götz! - will sich an den Gesamtaufwendungen für Grund- und Zusatzförderung mit einem Festbetrag beteiligen, und zwar nach Maßgabe des jeweiligen Haushaltsjahres. Festbetrag bedeutet nichts anderes, als daß alle Risiken dieser einkommensorientierten Förderung, beispielsweise sinkende Einkommen oder sich ändernde Mieterstrukturen, zu Lasten der Länder gehen; denn es heißt im Gesetzentwurf wörtlich: „Die zuständige Stelle ist während der Dauer der Zweckbestimmung zur Zahlung der jeweiligen Zusatzförderung verpflichtet. " Hier schleicht sich der Bund aus seiner finanziellen Verantwortung. Alle Risiken werden den Bundesländern aufgebürdet. Konkrete Zahlungszusagen werden nicht gemacht. Die Bindung der Wohnung wird auf in der Regel 15 Jahre begrenzt. Das bedeutet nichts anderes, als daß auch wesentlich kürzere Bindungen erfolgen können. ({12}) Die ständigen Versuche der vergangenen Jahre, die Länder mit Dotationsauflagen zu gängeln, lassen befürchten, daß damit der gezielte Ausstieg aus der Wohnungsbauförderung mit langen Bindungen vorprogrammiert ist. Damit nicht genug: Die Risikoverlagerung auf die Länder hat eine unerläßliche haushaltsrechtliche Konsequenz; es muß nämlich jeweils der schlechteste Fall, der „worst case", zugrunde gelegt werden. Damit werden die Bundesländer gezwungen, in unwahrscheinlichem Ausmaß Haushaltsverpflichtungen einzugehen, sich also festzulegen, so daß de facto der Wohnungsbau sogar zurückgefahren wird. Baden-Württemberg meldete nach dem Planspiel der Bauministerin bereits den Notstand. Bei der Umstellung auf die einkommensorientierte Förderung, so heißt es in einem Brief des Wirtschaftsministeriums, würde die Zahl der geförderten Wohnungen halbiert. Als Alternative böte sich dann nur noch an, daß man einen sozialen Wohnungsbau de luxe betreibt, indem die Zusatzförderung minimiert wird, so daß nur noch zahlungskräftige Mieter einziehen können. Das ist sicherlich nicht das, was wir in der jetzigen Situation brauchen. ({13}) Doch damit nicht genug: Ein Blick in die mittelfristige Finanzplanung des Bundes zeigt, daß die Bauministerin schon im nächsten Jahr 30 % im sozialen Wohnungsbau sparen will. Sie will also stark kürzen. Sie behauptet, sie könne mehr Wohnungen bauen, obwohl ihr alle Experten das Gegenteil ausrechnen können. Der Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau ist damit vorprogrammiert. Das ganze Ausmaß dieser Mogelpackung wird an den von mir aufgeführten Beispielen deutlich. Im Zusammenhang mit dem Planspiel sind eine Fülle von weiteren haushaltsrechtlichen, steuerpolitischen, datenschutzrechtlichen und anderen Problemen aufgetaucht, die zeigen, wie kompliziert das vorgesehene System ist. Auf all die aufgeworfenen Fragen hätte man sich nun im Gesetzentwurf Antworten gewünscht: Kann man diese Bedenken ausräumen? Bestehen diese Vorwürfe zu Recht? Wer Antworten auf solche Fragen sucht, sucht vergebens. Alles weitere sollen bitte schön die Länder regeln, so steht es im Gesetz. Sollen die doch zusehen, wie sie mit den Problemen fertig werden. Hier bleibt das letzte Stück Seriosität auf der Strecke. ({14}) Der vorliegende Gesetzentwurf weist schwerwiegende strukturelle Mängel auf. Die positiven Ansätze bleiben hinter diesen Mängeln zurück. Sicher ist es sinnvoll, Modernisierungsleistungen und damit den Kauf von Belegungsrechten durch den Bund mitfinanzierbar zu gestalten. Sicherlich ist es sinnvoll, stärker auf kosten- und flächensparendes Bauen zu setzen. Sicher macht es Sinn, das Kostenmietprinzip auf den Prüfstand zu stellen. ({15}) Wer diese gewünschten Änderungen jedoch in ein derart ungeeignetes Konzept schreibt, muß sich fra17816 gen lassen, ob er an Änderungen wirklich interessiert ist. Seinen Lippenbekenntnissen hat Herr Kansy leider keine Taten folgen lassen. Noch im November erklärte er: „Wie bei der Renten- und Gesundheitsreform sollten wir bereits frühzeitig mit den Sozialdemokraten reden. " ({16}) Die Wirklichkeit sieht anders aus. Den Gesetzentwurf haben wir auf den letzten Drücker bekommen. Wir haben fast darum betteln müssen, ihn wenigstens zu Beginn dieser Woche zu bekommen. Die Einbringung erfolgt durch die Koalitionsfraktionen. Dies ist eine Brüskierung des Verfassungsorgans Bundesrat, denn die Lander bleiben zunächst einmal außen vor. Es bleibt die Frage: Will diese Koalition eine solche Reform überhaupt? Hat sie das alles nur etwas dilettantisch eingestielt? Oder will die Koalition nur Wahlkampfgetöse veranstalten und in Wirklichkeit die Reform verhindern? Fazit unserer ersten Lesung: Die dargelegten Mängel schließen eine Annahme des Gesetzentwurfs in der vorliegenden Form aus. ({17}) Die Beratungen werden zeigen, ob wirklich Gesprächsbereitschaft besteht. Wer die Reform des sozialen Wohnungsbaus wirklich will, muß zu grundlegenden Änderungen des vorliegenden Entwurfs bereit sein. Vielen Dank. ({18})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Walter Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Großmann, mit Ihren Rechnungen, die Sie aufmachen, haben Sie in der Vergangenheit nicht sehr viel Glück gehabt. Zu Beginn der Legislaturperiode haben Sie von der Regierung 400 000 Baufertigstellungen im Jahr verlangt. Nun sind Sie perplex, weil Sie zur Kenntnis nehmen müssen, daß wir dieses Ziel, das Sie zu Beginn der Legislaturperiode gefordert haben, erreicht haben. Was Sie zur allgemeinen Analyse der Wohnungsmärkte gesagt haben, müßte Sie eigentlich veranlassen, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({0}) Die Koalitionsfraktionen nehmen mit dem Gesetzentwurf eines Wohnungsbauförderungsgesetzes 1994 eine erste Reform des sozialen Wohnungsbaus vor. Weitere Reformschritte werden notwendig sein, wenn die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission ihre Vorschläge Ende des Jahres gutachtlich vorstellen wird. Die notwendig gewordene große Reform der Wohnungsbauförderung wird deshalb im Jahre 1995 eine der ersten großen Aufgaben der nächsten Bundesregierung sein. Es war aber an der Zeit, einen ersten Schritt zu tun, um wohnungspolitischen Fehlentwicklungen vorzubeugen; es war an der Zeit, die Einkommensgrenzen anzuheben und die Freistellungsregelungen von der Wohnungsbindung zu flexibilisieren, um künftig beim Neubau die Belegung so durchmischen zu können, daß keine einseitigen, gettoartigen Wohnstrukturen entstehen. Es ist erforderlich, dies in einem weiteren Schritt auch für bestehende Sozialwohnungsquartiere zu ermöglichen. Da mit der Anhebung der Einkommensgrenzen gleichzeitig das Ziel einer Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs bei der Wohnungsbauförderung und dem Wohngeldgesetz verfolgt wird, ist es folgerichtig, nicht die Nettoeinkommens-, sondern die Bruttoeinkommensgrenzen anzuheben. Vom Bruttoeinkommen dürfen dann eine ganze Reihe von pauschalen Abzügen und Freibeträgen abgezogen werden. Auf diese Weise trägt der Berechnungsmodus bei der Ermittlung der Berechtigung, eine Sozialwohnung zu beziehen, dazu bei, daß mehr Gerechtigkeit und soziale Treffsicherheit erreicht werden. Von dieser Regelung profitieren insonderheit Erwerbstätigenhaushalte, weil sie pauschale Abzüge für Steuern vom Einkommen, für Kranken- und Rentenversichungspflichtbeiträge vom Bruttoeinkommen vornehmen können. Damit stellen sich Arbeitnehmerhaushalte künftig wesentlich besser, während sich die Einkommensgrenzen für Bezieher von Sozialtransfers nur geringfügig verändern. Durch die Anhebung der Einkommensgrenzen erhöht sich der Berechtigtenkreis insgesamt auf einen Anteil von 37 % aller Haushalte gegenüber einem bisherigen Anteil von 32 %. Der Anteil der Erwerbstätigenhaushalte an den Berechtigtenhaushalten wächst von bisher einem Drittel auf über 40 %. Damit kann in der Tat eine erheblich bessere Struktur bei der Belegung neuer Sozialwohnungen erreicht werden. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Ein alleinstehender Arbeiter gehörte bisher zum Berechtigtenkreis, wenn er nicht mehr als 2 166 DM monatlich brutto verdiente. Nunmehr erhöht sich diese Grenze auf 2 738 DM monatlich brutto. Ein Ehepaar ohne Kinder - einer im Angestelltenverhältnis - durfte bisher monatlich 3 111 DM brutto verdienen, um Anspruch auf eine Sozialwohnung zu haben. Nunmehr erhöht sich diese Berechtigungsgrenze auf ein monatliches Bruttoeinkommen von 3 786 DM. ({1}) Bei einem Ehepaar mit zwei Kindern mit einem Verdiener im Arbeits- oder Angestelltenverhältnis steigt das bisher höchstzulässige Monatsbruttoeinkommen für eine Berechtigung auf eine Sozialwohnung von bisher 4 592 DM auf nunmehr 5 857 DM. Bei Beamten fällt die Steigerung nicht so kräftig aus wie bei Arbeitern und Angestellten, da sie nicht alle Pauschalabzüge geltend machen können. Denn Beamte zahlen keine Rentenversicherungsbeiträge. Die Berücksichtigung dieser Unterschiede bringt aber auch hier etwas mehr Gerechtigkeit. Wenn die Bundesländer ihrerseits dazu übergehen - Frau Brusis, wir fordern sie natürlich dazu auf -, denselben Einkommensbegriff den rechtlichen Regelungen über die Fehlbelegungsabgabe zugrunde zu legen, dann kann dies in der kommunalen Verwaltungspraxis zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung führen, da dann Wohnungsbauförderung, Wohngeld und Fehlbelegungsabgabe nach einheitlichen Maßstäben und damit unter Umständen von derselben Stelle bearbeitet werden können. ({2}) Die Anhebung der Einkommensgrenzen allein würde uns aber nicht weiterhelfen, weil wir damit nur den Berechtigtenkreis vergrößern, aber keinen entscheidenden Beitrag dafür erbringen würden, daß auch tatsächlich mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Wir alle wissen aber auch, daß weder Bund noch Länder und Kommunen gegenwärtig in der Lage sind, mehr Haushaltsmittel für die Wohnungsbauförderung zur Verfügung zu stellen. Deshalb ist es eine Illusion, Herr Großmann, wenn Sie immer wieder Sozialwohnungen mit langfristigen Bindungen fordern und mehr fordern, wissend, daß das erheblich mehr Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich machen würde. Das ist gegenwärtig ganz einfach nicht zu realisieren. Genau diese Erkenntnis hat den Vertreter der kommunalen Spitzenverbände bei der Anhörung im Bauausschuß dazu bewogen, für die Städte eine Ablehnung der Anhebung der Einkommensgrenze zu empfehlen. Das Argument ist in der Tat zutreffend. Eine Anhebung macht nur Sinn, wenn mehr Sozialwohnungen gebaut werden können. Da nicht mehr Mittel vorhanden sind, kann dieses Problem nur gelöst werden, wenn es durch eine Änderung der Förderpolitik gelingt, mit einem geringeren Förderaufwand pro Sozialwohnung auszukommen. Als Ansatzpunkt hierfür bot sich logischerweise der dritte Förderweg an, der zu diesem Zwecke im vorliegenden Gesetzentwurf umgestaltet und weiterentwickelt wird. Wir sind davon überzeugt, daß mit einem verstärkten Einsatz des dritten Förderweges nicht nur mehr Sozialwohnungen gebaut werden können, sondern daß bei entsprechender Ausgestaltung dieses Förderweges in den Landesförderrichtlinien zu einem echt flexiblen Instrument einer vertraglichen Förderung bei Bindungsfristen von in der Regel höchstens 15 Jahren ganz neue Investorengruppen für den Wohnungsbau zurückgewonnen werden können und somit zusätzliches privates Kapital für den Bau von Sozialwohnungen mobilisiert werden kann. ({3}) Die Landesförderrichtlinien müssen freilich solche Konditionen beinhalten, daß den Investoren nicht nachhaltige Verluste aus Vermietung und Verpachtung zugemutet werden, sondern daß das Wirtschaftlichkeitsgebot eingehalten wird. ({4}) Die Festsetzung der Förderhöhe unter Berücksichtigung der örtlichen und regionalen Gegebenheiten und vor allem der objektiven Investitionsbedingungen der Bauherren läßt hoffen, daß beispielsweise der Werkswohnungsbau belebt und Versicherungsunternehmen wieder an die Wohnungsmärkte herangeführt werden können. Inwieweit dies gelingt, liegt nunmehr in der Gestaltungshoheit der Länder. Von besonderer Bedeutung ist sowohl für die Bauverwaltung als auch für die Investoren der gesetzliche Ausschluß der Anwendung des Kostenmietprinzips. Die Erstellung, Prüfung, Genehmigung und Überwachung der Ermittlung der der Kostenmiete zugrunde liegenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen bedingte bisher nicht nur einen nicht unbeachtlichen Bürokratie- und Zeitaufwand, sondern behinderte auch ein marktgerechtes Anbieterverhalten. Der Wegfall dieses Erfordernisses befreit die Wohnungswirtschaft von unnötigen und vor allem unzweckmäßigen Fesseln. Die Nichtanwendung des Kostenmietprinzips stellt deshalb einen bedeutsamen Fortschritt dar, der den Intentionen der Wohnungswirtschaft sehr entgegenkommt, weil wirtschaftlicheres Verhalten ermöglicht wird. Der dritte Förderweg des § 88 d Wohnungsbaugesetz wird künftig um die Variante einer einkommensorientierten Förderung, geregelt in einem neuen § 88 e, ergänzt. Hier ist die Kombination einer Grundförderung mit einer Zusatzförderung vorgesehen. Während die Grundförderung eine Subventionierung in Form einer Objektförderung nur noch bis an den unteren Rand der ortsüblichen Vergleichsmiete garantiert, soll die Zusatzförderung dem Investor die Möglichkeit verschaffen, Wohnungen auch an Mieter vermieten zu können, die auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse ansonsten nicht in der Lage wären, diese Wohnungen anzumieten. Die Zusatzförderung dient also indirekt einer Verringerung der Wohnkostenbelastung des Mieters. Sie vermeidet künftig Fehlbelegungen, weil die Länder den Leistungszeitraum festsetzen und somit den Nachweis über die Berechtigung der Auszahlung der Zusatzförderung von Zeit zu Zeit überprüfen können. Zusatzförderung und Wohngeld können nebeneinander gezahlt werden. Aus verfassungsrechtlichen Gründen konnte dabei bedauerlicherweise keine elegantere, verwaltungstechnisch einfachere und auch intimere Lösung gewählt werden. Der Bundeszuschuß für die Zusatzförderung ist nämlich in seinem Charakter eine investive Finanzhilfe gemäß Art. 104a Abs. 4 GG. Er steht auch unter dem Vorbehalt vorhandener Haushaltsmittel, während Bürger auf Grund des Wohngeldgesetzes als Geldleistungsgesetz einen Rechtsanspruch auf die Zahlung von Wohngeld bei Vorliegen bestimmter Umstände haben. Der große Vorteil dieser neuen Förderkonstruktion besteht darin, daß bei entsprechender Durchmischung mit Mietern verschiedener Einkommensgruppen innerhalb der Einkommensgrenzen weniger Fördermittel pro Wohneinheit benötigt werden. Somit können mehr Sozialwohnungen mit gleichem Mittelaufwand errichtet werden. Beispielrechnungen haben ergeben, daß bis zu 30 % mehr Wohnraum geschaffen werden kann. Die Möglichkeiten der flexiblen Ausgestaltung des dritten Förderweges sollten die Länder nunmehr als Chance zur Abkehr von den bisher starren Förderrichtlinien begreifen. Eine differenzierte Förderung sollte das auch sozial ungerechtere Gießkannenprinzip nunmehr ablösen, das die Länder bisher praktizierten. Durch das Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 wird auch der Kreis derer erweitert, die Mittel des sozialen Wohnungsbaus für Eigentumsmaßnahmen im zweiten Förderweg in Anspruch zu nehmen berechtigt sind; denn die Erhöhung der Einkommensgrenzen in § 25 des Wohnungsbauförderungsgesetzes wirkt sich hier natürlich ebenfalls aus, auch wenn der Prozentsatz zur Überschreitung der Grenzen von 60 % auf 50 % gesenkt wurde. 50 % über den neuen Einkommensgrenzen, das ist mehr als 60 % über den alten. Das bedeutet z. B. konkret, daß ein Single im Angestelltenverhältnis mit einem Bruttojahreseinkommen von bis zu 49 285 DM in den Genuß von öffentlichen Zuschüssen kommen kann, wenn er sich ein Eigenheim baut oder eine Eigentumswohnung erwirbt. Bei einem Beamtenehepaar ohne Kinder gilt das bis zu einem jährlichen Gesamteinkommen von 77 625 DM und bei einem Ehepaar - Arbeiter oder Angestellte beispielsweise - mit zwei Kindern bis zu einem solchen von 105 429 DM. Damit liegt die Erhöhung der Grenzen gegenüber denen nach der bisher geltenden Regelung bei ungefähr 20 %. Die Wohneigentumsbildung wird somit erhebliche Impulse erhalten, insbesondere im Bereich von Familien mit Kindern. Dies dient aber auch der Entlastung der Mietwohnungsmärkte. Es verdiente noch manches, vertiefend erwähnt zu werden, insbesondere die Bezuschussungsmöglichkeit des Erwerbs von Belegrechten durch den Bund, wenn eine Modernisierungs- oder Energiesparmaßnahme daran geknüpft wird und die Öffnung der Bezuschussung von Modernisierungsmaßnahmen generell, aber in einer ersten Bewertung dieses Gesetzentwurfs kann gesagt werden: Dieses Gesetz bringt uns ein gutes Stück voran, weil es geeignet ist, die Förderung im sozialen Wohnungsbau von Bund, Ländern und Gemeinden zeitgerechter und effizienter zu machen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht unsere Abgeordnete Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen handelt es sich nicht - wie behauptet wird - um eine tiefgreifende Reform des sozialen Wohnungsbaus. An dem konservativen Grundsatz, nach dem die Trägerschaft des sozialen Wohnungsbaus Privatinvestoren überlassen wird, ändert sich absolut nichts. Die Wohnungsbauförderung soll unverändert nach folgendem Prinzip funktionieren: In der Anfangszeit der Investition, die mit Risiken und Defiziten verbunden ist, werden die Investoren von der öffentlichen Hand stark gefördert. Die Gewinne der späteren Phase, nachdem die Kredite durch die Mieteinnahmen zurückgezahlt wurden, fließen den Investoren allein zu. Das Gegenmodell, nach dem die Kommunen oder andere sozial orientierte Träger dabei unterstützt würden, in eigener Regie zu bauen, wobei sie dazu verpflichtet würden, alle zukünftigen Gewinne wieder in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, kommt für diese Bundesregierung nicht in Frage. Ganz offensichtlich gibt es da ideologisch gesetzte Blockierungen. Anders ist diese Ignoranz gegenüber wirklich neuen Ansätzen, meine ich, nicht zu erklären. Der Bau von sozialen Mietwohnungen war in der Bundesrepublik Deutschland schon immer ein lukratives Geschäft, und daran soll sich auch in der Zukunft ganz offensichtlich nichts ändern. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen verfolgt jedenfalls erklärtermaßen das Ziel, die Bedingungen für die Investoren zu verbessern. Ich meine allerdings, daß es ein Trugschluß ist anzunehmen, daß dies zu einer erhöhten Wohnungsbautätigkeit führen wird. Privatinvestoren engagieren sich nicht deswegen sowenig im Wohnungsbau, weil die Förderbedingungen nicht gut genug sind, sondern sie halten sich zurück, weil die Wohnung ein Investitionsgut mit langer Nutzungsdauer ist, bei dem das Risiko der sinkenden Nachfrage offenbar als sehr hoch eingeschätzt wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hitschler?

