Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die erste Sitzung im Jahr 1991, jene Sitzung, von der wir nichts dringender erhoffen, als daß wir zum Friedenserhalt und zur Wiederherstellung von Gewaltlosigkeit beitragen können. Ich denke, die Bürger und Bürgerinnen draußen erwarten von uns, daß wir uns hier heute besonders entsprechend dem Thema auseinandersetzen. Ich begrüße sie ganz herzlich.
Ich rufe den einzigen Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur Lage in der Golfregion und in Litauen
Hierzu sind Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP sowie der Fraktion der SPD angekündigt worden. Es liegen außerdem Entschließungsanträge der Abgeordneten der PDS und des Bündnisses 90/GRÜNE vor. Weiter sind Entschließungsanträge zur Lage in Litauen angekündigt worden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich möchte Sie vorab auch informieren, daß der Außenminister noch nicht hier anwesend sein kann, weil er bei der europäischen Außenministerkonferenz ist.
Sobald wir trotz der etwas widrigen Umstände alle im Saal Platz genommen haben, werde ich dem Bundeskanzler das Wort zur Regierungserklärung erteilen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In großer Sorge um den Frieden und in großer Sorge um die Menschenrechte sind wir heute hier zusammengekommen.
Über das Wochenende ist in Litauen militärische Gewalt angewendet worden, die eine große Zahl von Toten und Verletzten gefordert hat.
Morgen läuft die Frist ab, die die Völkergemeinschaft dem Irak für die Räumung Kuwaits gesetzt hat. Alle bisherigen Versuche, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen, sind an der Weigerung der irakischen Führung gescheitert, die gewaltsame Annexion
Kuwaits rückgängig zu machen. Auch das Gespräch zwischen dem amerikanischen und dem irakischen Außenminister in Genf hat bisher nichts an der irakischen Haltung zu ändern vermocht, obwohl die amerikanische Seite den Ernst der Lage deutlich gemacht hat.
Ebenso haben wir erlebt, daß die Friedensmission des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, die auch von der Bundesregierung und ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft sowie den Vereinigten Staaten mit großem Nachdruck unterstützt wurde, leider ohne greifbares Ergebnis geblieben ist. Dies ist um so enttäuschender, als die vom Generalsekretär dem Irak in Bagdad unterbreiteten Überlegungen ausdrücklich eine Nichtangriffsgarantie im Falle der Räumung Kuwaits sowie die Stationierung einer UN-Friedenstruppe in Kuwait umfaßten.
Eine militärische Auseinandersetzung kann auch jetzt noch abgewendet werden. Es liegt allein bei dem irakischen Präsidenten, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen. Die Bedingungen für eine friedliche Lösung sind klar und eindeutig: Der Irak muß sich aus Kuwait zurückziehen, und die Souveränität Kuwaits muß wiederhergestellt werden. Dies ist und bleibt die Forderung der Staatengemeinschaft an den Präsidenten des Irak.
Ein Rückblick, meine Damen und Herren, verdeutlicht das Ausmaß der Aggression. Der Friede ist nicht erst jetzt gefährdet. Er wurde am 2. August 1990 gebrochen, und zwar vom Irak. Der Irak besetzte und annektierte Kuwait mit fadenscheinigen Begründungen, vertrieb viele seiner Einwohner und zwang den Verbleibenden gegen ihren Willen die irakische Staatsangehörigkeit auf. Gesetzlosigkeit und Willkür, Angst, Hunger und Not bestimmen seither das tägliche Leben der kuwaitischen Bevölkerung. Kuwait, ein souveräner Staat, soll nach dem Willen des Irak ausgelöscht werden und von der politischen Landkarte verschwinden. Der Irak hat damit grundlegende Ordnungsprinzipien für das Zusammenleben der Völker eklatant verletzt.
