Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich eröffne die erste Beratungssitzung im Jahre 1994 und wünsche Ihnen und uns allen ein gutes neues Jahr. Ich wünsche uns in diesem schwierigen und herausfordernden Jahr eine überzeugende, gute parlamentarische Arbeit, gute Debatten und Entscheidungen. Ich wünsche uns Fairneß für uns alle untereinander, von seiten der Medien und auch von seiten der Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe, daß wir diese Wahlperiode gut miteinander beenden.
Die Kollegin Lisa Peters feierte am 17. Dezember ihren 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihr im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich und wünsche weiterhin alles Gute.
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Die Kollegin Barbara Weiler und der Kollege Wolfgang Schulhoff legen ihr Amt als Schriftführer nieder. Ich danke beiden für ihre tatkräftige Unterstützung. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Abgeordneten Joachim Tappe und die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Alfons Müller ({1}) vor. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegen Joachim Tappe und Alfons Müller ({2}) als Schriftführer gewählt.
Ich möchte darauf hinweisen, daß nach der Aussprache zur Regierungserklärung über den NATO- Gipfel vom 10. und 11. Januar 1994 in Brüssel zunächst die von der Fraktion der SPD verlangte Aktuelle Stunde zur Rüstungsexportpolitik und erst danach - gegen 14.15 Uhr - die Fragestunde stattfindet. Anschließend werden dann die Tagesordnungspunkte ohne Aussprache aufgerufen.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Politische Konsequenzen aus der jüngsten Entwicklung der Asylbewerberzahlen nach Inkrafttreten der Asylgesetze ({3})
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu Vorstellungen über die Lockerung der Rüstungsexportpolitik
3. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Hansen, Klaus-Jürgen Hedrich, Günter Klein ({5}) und weiterer Abgeordneter: Ausbau der Bahnverbindung: Nordseehäfen-Berlin, insbesondere des Teilabschnitts: Uelzen-Stendal - Drucksache 12/6456 4. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({6})
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung der Verordnung über Immissionswerte - Drucksachen 12/6241, 12/6555 5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern - Drucksache 12/6561 6. Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dirk Fischer ({8}), Renate Blank, Dr. Dionys Jobst, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Binnenschiffahrtsaufgabengesetzes - Drucksache 12/6381 7. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS/Linke Liste: Haltung der Bundesregierung zur Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr auf Einsätze bei inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit es bei einzelnen Punkten der Tagesordnung und der Zusatzpunktliste erforderlich ist, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
NATO-Gipfel vom 10./11. Januar in Brüssel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Auch dazu gibt es keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gipfeltreffen der 16 NATO-Mitgliedstaaten am 10. und 11. Januar in Brüssel war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen Sicherheitsordnung für Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Der Gipfel hat vier wesentliche Ergebnisse erbracht:
Erstens. Die NATO hat den engen Schulterschluß zwischen Nordamerika - vor allem den USA - und Europa bekräftigt.
Zweitens. Die Zusammenarbeit zwischen Atlantischer Allianz und Europäischer Union wird wesentlich ausgebaut.
Drittens. Die NATO bietet den Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eine Partnerschaft für den Frieden an.
Viertens. Die Allianz gibt ein klares Signal, daß die NATO für neue Mitglieder offen ist.
Das Bündnis hat damit seine zentrale Bedeutung als Eckpfeiler der Sicherheit und Stabilität nicht nur für die eigenen Mitglieder, sondern darüber hinaus für ganz Europa unter Beweis gestellt.
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Gerade wir Deutschen haben erfahren, daß Stärke und Geschlossenheit des Bündnisses entscheidend zur Beendigung des kalten Krieges, der Spaltung Europas und der Teilung Deutschlands beigetragen haben. Dieser historische Erfolg des Bündnisses beruht vor allem auf dem festen Sicherheitsverbund zwischen Nordamerika und Europa.
Präsident Clinton hat in seiner großen Rede im Rathaus von Brüssel am 9. Januar bekräftigt, daß dieses partnerschaftliche Sicherheitsbündnis mit Europa „für die Vereinigten Staaten von Amerika vorrangig bleibt" . Er hat zugleich zugesagt, daß etwa 100 000 amerikanische Soldaten in Europa stationiert bleiben. Darüber hinaus hat er die Bedeutung und die Rolle Deutschlands für den Aufbau einer stabilen Friedensordnung in Europa ganz ausdrücklich gewürdigt und anerkannt.
Meine Damen und Herren, die NATO unterstützt unmißverständlich den Vertrag von Maastricht und damit die weitere politische Einigung Europas. Dies gilt auch für die Bemühungen, eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik und Verteidigung mit Hilfe der Westeuropäischen Union als sicherheitspolitischem Arm der Politischen Union entsprechend dem Maastricht-Vertrag aufzubauen. Früher von manchen amerikanischen Regierungsvertretern hiergegen geäußerte Vorbehalte gibt es jetzt nicht mehr.
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Künftig wird die Westeuropäische Union für eigene Einsätze, so dies notwendig ist, auf Streitkräfte der NATO zurückgreifen können.
Das zweite wesentliche Ergebnis unserer Beratungen ist die Einladung der NATO an die jungen Demokratien Mittel-, Ost- und Südosteuropas sowie
die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, mit uns im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden noch enger politisch und militärisch zusammenzuarbeiten.
Gleichzeitig geht von diesem Treffen in Brüssel das Signal aus: Die NATO ist für neue Mitglieder offen. Wir wollen die ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas schrittweise an die NATO heranführen, bis hin zur Mitgliedschaft - selbstverständlich nur dann, wenn diese Staaten dies wollen.
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Dieser neue Ansatz ist das historisch beispiellose Angebot, ein Militärbündnis für umfassende Zusammenarbeit und Partnerschaft mit früheren Gegnern zu öffnen. Alle Staaten, die diese Partnerschaft annehmen, werden sich an gemeinsamen militärischen Planungen und Übungen beteiligen können. Dazu gehören auch gemeinsame Ausbildung und Teilnahme an internationalen Friedensmissionen. Damit will die NATO zugleich zum Aufbau von Streitkräften beitragen, die auf die Demokratie verpflichtet und deren innere Strukturen mit denen in unseren Streitkräften vergleichbar sind.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein ganz entscheidendes Element des Programms ist das Angebot, mit Partnern in Konsultationen einzutreten, wenn sie eine direkte Bedrohung ihrer territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit befürchten. Unser Programm einer Partnerschaft für den Frieden ist so angelegt, daß wir diesen Prozeß der Annäherung flexibel, individuell und in Abhängigkeit von der sonstigen Entwicklung in Europa gestalten können.
Jedes Land ist eingeladen, seinen eigenen Beitrag in diese Partnerschaft einzubringen. Unsere künftigen Partner haben auf diese Weise die Möglichkeit, entsprechend dem eigenen Interesse Tempo und Ausmaß der Annäherung an die NATO mitzugestalten.
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Die Nordatlantische Gemeinschaft steht angesichts der Beitrittswünsche einiger unserer östlichen Nachbarn vor schwierigen Fragen. Wir verstehen die Sicherheitsbedürfnisse und Ängste der Menschen in diesen Ländern. Ich nenne hier gerade auch in diesem Augenblick ganz bewußt unsere Nachbarn in Polen. Sie beruhen auf tragischen Erfahrungen in diesem Jahrhundert. Es kommt hinzu, daß sich die Menschen in Mittel- und Osteuropa während der Zeit des kalten Krieges nach Freiheit und Demokratie gesehnt haben.
Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs haben wir diese Länder ermutigt, Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft nach westlichem Vorbild einzuführen. Deshalb ist ihr Wunsch, sich den großen Institutionen des Westens anzuschließen, nur zu verständlich.
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Zugleich gibt es in Rußland vor allem historisch gewachsene Befürchtungen vor Isolierung und EinBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
kreisung. Auch diese Sorge müssen wir, auch und vor allem wir Deutsche, ernstnehmen.
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Deshalb strebt die NATO mit Rußland und auch der Ukraine eine umfassende und vertiefte Zusammenarbeit auf sicherheitspolitischem und militärischem Gebiet an.
Meine Damen und Herren, wenn wir das Ziel erreichen wollen, eine tragfähige europäische Sicherheitsordnung zu schaffen, dann müssen wir alle auf diese psychologischen Gegebenheiten und Sicherheitsinteressen Rücksicht nehmen. Es darf auf keinen Fall nach den Erfahrungen dieses Jahrhunderts zu neuen Gräben und damit zu neuen Spaltungen in Europa kommen. Sicherheit und Stabilität in Europa sind unteilbar.
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Deshalb, so denke ich, sind Enttäuschung oder Entmutigung über die Beschlüsse des NATO-Gipfels in keinem Fall angebracht. Unser Angebot, das einige bereits angenommen haben, ist vielmehr ein wichtiger und ernstgemeinter Schritt auf dem Weg zu einer späteren Mitgliedschaft der Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas in der NATO.
Deutschland hat heute gute und freundschaftliche Beziehungen zu allen Ländern in Mittel- und Osteuropa, auch zu Rußland. Dies gibt uns besondere Möglichkeiten, bilateral konstruktiv auf diesen Prozeß der Annäherung einzuwirken. Hierzu, meine Damen und Herren, verpflichten uns unsere Nachbarschaft und vor allem auch unsere besondere historische Erfahrung und Verantwortung.
Ein wesentliches Ergebnis der Beratungen in Brüssel ist für mich, daß Atlantische Allianz und Europäische Union heute auf das gleiche Ziel hinarbeiten, nämlich die Einbeziehung der jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa in bestehende westliche Gemeinschaften.
Die Europäische Union hat auf der Konferenz des Europäischen Rates in Kopenhagen im Juni 1993 unseren Nachbarn im Osten konkrete Beitrittsperspektiven eröffnet. Wir, gerade wir Deutsche, wollen den Beitritt dieser Länder. Allerdings - das muß auch gesagt werden - müssen sie selbst die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen solchen Beitritt erfüllen.
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Wir wollen dabei nicht vergessen, daß auch diese Beitrittsperspektive unmittelbare sicherheitspolitische Bedeutung hat. Es ist nach dem MaastrichtVertrag ein Kernziel der Europäischen Union, eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik zu entwickeln. Diese Länder werden also die Chance haben, bereits vor dem Beitritt an dieser Entwicklung Anteil zu haben.
Diese Politik, meine Damen und Herren, entspricht vor allem auch unseren eigenen vitalen deutschen Interessen. Es ist für mich völlig unvorstellbar, daß die
deutsch-polnische Grenze auf Dauer die Ostgrenze der Politischen Union Europas bleibt.
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Mit den anderen Reformstaaten Osteuropas wird die Europäische Union partnerschaftliche Beziehungen auf der Grundlage entsprechender Verträge entwickeln. Die Bundesregierung dringt darauf, daß insbesondere das Abkommen mit Rußland möglichst bald abgeschlossen wird.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage für viele Menschen in den Reformstaaten, vor allem auch in Rußland, ist von ungeheuren sozialen Problemen, wirtschaftlicher Not und Unsicherheit gekennzeichnet. Wachsende Kriminalität und noch unzureichende rechtsstaatliche Strukturen belasten den Alltag der Menschen. Sie erschweren wirtschaftliche Reformen. Dies führt verständlicherweise zu innenpolitischen Spannungen und auch zu einem Stück Instabilität.
Die Wahlen in Rußland und das starke Abschneiden extremer Kräfte sind deshalb nicht nur für die russische Führung, sondern für uns alle ein ernsthaftes Warnsignal. Auch wir im Westen müssen noch stärker als bisher auf die unmittelbaren Auswirkungen der Wirtschaftsreformen auf die russische Bevölkerung achten.
Wir waren uns auf dem Gipfel in Brüssel einig, daß die Politik der Reformen in Rußland, wie sie von Präsident Jelzin seit seinem Amtsantritt verkörpert werden, weiter unterstützt werden muß. Hiervon darf uns auch das Wahlergebnis in Rußland, bei allen berechtigten Sorgen, die wir haben, nicht abbringen. Fortschritte müssen vor allem für die Menschen, deren Lebensstandard in letzter Zeit drastisch gesunken ist, spürbar werden.
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Meine Damen und Herren, wir dürfen die schrillen, extremistischen Töne, die wir jetzt gelegentlich aus Moskau vernehmen, nicht überhören; das ist die eine Seite. Andererseits sollten wir auch keinen Beitrag dazu leisten, die Dinge zu dramatisieren. Das Ausmaß der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen in Rußland ist in der Geschichte ohne jedes Beispiel. Seit 1917 herrschte in Rußland eine totalitäre kommunistische Diktatur, die in Jahrzehnten ein menschenfeindliches und auch ökonomisch unfähiges System hervorbrachte. Die Hypotheken eines solchen Regimes zu tilgen kostet Zeit, Mut und ungeheure Energie. Angesichts der Größe dieser Aufgabe kann dieser Prozeß nur langsam vorankommen. Das Bewußtsein der Betroffenen kann sich nur allmählich den Änderungen anpassen. Rückschläge bei diesem Prozeß sind unausweichlich.
Deswegen plädiere ich dafür, werbe ich dafür, daß wir bei der .Betrachtung der Entwicklung in Moskau und in Rußland nicht die Maßstäbe unseres Alltags im
Westen anlegen, sondern Verständnis haben für die besondere Situation.
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Dabei sollten wir nicht vergessen, daß der Reformprozeß in Rußland trotz all dieser Schwierigkeiten auch beachtliche Fortschritte gebracht hat. Eine Mehrheit der Wähler hat Rußland erstmals eine demokratische Verfassung gegeben. Die Herausbildung demokratischer Parteien hat begonnen, zugegebenermaßen mühsam genug. In einzelnen Bereichen der Wirtschaftsreform, beispielsweise bei der Privatisierung, zeigen sich erste Erfolge.
Das heißt für mich: Wir dürfen bei den Anstrengungen zur Unterstützung dieses Reformprozesses und des Aufbaus einer demokratischen Ordnung nicht nachlassen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei die Öffnung unserer Märkte für Waren aus den Reformländern. Wirtschaftshilfe, Beratung und Kredite allein können nicht den gewünschten Erfolg haben, wenn die Länder nicht in die Lage versetzt werden, ihre Devisen durch Exporte selbst zu verdienen.
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Selbstverständlich müssen wir von der russischen Führung auch künftig eine Politik der Partnerschaft, der Verantwortung und der konstruktiven Mitwirkung bei internationalen Problemen erwarten. Hegemoniebestrebungen, welcher Art auch immer, wären mit diesen Erwartungen nicht zu vereinbaren.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Allianz war sich auch einig, daß die Ukraine ein wichtiger Partner für die künftige Sicherheitsordnung in Europa ist. Der Abbau der nuklearen Waffen in der Ukraine muß auf der Grundlage des neuen Vertrages zwischen der Ukraine, den USA und Rußland so schnell wie möglich erfolgen. Die Sicherheit der Ukraine kann nicht durch Nuklearwaffen, sondern nur durch enge Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und der NATO gewährleistet werden.
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Ich denke, wir sind uns in der Erwartung und in dem Wunsch einig, daß die Bemühungen von Präsident Clinton in diesen Tagen in Kiew und in Moskau erfolgreich sein werden.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für Frieden und Stabilität in Europa ist es von zentraler Bedeutung, daß bestehende Grenzen unangetastet bleiben und die Rechte von Minderheiten geschützt werden. Der Gipfel hat deshalb die Initiative der Europäischen Union für einen Stabilitätspakt für Europa als wichtigen Bestandteil der Förderung von Frieden und Sicherheit begrüßt. Wir haben in letzter Zeit erlebt, wie alte Spannungsherde in verschiedenen Bereichen Europas wieder aufflammen und sich in bitteren und blutigen Konflikten entladen.
Wir haben uns bei dem Treffen in Brüssel auch eingehend mit der Lage im ehemaligen Jugoslawien beschäftigt. Es muß unverändert unser vorrangiges Ziel bleiben, die humanitäre Versorgung der Menschen zu gewährleisten.
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Die Allianz hat ihre Bereitschaft bekräftigt - ich zitiere wörtlich aus der Gipfelerklärung -, „unter der Autorität des UN-Sicherheitsrates und in Übereinstimmung mit den Entscheidungen der Allianz vom 2. und 9. August 1993 Einsätze aus der Luft durchzuführen, um die Einschnürung von Sarajewo, der Schutzzonen und anderer bedrohter Gebiete in BosnienHerzegowina zu verhindern."
Wir werden uns weiter um eine politische Lösung für den Konflikt bemühen und daher die Anstrengungen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen unterstützen. Leider haben die Verhandlungen zwischen Kroaten und Bosniern am letzten Wochenende in Bonn noch nicht zu einem Durchbruch geführt.
Meine Damen und Herren, in vielen Ländern - und nicht zuletzt bei uns in Deutschland - werden die Bemühungen um eine Beendigung des Konfliktes von vielen Menschen als nicht ausreichend empfunden. Dies ist ja verständlich.
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Angesichts der Schreckensbilder im Kriegsgebiet stellen sich viele die Frage, warum der Westen und insbesondere die NATO nicht mehr zur Beendigung des Konflikts tun. Ich habe sehr viel Verständnis für diese Frage. Aber ich möchte hier doch einmal darauf hinweisen, daß oft vergessen wird, wie sehr dieser Krieg durch Haß und Irrationalität geprägt wird, durch Entwicklungen, die nicht über Nacht entstanden, sondern in Jahrzehnten, ja in Jahrhunderten, gewachsen sind.
Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß alle militärischen Experten übereinstimmend der Ansicht sind, daß eine umfassende, den Krieg beendende Intervention mit Bodentruppen viele Hunderttausende Soldaten erfordern würde. Eine solche Aktion wäre mit großen Opfern, auch unter der Zivilbevölkerung, verbunden. Es bleibt auch dann die Frage offen, ob auf diese Weise ein dauerhafter Friede geschaffen werden könnte. Die Wahrheit ist - man kann dies mit Zorn und Verbitterung sagen; es bleibt die Wahrheit -, daß es kein Patentrezept zur Lösung dieses Konflikts gibt.
Gerade wir Deutsche sollten dabei mit Ratschlägen an andere vorsichtig sein. Wir haben nicht das moralische Recht, von den Verantwortlichen anderer Länder - dies ist meine tägliche Erfahrung in Gesprächen - mehr zu verlangen, als wir selbst tun.
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Wenn ich an meine Kollegen aus Frankreich oder aus Spanien denke, die auf Grund ihres Einsatzbefehls ja auch die Verantwortung für Leben und Unversehrtheit junger Soldaten tragen, weiß ich, wovon ich spreche. Ich denke, das sehen wir alle ähnlich.
Wir wollen dennoch jede Gelegenheit, auch die heutige, nutzen, diesen jungen Soldaten aus vielen Nationen, die an schwieriger Stelle unter Einsatz ihres Lebens für den Frieden Dienst tun, zu danken und ihnen und ihren Angehörigen unsere Sympathie und unseren Respekt zu bekunden.
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Meine Damen und Herren, das ehemalige Jugoslawien ist nur ein Beispiel dafür - wenn auch gegenwärtig das erschreckendste, daß der Krieg nicht auf Zeit und Ewigkeit aus Europa verbannt wurde. Deshalb ist die Entwicklung einer europäischen Sicherheitsordnung, deswegen ist die politische Einigung Europas wichtiger denn je.
Die Europäische Union, die wir wollen, ist eben mehr als eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft, eine Gemeinschaft, die sich an den wirtschaftlichen und finanziellen Interessen ihrer Mitglieder orientiert. Die Vertiefung und der gleichzeitige Ausbau der Europäischen Union sind entscheidend für die Sicherung von Frieden und Freiheit.
Meine Damen und Herren, wenn wir in diesem Jahr auf 48 Jahre Frieden, die längste Friedenszeit der modernen Geschichte, zurückblicken können, dann hat das auch damit zu tun, daß es gelungen ist, sich in Europa zusammenzuschließen. In diesem Sinne ist auch im Blick auf die nächste Generation und das, was im 21. Jahrhundert kommen wird, die Frage der europäischen Einigung immer auch eine Frage von Krieg und Frieden in Europa.
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Es gibt zu einer solchen Politik für kommende Zeiten keine Alternative.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vom NATO-Gipfel vorgenommene nüchterne Bestandsaufnahme der Lage in Europa zeigt deutlich, daß wir auch künftig unseren Beitrag zur Verteidigung von Frieden und Freiheit leisten müssen. Das heißt, daß wir eine Bundeswehr brauchen, die gut ausgebildet, modern ausgerüstet und hochmotiviert ist. Ihre Bündnis- und Einsatzfähigkeit muß gewährleistet sein.
({20})
Frieden und Freiheit sind eben nicht zum Nulltarif zu haben. Wir alle wissen, daß angesichts der drängenden Probleme auch die Bundeswehr nicht von Sparmaßnahmen ausgenommen werden kann, aber wir können und dürfen nicht zulassen, daß damit die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte in Frage gestellt wird.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa steht heute in einer Übergangsphase. Diese
geht mit großen Herausforderungen und Unsicherheiten einher. Gerade in dieser schwierigen Lage müssen wir vor allem die großen Chancen sehen und nutzen, die sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes für Europa eröffnet haben.
Es ist deshalb ein herausragendes Ergebnis des NATO-Gipfels in Brüssel, daß die Atlantische Allianz und die Europäische Union jetzt ihre Kräfte zusammenfügen und bündeln, um die Reformstaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa an die bestehenden Gemeinschaften heranzuführen, sie mit aufzunehmen und zu integrieren. Dies war immer auch ein Ziel deutscher Außenpolitik, und das wird so bleiben.
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Dazu gehört, daß das Vertrauen unserer Freunde und Partner in West und Ost weiter gewachsen ist, daß man uns vertraut. Dieses internationale Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit deutscher Außenpolitik ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine gute Zukunft, ist ein wichtiges Kapital. Wir haben den Kompaß, um zusammen mit unseren Freunden und Partnern den richtigen Kurs in dieser für Europa schwierigen Übergangsphase zu halten. Die Übergangsphase ist schwierig, aber sie bietet weit mehr Chancen als all die Jahrzehnte des Kalten Krieges: Chancen zur Sicherung von Frieden und Freiheit für unser Land, für die hier lebenden Menschen und vor allem auch für ein freies, offenes und demokratisches Europa.
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Bevor ich das Wort Herrn Klose erteile, möchte ich auf der Tribüne den Marschall des polnischen Sejm, Herrn Oleksy, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen.
({0})
Sie haben Ihre erste Auslandsreise nach Deutschland gemacht und uns gestern abend gesagt, wie wichtig Ihnen die enge deutsch-polnische Zusammenarbeit ist. Sie haben soeben, der deutschen Sprache mächtig, der Erklärung zugehört. Wir wissen, welch zentrale Bedeutung die Erweiterung Europas, die Einigung und die Sicherheitsfragen für Sie haben. Ich denke, es ist ein guter Zeitpunkt, zu dem Sie in Deutschland sind. Ich weiß, nach den Planungen werden Sie auch wieder an dem trilateralen Treffen, das der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses organisiert, nämlich am Charlemagne-Treffen zwischen Polen, Deutschland und Frankreich, teilnehmen.
Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt und uns eine enge Zusammenarbeit und die Erreichung der Ziele, wie Sie sie heute morgen auch wieder vernommen haben.
({1})
Es hat nun der Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete Hans-Ulrich Klose das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist zu begrüßen, daß der Bundeskanzler unmittelbar nach dem NATO17416
Gipfel in Brüssel das Parlament über die Ergebnisse informiert und uns seine Bewertung wissen läßt. Das ist der richtige Umgang mit dem Parlament, Herr Bundeskanzler. So soll es sein.
({0})
Daß Sie, Herr Bundeskanzler, den Gipfel positiv bewerten, überrascht uns nicht. Vielleicht überrascht es Sie,
({1})
wenn wir, die Opposition, Ihnen dabei - wie soll ich sagen - nur gedämpft widersprechen oder sogar zustimmen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der F.D.P. -
Das spricht doch für Sie!)
Auch wir bewerten das Ergebnis, von einzelnen Fragezeichen und Kritikpunkten abgesehen, überwiegend positiv.
({0})
Das gilt, meine Damen und Herren, auch für die im Vordergrund des Interesses stehende Frage der NATO-Erweiterung. Sie wissen, Herr Bundeskanzler, daß wir Sozialdemokraten offen sind für die NATO-Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa und daß wir sie im Grundsatz befürworten. „Im Grundsatz" will heißen: Eine NATO-Erweiterung kann dann vernünftig sein, wenn sie dazu beiträgt, eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa zu entwickeln, die -ich betone das - den Kontinent insgesamt stabilisiert. Das kann nach unserer Überzeugung nur dann gelingen, wenn die NATO a) ihren Charakter als kollektives Verteidigungssystem beibehält und b) durch ihre Existenz und Politik dazu beiträgt, ein kollektives europäisches Sicherheitssystem zu schaffen oder zu stützen.
Mit dieser Aussage, meine Damen und Herren, soll ein Ziel und zugleich eine Bedingung formuliert werden. Eine Sicherheitsarchitektur, die für Europa insgesamt nicht mehr, sondern weniger Sicherheit schafft, weil sie zum Ausgangspunkt neuer Spannungen wird, kann von uns nicht befürwortet werden.
({1})
Aus eben diesem Grunde war eine NATO-Erweiterung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.
Mir ist klar, meine Damen und Herren, daß die jetzt beitrittswilligen Staaten, die baltischen Staaten, Polen, die Visegrad-Staaten insgesamt, das anders beurteilen. Sie sehen sich in einer spezifischen Bedrohungslage, die sie durch den schnellen Beitritt zur NATO entschärfen möchten. Ob das gelänge, darüber darf gestritten werden. Ich verstehe aber diese Sicht der Dinge, und ich verstehe darüber hinaus, daß es in den genannten Ländern ein gewisses Maß an Enttäuschung gibt. Polnische Politiker, aber auch andere haben sich so geäußert. Ich verstehe das.
Es wäre aber ganz falsch, wenn in Polen oder anderswo jetzt der Eindruck entstünde, daß der
Westen sie nicht wolle oder einmal mehr ihrem Schicksal überlasse.
({2})
Das ist nicht der Fall. Denn zum einen lassen die Entscheidungen des NATO-Gipfels die Beitrittsoption offen, nein öffnen sie geradezu; zum zweiten enthalten die Beschlüsse zu „Partnership for Peace" ein Angebot zur Zusammenarbeit, das - je nach praktischer Ausgestaltung - weitreichend ist, vor allem unter dem Blickwinkel eines späteren Beitritts; und drittens sollte niemand ein Interesse daran haben, Wasser auf die Mühlen jener Kräfte in Rußland zu lenken, die unter Schürung von Einkreisungsängsten in Wahrheit eine neue imperiale Rolle vorbereiten.
({3})
Daß es, meine Damen und Herren, diese Kräfte gibt, wissen wir. Sie haben die Wahlen in Rußland nicht gewonnen, aber sie sind bedrohlich stark. Und alles, was wir von ihnen wissen und von ihren Repräsentanten hören, macht uns besorgt, uns wie andere, deren Besorgnis aus Gründen der schieren Geographie natürlich noch größer ist als unsere.
Diese Kräfte in Rußland wollen wir nicht stärken. Insofern nimmt der Westen in der Tat Rücksicht auf Rußland. Das heißt aber, um es ganz klarzustellen, nicht, daß wir der russischen Führung, dem russischen Präsidenten für die Frage der NATO-Erweiterung eine Art Vetorecht einräumen.
({4})
Da wir aber, meine Damen und Herren, wollen, daß die demokratischen Reformer gestärkt werden und sich durchsetzen, sollten wir alles vermeiden, was deren Position im eigenen Land zusätzlich erschwert. In diesem Punkt sind wir mit der Regierung einig.
({5})
Ich füge hinzu, daß es vereinzelt auch bei der jetzigen Regierung und beim russischen Militär Stimmen gibt, die eine hegemoniale Haltung mit einer Art Monroe-Doktrin - jedenfalls für die Länder der ehemaligen Sowjetunion - erkennen lassen. Diese Stimmen registrieren wir aufmerksam, ohne sie überzuinterpretieren. Meine Damen und Herren, wer so tut, als habe Schirinowski schon die Macht übernommen, trägt möglicherweise dazu bei, daß dies geschieht.
({6})
Die Einladung zu einer Partnerschaft für den Frieden, gerichtet an die Teilnehmerstaaten des Nordatlantischen Kooperationsrates und an weitere KSZE- Länder, begrüßen wir als Angebot, durch praktische Zusammenarbeit in einem - wie es heißt - evolutionären Prozeß zu einer Osterweiterung der NATO zu kommen. Wünschenswert wäre es, wenn sich die Zusammenarbeit mit den eingeladenen Ländern in einer Weise entwickeln würde, die am Ende eine Osterweiterung der NATO überflüssig machen
würde, weil sich ein funktionierendes kollektives Sicherheitssystem entwickelt hat.
({7})
Das ist Zukunftsmusik, ich weiß es, und es gehört gewiß viel Optimismus dazu, eine solche Entwicklung für wahrscheinlich zu halten, aber ohne Optimismus geht es nicht.
Jedenfalls bitten auch wir, die Opposition im Deutschen Bundestag, unsere Nachbarn im Osten, sich einzulassen auf diese Zusammenarbeit. Wir Deutschen wünschen uns die Zusammenarbeit, weil wir ein eigenes existentielles Interesse daran haben, die Grenzlandsituation, in der wir uns befinden, zu überwinden.
({8})
Aus unserer Sicht ist es wünschenswert, daß sich unsere Nachbarn in den gleichen Systemen der Zusammenarbeit und Sicherheit befinden, in die auch wir uns eingebracht haben. Daß diese Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, sich nicht auf militärische Fragen beschränken darf, das allerdings muß hier besonders betont werden. Sicherheit in Europa wird es nicht geben, wenn nicht auch die ökonomischen Probleme gelöst werden, wenn es nicht gelingt, den Menschen in Osteuropa die Hoffnung zu vermitteln, daß es auch wirtschaftlich bergauf geht.
Die, wenn ich so sagen darf, NATO-Fähigkeit eines osteuropäischen Landes hängt nicht in erster Linie davon ab, ob die Ausrüstung seiner Armee NATOkompatibel ist. Entscheidend sind Fortschritte bei dem Bemühen, die Lebenschancen für die Menschen zu verbessern.
({9})
Nur dann, wenn dies gelingt, schaffen wir die Stabilität, ohne die es eine auf Dauer friedliche Entwicklung in Europa insgesamt nicht geben kann.
Die Partnerschaft für den Frieden muß daher einhergehen mit einer Partnerschaft für Entwicklung - wirtschaftspolitisch, sozial, rechtsstaatlich. Diese Partnerschaft praktisch zu gestalten und konkret und abgestimmt zu helfen, das ist der richtige und einzig erfolgversprechende Weg.
({10})
Deutschland allein hat viel getan, und wir kritisieren das nicht - im Gegenteil. Was ich aber vermisse, Herr Bundeskanzler, sind integrierte sicherheits- und entwicklungspolitische Konzepte für Osteuropa. Die Bundesregierung hat sich wiederholt als Anwalt der osteuropäischen Länder bezeichnet; besonders von Ihnen, Herr Kollege Kinkel, sind mir solche Aussagen in Erinnerung. Tatsächlich wird die Bundesregierung nicht müde, möglichst allen osteuropäischen Ländern unentwegt zu versichern, Deutschland werde sie bei allen möglichen Begehren unterstützen, vor allem bei dem Begehren auf Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft bzw. in der Europäischen Union. Ich will der Bundesregierung gern unterstellen, daß sie es ernst meint. Wir sollten aber bedenken, daß Deutschland allein es unmöglich schaffen kann, die erwartete Unterstützung auch zu liefern.
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Gebraucht wird - ich wiederhole es - ein integriertes Konzept für Sicherheit und Entwicklung, das von allen westlichen Partnern - wenn es geht, auch von Japan - unterstützt und materiell getragen wird.
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Sicherheit ist nicht nur - nicht einmal in erster Linie - ein militärisches Problem, Herr Bundeskanzler. Sie wissen das so gut wie ich. Ich kann aber nicht erkennen, daß Sie bereit wären, aus dieser Erkenntnis die richtigen außenpolitischen Schlüsse zu ziehen; jedenfalls habe ich davon heute in Ihrer Erklärung nichts gehört.
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Sie könnten, Herr Bundeskanzler, einwenden, daß dies auch nicht das Thema des NATO-Gipfels gewesen ist oder sein konnte. Da bin ich aber anderer Auffassung. Haben wir nicht immer betont, Sie zumal, daß die NATO mehr ist als ein militärisches Zweckbündnis? Ist die NATO nicht auch ein Forum zu politischer Diskussion und Abstimmung und ein Instrument politischer Gestaltung? Wir sehen es jedenfalls so, Herr Bundeskanzler, und deshalb hätten wir uns gewünscht, daß die in Brüssel und im Bündnis versammelten Staatschefs der NATO-Länder den Begriff der Partnerschaft weiter gefaßt hätten, als sie es tatsächlich getan haben.
({14})
Noch einmal: Sicherheit ist nicht nur ein militärisches Problem. Aber leider ist es so, daß in der gegenwärtig instabilen Lage angesichts zahlreicher Konflikte und brutaler Kriege das militärische Kalkül in den Vordergrund gerückt ist - ganz entgegen den großen Hoffnungen, die viele nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Zusammenbruch des Kommunismus gehegt haben. Von einem friedlichen, freien und wirtschaftlich blühenden Europa haben wir geträumt, von einem Europa, das - endlich wiedervereinigt - zu sich selbst zurückfindet. Ich bin immer noch hoffnungsvoll, aber ich gebe zu, in die Hoffnung mischen sich Besorgnis, Angst und Zorn.
Die osteuropäischen Völker sind aus der kommunistischen Gefangenschaft nach Europa zurückgekehrt, ja. Aber wie haben wir sie, die wir ihre Rolle bei der Befreiung Osteuropas so sehr gelobt haben, bei uns aufgenommen? - Europa ist faktisch immer noch geteilt und wird es, wenn nicht eine große, gemeinsame Anstrengung unternommen wird, noch lange bleiben. Solange diese faktische Teilung anhält, wird es einen sicheren Frieden in Europa nicht geben.
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Es ist richtig, meine Damen und Herren, mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums ist die Gefahr des großen apokalyptischen Krieges geringer geworden. Daß die Ukraine, numerisch immerhin die drittgrößte Nuklearmacht der Welt, endlich bereit zu sein scheint, ihre nuklearen Potentiale abzubauen, mindert die Gefahr weiter.
Aber der gemeine, der brutale konventionelle Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Wir finden offenbar keine Kraft, präventiv, d. h. kriegsverhindernd, tätig zu werden. Noch fehlt uns ein wirksames Konzept zur Kriegseindämmung oder -beendigung. Jugoslawien ist ein schreckliches Beispiel dafür.
Die Aussagen des NATO-Gipfels zum früheren Jugoslawien, zu Bosnien habe ich gelesen. Die Serben und die anderen Völker, die sich im ehemaligen Jugoslawien gegenseitig umbringen, glauben, so fürchte ich, davon kein Wort.
Ich bin, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, mit den organisatorischen Entscheidungen einverstanden, die das Verhältnis zwischen NATO und WEU betreffen. Wir können die Anerkennung der Europäischen Union als gleichberechtigter Partner der USA in außen- und sicherheitspolitischen Fragen und der Westeuropäischen Union als Verteidigungs- und Sicherheitsinstrument der Europäischen Union, wie im Kommuniqué definiert, akzeptieren.
Gleichwohl bin ich nicht einverstanden, weil hier einmal mehr militärisch-organisatorisch gehandelt wird, ohne daß Fortschritte bei der Formulierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erkennbar wären.
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Die Westeuropäische Union soll zu eigenständigen militärischen Operationen befähigt werden, und zwar ohne daß militärische Doppelstrukturen entstehen; einverstanden. Gibt es aber - einmal ganz abgesehen von den deutschen Unklarheiten - Klarheit darüber, was mit dieser militärischen Operationsfähigkeit der Westeuropäischen Union erreicht werden soll? Sie wissen von mir, meine Damen und Herren, daß ich militärische Vorsorge einschließlich einer realistischen Abschreckungskomponente, die aus meiner Sicht kriegsverhindernd wirkt, für notwendig und richtig halte. Daß aber wieder einmal das Militärische zuerst organisiert wird, ohne zuvor Klarheit über die politischen Strategien zu gewinnen, das beunruhigt mich zunehmend mehr. Nicht zuletzt macht es mich mißtrauisch, weil Sie, Herr Bundeskanzler, über diesen ganzen Entscheidungskomplex des Gipfels heute hier nicht gesprochen haben.
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Ich will die gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitsidentität und die Bundeswehr als Bündnisarmee - ganz gewiß. Ich bin aber dagegen, daß auch nur der Eindruck erweckt wird, Europa strebe die Rolle einer Interventionsmacht aus eigenem Recht an.
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Daß die NATO oder die Westeuropäische Union im Rahmen von UNO und KSZE Aufgaben übernehmen kann und soll, das ist hier nur insoweit umstritten, als es um den Umfang und die Art solcher Aufgaben geht. Sie kennen die unterschiedlichen Positionen. Gemeinsam widersprechen wir, wenn es darum geht, eine eigenständige militärische Rolle für die Westeuropäische Union, für die Europäische Union jenseits
von Verteidigung und über den Bündnisbereich hinaus zu reklamieren. Das haben wir schon bei der NATO getan, und wir tun es - eher noch entschiedener -, wenn es um die Westeuropäische Union geht, also um eine Organisation ohne die Vereinigten Staaten und Kanada.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung: Ich finde es schon erstaunlich, daß und mit welcher Intensität die Bundesregierung darauf drängt, den Aktionsradius der Bundeswehr zu erweitern - bis hin zu dem Vorschlag des Kollegen Schäuble, die Bundeswehr auch im Inneren verstärkt einzusetzen,
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eine, wenn ich so sagen darf, politisch abstruse Vorstellung.
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Zugleich, meine Damen und Herren, führen Sie eine unendliche Debatte über die Sollstärke der Bundeswehr. Merken Sie gar nicht, daß die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, die eben erst die gewaltigste Umstrukturierungsaufgabe ihrer Geschichte bewältigen mußte, damit ernstlich gefährdet wird?
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Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben mit dieser Debatte bei der Wehrkundetagung in München angefangen. Wohl gemerkt: Ich habe durchaus nichts dagegen, daß auch über die Sollstärke der Bundeswehr nachgedacht wird, aber bitte nicht mit immer neuen Zahlen alle zwei bis drei Monate; und bitte nicht nur unter Haushaltsgesichtspunkten!
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Irgendwo müssen doch auch die Sicherheitslage und der Auftrag der Bundeswehr mitbedacht werden. Nur dann ist die Debatte rational.
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Jedenfalls finde ich es absolut widersprüchlich, daß die Aufgaben der Bundeswehr jetzt durch die WEU-Pläne erweitert, die realen Möglichkeiten aber laufend reduziert werden sollen. So funktioniert keine verantwortliche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Das, Herr Bundeskanzler, ist Schluckaufpolitik.
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Eine letzte Bemerkung: Wir waren, Herr Bundeskanzler, nicht sehr zufrieden mit dem Ergebnis des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Dezember in Brüssel. Wir hatten uns größere Entschlossenheit bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit in der Europäischen Union gewünscht. Die Arbeitslosenzahlen in der Europäischen Union - 18 Millionen - machen das dringlich. Die Bundesregierung hat sich gesperrt und sich in besonderer Weise als Bremser hervorgetan. Die Vorschläge der Kommission zur Finanzierung arbeitsplatzschaffender Infrastrukturmaßnahmen wurden ad acta gelegt; desgleichen die Vorschläge, Lohnnebenkosten zu senken, Arbeit zu entlasten und dies durch eine Energiesteuer zu kompensieren. Wir bedauern
das, und wir nutzen die Gelegenheit, dies heute im Parlament auch zu sagen. Vorher ergab sich dazu keine Gelegenheit.
Obwohl wir also im konkreten Fall mit Ihren europäischen Leistungen unzufrieden sind, Herr Bundeskanzler, bestätige ich Ihnen, daß wir Ihr europäisches Engagement zum einen ernst nehmen und zum anderen durchaus nicht für illusionär halten.
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Wir Deutschen brauchen Europa, u. a. weil dieses Europa neben der NATO ganz wesentlich dazu beigetragen hat, daß wir in Westeuropa seit 48 Jahren in Frieden leben. Das ist - Sie haben es auch heute gesagt - keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Ergebnis politischer Gestaltungskraft über viele, viele Jahre hinweg. Es ist wichtig, auf diesen Tatbestand heute wieder und ausdrücklich hinzuweisen, weil es - mehr in Ihren Reihen, Herr Bundeskanzler, als bei uns - modisch wird, die europäische Entwicklung nicht nur zu kritisieren, sondern sogar in Frage zu stellen.
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Auch wir haben mancherlei zu kritisieren, sind durchaus nicht mit allem einverstanden, was in Brüssel durch die Kommission oder den Ministerrat getan oder nicht getan wird. An unserem europäischen Engagement halten wir jedoch fest. Für Illusionisten halten wir nicht die überzeugten Europäer - die können gute Argumente statt Emotionen für ihr Engagement ins Feld führen, friedenspolitische und wirtschaftspolitische -, für Illusionisten, ja sogar Hasardeure halten wir jene, die den Nationalstaat gegen Europa stellen und damit - aus welchen Gründen auch immer - Europa ins 19. Jahrhundert zurückführen möchten.
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Auch wir sind Patrioten. Wir lieben unser Land. Aber wir sind und bleiben überzeugte Europäer. Wir werden nicht aufhören, den Traum von den Vereinigten Staaten von Europa zu träumen und an seiner Verwirklichung zu arbeiten.
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Als nächster spricht Kollege Dr. Karl-Heinz Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen gratulieren;
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denn nach der Rede des Oppositionsführers habe ich den Eindruck, das Jahr fängt für Sie gut an. Die Opposition hat keine nennenswerten Alternativen zu Ihnen aufzeigen können. „Was sollen wir da Veränderungen anstreben?" muß sich der Wähler fragen.
Lieber Kollege Struck, ich glaube, er hat recht, wenn er so denkt.
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Die Kritik, Herr Kollege Klose, die Sie hier dann noch zusammengesucht haben, an einer, wie Sie zugeben mußten, Politik mit so großem Erfolg, den vor kurzem noch niemand erwartet hat, war ein wenig gekünstelt und auch ein wenig abstrus, um einen Begriff aufzunehmen, mit dem Sie meinen Fraktionsvorsitzenden zu kritisieren versuchten. Er hat die meiner Ansicht nach vernünftige Vorstellung, daß es nicht völlig absurd und abstrus ist, bei künftigen Überschwemmungen des Rheins - ähnlich wie in den Niederlanden die dortige Armee eingesetzt wurde - auch die Bundeswehr einzusetzen, um - wie in den Niederlanden - Plünderungen und ähnliches zu vermeiden,
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oder sie mit Aufgaben zu betrauen, mit denen in Österreich die dortige Armee betraut wurde, als in bestimmten Phasen massenhaft Grenzverletzungen auftraten, die von der normalen Polizei nicht mehr zu bewältigen waren. So einfach können Themen sein, an denen Sie sich hochranken und aufplustern, einfach weil Sie Ihren Popanz brauchen, um von der eigenen Schwäche abzulenken, die Sie in den entscheidenden Bereichen der inneren Sicherheit und der Verteidigungspolitik aufzuweisen haben.
Lassen Sie mich zum Gipfel kommen: Ich glaube - ich habe es soeben schon angedeutet -, daß dieser NATO-Gipfel vielen Auguren zum Trotz positiv verlaufen ist. Er hat in entscheidenden Bereichen neue Dynamik entwickelt, an der wir gerade als Deutsche in besonderer Weise Interesse haben müssen. Unser Ziel war es immer - jedenfalls das der Union -, daß Sicherheit, Frieden, Freiheit, Wohlstand und Demokratie nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander gesichert und geschaffen werden. Der Bundeskanzler hat noch einmal nachdrücklich darauf verwiesen, wie sehr dieses Ziel Mittelpunkt unserer Politik ist. Wir hatten lange Jahre nur die Chance, dieses Ziel im Westen zu verwirklichen, weil andere, die mit uns vielleicht Gleiches gewollt hätten, gehindert waren, dies zu tun.
Der NATO-Gipfel hat bemerkenswerte Erfolge erreichen können, die so selbstverständlich, wie sie im Augenblick zu sein scheinen, gar nicht waren. Das klare Ja des NATO-Gipfels zur Entwicklung einer europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsidentität - der Bundeskanzler hat vornehm angedeutet, da habe es so manchen in Amerika gegeben, der das alles nicht so gern gesehen hat -, daß dies einvernehmlich gemeinsame Politik im Bündnis wird, halte ich für einen wesentlichen und wichtigen Fortschritt zur Dynamisierung unserer eigenen Sicherheit.
Die Weiterentwicklung und Verzahnung von WEU und NATO gehören genauso dazu wie - was auch unsere große Sorge gewesen ist; Sie haben dieses Thema, Herr Klose, überhaupt nicht angeschnitten - unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Es war ja lange Zeit von Sorgen überschattet. Mancher aus Ihren Reihen hat ja unnötigerweise versucht, diese
Sorgen auch noch besonders nach vorn zu bringen. Es war von der Sorge überschattet, daß sich die Amerikaner innerlich aus Europa zurückziehen würden. Ich glaube, wir sollten Präsident Clinton für die klare Aussage dankbar sein, daß Europa das Zentrum der amerikanischen Außenpolitik ist und bleibt,
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daß die Zweifel an der weiteren Präsenz der Amerikaner im Bündnis in Europa durch klare Aussagen des Präsidenten beseitigt worden sind und daß dieser Präsident - anders als andere - zur Politik einer Weiterentwicklung der Europäischen Union klar ja gesagt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten deswegen dem amerikanischen Präsidenten danken, weil dies aus amerikanischer Sicht nicht so selbstverständlich ist, wie wir als Deutsche oder Europäer vielleicht meinen. Denn aus der Sicht des amerikanischen Kollegen, der seinen Wahlkreis in Louisiana oder Alabama hat, gibt es vielleicht wichtigere Punkte als diejenigen, die wir als die wichtigsten definieren. Amerika weiter zu veranlassen, uns angesichts unserer eigenen, noch wenig entwickelten Fähigkeit, unsere Probleme selber zu lösen, weiterhin zur Seite zu stehen, mit uns im Verbund zu bleiben, ist gerade angesichts des Wegfalls der klassischen Bedrohungsszenarien ein ganz wichtiges Ergebnis dieses Gipfels gewesen.
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Herr Bundeskanzler, meine Fraktion möchte Ihnen besonders herzlich dafür danken, daß Sie da so vieles weggeräumt haben. Denn nach allem, was ich weiß - aus vielen Gesprächen mit Besuchern aus dem Ausland und bei Besuchen im Ausland -, war es vor allen Dingen auch Ihr persönliches Werk, die Spannungsverhältnisse, die wir hatten - „Was wollen die denn mit der WEU, mit dem Euro-Korps?" -, die Skepsis, die in Amerika verbreitet war, genauso wegzunehmen wie Besorgnisse, wir hätten ein Interesse daran, die NATO aufzulösen und andere Wege zu gehen. Das dies so gelungen ist, wie es gelungen ist, daran haben die deutsche Bundesregierung und Sie, Herr Bundeskanzler, einen maßgeblichen Anteil. Die CDU/CSU-Fraktion dankt Ihnen nachdrücklich für diese auch ganz persönliche Leistung, die da erbracht worden ist.
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Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen, Herr Kollege Klose: Wir sind sicherlich bei manchen Entwicklungen - bei der europäischen Verteidigungsidentität, bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik - in Europa erst am Anfang. Aber wenn wir uns an manchen Punkten so unendlich schwertun, dann trifft dafür ein gerüttelt Maß an Verantwortung nicht vielleicht Sie persönlich, aber Ihre Partei, Ihre Fraktion. Man mag ja sagen - und da haben Sie recht -, daß militärische Sicherheitsfragen nicht das Nonplusultra sind. Aber Sie sind bei der Frage, wie weit man denn kooperationsfähig und kooperationswillig ist und wie weit man miteinander etwas verabreden und etwas tun kann, von neuer Wichtigkeit.
Das zeigt gerade die allerjüngste Vergangenheit. Es ist gerade unser Drama, daß Ihre Verweigerung - nicht Ihre persönliche, sondern die der SPD -, miteinander eine klarstellende Grundgesetzergänzung zu schaffen, die uns handlungsfähiger machen würde und den Außenminister nicht immer in die peinliche Situation bringt, daß er seine Vorbehalte hineinformulieren muß, wie sie auch jetzt wieder in der gemeinsamen Erklärung auf Seite 5 oben stehen. Da wird dann formuliert: Wir wollen das und das, aber - das ist dann die klassische deutsche Notsituation - wir wollen dies natürlich nur nach Maßgabe dessen, was wir verfassungsmäßig können.
Wer seine eigene Regierung, sein eigenes Land, Herr Klose, in einer solchen Position beläßt, schadet diesem Land und seiner Chance, politisch operativ tätig zu sein.
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Das ist das, was Sie sich unverändert anhören müssen, auch wenn uns im Augenblick nichts anderes bleibt, als daß letztendlich das Verfassungsgericht dieses Problem auflöst, weil diese Frage mit Ihnen offensichtlich nicht lösbar ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bezogen auf unser klassisches Bündnis muß ich sagen: Der große Erfolg des Gipfels war, daß Lähmungen und Stagnationen überwunden worden sind, die auch auf der Frage beruhten: Wozu dieses Bündnis eigentlich noch? Hat es noch einen Sinn, wo doch der gemeinsame Feind abhanden gekommen ist?
Daß hier nach innen hin das neue Zusammenstehen neu definiert worden ist, daß alle begriffen haben, daß es einen Sinn macht, auch dann zusammenzustehen, wenn man nicht unmittelbar gegen jemanden zusammenstehen muß, und daß in dem Sinne Vertiefung erreicht worden ist, ist ein großes, ein wichtiges Ergebnis, das Hoffnung auch für die Zukunft und für die politische Handlungsfähigkeit dieses Bündnisses gibt.
Damit bin ich bei dem zweiten wichtigen Punkt. Wir haben in den letzten Jahren lange darüber diskutiert, ob wir denn eigentlich fähig, willens und in der Lage sind, die Chance zu nutzen, die sich plötzlich ergab. Ich habe am Anfang gesagt: Ziel unserer Außenpolitik ist es, daß wir, die Deutschen, ein besonderes Interesse daran haben, uns so mit unseren Nachbarn zu vernetzen, zu verbinden, daß wir miteinander Sicherheit, Frieden, Freiheit, Demokratie schaffen und sichern, nicht mehr gegeneinander, wie Jahrhunderte vorher.
Dieses Ziel konnten wir lange nur nach Westen hin verfolgen. Seit 1989 gibt es - Schritt um Schritt mehr - die Chance, die Jahrhundertchance, diese große Idee auch weiter europäisch zu fassen und zu nutzen.
Wir Deutschen haben natürlich wegen unserer Lage - da wir da liegen und da sitzen und da stehen, wo wir sind, nämlich hier, in Deutschland - und da wir wissen, wo die Stabilitätsunsicherheitszonen beginnen, ein besonderes Interesse daran, daß diese Fragen gelöst werden. Und ist es nicht selbstverständlich, daß alle anderen europäischen und amerikanischen Partner die gleichen Interessen an der Lösung dieser
Fragen haben? Deswegen ist es so bemerkenswert, daß es gelungen ist - vielleicht ein bißchen spät, aber immerhin gelungen ist -, nunmehr die NATO und die Verbündeten alle miteinander wirklich klar erklärt und deutlich in eine gesamteuropäische, Gesamteuropa umfassende Verpflichtung hineinzubringen, die sich nicht neu gegen jemanden richtet, sondern versucht, die Interessen aller unserer unmittelbaren östlichen Nachbarn, aber auch die Rußlands zu erfassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich da einen kleinen Einschub machen. Mich haben in letzter Zeit immer wieder der Halbsatz, die Schlagzeilen in französischen und anderen Zeitungen gestört, die NATO reiche ihre Hand den Feinden von früher. Das mag vielleicht militärisch so gewesen sein, aber ich lege doch Wert auf die Feststellung, daß wir, die NATO, die Hände ergreifen, die sich auch uns von Vertretern der Völker entgegenstrecken, die über Jahrzehnte gehindert waren, einen Weg gemeinsam mit uns zu gehen.
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Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir dies sehen. Wir haben es mit Menschen zu tun, die nicht als Feinde von gestern gesehen werden wollen, weil sie dies vielleicht zwanghaft sein mußten und nicht freiwillig waren.
Es ist, wie gesagt, unser Interesse, daß unsere Nachbarschaft die gleiche Sicherheit, die gleiche Stabilität hat. Deswegen unterstreiche ich alles, was Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Regierungserklärung eben gesagt haben, für meine Fraktion mit Blick auf unsere unmittelbaren Nachbarn, mit Blick auf Polen, aber auch mit Blick darauf, daß natürlich die Sicherheit für unsere Nachbarn und für uns selber dann optimal erreicht werden kann, wenn es gelingt, in diesem Sicherheitsverbund Rußland nicht draußen, sondern drinnen zu haben, auf welche Art und Weise genau auch immer; dies ist eine zweite Frage. Aber es ist von entscheidender Wichtigkeit, die Chance, die gegeben ist - vielleicht muß ich sagen: noch gegeben ist; aber sie ist gegeben -, genutzt wird, daß wir diese Sicherheit miteinander entwickeln und nicht am Ende gegeneinander entwickeln müssen.
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Deswegen halte ich diesen Beschluß der NATO für unglaublich klug. Manche sagen: Mehr war nicht drin. Andere meinen schon, es sei vielleicht zuviel gewesen. Bei einigen Ihrer Untertöne, Herr Klose, hatte ich den Eindruck, Ihnen sei es schon fast zuviel gewesen. Ich will das nicht unterstellen. Nur glaube ich, es macht deutlich an unsere Nachbarn, an unsere unmittelbaren Nachbarn im Osten: Ihre Sicherheitsprobleme sind unsere Sorgen.
(
Sehr gut!)
Und es macht deutlich an die - ja, wenn Sie so wollen - Nachfolger unserer großen Gegner von gestern, die gegenwärtig noch mit Truppen in Deutschland stehen, die Deutschland gegenwärtig verlassen, daß wir Partnerschaft mit ihnen wollen, nicht gegen sie, sondern im Interesse aller, d. h. nicht
mit einem Rußland, das sich erneut gegen die Freiheit und Integrität seiner Nachbarn wendet.
Und wir sollten uns durch all die gewaltigen Töne, die da kommen - nicht nur von Herrn Schirinowski, sondern auch manchmal aus der Umgebung des Präsidenten -, nicht irremachen lassen, sondern wir sollten, solange es die Chance gibt, mit denen kooperieren, die stützen und unterstützen, die die Chance geben, diese Vision einer gesamten Sicherheitsarchitektur für Europa zu entwickeln und dies voneinander zu bekommen.
Ich muß sagen, Herr Bundeskanzler, es ist üblich, daß Redner Ihrer Fraktion Sie immer loben; das weiß ich. Das tue auch ich immer besonders gerne, erstens weil das zutrifft, zweitens weil mich sonst mein Fraktionsvorsitzender kritisiert, wenn ich das nicht getan habe. Drittens muß man es diesmal doppelt und dreifach aus tiefer Überzeugung tun.
Ich sage dies, weil ich weiß, daß gerade diese Entwicklung, nämlich beide Interessen ins Visier zu nehmen, vor allem die Amerikaner, aber auch einige andere unserer wichtigen Verbündeten dazu zu bewegen, sich der Verantwortung gegenüber Mittel-und Osteuropa wirklich zu stellen, die Verantwortung wirklich auf sich zu nehmen, und dabei gleichzeitig das Kunststück fertigzubringen, die Dinge sich nicht erneut gegen Rußland entwickeln zu lassen, im wesentlichen Ihr Verdienst ist. Dafür, Herr Bundeskanzler, ganz herzlichen Dank von meiner Fraktion!
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt mit einem Punkt weitermachen, von dem ich gerne sagen würde, daß ich auch damit ganz zufrieden wäre. Man konnte kaum anderes erwarten, aber trotzdem muß man mit Bitterkeit zur Kenntnis nehmen: Daß wir unmittelbar vor unserer Tür Perspektiven diskutierend gleichzeitig unsere eigene Ohnmacht und Schwäche, vielleicht auch unser Versagen erleben müssen, ist eine Bitternis besonderer Art. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Ich glaube, das weiß auch jeder, der beteiligt war. Es war vielleicht von dem Gipfel nicht mehr zu erwarten, weil man von anderen nicht fordern soll, was man selber nicht geben kann oder will.
Aber ich möchte für uns doch festhalten, wie sehr es uns am Anfang dieses Jahres bedrückt, daß wir mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, in Bosnien-Herzegowina, weiter leben müssen; ich kann da keine Perspektive auf Besserung erkennen. Es hat mich bei dem durchaus sinnvollen Treffen auf dem Petersberg zutiefst betroffen gemacht, feststellen zu müssen, wie zwei, die vor kurzem scheinbar verbündet waren, ihre Leute aufeinander schießen lassen, einschlagen lassen und sich umbringen lassen und dann wieder abreisen, als wäre nichts gewesen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das reißt einen fast um. Manchmal fragt man sich, ob all diese Verhandlungen nicht besser damit endeten, daß, wo immer Milošević und Karadžić und wie sie alle heißen auftreten, sie schlicht und einfach festgenommen würden. Aber wie gesagt, das sind die Ohnmachtsanfälle eines Politikers, der weiß, daß es so nicht geht.
Ich möchte trotz der zunehmenden Tendenz, daß berechtigterweise keiner mehr den Zustand der Unschuld auch nur andeutungsweise erreichen kann und daß Brutalität und Grausamkeit auch die Truppen derjenigen kennzeichneten, die hier auf dem Peters-berg saßen, festhalten - nur damit es nicht vergessen wird -: Die Hauptverursacher dieses Dramas und Dilemmas sind die Chauvinisten, sind die großserbischen Wahnsinnigen, die meinen, ihre Ideen von Rassismus mit ethnischen Säuberungen über dieses Land bringen zu müssen.
Ich hoffe, daß wir wenigstens eines erreichen, nämlich daß wir, wann immer dieses Theater und dieses Drama zu Ende geht, die Kraft haben, nicht alles zu akzeptieren, als wäre nichts gewesen, und daß wir nicht zur Tagesordnung übergehen.
Ein Serbien dieser Art hat in unserem Europa keinen Platz und darf keinen Platz bekommen, auch wenn die Opportunitäten vielleicht irgendwann einmal etwas anderes gebieten mögen.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte mit einem Dank schließen, mit einem Dank an unsere Helfer, die vielen hundert Helfer aus Deutschland und anderen Ländern, die für die verschiedensten Hilfsorganisationen in jenem Teil Europas versuchen, Not zu lindern, so gut sie können, zum Teil verzweifelt angesichts der Perspektivlosigkeit ihres Tuns. Ich möchte ihnen im Namen meiner Fraktion - ich hoffe, auch von uns allen - herzlich für ihr nicht enden wollendes Engagement danken.
Ich möchte genauso jenen danken, die wir in der Regel immer vergessen, nämlich den Soldaten, die Nacht für Nacht in Bosnien-Herzegowina die Splitterschutzwesten anlegen müssen, weil sie mit Gefahr für ihr Leib und Leben versuchen zu helfen, jenen Soldaten, die, wann immer es geht - auch unter Beschuß - Sarajevo anfliegen, um das, was wir schlicht humanitäre Hilfe nennen, durchzusetzen, zu erhalten und, so gut es geht, zu sichern. Ihnen mein und unser ganz herzliches Dankeschön!
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Als nächster spricht der Kollege Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei unseren Hauptverbündeten in der NATO, den Amerikanern, ist es Sitte, daß man eine Rede mit einem kleinen Scherz einleitet. Wenn auch ich mir das als Reverenz den Amerikanern gegenüber herausnehmen darf, dann möchte ich einen Vers zitieren, der leider nicht von mir stammt. Ich würde den Namen des Autors nennen, wenn ich ihn wüßte. Der Vers lautet:
Wir brauchten sie bis dato nicht,
doch macht uns nicht die NATO dicht!
Ich zitiere das deshalb, weil es vor ein paar Jahren durchaus einmal Mode gewesen ist, die NATO und die Bundeswehr für überflüssig zu halten. In der Euphorie nach dem Wegfall des Ost-West-Konflikts gab es Töne, die in die Richtung liefen: Das brauchen
wir jetzt alles nicht mehr; nützen wir doch die Friedensdividende; jetzt sparen wir das Geld.
({0})
Ich erinnere mich an Szenen im Wahlkampf 1990, als der Verteidigungshaushalt in einer Woche gleich dreimal für andere Zwecke verbraten wurde. Gott sei Dank sind diese Töne jetzt stiller geworden. Herr Klose, allerdings muß ich schon sagen: Wenn Sie immer wieder behaupten - auch heute wieder -, die Bundeswehr suche künstlich nach neuen Aufgaben, und wir überlegten die Beteiligung der Bundeswehr an Friedenseinsätzen nur unter dem Aspekt des Interventionismus, dann geht mir das gefährlich in diese Richtung. Die Aufgaben der Bundeswehr sind nach wie vor unverändert in erster Linie Landesverteidigung und Bündnisverteidigung. Zusätzlich kommen die Aufgaben, die uns die internationale Gemeinschaft abverlangt.
({1})
Die Einschätzung ist heute wieder realistischer geworden. Das ist angesichts der vielfältigen Gefahren, die sich in dieser Welt leider bieten, kein Wunder. Zwar ist die apokalyptische Drohung eines Atomkriegs im Ost-West-Konflikt entfallen, aber wir haben die Unsicherheiten in Rußland, wir haben vagabundierende Nuklearpotentiale, wir haben die Gefahr des Islamismus, wir haben die Gefahr, daß östlich von uns in den jungen Demokratien die Entwicklung rückläufig wird.
Was ist unsere Antwort hierauf? Meine Damen und Herren, die Antwort kann wirklich nicht heißen: Nach der Vereinigung Deutschlands sind wir wieder wer; wir ziehen uns in unseren nationalistischen Winkel zurück und verlassen uns auf uns selbst, und wir beklagen Überfremdung. Solche Töne gibt es ja leider. Meine Damen und Herren, die Antwort auf diese Gefahren kann einzig und allein sein: Halten wir an den bewährten internationalen .Organisationen fest, in die wir eingebunden sind, und stärken wir diese Organisationen!
({2})
Herr Klose, es ist nicht richtig, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie täte dies einseitig nur bei Militärbündnissen. Vielmehr läßt sich die Bundesregierung von niemandem übertreffen, wenn es darum geht, die Europäische Union auszubauen. Wir haben hier - dankenswerterweise mit Ihrer Hilfe - gemeinsam den Maastricht-Vertrag verabschiedet. Wir haben in dem Maastricht-Vertrag gemeinsam die Verbindung zwischen Sicherheit im allgemeinen Sinne, im wirtschaftlichen und im politischen Sinne, und der militärischen Sicherheit festgelegt, die nur ein Aspekt von Sicherheit insgesamt ist. Die Einbeziehung der WEU als integralen Bestandteil in die Europäische Union ist in dieser Richtung auch deshalb ein Riesenfortschritt, weil er genau zeigt: Die Priorität liegt bei der Politik, und militärische Sicherheit ist ein zwar unerläßlicher, aber eben nur ein Teilaspekt der gesamten Sicherheit.
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Meine Damen und Herren, daß die Amerikaner jetzt ihre ursprünglichen Vorbehalte gegenüber der WEU und gegenüber europäischen Bemühungen, eine eigene Sicherheitsidentität zu schaffen, fallengelassen und ausdrücklich gesagt haben, sie begrüßen diese Entwicklung, ist eines der wesentlichen Ergebnisse des Brüsseler NATO-Gipfels. Ich möchte meinerseits dem Bundeskanzler, aber ausdrücklich auch dem Bundesaußenminister Kinkel dafür danken, daß sie die deutschen und die europäischen Interessen dort mit solcher Entschiedenheit vertreten haben.
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Die Ergebnisse des Gipfels waren nicht zuletzt auf Grund des deutschen Einsatzes positiver, als man hätte befürchten können.
Was in Brüssel im einzelnen beschlossen wurde, ist hier verschiedentlich gesagt worden. Ich möchte es nicht wiederholen. Ich möchte nur noch einmal auf die Partnerschaft für den Frieden zurückkommen. Es gibt ja inzwischen auch ein wunderschönes Kürzel dafür: PFP, partnership for peace. Ich habe gestern abend gelernt, daß es dieses Kürzel gibt.
Ich möchte ausdrücklich dem estnischen Präsidenten Meri widersprechen, der eine wunderschöne Formulierung gebraucht hat, nämlich, es handle sich hier um nichts mehr als um schöne, geheimnisvolle Formeln. Nein, meine Kollegen, es ist wesentlich mehr als dies.
Was Partnerschaft für den Frieden auszeichnet, ist zweierlei. Zum einen wird hier eine enge Kooperation allen angeboten, die früher dem Warschauer Pakt angehört haben. Dies schließt insbesondere Rußland und die Ukraine ein. Aus dieser richtigen Erkenntnis ist formuliert worden, daß wir gegen Rußland, gegen die Ukraine oder auch nur ohne sie, unter Ausgrenzung dieser beiden Länder, keine Sicherheit gewährleisten können. Deshalb ist dieses Angebot auch an diese Länder so unerhört wichtig.
Aber Partnerschaft für den Frieden geht ja in einem wesentlichen Punkt darüber hinaus, indem nämlich den uns näherliegenden Ländern die Chance, die Perspektive einer späteren Mitgliedschaft in der NATO eröffnet wird. Und auch dies darf man ja wieder nicht isoliert sehen.
Ich verstehe die Enttäuschung der Polen und anderer darüber, daß heute die Zeit für diese Mitgliedschaft nicht reif ist. Aber wir bleiben ja mit unseren Betrachtungen nicht bei der NATO stehen. Herr Klose, hier haben wir wieder diesen Aspekt: Wir als Europäer sind in meinen Augen jetzt dazu aufgerufen, daß wir diesen Ländern, insbesondere als ersten den Visegrad-Staaten, die Perspektive des Beitritts zur Europäischen Union viel konkreter eröffnen, als das in den bisherigen Bekundungen der Fall war.
Meine Damen und Herren, wir hatten in der Nachkriegsgeschichte zwei ganz entscheidende historische Weichenstellungen. Das eine war die Schaffung der westeuropäischen und atlantischen Organisationen, die deutsche Einbindung in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und in die NATO.
Die zweite entscheidende Weichenstellung war die Öffnung nach Osten, die Entspannungs- und Verständigungspolitik, die dann letzten Endes zum Abbau der Blöcke geführt hat.
Ich glaube, daß wir heute in einer Situation sind, wo eine dritte, ganz entscheidende und historisch notwendige Weichenstellung erfolgen muß. Das ist die Öffnung unserer Organisationen für die Länder, die uns im Osten benachbart sind. Ich glaube, wir tun hier noch zuwenig. Wir müssen diese Vision mit konkretem Leben erfüllen.
({5})
Das heißt in wirtschaftlicher Hinsicht in erster Linie - es ist verschiedentlich erwähnt worden - Marktöffnung; denn jede Mark, jedes Geld, das durch den Verkauf wettbewerbsfähiger Produkte verdient werden kann, ist natürlich wesentlich besser als jeder finanzielle Transfer von uns in diese Länder.
({6})
Das heißt zweitens auch Anstreben der Vollmitgliedschaft. Die Länder haben die Möglichkeit, sich schon heute darauf vorzubereiten, sich für Europa fit zu machen. Man kann schon heute die Rechtsordnungen graduell an die zukünftige Mitgliedschaft in der Europäischen Union angleichen.
Aber wir sollten von uns aus - wir als Deutsche können es nicht allein, und ich kritisiere deshalb auch nicht die Bundesregierung, daß sie nicht bereit ist, diesen Schritt zu gehen - als Parlament durchaus einmal weiter gehen. Das Parlament sollte in seinen Vorstellungen, in seinem Verlangen weiter gehen, als es die Bundesregierung kann. Es ist eine ganz andere Rolle, die wir spielen.
Die Bundesregierung sagt: Wir wollen nicht zu stark drängen, denn das wird andere, unsere Freunde und Verbündeten, möglicherweise verprellen. Aber ich meine, daß wir als Parlament, als Deutscher Bundestag ganz klar sagen sollten: Wir wollen die Heranführung der Länder, wir wollen die Perspektive des Beitritts konkretisieren. Wir wollen, daß diese Länder - zunächst die Visegrad-Staaten - bis zum 1. Januar 1999, also noch in diesem Jahrtausend, Vollmitglieder unserer Gemeinschaften und Partnerschaften sind.
Herzlichen Dank.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Andrea Lederer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klose, Sie haben zu Beginn gesagt, die Opposition in diesem Hause begrüße in weiten Teilen, was der NATO-Gipfel an Ergebnissen gebracht habe. Dies trifft so nicht zu. Die SPD-Fraktion mag das für sich in Anspruch nehmen; ich kann für meine Gruppe erklären, daß wir in weiten Teilen ziemlich entsetzt sind über das, was beim NATO-Gipfel vereinbart worden ist.
({0})
Man könnte, wenn es nicht um den Gipfel eines Militärbündnisses ginge, zum Teil den Eindruck haben, die westeuropäischen Staaten hätten nun endlich erkannt, daß Europa nicht nur Westeuropa bedeutet, sondern daß eine Öffnung aller nichtmilitärischen Organisationen für die osteuropäischen Staaten dringend nötig ist. Leider aber diskutieren wir heute über den Gipfel eines klassischen Militärbündnisses.
Ob dieser Gipfel eine Zäsur darstellt oder nicht, sei einmal dahingestellt. Fakt ist allerdings: Die Ergebnisse zeigen deutlich eine starke Tendenz zur Militarisierung der westlichen Außenpolitiken. Man kann, Herr Bundeskanzler, einfach nicht darüber hinweggehen, daß auch vereinbart wurde, daß die NATO künftig weltweit intervenieren kann, out of area und unabhängig von UNO und KSZE, und daß die Vereinbarungen zu Aufgaben, Möglichkeiten und Rolle der WEU bedeuten, daß diese künftig ad hoc einsatzfähig sein kann.
Wir befürchten, daß die Gipfelergebnisse eine neuerliche Polarisierung der Ost-West-Beziehungen zeitigen, aus deutscher Sicht mit nach Osten verschobener Grenze. Sie legitimieren die Rolle der NATO als Weltgeneral mit weltweiten Interventionsbefugnissen, und sie bedeuten einen gravierenden Schritt in Richtung eines neuen, weltweit eigenständig agierenden Militärbündnisses der WEU mit einer Euroarmee, von der vor einem Jahr noch nicht geredet wurde, von der vielmehr gesagt wurde, das sei Zukunftsmusik.
Diese Gipfelergebnisse wurden in einer Zeit erarbeitet, in der wir über zwei weitere Brisanzen zu diskutieren haben, nämlich über die beabsichtigte Erleichterung von Rüstungsexportkontrollvorschriften und - eine Diskussion, die der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU vom Stapel gebrochen hat - über die Frage der Bundeswehreinsätze im Innern. Nur die Gesamtschau auf diese Vorgänge vermag die Dimension des Prozesses deutlich zu machen.
Offiziell drängt sich die NATO einmal mehr der KSZE, der EU und der UNO zur Erledigung militärischer Aufgaben auf. Was sich nämlich tatsächlich hinter dem scheinbar harmlosen Wortlaut des Schlußkommuniqués verbirgt, ist offenkundig dem geheimen NATO-Dokument MC 327 zu entnehmen. Danach werden die Interventionsaufgaben der NATO weiter ausgedehnt. Sie erstrecken sich nicht nur auf den osteuropäischen Raum, sondern gelten weltweit. Nun ist die Rede von der sogenannten Friedensunterstützung, weil man sich gar nicht mehr die Mühe machen will, zwischen friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen zu unterscheiden. Ohne Anbindung an UNO oder KSZE, lediglich in Anlehnung an Regeln - unverbindlicher geht es wohl nicht mehr - sollen solche Einsätze möglich sein.
Die WEU hat mit den Vereinbarungen ihr Schnäppchen gemacht. Herr Klose, ich bitte Sie, mir einmal den Widerspruch aufzuklären - er ist jetzt nicht mehr im Raum; vielleicht kann dies ein Kollege von der SPD, der noch sprechen wird, tun -, wie man auf der einen Seite die Vereinbarungen zum Verhältnis zwischen NATO und WEU, den Zugriff auf NATO-Truppen, auf NATO-Führungsstrukturen, begrüßen und akzeptieren und auf der anderen Seite hier erklären kann, man möchte nicht, daß die WEU als eigenständiges Militärbündnis künftig an weltweiten Interventionen beteiligt ist.
Dieser Prozeß ist nicht erst seit gestern im Gange. Ich erinnere noch einmal an die Petersberger Erklärung. Man kann hier nicht allen Ernstes behaupten, man wolle das, was durch die Vereinbarung schließlich geschaffen worden ist, in Wirklichkeit gar nicht haben. Dann muß man eben den Mut aufbringen und sagen, man akzeptiere diese Regelung nicht und trete dafür ein, daß die Europäische Union keinen eigenständigen militärischen Arm erhält, sondern sich darauf konzentriert - was ohnehin für alle Völker besser wäre -, mit friedlichen Mitteln Konfliktursachen zu beseitigen und das Ausbrechen von Kriegen zu verhindern.
Eines haben die letzten drei Jahre nämlich bewiesen: So unverbindlich Passagen in Dokumenten zu Fragen der Diplomatie, Konsultation und Kooperation klingen, so stringent werden Vereinbarungen zu Aufrüstung, Umrüstung und Umstrukturierung umgesetzt.
Am Ende dieses Prozesses kann ohne weiteres eine neue atomare Bedrohung stehen, mit Sicherheit ein neuer Rüstungswettlauf und möglicherweise ein neuer kalter Krieg. Das genau ist das Risiko dieser Politik. Offensichtlich sind die Nostalgiker des kalten Krieges wieder auf dem Vormarsch, wenn Herr Zierer von der CSU bereits heute wieder fordern kann, in Deutschland müßten Mittelstreckenraketen der USA aufgestellt werden.
Die Formel von der Partnerschaft für den Frieden bedeutet natürlich faktisch den ersten Schritt zu einer selektiven Ostausdehnung der NATO.
Zwar verleihen die beitrittswilligen osteuropäischen Staaten ihrer Enttäuschung nachhaltig Ausdruck. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die NATO ihren Einflußbereich nach Osten hin auszudehnen beginnt. Verteidigungsminister Rühe spricht es offen aus: klare Beitrittsperspektive für einige Staaten, Arbeitsprogramme zwischen der NATO und jenen Staaten, die sich dann in die NATO hineinarbeiten dürfen.
Zum anderen macht der Verteidigungsminister ebenso wie der NATO-Gereralsekretär Wörner die deutsche Interpretation dessen deutlich, was europafähig, was europäisch sein soll. So betonen beide am Beispiel Polens und Ungarns die tiefe europäische Identität dieser Länder, die ich ja gar nicht bestreiten will. Es bleibe einmal dahingestellt, was Verteidigungsminister Rühe damit gemeint haben mag, Prag sei europäischer als manches, was es in Westeuropa gebe. Ich finde das eine ziemlich problematische Ausdrucksweise.
({1})
Allerdings geht es bei dieser Definition tatsächlich darum, ob eine Erweiterung von Militärbündnissen angestrebt werden soll. Die Arbeitsprogramme sichern den westlichen Staaten, allen voran wahrscheinlich der Bundesrepublik Deutschland, satte Rüstungsaufträge. Wenn diese Armeen kompatibel
mit NATO- und WEU-Truppen gemacht werden sollen, dann ist das wahrscheinlich der Hintergrund für die nun begonnene Debatte um eine Lockerung von Rüstungsexportvorschriften.
Das Schlimme und Unverantwortliche an dieser Entwicklung ist doch folgendes: Es macht deutlich, daß bei aller Betonung, man wolle eine Sicherheitspartnerschaft mit Rußland, faktisch eine neue Grenze gezogen wird. Dies verschärft übrigens auch die Entwicklung, die im Jugoslawienkrieg deutlich geworden ist, nämlich auch eine Unterscheidung zwischen katholisch-protestantischen und orthodoxen Ländern in Europa.
Zweitens wird kein Gedanke daran verschwendet, welche Kooperationen man mit allen Staaten des Kontinents, mit allen Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages machen kann, damit Kriege verhindert und Konfliktursachen friedlich beigelegt werden können.
Das, was die NATO an Politik nun macht, ist nicht ein Interessenausgleich zwischen europäischen Staaten, sondern dient einzig und allein den Interessen der NATO und vor allem der sie dominierenden Staaten.
Diese Politik hat nicht zuletzt zu verantworten, wenn der Rechtsextremist Schirinowski und seine Anhänger Wasser auf die Mühlen bekommen. Die Äußerungen aus Rußland - und nicht nur die Schirinowskis, sondern auch des beileibe nicht westfeindlichen Präsidenten Jelzin - lassen keinen Zweifel an der Brisanz der Operation Ostausdehnung.
Ein Frieden ohne oder gegen Rußland ist kurz-, mittel- und langfristig auf diesem Kontinent nicht zu haben, und zwar unabhängig davon, wer in Rußland regiert. Den Frieden mittels Militärpakt herzustellen, ist ein Widerspruch in sich.
Statt Zeit, Geld und intellektuelle Energie in den Auf- und Ausbau eines kollektiven Sicherheitssystems wie der KSZE und der UNO zu investieren, werden diese Ressourcen für die klassischen Militärpakte NATO und WEU vergeudet. Das Hauptdilemma besteht doch darin, daß die westlichen Staaten seit 1989 drastisch das Interesse an der zuvor bejubelten KSZE verloren haben.