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen. ({0}) Ein Investor, der der Wohnungsnachfrage von 1994 nachkommt, weiß nicht, wie die Nachfrage in 30 oder in 50 Jahren sein wird. Ich meine, man kann so hoch fördern, wie man nur will, das Marktangebot an Wohnungen wird dennoch immer weit unterhalb der Nachfrage bleiben, und das wird sich immer zum Nachteil der Haushalte auswirken, die über ein niedriges Einkommen verfügen. Das liegt nicht an den Förderbedingungen, sondern an den Eigenschaften des Investitionsgutes Wohnung selbst. Zu diesem Thema hat Frau Professor Ruth Becker von der Universität Dortmund in der „Frankfurter Rundschau" vom 13. Dezember 1993 einen sehr instruktiven Artikel geschrieben, den ich allen, die sich hier mit der Wohnungspolitik befassen, sehr wärmstens empfehlen kann. Fazit jedenfalls ist, daß die Marktwirtschaft für die Wohnraumversorgung von Haushalten mit niedrigem Einkommen untauglich ist. Deswegen ist und bleibt dies eine Aufgabe der öffentlichen Hand, für die Bund, Länder und Kommunen die gemeinsame Verantwortung tragen. Meine Damen und Herren, da wir damit rechnen müssen, daß auch das hier vorliegende Konzept die Bautätigkeit im sozialen Wohnungsbau nicht in nennenswerter Weise ankurbeln wird, müssen wir auch die Erhöhung der Einkommensgrenzen ablehnen. Das haben wir hier an dieser Stelle schon öfter gesagt. Eine Erweiterung des Kreises der Berechtigten, der grundsätzlich zuzustimmen wäre, kann nur dann verantwortet werden, wenn gleichzeitig sehr schnell mehr Wohnungen bereitgestellt werden. Das ist leider durch die Politik dieser Bundesregierung nicht zu erwarten. Eine Erweiterung des Berechtigtenkreises ohne eine gleichzeitige Bereitstellung von mehr Wohnungen wird die Situation der Haushalte mit niedrigem Einkommen, deren Zahl gerade durch die Politik der Bundesregierung immer höher wird, auf dem Wohnungsmarkt noch erheblich verschlechtern. In dieser Situation halte ich es für verantwortungslos, die Einkommensgrenzen zu erhöhen, was ich in dieser Deutlichkeit auch in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der SPD sagen will. Nun noch zu der Art und Weise, wie die Bundesregierung gedenkt, mit unserer Idee - das darf ich hier so sagen - der einkommensabhängigen Mieten umzugehen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE GRÜNEN in der 11. Legislaturperiode haben diesen Gedanken ja bereits zweimal in parlamentarischen Initiativen vorgetragen. Unserer Konzeption zufolge werden die Mieten alle drei Jahre individuell neu festgelegt. Bei einem entsprechend hohen Haushaltseinkommen kann die Miete bis auf die örtliche Vergleichsmiete angehoben werden. Soweit ist dies ja auch in diesem Entwurf enthalten. Jetzt aber kommt der Unterschied: Unserem Konzept zufolge müssen die finanziellen Verluste, die den Kommunen auf Grund der Vermietung an Haushalte mit niedrigem Einkommen entstehen, entsprechend den tatsächlich anfallenden Kosten je zur Hälfte von Bund und Ländern ausgeglichen werden, was diese aus dem eingesparten Wohngeld finanzieren können. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es dagegen in § 88e Abs. 6: „Der Bund beteiligt sich an dem Gesamtaufwand für Grund- und Zusatzförderung mit einem Festbetrag." Das heißt leider nichts anderes, als daß der Bund die Erhebung einkommensabhängiger Mieten im neuerstellten sozialen Mietwohnungsbau zwar vorschreibt, die Kosten dafür aber den Ländern überläßt. Diese wiederum werden diese Aufgabe, zumindest ist das so zu befürchten, an die Kommunen weiterreichen. Bei der Finanznot der Kommunen wiederum ist zu erwarten, daß diese dann den Weg des geringsten Widerstandes gehen und durch eine entsprechende Belegung der Wohnungen dafür sorgen, daß ihre Belastung aus der Zusatzförderung möglichst gering bleibt. Das heißt nichts anderes, als daß sie bemüht sein werden, an bessersituierte Haushalte und nicht an die, die es am nötigsten haben, zu vermieten. Das ist der Unterschied. Während wir uns also um Mechanismen bemühen, mit deren Hilfe das Interesse an der Vermietung an Besserverdienende gar nicht erst entsteht, indem wir ein System vorschlagen, bei dem die Einnahmen der Kommunen durch die Vergabe von Wohnungen an arme Haushalte ausdrücklich nicht tangiert werden, wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung genau das Gegenteil vorprogrammiert. ({1}) Wenn die einkommensabhängige Miete nicht zum Ausschluß derer führen soll, die am stärksten auf sie angewiesen sind, muß sich der Bund auch an der einkommensabhängigen Komponente der Förderung beteiligen. ({2}) Das heißt, daß Bund und Länder - und keinesfalls die Kommunen - die Zusatzförderungen zahlen müssen, und zwar je zur Hälfte und entsprechend den tatsächlich anfallenden Kosten - nicht über einen Pauschalbetrag. An der Wohnungsversorgung einkommensschwacher Haushalte hat diese Bundesregierung ganz offensichtlich keinerlei Interesse, im Gegenteil: Deren Chancen werden nicht nur durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen und durch die Gestaltung der einkommensabhängigen Mieten, sondern auch durch die Verkürzung der Bindungsfristen auf maximal 15 Jahre ganz erheblich verschlechtert. Abgesehen davon, daß eine solch kurze Bindungszeit wohnungspolitisch unsinnig und eine Verschwendung öffentlicher Mittel ist, werden Investoren bei kürzeren Bindungszeiten versuchen, Modalitäten durchzusetzen, bei denen der Anteil der Zusatzförderung gering ist. Sie werden alles tun, um trotz der Belegungsbindung gutsituierte Mieterinnen und Mieter zu bekommen, bei denen sie nach Ablauf der Bindung die Marktmiete auch tatsächlich durchsetzen können. Bei langen Bindungszeiten ist dieses Begehren wesentlich geringer. Da kann die Absicherung der Miete durch die Zusatzförderung eher ein Pluspunkt für die Wohnungsbewerberin oder den -bewerber sein. Kurze Bindungsfristen schließen hingegen ärmere Haushalte auch schon während der Bindungsfrist aus. Das gilt insbesondere, wenn die Bindungsfrist - was ja dem Gesetzentwurf zufolge zulässig ist - deutlich kürzer als 15 Jahre ist. Meine Damen und Herren, ich meine, nichts spricht dafür, daß es zum Bau von mehr Wohnungen, als ohnehin schon gebaut werden, kommen wird. Verbessert werden lediglich die Förderbedingungen für Investoren, wobei sich für arme Haushalte die Bedingungen für den Zugang zu den Wohnungen verschlechtern. Ich meine, die Bundesregierung betreibt eine äußerst zynische Politik: Einerseits werden immer mehr Menschen in die Erwerbslosigkeit getrieben und die Transferleistungen verschlechtert, und andererseits sollen im sozialen Wohnungsbau mit dem Argument der „sozialen Durchmischung" Erwerbstätige gegenüber Erwerbslosen privilegiert werden. Wer bei der vorgesehenen „Durchmischung" durch das Sieb fällt - und das werden viele sein -, kann in der Obdachlosigkeit landen. Meine Damen und Herren, das Zusammenwirken der von der Regierung vorgeschlagenen Instrumente wird bewirken, daß im neuen sozialen Wohnungsbau de facto keine einzige Wohnung für sozial Benachteiligte gebaut werden wird. Der Entwurf der Regierungskoalition enthält im übrigen einen durchaus interessanten Widerspruch zur bisherigen Politik eben dieser Bundesregierung: Die Zusatzförderung soll bei solchen Haushalten greifen, die trotz Wohngeld nicht dazu in der Lage sind, die bei der Grundförderung vereinbarte Miete zu bezahlen. Nun liegen nach dem Gesetzentwurf die Mieten bei der Grundförderung aber am unteren Rand der Vergleichsmieten, also der Mieten, die für das Miethöhegesetz üblich sind. Mit diesem Konzept wird also nichts anderes gesagt, als daß das Wohngeld ärmere Haushalte nicht in die Lage versetzt, die üblichen Entgelte zu bezahlen. Denn sonst bräuchten sie auch im sozialen Wohnungsbau keine Zusatzförderung. Und das ist die indirekte Bankrotterklärung der bisherigen Politik. ({3}) Es ist in vielen Bundestagsdebatten immer wieder gesagt worden, daß das Wohngeld das zentrale Instrument einer sozialen Wohnungspolitik ist. Und nun wird, wenn auch indirekt, endlich zugegeben, daß das Wohngeld denen, die Hilfe am nötigsten brauchen, nicht ausreichend hilft. Daß dies im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus korrigiert werden soll, ist natürlich zu begrüßen. Aber was sollen denn, frage ich, die Sozialwohnungsberechtigten sagen, die dank der Politik der Regierung keinerlei Chance haben, je eine Sozialwohnung zu bekommen, und die aufs Wohngeld verwiesen werden? Da muß doch gefragt werden, wann die Zusatzförderung auch für alle anderen Wohngeldbezieher eingeführt wird. Fazit: Es bleiben etliche Fragen, etliche wesentliche Fragen offen, auf deren Antwort man gespannt sein darf. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Abwandlung eines recht bekannten Spruches möchte ich sagen: Die Worte der Koalitionäre höre ich wohl, allein es fehlt an Taten. ({0}) - Ja, ja, das war in Abwandlung des Wortes. Die Praxis und dieser Gesetzentwurf sagen im Text, im konkreten Text jedenfalls etwas anderes als Sie hier am Pult. Zehn Jahre F.D.P.-dominierte Wohnungspolitik in diesem Land haben die Wohnungsnot verschärft. Das weiß inzwischen jeder. Trotz alltäglicher Erfolgsmeldungen der Bauministerin steigen die Mieten schneller als die Einkommen und die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Immer mehr Menschen sind auf Wohnungssuche, sind gar obdachlos. Daß der nun angesichts des Wahljahres im Schnellschuß eingebrachte Gesetzentwurf der Regierung - der Koalition, Entschuldigung - eine Wende in der Wohnungssituation herbeiführen könnte, bleibt mehr als fraglich. ({1}) Beim ersten Durchblättern dieser Vorschläge - von Prüfen kann ja nicht die Rede sein, wenn die offizielle Drucksache erst heute früh auf dem Tisch liegt - habe ich den Eindruck gewonnen, daß mit diesem Gesetzentwurf nicht eine Offensive im sozialen Wohnungsbau, sondern der Ausstieg aus ihm eingeleitet werden soll. Die Einführung der einkommensorientierten Wohnungsbauförderung wird u. a. mit den umfangreichen Mietverzerrungen im sozialen Wohnungsbau begründet. Nach meinem Einblick sind die Mietverzerrungen jedoch nicht nur in diesem Bereich alltäglich. Spekulationen mit Immobilien und das Geschäft mit der Wohnungsnot führen auch im sogenannten freifinanzierten Wohnungsmarkt zu Mieten, die mit dem Wohnwert überhaupt nichts zu tun haben. Auch die mietpolitischen Entscheidungen für Ostdeutschland führten zu Mieten, die zum Teil angesichts des Zustandes der Wohnungen in keiner Weise zu rechtfertigen sind. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden in noch stärkerer Weise die Verantwortung und die finanziellen Belastungen an Länder und Gemeinden delegiert, in einem föderativen Staat an sich nichts Verkehrtes, allerdings unakzeptabel, wenn im gleichen Atemzug den Ländern und Gemeinden die finanzielle Basis dafür entzogen wird. Angesichts der - von allen Parteien unbestrittenen - Wohnungsnot darf sich der Bund nicht aus dem sozialen Wohnungsbau verabschieden. Im Gegenteil, dringend erforderlich ist eine stärkere Beteiligung am sozialen Wohnungsbau, mindestens in den Größenordnungen der 50er Jahre, also zu Zeiten, als der Bund durchschnittlich 4 % seines Haushaltes für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben hat. Heute, weiß jeder, sind es nicht einmal 2 %. Mit dem Entwurf wird von dem Gespenst der zunehmenden Gettoisierung sozial schlechter gestellter Menschen geredet. Davon ganz abgesehen, daß die Schere zwischen Armen und Reichen in diesem Land immer größer wird, was sehr zu bedauern ist, daß die Anzahl der Menschen, die auf sogenannte Transferleistungen wie Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe angewiesen sind, ständig steigt, halte ich diese Kategorisierung von Menschen für äußerst gefährlich. Aber das paßt wohl auch zu einer Partei, in der führende Leute selbst nach Bundeswehreinsätzen im Inneren rufen. Fakt ist, daß bei den gegenwärtigen Einkommensgrenzen für den Zugang zu Sozialwohnungen viele Menschen, vor allem Beschäftigte mit geringen Einkommen, einerseits von diesem Wohnungsmarkt ausgeschlossen sind, andererseits nicht in der Lage sind, Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau zu bezahlen. Fakt ist auch, daß schon jetzt mehr Menschen auf Grund ihrer Einkommenslage einen Wohnberechtigungsschein haben, als Sozialwohnungen überhaupt im Angebot sind. In diesem Sinne kann ich Frau Schenk nur zustimmen, daß es allein mit einer Erhöhung der Einkommensgrenzen nicht getan ist. Wohnberechtigungsscheine sind also zunehmend Makulatur. Eine Erhöhung der Einkommensgrenzen ohne spürbare Erhöhung des Angebots an bezahlbaren Wohnungen wird zu einer noch stärkeren Verdrängung der Schwächsten im Kampf um eine Wohnung führen. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Anpassung der Einkommensgrenzen wird als Wohltat gepriesen, ist aber mehr das Gegenteil. Durch die wesentliche Erweiterung des Spektrums der einzurechnenden Einkunftsbestandteile - Herr Hitschler, vielleicht hören Sie jetzt mal zu, denn Sie haben das vorhin so hervorragend gelobt -, wird die so gepriesene Erhöhung der Einkommensgrenzen relativiert, für manche Bevölkerungsgruppen sogar gesenkt. ({2}) Ein Beispiel dazu: Im für Westdeutschland geltenden Wohngeldgesetz gibt es sowohl für Schwerbehinderte mit 100 % als auch für Schwerbehinderte mit 80 % Freibeträge. Im Wohngeldsondergesetz-Ost gab es zuerst für Schwerbehinderte überhaupt keine Freibeträge, mit dem zweiten Wohngeldsondergesetz wurde für Schwerbehinderte mit 100 % der Freibetrag analog dem Wohngeldgesetz-West eingeführt. Die Forderung der PDS, auch Schwerbehinderten mit 80 % einen Freibetrag zu gewähren, wurde mit der Begründung abgelehnt, daß dafür kein Geld vorhanden wäre. Als wenn Ost-Behinderte mehr Geld als West-Behinderte hätten. Nun wird also vorgeschlagen, sowohl bei der Wohnungsbauförderung als auch bei der künftigen Wohngeldregelung in Ost und West nur noch Schwerbehinderten mit 100 % Freibeträge einzuräumen. An diesem Beispiel wird ein weiteres Mal deutlich, daß Ostdeutschland Experimentierfeld für Sozialabbau ist und daß darunter die Lebensverhältnisse in Ost und West leiden. Das halte ich für äußerst schäbig, wenn Sie unter Angleichung der Lebensverhältnisse das Herabsenken des West-Niveaus auf Ost-Niveau verstehen. ({3}) - Aber Herr Hitschler, das haben Sie doch nicht nötig! Erklärtes Ziel der Koalitionsfraktionen ist der generelle Ausstieg aus dem ersten und zweiten Förderweg. Die nun vorgeschlagene einkommensabhängige Förderung ist also keine sinnvolle Ergänzung, sondern Ersatz. Mit weniger Mitteln noch mehr Wohnungen zu fördern, bedeutet im Endeffekt eine wesentlich stärkere Belastung der Mieterinnen und Mieter. Dies ist bei den Einkommen vieler Wohnungssuchender nicht zu machen. Die PDS fordert die Regierung auf, ihre personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen auf die Schaffung von Wohnungen zu konzentrieren. Seriöse Vorschläge dafür gibt es von Wohnungs- und Mieterverbänden, von Gewerkschaften, von Kirchen, aber auch von seiten der SPD und natürlich seit längerem von der PDS. Ich will nicht ganz und gar vergessen, daß natürlich auch Frau Schenk einen ordentlichen Vorschlag unterbreitet hat, dem ich zwar nicht in allen Teilen zustimmen kann, der aber zumindest diskussionswürdig ist. Dazu gehört die Forderung, jegliche Förderung des Verkaufs von Wohnungen aus dem Bestand ebenso wie die ungerechtfertigte Förderung von Luxusbauten und Immobiliengeschäften einzustellen. Statt dessen sind kommunale und genossenschaftliche Bauherren direkt zu fördern - die Bereitstellung von Grund und Boden z. B. im Erbbaurecht könnte Wohnungsbaukosten erheblich senken -, aber eben auch solche Projekte wie „autofreies Wohnen". Innovativ und letztlich auch kostensenkend wirken vertraglich festgeschriebene Mietermitbestimmungsrechte in Wohnungsunternehmen. Auch der Vorschlag, einen nationalen Wohnungsbaufonds einzurichten, anstatt spekulativen Immobilienhandel mit Steuergeschenken zu versehen, sollte endlich ernsthaft geprüft werden. Voll daneben geht der Gesetzentwurf bezüglich der Situation in Ostdeutschland. Mit den im Einigungsvertrag getroffenen Entscheidungen und dem Altschuldenhilfegesetz soll verhindert werden, daß den Menschen in Ostdeutschland in der Perspektive bezahlbare Wohnungen in hinreichendem Maße zur Verfügung stehen. ({4}) Die PDS fordert statt der Zwangsprivatisierung, die letztlich auch noch teuer bezahlt wird, den Einsatz der Mittel zum Erhalt des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestandes mit entsprechenden Mietpreisbindungen und Belegungsrechten. Deswegen muß das Altschuldenhilfegesetz durch ein -übernahmegesetz ersetzt oder zumindest novelliert werden. Eine wichtige und auch kurzfristig zu treffende Entscheidung wäre die Übergabe der noch ca. 120 000 Wohnungen der Treuhandliegenschaftsgesellschaft an die Kommunen. Selbstverständlich meine ich eine Übergabe ohne Wenn und Aber. Die Kommunen sind am ehesten in der Lage, entsprechend ihrer örtlichen Situation die Wohnungen in kommunale, genossenschaftliche oder private Hände zu übergeben. Die Entscheidung von Bund und Ländern, den gesamten Wohnungsbestand Ostdeutschlands im kommenden Jahr in das Vergleichsmietensystem zu überführen, verdeutlicht die Demagogie Ihres Entwurfs: einerseits von der Förderung des sozialen Wohnungsbaus zu reden, andererseits in Ostdeutschland dafür zu sorgen, daß der Bestand an Sozialwohnungen auf unter 1 % gedrückt wird. Fazit: Wenn wir alle Vorschläge, die zur Gewährleistung des Menschenrechts auf Wohnung beitragen, ernsthaft prüfen, wird auch dieser Gesetzentwurf ein Teil davon sein können. Bis jetzt ist er das aber noch nicht. Erlauben Sie mir zuletzt noch ein Wort an Sie, Frau Ministerin. Es handelt sich um einen Vorschlag, den ich gestern bereits Ihren Kollegen Waigel und Rexrodt gemacht habe. Da diese Regierung nur zwei Losungen kennt, nämlich Sparen und Privatisieren, schlage ich Ihnen vor: Verkaufen Sie doch Ihr Ressort. Da sich die Immobilienhaie und die Beutelschneider gerade in Ostdeutschland tummeln, findet sich vielleicht eine abgewickelte Wissenschaftlerin oder ein anderer Wohngeldempfänger, der den Antrag schon beim erstenmal richtig ausfüllen konnte, und legt eine Mark auf den Tisch. Jedenfalls wüßten die, wo sinnvoll zu sparen wäre. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5}) - Aber Herr Hitschler! ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Hans Raidel.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einiges von dem, was wir gerade gehört haben, klingt nach Staatslenkung und nach planwirtschaftlichen Strukturen. Ich dachte eigentlich, das hätten wir gemeinsam überwunden. ({0}) Lieber Herr Großmann, wer auf andere mit dem Finger zeigt, der muß immer wissen, daß drei Finger seiner Hand auf ihn zurückzeigen. Aktionismus wird uns vorgeworfen. Hier möchte ich feststellen: Es ist immer das Los der Verantwortlichen - tut man was, wird geschimpft, tut man nichts, wird auch geschimpft. Wir fühlen uns in der Verpflichtung; also tun wir was. ({1}) Wir machen den Weg frei für einen größeren Kreis von Berechtigten für eine Sozialwohnung, für gerechtere Sozialmieten, für eine treffsicherere und effizientere Wohnungsbauförderung und damit für mehr Sozialwohnungen. Kurzum, wir reformieren den sozialen Wohnungsbau und beseitigen gezielt lang bekannte Mängel. Mit dem neuen Gesetz setzen wir unsere erfolgreiche Wohnungsbaupolitik fort. Wir brechen vor allem alte, verkrustete Strukturen auf, die insbesondere den sozialen Wohnungsbau zum Patienten werden ließen. Immer mehr Geld für immer weniger Wohnungen, das war ja hier eigentlich ein Stichwort. Wir setzen neue, an der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft orientierte Maßstäbe und beschreiten neue Wege, so wie die Fachwelt sie fordert und wie sie uns geeignet scheinen, um drängende Probleme der Wohnungsversorgung zu lösen oder auf einen guten Weg zu bringen. Wir fordern alle politischen Ebenen auf, daran mitzuarbeiten und alle investitionshemmenden Vorschriften zu beseitigen und investitionsfeindliches Verhalten aufzugeben. Viel wurde bewegt in der Wohnungspolitik, bescheinigt uns der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft in seinem Neujahrsgruß. Ich glaube, damit hat er recht. 1993 wurden in den alten Bundesländern rund 525 000 Baugenehmigungen erteilt. In den neuen Bundesländern waren es rund 80 000. Für Westdeutschland ist das die höchste Genehmigungszahl seit 20 Jahren. Auch bei den Fertigstellungen wird mit ca. 425 000 Wohnungen ein neuer Rekord erreicht und das bereits sehr gute Ergebnis von 1992 nochmals um 13,3 übertroffen. Für 1994 können wir im Westen mit rund 460 000 neuen Wohnungen rechnen, im Osten mit rund 20 000. Möglich wurden diese Leistungen durch unsere neuen Initiativen im Bereich von Mietrecht, Wohngeld, Wohneigentumsförderung und vor allem durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz. In den neuen Ländern sind durch eine moderate Wohngeld- und Mietenpolitik, Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramme, eine vernünftige Altschuldenregelung und das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost die Ampeln auf freie Fahrt geschaltet worden. Bei allen kritischen Betrachtungen sollten wir nicht übersehen: Für den Großteil der Leute ist die Wohnungssituation durchaus befriedigend, wie die neuesten Umfragen ergeben. ({2}) Zirka 80 % unserer Bürger fühlen sich ausreichend mit guten Wohnungen versorgt. Auch das Mietniveau stimmt durchaus. Das läßt sich auch durch die letzten Aussagen des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft in Stuttgart belegen. Trotz aller Fortschritte verkennen wir aber nicht die weiterhin schwierige Lage am Wohnungsmarkt, die regional aber sehr unterschiedlich ist, von Bundesland zu Bundesland stark differiert und auf dem flachen Land anders aussieht als in Großstädten und Ballungsräumen. Betroffen vom Wohnungsmangel und von den Verwerfungen am Wohnungsmarkt sind vor allem Neubewerber, aber auch junge Familien mit noch schmalem Geldbeutel. Hier muß meiner Auffassung nach in erster Linie geholfen werden.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Raidel, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert zulassen?