Die Staatengemeinschaft durfte und konnte diesen Rechtsbruch nicht hinnehmen. Eine Hinnahme hätte den Irak zu weiteren Übergriffen ermutigt. Jeder, meine Damen und Herren, muß sich darüber im klaren sein: Wenn die Völkergemeinschaft es zuläßt, daß
die staatliche Existenz eines ihrer Mitglieder gewaltsam ausgelöscht wird, dann hätte dies unabsehbare Folgen auch in anderen Teilen der Welt.
Ich denke, gerade wir, die Deutschen, sollten für diesen Zusammenhang besonders sensibel sein. Daher galt und gilt es, den Anfängen zu wehren und dem irakischen Vorgehen entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen.
Die Völkergemeinschaft ist diesem Gewaltakt und der hartnäckigen Mißachtung der Resolutionen des Sicherheitsrats durch den Irak mit großer Geschlossenheit und Entschiedenheit begegnet. 12 Resolutionen, die der Sicherheitsrat seit dem 2. August 1990 verabschiedet hat, um das Recht wiederherzustellen, sind Ausdruck einer internationalen Solidarität, wie wir sie bisher in dieser Form nicht gekannt haben. Nicht zuletzt dieser Solidarität ist es zu verdanken, daß die irakische Regierung die von ihr völkerrechtswidrig festgehaltenen ausländischen Geiseln, darunter auch deutsche, freigelassen hat.
Zugleich, meine Damen und Herren, ist deutlich geworden: Die Forderungen des Sicherheitsrats nach vollständigem Abzug des Irak aus Kuwait sind der verbindliche Wille der gesamten Staatengemeinschaft. Die Souveränität des Mitglieds der Vereinten Nationen Kuwait muß vollständig wiederhergestellt werden.
Am 29. November vergangenen Jahres hat der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 678 die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen ermächtigt, alle erforderlichen Mittel einzusetzen, wenn der Irak nicht die einschlägigen Resolutionen zur Golfkrise bis zum Ablauf des morgigen Tages vollständig befolgt. Die multinationalen Streitkräfte am Golf stehen dort mit ausdrücklicher Zustimmung der Vereinten Nationen. Sollten sie zum Einsatz kommen, so würde dies in Übereinstimmung mit deren Beschlüssen geschehen. Die Resolution 678 ist eine letzte Warnung der Weltorganisation an den Irak. Zugleich - dies will ich betonen - hält sie das Tor für eine friedliche Lösung bis zuletzt offen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die aktive Rolle, die die Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär bei dem Versuch einer friedlichen Lösung des Golfkonfliktes spielen, ausdrücklich würdigen. Die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen - das ist erfreulich - hat deutlich in dem Maße gewonnen, in dem wir aus dem Schatten des Ost-West-Konflikts herausgetreten sind. Der Sicherheitsrat kann damit seine ihm zugedachte Rolle als Instrument kollektiver Sicherheit voll wahrnehmen. Diese Entwicklung hat neue Möglichkeiten eröffnet, regionale Konflikte dem Urteil der Völkergemeinschaft zu unterwerfen und dieses, falls erforderlich, auch durchzusetzen. Dies gibt Hoffnung für die Zukunft. Wir werden alles daran setzen, um die Rolle der Vereinten Nationen als Hüter von Recht und Frieden zu stärken.
Die Bundesregierung hat die Entschließungen des Sicherheitsrats in jeder Phase der Golfkrise mitgetragen. Wir haben dies in der Überzeugung getan, daß das Recht dem Unrecht niemals weichen darf, daß, wie auch unsere eigene Geschichte lehrt, Aggressoren beizeiten entgegengetreten werden muß und daß
die Wahrung von Recht und Frieden in jeder einzelnen Region der Welt die gesamte Völkergemeinschaft angeht.
Wir haben in dieser kritischen Lage engen Schulterschluß mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft und im Bündnis gehalten, insbesondere mit den Vereinigten Staaten.
Wir wissen, daß unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten die Hauptlast bei der Verteidigung von Recht und Freiheit in diesem Konflikt tragen. Sie haben Anspruch auf unsere Solidarität.