Wenn Generalsekretär Wörner im „Spiegel"-Interview die Realität wie folgt deutlich macht - ich zitiere: „Man kann die Allianz auf zwei Wegen ruinieren. Entweder man hindert sie, neue Aufgaben zu übernehmen, neben ihrer wichtigen Aufgabe, das eigene Bündnisgebiet militärisch zu verteidigen. Oder man wandelt sie in ein kollektives Sicherheitssystem nach Art der KSZE um. " -, dann macht das, glaube ich, mehr als deutlich, welches Verhältnis diese Bundesregierung und der Generalsekretär Wörner zur KSZE haben, zu einem System, das allemal 1989 die Perspektive zu einer friedlichen, nichtmilitärischen Kooperation in Ost und West geboten hätte.
Danke.
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Als nächste spricht die Kollegin Vera Wollenberger.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn heute in der Debatte wenig davon zu spüren war, seit den Wahlen in Rußland hat sich die öffentliche Meinung in unserem Land geändert. Der Wahlsieg von Schirinowski hat vielen Menschen hier klargemacht, wie verzweifelt schwierig die Situation in Rußland ist. Schirinowskis markige Sprüche sind vielen durch Mark und Knochen gegangen, und zu Recht.
Für ihn hat jeder vierte Wähler gestimmt, und jede dritte Stimme war die eines Militärs. Es kommt noch dazu, daß jeder siebente Wähler seine Stimme Sjuanow und der Kommunistischen Partei gegeben hat. Diese Zahlen belegen das Ausmaß der Gefahr, in der sich Rußland befindet. Trotzdem wäre es falsch, die Angst vor Schirinowski mit der Angst vor Rußland zu verbinden.
Rußland ist bereit, seine Atomwaffen zu verschrotten, die Armee zu verkleinern und die konventionellen Waffen drastisch zu verringern. Rußland hat bis jetzt ohne Ausnahme alle Inspektionen durch Militärangehörige aus NATO-Ländern akzeptiert. Von der russischen Seite sind bisher keine Verletzungen der entsprechenden Abkommen zu verzeichnen, im Gegenteil: Alle Reduzierungsverpflichtungen werden genauestens eingehalten. Im Dezember 1993 fand ein Datenaustausch zwischen Rußland und Deutschland statt, aus dem hervorgeht, daß Rußland bis jetzt alle Waffen vernichtet hat, die es entsprechend dem KSE-Vertragswerk vernichten mußte.
Niemand wird hier widersprechen, wenn gesagt wird, daß es gerade jetzt notwendig ist, die Entwicklung der Demokratie und den Erfolg der Wirtschaftsreform in Rußland zu unterstützen. Aber an der Frage, wie das geschehen soll, scheiden sich die Geister. Deshalb möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, daß die Bemühungen, Gorbatschow zu unterstützen, ohne seine Gegner zu provozieren, die Putschisten nur ermuntert hat und zu seinem Sturz beitrug.
Ebensowenig angebracht ist es, alle, auch die zweifelhaften Aktionen von Präsident Jelzin routinemäßig zu bejubeln. Die Zerschlagung des konservativen Parlaments hat anschließend zu einem faschistischen Wahlsieg und zu einer demokratischen Legitimierung neostalinistischer Kräfte geführt. Für die Vollmachten, die sich Präsident Jelzin gegeben hat, wird sich Schirinowski bedanken, wenn er an die Macht kommen sollte.
Deshalb freue ich mich besonders, daß in der politischen Debatte der letzten Wochen in unseren Medien so viele Politiker und Publizisten aus Mittelosteuropa zu Wort gekommen sind wie schon lange nicht mehr. In ihren Artikeln zur NATO-Frage ist ein politisches Konzept zu erkennen, daß ich für unterstützenswert und ausbaufähig halte. Deshalb möchte ich die wichtigsten Punkte dieses Konzepts noch einmal nennen.
Erstens. In keinem der osteuropäischen Länder, auch in den Visegrad-Staaten nicht, ist der Erfolg der Reformpolitik gesichert. Überall ist der Preis, den viele Menschen in dieser Umbruchphase zu zahlen haben, hoch, für manche unerträglich hoch. Eine
schnelle Mitgliedschaft in der EG würde die Wirtschaft dieser Länder noch stärker belasten.
Der Ausbau der politischen Zusammenarbeit von KSZE bis NATO-Kooperationsrat ist wichtig. Er betrifft aber nur eine sehr kleine Schicht von Politikern aus diesen Ländern. Den meisten Menschen dort ist die Teilnahme einiger ihrer Politiker an den Sitzungen all dieser Gremien einfach egal.
Die Aufnahme in die NATO dagegen würde ein für alle sichtbares Zeichen der Unterstützung auf dem Weg zur Demokratie, Marktwirtschaft und multinationalen Zusammenarbeit bedeuten. Die Aufnahme würde die Gefahr nationalistischer Sonderwege und gewalttätiger Auseinandersetzungen im Innern sichtbar begrenzen.
Zweitens. In allen Staaten des „realen Sozialismus" waren die „bewaffneten Organe" eine zentrale Stütze der Macht der Nomenklatura. In den Visegrad-Staaten ist es bisher gelungen, eine politische und rechtsstaatliche Kontrolle von Militär und Sicherheitsapparaten zu etablieren. Die Aufnahme dieser Staaten in die NATO würde diese Entwicklung sowohl honorieren als auch unumkehrbar machen.
Drittens. Zwischen den Staaten Mittelosteuropas gibt es vielfache Konflikte, von der Frage der Behandlung der ungarischen Minderheit in der Slowakei bis zur Sorge Ungarns um die ungarische Minderheit in der Vojvodina. Alle Visegrad-Staaten verfolgen eine Politik der Anerkennung der bestehenden Grenzen und der Suche nach friedlicher Konfliktregelung. Trotzdem gibt es die Angst, daß die alten Konflikte wieder aufbrechen. Es gibt die Angst vor dem jugoslawischen Beispiel. Die Aufnahme der VisegradStaaten in die NATO könnte nach Meinung dieser Politiker helfen, die zwischenstaatlichen Konflikte zu zivilisieren.
Viertens. In Mittelosteuropa besteht die Angst, daß zwischen der NATO und Rußland ein politisches Vakuum entsteht, das sowohl russisch-imperiale Kräfte zu Hegemonieansprüchen wie auch westlichrussische Absprachen oder gar deutsch-russische Absprachen über die Köpfe der kleinen Länder hinweg provozieren könnte. Diese Gefahr wäre mit einer Aufnahme in die NATO gebannt.
Wer, wie ich, dieses Konzept für schlüssig hält, muß sich natürlich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen. So wird behauptet, eine Mitgliedschaft der Reformstaaten in der NATO würde die russischen Nationalisten provozieren. Ich denke im Gegenteil, daß die europäische Sicherheit um so mehr garantiert ist, je weiter nach Osten Demokratie, Stabilität und eine potentielle Prosperität durchgesetzt werden können. Es ist ein Gradmesser für die Demokratisierung Rußlands, ob es als selbstverständlich anerkennt, daß z. B. die baltischen Länder ein volles Recht haben, ohne fremde Einmischung über ihr Schicksal zu entscheiden.
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Das Vordringen von Institutionen der demokratischen Welt zur russischen Grenze bedroht, wie Jiří Dienstbier zu Recht feststellte, keineswegs das demokratische Rußland, sondern nur seine kolonialistisch oder autoritär denkenden Feinde.
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All das spräche für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme aller Staaten, die es wünschen, in die NATO. Diese hat aber auf ihrem letzten Gipfeltreffen bewiesen, daß ihr Vermögen zum Beharren im alten Denken größer ist als ihre Fähigkeit, auf die veränderten Verhältnisse zu reagieren.
Das Programm „Partnerschaft für den Frieden" sieht vor allem Konsultationen, gemeinsame Manöver und Soldatenausbildung sowie Standardisierung von Waffensystemen vor, was im Klartext heißt, daß sich die osteuropäischen Streitkräfte mit den in der NATO gebräuchlichen Waffensystemen ausrüsten sollen. Deshalb freut sich auch die Rüstungsindustrie über dieses Programm mehr als die Staaten, denen es als Ersatzbonbon angeboten wird und die es akzeptieren, weil es immerhin besser ist als nichts.
Die bisherige Debatte über eine NATO-Erweiterung ging im Grunde genommen über altes Denken nicht hinaus und mußte daher zwangsläufig zu dem Punkt führen, an dem wir heute angelangt sind: Den mittelosteuropäischen Staaten wird die Mitgliedschaft auf absehbare Zeit verweigert, weil ihre Aufnahme eben keine bloße Erweiterung der NATO wäre. Die Osterweiterung der NATO ist nur als offener Prozeß denkbar, an dem alle KSE-Staaten, die die Standards der Pariser KSE-Erklärung beachten, schrittweise teilnehmen können, einschließlich Rußland. Das würde aber eine Umwandlung der NATO in ein System kollektiver Sicherheit bedeuten. Nur durch ein solches System, nicht durch überalterte und - siehe Bosnien - handlungsunfähige Militärbündnisse kann Frieden in Europa ermöglicht werden. US-amerikanische Truppen hätten auch in Zukunft als praktische und symbolische Versicherung der europäischen Nachbarn gegen deutsche oder russische Dominanzversuche in Europa ihre Bedeutung.
Wenn sich Westeuropa und die USA entschließen könnten, ein altes Instrument der Militärpolitik aufzugeben, würden sie dadurch friedens- und sicherheitspolitische Vorteile gewinnen. Die Umwandlung der NATO in ein System kollektiver Sicherheit wäre ein entscheidender Schritt hin zur Zivilisierung der europäischen Sicherheitspolitik. Diese Verabschiedung von der Dominanz militärischer Strukturen wäre ein endgültiger, überfälliger Abschied von der Vergangenheit mit ihren scheinbaren Sicherheiten.
Sicherheit für Europa bedeutet heute Sicherung einer dauerhaften wirtschaftlichen Entwicklung in Ost und West und Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts in den Ökowüsten, die der Kalte Krieg hinterlassen hat. Sicherheit bedeutet Bannung von Gefahren, die von industriellen Großanlagen, von der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, von ethnischen und nationalen Konflikten ausgehen.
Zur Lösung keines einzigen dieser Probleme hat die NATO bisher beigetragen. Sie existiert wegen ihres Beharrungsvermögens fort und wird von phantasielosen Politikern für die Lösung von sicherheitspolitiVera Wollenberger
schen Aufgaben für zuständig erklärt, steht aber in ihrer jetzigen Form der Lösung der wirklichen Aufgaben derzeit nur im Wege.
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Als nächster spricht der Außenminister Dr. Klaus Kinkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Brüsseler Gipfel hat bestätigt: Die NATO bleibt der Eckstein für die künftige Sicherheitsarchitektur des ganzen, ungeteilten Europa. Die Allianz hat ihre traditionelle Funktion, Sicherung der territorialen Integrität aller Mitglieder, erneut bestätigt. Sinn, Zweck und Aufgabe der NATO erweisen sich nach wie vor als unentbehrlich und unersetzlich.
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Die Allianz hat zugleich klare Ziele für die Zukunft vorgegeben. Damit setzt das Bündnis seinen Wandlungsprozeß fort und stärkt seine Funktionsfähigkeit. Wer hätte gedacht, daß der NATO nach ihrer ursprünglichen Aufgabenstellung als kollektives Verteidigungssystem gegen den Osten nach dem Wegfall der bipolaren Welt nun eine solche Rolle zufallen werde? Statt Konfliktszenarien werden heute Kooperationsstrategien ausgearbeitet, und das ist gut so.
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Damit vollzieht die NATO den Übergang in eine neue Epoche, in der Sicherheit erweitert gedacht werden muß: geographisch erweitert, wie dies der Gipfel grundsätzlich beschlossen hat, funktional erweitert durch Früherkennung und Konfliktprävention, konzeptionell erweitert durch wirtschaftliche, ökologische, gesellschaftspolitische und kulturelle Komponenten, weil sich eben Sicherheit immer weniger allein mit militärischen Mitteln gewährleisten läßt.
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Der NATO-Gipfel hat das evolutionäre Konzept einer allmählichen, organischen Erweiterung des Bündnisses beschlossen. Ich habe dieses Konzept einer vielschichtigen, differenzierten Vernetzung mit dem Osten von Anfang an vorgeschlagen und unterstützt. Die früheren Länder des Warschauer Paktes drängen ja mit Macht in unser Bündnis. Was kann sich eigentlich mehr als Veränderung in dieser Welt zeigen und erweisen, als daß diejenigen, die bis vor kurzem sozusagen unsere Todfeinde waren, jetzt wegen ihres Sicherheitsbedürfnisses in unser westliches Bündnis hinein wollen, in die NATO?
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Der Gipfel hat den Weg in die Richtung der Mitgliedschaft für diese Länder eröffnet. Er muß jetzt mit Geduld, aber entschlossen und zielstrebig beschritten werden. Das Bündnis setzt so den 1991 begonnenen Kurs konsequent fort.
Auf deutsch-amerikanische Initiative hin haben wir damals mit der Gründung des Nordatlantischen Kooperationsrates die Tür zur Kooperation mit den östlichen Nachbarn aufgestoßen. Die Partnerschaft für Frieden ergänzt den Nordatlantischen Kooperationsrat und erweitert das Feld konkreter Zusammenarbeit. Ohne zu diskriminieren, eröffnet sie weite Möglichkeiten differenzierter, vernetzter Beziehungen.
Die Bundesregierung hat die Sorgen und Erwartungen unserer östlichen Nachbarn und Partner immer sehr ernst genommen. Ihre Warnungen vor einer Grauzone und ihre Sorge vor Isolierung verstehen wir. Aber die Antwort kann und darf nicht darin liegen, Europa erneut zwischen schwarz und weiß aufzuteilen.
Deutschland versteht sich - und ich bleibe bei diesem Bild - als Anwalt der Interessen unserer östlichen Nachbarn. Wir sagen das nicht nur, Herr Klose, sondern wir handeln dementsprechend,
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und zwar auf allen Gebieten. Die Umbruchländer in Mittel- und Osteuropa wissen, daß sie sich in ganz besonderer Weise auf uns verlassen können. Sie wenden sich auch ganz dezidiert an uns. Aber eben auch Rußland und die Ukraine und die anderen Länder kommen zu uns und sagen: Ihr werdet doch besonders dafür sorgen, daß wir nicht ausgegrenzt, weggedrückt werden. Es gilt eine balancierte Lösung zu finden, und das ist, finde ich, auf dem NATO-Gipfel in Brüssel gelungen.
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Herr Minister Kinkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seifert?
Wenn mir das nicht angerechnet wird, gern.
Nein.
Herr Außenminister, können Sie mir die Frage beantworten, warum Sie so sehr viel Kraft dafür investieren, Ihre Strategien für Zusammenarbeit über ein Militärbündnis zu realisieren und nicht über die KSZE, die es ja bereits gibt und die als ein ausgesprochen kooperatives Gremium angelegt war?
Wer sagt denn, Herr Kollege, daß wir das nicht auch über die KSZE versuchen?
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Diese neue europäische Sicherheitsarchitektur, die es zu bauen gilt, ist natürlich in ihrer Vernetzung mit der UNO und der KSZE, dem NATO-Kooperationsrat, der WEU und der Europäischen Union im politischen und wirtschaftlichen Feld verbunden. Genau das versuchen wir. Die KSZE spielt bei dieser Vernetzungsarchitektur, die wir finden wollen, finden müssen - ich komme nachher darauf zurück -, eine ganz entscheidende Rolle. Die KSZE wird also nicht vernachlässigt.
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17428 .
Andererseits ist es so, daß kein dritter Staat je ein Vetorecht hinsichtlich der Mitgliedschaft im Bündnis beanspruchen konnte, beanspruchen durfte. So muß es auch bleiben. Wir dürfen allerdings keine neuen Antagonismen, keine neuen Brüche und Gräben schaffen.
Zugleich gilt aber: In einem stabilen demokratischen, wirtschaftlich leistungsfähigen und kooperativen Rußland liegt letztlich die beste Sicherheitsgarantie für das übrige Europa. Rußland hat nicht zuletzt dank unserer massiven politischen und wirtschaftlichen Unterstützung entscheidende Schritte in Richtung auf dieses Ziel unternommen. Es ist auf dem historisch einmaligen Weg von der Plan- in die Marktwirtschaft, vom Kommunismus in die Demokratie. Es wäre naiv, wirklich naiv, dabei nicht mit Rück- und Fehlschlägen zu rechnen, mit Irrwegen extremistischer, nationalistischer Politik, aber eben auch mit wirtschaftspolitischen Fehlentwicklungen.
Trotzdem: Von Herrn Schirinowski lassen wir uns keine neuen Feindbilder einreden,
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und zwar ganz einfach deshalb, weil wir Partnerschaft wollen und keine Gegnerschaft.
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Ich bleibe auch sehr zuversichtlich, daß die Mehrheit der Bevölkerung Rußlands genauso denkt. Solange Rußland ja zu Europa sagt, dürfen wir nicht nein zu Rußland sagen.
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Jedenfalls war es richtig - ich bleibe bei dieser Meinung -, Herrn Schirinowski die Einreise nach Deutschland für die geplante Politschau von 18 Tagen, für eine Propagandatour, bei der man sich ausrechnen konnte, in welche Richtung sie geht, zu versagen.
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Meine Damen und Herren, genauso wichtig ist, daß Länder wie die Ukraine, die baltischen Republiken, die Länder Südosteuropas nicht den Eindruck erhalten, die Tür zu einer Erweiterung westlicher Stabilitätsstrukturen öffne sich nur einmal und nur für einige, nur um danach um so fester wieder zuzuschlagen. Nein, unser Leitbild ist ein einheitliches Europa, in dem keine neuen Gräben gezogen werden.
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Es ist ein bißchen der Eindruck entstanden, als ob auf dem Gipfel allein die NATO-Erweiterung, die Beziehungen nach Osten das einzige Thema gewesen wären. Das war nicht so. Welche großen Aufgaben deutscher Sicherheitspolitik in Europa - sie waren auch Gegenstand des NATO-Gipfels in Brüssel - liegen vor uns?
Erstens. Der NATO-Gipfel hat ein eindrucksvolles Bekenntnis zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität abgelegt.
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Der amerikanische Präsident unterstützt das Bemühen um mehr europäische Selbständigkeit in der Wahrnehmung unserer europäischen Sicherheitsinteressen. Die Aktionsmöglichkeiten der WEU sind beträchtlich erweitert worden; ihr sind Teile der NATO-Ressourcen zur Verfügung gestellt worden.
Der europäische Pfeiler wird so gestärkt. Er muß aber gut verstrebt bleiben mit dem atlantischen Pfeiler. Wenn die Europäische Union zunehmend Kompetenzen in politischen und sicherheitsrelevanten Fragen erhält, müssen vertiefte transatlantische Konsultations- und Abstimmungsmechanismen entwickelt werden, und der Atlantik darf nicht breiter werden.
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Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ein starkes Bekenntnis zu einem dauerhaften Engagement in Europa abgelegt. Wir begrüßen insbesondere die klare Aussage des amerikanischen Präsidenten, künftig 100 000 Soldaten in Europa zu belassen. Dies ist für uns und unsere europäischen Verbündeten von eminenter Wichtigkeit.
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Zweitens - nun komme ich auf das, was Herr Klose heute morgen angemahnt hat. Marktöffnung, Intensivierung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen
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sowie des Kulturaustauschs sind ebenfalls Elemente der Sicherheit. Die jetzt eröffnete Erweiterungsperspektive der NATO muß im Zusammenhang mit diesen anderen Vernetzungs- und Erweiterungsperspektiven der Europäischen Union gesehen werden. Beide Perspektiven sind miteinander und untereinander verflochten. Ein Europa, das seine Sicherheit allein der NATO überließe, bliebe unvollkommen. Ebenso ist aber eine Europäische Union ohne gleiche Sicherheit für alle Mitglieder nicht vorstellbar.
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Drittens. Zusammen mit meinem französischen Kollegen Juppé habe ich vorgeschlagen, die Länder mit einer Beitrittsperspektive zur Europäischen Union schon jetzt näher an die WEU heranzuführen und ihnen damit eine zusätzliche sicherheitspolitische Verankerung und Vernetzung zu bieten. Ich werde mich dafür einsetzen - ich habe das bisher schon mit Nachdruck getan -, daß die WEU diesen Vorschlag jetzt konkret umsetzt.
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Viertens. Die KSZE hat sich schon lange den Begriff erweiterter Sicherheit zu eigen gemacht. Sie verknüpft militärische Aspekte der Sicherheit mit Fragen
der Menschenrechte, demokratischer Machtkontrolle und wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
Es ist das bleibende Verdienst der KSZE, daß sich der gewaltige politische und militärische Umbruch in Europa vollziehen konnte, ohne daß eine ernsthafte Gefahr militärischer Zusammenstöße zwischen den ehemaligen Blöcken entstanden ist. An dieser Kultur des Gewaltverzichts, der Verständigung und der Kompromißbereitschaft wollen gerade wir Deutschen festhalten.
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Das gilt gerade auch im Hinblick auf die Lage im früheren Jugoslawien. Die Lage im früheren Jugoslawien hat auf dem Gipfel natürlich eine wesentliche Rolle gespielt und in mancher Beziehung die Beratungen auch ein wenig überschattet. Unsere Kraft, zu helfen und zu vermitteln, ist nicht unerschöpflich. Die Bereitschaft, sich weiter zu engagieren, nimmt erkennbar auch bei den Ländern ab, die Truppen stellen - übrigens mit allen unwägbaren Konsequenzen auch für die Sicherstellung der humanitären Hilfslieferungen, die dann nicht mehr zu den bedrängten Menschen gebracht werden könnten, wenn es tatsächlich zu einem Rückzug der Soldaten vor Ort kommen sollte.
Das Signal des Gipfels, mit der Bereitschaft zu eventuellen Luftwaffeneinsätzen bekräftigt, ist auch Ausdruck wachsender Ungeduld und Enttäuschung. Dennoch bleibt der europäische Aktionsplan, dessen Grundlage die deutsch-französische Initiative war und bleibt, dringend notwendig.
Das Signal des Gipfels - ich muß es noch einmal sagen - war auch, daß jedenfalls ein gewisser Wendepunkt in der Situation im früheren Jugoslawien gekommen ist. Es mag schwerfallen, in dieser Frage weiter Zuversicht zu zeigen, aber der Friede ist ein zu hohes Gut, als daß wir resignieren dürften.
Allerdings - und das habe ich insbesondere den beiden Herren Izetbegović und Tudjman bei den Gesprächen auf dem Petersberg deutlich und klar gesagt - wird Frieden nur möglich sein, wenn ihn die Konfliktparteien wollen und auch mit darauf hinwirken, daß er kommt.
({14})
Unser Dank gilt all denen, die bis zum Einsatz ihres Lebens dabei mithelfen, die schrecklichen Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder mindestens den Versuch zu machen, sie zu mildern.
Fünftens. Das Angebot einer Friedenspartnerschaft richtet sich über den Mitgliederkreis des Nordatlantischen Kooperationsrates auch an weitere KSZE-Mitglieder. Ich habe schon früh dafür plädiert, daß sich der Nordatlantische Kooperationsrat grundsätzlich für alle KSZE-Mitglieder öffnet. Dadurch würde der KSZE-Prozeß an Substanz und auch an Wirksamkeit gewinnen. Der Nordatlantische Kooperationsrat und damit auch die NATO erhalten neue Optionen zur präventiven Konfliktverhütung und zum Krisenmanagement wie auch zu Friedensmissionen. Das Gipfeltreffen der KSZE in Budapest in diesem Jahr muß die
Handlungsfähigkeit der KSZE und ihre Vernetzung mit den Vereinten Nationen und der NATO weiter ausbauen.
({15})
Sechstens. Die NATO erklärt sich bereit zur Unterstützung friedenserhaltender Maßnahmen und anderer Missionen von KSZE und UN. Damit bekräftigt das Bündnis die einzigartige Verantwortung der Vereinten Nationen für die internationale Friedensordnung. Das bedeutet für uns: Auch wir müssen bereit sein, uns an diesen Bündnisaufgaben zu beteiligen. Wenn wir uns hier nicht selbst isolieren wollen, brauchen wir dringend eine Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen.
({16})
Ich wiederhole meinen Appell an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Stellen Sie sich Ihrer Mitverantwortung! Geben Sie die Blockade der Grundgesetzänderung auf!
({17}) Sonst nimmt unser Land Schaden.
Der Bundeskanzler und ich waren während dieser Gipfelveranstaltung in Brüssel mehrfach - das füge ich an diesen Appell an - in einer sehr, sehr schwierigen Situation, in einer Situation, die manchmal unwürdig war für das jetzt größte Land im Herzen Europas mit einer zusätzlichen Verantwortung. Ich kann nur noch einmal sagen: Wir werden diese Situation im Interesse dieses Landes nicht mehr lange so durchhalten. Geben Sie Ihre Blockade auf!
({18})
Siebtens. Mit großem Nachdruck haben die Regierungschefs in Brüssel die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu einer Gefahr für die internationale Sicherheit erklärt. Die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hatten bereits auf ihrem Gipfeltreffen vor zwei Jahren klargestellt, daß Kontrolle und Eindämmung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen ein legitimes Anliegen, ein ganz, ganz wichtiges Anliegen der Völkergemeinschaft ist. Deutschland hat als einziges Land freiwillig und permanent auf Massenvernichtungswaffen verzichtet. Ich hatte meine Vorschläge zur Stärkung der Politik der Nichtverbreitung bereits Mitte Dezember in einem Zehn-Punkte-Plan formuliert. Wir werden diese Initiative energisch weiterverfolgen. Unser Ziel ist, durch rechtzeitige aktive Kooperation mit den fraglichen Ländern die Entstehung neuer Kernwaffenstaaten in der Welt zu verhindern.
({19})
Achtens. Meine Damen und Herren, für morgen ist der Abschluß eines Abkommens angekündigt, das die Beseitigung der in der Ukraine befindlichen ehemals sowjetischen Kernwaffen regeln soll. An diesem Durchbruch war die Bundesregierung durch einen intensiven Dialog mit Kiew über Sicherheits- und Abrüstungsfragen entscheidend beteiligt. Wir hoffen, daß diese Regelung hinreichend die innenpolitische Unterstützung in der Ukraine findet, denn dann wäre der Weg frei für einen Beitritt der Ukraine zum
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Nichtverbreitungsvertrag als Nichtkernwaffenstaat. Die Chancen für eine unbegrenzte und bedingungslose Verlängerung dieses Vertrages würden damit steigen. Dann könnte endlich eine intensive umfassende Zusammenarbeit mit diesem ungeheuer wichtigen Land - vor allem auch für die Sicherheitsarchitektur Europas wichtigen Land - begonnen werden.
Das Kooperationsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine muß ebenfalls abgeschlossen werden. Das schwierige Verhältnis zwischen der Ukraine und Rußland sollte durch einen Vertrag über gute Nachbarschaft und Gewaltverzicht entspannt werden. Wir sind nach Kräften bereit, auch dabei zu helfen. Gerade was die Ukraine anlangt, hat sich die Europäische Gemeinschaft viel vorgenommen, Gott sei Dank viel vorgenommen, denn wir müssen sehen, daß in der Ukraine natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit beachtet, beobachtet wird, wie wir uns gegenüber den mittel- und osteuropäischen Staaten, vor allem aber auch gegenüber Rußland, verhalten.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis des NATO- Gipfels fügt sich nahtlos ein in das Konzept erweiterter Sicherheit für ganz Europa. Dieses Konzept entspringt unserem Interesse an Frieden und Stabilität in ganz Europa. Wir werden es zielstrebig weiterverfolgen. Transparenz, Konfliktverhütung und Vertrauensbildung stehen im Mittelpunkt. Die letzten 45 Jahre haben durch die Europäische Gemeinschaft im westlichen Europa ein beispielloses Stabilitätsnetz hervorgebracht. Jetzt kommt es darauf an, sozusagen in der zweiten Halbzeit des europäischen Einigungsprozesses das Stabilitätsnetz endgültig zu verknüpfen. Am Ziel werden wir sein, wenn alte Gegensätze im Osten unseres Kontinents durch die integrative Kraft der europäischen Einigung genauso überwunden sein werden, wie dies im Westen bereits der Fall ist. Am Ziel werden wir sein, wenn die an dieses Europa angrenzenden anderen Staaten - dazu gehört auch der Partner Rußland - das zusammenwachsende Europa nicht als Bedrohung, sondern als Gewinn für die eigene Sicherheit und den eigenen Wohlstand betrachten. Der Weg bis dahin ist weit, aber wir wollen ja Außenpolitik über den Tag hinaus machen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch etwas sagen, was mir bei diesem NATO- Gipfel aufgefallen ist und was, wie ich glaube, für uns ganz wichtig ist. Unsere Bundeswehr genießt im Rahmen der NATO, bei der NATO ein ungeheures Ansehen. Ich finde, darauf sollten wir stolz sein.
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Sie ist und bleibt Garant unserer Sicherheit und ein wirkungsvolles Werkzeug unserer Friedenspolitik. Auf ihr beruht unsere Bündnisfähigkeit. Ich sage: Sie braucht Planungssicherheit, nicht nur beim Finanzrahmen, sondern noch mehr bei einer eindeutigen Aufgabendefinition.
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Es kann und darf nicht richtig sein, daß wir sagen: Wir haben soundso viel Geld, dafür können wir uns soundso viel Bundeswehr leisten. Es muß umgekehrt sein. Wir müssen sagen: Wir brauchen die Bundeswehr für die und die Aufgaben, und dafür muß dann das notwendige Geld zu Verfügung stehen.
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Wir müssen die Bundeswehr, die ein ganz wichtiger Teil unserer Gesellschaft ist, aus parteipolitischen Profilierungsversuchen heraushalten. Daran liegt mir viel.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, ich werde jetzt dem Bundesminister der Verteidigung das Wort erteilen. Zuvor muß ich aber folgendes sagen: Ich habe neulich eine Bemerkung dazu gemacht, daß das Haus zunächst nicht zu Wort kam, weil sich der Bundesrat zweimal zu Wort gemeldet hat. Heute ist nicht die gleiche Situation, weil dies bereits die zweite Runde ist. Gleichwohl kommt das Prinzip von Rede und Gegenrede durch das Bestehen seitens der Bundesregierung darauf, das Wort zu nehmen, etwas ins Wanken. Das ist keine Katastrophe, wie auch das andere letztens keine Katastrophe gewesen wäre, wenn nicht die Reaktion darauf so falsch gewesen wäre. Ich wäre jedoch dankbar, wenn wir es künftig vermeiden könnten, daß zwei Minister nacheinander sprechen.
Herr Bundesminister Volker Rühe, Sie haben das Wort.
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Herr Präsident, ich habe das nicht vereinbart.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der NATO-Gipfel war ein Erfolg. Es ist gut, daß das vom ganzen Deutschen Bundestag einschließlich der Opposition anerkannt worden ist.
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Als Verteidigungsminister darf ich sagen, daß ich mich über die Debatte und auch darüber sehr gefreut habe, daß alle Redner, Kollegen aus der Regierung, Kollegen aus den Regierungsfraktionen und Hans-Ulrich Klose als Fraktionsvorsitzender der SPD, die Bedeutung der Bundeswehr gewürdigt haben. Erfreuliche, starke und gute Worte über die Bundeswehr - das macht mir Mut. Ich fordere gar nicht, daß wir auch starke Finanzen bekommen, aber wir brauchen hinreichende Finanzen für die Durchführung dessen, was hier allgemeine Unterstützung bekommen hat.
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Daran müssen wir noch ein Stück arbeiten.
Ich finde das wirklich gut; das tut auch der Bundeswehr gut. Es entspricht im übrigen der internationalen sicherheitspolitischen Lage. Es ist richtig, was hier gesagt worden ist. Wir alle müssen miteinander die Kraft finden, das auch umzusetzen. Denn von Worten kann ich keinen einzigen Soldaten finanzieren und keine einzige Einheit der Bundeswehr ausbilden.
Der Gipfel war deswegen ein Erfolg, weil er auf die drei entscheidenden Aufgaben, die vor uns liegen, eine Antwort gegeben hat:
Erstens. Die NATO macht keine Abstriche an der Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung. Das ist auch zwingend notwendig, denn die sicherheitspolitische Lage in Europa ist weit davon entfernt, stabil zu sein.
Neben der Bündnisverteidigung begreift die NATO aber auch die Fähigkeit zur Teilnahme an der internationalen Krisenbewältigung als neue Kernaufgabe, die sie jetzt entschlossen weiterentwickelt. Es ist gut und richtig, daß das Bündnis entschieden hat, seine Streitkräfte und seine Kommandostrukturen so anzupassen, daß es seine neuen Aufgaben erfüllen kann.
Lieber Hans-Ulrich Klose, Deutschland muß sich an den alten und an den neuen Aufgaben der NATO voll beteiligen, wenn es nicht die Handlungsfähigkeit der NATO in Frage stellen will. Das ist ganz entscheidend für die Diskussion hier in Deutschland.
Zweitens. Die NATO-Reform und die Integration Europas werden miteinander in Einklang gebracht. Die USA haben ihren Frieden mit der gleichberechtigten Partnerschaft eines geeinten Europa im Bündnis gemacht. Europa muß dazu strategisch handlungsfähig werden. Das entlastet Amerika und schafft die Voraussetzung für ein beständiges amerikanisches Commitment in und für Europa, wie es der amerikanische Präsident Clinton eindrucksvoll bekräftigt hat. Das ist besonders bemerkenswert, wenn man sich an die vergangene Aufregung um das Euro-Korps erinnert. Da hat es ja auch in Deutschland aufgeregte Debatten gegeben.
Heute besteht große Harmonie im Bündnis über die Bedeutung der NATO und der Westeuropäischen Union. Die WEU wird als der europäische Pfeiler der Allianz gestärkt. In Zukunft kann sie auf Strukturen und Kräfte der NATO zurückgreifen.
Dabei bleibt die Allianz das entscheidende Konsultationsforum für die Sicherheitsfragen in Europa. In der NATO wird letztlich entschieden, ob die Allianz oder die WEU handelt. Das ist der politische Preis dafür, daß die WEU auf Kapazitäten der NATO zurückgreifen kann, daß Europa sicherheits- und verteidigungspolitisch handlungsfähig wird und daß wir Doppelstrukturen vermeiden.
Bei aller Freude über die Unterstützung der Sozialdemokraten für die Politik der Osterweiterung muß ich sagen, daß in Fragen der WEU, der Herstellung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität, Herr Klose, die Haltung der SPD weiter widersprüchlich ist. Dort gibt es Aussagen: Die WEU, das sei eine Militarisierung Europas. Es kann ja
überhaupt keine Frage sein, daß die WEU immer auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen handeln wird. Aber Tatsache ist: Nur wenn sich Deutschland voll an diesen Aufgaben beteiligt, wird Europa militärisch handlungsfähig sein, und das ist auch eine Anfrage an die Verantwortung der Sozialdemokraten. Die Verantwortung dafür daß Deutschland durch eine Fortschreibung der bisherigen Haltung die WEU und damit Europa nicht handlungsfähig machen würde, kann niemand übernehmen.
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Drittens. Die NATO hat die Stabilisierung des östlichen Europa zu einer gemeinsamen Aufgabe ersten Ranges erklärt. Dazu brauchen wir ein schlüssiges Gesamtkonzept von Integration und vertiefter Kooperation. Ich denke, wir werden damit den berechtigten Erwartungen unserer Nachbarn gerecht.
Zugleich müssen wir zur Ukraine, vor allem aber zu Rußland, eine Partnerschaft entwickeln, die besondere Qualität hat. Partnerschaft für den Frieden ist ein wichtiger und nützlicher Schritt auf dem Weg, neue Partner an die westlichen Sicherheitsinstitutionen heranzuführen. Sie ist kein Ersatz für die Öffnung der Allianz. Das, was in Brüssel gesagt wurde, ist erst in monatelangem Bemühen durchgesetzt worden; denn von Anfang an war das nicht so geplant, sondern schon eher als ein Ersatz für die Mitgliedschaft.
Ich denke, wir können froh darüber sein, daß das jetzt die Politik der Allianz ist, so wie es der Bundeskanzler auch in seiner Erklärung vor dem NATO-Rat formuliert hat. Wir bieten allen diesen Ländern eine Partnerschaft für den Frieden und gleichzeitig die Eröffnung einer Beitrittsperspektive zur NATO an. Auf dieser Grundlage kann jetzt gehandelt werden.
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Ich bin seit Monaten für diesen Ansatz eingetreten, und ich freue mich, daß wir zu diesem Ergebnis gekommen sind. Die deutsche Politik insgesamt hat, glaube ich, einen sehr guten Beitrag dazu geleistet - auch das, was aus den Fraktionen, aus fast allen Fraktionen dieses Hauses, gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, daß nur so das Bündnis lebensfähig bleibt und daß wir nur so der Aufgabe gerecht werden, Stabilität in Europa und für Europa herzustellen.
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Partnerschaft für den Frieden ist keine Leerformel, - das anzunehmen wäre ein großer Irrtum -, sondern ein praktisches Sofortprogramm. Niemand wird diskriminiert. Alle können sich beteiligen. Aber natürlich werden wir differenzieren. Wir werden noch in diesem Jahr mit einer ganz konkreten Zusammenarbeit, mit ganz konkreten Maßnahmen beginnen. Dazu gehören gemeinsame Ausbildung und Übungen, die gemeinsame Planung für Friedensmissionen und die konkrete Unterstützung, dabei militärische Strukturen zu schaffen, die eine Mitgliedschaft in der NATO erst möglich machen.
Ich denke, wir tun schon bisher eine ganze Menge. Wir haben mit allen unseren östlichen Nachbarn militärische Kooperationsabkommen geschlossen, die wir mit Leben erfüllt haben und weiter erfüllen müssen mit dem Ziel, die östlichen Nachbarn an die westlichen Sicherheitsinstitutionen heranzuführen.
Die Öffnung der Allianz für unsere unmittelbaren Nachbarn im Osten liegt in unserem vitalen Interesse. Ich habe immer die Auffassung vertreten: Man braucht wirklich kein strategisches Genie zu sein, um das zu begreifen. Ich habe mich manchmal gewundert, wie wenig wir von einer klaren Analyse der deutschen Interessen ausgegangen sind. Eine Grenze von Stabilität und Sicherheit - instabil östlich unserer Grenzen, stabil hier; Prosperität diesseits der Grenze, Armut jenseits -, das kann auf die Dauer nicht gutgehen.
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Deshalb dürfen die deutschen Ostgrenzen nicht auf Dauer die Außengrenzen der NATO und der Europäischen Union bleiben.
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Entweder exportieren wir Stabilität, oder wir werden Instabilität importieren. Ich finde, keiner hat das früher und besser formuliert als der Kollege Hans-Dietrich Genscher, der gesagt hat: Uns wird es auf Dauer nicht gutgehen, wenn es unseren östlichen Nachbarn auf Dauer schlechtgeht.
({7})
Deswegen ist jedenfalls das deutsche Interesse glasklar. Da wir das nicht alleine schaffen können, müssen wir so etwas wie einen europäischen Solidarpakt schaffen. Das heißt, die Finanzströme, die bisher von Norden nach Süden gegangen sind, müssen jetzt stärker von Westen nach Osten gehen.
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Hier gibt es manchen Egoismus auch bei den südlichen Demokratien, denen wir bei der Stabilisierung ihrer Demokratien sofort geholfen haben.
({9})
Auch der Süden Europas ist der Westen, und im Verhältnis zum Osten geht es ihm gut. Deswegen muß die deutsche Politik dies vorantreiben.
({10})
Es gibt keinerlei Provokation. Ich darf ein Wort von Willy Brandt aufgreifen und verwandeln, der im Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung gesagt hat: Hier wächst zusammen, was zusammengehört. Ich war in Prag und habe eine Rede an der KarlsUniversität gehalten. Da bin ich auf Lateinisch begrüßt worden. Ich kenne keine deutsche Universität, wo mir das passieren würde. Deswegen würde ich
sagen: Manches in Prag ist viel europäischer als manches in Deutschland und in Westeuropa.
({11})
Das ist doch keinerlei Provokation gegenüber irgend jemandem. Vielmehr hat es eine künstliche Teilung Europas gegeben. Wenn sich die NATO öffnet, wenn sich die Europäische Union öffnet, dann wächst das Europa wieder zusammen, das einmal zusammengehört hat, und zwar über Jahrhunderte. Das ist keinerlei Provokation!
({12})
Ich würde mir von manchem wünschen, daß er manche Diskussionsbeiträge etwas weniger defensiv aufgenommen hätte, mit denen versucht wurde, uns ein schlechtes Gewissen einzureden. Im übrigen wird der Stabilitätsbereich in Europa ausgeweitet. Es gibt keinerlei Provokation gegenüber irgend jemandem.
Es ist klar, daß künftige Mitglieder der Europäischen Union nicht weniger sicher sein können als die heutigen, die, wie wir z. B., bereits zur NATO gehören. Insofern ist klar, daß sich hier vitale deutsche Interessen mit den Erwartungen und legitimen Sicherheitsinteressen unserer Nachbarn, der Polen, der Ungarn, der Tschechen, der Slowaken und anderer, treffen, die nicht weniger wollen, als wieder zur Familie der europäischen Demokratien zu gehören.
Wenn mich in der Debatte, die hier über ein Jahr gegangen ist, etwas gestört hat, dann sind es die Diskussionsbeiträge gewesen, mit denen uns gelegentlich mit der Kälte von Punktrichtern beim Eiskunstlauf gesagt wurde: Laßt uns doch diese neuen Demokratien einmal ein paar Jahre beobachten, ob sie sich denn wirklich für die Mitgliedschaft qualifizieren, ob die Demokratie wirklich stabil ist; die einen oder anderen Wahlen sind ja nicht so gut gelaufen - ich weiß nicht, ob sie bei uns immer gut laufen -, und wir wissen auch noch nicht, wie die wirtschaftliche Entwicklung in Polen ist. - Ich muß Ihnen sagen, das ist eine unglaubliche Einstellung. Wir sollten an unsere eigene deutsche Nachkriegsgeschichte denken. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Stabilisierung der Demokratie, die Stabilisierung unserer Wirtschaft im Nachkriegsdeutschland höchstens zur Hälfte unsere eigene Leistung ist. Das andere beruht auf der frühen Mitgliedschaft in den westlichen Bündnissen Europäische Union und NATO. Das sollten die Deutschen nie vergessen.
({13})
- Auch der Marshall-Plan. Er gehört natürlich dazu. - Deswegen muß sich Deutschland dafür einsetzen, und deswegen müssen aber auch andere diesen Beitrag leisten. Ich nenne noch einmal das Stichwort europäischer Solidarpakt.
Ich wiederhole: Diejenigen, die sich mit der Kälte von Punktrichtern hinstellen und beobachten, wie gut sich gerade die Demokratie in Polen oder Ungarn entwickelt und wie konsequent man dort MarktwirtBundesminister Volker Rühe
schaft - dann möglichst auch noch ohne Adjektiv - betreibt, und dann sagen, wir wollen einmal sehen, ob sie sich für das Bündnis und die Europäische Union qualifizieren, machen einen historischen Fehler. Den dürfen wir nicht machen!
({14})
Auch in der deutschen Bevölkerung gibt es eine hohe Zustimmung zu dieser Politik. Die Deutschen spüren und wissen, daß wir keinesfalls eine Politik betreiben dürfen, die zwischen Warschau und Moskau zu wählen hätte. Auch hier haben mich manche Diskussionsbeiträge, die es gelegentlich gegeben hat, gestört. Wir hätten einen riesigen Fehler gemacht, wenn wir uns eine solche Alternative hätten aufzwingen lassen. Dafür gibt es überhaupt keine Notwendigkeit; dies würde keinem gerecht, weder der Notwendigkeit enger freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland noch unserem Willen, zu unseren Nachbarn im Osten ein genauso enges Verhältnis zu entwickeln wie zu unseren Nachbarn im Westen. Stabilität in Europa - das wissen wir alle, und das ist auch in der Debatte deutlich geworden - geht nur mit und nicht gegen Rußland. Aber der Raum zwischen Deutschland und Rußland darf dabei nicht vergessen werden.
Ich denke, die Schlüsselelemente Integration und Kooperation sind jetzt in die richtige Balance gebracht worden. Das ist ein Prozeß, der mit dem NATO-Gipfel urumkehrbar in Gang gesetzt worden ist. Die NATO hat damit für die Stabilität ganz Europas eine führende Rolle übernommen.
Deutschland muß in der Lage sein - wie ich es eben gesagt habe -, sich an allen, an alten und neuen Aufgaben der NATO angemessen zu beteiligen. Unsere Partner in Ost und West haben große Erwartungen an eine verantwortliche deutsche Politik, die umsichtig und entschlossen zugleich agiert.
Die sicherheitspolitische Lage - ich denke, das war hier über die Grenzen zwischen Regierung und Opposition hinweg einvernehmlich - an der Schwelle des neuen Jahres ist unübersichtlich. Es war notwendig und richtig, daß die NATO ihre Bereitschaft bekräftigt hat, die humanitäre Hilfe für Sarajevo und die anderen bedrohten Gebiete durchsetzen zu helfen, wenn nötig mit militärischer Gewalt. Bosnien zeigt: Wir haben noch lange nicht die Stabilität erreicht, die das neue Europa für seinen Aufbruch braucht.
Manche haben erst durch Herrn Schirinowski begriffen, daß die politische Revolution in Europa noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Sie hatte ihren Höhepunkt im Jahre 1989, aber sie ist noch nicht zum Abschluß gekommen. Wenn man sie mit einem Vulkanausbruch vergleicht, dann gibt es überhaupt keine Frage: Die Lava ist weder erkaltet noch ist sie zum Stillstand gekommen. Es gibt nicht nur radikale Kräfte, die die Unabhängigkeit z.B. der Ukraine in Frage stellen. Deswegen ist es wichtig, daß wir mit äußerster Sorgfalt mit dieser weiterhin schwierigen und noch nicht zur historischen Verfestigung gebrachten Sicherheitslage in Europa umgehen.
Deutschland ist als Kernland der Europäischen Union gefordert. Wir müssen die richtigen Signale
setzen. Wir müssen dazu beitragen, daß Europa militärisch handlungsfähig wird. Ich glaube, daß das manche unterschätzen, die die Bundeswehr vor allen Dingen auch im Hinblick auf Deutschland sehen. Man muß sie mindestens ebenso stark als unseren Beitrag zur europäischen Verteidigung sehen. Ohne einen angemessenen deutschen Beitrag gefährden wir die europäische Verteidigung insgesamt.
Es ist absehbar, daß Europa in die Lage kommen kann, Krisen und Konflikte auch eigenständig meistern zu müssen. Wir haben nicht mehr die Nachkriegszeit, wo wir alles auf die Schultern der Amerikaner lasten konnten. Das ist auch mit diesem Gipfel deutlich geworden: eine Chance zur eigenen Identität, aber auch eine viel größere Verantwortung. Dafür müssen wir auch die Vorkehrungen treffen. Ohne einen substantiellen deutschen Beitrag wird es keine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben.
({15})
Unsere Verantwortung in den Entscheidungen, die wir in der Sicherheitspolitik treffen, geht weit über die 80 Millionen Deutschen hinaus. Deswegen wird auch sehr sorgfältig beobachtet, was wir machen.
In dieser Lage darf die Qualität und die Quantität der Sicherheitsvorsorge Deutschlands nicht allein von finanziellen Zwängen abhängig gemacht werden. Das ist hier ja auch deutlich geworden. Ich habe es einmal so formuliert: Kein Mensch kündigt die Feuerversicherung, wenn es lange nicht gebrannt hat. Diese Klugheit von einfachen Leuten im Hinblick auf ihr Haus sollten auch wir alle im Hinblick auf unser Haus Deutschland und auf das Haus Europa haben. Die Bundeswehr bestimmt maßgeblich unsere Bündnisfähigkeit. Sie ist ein wichtiger Faktor europäischer Stabilität, und sie muß es auch bleiben.
Vielen Dank.
({16})
Frau Kollegin Brigitte Schulte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bedanke ich mich ganz herzlich beim Präsidenten, daß er die Rechte des Parlaments auch gegenüber der Regierung wahrzunehmen versucht.
({0})
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen. Die Entscheidungen des Präsidenten sollen auch nicht positiv kommentiert werden.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen haben es schon persönlich erlebt: Mit gemischten Gefühlen ist man zu einem Familientreffen aufgebrochen, das man eigentlich gern geschwänzt hätte. Geben Sie es zu: Wer hat nicht Verwandte, die einem von Herzen
Brigitte Schulte ({0})
unsympathisch sind oder mit denen man gerade im Streit liegt? Aber während der Familienfeier erlebt man dann die Faszination der Gemeinschaft und begreift, welchen Wert eine Familie besitzen kann. Und am Ende kehrt man stolz zurück und berichtet begeistert von dem Erlebnis. Manchem bleibt dabei verborgen, daß Freunde ihn im stillen beneiden, weil sie solche Familienbande nicht besitzen oder diese zerstört sind.
In einer ähnlichen Situation mögen sich am Montag und Dienstag dieser Woche viele europäische Länder aus dem Osten befunden haben, die über die internationalen Fernsehprogramme das Familientreffen der NATO-Staaten verfolgen konnten. „Warum gehören wir auch 1994 noch nicht dazu?", fragen zu Recht die Polen, die Tschechen, die Moldawier oder andere. „Sind wir euch immer noch nicht gut genug? Schämt ihr euch eurer armen Verwandten?"
Zum Glück sind die NATO-Staaten in Brüssel nicht der Gefahr erlegen, ihre eigene Familienidylle zu feiern und die Nachbarn zu vergessen. Im Gegenteil, gerade der amerikanische Präsident versucht, mit der Einladung zur Partnerschaft für den Frieden Barrieren zu beseitigen und die Zweiklassengesellschaft in Europa zu nivellieren. Vielleicht hat ein Vertreter der ärmeren Südstaaten der Vereinigten Staaten auch mehr Verständnis für arme Europäer als mancher Zeitgenosse aus sehr reichen Regionen des Bündnisses.
Ich erkenne ebenfalls an: Auch die Bundesrepublik und die Regierung haben sich bemüht, ihrer gewachsenen Verantwortung innerhalb Europas und des Bündnisses gerecht zu werden.
({1})
Und, Frau Kollegin Lederer, wir sind Ihnen als Sozialdemokraten ja dankbar, daß Sie hier klargestellt haben, welche Differenzen es zwischen der SPD und der PDS in dieser Frage gibt.
({2})
Und doch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, können wir Angst und Unsicherheit in Europa nur beseitigen, wenn wir ernsthaft für die politische, wirtschaftliche und militärische Stabilität der früheren COMECON-Staaten kämpfen.
({3})
Wir werden das - das ist ja heute von unserer Seite mehrfach gesagt worden - in der Zukunft nicht zum Nulltarif leisten können. Und es reicht auch nicht, Herr Kollege Kinkel, Geldkredite, Warenlieferungen und gute Ratschläge anzubieten. Viel schwieriger, als wir uns das alle vorgestellt hatten, ist für diese Staaten der ökonomische Wandel zu vollziehen; denn zu groß sind die physischen und die psychischen Schäden, die der Kommunismus hinterlassen hat.
Als Mitglieder der Nordatlantischen Versammlung haben wir ab 1991 die Parlamentarier aller Reformstaaten aufgefordert, mit uns in den Frühjahrs- und Herbsttagungen und in besonderen Seminaren über die Schwierigkeiten des demokratischen Wandels zur parlamentarischen Demokratie, über die zivile Kontrolle des Militärs und der Rüstungsindustrie, über die
Begrenzung von Rüstungsausgaben, über die Umstrukturierung der Streitkräfte und über die ökonomischen Fragen nachzudenken - Begegnungen, die niemand von uns vergißt und die ich oft mit dem Gefühl verlassen habe, welcher Vorzug dem größeren Teil der Deutschen widerfahren ist, daß sie seit vielen Jahren dem Nordatlantischen Bündnis und europäischen Organisationen angehören durften.
Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist es eine Verpflichtung für uns Deutsche, auch die neuen Demokratien an die Gemeinschaft heranzuführen. Wir dürfen uns auch nicht vor der schwierigen Frage drücken, ob die Gemeinschaft „nur" bis zur Ostgrenze Polens, der Slowakei oder Ungarns reichen sollte.
Nicht nur Besuche in Prag, Warschau und Budapest, auch das Kennenlernen von kleinen Staaten - wie Moldawien - oder von Rumänien, der Ukraine und Rußland können einen davon überzeugen, daß es für alle Nachbarn Rußlands eine Sicherheit vor den Russen nur mit diesen zusammen geben kann.
({4})
Alle europäischen Staaten müssen sich aktiv an einer neuen Sicherheitspartnerschaft unter Einschluß Rußlands beteiligen.
Schauen wir uns die Weltkarte an: Unser Problem ist nicht die Größe Europas bis zum Ural; da übertreffen uns flächenmäßig Kanada und die Vereinigten Staaten. Von der Einwohnerzahl her sind China oder Indien allein weit größer als Gesamteuropa.
Unheimlich ist der Flächenkoloß und der Vielvölkerstaat Rußland, der vor schier unlösbaren Problemen steht. Wie soll dieses Land je den Anschluß an den Lebensstandard des Westens erreichen? Wie werden seine Bürger je das Selbstbewußtsein eines Nordamerikaners aufbringen, der sich unabhängig von Rasse und Herkunftsland seiner Familie als freies Mitglied jener „nation of nations" versteht?
Genau dies aber muß erreicht werden. Die Bewohner der Russischen Föderation müssen ein stabiles Selbstbewußtsein aufbauen können, damit sie auf Extreme wie Wladimir Schirinowski und die Altkommunisten nicht hereinfallen.
Der Niedergang der Sowjetunion als zweiter Weltmacht hat das Bewußtsein von mehr Russen verletzt, als wir im Westen sehen wollten. Dabei müßten gerade wir Deutschen es doch wissen: Gerade wir haben erlebt, wie in den Zeiten wirtschaftlicher Not zwischen 1929 und 1933 der Anspruch auf Macht und Größe besonders gern vernommen wurde. Wenn man es schon nicht schafft, allgemeinen Wohlstand aufzubauen, wenn man an den eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu anderen Völkern zweifelt, dann sollten einen die anderen, denen es besser geht, wenigstens fürchten. So einfach war die Ideologie von Adolf Hitler, so einfach ist die Ideologie von Wladimir Schirinowski.
Voller gefährlicher Komplexe stecken dieser Mann und seine Mitstreiter. Aber nicht nur sie. Weder Schirinowski noch den Kommunisten, weder Präsident Jelzin - ich bin dankbar, daß Frau Wollenberger das gesagt hat - noch seinem Außenminister KosyBrigitte Schulte ({5})
rew darf es ungestraft erlaubt sein, diese hegemonialen, ja teilweise imperialistischen Töne von sich zu geben.
({6})
- Dann hören Sie sich einmal an, was Jelzin und auch sein Außenminister von sich gegeben haben.
Die NATO-Staaten können nicht darüber hinwegsehen, wenn russisches Militär in Estland oder Lettland, in Transnistrien, Georgien, Aserbaidschan oder Kasachstan zugunsten russischer Minderheiten unkorrekt handelt. Die NATO-Staaten können auch nicht darüber hinwegsehen, daß sich im nördlichen Teil Ostpreußens viel zu viele Soldaten mit schwerem Gerät konzentrieren. Ich hätte sehr gewünscht, daß sowohl der Außenminister wie auch der Verteidigungsminister dies wenigstens erwähnt hätten.
Ich habe großes Verständnis für die Sorgen der Polen oder der Balten angesichts einer solchen Truppenkonzentration in ihrer Nachbarschaft.
Wo kommen wir eigentlich hin - auch darüber heute kein Wort -, wenn nach der Verhaftung von zwei hohen russischen Offizieren in Lettland das russische Verteidigungsministerium sofort seine Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt, statt den Vorfall mit der lettischen Regierung in Ruhe zu klären?
Das Verhalten der 14. Russischen Armee in Transnistrien ist, Herr Kollege Schäfer, uns beiden seit dem Sommer bekannt. Wir müssen von Boris Jelzin endlich erwarten, daß er diese Verbände zurückzieht und daß er vor allen Dingen den General Lobow ablöst. Aber er hat nicht die Kraft dazu; auch das müssen wir bitte sehen.
Andererseits kann der Westen nicht wegschauen, wenn die neuen unabhängigen Staaten russische Minderheiten ihrerseits durch den abrupten Wechsel des Alphabets und der Amtssprache schikanieren. Das kann nicht in Frage kommen. Er kann auch nicht tolerieren, daß in anderen Reformstaaten religiösen und ethnischen Minderheiten die vollen Rechte vorenthalten werden. Das gilt auch für Staaten, die wir eigentlich sehr schnell aufnehmen wollten.
In den letzten Jahren waren wir einem ständigen Wechselbad von Euphorie und Ernüchterung ausgesetzt, was die Folgen des friedlichen Zusammenbruchs der kommunistischen Vorherrschaft in Osteuropa betrifft. Die Hoffnung auf eine friedliche Welt mit weniger Waffen und Soldaten wurde im blutigen Bürgerkrieg Jugoslawiens, Georgiens, Aserbaidschans und Armeniens schnell erstickt.
Auch aus dieser Erfahrung heraus müssen wir auf neue Krisen und Konflikte gefaßt sein und das gesamteuropäische Krisenmanagement verbessern. Das Konzept Partnerschaft für den Frieden könnte dabei hilfreich sein. Ich teile deshalb nicht die Kritik jener, die es als zu vorsichtig und daher als riskant bezeichnen.
Es wird sehr aufschlußreich sein, welche Staaten die Einladung der NATO schnell annehmen und sich um aktive Mitarbeit in politischen und militärischen Gremien bemühen.
Es wird aufschlußreich sein, wie klar sie ihre Verteidigungsplanung und ihre Ausgabenpolitik offenlegen. Ich will hier auch einmal erwähnen, daß wenige nationale Parlamente in den Reformstaaten bis heute das Recht haben, eine unabhängige Kontrolle über das Militär und die Verteidigungsausgaben vorzunehmen, wie es im amerikanischen oder im deutschen Parlament üblich ist.
Es wird auch aufschlußreich sein, wie stark sich das russische Militär an gemeinsamen Übungen, an Ausbildungsgängen und an Planungen beteiligen will. Noch erleben wir, daß persönliche Kontakte zwischen hohen Offizieren der NATO und Rußlands nicht eben gefördert werden.
Die Bundesrepublik hat über viele Jahre ein vorbildliches Ausbildungssystem für Berufs- und Zeitsoldaten geschaffen. Mit der Konzeption Staatsbürger in Uniform haben wir Militärgeschichte geschrieben. Mit der Verkleinerung der Bundeswehr werden, Herr Außenminister und Herr Verteidigungsminister, Ausbildungskapazitäten frei, die wir jungen osteuropäischen Soldaten großzügig anbieten könnten. Warum sollten sie nicht bei entsprechenden Sprachkenntnissen unsere Offiziersschulen, die beiden Bundeswehruniversitäten oder die technischen Schulen in größerer Zahl besuchen? Warum sollten qualifizierte deutsche Soldaten nicht zusammen mit Kameraden aus dem Westen in östlichen Ländern einen Teil ihrer Ausbildung als angehende Offiziere erhalten?
Wenn dann die einzelnen Staaten noch ihre eigenen Verbindungsbüros in den NATO-Hauptquartieren einrichten würden, könnte das Konzept Partnerschaft für den Frieden schnell mit Leben erfüllt werden. Erste Aufgaben auf dem Gebiet der Friedenswahrung, im Such- und Rettungsdienst und bei humanitären Operationen könnten schon bald von Staaten aus verschiedenen Teilen Europas gemeinsam gelöst werden.
Doch, Herr Kinkel und auch Herr Rühe, ich wundere mich, daß Sie auch heute wieder die Verfassungsänderung anfordern müssen.
({7})
Vielleicht ist Ihnen entgangen, daß der amerikanische Präsident am 11. Januar sehr deutlich gesagt hat, er bekomme immer mehr Zweifel über militärische Einsätze, um Konflikte zu lösen.
({8})
Es sei die Frage, ob irgendeine Macht in der Lage sei, das Morden in Bosnien zu stoppen. Zugleich äußerte er Zweifel am Sinn ausländischer Militäreinsätze auch in anderen Krisengebieten der Welt.
({9})
Denken wir nur an Somalia oder an das frühere Jugoslawien. Hier haben wir gemeinsam wohl einiges nachzuarbeiten.
Doch vergessen wir über den militärischen Fragen nicht, daß der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine ebenso große Bedeutung zukommt. Auch hier handelte der amerikanische
Brigitte Schulte ({10})
Präsident der Situation angemessen, wenn er den wirtschaftlichen Erfolg als besten Garanten stabiler politischer Verhältnisse und als Fundament der Demokratie bezeichnet. Wir unterstützen ihn darin. Die Erfolgsbilanz der Europäischen Gemeinschaft wäre nie so groß gewesen, wenn nicht alle Mitgliedstaaten und Bürger davon profitiert hätten.
Kehren wir zum Bild der Familie zurück. Am Jahreswechsel trat für 372 Millionen Menschen der Europäische Wirtschaftsraum in Kraft. Laut Statistik lag das Pro-Kopf-Jahreseinkommen bei mehr als 20 000 Dollar - unvorstellbar für unsere arme osteuropäische Verwandtschaft. Wir müssen deshalb möglichst schnell unsere Märkte gegenüber den Osteuropäern öffnen, was uns alle vor neue Herausforderungen stellen wird, da traditionelle Wirtschaftszweige im Westen noch stärkere Konkurrenz erhalten und der Osten einen viel stärkeren Modernisierungsschub erleben wird. In jedem Fall werden in traditionellen Bereichen Arbeitsplätze verlorengehen. Es sagt sich leichter, als es dann in der Realität ist, daß der Wandel - sprich: Arbeitslosigkeit - sozial abgestützt werden muß.
Am erfreulichsten sind schon heute die politischen Bindungen.
Frau Kollegin, bitte nur noch ein Schlußsatz. Sie sind schon über Ihre Redezeit hinaus.
Wenn auch in den Reformstaaten die Parteienstruktur noch nicht abgeschlossen ist - in internationalen Gremien, wie der KSZE, dem Europarat oder der Nordatlantischen Versammlung, begegnen sich Parlamentarier aus allen Staaten Europas offen und lernen voneinander. Hier ist das Prinzip Partnerschaft für den Frieden am weitesten entwickelt.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Kollegen Irmer widerspreche ich ungern; ich muß es heute tun. Lennart Meri hat auch sehr positive und zitierfähige Sätze zum NATO-Gipfel gesagt. Er hat gesagt, das Konzept Partnerschaft für den Frieden verhielte sich zur Vollmitgliedschaft in der NATO wie Margarine zu Butter. In schlechten Zeiten müsse man eben mit einem Ersatzbrotaufstrich vorlieb nehmen, aber - füge ich hinzu - der würde ja wohl auch nähren.
Man kann es auch anders formulieren: Ist das Glas halb voll, oder ist es halb leer? Ich glaube, das Glas ist in Brüssel halb gefüllt worden, und die Bereitschaft der NATO, sich den veränderten Aufgaben zu stellen, geht aus diesem Gipfel deutlich hervor.
({0})
Lassen Sie mich aber, bevor ich vom Brüsseler Gipfel von Anfang dieser Woche rede, ein anderes
Gipfeltreffen in Erinnerung rufen. Das Treffen vom Januar 1994 in Brüssel wäre ohne den 16. Juli 1990 im Kaukasus nicht denkbar.
({1})
Das war damals keine flüchtige Episode der deutschen Politik. Es war ein richtungweisender Meilenstein auf dem Weg in die Sicherheit Europas. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist nämlich Frieden in Freiheit keine Selbstverständlichkeit. Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs müssen wir für unsere Sicherheit und Landesverteidigung Sorge tragen.
Um so wichtiger ist es, daß die NATO als Bündnis nicht zerstört wurde. Es ist ja schon fast wieder vergessen, daß Oskar Lafontaine den NATO-Austritt der Bundesrepublik Deutschland ({2}) betreiben wollte.
({3})
Der Schritt wäre damals so verhängnisvoll gewesen wie heute.
Am 16. Juli 1990, als Helmut Kohl, Theo Waigel und Hans-Dietrich Genscher bei Gorbatschow und Schewardnadse die volle NATO-Mitgliedschaft des gesamten wiedervereinigten Deutschlands erreicht hatten, wurde in Wahrheit auch der Weg für ein sicheres Gesamteuropa geöffnet. Insofern hat dieses Datum den Reformstaaten des ehemaligen Warschauer Pakts erst die Perspektive gegeben.
Nicht diejenigen, die heute ihre zweifelnde oder zweifelhafte Rolle während der Wiedervereinigung beschönigen und schönschreiben, haben die Grundlagen für eine friedliche und freiheitliche Entwicklung gelegt, sondern diese Bundesregierung, die mit diesem Schritt eine tragfähige Existenzgrundlage geschaffen hat, die offensichtlich nur deswegen nicht in der Öffentlichkeit mehr geschätzt und berechnet wird, weil wir uns angewöhnt haben, Vor- und Nachteile in Mark und Pfennig zu berechnen.
Aber auch jenseits von Mark und Pfennig gibt es wichtige Punkte, und dazu gehört die Entschlossenheit, das schnelle Zugreifen bei sich bietender historischer Gelegenheit. Das war richtig. Jeder möge sich das Bild selbst ausmalen, was heute wäre, wenn wir nicht 1990, sondern im Jahre 1994 mit der Sowjetunion oder nun mit Rußland über die deutsche Einheit reden müßten.
So sind die Perspektiven von 1990 jetzt in Brüssel mit einem ersten Abschlag eingelöst worden. Wir wissen, daß die Gefahren, die uns Deutschen und uns Europäern drohen, nicht mehr dieselben wie vor fünf Jahren sind. Dennoch gibt es aber auch heute noch Gefahren, möglicherweise solche, die wir sogar unterschätzen. Dabei denke ich nicht in erster Linie an die marktschreierischen und wirren Äußerungen des Herrn Schirinowski, der Deutschland mit dem Atomkrieg droht und dafür von dem rechtsextremen Giftspritzer Frey als sein Freund bezeichnet wird. Ich denke dabei auch an die Gefahren, die durch die unkontrollierte Verbreitung von Nuklearwaffen entstehen können.
Es ist deswegen ein ganz wichtiger Erfolg - der leider etwas im Schatten der Berichterstattung
Christian Schmidt ({4})
steht -, daß die unveränderte Fortgeltung des Nichtverbreitungsvertrages über das Jahr 1995 hinaus angestrebt wird. Zudem ist, sozusagen am Rande des Gipfels, der Ansatz für die Einigung zwischen Rußland und der Ukraine über den Verbleib der Atomwaffen erfolgt. Der Besuch von Präsident Clinton und das Gespräch in Moskau lassen für die bisher gespannten Beziehungen dieser beiden Länder hoff en.
Ein ganz wichtiger Beitrag und ein ganz wichtiger Erfolg des Brüsseler Gipfels ist aber auch die Tatsache, daß Clinton ein klares Bekenntnis der USA zur nordatlantischen Partnerschaft abgegeben hat, das wir in der Vergangenheit ab und zu gerne etwas deutlicher gehört hätten. Für uns ist das von entscheidender Bedeutung. Die Ansätze zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik stecken noch viel zu sehr in den europäischen Kinderschuhen, als daß sie ein Verteidigungsbündnis mit den USA entbehrlich machen. Wir brauchen die Amerikaner in Europa, auch mit einer nicht nur symbolischen Militärpräsenz. Um so erfreulicher ist es, daß Präsident Clinton bestätigt hat, daß er an einer Truppenstärke von ca. 100 000 Soldaten der US-Armee in Europa denkt, und damit mit unseren Vorstellungen im Einklang steht. Die CSU hat das immer gefordert und unterstützt, im Gegensatz zu manchen „Ami, go home"-Strategen, die die wirkliche Bedrohungslage nie zur Kenntnis nehmen wollten.
({5})
Das heißt im Gegenzug natürlich für uns, daß wir eine in Umfang, Ausstattung und Struktur einsatzfähige und verteidigungsbereite Wehrpflichtarmee bereitstellen müssen. Die Bundeswehr ist und bleibt unverzichtbar.
Vorhin war der Versuch herauszuhören, zwischen dem Finanzminister und dem Verteidigungsminister in bezug auf die Zukunft der Bundeswehr Uneinigkeit entzünden zu wollen. Das Korsett für die Möglichkeiten, die wir haben, knüpfen wir im Bundestag und im Bundesrat. Wer bei der Frage des notwendigen, nicht sehr erfreulichen, aber unvermeidbaren Eingriffes in Leistungsgesetze den Weg in den Populismus geht, der darf sich nicht wundern, daß dieses Korsett in den Bereichen zwickt, wo wir es mindestens genauso dringend, wenn nicht noch dringender notwendig hätten. Das gilt besonders für die Bundeswehr. Natürlich muß sie mit den Mitteln ausgestattet werden, die notwendig sind, damit wir in der nordatlantischen Wertegemeinschaft und Verteidigungsgemeinschaft glaubwürdig bleiben.
Ich wüßte auch nicht, was an die Stelle der NATO gesetzt werden sollte. Bill Clinton hat von der „Wertegemeinschaft" gesprochen. Das ist wichtig. Wunschträume von einem durch die KSZE gesicherten Europa sollten ad acta gelegt werden.
({6})
- Ich will damit sagen, daß ich die Parteitagsbeschlüsse der SPD gelesen habe.
({7})
- Ja, das bildet sehr und verschafft einen Eindruck. Dort steht nämlich, die SPD sehe nicht, daß der NATO eine langfristige Rolle zufällt, sondern schreibe ihr eine stabilisierende sicherheitspolitische Rolle nur in einem Prozeß des Übergangs zu. So steht es jedenfalls in ihren Parteitagsbeschlüssen, Abteilung A 1, Seite 12, zu lesen. Sollte es also doch stimmen, daß in dieser großen Oppositionspartei sicherheitspolitische Traumtänzerei statt vernünftiger Realismus in der Vorhand ist?
({8})
Den GRÜNEN, in dieser Frage offensichtlich Seelenverwandte der SPD, ist die NATO im Entwurf ihres Bundestagswahlprogramms überhaupt keine Erwähnung mehr wert.
({9})
Die Bundeswehr soll nach Meinung der GRÜNEN abgeschafft werden. Bestenfalls schwebt Joschka Fischer in seinen Träumen vielleicht vor, wenn er einmal Verteidigungsminister wäre, zur Erheiterung alternativer Sommerfeste ein Heeresmusikkorps zu erhalten. All das ist jedenfalls nicht das Holz, aus dem verläßliche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gemacht wird.
Richtig ist, daß Bill Clinton nach Prag gekommen ist und mit den Visegrad-Staaten gesprochen hat. Es darf nicht der Eindruck entstehen, mit der Partnerschaft für den Frieden hätten die NATO-Staaten einer lästigen Pflicht genügt. Es muß klar sein, daß wir dieses heute schon mehrfach dokumentierte Interesse an der Ausdehnung der NATO haben und daß sich dieses Interesse - Volker Rühe hat das sehr deutlich gemacht - aus unserem eigenen Sicherheitsbedürfnis und Sicherheitsinteresse ergibt,
({10})
aus dem Sicherheitsbedürfnis des Bündnisses und aus unserem deutschen insbesondere. So unverrückbar und unveränderbar sind die heutigen Verhältnisse in Mittel- und Osteuropa nicht, als daß wir als westlicher Nachbar Polens und der Tschechischen Republik ruhig schlafen könnten, wenn diese Länder nicht ebenfalls in eine Zone stabiler Sicherheit einbezogen sind.
Es liegt jetzt an den mittel- und osteuropäischen Staaten, durch eine stabile und kontinuierliche demokratische Entwicklung und eine Strukturierung ihrer Streitkräfte zu Bündnisarmeen hin den Weg in die NATO weiterzugehen. Es liegt aber auch an uns, an den westeuropäischen Staaten, durch eine stufenweise Öffnung ihren Teil, d. h. unseren Teil zur Festigung und zur Zusammenarbeit zu leisten.
Dazu gehören: die Assoziierung zur WEU zu diskutieren, Einbeziehung in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union womöglich, Zusammenarbeit auf bilateraler Ebene, gemeinsame Übungen, enge Konsultationen bis hin zum NATO-Eingangsportal in die Vollmitgliedschaft, das diesen Ländern nach diesen Stufen - nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag - eröffnet werden darf. Ich halte die Festlegung und die Zahlen, die genannt
Christian Schmidt ({11})
worden sind, das Jahr 2000, für einen guten Richtwert.
Es bleibt dabei der Faktor Rußland. Die russischen Interessen, insbesondere die Sicherheitslage Rußlands, müssen im Europäischen Haus natürlich Berücksichtigung finden. Im Gegenteil, Rußland muß unter Beachtung seiner besonderen Rolle durch seine Größe und seinen Charakter als Nuklearmacht über eine vielfältige Palette der Kooperation eine Verknüpfung im europäischen Sicherheitsnetz gegeben werden. Hierzu gehört aber nicht eine Mitgliedschaft der Russen in der NATO.
Rußland kann aber auch nicht daran interessiert sein, alte Strukturen wie den Warschauer Pakt wiederaufleben zu lassen. In einem freien Kontinent freier Völker muß jedes Land, sofern es sich nicht gegen Bestand, Frieden und Freiheit eines anderen richtet, selbst entscheiden können, welchen internationalen Organisationen es sich anschließen will. Dies gilt auch für den Beitritt zur NATO der Staaten, die bisher einen solchen Antrag gestellt haben.
({12})
Die russische Führung soll aber auch wissen, daß seitens der NATO oder einzelner Mitgliedstaaten kein Interesse daran besteht, zwischen Rußland einerseits und Westeuropa andererseits ein Zwischeneuropa entstehen zu lassen, für das die Einflußsphären oder Sicherheitszonen etwa nach einem neuen Prinzip von Jalta geregelt werden. Jedes Land hat das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dies gilt ausnahmslos für alle Länder, auch für die Staaten, die aus der Erbmasse der früheren Sowjetunion neben Rußland hervorgegangen sind und die wir so beiläufig als GUS-Staaten bezeichnen.
Natürlich wird eine Ausdehnung der NATO- Sicherheitszone nach Osten nicht nur am dringenden Wunsch der Reformstaaten gemessen. Auch politische Verläßlichkeit, ein hohes Maß an Stabilität und Berechenbarkeit der Politik sind Kriterien für zukünftige Partnerstaaten in der NATO. Aus diesem Grunde sind manche Staaten bereits heute auf dem Weg weiter, und für manche ist der Weg noch lange und das Erreichen des Ziels nicht absehbar. Die Ukraine, Kasachstan, Armenien, Aserbaidschan und andere Staaten werden sich über das Ziel einer engen Anbindung an die NATO mit weiten Wegen wohl abfinden müssen. Trotzdem werden wir uns ernsthaft bemühen, die diesen Staaten und ihren Bedürfnissen angemessene Form der Verknüpfung zu finden.
Doch wenden wir uns nun den neuen Aufgaben der NATO zu. Es wurde vorhin betont, daß wir die alte Aufgabe der Landesverteidigung natürlich nach wie vor haben, gerade in so einer Zeit, in der wir hören, daß die russische Armee nicht in dem Umfang abrüstet, wie es ursprünglich vorgesehen war.
Aber es gibt auch neue Aufgaben. Ron Asmus schrieb vor kurzem in „Foreign Affairs" : „NATO will go out of area or go out of business." Wenn das Unternehmen NATO im Geschäft bleiben und seinen Stabilitätsauftrag erfüllen will, muß es neu durchkalkulieren. Die Architektur ist in manchen Teilen zu ändern, die Statik muß neue Stützen erfahren.
Das haben nicht nur Volker Rühe und auch Manfred Wörner sinngemäß formuliert, sondern erfreulicherweise viele unserer Partner in den anderen NATO- Staaten zwischenzeitlich mit aufgenommen, denen möglicherweise das Empfinden für die Sorgen der Menschen, die früher im Ostblock leben mußten, nicht so täglich und greifbar nahe sind wie uns Deutschen, die wir ja mit einem Teil unseres Landes selbst aus dem Ostblock heraus entstanden sind.
Dem NATO-Generalsekretär Manfred Wörner möchte ich im Namen von Ihnen allen an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, daß er in dieser Zeit des Umbruchs und unter schwierigen, auch persönlichen Umständen die NATO nicht nur verwaltet hat, sondern neue und wichtige Anstöße gegeben hat.
({13})
Wer sich diesen neuen Aufgaben verschließt - sie sind mehrfach genannt worden -, hat die Bedeutung des Wandels in der Welt seit 1989 noch immer nicht begriffen. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Die SPD muß und soll doch endlich aufhören, die Bundeswehr und ihre Soldaten als Interventionsarmee zu diffamieren. Die Bundeswehr soll und muß zukünftig bei internationalen Einsätzen zur Friedenssicherung und Friedensschaffung ihren Beitrag leisten.
Da hilft auch nicht die Flucht zu Bill Clinton, verehrte Kollegin Schulte. Sie können Bill Clinton vieles unterstellen; aber wenn die Position der SPD hinsichtlich der Frage der Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Einsätzen stützen würde, käme das - der Vergleich ist zugegebenermaßen unangemessen - fast einer politischen Vergewaltigung gleich.
({14})
- Nein, Sie müssen das natürlich im Zusammenhang lesen. Es ist ein ganz anderer Punkt, daß solche internationalen Friedensaktionen natürlich sorgfältig vorbereitet und geplant werden müssen. Wir haben an die internationalen Organisationen auch auf Grund der Erfahrungen von Somalia und Jugoslawien - da stimme ich Ihnen zu - Fragen über die zukünftige Planung, die wir innerhalb der Thematik erörtern müssen.
Wir müssen zusätzlich natürlich auch prüfen, ob eine solche Beteiligung im Einzelfall im nationalen Interesse oder im Bündnisinteresse liegt.