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, ja.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Bitte.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Raidel, sind Sie bereit, mir wenigstens in dem einen Punkt zuzustimmen, daß es nicht Aufgabe der Politik ist, sich sozusagen immer wieder zu bescheinigen, daß der größte Teil der Bevölkerung ordentlich wohnt, sondern daß die Probleme gelöst werden müssen, die für die restlichen 20 % bestehen? Dafür müssen Gesetze gemacht werden, dafür müssen Fördermittel da sein, nicht für die 80 %, denen es gutgeht.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wer eine Gesamtschau ernsthaft vornimmt, der muß beide Seiten der Medaille sehen, damit er die richtigen Schlüsse und Konsequenzen daraus ziehen kann. ({0}) Jedem sind die finanziellen Zwänge der öffentlichen Hand bekannt. Deswegen muß jedem bei der Beurteilung der jetzigen Situation klar sein: Es ist derzeit kein zusätzliches Geld da. Man wird mit dem jetzigen Geld auskommen müssen, möglicherweise mit noch weniger Mitteln. Bund, Länder und Gemeinden sitzen hier in einem Boot. Vielleicht auch das zur Klarstellung: Der eigentliche Wohnversorgungsauftrag liegt bei den Gemeinden. Dann kommen die Länder, und dann kommt der Bund. ({1}) Die Vorstellung, wir könnten die öffentlichen Mittel im Westen drastisch erhöhen und gleichzeitig durch entsprechende Finanzzuweisungen den Aufbau im Osten finanzieren, ist kindisch, stellte kürzlich Jürgen Steinert, Präsident der GdW, mit Recht fest, wie ich meine. Was wir jetzt im Wohnungsbau brauchen, sind Ideen, gepaart mit Mut und Tatkraft. Wir wissen alle miteinander, daß es dabei keinen Königsweg gibt. Die Fachwelt und wir sind uns einig, daß wir erstens mehr Bauland brauchen, daß zweitens kostengünstiger gebaut werden muß, daß drittens Ansprüche an Größe und Ausstattung der Wohnungen überdacht werden müssen, daß viertens die Anpassung der Mieten an die tatsächlichen Kosten des Wohnens erfolgen muß, daß fünftens gegen Obdachlosigkeit durch spezifische Maßnahmen vorgesorgt werden muß, daß sechstens viel mehr - ich betone: viel mehr - privates Kapital mobilisiert werden muß und daß siebtens die Effizienz des Einsatzes der öffentlichen Mittel zu verbessern ist. Die Zukunft des Wohnungsbaus liegt in der Tat in mehr Flexibilität, in der Überwindung alten Denkens und einer stärkeren Marktorientierung bei wirksamen sozialen Hilfen, wie Sie, verehrte Frau Bauministerin, erst kürzlich ausgeführt haben. Unser Gesetz läßt sich an diesen Maßstäben messen. Es trägt dem Rechnung durch: erstens Schaffung des gesetzlichen Rahmens für eine einkommensorientierte Wohnungsbauförderung, zweitens Konkretisierung der vereinbarten Förderung, drittens Sicherung von Belegungsrechten im vorhandenen Wohnungsbestand, viertens Durchsetzung kosten- und flächensparenden Bauens und fünftens Anhebung der Einkommensgrenzen. Damit wird erreicht, daß sich die Wohnungsbauförderung künftig stärker als bisher an der individuellen Bedürftigkeit orientiert, um Fehlbelegungen und damit Fehlsubventionierungen von vornherein zu vermeiden. Die öffentlichen Gelder werden effektiver genutzt, so daß mehr preiswerter Wohnraum zur Verfügung steht, also mehr Wohnungen für die gleiche Summe. ({2}) Ich habe den Eindruck, Kollege Großmann, die SPD setzt sich nicht genügend mit der Sache auseinander. ({3}) Vielmehr trägt das, was Sie teilweise in der Presse geäußert haben, mehr zur Verunsicherung der Bevölkerung bei. Wie sollten sonst Überschriften wie „Ex und hopp", „Blinder Aktionismus" und sonstiges zu verstehen sein? Ich habe fast den Eindruck, Sie haben nicht genügend verstanden, um was es uns bei den Verbesserungen im sozialen Wohnungsbau geht. ({4}) Wer soziale Ziele im Wohnungsbau erreichen will, wer für möglichst genügend nutzbaren Wohnraum sorgen will, muß auch im Wohnungsbau und in der Wohnungswirtschaft die Gesetze der Marktwirtschaft beachten. ({5}) Eine Wohnungsbaupolitik aus sozialer Verantwortung muß die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Sie müssen mit treffsicheren sozialen Flankierungsmaßnahmen verbunden werden. ({6}) Wir werden uns nicht beirren lassen, meine Damen und Herren, für unsere Ziele einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft beharrlich auch die dicken Bretter zu bohren. Dabei sind wir selbstverständlich im Rahmen der Gesetzesberatungen zu Gesprächen bereit und für Ideen aufgeschlossen. ({7}) „Die Reform des Miet- und Förderrechts sieht uns in den Grundsätzen ohne Wenn und Aber an ihrer Seite", stellt der Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft in seiner Stuttgarter Erklärung fest. Diese äußerst positive Aussage beflügelt unsere Arbeit und zeigt auf, daß wir mit unseren Vorschlägen und Ideen auf dem richtigen Weg sind. Vielen Dank. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Norbert Formanski das Wort.

Norbert Formanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000568, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus einer Untersuchung der Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung geht hervor, daß mittlerweile fast jedem zweiten Bundesbürger die Höhe der Wohnungsmiete und auch die Möglichkeit, die Wohnung zu verlieren, große Sorgen bereiten. Das sind andere Zahlen, Herr Raidel. Die Bundesbauministerin hat recht mit ihrer Aussage, daß die Wohnungspolitik entscheidenden Einfluß auf den Ausgang der nächsten Bundestagswahl haben wird. Ihre Meinung jedoch, daß durch die Anpassung der Einkommensgrenzen keine einzige Sozialwohnung mehr zur Verfügung steht, ist nur auf den ersten Blick richtig. Doch nicht die längst überfällige Anpassung der Einkommensgrenzen ist das Hauptproblem, sondern Tatsache ist, daß immer noch viel zu wenige Sozialwohnungen gebaut werden. ({0}) Deshalb mußte sich die Koalition die Frage stellen lassen, warum sie die guten Anträge der SPDBundestagsfraktion zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus immer wieder abgelehnt hatte. ({1}) Mit unserem Antrag zur Erhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau im Frühjahr letzten Jahres haben wir jedoch Bewegung in die Überlegungen zur Neugestaltung des sozialen Wohnungsbaus gebracht. Mit Freude stellen wir mm fest, daß die Koalition nach der von uns angeregten Anhörung im September 1993 zum Thema „Anhebung der Einkommensgrenzen" die Dringlichkeit von Reformschritten erkannt und nun schließlich einen Gesetzentwurf zur Förderung des Wohnungsbaus vorgelegt hat, in dem auch die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau neu geregelt werden sollen. Lassen Sie mich noch einmal die wichtigsten Gründe für die längst überfällige Erhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau darlegen, wie sie auch in der Anhörung von vielen Wohnungsbauexperten zur Sprache kamen. Von 1980 bis 1992 sind die Bruttoeinkommen um über 50 % gestiegen, während die reale Kaufkraft sich lediglich um weniger als 5 % verbessert hat. Die Einkommensgrenzen sind hingegen in diesem Zeitraum nur einmal, nämlich 1985, geringfügig angehoben worden. ({2}) Es kann davon ausgegangen werden, daß heute gerade einmal 30 % aller Haushalte unter die Einkommensgrenzen fallen. In den letzten Jahren hat sich ein Trend zu mehr Ein- und Zweipersonenhaushalten herauskristallisiert. 1972 lebten noch rund sechs Millionen Menschen in den alten Bundesländern in Einpersonenhaushalten, 1990 waren es fast zehn Millionen. Der Anteil der Single-Haushalte stieg von 26,2 auf 35 %; in vielen Großstädten liegen diese Zahlen weit höher. Gab es Anfang der 70er Jahre in den alten Bundesländern 9,6 Millionen Ehepaare mit Kindern, waren es rund 20 Jahre später nur 8,7 Millionen. Während der Anteil der Ehepaare mit Kindern von 57 auf 51 % zurückging, stieg der Anteil der Familien ohne Kinder von 33,8 auf 38,1 % der westdeutschen Bevölkerung. Die Haushalte unterer und mittlerer Einkommensschichten sind jedoch bei der Vergabe von öffentlich geförderten Wohnungen stark benachteiligt. In der Anhörung machte der Vertreter von VEBA Wohnen, Herr Große-Wilde, deutlich, daß z. B. für einen alleinstehenden Arbeitnehmer in der chemischen Industrie die Einkommensgrenze heute bei 24 680 DM liege, obwohl die niedrigste Lohngruppe, die Einstiegslohngruppe, bei 31 014 DM angesetzt sei. Für einen vergleichbaren Metallarbeiter sehe es ähnlich aus. Dies führe dazu, daß nahezu kein Arbeitnehmer z. B. dieser beiden Branchen eine Sozialwohnung bekomme. Die Anhebung der Einkommensgrenzen wird auch gerechtfertigt durch die sich verschlechternden sozialen Strukturen in den Kommunen, in den Ballungsgebieten mit Sozialwohnungen, die zunehmend mit schwer integrierbaren und einkommensschwachen Haushalten belegt sind. Gerade die Vertreter der Kommunen wiesen in der Anhörung auf die Gefahr der Ghettoisierung durch eine Konzentration auf finanziell schlechter gestellte Haushalte hin. Weiterin ist zu bedenken, daß eine Massierung sozial schwacher Haushalte hohe Folgekosten z. B. für Sozialarbeiter oder höhere Instandhaltungskosten nach sich zieht. In den Kommunen entstehen soziale Brennpunkte. Sie müssen durch eine gesunde Durchmischung der Wohnbevölkerung entschärft werden. ({3}) Niedrige Einkommensgrenzen hemmen den Werkswohnungsbau, da Arbeitgeber sich nicht finanziell engagieren, wenn ihre Arbeitnehmer nicht zu dem Kreis der Berechtigten gehören. Arbeit und Wohnen gehören zusammen. Wer Arbeitsplätze schafft, muß auch für Wohnraum sorgen, nicht nur für Autostellplätze, wie es schon Pflicht ist. Der Werkswohnungsbau sollte eine Gemeinschaftsaufgabe von Unternehmen und öffentlicher Hand unter der Einbeziehung leistungsfähiger Bauträger sein. Öffentliche Förderung, gepaart mit finanzieller Beteiligung der Unternehmen, bei den Einstiegsmieten und Bindungen, könnte den Werkswohnungsbau beleben. Ebenso sollte das genossenschaftliche Bauen gefördert werden. In den letzten Jahren hat die Zögerlichkeit bei der Anpassung der Einkommensgrenzen die Investitionen im Werkswohnungsbau und im genossenschaftlichen Wohnungsbau entschieden gehemmt. ({4}) Anhand dieser Tatbestände stimmt die Aussage von Frau Schwaetzer und, wie auch heute hier zu hören war, von weiteren Kolleginnen und Kollegen nicht, daß durch die Anpassung der Einkommensgrenzen keine einzige Sozialwohnung zusätzlich zur Verfügung stehe. Ich behaupte, daß einige tausend Wohnungen gebaut worden wären und uns heute zur Verfügung stehen würden, wenn die Einkommensgrenzen rechtzeitig erhöht worden wären. ({5}) Mehrere Wohnungsbauexperten machten in der Anhörung deutlich, daß im werksverbundenen Wohnungsbau ein großer Bedarf vorhanden ist. Um weiNorbert Formanski tere Aktionen im Werkswohnungsbau wie z. B. in Nordrhein-Westfalen im ganzen Bundesgebiet zu ermöglichen, sind wir gefordert, endlich die überholten Richtzahlen anzupassen. Auch die Wohnungseigentumsförderung im sogenannten Schwellenbereich ist von den bestehenden Einkommensgrenzen negativ tangiert. Durch das Festhalten an den Einkommensgrenzen bei gleichzeitig massiven Baupreissteigerungen wurde die Gruppe der Bau- oder Kaufwilligen mittlerer Einkommensschichten immer kleiner. Die Erhöhung der Einkommensgrenzen, noch besser kombiniert mit einer sozial gerechteren steuerlichen Förderung, würde wieder zu besseren Verhältnissen bei der Eigentumsbildung für weite Kreise führen. Auf Grund dieser Argumente hatten wir in unserem Antrag gefordert, die Einkommensgrenzen an den verfügbaren Einkommen zu orientieren, d. h. von den Jahreseinkommen jeweils 10 % für Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung und Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie die zu zahlenden Steuern abzuziehen. Die Erweiterung des Kreises der Sozialwohnungsberechtigten durch die Anhebung der Einkommensgrenzen macht aber auch die Schaffung neuen Wohnraums notwendig: mindestens 200 000 neue Sozialwohnungen im Jahr. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Sozialwohnungen ständig dadurch reduziert, daß Wohnungen aus der Bindung herausgefallen sind. Mein Kollege Achim Großmann nannte heute morgen bereits die Zahlen. In dem Koalitionsentwurf wird unter anderem der Personenkreis der Wohnungsberechtigten neu definiert. Der Einkommensbegriff und die Einkommensermittlung in der Wohnungsbauförderung und bei der Fehlbelegung werden vereinheitlicht. ({6}) Mit der geplanten Anhebung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau folgt die Koalition leider nur zum Teil den Forderungen aus der SPD und der Wohnungswirtschaft. Die von uns geforderte lineare zehnprozentige Anhebung, die insbesondere für kleine Haushalte zu einer verbesserten Zugangsmöglichkeit zu Sozialwohnungen führen sollte, ist im Gesetzentwurf nicht enthalten. Durch die Neuregelung nehmen der Anteil der Einpersonenhaushalte und der Anteil der Zweipersonenhaushalte nur um jeweils 7 %, der Anteil der Drei- und Vierpersonenhaushalte jedoch um jeweils 11 % zu. Gerade aber die Ein- und Zweipersonenhaushalte müßten verstärkt wieder die Zugangsmöglichkeiten zu den Sozialwohnungen bekommen. Die von mir eingangs genannten Zahlenbeispiele müssen doch jedem einleuchten. Die geplante Anhebung entspricht weder unseren Forderungen noch denen aus Kommunen und Wohnungswirtschaft. Die kleinen Haushalte bleiben weiterhin benachteiligt. Bei der Ermittlung des Jahreseinkommens werden elf Leistungen als Einkommensbestandteile angerechnet, was zu einem erheblichen Anstieg des Einkommens führt. Dadurch wird die geplante Anhebung der Einkommensgrenzen zum großen Teil wieder kompensiert. Besonders hart trifft das alleinstehende Personen, die durch Nacht- oder Wochenendarbeit Zulagen erhalten, wie z. B. Krankenschwestern und -pfleger oder Polizisten, da dieser Ausgleich für die besonders belastenden Arbeitszeiten nun zum Einkommen hinzugerechnet werden soll. ({7}) Sogar die Berufsausbildungsbeihilfen für Kinder, die in der Ausbildung stehen, ihr sogenanntes erstes selbstverdientes Geld, sollen, wie noch weitere Leistungen, nunmehr angerechnet werden. ({8}) Gut, daß das Taschengeld von der Oma nicht auch noch herangezogen werden kann. Auch das wäre aus Ihrer Sicht, Herr Hitschler, wahrscheinlich noch Einkommen. ({9}) Für viele werden somit die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Erhöhungen der Einkommensgrenzen und die gleichzeitige Anrechnung von zusätzlichen Leistungen wahrscheinlich zum Nullsummenspiel; das ist also in der Tat eine Milchmädchenrechnung. ({10}) Für junge Ehepaare, die bisher fünf Jahre lang 8 400 DM anrechnen konnten, verschlechtert sich die Situation sogar noch. Ihnen wird nur noch ein Freibetrag von jährlich 8 000 DM - und das nur für drei Jahre - gewährt. Der eingeschlagene Weg zum Thema Erhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau im vorliegenden Gesetzentwurf ist zwar richtig, aber leider - wie so oft - halbherzig. Bleiben Sie nicht auf der halben Strecke stehen, ({11}) folgen Sie unseren Vorschlägen. Schönen Dank. ({12})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht der Kollege Jörg Ganschow.

Jörg Wolfgang Ganschow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000629, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir haben es heute wieder einmal mit einem Beispiel sozialdemokratischer Unlogik zu tun. Sie werfen uns vor, daß wir handeln. Prangerartig wird immer wieder auf die Inflexibilität der jetzigen, heute noch gültigen Regelungen verwiesen. ({0}) - Herr Großmann, was Sie immer wieder fordern, steht ganz genau im Gesetzentwurf. ({1}) Darin steht die Reform des sozialen Wohnungsbaus. Das ist genau der erste Schritt dafür. Die Neuorientierung ist deshalb notwendig, weil der Förderaufwand je Wohnung so hoch ist und weil damit das ganze System an die Grenzen seiner Finanzierbarkeit gestoßen ist. ({2}) Es ist doch wohl nicht von der Hand zu weisen, daß diese Grenzen erreicht sind. Die Wohnungsbauförderung wird sich nämlich in Zukunft an der individuellen Bedürftigkeit orientieren. Das ist der richtige Weg. Zur Erhöhung der Einkommensgrenzen: Ich kann mich erinnern, daß in den letzten Monaten dieser Antrag im Bauausschuß immer wieder vorlag, allerdings nach dem Major-Tom-Prinzip, nämlich völlig losgelöst von allen anderen Rahmenbedingungen. Jetzt sagen Sie: So geht es nicht. - Es ist irgendwo merkwürdig, daß die erste Reaktion auf diesen Gesetzentwurf die totale Ablehnung auf der ganzen Linie ist. ({3}) Ich muß sagen, bei Ihrer Forderung nach der Erhöhung der Einkommensgrenzen müßten Sie demnächst auch einmal aufpassen, daß Sie nicht mit einer anderen Dead-Line, einer anderen Glaubensgrenze, kollidieren, nämlich der der Besserverdienenden bei 60 000 DM. Wenn Sie so die Erhöhung der Einkommensgrenzen fordern - ({4}) - Ja sicher, aber Sie müssen bei beiden irgendwann aufpassen, daß Sie damit nicht kollidieren. Herr Großmann, in Ihrer Presseerklärung vom 17. Januar behaupten Sie und auch Frau Brusis, daß wegen der Mittel, die dann die Länder bereitstellen müssen, der Wohnungsbau zukünftig unkalkulierbar wird. ({5}) Ich muß sagen, das ist nicht von besonderem Vertrauen zu den Bauministern der Länder gekennzeichnet. Besser wäre vielleicht das Nachdenken über die Standards im sozialen Wohnungsbau. Frau Schenk, ich will nicht weiter auf das eingehen, was Sie verlangen. Denn das ist die Wiederholung der staatlichen Wohnungswirtschaft der DDR. Die Folgen sind überall zu besichtigen. ({6}) Herr Seifert, das so überaus erfolgreiche Wohnungsbauprogramm der SED und seine Folgen, das ist eines der größten Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben. ({7}) Es ist doch augenfällig, daß Sie immer wieder und immer stärker versuchen, für das ganze SED-Erbe andere verantwortlich zu machen, nach dem Prinzip: Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken! ({8}) Sie touren durch das Land und sagen: Jeder, der hier sitzt - außer Ihnen selbstverständlich -, will die bezahlbare Wohnung völlig unmöglich machen und alle Leute unter die Brücken treiben. Glücklicherweise haben wir die in PDS umbenannte SED, die sich immer wieder als Ostinteressenvertreter zeigt. - Ich muß Ihnen sagen: Der Mangel an Wohnungen in Deutschland ist eine Herausforderung und sollte nicht ein Schlachtfeld für Blockaden sein. Durch die Ablehnung dieses Gesetzentwurfs entsteht nicht eine einzige Wohnung mehr. Danke. ({9})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, Sie haben noch Zeit. Würden Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert gestatten?