Wir haben Solidarität auch dort gezeigt, wo die von der Golfkrise besonders hart getroffenen befreundeten Länder - ich nenne Ägypten, Jordanien und die Türkei - unserer Hilfe bedurften. Solange Golfkrise und Embargo andauern, werden wir auch weiterhin an der internationalen Lastenteilung verantwortlich mitwirken. Jeder muß wissen, daß dies für die Bundesrepublik Deutschland finanzielle Belastungen mit sich bringt. Zugleich, meine Damen und Herren, erwarten wir jedoch, daß insbesondere die ölexportierenden Golfstaaten, deren finanzielle Möglichkeiten durch die gestiegenen Ölpreise in erheblichem Maße zugenommen haben, ihrerseits einen maßgeblichen Anteil der Lasten mittragen.
Auf Ersuchen der Türkei hat das Nordatlantische Bündnis Anfang Januar die Luftkomponente des multinationalen Beweglichen Eingreifverbandes für den Befehlsbereich Europa aktiviert. Hieran sind - entsprechend den seit den 70er Jahren bestehenden Bündnisplänen für den Bereich der Südosttürkei - außer uns unsere Partner Belgien und Italien beteiligt.
Bei ihrer Zustimmung zur Verlegung dieser Einheiten in die Türkei hat sich die Bundesregierung davon leiten lassen, daß dies als ein Zeichen der Solidarität dazu beiträgt, vor einem Angriff auf die Türkei abzuschrecken und den Frieden zu wahren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, seit der Invasion und der Annexion Kuwaits durch den Irak hat es zahlreiche und vielfältige Initiativen gegeben, um diesen Konflikt friedlich beizulegen. Die Bundesregierung hat selbstverständlich ihrerseits nichts unversucht gelassen, um mit ihren Partnern und Verbündeten auf der Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrates zu einer friedlichen Lösung beizutragen. Wir haben diese Aktivitäten in den vergangenen Wochen und Tagen noch erheblich verstärkt.
Sie umfaßten ständige Konsultationen mit unseren Partnern und Verbündeten, intensive Kontakte mit befreundeten Regierungen der arabischen Welt und der Blockfreien-Bewegung. Ich selbst habe in den letzten Tagen - um nur einige zu nennen - mit Präsident Bush und Außenminister Baker, mit Staatspräsident Mitterrand, Ministerpräsident Mulroney, mit Präsident Özal und König Hussein von Jordanien eingehend über die Golfkrise gesprochen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf den großen persönlichen Einsatz von Bundesaußenminister HansDietrich Genscher.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat sich bei ihren Bemühungen vor allem von zwei Beweggründen leiten lassen: Gerade wir Deutschen wissen nur zu genau, was Krieg bedeutet. Deshalb setzen wir uns leidenschaftlich dafür ein, wenn irgend möglich eine militärische Auseinandersetzung zu vermeiden. Zugleich wissen wir aber auch um die fatalen Folgen einer Beschwichtigungspolitik, die sich mit den Rechtsbruch abfindet und damit zu weiteren Aggressionen ermutigt.
Die irakische Seite versucht, die Kuwaitfrage mit anderen Problemen der Region, insbesondere mit der Palästinenserfrage, zu verknüpfen. Dies haben wir - zusammen mit unseren Partnern und Verbündeten - zurückgewiesen. Diese Probleme müssen unabhängig voneinander gelöst werden. Aber ich füge hinzu: Sie müssen gelöst werden. Das heißt auch, daß wir mit unseren Partnern ebenfalls einig sind: Nach der Beilegung des Golfkonfliktes müssen wir uns, und zwar unverzüglich und mit großem Nachdruck, noch stärker als bisher, den anderen Fragen der Region zuwenden.
Dies hat die Europäische Gemeinschaft in Luxemburg zu Beginn dieses Monats klar zum Ausdruck gebracht. Es sind neue, erhebliche Anstrengungen erforderlich, um auch im Nahen Osten eine dauerhafte Friedensordnung zu erreichen, die das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes mit dem Recht auf Existenz und Sicherheit aller Staaten in der Region, einschließlich Israels, in Einklang bringt. Alle Beteiligten müssen erkennen, daß die Regelung dieser Fragen keinen Aufschub mehr duldet. Dabei ist vor allem der Wille zum Ausgleich und die Bereitschaft zum Kompromiß gefordert. Es muß auch im Nahen Osten gelingen, Gegensätze zu überwinden und dauerhafte, stabile Sicherheitsstrukturen zu entwickeln.