Wir stoßen sehr schnell auf eine Schwachstelle, wenn wir dieses Thema diskutieren, die auch dieser Gipfel nicht auszumerzen imstande gewesen ist. Die NATO läuft Gefahr, von ihrer Autorität und sicherheitspolitischen Substanz Stück für Stück abzugeben, wenn sie Erwartungen weckt, die sie nicht realisieren kann.
Es ist gut und begrüßenswert, wenn die NATO den Versuch unternimmt, dem leidvollen Schauspiel auf dem Balkan, das Tausende von Menschen bereits das Leben gekostet hat, entgegenzutreten. Sofern die NATO solche Schritte aber nur ankündigt und nie durchzuführen bereit oder imstande ist, läuft sie Gefahr, daß die Erklärungen und Beschlüsse von Konferenzen und Gipfeltreffen das ähnliche Schicksal
Christian Schmidt ({15})
erleiden wie die vielen Resolutionen des Sicherheitsrats
Herr Kollege Schmidt, bitte einen letzten Satz.
-, die vom Oberbefehlshaber der UN-Truppen in Bosnien nicht einmal mehr gelesen werden. Dieser Schaden wäre nicht nur ein Flurschaden für Bosnien, sondern auch ein Strukturschaden für die NATO. Wir müssen deswegen von den Brüsseler Erkenntnissen für andere Bereiche der NATO-Politik ausgehen, eine -
Bitte hängen Sie keine Kette von Relativsätzen dran.
Der Präsident hat mich erkannt. - Der Wunsch, der uns alle eint, ist der, daß die NATO auch in Zukunft ein Bündnis bleiben wird, das dem Frieden in der Welt und nichts anderem dient.
({0})
Es tut mir leid, daß ich immer diese Mahnerrolle spielen muß. Dieses Anhängsel von apotheotischen Sätzen kostet den nächsten Redner der eigenen Fraktion eine Minute.
Ich erteile dem Kollegen Günther Nolting das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NATO ist zweifellos das erfolgreichste Bündnis aller Zeiten, und dies in militärischer, aber auch politischer Hinsicht.
({0})
Sie behält ihre Funktion als Schutzgemeinschaft ohne Einschränkungen. Auch in Zukunft wird sie als Klammer zu unseren Freunden in den USA und in Kanada für uns Europäer unverzichtbar sein.
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Die aktuelle Entscheidung der NATO-Regierungschefs für das Modell der Partnerschaft für den Frieden setzt neben dem NATO-Kooperationsrat neue Akzente für die politische und militärische Zusammenarbeit unter den Staaten Europas. Ich will einige wenige unter sicherheitspolitischen Aspekten näher beleuchten:
Erstens. Es wird möglich, an Einsätzen unter der Autorität der UN oder unter Verantwortung der KSZE teilzunehmen. Hier wird eine Vielzahl von gemeinsamen militärischen Aktivitäten in Aussicht gestellt, die weit über das, was im Rahmen des Wiener Dokuments 1992 über die vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen der KSZE vereinbart wurde, hinausgehen. Gemeinsame Einsätze unter der Hoheit von KSZE oder UN erfordern eine Vielzahl von Planungen, Absprachen und Übungen, nicht zuletzt auch die Entwicklung eines gemeinsamen Korpsgeistes der betroffenen Truppenteile.
Zweitens. Mit der Fähigkeit zu Einsätzen unter der Autorität der UN oder der KSZE ergibt sich konsequenterweise die im Dokument formulierte Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen mit dem Ziel gemeinsamer Planung, Ausbildung und Übungen. Friedensbewahrung, Such- und Rettungsdienst, humanitäre Operationen und andere Aufgaben werden wirklich. Solche gemeinsamen Aktivitäten bieten einen tiefgehenden, vertrauensvollen Einblick in die jeweiligen Möglichkeiten des Partners. Meine Damen und Herren, ich denke, dies ist ein weiterer Fortschritt bei der Überwindung von Geheimnistuerei und Abschottung. Ich denke, auch dies muß positiv gesehen werden.
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Drittens. Auch eigene Verbindungsbüros, die von den interessierten Staaten beim NATO-Hauptquartier in Brüssel eingerichtet werden können, sind aus unserer Sicht von Bedeutung, denn wir wissen alle, Kontakte schaffen Sympathien und schaffen auch Vertrauen.
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Wir hoffen, daß Soldaten und Diplomaten aus Osteuropa in naher Zukunft zum Stadtbild Brüssels gehören werden.
Viertens. Der angebotene Zugang zu technischen NATO-Daten sollte ebenso nicht geringgeschätzt werden. Dahinter verbergen sich weitere vielfältige Chancen der Absprache und der Planung, auch im Bereich der Zusammenarbeit und der Kooperation.
Fünftens. Das vor allem Sicherheit bietende Element des Rahmendokuments ist aus meiner Sicht in Ziffer 8 enthalten, in der die NATO zusagt - ich zitiere -,
mit jedem aktiven Teilnehmer an der Partnerschaft in Konsultationen einzutreten, wenn dieser Partner eine direkte Bedrohung seiner territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit sieht.
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion sieht in diesem Punkt eine bis an die Grenzen von vertraglicher Bindung herangehende beiderseitige Konsultationsmöglichkeit, durch die Mißverständnisse und im Ansatz spürbare aggressive Elemente bereinigt werden können.
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Diese wenigen Punkte des Dialogs und der Kooperation sind entscheidende weitere vertrauensbildende Maßnahmen.
Abschließend weise ich für die F.D.P.-Fraktion auf die Tatsache hin, daß erhöhte Sicherheit in Europa am besten durch einen behutsamen, aber konsequenten Entwicklungsprozeß gefördert werden kann. Der Kollege Irmer hat für uns schon darauf hingewiesen. Die F.D.P. stellt mit Befriedigung fest, daß die Tür zur NATO-Mitgliedschaft weiter geöffnet wurde. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die getroffenen Vereinbarungen des NATO-Gipfels in Brüssel und fordert unsere Nachbarn und Partner in Ost und West auf, die schon bestehende vertrauensvolle Zusammenarbeit weiter zu intensivieren und zu engerer Kooperation zu führen, zum Nutzen aller Völker in Europa.
Meine Damen und Herren, ich denke, diese Zusammenarbeit, diese Kooperation ist von uns allen gewünscht, auch - wir haben es heute gehört - von der SPD. Es war richtig, daß der Außenminister die SPD-Fraktion hier noch einmal aufgefordert hat, ihre Blockadepolitik aufzugeben. Wir müssen auch in diesen Fragen, wenn wir diese Zusammenarbeit, diese Kooperation mit den Staaten in Osteuropa haben wollen, handlungsfähig sein. Wenn Sie Ihre Blockadepolitik nicht aufgeben, werden wir in diesen Fragen nicht handlungsfähig sein.
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Ich denke, zu dieser Handlungsfähigkeit gehört auch eine Sicherheitsanalyse, wie sie hier gefordert wurde. Hierzu gehört auch ein eindeutiger Auftrag für die Bundeswehr, der sich aus dieser Sicherheitsanalyse ergibt. Dazu gehört auch eine finanziell vernünftige Ausstattung für diese Bundeswehr. Wenn wir dieses erreichen - und wir müssen dies tun -, dann haben wir auch Planungssicherheit für die Zukunft für die Bundeswehr. Ich denke, die Soldaten unserer Bundeswehr haben hierauf auch einen Anspruch.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Andrea Lederer.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kittelmann, leider war es mir nicht möglich, die 15 Minuten am Stück zu reden. Das hätte ich gerne gemacht, aber auf Grund der Vereinbarung war das nicht drin. Deswegen habe ich jetzt die Möglichkeit, hier noch einmal auf ein paar Beiträge einzugehen, was ich gar nicht so schlecht finde.
Herr Außenminister Kinkel, wenn Sie sagen, die NATO sei nun geprägt davon, daß statt Konfliktszenarien Kooperation auf der Tagesordnung steht - er ist nicht mehr da -, dann muß ich sagen, daß das wieder genau eine der Beschönigungen ist, die hier die ganzen Debatten immer wieder prägen, die aber leider mit der Realität nichts zu tun haben, denn NATO-Truppen üben nun einmal nicht am Verhandlungstisch, sondern sie üben auf Grundlage von Szenarien, die dann auch gelegentlich bekanntwerden und deutlich machen, wohin die Reise gehen soll, insbesondere was Krisenreaktionskräfte anbelangt.
Der Außenminister hat ungefähr drei Sätze auf die KSZE verwendet, die angeblich in diesem Geflecht von Institutionen eine ganz entscheidende Rolle einnehmen soll. Mir kam es eigentlich so vor, als würde ein Beamter in den Ruhestand geschickt: Er hat gesagt, die KSZE sei verdienstvoll und erfolgreich. Aber mehr als ein paar Floskeln waren dann eben nicht übrig. Ich finde, genau das macht eben auch deutlich, welches Gewicht die Bundesregierung dieser Institution beimißt.
Wenn hier noch einmal betont worden ist, die KSZE sei besonders auf Grund der Kultur des Gewaltverzichts so erfolgreich gewesen, dann frage ich mich einfach: Warum macht man nicht diese Kultur zum zentralen Ausgangspunkt für sicherheits- und friedenspolitische Überlegungen und ein solches Gremium, was offensichtlich mit dieser Kultur erfolgreich gewesen ist, nicht auch zu der zentralen Institution?
Der Traum davon, Frau Kollegin Wollenberger, die NATO in ein solches kollektives Sicherheitssystem umzuwandeln, ist, glaube ich, eben nur ein schöner Traum, denn es ist ein Militärbündnis, was sich im Grunde nicht geändert hat.
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- Ein politisches Bündnis, das betonen Sie immer wieder, und Sie sprechen dann von den vielfältigen militärischen Aktivitäten, die sich daraus ergeben.
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Es ist eine reine Floskel, hier von einem politischen Bündnis zu reden, wenn es dann militärisch handelt.
Wenn man ein kollektives Sicherheitssystem will, warum nimmt man denn dann nicht die erfolgreiche KSZE mit der Kultur des Gewaltverzichts?
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Der Kollege Rühe hat ja hier seinen Satz aufgeklärt, den man wohl jetzt so verstehen darf, daß europäisch ist, wer lateinisch spricht. Ich finde, es macht diesen Ausspruch nicht wesentlich besser.
Bedenklich stimmt mich allerdings noch etwas ganz anderes in seiner Rede, und zwar die Aussage, die Geldströme dürften jetzt nicht mehr von Nord nach Süd fließen, sondern sie müßten von West nach Ost fließen, wobei mit Süd wohl eben nicht nur die südeuropäischen Staaten gemeint sind, sondern der Süden generell. Das, finde ich, macht die Begrenztheit der Politik der Bundesregierung, der Politik, die sie in den internationalen Beziehungen pflegt, abermals deutlich, weil es dann offenkundig verstärkt auch um eine Konfrontation zwischen Nord und Süd gehen wird.
Wenn hier auch mehrmals betont worden ist, Deutschland dürfe sich nicht isolieren oder in nationalistische Töne verfallen und eigene Wege gehen, so wird auf der anderen Seite in vielen Reden doch deutlich, daß Deutschland im Rahmen dieser Bündnisse immer wieder eine hervorstechende Rolle spielen soll. Wenn sich Deutschland nicht voll beteiligt an der WEU und den Einsätzen, dann wird Europa nicht handlungsfähig sein, heißt es; Deutschland, das Kernland der WEU, Deutschland, das Kernland der NATO, künftig wohl auch des UNO-Sicherheitsrates. Ich glaube, man muß einmal genauer analysieren, inwieweit sich hier nicht ganz bestimmte Sonderinteressen im Rahmen solcher Bündnisse durchsetzen sollen.
Der Vergleich mit der Feuerversicherung, Herr Verteidigungsminister Rühe, hinkt; er ist ein schlechtes Bild und gleichzeitig bezeichnend, denn wir wisAndrea Lederer
sen, daß Versicherungen und ihre Vertreter ein Interesse an der Verunsicherung der Versicherten und vor allem an ihren Beiträgen haben. Feuerversicherungen verhindern weder den Ausbruch eines Feuers noch tragen sie zu Löscharbeiten bei. - Das vielleicht auch noch zu diesem wie ich finde mehrfach fehlerhaft gebrauchten Bild.
Es ist einfach kaum erträglich, wie hier immer wieder versucht wird, glaubhaft zu machen, die NATO sei das zentrale Verdauungsorgan für alle Krisen dieser Welt. Seit drei Jahren sucht dieses Bündnis nach neuen Aufgaben, Strategien, Strukturen und vor allem auch nach neuen Feindbildern. An allen Ecken und Enden werden potentielle Krisenherde, Krisenbögen, Risikoszenarien ausgemacht, die alle mit Hilfe der NATO-Truppen und ihrer Politik zu bewältigen seien, mit ihrem militärischen Handeln vor allem. Bevölkerungswachstum, Umweltverschmutzung, Handelskonflikte, Wanderungsbewegungen, Energie- und Rohstoffverknappungen, religiöse und ethnische Gegensätze und vieles andere mehr werden als Szenario präsentiert, ein Szenario als Basis für eine Übung dieser Truppen. Wir alle wissen: Diese Problemlagen sind nicht neu; neu und gleichzeitig besorgniserregend ist, daß sich ausgerechnet die NATO, ein klassisches Militärbündnis, diesen Aufgaben widmen will.
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Herr Kollege Gerd Poppe, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwar überwiegt die Zustimmung der Mittel- und Osteuropäer zur Partnerschaft für den Frieden; die rechte Begeisterung kommt indes nicht auf. Der polnische Präsident spricht sogar von der Gefahr, zu kurz, also in den Abgrund zu springen. Vielleicht ist das Bild verzeichnet - vom Absprung kann wohl noch keine Rede sein, eher vom Beginn eines Anlaufs, der die notwendige Beschleunigung erst noch erreichen muß.
Es ist zutreffend - um ein Argument derjenigen aufzugreifen, die zurückhaltend gegenüber den Beitrittswünschen sind -, daß die gesellschaftliche Transformation in Mittel- und Osteuropa erst begonnen hat und daß die Demokratie dort noch nicht stabil ist. In den Visegrad-Staaten mag sie bereits unumkehrbar sein. Auf dem Balkan und in den aus der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangenen Staaten ist der Fortgang der Reformen noch nicht gesichert.
Um die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung voranzutreiben, benötigen all diese Staaten Hilfe. Sie bedürfen der politischen, wirtschaftlichen und der sicherheitspolitischen Integration.
Je konkreter die Einbindung der mittel- und osteuropäischen Staaten in gesamteuropäische Strukturen ist, desto wirksamer kann sie für die Beschleunigung der dortigen Entwicklung und für ihre Stabilisierung werden. Das gilt für die NATO ebenso wie für die Europäische Union. Für diese Staaten sind eine klare Perspektive, eindeutige Kriterien und ein an deren Erfüllung gebundener Zeitplan vonnöten.
Das wäre auch im Interesse des Westens; denn das von unseren östlichen Nachbarn befürchtete Sicherheitsvakuum würde nicht nur Osteuropa, sondern ganz Europa gefährden.
Natürlich sind die Voraussetzungen nicht in allen Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes dieselben. Aber es gibt vergleichbar entwickelte Länder, wie z.B. die Visegrad-Staaten, und für diese sollten deshalb auch gleiche Bedingungen gelten.
In vielen Staaten östlich der Europäischen Union müssen sich die demokratischen Kräfte gegen einen wiedererstarkenden Nationalismus behaupten. Zu dessen Entstehen tragen Unsicherheit und das Gefühl, allein gelassen zu werden, bei. Adam Michnik hat das Phänomen zutreffend beschrieben: „Die Freiheit verwandelt sich in einen Zusammenbruch des Sicherheitsgefühls. "
Soll die Unsicherheit weichen, sind deutliche Signale zu setzen, ist eine die klare Perspektive nötig. Werden die Demokraten allein gelassen, ist die Stunde der Nationalisten gekommen. Nicht zuletzt deswegen entsteht der dringende Wunsch nach Schutz. Es ist auch der Schutz der Völker vor sich selbst.
Häufig wird gegen die NATO-Erweiterung vorgebracht, sie könne zu einem antirussischen Bündnis führen. In der Tat liegt ein wichtiges Motiv Polens oder Litauens für den Drang in die NATO in der Angst vor einem neuen russischen Imperialismus.
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Hinzu kommt die ebenfalls historisch erklärbare Angst vor einem deutsch-russischen Komplott oder - weniger dramatisch - die Befürchtung, nur Pufferzone zwischen zwei großen Mächten zu sein.
Die Warnung vor einem antirussischen Bündnis wäre berechtigt, wenn die NATO darauf beharrt, ihre Aufgaben und Strukturen ungeachtet des Verschwindens des früheren Gegners, des Warschauer Pakts, unverändert beizubehalten. Tatsächlich deutet wenig auf die Umwandlung der NATO hin. Eine bloße Verschiebung der NATO-Grenze nach Osten könnte in Rußland tatsächlich als Provokation empfunden werden.
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Aber dieses Problem ist zu lösen. Dazu muß sich die NATO allerdings reformieren. Sie muß von einem reinen Militärbündnis zu einem kollektiven Sicherheitssystem werden. Das muß durchaus kein Traum bleiben, Frau Lederer.
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Hilfreich dafür könnte in der Tat die Weiterentwicklung der KSZE sein. Ihr Mangel an Verbindlichkeit und Kompetenz haben sie nach dem Ende des Kalten Krieges zunehmend unattraktiv gemacht. Das Beharren Westeuropas auf rein westlichen Sicherheitsstrukturen und sein geringes Interesse gegenüber der gesamteuropäischen Problematik haben die Stärkung der KSZE bis heute verhindert. Jetzt spätestens sollte klar werden, welch ein Versäumnis dies war. Eine Möglichkeit, dies zu korrigieren, wäre die perspekti17442
wische Zuordnung der NATO zur KSZE als deren sicherheitspolitischer Arm.
Europa braucht eine gemeinsame sicherheitspolitische Perspektive. Daß diese nicht gegen Rußland gerichtet sein darf, versteht sich von selbst. Möglich ist das nur durch eine prinzipielle Öffnung der NATO in Richtung eines kollektiven Sicherheitssystems, dem sich schrittweise die KSZE-Staaten anschließen können, die das wünschen, vorausgesetzt, sie erfüllen die vereinbarten Bedingungen. Die Visegrad-Staaten wären dann nicht die einzigen, sondern allenfalls die ersten. Ihr Beitritt würde den Reformprozeß einleiten und fördern. Auf lange Sicht dürften aber weder die Staaten des Balkans noch der GUS ausgeschlossen werden.
Eine letzte Bemerkung: Ich habe den Eindruck, daß die Gefahr, die durch ein Scheitern der Reformen in Rußland entstünde, in Westeuropa noch unterschätzt wird. Das Beispiel Serbiens hat gezeigt, welche Folgen eine solche Unterschätzung und darüber hinaus eine Appeasement-Politik gegenüber einer rot-braunen Aggression haben. Dies darf sich nicht wiederholen. Vor allem aber muß einer solchen Entwicklung entgegengewirkt werden, bevor die Katastrophe da ist.
Die Staaten des früheren sowjetischen Glacis brauchen eine Sicherheitsgarantie, sie dürfen nicht zur neuen Pufferzone werden. Und nicht zuletzt bedarf Rußland selbst der sicherheitspolitischen Einbindung. Wer die russischen Reformer unterstützen will, muß die NATO umwandeln und erweitern. Deshalb ist die jetzt verkündete Partnerschaft für den Frieden zwar ein richtiger Schritt, aber noch kein ausreichender.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Friedbert Pflüger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich teile alles, was in dieser Debatte von den Vertretern meiner Fraktion und von der Bundesregierung zum Erfolg des Gipfels gesagt worden ist. Das gilt insbesondere für die klare Bedeutung, die der Gipfel einer weiteren Präsenz Amerikas in Europa zugesprochen hat, für das Verhältnis zwischen NATO und WEU und insbesondere auch für das Augenmerk, das der Gipfel auf das Problem der Massenvernichtungswaffen und ihrer Verbreitung gerichtet hat.
Aber zu all dem möchte ich nicht sprechen, sondern ich möchte mich in meinem Beitrag ganz auf die Thematik der Osterweiterung des Nordatlantischen Bündnisses konzentrieren.
Es gibt eine Reihe guter Gründe dafür, warum wir nicht sofort Polen, Ungarn, Tschechen, Slowaken und andere in die NATO aufgenommen haben, und es gibt einen sehr schlechten Grund dafür. Ich will zunächst über die guten Gründe reden.
Erstens ist es gut, daß man immer an die Funktionsfähigkeit eines Bündnisses denkt. Natürlich muß ein militärisches Bündnis handlungsfähig bleiben. Nun wissen wir alle, daß wir in der NATO durch die vielen
Umstrukturierungen nach Ende des Kalten Krieges große Schwierigkeiten haben. Deshalb ist die Frage berechtigt, ob es nicht eine Überforderung der Allianz gewesen wäre, wenn man von heute auf morgen andere Staaten aufgenommen hätte.
Ein zweiter guter Grund gegen sofortige Maßnahmen ist die Abgrenzungsthematik: Wen nimmt man auf und wen nicht? Hätte man sich z. B. nur auf die Visegrad-Staaten konzentriert, auf die vier Staaten, die uns am nächsten liegen, dann hätten sich vielleicht die Balten, die Rumänen oder die Bulgaren ausgeschlossen gefühlt. Ich finde es gut, daß man einen Weg gefunden hat, der niemanden diskriminiert.
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Dann gibt es einen weiteren Grund. Er betrifft die Ukraine. Wir wollen, daß die Ukraine ihre Nuklearwaffen abrüstet. Hätte man die NATO sofort bis an die ukrainische Westgrenze ausgedehnt, so daß die Ukraine die NATO im Westen und die Russen im Osten gehabt hätte, so glaube ich kaum, daß sie große Begeisterung empfunden hätte, ihre nuklearen Sprengköpfe zu demontieren.
Schließlich gibt es einen vierten Grund aus der inneren Situation der NATO. NATO-Mitgliedschaft heißt automatische Beistandsverpflichtung. Wenn man automatische Beistandsverpflichtungen will, kann man diese nicht einfach durch einen politischen Beschluß herbeiführen, sondern das bedarf langer inhaltlicher Planungen für Eventualfälle, das bedarf vor allen Dingen auch militärischer Kapazitäten. Von daher ist es auch aus diesem Grunde richtig, die NATO-Erweiterung in einem organischen Prozeß einzubinden.
Schließlich gibt es - fünftens - den Grund, daß wir natürlich nicht gegenüber Rußland und der Ukraine Mißverständnisse hervorrufen wollen. Wir wollen keine Ängste schüren, keine Probleme schaffen, wir wollen keine neuen Feindbilder. Deshalb ist es ganz richtig, das Ganze in einem langfristigen Prozeß zu organisieren, bei dem einige Länder Vollmitglied werden können und bei dem Rußland und die Ukraine in eine strategische Partnerschaft mit dem Bündnis eingebunden werden.
Diese Gründe sind relativ wenig in der Debatte genannt worden, finde ich. Dagegen ist der eigentlich schlechteste Grund, der gegen eine NATO-Erweiterung spricht, immer wieder betont worden, nämlich der Grund, daß eine rasche NATO-Ausdehnung russischen Nationalisten helfe, den Reformkurs Jelzins schwäche. Ich glaube, daß dies wirklich ein falscher Ansatz ist, der gewählt wurde,
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und zwar in Beiträgen aus den unterschiedlichsten Fraktionen und auch zum Teil von der Regierung. Ich halte es für eine große Illusion zu glauben, man helfe den Reformern, wenn man z. B. Polen nicht in die NATO aufnimmt. Was ist das für eine Art von Politik, wenn wir die NATO-Mitgliedschaft nicht von unseren eigenen Interessen und den Wünschen der Staaten in Mittel- und Osteuropa abhängig machen, sondern von
der innenpolitischen Situation in Moskau? Wir haben doch den Russen während der ganzen Zeit des Kalten Krieges niemals erlaubt, in irgendeiner Weise Drohungen in Richtung auf unsere Politik auszusprechen, uns zu erpressen. Ich denke nur an den NATO- Doppelbeschluß. Was ist dort für ein Drohpotential von Seiten Moskaus aufgefahren worden. Wir haben völlig zu Recht gesagt: Nein, wir bleiben beim NATO-Doppelbeschluß. Der ist wichtig für uns. Wir haben keine Angst vor einer Eiszeit. - Es hat sich als richtig erwiesen, den NATO-Doppelbeschluß gegen alle Drohungen durchzuführen.
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Wenn man jetzt, am Ende des Kalten Krieges, plötzlich auf all diese russischen Konstellationen und Drohungen Rücksicht nimmt, dann ist das, glaube ich, wirklich der falsche Weg.
Es gibt doch im Grunde nur zwei Alternativen: Entweder setzen sich in Rußland die Reformer durch, dann ist die NATO-Erweiterung für die Leute in Moskau kein Problem, sondern eine Chance. Oder aber die Imperialisten und großrussischen Nationalisten setzen sich durch, dann ist die NATO-Erweiterung erst recht wichtig und notwendig. Mit anderen Worten: Gleich wie sich die Dinge in Rußland entwikkeln, die Vollmitgliedschaft in der NATO für die Staaten Mittel- und Osteuropas ist ein definitives und wichtiges Ziel unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Ich glaube, wir Deutschen sind sehr gut beraten, wenn wir uns an die Spitze der Bewegung stellen, wenn wir die Drängenden sind, wenn wir der Anwalt unserer Freunde in Mittel- und Osteuropa sind in dieser Frage.
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Ich halte es für falsch, Moskau jetzt nur in den Kategorien von Herrn Schirinowski zu betrachten. Natürlich müssen wir Schirinowski sehr ernst nehmen, aber es gibt völlig unabhängig davon auch aus der Zeit vor dessen Wahlerfolg eine Reihe von sehr besorgniserregenden Anzeichen in der russischen Politik.
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- Es gibt auch positive Entwicklungen, aber es gibt auch sehr besorgniserregende Anzeichen, z. B. die neue Militärdoktrin. Man sollte einmal genau lesen, was darin z. B. über das sogenannte „nahe Ausland" gesagt wird. Das heißt, daß Rußland nach wie vor zumindest etwa für die baltischen Staaten eine Art Hegemonialanspruch erhebt.
Herr Kollege Pflüger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, natürlich, gerne. Vom wem?
Vom Kollegen Schäfer.
Selbstverständlich, Herr Kollege.
Herr Kollege Pflüger, hier wird immer von den Gefahren nationalistischer Gruppierungen in Rußland gesprochen. Darf ich Ihnen die Frage stellen, ob Ihnen entgangen ist, daß bei den letzten Wahlen in Polen eine Mehrheit auf Grund der Entscheidung der polnischen Wähler, die wir zu respektieren haben, zustande gekommen ist, die zumindest die Frage erlaubt, wie eigentlich die innenpolitische Entwicklung in Polen als absolut nicht besorgniserregend gesehen werden kann und mit welcher Begründung immer wieder die Rede davon ist, daß sich alles, was sich an nationalistischem Unrat und an nationalistischen Bedrohungen entwickelt, nur in Rußland abspielen kann, nicht aber in anderen Staaten, die auch diesen schweren Weg zur Demokratie gehen?
Herr Kollege Schäfer, gerade weil wir verhindern wollen, daß sich Nationalisten in Mittel- und Osteuropa durchsetzen, sollten wir sie schnell und deutlich zu uns in den Westen holen. Wir sollten die großen Ambitionen und Hoffnungen in diesen Ländern nicht enttäuschen und nicht den Nationalisten, die wir gemeinsam bekämpfen, Auftrieb geben.
Natürlich gibt es in Polen ein Wahlergebnis, das uns nicht gefällt. Ich hätte mich auch gefreut, wenn unser Partner, die Demokratische Union, wieder gewonnen hätte. Das ist gar keine Frage. Ich bin Ende Dezember in Polen gewesen und habe dort auch mit Vertretern der neuen Regierung gesprochen. Mein Eindruck ist, daß es in Polen über die Parteigrenzen hinweg einen großen Konsens darüber gibt, in die NATO zu kommen. Darüber sollten wir uns freuen und das auch in der jetzigen politischen Situation nutzen.
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Ich sprach von den verschiedenen Risiken, die doch etwas größer sind, wenn man bedenkt - Herr Kollege Schäfer, lassen Sie mich das noch hinzufügen -, daß es in Rußland nach wie vor noch 30 000 nukleare Sprengköpfe gibt. Angesichts dessen ist das Gefahrenpotential von nationalistischen Exzessen wohl doch etwas stärker.
Es gibt jedoch auch andere besorgniserregende Entscheidungen in Rußland. Zum Beispiel ist im letzten Oktober beschlossen worden, die russischen Streitkräfte dramatisch auf eine Stärke von 1,5 Millionen Mann zu verringern. Dieser Beschluß ist Ende des letzten Jahres auf stille Art und Weise zurückgenommen worden. Das heißt, wir werden in absehbarer Zeit ein Heer von über zwei Millionen Personen haben.
Hat das überhaupt keine Wirkung? Gehen wir über solche doch ganz wesentlichen Entscheidungen einfach so hinweg, als ob sie uns nichts angingen? Sind das künstliche Feindbilder, wenn wir davor warnen, daß sich in Moskau wieder andere Kräfte durchsetzen? Ich glaube, nicht. Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen.
Wir müssen vor allen Dingen auch ernst nehmen, daß Herr Schirinowski auch im Offizierskorps ganz große Unterstützung genießt.
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- Auch bei den einfachen Soldaten.
Aber die Tatsache, daß sich das Militär mit diesem Kurs zu einem ganz großen Teil identifiziert, kann uns nicht ruhig schlafen lassen. Ich finde, wir sollten natürlich alles tun, um den Versuch zu unternehmen, Moskau auch weiterhin in unsere europäischen Institutionen einzubinden. Aber wir wären unrealistisch, wenn wir andere Eventualfälle einer schlimmeren Entwicklung von vornherein ausschließen würden.
Herr Schirinowski ist neulich von dem sonst sehr geschätzten Herrn Leonhardt als die Karikatur eines Faschisten bezeichnet worden. Ich finde, das ist eine wirkliche Verharmlosung. Auch Hitler, bei allen Unterschieden, die es natürlich gibt, hat einmal als die Karikatur eines Faschisten angefangen. Wir wissen alle, was daraus geworden ist.
Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß dort in Moskau jemand mit einer ansehnlichen Anhängerschaft und einem starken Gewicht im Parlament sitzt, der sozusagen fast allen Staaten dieser Welt inzwischen den Krieg erklärt hat. Mir ist nicht wohl, daß dort einer sitzt, der hier mit Rechtsradikalen anbändelt.
Mir ist auch nicht wohl dabei, wenn ich sehe, wie manche auch bei uns anfangen zu sagen, mit dem müsse man sich auseinandersetzen. Und andere sagen, so schlimm sei das alles gar nicht. Nein, wir dürfen Herrn Schirinowski nicht verharmlosen, und zwar vor allen Dingen deshalb nicht, weil er natürlich einen Einfluß auf die heutige russische Regierung und russische Politik haben wird.
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Herr Jelzin wird alles tun, um ihm ein bißchen Wind aus den Segeln zu nehmen. Also wird der russische Kurs nationaler werden. Wir tun jedenfalls gut daran, das als Möglichkeit nicht gleich auszuschließen. Wir dürfen Moskau nicht erlauben, die „ SchirinowskiKarte " zu spielen und bei jeder Gelegenheit zu sagen: Wenn ihr nicht das tut, was wir wollen, dann stärkt ihr die Nationalisten und Faschisten bei uns.
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Wenn wir dieser Art der Argumentation auf den Leim gehen - ich freue mich über die Zustimmung, Frau Kollegin Schulte -, dann machen wir, glaube ich, einen großen Fehler.
Die Formel für die nächsten Jahre muß anders lauten. Sie sollte wie folgt lauten: Je mehr in Rußland Reformkräfte die Oberhand haben, desto ruhiger und langfristiger können wir die NATO-Erweiterung gestalten. Je mehr aber in Rußland die Nationalisten die Oberhand gewinnen, je mehr Drohungen aus dem Kreml kommen, desto schneller und entschiedener müssen wir die NATO-Mitgliedschaft vorantreiben.
Jedenfalls ist doch eines klar: Weder heute noch in Zukunft darf der Schlüssel für die NATO-Erweiterung in Moskau liegen. Ich hätte mir in manchen Beiträgen gewünscht, daß dieses deutliche und klare Bekenntnis zu einem freien Europa, zu souveränen Staaten, die sich von niemandem unter Druck setzen lassen, ein
bißchen stärker heute hier zum Ausdruck gekommen wäre.
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Im Kalten Krieg haben wir widerstanden. Es gibt keinen Grund, jetzt, in einer Situation, wo Moskau schwach ist, denjenigen nachzugeben, die Schwäche in Drohungen verwandeln wollen.
Bei diesem Besuch in Polen, den ich im Dezember gemacht habe und über den ich soeben kurz sprach, habe ich auch mit Professor Geremek gesprochen, dem großen Kämpfer für die Solidarnosc, dem jetzigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses. Er hat gesagt: Es gibt ja sehr gute Gründe dafür, die NATO- Erweiterung nicht übers Knie zu brechen. Aber wenn diese Gründe als Ergebnis des Drucks aus Moskau erscheinen, dann ist das für uns Polen unerträglich. - Das kann ich vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen der Polen sehr gut verstehen. Ich glaube, wir sollten solche Ängste in Polen, aber auch in den anderen Ländern sehr ernst nehmen. Wir sollten diejenigen sein, die als Anwalt unserer osteuropäischen Partner auftreten.
Daß wir das nun mit der Unterstützung der amerikanischen Administration machen können, freut mich besonders; denn es hat ja Versuche gegeben, im Vorfeld des Gipfels, diese Initiative „partnership for peace" nicht als einen Schritt in Richtung NATO zu verstehen, sondern als eine Alternative zur NATO- Vollmitgliedschaft. Daß es gelungen ist, die amerikanischen Freunde davon zu überzeugen, daß das der falsche Weg wäre - daran hat die Bundesregierung, insbesondere der Verteidigungsminister, einen ganz wesentlichen Anteil.
Ich finde es richtig und gut, und es ist ja auch in Prag und Warschau und Budapest verstanden worden, daß wir diejenigen sind, die hier nicht Alleingänge machen, aber die hier auf der drängenden Seite sind. Ich finde, es stünde uns gut an, daß das so bleibt.
Wenn ich einen Satz noch zu Amerika sagen darf: Wir haben lange Zeit die Angst gehabt, Bill Clinton würde sich nur noch um den pazifischen Raum oder um die Gesundheitsreform oder um die Bekämpfung der Kriminalität kümmern, und Europa würde ihn nicht interessieren. Ich finde, mit seiner wirklich ausgezeichneten Rede in Brüssel, mit seinem sehr guten Auftreten jetzt in den letzten Tagen hat er gezeigt, daß das nicht der Fall ist.
Das ist etwas, was nicht nur in unserem Interesse liegt, sondern auch im Interesse der mittel- und osteuropäischen Staaten, die das wiederholt gesagt haben. Nur mit Amerika haben wir die Chance, das nach wie vor vorhandene große geopolitische Obergewicht Rußlands auszugleichen. Deshalb bleiben die Amerikaner gerade in Zeiten dramatischen Wandels willkommene Bündnispartner und Freunde.
Danke für die Aufmerksamkeit.
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Herr Kollege Dr. Eberhard Brecht, Sie haben das Wort,
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherigen Redebeiträge haben gezeigt, daß die Fraktionen dieses Hauses - ich meine jetzt nur die Fraktionen; damit das von Frau Kollegin Lederer nicht noch einmal mißverstanden wird - sich eigentlich einig sind in der positiven Bewertung des Brüsseler Gipfels und der beschlossenen Partnerschaft für den Frieden. Ich kann mich dem nur anschließen.
Bei so viel Harmonie gestatten Sie mir vielleicht eine kleine polemische Fußnote. Mich hat insbesondere das Bild des Außenministers beeindruckt, er wolle den Spalt zwischen Amerika und Europa nicht größer werden lassen. Ich begreife das so: Wenn Herr Kinkel schon Probleme zu haben scheint, seine eigene Partei zusammenzuhalten, will er sich nun erfolgreicher gegen die Kontinentaldrift stemmen.
Als ob sich Herr Rühe in bewährter Zusammenarbeit mit dem Außenminister darauf verständigt hätte, heute vorwiegend geologische Bilder zu verwenden, sprach er davon, daß nach dem Erdbeben von 1989 nun heute die Lava noch nicht erkaltet sei. Vielleicht ist es ja wirklich so, daß jedes Beben auf der Hardthöhe einen Vulkanausbruch mit Lavafluß im Auswärtigen Amt zur Folge hat.
Mit seiner Entscheidung hat sich das Bündnis nicht selbst übernommen. Es hat andererseits den mittel- und osteuropäischen Staaten den Weg nach Brüssel geebnet. Auf Grund der Äußerungen von Herrn Pflüger sage ich, daß auch Amerika stärker eingebunden wurde. Schließlich wurde vermieden, Moskau zu brüskieren. Wir Deutschen können zufrieden sein, denn es liegt in unserem Interesse, nicht auf die Dauer das östlichste Land des Westens zu bleiben. Unsere eigene Sicherheit ist auch von der Sicherheit unserer unmittelbaren Nachbarn im Osten abhängig.
Im Vorfeld des NATO-Gipfels haben eine Reihe von ost- und südosteuropäischen Staaten die Forderung nach einer raschen Aufnahme in die Allianz erhoben. Der polnische Präsident verlangte sehr vehement einen verbindlichen Zeitplan für die Aufnahme, Litauen stellte sogar einen Aufnahmeantrag. Auch heute im Plenum waren einige Argumente für diese Forderungen zu hören. Der Hintergrund dieser Bemühungen sind wachsende Sorgen der mittel- und osteuropäischen Länder über die Zunahme von Nationalismus mit imperialen Ansprüchen im ehemaligen kommunistischen Machtimperium und die damit verbundene Gefahr weiterer Sarajevos und Tuzlas.
Die MOE-Staaten fühlen sich insbesondere durch die Entwicklung in Rußland bedroht. Nationalistische und antiwestliche Töne werden lauter. Die Regierungskrise des vergangenen Jahres machte eine beunruhigende Labilität des Landes deutlich. Der Wahlerfolg und die Parolen eines Extremisten vom Schlage Schirinowskis tun ein übriges. Die damit verbundenen Sorgen sind auch unsere Sorgen. Niemand bestreitet ein legitimes Sicherheitsinteresse der MOE-Staaten angesichts eines instabilen und nuklear hochgerüsteten Rußlands.
Die Frage ist allerdings, ob eine rasche Osterweiterung der NATO die derzeit richtige Antwort ist. Ich glaube es nicht. Würde die alte NATO jetzt einfach weiter nach Osten, etwa an die Ostgrenze Polens,
geschoben, würden die Fronten des Kalten Krieges nur verändert und die anachronistische Teilung Europas in zwei Blöcke festgeschrieben. Dies wäre die unvermeidliche Konsequenz einer Sofortaufnahme einiger oder aller MOE-Staaten in die NATO, eine Konsequenz, die weder von ihnen selbst noch von uns gewünscht wird.
Es gibt weitere gewichtige Argumente, die eine erst später vollzogene NATO-Vollmitgliedschaft der MOE-Staaten und anderer Staaten im ehemaligen kommunistischen Machtbereich sinnvoll erscheinen lassen.
Erstens. Ich teile die Auffassung von NATO-Generalsekretär Wörner, der jene Paniktöne zurückweist, die unseren östlichen Nachbarn eine Katastrophe prognostizieren, falls man ihnen nicht sofort eine Sicherheitsgarantie gibt. Mir ist wirklich keine Bedrohungsanalyse bekannt, die eine sofortige Sicherheitsgarantie für notwendig hält. Damit ist der immer wieder postulierte Zeitdruck zu relativieren.
Gerade die Situation in Rußland wird häufig überzeichnet. Es gibt dort nicht nur bedenklich stimmende Entwicklungen. Man muß sich doch auch einmal in Erinnerung rufen, in welchem Maß sich Rußland in den letzten Jahren verändert hat. Kein Land baut auf Grund völkerrechtlicher Verträge mehr konventionelle Waffen, mehr Panzer, Kampfflugzeuge und Hubschrauber, Artilleriesysteme und andere gepanzerte Fahrzeuge ab als Rußland. Dies gilt auch angesichts der Einschränkung, die eben von Herrn Kollegen Pflüger gemacht worden ist, daß die 1,5-Millionen-Grenze für die Stärke der russischen Streitkräfte nun unterlaufen wird.
Der KSE-Vertrag aus dem Jahr 1991 verpflichtet Rußland nicht nur zur Abrüstung, sondern auch zur Öffnung seiner Kasernen, seiner Truppenübungsplätze und im Rahmen von „open sky" seines Himmels. Die Staaten des Westens sind so über militärische Bewegungen im Land besser informiert als je zuvor. Auf Grund dieser Verträge hat Rußland die Fähigkeit zu Überraschungsangriffen verloren. Daher sind die Streitkräfte des heutigen Rußlands nicht mehr mit dem Drohpotential der alten Sowjetunion vergleichbar. Ich stimme Ihnen zu, Herr Pflüger, daß man natürlich neu nachdenken muß, wenn sich die Situation dort verschärft. Aber ich glaube, man kann nicht von vornherein mit dieser Option in die Betrachtung hineingehen, wie schnell die Allianz erweitert werden soll.
Auch in politischer Hinsicht hat die von Moskau ausgehende Bedrohung im Vergleich zu früheren Zeiten merklich abgenommen. Wo früher der Export des Kommunismus und die Weltrevolution zu den Zielsetzungen der sowjetischen Herrschaft gehörte, strebt die gegenwärtige russische Regierung Demokratie und Marktwirtschaft an. Eine neue demokratische Verfassung wurde beschlossen, und nach den ersten freien und demokratischen Wahlen ist der Anteil der nichtdemokratischen Kräfte im Parlament im Vergleich zum Kongreß der Volksdeputierten vorher deutlich gesunken - das ist einfach eine
Tatsache, die man auch einmal zur Kenntnis nehmen muß -,
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trotz des Wahlerfolges von Herrn Schirinowski.
Niemand kann ausschließen, daß die Demokratie in diesem Land scheitert. Diese Skepsis ist aber auch im Falle anderer Staaten des früheren kommunistischen Einflußbereichs angebracht. Solange berechtigte Chancen bestehen, daß sich der demokratische Prozeß in Rußland weiterentwickelt, sollten wir keinen neuen Feind an die Wand pinseln.
Zweitens. Für die innenpolitische Wirkung einer Osterweiterung der NATO in Rußland gibt es zwei Hypothesen. Manche glauben, daß ein lockerer Gürtel von NATO-Staaten um Rußland herum einen Abschreckungseffekt auf russische Nationalisten zeigen würde. Ich selbst aber befürchte im Gegensatz zu Herrn Pflüger, daß jedes Gefühl der Isolierung oder gar Bedrohung den russischen Nationalismus vereinen und stärken und gleichzeitig die Position der Demokraten schwächen würde. Damit würde sich die ursprüngliche Absicht, nämlich eine Verbesserung der Sicherheitssituation der Beitrittskandidaten, gerade in ihr Gegenteil verkehren.
Die NATO-Staaten haben heute mehr Möglichkeiten als früher, den künftigen Kurs Rußlands mitzuprägen und dazu beizutragen, daß sicherheitspolitische Probleme mit seinen Nachbarstaaten auf kooperative Weise gelöst werden. Der abschlußreife Vertrag über die Vernichtung des Kernwaffenpotentials der Ukraine zwischen diesem Land, Rußland und den USA verdeutlicht dies sehr eindeutig.
Drittens. Es scheint derzeit keine Bereitschaft der Bündnispartner zu geben, für die Sicherheit der Staaten des früheren kommunistischen Imperiums zu garantieren.
Viertens. Unabhängig vom Wollen der Bündnispartner habe ich ernste Zweifel daran, daß die NATO kurzfristig in die Lage zu versetzen ist, im Ernstfall die MOE- oder die baltischen Staaten zu verteidigen. Was ist eine Sicherheitsgarantie wert, die nicht einzuklagen ist?
Überhaupt beunruhigen mich viele wohlgemeinte, aber kaum einlösbare Zusagen für Osteuropa und die GUS-Staaten. Als Ostdeutscher weiß ich, welche psychologischen Auswirkungen die kritiklose Bestätigung eigener Wunschvorstellungen haben kann.
Fünftens. Der durch eine schnelle NATO-Integration entstehende Zeitdruck bei der Umrüstung der osteuropäischen Armeen auf NATO-Standards würde die ohnehin fragile Wirtschaft der Transformationsländer stark belasten. Ich glaube umgekehrt, wir sollten vielmehr Sicherheit in Osteuropa durch wirtschaftliche Unterstützung gewähren, als im Prinzip hier noch eine zusätzliche Hypothek zu schaffen. Ich finde die Begriffsbildung, die Herr Klose vorhin gewählt hat, „partnership for development", sehr treffend.
Herr Kollege Brecht, darf ich Sie einen Moment für eine wichtige Mitteilung unterbrechen.
Die Geschäftslage hat sich insofern verändert, als die Aktuelle Stunde nunmehr kurz nach 13.00 Uhr, wenn wir mit der jetzigen Debatte zu Ende sind, beginnen soll. Da aber beispielsweise die Redner der Bundesregierung das nicht wissen, habe ich jetzt den Redner unterbrochen, damit für die Kolleginnen und Kollegen, die an der Aktuellen Stunde teilnehmen wollen, aber jetzt bei dieser Debatte nicht dabei sind, wenigstens noch 20 Minuten Zeit bleibt.
Vielen Dank, Herr Kollege Brecht. Bitte, fahren Sie fort.
Meine Damen und Herren, der Brüsseler Gipfel verzichtete auf die Unterscheidung, welches postkommunistische Land man integrieren und mit welchem man nur kooperieren will. Und man vermied die Benennung eines Zeithorizonts für die NATO-Erweiterung, für die sich im Prinzip alle NATO-Partner ausgesprochen haben. Ich tue dies auch. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, daß viele Fragen nicht nur nicht beantwortet, sondern auch gar nicht gestellt wurden. Wie wird denn nun jener Zeitpunkt abgepaßt, an dem eine Osterweiterung der NATO opportun ist? Welches sind denn die Kriterien, nach denen die Beitrittskandidaten auf ihre Bündnisfähigkeit geprüft werden? Wie soll verhindert werden, daß nach Aufnahme einiger MOE-Staaten die Einflußsphärenpolitik von Jalta eine Renaissance erfährt und sich die NATO zum Bollwerk gegen Rußland oder gar umgekehrt versteht? Wie wird den Sicherheitsinteressen jener postkommunistischen Staaten Rechnung getragen, die der NATO nicht beitreten können oder wollen? Es gibt derzeit wohl niemanden, der ein überzeugendes Modell europäischer Sicherheit in der Tasche trägt, das diese und ähnliche Fragen befriedigend beantwortet.
Zur Hausaufgabe der NATO-Partner und der künftigen Unterzeichner von „partnership for peace" gehört nicht nur die Umsetzung der geplanten weitreichenden Zusammenarbeit, sondern auch die Entwicklung von Vorstellungen über die Weiterentwicklung dieser Kooperation. Dabei muß man realistischerweise davon ausgehen, daß es in Europa auch künftig - also auch nach der Aufnahme der ersten postkommunistischen Staaten in die NATO - Regionen unterschiedlicher Sicherheit geben wird. Diese unvermeidbare Heterogenität darf jedoch nicht zur Labilität führen. Ich warne daher vor einer isolierten NATO-Erweiterung.
Eine NATO-Ausdehnung nach Osten wird nur dann zu mehr Sicherheit führen, wenn parallel dazu eine gesamteuropäische Sicherheitspartnerschaft aufgebaut wird. Europa braucht ein gemeinsames System kollektiver Sicherheit, das binnengerichtet und kompatibel zur NATO ist, also zu einem vorrangig gegen äußere Aggression gerichteten Bündnis kollektiver Verteidigung.
Ein dauerhafter Friede wird nur über einen Interessenausgleich und kollektive Sicherheit statt einseitig kollektive Verteidigung möglich werden. Die stiefmütterlich behandelte KSZE - und hier kann ich dem Optimismus des Außenministers nicht folgen - bedarf einer Revitalisierungskur, mehr Kompetenz und Verbindlichkeit bei der Streitschlichtung, weniger Tagungen und wohltönender Resolutionen und
dafür mehr Konfliktprävention und Konfliktbegrenzung.
Und schließlich ist zu definieren, in welcher Form KSZE und NATO miteinander kooperieren.
Ich selbst plädiere dafür, „partnership for peace", die NATO selbst und die KSZE als Bausteine für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem zu verwenden und nicht ausschließlich auf die Option NATO-Erweiterung zu setzen.
Ich bedanke mich.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Ortwin Lowack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da hat wieder einmal ein Rat in Brüssel getagt. Und der Propagandaaufwand der Akteure steht in einem auffälligen Mißverhältnis zu den Ergebnissen. Vor allen Dingen die Europäer haben restlos versagt. Wo ist eigentlich der Aufschrei in Brüssel und die Aufforderung, endlich das Drama in Bosnien zu einer Angelegenheit der Europäer zu machen, die es nämlich ist? Wo verlangt man die Rekrutierung von Freiwilligen, die bereit sind, die UN-Hilfskonvois zu bewachen und so zu bewachen, daß endlich klargestellt ist, daß sich Europa und seine Werte nicht in dieser Art und Weise vorführen lassen?
Und ich frage mich: Wo ist die Perspektive für die mittelosteuropäischen Lander, wenn man nur noch blumige Antworten hat, so wie es auch von den mittelosteuropäischen Ländern empfunden wird?
Und, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wie kann es kommen, daß ein in außen- und sicherheitspolitischen Fragen völlig unerfahrener amerikanischer Präsident, gewissermaßen ein Greenhorn in diesen Bereichen, auf einmal zum Heilsbringer hochstilisiert wird und daß man dankbar anerkennt, daß die Amerikaner wieder bereit sind, endlich die Führungsrolle zu übernehmen? Es muß ja nicht so sein wie in den 50er Jahren, daß ein Teil der amerikanischen Politik mit dem damaligen Bundeskanzler von Deutschland aus mit geleitet und mit bestimmt wurde, aber ein bißchen mehr von dem Angebot der Amerikaner, das ja schon fünf Jahre zurückliegt, der „partnership in leadership" hätten eigentlich die Europäer zeigen können.
So erleben wir heute das Drama, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und Rußland das europäische Kaninchen lähmen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte klarstellen: Ich bin sowohl ein Freund Amerikas als auch ein Freund Rußlands. Nur, wir können in der jetzigen Situation die Entscheidung darüber, wie die NATO in der Zukunft aussehen soll, nicht der russischen Politik überlassen. Auch Rußland muß wissen, was Europa will. Die Entscheidung, die man heute aufschiebt, wird nur immer schwieriger, je mehr sich bestimmte Kräfte in Rußland etablieren, von denen wir eigentlich gehofft hatten, daß sie sich in dieser Form nicht mehr zusammenfinden würden.
Noch etwas: Meines Erachtens hat dieser sogenannte Gipfel etwas völlig außer acht gelassen, was eigentlich im Zusammenhang mit der NATO gesagt werden muß. Das nordatlantische Bündnis ist doch weit mehr als eine militärische Organisation. Es ist eine politische Gemeinschaft; es ist eine Wertegemeinschaft; es hat Ansätze zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft. In diesem Bereich hat der Brüsseler Gipfel überhaupt nichts Perspektivisches gebracht. Wir könnten viel weiter gehen, viel mehr machen, ohne daß man die Beschlüsse angreifen könnte.
Wie war es denn in der Vergangenheit dort, wo man mit etwas Pragmatismus unendlich viel Gutes hätte bewirken können, indem man die mittel- und osteuropäischen Länder in ihrer Waffentechnik unabhängiger macht und ihnen damit überhaupt erst ermöglicht, eine souveräne Landesverteidigung aufzubauen? Hier haben wir nichts gemacht. Fragen wir die Ungarn, fragen wir die Tschechen und andere, wie wir sie im Regen haben stehen lassen! Dort hätte die NATO etwas machen können. Dort versagt sie.
Wie ist der Zustand der Bundeswehr? Wie schaut es denn bei uns aus? Was Generationen von Soldaten und Mitarbeitern der Bundeswehrverwaltung mit unglaublichem Idealismus und Engagement an Sicherheit aufgebaut haben, wird in kürzester Zeit verspielt. Eine Armee braucht einen klaren politischen Auftrag. Sie braucht die beste Ausbildung und nicht eine halbherzige Ausbildung. Sie braucht die beste Ausrüstung, mit der sie technologisch an der Spitze steht, und nicht eine mittelmäßige Ausrüstung, mit der sie sich nicht verteidigen könnte, wenn es darauf ankäme. Sie braucht vor allen Dingen eine Perspektive für die Soldaten und eine Perspektive für deren Familienangehörige, damit die große Beruhigung und Überzeugung da ist, die der Soldat nun einmal braucht, wenn er sein Land verteidigen soll.
Wir müssen auch begreifen, daß der Frieden nichts Statisches ist, den man durch Kabinettspolitik herbeibeschwören könnte. Der Frieden ist etwas Dynamisches, der jeden Tag erhalten werden muß, um den wir uns jeden Tag bekümmern müssen. Es ist nicht zuletzt eine Frage der Verteidigungsbereitschaft einer Bevölkerung und der Verteidigungsfähigkeit einer Bundeswehr.
Wer das nicht sieht, wird niemals den Frieden schaffen können, den wir brauchen, um wirklich Zukunft zu haben. Wir werden das nicht schaffen, wenn wir nicht erkennen, daß wir tatsächlich nur mit dem Frieden für die Menschheit unendlich viel mehr tun können als heute.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was mich an der Diktion dieser Bundesregierung sehr betroffen gemacht hat: Die Wahrheit in diesem Parlament und in diesem Land zu sagen gilt bereits als extremistisch. Man hat sich an eine Wahrheit gewöhnt, die nur noch teilweise die Wahrheit ist, und behauptet, das sei sie. Jeder, der die Dinge, die angesprochen werden müssen, wirklich beim Namen nennt, wird bereits in ein extremes Lager abgedrängt.
So sollten wir nicht diskutieren und debattieren. Ich bitte Sie sehr herzlich: Fordern Sie klare Entscheidungen, fordern Sie auch mehr Selbstbewußtsein und
Interessenbezogenheit unserer gemeinsamen Verteidigungspolitik!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung in der NATO und um die NATO herum zeigt, wie notwendig nach wie vor eine konsequente Friedenspolitik ist. Die Friedensbewegung hat nicht ausgedient. Sie ist gefordert wie nicht mehr seit dem sogenannten Nachrüstungsbeschluß vor mehr als zehn Jahren.
Die NATO schickt sich an, die Bindung an den Verteidigungsauftrag zu verlassen. Schnelle Eingreifverbände bzw. sogenannte Krisenreaktionskräfte sollen außerhalb des NATO-Vertragsgebietes eingesetzt werden können. Der Unterschied zwischen friedenserhaltenden Blauhelmeinsätzen und friedensschaffenden Militärinterventionen soll durch ein Konzept des sogenannten „peace support", der Friedensunterstützung, verwischt werden.
Daß nicht mehr nur die UN, die Vereinten Nationen, und die KSZE derartige Einsätze autorisieren dürfen, daß also die NATO, die im wesentlichen ein Zusammenschluß reicher Industrienationen mit weltweiten Wirtschafts- und Handelsinteressen ist, von sich aus derartige Out-of-area-Aktionen starten darf, zeigt die ganze Brisanz dieser Entwicklung auf.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung gegen die deutsche Verfassung verstößt, die sie zu schützen verpflichtet ist. Diese Verfassung läßt Militäreinsätze nämlich nur zur Verteidigung zu. Sie verbietet den Angriffskrieg und gestattet lediglich den Anschluß an ein System kollektiver Sicherheit, nicht jedoch den Anschluß und die Mitwirkung in einem System kollektiver weltweiter Interventionsfähigkeit.
Es zeigt sich, was für ein riesiger Fehler es war, nicht sofort nach dem Ende der Systemkonfrontation mit konsequenter Abrüstung und mit dem Abbau der NATO zu beginnen. Die Aufrechterhaltung der militärischen Stärke Deutschlands und der NATO, wie sie in der Zeit des Kalten Krieges mit ungeheurem finanziellen und industriell-technischem Aufwand realisiert wurde, erweist sich nunmehr als grundlegend falsche politische Entscheidung allerersten Ranges und leider auch mit sehr, sehr vielfältigen problematischen Auswirkungen.
Der Druck der Interessen, die sich an die NATO und den militärisch-industriellen Komplex in Europa und Nordamerika knüpfen, führt nunmehr zur weltweiten militärischen Interventionspolitik und zu einer neuen Stufe der Militarisierung der internationalen Politik überhaupt. KSZE und Europäische Union werden von der NATO regelrecht aus ihren Funktionen gedrängt. Eine unabsehbare Konfrontation mit dem instabilen Rußland wird aufgebaut, statt ihm und den anderen neuen ost- und südosteuropäischen Demokratien Sicherheit im Rahmen der KSZE zu geben.
Was den Herrn Schirinowski betrifft: Ich weiß nicht, ob es so richtig ist, seine Bramarbasiererei, sein idiotisches Drohgerede so ernst zu nehmen. Nein, die
Parallele zu Hitler und die Gefahr im Zusammenhang damit ist vielleicht doch noch etwas anders. Außer in Rußland hat dieser russische Nationalist eine größere Fangemeinde wohl vor allem an deutschen Stammtischen, an denen sich manch einer sagt: Endlich ist da jemand, der für Rußland das sagt, was wir für Deutschland denken oder denken wollen. Vergessen wir nicht: In diesem Land ist mit Hitler einmal ein Schirinowski hoch zehn durch Wahlen, durch den Willen der Bevölkerung an die Macht gekommen. Vergessen wir nicht: Hitler mußte noch nicht einmal putschen! Die Gefahr ist nicht die Bedrohung durch den Herrn Schirinowski und seine Anhänger. Die Gefahr ist der Prozeß des weiteren Driftens nach rechts des Bewußtseins größerer Teile der Bevölkerung in diesem Lande. Auch das muß in diesem Zusammenhang klar und deutlich gesehen werden.
Die Militarisierung der Politik, vor allem der Außenpolitik, wird mit den Ergebnissen des NATO-Gipfels weiter vorangetrieben. Das habe ich bereits gesagt, und es ist auch verschiedentlich vor mir schon angesprochen worden. Da paßt ebenso ins Bild, daß die deutschen Rüstungsexportbeschränkungen abgebaut werden sollen, obwohl Deutschland inzwischen Frankreich und Großbritannien als Rüstungsexporteure überholt hat. Das besonders Infame an der Politik dieser Bundesregierung ist, daß sie mit sozialer Demontage den Druck auf die Arbeitslosen, deren Zahl geradezu explosionsartig steigt, erhöht und zugleich ausgerechnet im Rüstungsexport neue Beschäftigung schaffen will. So trägt man dazu bei, daß eine Bevölkerung weiter korrumpiert wird, die in weiten Bereichen militärische Stärke eh bewundert.
Unmoralischer und unverantwortlicher kann Politik nach meiner Auffassung kaum mehr verfahren. Es wird allerhöchste Zeit, daß diese Bundesregierung durch eine andere, durch eine hoffentlich bessere abgelöst wird, die einen konsequenten Abbau der militärischen Präsenz Deutschlands und der NATO betreibt.
Herr Kollege Briefs, darf ich Sie einen Moment unterbrechen.
Herr Präsident, bitte, ich erteile Ihnen das Wort.
Das Haus hat sich inzwischen an Ihre Gewaltsprache gewöhnt.
({0})
Es hört Ihnen kaum jemand zu. Da alle amtierenden Präsidenten bei anderen Rednern - denen zugehört wird - sehr viel strenger mit der Ausdrucksweise umgehen, wäre mein Rat, Herr Kollege Briefs, die aggressive Polemik in der Sprache ein Stückchen abzubauen. Das würde Ihrer Argumentation möglicherweise eher zur Seriosität verhelfen.
({1})
Herr Präsident, ich will hier keine Auseinandersetzung. Die darf man in
diesem Zusammenhang sowieso nicht führen. Aber wenn die Dinge so sind und wenn sich die wahren politischen Verhältnisse und das, was hier im Hause langsam diskutiert wird - hier muß man ein bißchen weiterdenken -, so entwickeln, dann ist es durchaus richtig und angemessen, das mit den entsprechenden Begriffen zu bezeichnen und die Zusammenhänge anzusprechen. Ich glaube, es geht einfach nicht anders.
Diese Politik ist unmoralisch. Sie ist nicht verantwortungsvoll; das sage ich noch einmal ganz deutlich. Es geht nicht, auf der einen Seite Sozialabbau, soziale Demontage zu betreiben und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, daß z. B. gerade in Bereichen wie dem Rüstungsexport - das sagt man dann so - neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, Beschäftigung geschaffen werden soll. Ob es tatsächlich so kommt, ist eine andere Frage. Darüber müßte man eine ganz andere Debatte führen.
Es wird allerhöchste Zeit - das sage ich nochmals gerade vor dem Hintergrund dieses heutigen Themas -, daß diese Bundesregierung durch eine andere, durch eine bessere abgelöst wird, die - ich sage es noch einmal - als eines ihrer hauptsächlichen Ziele einen konsequenten Abbau der militärischen Präsenz Deutschlands, die ja völlig überzogen ist, Abbau auch in der NATO verfolgen muß und die gleichzeitig einen Ausbau der ausgleichs- und sicherheitsfördernden Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und der Hilfe der Europäischen Union für Ost- und Südosteuropa unterstützt.
Damit werden zugleich Mittel - das ist in diesem Zusammenhang auch zu sehen - für die riesigen sozialen und wirtschaftlichen Probleme dieses Landes freigemacht.
Verantwortungsvolle Friedenspolitik statt des Spiels mit dem Feuer weltweiter militärischer Interventionsfähigkeit muß weiterhin das Ziel verantwortungsvoller deutscher Politik sein.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Ich schließe die Aussprache und rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zu Vorstellungen über die Lockerung der Rüstungsexportpolitik
Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Hermann Bachmaier das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß es im Bundestag und in der Wirtschaft schon immer starke Kräfte gab, denen eine wirksame Rüstungsexportkontrollpolitik ein Dorn im Auge war, ist uns allen hinlänglich bekannt. Daß diese Kreise natürlich im Zeichen der Wirtschaftskrise ihre Stunde gekommen sehen, um ihren altbekannten Forderungen wieder zum Durchbruch zu verhelfen, konnte auch unschwer vorhergesehen werden.
Es war deshalb nicht verwunderlich, daß vor allem die derzeitig laufenden Gespräche zur Harmonisierung des europäischen Rüstungsexportkontrollrechts im Dual-use-Bereich dafür herhalten müssen, den so mühsam erkämpften deutschen Standard wieder aufzuweichen.
({0})
Noch mehr deutsche Waffen und Rüstungstechnologien sollen ungehinderter als bisher exportiert werden können. Dabei schert es diese Kräfte offensichtlich wenig, daß wir schon heute nach den Feststellungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI einen Spitzenplatz unter den Waffenexporteuren der Welt einnehmen. Offensichtlich plagen diese Interessenvertreter auch keine Skrupel, mit deutschen Waffen und Technologien zur Verschärfung von Krisen und zum Ausbruch von Kriegen einen unverzichtbaren Beitrag zu leisten.
({1})
Mittlerweile geht aber die Diskussion, zuletzt entfacht vom CDU-Kollegen Lamers, weit über die mit der europäischen Harmonisierung des Dual-useBereichs zusammenhängenden Probleme hinaus. Herr Staatsminister Bohl hält es, unterstützt von anderen, schon für nötig, die rüstungsexportpolitischen Grundsätze der Bundesregierung vom April 1982 in Frage zu stellen und weitere Erleichterungen für Rüstungskooperationen zu fordern, obwohl doch gerade im Kooperationsbereich dringend Einschränkungen statt Erweiterungen geboten sind.
Da haben wir nach den bitteren Erfahrungen mit den aufgedeckten Nuklearexporten nach Pakistan, der illegalen Lieferung einer ganzen Giftgasfabrik nach Libyen und der geradezu makabren Ausstattung Saddam Husseins mit Nuklear- und Chemiewaffentechnologien endlich eine wenigstens leidliche Verbesserung der deutschen Rüstungsexportkontrollvorschriften und -kontrollmechanismen erreichen können - mit dem Ergebnis, daß sie, kaum geschaffen, jetzt schon wieder zur Disposition gestellt werden sollen.
({2})
Haben denn all diejenigen, die schon wieder einer Ausweitung des Waffen- und Rüstungsexports so lautstark das Wort reden, völlig vergessen, welche Schuld wir auf uns laden, wenn mit deutschen Massenvernichtungstechnologien und konventionellen Waffen Konflikte verschärft und Kriege entfesselt werden?
Haben Sie, meine Damen und Herren vor allem von der CDU/CSU, auch vergessen, welches Maß an Argwohn und Mißtrauen uns Deutschen entgegenschlug, als während des Golfkriegs die tödlichen Geschäfte, in die deutsche Firmen verwickelt waren, an das Licht der Öffentlichkeit kamen? Derartige Skandale können wir uns auch aus außen- und wirtschaftspolitischen Gründen nicht mehr leisten. Durch eine Ausweitung der Rüstungsexporte wären aber Verstrickungen in gegenwärtige und zukünftige Krisen und Kriege vorprogrammiert.
Natürlich haben wir auch die Stimmen derjenigen aus der Koalition vernommen, die davor warnen,
unser exportpolitisches Heil in einer Ausweitung der Rüstungsexporte zu suchen.
({3})
Wir können nur hoffen, daß ihre Appelle nicht ungehört verhallen. Wir Sozialdemokraten sind sicher, daß eine Ausweitung der deutschen Rüstungsexporte dem Ansehen unseres Landes in der Welt den denkbar größten Schaden zufügen wird. Wir treten daher aus moralischen, aber auch aus außenpolitischen und wirtschaftspolitischen Gründen dafür ein, Rüstungsexporte nicht auszuweiten, sondern weiter einzuschränken.
Wir fordern die Bundesregierung mit Nachdruck auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um bei den gegenwärtig laufenden europäischen Harmonisierungsgesprächen eine Absenkung des Kontrollniveaus im höchst gefährlichen Dual-use-Bereich zu verhindern.
({4})
Wir müssen endlich die Konsequenz ziehen aus der Tatsache, daß Frieden nicht mit immer mehr, sondern nur mit immer weniger Waffen geschaffen werden kann.
Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Gewerkschaften und Betriebsräten, die einen wirksamen Schutz ihrer Arbeitsplätze nicht in der Kriegswaffenproduktion, sondern in der Herstellung von hochwertigen friedlichen Produkten sehen. Schauen Sie auch einmal, wie es Japan macht. Dort wird, wenn eine Wirtschaftskrise ansteht, nicht sofort wieder nach einer Ausweitung von Rüstungsexporten gerufen. Dort hat man erkannt, daß dies kein Weg aus der Krise ist.
({5})
Als nächster hat der Kollege Peter Kittelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Art und Weise, wie die Sozialdemokraten diese Aktuelle Stunde inszenieren wollen, zeigt, daß sie die eigentlichen Probleme verantwortlicher Exportpolitik
({0})
entweder nicht begriffen haben oder sie unter böswilliger Diffamierung der Bundesregierung nur zu Wahlkampfzwecken mißbrauchen möchten.
({1})
Der Versuch, ein eigenes sachgerechtes Konzept
schlicht durch Empörung, Herr Duve, oder Pauschalurteile, Herr Bachmaier, zu ersetzen, macht die ganze Regierungsunfähigkeit dieser Partei deutlich.
({2})
Die Presseerklärungen, die Sie in den letzten Tagen abgegeben haben, lassen an Peinlichkeit, an Verdrehung, an böswilligen Unterstellungen wirklich nichts zu wünschen übrig. Ich bin sicher, daß selbst sehr engagierte linksstehende Journalisten davon langsam die Nase voll haben.
({3})
Ich hoffe, daß auch die deutsche Wirtschaft sehr aufmerksam zuhört, was Herr Bachmaier gesagt hat und was die übrigen Redner der SPD hier alles noch von sich geben werden.
({4})
Bei all den Emotionen und Aufgeregtheiten, die die Beiträge der Opposition in der heutigen Debatte gekennzeichnet haben und noch kennzeichnen werden,
({5})
halte ich es für notwendig, daß wir noch einmal klarstellen, um was es in der heutigen Debatte in erster Linie geht.
({6})
Dabei steht nicht eine Änderung des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder der politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahre 1982 zur Debatte, wenngleich eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene für unsere Technologie und Wettbewerbsfähigkeit im Zuge unserer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik und im Binnenmarkt an sich langfristig und für bestimmte Bereiche auch kurzfristig eine pure Selbstverständlichkeit sein sollte.
Die vorrangige Aufgabe besteht aber zunächst einmal darin, gleiche Wettbewerbs- und Exportbedingungen in der Europäischen Union für solche Güter zu schaffen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, beispielsweise Fließdruckmaschinen, Pflanzenschutzmittel, bestimmte Stähle, ja sogar Lastkraftwagen. In den Diskussionen der letzten Tage ist zuviel durcheinandergegangen, von Ihnen bewußt gewollt.
Besonders im Bereich der Dual-use-Güter führt das Fehlen einer einheitlichen europäischen Regelung zu gravierenden Wettbewerbsnachteilen. Eine Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Verbänden der Wirtschaft und betroffenen Unternehmen im Dezember 1993 hat deutlich gemacht, daß das deutsche Außenwirtschaftsrecht für diesen Güterbereich mit weitgefaßten Auffangtatbeständen und Generalklauseln, die auch Dienstleistungen und Ersatzteillieferungen betreffen, der gegenwärtigen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft nicht mehr angemessen ist. Viele schädliche und nicht gerechtfertigte
Auswirkungen im Dual-use-Bereich waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Bestimmung nicht absehbar; denn es mußte schnell reagiert werden. Heute hingegen ist offenkundig, daß es höchste Zeit ist für eine einheitliche Exportkontrollpolitik in der Europäischen Union. Die nationalen Sonderregelungen müssen weitestgehend ausgeschlossen werden.
Die CDU/CSU begrüßt, daß als eine der ersten Reaktionen auf die Anhörung bei den zuständigen Bundesressorts - dem Wirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt - das Problembewußtsein weiter geschärft wurde und die Bundesregierung in den Harmonisierungsverhandlungen in Brüssel Kompromißbereitschaft zeigt. Von Geheimverhandlungen, wie sich die leider nicht anwesende Kollegin Wieczorek-Zeul geäußert hat, kann hier keine Rede sein, es sei denn, sie liest keine Zeitungen oder verfolgt die Politik nicht, die in den letzten Monaten hier öffentlich dargelegt wurde.
Die Bundesregierung verdient viel Lob und Anerkennung für ihren zähen und unermüdlichen Einsatz gegenüber den elf Partnerstaaten für einheitliche Ausfuhrvorschriften und Kontrollen, die dem hohen deutschen Standard entsprechen.
Meine Damen und Herren, in den internationalen Harmonisierungsverhandlungen kann aber niemand seine Vorstellungen per Diktat durchsetzen, wie die SPD und die GRÜNEN es anscheinend wollen. Es würde wenig helfen, die Augen vor der Wirklichkeit unserer EU-Partner zu verschließen. Insbesondere Frankreich und Großbritannien haben da ihre eigene Politik.
Meine Damen und Herren, es ist erforderlich, darüber nachzudenken, wieweit unsere nationalen Bestimmungen im Dual-use-Bereich unverändert bleiben können. Die rasche Vereinheitlichung der Ausfuhrregelungen in Europa ist und bleibt eine vordringliche Aufgabe für die Europäische Union.
Ich bitte darum, von öffentlichen Schuldzuweisungen, Verunglimpfungen, Verdächtigungen, aber auch einer bornierten Vereinfachung, wie sie häufig vorgenommen wird, abzusehen. Sie werden der Bedeutung dieses Problems nicht gerecht.
Dort, wo die SPD für Wachstum und Arbeitsplätze verantwortlich ist - siehe Ministerpräsident Schröder -, wird ganz anders geredet als hier von einzelnen im Deutschen Bundestag.
({7})
Es fällt uns im übrigen auf, daß bei solchen Debattenbeiträgen die linke Garde der SPD-Fraktion das Wort ergreifen kann, während die anderen erst einmal ruhig zuhören und innerlich bereits längst überzeugt sind, daß die Politik, die die Bundesregierung hier verfolgt, richtig und für unsere Wirtschaft zwingend notwendig ist.
Schönen Dank.
({8})
Als nächster spricht der Kollege Klaus Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! In den letzten Tagen haben Probleme der Rüstungsexportkontrolle neue Aktualität erlangt; dies nicht zuletzt deswegen, weil sich das Bedrohungsszenario der letzten Jahrzehnte in jüngerer Zeit ganz erheblich gewandelt hat.
Dies wiederum hat zu fühlbaren Einbrüchen in der Nachfrage innerhalb des Bündnisses und damit zu einer schwierigen wirtschaftlichen Situation bei einer Reihe von Rüstungsunternehmen auch in Deutschland geführt. Hier stellen sich nun Fragen zur Kriegswaffenexportkontrolle allgemein, zur Rüstungskooperation innerhalb der Europäischen Union und zum Genehmigungsverfahren hinsichtlich der Dual-useGüter.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn für die F.D.P.- Fraktion feststellen, daß für uns nach wie vor die Grundsätze zur Rüstungsexportpolitik Gültigkeit haben, die im Jahre 1982 von der Regierung Schmidt/ Genscher aufgestellt worden sind.
({0})
Übrigens ist mir bis heute kein vergleichbarer Staat bekanntgeworden, der ähnlich restriktive Vorschriften erlassen hätte.
({1})
Meine Damen und Herren, die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere die Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Golfkrieg, haben zu einer weiteren Sensibilisierung hinsichtlich des deutschen Verhaltens sowohl im Inland als auch im Ausland geführt. Dem haben der Deutsche Bundestag wie auch die Bundesregierung mit zusätzlichen Restriktionen auf diesem Sektor Rechnung getragen, nicht zuletzt auch durch die Einrichtung des Bundesausfuhramts in Eschborn.
Nach wie vor trägt die Bundesregierung bei Kriegswaffenexporten die Verantwortung. Sie entscheidet über solche Exporte im Bundessicherheitsrat. Nach Auffassung meiner Fraktion sollte es zukünftig bei solchen Einzelfallentscheidungen auch bleiben. Eine Verlagerung der Verantwortung von der Exekutive auf den Bundestag scheint uns in keiner Weise zweckmäßig oder gar geboten.
({2})
Schwieriger für Deutschland wird es allerdings beim Export von Rüstungsgütern, die durch Rüstungszusammenarbeit mit Partnerländern der Europäischen Union hergestellt werden. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, daß diese Partnerländer nicht gewillt waren, die deutschen Standards für Kriegswaffenexporte nachzuvollziehen. Die der Bundesregierung hierbei verbliebenen Einflußmöglichkeiten sind nach meiner Auffassung als äußerst gering einzuschätzen.
Andererseits kann aber auf die Zusammenarbeit deutscher Rüstungsunternehmen mit Unternehmen in anderen Bündnisstaaten nicht verzichtet werden, wenn eine Mindestversorgung der Bundeswehr und
ein Mindestauftragsstand gewährleistet werden sollen.
Es bedarf auch nicht der Gabe der Prophetie, um vorauszusehen, daß die Bemühungen der Bundesregierung, der deutschen Seite hier ein Vetorecht beim Export zu sichern, wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft scheitern werden. Dies entpflichtet die Bundesregierung nach der Meinung der F.D.P.-Fraktion aber nicht, sich weiterhin für eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik einzusetzen und ihre Überzeugungsarbeit fortzusetzen.
Wenn ich in diesem Zusammenhang an die mehrfach vertretene Auffassung des früheren Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher erinnere, daß die Außenpolitik niemals zu einer Funktion der Rüstungspolitik degenerieren darf, so enthebt mich dies nicht der Aufgabe, auf die besonderen Schwierigkeiten hinzuweisen, die für deutsche Unternehmen und für den Arbeitsmarkt im Bereich der Ausfuhrkontrolle für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck - sogenannte Dual-use-Waren - entstanden sind. Hier hat die Bundesregierung die Meßlatte für die Genehmigungen auf Grund der Erfahrungen des Golfkriegs besonders hoch gelegt. Unser Land hat hier gar einen Kontrollstandard erreicht, der weit über dem aller vergleichbaren Industriestaaten, auch unserer Partner in der NATO und in der Europäischen Union liegt.
Meine Damen und Herren, trotz großer Bemühungen des Bundesausfuhramts werden uns Abgeordneten immer wieder Klagen der Wirtschaft über ein zögerliches Genehmigungsverfahren vorgetragen und auch unvertretbare Folgen dargestellt. Insbesondere der Werkzeugmaschinenbau ist hiervon betroffen; er hat in diesem Zusammenhang teilweise nicht akzeptable Erfahrungen machen müssen.
Deswegen unterstützt meine Fraktion nachdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung um die Harmonisierung der Ausfuhrkontrollen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir wissen, daß in Brüssel seit 1992 hierüber verhandelt wird.
Es ist schon jetzt abzusehen, daß die entsprechende EG-Verordnung zwar einheitliche Kontrollbestimmungen für die Ausfuhr von Dual-use-Waren aus der Gemeinschaft festlegt und gleichzeitig einen möglichst freien Intra-EG-Warenverkehr sicherstellt, daß aber unsere weitergehenden deutschen Regelungen auf EG-Ebene nicht verbindlich einzuführen sind. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich weiterhin für einen möglichst schnellen Abschluß der Verhandlungen einzusetzen.
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Abschließend möchte ich folgendes sagen. Es scheint mir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, allerdings schon jetzt voraussehbar zu sein: Ein Ergebnis, das sowohl unsere Partner der Europäischen Union wie des NATO-Bündnisses als auch die deutsche Wirtschaft wie ihre Arbeitnehmer und Unternehmer sowie die deutsche und die internationale Öffentlichkeit zufriedenstellt, wird es auch zukünftig nicht geben.