Jörg Wolfgang Ganschow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000629, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich war fertig.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Sie haben noch Zeit. - Ach, Sie wollen nicht mehr. ({0}) Nun hat Kollege Peter Götz das Wort.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in Deutschland in einer außergewöhnlichen Situation. Die Welt hat sich verändert. Kommunismus und Sozialismus sind Gott sei Dank weggebrochen. ({0}) Aber man hat den Eindruck, daß viele der Debattenredner, gerade Sie von SPD und PDS, das bis heute noch nicht registriert haben. ({1}) Einerseits - das ist wahr - erfordert die Beseitigung der Hinterlassenschaft des real existierenden SozialisPeter Götz mus größere Anstrengungen als gedacht. Die Haushalte der Bürgerinnen und Bürger, aber auch die von Bund, Ländern und Gemeinden haben die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung, Wanderungsbewegungen nach Deutschland - warum auch immer -, die Tendenz zu mehr Single-Haushalten, wachsende Einkommen, der Wertewandel oder auch Werteverfall und neue Bedürfnisstrukturen schlagen sich unmittelbar am Wohnungsmarkt nieder. Die Nachfrage nach Wohnungen steigt unverändert. Allen Unkenrufen zum Trotz, auch wenn es Ihnen, Herr Großmann, nicht gefällt: Der Erfolg dieser Bundesregierung in der Wohnungspolitik ist für alle mehr als sichtbar. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Götz, Kollege Seifert hat noch einmal das Bedürfnis, eine Zwischenfrage zu stellen.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß die Zeit mir nicht angerechnet wird. Es wird mir eine Freude sein, die Frage zu beantworten.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Die Zeit wird selbstverständlich nicht angerechnet. - Herr Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Götz, leider habe ich nicht so viel Zeit wie Sie, sonst würde ich gern einmal auf die Defizite des Wohnungsbaus in der DDR eingehen.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das wäre eine gute Information, und es wäre sicher hilfreich.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, Herr Götz, ist ({0}) - da hatte ich noch nicht die Möglichkeit, in einem Parlament zu reden -: Wollen Sie die SED für die 2 Millionen fehlenden Wohnungen im Westen verantwortlich machen?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie die Wanderungsbewegungen von Ost nach West der letzten Jahre in die Kalkulation einbeziehen und wenn Sie wissen, daß Mitte der 80er Jahre ein Ausgleich vorhanden war, dann beantwortet sich diese Frage sehr rasch von selbst. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Es gibt noch ein Bedürfnis nach einer Zwischenfrage.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt wird es langsam interessant.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Götz, soeben haben wir gehört, rund 20 % der Bevölkerung sind nicht zureichend untergebracht. Folgen Sie meiner Rechnung, daß das 16 Millionen Bundesbürger sind, also ungefähr so viele, wie die ehemalige DDR Einwohner hatte, und stimmen Sie mir zu, daß Ihre Aussage, daß die Wanderungsbewegungen dies verursacht haben, nicht stimmen kann?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht, wie Sie diesen Zusammenhang herstellen. Die Aussage ist zunächst einmal, daß sich mehr als 80 % der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland als gut bis sehr gut wohnversorgt fühlen. Auch mir ist diese Zahl bekannt; sie wurde heute vormittag genannt. Tatsache ist aber auch, daß wir in den letzten Jahren - dies nicht nur von Ost nach West - Wanderungsbewegungen nach Deutschland von jährlich nahezu einer Million Menschen hatten. ({0}) Wenn Sie in der SPD nicht zwei Jahre lang unsere Asylpolitik verhindert hätten, wären wir auch in der Wohnungspolitik wesentlich früher einen Schritt weitergekommen. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Es gibt noch einmal das Bedürfnis nach einer Zwischenfrage.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ja, herzlich gern.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich lasse jetzt noch zwei Zwischenfragen zu. Dann sollten wir den Kollegen weiter reden lassen.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe damit keine Probleme.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Aber die anderen Kollegen, die danach kommen, möchten auch bald reden und möchten alle nach Hause. ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch das soll mir recht sein.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Götz, sind Sie der Auffassung, daß die verehrte Frau Ministerin Brusis heute den Mut hätte, als Wohnungsbauministerin des Landes Nordrhein-Westfalen hier aufzutreten, wenn sie in ihrem Land eine Bilanz vorzulegen hätte, nach der nur 80 % der Bevölkerung gut mit Wohnraum versorgt wären?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für die gute Frage. Ich beantworte sie so: Ich bin genauso gespannt wie Sie auf die Ausführungen der Kollegin Brusis aus Nordrhein-Westfalen. Meine Damen und Herren, noch einmal zu den -

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Sie hatten vorhin angedeutet, Sie würden auch die zweite Zwischenfrage von Herrn Schöler beantworten.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einverstanden, natürlich. Ich habe nur gedacht, der Kollege würde verzichten, da er sich wieder gesetzt hat.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, aber Kollege Hitschler war erst an der Reihe. Kollege Götz, 20 % von 80 Millionen sind 16 Millionen - da werden Sie mir sicherlich folgen können. Das ist der erste Punkt; das haben Sie nicht beantwortet. Der zweite Punkt ist: Könnten Sie mir, nachdem wir mehrfach von der Erfolgsbilanz von 400 000 Wohnungen gehört haben, die im letzten Jahr gebaut worden sind, bitte sagen, wieviel davon in einem Mietradius sind, der bezahlbar ist, also zwischen 6 und 10 DM pro Quadratmeter?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst noch einmal zu Ihrer Frage nach den Zahlen. Die Aussage war nicht, daß sich 20 % schlecht versorgt fühlen, sondern daß sich 80 % gut bis sehr gut versorgt fühlen. Daraus kann ich nicht den Umkehrschluß ziehen, daß sich die übrigen 20 % schlecht versorgt fühlen. Die zweite Aussage, die die Kosten, die Miethöhen betrifft: Jede zusätzlich geschaffene Wohnung am Wohnungsmarkt entlastet den Wohnungsmarkt und trägt dazu bei, daß das zusätzliche Angebot im Hinblick auf die Nachfrage eine Verbesserung bringt, den Engpaß beseitigt und zu einer Entlastung beiträgt. Wenn wir keine zusätzlichen neuen Wohnungen schaffen - unabhängig davon, ob es Sozialwohnungen, frei finanzierte Wohnungen oder Eigentumswohnungen sind -, werden wir eine weitere Verschärfung auf dem Wohnungsmarkt erhalten und dazu beitragen, daß die Wohnungen teurer statt billiger werden. Was wir wollen, ist, durch zusätzliche Wohnungen eine Entlastung am Wohnungsmarkt und damit auch eine Entlastung der Kosten und der Miethöhen zu erreichen. Wenn wir in diesem Jahr, 1994, über eine halbe Million neue Wohnungen bauen werden, so ist das ein Ergebnis, das seit 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr erreicht worden ist. - Der Kollege Raidel hat das vorhin bereits im einzelnen ausgeführt; ich will es nicht wiederholen. - Das bedeutet rechnerisch, daß damit in einem Jahr mehr als eine Million Menschen in eine neue Wohnung einziehen können, also erheblich mehr als dreimal soviel Menschen, wie in Bonn leben - damit wir uns über die Größenordnung, über die hier gesprochen wird, im klaren sind. ({0}) Meine Damen und Herren, so erfreulich diese Entwicklung ist, so verhängnisvoll wäre auch die Schlußfolgerung, alles könnte so weitergehen wie bisher. Was wir mehr denn je brauchen, ist die Bereitschaft zum Umdenken, die Bereitschaft zum Handeln. Wir können zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben auch im Wohnungsbau mit den Antworten von gestern nicht die Fragen von heute und morgen lösen wollen. Deshalb sind neue Wege unumgänglich. Dies gilt übrigens in nahezu allen Feldern der Politik, aber auch im Wohnungsbau. Dabei kann es nicht nur um die Modifizierung bestehender Förderinstrumente gehen, wie es die SPD in ihrem Antrag zur Erhöhung der Einkommensgrenze mit einer linearen Erhöhung im sozialen Wohnungsbau will. Das wäre zu kurz gegriffen, Herr Großmann. Wir brauchen einen total neuen Weg, einen Weg, der in die Zukunft weist. Der soziale Wohnungsbau ist in der heutigen Form nicht mehr verantwortbar. Der Einsatz öffentlicher Mittel von 250 000 DM, 350 000 DM und mehr Steuergeldern pro Wohneinheit ist zu teuer, führt zu Fehlbelegungen und ist damit sozial unausgewogen. ({1}) Wenn wir wissen, daß wir mit 1 Milliarde DM staatlicher Mittel Bauleistungen entweder für 4 000 Sozialwohnungen oder 10 000 frei finanzierte Mietwohnungen oder aber 20 000 Eigentumswohnungen auslösen können, wird deutlich, wo es anzusetzen gilt. Es wäre unverantwortlich, wenn wir überproportional Subventionen in wenige Sozialwohnungen steckten und diese nur einem kleinen Kreis privilegierter Personen überließen, nach dem Motto: Wer gewinnt das große Los der Sozialwohnungslotterie? Das wäre unsozial und - ich glaube, darüber sind wir uns einig - für die Facharbeiterfamilien, den Polizisten oder die Krankenschwester, die außen vor bleiben, unverständlich. ({2}) Wir brauchen Instrumente, um mit einer bestimmten Summe mehr Sozialwohnungen zu schaffen. Unser Gesetzentwurf bietet dafür jetzt die Voraussetzungen. Deshalb ist es erfreulich, wenn der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft vor kurzem bestätigte, daß es zu dieser Konzeption keine Alternative gibt. Um so mehr verstehe ich die Haltung des Berliner SPD-Bausenators nicht, ({3}) der einerseits im Bundesrat die Erhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau einfordert und sich jetzt andererseits darüber beklagt, daß diese Grenzen im Rahmen unseres Gesetzentwurfs angehoben werden. Hier wird die Widersprüchlichkeit der SPD-Politik mehr als deutlich. ({4}) - Danke. Natürlich, Dietmar Kansy, schmerzt es vielleicht den einen oder anderen Landeswohnungsbauminister bzw. die eine oder andere Landeswohnungsbauministerin, wenn man sich von liebgewordenen Gewohnheiten und Strukturen lösen muß und völlig neue Wege gegangen werden. Der alte Verwaltungsgrundsatz „Das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen!" muß auch in Ländern wie Nordrhein-Westfalen überwunden werden. Flexibilität, meine Damen und Herren, ist gefragt. Der zu hohe Subventionsaufwand pro Wohneinheit im sozialen Wohnungsbau, Herr Großmann, und die zunehmend fehlende soziale Treffsicherheit machen eine grundlegende Überarbeitung der Wohnungsbauförderung erforderlich. Wer über genug Gehalt verfügt, um marktübliche Mieten bezahlen zu können, sollte dies tun müssen, auch wenn er in einer Sozialwohnung wohnt. Dadurch werden finanzielle Mittel frei, die in den Neubau zusätzlicher Sozialwohnungen investiert werden können. Der Gesetzentwurf trägt dem Rechnung. Ein Teil der Überschüsse sollte den Kommunen zum Erwerb zusätzlicher Belegungsbindungen zur Verfügung gestellt werden, um in Fällen der akuten Wohnungsnot schnell helfen zu können. Erstmals ist jetzt der Erwerb von Belegungsrechten aus dem Bestand möglich. Damit kann bei Wegfall der Sozialbindung ein preiswerter Wohnungsbestand gesichert werden. Insofern sind die Aufgeregtheiten im Zusammenhang mit der Belegungsbindung nur schwer verständlich. Ich will ein Weiteres ansprechen: die Möglichkeit des Erwerbs von Wohneigentum. Es gibt jede Menge Haushalte, die zwar genügend Kapital angespart oder geerbt haben, um sich Wohneigentum zuzulegen, die aber die laufenden monatlichen Belastungen nicht tragen können. Gerade in Zeiten, in denen die öffentliche Hand finanziell keine Riesensprünge machen kann, ist es wichtiger denn je, privates Kapital für den Wohnungsbau zu gewinnen. Mit dem Bundeshaushalt 1994 besteht erstmals die Möglichkeit, daß Garnisonsstädte und -gemeinden nicht nur Kasernen, sondern auch Militärwohnungen des Bundes zu Sozialwohnungskonditionen günstig erwerben, wenn eine Belegungsbindung von mindestens 20 Jahren eingegangen wird. Somit besteht zusätzlich die Chance, an preiswerte Altbauwohnungen mit günstigen Mieten zu kommen. Städte und Gemeinden sind gut beraten, diese Möglichkeit zu nutzen. ({5}) Lassen Sie mich abschließend festhalten: Mit dem Wohnungsbauförderungsgesetz 1994 verbessern wir investitionspolitische Spielräume, vor allem im Werks- und Genossenschaftswohnungsbau. Wir wissen: Dies kann nur der Einstieg in eine grundlegende Reformierung und Neuorientierung des sozialen Wohnungsbaus sein. Was wir brauchen, ist - das wurde heute schon gesagt - ein drittes Wohnungsbaugesetz, ein Gesetz, das auch Neuregelungen für den Sozialwohnungsbestand beinhaltet. In diese Zukunftsüberlegungen gehören auch: erstens eine familienfreundliche Eigentumsförderung in Verbindung mit radikalen Vereinfachungen im Steuerrecht; zweitens - ich glaube, da sind wir uns einig - die Förderung von genossenschaftlichen Anteilen im Wohnungsbau und die Änderung des Wohnungsgenossenschaftsrechts; drittens eine stärkere Berücksichtigung des kosten- und flächensparenden Bauens und die Überprüfung der Baunormen im Hinblick auf ihre Notwendigkeit. Dabei wollen wir die im Herbst dieses Jahres zu erwartenden Ergebnisse der von uns eingesetzten Expertenkommission zur Überprüfung der Wohnungspolitik verwerten. Dies wird eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode sein. Mit dem heutigen Gesetzeswerk wollen wir vorab erste wichtige Reformschritte gehen, um eine völlige Neuorientierung im sozialen Wohnungsbau einzuleiten. Ich ermutige Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen! Verzichten Sie auf die übliche Verweigerungs- und Blockadestrategie! ({6}) Tragen Sie mit dazu bei, daß wir im Interesse vieler wohnungssuchender Menschen zu einem zügigen, positiven Abschluß dieses Gesetzgebungsverfahrens kommen! Herzlichen Dank. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat das Wort die Ministerin für Bauen und Wohnen des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Ilse Brusis. ({0}) Ministerin Ilse Brusis ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Niemand wird bestreiten, daß es in der Wohnungspolitik Handlungsdruck gibt. Es gibt ihn insbesondere im Bereich der steuerlichen Förderung, ({2}) die gerade im Bereich des freifinanzierten Wohnungsbaus - und da bei der Eigentumsbildung - bisher sozial ungerecht und wohnungspolitisch effektiv gestaltet ist. - Ineffektiv gestaltet ist. ({3}) Aber ich habe ihn korrigiert. Nur, darüber sprechen wir heute nicht. Ich will aber nicht verschweigen: Auch ich sehe Handlungsbedarf im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, insbesondere im Bereich der Einkommensgrenzen, die seit Anfang der 80er Jahre nicht mehr angehoben worden sind. Aber ich füge hinzu: Ich sehe ebenfalls dringenden Präzisierungs- und Vereinfachungsbedarf hinsichtlich der Verfahren der Verteilung und Verwendung der Bundesfinanzhilfen, insbesondere einen Bedarf im Hinblick auf die Anpassung an die verfassungsrechtliche Situation. Ministerin Ilse Brusis ({4}) Der Bundesrat hat mit dem Wohnungsbauänderungsgesetz 1993 und dem Wohnungsbaufinanzierungsgesetz 1993 schon im letzten Jahr konkrete Vorschläge vorgelegt und in den Deutschen Bundestag eingebracht, ({5}) mit denen diesen Bedürfnissen Rechnung getragen werden sollte. Wer unbefangen urteilt, kann den neuen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen als Reaktion auf diese Gesetzesinitiativen des Bundesrats begreifen. ({6}) Ich verstehe ja, meine Herren und Damen, daß Sie da in einer etwas unkomfortablen Situation waren. Sie wollten nicht nur reagieren, sondern Sie wollten in der Öffentlichkeit deutlich machen, daß auch Sie initiativ werden. Nun haben Sie Ihre Reaktion auf die Gesetzesvorschläge des Bundesrates mit einer Fülle weiterer Vorschläge begleitet. ({7}) - Das hat mich nicht erschreckt; so leicht bin ich nicht zu erschrecken. Ich begrüße ausdrücklich, daß Bewegung in die Frage der Einkommensgrenzen gekommen ist. Herr Abgeordneter Hitschler, es bedarf keiner Aufforderung an die Länder - die Sie soeben, an mich gerichtet, ausgesprochen haben -, in eine Diskussion einzutreten. Diese Diskussion hätten Sie seit Mai vergangenen Jahres intensiv führen können. ({8}) Ich glaube, es wäre etwas ehrlicher gewesen, wenn Sie vorhin gesagt hätten: Der Vorschlag des Bundesrates enthält einige gute Ansätze, die wir aufgegriffen haben; ({9}) mit einigen Punkten sind wir nicht einverstanden. Wir haben andere Vorschläge gemacht. - Nun müssen wir uns darüber unterhalten. Ich bin sehr dafür, daß wir das möglichst schnell tun, denn die Menschen warten darauf. ({10}) Für bemerkenswert halte ich allerdings, daß Sie ein einstimmiges Votum des Bundesrates zum Wohnungsbaufinanzierungsgesetz schlicht ignorieren. Ich lese in der Presse in den letzten Tagen immer wieder, daß Sie sich nun um einen Kompromiß mit den Ländern bemühen werden. Wenn Ihnen wirklich an einem Kompromiß mit den Ländern gelegen ist, dann müssen Sie diesen Gesetzentwurf zum Wohnungsbaufinanzierungsgesetz mit auf greif en. ({11}) Es geht in diesem Gesetzentwurf zum Wohnungsbaufinanzierungsgesetz - ich empfehle Ihnen, ihn zu lesen ({12}) im wesentlichen um die verfassungsrechtliche Klarstellung und nicht darum, ob mehr oder weniger Bundesfinanzhilfen zur Verfügung stehen, sondern darum, wie sie von den Ländern verwendet werden können. ({13}) Ich komme nachher noch einmal darauf zurück. Nun beschränkt sich der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf leider nicht nur auf das dringend Notwendige, sondern er stellt den - wie ich finde - durchsichtigen Versuch dar, durch eine breite Auflistung von Einzelvorschlägen den Eindruck zu vermitteln, als ob Sie nicht nur reagieren, sondern selbst wohnungspolitisch initiativ werden. Bei genauerer Betrachtung der Vorschläge kann man vielfach nur mit Kopfschütteln, Unverständnis und leider auch Ablehnung reagieren. ({14}) Lassen Sie mich unmißverständlich sagen: Dieser Gesetzentwurf ist so in wesentlichen Punkten nicht akzeptabel. Ich will das an einigen Beispielen inhaltlich verdeutlichen. Mit der Behauptung, die herkömmliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus stoße an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit, folgt der Gesetzentwurf einem populären Vorurteil, das so alt ist wie der soziale Wohnungsbau. Diese Behauptung ist so falsch wie unsinnig. Sie ignoriert völlig die Weiterentwicklung der Fördersysteme, wie sie sich in den Ländern in den letzen Jahren vollzogen hat. Sie resultiert aus der Unkenntnis der tatsächlich von den Ländern gewährten durchschnittlichen Förderung pro Wohnung. Solange es in Nordrhein-Westfalen möglich ist - und wenn auch mit dem Instrument der Senkung der Wohnflächenobergrenzen und der festen Darlehen -, für ein Durchschnittsdarlehen von 120 000 bis 130 000 DM eine Wohnung im ersten Förderweg mit 40- bis 50jähriger Bindung zu errichten, bin ich nicht der Auffassung, daß dies nicht mehr finanzierbar ist, sondern es ist eine der ökonomischsten Fördermethoden, die wir haben. ({15}) Ich würde es sehr bedauern - und ich meine, es wäre ein gravierender sozialpolitischer Rückschritt -, wenn wir angesichts der begrenzten Finanzierungsmittel, die uns zur Verfügung stehen, den jahrzehntelangen breiten gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich des Versorgungsauftrags des sozialen Wohnungsbaus, gerade in einer Zeit hohen Wohnungsmangels, und zwar eines Mangels, der sich auf die preiswerten Wohnungen bezieht, jetzt in Frage stellen würden. Nennen Sie es, wie Sie wollen, ob ersten, zweiten oder fünfunddreißigsten Förderweg: Für die Länder ist es wichtig und unverzichtbar, daß es eine Fördermethode gibt, wonach sie öffentlich-rechtliche Bindungen im sozialen Wohnungsbau mit langfristigen Sozialbindungen herstellen können. ({16}) Als angeblich wesentliche Verbesserung gegenüber der herkömmlichen Förderung wird die sogeMinisterin Ilse Brusis ({17}) nannte einkommensorientierte Förderung vorgeschlagen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Ministerin Brusis, der Kollege Hitschler hat das Bedürfnis nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie die zu? Ministerin Ilse Brusis ({0}): Wenn es mir nicht auf die Zeit angerechnet wird, ja.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Sie dürfen hier so lange reden, wie Sie wollen, allerdings würden Sie sich dann in große Konflikte mit Ihrer Fraktion im Bundestag begeben; aber es wird Ihnen nicht angerechnet. Ministerin Ilse Brusis ({0}): Danke schön.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Minister Brusis, Sie wissen, daß wir die Bedeutung der langfristigen Bindungen unterschiedlich einschätzen. Das ist die politische Bewertung von unterschiedlichen Standorten aus. Aber meine Frage an Sie, nachdem Sie für Ihr Land soeben betont haben, daß Sie nach wie vor auf langfristige Bindungen Wert legen: Können Sie mir sagen, ob dieser Gesetzentwurf Sie in irgendeinem Punkt daran hindern wird, nach wie vor im ersten Förderweg Sozialwohnungen mit langfristigen Bindungen zu bauen? Ministerin Ilse Brusis ({0}): Herr Abgeordneter Hitschler, ich will zunächst sagen, daß ich mich im Hinblick auf die Forderung nach langfristigen Bindungen nicht allein weiß, sondern, daß dies ein wichtiger Punkt für viele Bundesländer ist. Zum zweiten haben Sie recht, wenn Sie darauf hinweisen, daß in diesem Gesetzentwurf eine Abschaffung des sogenannten ersten Förderweges nicht beabsichtigt ist. Ich habe aber der Presse entnehmen können, daß zumindest aus der CDU/CSUFraktion des Deutschen Bundestages Stimmen gekommen sind, daß mit dem zweiten Schritt, den Sie in der nächsten Legislaturperiode vorhaben, der erste Förderweg abgeschafft werden soll. Wir werden sehen, was sich in der nächsten Legislaturperiode tut. ({1}) Ich komme zur einkommensabhängigen Förderung; das soll nun der große Wurf sein. Der Gesetzesbegründung liegen, obwohl alle Experten von Ländern und Gemeinden wie auch Investoren in dem Planspiel nachhaltig das Gegenteil dargelegt haben. falsche und geschönte Angaben zugrunde. Wenn Sie behaupten, meine Herren und Damen der Koalitionsfraktionen, mit Hilfe der einkommensabhängigen Förderung könnten mit den gleichen öffentlichen Mitteln mehr Wohnungen gebaut werden, dann frage ich Sie: Und wer bezahlt den Rest? Der Mieter? - Doch wohl nus, wenn er über ein entsprechendes Einkommen verfügt. Denn Mietern mit niedrigerem Einkommen muß doch eine angemessene Zusatzförderung gezahlt werden. ({2}) Ihre Strategie, mit dem gleichen Geld mehr Wohnungen zu fördern, bedeutet, daß der öffentlich geförderte Wohnungsbau in Zukunft nicht mehr denjenigen zur Verfügung steht, für die er gedacht ist, nämlich für die Haushalte mit kleinen Einkommen; ({3}) es sei denn, Sie vertrauen darauf, daß irgend jemand bereit ist, eine entsprechend hohe und angesichts der prognostizierten Einkommensentwicklung der nächsten Jahre auch mit hohem finanziellem Risiko behaftete Zusatzförderung zu übernehmen. Ich formuliere ausdrücklich „irgend jemand", weil ja die Beteiligung des Bundes an dieser Zusatzförderung - wie ich dem Gesetzentwurf entnehmen kann - auf außerordentlich unsicherer Grundlage steht.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Brusis - Ministerin Ilse Brusis ({0}): Ich möchte gern den Gedanken zu Ende führen. - Recht hat der Bundesfinanzminister, wenn er sagt, daß ihm das finanzielle Risiko zu groß ist. Ich sage nur: den Ländern und Kommunen auch, meine Herren und Damen. ({1}) Wenn Sie im Gesetzentwurf schreiben „Die Zusatzförderung wird sich nach Maßgabe des Bundeshaushalts gestalten", dann sage ich: bei den Ländern und Kommunen auch. ({2}) Was ist denn, wenn die „Maßgabe des Bundeshaushalts", der Länderhaushalte und der kommunalen Haushalte eine Zusatzförderung in der entsprechenden Höhe nicht zuläßt? Dann bleibt der Investor auf seinen Wohnungen sitzen, weil niemand die Miete bezahlen kann! Ich glaube nicht, daß dies die Wohnungswirtschaft so sehr glücklich machen wird.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Brusis, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage? Ministerin Ilse Brusis ({0}): Ja, jetzt kommen wir zu der Frage, gern.