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Dazu gehören nicht zuletzt Absprachen über die Begrenzung von Streitkräften und Waffensystemen und der vollständige Verzicht auf die Herstellung und den Besitz von Massenvernichtungsmitteln.
Meine Damen und Herren, zur Stabilisierung der Verhältnisse in der Region sind aber auch erhöhte Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Überwindung sozialer Unterschiede unerläßlich. Wir könnten uns gut vorstellen - und ich habe diesen Gedanken in den letzten Monaten immer wieder vertreten -, daß sich dieses Ziel im Rahmen eines umfassenden Entwicklungsplanes für den Nahen und Mittleren Osten erreichen ließe. Dies setzt natürlich zuvor eine umfassende Lösung aller politischen Fragen voraus. Die Bundesrepublik Deutschland jedenfalls ist bereit, einen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Ich füge aber hinzu: Auch hier gilt, daß vor allem jene Länder der Region gefordert sind, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Ressourcen dazu in der Lage sind, mehr zu tun als bisher.
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Dies alles, meine Damen und Herren, sind wichtige Aufgaben für die Zukunft, die keiner aus den Augen verlieren sollte. Heute aber, in diesen Stunden, geht es vor allem darum, das Existenzrecht Kuwaits, eines
von vielen kleinen Staaten der Region, zu wahren und jede nur denkbare Chance zu einer friedlichen Lösung des Konflikts zu nutzen.
Wenn nicht noch in Bagdad die Vernunft die Oberhand gewinnt, was wir alle nur hoffen können, müssen wir mit einem der schwersten militärischen Konflikte seit Ende des Zweiten Weltkriegs rechnen. Dies kann vor dem Hintergrund des am Golf vorhandenen militärischen Potentials, zu dem bekanntlich Massenvernichtungswaffen gehören, gar nicht ernst genug genommen werden. Die Leidtragenden einer solchen Auseinandersetzung wären in erster Linie die Menschen, die in dieser Region leben. Wir wollen dies in keinem Augenblick vergessen. Die gesamte Region hätte aber auch unter den politischen und wirtschaftlichen Folgen einer solchen Auseinandersetzung zu leiden.
Wir haben bilateral und gemeinsam mit unseren Partnern in der EG alles in unseren Kräften Stehende getan, um diese letzte Konsequenz zu verhindern. Wir werden uns auch weiterhin für die Wiederherstellung des Rechts mit friedlichen Mitteln einsetzen, solange irgendeine Chance dafür besteht. Ich selbst habe der irakischen Führung mehrere vertrauliche Botschaften zukommen lassen und sie eindringlich vor den Konsequenzen gewarnt, wenn sie das Datum des 15. Januar verstreichen läßt. Die irakische Führung hat, soweit wir dies zur Stunde erkennen können, diese Warnung bisher nicht beachtet. Sie ist offenbar nicht bereit, von ihrem Rechtsbruch abzugehen und sich aus Kuwait zurückzuziehen.
Aber auch heute ist es noch nicht zu spät. Präsident Saddam Hussein hat den Schlüssel zu Krieg und Frieden in der Hand. Deshalb nehme ich die Gelegenheit wahr, auch von dieser Stelle an ihn zu appellieren: Entschließen Sie sich jetzt zum Rückzug Ihrer Truppen aus Kuwait! Ersparen Sie Ihrem Volk, ersparen Sie der ganzen Region Krieg!
Wir Deutschen, insbesondere die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsenen Generationen, haben das Glück gehabt, fast ein halbes Jahrhundert in Frieden leben zu dürfen. Wir sind nicht in der gleichen exponierten Lage wie unsere Verbündeten, deren Soldaten am Golf stehen. Wir sollten aber in keinem Augenblick vergessen, daß sie dort zusammen mit den Angehörigen der multinationalen Streitkräfte Recht und Gerechtigkeit verteidigen. Recht und Gerechtigkeit sind Voraussetzung und Grundlage allen Friedens.