Vielen Dank.
({4})
Als nächste hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst vor drei Monaten debattierten wir in diesem Haus über die Rüstungsexportkontrollpolitik. Anlaß war die Besorgnis darüber, daß Deutschland auf einen der vorderen Plätze im Rüstungsexport aufgerückt ist, und die Feststellung, daß es trotz vieler guter Ansätze keine ausreichenden Garantien gegen eine Umgehung der Exportvorschriften gibt.
({0})
Nun vernehmen wir von Vertretern der Regierungskoalition und sogar aus dem Bundeskanzleramt Vorschläge zur Lockerung der Rüstungsexportvorschriften. Deutsche Standards sollen den einheitlichen europäischen Richtlinien angepaßt werden. Mit dem unverfänglichen Ausdruck „Harmonisierung" soll das, was im Geheimen zum Teil schon betrieben wurde - ich meine den verdeckten Rüstungsexport -, nun offiziell möglich gemacht werden.
Die Behauptung, daß die Bundesrepublik ihre wirksame und restriktive Waffenexportkontrollpolitik gegenüber ihren Partnern in der Europäischen Union nicht durchsetzen kann, ist eine Kapitulationserklärung. Ich behaupte: Es ist eine willkommene Kapitulationserklärung; denn über allen Ausflüchten und verkündeten Halbwahrheiten steht natürlich die Frage nach dem großen Geschäft.
Meiner Auffassung nach sind es folgende aktuelle Anlässe, die dazu führten, heute wieder die Frage nach einer Lockerung der Rüstungsexportvorschriften zu stellen.
Erstens ist es die Errichtung und Ausgestaltung des westeuropäischen Rüstungsmarktes im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. So besteht wohl die Ansicht, daß es nur über eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik möglich ist, den deutschen Einfluß auf Sicherheitspolitik und Militärstrategie der EU wirksam zu sichern. Ich bin durchaus für einen stärkeren deutschen Einfluß, aber bitte schön in diametral entgegengesetzter Richtung, d. h. in Richtung einer gesamteuropäischen restriktiven Rüstungsexportpolitik.
Zweiter Anlaß ist der in Aussicht stehende gewinnträchtige Waffenexport in die sogenannten Schwellenländer. Ich nenne als Beispiel Südkorea, Taiwan und Indonesien. Nach Auffassung des Verteidigungsministeriums sollten sie heute schon analog den NATO-Staaten behandelt werden, obwohl es sich meines Erachtens um eindeutige Spannungsgebiete handelt.
Dritter Anlaß ist das weltweite Zurückbleiben der Bundesrepublik im Export der sogenannten Dualuse-Produkte. Das waren, um in Bildern zu sprechen, die Nuklearexporte nach Pakistan, die Giftgasfabrik in Libyen und der Export der Nuklear- und Chemiewaffentechnik an den Irak.
Letztlich scheint einer der wesentlichen Gründe für die Forderung nach Lockerung der Exportvorschriften die künftige politische und ökonomische Entwicklung Osteuropas zu sein. Wer, wie die meisten osteuropäischen Staaten, in die NATO will, muß auch bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen erfüllen. Dazu zählt vor allem auch die Standardisierung der Waffensysteme. Wenn Osteuropa in die NATO drängt, dann heißt das, daß es aus der bisherigen einseitigen Abhängigkeit von russischen Waffensystemen heraus muß. So entsteht ein riesiger Nachrüstungsbedarf. Man stelle sich z. B. vor, alle osteuropäischen Staaten würden mit deutschen Leopard-Panzern und deutschem fliegenden Gerät ausgerüstet werden. Hier winken natürlich für die nächsten Jahrzehnte Geschäfte in Milliardenhöhe, um die wohl schon gegenwärtig ein verdecktes Ringen zwischen den führenden Waffenexporteuren begonnen hat.
Als ein schwerwiegendes Argument für den Rüstungsexport wird immer das Argument der Sicherung von Arbeitsplätzen ins das Feld geführt. Meine Damen und Herren, ich erinnere Sie daran, daß die Bundesrepublik in der Vergangenheit bei einem relativ geringen Waffenexport weltweit eine führende Position im Technologieexport innehatte. Die Wirtschaftsgroßmacht Japan hat eindrucksvoll bewiesen, daß technologischer Fortschritt und industrielle Wettbewerbsfähigkeit auch ohne Rüstungsindustrie möglich sind. Es besteht also kein fataler Zusammenhang zwischen Rüstungsexport und Arbeitsplatzsicherung, höchstens ein Zusammenhang zwischen einer verfehlten Wirtschaftspolitik und dem als besonders einfach erscheinenden Ausweg, über Waffenexporte Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neu schaffen zu wollen.
Herr Kollege Kittelmann, Sie irren sich in einem Punkt, den Sie angeführt haben: Journalisten haben nicht die Nase voll, über diesen Sachverhalt zu diskutieren. Im Radio, und zwar im Bayerischen Rundfunk, sagte am 10. Januar ein Kommentator folgende treffende Sätze - ich zitiere -: „Wenn die Bundesrepublik tatsächlich ein Exporteur des Todes sein muß, um eigene Arbeitsplätze sichern zu können, dann kommt das jedenfalls politisch wie moralisch einem Offenbarungseid gleich. Die schönen Worte von einer Harmonisierung sollten in diesem Zusammenhang schon gleich gar nicht verwendet werden." Ich habe diesen Worten nichts hinzuzufügen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nun spricht Frau Kollegin Vera Wollenberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland will größter Waffenexporteur überhaupt werden. Anders jedenfalls kann man die Vorstöße zur
Änderung der Richtlinien für den Rüstungsexport von 1982 nicht interpretieren.
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- Wir sind doch schon auf den vorderen Plätzen. Von Platz 2 oder Platz 3 auf Platz 1 ist es nur noch ein kurzer Schritt.
Nachdem es der Lobby der Exporteure nach jahrelangem Anrennen gelungen ist, diese Forderung von der CDU in das Parlament tragen zu lassen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle Verschärfungen der Exportkontrolle, die nach den Irak-Skandalen verabschiedet worden sind, wieder zur Disposition gestellt werden. Offenbar will man die Lehren aus Rabta und dem Irak vom Tisch wischen. Jetzt sollen alle Schleusen geöffnet werden. Die Harmonisierung in der Europäischen Union bietet dafür den willkommenen Vorwand.
Es wird allen Ernstes vorgeschlagen, private Kooperation im Rüstungsbereich mit staatlichen Abmachungen gleichzustellen. Dafür hat die Bundesregierung bekanntlich bereits gegenüber Frankreich und Großbritanrden auf Einspruchsrechte beim Export von Waffen aus gemeinsamen Projekten verzichtet. Also mutet man uns letztlich zu, billigen zu sollen, daß private Firmen darüber entscheiden, an welche Staaten Waffen geliefert werden, die mit deutscher Beteiligung hergestellt wurden. Denn die gemeinsame Rüstungsexportpolitik der Europäischen Union, Herr Kollege Lamers, von der Sie gesprochen haben, gibt es nicht und wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Allein die Einigung über gemeinsame Exportkontrollen für Dual-use-Waren, also sowohl zivil als auch militärisch verwendbare Güter, ist ein Trauerspiel, das sich seit Mai 1992 hinzieht. Bis Ende 1992, zum Start des Binnenmarkts, hätte eine Einigung über den Vorschlag der EG-Kommission bestehen müssen. Man sagt uns j etzt, es werde in den nächsten Monaten ein Kompromiß erzielt; warten wir es ab.
Der Europäische Rat hat 1992 sieben Kriterien festgehalten, die angeblich von allen Mitgliedstaaten respektiert werden, aber in der Regelung für Dualuse-Güter werden die Kriterien allenfalls als unverbindliche Richtschnur auftauchen. Von einer gemeinsamen Exportpolitik, bei der gemeinsame Kriterien oder sogar ein Kodex und gemeinsame Listen der als problematisch anzusehenden Empfängerstaaten akzeptiert würden, kann überhaupt nicht die Rede sein.
Für Kriegswaffen, die ja wegen Art. 223 der Römischen Verträge unter nationalem Vorbehalt stehen, hat die Arbeitsgruppe bei der Europäischen Politischen Zusammenarbeit noch viel weniger eine gemeinsame Exportpolitik vereinbaren können.
Diese Regierung selbst ist nicht ernsthaft an einer solchen gemeinsamen Politik interessiert; sonst hätte man die portugiesischen Bedenken gegen den Export der 39 Schiffe nach Indonesien ernster genommen und Portugal nicht in der Weise düpiert, wie das geschehen ist.
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Die uns im Namen einer unabsehbaren europäischen Rüstungsexportpolitik abverlangte Änderung der Richtlinien für den Rüstungsexport liefe darauf hinaus, die Kontrolle über Rüstungsexporte für einen bedeutenden Teil abzugeben. Angesichts der besonderen deutschen Geschichte können Waffenexporte als Mittel der Außenpolitik und der Einflußgewinnung nicht in Frage kommen. Gerade um einen solchen Weg innerhalb der Europäischen Union zu vermeiden und die zukünftige GASP auf friedliche Mittel zu gründen wäre ein Einstieg der Bundesrepublik in eine koordinierte Steigerung der Rüstungsexporte durch Mitgliedsstaaten der EU ein fatales Zeichen. Vielmehr muß sich die Bundesregierung dafür einsetzen, den Verkauf von Waffen zunächst immer stärker allgemeingültigen Regeln wie etwa einem Code zu unterwerfen und soweit wie irgend möglich einzudämmen. Dafür soll die Bundesregierung bei den Vereinten Nationen, innerhalb der Europäischen Union und in bilateralen Beziehungen eintreten.
Im zweiten Halbjahr 1994 hat sie als Regierung des Staates, der den Vorsitz in der Europäischen Union innehat, alle Gelegenheit, sich für eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik und eine Eindämmung des Rüstungsexports einzusetzen. Dazu gehören verbindliche Richtlinien für den Rüstungsexport, die sich an den Kriterien anlehnen können, die vom Europäischen Rat 1992 zusammengestellt worden sind.
Insbesondere bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen und bei Vorliegen eines internationalen Staatsverbrechens, z. B. dem illegitimen Einsatz von bewaffneter Gewalt, bei Unterdrückung des Rechts auf Selbstbestimmung, bei Völkermord etc., darf kein Mitglied der EU Waffen liefern. Unsere Gruppe hat deshalb einen Antrag zur Verankerung eines Rüstungsexportverbots in der Verfassung vorgelegt, den wir ja demnächst hier im Plenum beraten werden.
Vielen Dank.
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Nun spricht Herr Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer fair ist, auch aus den Reihen der Opposition, muß zugeben, daß sich die Exportkontrollpolitik der letzten Jahre bewährt hat. Es ist uns - gewiß auch unter wirtschaftlichen Opfern - gelungen, internationale Anerkennung zu finden, und die Stimmen, die uns stark kritisiert hatten, sind verstummt. Es hat allerdings auch weltweite Veränderungen gegeben, die es rechtfertigen zu überlegen, wie unsere Exportkontrollpolitik darauf reagiert.
Es ist ganz natürlich - das ist auch von Ihrer Seite gesagt worden -, daß in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit Fragen von Firmen gestellt werden, in denen Entlassungen stattfinden, daß Fragen von Ministerpräsidenten gestellt werden, die sich für diese Arbeitnehmer verantwortlich fühlen.
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Aber ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, und das ist die entscheidende Botschaft: Niemand denkt an eine Änderung der Vorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes, des Außenwirtschaftsgesetzes oder an die Neufassung der rüstungspolitischen Grundsätze von 1982, die zu einer Aufweichung unserer Exportpolitik führen könnten.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung muß sich in diesem Zusammenhang mit zwei Themen befassen, nämlich erstens: Wie erhalten wir die Kooperationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft? - Indem wir unsere Exportkontrollpolitik für unsere Kooperationspartner in Europa und in der NATO berechenbar machen. Da gibt es Probleme: tatsächliche Probleme bei einigen unserer Kooperationspartner, was die Zusammenarbeit mit den Deutschen angeht, und auch solche, die von Dritten vorgeschoben werden, die an Geschäften interessiert sind und die Deutschen immer unberechtigterweise in die Ecke stellen. Das wollen wir verhindern. Das ist der erste Punkt. Der zweite ist: Wie handhaben wir die Harmonisierung der Exportkontrollen für sogenannte Dualuse-Güter in Europa?
Lassen Sie mich mit dem Kooperationsaspekt im Rüstungsgüterbereich beginnen. Ich glaube, ich brauche nicht näher zu erläutern, daß Kooperationen für uns unverzichtbar sind. Dafür sprechen verteidigungspolitische und bündnispolitische Gründe und auch wirtschaftlich-finanzielle Erwägungen.
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Bei den regierungsamtlichen Kooperationen gibt es auf der Grundlage der exportpolitischen Grundsätze von 1982 ein bewährtes Verfahren. Schwieriger ist es bei den Kooperationen, die nicht von Anfang an durch Regierungsabkommen begleitet sind. Eine solche Kooperation ist durch die Unsicherheit belastet, ob die gemeinsam hergestellten Produkte letztlich angemessen verwertet werden können. - Das ist der Einstieg für diejenigen, die uns da immer in eine Ecke stellen wollen.
Wir sind jetzt im Gespräch mit anderen Ressorts dabei, Lösungen zu entwickeln, die zu größerer Vorhersehbarkeit führen. Zu denken wäre an die Möglichkeit, die Prüfung der Zulässigkeit späterer Exporte, wie bei der regierungsamtlichen Zusammenarbeit, für alle nachfolgenden Fälle an den Anfang einer Kooperation zu stellen. Es ist also nicht so - wie hier gesagt wurde -, daß wir die Privaten allein machen lassen wollen. Es ist umgekehrt vielmehr so, daß wir von der Regierungsseite schon von Anfang an in die Verhandlungen mit eingreifen und informiert sein wollen. Ich bin überzeugt, daß ein solches Verfahren ein ausreichendes Maß an Verläßlichkeit für unsere Kooperationspartner in Europa und in der NATO schafft.
Ich wiederhole noch einmal - damit das endlich ein Ende hat -: Eine Änderung unserer Exportpolitik und der exportpolitischen Grundsätze von 1982 kommt nicht in Betracht, steht nicht zur Diskussion.
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Nun der zweite Aspekt, die Kontrollen im sogenannten Dual-use-Bereich: Es geht hierbei nicht
- das wird in der öffentlichen Diskussion häufig vermengt - um Rüstungsgüter oder um für Rüstungsgüter speziell hergestellte Einzelteile. Es geht vielmehr um Güter, die in großer Zahl produziert werden und die in der Regel für zivile Zwecke, zum Teil aber auch für militärische Zwecke verwendet werden. Für diesen großen Warenkreis werden in Brüssel seit 1992 Verhandlungen geführt mit dem Ziel der Harmonisierung der heute noch unterschiedlichen Exportkontrollsysteme in den zwölf Mitgliedstaaten durch Verabschiedung einer einheitlichen EG-Verordnung. Wer wollte dagegen etwas haben, daß dies harmonisiert wird?
Die Bundesregierung hat sich in diesen Verhandlungen von Beginn an mit allem Nachdruck für eine europäische Lösung auf hohem Kontrollstandard eingesetzt. Wir haben auf die Konsequenzen verwiesen, die wir alle aus den Ereignissen z.B. in Libyen, im Irak oder Iran ziehen müssen. Die Verhandlungen in Brüssel haben jedoch gezeigt, daß keines der anderen elf Mitgliedstaaten bereit ist, alle Elemente unseres hohen Kontrollstandards zu übernehmen. Gleichwohl zeichnen sich wichtige Teilerfolge ab:
Alle zwölf Mitgliedstaaten werden ihre Exportkontrollen für Dual-use-Güter im wesentlichen auf eine einheitliche Warenliste stützen. Das schafft auch ein wichtiges Stück Wettbewerbsgleichheit für die Unternehmen in Europa. Dies kommt; dies läuft.
Außerdem wird man sich bei den Dual-use-Gütern, die nicht auf einer Warenliste stehen und die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen oder von sie tragenden Raketen verwendet werden können
- so wie die Dinge jetzt in Brüssel stehen -, auf einen guten Kontrollstandard einigen, der unserem hohen Kontrollstandard entspricht.
Bei den Kontrollen für Dual-use-Güter, die für Zwecke der konventionellen Rüstung, also nicht für Massenvernichtungswaffen und deren Träger, verwendet werden können, wird die vorgesehene EG-Verordnung nicht den von uns geforderten und in unserem Kontrollsystem verankerten Standard für alle Staaten verbindlich festschreiben können. Es wird
- anders als bei den Dual-use-Gütern für Massenvernichtungswaffen - keine verbindliche Kontrollregelung für die Lieferung nichtgelisteter Waren im Bereich der konventionellen Rüstung geben. Auch werden den Kontrollregeln für Dienstleistungen und sensitiven Wissenstransfer nicht für alle zwölf Mitgliedstaaten verbindliche Feststellungen folgen.
Es bleibt aber dabei nach derzeitigem Verhandlungsstand ein gewisser Freiraum für zusätzliche nationale Regelungen; darauf will ich kommen. Dies ist zwar einerseits ein Mangel, weil es insofern nicht gelungen ist, für alle Unternehmen des europäischen Binnenmarktes einheitliche Regelungen verbindlich festzulegen; andererseits kann aber ein Mitgliedstaat,
wenn er es für sich für verantwortlich und für angebracht hält, zusätzliche Kontrollen vorsehen.
Noch ist die oberste Grenze der Kompromißbereitschaft bei den übrigen Mitgliedstaaten nicht ausgelotet. Es steht jedoch fest, daß die Bundesregierung entscheiden muß, ob sie mit ihrer Zustimmung zu den vorgesehenen EG-Verordnungen gleichzeitig auch Abstriche von ihren weitergehenden nationalen Kontrollregelungen im konventionellen Sektor vornehmen wird. Bei der Abwägung zwischen einheitlicher europäischer Lösung und der Notwendigkeit etwaiger nationaler Zusatzmaßnahmen wird die Bundesregierung prüfen müssen, ob unsere sogenannte Auffangnorm für Zulieferungen im konventionellen Bereich auf sensitive Kernländer eingeschränkt werden soll, ob die Dienstleistungen und der nichtdokumentierte Wissenstransfer wirklich weiterhin gegenüber dem bisherigen weitgefaßten Länderkreis kontrolliert werden sollen.
Deutschland, meine Damen und Herren, wird auch in Zukunft kein Standort für bedenkenlose Waffenexporteure sein. Die hohen Strafdrohungen bei Verletzungen des deutschen Exportkontrollrechts bleiben unverändert. Auf der Grundlage unserer bewährten und anerkannten Politik haben wir auf Entwicklungen in Europa und im Bündnis zu reagieren. Wir können und wollen uns nicht abkoppeln. Es ist unfair, uns bei den vernünftigen und verantwortungsbewußten Überlegungen, die wir anstellen, zu unterstellen, wir würden unsere Rüstungsexportkontrollpolitik ändern wollen. Das ist nicht der Fall.
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Die Aufregung der letzten Tage ist nicht angebracht.
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Nunmehr spricht der Kollege Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat soeben zu einem Verwirrspiel beigetragen, das jetzt seit Monaten hier inszeniert wird,
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und das zu einem Thema, das damit einen öffentlichen Raum einnimmt, der ihm überhaupt nicht zusteht.
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Wir sind Zeugen eines Theaterstücks, das Sie hier unter dem Thema „europäische Harmonisierung" aufführen, indem Sie auf der einen Seite sagen, Sie wollten ja gar nicht an die deutsche Selbstbeschränkung heran, auch nicht an die Ausfuhrgesetze, an das Kriegswaffenkontrollgesetz, während auf der anderen Seite Herr Kittelmann oder auch Herr Lamers von dem wünschenswerten Erhalt von Tausenden von Arbeitsplätzen sprechen. Da fragt man sich, wie Sie das eigentlich hinkriegen wollen, etwa nach der Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht
naß! "? Da haben Sie, Herr Rexrodt, soeben auch keine Klarheit hineingebracht.
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Eines steht aber als Folge aus der ganzen Sache fest: Das Ziel, das Sie erreichen wollen, nämlich Erhaltung und Sicherung von Tausenden von Arbeitsplätzen, können Sie nur über mehr deutsche Exporte von Dual-use-Gütern und von Kriegswaffen erreichen. Das ist sowieso schon in der ganzen Tendenz angelegt, meine Damen und Herren. Das passiert ja alles schon seit einiger Zeit. Es ist schon zitiert worden, daß das angesehene SIPRI-Institut uns vorrechnet, daß Deutschland jetzt schon drittwichtigster Waffenexporteur der Welt ist. Wollen Sie denn über diese Methode erreichen, daß wir Rußland oder Amerika noch überholen?
Ich beziehe mich auf Zahlen aus Ihrem Hause, Herr Rexrodt, wenn ich hier bekanntmache, daß im Jahre 1992 Rüstungsgüter nach Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste für 9 Milliarden DM exportiert wurden, Dual-use-Güter für 20 Milliarden DM, daß aber allein in den ersten drei Quartalen des letzten Jahres schon Rüstungsgüter für 10 Milliarden DM exportiert wurden und Dual-use-Güter für 22,42 Milliarden DM, so daß schon klar ist, daß vor dieser ganzen Debatte im Jahr 1993 mindestens 25 % mehr Rüstungs- und Dual-use-Güter exportiert wurden. Das ist die reale Entwicklung und ein sehr interessantes Faktum, das gestern Gegenstand der Fragestunde war, daß nämlich mit deutschen Steuergeldern über Hermes-Bürgschaften im letzten Jahr das Dreifache der üblichen Förderung von Rüstungsexporten stattgefunden hat, immerhin in der stattlichen Größe von 2,26 Milliarden DM.
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- Das ist eine Vorlage aus dem Finanzministerium, für die ich nicht die Verantwortung trage.
In Wirklichkeit ist aber der Anteil, den in Deutschland Arbeitsplätze an diesem ganzen Bereich der Rüstungsgüterproduktion und Dual-use-Güter-Produktion haben, wesentlich geringer, als das in diesem Theaterstück hier immer behauptet wird.
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In Wirklichkeit sind Arbeitsplätze in Deutschland zu 1,35 %, Herr Kittelmann, von Rüstungsexport und von Rüstungsproduktion abhängig, und bei Dual-useGütern sind es 3 %.
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Sie versuchen uns von Ihrer Verantwortung, von Ihrer Ratlosigkeit in der allgemeinen Konjunkturpolitik und von Ihrer Verantwortung für - mangelnde - Vorsorge für die voraussehbaren Rückgänge von Rüstungsnachfrage abzulenken. Wir wissen seit 1990 von dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem über die Verringerung der Bundeswehr international eine Verabredung getroffen wurde. Seit damals wissen wir,
daß die nationale Nachfrage nach Rüstungsgütern zurückgeht. Wir haben Sie immer aufgefordert, dem entgegenzusteuern: durch Hilfen für Diversifikation, durch Hilfen für Konversion. Unseren Vorschlägen sind Sie nie gefolgt. Jetzt wollen Sie an der Schraube Rüstungsexport drehen.
({6})
Ich darf Ihnen abschließend ein Zitat aus einer Zeitung bringen, die nicht verdächtig ist, daß sie sich industriefeindlich geriert. Peter Gillies hat am 5. Januar in der „Welt" folgendes geschrieben:
Waffenexporte sind keine konjunkturellen Nothelfer. Die Prinzipien, nach denen geliefert oder verweigert wird, dürfen nicht von zyklischer Art sein. Von der Mittelmacht Deutschland wird langfristige Verläßlichkeit auf diesem heiklen Terrain erwartet.
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- Herr Lamers, Sie werden ja gleich Gelegenheit haben, sich dazu zu äußern.
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Ist das nicht eine berechtigte Forderung an Sie, gerade wenn man die Weltpolitik anschaut? Ich weiß, daß Sie dafür sensibel sind. Wie wollen Sie denn von diesem Platz irgendwann noch mal russische Politik, die Politik von Ländern, die viel ärmer sind als wir, kritisieren, die sich plötzlich auf Rüstungsexport zurückbesinnen und sagen: „Nix mehr Konversion, wir behalten unsere Kapazitäten. Wenn ihr als reiches Industrieland Deutschland es zum Prinzip macht, eure Konjunktur über mehr Rüstungsexporte zu sanieren, dann können wir das schon lange." Sie verlieren jede moralische Berechtigung - das hat viel mit unserer Sicherheitspolitik zu tun -, darauf mit dem kritischen Finger zu zeigen.
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Nun spricht der Kollege Lamers.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Erler, ich bin wirklich dankbar, daß ich zumindest den Versuch machen kann, aufzuklären. Ich meine allerdings, daß dies nach dem, was Minister Rexrodt, Kollege Kittelmann und andere gesagt haben, und nach dem, was wir alle schon häufig im Auswärtigen Ausschuß diskutiert haben, nicht mehr notwendig sein sollte.
Worum geht es? - Es geht erstens um eine gemeinsame europäische Verteidigung. Sie wissen, daß ich dazu auch in ganz anderen Zusammenhängen immer wieder rede. Da sind wir in der Tat ein Stückchen auseinander. Bei dem, was Sie auf Ihrem letzten Parteitag zur Westeuropäischen Union beschlossen haben, wird ganz deutlich, daß Sie die europäische Verteidigung scheuen wie der Teufel das Weihwasser, weil Sie nämlich in Ihrem quietistischen RuhebeKarl Lamers
dürfnis durch diese europäische Verteidigung gestört werden könnten.
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- Sie vielleicht nicht, aber andere sehr wohl.
Zweitens. Daß eine gemeinsame europäische Verteidigung auch einen gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt umfassen muß, ist sicher eine Feststellung, der Sie nicht widersprechen werden.
Drittens. Daß zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung und zu einem gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt auch eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik gehört, werden wir sicherlich auch noch übereinstimmend feststellen.
Und: Der Europäische Rat in Lissabon wie in Maastricht hat auch gesagt: Jawohl, wir müssen die wirschaftlichen Aspekte der Sicherheit und damit auch das Rüstungskontrollsystem überdenken. - Vielleicht wird Minister Kinkel uns gleich etwas über den Fortgang der Überlegungen berichten, von denen ich glaube, daß sie weiterreichend sind, als allgemein bekannt ist.
Hinzu kommt das Problem der Kooperation; das kennen Sie doch nun ganz genau. Kooperation ist ein Muß für jede Rüstungsproduktion. Es geht gar nicht anders. Welche Probleme dabei entstehen, hat Minister Rexrodt soeben klar und deutlich gesagt.
Es geht um Kooperation, und es geht um Erhaltung der Kapazitäten in Deutschland, damit wir überhaupt kooperationsfähig sind. Ich zitiere, Herr Kollege Bachmaier, die Betriebsräte, von denen Sie soeben gesprochen haben, so z. B. den Betriebsrat der Rheinmetall vom 11. Januar dieses Jahres, also taufrisch. Wahrscheinlich hatten die schon gehört, was ich zu diesem Thema gesagt habe. Also:
Wir treten der Auffassung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder bei,
- den zitieren wir ja immer wieder gern der es für „sinnvoll hält, die Bundeswehr mit in Deutschland produzierten Waffen auszurüsten". Dies wird aber nur möglich sein, wenn die deutsche wehrtechnische Industrie für internationale Rüstungskooperationsprogramme in der EU und im NATO-Bündnis wieder zuverlässig und partnerschaftsfähig wird.
Ja, die haben zu Recht Zuverlässigkeit gefordert, und genau das ist es, was wir wollen. Das ist aus dem, was Minister Rexrodt gesagt hat, sehr deutlich hervorgegangen.
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Und jetzt zu dem Ziel: Wie sollen die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die gemeinsame Rüstungsexportpolitik aussehen? Ich habe immer gesagt, Kollege Erler, die Außen- und Sicherheitspolitik muß - wie im Vorsatz zu unseren bestehenden Rüstungsexportrichtlinien - das entscheidende Kriterium bleiben, nicht der Arbeitsplatz - ganz im Gegensatz zu Ihrem Herrn Schröder. Der wollte die
U-Boote nach Taiwan verkaufen. Ich wie die Mehrheit meiner Fraktion und der F.D.P. waren dagegen.
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So ist doch die Wirklichkeit! Sie versuchen, uns hier als die Rüstungslobby zu verkaufen. So einfach ist es doch nicht. Übrigens, schon der ehemalige Bundeskanzler Schmidt hat seinerzeit U-Boote nach Chile ausdrücklich mit diesem Argument verteidigt, während wir immer gesagt haben, die Außen- und Sicherheitspolitik muß den Ausschlag geben. Dabei wird es auch bleiben.
Daß sich aber nun eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik Europas nicht nur an den deutschen Vorstellungen ausrichten wird, das ist doch auch klar. Es wird einen Kompromiß geben müssen. Die anderen sind nämlich auch darauf angewiesen, daß wir das machen. So, da mag es sein, daß es ein bißchen mehr
- viel mehr wird es nicht sein können - deutschen Rüstungsexport geben wird, aber insgesamt vielleicht weniger europäischen. Und Donnerwetter noch mal: Ist das nicht ein Ziel, für das wir uns gemeinsam einsetzen können?
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Nun hat der Kollege Ulrich Irmer das Wort.
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- Gut, dann erteile ich nun Bundesminister Kinkel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutsche Rüstungsexportpolitik muß sich in die auf Wahrung des Friedens gerichtete deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einfügen. Dies entspricht Wertentscheidungen, die seit der Verkündung des Grundgesetzes in unserem Land parteiübergreifend fest verankert sind.
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Diesen parteiübergreifenden Konsens über unsere restriktiven exportpolitischen Grundsätze von 1982
- das ist hier schon mehrfach betont worden - wollen und werden wir nicht aufgeben. Übrigens ist dies nicht nur eine Frage unserer Wertorientierung, sondern auch unserer langfristigen eigenen - deutschen - Interessen.
Kurzfristige Gewinne würden den Schaden nicht aufwiegen, der Deutschland und insbesondere auch der deutschen Wirtschaft durch Verlust von Ansehen und Glaubwürdigkeit, durch Verwicklungen in Konflikte anderer Staaten und durch wirtschaftliche Abhängigkeit von der Waffennachfrage anderer Länder entstehen könnte, wenn wir uns aus diesem Grundkonsens herausbewegen würden.
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Ich sage eingangs auch bewußt, daß Politik und Wirtschaft die Lehren aus den Folgen verantwortungsloser Exporte einzelner Firmen Ende der 80er Jahre nicht vergessen sollten und nicht vergessen dürfen. Wir dürfen im übrigen auch nicht zulassen,
daß unsere Sicherheit in Zukunft durch solche Exporte bedroht wird.
Ich sage mit Nachdruck: Ja, wir wollen wieder Exportweltmeister werden, aber bei zivilen Gütern, nicht bei Waffen.
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Deshalb warne ich in diesem Zusammenhang vor Hauruck-Entscheidungen. Dafür ist die Sache zu sensibel. Ruhiges, vernünftiges Abwägen - kein „Übers-Knie-Brechen" - ist dringend notwendig.
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Aber wir müssen - ich weise nachdrücklich darauf hin - natürlich auch die Interessen unserer Wirtschaft sehen, und die sehe auch ich.
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Die Bundesregierung verfolgt mit ihrer Rüstungsexportpolitik drei große Ziele:
die Wahrung unserer nationalen und europäischen Sicherheitsinteressen,
die Berücksichtigung der berechtigten Anliegen der Wirtschaft und
die Verhinderung der ungezügelten Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, aber auch von konventionellen Waffensystemen.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts braucht die Welt zur Zeit, Gott sei Dank, zur Sicherung des Friedens weniger Waffen; Grund zur Freude und zugleich große Chance, die Kräfte der Menschheit den eigentlich drängenden Friedensaufgaben zuzuwenden.
Ich verkenne auf der anderen Seite nicht die wirtschaftlichen Probleme, die daraus für einen hochspezialisierten Industriezweig in unserem Land entstehen. Die Lösung dieser - nicht auf Deutschland beschränkten - Probleme kann nicht in einer Exportoffensive für Waffen liegen. Aber: Wir brauchen eben auch Industriekapazitäten, die unsere Verteidigungsfähigkeit, unsere Bündnisfähigkeit und unsere Kooperationsfähigkeit im Bündnis gewährleisten - übrigens auch als Basis für Mitsprache und Einfluß.
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Das heißt: Die deutsche Industrie muß in diesen Bereichen auch kooperationsfähig bleiben. Dazu wollen wir beitragen - durch ganz bestimmte Verfahrensvereinfachungen.
Die Genehmigungspraxis überprüfen wir ständig. Vieles ist schon vereinfacht und beschleunigt. Aber wir werden die Probleme letztlich nur auf internationaler Ebene in den Griff bekommen. Darum arbeitet die Bundesregierung auch für eine Harmonisierung der Exportkontrollsysteme.
Zu unterscheiden ist zwischen den Kontrollen für Dual-use-Güter und für Waffen. Bei Dual-use-Gütern haben wir nach den Erfahrungen mit Rabta und nach Zulieferungen deutscher Firmen in den Irak die Kontrollen verschärft. Gemeinsam mit den Anstrengungen der Industrie hat dies geholfen, den guten Ruf der
deutschen Wirtschaft wiederherzustellen - angesichts der weltweiten Interessen unserer Industrie auch von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung und nicht zu unterschätzen.
Wirksame Exportkontrollen und faire Wettbewerbsbedingungen erfordern aber auch eine einheitliche Regelung im internationalen Rahmen. Das gilt sowohl für die Europäische Union als auch anderswo.
Herr Rexrodt hat den Verhandlungsstand, die Probleme und die Aussichten bei den Verhandlungen über eine einheitliche europäische Unionsregelung dargestellt. Sie ist in Reichweite. Sie entspricht zwar nicht allen deutschen Vorstellungen, aber ganz wichtig ist: Unsere Erfahrungen sind eingeflossen, und sie werden berücksichtigt.
Wir sind kompromißbereit. Wir müssen das sein, erwarten dies aber auch von unseren Partnern und setzen uns nachdrücklich für einen zügigen Abschluß der Verhandlungen ein. Ich selber habe das wiederholt - gerade auch in letzter Zeit - getan.
Im Bereich der Waffenexporte sind Harmonisierungsbemühungen noch schwieriger, weil die Waffenexportpolitik noch enger mit dem herkömmlichen Verständnis der Partner von Souveränität und Außenpolitik zusammenhängt. Da gibt es eben nicht nur einen deutschen Sonderweg, sondern - ich muß das leider deutlich und klar sagen - es gibt allein in der Europäischen Union zwölf Sonderwege.
Trotzdem ist Beträchtliches erreicht worden. Die Europäischen Räte von Lissabon und Maastricht haben dieses Thema zu einem Aktionsfeld der neuen gemeinsamen Außenpolitik gemacht, und bereits jetzt gibt es konkrete Ergebnisse der Zusammenarbeit. Acht gemeinsame Kriterien für Waffenexporte wurden ausgearbeitet. Diese acht Kriterien waren dann Grundlage für die im November 1993 in der KSZE angenommenen Grundsätze für den Transfer konventioneller Waffen. Zugegeben, das ist erst ein Anfang. Aber auf ihm kann aufgebaut werden. Es ist noch viel Überzeugungsarbeit bei unseren Partnern notwendig.
Ein letzter wichtiger Punkt: Nach intensivem - u. a. deutschem - Bemühen ist es gelungen, das langwierige und politisch überholte COCOM-Verfahren abzuschaffen. Dies wird den Wirtschaftsaustausch mit unseren Nachbarn und Partnern im Osten erleichtern. An die Stelle von COCOM soll ein neues internationales Arrangement treten, das nicht mehr auf dem Ost-West-Gegensatz beruht. Es soll sich auf flexible Weise - ähnlich wie die bestehenden Nichtverbreitungsregime - der Abstimmung der Exportkontrollen für Waffen und Rüstungsgüter auf der einen und für Dual-use-Güter auf der anderen Seite annehmen. Dies bedeutet einen wichtigen Beitrag zur internationalen Harmonisierung, die von der deutschen Wirtschaft gefordert wird. Die bestehenden Nichtverbreitungsregime für die besonders sensitiven ABC- und Raketenbereiche zeigen - ich glaube, daß das ganz besonders wichtig ist, weil wir es anstreben, weil wir es wollen -: Eine Harmonisierung auf hohem Niveau ist durchaus möglich.
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Nun spricht Frau Kollegin Dr. Leonhard-Schmid.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfielen wir der Illusion, eine Ära der Abrüstung und des Friedens sei angebrochen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Niemals seit dem Zweiten Weltkrieg gab es mehr bewaffnete Auseinandersetzungen, ja, mehr Kriegstote als in unseren Tagen. Die Realität läßt, so fürchte ich, keinen Raum für Träume von einer friedlichen Welt ohne Waffen und Gewalt.
Wir sind verpflichtet, an der Beendigung dieser Konflikte mitzuwirken. Frieden stiften und sichern kann aber nur, wer zweifelsfrei kein eigennütziges Motiv an der Fortdauer jener Auseinandersetzungen hat. Mit anderen Worten: Ein Staat, dessen Volkswirtschaft von Rüstungsexporten und damit von Kriegen profitiert, ist als Vermittler grundsätzlich untauglich.
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Andererseits gibt es das Recht der Sicherheit demokratischer Systeme. Diese Sicherheit ist gegenwärtig, auch wenn wir anderen Lösungen den Vorrang geben möchten, nur durch Wehrhaftigkeit und durch Rüstung realisierbar. Grob vereinfacht lautet die Kernfrage also: Unterstützt Rüstungstechnologie eigene legitime Interessen, oder dient sie lediglich dazu, militärische Ambitionen zu fördern?
Die Regierung Schmidt/Genscher verabschiedete am 28. April 1982 - mit dem zentralen Ziel eben jener Unterscheidung - die Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Die Regierung Kohl übernahm diese Grundsätze seinerzeit. Wohlweislich hat sie den begleitenden Briefwechsel mit den Fraktionsvorsitzenden offensichtlich ad acta gelegt. Ich würde Ihnen raten, diesen einmal vorzuholen. Eben da liegt der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Seite. Er ist eindeutig dokumentiert.
Seit 1982 hat sich der Rahmen politischen Handelns deutlich verändert. Neu ist, daß im Gegensatz zu 1982 unsere Forderung nach weiterer Verschärfung der Rüstungsexportkontrolle nicht allein in ethisch-moralischer Überzeugung, sondern in den realen Vorkommnissen der jüngsten Vergangenheit wurzelt, daß wir uns in der tragischen Situation befinden, auf Erfahrungen des Mißbrauchs deutscher Exporte zu Kriegszwecken zurückblicken zu müssen. Es kann daher für die Fortentwicklung der Grundsätze für den Rüstungsexport nur eine Denkrichtung geben: die weitere Einschränkung des Handels mit Kriegswaffen. Der europäische Binnenmarkt ändert an dieser Position nichts. Er tangiert diesen Bereich nicht.
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Anders liegen die Verhältnisse bei sonstigen Rüstungsgütern und Dual-use-Waren. Hier sollten wir zu einer europäischen Verständigung gelangen. Dies ist nicht nur vertraglich vereinbart. Eine Verständigung ist schon deswegen unentbehrlich, um Schaden von der deutschen Wirtschaft und Industrie abzuwenden.
Ich bin überzeugt, daß unsere Verhandlungsführer, die Beamten des Wirtschaftsministeriums, in Brüssel ihr Bestes gegeben haben, ehrlich bemüht waren und überzeugend argumentiert haben.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, wiederhole ich dennoch: Es geht nicht um Kriegswaffen, es geht auf europäischer Ebene um Werkzeugmaschinen- und Anlagenbau. Es waren deutsche Unternehmen, die dem Libyen Gaddafis zur Produktion von Giftgas verhelfen wollten, es waren deutsche Unternehmen, die im Irak Saddam Husseins an der Atombombe bauten.
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Hier, im Mißbrauch deutscher Unternehmen, liegt das Problem, das wir in den Griff bekommen müssen. Im Klartext: Wir haben die schärfsten Exportbestimmungen und trotzdem die größten Probleme. Hier muß eine neue Konzeption her; sonst können wir einem europäischen Kompromiß nicht zustimmen.
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Unbedingte Voraussetzung: Die Lücke, die dann in unserem Exportrecht entsteht, ist vorher zu schließen. Lassen Sie mich einige Möglichkeiten aufzeigen.
Erstens. Änderung des Strafgesetzbuchs. Die Mitwirkung Deutscher an militärischen Projekten im Ausland und die Zulieferung von Waren für militärische Projekte muß unter Strafe gestellt werden, und zwar über das Schattendasein bloßer nebenstrafrechtlicher Folgen bei Verletzung von Genehmigungspflichten hinaus. Was nötig ist, ist ein Strafrechtstatbestand mit empfindlichen Sanktionen. Wir müssen im Bereich des Rüstungsexports umdenken. Sanktionen dürfen nicht länger allein an fehlende Genehmigungen gebunden sein, sondern müssen ihre Begründung im Strafgesetzbuch finden.
Zweitens. Verträge mit sensitiven Empfängerländern. Der Mißbrauch von Exportartikeln zu militärischen Zwecken muß empfindliche wirtschaftliche Nachteile für die entsprechenden Empfängerländer haben. Nur so kann die tatsächliche zivile Nutzung deutscher Produkte dauerhaft gewährleistet werden.
Und drittens. Eine neue Qualität in der Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Dies verlangt auch eine Änderung des politischen Klimas im Inneren. Es muß unser außenpolitisches und außenwirtschaftliches Ziel sein, Partner der wirtschaftlichen Entwicklung und Förderer des Friedens in der Welt zu sein.
Summa summarum, meine Damen und Herren: Beenden wir die Wortspiele und arbeiten wir seriös an einer neuen Qualität in der Exportkontrolle!
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Nun spricht der Kollege Ernst Hinsken.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nicht mit hohen moralischen, sondern mit sachbezogenen Ausführungen möchte ich meinen Redebeitrag bestreiten.
Die Ausgangslage ist bekannt. Seit 1990 gingen in der wehrtechnischen Industrie der Bundesrepublik über 100 000 qualifizierte Arbeitsplätze verloren. Weitere 60 000 Arbeitsplätze werden bis Ende dieses Jahres abgebaut. Wir alle haben die Bilder der Demonstrationen und der dramatischen Appelle von Arbeitgebern und Belegschaften noch vor Augen. Unter den Demonstranten waren viele Sozialdemokraten. Gestern im Wirtschaftsausschuß war es ebenso. Kollegen insbesondere aus der SPD - ich meine zwei Kolleginnen, die bei der heutigen Debatte nicht da sind - haben sich bitter darüber beklagt, daß in ihren Wahlkreisen so viele Arbeitsplätze im wehrtechnischen Bereich abgebaut werden.
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Meine Damen und Herren, ich meine deshalb, daß es für den Bürger nicht mehr ohne weiteres verständlich ist, wenn Sie von der SPD einmal so und ein andermal anders reden. Das paßt nicht zusammen.
({1})
Was ist Sache? Während z. B. das japanische MITI Flugzeugbau und Wehrtechnik als Schlüsselindustrie klassifiziert, drohen hierzulande Kapazitäten von Weltgeltung unkontrolliert wegzubrechen. Für mich ist klar, daß sich die wehrtechnische Industrie die Existenzfrage stellen muß, wenn einerseits der Verteidigungshaushalt zurückgefahren wird und andererseits internationale Kooperationen behindert werden. Zu den Haushaltseinsparungen und damit zur Finanzpolitik von Bundesfinanzminister Dr. Waigel gibt es aber keine Alternative. Dabei müssen wir bei den Restriktionen ansetzen und diese lockern.
Und hier sehe ich zwei Problembereiche. Einerseits die hochwertigen Erzeugnisse aus Zivilproduktionen, die auch in Waffen- und Rüstungssystemen verwendbar sind, die sogenanten Dual-use-Güter, wie sie heute schon mehrfach angesprochen wurden. Hier, meine ich, dürfen deutsche Unternehmen gegenüber internationalen Wettbewerbern nicht benachteiligt werden.
({2})
Für den Export von Dual-use-Gütern brauchen wir daher einen einheitlichen europäischen Kriterienkatalog. Dieser muß spätestens unter der deutschen Präsidentschaft verabschiedet werden.
({3})
Ich hoffe, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß es Ihnen gelingen möge, in Form eines Beitrages, den Sie diesbezüglich leisten müssen, auch das zu erbringen, was in Sie an Erwartungen gesetzt wird.
Daneben geht es aber auch und nicht zuletzt um wehrtechnische Produkte, also um jene, die unmittelbar für militärische Zwecke gefertigt werden. Dabei
handelt es sich in der Regel um komplexe, komplizierte und teure Waffensysteme, die zumeist nur in internationalen Kooperationen entwickelt und produziert werden können.
Und genau hier liegt der Hund begraben. Oftmals können die gemeinsam entwickelten Produkte nicht auf dem Markt angeboten werden, weil das deutsche Exportrecht dem als unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Dies gilt sowohl für die regierungsamtlichen und viel stärker noch für die privaten Kooperationen. Dadurch wird die Kooperationsfähigkeit der deutschen wehrtechnischen Industrie ganz erheblich beeinträchtigt.
Ein erster wichtiger Schritt wäre daher die Gleichstellung von privaten mit regierungsamtlichen Kooperationen.
({4})
Ziel muß es jedoch sein, die Exportkontrollvorschriften zumindest auf der Ebene der Europäischen Union zu harmonisieren. Es kann doch nicht sein, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, daß man in einem gemeinsamen Europa z. B. aus Kambodscha, Mauretanien und Mozambik kommend zu unserem britischen Nachbarn gehen muß, nur weil diese Länder bei uns auf der H-Liste stehen.
Übrigens: Auf vergleichbaren Listen der USA stehen z. B. nur 28 Länder, während es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland 33 Länder sind.
Ich halte es allerdings für eine Illusion, zu glauben, daß sich unsere europäischen Partner den restriktiven deutschen Regeln anpassen wollen.
Um es abschließend noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es geht nicht darum, daß von deutschen Unternehmen die ganze Welt mit Waffen versorgt wird. Nein, das wollen wir nicht, und das brauchen wir nicht. Es geht vielmehr um die Erhaltung des Wirtschafts- und Technologiestandortes Deutschland und damit um unsere Zukunftsfähigkeit; denn was wir nicht liefern wollen oder dürfen, erledigen - wie erwähnt - unsere Nachbarn.
Das hohe Maß an Selbstfesselung bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern ist auf das international übliche Maß zurückzuführen. Dies ist erforderlich, soll dieser Wirtschaftszweig nicht über kurz oder lang aus Deutschland verschwinden.
Die Bundesregierung ist deshalb meiner Meinung nach aufgefordert, die vielfältigen Bremsen im Bereich des Rüstungsexports, der Rüstungskooperation sowie des Exports von Dual-use-Gütern zu Lokkern. Es geht dabei nicht etwa darum, ohne jegliche Rücksicht auf moralische Werte oder sicherheitspolitische Interessen das Rüstungsgeschäft zu forcieren; es muß aber darum gehen, keine strengeren rechtlichen und moralischen Maßstäbe anzulegen, als dies unsere westlichen Nachbarn tun.
({5})
Wirtschaft, Bundeswirtschaftsministerium und Bundesausfuhramt sollten deshalb verstärkt zusammenarbeiten und über eine kräftige Entschlackung der entsprechenden Vorschriften reden, insbesondere um die Dauer der Exportgenehmigungsverfahren weiter
zu verkürzen und die Exportchancen der deutschen Wirtschaft zu erhöhen.
In einer Situation, in der wir dem Aufschwung Ost Priorität zusprechen und erhebliche Milliardenbeiträge aufwenden, die Wirtschaft in den neuen Bundesländern zu subventionieren, kann es keinen Sinn machen, der eigenen Wirtschaft unnötige außen- und sicherheitspolitische Fesseln anzulegen. Es hilft niemandem, wenn wir die Kaufwünsche kaufkräftiger Länder an unsere europäischen und amerikanischen Partner verweisen und danach den daraus resultierenden Verlust von Aufträgen durch öffentliche Hilfen für die betroffenen Wirtschaftszweige kompensieren wollen. Nur zu oft geht es dabei um nicht unbeträchtliche Millionen- und Milliardenbeträge.
Herr Kollege Hinsken, Sie sind weit über Ihre Zeit. Sehen Sie einmal rechts hin, wie weit Sie schon darüber sind. Wir sind in der Aktuellen Stunde. Bitte den letzten Satz, aber einen, nicht fünf!
Jawohl, Frau Präsidentin, ich stelle fest, ich überziehe eine Minute.
Ich meine deshalb, abschließend sagen zu müssen: Es ist erforderlich, die derzeit geltenden Exportbestimmungen sowie ihre Handhabung anzupassen, um u. a. auch wirtschaftlichen Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nun spricht der Kollege Norbert Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Rexrodt, Sie haben vorhin gesagt, die Deutschen wollten beim Rüstungsexport nicht in der Ecke stehen. Das geht ein bißchen an der Realität vorbei. 1992 war beim Export von Kriegswaffen - ich sage: Kriegswaffen! - die Bundesrepublik Deutschland nach dem UNO-Waffenexportregister weltweit Nummer zwei.
({0})
Beim Waffenexport sind wir nicht Eckensteher, sondern Spitzenreiter.
Es gibt aber keinen Grund, sich von der deutschen Rüstungsexportindustrie unter Druck setzen zu lassen; denn es sind gerade 0,39 % der deutschen Gesamtexporte, die 1992 von der deutschen Rüstungsindustrie geliefert wurden.
Herr Minister Kinkel hat einen respektablen Beitrag geleistet. Wir werden ihn auf dieser Linie unterstützen, weil wir ohnehin wissen, daß das im Vergleich zu dem, was Kreise der Union und auch Teile der F.D.P. wollen, sozusagen das geringere Übel ist.
Das, was Minister Kinkel vorgeschlagen hat, könnte zu einem Weniger an Rüstungsexporten führen. Das, was Herr Rexrodt vorgeschlagen hat und was die Union will, wird zu einem Mehr an Waffenexporten führen. Sie müssen endlich klar sagen, meine Damen
und Herren, was Sie wollen. Wir wollen weniger, und wir wollen Klarheit.
({1})
Deshalb haben wir eine Grundgesetzergänzung vorgeschlagen, mit der der Rüstungsexport auf die Staaten beschränkt werden soll, mit denen wir in der NATO militärisch und in der Europäischen Union politisch verbunden sind.
Das heißt, wir sichern die Bündnisfähigkeit, wir sichern die Verteidigungsfähigkeit, und wir sichern die Kooperationsfähigkeit. Wir wollen aber keine europäische oder atlantische Kooperation, die darin besteht, gemeinsam Rüstungsexporte in Spannungsgebiete der Welt zu fördern, wo dann die Krisen ausgelöst werden, mit denen die UNO anschließend fertig werden muß.
Machen wir uns nichts vor: Sie führen diese Debatte auch unter der Überschrift „Normalisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik" . Ich sage Ihnen: Es wäre nicht normal, sondern geradezu verrückt, wenn wir unser Grundgesetz änderten, damit deutsche Soldaten mit dem Blauhelm der UNO unter Lebensgefahr die Waffen wieder einsammeln können, die die deutsche Rüstungsexportindustrie vorher in Krisengebiete geliefert hat.
({2})
Sie, Herr Minister Rexrodt, haben von Ihrer Bestandsgarantie den § 5 c der Außenwirtschaftsverordnung ausdrücklich ausgenommen. Da geht es um die sogenannte Dual-use-Problematik. Der Sprecher der CSU, Glos, hat dazu behauptet, es seien alle Waren in Deutschland für den Export genehmigungspflichtig, die auch nur theoretisch militärisch verwendet werden können. Das ist ein leichtfertiges, falsches und unverantwortliches Gerede. Herr Kittelmann hat das soeben wiederholt.
Tatsächlich ist es so: Nur diejenigen Waren sind bei der Ausfuhr genehmigungspflichtig, von denen der Exporteur weiß, daß sie - obwohl in der Regel zivile Produkte - im konkreten Fall für die Herstellung von Kriegswaffen oder Munition im Ausland bestimmt sind. Sie sind auch nur dann genehmigungspflichtig, wenn sie in bestimmte Krisengebiete der Welt oder in Staaten gehen, von denen wir wissen, daß sie Atomwaffen entwickeln.
({3})
Wer das ändern will, der kehrt zu dem Rechtszustand von vor dem Golfkrieg zurück. Es kann doch nicht im Ernst Ihre Politik sein - jetzt wende ich mich vor allen Dingen an die Union, aber ich sage es auch Ihnen noch einmal, Herr Rexrodt -, nachträglich das zu legalisieren, was der Herr von Hippenstiehl mit seiner Firma - ({4})
- Entschuldigung! Der § 5 c der Außenwirtschaftsverordnung war, wie der Minister zutreffend erklärt hat,
eine Konsequenz aus dem Giftgasskandal in Libyen.
({5})
Wer diesen Paragraphen in Frage stellt und zu dem alten Rechtszustand zurückkehren will, der macht genau das wieder möglich, was nach Rabta für die Zukunft verhindert werden sollte.
({6})
Dabei werden wir den Außenminister unterstützen.
Jetzt zu den Arbeitsplätzen: Die Rüstungsindustrie hat in den vergangenen Jahrzehnten hohe Gewinne gemacht. Jetzt steht sie in der Verantwortung für die Umstellung der Arbeitsplätze auf zivile Produktion, soweit diese Arbeitsplätze nicht Rüstung für unsere Sicherheit im Rahmen der NATO produzieren müssen.
Dabei braucht die deutsche Rüstungsindustrie eine verläßliche, klare Bundeswehrplanung als Orientierungsdatum, wozu das Bundesverteidigungsministerium bisher nicht fähig ist. Deshalb braucht die deutsche Rüstungsindustrie in bestimmten Regionen, z. B. im Norden, aber auch im Süden - ich denke vor allen Dingen an das, was Franz Josef Strauß um München herum angesiedelt hat und wo es jetzt ernste Probleme gibt -, Hilfen zur Konversion. Deshalb hat die SPD beantragt, einen Konversionsfonds zu bilden, mit dem die Umstellung der Wirtschaft auf zivile Produktion erleichtert wird, damit neue, dauerhafte Arbeitsplätze gesichert werden können.
Wir wollen eine effektive und zügige Kontrolle von militärischen Produkten, die den zivilen Export nicht hemmt, sondern ihn sichert, weil sie den Frieden sichert und den guten Ruf der deutschen Exportwirtschaft.
({7})
Nun hat der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte scheint von der Opposition nach dem Chaosprinzip geführt zu werden. Wer Dual-use-Produkte, die hauptsächlich für die zivile Verwendung bestimmt sind und möglicherweise für die Produktion konventioneller Rüstungsgüter mißbraucht werden, mit den kriminellen Machenschaften um die Giftgasfabrik in Rabta in einen Topf wirft, der ist an einer sachgerechten Diskussion nicht interessiert.
({0})
Herr Gansel, wer sich dann auch noch auf den Namen Hippenstiehl beruft, der betreibt reine Demagogie.
({1})
Wer die Pflicht zur Genehmigung von Dienstleistungen an nichtgelisteten Massenwaren nach § 45 b
der Außenwirtschaftsordnung in Frage stellt, der will deshalb nicht Deutschland zum Großexporteur von Kriegswaffen machen. Herr Bachmaier, die SIPRI-Zahlen - das wissen Sie genausogut wie wir - kommen dadurch zustande, daß das ganze NVA-Material enthalten ist und daß über 70 % der Summe Großschiffe ausmachen, die keine Kriegswaffen im eigentlichen Sinne sind.
Ich kann die SPD nur auffordern, zu einer seriösen Auseinandersetzung zurückzukommen. Dazu gehört, daß wir die Begrifflichkeiten klar bestimmen.
({2})
Es gibt zum einen nichtgelistete Waren, d. h. Waren, die nicht auf irgendeiner Genehmigungsoder Verbotsliste auftauchen, bei denen aber nach der Außenwirtschaftsverordnung Reparaturen genehmigt werden müssen. Ein Beispiel dafür ist der Schiffsmotor, der in ein Küstenschutzboot des NAFTA- Landes Mexiko eingebaut wird.
Zweitens gibt es Dual-use-Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch gebraucht werden können. Ihre hauptsächliche Bestimmung ist der zivile Einsatz.
({3}) - Bitte, Sie können es brauchen.
Es geht drittens um die deutsche Zulieferung von Teilen, die selbst keine Waffe sind, allerdings in einem unserer europäischen Partnerländer in eine Waffe oder ein Waffensystem eingebaut werden. Das sind beispielsweise Motoren oder Getriebe.
Viertens gibt es die Lieferung von waffentypischen Komponenten, etwa der Distanzmessung oder der Kanone. Dabei wird noch einmal unterschieden, ob die Lieferung im Rahmen einer staatlich vereinbarten Rüstungskooperation erfolgt oder zwischen Unternehmen aus NATO-Ländern vereinbart wird.
Es gibt fünftens die Lieferung ganzer Waffensysteme, die in der Bundesrepublik insbesondere durch die rüstungspolitischen Grundsätze von 1982 begrenzt ist, die, wie ich nochmals betonen möchte, niemand in Frage stellt.
Schließlich gibt es den von uns allen verurteilten illegalen Export von Waffensystemen, von Anlagen zur Produktion von A-, B- oder C-Waffen, Trägertechnologie oder auch die Lieferung von Vorprodukten. Diese Lieferungen sind und bleiben nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verboten.
({4})
Verstöße werden mit hohen Gefängnisstrafen geahndet.
Über die Ablehnung des illegalen Rüstungsexports sind wir uns hoffentlich einig. Ich wäre sehr froh, wenn wir uns auch über die rüstungsexportpolitischen Grundsätze aus dem Jahre 1982 einigen könnten. Nur empfehle ich Ihnen, diese von der sozialliberalen Koalition beschlossenen Grundsätze auch zu lesen. Dort steht nämlich unter Ziffer IV, die Zulieferung in
unsere europäischen Partnerländer sei zulässig, weil damit ein neuer Warenursprung begründet werde.
({5})
Es ist auch nicht einzusehen, warum Kooperationen zwischen europäischen Unternehmen in der Genehmigungspraxis gegenüber den staatlich vereinbarten Projekten benachteiligt werden. Wir sollten übrigens auch ein wenig mehr Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit unserer europäischen Partnerländer haben, mit denen wir eine Wirtschafts- und Währungsunion und eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vereinbart haben.
({6})
Wir haben in der Europäischen Union in der Rüstungstechnologie, aber auch in der gesamten Hochtechnologie einen Stand der Arbeitsteilung erreicht, bei dem bereits bei Vorprodukten grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird. Die wirtschaftliche Integration der Unternehmen ist der politischen Integration inzwischen weit voraus.
Wenn wir die Kooperationsfähigkeit der deutschen Unternehmen behindern, klinken wir uns aus der internationalen Arbeitsteilung aus. Dieser deutsche Sonderweg wäre fatal. Der deutschen Industrie darf die Möglichkeit der internationalen Zusammenarbeit weder im zivilen noch im rüstungstechnischen Bereich genommen werden. Wenn die SPD hier wieder einmal eine Sonderrolle will, dann gefährdet sie nicht nur deutsche Arbeitsplätze - darum geht es gar nicht in erster Linie -: Sie schadet existentiellen deutschen Sicherheitsinteressen.
({7})
Wir brauchen eine eigenständige, kooperationsfähige rüstungstechnologische Industrie, wenn wir eine eigenständige und glaubwürdige Sicherheitspolitik verwirklichen wollen. Sicherheitspolitik braucht nämlich nicht nur Soldaten. Sie braucht nicht nur Verbündete. Sie braucht auch die Fähigkeit, die eigenen Soldaten angemessen auszurüsten. Deshalb ist die Erleichterung europäischer Kooperationen bei Rüstungsprojekten zwingend erforderlich.
Ich bedanke mich.
({8})
Nun hat der Kollege Ulrich Irmer das Wort.
Frau Präsidentin! Ich bin dem Kollegen Schockenhoff außerordentlich dankbar.
({0})
- Der war sehr gut, ja. - Ich bin ihm dankbar, daß er das gesagt hat, was gesagt werden mußte. Die Beiträge der Opposition werfen nämlich ständig die Begriffe durcheinander.
({1})
- Ja, bitte, der Herr Gansel hat behauptet, es würden
ständig Waffen aus Deutschland in Spannungsgebiete
geliefert. Sie haben hier ungefähr den Eindruck
erweckt, als ob das die offizielle Waffenexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland sei.
({2})
Dazu muß ich Ihnen sagen: Hier ist die Bundesregierung wesentlich restriktiver als manche Ministerpräsidenten mancher SPD-regierten Bundesländer.
({3})
Wer hat denn die Lieferung von U-Booten nach Taiwan, das wir als Spannungsgebiet betrachtet haben, verhindert? Das war der Bundessicherheitsrat, der die Anträge auf Lieferung abgelehnt hat. Und wer ist dafür gewesen? Unter anderem der Ministerpräsident Schröder, meines Wissens ein eingeschriebenes SPD-Mitglied und gar nicht einmal ein wenig prominentes.
({4})
Der Kollege Hinsken hat vorhin darauf hingewiesen, daß im Wirtschaftsausschuß SPD-Kollegen beklagen, in diesem Bereich würden Arbeitsplätze verlorengehen, und daß sie sich für Lockerungen einsetzen. Sie stellen sich hierhin und jammern und zetern - auch mit unwahren Behauptungen. Der Kollege Beckmann hat eben sehr richtig gesagt, das sei wohl die Dual-use-Komponente bei der SPD-Fraktion.
({5})
Meine Damen und Herren, in Spannungsgebiete liefert die Bundesrepublik Deutschland nicht. Der Kollege Schockenhoff hat richtig gesagt, daß der illegale Export von Waffen, von Massenvernichtungsmitteln oder von Komponenten hierfür unter schweren Strafen steht. Wir haben die Strafen vor wenigen Jahren erheblich verschärft. Das hat die Mehrheit der Koalition getan, die Sie jetzt deswegen angreifen.
({6})
Daran will überhaupt niemand etwas ändern.
Wo wir ein Problem haben, meine Damen und Herren, das sind die Rüstungskooperationen. Darauf ist hier vielfach hingewiesen worden. Wir kommen ohne Rüstungskooperation nicht aus, wenn wir das wirtschaftlich betreiben wollen, wenn wir, wie gesagt wurde, kooperationsfähig bleiben wollen und unseren eigenen Sicherheitsbedürfnissen entsprechen wollen. Niemand wird abstreiten, daß wir uns verteidigen müssen und dafür auch Waffen brauchen. Hier ist eine Kooperation mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft, mit den Amerikanern und anderen unerläßlich.
Jetzt haben wir das Problem, daß die Ergebnisse solcher Kooperationen nicht unseren strengen Bestimmungen unterliegen, und wir können es nicht verhindern - auch nicht durch vorherige vertragliche Vereinbarungen, weil sich die Partner darauf nicht einlassen -, daß dann meinethalben Briten oder Franzosen
in Gebiete liefern, in die wir als Deutsche allein nicht liefern würden.
Man muß doch nun wirklich zugeben, daß es vernünftig wäre, mit den anderen zu Vereinbarungen zu kommen, die derartige Exporte insgesamt erschweren, also unter dem Strich zu weniger Waffenlieferungen führen würden, auch wenn wir realistischerweise einsehen müssen, daß wir unsere sehr hohen Standards nicht hundertprozentig werden durchsetzen können.
({7})
Es ist doch wohl wichtig, daß unter dem Strich möglichst wenig Waffen exportiert werden. Wenn wir bei solchen Kooperationen durch eine relative Absenkung unserer Standards erreichen können, daß die Standards insgesamt besser werden, dann wäre das doch ein Erfolg. Darauf müssen wir hinarbeiten.
Herr Gansel, ich möchte Ihnen noch eine letzte Unlogik vorwerfen. Sie haben gesagt, in Ihrem Antrag auf Änderung des Grundgesetzes solle festgeschrieben werden, daß nur in Länder der NATO oder der Europäischen Union geliefert wird. Wollen Sie wirklich, daß in Länder wie Australien oder Neuseeland - Demokratien, auf die diese Standards nicht zutreffen - von uns nichts geliefert werden darf, wenn diese zur Befriedigung ihrer legitimen Verteidigungsbedürfnisse Waffen anschaffen wollen?
({8})
Bitte seien Sie ehrlicher! Halten Sie die Begriffe auseinander! Und vermeiden Sie das, was ich heute vielfach als Heuchelei empfunden habe!
Danke.
({9})
Nun hat der Kollege Erich G. Fritz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte der letzten Tage, auch das, was wir heute hier wieder gesehen haben, Herr Kollege Bachmaier, zeigt, daß es Ihnen in Wirklichkeit nicht darum geht, sich möglichst rational auf neue Erfordernisse in Europa einzustellen und möglichst gute Lösungen für das, was uns gemeinsam bewegt, zu finden. Es geht Ihnen vielmehr um das, was Herr Kollege Erler gesagt hat,
({0})
um Theater. Aber Sie machen hier Theater. Mit Ihrer Presseerklärung vom 10. Januar erwecken Sie einen Eindruck, der mit dem, was hier jetzt sachlich diskutiert worden ist, überhaupt nicht übereinstimmt.
({1})
Das ist Juso-Grundkurs I aus den 70er Jahren
({2})
und hat mit dem, worum es wirklich geht, nichts zu tun.
Um noch einmal zu sagen, um was es geht: In Europa besteht seit mehr als einem Jahr ein Binnenmarkt; vielleicht ist Ihnen das entgangen. Wir müssen deshalb über die innereuropäischen Wirtschaftsbeziehungen neu nachdenken, bei denen auch diese Frage eine Rolle spielt. Wir können nicht so tun, als wenn das alles völlig an den nationalen Regelungen vorbeigehen könnte - nach dem Motto: Wo es uns paßt, bleiben wir bei unseren alten Straßen, und alles andere führt schon darum herum. - Es führt nicht darum herum.
Wir müssen dazu beitragen, eine völlig überdimensionierte Rüstungswirtschaft - in dieser Feststellung sind wir uns in Europa ja wohl einig ({3})
auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, und wir müssen dazu beitragen, daß Rüstungsexport in anderen europäischen Ländern nicht unter dem Gesichtspunkt der Auslastung von Kapazitäten,
({4})
sondern unter den Gesichtspunkten gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik gesehen wird.
({5})
Wie kann Deutschland dazu beitragen, diesem Ziel näherzukommen?
({6})
Doch nicht dadurch, daß wir eigene, nationale Sonderwege gehen, den anderen ein moralisches Schild vorhalten. Wir müssen vielmehr Schritte unternehmen, die zwischen den Partnern der Europäischen Union gemeinsame Lösungen möglich machen.
Dazu gehört zunächst einmal folgendes: Wir müssen im Bereich der Dual-use-Güter, wo wir zugegebenermaßen die besten und schärfsten Regelungen und das beste Überwachungsinstrumentarium in der Europäischen Union haben
({7})
- das stimmt ja nicht; wir haben die meisten Überprüfungen und die meisten Genehmigungsverfahren; wenn Sie das so sagen, stimmt es -, das tun, was für eine gemeinsame Politik unerläßlich ist, nämlich gemeinsame Regelungen finden.
Sie wissen genau, daß bei den mehr als zweijährigen Bemühungen der Bundesregierung, die Sie begleitet haben und die Sie noch in allen Phasen nachvollziehen können, der Versuch unternommen worden ist, so weit wie möglich gemeinsame restriktive Vereinbarungen zu finden. Es zeichnet sich jetzt ab, daß dies wirklich eine Restriktion sein wird, auch wenn die Bestimmungen nicht unserem Standard entsprechen.
Denken Sie jetzt doch einmal langfristig und im Saldo, und denken Sie nicht kurzfristig. Im Saldo wird
es doch in Zukunft gesamteuropäisch eine Verbesserung geben, wird weniger exportiert werden. Es wird schärfere Kontrollen geben. Es wird Bereiche geben, in denen der Export eingeschränkt ist. Deshalb ist das eine Verbesserung, die Sie und die auch wir auf jeden Fall haben wollen, weil eine gemeinsame Regelung, selbst wenn sie nicht unserem Perfektionismus entspricht, besser ist als nationale Sonderregelungen.
Herr Kollege Gansel hat gesagt, daß das, was in Deutschland an Rüstungsgütern - Sie meinen jetzt Waffen, vermute ich einmal, Sie meinen auch den Dual-use-Bereich - hergestellt und exportiert wird, nur ein kleiner Teil des Exportvolumens ist. Ich kann nur sagen, Gott sei Dank ist das so.
Aber die Union und die Regierung würden selbst dann, wenn dieser Anteil höher wäre, nicht davon abgehen, daß das erste Kriterium für die Frage der Beurteilung solcher Exporte nicht eine wirtschaftspolitische, sondern eine außenpolitische Sicht ist. Wenn Sie aber die Kriterien für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die sich in Europa herausbilden muß, zugrunde legen, werden Sie feststellen, daß gemeinsame Lösungen selbst dann wertvoller sind, wenn wir nicht das Maximum erreichen.
Herzlichen Dank.
({8})
Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde angekommen. Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht mehr vor.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksache 12/6538 Wir kommen zunächst zu den Dringlichen Fragen, Drucksache 12/6560. Hier ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gefragt. Zur Beantwortung steht Frau Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Kollegen Otto Reschke auf:
Wann hat die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau eine besondere Bauleitung zur Erstellung der Schürmann-Bauten beauftragt, und welches sind die Gründe?
Herr Kollege, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesbaudirektion ist allein für den Abschluß von Verträgen zuständig. Sie führt die Baumaßnahmen für die Schürmann-Bauten im gesetzlichen Auftrag auf Grund des Gesetzes für die Bundesbauverwaltung durch. Die Bundesbaudirektion hat für die Bauleitung - Objektüberwachung nach § 15 HOAI Leistungsphase 8 - im November 1989 einen Vertrag mit der Arbeitsgemeinschaft ABE als freischaffendes Bauleitungsbüro abgeschlossen. Dies entsprach auch der vom Deutschen Bundestag wiederholt an die Bundesbauverwaltung gerichteten Aufforderung, für Planungs- und Bauleitungsaufgaben verstärkt freiberuflich Tätige einzuschalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Minister, welche Bauleistungen, die das BMBau und nachgeordnete Behörden bisher erbracht haben, wurden auf Grund welcher Anordnung - der Bundestag hat das ja nicht angeordnet, wenn er die Forderung gegenüber dem Bauministerium erhoben hat - privatisiert, wann hat das Bauministerium die Privatisierungsverträge geprüft und hat für das Bauministerium diesen zugestimmt?
Herr Kollege, es handelt sich um Verträge zur Vergabe von Leistungen, wie sie von der Bundesbaudirektion in eigener Verantwortung abgeschlossen werden. Diese Verträge sind abgeschlossen worden auf Grund der genehmigten Haushaltsunterlage Bau aus dem Jahre 1986, mit einem Nachtrag aus dem Jahre 1989. Die Entscheidung über den Abschluß der Verträge fällt in die Zuständigkeit der Bundesbaudirektion zu der damaligen Zeit.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Reschke.
Ich frage noch einmal, Frau Ministerin: Unterliegen diese Verträge nicht der Prüfung und Genehmigung durch die Bauministerin bzw. das Bundesbauministerium? Ich war gestern arg erstaunt, als Sie im Haushaltsausschuß gesagt haben: Mir sind die Verträge nicht bekannt, ich habe sie angefordert.
Herr Kollege, das Bundesbauministerium ist als technische Aufsichtsinstanz zuständig für ein Bauvolumen von etwa 5 Milliarden DM in diesem Jahr. Das sind mehrere hundert Baumaßnahmen. Schon daraus geht hervor, daß es ganz selbstverständlich ist, daß die
- im übrigen nach dem Gesetz über die Bundesbauverwaltung zuständige - Bundesbaudirektion ihre Verträge in eigener Verantwortung abschließt.
({0})
War das jetzt eine Zusatzfrage, Herr Kollege Conradi?
({0})
- Dann kommt jetzt eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
({1})
Das war ein Zwischenruf; wir sind hier im Parlament und nicht in der Schulstunde.
Frau Ministerin, ist Ihre Ankündigung einer noch stärkeren Privatisierung von Bauaufgaben so zu verstehen, daß Sie mit der hier privatisierten Bauleitung, der Sie an anderer Stelle erhebliche Vorwürfe machen, zufrieden sind?
Herr Kollege, ich komme noch darauf in der Ausführung auf eine andere Frage, die Sie gestellt haben. In der
Tat ist die Konstruktion, die für den Schürmann-Bau gewählt worden ist, hochkompliziert, und zwar wegen der Beauftragung mehrerer privater Projektsteuerungsbüros.
({0})
Die Vorstellungen, die die Bundesbauministerin von Privatisierung hat, hat sie bereits im vergangenen Jahr bei der Diskussion über die Veränderung des Gesetzes über die Bundesbauverwaltung sowohl in der Baukommission als auch Konzeptkommission und im Ältestenrat vorgetragen, nämlich größere Bauleistungen des Bundes auch direkt vergeben zu können, ohne den Weg über die Bundesbaudirektion gehen zu müssen. Dieser Weg ist jetzt für Berlin im Gesetz verankert - leider nur für Berlin.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Gansel.
Frau Minister, hätte man die Hochwasserschäden am Schürmann-Bau vielleicht dadurch verhindern können, daß man rechtzeitig Herrn Christo ermöglicht hätte, das Gebäude einzupacken?
({0})
Herr Kollege, mir ist nicht bekannt, daß Herr Christo seine Gebäude nach unten - bis etwa 25 m tief in den Erdboden - verpackt, sondern er verpackt eher das aufstehende Gebäude. Insofern hätte das nicht viel geholfen.
({0})
Dann eine Zusatzfrage des Kollegen Kansy.
Frau Ministerin, auf Ihre Antwort von eben zurückkommend, die den Ball etwas in Richtung Parlament zurückgespielt hat, und angesichts der Tatsache, Herr Conradi, daß seit zig Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten an Hunderte von Privatbüros seitens der Bundesbaudirektion Aufträge vergeben worden sind, jetzt aber in einem Streitfall plötzlich die Verantwortlichkeiten nicht klar zu sein scheinen, frage ich, ob das aus Ihrer Sicht eine Aufforderung war zu sagen, ihr müßt das Zuständigkeitsgesetz ändern, damit man dann von Fall zu Fall klar an Dritte delegieren kann und damit diese Streitereien über Verantwortlichkeiten aufhören können.
Herr Kollege, die damals, also im Jahre 1989, gewählte Konstruktion war sicherlich ein erster Schritt zur Privatisierung und ist auch eine Antwort auf die vielfach aus dem parlamentarischen Raum geäußerte Vorstellung einer stärkeren Privatisierung der Bauleistungen des Bundes.
Aber in der Tat habe ich darüber hinausgehende Vorstellungen. Wir haben das - ich wiederhole es - im vergangenen Jahr erörtert,
({0})
und zwar im Zusammenhang mit der Änderung des Gesetzes über die Bundesbauverwaltung, in dem jetzt zwei Dinge verankert sind: zum einen die Möglichkeit für eine Gründung einer Bundesbaugesellschaft mbH speziell für die Parlamentsbauten im Spreebogen - diese Gesellschaft ist bereits gegründet und im Aufbau begriffen -, aber zum anderen auch die Möglichkeit, größere Bauten direkt vergeben zu können, aber leider in diesem Fall - das muß ich sagen - nur für Berlin.
Jetzt eine Zusatzfrage des Kollegen Großmann.
Frau Minister, trifft es zu, daß die Bundesbaudirektion seit zwei Jahren Brandbriefe schreibt und darauf hinweist, daß es völlig unmöglich ist, ein 800-Millionen-Projekt, bei dem mehrere private Firmen - Gutachter, Ingenieure, Architektenbüros, Projektsteuerungsbüros - mit über 90 Millionen DM Honorarkosten beauftragt sind, mit fünf oder sechs Mann zu betreuen, zu koordinieren? Was hat das Bundesbauministerium auf diese Briefe geantwortet?
({0})
Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Ihnen einmal zusammenzustellen, welche personellen Anforderungen das Bundesbauministerium für die Bundesbaudirektion gestellt hat, gerade auch unter Hinweis auf die sehr schwierigen Aufgaben, die im Zusammenhang mit diesen Bauten anstehen.
Sie alle kennen die Haushaltspläne, die letztlich verabschiedet worden sind. Hier kann man in den vergangenen Jahren deutliche Steigerungen für die Bundesbaudirektion feststellen, aber selbstverständlich bleibt das weit hinter dem zurück, was auch wir selber für notwendig gehalten haben.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Hitschler.
Frau Ministerin, können Sie uns in wenigen Worten einmal schildern, zu welchem Behufe sich das Bauministerium der Bundesbaudirektion bedient? Denn hier wird durch die Fragestellungen suggeriert, als müsse der Bundesbaudirektion noch einmal eine Kontrollinstanz übergeordnet sein, die das kontrolliert, was die Bundesbaudirektion an Verträgen mit privaten Firmen in eigener Hoheit vertraglich abschließt.
({0})
Das Gesetz über die Bundesbauverwaltung schreibt fest, daß alle Bauten der obersten Bundesorgane per Gesetz von der Bundesbaudirektion zu bauen sind. Dazu kann sich die Bundesbaudirektion auch anderer Auftragnehmer bedienen. Die Entscheidung darüber obliegt ihr selber.
Die Konstruktion - wie auch in vielen anderen obersten Bundesbehörden - ist ja gewählt worden, um sicherzustellen, daß die Bundesministerien mit Verwaltungsaufgaben, die nicht ministerielle Aufgaben sind, nicht belastet sind, d. h., die Konstruktion mit nachgeordneten Bundesbehörden ist gewählt worden - nicht nur in diesem Ministerium, sondern auch in vielen anderen -, um Vorgaben für einen schlanken Staat zu geben. Leider sind alle diese Behörden in den vergangenen Jahrzehnten durchaus auch aufgebläht worden. Von der Konstruktion her ist das jedoch die Ausgliederung von Aufgaben aus dem Ministerium, die eigentlich nicht Ministeriumsaufgaben sind.