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß gerade im ersten Förderweg mit sehr langen Belegungsbindungen die Zahl der Fehlbeleger im sozialen Wohnungsbau nach dem herkömmlichen System mit zunehmender Dauer der Belegungsbindung zunimmt, daß hierin gerade eine hohe soziale Ungerechtigkeit liegt, daß unser System, so wie wir es jetzt vorschlagen, gerade die Fehlbelegungsquote herunterfährt und daß die Differenz die Möglichkeit eröffnet, zusätzliche neue Wohnungen zu schaffen? Ministerin Ilse Brusis ({0}): Herr Abgeordneter, ich komme gleich noch einmal zum Problem der Fehlbelegungsabgabe. - Ihrer Frage liegt aber auch, glaube ich, eine nicht ganz richtige Einschätzung der Einkommensentwicklung in unserem Land zugrunde. Wir haben zwar im Durchschnitt steigende Einkommen, aber wir haben in immer größer werdenden Teilen der Bevölkerung auch stagnierende und sinkende Einkommen. Die Zahl der Fehlbeleger im sozialen Wohnungsbau des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich in den letzten Jahren relativ konstant bei etwa 16 % gehalten. ({1}) Allerdings hat natürlich die Nichtanhebung der Einkommensgrenzen dazu geführt, daß die Zahl steigen müßte, Die Einkommensentwicklung war aber gegenläufig und hat die Zahl in etwa konstant gehalten. Ich komme nun zur Fehlbelegung. ({2}) - Frau Präsidentin, der Herr Abgeordnete möchte noch einmal fragen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Dann darf der Herr Abgeordnete das, wenn Sie es zulassen. ({0}) - Jetzt würde ich doch darum bitten, die Zwiegespräche anschließend zu führen, Herr Abgeordneter.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es würde mich ungemein reizen, das Zwiegespräch fortzusetzen, aber ich will nur noch eine Frage anknüpfen: Sind Sie der Auffassung, daß dieses System, auch wenn es nur 16 % sind - mit zunehmender Tendenz, wie Sie sagten; vielleicht auch auf Grund der bestehenden Einkommensgrenzen -, sozial ausgewogen ist und sozial treffsicher ist? Ministerin Ilse Brusis ({0}): Herr Abgeordneter, ich wäre jetzt ohnehin zum Stichwort Fehlbelegung gekommen; denn Sie behaupten ja in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs, daß Sie mit der einkommensorientierten Förderung die Fehlbelegung abschaffen und vermeiden. ({1}) Wie denn? - Indem Sie sie einfach wegdefinieren! Denn auch bei Ihrem Fördersystem ist es doch nicht anders als im jetzigen sozialen Wohnungsbau auch: Wenn das Einkommen des Mieters steigt, bleibt er in der einmal geförderten Wohnung, aber er muß mehr Miete bezahlen. ({2}) Genauso funktioniert die Fehlbelegungsabgabe in Nordrhein-Westfalen mit einem sehr differenzierten System, das sich an mindestens sechs Einkommensgruppen orientiert. ({3}) Nun sagen Sie: Wir wollen das aber alles noch perfektionieren; da soll im Hinblick auf die Fehlbelegungsabgabe nicht, wie in Nordrhein-Westfalen, alle drei Jahre überprüft werden, ob sich das Einkommen geändert hat, sondern jedes Jahr. - Da bitte ich Sie, doch einmal die Kommunen zu fragen, ob dies denn von den kommunalen Behörden wirklich zu bewältigen ist. Natürlich kann man ein Fördersystem immer noch sehr viel gerechter und sehr viel differenzierter machen. Aber man muß abwägen, was dies dann zusätzlich an Verwaltungskosten herbeiführt. Ich denke, in der Abwägung hat sich bisher das System der Fehlbelegungsabgabe relativ gut bewährt. Ich wollte hier nur deutlich machen: Sehr viel ändert sich bei Ihrem System der einkommensorientierten Förderung auch nicht. Sie geben vor, mit diesem Gesetzentwurf gegen die Fehlbelegung anzugehen. Meine Herren und Damen Abgeordneten, das Gegenteil ist der Fall. ({4}) - Die Abgeordneten der Koalition meine ich. Ihr Gesetzentwurf ist es. Ihr Gesetzentwurf sieht breite Ausnahmeregelungen für die Belegungspraxis durch Freistellungen vor. Das ist eine Legalisierung der Fehlbelegung, und zwar ohne entsprechende Mietzahlungen. An dieser Stelle ist Ihr Gesetzentwurf außerordentlich widersprüchlich. Sie sehen also - ich habe die Forderungen nach Umdenken in der Wohnungspolitik immer gehört -: Umdenken alleine reicht nicht. Man muß auch zu Ende denken ({5}) und dann das Ergebnis dieses Denkens richtig bewerten. Da kann ich nur sagen: Die einkommensorientierte Förderung ist noch nicht zu Ende gedacht. Aber wir haben in den letzten zwei Jahren schon intensiv darüber nachgedacht. Wir sollten auch weiter darüber nachdenken. Vielleicht fällt uns ja noch ein besseres Fördersystem ein. ({6}) Nun hören die Länder im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf immer, daß dies ja nur das Angebot eines zusätzlichen Förderweges für die Länder sein soll. Nun gut, wenn es das sein soll, meine Herren und Damen von den Koalitionsfraktionen, dann ist es allerdings erforderlich, daß Sie sich den vom Bundesrat einstimmig angenommenen Entwurf zum Wohnungsbaufinanzierungsgesetz auch einmal ansehen. Nur wenn Sie die darin enthaltenen klarstellenden Regelungen zur verfassungsrechtlichen Situation übernehmen, dann meinen Sie es ernst mit diesem Angebot an die Länder. ({7}) Ministerin Ilse Brusis ({8}) Ohne Berücksichtigung dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates wird nach meiner Überzeugung eine Zustimmung der Länder nicht zu erzielen sein. ({9}) Meine Herren und Damen von den Koalitionsfraktionen, auch das von Ihnen gewählte Verfahren der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzentwurfs steht in krassem Widerspruch zu Ihren Erklärungen zur Kompromißbereitschaft. ({10}) Unter von der Sache her nicht gerechtfertigtem höchstem Zeitdruck wird in einem verkürzten Verfahren, d. h. ohne angemessene frühzeitige Beteiligung der Länder durch den Bundesrat, versucht, weitreichende Gesetzesänderungen festzuschreiben, obwohl die Länder das Gesetz auszuführen und den weit überwiegenden Teil der Kosten zu tragen haben. ({11}) Meine Herren und Damen, ich schlage vor, daß wir bei der weiteren Beratung der Gesetzentwürfe des Bundesrates, der SPD-Bundestagsfraktion und der Koalitionsfraktionen weniger parteipolitisch taktieren ({12}) und in den nächsten Wochen das in den Mittelpunkt stellen, was wohnungspolitisch wirklich dringlich ist und den von Wohnungsnot betroffenen Menschen hilft. ({13}) Ich will Ihnen sagen, was ich mit parteipolitischem Taktieren meine. Hier ist heute mehrfach eine Stellungnahme des Deutschen Städtetages zur Anhebung der Einkommensgrenzen zitiert worden. Ich bin der Meinung, wir sollten so wichtige Stellungnahmen von kommunalen Spitzenverbänden nicht nur zitieren, wenn sie uns in den Kram passen. Ihnen passen sie nun einmal gerade in den Kram bei der Anhebung der Einkommensgrenzen. ({14}) Ich habe großes Verständnis für die Bedenken des Deutschen Städtetages gegen die Anhebung der Einkommensgrenzen. Aber dann muß hier bei diesem Gesetzentwurf auch gesagt werden, daß die kommunalen Spitzenverbände erhebliche Bedenken gegen die Durchführung der einkommensorientierten Förderung haben. Das haben Sie verschwiegen. Ich meine, wir sollten offen und ehrlich in dieser Diskussion miteinander umgehen ({15}) und wirklich alle Bedenken und alle Argumente prüfen und dann zu vernünftigen Ergebnissen kommen. ({16}) Meine Herren und Damen, lassen Sie uns wirklich das in den Vordergrund stellen, was hilft, den von Wohnungsnot betroffenen Menschen zu helfen. Angesichts der positiven Wohnungsbauleistungen gerade im sozialen Wohnungsbau ist politischer Aktionismus wenig hilfreich. Im Interesse der vielen Wohnungssuchenden in unseren Städten und Gemeinden hoffe ich, daß es zu einer Verständigung und damit zu einer Verbesserung des bundesgesetzlichen Rahmens für unsere Wohnungspolitik kommt. ({17})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Und nun hat das Wort Frau Bundesministerin Irmgard Schwaetzer. ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf verbindet mehrere Elemente zu positiven Effekten auf dem Wohnungsmarkt. Erstens. Die Zahl preiswerter belegungsgebundener Wohnungen steigt, einmal durch die Einführung der einkommensorientierten Förderung und zum anderen durch die Wiedereinführung der Modernisierungsförderung zum Zweck des Ankaufs von Belegungsbindungen. Zweitens. Die Mieterstruktur in den Beständen wird - was ja heute morgen mehrfach angemahnt worden ist - wieder sozial tragfähig. Der Gesetzentwurf bewirkt also genau das, was hier gefordert worden ist, und das wird durch die strukturellen Anhebungen der Einkommensgrenzen bewirkt. Ich habe da übrigens gar keine Probleme, Frau Kollegin Brusis, ein Erstgeburtsrecht für das Thema beim Bundesrat zu entdecken. Wichtig ist mir, daß in Zukunft auch Polizisten und Krankenschwestern wieder die Möglichkeit haben, Anspruch auf eine Sozialwohnung zu bekommen. ({0}) Die vorgelegten Maßnahmen sind problemorientiert, sie sind marktwirtschaftlich, und sie sind sozial treffsicher. Ich bin deshalb den Koalitionsfraktionen dankbar, daß sie die Vorschläge für die einkommensorientierte Förderung, die ich im Herbst 1992 vorgelegt habe, aufgegriffen haben. Leider kann der Gesetzentwurf erst jetzt vorgelegt werden, weil die Länder unter Führung des Landes Nordrhein-Westfalen im Herbst 1992 darauf bestanden haben, zunächst ein Planspiel durchzuführen. Innerhalb dieses Planspiels haben dann die Länder - wieder unter tatkräftiger Mithilfe der an den bequemen ersten Förderweg gewohnten staatlichen Wohnungsunternehmen -versucht, die unternehmerischen Elemente dieses jetzt vorgelegten Förderweges möglichst zu blockieren. Deswegen hat es erstens so lange gedauert, und zweitens waren die Ergebnisse kontrovers. Aber es ist deutlich geworden, daß wenige Vorgaben im Gesetz gemacht werden müssen, und diese Vorgaben müssen die datenschutzrechtlichen Regelungen genauso betreffen wie eine Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen der Förderstelle, dem Investor und dem Mieter. Das wird mit dem vorgelegten Gesetzentwurf erreicht. Was damit bewirkt wird, ist mehr Flexibilität für die Vertragsgestaltung zwischen Land und Investor, d. h. genau das, was auch die Länder von uns immer wieder fordern, nämlich in diesem Bereich Flexibilität und eigene Entscheidungsmöglichkeiten zu bekommen. Dies wird hier nicht etwa - wie Frau Brusis das hier eben unterstellt hat - blockiert; ganz im Gegenteil, es wird gefördert. Dies waren von Anfang an meine Vorstellungen. Dazu hätte es kein Planspiel gebraucht. Es gibt mit dieser einkommensorientierten Förderung mehr Wohnungen für die in der Tat ja knappen Mittel, die bei Bund und Ländern für den Wohnungsbau bereitstehen. Es muß ja auch unser Ziel sein, eine sparsame Verwendung von Steuermitteln zu bewirken. Dann muß man doch noch einmal auf die Berechnungen eingehen, die hier vorgelegt werden, was denn eine Wohnung im ersten Förderweg kostet. Ihre Schätzungen, Frau Brusis, die Sie uns heute morgen auch hier wieder vorgelegt haben mit den 140 000 DM pro Wohnung, ziehen ja nicht in Betracht, was Sie in Nordrhein-Westfalen inzwischen schon seit vielen Jahren machen, nämlich den Gemeinden sehr hohe Lasten für die Mitfinanzierung des von Ihnen vorgegebenen Fördersystems aufzuerlegen. Insofern ist das schon ein wenig ein Rechentrick. Unter allen Fachleuten ist unbestritten, daß im Durchschnitt der erste Förderweg einen Subventionsbedarf von etwa 200 000 bis 250 000 DM pro Wohnung beinhaltet. Das macht in der Tat schon deutlich, daß mit diesem Fördersystem die bestehenden Engpässe nicht behoben werden können. ({1}) Darüber hinaus muß noch einmal deutlich unterstrichen werden, daß die Zusatzförderung sozial gerechter ist. Hier wird endlich die Gießkannenförderung des ersten Förderweges zugunsten einer Förderung aufgegeben, die sich am Einkommen der Mieter einer Wohnung orientiert und nicht mehr an der Dicke der geförderten Mauern. Insofern ist diese Umsteuerung auf mehr Subjektförderung genau das, was auch in einer Gesellschaft, die soziale Verantwortung ernst nimmt, gebraucht wird. Im übrigen führt das von Ihnen so hochgepriesene Fehlbelegungssystem in Nordrhein-Westfalen z. B. dazu, daß ein Bundestagsabgeordneter hier in Bonn, wie der Kollege Conradi herausgefunden hat, nicht einmal zur Fehlbelegungsabgabe herangezogen würde. Das kann doch nicht sozial gerecht sein. ({2}) Die Zahl der geförderten Sozialwohnungen von 100 000 im Jahre 1993 ist in der Tat steigerungsfähig. Wir streben an, daß mit den vorhandenen Mitteln mindestens 130 000 Wohnungen gefördert werden können. Das ist möglich, Frau Kollegin Brusis, weil hier endlich keine Kostenmiete mehr genommen wird, eine Kostenmiete, die den Unternehmer praktisch risikofrei stellt und damit Steuermittel ineffizient verwendet. Das geht nicht zu Lasten der Mieter, was wir hier vorschlagen, sondern es beinhaltet lediglich, daß das ineffiziente System der Kostenmiete endlich zu den Akten gelegt wird. Der Bestand wird darüber hinaus durch die Modernisierungsförderung ausgeweitet. Das ist unsere Antwort, Frau Kollegin Brusis, auf das, was die Sozialdemokraten immer fordern, nämlich eine 30- bis 50jährige Bindungsfrist. Was ist denn effizienter: ständig für teures Geld neue Wohnungen zu bauen, obwohl wir alle wissen, daß die Mittel knapp sind und sparsam eingesetzt werden müssen oder lieber einen geringeren Teil von Mitteln einzusetzen, um den preiswerten Bestand, der heute da ist und für den die Belegungsbindung ausläuft, in der Belegungsbindung zu halten und damit preiswerten Wohnraum zu erhalten? Das ist unsere Antwort auf Ihre unrealistischen Forderungen. ({3}) Die Einwände der Sozialdemokraten gegen das vorgelegte Fördersystem sind hier in schöner Off en-heit dargelegt worden. Es geht hier offensichtlich nicht um soziale Gerechtigkeit, es geht ums Geld. Aber so sind sie halt, die Bundesländer. Das haben wir schon beim Solidarpakt gesehen. Ich bin gerne bereit, mit allen Ländern auch darüber zu reden, wie die grundgesetzlichen Vorgaben heute ausgestaltet sind. Der Bund soll zahlen, aber Mitsprache bei der Verwendung von Mitteln soll er nicht haben. Das hätten die Länder wohl gerne. Deswegen kann ich nur sagen: Wenn die Länder darauf bestehen, mit dem Bund darüber zu verhandeln, daß und wie eine bestimmte Mittelhöhe festgelegt wird, dann ist die Antwort, die darauf erfolgen muß, ganz klar: Dann braucht der Bund verfassungsrechtlich abgesicherte Mitbestimmungsrechte beim Einsatz dieser Mittel. ({4}) Das begreift im übrigen jeder Bürger. 1994, meine Damen und Herren, wird jede Minute eine Wohnung fertiggestellt, bezugsfertig. Ich hoffe, es gibt mehr Wohnungen für Familien als ausschließBundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer lieh für Singles, denn Familien sind im Moment die Verlierer am Wohnungsmarkt. Deswegen müssen wir für sie besonders sorgen. Wir tun es auch mit dem speziell darauf ausgerichteten Sonderförderprogramm für Ballungszentren. Diese Fertigstellungszahlen sind zuletzt 1974 erreicht worden. Damals hieß der Bauminister Hans-Jochen Vogel, der ehemalige Fraktions- und Parteivorsitzende der SPD. An diese Tradition, viele Wohnungen bezugsfertig in den Markt zu entlassen, knüpfe ich gerne an. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist der Einstieg in eine grundlegende Reform des öffentlich geförderten Wohnungsbaus vorgezeichnet. Damit wird mehr Übersichtlichkeit und mehr Marktwirtschaft auch in diesem Bereich verankert. Der Weg, meine Damen und Herren, ist richtig. Ich hoffe, daß ihn auch die Sozialdemokraten letztlich mitgehen werden. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Werner Dörflinger das Wort.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast am Ende dieser Debatte läßt sich ein Resümee ziehen. Ich darf sagen, daß sich die Koalitionsfraktionen durch den bisherigen Verlauf der Debatte in ihrem Weg und in ihrer Strategie bestärkt sehen. Diese Debatte hat eine interessante, eine pikante parteipolitische Note. Die politischen Fakultäten, denen man gewöhnlich das Etikett „konservativ" aufklebt, haben den Mut, neue Wege zu gehen. Diejenigen, die sich für besonders progressiv halten, tun sich unwahrscheinlich schwer, aus den ausgelatschten Pfaden der Vergangenheit auszubrechen. Das führt dann auch dazu, daß ich die Kolleginnen und Kollegen von der SPD einladen will, sich auf eine gemeinsame Sprachregelung zu verständigen. Entweder gilt der Zwischenruf des Kollegen Großmann, wir hätten abgeschrieben, oder es gilt das, was Frau Kollegin Brusis hier dargelegt hat, nämlich wir hätten ein unausgegorenes, nicht zu Ende gedachtes Konzept vorgelegt. Irgend etwas stimmt in dieser Argumentation nicht. ({0}) Meine Damen und Herren, wer auf Verbandstage kommt, wer mit Experten redet, der hört offiziell oder hinter vorgehaltener Hand: Der soziale Wohnungsbau seitheriger Prägung ist uneffektiv, er ist nicht sozial treffsicher, und er ist in weiten Teilen ungerecht. Beim Hearing am 20. September hat es zwar unterschiedliche Meinungen in bezug auf die Erhöhung der Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau gegeben, aber einig waren sich alle Experten darin, daß dieses Thema nicht isoliert betrachtet werden solle, sondern daß man es in einen Reformansatz für den sozialen Wohnungsbau insgesamt einbetten müsse. Genau diesem Petitum folgen wir mit dem Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren. Insgesamt sei der Mut zu neuen Wegen gefragt; da gab es Übereinstimmung. Ich tue mich etwas schwer, in dem, was die SPD heute morgen vorgetragen hat, diesen Mut zu neuen Wegen zu erkennen. Ich tue mich etwas schwer, zu erkennen, daß man die Realität bewußt aufnimmt und daraus die richtigen Konsequenzen zieht. Ich habe vielmehr den Eindruck, man bewege sich noch immer in einem Luftschloß. Aber das Wohnen in einem Luftschloß ist eine teure Sache, auch wenn die Bewohner so sympathische Leute wie unsere Kolleginnen und Kollegen Wohnungsbauexperten der SPD-Bundestagsfraktion sind. Meine Damen und Herren, die Frage, die der Kollege Großmann formuliert hat: Wollen Sie die Reform überhaupt?, müssen wir zurückgeben. Ich muß Sie fragen: Wollen Sie wirklich eine Reform? Oder wollen Sie das, was in den letzten Jahren gegangen ist, in Nuancen verändern, im Prinzip aber in dem weiterfahren, was da war? ({1}) Der Kollege Dr. Kansy hat recht, wenn er sagt, den Lippenbekenntnissen müßten jetzt Taten folgen. Ja, Taten sind gefragt. Zu den Taten gehört zunächst einmal, daß wir uns den Realitäten stellen. - Der Kollege Großmann will eine Frage stellen. Bitte schön.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dörflinger, Sie haben der Debatte doch von Anfang an beigewohnt und haben deshalb gehört, daß wir viele Reformschritte vorgeschlagen haben: in der Eigentumsförderung, im genossenschaftlichen Wohnungsbau, bei der Förderung des frei finanzierten Wohnungsbaus. Ich überlege die ganze Zeit, wie Sie zu der Auffassung kommen können, wir seien nicht reformfreudig, wo wir Ihnen doch in den letzten zwei, drei Jahren ununterbrochen Reformschritte abverlangt haben, die Sie nicht bereit waren mitzugehen.

Werner Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000397, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage gestellt und nehme Ihre Antwort, daß Sie bereit sind, diese Reform mitzutragen, mit großem Vergnügen entgegen. Das eröffnet für die nächsten Wochen und Monate in den Beratungen des Ausschusses eine vernünftige Perspektive. Wenn das gilt, dann kommen wir ganz bestimmt zu einem Ergebnis. Ich bin dankbar für das Angebot, daß Sie daran mitwirken wollen. ({0}) Ich habe gesagt: Zu den Taten gehört es, zunächst einmal Realitäten zu erkennen und sich ihnen ganz objektiv zu stellen. Dazu gehört, daß wir aufhören sollten mit der Doppelzüngigkeit, daß wir nämlich am Donnerstag die angebliche Schuldenpolitik der Bundesregierung beklagen und am nächsten Tag versteckt oder offen milliardenschwere Forderungen an dieselbe Bundesregierung richten. ({1}) Dazu gehört auch, daß wir damit aufhören sollten, den Bund in immer neue Mittelverpflichtungen hin17836 einzuzwingen, denselben Bund, der unbestritten die Hauptlast der Vereinigung getragen hat und auch in Zukunft trägt. Ich habe mir sagen lassen, daß die Vertretung des Landes, dessen Ministerin heute vorgetragen hat, einmal Schauplatz einer Art Siegesfeier gewesen sein soll angesichts der Tatsache, daß die Länder überzeugt gewesen seien, den Bundesfinanzminister, was die künftige Verteilung der Einheitslasten angeht, erfolgreich über den Tisch gezogen zu haben. Das paßt natürlich nicht zusammen. ({2}) Realität ist: Die Forderung des Mieterbundes von 7 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau ist genauso wirklichkeitsfremd wie die in einem SPD-Antrag enthaltene Forderung, 6 Milliarden DM zu bezahlen. Das kann niemand. Das heißt, die öffentliche Hand hat sich auf diejenigen zu konzentrieren, die von ihrer sozialen Lage her tatsächlich bedürftig sind. Die öffentliche Hand hat sich organisatorisch so zu verhalten, daß denjenigen, die am Rande stehen, dort geholfen wird, wo es am ehesten möglich ist. Das ist auf der Ebene der Gemeinden, nirgendwo anders. Das läßt sich vom Bund her nicht organisieren. Frau Kollegin Brusis, die Fehlbelegung ist mehr als ein Schönheitsfehler. Die Fehlbelegung ist ein Mißbrauch sozialer Leistungen. ({3}) Deswegen ist die Fehlbelegungsabgabe vielleicht eine Krücke; aber sie ist eine unzureichende Krücke. Das Argument, das Problem sei organisatorisch mit der einkommensabhängigen Förderung nicht zu bewältigen, stimmt schon deswegen nicht, weil wir beim Wohngeld eine adäquate verwaltungstechnische Abwicklung haben, die in den Gemeinden bei den Wohngeldstellen - das weiß ich als ehemaliger Bürgermeister - einwandfrei funktioniert. Der Vorteil ist doch, daß diese öffentliche Hilfe nur so lange gewährt wird, wie die soziale Lage des Betreffenden dieses Gewähren öffentlicher Hilfe erfordert. ({4}) Wenn man nicht mehr Mittel hat und die Förderung somit nicht ausweiten kann, dann muß man sich eben darauf konzentrieren. Ein zweiter Punkt zur Realität: Einen Marktausgleich, was die Menge angeht, werden wir nur durch private Investoren erreichen. Deswegen ist es Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen private Investoren in den Wohnungsbau investieren. Wenn wir mit diesem Gesetzentwurf ein Signal setzen, daß auch im sozialen Wohnungsbau Investitionen privater Investoren wieder interessanter werden, dann ist das mittelfristig gesehen für den Ausgleich des Marktes von entscheidender Bedeutung. Ich hielte es für eine verhängnisvolle Strategie, zu sagen: Wir bauen lieber 50 000 Sozialwohnungen mehr, reduzieren aber das Neubauvolumen insgesamt auf 300 000 oder 350 000. Mit einer solchen Strategie wäre auf unabsehbare Zeit das Marktgleichgewicht nicht zu erreichen. Dieses Marktgleichgewicht ist aber auch im Interesse der Mieter notwendig. Zu den Realitäten gehört auch eine sehr kritische Bestandsaufnahme - das können wir heute nicht machen; ich will es nur kurz ansprechen -, was die Wirkung des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes in den Bundesländern und in den Gemeinden angeht. Ich habe nicht den Eindruck, daß überall verstanden worden ist, daß man nicht mit der Ideologie und auch nicht mit einer kommunalpolitischen Ausrichtung der 70er und 80er Jahre die Probleme des Wohnungsmarktes in den 90er Jahren bewältigen kann. Ich habe nicht den Eindruck, daß überall diese Dämmerung in den Gedanken bereits eingetreten ist. Ich habe eigentlich die herzliche Bitte, Frau Kollegin Brusis: Stellen Sie sich im Bundesrat an die Spitze bei dem Versuch, das zu ermöglichen, was die Mehrheit des Bundesrates an Vernünftigerem und Weitergehendem im Wohnbaulandgesetz verhindert hat, weshalb wir heute nicht in der Lage sind, draußen in der Praxis wirklich jene Antworten zu geben, die die Herausforderungen von uns verlangen. Dazu gehört auch die Durchforstung der Landesbauordnungen. Die „Wirtschaftswoche" titelt dazu, „Kraut und Rüben" sei das Zwischenergebnis bisheriger Bemühungen. Die einzig überzeugende Antwort auf die Probleme, die wir am Wohnungsmarkt haben, ist die: Bauen, bauen und nochmals bauen - bauen für diejenigen, die sich aus eigener Kraft nicht am Markt versorgen können. Es ist a priori die Aufgabe des Staates zu fördern. Im Sinne einer gleich wichtigen Aufgabe sollten wir Rahmenbedingungen schaffen, die dabei helfen, daß wir so schnell als möglich den Markt ausgleichen. Dann löst sich auch manches Problem in der Mietenentwicklung. Aber mit Deklamationen allein lösen wir die Probleme nicht. Heute dürfen wir keinen isolierten Schritt tun. Heute ist ein Schritt notwendig, der Bestandteil eines Gesamtkonzeptes, vielleicht eine Leitlinie für die Zukunft ist, wenn wir auch an den Bestand gehen. Diejenigen, denen es zugemutet werden kann, müssen vielleicht etwas mehr bezahlen zugunsten derer, die existentiell auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Meine Damen und Herren, ich möchte bei aller Meinungsverschiedenheit ganz ausdrücklich für das Angebot unserer Kolleginnen und Kollegen aus der SPD danken, an der Weiterberatung des Konzepts konstruktiv mitzuwirken. Das Signal von Frau Brusis geht in dieselbe Richtung. Ich finde, daß es gerade in einem Wahljahr wichtig wäre, daß die demokratischen Kräfte dieses Landes den Nachweis erbringen, daß sie eine Herausforderung erkennen und gemeinsam eine überzeugende sachliche Antwort finden. Dazu möchte ich uns alle einladen. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht Herr Abgeordneter Dr. Rudolf Krause ({0}).

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Förderung des Wohnungsbaues beinhaltet Veränderungen von Fehlentwicklungen des sozialen Wohnungsbaues unter dem Zwange steigender Staatsverschuldung. Arbeit, soziale Sicherheit, Wohnen, Schutz vor Kriminalität und Probleme der Zuwanderung sind die Hauptprobleme, die unsere Menschen in Deutschland bewegen. Die Bezahlbarkeit des Wohnens war in der ehemaligen DDR keine Frage für die Mieter. Sozialwohnungen in Westdeutschland dagegen sind ein Glücksfall für die Betroffenen. Aber eine Mietpreisbindung unabhängig von der Einkommensentwicklung gibt es für die Bürger der neuen Länder nicht. Ihrem Einkommen nach wäre die große Mehrheit der Mitteldeutschen berechtigt, Sozialwohnungen zugewiesen zu bekommen. Es gibt jedoch keine. Wenn in Westdeutschland in diesem Jahr 460 000 Wohnungen neu gebaut werden sollen und in den neuen Bundesländern nur 20 000, dann wird dieses Problem im nächsten Jahre so wie in der ganzen vergangenen Legislaturperiode für Mitteldeutschland eben nicht gelöst werden. Gleiches Recht gibt es in Deutschland hierbei nur hinsichtlich des Wohngeldes. Profitiert haben davon - das muß fairerweise konstatiert werden - vor allem die Besitzer von Wohneigentum in den Ländern der ehemaligen DDR unmittelbar nach der Vereinigung. Für das Mißverhältnis zwischen Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage in Westdeutschland ist die völlige Fehleinschätzung des Ausmaßes der Einwanderung seit zwölf Jahren hauptverantwortlich. Die Dogmatisierung gesellschaftlicher Tabuthemen erschwert auch heute eine langfristige staatsmännische Zukunftsplanung. Allein im letzten Jahr haben 1 Million Zuwanderer das Wohnungsproblem in Deutschland verschärft. Es war heute allein der Abgeordnete Peter Götz aus Rastatt, der den Mut hatte, das zu nennen. Die Probleme der fehlenden Arbeit, des teuren Wohnens und des Kriminalitätsimportes werden sich über ganz Deutschland ausbreiten, wenn sich die politischen Grundlagen einer in Deutschland heute fehlenden Nationalökonomie und einer ebenso fehlenden Nationalpolitik nicht verändern. In Mitteldeutschland wurden in den letzten Jahren Einfamilienhäuser von Investoren zum Verkauf und zur Vermietung gebaut. Allerdings ist das für die Bürger in Mitteldeutschland unerschwinglich. Kein Verständnis haben dagegen unsere Menschen, wenn trotz vorhandener leerstehender Verwaltungsgebäude und Arbeitsplatzabbau in den Verwaltungen neue, luxuriöse Verwaltungsgebäude errichtet werden, wie sie selbst in Westdeutschland kaum bestehen. Das ist für jeden Verantwortlichen in Mitteldeutschland nicht nachvollziehbar. Ich nenne hier als Beispiele nur die Neubauten in Bitterfeld und Salzwedel und viele andere nicht gerechtfertigte Luxusbauten im Verwaltungsbereich. Eine Förderung von Verwaltungsparasitismus auf Kosten des sozialen Wohnungsbaus in Mitteldeutschland ist die Bilanz verfehlter Parteienpolitik, für die es im Wahljahr 1994 mit Sicherheit eine Quittung geben wird. Der vorliegende Gesetzentwurf wird zukünftig für ganz Deutschland Bedeutung haben und geht vom Ansatz her in die richtige Richtung. Er birgt aber auch neue Gefahren in sich. Ich denke nur an den Begriff der sozialen Durchmischung. Es gab in den Neubausiedlungen der DDR schon immer die soziale Durchmischung. Aber zwei asoziale Familien waren in der Lage, einen ganzen Aufgang zu terrorisieren. Das kann nun wirklich nicht Ziel gesamtdeutscher Wohnungspolitik sein. Solange die Lohnnebenkosten aber für alle Arbeit in Deutschland und die fehlende Sozialpflicht der Importeure bei immer negativer werdender Arbeitsbilanz fortbestehen werden, wird sich allein aus Kostengründen das Wohnungsproblem in Deutschland immer weiter verschärfen, trotz der richtigen Ansätze in diesem Gesetz. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf der Drucksache 12/6616 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Finanzausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuß für Familie und Senioren und den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu darüber hinausgehende Vorschläge oder anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 14 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes - Drucksache 12/6349 - ({0}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 12/6622 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Franz-Josef Mertens ({2}) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald das Wort. ({3})

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Mit dem Entwurf dieses Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes soll der Schlüssel verändert werden, mit dem der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer auf die einzelnen Gemeinden verteilt wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, die sogenannten Höchstbeträge, die seit nunmehr neun Jahren - ich betone: seit neun Jahren - bei 32 000 bzw. 64 000 DM liegen, zum 1. Januar 1994 auf 40 000 bzw. 80 000 DM anzuheben. Diese Höchstbeträge geben an, bis zu welchen Grenzen die zu versteuernden Einkommen der Gemeindebürger bei der Verteilung des Gemeindeanteils berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf steht in ganz engem Zusammenhang mit einer Verordnung aus unserem Hause vom 15. Dezember 1993 über die Ermittlung der Schlüsselzahlen für die Aufteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer für die Jahre 1994, 1995 und 1996. Mit dieser Verordnung wurde der Verteilungsschlüssel für den Einkommensteueranteil zum 1. Januar 1994 auf die Ergebnisse der Einkommensteuerstatistik 1989 als der neuesten verfügbaren Statistik umgestellt. Diese Aktualisierung ist nicht willkürlich, sondern sie ist regelmäßig in dreijährigem Turnus vorzunehmen. Das führt zu ganz erheblichen Verschiebungen im Aufkommen zwischen den einzelnen Gemeinden innerhalb des jeweiligen Landes. Begünstigt werden dadurch besonders kleine und mittlere Gemeinden, während größere Städte Verluste hinnehmen müssen. Diese im Hinblick auf die Ziele der Gemeindefinanzreform unerwünschten Auswirkungen können nur durch die vorgeschlagene Anhebung der sogenannten Höchstbeträge teilweise ausgeglichen werden. Die Anhebung der Höchstbeträge auf 40 000 bzw. 80 000 DM stellt nach Auffassung der Bundesregierung unter raumordnungspolitischen Gesichtspunkten einen tragbaren Kompromiß dar. Herr Kollege Mertens, wir haben uns vorgestern im Finanzausschuß lange darüber unterhalten. Dem sind ganz umfangreiche Modellrechnungen vorausgegangen. Wir meinen, daß nach dieser maßvollen Anhebung der Höchstbeträge die kleinen und mittleren Gemeinden ab 1994 gleichwohl noch bessergestellt werden, wobei vor allem - das ist erwünscht - die steuerschwächeren unter ihnen Vorteile haben werden. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. November 1993 beschlossen, gegen den vorliegenden Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben, nachdem der Finanzausschuß des Bundesrates ohne Gegenstimme bei nur einer Enthaltung ein entsprechendes Votum abgegeben hatte. Sie müssen bitte Verständnis dafür haben, daß ich das an dieser Stelle mit besonderer Deutlichkeit betone, weil natürlich den Entscheidungen der Länder im Hinblick auf ihre Zuständigkeit und ihre primäre verfassungsrechtliche Verantwortung für die Finanzen der Kommunen eine ganz besondere Bedeutung zukommt. In Übereinstimmung mit dem Bundesrat meinen wir, daß wir so den großen Zielen der Gemeindefinanzreform am ehesten Rechnung tragen, nämlich der Verteilung des Einkommensteueranteils auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen der Gemeindebürger, wie es in Art. 106 Abs. 5 des Grundgesetzes ausdrücklich festgelegt ist, ferner der Verringerung ungerechtfertigter Steuerkraftunterschiede zwischen Gemeinden gleicher Größenordnung und schließlich - das ist besonders wichtig - gleichwohl der Wahrung eines gewissen Steuerkraftgefälles zwischen großen und kleinen Gemeinden, weil wir natürlich in Übereinstimmung mit den Zielen niemals eine totale Nivellierung erreichen und erwirken dürfen. Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte Sie sehr höflich um Zustimmung zu dieser für die Gemeinden ganz außerordentlich wichtigen Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Franz-Josef Mertens.

Dr. Franz Josef Mertens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001481, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Art. 106 des Grundgesetzes bestimmt, daß die Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer erhalten. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, über dessen Novellierung wir heute beraten. Mit der Gemeindefinanzreform von 1969 wurden die Gemeinden mit zunächst 14 %, seit 1980 mit 15 % an der Einkommensteuer beteiligt. Hinzu kommen heute noch 12 v. H. des Aufkommens aus der Zinsabschlagsteuer. Ziel der Gemeindefinanzreform war die Beteiligung der Gemeinden an einer stark wachsenden Steuer bei gleichzeitiger Reduzierung der Abhängigkeit von der Gewerbesteuer. Die kommunale Beteiligung an der gesamten Einkommensteuer gewährleistet, daß die Gemeinden insgesamt unbeschränkt am Wachstum des Einkommensteueraufkommens teilnehmen. Für die Gemeinden ist die Einkommensteuerbeteiligung inzwischen zu einer tragenden Säule des Haushalts geworden. Der den Gemeinden zustehende Anteil an der Einkommensteuer wird nach einem Schlüssel auf die einzelnen Gemeinden aufgeteilt. Für diesen Schlüssel sind die Ergebnisse der Bundesstatistik über die veranlagte Einkommensteuer und die Lohnsteuer maßgeblich. Auf Grund der allgemeinen Einkommensentwicklung, kleiner und großräumiger Wanderungsströme sowie auf Grund struktureller Umschichtungen innerhalb der Einwohnerschaft ändert sich der jeweilige kommunale Steueranteil. Dies spiegelt sich - Herr Grünewald hat darauf hingewiesen - in einer Veränderung der sogenannten Schlüsselzahl, die regelmäßig angepaßt wird, wider. Bedeutsam hierbei ist, daß bei der Ermittlung der Schlüsselzahlen nur die zu versteuernden Einkommensanteile bis zu einem bestimmten Höchstbetrag berücksichtigt werden. Dieses Verfahren stellt einen Kompromiß dar zwischen den beiden Extremen, nämlich einer Aufteilung nach den tatsächlich geleisteten Einkommensteuerzahlungen der Einwohner oder einer Aufteilung nach der Anzahl der Einwohner, der sogenannten Pro-Kopf-Aufteilung. Die Aufteilung allein nach den Einkommensteuerzahlungen der Gemeindebürger würde die von den Dr. Franz-Josef Mertens ({0}) Beziehern hoher Einkommen bevorzugten Wohngemeinden begünstigen und zu starken Unterschieden bei den Einkommensteuereinnahmen zwischen den einzelnen Gemeinden führen. Demgegenüber würde die Aufteilung nur nach der Einwohnerzahl eine zu starke Nivellierung der Steuerkraft bewirken. Das Gemeindefinanzreformgesetz geht hier einen Mittelweg. Es berücksichtigt bei der Festsetzung des Verteilungsschlüssels nur die Einkommensteuerzahlungen der Gemeindebürger, die auf Einkommen bis zu bestimmten Höchstbeträgen entfallen. Seit dem 1. Januar 1985 liegt diese Grenze bei 32 000 bzw. 64 000 DM. Heute schlägt die Bundesregierung vor, diese Beträge auf 40 000 bzw. 80 000 DM anzuheben. Welche Konsequenzen haben nun unterschiedliche Höchstbeträge? Bei Gemeinden mit einem hohen Anteil an wohlhabender Bevölkerung bedeuten niedrige bis mittlere Sockelgrenzen, daß die über den Höchstbeträgen liegenden Einkommen bei der Berechnung des jeweiligen kommunalen Anteils an der Einkommensteuer nicht berücksichtigt werden. Insofern haben diese Städte naturgemäß ein großes Interesse daran, daß die hohen Einkommenspitzen ihrer Bevölkerung durch maximale Höchstbeträge voll zur Geltung kommen, um somit ihr Steuerpotential voll in die eigenen Kassen bringen zu können. Hingegen haben die in ihrer sozialen Schichtung ärmeren Gemeinden verständlicherweise ein Interesse daran, daß die Sockelgrenzen auf relativ niedrigem Niveau beibehalten werden. Hierdurch werden die höher liegenden steuerpflichtigen Einkommenspitzen aller Gemeinden eines Landes umverteilt, so daß ein beträchtlicher Ausgleichseffekt zwischen den Gemeinden erreicht wird. Das heißt, die räumlichen und regionalen Auswirkungen von unterschiedlichen Sockelbeträgen sind erheblich. Ein Anheben der Sockelgrenzen kommt u. a. den prosperierenden Verdichtungsräumen zugute, etwa München, Frankfurt/Main, Stuttgart und Düsseldorf. Verlierer hoher Sockelgrenzen sind dagegen Gemeinden in strukturschwächeren Gebieten, etwa Kassel. Was besonders auffällt, ist, daß durchweg alle Ruhrgebietsstädte von einer Anhebung der Sockelgrenzen erheblich negativ betroffen sind. Mein Wahlkreis liegt im Ruhrgebiet und umfaßt die Städte Bottrop und Gladbeck. Beide Städte werden ein zusätzliches Minus von jeweils ca. 1 Million DM zu verkraften haben. Bei größeren Städten sind die Mindereinnahmen entsprechend höher. Es wird deutlich, daß wir heute nicht nur eine fiskalische, sondern gleichermaßen auch eine regionale und raumordnerisch bedeutsame Entscheidung treffen. Das gilt besonders für die Ruhrgebietsstädte, die durch rückläufige Gewerbesteuereinnahmen, durch unverhältnismäßig hohe Arbeitslosenzahlen und durch strukturelle Krisen bei Kohle und Stahl besonders hart betroffen sind. Die Anhebung der Höchstbeträge könnte möglicherweise deshalb auch eines der wesentlichen Ziele der Gemeindefinanzreform gefährden, nämlich die Steuerkraftunterschiede zwischen steuerstarken und steuerschwachen Gemeinden abzubauen. Deshalb wäre es aus der Sicht der Ruhrgebietsstädte gut, wenn die jetzigen Höchstbeträge noch über einen bestimmten Zeitraum beibehalten werden könnten. Das wäre ein kleines, aber dennoch sichtbares Zeichen dafür, daß die Sorgen der strukturschwachen Regionen auch im Deutschen Bundestag gesehen werden. Diese Position, die auch der Finanzausschuß des Nordrhein-westfälischen Städtetages vertreten hat, war allerdings zwischen den Ländern nicht konsensfähig. Der Deutsche Städtetag fordert die Anpassung der Höchstbeträge. Auch der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. November 1993 den Gesetzentwurf einstimmig in erster Lesung gebilligt. Für die Anhebung der Höchstbeträge sprechen in der Tat ebenfalls gute Gründe. Der Bund hat die Interessen aller Städte zu vertreten, und er ist auch nicht in der Lage, regionale Ungleichgewichte auszutarieren. Das ist Sache der Länder. Deshalb ziehen Änderungen bei den Einnahmen aus der Einkommensteuer jeweils Korrekturen im gemeindlichen Finanzausgleich nach sich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß der Ausgleich nicht in demselben Jahr erfolgt, in dem sich Änderungen bei den Steuereinnahmen ergeben. In Nordrhein-Westfalen ist das jedenfalls so: Wenn die Höchstbeträge ab 1. Januar 1994 angehoben werden, können die sich daraus ergebenen Mindereinnahmen erst beim Finanzausgleich des Jahres 1995 Berücksichtigung finden. Das bedeutet für die Gemeinden, für die die Anhebung der Sockelbeträge negative Auswirkungen haben, daß sie die Mindereinnahmen im Jahre 1994 innerhalb ihrer Haushaltswirtschaft selbst und in voller Höhe verkraften müssen. In den folgenden Jahren werden in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Höhe - in Nordrhein-Westfalen sind das 85 % - die Mindereinnahmen durch den gemeindlichen Finanzausgleich wieder kompensiert. Aber selbst wenn die Mindereinnahmen im Rahmen des Finanzausgleichs in voller Höhe aufgefangen werden, darf die Bedeutung der maßgeblichen Höchstbeträge nicht unterschätzt werden. In diesem Zusammenhang ist Mark nicht gleich Mark. Denn die Gemeinden messen mit vollem Recht dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer als einer eigenen Einnahme eine höhere Qualität zu als den Schlüsselzuweisungen, die sich nach dem jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetz richten und natürlich jederzeit veränderbar sind. So ist es auch verständlich, daß die Festsetzung neuer Höchstbeträge in der kommunalen Öffentlichkeit lebhaft diskutiert wird. Die Höchstbeträge sind - Herr Staatssekretär Grünewald hat darauf schon hingewiesen - seit 1985 unverändert geblieben. Bei der Neufestsetzung der Schlüsselzahlen 1988 und 1991 waren Höchstbetragsanhebungen unter den Ländern nicht mehrheitsfähig. Wenn jetzt auch 1994 die Höchstbeträge unverändert blieben, dann stellte sich verstärkt die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Verteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer. Sie würde sich dann nach dreimaliger Nichtanhebung der Sockelbeträge immer weiter von der in Art. 106 GG postulierten Verteilung nach den Einkommensteuerleistungen Dr. Franz-Josef Mertens ({1}) entfernen und sich einer Pro-Kopf-Verteilung annähern. Das hätte massive Proteste der besonders betroffenen Städte und Gemeinden, vor allem der steuerstarken Großstädte zur Folge. Die Stadt München hat für diesen Fall bereits eine Verfassungsklage angekündigt. Diese Überlegungen haben auch das Land Nordrhein-Westfalen veranlaßt, trotz der schwierigen Lage der Ruhrgebietsstädte im Bundesrat für die Anhebung der Sockelbeträge zu votieren. Natürlich gibt es Kolleginnen und Kollegen bei uns, die sich aus der Sicht ihrer Wahlkreise für eine noch stärkere Anhebung der Sockelgrenzen eingesetzt haben. Auf der anderen Seite wäre es Abgeordneten aus den strukturschwachen Gebieten am liebsten gewesen, wenn die Sockelgrenzen unverändert geblieben wären. Dieser Konflikt ist kaum auflösbar. Der Vorschlag der Bundesregierung ist ein Kompromiß, der im Hinblick auf den Verfassungsauftrag des Art. 106 GG als Mindestanhebung einzustufen ist. Dem stimmt die SPD-Bundestagsfraktion zu. Ich verschweige dabei nicht, daß ich mit Blick auf meinen Wahlkreis bei meinem Votum erhebliche Bauchschmerzen haben werde. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteilt jetzt unserem Kollegen Gerhard Schüßler das Wort.