Ich habe jetzt noch vier Zusatzfragen und würde mit Ihrem Einverständnis dann anschließend gern zur nächsten frage kommen.
Herr Kollege Horst Kubatschka.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin davon gesprochen, daß das nicht bautechnisch, sondern bauorganisatorisch, hinsichtlich der Abwicklung hochkompliziert ist. Heißt das, daß die Verantwortungen nicht genau zugeordnet sind?
Die Verantwortungen nach § 31 HOAI - Projektsteuerung - sind den einzelnen Unterauftragnehmern durchaus präzise zugeordnet. Die Komplexität von verschiedenen Auftragnehmern bietet aber immer zumindest die Gefahr von Reibungsverlusten beim Zusammenspiel. Gerade bei einem so hochkomplizierten und großen Bauwerk ist das Zusammenspiel aller Beteiligten natürlich von enormer Bedeutung.
Als nächster der Kollege Hans Wallow.
Frau Ministerin, Sie sprachen vorhin davon, daß Sie zur notwendigen Personalvermehrung bei der Bundesbaudirektion beigetragen haben, andererseits sprechen Sie aber in einem Atemzug davon, daß Sie der Bundesbaudirektion Aufgaben entzogen haben. Haben die denn jetzt weniger zu tun, oder wie erklärt sich diese Diskrepanz?
Herr Kollege, ich habe eben ausgeführt, daß die zusätzlich zu leistenden Aufgaben in Berlin - Bauten für den Deutschen Bundestag im Bereich des Spreebogens, Kanzleramt, Bundespresseamt, aber genausogut auch Bauten für die Bundesregierung in anderen Teilen Berlins - natürlich zusätzliche Aufgaben sind. Die Aufgaben, die im übrigen die Bundesbaudirektion im Ausland und in den Bundesländern leisten muß, sind durch die deutsche Einheit nicht weniger geworden, sondern haben eine Zunahme erfahren. Dem hat der
Haushaltsgesetzgeber, der Deutsche Bundestag, zumindest teilweise Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Scheffler.
Frau Ministerin, in der Zeitung stand zu lesen, daß aus Ihrem Haus alle notwendigen Genehmigungen für Hochwasserschutzmaßnahmen erteilt worden sind. Ich frage Sie deshalb: Waren tatsächlich alle Genehmigungen zu den Ausführungsplänen für Hochwasserschutzmaßnahmen erteilt? Welche Teilgenehmigungen liegen noch nicht vor? Offensichtlich sind ja die Genehmigungen zur Abarbeitung dieser Maßnahmen auf der Grundlage Ihrer Genehmigungen erteilt worden, die wesentlichen Einfluß gehabt hätten, um den eingetretenen Schaden zu verhindern.
Herr Kollege, die Hochwasserschutzplanung ist im Zuge der Aufstellung der Haushaltsunterlage Bau in den 80er Jahren sehr intensiv erörtert worden. Sie ist auch im Laufe der Verwirklichung kontinuierlich erörtert worden, um sie den sich verändernden Gegebenheiten anzupassen.
({0})
- Die Konzeption als solche ist im Zusammenhang mit der Haushaltsunterlage Bau genehmigt worden, das bedeutet aber: nicht jeder einzelne Ausführungsplan.
({1})
- Die Haushaltsunterlage Bau ist selbstverständlich im Ministerium unter der Leitung des damals zuständigen Ministers genehmigt worden.
({2})
Darf ich bitten, Fragen zu stellen.
Das habe ich klar beantwortet.
Jetzt als letzte zu dieser Frage die Kollegin Brigitte Schulte.
Frau Minister, Sie haben eben dankenswerterweise festgestellt, daß die Haushaltsunterlage Bau von Ihnen und dem Finanzministerium erstellt wird. Trifft es zu, daß Sie in keine Einzelprüfung dieser Unterlagen durch Ihre Fachleute gehen?
Die Aufstellung der Haushaltsunterlage Bau wird selbstverständlich im Zuge der Zuständigkeit im Bauministerium als technischer Aufsichtsinstanz geprüft. Ich gehe davon aus, daß das zum damaligen Zeitpunkt mit der Sorgfalt, die notwendig ist, auch durchgeführt worden ist.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Kollegen Otto Reschke auf:
Was ist der Grund für die Beauftragung einer „Projektsteuerung", und welche Aufgaben und Verantwortung hat noch die Bauleitung, die nach Auffassung der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vom 11. Januar 1994 grob fahrlässig gehandelt hat?
Herr Kollege, lassen Sie mich einleitend zur Beantwortung Ihrer Frage einen kurzen Bericht über die möglichen Ursachen des Schadens, der jetzt eingetreten ist, geben. Das ist im Hinblick auf die Konsequenzen notwendig.
Als Ursachen des Schadens kommen aus derzeitiger Sicht in Frage: Planungsfehler, ein Leck im Hochwasserschutztopf oder - als wahrscheinliche Hauptursache - die Nichtfertigstellung des Hochwasserschutzes.
Der Rhein hat am 23. Dezember 1993 im Bereich der Baustelle der Schürmann-Bauten mit seinem zu diesem Zeitpunkt höchsten Pegelstand das Hochwasser von 1926 noch um drei Zentimeter überschritten, jedoch die Höhe des geplanten endgültigen Hochwasserschutzes bei weitem nicht erreicht. Wie das Bundesbauministerium erst am 6. Januar 1994 erfahren hat, war der endgültige Hochwasserschutz in Bereichen noch nicht fertiggestellt. Wie die BBD berichtet, waren die Arbeiten am Hochwasserschutz in dem fraglichen Bereich im Januar 1993 ohne Hinweis auf Mängel oder Restarbeiten durch die ABE-Bauleitung abgenommen worden, aber nicht ausgeführt.
Trotz des nicht fertiggestellten Hochwasserschutzes waren ausreichende andere Schutzvorrichtungen nicht getroffen worden, so daß Oberflächenwasser zwischen Rohbau und Baugrubendichtwand eintreten und Druck aufbauen konnte, der den Rohbau hob.
Sofort nach dem Bekanntwerden unzureichender Hochwasserschutzvorkehrungen hat das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Bundesbaudirektion angewiesen, ein Beweissicherungsverfahren einzuleiten.
Der Grund für die geplante Beauftragung einer Projektsteuerungsgruppe liegt nun in der notwendigen Verbindung der bauherrentypischen Leitungs-, Kontroll- und Überwachungsaufgaben mit entsprechender Bauausführungserfahrung und hohem Spezialwissen in fachtechnischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Damit soll bei der Bewältigung der zusätzlich anstehenden komplizierten Sanierungsaufgaben ein ausreichend qualifiziertes Gegengewicht zu den anderen Auftragnehmern des Bundes geschaffen und eine Verstärkung der originären Bauherrenfunktionen gegenüber den bisher am Verfahren Beteiligten sichergestellt werden.
Eine erste Zusatzfrage des Kollegen Reschke.
Ich hoffe, ich habe genauso viel Zeit wie die Bauministerin bei der Beantwortung meiner Frage. Ich bin natürlich noch dabei - ich danke für die ausführlichen Informationen -, das zu verdauen.
({0})
Frau Ministerin, der Grund meiner Dringlichkeitsfrage war der folgende: Sie haben eine Entscheidung getroffen, wobei Sie die Verträge zwischen der Bundesbaudirektion und der Bauleitung nicht kannten. Ich frage Sie: Haben Sie der Bundesbaudirektion Aufgaben entzogen? Da Sie die Verträge nicht kannten, konnten Sie ja nicht wissen, welche Aufgaben Sie wegnehmen. Ich frage weiter: Haben Sie sie einer besonders qualifizierten Firma übergeben?
Hinzu kommt, daß die Mitarbeiter des Bauministeriums, die das hätten vorbereiten können, die Erkenntnisse hätten zusammentragen oder vor Ort hätten sein können, zu dem Zeitpunkt in „Hochwasserurlaub" waren. Wenn ich die Nachrichten während der Ferien richtig verfolgt habe, waren ja eine ganze Menge Mitarbeiter in Urlaub. Aus diesen Punkten ergibt sich, daß Sie Aufgaben verlagert haben. Es stellt sich für mich die Frage: Wo sind Ihre Urteilsgrundlagen, und auf Grund welcher Information haben Sie geurteilt?
Herr Kollege, ich habe gesagt, daß ich beabsichtige, dieses zu tun. Sie wissen selber als erfahrener Fachmann, daß leider gerade im öffentlichen Bereich eine Fülle von Fragen zu klären sind - Sie haben sie angesprochen -, bevor eine solche Entscheidung dann auch umgesetzt werden kann. In der Tat - das habe ich gerade ausgeführt - kommt es mir darauf an, die Bauherrenfunktion gegenüber den anderen Auftragnehmern, speziell gegenüber den Auftragnehmern, die nach § 31 HOAI an dem Bau tätig sind, zu stärken. Die Ausgestaltung ist in der Tat das, was jetzt noch vorgenommen werden muß.
Wenn ich aber zu dem in Ihrer etwas flapsigen Bemerkung angesprochenen Punkt noch einmal zurückkommen darf, so möchte ich Ihnen doch sagen, daß ich es bedauerlich finde, daß eine Boulevardzeitung auf Kosten von Mitarbeitern des BM Bau - obwohl sie besser informiert war - einen solchen Eindruck erweckt hat. Am 23. Dezember 1993 stand das Rheinhochwasser am Morgen auf der Höhe des Deiches um das Bauministerium in der Deichmanns Aue, und es stieg an einer über die Straße aufgestellten Spundwand kontinuierlich höher bis zu einem Stand von 1,80 m. Wir mußten gewärtigen, daß die Spundwand den Druck nicht mehr aushalten würde. Um Schaden von meinen Mitarbeitern abzuwenden, habe ich angeordnet, daß jeder das Haus verlassen könne.
({0})
Darüber hinaus hätte Arbeit an diesem Tag überhaupt nicht mehr stattfinden können; denn alle elektrotechnischen Geräte mußten selbstverständlich aus Sicherheitsgründen abgeschaltet und gesichert werden.
Es hat dann ein Krisenstab am 24., am 25., am 26. Dienst getan. Selbstverständlich ist die normale
Dienstzeit für alle Mitarbeiter nach den Weihnachtsfeiertagen wieder angelaufen.
Dieses hätte jeder wissen können. Ich finde es billig, was da gelaufen ist.
({1})
Zweite Zusatzfrage des Kollegen Reschke.
Ich habe es so verstanden, daß Sie am 23. Dezember 1993 die Anordnung zu einem „Hochwasserurlaub" getroffen haben.
({0})
Ich habe am 23. die Anordnung getroffen, meine Mitarbeiter vor weiteren Gefährdungen zu schützen.
Wir können uns auf diese Formulierung einigen.
Das veranlaßt mich zu der Frage, wann das Bundesbauministerium die Bauministerin informiert hat über die Gefahren am Schürmann-Bau, die die Hochwasserflut mit sich bringen kann, und über den eingetretenen Katastrophenfall am 22. und 23. Dezember sowie über die von dem Krisenstab geplanten Szenarien zur Gefahrenabwehr beim Bauzustand im Dezember 1993.
Herr Kollege, wir haben im Bauministerium selbstverständlich täglich die Pegelstände abgefragt und intern beraten, was an Hochwasserschutzmaßnahmen notwendig ist. Über den am Schürmann-Bau eingetretenen Schaden bin ich am 23. Dezember 1993 morgens vom Abteilungsleiter Bauwesen des Bundesbauministeriums informiert worden, der zu diesem Zeitpunkt vom Bauleiter der BBD auf der Baustelle, Herrn Tepper, informiert worden war.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Frau Ministerin, habe ich Sie richtig verstanden, daß die im Zuge Ihrer Privatisierungsbemühungen mit der örtlichen Bauleitung beauftragte private Firma ABE eine Bauleistung, die von der Baufirma noch gar nicht erbracht war, abgenommen hat, d. h. bestätigt hat, daß diese Bauleistung, die gar nicht erbracht war, schon erbracht worden sei? Hat die von Ihnen beauftragte private Firma das wirklich gemacht?
Herr Conradi, ich habe die Firma ABE nicht beauftragt. Ich habe eben schon ausgeführt, daß die Firma ABE im Jahre 1989 einen Vertrag mit der Bundesbaudirektion abgeschlossen hat. Zu diesem Zeitpunkt war weder die derzeitige Präsidentin der Bundesbaudirektion Präsidentin der Bundesbaudirektion noch war ich Bundesbauminister.
Aber zu Ihrer anderen Frage: Das stellt sich in der Tat heute so dar. Die Firma ABE hat eine Leistung abgenommen und durch Unterschrift bestätigt, deren Ausführung offensichtlich nicht erfolgt war.
({0})
Zu dem Unterton, den Sie in Ihrer Bemerkung hatten, kann ich nur sagen: Die Art von Privatisierung, die dort gemacht worden ist und die ich noch einmal als einen ersten Schritt bezeichnen möchte, ist, wie Sie selber wissen, nicht das, was ich im vergangenen Jahr skizziert habe.
Die nächste Zusatzfrage stellt Kollege Janzen.
Frau Ministerin, Sie haben soeben mitgeteilt, daß die wesentliche Ursache für den Schaden vermutlich die Nichtfertigstellung des Hochwasserschutzes sein dürfte. Ich stelle an Sie die Frage, ob in Ihrem Ministerium in Kenntnis der Tatsache, daß grundsätzlich in jeder Phase des Bauzustandes ein Hochwasser eintreten und Schaden verursachen kann, eine Prüfung der Planungsunterlagen dahin gehend erfolgt ist, daß ein Schaden durch Hochwasser in jeder Bauphase verhindert werden kann.
Herr Kollege, die Hochwasserschutzmaßnahmen im Endzustand sind andere als die Hochwasserschutzmaßnahmen während des Bauzustandes an diesem Bau.
({0})
- Das wissen Sie als erfahrener Bauexperte.
Die Frage der ausreichenden Sicherheit ist nach meinem Kenntnisstand während der Aufstellung der Haushaltsunterlage Bau intensiv erörtert und mit der Genehmigung der Haushaltsunterlage Bau dann positiv beantwortet worden. Es gibt aus heutiger Sicht einige Fragen vor allen Dingen hinsichtlich der Planung der Wasserhaltung unter dem Bau, und es gibt natürlich vor allen Dingen Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Hochwasserschutzkonzeptes und dessen Ausführung. Aber speziell der zweite Punkt wird ja Gegenstand des gerichtlichen Beweissicherungsverfahrens sein, dessen Fragen im Moment formuliert werden. Ich rechne damit, daß am Montag der Antrag mit den Fragen beim Landgericht eingereicht sein wird.
Ich habe jetzt noch die Zusatzfragen der Kollegen Kubatschka, Wallow, Kansy und Hitschler. Wären Sie damit einverstanden, daß ich dann die Zusatzfragen abschließe? - Dann hat der Kollege Kubatschka das Wort.
Frau Ministerin, Sie haben gesagt, eine Bauleistung sei abgenommen worden, die noch nicht ausgeführt gewesen sei. So etwas ist ja eigentlich unglaublich,
({0})
und es ist auch technisch schlecht vorstellbar. Welche Bauleistung war abgenommen und nicht ausgeführt?
Herr Kollege, darauf eine dreiteilige Antwort. In der Tat - ich stimme Ihnen zu -: Es ist unglaublich. Es liegen im Moment noch etwas widersprüchliche Angaben vor, an welchem Teil exakt der Hochwasserschutz nicht ausgeführt worden ist. Ich konnte mich bei einer Begehung der Baustelle selber davon überzeugen, daß zumindest an einer Stelle die Nichtausführung des Hochwasserschutzes deutlich erkennbar ist.
Dazu muß ich kurz beschreiben, wie der Hochwasserschutz aufgebaut ist: Er besteht aus einer etwa 80 cm dicken sogenannten Schlitzwand, die nach unten in die nächste wasserundurchlässige Schicht eingelagert ist. Diese Schlitzwand formt einen Topf.
({0})
Das ist das Grundprinzip. In diesen Topf ist der Baukörper eingesetzt. Die Verbindung zwischen Schlitzwand und Baukörper wird durch einen konstruktiven Aufbau gesichert, der aus einer senkrecht in die Schlitzwand eingelassenen Gummidichtung besteht, die von einer Betonnase überwölbt wird und direkt auf der Schlitzwand aufsitzt. Darüber hinaus wird dann am eigentlichen Gebäude der Hochwasserschutz bis zur vorgesehenen Höhe von 53,85 m über NN am Gebäude selber durchgeführt.
Offensichtlich hatte nun zumindest an einer Stelle die Nase zwar schon die Armierung, aber noch nicht den Betonschutz. Zu der Frage, ob tatsächlich die Gummidichtung eingelassen war, kann ich nichts sagen. Mit dem bloßen Auge meinte ich zu erkennen, daß sie nicht eingelassen war; dies ist aber nur auf Augenschein zurückzuführen.
Insofern kann ich nur noch einmal deutlich unterstreichen: Es ist unverständlich, daß diese Bauleistung abgenommen worden ist. Es kommt zwar am Bau vor, eine Leistung abzunehmen und zu vereinbaren, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt wird;
({1})
dann aber muß dies zumindest im Protokoll vermerkt werden. Hier findet sich auch kein Hinweis im Protokoll. - Ich stimme Ihnen gerne zu, wenn Sie sagen, daß es unüblich sei. Ich hoffte, daß es unüblich sei.
({2})
Ich halte es für eine wirklich untragbare und unglaubliche Geschichte.
Nun der Kollege Hans Wallow.
Frau Ministerin! Sie haben vorhin auf die Frage meines Kollegen Reschke geäuBert, daß Sie am 23. Dezember morgens über die Gefahrensituation informiert waren. Welche Anordnungen haben Sie zur Gefahrenabwehr in diesem Augenblick getroffen?
Herr Kollege, der Schaden war bereits eingetreten. Ich habe selbstverständlich mit dem Leiter der Abteilung
Bauwesen besprochen, daß zum einen eine direkte Begehung der Baustelle mit einer kontinuierlichen Erfassung der Schäden vorgesehen ist, die auch durch das Bauministerium kontinuierlich zu begleiten ist, auch in den darauffolgenden Tagen, und daß darüber hinaus selbstverständlich sofort alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eingesetzt werden, um nicht nur den eingetretenen Schaden zu klären und ihn, falls noch etwas zu minimieren ist, zu minimieren, sondern auch eine Ursachenklärung durchzuführen. Dies ist sofort in Angriff genommen worden.
Es hat darüber hinaus auch kontinuierliche Besprechungen im Bauministerium mit den auch im Rahmen dieser Überprüfung eingesetzten Mitarbeitern gegeben.
Nun der Kollege Hitschler.
Frau Ministerin, nachdem der Bundesbaudirektion ein von dieser mit der Bauleitung beauftragten privaten Firma unterschriebenes Abnahmeprotokoll über die Hochwasserschutzmaßnahmen vorlag, ist davon auszugehen oder mußte die Bundesbaudirektion davon ausgehen, daß die Hochwasserschutzmaßnahmen tatsächlich auch korrekt ausgeführt worden sind, und bedeutet das unterschriebene Protokoll seinerseits auch eine Entlastung der Bundesbaudirektion, was ihre Aufsichtspflicht dieser Firma gegenüber betraf?
Ich denke, daß die Bundesbaudirektion, d. h. der zuständige Mitarbeiter der Bundesbaudirektion, davon ausgehen mußte, daß mit der Unterschrift der Firma ABE, also mit dem unterschriebenen Abnahmeprotokoll, die Leistung ausgeführt ist.
Im Rahmen der technischen und geschäftlichen Oberleitung muß die Bundesbaudirektion sicherlich auch stichprobenartig Kontrolluntersuchungen vornehmen. Die Art, die Häufigkeit und die Ausgestaltung unterliegen allerdings ihrer freien Entscheidung, so daß ich zu der Einschätzung komme, daß mit dem unterschriebenen Abnahmeprotokoll die Baudirektion davon ausgehen konnte, daß diese Maßnahme erledigt war.
Dafür spricht auch, daß die Baudirektion uns gegenüber bestätigt hat, daß ihr bis zum 6. Januar - also bis zu dem Zeitpunkt, zu dem uns ebenfalls bekannt wurde, daß dort ein Stück oder mehrere Stücke nicht ausgeführt worden sind - nicht bekannt war, daß diese Lücke im Hochwasserschutz besteht. Das geht auch aus einem Protokoll einer Baustellenbesprechung vom 22. Dezember über die Hochwasserschutzmaßnahmen, die im Zuge der Sicherung der Baustelle noch zu erfolgen hatten, hervor. Da findet sich eine Auflistung von möglichen Schwachstellen auf der Baustelle. Ein Hinweis auf diese Stelle findet sich in diesem Protokoll nicht, so daß wir davon ausgehen müssen, daß die ABE bzw. die ausführende Rohbaufirma die Bundesbaudirektion zu keinem Zeitpunkt darüber informiert hat, daß diese Schwachstelle besteht.
Die letzte Zusatzfrage zu dieser Frage stellt der Kollege Kansy.
Frau Ministerin, können Sie bereits heute darauf antworten, daß die Firma ABE nunmehr behauptet, sie hätte die Sache nicht vollenden können, weil noch Genehmigungen seitens der Bundesbauverwaltung fehlten?
Diese Aussage ist mir völlig unverständlich, wenn man dagegenhält, daß es ein bestätigtes Abnahmeprotokoll gibt.
({0})
Nun kommen wir zur Dringlichen Frage 3 des Abgeordneten Peter Conradi:
Trifft die Mitteilung der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau bei einer Pressekonferenz am 11. Januar 1994 zu, die Präsidentin der Bundesbaudirektion habe ihren Rücktritt eingereicht, und wenn ja, aus welchen Gründen ist die Präsidentin der Bundesbaudirektion zurückgetreten?
Herr Kollege, die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, also ich, hat eine derartige Mitteilung, wie Sie sie formulieren, bei der Pressekonferenz am 11. Januar nicht gemacht. Ich habe bekanntgegeben, daß die Präsidentin der Bundesbaudirektion auf eigenen Wunsch die Bauverwaltung verlassen wird.
Erste Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie mit Ihrer Mitteilung auf Ihrer Pressekonferenz am 11. Januar - Sie haben unter „Konsequenzen" gesagt, die Präsidentin der Bundesbaudirektion werde aus ihrem Amt weggehen - einen wahrheitswidrigen Zusammenhang zwischen dem für Oktober 1994 angekündigten Wechsel von Frau Jakubeit zur Universität Darmstadt und dem Hochwasserschaden hergestellt haben und daß Sie damit Ihre Fürsorgepflicht als Dienstherrin gegenüber der Beamtin gröblich verletzt haben?
Herr Kollege, daß diese Mitteilung gemacht werden würde, ist ausdrücklich mit der Präsidentin der Baudirektion besprochen worden.
({0}) - Sicherlich nicht in dem Zusammenhang,
({1})
der dann auf Grund des Ablaufs hergestellt worden ist.
({2})
Zwei Dinge möchte ich dazu noch sagen:
Erstens. Ich kann niemandem vorwerfen, aus zeitlichen Zusammenhängen irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen, die ich nicht gemacht habe.
({3})
Zweitens. Ich habe die Präsidentin gefragt, ob ich nicht auch - weil es dann in der Tat sehr viel einfacher gewesen wäre, Vermutungen von Zusammenhängen zurückzuweisen - mitteilen könne, wohin sie zu gehen beabsichtigt. Sie hat mich ausdrücklich gebeten, davon keinen Gebrauch zu machen. Also: Ich sollte nicht mitteilen, daß sie einen Ruf an die Technische Universität Darmstadt annimmt, von dem sie mir im Frühherbst des Jahres 1993 berichtet hat.
Entgegen dem, was allerdings gestern abend gesagt worden ist, hat Frau Jakubeit mir im Herbst 1993 nicht gesagt, daß sie diesen Ruf anzunehmen gedenke. Die Mitteilung, daß sie diesen Ruf annehmen werde, hat sie mir zum Abschluß des Gespräches mit mir am 11. Januar gemacht.
Nun eine Zusatzfrage des Kollegen Hitschler.
({0})
- Die erübrigt sich.
({1})
- Ach, Entschuldigung, ich habe das übersehen. Nun kommt die zweite Zusatzfrage des Kollegen Conradi.
Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie mit Ihrer voreiligen Teilschuldzuweisung, die Sie vorgenommen haben, indem Sie den Wechsel der Präsidentin in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hochwasserschaden gebracht haben, die Rechtsposition des Bundes in den bevorstehenden Auseinandersetzungen über die Verantwortung und die Kostenübernahme für die Schäden empfindlich beeinträchtigt haben - im Klartext: daß Ihr fahrlässiges Gerede auf der Pressekonferenz den Steuerzahler viel Geld kosten kann?
Diese Unterstellung, Herr Conradi, weise ich nachdrücklich zurück.
({0})
Das ist nicht so.
Es mußte allerdings jedem klar sein, daß die Ankündigung einer beruflichen Veränderung in einer derartigen Situation zu Schlußfolgerungen Anlaß gibt, die - ({1})
- Aber das ist eine Frage, die die Präsidentin der BBD beantworten muß.
({2})
- Ich habe sie gefragt, was ich mit dieser Mitteilung machen solle. Daraufhin hat sie gesagt, das sei selbst17472
verständlich auf der Pressekonferenz auch mitzuteilen.
({3})
Jedem muß doch selbstverständlich klar sein, daß, wenn in einem solchen Zusammenhang eine solche Entscheidung mitgeteilt wird, Schlußfolgerungen gezogen werden. Ich habe auf der Pressekonferenz auf Nachfragen, warum denn dieser Wechsel jetzt anstünde, gesagt, daß ich davon ausginge, daß dieses geschehen sei in Anbetracht der von mir angekündigten weitreichenden Veränderungen der Aufgabenzuweisung an die Bundesbauverwaltung und der anstehenden Strukturreform - so übrigens auch nachzulesen.
So, nun doch noch eine Zusatzfrage des Kollegen Hitschler.
Frau Ministerin, bedeutet Ihrer Meinung nach die Rücktrittsforderung aus den Reihen der Opposition an Sie und die Zumessung persönlicher Verantwortlichkeit für den eingetretenen Schaden nicht in gleicher Weise eine Schwächung der Rechtsposition des Bundes
({0}) in dieser Auseinandersetzung, die ansteht?
({1})
Herr Kollege, ich habe die Hoffnung, daß auch jedes Gericht das, was die SPD jetzt veranstaltet, unter dem Stichwort „Wahlkampf '94" abbuchen wird.
({0})
Als nächstes eine Zusatzfrage des Kollegen Otto Reschke.
Frau Ministerin, mir war noch nicht ganz klar, was Ihr Motiv war, zu diesem Zeitpunkt mitzuteilen, daß Frau Jakubeit gehen möchte. Von der beruflichen Veränderung, die ansteht, haben Sie ja schon Wochen vorher erfahren. Ich würde gerne wissen, was Motiv und Anlaß war, daß Sie dies tatsächlich mitgeteilt und in den Zusammenhang der Konsequenzen der Hochwasserkatastrophe gestellt haben.
({0})
Das hat gestern abend eine Videoaufnahme des ZDF ganz klar gezeigt.
({1})
Herr Reschke, Ihre Behauptung, ich hätte Wochen vorher
von der anstehenden Veränderung erfahren, ist falsch.
({0})
Es gibt von dem Gespräch, das ich mit Frau Jakubeit geführt habe, selbstverständlich auch ein Protokoll. Aus diesem Protokoll geht sehr klar hervor, was gesagt worden ist. Deswegen bitte ich, das, was gesagt worden ist, wenn wir denn schon damit umgehen, im Interesse von Wahrheit und Klarheit zur Kenntnis zu nehmen.
Wir hatten - wie übrigens nicht zum ersten Mal - in der Tat eine intensive Diskussion über die Aufgaben und die Durchführung von Aufgaben der Bundesbaudirektion, speziell im Bereich des Managements. Denn ich gehe nach wie vor davon aus, daß eine solche Bauverwaltung an der Spitze natürlich ein hervorragendes Management braucht, das in der Lage ist, Schwachstellen und Risiken von Baustellen sehr sorgfältig zu untersuchen, zu erkennen, abzuwägen und notwendige Maßnahmen zu treffen. Darüber hinaus war - das habe ich schon gesagt - vor allem die unpräzise und widersprüchliche Information durch die Bundesbaudirektion, die die Aufklärung der Vorgänge eher behindert denn gefördert hat, ein wesentlicher Punkt für die Diskussion, die wir an diesem Morgen geführt haben.
Die Bundesbaudirektion als nachgeordnete Behörde hat selbstverständlich eine Informationspflicht gegenüber dem Bauministerium. Das Bauministerium kann seine Fach- und Dienstaufsicht überhaupt nur ausüben, wenn dieser Informationspflicht nachgekommen wird. Das ist in den Tagen seit dem 23. Dezember erkennbar nur sehr unzureichend geschehen. Es ist auch bis zum heutigen Tag so.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hans Wallow.
Frau Ministerin, Ihre Mitteilung auf der Pressekonferenz über den Weggang der Präsidentin der Bundesbaudirektion im Zusammenhang mit dem Hochwasserschaden bedeutet eine politische Entlastung für Sie. Sind Sie nicht der Meinung, daß eine öffentliche Wiedergutmachung in Form einer Entschuldigung gegenüber der Präsidentin notwendig wäre?
({0})
Herr Kollege, ich bin selbstverständlich bereit, zu sagen - ich sage es auch mit voller Überzeugung -, daß mir zu keinem Zeitpunkt daran gelegen war oder auch nur gelegen sein könnte, in irgendeiner Weise die berufliche Zukunft von Frau Jakubeit zu beeinträchtigen. Aber es muß doch jedem klar sein, daß es, wenn die Präsidentin einer Behörde, die in der öffentlichen Diskussion steht, mir vor einer Pressekonferenz erklärt, daß bei ihr berufliche Veränderungen anstehen, und ich mit ihr bespreche, wie wir damit jetzt
umgehen, und sie mir sagt: „Sie können es verwenden",
({0})
unter Umständen zu Rückschlüssen kommt.
({1})
Eine letzte Zusatzfrage zu dieser dritten Frage, Herr Kollege Kubatschka.
Frau Ministerin, können Sie nicht wenigstens nachvollziehen, daß durch Ihre Ausführungen in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, daß zwischen den Hochwasservorkommnissen auf der Baustelle und dem Ausscheiden der Ministerin ein Zusammenhang besteht?
({0})
- Der Präsidentin.
Und noch etwas: Ich kann Ihnen versichern: Das Hochwasser wurde nicht durch die Wahlkampfleitung der SPD bestellt.
({1})
Aber vielleicht kam es der SPD ganz gelegen.
({0})
- Damit kehre ich einfach nur ein Argument um, das Sie eben gebraucht haben. Und da Sie das so heftig zurückweisen, denke ich, daß völlig klar ist, daß ich das, was Sie eben unterstellt haben, für meine Person ebenfalls zurückweise.
Herr Kollege, ich habe auf Nachfragen auf der Pressekonferenz - ich habe das eben schon einmal gesagt - ausdrücklich als Begründung ausgeführt, daß ich davon ausgehe, daß dieser Schritt in Erwartung der tiefgreifenden Umstrukturierung, die ich angekündigt habe, getan worden ist.
({1})
Nachdem mir versichert worden ist, daß es eine kurze Zusatzfrage ist, auch noch der Kollege Kansy.
Frau Präsidentin, der Kollege Conradi hat mir das Stichwort dazu gegeben: Ist es jetzt nicht an der Zeit, mit unsinnigen Schuldzuweisungen Schluß zu machen angesichts der Tatsache, daß das Hochwasser nachweislich aus Rheinland-Pfalz zugeflossen ist
({0})
und daß nicht bekannt ist, daß die dort politisch Zuständigen ernsthafte Versuche gemacht hätten, das Vollaufen dieser Baugrube zu verhindern?
({1})
({2})
Herr Kollege, ich möchte darauf denn doch eine ernste Antwort geben. In der Tat, denke ich, würde es die weitere Sicherung der Arbeiten am Schürmann-Bau erheblich beschleunigen und vereinfachen, wenn die gesamte Kraft der Mitarbeiter des Bauministeriums von jetzt an darauf gelenkt werden könnte. Sie als Bauingenieur wissen, was da auf alle Beteiligten zukommt, wenn 330 000 Kubikmeter aus den Kellern dieses Bauwerks abgepumpt werden müssen, das nach wie vor nicht in seiner ursprünglichen Lage ist. ' Selbstverständlich müssen auch die Vorbereitungen dafür getroffen werden, daß eine seriöse Entscheidung über eine mögliche Ausbesserung der Schäden getroffen werden kann, die ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach den Schäden, die oberirdisch zu sehen sind, für möglich halte.
Ich sage aber noch einmal: Zunächst einmal muß man die Keller betrachten, um endgültige Entscheidungen treffen zu können. Aber wenn diese Entscheidung zu treffen ist, dann muß doch schon klar sein, was mit den Schürmann-Bauten passiert, wenn sie weitergebaut werden. Insofern werden wir unsere Bemühungen, über die zukünftige Verwendung der Schürmann-Bauten Klarheit zu schaffen, mit aller Energie fortsetzen. Denn in der Tat haben die Schürmann-Bauten für die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn eine hohe Bedeutung.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt die Dringliche Frage 4 des Abgeordneten Peter Conradi auf:
Wer ist für die örtliche Bauleitung ({0}) beim Schürmann-Bau verantwortlich, und welche Teile dieser Leistungsphase hat die Bundesbaudirektion nicht vergeben, sondern sich selbst vorbehalten?
Bitte, Frau Ministerin.
Herr Kollege, die Bundesbaudirektion hat die Arbeitsgemeinschaft ABE aus freischaffenden Bauleitungsbüros mit der örtlichen Bauleitung - Objektüberwachung nach § 15 HOAI Leistungsphase 8 - in nahezu vollem Umfang beauftragt, mit Ausnahme der Kostenfeststellung, dem Auflisten der Gewährleistungsfristen sowie der Kostenkontrolle, für die ABE nur einen Beitrag zu liefern hat. Der Firma ABE wurde insbesondere auch die Abnahme der Bauleistungen unter Mitwirkung anderer an der Planung und Objektüberwachung fachlich Beteiligter unter Feststellung von Mängeln übertragen. Dazu gehören: Vorbereiten der rechtsgeschäftlichen Abnahme und Teilnahme daran, Prüfen der Bauleistungen auf vertragsgemäße Erfüllung, Feststellen und Auflisten von Mängeln, Klären der Vorbehalte wegen Leistungsmängeln und Vertragsstrafen.
Des weiteren hat die Bundesbaudirektion mit zusätzlichen Bauherrenleistungen zum einen das freiberufliche Büro Diederichs & Partner für die Termin17474
und Kostenplanung sowie für die Aufstellung des Raumbuchs, zweitens das freiberufliche Büro Assmann & Partner für die Führung der HaushaltsKosten-Rechnungsbücher, des Bautagebuchs und der Kostenkontrollmuster sowie drittens den Architekten Prof. Schürmann mit einem Zusatzauftrag für die künstlerische Oberleitung beauftragt.
Diese Vergabe von Bauherrenleistungen an mehrere freischaffende Büros war ein erster Schritt zur Privatisierung von Planungs- und Bauleitungsfunktionen, wie dies der Deutsche Bundestag wiederholt gefordert hat.
Zur Weiterführung der Baumaßnahme der Schürmann-Bauten ist jetzt erforderlich, für die komplizierte Sanierungsaufgabe ausführungsbezogenen Sachverstand auf die Baustelle zu bringen, um die beauftragten Ingenieurbüros souverän koordinieren zu können. Das geltende Gesetz über die Bundesbauverwaltung läßt dazu leider nur eine Beauftragung durch die BBD zu. Diese Aufgabe wird an eine Fachingenieurfirma vergeben.
Zusatzfrage des Kollegen Conradi, bitte.
Waren die Schuldzuweisungen in Ihrer Pressekonferenz am 11. Januar an die beteiligten Firmen und die Teilschuldzuweisung an die Bundesbaudirektion nicht angesichts der Tatsache etwas voreilig, daß Sie, Frau Ministerin, gestern im Haushaltsausschuß einräumen mußten, die Verträge drei Wochen nach dem Vorfall noch nicht einmal zu kennen?
Herr Kollege, eine Entscheidung über den weiteren Fortgang der Schürmann-Bauten ist völlig unabhängig von der detaillierten Kenntnis von Verträgen.
Selbstverständlich sind die Fortführung der Verträge mit den beauftragten Büros und die Vertragsbeziehung zur Bundesbaudirektion eine feststehende Tatsache.
Frau Ministerin, ich habe eine zweite Zusatzfrage. Ich habe nicht nach der Weiterführung gefragt, wobei ich hier sagen möchte: ich wundere mich, daß sämtliche Bauarbeiten auf der Baustelle eingestellt werden, obwohl da Bauteile sind, die vom Hochwasser gar nicht betroffen worden sind. Ich habe vielmehr gefragt, ob Ihre Schuldzuweisung voreilig war. Sie haben von grob fahrlässigem Handeln und davon gesprochen, wer den Schaden tragen muß, und Sie haben Ihre eigene Bauverwaltung mit in die Verantwortung genommen. Dies alles haben Sie am 11. Januar gesagt, ohne die Verträge zu kennen, die genau festlegen, wer hier welche Verantwortung hat. Meine Frage war, ob dies nicht reichlich voreilig war.
Aber, Herr Abgeordneter, es war zu jedem Zeitpunkt völlig klar, auch mir völlig klar, mit welchen Leistungen die
privaten Büros bzw. die privaten Firmen beauftragt gewesen sind.
({0})
Insofern war völlig klar, wer da welche Leistung abliefern und kontrollieren mußte.
Die rasche Aufklärung war notwendig und hat viele Kräfte gebunden, weil - noch einmal - uns die Bundesbaudirektion nicht den erhofften oder auch notwendig gewesenen Beitrag geliefert hatte. Insofern ist die Entscheidung, die da getroffen worden ist und die jetzt umgesetzt wird, eine notwendige Entscheidung gewesen.
Noch eine Zusatzfrage des Kollegen Otto Reschke. Bitte.
Frau Ministerin, ich habe noch einmal die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Bauministerium die Privatisierungsverträge einschließlich der Haftung und der Sicherstellung der Haftung auf Grund der durch die Bundesbaudirektion vorgenommenen Privatisierung geprüft hat.
Herr Kollege, es handelt sich hier nicht um - wie Sie das bezeichnen - Privatisierungsverträge, sondern um ganz normale Verträge zwischen der Bundesbaudirektion und Ingenieurbüros oder Baufirmen bzw. Arbeitsgemeinschaften von Baufirmen. Muster für solche Verträge werden im BMBau erstellt, und nach diesen Mustern werden die Verträge von der Bundesbaudirektion gestaltet.
({0})
Frau Ministerin, vielen Dank.
({0})
Aus Ihrem Geschäftsbereich liegen zwei weitere Fragen des Kollegen Heinrich Lummer vor, und zwar die Fragen 29 und 30. Beide Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir haben noch knapp drei Minuten Zeit in der Fragestunde.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist der nächste.
({1})
- Herr Kollege Dr. Seifert, es kommen in der Reihenfolge unserer Fragen noch weitere Fragen zum Bauministerium. Die kommen aber heute nicht mehr zum Zuge. Ich habe dazwischen jetzt zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Clemens Stroetmann zur Verfügung.
Vizepräsident Helmuth Becker
Ich rufe die Frage 25 der Frau Abgeordneten Marion Caspers-Merk auf:
Wann wird die Bundesregierung, wie schon öfters angekündigt, durch Rechtsverordnung eine Rücknahmepflicht für Altpapier und Altautos einführen?
Frau Abgeordnete, zur Frage der Einführung einer Rücknahmepflicht für Altpapier hat die Bundesregierung bereits anläßlich der Beantwortung der Frage 1 der Kleinen Anfrage zur Altpapierverordnung am 17. August 1993 - Bundestagsdrucksache 12/5561 - darauf hingewiesen, daß im Hinblick auf entsprechende Angebote der betroffenen Wirtschaftskreise geprüft wird, ob die mit der geplanten Verordnung verfolgten Ziele auch durch freiwillige Zusagen der entsprechenden Wirtschaft erreicht werden können.
Das Bundesumweltministerium führt in diesem Zusammenhang zur Zeit intensive Gespräche mit den Wirtschaftsbeteiligten, die noch nicht abgeschlossen sind. Auf Grund der Ergebnisse dieser Gespräche wird die Bundesregierung dann über das weitere Vorgehen bei der Altpapierverordnung entscheiden.
Der vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorgelegte Entwurf einer Altautoverordnung befindet sich gegenwärtig in der Abstimmung mit den Bundesressorts. Am 5. November 1993 wurde die Anhörung der Bundesländer durchgeführt. Nach abgeschlossener Ressortabstimmung wird sich das Bundeskabinett mit dem Entwurf befassen. Anschließend wird, wie üblich, der Bundesrat beteiligt werden.
Zusatzfrage der Kollegin Caspers-Merk. Bitte.
Herr Staatssekretär, es ist doch zutreffend, daß in einer Koalitionspressekonferenz im September 1993 angekündigt wurde, daß sowohl die Altpapierverordnung als auch die Altautoverordnung sehr schnell umgesetzt werden sollen. Deswegen habe ich konkret nach dem Zeitpunkt gefragt. Bei dem Thema Altpapierverordnung haben Sie nur eine freiwillige Vereinbarung, die Prüfung derselben, angekündigt, sich aber zu der Frage des Zeitpunktes nicht geäußert. Deswegen hätte ich gern gewußt, bis wann Sie denn diese freiwilligen Vereinbarungen prüfen und wann denn gegebenenfalls, wenn diese nicht greifen, mit dem Erlaß der Altpapierverordnung zu rechnen ist.
Frau Abgeordnete, zunächst einmal will ich darauf hinweisen, daß es dem Kooperationsprinzip der Bundesregierung entspricht, immer dann, wenn die beteiligten Wirtschaftskreise eigene Vorstellungen zur Umsetzung umweltpolitischer Ziele entwickeln, diese sehr sorgfältig zu prüfen. Uns liegt ein gemeinsamer Entwurf einer freiwilligen Selbstbindung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger und des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger vor, der in vielen
Bereichen durchaus das aufnimmt, was mit dem Entwurf der Altpapierverordnung beabsichtigt ist.
Das bedarf natürlich einer sorgfältigen Prüfung. Diese kann in dem vorgegebenen Zeitrahmen noch nicht abgeschlossen werden. Wir haben noch eine ganze Reihe von Fragen auch an die Wirtschaftsverbände, wie sie die eine oder andere Formulierung ihrer Selbstbindung umzusetzen gedenken.
Ich gehe davon aus, daß wir diese Gespräche in den nächsten zwei bis drei Monaten zum Abschluß bringen können, um dann darüber zu entscheiden, ob wir auf dem Weg der Kooperation das Ziel erreichen können oder ob wir den Weg der Verordnung mit marktwirtschaftlichen Optionen weitergehen wollen.
Eine letzte Zusatzfrage der Frau Marion Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär, Herr Minister Töpfer hat bereits wie in so vielen Bereichen 1991 angekündigt, daß die beiden Verordnungen schnellstmöglich kommen werden. Die Kommunen haben sich darauf verlassen. Ihnen ist seither erheblicher Schaden dadurch entstanden, daß sie bislang z. B. an das DSD für das Einsammeln von Altpapier und die Entsorgung zahlen müssen. Haben Sie denn eine Kostenschätzung dessen, was den Kommunen hier an Schaden entsteht, und wie lange soll denn dieser Zustand noch toleriert werden?
Einerseits sind die Kommunen entsorgungspflichtige Körperschaften und insoweit, bevor neue Regelungen in Kraft treten, auch dafür verantwortlich, daß die Abfallströme u. a. beim Papier ordnungsgemäß entsorgt und, wo immer dies möglich ist, einer Wiederverwertung zugeführt werden. Insoweit kann von Schaden überhaupt keine Rede sein.
Andererseits nimmt das Duale System im gesamten Bereich von Papier und Pappe, soweit es sich um Verpackungsmaterialien handelt, über den Grünen Punkt diese Stoffe schon heute zurück und führt sie weitestgehend einer Verwertung zu, was eine deutliche Entlastung der Kommunen in einem wichtigen Segment ihrer Abfallwirtschaftspolitik entspricht.
Daß wir uns wünschen würden, daß an der einen oder anderen Stelle Vorhaben, die zum Schutz der Umwelt dringend notwendig sind, etwas rascher vorankommen, bedarf keiner weiteren Unterstreichung. Es bedarf aber auch keiner Unterstreichung, wie wir aus vielen Gesprächen an anderer Stelle wissen, daß die Beteiligung der Wirtschaft, die Beteiligung der Umweltverbände, die politischen Gespräche, wo man nicht in jeder Phase Herr des Verfahrens ist, mitunter mehr Zeit brauchen, als man voraussehen konnte.
Letzte Zusatzfrage in dieser Fragestunde, Kollege Horst Kubatschka.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung Bedenken in der Rechtslehre, die Erfüllung einer Rücknahmepflicht nach der geplanten Altpapierverordnung wäre faktisch un-
möglich und würde gegen die Pressefreiheit verstoßen?
Die an vereinzelten Stellen geäußerte Meinung der Rechtslehre zur Rücknahmepflicht bei der Altpapierverordnung als möglicher Verstoß gegen die Pressefreiheit teilt die Bundesregierung nicht.
Meine Damen und Herren, aus diesem Geschäftsbereich liegen noch die Frage 26 der Frau Kollegin Jutta Müller, die Frage 27 des Kollegen Horst Kubatschka und die Frage 28 des Kollegen Stiegler vor. Sie werden, wie nach der Geschäftsordnung vorgesehen, schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, daß Sie da waren.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes werden, wie nach der Geschäftsordnung vorgesehen, schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde und fahren in der Tagesordnung fort.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 13 sowie den Zusatzpunkt 3 a auf:
13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Basler Übereinkommen vom 22. März 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung ({0})
- Drucksache 12/6351 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches ({2})
- Drucksache 12/6482 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({3}) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 22. Dezember 1992 zum Abkommen vom 20. Oktober 1982 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Arbeitslosenversicherung
- Drucksache 12/6536 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur steuerlichen Entlastung von Grenzpendlern und anderen beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen
({5})
- Drucksache 12/6476 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({6})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 27. November 1992 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden
- Drucksache 12/6364 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({7})
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ölschadengesetzes
- Drucksache 12/6373 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({8})
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme der Beamten und Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Flugsicherung
- Drucksache 12/6372 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({9})
Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
h) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes ({10})
- Drucksache 12/6380 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({11}) Innenausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Wartenberg ({12}), Gerd Andres,
Vizepräsident Helmuth Becker
Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Statistik der Zu- und Abwanderung
- Drucksache 12/5361 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({13})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 12/6479 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({14})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwölften Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 12/6483 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({15})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Kubatschka, Robert Antretter, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Ökologisch verantwortlicher Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen
- Drucksache 12/5635 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({16})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Klaus Daubertshäuser, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Konzept zur Sicherung der nautischen Qualifikation
Drucksache 12/6102 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({17}) Haushaltsausschuß
ZP3 weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({18})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Hansen, Klaus-Jürgen Hedrich, Günter Klein ({19}) und weiterer Abgeordneter
Ausbau der Bahnverbindung: NordseehäfenBerlin, insbesondere des Teilabschnitts: Uelzen-Stendal
- Drucksache 12/6456 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({20})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 sowie den Zusatzpunkt 4 auf:
14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({21}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 01 - Arbeitslosenhilfe - Drucksachen 12/6175, 12/6401 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Adolf Roth ({22})
Ina Albowitz
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 12 - Sachkosten bei Teilnahme an Deutsch-Sprachlehrgängen für Aussiedler - Drucksachen 12/5880, 12/6402 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Adolf Roth ({24})
Ina Albowitz
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({25}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 656 04 - Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten beschäftigten Behinderten -
- Drucksachen 12/6137, 12/6403 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 681 02 - Aufwendungen des Bundes für die gesetzliche Unfallversicherung -
- Drucksachen 12/6063, 12/6404 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
Vizepräsident Helmuth Becker
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({27}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 12 - Erstattung von Invalidenrenten und Aufwendungen für Pflichtbeitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit in dem in Artikel 3 des Einigungsverfahrens genannten Gebiet -
- Drucksachen 12/6138, 12/6405 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Gerd Strube
Ina Albowitz
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({28}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 02 Titel 686 30 - Beitrag an die Vereinten Nationen -
- Drucksachen 12/038, 12/6406 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus Rose
Dr. Sigrid Hoth Ernst Waltemathe
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({29}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat über ein Aktionsprogramm zur Straßenverkehrssicherheit
- Drucksachen 12/5827 Nr. 2.16, 12/6315 Berichterstattung: Abgeordnete Elke Ferner
ZP4 weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
({30})
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({31}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung der Verordnung über Immissionswerte
- Drucksachen 12/6241, 12/6555 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek Dr. Liesel Hartenstein
Dr. Jürgen Starnick
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben im Jahre 1993, Drucksachen 12/6401 bis 12/6406. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die sechs Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen. - Ich höre und sehe dazu keinen Widerspruch. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann sind diese Beschlußempfehlungen bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen.
Wir kommen zu Punkt 14 g, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zur Mitteilung der EG über ein Aktionsprogramm zur Straßenverkehrssicherheit, Drucksache 12/6315. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist bei einer Reihe von Gegenstimmen und Stimmenthaltungen angenommen.
Zusatzpunkt 4 a. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Änderung der Verordnung über Immissionswerte ab, Drucksachen 12/6241 und 12/6555. Der Ausschuß empfiehlt, der Verordnung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 sowie zum Zusatzpunkt 5:
3. a) Forschungsdebatte zum Standort Deutschland
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesbericht Forschung 1993 - Drucksache 12/5550 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({32})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Angelika Barbe, Holger Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einrichtung eines Zukunfts- und Technologierates zur Begutachtung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
- Drucksache 12/5914 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({33})
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({34}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Russischen Föderation über Raumfahrtdienste
- Drucksachen 12/5749 Nr. 3.60, 12/6378 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Martin Mayer ({35})
Lothar Fischer ({36})
Dr. Ing. Karl-Hans Laermann
Vizepräsident Helmuth Becker
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Förderung der Industrieforschung in den neuen Bundesländern
- Drucksache 12/6561 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({37})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß Treuhandanstalt
Zum Bundesbericht Forschung 1993 liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat zunächst unser Kollege Christian Lenzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit einiger Zeit hat dieses Land ein neues Modethema, so könnte man meinen. Es ist die Debatte um den Standort Deutschland. Es ist aber ein wichtiges Thema. Allerdings wollte ich mit meiner etwas provozierenden Bemerkung darauf hinweisen, daß ein solches Thema nicht allein in akademischen Zirkeln zu behandeln ist, sondern daß es ganz handfest und präzise hier in diesem Hause Punkt für Punkt abgearbeitet werden muß.
Lassen Sie mich unsere Position zwar sehr lückenhaft, aber doch an einigen wenigen Eckpunkten darstellen. Wir betrachten dies heute als einen ersten Schritt - das liegt in der Natur der Sache, weil es in erster Linie die Forschungspolitiker betrifft -, eine Antwort auf die Frage zu finden, welchen Beitrag zur Gesamtlösung im Zusammenhang mit der Diskussion um den Standort Deutschland die staatliche Forschungs- und Technologiepolitik leisten kann.
Wir gehen davon aus, daß es wichtiger ist, die Innovationskraft zu stärken, als überholte Strukturen zu subventionieren.
({0})
Wir wissen, daß es ein ganz wichtiger Beitrag sein kann und sein muß - ungeachtet aller Debatten in bezug auf Ordnungspolitik -,
({1})
der aus dem Bereich staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik kommen muß. Insofern sehen wir hoffnungsvolle Ansätze in den folgenden Signalen: Beschluß zur Referenzstrecke Transrapid; Mikroelektronik- Forschungs- und -Produktionszentrum der Firma Siemens in Dresden; Entscheidung der Firma Daimler Benz, in Rastatt ein sehr innovatives, fortschrittliches Fahrzeug zu bauen.
Der zweite Punkt. Ich möchte dem Bundesminister für Forschung und Technologie, der sich in dieser Debatte auch noch zu Wort melden wird, ein Kompliment zum Bundesforschungsbericht 1993 machen.
Der Bundesforschungsbericht wird im Gegensatz zu Behauptungen der Opposition - dies wurde im übrigen auch in der Bundesratssitzung am 26. November des vergangenen Jahres bekräftigt - ausdrücklich gelobt und als wichtiges Dokument bezeichnet.
({2})
Dem haben wir nichts hinzuzufügen. Aber natürlich meinen wir, daß die Statistik allein es nicht macht. Wir bemühen uns deswegen, auf der Grundlage dieser statistischen Unterlagen die Empfehlungen umzusetzen und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Drittens. Auf Grund der veränderten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, der Strukturkrisen in wichtigen Bereichen, einer trotz einiger Frühlingsboten immer noch lahmen Konjunktur ist die Innovationskraft unseres Landes geschwächt. Das Ausland hat teilweise aufgeholt. Die Innovationsdynamik der deutschen Wirtschaft muß deswegen auch aus unserem Geschäftsbereich unterstützt werden.
Der Aufbau der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern ist ein ermutigendes Zeichen, wie man hier vielleicht Erfolge haben kann. Aber ich möchte auch nicht verschweigen, daß wir mit großen Sorgen auf die Rezession bei der Industrieforschung in den neuen Bundesländern schauen. Der Kollege Joachim Schmidt wird sich damit näher auseinandersetzen.
Viertens. Ich stütze mich auf die Aussage eines renommierten internationalen Industrieberatungsinstituts, das sagt, daß heute nicht mehr allein die Nobelpreise, die Zitierhäufigkeit und andere Indikatoren als Bewertung für leistungsfähige Forschung und Entwicklung ausreichen, sondern daß es auch einmal erlaubt sein muß, nach dem gesellschaftlichen Nutzen zu fragen.
({3})
Damit ich nicht falsch verstanden werde, sage ich in eine ganz bestimmte Richtung: Wir wollen die Grundlagenforschung auch in Zukunft stärken - das zeigt sich im Haushalt eindeutig und zweifelsfrei - und ausbauen, wo notwendig. Aber wir erlauben uns, wo öffentliche Mittel in Rede stehen, auch kritische Fragen hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens zu stellen.
({4})
Fünftens. Die finanziellen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden.
({5})
Ich mache keinen Hehl daraus - und habe das für unsere Gruppe immer gesagt -, daß wir die Stagnation, die Plafondierung des Forschungshaushalts als ein schlechtes Zeichen betrachten. Ich fordere dazu auf, daß wir uns gemeinsam bemühen, auch durch eine Erhöhung des Forschungshaushalts dem For17480
schungsminister größeren operativen Spielraum zu sichern. Er ist sicherlich auch damit einverstanden.
({6})
Meine Damen und Herren, deswegen müssen wir neue Finanzierungsquellen suchen. Ich nenne als Stichworte nur einmal: die ganze Entrümpelung und Verbesserung des Stiftungsrechts; Risikokapital. Wir müssen den Banken klarmachen, daß man nicht nach dem Motto verfahren kann, Regenschirme zu verteilen, wenn es nicht regnet, und sobald der erste Tropfen fällt, sie wieder einzusammeln, wenn man wirklich echte Risiken mindern will.
Sechster Punkt. Die organisatorischen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Flexible arbeitsrechtliche Regelungen in den Großforschungseinrichtungen zu schaffen ist Teil einer Debatte, die wir seit Jahren auch im zuständigen Fachausschuß des Deutschen Bundestages führen. Wir sind zwar hie und da weitergekommen, aber es gibt noch einen erheblichen Nachholbedarf.
({7})
In dem Zusammenhang werfe ich ein Stichwort ein, das eine Problematik betrifft, die erst vor wenigen Stunden in diesem Hause behandelt worden ist: Es hängt vielen Menschen zum Halse heraus, wie die Dual-use-Problematik bei uns behandelt wird, daß Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen bei Produkten, die natürlich auch in der Verteidigung angewandt werden können, verteufelt werden. Bitte helfen Sie alle mit, dagegen anzugehen. Es ist im übrigen, so glaube ich, auch dem Ministerpräsidenten Schröder in Niedersachsen völlig Wurscht, wie er seine Arbeitsplätze sichert. Dabei hat er uns auf seiner Seite stehen, wenn er diese Anstrengungen macht.
({8})
- Ich bin kein Niedersachse, ich bin Hesse, Herr Struck. Ich würde ihn aber trotzdem nicht wählen.
({9})
Das hätte dann aber andere Gründe.
Siebtens. Es kommt uns darauf an, ein wissensintensives, ökologisch verträgliches und ressourcenschonendes Wirtschaftswachstum zu induzieren. Deswegen kann man trotzdem nicht auf beschäftigungswirksame und beschäftigungsorientierte Initiativen verzichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich fordere Sie auf, sich nicht nur in Papieren zu erklären und Forderungen zu stellen. Herr Kollege Vosen, wenn Sie mir vielleicht einmal die Güte Ihrer Aufmerksamkeit schenken würden - ({10})
- Wer so aussieht wie Sie, muß sich erst einmal wieder an das Arbeiten gewöhnen.
({11})
Eigentlich müßte der Mensch Vergnügungsteuer bezahlen, oder er hat eine neue Sonnenbank.
({12})
Gentechnik, Biotechnologie, neue Werkstoffe, Mikroelektronik, Luft- und Raumfahrt und, so füge ich hinzu - auch wenn Sie im Dreieck springen -, Kernenergie sind Bereiche, in denen Sie nicht nur Forderungen stellen dürfen.
({13})
Wenn es darauf ankommt, solche Projekte zum Erfolg zu führen, dann dürfen Sie nicht durch die Länderregierungen Knüppel zwischen die Beine werfen, sondern müssen mithelfen, daß etwas bewegt wird.
({14})
- Natürlich gehören auch alle Infrastrukturinvestitionen im Forschungsbereich dazu. Kollege Mayer, hier gab es bereits vor der Regierungszeit der CDU/CSU feste Zusagen an die Bayerische Staatsregierung. Auch dazu sollte man gelegentlich einmal stehen.
({15})
Achtens. Ich möchte einfordern, daß wir uns gemeinsam bemühen, eine forschungspolitische Offensive zu führen. Dazu müssen wir in der Öffentlichkeit für mehr Verständnis für Forschung und technologische Entwicklung werben. Wir brauchen da auch die Hilfe der Medien. Ich finde es skandalös, daß ein großes Nachrichtenmagazin, das sich ja immer zum Richter über Gerechte und Ungerechte aufspielt, am Anfang dieser Woche in Sachen Transrapid und anderen forschungsintensiven Investitionen von „verplemperten Milliarden" spricht. So einfach kann man es sich nicht machen, wenn man einen verantwortungsbewußten, einen sachgerechten und kompetenten Beitrag in der öffentlichen Diskussion leisten will.
({16})
Bitte helfen Sie dabei mit, daß wir uns von solchen Querschüssen nicht beeindrucken lassen. So kann man Technik nämlich auch kaputtschreiben.
Ich möchte zum Abschluß auf unser 22-PunktePapier, welches die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einmütig verabschiedet hat, hinweisen. Ich freue mich, daß auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Herr Ministerpräsident Scharping, dieses Papier offensichtlich gelesen hat. Wir können ihm noch weitere Exemplare zur Verfügung stellen, wenn er das wünscht. Denn ich entnehme einer Agenturmeldung von heute morgen, daß er sich auf einem Empfang der Industrie- und Handelskammer in Koblenz etwa zu Fragen der günstigen Besteuerung von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sehr positiv geäußert hat.
({17})
Vielleicht sagt er uns dann aber auch, an welcher
Stelle die Gegenfinanzierung vorzunehmen ist. Auch
darauf wären wir natürlich sehr gespannt und für jeden hilfreichen Hinweis herzlich dankbar.
Vielleicht könnte er ein Beispiel aus seinem Kompetenzbereich nehmen, vielleicht könnte er gemeinsam mit dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herrn Töpfer, dafür sorgen, daß das Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich möglichst bald ans Netz geht.
({18})
Dann könnte er dem alten biblischen Grundsatz huldigen: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen", nicht an schönem Reden.
({19}) - Sie können sich ja dabei bekreuzigen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nicht nur fordern, sondern auch handeln. Lassen Sie uns versuchen, die Zukunft zu gestalten. Dies geht nur, wenn wir nicht dauernd die Risiken der Technik, die zweifellos niemand unter den Teppich kehren will, überbewerten.
Es wird gelingen, wenn wir der Bevölkerung klarmachen, daß es keinen technischen Fortschritt, keine Lebensqualität ohne Forschung und technologische Entwicklung geben kann. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.
Ich bedanke mich.
({20})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Josef Vosen das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist so, daß ich mir während der Rede meines Kollegen Lenzer die Frage gestellt habe: Wer regiert eigentlich seit elf Jahren dieses Land? Es scheint mir so zu sein, daß Sie jetzt nach elf Jahren beginnen, den richtigen Weg zu beschreiten, oder zumindest erkannt haben, wie der Weg aussehen könnte.
Die steuerliche Vergünstigung, die Sie ansprachen, steht z. B. in unserem Antrag, wörtlich zitiert. Wir fordern das seit Jahren. Es hat das ja auch schon einmal gegeben: steuerliche Förderung durch Personalkosten-Zuschußprogramme. Das ist doch alles unter dieser Regierung abgeschafft worden. Und jetzt erkennen Sie das wieder als richtigen Weg.
Tatsache ist aber, daß es in Ihrer Regierungszeit in diesen elf Jahren mit der Forschung kontinuierlich bergab gegangen ist. Das wissen Sie auch. Die Forschungspolitiker der Regierungsparteien wissen das. Das muß man ihnen also zugestehen. Es wäre also polemisch zu sagen, sie hätten nicht mit uns über viele Jahre hinweg überlegt und die Dinge, die da falsch laufen, erkannt und auch gefordert, sie zu verändern. Nur, das Problem war doch, daß sie sich in ihrer Fraktion gegenüber den jeweiligen Finanzministern nicht durchsetzen konnten.
Der neue Minister, Herr Krüger - das muß man mal sagen -, wirkt auf mich wohltuend,
({0})
denn er redet nicht so viel, wie in der Vergangenheit geredet worden ist, sondern der scheint eventuell sogar handeln zu wollen, und er handelt sogar. Das ist wohltuend und das scheint auch nicht falsch zu sein, wobei ich natürlich glaube, daß ein Minister allein - wir hatten ja vorhin eine Ministerin hier - nicht reichen wird, um dann in das 12. und 13. Jahr gehen zu können. Aber es ist wohltuend, sage ich ausdrücklich, wenn wir in der Auseinandersetzung und in den Diskussionen zwischen Forschungspolitikern ein großes Maß an Übereinstimmung feststellen können.
In der Forschungspolitik ist es zwischen den Parteien bis auf einige Punkte so - Kernenergie ist von Ihnen angesprochen worden, Herr Lenzer, da sind wir uns nicht einig -, daß wir im großen und ganzen doch in vielen Feldern übereinstimmen.
Diese Regierung hat zu verantworten, daß konkret ab 1986 der Forschungshaushalt im Verhältnis zum Gesamthaushalt des Bundes unterdurchschnittlich gewachsen ist - es ist einfach wahr, man kann es über die Zeitreihen sehen -, so daß der heutige Haushaltsansatz, wenn er wie der Bundeshaushalt insgesamt gewachsen wäre, 12,5 Milliarden DM betragen müßte, also die Beträge fortgeschrieben; die Zahlen lassen sich prüfen. Er liegt aber nur knapp über 9 Milliarden DM. Das heißt, hier fehlen 3 Milliarden DM in einem Einzeletat, gemessen am Bundeshaushalt.
Nun habe ich mir von dem Kollegen Zöpel gestern noch erläutern lassen müssen, daß der Forschungshaushalt im großen und ganzen ein Investitionshaushalt ist und daß die Zinsausgaben - die Schulden sind ja bei Ihnen ins Unermeßliche gewachsen - abgezogen werden müßten. Wenn man das real vergleicht, dann würde man auch in dieser Sache noch zu dem Ergebnis kommen, daß unser Haushalt unterdurchschnittlich gewachsen ist.
Ich fasse zusammen: Dieser Haushalt ist über viele Jahre der Spartopf der Bundesregierung gewesen. Das Schlimme daran ist, daß das eine strukturelle Sache ist, die wir jetzt über Jahre bedauern und beklagen werden und die jetzt alle Politiker als Fehler erkannt haben; auch der Bundeskanzler hat mittlerweile gemerkt, daß man ohne Forschung, Technik und Wissenschaft die Zukunft nicht gestalten kann.
Durch diese langjährige falsche Politik haben wir, d. h. der Finanzminister, was den Wirtschaftsfortschritt in Deutschland angeht, eine wesentliche Voraussetzung für Mißerfolge mitverantwortet. Ich sage das nicht in Richtung Forschungspolitik der Union oder der F.D.P. oder der CSU. Ich sage ausdrücklich: Die haben das gesehen. Aber man hat nicht auf sie gehört, auf uns alle nicht gehört. Erst in der letzten Zeit ist es uns gelungen, die Dinge zu verbessern.
Wir sagen heute - die Zeit läuft leider -, daß dieser Bundesforschungsbericht nicht mehr hergeben kann - die Beamten, die ihn formuliert haben, können nur das schreiben, was passiert ist - als das, was die Politik an Raum gelassen hat. Deswegen ist dieser Bundesforschungsbericht einer der schlechtesten, die
ich in dieser Zeit im Deutschen Bundestag überhaupt erlebt habe; und das sind mittlerweile 15 Jahre. Ich glaube, daß das nicht an den Verfassern liegt, sondern an der Politik, die letztlich und endlich dahintersteht.
({1})
Ich möchte noch eines sagen: Ich denke - es ist unmöglich, hier in der kurzen Zeit alle Versäumnisse aufzuzählen; meine Kollegen werden noch einiges nachschieben -, daß es jetzt wichtig ist, daß wir wenigstens in eine Konsensphase kommen, in eine Konsensphase nicht nur der Forschungspolitiker - das war in der Vergangenheit nicht das Problem -, sondern der Parteien und der Politik schlechthin.
Wenn es denn sinnvoll ist, einen Dialog zu führen, den wir mit einem Antrag, der heute auf der Tagesordnung steht, fordern - es steht noch ein weiterer Antrag aus dem Wirtschaftsausschuß auf der Tagesordnung -, so denke ich, daß wir den forschungspolitischen Dialog, den auch Herr Krüger anstreben will, jetzt wirklich gemeinsam führen wollen. Ich warne davor, ihn parteipolitisch führen zu wollen. Es muß ein gesamtgesellschaftlicher Dialog sein, bei dem sich auch die Opposition einbringt und wiederfinden kann; sachlich ist das ohne weiteres möglich, denn die Kontroversen sind auf diesem Feld nicht so groß.
Ich bitte Sie also, der Einrichtung des Zukunfts- und Technologierates, wie wir ihn gefordert haben - in welcher Form auch immer, das muß noch im einzelnen ausgekleidet werden -, zuzustimmen.
Mein Kollege Siegmar Mosdorf hat zu diesem Zweck - die SPD hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um diese Problematik zu erarbeiten - ein ausführliches Papier vorgelegt. Ich kann Ihnen nur raten: Schauen Sie sich das an; machen Sie da mit und versuchen Sie diesen Dialog, damit wir endlich wieder begreifen, daß Forschungs- und Technologiepolitik auch Innovations- und Zukunftspolitik und Wirtschaftspolitik auf lange Sicht geplant ist!
Meine herzliche Bitte ist, daß wir uns bemühen, alle Verwaltungsvorschriften und alles das, was Forschung behindert, ein wenig zu entkrampfen. Da gibt es eine ganze Menge Möglichkeiten. Wir haben das in unserem Antrag im einzelnen aufgelistet. Das läßt sich hier nicht im einzelnen darstellen. Helfen Sie mit, damit unsere Wirtschaft, besonders die mittelständische Wirtschaft - dazu wird meine Kollegin noch etwas sagen - an diesem Prozeß neuer moderner Technologien teilhaben kann!
Auch die neuen deutschen Länder, die in Wirklichkeit finanzpolitisch im wahrsten Sinne des Wortes ausgespart, finanzpolitisch ausgeblutet worden sind, sollen ihren Anteil an dieser neuen Forschungspolitik haben. Wir begrüßen, Herr Krüger - das sage ich ausdrücklich -, daß das in Dresden so abläuft, wie es abläuft. Das will ich hier ausdrücklich erklären, obwohl ich auch sagen möchte, daß wir das gerne einige Jahre eher gesehen hätten. Man hätte diese Entwicklung schon vor zwei, drei Jahren haben können. Es lag nicht an den Forschern, daß das nicht geschehen ist, auch nicht an den Forschern der Regierung, sondern die Industrie hat damals nicht gesagt: Wir machen das! - Sie sagt dieses erst heute.
Ich bin dafür, daß wir bei einer solchen Diskussion Polemik und Beschimpfungen gegenseitiger Art weglassen. Ich werde mich bemühen, daß wir diesen Stil auch beibehalten, denn sonst kommen wir nicht zu der einheitlichen Dialogfähigkeit, die wir brauchen, um den forschungspolitischen Dialog so führen zu können, wie er zwingend und seit Jahren überfällig ist. Ich kann nur sagen, Herr Krüger, ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei dieser Arbeit. Das sage ich im Interesse der Sache. Wir wollen gerne dazu beitragen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Karl-Hans Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mit Befriedigung feststellen, daß wir in der gewohnten Runde unserer Ausschußbesetzung sind und die Diskussion, die wir dort begonnen haben und wiederholt geführt haben, hier nun fortsetzen. Ich bin sehr dankbar, daß wir die Gelegenheit haben, einmal über die Forschungssituation zu diskutieren.
Mit dem Bundesforschungsbericht 1993 liegt uns nun eine umfassende Gesamtdarstellung der Daten und Fakten zum Forschungssystem in der Bundesrepublik vor. Die Schwerpunkte der Forschungsförderung der Bundesregierung werden umfassend beschrieben, insbesondere auch der Stand des Aufbaus neuer Wissenschafts- und Forschungsstrukturen in den neuen Bundesländern. Statistisches Zahlenmaterial wird auf 670 Seiten dargestellt. Das ist ein Rechenschaftsbericht, meine Damen und Herren, von ausgezeichneter Güte und gewiß eine beachtliche Fleißarbeit. Die Frage aber muß erlaubt sein, ob eine solche Retrospektive in der heutigen Situation noch ausreicht. Wo ist die kritische, wo ist die selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun? Ist wirklich alles nur positiv zu bewerten? Wäre es nicht dringend notwendig, konkrete Schlußfolgerungen aus der Bilanz zu ziehen, sich über allgemeine Formulierungen hinaus mit den Handlungsnotwendigkeiten und Spielräumen für die Zukunft, mit konkreten handfesten Perspektiven zu befassen? Von Schopenhauer stammt der Satz: „Zu verstehen, was geschehen ist, braucht Sinne, was geschehen soll, Verstand." Das gilt mit Bezug auf das, was ich vorhin ausgeführt habe, für die Regierung. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt auch für uns. Auch wir, das Parlament, haben unseren Verstand einzusetzen. Es genügt nicht, wenn die Opposition nur kritisiert, immer alles und besser weiß, ohne konkret zu sagen, was sie denn wirklich will, andererseits die Regierungskoalition alles hervorragend findet, was die Regierung anrichtet. Werfen wir doch endlich einmal alle unseren Verstand zusammen;
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vielleicht reicht das dann, um die von niemandem bestrittene schwierige Lage zu meistern, in der sich Wissenschaft, Forschung und daraus hervorgehende Innovation befinden.
Der Bundesforschungsminister hat im Sommer 1993 in einem Positionspapier die Schwerpunkte seiner Arbeit vorgestellt, die Bundesregierung im Herbst ihr Standortpapier vorgelegt. Darin sind richtige grundlegende Aussagen auch zur Bildungs-, Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik gemacht worden. Jetzt gilt es, diese Grundsätze im einzelnen konkret darzustellen und sie auch umzusetzen. Die Koalitionsfraktionen sind sich darüber einig, daß wir, ausgehend von der Feststellung, daß Forschungspolitik mehr sein muß als Geldverteilen und statistische Zahlenspielereien zu betreiben, notwendige strukturelle Maßnahmen ergreifen müssen, mit denen eine Verbesserung der sogenannten Rahmenbedingungen erreicht werden kann. Es macht doch keinen Sinn, einfach und simpel immer nur mehr Geld zu fordern. Lassen Sie uns doch einmal darüber nachdenken, wie wir dieses Geld einsetzen, das zur Verfügung steht! Es sind nicht nur die 9 Milliarden DM des Forschungshaushalts, sondern es sind 18 Milliarden DM, die die Bundesregierung insgesamt für Forschung und technologische Entwicklungen ausgibt. Wer befaßt sich denn damit? - Wir reden immer nur vom Haushalt des Forschungsministers. Insgesamt stehen aber 18 Milliarden DM zur Verfügung. Es wird unsere Aufgabe sein, es ist unsere Aufgabe als Parlament, uns mit dieser Gesamtsumme zu beschäftigen. Wenn ich das zusammenzähle, stehen wir insgesamt auch im Vergleich zu den USA und zu Japan doch so schlecht gar nicht da.
Kümmern wir uns nachdrücklich um vernünftige, sachgerechte Koordinierung der Ressortforschung, um Reduzierung des bürokratischen Aufwandes, ob das nun das Antrags-, Bewilligungs- oder Abrechnungsverfahren betrifft, mindestens um eine Harmonisierung der Verfahren, die aus den verschiedensten Töpfen finanziert werden! Ich behaupte, daß wir dann von den 18 Milliarden DM erheblich mehr für die eigentlichen Förderzwecke zur Verfügung hätten. Entrümpeln wir das Regelungsgeflecht!
Herr Vosen, ich stimme Ihnen zu: Viele Gesetze, Richtlinien und Auflagen, die nicht für Wissenschaft und Forschung originär gedacht sind, werden unsinnigerweise auf Forschung und Technikentwicklung angewandt, behindern diese, besonders in der Industrieforschung, verursachen unnötige Kosten in der allgemeinen Verwaltung, aber auch bei den Zuwendungsnehmern, bei denen, die die Forschung letzten Endes ausführen sollten und ausführen müssen.
Das können wir uns nicht mehr leisten. Hier sollten wir ansetzen und nicht simpel immer mehr Geld fordern. Hier ist Geld; wir sollten es vernünftiger nutzen und vernünftiger einsetzen.
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Ich behaupte auch, daß die Forschung in Deutschland trotz Behinderung und Schwierigkeiten gut ist, hervorragende Ergebnisse hervorgebracht hat und auch hervorbringt. Das gilt besonders für die Grundlagenforschung. Warum sonst wären Wissenschaftler aus aller Welt so sehr daran interessiert, bei uns, an unseren Hochschulen, an unseren Forschungsinstituten zu arbeiten?
Aber das gilt nicht nur für die Spitzenforscher, das gilt nicht nur für die Nobelpreisträger. Das gilt auch
für die Erfinder in unserem Land bis hin zu den pfiffigen Tüftlern. Sie sind für die Entwicklung unserer Volkswirtschaft von beachtlicher Bedeutung. Sie verdienen unsere Aufmerksamkeit und Anerkennung ebenso wie Nobelpreisträger. Dann dürfen wir diese Erfinder aber auch nicht mit unzeitgemäßen Maßnahmen wie z. B. die Erhöhung der Patentgebühren demotivieren.
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Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß wir nicht unbedingt Defizite in der Forschung haben.
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Wir haben Defizite in der Umsetzung von vielfältigen hervorragenden Forschungsergebnissen in Innovation. Es mangelt vielfach an Mut zur Umsetzung; es mangelt daran, die ökonomische Nutzung voranzutreiben. Da werden Bedenken hin- und hergewälzt, Akzeptanzprobleme so lange diskutiert, bis uns andere Länder eingeholt und überholt und die Marktpositionen bereits besetzt haben.
Viele kleine und mittlere Unternehmen im Hochtechnologiebereich haben mit und ohne öffentliche Förderung neue Produkte und Produktionsverfahren entwickelt, und nun haben sie Probleme, die zur Nutzung notwendigen Investitionen zu finanzieren, einen adäquaten Marktzugang zu finden. Hier muß Politik ansetzen, und zwar mit großem Nachdruck, den Übergang von Entwicklung, von Forschungsergebnissen zu Innovationen, zu Investitionen und Arbeitsplätzen unterstützen.
Ich begrüße deshalb ausdrücklich, daß z. B. der Forschungs- und der Wirtschaftsminister diese Notwendigkeit erkannt haben und gemeinsam an entsprechenden Strategien arbeiten. Ich begrüße auch, daß die Gewerkschaften genau diese Notwendigkeit ebenfalls erkannt haben, ihrerseits vernünftige Lösungsansätze vorschlagen und ihre Kooperation anbieten.
Wir sollten darauf eingehen - nicht, indem wir Technologieräte bilden, sondern indem wir vernünftig in den Dialog eintreten, und zwar in einem breiten Spektrum zwischen den Beteiligten im Bereich der Forschung, im Bereich der Wissenschaft, den Beteiligten im Bereich der wirtschaftlichen Aktivitäten, zwischen Wirtschaft und Staat. Ich glaube, daß wir damit mehr erreichen als mit der Institutionalisierung von Technologieräten, bei denen im Grunde genommen nur Verantwortlichkeiten verwischt werden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, leider ist die Uhr abgelaufen. Ich hätte gern noch zu einigen anderen Punkten Stellung genommen. Mein Kollege Schnittler wird sich dann mit der Situation in den neuen Bundesländern auseinandersetzen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Dietmar Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in der Debatte urn den Forschungshaushalt Ende vergangenen Jahres unseren Standpunkt zu Fragen der chronischen Unterfinanzierung und auch strukturellen Schwächen der Forschungslandschaft der Bundesrepublik Deutschland dargelegt. Ich möchte heute auf einen Satz eingehen, den Sie, Herr Bundesminister, in dieser Debatte formuliert haben. Sie haben davon gesprochen, daß es Ihnen gelungen ist, die staatlich getragene Forschungsstruktur in den neuen Ländern neu und zukunftssicher zu strukturieren. Man kann das Leben natürlich mit verschiedenen Brillen sehen. Aber auch Sie werden, wenn Sie die Forschungslandschaft in den neuen Ländern kritisch betrachten, mit Traurigkeit feststellen, daß vieles mit Unverstand und Unvernunft kaputtgemacht worden ist, was der Bundesrepublik Deutschland auf lange Zeit echt fehlen wird. Sie stimmen mir bestimmt auch zu, daß der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Professor Simon, ernst zu nehmen ist, wenn er formuliert hat: „Das kommt heraus, wenn die Wissenschaft der Politik überlassen wird".