Gerhard Schüßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003232, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend das Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes. Die Verteilung der Einkommensteuer unter den Gemeinden eines Bundeslandes wird der Einkommensentwicklung angepaßt. Ich denke, der vorliegende Gesetzentwurf ist Ausdruck eines Kompromisses, der die Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses, des Bundesrates und, von einer Ausnahme abgesehen, auch der kommunalen Spitzenverbände gefunden hat. Da der Bundesrat, der nach dem Grundgesetz für die Gemeinden zuständig ist, keine Einwände geltend gemacht hat, gehe ich davon aus, daß die unterschiedlichen Interessen insgesamt gewahrt worden sind. Die Beibehaltung der Höchstbeträge hätte zu einer stärkeren Nivellierung geführt, da eine größere Finanzmasse nach der Einwohnerzahl verteilt worden wäre. Die gegenseitige Abhängigkeit von Bürger und Gemeinde, in der er lebt, wird dadurch nicht gestärkt. Gerade das ist aber für die F.D.P. wichtig. Das Gebot der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse darf nicht dazu führen, daß die Verteilung der Steuern gänzlich unabhängig von der Steuerleistung einer Gemeinde und ihrer Bürger erfolgt. Nicht ganz zutreffend, Herr Staatssekretär Grünewald, ist die auf Seite 5 des Gesetzentwurfs - das ist die Begründung - vorgenommene Betrachtung der Auswirkung der Neufestsetzung des Verteilerschlüssels ausschließlich nach Gemeindegrößenklassen. Insbesondere die Aussage, daß sich generell der Verlust der größeren Gemeinden und damit der Gewinn der kleineren reduzierte, ist so nicht zutreffend. Im übrigen steht dem auf derselben Seite unter Ziffer 4 die Feststellung entgegen, wonach die Anhebung der Höchstbeträge auf 40 000 bzw. 80 000 DM die mittleren und kleinen Gemeinden ab 1994 erheblich besserstelle. Das ist ein Widerspruch in sich in der Begründung. Richtig ist vielmehr, daß unabhängig von der Größenklasse der Gemeinde die Höhe der jeweiligen Arbeitslosigkeit die Auswirkungen, die sich durch die Anhebung der Höchstbeträge ergeben, in viel stärkerem Maß tatsächlich beeinflussen werden. Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit sind massiv betroffen und erleiden hinsichtlich ihres Anteils an der Lohn- und Einkommensteuer erhebliche Verluste - das kann man auch im einzelnen an Beispielen vorrechnen -, während die Regionen mit vergleichsweise geringer Arbeitslosigkeit von den neuen Schlüsselzahlen überdurchschnittlich profitieren werden. Meine Damen und Herren, wir ändern das Gemeindefinanzreformgesetz. Wir, die F.D.P., hätten im Rahmen einer Gemeindefinanzreform heute allerdings etwas anderes lieber beschlossen, nämlich die Abschaffung der Gewerbesteuer und ihre Ersetzung durch eine qualitativ und quantitativ gleichwertige Einnahmequelle für die Gemeinden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat schon im Juni 1992 entsprechende Vorschläge vorgelegt. Wir fordern die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatz- und Mineralölsteuer. Bedauerlicherweise hat sich die Verfassungskommission mit dem Thema der Finanzverfassung nicht befaßt. Die grundsätzlichen Probleme der Gemeindefinanzierung bestehen weiter. Die Gewerbesteuer ist konjunkturabhängig und wirkt wettbewerbsverzerrend. Wer es noch nicht gemerkt hat, hat in den letzten Monaten feststellen müssen, wie konjunkturanfällig sie auch in ihrem Ertragsteil ist. ({0}) Mit der Einsicht in die Notwendigkeiten und dem politischen Willen wäre eine Reform in dieser Legislaturperiode auch möglich gewesen. Doch es waren offensichtlich zu viele andere Verteilungskämpfe zu lösen - jeweils auf Kosten der anderen -, wie die Verhandlungen zum Solidarpakt gezeigt haben. Eine grundsätzliche Diskussion um die Aufteilung der wichtigsten Steuern im Rahmen einer Gemeindefinanzreform sollte wohl verhindert oder verschoben werden. Ich hoffe, daß wir in diesem Bereich in der nächsten Legislaturperiode nicht erneut mit leeren Händen dastehen werden. Das Kapitel Gewerbesteuer und Gemeindefinanzreform muß endlich mit der Abschaffung der Gewerbesteuer beendet werden. Was wir jetzt tun, ist hingegen eine leichte Übung. Sie ist notwendig geworden, um eine an den Zielen der Gemeindefinanzreform von 1970 ausgerichtete Verteilung des Gemeindeanteils an der EinkommenGerhard Schüßler steuer sicherzustellen. Dies wird durch die jetzt zu beschließende Regelung erreicht. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Ausschußfassung zu. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns hier im Hause alle einig, daß die im Grundgesetz verankerte kommunale Selbstverwaltung ohne angemessene Finanzausstattung der Städte, Gemeinden und Landkreise nichts oder fast nichts wert ist. Wir wissen alle, daß die Verschuldung der Kommunen in der gesamten Bundesrepublik ungeheuer hoch ist und daß in den ostdeutschen Ländern die Pro-Kopf-Verschuldung in den Kommunen viermal so hoch ist wie im Westen. Im Jahre 1993 hatten die Kommunen in den neuen Bundesländern einen Anteil von 5,3 % an den Steuereinnahmen sämtlicher deutscher Kommunen. Deshalb kann man nicht anders, als jedem Vorschlag und jeder Initiative zuzustimmen, die die finanzielle Ausstattung der Kommunen verändern. Wir werden diesem Gesetz zustimmen. Aber wir als PDS/Linke Liste sind auch der Auffassung, daß damit in bezug auf die Gemeindefinanzierung nicht das letzte Wort gesprochen werden darf. Wir meinen, daß wir uns im weiteren parlamentarischen Disput dabei um folgende Punkte streiten sollten. Erstens müssen alle Maßnahmen zurückgenommen werden, die die Gewerbesteuer als eine grundlegende kommunale Einnahmequelle ausgehöhlt haben. Zweitens ist eine tatsächliche Verstetigung der kommunalen Einnahmen zu sichern. Das verlangt insbesondere eine höhere Konjunkturunabhängigkeit der kommunalen Steuereinnahmen. ({0}) Drittens sollten die Gemeinden in angemessener Weise unmittelbar am Umsatzsteueraufkommen beteiligt werden. Viertens muß ein bedarfsgerechter Finanzausgleich das teilweise große Steuerkraftgefälle zwischen strukturschwachen und strukturstarken Kommunen beseitigen helfen. Fünftens benötigen die Städte, Gemeinden und Landkreise in Ostdeutschland über die jeweils nur kurzfristig aufgelegten Programme hinaus sofort eine für zehn bis 15 Jahre gesetzlich verankerte Finanzpauschale zur Linderung ihrer akuten Geldnot. Das sollte eine Regelung sein, die sich vielleicht an der Zahl der in Ostdeutschland lebenden Einwohner orientiert. Die Beiträge der anderen Fraktionen dieses Hauses, deren Vertreter vor mir gesprochen haben, haben deutlich gemacht, daß es sich lohnen würde, über solche Fragen gemeinsam im Disput zu bleiben. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, letzter Reder in dieser Debatte ist unser Kollege Hansgeorg Hauser.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast wäre ich geneigt, Sie alle einzeln zu begrüßen. ({0}) Das zeigt vielleicht auch das große Interesse an dem Thema, das es hier zu beraten gilt. Die in zweiter und dritter Lesung zu beschließende Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes hat im Grunde nur eine technische Anpassung des Verteilungsschlüssels des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer auf Grund der Einkommensteuerstatistik 1989 zum Inhalt. Das den Gemeinden insgesamt zufließende Steueraufkommen bleibt unverändert, da lediglich seine Aufteilung auf die Gemeinden innerhalb der einzelnen Bundesländer geändert wird. Deswegen hätten wir uns aus meiner Sicht diese Debatte eigentlich sparen können, weil ja auch der Bundesrat keine Einwände erhoben hat ({1}) und auch die SPD-Fraktion im federführenden Finanzausschuß des Deutschen Bundestages gewisse Bedenken im Hinblick auf die von ihr befürchteten negativen Auswirkungen auf strukturschwache Regionen, z. B. im Ruhrgebiet, zurückgestellt hat. Herr Kollege Mertens, Sie haben das sehr sachlich dargestellt. Ich teile die von Ihnen geäußerte Auffassung, daß es einfach einen fast nicht auflösbaren Konflikt zwischen diesen Interessen gibt und daß wir eben einen Kompromiß vorgelegt haben. Hier erfüllt der Bundesgesetzgeber eigentlich nur einen Auftrag der Verfassung im Sinne einer Notarfunktion - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nun läßt sich bei Gesetzen, die - wie hier - horizontale Finanzausgleichswirkungen erzeugen, immer trefflich streiten, ob eine festgelegte Höchstgrenze nicht doch höher oder gegebenenfalls auch niedriger hätte ausfallen können. Die kommunalen Spitzenverbände haben sich, wie wir gehört haben, je nach Interessenlage unterschiedlich geäußert. Im Ergebnis jedoch stellt die Anhebung der Höchstbeträge auf 40 000 DM bzw. 80 000 DM für die Aufteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer, die seit neun Jahren unverändert ist, einen tragbaren Kompromiß zwischen den gegenläufigen Interessen der Gemeinden unterschiedlicher Größe und Steuerkraft dar. Die Zielsetzungen wurden bereits angesprochen. Ich möchte sie noch einmal zusammenfassen; sie wurden ja bereits 1969 konzipiert. Die einzelnen Gemeinden sollen erstens gemäß Art. 106 Abs. 5 des Grundgesetzes ihren Gemeindeanteil an der Einkom17842 Hansgeorg Hauser ({2}) mensteuer auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner erhalten. Hier soll also das örtliche Aufkommen zugrunde gelegt werden. Zweitens sollen ungerechtfertigte Steuerkraftunterschiede zwischen steuerstarken und steuerschwachen Gemeinden gleicher Größenordnung verringert werden. Drittens soll das Steuerkraftgefälle zwischen großen und kleinen Gemeinden gewahrt bleiben. Ich möchte an dieser Stelle darauf verzichten, die konkrete Umsetzung dieser drei Ziele durch den gefundenen Kompromiß im einzelnen darzulegen; eine sehr ausführliche Begründung findet sich im Regierungsentwurf. Als Faustformel läßt sich merken: Je höher die Höchstgrenzen sind, desto eher nähert man sich den tatsächlich in einem Gemeindegebiet erzielten Steuereinnahmen, also dem örtlichen Steueraufkommen. Je niedriger der Höchstbetrag ausfällt, desto stärker geht die Aufteilung in Richtung Verteilung nach Einwohnerzahlen, was natürlich zu einem stärkeren Nivellierungseffekt führt. Lassen Sie uns also gemeinsam diesem Kompromiß zustimmen und ihn auch gemeinsam nach außen vertreten. Das Thema - Sie haben das eben sehr treffend ausgeführt - gibt keinen Anlaß für irgendwelche parteipolitischen Auseinandersetzungen. Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, Herr Mertens, daß Sie den Kompromiß in dieser Form mit vertreten und nicht Schuldzuweisungen irgendwelcher Art vornehmen, obwohl Sie persönlich in Ihrem Wahlkreis betroffen sind. Aus Anlaß dieser Gesetzesberatungen möchte ich ein wenig auf die Kommunalfinanzen im allgemeinen eingehen. Dieses Thema wird uns - auch das ist schon angeklungen - auch künftig weiter intensiv beschäftigen. Dabei werden wir uns immer wieder mit der, wie ich meine, teilweise stark überzogenen Kritik der Kommunen, wie sie im Herbst vergangenen Jahres mit dem Schlagwort „Städte in Not" gekennzeichnet wurde, auseinanderzusetzen haben. In den 90er Jahren sind die Einnahmen der Kommunen überproportional im Vergleich zu den 80er Jahren gewachsen. Das gilt nicht nur für die Steuereinnahmen; die Gemeinden haben auch kräftig die kommunalen Gebühren und Abgaben erhöht. Probleme macht aber vor allem das starke Wachstum der kommunalen Ausgaben, die von den Kommunen im wesentlichen selbst zu verantworten sind und die man daher nicht einseitig der Verantwortung des Bundes zuschieben kann. Das gilt insbesondere, nachdem zu unserem großen Bedauern die zeitliche Beschränkung der Arbeitslosenhilfe zurückgenommen werden mußte. Weitere Verbesserungen der kommunalen Finanzen sind durch die höheren Leistungen des Bundes im Rahmen der Regionalisierung des ÖPNV und der Beibehaltung der hohen Bundesleistungen im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu erwarten. Eine weitere deutliche Entlastung der Kommunen würde die Einführung der Pflegeversicherung beinhalten. Aber auch hier sperren sich die SPD-geführten Länder im Bundesrat. Überhaupt muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, daß die Länder als Hauptverantwortliche für die kommunale Finanzausstattung ihre Kommunen ausreichend dotieren und die erheblichen Leistungen des Bundes, z. B. im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms, anteilig an ihre Kommunen weitergeben müssen. Das ist natürlich die Voraussetzung für einen gerechten Ausgleich. Trotz der schwierigen Gesamtsituation halten sich viele Kommunen noch nicht an das Gebot der Haushaltskonsolidierung. Ich darf Ihnen einige groteske Beispiele aus dem rotgrün regierten Frankfurt nennen, wo offensichtlich ein Beauftragungsunwesen grassiert. Dort gibt es z. B. einen Rock-Beauftragten, einen Fahrrad-Beauftragten, einen Jazz-Beauftragten und einen Kinder-Beauftragten. Jeder Beauftragte kostet rund 80 000 DM im Jahr. ({3}) Außerdem feiert in Frankfurt anscheinend das Gutachterunwesen fröhliche Urständ. Wenn eine Stadt, selbst in der Größe von Frankfurt, immer noch das Geld hat z. B. für ein Gutachten mit dem Thema „Geschlechterdifferenzierter Unterricht in einer gemischten Klasse an einer Volkshochschule für Erwachsene" mit Kosten von ca. 190 000 DM oder für eine „Nutzungsanalyse der Tiefkais entlang der beiden Mainufer, differenziert nach Geschlechtern" mit Kosten von 6 000 DM - man mag sagen, es ist nicht viel, aber immerhin -, so stellt sich die Frage, ob wirklich alle Kommunen den Ernst der Lage erkannt haben. Ich denke, wir werden künftig, in der nächsten Legislaturperiode, eine grundlegende Reform der Gemeindefinanzen diskutieren müssen. Wir müssen das aber in enger Zusammenarbeit mit den Ländern und insbesondere natürlich auch mit den Gemeinden und deren kommunalen Spitzenverbänden und den entsprechenden Wirtschaftsverbänden und Experten tun. Ich denke, wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode dieses Thema in Verantwortung anpacken, und wir werden es als Regierungskoalition in der nächsten Legislaturperiode schaffen können. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache. Zu der Bemerkung des Kollegen Hauser, daß er die Anwesenden mit Handschlag begrüßen wolle, will ich nur sagen: In seiner eigenen Fraktion hätte er nur Herrn Kollegen Dr. Jürgen Rüttgers hier begrüßen können. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes auf Drucksache 12/6349. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/6622, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Vizepräsident Helmuth Becker Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich kann auch hier feststellen: Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. Juni 1990 über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags ({0}) - Drucksache 12/6485 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Wort unserem Kollegen Erwin Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Dubliner Übereinkommen ist neben dem Schengener Vertrag und der deutschen Asylrechtsregelung eine sehr wesentliche Bestimmung. Sie wissen, daß Flüchtlingsprobleme und Zuwanderungsprobleme alle europäischen Staaten treffen und deswegen eben ein gemeinsames Handeln erfordern. Zu uns kamen sehr viele Asylbewerber. Zwei Drittel der Asylbewerber, die nach Europa kamen, gingen in die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben darüber hinaus rund 300 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen. Deswegen sind die Bestimmungen, die wir heute in diesem Parlament behandeln, besonders wesentlich. Denn wir regeln auf der Grundlage des nationalen Rechtes die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren von Ausländern aus Nicht-EG-Staaten. Das Dubliner Übereinkommen ist sehr notwendig. Denn nicht alle Staaten der Europäischen Union sind dem Schengener Abkommen beigetreten. Ein Wort zu Schengen, meine Damen und Herren: Wir haben dieses Abkommen im letzten Jahr ratifiziert. Daß die Grenzkontrollen zwischen den Vertragsstaaten nicht völlig entfallen sind, liegt daran, daß die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen noch nicht in Kraft treten konnten. Dies gilt insbesondere für das „Schengener Informationssystem". Wir haben die Hoffnung und die Erwartung, daß dieses wichtige Informationssystem - es kann aus technischen Gründen zur Zeit noch nicht wirksam werden - bald wirklich angewandt werden kann. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat sich sehr positiv zu dem Dubliner Übereinkommen geäußert. Sie wissen, daß wir dieses Abkommen nur deswegen haben abschließen können, weil wir im letzten Jahr die Asylregelung, d. h. den Art. 16a des Grundgesetzes, haben verabschieden können. Nur so ist es uns möglich gewesen, vorbehaltlos an diesem Abkommen, Schengen und Dublin, teilzuhaben. Das Abkommen entfaltet darüber hinaus eine Vielfalt positiver Wirkungen. So werden die Behörden der EU-Staaten durch den Wegfall von Mehrfachprüfungen von Asylanträgen entlastet. Es wird nach der Ratifizierung auch möglich sein, Drittstaaten, z. B. die EFTA-Staaten, durch Abschluß von Parallelabkommen in dieses Vertragswerk mit einzubeziehen. Wir haben weitere Wünsche, meine Damen und Herren. Wir bitten die Bundesregierung, die Verhandlungen weiter aufzunehmen und zu forcieren, wenn es darum geht, mit der Tschechischen Republik ein Abkommen abzuschließen. Ich weiß, wir stehen kurz vor Ende dieser Beratungen. Dies ist einfach nötig. Aber, meine Damen und Herren, ich will gleichfalls und erneut an dieser Stelle einen Appell an unseren südlichen Nachbarn Österreich richten. Ich bitte die Politik in Österreich, mit uns nun wirklich in konkrete Verhandlungen einzutreten. Die Voraussetzungen des Passauer Abkommens sind nicht geeignet, meine Damen und Herren, eine gesamteuropäische Lösung zu finden. Wer - und ich sage dies noch einmal - an der Schwelle zu Europa steht, der muß in bezug auf die asylrechtlichen und ausländerrechtlichen Bestimmungen auch europäische Standards akzeptieren. Meine herzliche Bitte an die Bundesregierung ist, den Mut nicht zu verlieren, mit Österreich zu verhandeln, um eine gemeinsame europäische Regelung zu erreichen. Mit diesem Abkommen, meine Damen und Herren, haben wir die Asylproblematik einigermaßen in den Griff bekommen. Art. 16a des Grundgesetzes zieht. Das Schengener Abkommen ist verabschiedet. Wir sagen ja zu Dublin. Ich meine, der Deutsche Bundestag hat mit diesen Vorschriften, mit diesen Regelungen seine Hausaufgaben in bezug auf die Asyl- und Ausländerproblematik sicherlich einigermaßen in den Griff bekommen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt hat unsere Frau Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mühlen der Gesetzgebung mahlen langsam, und die der nationalen Umsetzung europäischer Vereinbarungen drehen sich offenbar besonders behäbig. Dieser Gesetzentwurf, den wir heute beraten, beschäftigt uns ein gutes halbes Jahr nach den Entscheidungen über die Neuordnung des Asylrechts, die seinerzeit auch unter dem Gebot stand, mit den Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft vereinbar zu sein. Ich muß sagen, einen ausgeprägten Hang zur schnellen europäischen Harmonisierung des Asyl- und Flüchtlingsrechts hat die Bundesregierung in der Vergangenheit nicht an den Tag gelegt. Im Gegenteil, wir mußten von den Vertretern der Regie17844 rung und auch aus der Koalition, ähnlich wie es der Kollege Marschewski eben wieder getan hat, abermals hören, erst nach einer Änderung des Art. 16 unseres Grundgesetzes sei Entsprechendes möglich. Meine Kolleginnen und Kollegen, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Reform unseres Asylrechtes wäre leichter vonstatten gegangen, wenn es schon eine stabile und einheitliche Praxis bei den europäischen Ländern im Umgang mit den Asylsuchenden gegeben hätte. ({0}) Auch das Dubliner Übereinkommen bietet jetzt noch nicht das umfassende Konzept für ein einheitliches, verläßliches Asylrecht innerhalb der Europäischen Union. Es regelt einen Teilaspekt, nämlich die Zuständigkeiten und die Modalitäten bei der Prüfung des Antrags. Natürlich ist das richtig und notwendig. Deshalb begrüßt meine Fraktion den nun vorliegenden Gesetzentwurf. Er war überfällig, aber - ich wiederhole es - er ist nur erster Schritt auf dem Weg zu umfassenderen Antworten auf das, was uns die Wanderungsbewegung in Zukunft noch abverlangen wird. Ich rate auch dringend dazu, den Text der nationalen Umsetzung dieser europäischen Übereinkunft ernst zu nehmen und auch die Elemente abzuklopfen, die sich hinter diesem Wust an bürokratischen Vorschriften und wenig praxisnahen Regelungen verbergen. Da steht z. B. zu lesen, daß jeder Mitgliedstaat einen Bewerber nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften unter Wahrung des Genfer Abkommens in einen Drittstaat zurück- oder ausweisen darf. Ich erinnere an unsere sehr hitzige und auch schwierige Diskussion darüber, ob ein Drittstaat wirklich sicher ist, also den Flüchtling schützen kann. Die Autoren des Dubliner Übereinkommens gehen davon aus. Jeder Mitgliedstaat muß sich heute und in Zukunft darauf verpflichten, diese Frage immer wieder kritisch zu überprüfen. Ähnliches gilt für die Vorschrift, daß ein Aufnahmegesuch dann als zulässig gilt, wenn die Entscheidung darüber nach drei Monaten immer noch nicht vorliegt. Das heißt: im Zweifelsfall für den Antragsteller. ({1}) Weiter: Asylbewerber haben das Recht, sich darüber zu informieren, welche ihrer Daten bei der Bearbeitung des Antrags von einem Mitgliedstaat an den anderen weitergegeben worden sind. Enthalten diese Angaben Fehler, haben die Betroffenen das Recht auf Korrektur oder Löschung. - Das hört sich gut und plausibel an, setzt aber voraus, meine Kolleginnen und Kollegen, daß die Flüchtlinge über diese Möglichkeit überhaupt Bescheid wissen und Zeit und Hilfe haben, um sie zu nutzen. Das heißt: Fachliche Beratung ist unabdingbar. Fazit: Das Übereinkommen und seine nationalen Umsetzungen können nur dann einen Sinn haben und Wirkung entfalten, wenn zwischen den Partnern Einverständnis über die strikte Wahrung der Menschenrechte und der Schutzfunktion demokratischer Staaten gegenüber politischer Verfolgung herrscht; sonst funktioniert das Ganze nicht, und die Folgen können wir absehen. ({2}) Vielleicht, liebe Kollegen und Kolleginnen, sorgt das Gesetz dafür - das hoffen wir jedenfalls -, daß nicht länger Flüchtlinge von Land zu Land hin und her geschoben werden, weil sich niemand für sie zuständig erklärt. Den Menschen das Schicksal von „refugees in orbit" zu ersparen ist allein schon der Mühe wert. Aber eine abgestimmte, gemeinsame und vom Geist der Humanität getragene Asylpolitik im eigentlichen Sinne im geeinten Europa ist damit noch lange nicht erreicht. Dazu bedarf es weiterer Anstrengungen und fester Institutionen, die den Flüchtlingen in gleicher Weise weiterhelfen wie denjenigen, die sich als Behördenmitarbeiter oder auch Juristen mit den schwierigen Problemen der Migration befassen. Nun hat der Europäische Rat am 10./1l. Dezember vergangenen Jahres einen Aktionsplan verabschiedet, der in die richtige Richtung weist. Vom Ziel sind wir allerdings weit entfernt; denn es reicht ja wahrhaftig nicht aus, wenn die Bundesregierung eine gerechte Lastenteilung im Geiste europäischer Solidarität anmahnt. Zahlenschlüssel und Aufnahmequoten mögen schon notwendig sein, um die Zuwanderung organisieren und finanzieren zu können. Mit Recht fordert der Bundesrat in seiner Stellungnahme aber grundsätzlichere Lösungsansätze, unter anderem, daß die anderen Mitgliedstaaten der EG ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen verstärken. Damit hat er ganz gewiß recht; denn es stimmt schon, daß Deutschland in einem einzigen Jahr etwa 370 000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen hat. Das sind etwa zwei Drittel aller, die auf dem Gebiet der Europäischen Union Zuflucht suchten. Noch besser täte die Länderkammer allerdings daran, liebe Kollegen und Kolleginnen, außerdem dafür Sorge zu tragen - das wiederhole ich jetzt -, daß Bürgerkriegsflüchtlinge nicht ins Asylverfahren gedrängt werden. ({3}) Daß das weiterhin nicht geschieht, liegt nicht - man muß es einfach noch einmal sagen - am Bundesgesetzgeber, sondern am mangelnden Willen der Länder, sich auf einheitliche Kriterien bei der Aufnahme dieser Flüchtlinge zu einigen und damit die Gemeinden zu entlasten. - Es lag mir am Herzen, das hier noch einmal zu sagen; denn Bürgerkriegsflüchtlinge gehören einfach nicht in diesen Bereich des Asyls. Ich verfolge mit Sorgen die jüngsten Meldungen über drohende Abschiebungen kroatischer Flüchtlinge, nachdem die Länderinnenminister beschlossen haben, den Abschiebestopp am 30. April aufzuheben. Wir sind uns klar darüber, glaube ich, daß es natürlich schlüssig ist, daß Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren, wenn denn die Umstände es erlauben. Aber es ist weiterhin sorgfältig zu prüfen, wie die Zustände jetzt in dem jeweiligen Gebiet sind. Daraus folgt, daß eine pauschale und undifferenzierte Rückführung nicht möglich ist und auch nicht sein darf. ({4}) Migrationspolitik auf europäischer wie auf nationaler Ebene muß - ich sagte es - umfassender sein als das, was bisher geregelt ist. Ich nenne noch einmal die oft erwähnte und beschworene Bekämpfung von Fluchtursachen. Ich nenne intensive Bemühungen um eine Stärkung und Stabilisierung der jungen Demokratien in Mittelost- und Osteuropa, verbindliche Verabredungen über humanitäre und wirtschaftliche Hilfen. Eine intensive, eine engagierte und verantwortungsvolle Entwicklungspolitik sollte konkrete Forderungen enthalten, damit ethnische Minderheiten nicht länger diskriminiert werden, schon gar nicht in Ländern, die zu unseren Bündnispartnern zählen. In diese präventive, in diese vorsorgende Migrationspolitik gehört eben auch der Konsens der europäischen Länder, Diktaturen weder direkt noch indirekt zu unterstützen, und wenn die Exportgeschäfte noch so verlockend erscheinen. Eine europäische Wanderungskonvention, die uns voranbringt, müßte all dies und sehr viel mehr enthalten; denn, meine Kolleginnen und Kollegen, Absichtserklärungen gibt es wahrhaftig genug - z. B. die Entschließung, die das Europäische Parlament am 18. November 1992 zur Harmonisierung des Asylrechts und der Asylpolitiken in der Gemeinschaft formuliert hat. Da stehen lauter hehre Vorschläge und Forderungen zu vielen Fragen, die uns beschäftigen, drin - nach Rechten der Flüchtlinge auf umfassende und faire Erstanhörung und so fort. Ich möchte am Schluß daran erinnern, daß weltweit nach den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention 18 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Das ist gegenüber 1990 ein Anstieg um 2,3 Millionen. Hinzu kommt eine etwa Bleichgroße Zahl von Flüchtlingen, die im Lande selber herumziehen und nach besseren Bedingungen suchen. Das sind „displaced persons". Es liegt mir fern, die Probleme und die schwierigen Aufgaben zu verharmlosen, die diese großen Wanderungsbewegungen mit sich bringen. Richtig ist aber auch, daß nur 10 bis 20 % derer, die eine andere Heimat suchen, suchen müssen, in Europa und Nordamerika aufgenommen worden sind. Auch wenn sich der Trend verstärkt und wir es augenblicklich vorwiegend mit Migranten innerhalb Europas zu tun haben - niemals sollten wir vergessen, daß über Jahre hinweg die Elendswanderung meist in Ländern endete, die selbst Elend und Armut kennen und zu bewältigen haben. Deshalb sind Tendenzen zur europäischen Abschottung ebenso fehl und falsch am Platze wie Panikmache mit Worten wie „Schwemme", „Flut" und „Überfremdung". Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächster Redner ist unser Kollege Wolfgang Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, über die Frage, ob eine Verfassungsänderung für dieses Abkommen notwendig war oder nicht, brauchen wir, glaube ich, nicht lange zu streiten; denn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat 1990 dieses Abkommen unterzeichnet und damit nach der damaligen Verfassungslage auch für genehmigungsfähig erklärt, und wir haben keinen nationalen Vorbehalt eingelegt. Er regelt ja auch nur das Verfahren. Nur, es ist leichter geworden nach der Verfassungsänderung - das sage ich auch als Gegner dieser Verfassungsänderung -, uns hier im europäischen Konsens - ({0}) - Nein, nach wie vor nicht. Aber ich habe auch Gesetzesbeschlüsse zu respektieren, so wie wir gestern ja in einer anderen Debatte dieses von der Minderheit auch eingefordert hatten. Da halte ich mich im Kontext. Meine Damen und Herren, vor fast vier Jahren ist das Abkommen unterzeichnet worden, und es sollte jetzt wirklich zügig ratifiziert werden; denn - und darauf hat Herr Marschewski schon hingewiesen - die Schengener Vertragsstaaten haben ein Abkommen, aber die ganze Europäische Union wollte und sollte sich diesen Regeln anschließen, und dem werden wir auch entsprechen. Wir hoffen, daß die Pannen bei der Einführung des Schengener Informationssystems nicht von so langer Dauer und solcher Intensität sein werden, wie es die Pannen mit der Lautsprecheranlage hier in diesem Hause gewesen sind. Meine Damen und Herren, auch ich will unterstreichen, daß hier nur das Verfahren im Asylbereich angesprochen ist, daß wir noch nicht die Harmonisierung des materiellen europäischen Asylrechts haben. Wir haben seit Herbst letzten Jahres die Europäische Union. Wir haben die Bestimmungen über die intergouvernementale Zusammenarbeit in Europa. Es wird eine große Chance für die Bundesrepublik Deutschland sein, wenn sie ab 1. Juli die Präsidentschaft im Ministerrat übernimmt, hier auch zur materiellen Harmonisierung voranzukommen und die Dissonanzen und Differenzen, die es in Europa gibt, einer Lösung zuzuführen. Ich lege die Meßlatte nicht so hoch, daß ich sage, daß man das in einem halben Jahr schaffen kann. Aber Bewegung in diese Richtung sollte erreicht werden. Wir müssen deutlich machen, daß in Europa der Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention sowie in Deutschland zusätzlich auch der Schutz des Grundgesetzes jedem Asylberechtigten zur Seite steht und stehen muß und stehen wird und Asylgewährung daher auch eine europäische Verpflichtung ist. ({1}) Gerade im Sinne der Erhaltung des Kernbereichs des Asylrechts müssen Doppelzuständigkeiten und Mehrfachprüfungen durch mehrere Staaten der Union vermieden werden. Das will dieses Abkommen, und deswegen sollten wir es auch ratifizieren. Aus aktuellem Anlaß will auch ich auf ein Thema eingehen, das Frau Sonntag-Wolgast eben angesprochen hat: Die Bundesrepublik Deutschland war stolz darauf, eine große Zahl, die größte Zahl im Vergleich zu allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, an Bürgerkriegsflüchtlingen aus Kroatien und Bosnien aufgenommen zu haben. Am Ende des Monats endet die Zeit, für die die Aufnahme der Flüchtlinge aus Kroatien vorgesehen war. Die Abschiebung droht. Man hört von hunderttausend Menschen, die betroffen sind. Ich plädiere nicht - um das klarzustellen - für ein Daueraufenthaltsrecht auch über den Zeitraum des Bürgerkriegs hinaus. Das kann niemand wollen und niemand verantworten. Wohl aber müssen wir verlangen - und da war mir die Erklärung des brandenburgischen Innenministers heute morgen im Fernsehen nicht präzise genug und nicht ausreichend -, daß die Bundesregierung mit den Landesregierungen gemeinsam prüft, wie sich die Situation für diejenigen Menschen darstellt, die aus dem Schutz Deutschlands in die vom Bürgerkrieg betroffene und häufig zerstörte Heimat zurück müssen. ({2}) Wir müssen auch verlangen, daß Regelungen kommen, auch in Absprache mit der Regierung Kroatiens, in denen geklärt wird, wie wir eine Abschiebung vermeiden, aber eine Rückführung ermöglichen, und zwar unter Berücksichtigung der Kriterien der humanitären Maßstäbe, die uns in der Europäischen Union miteinander verpflichten. ({3}) Dies muß erreicht werden, nicht nur die Abschiebungsandrohung. Meine Damen und Herren, ich will abschließend noch auf einen Aspekt hinweisen. Dieses Abkommen gibt uns auch Maßstäbe, wie wir in Europa mit der Terminologie umgehen können. Nicht zufällig ist in Art. 1 Abs. 1 Buchstabe a die Definition des Ausländers festgelegt worden. Ausländer in Europa ist derjenige, der nicht Unionsbürger ist. Für uns im Verhältnis zueinander darf ein Franzose nicht mehr Ausländer sein. Die Sprache bestimmt auch das Bewußtsein. Insofern ist auch dies ein Maßstab und ein Meilenstein für Europa. Wenn wir dann auch noch das europäische Grenzabkommen schaffen, lieber Herr Lintner, dem sich auch die Bundesrepublik wohl noch mehr zuwenden muß als bisher, dann werden wir die Regelungen auch vollenden können, die ein Europa wirklich ermöglichen und realisieren. Wir werden der Ratifizierung zustimmen. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Ulla Jelpke, Sie haben jetzt das Wort.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was in dem vorliegenden Gesetzentwurf formal geregelt wird, die Zuständigkeit für den Asylantrag und der Informationsaustausch in der Clearingstelle, ist Bestandteil eines ganzen Paketes von Abkommen und Verträgen - Sie haben es schon gehört - wie dem Schengener Abkommen und dem Abkommen zur Sicherheit der Außengrenzen und anderen mehr. In den Medien können wir jeden Tag nachvollziehen, welche Konkretisierung diese unmenschlichen Abkommen und Gesetze erfahren. Die drohende Abschiebung von Tausenden von Flüchtlingen aus Jugoslawien - und da möchte ich die Mitglieder des Innenausschusses, die am Mittwoch da waren, nur daran erinnern, daß Innenminister Kanther gesagt hat, er sieht keinerlei Möglichkeiten, zu verhindern, daß diese Abstimmungen stattfinden werden - sind meines Erachtens auch ein Ergebnis dieser Abkommen und Gesetze. ({0}) Meine Damen und Herren, in der Clearingstelle findet der Austausch von Informationen über die Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge statt. Das heißt, wenn Flüchtlinge im großen Stil in Bürgerkriegsgebiete abgeschoben werden und damit Hunger, Kälte, möglicher Folter und Tod ausgesetzt sind, dann geschieht das hier nicht aus Unwissenheit. Sie wissen also, was Sie tun, wenn Sie Flüchtlinge in verwüstete Gebiete und Kriegsschauplätze zurückschicken. Es ist ja so: Heute hat beispielsweise ein serbischer Deserteur oder Kriegsdienstverweigerer gar keine andere Chance, als die Hilfe von Schlepperbanden in Anspruch zu nehmen. Oder beispielsweise eine russische Jüdin, die Angst vor Schirinowski und vor seinen antisemitischen Gefolgsleuten hat, wird ebenfalls darauf angewiesen sein, wenn sie aus ihrem Lande fliehen muß, von Schlepperbanden über die Landesgrenzen gebracht zu werden. Faktisch schreiben das das Schengener Abkommen und andere Gesetze in diesem Zusammenhang vor. Anders geht es nicht mehr. Würden sich nämlich all diese Menschen auf Hilfe und Unterstützung der Regierungen der Schengen-Staaten stützen wollen, dann wären sie hoffnungslos verloren. Dieses Paket von europäischen Abkommen, das dann kleckerweise durch die nationalen Parlamente abgesegnet wird, zielt darauf ab, Flüchtlingen die letzte Zugangsmöglichkeit in die Staaten der EuroUlla Jelpke päischen Union zu verwehren, und denen, die es trotzdem geschafft haben, das Bleiben mit bürokratischen Maßnahmen zu erschweren bzw. ihren Aufenthalt fast unmöglich zu machen. Die erkennungsdienstliche Behandlung von Flüchtlingen, die Erfassung und Speicherung ihrer Daten, also die vollständige Aufhebung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, gehören zum Programm der Asylrechtsharmonisierung. Was mal nach dem Faschismus als Menschenrecht konzipiert wurde, wird heute in den Bereich des Polizeirechts gedrängt. Meine Damen und Herren, mit dieser sogenannten Harmonisierung des Asylrechts in den wohlhabenden Ländern Europas wird quasi die Bekämpfung der Asylsuchenden vereinheitlicht. Fremdenfeindlichkeit ist schon heute in der Europäischen Union weit verbreitet. Was mit dem Rückübernahmeabkommen mit den osteuropäischen Ländern begonnen wurde, wird mit diesem Dubliner Abkommen fortgesetzt: die machtpolitische Durchsetzung westeuropäischer Interessen gegen schwächere Partner, vor allem aber gegen Flüchtlinge und Emigranten. Und dazu sagen wir nein. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, jetzt erhält unser Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vermehrte Zusammenarbeit der europäischen Länder in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist grundsätzlich zu begrüßen. Gerade bei der Bekämpfung von Fluchtursachen sind ohne enge Zusammenarbeit kaum wirkliche Fortschritte zu erzielen. Die Gefahr besteht aber, daß die Vertragswerke von Schengen und Dublin als reine Instrumente der Abwehr und Abschreckung mißbraucht wird. Die bisherigen Erfahrungen sind jedenfalls wenig ermutigend. Unerläßliche Voraussetzung einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik der Europäischen Union ist nach Auffassung vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, daß die Staaten sich auf gleichwertige und vergleichbare Asylverfahren einigen. Es muß eine einheitliche Interpretation geben, was man unter „politischer Verfolgung" versteht und wen man als Flüchtling anerkennen will, und es muß europaweit sichergestellt sein, daß eine gerichtliche Überprüfung der Verwaltungsentscheidung möglich ist. Ohne diese Voraussetzung ist jede Drittstaatenregelung absurd und unzulässig. Die Praxis zeigt ja, daß eben deswegen das Asylrecht nicht mehr voll und ganz gewährleistet ist. Jeder Flüchtling muß das Recht und die Gewähr haben, daß sein Asylgesuch in einem Land der Europäischen Union geprüft wird. Visumsbestimmungen und präventive Restriktionen, z. B. gegen Beförderungsgesellschaften und Fluglinien, führen jedoch immer häufiger dazu, daß es Flüchtlingen unmöglich gemacht wird, in ein Mitgliedsland der Europäischen Union zu gelangen und dort Schutz vor politischer Verfolgung zu suchen. Eine Folge des verstärkten Visumzwanges ist, daß sich Flüchtlinge aus manchen Ländern nur unter Mitwirkung von Fluchthilfeorganisationen in Sicherheit bringen können. Unsere Abschottungsmaßnahmen schaffen also teilweise erst die Voraussetzungen für die Arbeit der Schlepper. In zahlreichen Ländern, deren Staatsangehörige vor ihrer Einreise ein Visum benötigen, sind schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung, z. B. in China und Sri Lanka, im Iran und Irak. Tatsächlich haben die Regierungen der Europäischen Union die Gefahren, die Menschen in diesen Ländern möglicherweise drohen, selbst eingeräumt, indem sie in vielen Fällen Asylsuchenden, selbst wenn sie formal nicht als politische Flüchtlinge anerkannt wurden, aus humanitären Gründen ein Bleiberecht zuerkannten. Es ist fraglich, ob das Dubliner Abkommen in seiner Umsetzung hinreichende Gewähr dafür bieten wird, daß ein Asylantrag bei der Rückschiebung überprüft wird, da vor der Dubliner Konvention die Drittstaatenregelung angewandt werden soll, Um zu verhindern, daß das Asylrecht auf dem restriktivsten Niveau harmonisiert wird, sollten sich die Staaten der Europäischen Union auf humanitäre Grundpositionen einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik einigen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedauert, daß die Bundesregierung dies bisher nicht erreicht hat, weder bei ihren Verhandlungen zum Vertragswerk von Maastricht noch zum Dubliner Abkommen. Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend zur Harmonisierung des europäischen Asyl- und Einwanderungsrechtes aktiv zu werden. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herrn Kollegen Eduard Lintner, das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Juni 1990 haben die für Einwanderungsfragen zuständigen Minister der EG-Mitgliedstaaten in Dublin das Übereinkommen über die Zuständigkeit für Asylverfahren unterzeichnet. Wir sind uns einig: Dies war ein wichtiger und bedeutsamer Schritt der Zwölf in Richtung Harmonisierung der Asylpolitik, für die die Bundesregierung im übrigen, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, seit langem und mit Nachdruck eintritt, wie Sie selbst wissen. Das Übereinkommen legt nach objektiven Kriterien fest, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, der im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellt wurde. Das Ziel des Dubliner Übereinkommens, dessen Ratifikation und Umsetzung in innerstaatliches Recht der vorliegende Gesetzentwurf dient, ist im Zusammenhang mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes zu sehen. Denn die hiermit verbundenen Reiseerleichterungen schaffen für asylbegehrende Ausländer faktisch die Möglichkeit, sich ungehindert von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu begeben. Das Dubliner Übereinkommen, meine Damen und Herren, schafft hier klare Zuständigkeiten. Es gewährleistet, daß für jeden Asylbewerber ein Staat zuständig ist. Dadurch wird verhindert, daß Asylsuchende zu sogenannten „refugees in orbit" werden, für die sich aus formalen Gründen letztlich dann kein Staat mehr verantwortlich fühlt. Außerdem wird vermieden oder zumindest erschwert, daß ein Ausländer gleichzeitig oder nacheinander Asylanträge in mehreren Mitgliedstaaten stellt. So werden die vorhandenen Ressourcen für die Durchführung von Asylverfahren eben nicht durch Mehrfachprüfungen belastet. Die Zuständigkeitsbestimmungen des Dubliner Übereinkommens entsprechen im wesentlichen den asylrechtlichen Bestimmungen des - noch nicht in Kraft gesetzten - Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990, dessen Ratifikationsurkunde von Deutschland aber schon am 30. Juli 1993 in Luxemburg hinterlegt wurde. Es besteht Einigkeit zwischen den Schengener Vertragsstaaten, daß die asylrechtlichen Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens nicht mehr angewandt werden, sobald das Dubliner Übereinkommen in Kraft getreten ist. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Vorwürfe von der SPD-Seite, die Bundesregierung habe sich nicht mit Nachdruck um diese Vereinheitlichung bemüht, völlig unberechtigt sind. Wir haben das seit Jahr und Tag getan. Aber Sie wissen genauso wie ich, daß die europäischen Partner nicht bereit waren, beispielsweise das deutsche Asylrecht für ihren Bereich zu übernehmen, und daß deshalb letztlich doch die Änderung des Asylrechts in Deutschland Voraussetzung für die Bereitschaft der Partner war, einer Harmonisierung des Asylrechts überhaupt nahezutreten. So gesehen, Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, müßte ich eigentlich feststellen, daß Sie mit Ihrer jahrelangen Weigerung, das deutsche Asylrecht zu ändern, letztlich die Verantwortung dafür tragen, daß wir erst heute zur Ratifizierung kommen können. ({0}) So war die tatsächliche Lage. Jetzt bin ich etwas verwundert, daß Sie sozusagen nach der Methode „Haltet den Dieb" den Schwarzen Peter der Bundesregierung zuschieben wollen. ({1}) Lassen Sie mich zur Stellungnahme des Bundesrats und zur Gegenäußerung der Bundesregierung noch folgendes anmerken: Übereinstimmend bewerten Bundesrat und Bundesregierung das Dubliner Übereinkommen als einen ersten Schritt zur dringend notwendigen Harmonisierung des Asylrechts innerhalb der Europäischen Union. Die Bundesregierung strebt seit Jahren aktiv ein harmonisiertes Asylrecht in einer rechtsverbindlichen Form an, d. h. eine Vergemeinschaftung des Asylrechts oder eben eine umfassende europäische Regelung etwa im Rahmen einer Asylrechtskonvention. Bislang hat sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten gegen eine Vergemeinschaftung und auch gegen eine Asylrechtskonvention ausgesprochen. Unabhängig von der Frage der Vergemeinschaftung gilt es aber, die gemeinsame Asylpolitik fortzuentwickeln. Hierzu strebt die Bundesregierung eine harmonisierte Anwendung des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Konvention und auch gemeinsame Mindestgarantien für Asylverfahren an. Ein vom Europäischen Rat auf seiner Sitzung am 10./11. Dezember 1993 verabschiedeter „Aktionsplan" und das Arbeitsprogramm 1994 der Europäischen Union für den Bereich Asyl schreiben diese Themen als vorrangige Ziele fest. Damit wird die Harmonisierung des Asylrechts innerhalb der Europäischen Union vorangetrieben. Außerdem hat die Bundesregierung mit Nachdruck gefordert, daß für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien Mechanismen entwickelt werden, die eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und andere europäische Staaten gewährleisten. Bisher stießen wir auf einen entschiedenen Widerstand etlicher westeuropäischer Staaten. Auf der genannten Tagung des Europäisches Rates konnte die Bundesregierung aber durchsetzen, daß die Problematik der Lastenteilung für Bürgerkriegsflüchtlinge in das Arbeitsprogramm 1994 der Europäischen Union für den Bereich Asyl aufgenommen wurde. Sie war dem Widerstand einiger Staaten entschieden mit dem Hinweis entgegengetreten, daß Deutschland in einem einzigen Jahr etwa 370 000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und damit zwei Drittel aller Flüchtlinge auf dem Gebiet der Europäischen Union aufgenommen hat. Von der Anwendung des Dubliner Übereinkommens werden wichtige Impulse für die weitere Harmonisierung des Asylrechts ausgehen. Vor allem wird es nach dem Inkrafttreten des Dubliner Übereinkommens möglich sein, mit Hilfe von Parallelabkommen Drittstaaten - ich denke hier besonders an die östlichen Nachbarn - in die asylpolitische Zusammenarbeit einzubeziehen, was ein weiterer wichtiger und wertvoller Fortschritt wäre. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/6485 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 2. Februar 1994, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.