Dieser Kahlschlag wurde geführt mit der Begründung einer chronischen Überbesetzung der Forschungslandschaft. Jeder, der es ehrlich gewollt hätte, hätte nachprüfen können, daß sich nicht nur die Industrieforschung der DDR, sondern die gesamte Forschungs- und Entwicklungskapazität, bezogen auf die jeweilige Wohnbevölkerung, etwa in einem Verhältnis von 1:1 zu der westdeutschen befunden haben. In absoluten Zahlen und ermittelt nach den gleichen Methoden der OECD-Statistik waren das ca. 140 000 in der DDR gegenüber 425 000 in der alten Bundesrepublik Deutschland. Berücksichtigt man noch die erheblich schlechtere finanzielle und materielle Ausstattung der DDR-Forschung, die, so gut es ging, durch das Personal wettzumachen war, kommt unter dem Strich eher eine Unterbesetzung der DDR- Forschung heraus. Die ungeprüfte Unterstellung einer maßlosen Überbesetzung hatte massenhaftem und vielfach willkürlichem Personalabbau Tür und Tor geöffnet. Das Ergebnis besteht heute darin, daß 75 % des Forschungs- und Wissenschaftspersonals der DDR nicht mehr existieren und ein Forschungsgefälle von 6:1 zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland erreicht ist.
Die fatalen Folgen sind zu besichtigen, und sie werden für einen längeren Zeitraum zu besichtigen sein. Jeder, der sich auch nur ein wenig mit der Wissenschaftsentwicklung beschäftigt, weiß, daß Wissenschaft und Forschung eines Landes ein hochsensibles und über Jahrzehnte gewachsenes Netzwerk sind, dem weder mit schnellen politischen Pauschalurteilen noch mit der Axt beizukommen ist, es sei denn, man will es bewußt zerstören.
Das treibende Moment der Wissenschaft und der Forschung sind und bleiben, egal in welchem Land, die Wissenschaftler selbst, bleiben die Forscher und ihre Beziehungen zum Forschungsgegenstand und zu anderen Wissenschaftlern. Unter Beherzigung dieser Binsenweisheit wurden sowohl in der BRD als auch in der DDR gute, aber auch schlechte institutionelle und strukturelle Lösungen gefunden. Das Problem löste sich nicht, indem man alle Strukturen in der DDR
zerschlug. Ich habe schon gesagt, daß im Prinzip der Umbau von Wissenschafts- und Forschungspersonal auf der Tagesordnung stand und nicht der rigorose und blindwütige Abbau. Nur so hätte der beigetretene Teil die Chance gehabt, aus eigener Kraft und mit eigener Akzentsetzung geistige, kulturelle und wirtschaftliche Erneuerung zu betreiben, ohne westdeutsche Fehler und Irrwege in Wissenschaft und Forschung zu wiederholen. Auf die Dauer wäre das auch viel billiger gewesen.
Charakteristisch für den verantwortungslosen Umgang mit Wissenschaft und Forschung in Ostdeutschland ist auch, wer gegangen wurde und wer gegangen ist. Von sich aus gegangen sind meist hochtalentierte jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Zielstrebig vertrieben wurden zum Teil die Köpfe, und weit überproportional vom Abbau betroffen waren die Frauen. Übriggebliebene Rumpfteams haben sowohl ihre führenden Forscherpersönlichkeiten verloren als auch den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die in der Wissenschaft lebenswichtigen Lehrer-Schüler-Beziehungen, die Schulenbildung, die über viele Jahre mühsam aufgebaut worden ist, ist kaputtgegangen. Wir wissen aus der deutschen Wissenschaftsgeschichte, wohin das führt und welche Konsequenzen das hat.
Die von der herrschenden Politik gewählte Hauptstoßrichtung Personalabbau ist auch die entscheidende Ursache für die in der ostdeutschen Forschung vielfach festzustellende Leistungsblockade. Existenzangst, Existenzunsicherheit, befristete Zeitverträge und ABM sind nun einmal die denkbar schlechteste Hilfe für Innovation und Kreativität.
Die Übertragung ordnungspolitischer Schemata der Alt-BRD auf die ostdeutsche Forschung und Wissenschaft - laut Einigungsvertrag sollten ja die öffentlich getragenen Einrichtungen begutachtet werden - ist in einem Maße, in einem Tempo und in einer Qualität geschehen, wo mehr der Konkurrenzkampf als eine ordentliche und saubere Bewertung eine Rolle gespielt hat.
Die eigentliche Katastrophe bestand aus meiner Sicht vor allem darin, daß nach dem ordnungspolitischen Verständnis der Alt-BRD die Einrichtungen der Industrieforschung als nicht öffentlich galten und deshalb auch vom Wissenschaftsrat nicht begutachtet wurden. Und nicht nur das! Die Existenz von 86 000 Beschäftigten in der Industrieforschung wurde schlichtweg ignoriert, und so wurden sie zu den ersten Opfern der Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt. Ende 1993 sollen von den 86 000 noch etwa 12 000 bis 13 000 übriggeblieben sein. Nach anderen Berechnungen, etwa denen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, sind es weniger; die SPD spricht in ihrem Entschließungsantrag von 10 000. Von diesen 10 000 oder 12 000 hängen rund 80 % am Tropf von Finanzhilfen des Bundes. Diese finanzielle Hilfe muß langfristig nicht nur gesichert, sondern ausgebaut werden; anderenfalls wird es einen Wirtschaftsstandort im Osten Deutschlands nicht geben.
Wußte denn wirklich kein verantwortlicher Politiker, daß die in den Staatsbetrieben der DDR angesiedelte Forschung auch staatliche, also öffentliche Forschung war? Wußte niemand, daß die Forschung in
der DDR ein wechselseitiges Geflecht von außeruniversitärer Forschung, Hochschulforschung und Industrieforschung war? Wußte niemand, daß mit dem Einsturz der Säule Industrieforschung auch die anderen Bereiche der Forschung schwer beschädigt würden? Sind wir so reich, daß wir das geistige Potential von fast 80 000 Wissenschaftlern in der Industrieforschung auf der Straße liegenlassen können? Nein, so reich sind wir leider nicht.
Ich wünsche dem Bundesminister Krüger und seinen Mannen, daß bei den Versuchen der Bewässerung der entstandenen Wüste Erfolg eintritt. Wir werden das Angebot, überall dort mitzuhelfen, wo es im Interesse der Wissenschaft liegt und den betroffenen Wissenschaftlern dient, aufrechterhalten.
Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo eigentlich bewegen wir uns, wenn wir über Forschung und den Forschungsbericht der Bundesregierung debattieren? Mitten in einem der elementaren Lebensvorgänge der Gesellschaft, mitten in der Aneignung immer neuer Dimensionen der Wahrnehmung des atomaren und stellaren, des physikalischen und biologischen Raumes! Forschung findet statt in Laboratorien, Observatorien, vor Computern oder manchmal bloß vor einer Wandtafel, auf die Formeln geschrieben werden.
Aber das alles ist nur ihre Außenseite. Das Innere dieser Bewegung ist in jedem Fall unsere Wahrnehmung, unsere gemeinsame Wahrnehmung, und der gesamte wissenschaftliche Apparat existiert nur zu dem Zweck, die einzelnen Wahrnehmungen eines einzelnen zu vergemeinschaften in der Wahrnehmung und in der Erfahrung dessen, was alle noch nie gesehen, gehört und eingeatmet haben. Weil solches Wahrnehmen so nötig ist wie die Luft zum Atmen, ist Forschung zuallererst eine Lebensnotwendigkeit und erst in zweiter Linie ein Technologieinstrument.
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Weil Forschung sich an den Grenzen einer jeweiligen Durschnittswahrnehmung bewegt, wird an ihrer Situation mehr über eine Gesellschaft offenbar als in ganzen Büchereien philosophischer Selbst- und Weltdeutungen.
Der gewichtige Forschungsbericht, der uns von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, wird seinem gewaltigen Gegenstand gerecht, und es freut mich, Herr Minister, das in Ihrer Gegenwart sagen zu können. Er zeugt von respekterheischender Kompetenz, ist detailliert, übersichtlich, informativ, bietet sinnvolle und handhabbare neue Definitionen und eine Fülle von Handlungsanregungen und Denkanstößen. Alles, was ich an kritischen Bemerkungen vorzubringen habe, könnte ich ohne diese Vorzüge des Berichts gar nicht formulieren.
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Aber um ihn positiv oder kritisch würdigen zu können, muß man diesen Bericht auf den Kontext jener Debatte beziehen, auf die er selbst immer wieder Bezug nimmt, nämlich die Frage nach dem Zustand und der Entwicklungs- und Wachstumsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland.
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Merkwürdig an dieser ganzen Debatte ist freilich, daß schon der Gebrauch des Wortes „Standort" eine gewisse Statik und Status-quo-Fixiertheit signalisiert. Aber es sei wiederholt: Bei Forschung geht es immer um Zukunft, durch Selbstorganisation von neu Wahrgenommenem und offenbar Gewordenem. Eine der Stärken des Berichtes ist zweifellos die Dichte seiner Problemwahrnehmung und -erfahrung. Aber entsprechend den Status-quo-Orientierungen der Standortdebatte wird dieses Problembewußtsein höchstens zum Organisator seiner eigenen Zukunft, eben zur Verlängerung seines eigenen Status quo, statt zur Eröffnung einer Zukunft neuer Lebens-, Forschungs- und Arbeitsbedingungen.
Hier ein paar Beispiele für diesen Widerspruch: Erfreulicherweise geht der Bericht ausführlich auf die Herausforderung der deutschen Forschungslandschaft durch den Vereinigungsprozeß ein, zu dem Herr Kollege Keller gerade gesprochen hat. Aber was erfahren wir? Nur, wie die Forschungskapazitäten der alten DDR dem schon Bestehenden an- und eingegliedert werden. Kein Wort darüber - und darin, Herr Keller, sehe ich das tiefe Problem der Industrieforschung in der DDR -, daß das Scheitern der VEB-Industrie, der Tschernobyl-Effekt uns mit einer ganz neuen Tatsächlichkeit konfrontiert haben: der Unumkehrbarkeit einer Industrieentwicklung, die wegen ihrer ökologischen Rückständigkeit ein ganzes Land in den Abgrund gezogen hat.
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Es war eine Industrie, in der die Produktivkraft Wissenschaft ständig beschworen und auch entsprechend instrumentalisiert wurde. Meine Damen und Herren in diesem Hohen Hause, das sollten wir uns zur Warnung dienen lassen.
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Aber ich finde außer einigen zaghaften Ansätzen nichts in diesem Bericht, was die fällige Neuorientierung der Forschung an Ambivalenz von Wissenschaft, Wissenschaftsfolgeabschätzung und -beseitigung oder dem Prinzip Reversibilität signalisiert.
Die mit Recht sehr hoch bewertete Friedensforschung steht in einem völlig ungeklärten Verhältnis zu einer ungebremst verlängerten Kriegs- bzw. Wehrforschung. Oder die Frage der Energieforschung allgemein und der Kernenergieforschung speziell: Die Passagen auf Seite 159 ff. sind ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie eine hochgradig verfeinerte Sicherheits- und Strahlenschutzforschung dazu dient, die Ungelöstheit, aber auch die Unlösbarkeit des Entsorgungsproblems mit Schweigen zu bedecken.
Wie viele Seiten werden der Frage einer Verbesserung des Wissenstransfers gewidmet! Aber warum wird die naheliegende Frage danach, Herr Krüger, ob
das seit 1972 bestehende Nebeneinander vom Bundesministerium für Forschung und Technologie und Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft nicht eine der Hauptursachen solcher Transferprobleme ist, nicht gestellt? Wäre nicht wenigstens über ein sinnvolles Evaluationsverfahren zu dieser Sachlage nachzudenken? Und verdient in diesem Zusammenhang der SPD-Vorschlag eines Technologierates als Kombination jetzt getrennter Organisations- und Transferstruktur nicht eine bessere Würdigung als Ihre spöttischen Bemerkungen über Technologieräte? Es handelt sich ja um ein Gremium, und das ist gerade der wichtige Punkt an dem Vorschlag.
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Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich unterstütze natürlich alles, was Sie für die Forschungslandschaft der beigetretenen DDR tun wollen, aber ich muß sagen: Ihr Antrag, so gutgemeint er ist - ich kann ohne weiteres für ihn stimmen -, ist an Präzision weit hinter dem zurück, was auf Seite 22 ff. des Forschungsberichts der Regierung steht.
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Das muß man auf jeden Fall ausbessern. Ich denke auch, der Vorschlag macht erst Sinn nach einem gemeinsamen Nachdenken über den Vorschlag des Technologierates der SPD.
Wer im übrigen fragt, wie man so etwas wie einen Technologierat finanziert, dem empfehle ich, einmal darüber nachzudenken, ob nicht zur Verfügung gestellte Förderungsmittel - wenn die Förderung erfolgreich war - an die öffentliche Hand oder an Institutionen, die gefördert haben, zurückfließen könnten.
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Da die Zeit um ist, möchte ich zum Schluß nur noch eines sagen. Herr Kollege, wir wollen die Risiken nicht zu schlimm darstellen. Wir wollen sie aber auch nicht ganz übersehen. Der Mittelweg, um den es dabei geht und auf den Sie hinauswollen, ist gerade das Problem.
Forschungsberichte werden deswegen so dick, weil das Problem im Zeitalter der Nuklearforschung und Gentechnologie so groß ist. Es ist ein Problem, wenn im Forschungsbericht die Ethik der Forschung nur als Hemmnis aufgeführt wird. Ich bin der Meinung, wir kämen viel weiter, wenn man dem Vorschlag des Verfassungskuratoriums an dieser Stelle folgte und eine Verfassungsbestimmung einfügte.
Ich möchte mit der Behauptung schließen: Wir sollten Unsachverständigen im Lande nicht einreden, es sei alles nicht so schlimm. Als verantwortliche Politiker sollten wir vielmehr dafür sorgen, daß Forschung für die Gesellschaft im ganzen transparent wird. Ich denke, das müßte hier konsensfähig sein, damit Forschung das zuallererst tut, wozu sie da ist, nämlich zur Aufklärung im vollen Sinne des Wortes.
Danke.
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Meine Damen und Herren, nächster Redner ist der Bundesminister für Forschung und Technologie, unser Kollege Dr. Paul Krüger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß in den letzten Monaten Forschung und Technologie wieder einen höheren Stellenwert in der Diskussion um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland gewonnen hat. Das zeigt auch die Tatsache, daß heute diese Debatte stattfindet, denn seit Jahren ist eine forschungspolitische Grundsatzdebatte in diesem Hause nicht mehr gehalten worden. Um so mehr freue ich mich darüber.
Gerade die konjunkturelle Schwäche weltweit hat vielen bewußtgemacht, daß eine starke Forschung heute die Grundlage für das Wirtschaftswachstum von morgen ist.
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Leider konzentriert sich die öffentliche Diskussion im Forschungsbereich weniger auf die Ergebnisse als auf die Frage nach der Höhe der Aufwendungen. Wenngleich ich wie jeder Minister mehr Geld auch für die Forschungsförderung benötige, bleibt festzustellen, daß die nachlassende Innovationsdynamik der Wirtschaft sich weniger in fehlenden Fördermitteln als vielmehr in einer Reihe anderer Ursachen begründet. Hierzu liefert der vorliegende Bundesbericht Forschung 1993 klare Aussagen.
In jedem Fall ist die staatliche Forschungsförderung der Bundesrepublik weltweit die relativ höchste Förderung. Der Rückgang der Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland von 2,9 auf 2,6 % des Bruttoinlandsproduktes ist neben der derzeitigen problematischen Konjunktursituation der Wirtschaft wohl vor allem mit den besonderen Umständen der Wiedervereinigung zu begründen und dabei insbesondere mit dem Wegbrechen der ostdeutschen Industrie infolge von 40 Jahren Mißwirtschaft
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und damit verbundenen erheblichen Reduzierungen der Industrieforschung in den neuen Ländern.
Anteilig würde eine vollentwickelte Industrie analog der bundesdeutschen in den neuen Ländern jährlich 10 Millarden DM im Bereich der Industrieforschung ausgeben. Zur Zeit liegt dieser Anteil bei unter einer Milliarde DM. Das macht in etwa, Herr Vosen, den Anteil aus, der zwischen 2,6 und 2,9 % fehlt. Das heißt, im Bereich der staatlichen Forschungsförderung haben wir keine Rückgänge verursacht.
Wir wollen an dieser Stelle aber auch deutlich machen, daß der Rückgang durch 40 Jahre Sozialismus und seine Hinterlassenschaften begründet ist. Es verwundert mich schon, wenn Herr Keller in diesem Kontext deutlich macht, daß wir im Rahmen der ostdeutschen Industrieforschung zuwenig tun, und uns auf der anderen Seite vorwirft, daß wir staatlicherseits nach meiner Information mittlerweile weit mehr als die Hälfte finanzieren. Sie sagten, sogar 80 %. Das ist für mich ein Widerspruch. Ich will damit nämlich
deutlich machen, daß wir überproportional viel tun im staatlichen Sektor, um die Industrieforschung in Ostdeutschland zu erhalten. Wir müssen uns fragen: Wie weit können wir es hier treiben? Wir brauchen einfach Industrie. Die können wir nicht künstlich am Leben erhalten.
Das Engagement der Wirtschaft ist jedoch auch in den alten Bundesländern sehr differenziert. Beispielsweise hat die Automobilindustrie ihre Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen in den letzten Jahren stetig erhöht. Die Wachstumsraten von 1991 bis 1993 sind mit 10 % überdurchschnittlich hoch. Ähnliches gilt auch für die Elektroindustrie.
Zu Recht gibt es Befürchtungen, daß die technologische Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachläßt. Wir sind zwar nach wie vor der weltgrößte Exporteur von Industriewaren mit einem Weltmarktanteil von 17,1 % vor den USA und Japan, allerdings ist bei FuE-intensiven Gütern ein Rückgang zu verzeichnen. Auch das gegenüber den USA und Japan nachlassende Patentwachstum ist ein deutlicher Indikator für eine rückläufige Innovationsdynamik.
Wir brauchen deshalb in Deutschland eine Innovationsoffensive. Der Staat steht dabei in einer besonderen Verantwortung.
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Die Diskussion der vergangenen Monate hat dabei eines ganz deutlich gemacht: Forschungs- und Technologiepolitik - und das ist heute zu Recht hier auch mehrfach von meinen Vorrednern betont worden - ist mehr als finanzielle Forschungsförderung.
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Wichtige Probleme des Standorts Deutschland sind nicht allein am Geld festzumachen. Die vielfältigen Probleme sind nicht allein durch die Politik zu lösen. Bei der Problembewältigung ist das breit in unserem Lande verteilte Wissen zu beteiligen. Das heißt: Es sind die Menschen zu beteiligen, die in unserem Land forschen, entwickeln und Produkte schaffen.
Ich bin deshalb mit aller Kraft dabei, einen systematischen, über verschiedene Gremien verteilten strategischen Dialogprozeß zu Forschung und Innovation in Deutschland in Gang zu bringen. Dabei geht es darum, vor allem die Akteure und nicht die Analytiker am Tisch zu haben. Es geht darum, zu konkreten Maßnahmen und nicht lediglich zu Empfehlungen zu kommen. Schließlich unterstütze ich eine öffentliche Diskussion auch über technologische Entwicklungen und Ziele, die uns Orientierungshilfen für den Weg ins 21. Jahrhundert liefert.
Der vor etwa einem halben Jahr ins Leben gerufene Strategiekreis, der mit hochkarätigen Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft besetzt ist, tagte gestern zum zweiten Mal und befaßte sich insbesondere mit den strukturellen Fragen der Forschung in Deutschland und vor allem mit den Prozessen, die die Forschung beeinflussen. Das ist das Hauptanliegen dieses Kreises.
Forschung und Technologie können nur dann Früchte tragen, wenn im Land ein günstiges Innovationsklima herrscht. Das ist, glaube ich, der Grundtenor, den dieser Kreis immer wieder zum Ausdruck bringt. Dieses hängt entscheidend davon ab, wie wir die Rahmenbedingungen für Forschung in Deutschland gestalten. Zur Durchsetzung von Lösungen über das BMFT, also mein Ressort, hinaus werden wir den Kabinettsausschuß „Zukunftstechnologien", den es ja gibt, wieder stärker nutzen und beleben als in der Vergangenheit.
Wissenschaft und Wirtschaft in unserem Land benötigen eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Forschung. Die aktuellen Stichworte hierzu, meine Damen und Herren, sind Ihnen alle bekannt. Ich sage das auch mit Nachdruck an die Seite der SPD, die sich immer wieder lautstark in die Debatte einbringt.
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Gentechnik- und Tierschutzgesetz, Datenschutz, Inflexibilitäten im öffentlichen Dienstrecht, im Arbeitsrecht, und geradezu unendliche Verwaltungsverfahren hemmen auch in hohem Maße die deutsche Forschung.
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- Jawohl.
Aber auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie Nachwuchs- und Talentförderung, meine Damen und Herren, - ({6})
Aber auch den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, meine Damen und Herren, nicht nur den rechtlichen, wie Nachwuchs- und Talentförderung, Aufgeschlossenheit der Menschen für Forschung und Technologie und nicht zuletzt der fehlenden Risikobereitschaft der Menschen in einer saturierten Gesellschaft kommen hier eine große Bedeutung zu. Meine Damen und Herren, fehlende Risikobereitschaft wird zunehmend selbst zum Risiko für unsere Gesellschaft.
Neben der Verbesserung der Rahmenbedingungen der Forschung ist die schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte und Anwendungen die zentrale Aufgabe der kommenden Jahre. Wir haben dafür Sorge zu tragen, daß Ergebnisse der Forschung schnell in neue Produkte und Verfahren einfließen.
Der Anteil der Grundlagenforschung in Deutschland ist laut OECD-Bericht im internationalen Vergleich herausragend. Die Bundesregierung wird die Förderung auf diesem hohen Niveau auch weiterhin fortführen. Gleichwohl gelingt es zuwenig, diese Grundlagen zu nutzen, d. h. sie in innovative Produkte und innovative Anwendungen umzusetzen. Wir haben deshalb eine Reihe von Maßnahmen initiiert, die diese Umsetzung unterstützen. Ich nenne hier nur beispielhaft das Förderkonzept Forschungskooperation, welches im letzten September gestartet wurde, die Einführung von Innovationskollegs, die zunehmende Schaffung von Verbundprojekten zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch zwischen Wirtschaftsunternehmen unterschiedlicher Größenordnungen und Wissenschaftseinrichtungen unterschiedlicher Couleur; die sogenannten Initiativen auf Zeit, bei denen Wissenschaftseinrichtungen und Wirtschaftseinrichtungen zeitweilig zusammenarbeiten und jeder seinen Teil selbst finanziert. Durch diese Zusammenarbeit kommt automatisch eine Umsetzung zustande. Auch arbeiten wir derzeit am Aufbau einer Innovationsbörse in Deutschland.
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Neben diesen Maßnahmen ist für die Umsetzung von Forschungsergebnissen ganz besonders eine klare Zielorientierung der Forschung, bezogen auf Zukunftstechnologien und Zukunftsanwendungen, notwendig. Die notwendige Umsetzung macht es geradezu erforderlich, nicht nur über die Entwicklung von Technologien, wie wir das in der Vergangenheit fast ausschließlich gemacht haben, zu sprechen, sondern auch über Produkte und über Anwendungen der Zukunft nachzudenken.
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Der Dialog auf Spitzenebene wird hierzu durch Dialoggremien auf Fachebene ergänzt. Dieser Zieldialog wird also auch nach Anwendung und Produkten fragen, die letztendlich aus der Forschung resultieren sollen. Er wird deshalb seine Fühler möglichst breit ausstrecken und Informationen der wissenschaftlichen Communities, der Projektträger und vieler anderen kompetenten Stellen zusammentragen. Grundlagen können dabei Studien wie die Delphi-Studie - sie ist vorwiegend anwendungsbezogen, also auf Produkte und Anwendungen der Zukunft orientiert - oder auch die Studie Technologien des 21. Jahrhunderts, die in erster Linie technologiebezogen ist und etwas über die technologische Entwicklung aussagt, sein. Die Ergebnisse sind als Orientierung für die Forschung, vor allem aber auch für die Wirtschaft und insbesondere zur Nutzung in strategischen Verbundprojekten zwischen Wirtschaft und Wissenschaft von großer Bedeutung.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß wir diesen Dialog, der in der Regel von wenigen Leuten nicht einmal für ein einziges Fachgebiet bestritten werden kann, im Rahmen eines sogenannten Rates der Weisen oder eines Technologierates kompetent führen können. Ich glaube im Gegenteil, wir sind darauf verwiesen, eine sehr breit angelegte Dialogstruktur, ähnlich, wie es etwa die Japaner machen, auch hier bei uns zu schaffen. An einer solchen Struktur arbeiten wir. Als Grundsatz gilt dabei immer die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Meine Damen und Herren, bei allen notwendigen Diskussionen, die wir führen, sollten wir aufpassen, daß wir den Standort Deutschland nicht schlechtreden. Deutschland besitzt hervorragende wissenschaftlich-technische Grundlagen und eine ausgezeichnete Forschungsinfrastruktur. Wir haben bereits eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um eine Innovationsoffensive in Deutschland möglich zu
machen. Dazu zähle ich die Diskussion zur Schaffung von Bewußtsein für vordringliche forschungspolitische Aufgaben; auch die heutige Debatte ist ein Ausdruck dafür. Dazu zähle ich den offenen, ehrlichen und breit angelegten Dialog über Chancen und Risiken von Forschung; ich glaube er ist notwendig, auch um Ängste und Hysterie, die möglicherweise, zum Teil sogar berechtigt, in der Bevölkerung vorhanden sind, zu dämpfen und auf ein vernünftiges und gesundes Maß zu reduzieren. Dazu zähle ich den strategischen Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Staat. Dazu zähle ich eine Reihe von konkreten Maßnahmen zur Verbesserung von Rahmenbedingungen der Forschung in Deutschland. In diesem Zusammenhang haben wir neben der Technikfolgenabschätzung jetzt auch - so sehr ich es eigentlich bedaure - eine Rechtsfolgenabschätzung installiert und damit eine Einrichtung geschaffen, die auch die Auswirkungen von Gesetzen untersuchen wird. Dazu zähle ich natürlich auch die Forschungsförderung, insbesondere auch die indirekte Forschungsförderung, auch durch steuerliche Anreize, für die ich mich nachhaltig einsetze.
Ich werde in der ersten Hälfte dieses Jahres neue Förderkonzepte und Programme, u. a. in den Bereichen der Lasertechnologie, der Mikrosystemtechnik, des produktionsintegrierten Umweltschutzes, der Materialforschung und neuer Fertigungstechnologien der Öffentlichkeit vorstellen. Damit werden wir auch in diesen Bereichen neue Akzente für die Forschung und ihre Umsetzung in die Anwendung setzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aktuelle Investitonsentscheidungen der vergangenen Wochen - das wurde heute hier schon angedeutet - bestätigen die Zukunftsfähigkeit des Technologiestandorts Deutschland. Beispiele wie die Investitionsentscheidungen der Adam Opel AG für ein Motorenwerk in Kaiserslautern, der Daimler Benz AG in Rastatt, der BMW in Dahlewitz, der Siemens AG in Dresden, für die auch wir direkt oder indirekt mit Voraussetzungen geschaffen haben und die alle mit Forschung und Innovation verbunden sind, sowie die bevorstehende Entscheidung zur Magnetschnellbahn Transrapid bestätigen das nachhaltig.
Es kommt nun darauf an, den gerade begonnenen konjunkturellen Aufschwung mit einem technologischen Aufbruch der deutschen Wirtschaft zu verbinden. Gerade für diesen Aufbruch der Wirtschaft haben wir wesentliche Weichenstellungen vorgenommen, und wir bereiten weitere Entscheidungen vor.
Den eingeschlagenen Weg werde ich konsequent weiter beschreiten. Ich lade Sie ein, mich auf diesem Weg zu begleiten.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Vorsitzenden des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, unserem Kollegen Wolf-Michael Catenhusen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns alle hier in dieser Runde einig, daß wir in Deutschland eine leistungsfähige
Forschungslandschaft haben. Ich hoffe, wir sind uns auch alle mit Herrn Ullmann darin einig, daß eine leistungsfähige Wissenschaft und Forschung auch Ausdruck unseres Standes von Kultur in unserer Gesellschaft ist und daß wir auch ein legitimes Interesse daran haben, daß Wissenschaft und Forschung zur Aufklärung, zum besseren Verständnis der Welt und auch zu unserer Orientierung in dieser sich verändernden Welt beitragen.
Daß die Forschungspolitik dieser Bundesregierung eine der starken Seiten der Politik in Deutschland darstellt, davon können wir allerdings nicht reden. Mir kommen die Reden von Herrn Lenzer und vor allen Dingen vom Herrn Forschungsminister, von Herrn Krüger, so vor, als ob Sie jetzt in Vorzeiten eines Wahlkampfes im Geschwindgalopp versuchen, elf Jahre fehlender Strategien in der Forschungspolitik durch symbolische Ankündigungen zu ersetzen.
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Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft nehmen Schaden an den seit Jahren fehlenden Geldern für Forschung und Technologie. Denn diese Gelder sind doch im besten Sinne Investitionen in unsere Zukunft. Es ist auch keine Frage, daß wir nicht erst seit der deutschen Einigung, Herr Krüger, sondern mindestens seit 1987 mit einer realen Stagnation der Forschungsausgaben zu tun haben.
Meine Damen und Herren, es geht uns aber vor allem um Fragen der strategischen Defizite Ihrer Politik. Wir brauchen eine Forschungspolitik, die sich als Innovationspolitik versteht, die technologische, wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Innovationen verknüpft. Es geht uns um technologische Innovation, um die Technologien und Produkte, die morgen unser Leben bestimmen, heute zu entwikkeln. Es geht uns um soziale Innovation, um die Gestaltung von Technik für die Gesellschaft und um ihren sozialverträglichen Einsatz in den Fabriken von morgen. Es geht uns auch um ökologische Innovationen. Denn wir wissen doch alle, daß nur die Industrienationen im internationalen Wettbewerb bestehen, die in Zukunft umweltverträglicher, energie- und rohstoffeffizienter werden. Nicht zuletzt geht es uns um Innovationen in den Zielen und Strukturen der Forschungs- und Technologiepolitik in unserem Lande.
Meine Damen und Herren, diese Neuorientierung muß in Bereichen Platz greifen, für die Sie Worthülsen haben, für die Ihnen aber die Konzepte fehlen. Sie reden über die Technologien des 21. Jahrhunderts. Das ist auch notwendig. Denn wir wissen, daß eine Vielzahl technologischer Entwicklungslinien über unsere zukünftige ökonomische Wettbewerbsfähigkeit entscheiden wird. Wir brauchen hier verstärkte strategisch ausgerichtete Forschungsanstrengungen der Wirtschaft und des Staates.
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Sie reden von den Zukunftstechnologien und kürzen gleichzeitig die Fördermittel für diese Technologien.
Und wir müssen hier auch, meine Damen und Herren, Konsequenzen für die Strukturen unserer Forschung ziehen. Zukunftstechnologien sind hochgradig vernetzt. Sie entstehen gerade an den Nahtstellen zwischen etablierten Fächern. Wir brauchen also neue Formen der flexiblen Verknüpfung von Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Entwicklung.
Wir brauchen auch Strukturen in der Forschung und Forschungsförderung, die das schnelle Aufgreifen neuer Entwicklungen quer zu den etablierten Wissenschaftsdisziplinen und Technologien ermöglichen. Die neuen Forschungsprojekte landen bei den Förderreferenten des BMFT, und die Referate A und B wissen nicht, wo denn diese neuen Fragen unterzubringen sind. Das ist doch ein merkwürdiges Hinterherlaufen der Strukturen Ihrer Forschungsförderung hinter den neuen Strukturen der Wissenschaft selbst.
Und, meine Damen und Herren, wir brauchen neue Modelle einer strategischen Arbeitsteilung zwischen öffentlicher Forschung und Forschung in der Wirtschaft auf diesen Zukunftsfeldern. Warum kann über so etwas nicht in Deutschland nachgedacht werden, was in Japan üblich ist, daß z. B. bei Schlüsseltechnologien der Zukunft auf Zeit Forschungseinrichtungen gebildet werden, in denen Leute aus den Universitäten und aus öffentlichen Forschungseinrichtungen und Forscher aus der Wirtschaft auf Zeit zusammenarbeiten und sich die Industrie und der Staat die Gelder und die Kosten teilen?
Meine Damen und Herren, ich denke, wir brauchen verstärkte Anstrengungen - da sind wir uns im Forschungsausschuß immer einig gewesen - für die neuen Bundesländer. Nach einem schmerzhaften Prozeß der Umstrukturierung und des Kapazitätsausbaus hat die außeruniversitäre Forschung in den neuen Bundesländern festen Boden unter den Füßen und gute Perspektiven, wenn die notwendigen Investitionen in Bauten und Geräten erfolgen.
Katastrophal, meine Damen und Herren, ist der Zustand der Industrieforschung. Darauf ist die Politik in dieser Regierung erst mit zweijähriger Verspätung aufmerksam geworden. Die Forschungskapazitäten in der ostdeutschen Industrie sind weitgehend zerstört, und den hier jetzt arbeitenden Firmen fehlt die Eigenkapitalbasis, um Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aufzubauen oder zu erhalten oder ihren Eigenanteil für öffentlich finanzierte Forschungsvorhaben zu leisten.
Meine Damen und Herren, wir plädieren entschieden für ein Bündel von Maßnahmen der Technologiepolitik und der Wirtschaftspolitik, um dem weiteren Abbau der Industrieforschung in Ostdeutschland entgegenzuwirken.
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Wir müssen die wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern stärken. Wir müssen aber vor allem die Möglichkeiten eigenkapitalschwacher Unternehmen, Forschung und Entwicklung zu betreiben, drastisch verbessern. Wir brauchen neue Anstrengungen von seiten des Bundes, damit Unternehmen in Ostdeutschland verstärkt innovative Produkte unter Nutzung von Zukunftstechnologien
entwickeln können. Denn nur so können wir auch unseren Beitrag leisten, daß mehr technologieorientierte kleine und mittlere Unternehmen in den neuen Bundesländern entstehen. Und nur so können wir auch dazu beitragen, daß der dortigen Industrie auf Dauer das Schicksal erspart bleibt, nur verlängerte Werkbank für westdeutsche Unternehmen zu sein.
Herr Minister Krüger, Sie haben ja da schöne Ankündigungen gemacht. Der Bundeskanzler hat Ihnen dazu einen ungedeckten Scheck von 150 Millionen DM aus dem PDS-Vermögen ausgestellt, bei dem nachher bekannt geworden ist, daß die Bundesregierung über dieses Geld gar nicht allein verfügen kann. Das sind auch interessante Methoden, wie man eigene Blößen verdeckt.
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Die Entscheidung von Siemens für Dresden ist ein Zeichen, daß gerade fortgeschrittene Technologien eine Perspektive für die neuen Bundesländer bieten. Wir begrüßen ausdrücklich diese wichtige Entscheidung von Siemens für Dresden.
Wir haben auch in Deutschland einen entscheidenden Mangel an sozialen Innovationen; denn die Fähigkeit zur intelligenten und sozial vernünftigen Nutzung der menschlichen Ressourcen, der Arbeitskraft, wird ein immer wichtigerer Standort- und Wettbewerbsfaktor. Wir müssen doch mal überlegen, warum wir nicht in Deutschland neue Modelle entwickeln, sondern sie aus Japan importieren. Wo ist unsere Anstrengung, dazu beizutragen, daß neue Managementformen, neue Produktionskonzepte, daß eine Modernisierung der Arbeitsorganisation und eine ständige Weiterentwicklung von Qualifizierungsstrategien auch unter Beteiligung von Wissenschaft und Forschung in Deutschland entstehen?
({4})
Die Forschungs- und Technologiepolitik muß sich im Programm „Arbeit und Technik" viel stärker den strategischen Bedeutungen dieser sozialen Innovation gerade im Produktionsprozeß zuwenden.
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Herr Minister Krüger, Sie haben nach dem Workshop Ihres Hauses zum Thema Technikakzeptanz offenkundig - das haben Sie auch heute gezeigt - Abschied von Ihrem vorschnellen monatelangen Gerede über die Technikfeindlichkeit in Deutschland genommen. Das ist begrüßenswert. Denn der Deutsche Industrie- und Handelstag hat vor kurzem festgestellt: Die deutsche Gesellschaft ist hinsichtlich neuer Techniken risikobewußter und kritischer geworden. Sie ist aber nicht generell technikfeindlich.
Der Vertreter eines anderen Forschungsinstituts hat auf diesem Workshop drastischer gesagt: Wer die definitiv falsche These von der angeblichen Technikfeindlichkeit der Deutschen verbreitet, der gefährdet den Standort Deutschland; er redet ihn in der Tendenz geradezu kaputt.
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Dem ist nichts hinzuzufügen.
Alle einschlägigen Untersuchungen zeigen: Es gibt keine Skepsis gegenüber Technik an sich. Es gibt aber Technologien, die einen erhöhten Legitimationsbedarf haben, die aber durchaus im konkreten nachvollziehbaren Anwendungsfall auch in Deutschland große Akzeptanz finden, wie etwa die Gentechnik in der Medizin.
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein nüchternes Herangehen vor allem an die Schlüsseltechnologien der Zukunft. Darin sind wir uns im Grundsatz einig. Was wir aus diesen Schlüsseltechnologien machen, hängt auch von uns selbst ab. Sie sind gestaltbar.
In der Politik fehlt allerdings die Verknüpfung der Forschungsförderung mit anderen Politikfeldern. Ich will Ihnen dazu drei Beispiele nennen.
Sie plädieren für eine innovationsorientierte Steuerpolitik. Sie haben die Instrumente in diesem Bereich für kleinere und mittlere Unternehmen 1989 abgeschafft. Das ist Ihr konsistenter Politikbezug.
Zweites Beispiel: Sie haben zehn Jahre lang den Transrapid entwickelt und es nie hinbekommen, eine Klärung herbeizuführen, welche Bedeutung der Transrapid für das deutsche und europäische Hochgeschwindigkeitspersonentransportsystem besitzt. Daran leidet die Transrapiddiskussion in Deutschland, nicht an den Technikfeinden, sondern an ihrer Unfähigkeit, Technikförderung und Verkehrspolitik sinnvoll miteinander zu verknüpfen.
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- Ich weiß, daß Ihnen das nicht paßt, aber Sie müssen sich das einmal deutlich sagen lassen.
Ein aktuelles Beispiel: Es ist doch nett, daß der forschungspolitische Vertreter der F.D.P. gegen die Patentgebührenerhöhung plädiert, für die die Justizministerin aus seiner eigenen Partei dem Parlament gerade einen Entwurf vorgelegt hat. Das finde ich eine phantastische Zusammenarbeit und Abstimmung in der Koalition.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir müssen in dieser Diskussion nüchtern zur Kenntnis nehmen, daß in der Gesellschaft eine Vielzahl von Akteuren auf den Prozeß der Entwicklung und Anwendung von Technik Einfluß nimmt. Wir sind nicht die wichtigsten Akteure im Prozeß der Technikentwicklung. Aber wir müssen unsere beschränkte Verantwortung wahrnehmen. Deshalb brauchen wir verstärkte Anstrengungen, um eine breite gesellschaftliche Verständigung über die für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft notwendigen Technologien und Technikanwendungen zu erreichen.
Meine Damen und Herren, wir sind davon überzeugt, daß ein Technologierat hier durchaus seinen wichtigen Beitrag leisten kann. Wir sehen unseren Antrag dazu als ein Angebot zur Diskussion. Man sollte schnell prüfen, ob es hier zu einer interfraktionellen Verständigung kommen kann.
Das Politikfeld Forschung und Technologie ist eigentlich zu schade, um es in Vorwahlzeiten vorderWolf-Michael Catenhusen
gründig aufzurühren. Wir alle müssen uns darüber im klaren sein: Es gibt kein Politikfeld, das so auf langfristige Orientierung und auf gesellschaftlichen Konsens angewiesen ist wie die Forschungs- und Technologiepolitik.
Schönen Dank.
({8})
Meine Damen und Herren, das Wort erhält jetzt unser Kollege Dr. Christoph Schnittler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Diskussion des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist ohne eine Diskussion des Forschungsstandorts Deutschland nicht denkbar. Die Freien Demokraten begrüßen deswegen die heutige forschungspolitische Debatte, wenn auch die dafür verfügbare Zeit in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Themas eher gering erscheint.
Forschung und Bildung sind elementare Voraussetzungen unserer Zukunftsgestaltung. Es muß deshalb eine parteiübergreifende Aufgabe der Politik bleiben - Sie sehen, ich suche nach Gemeinsamkeiten -, auch in Zeiten knapper Haushalte die Mittel hierfür zu erhalten und womöglich zu erhöhen. Trotzdem sollten wir darin nicht das vordringliche Problem sehen.
Die gegenwärtige Strukturkrise hat uns allen den Blick auch dafür geschärft, daß unser Forschungs- und Bildungssystem effektiver gestaltet werden muß. In der Forschung heißt das schlicht und einfach, daß ihre Ergebnisse mehr wirtschaftlichen Nutzen, vor allem mehr innovative Produkte abwerfen müssen. Andere, insbesondere außereuropäische Länder verstehen sich darauf besser.
Wer hierin eine Geringschätzung der Grundlagenforschung sieht, versteht mich falsch. Die Trennung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung ist ohnehin nicht zeitgemäß. Vielmehr müssen wir die zukunftsträchtigen Felder der Forschung rechtzeitig erkennen und sie in der erforderlichen Tiefe und Breite von der Grundlagenforschung bis hin zur wirtschaftlichen Verwertung betreiben. Freilich schließen neue Erkenntnisse immer Chancen und Risiken ein. Ein Land, das vor allem die Risiken sieht und die Chancen nicht wahrnimmt, wird zwangsläufig irgendwann auf das Niveau eines Entwicklungslandes zurückfallen. Es wird nicht nur seinen Wohlstand verspielen, sondern es wird auch seiner sozialen und ökologischen Probleme nicht mehr Herr werden.
Meine Damen und Herren, der Bundesforschungsbericht 1993 stellt sowohl eine sehr beachtliche Leistungsbilanz dar, als er auch Fragen aufwirft. Das soll er ja auch. Hervorzuheben ist für mich das Engagement der Forschunspolitik des Bundes für die neuen Bundesländer. Ich bin dafür, daß man diese Situation nicht pessimistisch sieht, wie das heute geschehen ist, und daß man auch nicht, um mit Kästner zu sprechen, den „Optimistfink" herauskehrt, sondern daß man sie realistisch sieht. Das bedeutet: In den neuen Ländern ist beim Aufbau einer leistungsstarken Forschungslandschaft mit Hilfe der alten Bundesländer sehr viel
erreicht worden. Das wollen wir durchaus dankbar anerkennen.
({0})
Auf der anderen Seite sind große Anstrengungen und Mittel notwendig, um insgesamt die Forschungseinrichtungen auf das Niveau der alten Bundesländer zu heben.
Die Max-Planck-Gesellschaft, die FraunhoferGesellschaft und Großforschungszentren haben sich in anerkennenswerter Weise in den neuen Ländern engagiert. Am reichlichsten sind die neuen Länder mit Instituten der Blauen Liste ausgestattet: mit 34 von insgesamt 82. Es bleibt zu diskutieren, ob das schon eine endgültige Lösung sein kann.
Die eigenen Anstrengungen der neuen Länder, z. B. auch meines Heimatlandes Thüringen, möchte ich besonders hervorheben. Bemerkenswert ist auch, daß die finanzschwachen neuen Länder relativ mehr Mittel für institutionelle Forschung aufwenden als die alten. Ein Problem ist die Verteilung der Forschungsmittel. Hier gibt es ein großes Gefälle von Ost-Berlin mit dem höchsten Anteil bis hinunter nach Thüringen. Hier gilt es ebenfalls Strukturpolitik zu betreiben.
Besonders schwierig freilich ist die Situation der industrienahen Forschung in den neuen Ländern. Es gab einen Rückgang von 74 000 auf nunmehr 13 000 Personen, die dort tätig sind, Tendenz: Abnahme. Die sozialen Probleme und der Verlust an Kapazitäten für eine innovative Erneuerung der Produktion springen jedem ins Auge.
Es muß deshalb vordringliche Aufgabe deutscher Forschungspolitik sein, die leistungsfähigen Reste dieser Industrieforschung über die wirtschaftliche Talsohle hinwegzuretten. Dazu liegt Ihnen heute ein Antrag der Koalitionsfraktionen mit einem abgestimmten Katalog von Maßnahmen vor, für den ich ausdrücklich um Ihre Zustimmung bitte. Ich möchte lediglich einen Punkt hervorheben. Das ist die Forderung, EG-Strukturfonds-Mittel stärker als bisher für Forschung und Entwicklung zu nutzen. Das entspricht den Vorstellungen des Europäischen Parlaments. Es wird im übrigen in Sachsen und in Brandenburg bereits praktiziert.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort bekommt jetzt unser Kollege Dr. Joachim Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erkenntnis, daß die Zukunft des Standorts Deutschland vor allem von Effektivität und Qualität der deutschen Forschung abhängt, hat im Bewußtsein der Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft, aber auch der Bevölkerung wieder einen hohen Stellenwert gewonnen. Fast jeder weiß: Neue marktfähige Produkte und moderne Technologien bilden die entscheidenden Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.
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Dies gilt für ganz Deutschland, in besonderem Maße aber für die neuen Bundesländer, die sich dem westdeutschen wirtschaftlichen Niveau nur langsam annähern und auf internationalen Märkten erst Fuß fassen müssen.
Es bleibt deshalb dabei: Die Erhaltung und Entwicklung der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern stellt weiterhin eine zentrale Aufgabe deutscher Politik dar.
({1})
Nachdem die außeruniversitäre Forschung in den neuen Bundesländern im wesentlichen als konsolidiert angesehen werden kann, muß die Industrieforschung, die die Forschungslandschaft der DDR qualitativ und quantitativ prägte, endlich in den Mittelpunkt des Interesses rücken.
Es ist richtig, daß in der Industrieforschung der neuen Bundesländer ein drastischer Rückgang eingetreten ist. Zur Zeit befassen sich weniger als 1 % der in der Industrie Beschäftigten mit Forschung und Entwicklung. In den alten Bundesländern beträgt dieser Anteil mehr als das Siebenfache.
Es ist auch richtig, daß beim Personalabbau in den Betrieben die Abteilungen Forschung und Entwicklung leider im Vordergrund standen, weil mit F und E in der aktuellen dramatischen Überlebenssituation häufig kein Geld verdient werden konnte.
Herr Keller hat den Raum verlassen; deshalb kann ich mich mit ihm leider nicht auseinandersetzen.
({2})
Herr Keller, Sie sollten in dieser Hinsicht Zurückhaltung üben.
({3})
Die Ihnen nahestehenden und zum Teil Ihrer Partei auch noch angehörenden Forschungsdirektoren und Forschungsfunktionäre, die auch nach der Wende die Kommandohöhen bedauerlicherweise noch besetzt halten oder hielten, haben sich nach der Wende als die schlimmsten Manchesterkapitalisten erwiesen, nachdem sie uns vorher den Sozialismus als die für die Ewigkeit konzipierte Gesellschaftsordnung einzubläuen versucht haben.
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Sie haben kein Recht, so zu reden, wie Sie es hier getan haben.
({5})
Die unbestritten schwierige Situation in der Industrieforschung der neuen Bundesländer rührt partiell auch von den Defiziten her, die aus dem Forschungssystem der ehemaligen DDR stammen und für die Sie und nur Sie die Verantwortung tragen.
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Wenn Sie dies leugnen, zeigen Sie nur, daß Sie von dieser Branche nichts verstehen.
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Diese Inkompetenz überrascht allerdings nicht.
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Meine Damen und Herren, bei der Umstrukturierung der Industrie in den neuen Bundesländern sind in vielen Fällen kleinere Unternehmen entstanden, die sich eine eigene Forschung und Entwicklung selbst nicht mehr leisten können. Die industriell orientierten Forschungsinstitute und wissenschaftlichen Zentren wurden 1990 häufig in Gesellschaften mit beschränkter Haftung überführt und in vielen Fällen von ihren Mutterbetrieben abgekoppelt.
Diese Forschungs-GmbHs, die die derzeitige Hauptsäule der industrienahen Forschung in den neuen Bundesländern bilden, wurden von der Treuhandanstalt - u. a. auch auf unser Drängen hin - evaluiert. Sie sind gegenwärtig die wichtigsten Partner für die sich herausbildende mittelständische Industrielandschaft. Ihr Ziel ist es, sich am Markt aus eigener Kraft mit innovativen Produkten, Technologien und wissenschaftlich-technischen Dienstleistungen zu behaupten.
Diese Unternehmen können auf verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten wie der Werkstoffentwicklung, dem Maschinenbau, der Elektrotechnik, der Information- und Umwelttechnik schon heute auf anerkannte Leistungen verweisen. Sie wurden, im wesentlichen seit 1991, durch Förderprogramme des BMFT und des BMWi unterstützt. Diese Fördermaßnahmen waren sehr hilfreich und wurden dankbar angenommen.
Für die wirtschaftsnahe Forschung in den neuen Bundesländern wurden 1992 und 1993 durch die Bundesregierung jeweils etwa 700 Millionen DM bereitgestellt. Dies entspricht etwa einem Viertel des Forschungsbudgets der ostdeutschen Wirtschaft. So anerkennenswert diese Unterstützung ist, sie reicht auf jeden Fall noch nicht aus. Deshalb benötigen die meisten innovativen Unternehmen derzeit noch intensive Unterstützung, vor allem Chancengleichheit, um zukünftig im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen zu können.
Im einzelnen halte ich - in Anlehnung an den Antrag der Koalitionsfraktionen - folgende Maßnahmen für notwendig.
Erstens. Verstärkte Fortsetzung der bewährten Projektförderung durch BMFT und BMWi: Die von der ostdeutschen Industrieforschung einhellig begrüßte Gemeinschaftsinitiative Produkterneuerung sollte möglichst kurzfristig wirksam werden.
Zweitens. Die Förderinstrumente müssen stärker den in den neuen Bundesländern real vorhandenen Bedingungen angepaßt werden. Das heißt, sie müssen in ihrer Vielfalt überschaubarer, im Beantragungsverfahren einfacher und damit für mittlere und kleinere
innovative Unternehmen handhabbarer gemacht werden.
Drittens halte ich es für dringend geboten, die Förderung projektgebundener Markterschließungs- und Vertriebsinstrumente für innovative Produkte, moderne Technologien und wissenschaftlich-technische Dienstleistungen finanziell zu verstärken, um die Chancen für den Markteintritt zu verbessern.
Ein besonders ins Gewicht fallender Mangel der industrienahen Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern ist ihre äußerst bescheidene Eigenkapitalbasis. Dieser Umstand und der derzeitig akute Ertragsmangel sind dafür verantwortlich, daß in vielen Fällen die Eigenanteile im Rahmen der Forschungsförderung nicht bereitgestellt werden können. Deshalb ist eine Reduzierung der Eigenanteile, gegebenenfalls in Einzelfallprüfung, absolut notwendig.
Aber ebenso erforderlich ist es, daß die Banken beim Umgang mit innovativen Unternehmen mehr Risikobereitschaft bei der Vergabe von mittel- und langfristigen Krediten zeigen.
({9})
Ferner halte ich es für richtig, innovativen Unternehmen gezielt steuerliche Anreize und Entlastungen zu gewähren.
Zum Schluß
({10})
möchte ich nachhaltig werben für eine intensivere Forschungskooperation zwischen ost- und westdeutschen Forschungseinrichtungen, auch auf dem Gebiet der Industrieforschung.
({11})
Erlauben Sie mir deshalb, Ihnen ein Modell mit Vorbildcharakter vorzustellen: Das Forschungszentrum eines bedeutsamen westdeutschen Konzerns entwickelt gegenwärtig gemeinsam mit der Bergakademie Freiberg und mit industrienahen Forschungseinrichtungen aus dem Forschungsstandort Freiberg in Sachsen moderne Membrantechnologien zur Entsorgung industrieller Abwässer. Die konzipierten Technologien werden in einschlägigen sächsischen Betrieben, an denen der westdeutsche Konzern beteiligt ist, erprobt und bis zur Markteinführung weiterentwickelt. Die zur technischen Umsetzung notwendigen Apparate, die zum Teil auch Ergebnis der Entwicklungsarbeiten sind, werden von einem mittelständischen sächsischen Betrieb gefertigt. Für die Einführung auf dem nationalen und internationalen Markt stellt der westdeutsche Konzern sein Vertriebssystem und seine Marketingerfahrungen zur Verfügung. Vom Bund, vertreten durch das BMFT, und dem Freistaat Sachsen werden die beginnenden Forschungsarbeiten angemessen finanziell unterstützt.
Diese Kooperation fußt auf gemeinsamen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen der beteiligten Partner. Sie fördert nicht nur den wirtschaftlichen Aufschwung in meiner Heimat, sie nützt auch dem westdeutschen Unternehmen. Nicht zuletzt
dient sie aber auch dem Zusammenwachsen in unserem Land.
({12})
Vor allem letzteres sollten wir nicht geringschätzen. Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort erteile ich nunmehr der Abgeordneten Frau Bulmahn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wissenschaft und Forschung, die so lange gründlich vernachlässigten Kellerkinder der Bundesregierung, erfreuen sich, seit sich die Debatte um den Industriestandort Deutschland mehr und mehr auf die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Technologie konzentriert, so großer Aufmerksamkeit wie schon seit langem nicht mehr. Das ist gut so; denn Forschungspolitik ist Zukunftsvorsorge, Zukunftssicherung.
Wenn die Bundesrepublik ihre Zukunft nicht verspielen will, muß sie diese Herausforderungen, die sich aus der Entwicklung und der Nutzung der modernen Technologien ergeben, aktiv annehmen. Wer die Märkte von morgen gewinnen will, d. h. die Arbeitsplätze und Einkommen von morgen sichern will, schafft dies nicht mit Rezepten von vorgestern, mit Sozialabbau, Lohnkürzungen oder einer falsch verstandenen Deregulierungspolitik. Diese Form der Standortsicherungspolitik ist kontraproduktiv,
({0})
sie zerstört letztlich die anerkannten Standortqualitäten dieses Landes.
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Wir wollen ein Hochlohnland bleiben und müssen daher den wissenschaftlich-technologischen Wandel für den industriellen Strukturwandel erschließen. Wir müssen deshalb Wissenschaft und Forschung in diesem Lande endlich wieder Priorität geben.
In keiner Regierungsperiode, meine Damen und Herren, ist der Forschungshaushalt so heruntergewirtschaftet worden wie unter diesem Bundeskanzler. Da nutzen auch die schönsten Broschüren und Sonntagsreden nichts. Die Fakten sind bedrückend: 1982, bei Übernahme der Regierungsverantwortung durch diese Regierungskoalition, finanzierte der Bund 62,2 % der öffentlichen Forschungsausgaben, 1993 nur noch 57,8 %. 1982 lag der Anteil der zivilen Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bundeshaushalt bei 4 %, 1993 aber nur noch bei 3,2 %. Der Anteil der militärischen Forschung am Bundeshaushalt kletterte dagegen erheblich, und zwar von 0,7 % auf 1,1 % im Jahre 1989. Er liegt jetzt, trotz völlig veränderter sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen, immer noch bei 0,7 %.
Mit dieser Prioritätenverschiebung hat die Bundesregierung der zivilen Forschung dort dringend benötigte Mittel entzogen. Herr Lenzer, die Vermischung von ziviler und militärischer Forschung ist genau der falsche Weg. Die militärische Forschung bedeutet
eine teure Umwegforschung. Die USA haben es inzwischen erkannt und nehmen von dieser Politik Abstand.
Besonders deutlich wird aber der Bedeutungsverlust der Forschungspolitik am BMFT-Haushalt. Dies ist nicht ein Ergebnis der deutschen Einigung und nicht eine Entwicklung der letzten Jahre. In keinem einzigen Jahr seit 1982 sind die Forschungsmittel des BMFT real gestiegen. Bei Deflationierung mit dem Preisindex des Sozialprodukts liegt der Haushaltsansatz für 1994 gar um 16 % unter dem Niveau von 1982. Die Pro-Kopf-Ausgaben in konstanten Preisen sind im gleichen Zeitraum von 122 DM auf 78 DM gesunken.
Meine Damen und Herren, die wenigen Zahlen machen deutlich, welch katastrophales Erbe diese Bundesregierung in der Forschungs- und Technologiepolitik hinterläßt.
Doch ich möchte hier nicht länger Vergangenheitsbewältigung betreiben. Es kommt darauf an, daß endlich etwas geschieht, daß gehandelt wird. Ohne zusätzliche Mittel geht es einfach nicht mehr. Die nachhaltige Erhöhung der Forschungsausgaben, das Schließen der aufgetretenen strategischen Lücke im Forschungshaushalt wird deshalb zu den ersten und vordringlichsten Aufgaben der neuen Bundesregierung gehören.
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Hohe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen sind ein wichtiger, ein unentbehrlicher Beitrag zur Zukunftssicherung, reichen aber allein nicht aus. Sowenig Geld automatisch zu Spitzenleistungen führt, sowenig ergibt sich aus wissenschaftlich-technischen Vorsprüngen quasi von selbst eine wettbewerbsstarke Wirtschaft. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit, wissenschaftlich-technische Erkenntniszuwächse in neue marktgängige Produkte, Verfahren und Dienstleistungen umzusetzen und erfolgreich zu vermarkten. Ich freue mich, daß dies offensichtlich inzwischen auch Einsicht des Bundesforschungsministers geworden ist.
Erfolgreiches Innovationsmanagement ist damit zu einer entscheidenden Schlüsselgröße geworden. Aber ausgerechnet hier weist das deutsche Innovationssystem eklatante Schwächen auf. Forschung, Entwicklung, Design, Produktionsplanung, Fertigung und Vermarktungsstrategien werden in Deutschland nicht als ineinandergreifende, sich gegenseitig bedingende und parallele Innovationsphasen begriffen. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in den Unternehmen führen vielfach ein Eigenleben, sind zu wenig auf strategische Unternehmensziele ausgerichtet und haben zu wenig Informationen über das Marktgeschehen und über die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden.
Die Folgen faßt eine Kienbaum-Studie wie folgt zusammen: „Innovationen dauern in Deutschland zu lang, sind realitätsfern und schlecht geplant."
Neue Ideen haben oft nur unzureichende Chancen, akzeptiert und umgesetzt zu werden. Geradezu erschreckend finde ich das Ergebnis einer jüngst angefertigten Studie, derzufolge deutsche Forscherinnen und Forscher inzwischen 10 bis 20 % ihrer Zeit heimlich an Erfindungen und Entwicklungen arbeiten, um Behinderungen und Gängeleien durch ihre Vorgesetzten aus dem Weg zu gehen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, welche Folgerungen ergeben sich aus den skizzierten Schwächen des Innovationsstandorts Deutschland für die Forschungs- und Technologiepolitik?
Erstens. Eine Forschungs- und Technologiepolitik, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft verbessern und zugleich die Chancen des wissenschaftlich-technologischen Wandels für die Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen gezielt nutzen will, läßt sich nicht als isolierte Ressortpolitik betreiben. Mein Kollege Catenhusen hat einige der Beispiele genannt; wir alle kennen viele solcher Beispiele. Forschungspolitik in einem so verstandenen Sinne muß integraler Bestandteil einer aktiven Innovationspolitik werden.
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Dies erfordert eine enge konzeptionelle Abstimmung nicht nur der verschiedenen Forschungsförderungsprogramme der einzelnen Bundesressorts, der Länder und der Europäischen Union, sondern auch und gerade mit der Bildungs-, der Wirtschafts-, der Umwelt- und der Sozial- und Rechtspolitik.
Zweitens. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens über die Zielsetzungen, die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen sowie die einzuschlagenden Strategien. Die Einleitung eines entsprechenden Zukunftsdialogs zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik ist mehr als überfällig. Ich hoffe, daß wir in diesem Jahr nicht nur darüber reden, sondern ihn endlich auch installieren.
Ein solcher Dialog dient der Erarbeitung eines gesellschaftlich akzeptierten Orientierungsrahmens, der die Langfristigkeit innovationspolitischer Weichenstellungen und Schwerpunktsetzungen für alle Beteiligten gewährleistet. Er zielt letztlich auf bessere Entscheidungen. Der von meiner Fraktion geforderten Einrichtung eines Zukunfts- und Technologierates und der konsequenten Nutzung des Instruments der Technikfolgenabschätzung, die auch Politikfolgenabschätzung beinhaltet, kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.
Drittens. Die Forschungs- und Technologiepolitik muß künftig langfristig und verläßlich angelegt werden. Sie muß klare, strategische Schwerpunkte setzen, zeitliche und finanzielle Vorgaben machen und einer ständigen Ziel- und Erfolgskontrolle unterworfen sein. Die Förderung der Technologien des 21. Jahrhunderts und der Vorsorgeforschung muß dabei endlich jene Priorität erhalten, die ihr von ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung her zukommt.
Viertens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn ich mich in diesem Zusammenhang auf forschungspolitische Konsequenzen zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland beschränken möchte, so kann und darf dies nicht heißen, daß wir die Forschungspolitik auf das Ziel der Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beschränken
können und dürfen. Diese Politik muß vielmehr auch und gerade zu einer Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen insgesamt beitragen.
Wenn es uns nicht gelingt, unsere wirtschaftliche Entwicklung in eine Bahn zu lenken, die in Einklang mit den sozialen und ökologischen Erfordernissen steht, dann hat der Wirtschaftsstandort Deutschland keine Zukunft.
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Zentrales Ziel der Forschungspolitik muß deshalb die Entwicklung einer ökologischen Kreislaufwirtschaft sein. Die Forschungs- und Technologiepolitik muß die Vision einer sozialen und ökologischen Industriegesellschaft entwickeln helfen. Diese Politik hat die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen für diesen Wandel in Wirtschaft, Staat und Kultur zu erforschen. Sie hat die technischen Möglichkeiten einer neuen ressourcenschonenden Produktionsweise zu erkunden und zu erproben.
Fünftens. Stärker als bisher sollten wir nachfrageorientierte Steuerungsmechanismen in der Forschungs- und Technologiepolitik nutzen. Zusammen mit einer innovativen staatlichen Beschaffungspolitik - auch hier ist die Kooperation und Koordination zwingend notwendig - können nachfrageorientierte Förderprogramme, wenn sie strategisch richtig plaziert sind, zur Erschließung neuer Technologien und Märkte etwa im Infrastruktur- und Umweltbereich beitragen.
Hierzu gilt es, anspruchsvolle und visionäre Leitprojekte zu formulieren. Sie sollten überzeugende Perspektiven aufzeigen und auf Grund ihrer motivierenden Kraft Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Politik frühzeitig und kontinuierlich zu gerichtetem kooperativen Handeln zusammenführen. Bei solchen Leitprojekten wie z. B. dem „New Sunshine Program" des MITI mit dem Ziel einer umweltverträglichen Energieversorgung unter Einbeziehung wirklich aller Komponenten einschließlich eines Entwicklungsprogramms kommt es nicht nur darauf an, entsprechende Visionen zu entwerfen; sondern es kommt darauf an, gangbare Wege und Schritte zur Erreichung der Ziele aufzuzeigen und in Angriff zu nehmen, ohne dabei den Gesamtzusammenhang, sprich: das Ziel, aus den Augen zu verlieren.
({5})
Frau Kollegin Bulmahn, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Ich bin an sich nicht kleinlich, ich bemühe mich immer, sehr großzügig zu sein. Aber das Plenum läuft nach der jetzigen Planung bis 0.30 oder 0.45 Uhr morgen früh. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auf die Kolleginnen und Kollegen, die zu nachfolgenden Tagesordnungspunkten sprechen, ein bißchen Rücksicht nähmen.
({0})
Sechstens. Die Innovation beginnt in den Köpfen, um Kreativität und ein innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen. Dazu hat der
Präsident des Patentamtes in München eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht; ich verweise auf meine Presseerklärung.
Siebtens. Die Förderung der Klein- und Mittelbetriebe in der Bundesrepublik hat eine ganz besondere Bedeutung für Wachstum und Arbeitsplätze. Deshalb ist die Stärkung der Innovationskraft dieser Betriebe eine ganz wesentliche und zentrale Aufgabe staatlicher Innovationspolitik. Daher brauchen wir ein neues, zukunftsgerichtetes Konzept der KMU-Förderung mit einer breiten Forschungs- und Dienstleistungsinfrastruktur, um die KMU-spezifische Förderprogramme stärker mit den allgemeinen Förderprogrammen zu vernetzen. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei der Förderung von Forschungskooperationen zu.
Schließlich dürfen sich die Fördermaßnahmen nicht nur auf den FuE-Bereich beschränken, sondern müssen den gesamten Innovationsprozeß umfassen, von der Marktanalyse bis zur Risikokapitalbeschaffung.
Die Entwicklung einer innovativen Unternehmensbesteuerung ist zwingend notwendig. Ich freue mich, daß Sie diese Anregung endlich aufgenommen und übernommen haben.
Achtens. Wie sich am Beispiel Japan zeigen läßt, sind soziale Innovationen für die Verbesserung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft von besonderer Bedeutung. Mein Kollege Catenhusen hat dieses näher ausgeführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wenn uns all das gelingt, was ich hier angeführt habe und was auch Sie teilweise vorgeschlagen haben, dann brauchen wir uns um die Zukunft des Forschungsstandortes Bundesrepublik keine Sorgen zu machen. Ich hoffe, wir schaffen das.
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Nunmehr erteile ich dem Kollegen Erich Maaß das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr veehrten Damen und Herren! Wenn ich die Debatte und die Debattenbeiträge der Kollegen der SPD betrachte, dann verstehe ich teilweise die Welt nicht mehr.
Der Kollege Vosen sagt, der Bundesforschungsbericht ist das Schlechteste, was er in den letzten 15 Jahren gehört hat. Der Bundesrat bestätigt das Gegenteil: Er begrüßt diesen Bericht als aufschlußreiche und informative Dokumentation. Also: Klären Sie doch einmal intern, wer denn nun recht hat.
Dann habe ich mir den Kollegen Catenhusen angehört. Nur der Schrei nach mehr Geld, ohne konstruktive Konzeption dahinter, hilft uns auch nicht weiter.
({0})
Die Kollegin Bulmahn sagt, Deregulierung ist kontraproduktiv. Dabei steht das in dem Entschließungsantrag der SPD. Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn eigentlich?
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Erich Maaß ({2})
Helfen Sie uns doch bitte weiter, daß wir aus dieser Orientierungslosigkeit herauskommen! Dann sehe ich mir die Presseerklärung „Zukunftsgestaltung hat Grenzen" meines verehrten und geschätzten Freundes Jupp Vosen an, die er vor Weihnachten herausgegeben hat. Dort ist die Rede von Humanverträglichkeit, Umweltverträglichkeit, Sozialverträglichkeit und Völkerverträglichkeit. Meine Damen und Herren, wer nicht mehr den Mut zum Risiko hat, wird selbst zum Risiko. Das möchte ich hier einmal loswerden.
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Sehr verehrter Herr Präsident, hier stimmt irgend etwas mit der Zeit nicht, oder meine Brille funktioniert nicht.
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- Ach, liebe Kollegin Nachbarin.
Ich möchte mich auf zwei Punkte beschränken. Ich freue mich sehr, daß die SPD auf das 22-PunkteProgramm der CDU/CSU-Fraktion in vielen Punkten eingeschwenkt ist.
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Das ist schon ein erheblicher Fortschritt. Trotzdem wollen wir hier keine reine Bejubelung und auch keinen Schmusekurs machen. Aber eines muß ganz deutlich gesagt werden: Woran krankt es im Augenblick? Da sind wir durchaus selbstkritisch. Der Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik - ich glaube, das ist in diesem Hohen Hause einhellige Meinung - ist verbesserungsfähig.
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Ich will nicht in Abrede stellen, daß vom Bundesforschungsminister schon Strukturen und bestimmte Konzepte entwickelt worden sind. Aber ich bin selbstkritisch genug, um zu sagen, daß wir hier noch einiges mehr machen müssen.
Ich halte nichts davon, wenn gesagt wird, wir sind schlechter geworden. Das stimmt nicht. Die anderen beginnen eine Aufholjagd. Wir dürfen unseren Standort Bundesrepublik nicht schlechter machen, als er ist. Wir haben eine hervorragende Forschungslandschaft, wir haben ein exzellentes Bildungswesen, und wir haben eine hervorragende Wirtschaftsstruktur. Wir müssen Konzepte entwickeln, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den Zukunftsmärkten sichern zu können. Das ist das Ziel. Dazu brauchen wir - da sind wir fast identischer Auffassung - eine Forschungs- und Technologieoffensive. Wir müssen ein schnelleres, besseres Umsetzen von theoretischem Forschungswissen in marktreife Produkte und Verfahren erreichen. Es kann nicht angehen, daß wir forschen und andere das Geschäft machen.
Meine Damen und Herren, deshalb muß ein Konsens gefunden werden. Das soll nicht jedes Ressort im Kabinett für sich machen, sondern in diesem Augenblick fordern wir eigentlich das ein, was auch der Herr Bundeskanzler an dieser Stelle erklärt hat.
Wenn man denn nun einen Strategiekreis braucht - und hierzu gehört eine ganze Menge Psychologie -, dann soll sich der Bundeskanzler - das ist unser Wunsch und unsere Forderung - an die Spitze der Bewegung stellen. Es soll kein staatlicher Dirigismus verordnet werden, es sollen nicht die Grenzen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik verwischt werden, es sollen keine ordnungspolitischen Kapriolen geschlagen werden, sondern es muß deutlich gemacht werden, daß es ein nationales Anliegen ist, daß wir uns auf Zukunftsmärkte zubewegen müssen, die uns Produkte garantieren, die eine hohe Wertschöpfung für die Zukunft bedeuten. Nur so können wir unseren Wohlstand stabilisieren.
Die Forderung, einen übergeordneten Strategiekreis durch den Bundeskanzler ins Leben rufen zu lassen, wurde auch deshalb erhoben, um Ressortegoismen von vornherein zu unterbinden.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen zu beantworten?
Bitte.
Herr Kollege Maaß, gestatten Sie mir die Frage: Was hat eigentlich jahrelang das Technologiekabinett, bestehend aus Staatssekretären, damals geführt von Herrn Riedl, gemacht? Sie fordern jetzt ein solches Gremium bei der Bundesregierung. Das hat es doch jahrelang gegeben! Was haben die eigentlich gemacht?
Herr Abgeordneter Vosen, habe ich mich verhört, daß Sie gesagt haben: eine kurze Frage?
Das war eine kurze Frage: Was haben die gemacht?
Der werte Kollege hält sich nie an die Vorgaben.
Aber, mein lieber Jupp Vosen, eines müssen wir doch bitte sehen: Es ist doch ein himmelweiter Unterschied, wenn wir auf Staatssekretärsebene etwas organisieren wollen. Es geht doch im Augenblick darum: Es ist ein nationales Anliegen, und deshalb soll sich der Kanzler an die Spitze der Bewegung stellen und ein Zeichen setzen. Das hat er ja mittlerweile erklärt. Dazu wollen wir ihn ermutigen und ermuntern. Wie es dann innerhalb des Kabinetts organisiert wird, damit es zu keinen Ressortegoismen kommt, ist doch eine andere Frage. Dieses Gremium kann meinetwegen weitertagen, aber wir brauchen diese Signalwirkung nach außen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen hier keinen neuen Rat installieren;
({1})
wir wollen kein Sachverständigengremium einrichten, das alle zwei Jahre ein dickes Gutachten überreicht. Wir wollen hier keinen staatlichen Dirigismus, keine zentrale Lenkung haben. Das darf nicht sein. Wir wollen diese Offensive, und hier bitten wir den Bundeskanzler um Unterstützung.
Erich Maaß ({2})
Meine Damen und Herren, Japan macht es uns vor, obwohl wir eine Institution wie das MITI nicht transformieren können. Die USA haben es auch praktiziert, mit der nationalen Zielsetzung: Wir wollen den ersten Menschen auf dem Mond haben. Das hat für das gesamte Land einen Technologieschub bedeutet. So etwas wollen und brauchen wir. Ich lade Sie ein, hier mitzuhelfen.
({3})
- Ich habe nicht mehr soviel Zeit; nun haltet euch doch einmal bitte zurück.
Lassen Sie mich noch einen kniffligen Punkt ansprechen: Technikverständnis, Technikakzeptanz, Rolle der Medien und öffentliche Meinung. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß hier eine Grundstimmung in diesem Lande falsch läuft. Ich kann mich an ein altes deutsches Sprichwort erinnern: Wenn die Mäuse satt sind, schmeckt das Mehl bitter.
Wenn ich mir die Forschungs- und Technologiepolitik und die Diskussion darüber ansehe, muß ich fragen: Wo sind wir eigentlich hingekommen?
({4})
Wir waren einmal stolz, daß wir „Made in Germany" draußen vermarkten konnten. Das war ein Markenbegriff. Heute feiern in dieser Republik die Reichsbedenkenträger lustige Urständ. Lieber Herr Catenhusen, das geht auch an Ihre Adresse: Die Leute in Ihrer Partei, die noch vor wenigen Jahren von den Jobkillern gesprochen haben, merken heute, daß die Jobs woanders entstanden sind. Daran müssen Sie sich messen lassen. Auch da tragen Sie Verantwortung.
Es kann nicht angehen, daß die veröffentlichte Meinung heute teilweise nur noch von Horrorszenarien, nur noch von Killerargumenten lebt.
Wenn ich mir die Schlagworte dieser Woche angucke - „Forschungsmilliarden verpulvert - Transrapid" -, diese Spitzentechnologie, betreffend um die uns andere Länder beneiden, wenn ich feststellen muß, daß dieser Transrapid dann auch noch öffentlich niedergeredet wird, kann ich mich nicht wundern, daß eine Stimmung entsteht, bei der keine Begeisterungsfähigkeit mehr vorhanden ist. Ich appelliere an die Medien, hier ihren Kurs zu überdenken. Das gehört mit dazu, und da bitte ich um Unterstützung.
Herr Präsident, ich bin am Ende; herzlichen Dank.
({5})
Ich nehme an, daß sich Ihre letzte Bemerkung auf Ihre Rede bezog.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FuE-Politik verliert weiter an Bedeutung unter dieser Bundesregierung. Gerade bei den zukunftswichtigen Etats des BMFT
und des BMWi ist im Zuge der Sparpolitik dieser Bundesregierung in wenig verantwortungsvoller Weise verfahren worden - und das, obgleich zugleich eine Standortdebatte mit dem Ziel der Orientierung auf verstärkte Modernisierung der Wirtschaftsstruktur in Gang gesetzt wurde. Schon das paßt nicht zusammen. Daß es für eine Standortkrise dieses Landes nur wenig objektive Anhaltspunkte gibt, kann hier nur am Rande angemerkt werden. Das ist heute nicht Thema.
Die FuE-Politik dieser Bundesregierung ist aber darüber hinaus auch inhaltlich negativ im Umbruch. Der Bund Demokratischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen etwa bemängelt an der Konzeption der FuE-Politik dieser Bundesregierung:
Erstens. Mit dem Übergang von Bundesminister Riesenhuber zu den Bundesministern Wissmann und Krüger ist die Debatte über mögliche Chancen und Risiken neuer Technologien völlig abgelöst worden durch eine Augen-zu-Standortmodernisierungspolitik.
Zweitens. Seit den 80er Jahren wird der tripartistische Konsenserzeugungsmechanismus in der Forschungs- und Entwicklungspolitik, also die Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften, zu Lasten der Beteiligung der Gewerkschaften und der betrieblichen Interessenvertretungen verlassen.
Drittens. Es wird eine Verschiebung von FuE- Unterstützung und -Mitteln von der Grundlagenforschung hin zur angewandten Forschung praktiziert.
Keine Frage: Diese drei Punkte laufen den Interessen dieses Landes in wesentlichen Aspekten zuwider. Neue Technologien bringen eben Chancen und Risiken mit sich. Dem muß in der FuE-Politik Rechnung getragen werden, z. B. durch Ausbau der Technologiefolgenabschätzung. Diese Bundesregierung und diese Koalition haben ihr jedoch bereits in der vorigen Legislaturperiode eine Beerdigung erster Klasse bereitet, und sie sorgen weiter dafür, daß sich auf diesem Gebiet nichts Richtiges regen kann. Die Folgen neuer Technologien an den Arbeitsplätzen, gerade die häufig relativ unsozialen und auch unökologischen Folgen von hochkapitalintensiv produzierten, weltweit vermarkteten Spitzentechnologieprodukten machen nicht weniger, sondern mehr Information, mehr Beteiligung und mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz und im Betrieb und vor allem auch in der FuE-Politik, z. B. in den vielen Beiräten und Gremien im Umfeld des BMFT, erforderlich.
Der Technologierat, den die SPD vorschlägt, kann ein erster und wichtiger Schritt in diese Richtung sein, um diesen Riesenbereich transparent und öffentlich diskussionsfähig zu machen. Die Vereinigung Frauen in Naturwissenschaft und Technik weist zudem darauf hin, daß in „Akademia", also in der Hochschullehre und -forschung, und auch sonst in der Forschung Frauen nach wie vor grotesk unterrepräsentiert sind. Hier insbesondere muß mit systematischen Fördermaßnahmen in der Zukunft angesetzt werden. Das Prinzip Mitbestimmung - Mitbestimmung der Betroffenen, Mitbestimmung der Beschäftigten, Mitbestimmung ihrer betrieblichen Interessenvertretungen, Mitbestimmung der Gewerkschaften, der Um17498
weltverbände und der Verbraucherverbände - gehört als zentrales Element, nicht als schmückendes Ornament am Rande, in die FuE-Politik.
Weiterhin: Die Stärke der deutschen Forschung - ich sage das als jemand, der im Hochschulbereich tätig ist - beruht auf ihrer Orientierung auf die Grundlagenforschung und auf der besonderen Wertschätzung von theoretischer Forschung. Das prägt ja den deutschen akademischen Bereich sehr stark. Sie beruht ebenfalls - auch das ist wichtig - auf der Existenz und Förderung von Orchideenfächern. Die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft haben bisher gezeigt, daß eigentlich auch die Wirtschaft mit dieser starken Grundlagenforschung, dieser starken Theorieorientierung und mit gelegentlich durchaus etwas praxisfernen Orchideenfächern gut fährt.
Wer diese bewährte Grundlage beeinträchtigt, erschüttert also womöglich einen der Grundpfeiler des deutschen Wirtschaftserfolges in der Zukunft.
Nein, Forschung und Entwicklung sind reformbedürftig - das zu verleugnen wäre schlichtweg falsch -, allerdings nicht in die Richtung, in die diese Bundesregierung sie verändert und noch weiter verändern wird. Im Vordergrund müssen ökologische und soziale Reformzielsetzungen stehen - dazu ist soeben schon einiges gesagt worden -, nicht dagegen die kriterienlose Förderung des Wirtschaftswachstums und der Marktexpansion der Wirtschaft um jeden Preis.
Drei Viertel des bundesweiten FuE-Budgets werden in der Wirtschaft ausgegeben, „verbraten". Diese hat genügend Substanz und Mittel - das schlägt sich schon in diesen Relationen nieder -, um die Umsetzung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in marktfähige Produkte und Verfahren durchführen zu können. Der Staat braucht sich da nun wirklich nicht zum Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft zu machen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
So, meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/5550, 12/5914 und 12/6561 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
Der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. - er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/6562 vor - soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Bundesbericht Forschung.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD - er liegt Ihnen auf der Drucksache 12/6564 vor - wie folgt zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, den Auswärtigen Ausschuß, den Verteidigungsausschuß sowie an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
Ich hoffe, das Haus ist damit einverstanden. - Das ist der Fall. Dann kann ich das als beschlossen feststellen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Vorschlag der EG zu einem Abkommen mit der Russischen Föderation über die Raumfahrtdienste, Drucksache 12/6378.
Vorher möchte der Abgeordnete Professor Hans Laermann zu der Drucksache 12/5749, wenn ich das richtig sehe, eine Richtigstellung und Ergänzung vornehmen. Ich erteile Ihnen das Wort, Herr Professor.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Einvernehmen mit allen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zugleich für die übrigen Berichterstatter, Herrn Dr. Martin Mayer und Herrn Lothar Fischer, beantrage ich, daß wir den Text der Beschlußempfehlung wie folgt ergänzen:
Der Bundestag begrüßt das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, den Mitgliedstaaten und der Russischen Föderation über Trägerdienste.
Bei Trägerdiensten handelt es sich um Dienstleistungen, bei denen eine alleinige Zuständigkeit der EG oder der EU nach Art. 113 nicht vorliegt, und auf Grund der gemischten Zuständigkeit kann das Abkommen nur von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Verbindung mit den einzelnen Mitgliedstaaten unterzeichnet werden.
Ich bitte um Zustimmung zu dieser Ergänzung. Danke schön, Herr Präsident.
({0})
Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir das ins Protokoll aufnehmen, und ich kann über die Beschlußempfehlung abstimmen lassen.
Wer für diese Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste ist das einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Statistiken im Handwerk ({0})
- Drucksache 12/5833 - ({1})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({2})
- Drucksache 12/6357 -
Berichterstattung: Abgeordneter Ernst Hinsken
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/6400 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({4})
Dr. Wolfgang Weng ({5}) Helmut Wieczorek ({6})
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Offensichtlich ist das der Fall.
Dann kann ich die Debatte eröffnen und erteile zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Göhner das Wort. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Handwerk stellt mit seinen rund 489 000 Unternehmen und 4 Millionen Beschäftigten sowie mit einem Umsatz von 620 Milliarden DM im Jahre 1992 für das frühere Bundesgebiet und rund 117 000 Handwerksunternehmen in den neuen Bundesländern zweifellos einen besonders bedeutenden wirtschaftlichen Faktor dar. Seine Bedeutung geht über diese Zahlen sicher weit hinaus. Mit seiner klein- und mittelbetrieblichen Struktur ist das Handwerk einer der typischen großen Bereiche des gewerblichen Mittelstandes. Um dieser Bedeutung bei wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen - z. B. durch uns, den Gesetzgeber - gerecht zu werden, aber auch um Aussagen über die konjunkturelle Entwicklung und langfristige Tendenzen zu erhalten, ist es notwendig, auch laufend statistische Erhebungen im Handwerk durchzuführen.
Die vorliegende Novelle des Handwerkstatistikgesetzes ist dringlich und notwendig. Mit ihr wird keine neue Statistik angeordnet - gerade die mittelständischen Handwerksbetriebe haben genügend bürokratischen Ballast zu bewältigen, und wir sollten hier nicht neue Lasten einführen -, aber das bewährte Informationssystem wird neu geordnet, auch um z. B. den höheren Anforderungen an die Normenklarheit als Folge des Volkszählungsurteils gerecht zu werden.
Von dieser amtlichen Statistik, auch von der vierteljährlichen Handwerksberichterstattung, erwarten die Nutzer in Wirtschaft, in Wissenschaft und Politik sichere und verläßliche Planungs- und Entscheidungsgrundlagen. Damit diese Grundlagen wirklich verläßlich sind, müssen inzwischen eingetretene Unsicherheiten beseitigt werden.
Der Gesetzentwurf sieht regelmäßige Handwerkszählungen im Abstand von acht bis zehn Jahren vor, beginnend 1995, nachdem die letzte Zählung 1977 stattgefunden hat, also vor einem Zeitraum, in dem zwischenzeitlich viele Änderungen eingetreten sind, die eine neue Erhebung erforderlich machen. Erhoben werden hierbei Angaben zu den Beschäftigten, zu Bruttolöhnen und Gehältern, zum Umsatz; ferner Daten, die insbesondere Einblick in das Alter, die Rechtsform, den gewerblichen und tätigkeitsbezogenen Schwerpunkt sowie die betriebliche Struktur der Handwerksunternehmen geben.
Diese Zählungen sind nicht nur nötig für zuverlässige bundesweite Gesamtzahlen zum Handwerk. Sie liefern vor allem zugleich die Auswahlgrundlage und den Hochrechnungsrahmen für die Stichprobe von höchstens 55 000 Unternehmen, die als Berichtskreise in die laufenden vierteljährlichen Erhebungen einbezogen werden. Diese neue Stichprobe ersetzt den Berichtskreis der zur Zeit befragten Handwerksunternehmen, der im wesentlichen noch auf der Zählung von 1977 basiert und nicht mehr repräsentativ ist.
Die neue Stichprobe wird zudem viele Unternehmen aus der Berichtspflicht entlassen und andere aufnehmen, so daß eine Verteilung der damit zwangsläufig verbundenen - allerdings, wie wir hoffen, wegen der geringen Zahl von Merkmalen geringen - Belastungen erfolgt.
Ich möchte abschließend noch einen besonderen Hinweis auf die Verordnungsermächtigung in § 9 Nr. 2 des Gesetzentwurfes geben. Mit Zustimmung des Bundesrates kann das Bundesministerium für Wirtschaft nach dieser Regelung zur Darstellung der wirtschaftlichen Struktur bei Betrieben und Unternehmen des handwerksähnlichen Gewerbes ebenfalls eine Zählung anordnen, aber getrennt von der allgemeinen Handwerkszählung.
Die Zählung des handwerksähnlichen Gewerbes war in der letzten Legislaturperiode, wie Sie wissen, äußerst umstritten. Daran ist der damalige Gesetzentwurf gescheitert. Mit der jetzigen Regelung haben wir einen für alle Beteiligten auf Bundes- und Länderebene, wie ich denke, tragfähigen Kompromiß gefunden.
Ich möchte mich ausdrücklich beim federführenden Ausschuß für die zügige Beratung bedanken.
({0})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Professor Dr. Uwe Jens das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Albert Pfuhl, unser handwerkspolitischer Sprecher, ist verhindert. Deshalb habe ich es übernommen, hierzu etwas zu sagen.
({0})
Es ist richtig und notwendig, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Handwerkstatistiken auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden, um aktualisierte, zuverlässige Angaben über die Situation im Handwerk zu ermöglichen.
Mit zirka 490 000 Unternehmen, 4 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von 580 Milliarden DM im Jahr 1991 allein in den alten Bundesländern und etwa 109 000 Handwerksunternehmen in den fünf neuen Bundesländern und Berlin ({1}) gehört das Handwerk zu den bedeutenden wirtschaftlichen Sektoren in der Bundesrepublik.
Genaue Kenntnisse über die wirtschaftliche Entwicklung, über Betriebs-, Umsatz- und vor allem Beschäftigtenzahlen sind eine unerläßliche Voraussetzung für die Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung in diesem wichtigen Wirtschaftsbereich und
die notwendige Grundlage für eine problemorientierte Wirtschafts- und Mittelstandspolitik. Diese Auffassung ist unstrittig. Der Wirtschaftsausschuß hat deshalb einstimmig die Annahme dieses Gesetzentwurfes empfohlen.
({2})
- Sonst hätten wir natürlich auch nicht zugestimmt, Herr Kollege.
So lobenswert dieses Handwerkstatistikgesetz ist, wichtiger und wesentlich ergiebiger wäre es gewesen, die Bundesregierung wäre endlich in der Lage, die notwendigen Statistiken und Basiszahlen vorzulegen, die wir in unserer Großen Anfrage zur „Feststellung der tatsächlichen Lage der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft" angemahnt haben.
({3})
Darüber hätten wir sinnvollerweise debattieren müssen. Diese statistischen Angaben und Basiszahlen hat die Regierung allerdings bis heute nicht vorlegen können. Notwendig wäre auch eine Debatte über die vom Statistischen Bundesamt für das Jahr 1993 veröffentlichten alarmierenden Wirtschaftsdaten, die belegen, daß der Bundeswirtschaftsminister mit seinen Analysen und Prognosen mal wieder völlig danebenliegt. Kernprobleme wie Arbeitslosigkeit, Rezession, Innovationsdefizite und Entindustrialisierung in den neuen Ländern - das sind die Themen, mit denen sich der Deutsche Bundestag eigentlich befassen müßte.
({4})
- Aber zuwenig.
Zur Bewältigung dieser wichtigen Probleme haben Sie keine geeigneten Lösungen und Instrumente anzubieten. Dies gilt im übrigen auch im Hinblick auf den Mittelstand. Das Handwerkstatistikgesetz ist für diesen Wirtschaftszweig sicher wichtig. Die Vorlage dieses Gesetzes kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie auch für kleine und mittlere Unternehmen in der Sache wenig anzubieten haben. Im Gegenteil: Nahezu alle Mittelstandsprogramme, die unter sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen eingeführt und weiterentwickelt wurden, um einen Nachteilsausgleich für diese Unternehmen zu schaffen, sind unter Ihrer Regierungsverantwortung in den alten Bundesländern sang- und klanglos eingestellt worden.
({5})
Dazu gehört z. B. das Eigenkapitalhilfeprogramm zur Förderung von Existenzgründungen, das ganz entscheidend dazu beigetragen hat, neue Betriebe zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen. Ich darf daran erinnern, daß in den alten Bundesländern etwa 100 000 Existenzgründungen mit diesem Programm ermöglicht wurden, mit denen etwa 500 000 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten wurden.
Dieses Programm, das im übrigen per saldo nichts kostet, sondern auf Grund der zusätzlich geschaffenen
Arbeitsplätze einen positiven finanziellen Beitrag zu den öffentlichen Finanzen leistet, abzuschaffen ist vor allem in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation wirtschaftspolitisch völlig verfehlt. Ich darf hinzufügen: Wir haben wiederholt beschlossen, daß wir dieses Programm, wenn wir an die Regierung kommen, sofort wieder einführen würden.
({6})
Ich darf weiter daran erinnern, daß Sie die Förderung von Forschung und Entwicklung, z. B. die Lohnkostenzuschüsse für kleine und mittlere Unternehmen in Forschung und Entwicklung, abgeschafft haben. Auch das war ein eklatanter Fehler, der dringend korrigiert werden müßte.
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Die Bundesregierung unternimmt nichts, um den bedrohlichen Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft, insbesondere im Einzelhandel, zu stoppen. Erst vor kurzem gab es wieder eine weitere Elefantenhochzeit zwischen zwei Großkonzernen, Metro/Asko. Die Bundesregierung sieht tatenlos zu, wie die marktwirtschaftliche Ordnung in den Grundfesten erschüttert wird. Unsere Vorschläge reichen schon bis in die 11. Legislaturperiode zurück. Es wäre dringend an der Zeit, daß wir sie wirklich schnell verwirklichen.
({7})
Kahlschlagpolitik und Tatenlosigkeit - das kennzeichnet die Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung. Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden, die wir demnächst im Hause wieder hören werden, ändern daran leider überhaupt nichts.
({8})
Zum Abschluß möchte ich noch eine kurze Bemerkung zum vorliegenden Gesetzentwurf machen: Bekanntlich hat es bereits in der 11. Legislaturperiode einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den Handwerkstatistiken gegeben. Dieser Entwurf berücksichtigte ausschließlich die sogenannten Vollhandwerke. - Vielleicht passen Sie einmal auf, Herr Weng, dann verstehen Sie ein bißchen mehr davon.
({9})
- Daß Sie keine Ahnung haben, ist mir natürlich völlig geläufig. Aber dumme Zwischenbemerkungen, die können Sie machen; das ist richtig. - Bundesregierung und Regierungskoalition weigerten sich hartnäckig, das handwerksähnliche Gewerbe in die Zählungen einzubeziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion, der Bundesrat und die Handwerksorganisationen hatten dagegen damals nachdrücklich gefordert, auch das handswerksähnliche Gewerbe zu berücksichtigen.
({10})
An der starren Haltung der Regierungskoalition und der Bundesregierung ist das damalige Gesetz leider gescheitert. Jetzt wird das handwerksähnliche Gewerbe endlich in die Handwerkstatistik einbezogen. Offensichtlich hat es eines längeren Lernprozesses der Regierungskoalition bedurft, diese Notwendigkeit endlich - wenn auch spät - zu erkennen. Diese Regierung hat auch auf anderen Feldern wirklich noch viel und möglichst schnell hinzuzulernen.
Schönen Dank.
({11})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Ernst Hinsken das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den großen handwerkspolitischen Ausführungen des Kollegen Professor Jens als Ergänzung zur großen Debatte zur Handwerksordnung vor wenigen Wochen, möchte ich eine Rede halten, die sich speziell mit dem Handwerkstatistikgesetz befaßt, das wir heute zum Abschluß bringen können, damit es dann in Kürze in Kraft treten kann. Ich tue das insbesondere deshalb gerne, weil wir ja bereits vor wenigen Wochen, wie soeben erwähnt, eine Möglichkeit hatten, ausführlich über alle Fragen des Handwerks zu diskutieren. Damit aber das Handwerk so erfolgreich wie bisher weiterhin von Bestand ist, ist es dringend erforderlich, auch auf Statistiken zurückgreifen zu können.
Ich meine, Herr Staatssekretär Dr. Göhner, es ist sehr, sehr lobenswert, wenn Sie gerade die Bedeutung des zweitgrößten Wirtschaftszweiges in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich des Handwerks, so besonders herausstellen. Mit 750 000 Unternehmen, über 5 Millionen Beschäftigten, annähernd 10 % des erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukts und einem Umsatz von 620 Milliarden DM in den alten Bundesländern sowie 110 000 Unternehmen in den neuen Bundesländern ist das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland ein Wirtschaftsbereich von herausragender Bedeutung.
({0})
Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten wie zur Zeit wird uns bewußt, was wir am Handwerk und unseren Handwerkern haben. Während im Bereich der Industrie im großen Stil Arbeitsplätze abgebaut werden, wurden im Handwerk auch im letzten Jahr wieder zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
({1})
Bedauerlicherweise kann nicht einmal jeder angebotene Arbeitsplatz besetzt werden.
Das Handwerk mit seinen Klein- und mittelständischen Betrieben ist und bleibt ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, sind zur Erfassung konjunktureller Entwicklungen und langfristiger Tendenzen statistische Erhebungen im Handwerk unumgänglich. Daher hat der federführende Ausschuß für Wirtschaft in seiner Sitzung am 1. Dezember 1993 dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt und dem Deutschen Bundestag die Annahme des Gesetzes empfohlen.
Zweck des Gesetzes ist es, bestehende Statistiken im Handwerk auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Durch Zusammenfassung der Regelungen für vierteljährliche Erhebungen, die Grundlage für die Ermittlung wichtiger Konjunkturindikatoren sind, und für mehrjährliche Zählungen wird deren sachlicher Zusammenhang hervorgehoben.
Mit dem Gesetz soll die Voraussetzung dafür geschaffen werden, daß die tiefgreifenden Wandlungen im Handwerk des früheren Bundesgebiets und die seit Jahren zu beobachtende Verlagerung wirtschaftlicher Tätigkeiten vom sekundären zum tertiären Sektor erfaßt werden können. In den neuen Ländern soll eine statistische Grundlage geschaffen werden.
Zur Zeit werden kurzfristige Erhebungen wichtiger Eckgrößen auf der Grundlage des Gesetzes über die Durchführung laufender Statistiken im Handwerk durchgeführt. Sie dienen der Beobachtung der konjunkturellen Entwicklungen im Handwerk. Darüber hinaus erfolgten bisher in unregelmäßigen Abständen seit 1949 Gesamterhebungen im Handwerk, sogenannte Handwerkszählungen.
Das Gesetz enthält darüber hinaus erstmals eine Ermächtigung zu einer Zählung in den handwerksähnlichen Gewerben. Das Bundesministerium für Wirtschaft soll durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in den handwerksähnlichen Gewerben ermächtigt werden, mit einem eingeschränkten Frageprogramm eine Zählung anzuordnen. Dies hervorzuheben halte ich nicht zuletzt deshalb für wesentlich, da gerade an der Frage der Einbeziehung handwerksähnlicher Gewerbe der Entwurf eines Gesetzes über Statistiken im Handwerk in der letzten Legislaturperiode scheiterte.
Herr Professor Jens, wenn Sie mir jetzt einmal genausogut zuhörten, wie ich das vorhin bei Ihnen gemacht habe. Ich möchte Sie nämlich einmal loben; denn es ist nicht immer so, daß Sie im Wirtschaftsausschuß so konstruktive Beiträge leisten wie in diesem Fall. Wir konnten diesen Gesetzentwurf einstimmig über die Bühne bringen, weil auch das Wohlwollen der wichtigen Fraktion der SPD hier vorhanden war und Sie einen wesentlichen Beitrag geleistet haben.
Nur, meine Damen und Herren, ich meine, daß gerade das Ausfüllen von Formularen und das Befragen die Betriebe sehr belastet und das Gegenteil von Bürokratieabbau ist. Deshalb noch ein Wort dazu, warum wir dieses Gesetz unbedingt brauchen.
Ich hoffe, daß das Verständnis der Betroffenen vorhanden ist; denn in einer von grundlegenden strukturellen Veränderungen geprägten Zeit wäre der Verzicht auf aktualisierte Daten über einen wesentlichen Bereich des Mittelstands nicht nur unbegründet, sondern auch im Interesse eines rationellen Mitteleinsatzes und damit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik nicht vertretbar.
Die Ergebnisse der letzten Handwerkszählung aus dem Jahre 1977 - Herr Staatssekretär Dr. Göhner, Sie haben vorhin darauf verwiesen -, also vor 17 Jahren,
sind inzwischen völlig veraltet, so daß auch die vierteljährliche repräsentative Handwerksberichterstattung keine zuverlässigen, der heutigen Wirklichkeit entsprechenden Ergebnisse mehr liefern kann. Infolgedessen muß damit gerechnet werden, daß bereits in Kürze überhaupt keine amtlichen Daten für diesen Wirtschaftsbereich mehr verfügbar sein werden. Damit würde ernsthaft die Gefahr drohen, daß die Bundesrepublik Deutschland handwerkstatistisch - und damit bezüglich wirtschaftspolitisch wichtiger Erkenntnisquellen - auf das Niveau eines Entwicklungslands zurückfallen würde.
Lassen Sie mich abschließend erwähnen, daß aus den neuen Bundesländern bislang überhaupt noch keine amtlichen Daten über den Bereich des Handwerks vorliegen. Eine verbesserte Informationsgrundlage hat für die Politik aber insbesondere den Vorteil, daß sie ihre Maßnahmen wachstumspolitisch effizienter, beschäftigungspolitisch wirkungsvoller und strukturpolitisch sinnvoller einsetzen kann.
Dies vor allem waren die Beweggründe, dieses Handwerkstatistikgesetz zu beraten, jetzt vorzulegen und darüber abzustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. - Herr Präsident, ich lege Wert darauf, ich bin eine Minute unter meiner Redezeit geblieben.
({2})
Ich möchte mich im Namen des Hauses bei Ihnen bedanken und dem Abgeordneten Klaus Beckmann das Wort erteilen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die Grundlage für eine überfällige Zählung der Handwerksbetriebe und der dort Beschäftigten dar und ist deswegen uneingeschränkt zu begrüßen.
Die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks für die deutsche Wirtschaft liegt auf der Hand, sie ist uns allen bewußt. Nach Schätzungen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks gab es Ende 1992 in 750 000 kleinen und mittelständischen Handwerksbetrieben 5,1 Millionen Beschäftigte. Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Entscheidungen haben einen so bedeutsamen Wirtschaftsfaktor zu berücksichtigen. Dafür ist es unerläßlich, diesen Entscheidungen ein zuverlässiges Datenwerk zugrunde zu legen, das Aufschluß über aktuelle Entwicklungen sowie mittel- und langfristige Tendenzen gibt. Stichprobenerhebungen, wie wir sie in den vergangenen Jahren hatten, können nur dann ein Mindestmaß an Sicherheit geben, wenn die Grundgesamtheit ihrer Zahl und Struktur nach bestimmt ist. Die zuletzt im Jahre 1977 durchgeführte Zählung der westdeutschen Handwerksbetriebe kann kaum noch als verläßliche Grundlage herangezogen werden.
In den neuen Bundesländern fehlt eine Erhebung gänzlich. Die dortige Entwicklung im Handwerksbereich war jedoch nach 1990 von enormer Dynamik gekennzeichnet. Hier hat sich die Flexibilität des
Handwerks und seine Fähigkeit, sich neuen Anforderungen zu stellen, ausgezahlt.
({0})
Während der Zentralverband des Deutschen Handwerks Mitte 1993 noch von 560 000 Beschäftigten im ostdeutschen Handwerk ausging, waren es nach einer verbandsinternen Befragung im letzten Jahr tatsächlich 850 000 Betriebsinhaber, Meister, Gesellen und Lehrlinge, die bereits Ende 1992 im Handwerk arbeiteten. Von etwa 80 000 Handwerksbetrieben zur Zeit der Wende hat sich deren Zahl danach auf mehr als 130 000 erhöht.
({1})
- Herr Kollege Weng, ich unterstreiche Ihre Berner-kung. Natürlich ist das sehr erfreulich, aber auch Ausdruck der erfolgreichen Mittelstandspolitik dieser Bundesregierung. ({2})
Verläßlichere Zahlen und Aufschluß über dortige Strukturen und Entwicklungen sind deswegen dringend erforderlich.
Auch die Strukturen des westdeutschen Handwerks haben sich seit 1977 tatsächlich grundlegend verändert. Das Dienstleistungshandwerk hat gegenüber dem produzierenden Handwerk deutlich an Bedeutung gewonnen. Zu den traditionellen Handwerkssparten sind in großer Zahl handwerksähnliche Betriebe hinzugetreten. Damit ist es nun erforderlich geworden, diese nun in die Zählung mit einzubeziehen, nachdem die Fachverbände des Handwerks ihre Zustimmung gegeben haben.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist durch das Handwerk in besonderem Maße positiv geprägt. Die steigende Arbeitsproduktivität der Handwerksbetriebe ist auf den zunehmenden Einsatz computergesteuerter Maschinen und modernster Produktionsverfahren zurückzuführen. Das anheimelnde Bild von der kleinen Werkstatt mit der alten Drehbank und dem Schraubstock stimmt für die Mehrzahl der Betriebe nicht mehr. Damit stellt das Handwerk auch ein bedeutendes Investionspotential dar, das auch auf die industrielle Maschinenproduktion ausstrahlt. Das Handwerk ist also eine Stütze des Technologiestandortes Deutschland.
({3})
Trotzdem spielt der Faktor Arbeit bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen durch die Handwerksbetriebe die wichtigste Rolle. Diese Tatsache erfordert unsere besondere Aufmerksamkeit, wenn wir effektive Arbeitsmarktpolitik betreiben wollen. Die Existenzgefährdung von Handwerksbetrieben durch Nachfolgeprobleme selbständiger Handwerksmeister hat somit auch einen wichtigen beschäftigungspolitischen Aspekt.
Wenn politische Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden sollen, das Berufsbild des Handwerkers wieder attraktiver zu gestalten sowie Umschulungs- und Ausbildungskapazitäten am Bedarf ausrichten zu können, ist zuverlässiges Datenmaterial eine notwendige Voraussetzung. Nicht zuletzt könKlaus Beckmann
nen politische Entscheidungen nur dann verantwortlich gefällt werden, wenn ihre Kosten zu beziffern sind. Auch dafür ist die Handwerksstatistik unverzichtbar.
Meine Damen und Herren, war es aus kurzfristigen Sparzwängen und vor Abschluß der fachlichen Beratungen im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms noch vertretbar, die Zählung auf 1995 zu verschieben, so ist die Verabschiedung des Handwerksstatistikgesetzes jetzt überfällig. Sie liegt zudem im erklärten Interesse der beteiligten Handwerksorganisationen. Für die Fraktion der F.D.P. erkläre ich die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, damit kann ich die Aussprache schließen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Handwerksstatistikgesetzes, der Ihnen auf Drucksache 12/5833 vorliegt. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/6357, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Vertreter des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste ist der Gesetzentwurf in zweiter Lesung angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz zuzustimmen wünschen, bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Darm ist das Gesetz mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen in dritter Lesung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu dem Tagesordnungspunkt 5 a bis c:
a) Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
14. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 26 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes - Berichtszeitraum Anfang 1991 bis Anfang 1993 - Drucksache 12/4805 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({0})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Köppe, Dr. Wolfgang Ullmann und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anderung des Grundgesetzes
({1})
- Drucksache 12/5695 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2}) Innenausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Regelung zur Einführung der Informationsfreiheit ({3})
- Drucksache 12/5694 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({4}) Rechtsausschuß
Vom Ältestenrat wird eine Debattenzeit von einer Stunde vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann können wir mit der Debatte beginnen. Herr Dr. Blens, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben drei Punkte zur Beratung: den 14. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und zwei Vorschläge des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: einen zur Änderung des Grundgesetzes, zur Aufnahme des sogenannten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in das Grundgesetz, und einen weiteren Vorschlag über gesetzliche Regelungen - wie es wörtlich heißt -„zur Einführung der Informationsfreiheit".
Lassen Sie mich zunächst zu den Vorschlägen des BÜNDNISSES 90 etwas sagen, als erstes zu dem Vorschlag, das Grundgesetz zu ändern. Begründet wird er in der Vorlage des BÜNDNISSES 90 mit dem Satz: Bislang fehlen Bestimmungen in der Verfassung, die den Datenschutz ({0}) und das Recht auf Informationsfreiheit als Grundrechte verankern.
Ich muß sagen, diese Begründung halte ich für etwas verwunderlich; denn wenn man das Grundgesetz und die Rechtsprechung dazu kennt, weiß man, daß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Bestandteil des Grundgesetzes ist. Das ist ausdrücklich festgestellt im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Volkszählung vom 15. Dezember 1983. An sich wollte ich Ihnen, Frau Köppe, das jetzt vorlesen, aber ich gebe Ihnen nachher gerne die Fundstelle, damit Sie es nachlesen.
({1})
Dasselbe gilt auch für das Recht auf Informationsfreiheit; denn Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz sagt, daß jeder das Recht hat, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten". Das heißt, das allgemeine Recht auf Informationsfreiheit gibt es ebenfalls im Grundgesetz. Da beides vorhanden ist, ist es nicht erforderlich, das Grundgesetz zu verändern.
Zu dem Vorschlag des BÜNDNISSES 90, ein Allgemeines Informationsfreiheits-Gesetz vorzulegen und zu verabschieden: Das Ziel, das damit vom BOND-NIS 90 verfolgt wird, ist es, ein allgemeines Recht der Bürger auf Einsicht in alle Unterlagen der Behörden zu erreichen.
Dazu ist zunächst festzustellen, daß es eine große Anzahl von Auskunfts- und Einsichtsrechten der Bürger in den verschiedenen Gesetzen gibt. Ich denke etwa an das Auskunftsrecht über Daten im Datenschutzgesetz, das Akteneinsichtsrecht nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz, weitgehende Einsichtsrechte der Bürger in allen Planungsverfahren und in emissionsschutzrechtlichen und atomrechtlichen Genehmigungsverfahren oder Akteneinsichtsrechte etwa im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, dort übrigens auch in bezug auf Verwaltungsakten.
Ich denke, alle diese Auskunfts- und Einsichtsrechte geben den Bürgern umfangreiche Möglichkeiten, sich zu informieren. Allerdings stehen sie nach den gesetzlichen Vorschriften nur dem zu, der ein rechtliches oder berechtigtes Interesse an der Auskunft oder an der Einsicht hat.
Und das ist der Unterschied zu dem, was das BÜNDNIS 90 will. Es will es abkoppeln vom eigenen rechtlichen oder berechtigten Interesse des jeweiligen Bürgers und will ein Jedermannrecht zur Einsicht aller Unterlagen der Verwaltungen einführen, auch wenn kein eigenes rechtliches Interesse vorhanden ist.
Ein solches Jedermannrecht öffnet u. a. die Gefahr, daß selbsternannte, von keinem legitimierte Anwälte angeblicher Bürgerinteressen für sich einen Beruf daraus machen, unter dem Vorwand der Kontrolle Verwaltungshandeln zu verzögern oder, wie die Erfahrung zeigt, sogar zu verhindern.
Damit das nicht übersehen wird, und damit das ganz klar ist: Kontrolle der Verwaltungen aller staatlichen Ebenen ist notwendig und unerläßlich, aber legitimiert zu dieser allgemein notwendigen Kontrolle sind die aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Par- lamente von Bund, Ländern und Gemeinden, denen die zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben notwendigen Auskunfts-, Einsichts- und sonstigen Rechte zur Verfügung stehen. Die legitimierten Vertreter der allgemeinen Interessen der Bürger sind die von den Bürgern gewählten Parlamentarier, und dabei soll es nach unserem Willen bleiben.
({2})
Damit komme ich zum 14. Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten. Das ergibt sich deshalb, weil der Datenschutzbeauftragte eines der Instrumente ist, mit deren Hilfe der Bundestag seine Kontrollfunktion gegenüber den Bundesbehörden ausübt.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat Bundesregierung und Bundestag bei wichtigen Gesetzen sachverständig beraten mit dem Ziel, einerseits das zum Erreichen des jeweiligen Gesetzeszwecks notwendige Maß an Datenerhebungen, Datenspeicherung, Datenabgleich und Datenübermittlung zu ermöglichen, gleichzeitig aber den Schutz
der Bürger vor überzogener Datensammlung und vor allem vor Datenfehlgebrauch zu gewährleisten.
Ich nehme als Beispiel aus dem Bericht den Hinweis auf das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, das Asylverfahrensgesetz und das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms.
Es hat keine Beratung des Innenausschusses über diese und andere Gesetze mit datenschutzrechtlichem Inhalt gegeben, an der der Datenschutzbeauftragte nicht teilgenommen hätte. Nach meiner Erinnerung haben wir in allen Fällen Regelungen gefunden, die auch die Zustimmung des Bundesdatenschutzbeauftragten gefunden haben. Ich glaube, das zeigt zum einen, wie nützlich der Datenschutzbeauftragte ist, und zum anderen, daß ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihm besteht und daß auch wir als Parlamentarier auf seinen Sachverstand jederzeit setzen können und setzen.
Neben der Beratung bei der Gesetzgebung hat die Mitwirkung des Datenschutzbeauftragten bei der Einrichtung von Dateisystemen bei Bundesbehörden in der Berichtszeit eine erhebliche Rolle gespielt. Ich nenne hier die erste Ausbaustufe des automatisierten Fingerabdruckidentifizierungssystems beim Bundeskriminalamt, den Datenabgleich zwischen Versichertendaten und der Datei der Leistungsbezieher bei der Bundesanstalt für Arbeit und den Ausbau des ISDN-Netzes der Telekom. Dazu kam die Beteiligung am Aufbau internationaler Datenaustauschsysteme, z. B. am Schengener Informationssystem, an Europol und am gemeinsamen Zollinformationssystem.
Wenn man die Hauptbereiche der Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten sieht, wird gleichzeitig deutlich, daß es vor allem drei Gründe sind, die zu einem Ausbau der Datensysteme führen.
Der erste Grund ist die wachsende internationale Verflechtung und Integration insbesondere der Europäischen Union und die damit verbundene Öffnung der Grenzen der einzelnen Länder.
Der zweite Grund sind die mit viel Geld versehenen und infolgedessen technisch gut ausgestatteten international operierenden und organisierten Kriminellen.
Der dritte Grund für den Ausbau der Datennetze ist der Sozialstaat, der mit seiner zunehmenden Ausdehnung der Zahl von Leistungsberechtigten und der zunehmenden Differenzierung von Leistungen notwendigerweise immer mehr Mißbrauchsmöglichkeiten schafft, denen dann mit den Mitteln der Datenverarbeitung begegnet werden muß.
Da diese Entwicklungen kaum zurückgedreht werden können, wird auch in Zukunft Datenschutz eine wichtige Aufgabe und der Datenschutzbeauftragte eine wichtige Institution bleiben.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Anmerkung zum Verhältnis des Datenschutzbeauftragten zur Politik machen, und zwar deshalb an dieser Stelle, weil der Datenschutzbeauftragte bei seiner Pressekonferenz, bei der er seinen Bericht vorgelegt hat, dazu einiges gesagt hat. Er hat dort erklärt, es sei kaum verständDr. Heribert Blens
lich, daß gerade in jüngster Zeit im politischen Raum heftige Angriffe gegen den Datenschutz und gegen Datenschutzbeauftragte gerichtet worden seien. Er nennt dafür zwei Beispiele, als erstes die Reaktion auf seine Äußerungen zum sogenannten großen Lauschangriff. Ich will dazu zwei Dinge feststellen:
Das erste: Der Datenschutzbeauftragte hat nach meiner Überzeugung selbstverständlich das Recht, sich zu politisch kontroversen Themen seines Zuständigkeitsbereichs auch öffentlich zu äußern. Aber - das ist das zweite - wer in die heiße Küche geht, muß damit rechnen und in Kauf nehmen, daß er sich die Finger verbrennt. In der Politik geht es, Herr Jacob, etwas rauher zu, wie Sie selbst wissen.
Vor allem muß ein Datenschutzbeauftragter darauf achten, daß bei öffentlichen Äußerungen zu Themen, die unter den Parteien heftig umstritten sind - und das ist der Lauschangriff -, nicht sein Ansehen als unparteiischer und unparteilicher Anwalt der Bürgerinteressen bei den Parlamentariern leidet. Ich fände das bedauerlich. Ich glaube aber, das ist bisher nicht eingetreten.
Der Datenschutzbeauftragte nennt als zweites Beispiel für Angriffe auf Datenschutz und den Datenschutzbeauftragten, daß aus der Leitung einer oberen Bundesbehörde der Datenschutz immer wieder als Überrecht, das die Arbeit der Polizei erheblich erschwere, diffamiert werde. Lassen Sie mich auch dazu zwei Anmerkungen machen.
Die erste: Ich billige der Leitung einer oberen Bundesbehörde genauso wie den Datenschutzbeauftragten das Recht zu, sich zu Themen ihres Zuständigkeitsbereichs kritisch zu äußern-was nicht heißt, daß die entsprechenden Gesetze, die kritisiert werden, nicht anzuwenden sind, und zwar strikt anzuwenden sind, solange sie bestehen.
Ich sage zweitens - da stimme ich mit dem Datenschutzbeauftragten völlig überein -, daß man über behauptete datenschutzrechtliche Behinderungen der Strafverfolgungsbehörden und der Polizei nur sprechen kann und nur sprechen sollte, wenn konkret dargelegt und belegt wird, welche Datenschutzvorschriften welche Strafverfolgungsmaßnahmen konkret behindern.
Ich stimme mit dem Datenschutzbeauftragten auch darin überein, daß bisher die diesbezüglichen Behauptungen immer so abstrakt und allgemein gehalten waren, daß man als Gesetzgeber damit konkret nichts anfangen kann.
({3})
Sollte tatsächlich nachgewiesen werden, daß es konkrete Mängel gibt, gehöre ich zu den ersten, die nicht nur darüber reden, sondern sich auch dafür einsetzen, daß die notwendigen Änderungen ergriffen werden.
({4})
Aber das Konkrete muß dargelegt und muß belegt werden. Sonst hat das alles keinen Zweck.
Soviel zum Verhältnis Datenschutzbeauftragter/ Politik.
Das Verhältnis Datenschutzbeauftragter zu denen in der Politik, die sich im Innenausschuß mit Datenschutz beschäftigen, ist gut. Das wird auch so bleiben. Das wird sich auch bei der gründlichen Beratung des 14. Berichts zeigen, den ich insgesamt für erfreulich halte, weil er, obwohl er eine Vielzahl von Beanstandungen in Einzelfällen enthält, zeigt, daß der Datenschutz als solcher, als Institution, in den Bundesbehörden akzeptiert ist und praktiziert wird. Daß es Meinungsunterschiede im Einzelfall gibt, daß es Pannen gibt, wird bei Verwaltungen nie vermeidbar sein. Aber der Datenschutz ist bei den Verwaltungen anerkannt. Wir werden alles dafür tun, daß es so bleibt.
({5})
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dorle Marx das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der heraufgezogene Abend paßt vielleicht nicht so schlecht zu unserem Thema. Wer heute vom Datenschutz redet, erscheint vielen schon wieder etwas unmodern. So verwundert es auch nicht, daß nach der Vorlage des 14. Tätigkeitsberichts des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im April letzten Jahres ein gutes halbes Jahr vergangen ist, bevor wir hier heute offiziell zu diesem Bericht die Beratung aufnehmen.
({0})
Wer heute Datenschutz einfordert, stellt meistens erst einmal Entschuldigungen voran: Selbstverständlich sei er kein Maschinenstürmer; er wolle den Fortschritt in Wissenschaft und Technik nicht behindern und auf keinen Fall Straftäter schützen. Einem überzogenen Datenschutz will man auf keinen Fall das Wort reden.
Nach diesen Vorbemerkungen sollte man meinen, der Datenschutz sei inzwischen selbstverständlicher Bestandteil aller Lebensbereiche, in denen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung greift. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist leider ein Irrtum. Es sind - wir wissen es alle - in diesem Bereich noch viele Hausaufgaben unerledigt.
Seit Jahren fehlen im Bereich der Datenverarbeitung einwandfreie und tragfähige Rechtsgrundlagen für die Arbeit des Bundeskriminalamts, des Bundesgrenzschutzes und für die im Bereich der Strafverfolgung zuständigen Zollbehörden. Im immer bedeutsamer werdenden privaten Bereich fehlt als sattsam bekanntes Beispiel immer noch der Arbeitnehmerdatenschutz.
({1})
Im März 1993 - so lesen wir es im Tätigkeitsbericht - wurde vom BMA angekündet, man werde versuchen, bis Ende des Jahres 1993 einen Referentenentwurf zu erarbeiten. Nach meiner telefonischen Rückfrage von heute morgen ist ein Zeitpunkt für die Fertigstellung eines solchen Entwurfs weiterhin nicht abzusehen. Ich
frage mich, wie lange dieser Zustand von uns noch hingenommen werden soll.
({2})
Im privaten Sektor fehlen ebenfalls wichtige Regelungen: im Bereich des Kreditwesens, der Versicherungswirtschaft, der Auskunfteien, des privaten Sicherungsgewerbes und der Telekommunikationsanbieter.
Neben wenigen Lichtblicken in der Weiterentwicklung stellt der 14. Tätigkeitsbericht eine Reihe von eher rückschrittlichen Regelungen und Regelungsvorhaben fest. Die kritische Begleitung der Tätigkeit des Gesetzgebers ist vor der Bearbeitung von Bürgerbeschwerden und Einzelfällen, in denen bestehendes Datenschutzrecht nicht beachtet wurde, in den Vordergrund getreten.
In den letzten beiden Jahren sind eine Reihe von zusätzlichen Befugnissen zum Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die Privatsphäre der Bürger zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung geschaffen worden. So sieht das Außenwirtschaftsgesetz vom Februar 1992 erstmals eine Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs zu Kontrollzwecken vor. Das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität vom Juli 1992 erleichtert die Rasterfahndung, den Einsatz verdeckter Ermittler und die Anwendung technischer Observationsmittel.
Zu den beliebten Vorurteilen gegenüber dem Datenschutz gehört: Der Datenschutz erschwert die Kriminalitätsbekämpfung unangemessen. Der Bundesbeauftragte - Herr Blens hat das bereits zitiert - weist in seinem Bericht darauf hin, daß er das Bundeskriminalamt gebeten hatte, ihm Fälle einer bestehenden Behinderung von Ermittlungen durch Datenschutzregelungen mitzuteilen, damit gegebenenfalls Abhilfe geschaffen werden könnte. Der Bundesbeauftragte teilt uns mit, daß ihm in dem zweijährigen Berichtszeitraum vom Bundeskriminalamt nicht ein einziger solcher Fall benannt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist eigentlich selbstverständlich, daß der Datenschutzbeauftragte uns alle auffordert, vor der Verabschiedung weiterer Gesetze in diesem Bereich erst einmal die mit den bisherigen erweiterten Möglichkeiten gewonnenen Erfahrungen abzuwarten und auszuwerten.
({3})
In diesem Zusammenhang schließe ich mich jedenfalls auch der Meinung des Datenschutzbeauftragten an, daß es sinnvoll wäre, vor einer Regelung des sogenannten großen Lauschangriffs die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die dort vorliegenden Beschwerden gegen entsprechende landesgesetzliche Regelungen in Baden-Württemberg und Hamburg abzuwarten.
Im Berichtszeitraum hat der Gesetzgeber ein neues Betätigungsfeld ausgeschöpft. Der Datenabgleich zwischen verschiedenen Behörden und insbesondere der Sozialversicherung ist das neue Lieblingskind
beim Thema „Mißbrauchsbekämpfung". Boshaft, aber zutreffend muß das Ergebnis der Summe solcher Regelungen als soziale Rasterfahndung bezeichnet werden.
Wem dies zu hart ist, der mag einen Blick in das Volkszählungsurteil werfen, das im Dezember seinen zehnten Geburtstag feierte. Im Volkszählungsurteil ging es auch um die Grenzen für Datenabgleiche. Dort heißt es:
Ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind.
Und weiter:
Die Verwendung der Daten ist auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt. Schon angesichts der Gefahren der automatischen Datenverarbeitung ist ein - amtshilfefester - Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich.
Und zu den Gefährdungen der Vernetzung personenbezogener Daten führte das Gericht aus:
Sie ({4}) können darüber hinaus - vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme - mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne daß der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.
Mit der vom Bundesverfassungsgericht bereits vor zehn Jahren als unerträglich erkannten Vernetzung verschiedener Datenbestände geht der Überblick des Bürgers fiber die zu ihm vorhandenen Informationen verloren. Hierzu das letzte Zitat aus dem Volkszählungsurteil:
Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.
({5})
Der Datenschutz legt auch nicht nur dem großen Bruder Staat Beschränkungen auf. Der große Bruder hat im Bereich der nichtöffentlichen Datenverarbeitung inzwischen eine Menge Geschwister. Ich habe sie bereits erwähnt. Die Erfassungs- und Abrechnungsdaten von Kreditkartenunternehmen, „electronic cash", privaten Mobilfunknetzen oder geplanter elektronischer Mauterfassung auf den Autobahnen bergen zahlreiche Mißbrauchsmöglichkeiten.
Der 14. Tätigkeitsbericht und unsere gesetzgeberische Tätigkeit der letzten Jahre zeichnen also kein optimistisches Bild aus der Sicht des Datenschutzes.
Ganz anders, liebe Kolleginnen und Kollegen, hörte sich dies in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern an. Die Vertreter der Regierungskoalition - mit Ausnahme unseres Kollegen Hirsch - haben eine Aufnahme des Grundrechts
Dorie Marx
auf informationelle Selbstbestimmung in die Verfassung abgelehnt. Zur Begründung wurde dort wortreich dargelegt, der Datenschutz sei längst selbstverständlicher, von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellter Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieses Grundrecht bedürfe daher keiner besonderen Erwähnung. Die Wirklichkeit spricht, meine ich, eine etwas andere Sprache, wenn wir den Bericht des Bundesbeauftragten ernst nehmen.
Oder lassen Sie uns zur Abwechslung einmal den bayerischen Datenschutzbeauftragten zu Wort kommen. Laut „Frankfurter Rundschau" vom 18. Dezember 1993 heißt es im Tätigkeitsbericht von Herrn Oberhauser, angesichts erheblich gestiegener Bedrohung von Staat und Gesellschaft sei eine neue Bewertung des Allgemeinwohls mit zwangsläufigen Auswirkungen auch für das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung erforderlich.
Hier nähern wir uns dem Kern der Sache. Wenn bereits unverblümt eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepeilt wird, müssen Zweifel an der angeblichen Selbstverständlichkeit des Verfassungsranges des Datenschutzes erlaubt sein.
({6})
Es war und ist deshalb auch das Anliegen der SPD, in der gesamtdeutschen Verfassung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausdrücklich zu verankern. Wir brauchen eine bestandsfeste Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz und auch die verbindliche Weisung an den Gesetzgeber, einen gleichwertigen Schutz der informationellen Selbstbestimmung im öffentlichen und im nichtöffentlichen Bereich sicherzustellen. Die europäische Datenschutzrichtlinie sieht übrigens im Grundsatz diese gebotene weitreichende Gleichbehandlung der öffentlich und nichtöffentlich erhobenen Daten vor.
Die von der SPD und dem Land Hessen bereits in der Gemeinsamen Verfassungskommission geforderte Verfassungsergänzung greift also nicht nur das besondere, auf historischen Erfahrungen beruhende Interesse der neuen Länder auf. Sie trägt vielmehr der Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik Rechnung, die bei Verabschiedung des Grundgesetzes in keiner Weise absehbar gewesen ist.
Dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kommt aus unserer Sicht das gleiche Gewicht zu wie den anderen Themen des gesellschaftlichen Wandels seit 1949, nämlich der Verankerung der europäischen Integration und dem erforderlichen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz.
In den letzten 40 Jahren hat eine Basisrevolution der Kommunikationsformen und -techniken stattgefunden. Der Gewichtigkeit der Garantie der informationellen Selbstbestimmung entspricht auch die von der SPD geforderte Verankerung eines vom Parlament gewählten, unabhängigen Datenschutzbeauftragten im Grundgesetz. Es ist nicht einsehbar, weshalb der
Datenschutzbeauftragte etwa hinter dem Wehrbeauftragten zurückstehen soll.
({7})
Mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung korrespondiert aus unserer Sicht auch das Recht auf Informationsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger. Längst geht es nicht nur darum, wer wie über Informationen zur eigenen Person verfügt, sondern auch um die Teilhabe an Informationen, die die politische, soziale, kulturelle und ökologische Umwelt bedingen. Das Recht auf Selbstbestimmung und freie Entfaltung setzt die Möglichkeit voraus, sich über alle Entscheidungsdeterminanten frei zu informieren und daraus selbstverantwortlich Schlüsse ziehen zu können oder sich erst eine Meinung zu bilden. Dies, Herr Blens, unterscheidet uns von Ihnen, die Sie eher einen reflektierenden, abwehrenden Zugang auf Information für den Fall bejahen, in dem es zu einer Auseinandersetzung oder einem Konflikt in einem speziellen Sachverhalt mit irgendeiner Behörde gekommen ist.
Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Einführung eines Allgemeinen Informationsfreiheits-Gesetzes entspricht grundsätzlichen Forderungen, die meine Fraktion seit Jahren vertritt. Wir haben bereits in der 11. Legislaturperiode ein Allgemeines Informationsfreiheits-Gesetz formuliert, sind allerdings an Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis gescheitert. Bei grundsätzlicher Zustimmung zu Ihrer Forderung erscheint es uns daher zweckmäßig, zunächst im Bereich des freien Zugangs zu Umweltdaten Erfahrungen in der Verwaltung zu sammeln. Die Umsetzung der EG-Richtlinie 90/313 vom Juni 1990 über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt steht ohnehin an. Bevor ein umfassendes Allgemeines Informationsfreiheits-Gesetz verabschiedet wird, sollte dieses Gesetzgebungsverfahren exemplarisch abgewartet und ausgewertet werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden in den nächsten Jahren reichlich zu tun haben, um die Freiheit der Information und die Sicherheit von persönlichen Daten in Zeiten immer stärkerer, auch internationaler Vernetzung garantieren zu können. Vor diesem Hintergrund wäre es fatal, wenn wir Informationszugangsrechte im staatlichen Bereich weiter vorenthalten und Datensicherungsrechte leichtfertig weiter einschränken. Wir würden damit nicht nur die Mündigkeit und die Privatsphäre des Bürgers geringschätzen, sondern auch die wichtige Vorreiterrolle des öffentlichen Bereichs gegenüber den dringend überfälligen Regelungen im nichtöffentlichen Bereich aufs Spiel setzen. Aktuell auf unser Haus bezogen heißt dies aus meiner Sicht, daß wir in der sogenannten Mißbrauchsdebatte nachdenklicher werden müssen.
({8})
Der Datenschutz ist und bleibt Grundrecht, also Kern für eigene Regelungswerke. Er ist in der Gefahr, zu einer Art pflichtgemäßer Berlin-Klausel als Beiwerk anderer Gesetzeswerke zu degenerieren.
Dem bayerischen Datenschutzbeauftragten und all denjenigen, die das eigentlich klassisch-bürgerliche Freiheitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach dem Abgleich mit Recht und Ordnung für
nachrangig halten, möchte ich zum Abschluß ein Wort unseres Kanzlers mitgeben. Ausgeführt hat der Bundeskanzler ausweislich des 14. Tätigkeitsberichtes vor dem Juristentag 1992 folgendes - ich zitiere -:
Wir müssen immer wieder Verständnis dafür wecken, daß dem Rechtsstaat Grenzen gesetzt sind, die dem spontanen Rechtsempfinden vieler nicht immer entsprechen. Wir müssen akzeptieren, daß der Rechtsstaat mit dieser Selbstbindung auch diejenigen schützt, die es moralisch vielleicht gar nicht verdienen. Diese Beschränkung schützt uns alle, und sie schützt den Rechtsstaat selbst. Ohne sie ist Rechtssicherheit und damit Rechtsstaatlichkeit nicht denkbar.
({9})
Ich erteile dem Abgeordneten Burkhard Hirsch das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Weng, wenn Sie das wünschten, würde ich das tun.
Herr Blens, es wäre gar nicht schlecht, wenn der Schutz der Privatheit in der Verfassung verankert wäre, und zwar wegen seiner großen Bedeutung für eine freie Gesellschaft und deswegen, weil wir als Gesetzgeber gezwungen wären, das jedesmal zu zitieren, wenn wir ihn einschränken, d. h. uns selber bewußt zu machen, ob wir mit einem Gesetz in die Privatsphäre von Menschen eingreifen oder nicht.
Daß die Freiheit jedenfalls im eigenen Staat selbstverständlich nicht bedroht ist und daß der Bürger den Machtmißbrauch durch den eigenen Staat selbstverständlich nicht fürchtet, gehört zum Standardrepertoire all derjenigen, die politische und administrative Macht in einem Staat ausüben. Wer die Macht hat, ist immer fest davon überzeugt, daß er sie ausschließlich zu guten und vernünftigen Zwecken verwendet.
Das Verfassungsgericht hält dem in ständiger Rechtsprechung entgegen - nicht erst seit dem Volkszählungsurteil -, daß nicht nur die Freiheit, sondern die Menschenwürde bedroht ist, wenn der Bürger zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns wird und wenn er sich einem Mechanismus von Regelungen und Verwaltungen gegenübersieht, den er nicht mehr durchschauen und nicht mehr kontrollieren kann.
Der Bürger - das ist hier schon zitiert worden - muß wissen können, wer was wann bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Wenn er das nicht kann, dann wird er, weil er fürchtet aufzufallen, sich anpassen und seine eigenen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten weit geringer einschätzen und sie nicht nutzen.
Die Verwaltung geht darüber hinweg. Wenn ich daran denke, daß der Brandenburgische Innenminister Ziel sozusagen den Vogel abschießt, indem er von Millionen, von allen Wählern polizeiliche Führungszeugnisse anfordert, kann ich nur sagen: Der Mann ist nicht auf der Höhe seiner Zeit, er weiß nicht, was er damit angerichtet hat.
({0})
In einer Demokratie muß Macht öffentlich kontrollierbar sein. Darum liegt der Gedanke des „Freedom of Information" , also des Rechtes auf Akteneinsicht, eigentlich nahe. Natürlich ist die Vorstellung, man müsse zu jedem denkbaren Zeitpunkt alle denkbaren Akten einsehen können, eine schlichte Illusion. Sie geht an der Wirklichkeit vorbei. Aber ich wundere mich, warum es so schwer ist, z. B. die Umsetzung der EG-Richtlinie über das Informationsrecht . bei bestimmten Umweltdaten zu verwirklichen, und warum die Veröffentlichung bestimmter Strukturdaten z. B. des Verfassungsschutzes auf so erhebliche Widerstände gestoßen ist. Sie würde die Sicherheit der Bundesrepublik nicht beeinträchtigen, sondern es würde die Arbeit der Dienste erleichtern, wenn sie durch Offenheit mehr Verständnis und Zustimmung in der Öffentlichkeit finden würden.
({1})
Der 14. Datenschutzbericht bezieht sich auf die Jahre 1991 und 1992. Wir haben schon bei der Vorlage des Berichtes die hervorragende Arbeit des damaligen Datenschutzbeauftragten Dr. Einwag und seiner Mitarbeiter gewürdigt und im einzelnen darauf hingewiesen, daß der Bericht für die gesamte Breite der Bundesverwaltung eindrucksvoll belegt, welche Eingriffsmöglichkeiten und Eingriffsbefugnisse durch Verbund- und Textdateien, durch lange Speicherfristen, durch On-line-Anschlüsse und Abrufungsmöglichkeiten geschaffen worden sind. Aber - Herr Kollege Blens, da stimme ich Ihnen zu - wir können daraus auch erkennen, daß in der Verwaltung ein Bewußtsein für die Notwendigkeit des Schutzes der Privatsphäre gewachsen ist.
In der Tat hinterläßt der Datenschutzbericht einen zwiespältigen Eindruck. Er zeigt auf der einen Seite, daß der Stand der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Staaten weit fortgeschritten ist. Auf der anderen Seite zeigt er aber auch, daß die Datenverarbeitung in einem außerordentlichen Umfang staatliche Kontrollinstrumente geschaffen hat, die bequem sind, die lautlos wirken, zu denen die Verwaltung immer häufiger greift, weil sie für den Bürger unmerkbar bleiben.
Ohne die Datenverarbeitung ist moderne Leistungsverwaltung nicht mehr durchführbar. Aber der Gesetzgeber bedenkt nicht, daß jede Regelung, jede Leistungsbegrenzung, die er im Interesse der Leistungsfähigkeit und der Gerechtigkeit einführt, kontrolliert und gegen Mißbrauch oder Leistungserschleichung geschützt werden soll. Der Gesetzgeber bedenkt nicht, daß er damit ein immer umfangreicheres Kontrollsystem und eine immer umfangreichere Datensammlung herbeiführt oder jedenfalls die Behauptung, daß sie notwendig sei.
Da spielen die Datensammlungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenversicherungsträger mit über 80 Millionen Datensätzen eine wachsende Rolle.
Ähnliches gilt im polizeilichen Bereich. Es gehört für mich zu den eindrucksvollen Darstellungen des Datenschutzberichtes, daß die ständigen Angriffe aus der Leitungsebene des Bundeskriminalamtes - Überlast an Freiheitsrechten usw. - als übertrieben bezeichnet werden und gesagt wird, daß das in keinem einzigen Fall als berechtigt belegt worden ist.
Es ist billig, von übertriebenem Datenschutz zu sprechen, ohne zu sagen, wo die Übertreibung anfängt. Datenschutz ist nicht Täterschutz, sondern Schutz der Privatsphäre des Bürgers. Und dieser unantastbare Persönlichkeitsbereich ist ein Teil unserer Rechtsordnung, die die Polizei nicht zu bekämpfen, sondern zu schützen hat.
({2})
Es gibt viele Dateien mit einem guten Grund. Der Datenschutzbeauftragte mahnt zutreffend, Augenmaß zu wahren. Er schreibt:
Wird dieser Weg ungebremst fortgesetzt, könnte sich aus einer Unsumme von automatisierten Dateien, aus einem Netz von Datenabgleichen, die schließlich fast alle Bürger und alle Lebensbereiche erfassen, der gläserne Bürger ergeben.
Das ist richtig. Es hat niemals zuvor die praktische Möglichkeit gegeben, so viele Informationen über jeden einzelnen zu sammeln, aufzubewahren, zur Verfügung zu halten, jederzeit abzurufen und zusammenführen zu können, nichts zu vergessen, auch die Irrtümer nicht - und das alles unmerkbar, kostensparend, effektiv.
Der Staat wandelt sich unmerklich in einen Apparat mit dem Charme einer blankgeputzten, perfekt funktionierenden Maschine. Natürlich, der Staat muß in der Lage sein, praktische Aufgaben praktisch zu lösen. Aber es entwickelt sich keine Rechtskultur auf dem schwankenden Boden von Zweckmäßigkeitserwägungen, wenn nicht gleichzeitig ein eiserner Bestand an Grundsätzen erhalten bleibt, die wir auch in Notzeiten für abwägungsfest und für unverfügbar halten.
({3}) Dazu gehört auch die Privatheit.
Das ist unsere eigene Aufgabe, bei der uns der Datenschutzbeauftragte und seine Mitarbeiter helfen. Wir danken ihnen dafür.
({4})
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ingrid Köppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden Bericht stellt der Datenschutzbeauftragte fest:
Die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten
zur Kontrolle und Überwachung der Bürger sind
in den letzten Jahren kräftig ausgebaut und perfektioniert worden.
Wir lehnen den Weg in einen Kontroll- und Überwachungsstaat ab und wollen das genaue Gegenteil, nämlich den Ausbau und den Schutz von individuellen Freiheitsrechten. Wir wollen, daß sowohl das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wie auch das Recht auf Informationsfreiheit in das Grundgesetz als Grundrechte aufgenommen werden. Dazu haben wir einen entsprechenden Antrag vorgelegt.
Mit dem zweiten Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, einen Gesetzentwurf zur Einführung der allgemeinen Informationsfreiheit vorzulegen. Sie wissen, daß es in mehreren Staaten, z. B. in den USA, in Schweden, Kanada, in den Niederlanden, in Frankreich, Norwegen und Griechenland, seit Jahren solche Regelungen gibt. Es ist eben nicht der Fall - wie Herr Blens vorhin meinte -, daß die Einführung der Informationsfreiheit dazu führen würde, daß die Verwaltungen zusammenbrechen. Ich denke, daß die Erfahrungen in diesen Ländern genau das Gegenteil bewiesen haben.
In Deutschland wurden hingegen bisher keine Schritte unternommen, ein generelles Recht auf Informationsfreiheit als Bürgerrecht zu verankern. Wir denken, daß der Zweck eines solchen Gesetzes darin bestehen sollte, durch ein solch umfassendes Informationsrecht das in den Akten und auch in allen anderen Informationsunterlagen festgehaltene Wissen und Handeln für die Allgemeinheit transparent zu machen, um so natürlich auch eine öffentliche Kontrolle des staatlichen Handelns zu fördern.
Wir wollen, daß jede Person gegenüber Behörden und öffentlichen Stellen des Bundes und der Länder ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt dort geführter Informationen haben soll. Denn letztendlich betreffen die bei den öffentlichen Verwaltungen geführten Vorgänge die Bürgerinnen und Bürger selbst.
Dieses Recht auf Informationsfreiheit steht auch nicht im grundsätzlichen Widerspruch zum Datenschutz. Dies wird vor allem auch dadurch belegt, daß gerade von seiten der Datenschutzbeauftragten seit Jahren dafür gestritten wird, ein solches Recht auf Informationsfreiheit gesetzlich zu verankern.
Wir denken, daß sich die Bürgerinnen und Bürger nicht dafür zu rechtfertigen haben, warum sie Einsicht in Verwaltungshandlungen nehmen wollen. Vielmehr ist es der Staat, der beweispflichtig dafür ist, warum er diesen Grundsatz noch nicht überall rechtlich verankert hat und wo natürlich auch in begrenzten Bereichen dieser Grundsatz notwendigerweise eingeschränkt werden muß.
Uns ist klar, daß diese allgemeine Informationsfreiheit in einigen Fällen begrenzt werden muß, z. B. wenn es um überwiegend schützenswürdige Interessen des individuellen Datenschutzes oder aber auch um Strafverfolgung geht.
Wir haben zu all diesen Problemen in unserem Antrag eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht. Ich will auch jetzt schon ankündigen, daß wir im Aus17510
Schuß zu diesen unseren parlamentarischen Initiativen, die wir hiermit vorlegen, eine öffentliche Anhörung beantragen werden. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung der anderen Fraktionen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum zehnjährigen Jubiläum des Bundesverfassungsgerichtsurteils, in dem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung festgeschrieben wurde, stellt die Deutsche Vereinigung für Datenschutz fest - ich zitiere -, daß der „Datenschutz nicht nur einmal in den vergangenen Jahren zum Akzeptanztrottel einer datenhungrigen Verwaltung zu werden" drohte. Das ist, wohlgemerkt, nicht auf den Datenschützer gemünzt, sondern bezeichnet die Aufgaben, die durch gesellschaftliche Entwicklungen und politische Vorgaben dem Datenschutz hierzulande zugeschrieben worden sind.
Der vorliegende Bericht liefert eindrucksvolle Beispiele für die deprimierende Bilanz der Datenschützervereinigung. Einerseits wird festgestellt, daß die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Kontrolle und Überwachung des Verhaltens der Bürger und Bürgerinnen in den letzten Jahren kräftig ausgebaut und perfektioniert worden ist, andererseits wird betont, daß der Bundesbeauftragte an der Vorbereitung der meisten Maßnahmen beteiligt war.
In der Liste, die in dem Bericht zum Beleg angeführt wird, finden sich die erkennungsdienstlichen Behandlungen aller Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Sämtliche Gesetze der letzten zwei Jahre - vom Gesetz gegen die organisierte Kriminalität über das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms und die Änderungen des Sozialhilfegesetzes bis zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - brachten umfassende Erweiterungen der Datenweitergabe und Datenverarbeitung von Sozialdaten, Überprüfung von Lohn- und Rentenleistungen bis zu polizeilich und geheimdienstlich genutzten Daten. Die EG bzw. die Europäische Union und die Schengen-Systeme werden eine weitere Stufe der Kontrolle und Überwachung bringen.
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund müssen die öffentlichen Attacken auf den Datenschutz gesehen werden. Sie sind nichts anderes als maßlose Forderungen nach Aufhebung aller Grenzen. BKA-Chef Zachert diskreditiert meines Erachtens unverfroren Grundrechte, wenn er dem Datenschutz vorwirft, er sei in seiner jetzigen Form ein zu behebendes „staatlich gewolltes Informationsdefizit der Sicherheitsbehörden". Das genau sollte er eigentlich sein und das ist er immer weniger.
Schon wird aus Bayern gefordert - meine Kollegin Frau Dorle Marx hat es schon angesprochen -, eine Neubewertung des Allgemeinwohls mit Auswirkung auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung vorzunehmen, um den Werteverlust und der abbröckelnden Verbindlichkeit ethischer Norm entgegenzuwirken. Hier wird ganz offen der Schutz
des sogenannten Gemeinwohls und des Staates über die individuellen Freiheitsrechte und Bürgerrechte gestellt.
Die Aufregung über die Überprüfung sämtlicher Wählerinnen und Wähler in Brandenburg durch das Bundeszentralregister teile ich zwar, ist aber kaum angebracht, wenn in der Bundesregierung gleichzeitig ein Gesetzentwurf zum Bundeszentralregister vorgelegt wird, in dem dieses Vorgehen zum bundesweiten Standard gemacht werden soll. Hier genau ist der Datenschutz als Akzeptanztrottel so gefragt 'wie bei routinemäßigen Überprüfungen von Aussiedlerinnen und Aussiedlern durch BND und Verfassungsschutz oder beim sogenannten großen Lauschangriff.
Danke.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Informationen sind ein untrennbares Element jeden Lebensprozesses. Jedes Leben in der Gesellschaft, insbesondere jede wirtschaftlich relevante Tätigkeit hinterläßt irgendwie informationelle Spuren. Bis zum Aufkommen der I-und K-Techniken, der Informations- und Kommunikationstechniken - bei uns etwa Massenanwendungen Mitte der 60er Jahre -, war das nur selten ein Problem. Ein Problem war es allerdings z. B. in der Zeit des Faschismus, später auch im Stasi-System der DDR, die mit konventionellen technischen Mitteln - das hatte überhaupt noch nichts mit den neuen Techniken zu tun - die informationellen Spuren von Menschen und Gruppen für repressive, zum Teil existenz- und lebensbedrohende Prozesse erfaßten.
An den Stasi-Unterlagen sehen wir heute, was das bedeuten konnte. Aus den leider nie so aufgearbeiteten Gestapo- und NS-Justizakten mit ihren hundertmal brutaleren Folgen ahnen wir zumindest, welche Bedeutung die Erfassung, Sammlung, Verarbeitung, Speicherung von Informationen über Menschen überhaupt haben kann.
Die I- und K-Techniken - das wissen wir doch alle auf Grund unseres Gebrauchs des PC - geben für die Erfassung, Speicherung, Verarbeitung und Weiterleitung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten eine andere, viel mächtigere Basis als je zuvor. Rechner führen inzwischen in der Sekunde mehrere Hunderte Millionen Operationen durch. Speichermedien stehen inzwischen auch praktisch unbeschränkt zur Verfügung. Die Übertragungsmöglichkeiten werden mit dem ISDN-System auf längere Sicht gewaltig erweitert. Schranken bestehen noch bei der Erfassung und der Organisation der Datenmassen.
Ebendeshalb ist aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ist der Anspruch auf Schutz der Daten und der Persönlichkeitsaspekte, die in diesen Daten ganz oder teilweise abgebildet werden, ein Bürgerrecht, ein Menschenrecht, ein Grundrecht -ein wichtiges, ein entscheidendes Menschenrecht in der hochentwickelten, immer stärker technologisch geprägten Gesellschaft von heute, ein Menschenrecht
insbesondere in der Informationsgesellschaft von morgen.
Dieses Grundrecht, dieses Menschenrecht ist zu schützen, ist zu wahren. Deshalb muß der Datenschutz ausgebaut, nicht abgebaut werden. Und die Tendenz zum Abbau herrscht ja bei uns seit einer Reihe von Jahren vor. Das gilt auch, wenn es wirtschaftlichen Interessen scheinbar oder tatsächlich zuwiderläuft.
Auf der anderen Seite: Gerade in der komplexen High-Tech-Gesellschaft von morgen haben die Bürger und Bürgerinnen ein Interesse am Zugang zu Informationen aus den Apparaten, aus den Bürokratien, aus den Betrieben, aus den Verwaltungen, also aus der ganzen Palette anonymer Apparate, die über die Betroffenen bzw. deren Lebensumstände irgendwie entscheiden, irgendwie verfügen.
Den schmalen Grat zwischen Schutz der persönlichen Daten und Zugang zu Daten aus anonymen Apparaten gilt es sorgfältig zu erkunden und zu begehen. Ich denke, der Entwurf von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist ein richtiger Schritt in diese Richtung. Datenschutz darf kein Vorwand für Transparenzvereitelung und Beteiligungsblockaden gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen sein. Datenschutz und der freie Zugang zu Informationen aus den Apparaten sind Zug um Zug zu regeln.
Die eben schon genannte DVD - Deutsche Vereinigung für Datenschutz - fordert daher zu Recht eine „Informationsverkehrsordnung" . Diese darf allerdings nicht zu einer der typischen deutschen perfektionistischen Regelungen führen, analog etwa zur Straßenverkehrs-Ordnung. Der Umgang mit Daten und Informationen ist vielmehr auch ein Problem und gerade eine Aufgabe gesellschaftlicher Praxis und gesellschaftlichen Bewußtseins. Er ist viel mehr ein solches Problem als ein Feld für das juristische Durchdeklinieren entsprechender Regelungen.
Herr Abgeordneter, würden Sie so nett sein und dem roten Licht die gebührende Beachtung schenken?
Ich starre gebannt darauf. Das Licht ist rot, und mir geht es so, daß Rot mich immer ein bißchen anzieht. Ich glaube, ich habe das schon einmal gesagt.
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Gerade der Datenschutz - ich bin damit beim letzten Satz, Herr Präsident - und der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dürfen nicht allein staatlicher Regulierung überantwortet werden. Wirksame Lösungen sind vielmehr mit möglichst geringer staatlicher Regulierung anzustreben. Ich denke, das ist irgendwie eine dritte Aufgabe neben dem Persönlichkeits- und Datenschutz und neben der Sicherung des Zugangs zu Informationen aus den Apparaten, die wir dabei auch im Auge behalten müssen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat Herr Staatssekretär Lintner das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem 14. Tätigkeitsbericht gibt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz erstmals einen Überblick über die Entwicklung des Datenschutzes und seine Kontrolltätigkeit in den letzten zwei Jahren.
Dabei wird deutlich - und das ist bemerkenswert -, in wie vielen unterschiedlichen Bereichen der Bundesbeauftragte Kontrollen durchgeführt hat oder beratend tätig geworden ist. Erfreulich ist, daß die Zahl der Beanstandungen im Verhältnis zu der Zahl der durchgeführten Kontrollen und angesichts der zum Teil sehr hohen Arbeitsbelastung der kontrollierten Stellen sehr gering ist. Dies zeigt, daß das Bewußtsein der Bediensteten der Bundesbehörden für die Notwendigkeit der Einhaltung datenschutzrechtlicher Erfordernisse stark ausgeprägt ist.
Der Bericht hebt als besonders positiv hervor, daß der Bundesbeauftragte in einer Vielzahl von Fällen frühzeitig im Rahmen von Gesetzesvorhaben von den verantwortlichen Ressorts beteiligt worden ist. Ich stimme dem Bundesbeauftragten darin zu, daß es sinnvoll und der Sache dienlich ist, bereits im Vorfeld der parlamentarischen Behandlung von Gesetzesvorhaben einen Konsens herzustellen.
Nicht folgen kann ich dem Bundesbeauftragten jedoch in seiner Einschätzung, daß eine Tendenz zur stärkeren Kontrolle und Überwachung der Bürger durch gesetzliche Normen zu verzeichnen ist, die die Gefahr des - jedenfalls in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht - „gläsernen Bürgers" real erscheinen läßt.
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Die von dem Bundesbeauftragten angeführten Gesetzesinitiativen, wie etwa die Änderung des Sozialhilfegesetzes oder das Gewinnaufspürungsgesetz, stellen aus meiner Sicht berechtigte und notwendige Reaktionen auf neue Erscheinungsformen der Kriminalität und auch den zunehmenden Sozialleistungsmißbrauch dar. Derartige Maßnahmen sind deshalb im Interesse des Gemeinwohls unverzichtbar.
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Selbstverständlich - insoweit stimme ich der Auffassung des Bundesbeauftragten wieder zu - hat der Gesetzgeber bei der Schaffung neuer Eingriffsgrundlagen in das Persönlichkeitsrecht, wie beispielsweise bei der Zulassung weiterer Datenabgleiche, eine Gesamtschau vorzunehmen, die der Gefahr der Herstellung einer völligen Transparenz der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bürgers für staatliche Stellen entgegenwirkt.
Auch die in dem Bericht angeführte Gefahr, die mit der Notwendigkeit der zunehmenden grenzüberschreitenden Übermittlung personenbezogener Daten an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union für das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Bürgers verbunden ist, sehe ich so nicht. Die aufgeführten Datenverarbeitungssysteme, wie das Schengener Informationssystem und die geplanten Systeme Europol und das Zollinformationssystem,
enthalten jeweils einen umfangreichen Katalog von datenschutzrechtlichen Mindesterfordernissen, der sich stark an den Vorgaben der deutschen Gesetzgebung orientiert. Damit ist nicht nur dem berechtigten Anliegen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts der Gemeinschaftsbürger Rechnung getragen, sondern auch eine deutliche Verbesserung des Schutzes verbunden.
Sehr intensiv hat sich der Bundesbeauftragte mit der Entwicklung des Datenschutzes in den neuen Ländern befaßt. Um so mehr Gewicht hat daher seine Feststellung, daß die Einführung des Datenschutzes als Schutz des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre in den neuen Ländern erfreulich verlaufen ist.
Meine Damen und Herren, zu den Vorschlägen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich aus der Sicht der Bundesregierung noch folgendes bemerken. Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat hat eine Verankerung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung, also eines allgemeinen Rechtes des Zugangs zu Daten der vollziehenden Gewalt, sowie die Institutionalisierung eines Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit im Grundgesetz abgelehnt. Der Verzicht auf eine Festschreibung des informationellen Selbstbestimmungsrechts wurde zu Recht unter anderem damit begründet, daß nach dem sogenannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vorn 15. Dezember 1983 der verfassungsrechtliche Rang des Datenschutzes anerkannt sei und es auch keiner Klarstellung des gesetzgeberischen Willens im Wege einer Verfassungsänderung bedürfe.
Zutreffend geht der Bericht der Verfassungskommission auch davon aus, daß die Einführung eines allgemeinen Zugangsrechts zu den Datenbeständen der Exekutive die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und den Schutz entgegenstehender Rechte beteiligter Dritter beeinträchtigen könnte.
Zur Institutionalisierung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im Grundgesetz selbst ist schließlich folgendes zu sagen: Diese Einrichtung ist durch das Bundesdatenschutzgesetz hinreichend abgesichert. Die einfachgesetzliche Regelung bietet insbesondere den Vorteil, den jeweiligen sachlichen und politischen Anforderungen flexibel angepaßt werden zu können.
Meine Damen und Herren, wenn es ihn nicht gäbe, müßte man den Bundesbeauftragten für den Datenschutz geradezu erfinden, zumal er fleißig, verläßlich, aber in aller Regel auch mit Sinn für das praktisch Machbare seine Aufgaben bewältigt. Dafür heute auch ausdrücklich von seiten der Bundesregierung Dank und Anerkennung.
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Mir wird der Wunsch des Abgeordneten Büttner signalisiert, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen. Sind Sie bereit, dieselbe noch zu beantworten?
Jetzt wird es eine Nachfrage. Bitte schön.
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Ich würde Sie nur um die Berichtigung Ihrer Behauptung bitten, daß die Gemeinsame Verfassungskommission die Aufnahme des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in das Grundgesetz abgelehnt hat. Ich frage Sie: Trifft es nicht zu, daß eine Mehrheit der Verfassungskommission sehr wohl einer Aufnahme zugestimmt hat und die nötige Zweidrittelmehrheit nur deswegen verfehlt worden ist, weil Ihre Fraktionsführung ihren Mitgliedern die informationelle Selbstbestimmung in dieser Frage verweigert hat?
Herr Kollege, ich stelle fest, daß der Vorschlag nicht die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder erreicht hat. Damit ist er abgelehnt worden. Mehr habe ich nicht gesagt.
Danke schön. Damit sind wir am Ende der Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/4805, 12/5695 und 12/5694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. - Das Haus ist damit einverstanden. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD
Situation der psychisch Kranken in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 12/2019, 12/4016 Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann können wir die Aussprache eröffnen. Zunächst erteile ich der Abgeordneten Frau Regina Schmidt-Zadel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fast genau zwei Jahren, im Februar 1992, stand die damalige Gesundheitsministerin, die Kollegin Hasselfeldt, an dieser Stelle. In der Debatte um die Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung zur Psychiatriereform, bei der es wie auch heute um die Situation der psychisch Kranken in diesem Land ging, schloß Frau Hasselfeldt ihre Rede mit einem bemerkenswerten Satz:
Jeder muß seine Verantwortung an seiner Stelle wahrnehmen.
Ich hätte hier gern den Herrn Minister Seehofer angesprochen; er ist nicht da. Frau Staatssekretärin, wenn ich mir die Antwort auf unsere Große Anfrage ansehe, wenn ich die Lage der Psychiatrie und der psychisch Kranken insgesamt und vor allem in den
neuen Bundesländern betrachte, so muß ich feststellen: Der Bund jedenfalls hat seine Verantwortung in seinem Bereich keineswegs wahrgenommen. Ganz im Gegenteil, Ihre ständigen Verweise auf die Zuständigkeiten der Länder, Kommunen und Leistungsanbieter machen deutlich, daß Sie offensichtlich auch gar nicht daran interessiert sind, selber Verantwortung zu übernehmen. Angesichts fehlender Konzepte und leerer Kassen aus Ihrer Sicht verständlich, aus der Sicht der Betroffenen und ihrer Angehörigen allerdings eine Katastrophe.
So ist es dann auch nicht verwunderlich, daß Ihre Antwort auf unsere Anfrage von der Fachwelt geradezu in der Luft zerrissen wird. „Desinteresse und erschreckende Perspektivlosigkeit", „grobe Verzerrung der Versorgungssituation", „Schönfärberei" und „Zynismus" - so lauten nur einige Zitate aus den Stellungnahmen der Sachverständigen und Verbände zur Antwort der Bundesregierung. Ein Aufsatz in der „Psychosozialen Umschau" bringt es auf den Punkt. Der Autor schrieb, daß für ihn die Lektüre der Antwort ein Buch über positives Denken ersetzt. Immerhin ja schon etwas.
Die harsche Kritik ist berechtigt. In der Tat hat das, was die Bundesregierung da auf 48 Seiten zusammengeschrieben hat, herzlich wenig mit der Realität zu tun. Die Antwort erweckt den Eindruck, als sei die psychiatrische Versorgung überall flächendeckend und gleichmäßig gewährleistet und als sei die Versorgung auf dem Gebiet der neuen Bundesländer im Handumdrehen auf das schöngeredete Niveau der alten Bundesländer zu heben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts davon ist wahr. Wahr ist vielmehr, daß die psychiatrische Versorgung in den alten Ländern immer noch erhebliche regionale Unterschiede und Defizite aufweist. Und wahr ist auch, daß in den neuen Bundesländern die Lage der psychisch Kranken nach wie vor katastrophal und zum Teil menschenunwürdig ist. Ich will nur an den Film „Die Hölle von Ueckermünde" vom letzten Sommer erinnern. Ich denke, einige von Ihnen haben ihn gesehen. Er hat erhebliches Aufsehen erregt. Von einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse kann demnach überhaupt keine Rede sein.
Die Bundesregierung tut nichts, um diese Einheitlichkeit zu verwirklichen. Im Gegenteil: Sie ist durch ihre Kahlschlagpolitik im Sozialbereich dafür verantwortlich, daß sich die Situation sogar noch weiter verschlimmert. Das Prinzip, dem sie dabei folgt, hat sich in anderen Bereichen bestens bewährt und ist beinahe zum grundlegenden Gestaltungsprinzip der Kohl-Regierung geworden:
({0})
Wenn irgend möglich, wird die Zuständigkeit des Bundes verneint und nach unten an die Länder und Kommunen weitergereicht, bis am Ende fast alles die Sozialhilfeträger mit entsprechenden Folgen für die Patienten und ihre Angehörigen finanzieren müssen.
Zusätzlich streicht der Bund, wo er noch Zuständigkeiten hat, schamlos die Mittel. So stehen viele Projekte zur psychiatrischen Versorgung vor dem Aus oder werden gar nicht erst realisiert, weil sie überwiegend mit ABM-Mitteln finanziert werden, die von der Bundesregierung fast auf Null reduziert wurden.
Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung ist ganz offensichtlich nicht in der Lage, die Reform der Psychiatrie entscheidend zu verbessern. Ihr fehlt jeder Gestaltungswille, die Psychiatriereform auf der Grundlage der vorhandenen Modellprogramme flächendeckend umzusetzen und voranzutreiben.
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Die Fraktion der SPD - hören Sie gut zu, Herr Kollege - bringt daher heute einen Entschließungsantrag ein, der die Bundesregierung unmißverständlich auffordert, ihre Mitverantwortung für die Reform der Psychiatrie endlich wahrzunehmen.
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Nach Art. 72 des Grundgesetzes kann sie tätig werden, wenn Angelegenheiten durch die Gesetzgebung der Länder nicht wirksam geregelt werden können und die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet des Landes hinaus es erfordert, und vor allem, weil sie für die wesentlichen Leistungsgesetze zuständig ist. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung hier nicht nur tätig werden kann, sondern tätig werden muß.
Die Situation der psychisch Kranken in den neuen Bundesländern und die unvollständige Umsetzung der Psychiatriereform in den alten Ländern macht es erforderlich, unverzüglich zu handeln. Dazu gehört vorrangig die Einrichtung eines Modellprogramms Psychiatrie in den neuen Bundesländern, von uns immer wieder gefordert. Daß in den alten Bundesländern zumindest in einigen Modellregionen die Empfehlungen der Expertenkommission in die Praxis umgesetzt werden konnten, ist im wesentlichen auf die Schubwirkung des Modellprogramms zurückzuführen. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler zu glauben, beim Aufbau der psychiatrischen Versorgung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ohne solch ein wichtiges Instrument wie Modellprogramme auskommen zu können.
Ich möchte aus dem, was der Entschließungsantrag in insgesamt zwölf Punkten fordert, zwei weitere aus meiner Sicht wichtige Aspekte herausgreifen. Es geht zunächst um den Wohnraum für psychisch Kranke. Hauptziel der Psychiatriereform war und ist es, die überwiegend stationäre Behandlung psychisch kranker Menschen in Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen zugunsten teilstationärer und ambulanter Hilfeformen aufzugeben, die flächendekkend und möglichst gemeindenah angeboten werden.
Wer psychisch Kranke aus den Heimen und Kliniken holen will, wer ihnen ambulant helfen will, der muß auch dafür sorgen, daß ihnen geeigneter und behindertengerechter Wohnraum zur Verfügung steht. Ohne eine hinreichende Versorgung mit adäquatem Wohnraum laufen wir bei einem der Kernpunkte der Psychiatriereform ins Leere. Obdachlosigkeit, meine Damen und Herren, kann und darf nicht
die Alternative zum Landeskrankenhaus sein. Die Realität ist aber, daß psychisch Kranke oft in der Obdachlosigkeit landen.
Der andere Aspekt, den ich noch ansprechen möchte, ist der eklatante Mangel an verfügbaren Daten. Die weitere Umsetzung der Psychiatriereform kann ohne eine umfassende Gesundheitsberichterstattung nicht gelingen. Auch hier könnte der Bund seine Verantwortung wahrnehmen, indem er das Zustandekommen eines bundesweiten Dokumentationssystems fördert, das die auf vielen Ebenen verfügbaren Daten zusammenführt und sie Forschung und Politik zur Verfügung stellt.
Meine Damen und Herren, die Sozialpolitik hat es zur Zeit nicht eben leicht. Das gilt insbesondere für Detailbereiche und Sparten der Sozialpolitik, erst recht, wenn sie - wie der notwendige Ausbau der psychiatrischen Versorgung - mit Kosten verbunden sind. Ein Sozialstaat definiert sich aber auch darüber, wie er in wirtschaftlich schlechten Zeiten mit seinen kranken und schwachen Bürgern umgeht, mit denen, die über keine große Lobby verfügen. Dazu zählt auch die Gruppe der psychisch Kranken, die ja auch in besseren Zeiten nicht zu denen gehören, deren Schicksal auf breites Interesse stößt. Die Lage der psychisch Kranken vor allem in den neuen Ländern bedarf allerdings einer schnellen Verbesserung.
Ich appelliere daher an die Bundesregierung: Akzeptieren Sie, daß auch der Bund Verantwortung für die Reform der Psychiatrie hat. Nehmen Sie Ihre Verantwortung ernst und handeln Sie. Wir Sozialdemokraten haben Ihnen, meine Damen und Herren, dazu heute mit dem Entschließungsantrag etwas an die Hand gegeben, was Ihnen bislang fehlte: ein Konzept.
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Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir manövrieren uns selber in eine eigenartige Situation hinein. Wir behandeln Themen in einer Stunde, anderthalb Stunden oder zwei Stunden. Dann beteiligen sich - ich sage es einmal höflich - eine winzige Zahl von Kollegen.
({0})
Die Feststellung, wie dramatisch eine Situation sei und wie an die Veranwortung anderer appelliert wird, schrumpelt natürlich zusammen, wenn wir unsere eigene Präsenz nicht bringen. Wir werden diese Tagesordnung so abwickeln, aber ich appelliere von dieser Stelle aus an die Fraktionen, doch wirklich strenger bei der Auswahl der Themen vorzugehen, die sie auf die Tagesordnung setzen wollen.
Wir dürfen uns über das Echo nicht wundern, wenn es so zu einer Ritualisierung erstarrt. Ich bitte daher sehr herzlich, daß wir in unser aller Interesse und im Interesse derer, die wir hier vertreten, noch in dieser Legislaturperiode eine neue Form finden.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Walter Altherr das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! - Herr Präsident, ich kann Ihre Ausführungen voll unterstützen. Auch ich finde es bedauerlich, daß dieses wichtige Thema so wenig Akzeptanz findet und daß das Hohe Haus diesem Thema nicht gerecht wird. Ich bedaure es aber auch, daß die AntragstellerFraktionen auch nur mit den Fachleuten vertreten ist. Das ist auch bedauerlich, Frau Zadel. Wir müssen sehen, wie wir dieses Problem in der Zukunft lösen können.
({0})
Psychisch Kranke und geistig Behinderte, die früher als hoffnungslose Fälle in geschlossenen Anstalten mehr oder weniger dahinvegetierten und aggressiv oder apathisch auf ihre Umwelt reagierten, blühen allmählich auf, entwickeln ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten und können erstmals in ihrem Leben halbwegs selbständig ihren Alltag bewältigen.
Soweit die „Deutsche Ärztezeitung" vom 19. Juni 1991.
Meine Damen und Herren, stationäre Psychiatrie erfolgte auch in der Bundesrepublik noch bis vor 20 Jahren in Abschiebe- und Verwahranstalten, frei nach der aus dem Sozialdarwinismus stammenden Forderung des bekannten deutschen Psychiaters Kraepelin, die minderwertigen Persönlichkeiten zu kasernieren. Diese Forderung stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts. In den neuen Ländern fanden wir dieses Konzept der stationären psychiatrischen Behandlung noch bei der Wiedervereinigung vor.
Statt Zwangsjacken, Gummizellen, Elektroschockbehandlungen und der Verabreichung von Psychopharmaka in hohen Dosen setzt die moderne Psychiatrie heute auf gemeindeintegrierte Versorgung, Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken, bedarfsgerechte und umfassende Versorgung aller psychisch Kranken und Koordination aller Versorgungsdienste.
Hierzu wurden die gemeindenahen psychiatrischen Versorgungsangebote wie z. B. sozialpsychologische Dienste, psychosoziale Dienste, Tageskliniken, beschützte Wohnmöglichkeiten, Wohn- und Übergangsheime, beschützende Werkstätten bzw. Arbeitsplätze für Behinderte und nervenärztliche ambulante Versorgung als Teil der Struktur der ambulanten Versorgung aufgebaut.
Wie kam es nun zum Strukturwandel bzw. zu dem Wertewandel in der psychiatrischen Versorgung? Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre verschärfte sich zunehmend die Diskussion um die psychiatrische Versorgung in Form des Verwahrens statt Behandelns. Dies führte zu der Forderung nach einer umfassenden Reform der Psychiatrie.
Ausgelöst wurden die Auseinandersetzungen zum einen durch die Situation in den psychiatrischen Großkrankenhäusern, zum anderen durch die unzureichende nervenärztliche ambulante Versorgung, besonders in den ländlichen Bereichen, sowie durch das Fehlen von differenzierten Therapieangeboten in
Form von ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen in zumutbarer Wohnortnähe.
Die Bundesregierung setzte im Juni 1971 hieraufhin eine Enquete-Kommission ein, die 1975 sodann ihren Bericht vorlegte. Dieser Bericht stellt einen Wendepunkt in der Versorgung der psychiatrisch Kranken in Deutschland dar. Erstmals wurden von Experten einheitliche Versorgungskonzepte niedergelegt.
Die vier Hauptempfehlungen waren damals: gemeindenahe Versorgung, bedarfsgerechte und umfassende Versorgung aller psychisch Kranken und Behinderten, Koordination aller Versorgungsdienste, Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken.
Das grundlegende Ziel der Reform bestand darin, von der bisher lediglich bewahrenden zu einer therapeutischen und rehabilitativen Psychiatrie zu kommen. Dabei war vielen klar, daß sich ein solcher Wandlungsprozeß nicht zäsurartig, sondern vielmehr schrittweise und stetig - sich an den rechtlichen, sozialen und politischen Bedingungen orientierend - vollziehen würde.
Grundanliegen war die Forderung nach einer bedarfsgerechten, dezentral organisierten, wohnortnahen Versorgung. Dies erforderte u. a. die Verkleinerung der Bettenzahlen in den Großkliniken, die verstärkte Differenzierung und Sektoralisierung der Kliniken, die Einrichtung psychiatrischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern und den Ausbau der ambulanten Versorgung mit allen dazugehörigen komplementären Einrichtungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat durch vielfältige Modellprogramme dazu beigetragen, den notwendigen Strukturwandel in der Versorgung der psychisch Kranken zu vollziehen. So wurden von 1980 bis 1985 in sechs Ländern Modellprojekte mit einer Summe von 186,5 Millionen DM unterstützt, wobei mit 93 Millionen DM in 14 städtischen und ländlichen Regionen die Vernetzung zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung entwickelt und erprobt wurde.
44,1 Millionen DM wurden für ergänzende Maßnahmen im stationären Bereich ausgegeben, 15,4 Millionen DM für investive Maßnahmen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation, 34 Millionen DM für die wissenschaftliche Evaluierung aller Programme und Maßnahmen.
Aus diesen Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung entwickelte die Expertenkommission 1988 ihre Empfehlungen zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutischen/psychosomatischen Bereich auf der Grundlage des Modellprogramms Psychiatrie der Bundesregierung. Dieses Modellprogramm schuf die Voraussetzung dafür, daß die Länder nunmehr ihrerseits die Ergebnisse umsetzen und den konsequenten Ausbau der erforderlichen Strukturen fortsetzen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie machen es sich in Ihrem Entschließungsantrag auf Drucksache 12/6554 zu Ihrer Großen Anfrage relativ einfach, wenn Sie die Mitverantwortung des Bundes mit Verweis auf die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 72 des Grundgesetzes fordern. Wir sind der Ansicht, daß nunmehr die Länder an der Reihe und gefordert sind, die notwendigen Einrichtungen zu schaffen.
Einige Bundesländer sind bislang ihrer Verpflichtung beispielhaft nachgekommen. Genannt sei hier das Land Baden-Württemberg, das mit großem finanziellen Aufwand das Angebot flächendeckend erweitert hat. Es erfolgte so u. a. die Einrichtung von 60 sozialpsychiatrischen Diensten zur gemeindenahen ambulanten Versorgung, von 31 psychosozialen Diensten, von 1 250 Plätzen im betreuten Wohnbereich und von 2 250 Werkstattplätzen.
Allein von 1987 bis 1991 wurden so 75 Millionen DM anteilmäßig von den Kassen und der öffentlichen Hand in diese Vorhaben investiert. Die Dichte der nervenärztlichen ambulanten Versorgung konnte in Baden-Württemberg in diesem Zeitraum auf einen Nervenarzt pro 14 000 Einwohner gesteigert werden.
Meine Damen und Herren, nach gut 16 Jahren Psychiatriereform kann heute festgestellt werden, daß sich ein deutlicher Strukturwandel in vielen Bereichen bereits vollzogen hat und damit der Grundsatz „ambulant vor stationär" und die Forderung „Behandlung statt Bewahrung" weitgehend verwirklicht werden konnten.
Ich will dies an Zahlen belegen: Die Zahl der niedergelassenen Nervenärzte hat sich von 1970 bis 1990 vervierfacht. Derzeit sind in den alten Bundesländern rund 4 000 Nervenärzte ambulant tätig. Bundesweit waren es 1991 rund 5 500 Nervenärzte.
Die stationäre Verweildauer in der Psychiatrie wurde von ehedem 152 Tagen auf 70 Tage verkürzt. Die Bettenzahl wurde von 150 000 im Jahr 1975 auf 73 000 im Jahr 1991 abgebaut. Mit diesem Bettenabbau einher geht ein deutlicher Fortschritt bei der Enthospitalisierung chronisch psychisch Kranker.
Bundesweit gab es 1991 mehr als 130 Institutsambulanzen, die als wichtige Bindeglieder zwischen der stationären und ambulanten Behandlung fungieren. Leider ist eine flächendeckende Versorgung bislang nicht in allen Bundesländern erreicht worden. Die Bettenzahlen der psychiatrischen Großkliniken wurden drastisch verringert, das therapeutische Angebot differenziert, die Krankenhäuser sektoralisiert. An vielen Allgemeinkrankenhäusern wurden mittlerweile psychiatrische Abteilungen eingerichtet. Wir verfügen über mehr als 100 solcher Abteilungen mit ca. 11 000 Betten. Auch dies dient der wohnortnahen psychiatrischen Versorgung.
Das stationäre Behandlungsangebot wurde differenziert und spezialisiert, es wurden vermehrt Einrichtungen wie Kinder- und Jugendpsychiatrie, Gerontopsychiatrie, Akutpsychiatrie und Therapie Suchtkranker geschaffen.
Das im Februar 1986 verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der ambulanten und teilstationären Versorgung psychisch Kranker und Behinderter enthielt vor allem Neuregelungen für die tagesklinische Behandlung und für Institutsambulanzen.
Durch die Personalverordnung in der stationären Psychiatrie wurden 5 000 Pflegeplätze in den Altländern und 1 500 Stellen im pflegerischen Bereich in den neuen Ländern geschaffen.
Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz hat die Rechte psychisch Kranker und geistig oder seelisch Behinderter gestärkt; die rehabilitationsfeindliche Entmündigung wurde abgeschafft. Die Forschungsarbeiten zu psychischen Krankheiten wurden intensiviert, um den Wissensstand bezüglich Epidemiologie, Ätiologie, Diagnostik und Therapie entscheidend zu verbessern.
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Sie können der Rede auch im Sitzen zuhören, meine Damen und Herren; es sind noch Plätze frei.
Danke schön, Herr Präsident. Ich glaube, dieses Thema sollte auch bei den lieben Kolleginnen und Kollegen, die nicht unbedingt der Arbeitsgruppe Gesundheit angehören, etwas mehr Beachtung finden.
Meine Damen und Herren, in vielen Regionen der alten Bundesländer sind inzwischen bedarfsgerechte wohnortnahe Versorgungsnetze zur Versorgung der psychisch Kranken aufgebaut worden, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der psychiatrischen Versorgung geführt haben. Dennoch ist die gemeindenahe Psychiatrie noch nicht in allen Regionen umgesetzt. Auch bestehen von Bundesland zu Bundesland in der BRD noch zum Teil deutliche Unterschiede im Versorgungsangebot. Es gilt nun, die Reform zielstrebig fortzuführen.
Weitaus schlimmer, um nicht zu sagen: geradezu katastrophal, stellte sich die Situation der stationären Psychiatrie in den neuen Ländern bei der Wiedervereinigung dar. Sie entsprach dem Standard, der in der Bundesrepublik Deutschland und in vergleichbaren europäischen Ländern in den 60er Jahren üblich war. Der Bericht der Bundesregierung „Zur Lage der Psychiatrie in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - Bestandsaufnahme und Empfehlungen" vom 30. Mai 1991 gibt einen ernüchternden Überblick über die Lage. Für die schnelle Erstellung sei dem BMG an dieser Stelle auch einmal gedankt. Die psychiatrischen Großkrankenhäuser boten zum Teil untragbare Zustände, nicht nur was die baulichen Gegebenheiten anlangt; vielmehr war auch die medizinisch-technische Ausstattung nicht zeitgemäß, es fehlte die Differenzierung des Angebots, es fehlte die Sektoralisierung. Bei einer Größe von 300 bis 1 800 Betten mit Schlafsälen von 10 bis 30 Betten war eine zeitgemäße Therapie natürlich nur schwer zu realisieren.
Psychiatrie wurde dort noch immer als Anstaltspsychiatrie begriffen. Dies führte neben anderen systembedingten Gegebenheiten zu einer Chronifizierung psychisch Kranker. Viele Langzeitpatienten waren in Ermangelung adäquater komplementärer Einrichtungen fehlplaziert. Die ambulante Versorgung hingegen erfolgte recht gut in den Polikliniken bzw. Dispensaires in Form von multiprofessionellen Zentren, wobei die Versorgung jedoch nicht flächendeckend war und qualitative Unterschiede aufwies.
Der Einigungsvertrag - Art. 33 Abs. 1 - verpflichtet die Gesetzgeber von Bund und Ländern, „die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß das Niveau der stationären Versorgung der Bevölkerung ... zügig und nachhaltig verbessert und der Situation im übrigen Bundesgebiet angepaßt wird". Um dieser Verpflichtung gerecht zu werden, wurden den Kreisen und Kommunen umfangreiche Mittel im Rahmen des Gemeinschaftswerkes Aufschwung Ost - 5,3 Milliarden DM im Jahr 1991 - und des. kommunalen Kreditprogramms - 15 Milliarden DM - zur Verfügung gestellt. Weiterhin fördert der Bund von 1995 bis 2004 jährlich mit 700 Millionen DM. Es besteht hier unzweifelhaft eine gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen, um den Aufbau einer bedarfsgerechten, wohnortnahen und zeitgerechten psychiatrischen Versorgung in den neuen Ländern schnellstens herbeizuführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn in den letzten 20 Jahren in den alten Ländern und auch in den drei Jahren seit der Wiedervereinigung in den neuen Ländern beachtliche Verbesserungen der Situation psychisch Kranker erreicht wurden, so sind wir dennoch von einer flächendeckenden, bedarfsgerechten und wohnortnahen psychiatrischen Versorgung in Einzelbereichen noch weit entfernt. Dies darf aber nicht die Leistung schmälern, die der Bund, einzelne Länder und Kommunen - wenn auch in unterschiedlicher Höhe - bisher zur Verbesserung der Lage psychisch Kranker erbracht haben.
Unser oberstes Ziel muß es bleiben, die Lebensbedingungen und die Lebensqualität der psychisch Kranken weiter zu verbessern. Dies bedingt, daß die psychiatrische Therapie am günstigsten im unmittelbaren Lebensumfeld der Betroffenen erfolgt. Die Gemeinschaft ist hier zur Solidarität aufgefordert; denn psychische Krankheiten sind ebenso Ausdruck menschlichen Krankseins wie körperliche Krankheiten. Wir alle sind daher aufgerufen, psychisch Kranken dazu zu verhelfen, ihr Leben so normal wie möglich in der Gemeinschaft zu gestalten.
Ich bedanke mich.
({0})
Herr Kollege Dr. Dieter Thomae, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sechs Punkte habe ich für die F.D.P. formuliert. In diesen sechs Punkten sind die Überlegungen für die Zukunft in diesem Bereich fixiert worden. Ich bitte Sie, dies im Protokoll exakt nachzulesen.') Ich denke, Sie werden daraus einige Erkenntnisse gewinnen.
Vielen Dank.
({0})
Stimmt das Haus zu?
({0})
*) Anlage 2
Vizepräsident Hans Klein
- Danke.
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Dr. Hans-Hinrich Knaape das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tagung „Aktion Psychisch Kranke" in jener Klinik in den neuen Bundesländern, die in einem geschmacklosen Fernsehbeitrag eines namhaften Autors als „Hölle" bezeichnet wurde, brachte drei Erkenntnisse: erstens den enormen Kenntniszuwachs in der Psychiatrie Tätiger über sozialrechtliche Fragen, zweitens die nach wie vor manchmal erdrückend wirkende Vielzahl von Problemen und drittens das Ausmaß, in dem große Heime für psychisch kranke Menschen entstehen, die eher an speziellen Interessen der Träger denn an den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner orientiert sind.
Wenn ein Rezensent des Fernsehbeitrages - selbst Arzt in einer Nervenklinik - in kritischer Weise dem erwähnten, durchaus sachkundigen Publizisten zwar „die gute Absicht, durch die dramatischen Zustandsschilderungen Veränderungen für diese Kranken erreichen zu wollen", unterstellt, dann aber weiter ausführt: „undifferenzierte, globale Einschätzungen haben einen unangenehmen Nebeneffekt: sie führen zu Solidarisierung", so möchte ich weiter mit eigenen Worten in bezug auf die Große Anfrage unserer Fraktion sagen: zur Solidarisierung nicht nur der Professionellen, sondern vieler Bundesbürger mit den Betroffenen und gegen die Bundesregierung, die - wie vor der Psychiatrie-Enquete - Mitverantwortung für die Reform der Psychiatrie im gesamten Bundesgebiet in beschämender Weise von sich schiebt.
Im vereinten Deutschland sind die Mängel bei der nichtstationären psychiatrischen Langzeitversorgung, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie in der Gerontopsychiatrie zu überwinden. Der Nachholbedarf in den neuen Bundesländern ist erheblich. Zwar kann man die Psychiatrie in der DDR nicht mit jener des Dritten Reiches vergleichen; aber die Verwahrung in der DDR aus einer nicht von den Psychiatern verschuldeten Notlage heraus und die bewußte in der Nazizeit führte bei den Patienten zur gleichen psychischen Deprivation und ihrer Depravation in der gesellschaftlichen Stellung.
Die objektiven Zwänge der Gesellschaft, d. h. die prägenden Diktaturen, sind gefallen. Nun wäre der Sozialstaat BRD, dies im Verein mit den Ländern, als Vorstreiter und nicht, wie die Haltung der Bundesregierung es zeigt, als passiver, teilweise äußerst mangelhaft informierter Beobachter gefragt. Der Staat Bundesrepublik kann nicht lediglich durch die Auflage zeitlich begrenzter regionaler Modellvorhaben sich zu rechtfertigen versuchen. Denn für die Sozial- und Leistungsgesetze ist die Bundesregierung zuständig.
Aber wenn man, wie der Bundesminister für Gesundheit, sich hinter Vorbehalten verschanzt, keine harten Daten zur Verfügung hat, auch nichts unternimmt, um diesen Mißstand zu beseitigen, um
überhaupt die Voraussetzung für eine sinnvolle und zielgerichtete Planung zu schaffen, dann muß man sich fragen: Warum berühren die gravierenden Versorgungsschieflagen und gruppentypischen krankheitsbedingten Notlagen den Bundesminister für Gesundheit überhaupt nicht?
Das gegenwärtige Gerede über die dritte Stufe der Gesundheitsreform - wenn auch zur Zeit nicht gerade ein werbeträchtiger Rummel unseres Ministers - stellt die Solidargemeinschaft in Frage und lenkt auf das nächste Jahrhundert. Statt erneuter Panikauslösung sollte der Minister besser an die letzte Gesundheitsreform und ihre Umsetzung denken.
({0})
Es fehlt z. B. eine Sozial-Psychiatrie-Vereinbarung zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung zur Umsetzung der §§. 43 a und 85 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch V.
({1})
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist die Zusammenarbeit mit nichtärztlichen Berufsgruppen seit jeher selbstverständlich und im stationären Bereich auch durchgesetzt. Aber nach wie vor steht eine einvernehmliche Regelung zur Übernahme dieser entstehenden Kosten in der interdisziplinären Zusammenarbeit im ambulanten Bereich aus. Die Versorgung der Bevölkerung in den neuen wie in den alten Bundesländern durch niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater ist unzureichend, trotz anderer Angaben im Bericht. Es ist belegt, daß die patienten- und familiengerechte wohnortnahe ambulante sozialpsychiatrische Versorgung effektiv und wirtschaftlich ist; dies besonders, wenn die notwendigen nichtärztlichen Mitarbeiter - das sind Heilpädagogen und Sozialpädagogen - in ausreichender Anzahl den Arzt unterstützen. Nicht die stationäre Kinderpsychiatrie mit ihrer langen Verweildauer ist das Ziel, sondern die ambulante Behandlung, sei es durch niedergelassene Ärzte, sei es durch Institutsambulanzen gebietsärztlich geleiteter kinder- und jugendpsychiatrischer Abteilungen an Kinderkliniken und an Allgemeinkrankenhäusern. Letzere Einrichtungen sollten auch die Möglichkeit der teilstationären Behandlung aufweisen.
Psychisch kranke Jugendliche im Übergangsalter zum Erwachsenen ebenso wie drogengefährdete und drogenkranke Jugendliche bedürfen geeigneter sozialer Betreuung und Unterstützung in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit.
Hier ist die Bundesregierung gefordert, da die notwendigen psychosozialen Leistungen integrierte Bestandteile der medizinischen und beruflichen Rehabilitationsgesetzgebung werden müssen. Will sich denn der dynamische Gesundheitsminister unterstellen lassen, daß er in dieser Hinsicht keinen politischen Gestaltungswillen gezeigt habe? Oder wird auch hier, wo es um die Befriedigung der Bedürfnisse und Erfordernisse der psychisch kranken Bürger unseres Landes geht, mehr die Eigenverantwortung der Patienten unterstellt?
Ebenso wie die psychisch Kranken ihre Interessen meist nicht selbst durchsetzungsfähig vertreten können, sollte der Minister hier ebenso wie bei der Regelung der Finanzierung der angesprochenen nichtärztlichen sozialpsychiatrischen Leistungen aktiv werden und handeln.
Die prekäre Rechtslage bei der Rehabilitation psychisch Kranker sollte einen sonst wortgewaltigen Gesundheitsminister vorübergehend mal verstummen lassen und zum Überdenken der Situation anregen.
({2})
Statt Panikmache ist gezielt angeregte Aktivität notwendig, und in der Psychiatrie verwendet man bei beiden psychischen Störungen das gleiche Medikament.
Wenn ich mich in meinen Ausführungen besonders auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie beziehe, so dies auch deshalb, weil der Gesundheitsminister, wenn ihm die Gestaltung einer Gesundheitsreform für das nächste Jahrhundert am Herzen liegt, auch bedenken sollte, daß er diejenigen, die heute Kinder sind, dann als Erwachsene oder gerontopsychiatrische Patienten hat und deshalb dafür Sorge tragen muß, daß durch mißliche soziale Umstände induzierte Fehlentwicklungen und Fehlhaltungen bei den psychisch Kranken heute vermieden bzw. korrigiert werden müssen.
({3})
Wenn Sie dann dem Entschließungsantrag der SPD zur Situation der psychisch Kranken in der Bundesrepublik Deutschland als Regierungskoalition - falls Sie denn wissen, wann abgestimmt wird - nicht zustimmen werden, so sollten Sie ihn doch wenigstens lesen, überdenken und danach handeln. Dann wäre es schließlich egal, ob Sie Ihre Hand beim Ja oder Nein in der Abstimmung heben werden.
Ich danke Ihnen für Ihr Desinteresse.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Ursula Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nur zu begrüßen, daß diese Debatte zur Situation der psychisch Kranken in der Bundesrepublik Deutschland hier im Bundestag stattfindet. Nach wie vor verlangt die Lage dieser Menschen, insbesondere der chronisch psychisch Kranken und Behinderten, trotz der zweifellos erreichten Fortschritte ein dauerhaftes Bemühen um weitere Verbesserungen. Das gilt zunächst einmal vom Grundsatz her sowohl für die alten als auch für die neuen Bundesländer, auch wenn Ausgangslage und besondere Problemsituationen unübersehbare Unterschiede aufweisen.
Da die Psychiatrie der DDR ein bevorzugter Gegenstand der Presse war und ist - allerdings einer Presse, der es nicht um seriöse Berichterstattung, sondern vorwiegend um den Sensationscharakter ihrer Meldungen geht -, andererseits die Öffentlichkeit ein
Recht auf Information hat, möchte ich mich angesichts der zeitlichen Zwänge im wesentlichen auf dieses Gebiet konzentrieren, auch wenn natürlich aus meiner Sicht sehr viel Kritisches zur Situation in den alten Bundesländern anzumerken wäre. Ich denke aber, daß die Kollegen der SPD hierzu umfassend Stellung genommen haben.
Der im Auftrag der Bundesregierung von über 30 Fachleuten aus West und Ost erstellte und Mitte 1991 vorgelegte Bericht zur Lage der Psychiatrie in der ehemaligen DDR hat sicher gute Voraussetzungen geschaffen. Es ist in der Tat so, daß auch hier eine sehr differenzierte Betrachtung notwendig ist. Nur Schwarzmalen kommt der Wahrheit sicher ebensowenig nahe wie die früher in der DDR gehandhabte Schönfärberei. Einige Anmerkungen seien mir in diesem Zusammenhang dennoch gestattet.
Richtig ist, daß es an vielen Stellen schrecklich zurückgebliebene, tatsächlich menschenunwürdige Zustände gab und noch immer gibt. Dies bezieht sich in erster Linie auf die zum Teil über 100 Jahre alten, baulich völlig verschlissenen, technisch schlecht ausgestatteten und personell unterbesetzten großen psychiatrischen Fachkrankenhäuser. Auch war und ist der Anteil von chronisch psychisch Kranken und Behinderten, die dort nur deshalb zu Langzeitpatienten wurden, weil sie nirgend anders betreut werden konnten, noch immer deutlich höher als in den Landeskliniken der alten Bundesländer.
Neben der wirtschaftlichen und finanziellen Schwäche der DDR als wohl dem grundlegendsten Entwicklungshemmnis hat sich ganz offensichtlich gerade auch für die Psychiatrie das Fehlen eines kritischen Korrektivs in Form einer demokratischen Öffentlichkeit als äußerst verhängnisvoll ausgewirkt. Defizite und Mißstände wurden systematisch verschwiegen und damit auch keine Kräfte für ihre Besserung geweckt.
In diesen Zusammenhang gehört zweifellos auch die Erfahrung, daß ein bevormundendes und überzentralisiertes Leitungssystem so etwas wie Initiative, Vielfalt und Spontaneität zu großen Teilen bereits im Keim erstickt.
Gerade deshalb ist es ganz offensichtlich vor allem der immer wieder anerkennend hervorgehobenen humanistischen Motivation und Qualifikation sowie einem besonderen Engagement und Durchsetzungsvermögen der Vertreter des Fachgebietes zu danken, wenn an nicht wenigen Stellen nicht nur konzeptionelle, sondern auch handfeste materiell-technische Verbesserungen für die Patienten erreicht werden konnten. Nur so können auch in den neuen Bundesländern vorhandene und gerade für den westdeutschen Betrachter oft verblüffend große regionale Unterschiede im Versorgungsniveau ihre Erklärung finden.
Im übrigen gab es auch in der DDR offizielle Dokumente im Sinne einer Psychiatriereform, wie die von Fachexperten erarbeiteten sogenannten Rodewischer Thesen aus dem Jahre 1963 oder ein im Jahre 1981 vom Gesundheitsministerium verabschiedetes staatliches Entwicklungsprogramm, die in ihren Grundintentionen wesentliche Übereinstimmungen
mit den Empfehlungen der bundesdeutschen Psychiatrie-Enquete von 1975 aufweisen.
Der entscheidende Unterschied zur PsychiatrieEnquete von 1975 bestand allerdings darin, daß es keine verbindliche materielle und finanzielle Absicherung der angestrebten Maßnahmen gab und daß man so über Absichtserklärungen oder bestensfalls regional getragene Fortschritte nicht hinauskam.
Durchaus anders war es auf Gebieten, die weniger von Bau und Geld abhingen. Das dürfte z. B. für die außerordentlich guten Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation gelten.
Durchaus gute Erfahrungen verkörperten sich auch in den Hauptträgern dezentralisierter psychiatrischer Versorgung, in den Fachabteilungen der Polikliniken. Dieses Netz war noch keineswegs überall gleich dicht geknüpft, aber für jeden Kreis flächendeckend konzipiert.
Multiprofessionell besetzt mit Ärzten, Psychologen, Arbeitstherapeuten, Sozialfürsorgern und Gemeindeschwestern waren sie auf der Grundlage einer einheitlichen Finanzierung in der Lage, die individuelle ärztliche Diagnostik und Therapie mit verschiedenen Formen psychosozialer Hilfen und ambulanter Rehabilitation nach einheitlichen Betreuungskonzepten abgestimmt zu verbinden.
Die fast vollständige Beseitigung dieser Versorgungsformen hat jedenfalls gegenwärtig und, wie zu befürchten ist, für eine mehr oder weniger lange Übergangszeit zu neuen Defiziten und Verschlechterungen in der Betreuungssituation in den neuen Ländern geführt.
Die Nutzung dieser Einrichtung wäre durchaus möglich gewesen. Nachdem diese Chance verpaßt ist, bemüht sich die Bundesregierung dankenswerterweise, Modellvorhaben in den neuen Ländern zu fördern. Aus diesem Grund wiederhole ich hier meinen Appell aus der letzten Haushaltsdebatte: Diese Modellförderung, die seit 1992 läuft und für die auch 1994 Mittel bereitgestellt sind, muß nun über längere Zeit durchgehalten werden und sollte außerdem auch erweitert werden.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, unserer Kollegin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Knaape, ich war ziemlich enttäuscht, daß ausgerechnet Sie den Ruf nach einem Zentralstaat und einer zentralistischen Form der Gesellschaft hier wieder haben laut werden lassen. Bei Frau Schmidt-Zadel, die vierzig Jahre in einem föderalistischen Staat gewohnt hat, wundert mich das nicht; da möchte man vielleicht einmal etwas anderes ausprobieren. Aber ich denke, Sie haben das sicherlich lange genug genossen.
({0})
Die Regierung hat nach der Enquete-Kommission sehr viel gemacht. Das ist auch schon in der Rede von Herrn Altherr deutlich geworden, der klargemacht hat, wie sich die Lage der psychisch Kranken in der Bundesrepublik Deutschland verbessert hat. Verwahren statt behandeln - das war noch vor zwei Jahrzehnten eine übliche Antwort auf psychische Krankheiten. Mit solchen Antworten haben wir uns selbst - das muß man so deutlich sagen - ein Armutszeugnis ausgestellt. Aber wir haben daraus gelernt. Seitdem ist sehr viel geschehen.
Aber bei allen Fortschritten, die es gibt, steht auch fest: Vieles muß besser funktionieren, und vieles kann vor allem auch besser funktionieren. Denn die Voraussetzungen dafür sind da. Seit Beginn der Psychiatriereform sind sich alle Beteiligten über das Ziel und die Strukturen einer modernen Psychiatrie einig. Das Ziel heißt nach wie vor: Entwicklung und Ausbau einer therapeutischen und rehabilitativen Psychiatrie.
Die Wege zu diesem Ziel heißen nach wie vor: Verkleinerung der großen Einrichtungen zugunsten einer gemeindenahen und bedarfsgerechten Versorgung aller psychisch Kranken, vor allem über den Ausbau der komplementären ambulanten Dienste, die Einrichtung von psychiatrischen Abteilungen in Allgemeinkrankenhäusern, und - das, glaube ich, kann man nicht oft genug betonen - wir müssen das Prinzip der Gleichstellung von psychisch Kranken mit somatisch Kranken weiter in die Wirklichkeit umsetzen.
({1})
- Ich gehe gleich darauf ein. Vielleicht sollten Sie das auch einmal Ihren Parteikollegen in den Ländern sagen.
Gerade die chronisch Kranken und Behinderten sind auf vielfältige, abgestimmte Hilfen vor Ort, d. h. in ihrer Gemeinde, angewiesen. Deshalb muß der Schwerpunkt aller Bemühungen zur weiteren Verbesserung der Situation der Betroffenen im Aufbau kommunaler, gemeindeintegrierter Psychiatriestrukturen liegen. Die Kommunen wissen, daß sie hier in der Verantwortung stehen.
Die Erfahrungen in den vergangenen Jahren haben aber auch gezeigt, daß gemeinsame Strukturziele noch lange kein Garant für gemeinsame Strategien zu ihrer Umsetzung sind.
({2})
Fest steht: Es gibt noch keine flächendeckend gleich gute Versorgung aller Patienten. Sie ist an vielen Stellen sogar unzulänglich. Warum? Immer wieder wird gesagt: Schafft bessere rechtliche Rahmenbedingungen, dann können wir mehr für die Betroffenen erreichen.
({3})
Macht ein Psychiatriegesetz; das wäre das Beste.
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist, glaube ich, hier nichts Neues. Aber er kommt eigenartigerweise
immer dann, wenn von gemeinsamer Verantwortung die Rede ist. Gemeinsame Verantwortung, meine Damen und Herren von der SPD, in einem föderalistischen Staat heißt für mich aber auch: Die Länder müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit alles dafür tun, um zu weiteren Verbesserungen in der psychiatrischen Versorgung zu kommen.
({4})
Denn die Rechtslage ist hier ganz eindeutig. Die Bundesregierung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen gar nicht ein einheitliches Gesetz für eine bundesweite psychiatrische Versorgung erlassen. Niemand kann allerdings ernsthaft behaupten, daß wir die von der Verfassung vorgeschriebene gemeinsame Verantwortung mit allen Beteiligten nicht ernstgenommen haben. Im Gegenteil, der Bund entzieht sich nicht seiner Pflicht.
({5})
Ein Beispiel von vielen, wie schwer es ist, gerade aus dem ambulant-komplementären Bereich Daten zu erhalten, haben die Vorbereitungen zur Beantwortung der Großen Anfrage gezeigt. Angaben, die zentral und statistisch erfaßt werden, wie z. B. Daten des Statistischen Bundesamtes oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, liegen in standardisierter Form vor und sind auch so in der Antwort der Bundesregierung wiedergegeben. Entsprechende statistische oder standardisierte Datenerhebungen aus dem ambulant-komplementären Versorgungsbereich, der in der Verantwortung der Länder liegt, gibt es aber leider noch nicht. Das zeigt: Der Bund wird seiner Verantwortung in diesem Bereich gerecht.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat die spezifische Situation und die speziellen Probleme der Datenerfassung und -bewertung im psychiatrischen Bereich gesehen. Aus diesem Grund fördern wir parallel zu den Vorarbeiten zur nationalen Gesundheitsberichterstattung ein Forschungsvorhaben, in dem auch die Berichterstattung zur psychiatrischen Versorgung, besonders im Bereich chronisch-psychischer Störungen, untersucht wird. Die Ergebnisse werden dazu beitragen, daß die notwendigen Informationen für eine künftige psychiatrische Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsplanung zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, Daten sind zwar wichtig, aber sie sind nicht alles. Angeblich oder tatsächlich fehlende statistische Angaben taugen jedenfalls nicht als Argument, um nach wie vor die vorhandenen Defizite zu begründen; denn es steht fest, daß alle notwendigen konzeptionellen Erkenntnisse vorliegen, um eine bedarfsgerechte gemeindeintegrierte psychiatrische Versorgung aufzubauen.
Das zeigen auch positive kommunale Entwicklungsprozesse in vielen Versorgungsregionen. Herr Altherr hat sehr beispielgebend auf den Raum Baden-Württemberg hingewiesen.
({6})
Aber ich sage noch einmal: Die politische Verantwortung für eine flächendeckende Umsetzung liegt bei den kommunalen Gebietskörperschaften, meine Damen und Herren. Darum denke ich, daß auch viele Bundesländer durch Psychiatriepläne und -gesetze, Ausführungsgesetze zum Bundessozialhilfegesetz, Landesprogramme und -projekte umsetzen werden.
Ich sage noch einmal: Dem Bund fehlt dafür nach Art. 74 des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz. Deshalb stellt sich auch gar nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach Art. 72 des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz ausgeschöpft werden kann.
({7})
Meine Damen und Herren, wir brauchen, wie ich bereits gesagt habe, in den Ländern eine Gesundheits- und Sozialplanung, in der die Psychiatrieplanung kein Stiefkind ist. Wir haben dazu ausreichend Modellprogramme initiiert, die in den Ländern sehr positiv angekommen sind. Jetzt heißt es, die positiven Ergebnisse in den Ländern auch umzusetzen.
({8})
Ein Dreh- und Angelpunkt in der Diskussion um den Aufbau eines gemeindepsychiatrischen Verbundes in jeder Versorgungsregion ist die Frage der Finanzierung. Auch hier - Frau Schmidt-Zadel, könnten Sie vielleicht einmal zuhören? - stehen die Länder in der Pflicht. Sie haben die Aufgabe, für eine funkionierende Finanzierungsregelung zu sorgen.
Das Bundessozialhilfegesetz regelt ohne Wenn und Aber, daß die Länder für Regelungen zwischen dem örtlichen und dem überörtlichen Sozialhilfeträger zuständig sind. Sie können die Finanzierungszuständigkeiten und -abgrenzungen in Ausführungsgesetzen zum BSHG festlegen.
Meine Damen und Herren, ein paar Worte zur Personalverordnung. Nicht zuletzt wurden im personellen Bereich auch durch die neue Personalverordnung im stationären Bereich erhebliche Verbesserungen geschaffen. Selbstverständlich gibt es trotz dieser positiven Beispiele auch hier eine Reihe von Defiziten. Es bedarf weiterer Anstrengungen in der Zukunft.
Das gilt auch für die Finanzierungsregelung far ambulant-rehabilitative Maßnahmen; denn es gibt nach wie vor offene Fragen an der Schnittstelle zwischen Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation. Unser Ziel heißt: Wir müssen alles dafür tun, um die soziale Desintegration der Betroffenen zu vermeiden. Dafür brauchen wir rehabilitative Maßnahmen.
Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat in hervorragender Weise seinen Teil dazu beigetragen, diesem Ziel ein Stück näherzukommen. Er hat die Heilmittelrichtlinien für die Ergotherapie so ausgearbeitet, daß die ergotherapeutischen Maßnahmen den sogenannten Therapeutischen Dienstleistungen entsprechen, die die Expertenkommission in ihren Empfehlungen zur Psychiatriereform definiert hat. Aber es kommt auch darauf an, diese TherapiemögParl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl
lichkeiten auszuschöpfen, d. h. wir müssen alle Möglichkeiten der Verordnung von Arbeits- und Beschäftigungstherapien voll in die Tat umsetzen.
Es ist auch zu der Frage der ambulanten Hilfen von meinen Vorrednern bereits sehr viel gesagt worden. Auch hier stehen die Länder und Kommunen voll in der Pflicht, sich mehr anzustrengen. Frau Schmidt-Zadel, ich kann verstehen, daß Sie damit unzufrieden sind, daß gerade in Ihren sozialdemokratisch geführten Ländern das nicht so in die Tat umgesetzt wird, wie wir uns das immer wieder wünschen.
Auch in der Ausbildung müssen wir natürlich die Kenntnisse in der Versorgung der psychiatrisch Kranken wesentlich verbessern. Die Länder sind also gefordert, den Stellenwert psychiatrischer Kenntnisse in der Ausbildung und Weiterbildung der sozialpflegerischen Berufe zu verbessern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zu den Modellprogrammen in den neuen Ländern sagen. Frau Fischer hat darauf dankenswerterweise schon hingewiesen. Frau Schmidt-Zadel, ich glaube, Sie können im Ernst nicht verlangen, daß eine vierzigjährige Vernachlässigung psychisch Kranker, die in unzumutbaren, unwürdigen Verhältnissen aufbewahrt wurden, innerhalb von drei Jahren verändert werden kann.
({9})
Wir müssen alle gemeinsam unsere Anstrengungen dahin lenken, daß diese unwürdigen Verhältnisse schnell geändert werden. Wir haben im Rahmen unserer Modellprojekte eine große Hilfe geleistet. Wir haben 1992/93 14 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt, für 1994 zusätzlich 7 Millionen DM und für 1995 zusätzlich 4 Millionen DM. Damit haben wir gezeigt, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden.
Nun noch ganz kurz zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Opposition. Er enthält keine grundsätzlich neuen Aspekte; die meisten Punkte sind in der Antwort der Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage enthalten. Er geht auch in die falsche Richtung, wenn sie den Bund für die Lösung aller Probleme verantwortlich machen wollen. Das habe ich oft ausführlich dargestellt. Wir werden uns aber mit Ihrem Entschließungsantrag im Gesundheitsausschuß befassen, damit endlich Bewegung in die Haltung derjenigen Länder und Kommunen kommt,
({10})
die ihrer Verantwortung heute nicht in vollem Umfang gerecht werden.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Aussprache. - Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6554. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksache 12/6480 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({0}) Rechtsausschuß
EG-Ausschuß
Die Kolleginnen und Kollegen, die für die Fraktionen zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen sollen, wollen ihre Reden zu Protokoll geben. ' ) Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/6480 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung zentraler Einrichtungen des Gesundheitswesens
- Drucksache 12/6551 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({1})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Hermann Haack ({2}), Klaus Kirschner, Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Reorganisation des Bundesgesundheitsamtes ({3}) als Bundesamt für Gesundheitsschutz
- Drucksache 12/6490 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({4})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Auch zu diesem Punkt wollen die Damen und Herren des Hauses, die als Rednerinnen und Redner vorgesehen waren, ihre Manuskripte zu Protokoll geben. * *) Besteht Einverständnis des Hauses? - Das ist offensichtlich der Fall.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/6551 und 12/6490 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Stimmt das Haus dem zu? - Dies ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
*) Anlage 3
**) Anlage 4
Vizepräsident Hans Klein
Krebsregister
({5})
- Drucksache 12/6478 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({6}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden, wenn das Haus zustimmt.) - Dies ist der Fall.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/6478 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Schlägt jemand weitere Ausschüsse vor? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Gruppe der PDS/ Linke Liste eigebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen Rassismus und die Diskriminierung
ausländischer Bürgerinnen und Bürger ({7})
- Drucksache 12/6245 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({8})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe PDS/Linke Liste zehn Minuten erhalten soll. Besteht damit Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rassismus ist hierzulande nach herrschender Meinung immer noch ein nicht so richtig existierendes Phänomen. Am liebsten wird es verschwiegen oder zu einer völligen minoritären Randerscheinung gemacht, wie die heftigen Reaktionen der Bundesregierung auf Kritik aus dem Ausland zeigten und zeigen.
Zuletzt fühlte sich die Bundesregierung besonders getroffen von der Kritik des UNO-Vertreters van Boven, der die Frage stellte, ob sich hinter der politischen und juristischen Reaktion in der Bundesrepublik auf die rassistischen Übergriffe auf der Straße und durch die Polizei nicht strukturelle Probleme verbergen würden.
Im August 1993 stellte der UN-Ausschuß gegen rassistische Diskriminierung u. a. fest:
Die zuständigen deutschen Institutionen sollten sich ernsthaft mit der Notwendigkeit eines umfassenden Diskriminierungsgesetzes befassen, da gegen Rassendiskriminierung auf solchen Gebieten wie Zugang zu Arbeit, Wohnung und anderen
*) Anlage 5
Rechten ... nicht immer wirksam vorgegangen wird. Ein solches Gesetz wäre eine klare Bestätigung der deutschen Behörden, daß Rassendiskriminierung absolut unakzeptabel ist und Menschenrechte und Menschenwürde zerstört.
Solche Forderungen wurden bisher immer strikt zurückgewiesen mit dem Hinweis auf den Grundrechtskatalog der Verfassung und der feinsinnigen Unterscheidung zwischen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.
Dabei ist der Alltag ausländischer Bürgerinnen und Bürger zu einem Gutteil bestimmt durch rassismusfördernde und diskriminierende Strukturen. Die Entwicklung der letzten Jahre hat den Zusammenhang zwischen tiefsitzender Alltagsdiskriminierung und dem Hochputschen latenten Rassismus nur deutlich hervortreten lassen.
Deshalb, meine Damen und Herren, haben sich in dieser Zeit auch verschiedene Initiativen und Fachgremien, Akademien und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler intensiver daran gemacht, eine antirassistische oder antidiskriminierende Gesetzgebung zu begründen und zu fordern.
Meine Damen und Herren, in der Bundesrepublik Deutschland leben bald etwa 6 Millionen Menschen, die über keinen deutschen Paß verfügen. Etwa 70 % von ihnen leben seit über 10 Jahren hier, annähernd 50 % über 15 Jahre im Bundesgebiet. Vier Fünftel aller nichtdeutschen Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Eine Million Nichtdeutsche besitzen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.
Diese sogenannten Ausländerinnen und Ausländer sind vielfältigsten Sondergesetzen und Sonderregelungen unterworfen. Eine Reihe von Grundrechten gilt ausdrücklich nur für Deutsche, und es folgen weitere gesetzliche Diskriminierungen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens.
Eindrücklich hat die Berliner Ausländerbeauftragte, Frau John, beschrieben, wie Menschen durch diese Bestimmungen erst zu Ausländern gemacht werden und wie das Leben durch diese Sonderregelungen bestimmt ist. Dieses gesetzliche und institutionelle Normensystem, das Nichtdeutsche in einer Reihe bürgerlicher Rechte ausschließt, pflanzt sich im gesellschaftlichen Bewußtsein in der Weise fort, daß Deutsche immer zuerst kommen.
Brigitte Erler, Vorsitzende des Forums „Buntes Deutschland, SOS Rassismus", nennt u. a. folgende Beispiele für institutionalisierte Diskriminierung:
Ein indischer Gast wird in einem Lokal nicht bedient. Das Gericht bestätigt die Ausländer-Freundlichkeit des Wirtes, weil er Pakistaner in der Küche beschäftigt.
Der Bundesarbeitsminister verstärkte die Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne bevorrechtigte Arbeitserlaubnis noch stärker als bisher. Zugunsten deutscher Arbeitnehmer müssen selbst bestehende Arbeitsverhältnisse gekündigt werden.
An fast allen Universitäten werden auf Wunsch des Anbieters Zimmer- und Jobangebote mit dem Vermerk „kein Ausländer" versehen.
Selbstverständlich gehört hierher auch die Sparte „Ausländerkriminalität" in der „Kriminalstatistik", die Innenminister Kanther ganz besonders heftig verteidigt.
Dan Leskien vom Institut für Migrations- und Rassismusforschung in Hamburg belegt, daß im Bereich der Kfz-Versicherungen der sogenannte Ausländerzuschlag von 50 bis zu 150 % reicht.
Diese Beispiele sind wahllos herausgegriffen und ließen sich unendlich fortsetzen.
Zu diesen juristisch und gesellschaftlich normierten Diskriminierungen gehören auch die sich häufenden polizeilichen Einsätze wie z. B. in Erlangen. Dort veranstaltet die Polizei regelmäßig ohne Gerichtsbeschluß Razzien im Asylbewerberinnenheim. Die Begründung lautet ganz offiziell: „Das ist ein verrufener Ort."
Meine Damen und Herren, die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, wie lebens- und demokratiebedrohend sich diese rassismusfördernden Strukturen erweisen können. Gebetsmühlenartige Bekenntnisse zur Ausländerfreundlichkeit helfen dagegen sowenig wie wortgewaltige Hinweise auf Strafrecht, Polizei und ein paar Tröpfchen Pädagogik.
Zu verwirklichen sind Gleichstellung und Gleichbehandlung Nichtdeutscher mit den Deutschen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Oder anders formuliert: Aufzuheben sind Schritt für Schritt institutionalisierte diskriminierende Vorschriften. Gestärkt werden muß - nicht nur in Sonntagsreden - die rechtliche und politische Stellung der Ausländerinnen und Ausländer.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt dazu. Er zielt darauf, diskriminierende staatliche und gesellschaftliche Behandlung von Ausländerinnen und Ausländern zu ächten und erste Schritte zur Aufhebung der institutionellen Diskriminierung anzugeben. Rassistisch motivierte Diskriminierung in allen Lebensbereichen soll geahndet und die Wiedergutmachung von Schäden auf Grund derartiger Diskriminierung geregelt werden.
Bestandteil des Entwurfs ist auch eine erste Bereinigung vorhandener Gesetze von rassistischen Diskriminierungen u. a. im Bundesbeamtengesetz, Arbeitsförderungsgesetz, Hochschulrahmengesetz, Gesetz über den Versicherungsvertrag, Bundeswahlgesetz, Vereinsförderungsgesetz, in der Zivilprozeßordnung und im Sozialgesetzbuch. Dazu soll die Stellung des oder der Ausländerinnen- und Ausländerbeauftragten zu einer Petitionsinstanz entwickelt werden, die mit weitergehenden Kontroll- und Klagebefugnissen ausgestattet ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß betonen, daß wir unsere Vorlage ausdrücklich als Teil der von verschiedenen Strömungen, Initiativen und Parteiflügeln, besonders der F.D.P. und der SPD, angestellten Überlegungen verstehen. Ich hoffe, im Laufe der weiteren Arbeit an diesem Gesetz werden Anregungen und Verbesserungen vorgebracht und umgesetzt werden.
Wir werden im Innenausschuß eine Anhörung dazu beantragen.
Danke.
({0})
Frau Kollegin Erika Steinbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen Gesetzentwurf, der ungeeignet ist, irgendwelche konkreten Probleme zu lösen, erkennt man u. a. auch daran, daß er von völlig falschen Voraussetzungen ausgeht.
({0})
Genau das ist bei dem hier vorliegenden Antrag der PDS/Linke Liste der Fall. Schon im ersten Satz heißt es, so als ob dies eine unumstößliche Tatsache sei: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. " Das stimmt nicht.
({1})
Deutschland ist kein Einwanderungsland und wird es auch nicht sein können. Heute leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland rund doppelt so viele Menschen wie 1930 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches, das bekanntlich wesentlich größer war.
Einwanderungsland zu sein bedeutet u. a. für gezielte Zuwanderung gewollt offen zu sein. Doch das kann die Bundesrepublik, das können wir ganz einfach nicht leisten.
({2})
Erklärten wir uns dann trotzdem, weil dies in den Ohren einiger Leute so besonders gut klingt, zum Einwanderungsland, so würde das Hoffnungen in vielen Teilen der Welt wecken, die wir dann niemals erfüllen könnten. Uns fehlen die Möglichkeiten, denn die 600 000 bis 800 000 Menschen, die heute auf Grund von Ausnahmeregelungen hierher in unser Land einreisen, sind bereits mehr als genug. Wir haben Probleme, diese Massen zu bewältigen. Einen weiteren Spielraum dafür gibt es - jeder Mensch mit Vernunft wird das einsehen - nicht.
({3})
Eine weitere Annahme der PDS muß entschieden zurückgewiesen werden - sie ist einfach bösartige Polemik -, die Behauptung nämlich, daß jede ungleiche Behandlung von Deutschen und von Ausländern zwangsläufig rassistisch sei. Das zu behaupten heißt, so ziemlich jeden Staat dieser Erde des Rassismus zu bezichtigen, denn ich kenne keinen - Sie mögen mir einen nennen - Staat, der nicht in irgendeiner Form und meistens noch viel weitgehender als Deutschland Unterschiede in der Behandlung von Staatsbürgern und von Ausländern macht.
({4})
Aus diesem Grunde ist eine unterschiedliche Behandlung normal. Sie ist zulässig und auf gar keinen Fall rassistisch. Da muß man schon sehr
verquer denken, wenn man zu einer anderen Schlußfolgerung gelangt.
({5})
So ist z. B. die Beschränkung des freien Zugangs zu Beruf, zu Arbeitsplatz und zu Ausbildung unerläßlich, um den Arbeitsmarktzugang von Ausländern sinnvoll zu steuern, um so mehr, wenn man selbst hohe Zahlen von Arbeitslosen hat, wie wir in Deutschland. Außerdem ist es auch noch aus einem anderen Grund gar nicht sinnvoll, daß Ausländer in allen Bereichen Deutschen völlig gleichgestellt sind. Unser Ziel als CDU/CSU-Fraktion ist es nämlich, daß möglichst viele der hier in Deutschland legal auf Dauer lebenden Ausländer eines Tages deutsche Staatsbürger werden, daß sie sich zu diesem Land bekennen, indem sie die Staatsbürgerschaft annehmen. Deshalb heißt das Ziel Integration.
Die Zahl der Einbürgerungen ist heute noch viel zu gering. Würden wir in einer solchen Situation nun auch noch den hier lebenden Ausländern die gleichen Rechte wie den Deutschen einräumen, so würde jeglicher Anreiz genommen, sich um diese Staatsbürgerschaft zu bemühen. Das wäre unserer Absicht diametral entgegengesetzt, die Einbürgerung und die Integration zu fördern. Integration dient dem Ziel, daß die Menschen friedlich miteinander leben, und damit dem Frieden dieses Landes.
({6})
Im übrigen ist es hochinteressant, daß sich ausgerechnet die PDS Sorgen um die Chancengleichheit beim Zugang zum Arbeitsmarkt macht - das muß man schon einmal feststellen -, denn Sie waren es doch, als Sie noch unter dem Namen „SED" die DDR beherrschten, die nicht das geringste Interesse an Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zeigten. Nur diejenigen, die absolut politisch konform waren, hatten eine Chance, sich hochzuarbeiten und hochzudienen oder hochzudienen, je nachdem, wie Sie es sehen mögen.
({7})
Da hätte einmal jemand versuchen sollen, einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung einfordern zu wollen. Er wäre wahrscheinlich in irgendeinem Stasi-Keller gelandet und traktiert worden.
Was den Vorschlag eines Ausländerbeauftragten des Bundestages betrifft, so habe ich Bedenken in bezug auf die Durchführbarkeit. Wir alle wissen, daß die Gerichte schon heute mit den Asylverfahren, die sie zu bewältigen haben, mehr als ausgelastet sind. Eines der Ziele des neuen Asylrechts war ja gerade, diesen Zustand zu verbessern.
Wenn wir nun einen Ausländerbeauftragten des Bundestages mit dem Recht schaffen, einem gerichtlichen Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz beizutreten, so wie Sie es ja in Ihrem Vorschlag wollen, so würde das Verfahren wiederum erheblich verkompliziert und die Bewältigung der mit den Asylverfahren verbundenen Klagen durch die Gerichtsbarkeit wiederum unvertretbar verzögert. Das kann doch auch nicht in Ihrem Interesse liegen. Im
Interesse der Menschen liegt es mit Sicherheit nicht, auch nicht in dem der Asylbewerber; diese brauchen auch Rechtssicherheit. Das kann also in keines Menschen Interesse im Lande liegen.
Meine Damen und Herren, es kann überhaupt kein Zweifel darüber bestehen, daß es Ziel einer guten Politik sein muß, daß sich alle Menschen, die in Deutschland leben - seien es Deutsche oder seien es Ausländer -, keinen vermeidbaren Benachteiligungen aussetzen müssen.
Der enorme Zustrom von Menschen aus aller Herren Länder hierher nach Deutschland ist der beste Beleg dafür, daß unser Staat human auch mit Ausländern umgeht, denn sonst kämen diese Menschen nicht hierher in unser Land.
({8})
Die Vorschläge der PDS sind kontraproduktiv, was Ausländerpolitik anbelangt, und unausgereift. Im übrigen aber richten sich die Intentionen Ihres Antrages gegen die deutschen Staatsinteressen. Wir werden diesem Antrag nicht positiv gegenüberstehen.
({9})
Frau Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, Sie haben das Wort.
Liebe Kollegen und Kolleginnen! Eine mit einem Afrikaner verheiratete Frau schildert folgendes Erlebnis bei der Wohnungssuche. Ich zitiere:
Die Hausmeisterin einer angebotenen Wohnung zeigte mir sehr entgegenkommend die Wohnung und das Haus. Dann sagte ich, daß wir uns sehr freuen würden, wenn wir diese Wohnung bekommen könnten, denn bisher hätten wir noch kein Glück gehabt - und ... mein Mann sei Ausländer. - Pause. - Dann die Hausmeisterin: „Also, wir haben nichts gegen Ausländer." - Pause. - „Sieht man's ihm denn an?" - Ich antwortete, daß man es ihm natürlich ansehe, weil er aus dem Sudan komme. Der Rest des Gespräches war ein reiner Austausch von Höflichkeiten. Wir bekamen die Wohnung nicht.
So erzählte diese Frau. Ich habe diese Schilderung bewußt gewählt, weil sie alltäglich ist und typisch. Sie steht auch nicht für einen krassen Fall von Diffamierung und Herabsetzung, sondern für leise Abwehr und unterschwelliges Mißtrauen. Wir können zwar annehmen, daß die dunkle Hautfarbe des Ehemannes Grund für die Absage war; beweisen läßt es sich vermutlich nicht.
Natürlich stellt sich für uns die Frage, ob die Sache positiv hätte enden können, wenn wir ein Antidiskriminierungsgesetz hätten.
Art. 3 des Grundgesetzes sagt:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner
Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiDr. Cornelie Sonntag-Wolgast
ner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Eigentlich reicht dieser Grundgesetzartikel völlig aus, verbietet im Grunde jede Art von Diskriminierung schlechthin. Und dennoch denken viele darüber nach, ob und wie Menschen vor Verunglimpfung und Mißachtung gesetzlich geschützt werden müssen. Auch bei uns in der SPD gibt es solche Überlegungen schon seit langem.
Von den Wohlfahrtsverbänden, den Menschenrechtsorganisationen, den Kirchen kommt in jüngster Zeit die Forderung nach einem solchen Gesetz mit größerem Nachdruck. Das ist sicherlich auch verständlich vor dem Hintergrund der Schmähungen und Gewalttaten gegen Minderheiten in diesem Land, und dazu zählen freilich nicht nur Ausländer, sondern auch, wie wir leider wissen, Behinderte, Homosexuelle und Obdachlose.
Die Beispiele sind erschütternd. Was der jungen Rollstuhlfahrerin in Halle widerfuhr, der ein paar junge Leute unter Verwendung von Parolen wie „Heil Hitler" und „Krüppel ins Gas" ein Hakenkreuz ins Gesicht schnitten, ist nur das jüngste beschämende Beispiel.
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Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Behinderte teilte dazu mit, daß in den vergangenen zwei Jahren mehr als 80 Menschen in Deutschland wegen ihrer Behinderung überfallen wurden. Das ist also nur das Aktenkundige.
Die Berichte über Mißhandlungen oder gar Ermordungen von Obdachlosen kennen wir. Auch Homosexuelle klagen immer öfter über Belästigungen bis hin zu massiven Bedrohungen.
Alles das liefert nur den traurigen Beweis dafür, daß sich dumpfe Aggressionen gegen Schwache in dieser Gesellschaft überhaupt richten und daß rechtsradikales Gedankengut in den Köpfen nistet und sich gegen Minderheiten kehrt. Angesichts dieser Atmosphäre müssen wir uns tatsächlich fragen, ob das bisher vorhandene Instrumentarium von Verfolgung, Abwehr und Strafe ausreicht. Nach einer Untersuchung des Düsseldorfer Sozialministeriums bezeichnen fast 50 % der Ausländerinnen und Ausländer den Fremdenhaß als großes Problem. Fragt man allerdings, ob sie sich persönlich schlecht behandelt fühlen, dann bejahen das nur 10 %.
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Mit anderen Worten: Diskriminierung ist zweifellos vorhanden, aber oft nicht dingfest und an einer bestimmten Person festzumachen. Wo sie sich in offener und krasser Form darstellt, haben wir das Strafrecht als Waffe. Ich nenne die Stichworte - sie sind bekannt -: Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Gewaltdarstellung, Anstachelung zum Rassenhaß. Wenn diese Straftatbestände konsequent angewendet werden, sollten sie als Schutz genügen. Voraussetzung ist allerdings, daß sich nicht nur die Opfer selbst zu Wort melden, sondern die Bürgerinnen und Bürger als Augen- und
Ohrenzeugen aktiv werden, daß sie Anzeige erstatten und daß die Justiz den zur Verfügung stehenden Strafrahmen voll ausschöpft.
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Was machen wir aber mit dem anderen, mit Schildern an Lokalen mit der Aufschrift „Türken unerwünscht"? Wie reagieren wir auf einen Diskothekenbesitzer, der einen Besucher wegen seines „fremdländisch" wirkenden Aussehens oder seines Akzentes abweist? Was machen wir gegen den Busfahrer, der einen Ausländer harsch angeht, wenn er nicht rasch genug das abgezählte Kleingeld bereithält, was gegen einen unverschämten Versicherungsagenten, der ausländische Kunden entweder abweist oder aber zu schröpfen versucht? Darum geht es, um die versteckte, die schwer faßbare Benachteiligung, die man mit Gesetzesmaßnahmen eindämmen sollte. Insofern sind wir durchaus für entsprechende Überlegungen und werden sie intensiv beraten.
Ich warne allerdings zugleich davor, Antidiskriminierungsgesetze als Rezept mit wirklich durchschlagendem Erfolg aufzufassen.
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Das lehrt auch der Blick über unsere Grenzen. Umfassende Gesetze gibt es beispielsweise in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, interessante Lösungsansätze in Schweden und in den Niederlanden.
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Gefruchtet haben sie dort etwa beim Zugang zu öffentlich angebotenen Dienstleistungen. Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, das heißt noch lange nicht, daß sich Ausländerinnen und Ausländer in diesen Staaten wirklich gleichberechtigt, angesehen und als voll akzeptiert fühlen können. Denn das besagt die Statistik ebenfalls: Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit ist weiter überproportional hoch; die Versorgung mit erschwinglichen Wohnungen ist schlechter als bei der einheimischen Bevölkerung. Erfolgreicher waren und sind konkrete Förderprogramme.
Auch das Folgende muß man sehen: Fremdenfeindliche Strömungen, Gewalttaten gegen Minderheiten - sei es aus rechtsradikaler Gesinnung heraus oder aus Wut und Frust über die eigene soziale Lage - lassen sich mit Gesetzen wohl leider nicht eindämmen. Deswegen halte ich beim Gesetzentwurf der PDS/Linke Liste schon den Titel, nämlich „Antirassismusgesetz", für verfehlt.
Wir sollten uns aber auch davor hüten, den Ausländerinnen und Ausländern vorzugaukeln, sie könnten praktisch vom ersten Tag ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik an alle Rechte deutscher Staatsbürger für sich beanspruchen. Das geben unsere ausländerrechtlichen Bestimmungen nicht her, und das wird auch nicht die nötige Akzeptanz finden. Das sage ich in vollem Bewußtsein als Mitglied einer Fraktion, die nun wahrhaftig mit Nachdruck dafür kämpft und darauf drängt, den Ausländerinnen und Ausländern
bessere und schnellere Integration und die volle Teilhabe am politischen Geschehen zu ermöglichen. Denken Sie an unseren Entwurf für ein fortschrittlicheres Ausländergesetz; denken Sie an die Initiativen zur erleichterten Einbürgerung und für das kommunale Wahlrecht auch für Bürger aus Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Aber ganz ohne Fristen und Abstufungen wird das nicht abgehen, und wer anderes verspricht, erweckt Illusionen. Dies sage ich auch an die Adresse der Verfasser des Entwurfs.
Im Ansatz richtig ist dagegen der Vorschlag zur Stärkung des Amtes der Ausländerbeauftragten. Er gehört seit langem ja auch bei uns zum Repertoire der Forderungen.
Am ehesten bieten sich Antidiskriminierungsregelungen im Privat- und Arbeitsrecht an. Sie können beispielsweise dafür sorgen, daß Hindernisse bei der Einstellung, beim Aufstieg und bei der beruflichen Entfaltung abgebaut werden, wie wir es entsprechend ja auch mit unseren Vorstellungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern wollen. Diese Gesetze könnten die Verbandsklage ermöglichen, damit sich die Betroffenen bei ihrer Klage gegen Benachteiligungen, Kränkungen und Beleidigungen nicht allein auf weiter Flur bewegen müssen.
Mein Fazit: Wir begrüßen den Anlaß, daß das Parlament sich mit dem Pro und Kontra befaßt, wobei ein anderer Zeitpunkt als diese abendliche Stunde dem Thema wahrhaftig angemessen wäre. Wir werden die Einzelheiten in einer jetzt gegründeten Arbeitsgruppe sorgfältig diskutieren. Wir werden nicht nur im Ausschuß, sondern auch an vielen anderen Stellen darüber sorgfältig beraten.
Ich finde, positive Signale sind allemal gut und wichtig, vor allem für diejenigen, die sich durch eine unsoziale Politik und das hemmungslose Regiment des Ellenbogens zunehmend an den Rand gedrängt fühlen.
Ich danke Ihnen.
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Herr Kollege Dr. Burkhard Hirsch, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man an die wirklich haarsträubende Ausländerpolitik denkt, die die PDS unter dem Namen „SED" in der früheren DDR betrieben hat, dann muß man sich, liebe Frau Jelpke, schon ernsthaft fragen, ob sich die PDS nicht selbst bei der Vorlage oder wenigstens in der Begründung ihres Gesetzentwurfes mit dieser haarsträubenden und wirklich bösen Vergangenheit auseinandersetzen müßte, wenn sie von uns verlangt, daß wir uns mit diesem Gesetzentwurf ernsthaft auseinandersetzen.
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Sie haben selber nicht in der DDR gelebt. Das weiß ich. Ich mache Ihnen persönlich gar keinen Vorwurf, aber es ist doch ganz unbestreitbar, daß die Politik der SED eine erhebliche Schuld daran hat, daß ein bedeutender Teil der deutschen Bevölkerung überhaupt nicht gewohnt ist, mit Ausländern zusammenzuleben. Es empört mich auch heute noch unverändert, wenn ich an die menschenunwürdige Behandlung und die massive Diskriminierung von Vietnamesen, Mosambikanern und Kubanern unter der Verantwortung der SED denke.
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Es geht nicht, daß Sie darüber hinweggehen, als ob Sie die Vergangenheit nichts mehr anginge. Sie geht uns sehr wohl etwas an und wirkt bis heute nach. Es hätte Ihnen gut angestanden, in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf die Integrationsleistung, die in der Bundesrepublik gegenüber Ausländern erbracht worden ist, andächtig zu bestaunen, ehe Sie uns hier Vorwürfe machen.
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Es ist zutreffend, daß es ungerechtfertigte Diskriminierungen von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Es gibt viele Witze darüber. Wir wissen das hinsichtlich der Wohnungssuche. Das ist dargestellt worden. Das gibt es am Arbeitsmarkt. Wer das vergessen hat, den erinnere ich an die Erlebnisse von Günter Wallraff als angeblicher türkischer Arbeitnehmer. Da hat sich nicht viel geändert.
Ich weiß nur nicht, ob man das mit einem Gesetz verändern kann. Ein Volk, das zu viele Gesetze hat, wird zu viele Gesetze brechen.
Mich stört auch der Grundgedanke des Teils Ihres Entwurfs, wonach jede Behauptung einer Diskriminierung ausreichen soll, um eine tatsächliche Diskriminierung zu unterstellen, wenn der Beschuldigte nicht seinerseits das Gegenteil beweisen kann. Wenn wir ein solches Staatsverständnis einreißen lassen, daß der Staat seinem Bürger im Grundsatz nicht mehr traut, sondern ihn als potentiellen Rechtsbrecher behandelt, wenn er sich nicht entlasten kann, dann sind wir auf dem Weg in den Überwachungsstaat.
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Dann wird aus dem Rechtssystem ein System aus Kontrollen und Strafen. Das gilt nicht nur für diesen Gesetzentwurf, sondern für andere auch.
In einem anderen Teil des Gesetzentwurfs schlagen Sie vor, alle Grundrechte auch auf Ausländer auszudehnen und aus einer ganzen Reihe von einzelnen Rechtsvorschriften Sonderregelungen für Ausländer herauszunehmen.
Herr Kollege Hirsch, die Kollegin Jelpke würde gern eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie einverstanden?
Aber natürlich.
Herr Dr. Hirsch, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß es auch in der DDR sehr unmenschliche Verhältnisse für die Vietnamesen und überhaupt für Ausländerinnen und Ausländer gegeben hat. Ich möchte Sie aber dennoch fragen, wie Sie es sehen, daß hier in den letzten zwei, drei Jahren mehr als 40 Menschen bei rassistisch motivierten Überfällen ums Leben gekommen sind. Ist Ihnen eigentlich bekannt, wie viele Menschen in der DDR in
dieser Zeit ums Leben gekommen sind, da Sie eben so hervorgehoben haben, daß es dort sehr viel unmenschlicher als hier im Westen gewesen sei?
Frau Jelpke, nehmen Sie nicht persönlich, was ich Ihnen antworte. Mir kommt ein Zitat von Theodor Heuss in den Kopf:
Das Unrecht, das man selbst begangen hat, mit dem Unrecht anderer zu entschuldigen ist das Vorrecht der moralisch Minderwertigen.
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In einem anderen Teil des Gesetzentwurfs wird also vorgeschlagen, Grundrechte auch auf Ausländer auszudehnen und aus einer ganzen Reihe von einzelnen Rechtsvorschriften Sonderregelungen für Ausländer herauszunehmen. Das ist ein Vorschlag, der nicht neu ist. Ich denke daran, daß es in den Niederlanden eine ausführliche Untersuchung über die sachliche Berechtigung von Gleich- oder Ungleichbehandlung von Ausländern im Rechtssystem gegeben hat. Wir sollten uns das ganz unabhängig vom weiteren parlamentarischen Schicksal dieses Gesetzentwurfes zum Vorbild nehmen und auch unser eigenes Rechtssystem daraufhin gründlich durchforsten. Man kann Ausländer nicht grundsätzlich wie Deutsche behandeln, aber man muß sich sehr sorgfältig ansehen, ob für eine Differenzierung ein sachlicher Grund gegeben ist oder ob das einfach nur so ist, weil es immer so war.
Letzte Bemerkung. Zu den Vorschlägen über eine gesetzliche Regelung der Rechtsstellung der Ausländerbeauftragten: Wir sind der Auffasung, daß ihre Rechtsstellung gesetzlich geregelt werden sollte. Wir würden das erheblich zurückhaltender tun als in dem Entwurf, aber der Grundgedanke ist richtig, daß die Rechtsstellung der Ausländerbeauftragten angesichts der großen Zahl von Menschen, deren berechtigte
Interessen sie auch gegen Widerstände vertreten muß, gestärkt und gesetzlich geregelt werden sollte.
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Der Entwurf schießt über das berechtigte Ziel weit hinaus, aber er beschäftigt sich mit Problemen, die nicht ausreichend gelöst sind. Das sollten wir bei der weiteren Behandlung der Themen bedenken.
Vielen Dank.
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Der Kollege Konrad Weiß möchte seine Rede zu Protokoll geben.') Ist das Haus damit einverstanden?
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- Dies ist der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/6245 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 14. Januar 1994, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.