Unsere Politik, vor allem in den letzten Jahren, hat dazu beigetragen, den Frieden in Europa auf eine stabile Grundlage zu stellen. Was wir in Europa erreicht haben - und wenn ich „wir" sage, schließe ich alle Bundesregierungen seit Gründung der Bundesrepublik hier ausdrücklich ein - , muß zum Modell des friedlichen Zusammenlebens in anderen Teilen der Welt werden. Dies ist vor allem auch unser Wunsch für den Nahen und Mittleren Osten, eine Region, in der drei Weltreligionen ihren Ursprung haben.
Friede kann dauerhaft und verläßlich nur auf dem Boden von Recht und Gerechtigkeit gedeihen. Unser Einsatz für den Frieden, für die Achtung der Menschenrechte und gegen die Anwendung von Gewalt gelten weltweit. Deshalb ist auch unsere einige und
unzweideutige Haltung angesichts der militärischen Gewaltmaßnahmen, die über das Wochenende in Litauen ergriffen worden sind, gefordert. Wir beklagen die Vielzahl von Todesopfern und Verletzten, und den Hinterbliebenen gilt unsere herzliche Anteilnahme.
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Wir sind zutiefst besorgt über die Zukunft der Umgestaltung, der Reformen und der Politik des „Neuen Denkens" in der Sowjetunion, die in den vergangenen Jahren dem Land so hohes internationales Ansehen eingetragen und neue, vielversprechende Perspektiven der Zusammenarbeit eröffnet haben. Ich habe mich deshalb gestern noch einmal mit einer Botschaft an den Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, gewandt und, gestützt auf die von uns gemeinsam verabschiedete „Charta von Paris für ein neues Europa" und auf die KSZE-Prinzipien an ihn appelliert, jeder weiteren Gewaltanwendung Einhalt zu gebieten, zum Weg des Dialogs und der Verständigung zurückzukehren und sicherzustellen, daß die in Litauen und in anderen Unionsrepubliken getroffene freie Wahl geachtet wird.
Noch in der vergangenen Woche hat die sowjetische Führung versichert, es werde nicht zu einer Gewaltanwendung im Baltikum kommen. Präsident Gorbatschow hat gestern über den stellvertretenden Außenminister der Bundesregierung mitteilen lassen, daß die Einsatzbefehle vom Wochenende nicht von ihm selbst erteilt worden seien und er sehr zuversichtlich hoffe, eine Lösung mit politischen Mitteln zu erreichen.
Heute morgen ist erneut von verantwortlicher Seite in Moskau erklärt worden, daß die Einsatzbefehle nicht vom Zentrum aus erteilt worden seien. Ich vertraue darauf, daß Präsident Gorbatschow in dieser Frage Klarheit schaffen kann.
Der Föderationsrat der UdSSR hat auf Initiative von ihm beschlossen, eine hochrangige Delegation nach Wilna zu entsenden, die gestern dort eingetroffen ist und ihre Gespräche aufgenommen hat. Ich hoffe sehr, daß damit ein vom Willen zur Verständigung getragener Dialog zwischen Moskau und Wilna wieder in Gang kommt. Insbesondere - ich denke, das findet die Zustimmung des ganzen Hauses - muß die normale Arbeit der gewählten Vertreter des litauischen Volkes gewährleistet sein.
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unser großes Ziel bleibt der Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung, die allen Ländern und Völkern unseres Kontinents zugute kommt. Wir sind zutiefst davon überzeugt - das ist auch eine wichtige Erfahrung der deutschen Geschichte gerade in diesem Jahrhundert - , daß die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten wesentliche Voraussetzungen für einen Fortschritt beim Aufbau dieser Friedensordnung ist. Die Ereignisse von Wilna - jeder von uns verspürt dies - waren ein schwerer Rückschlag auf diesem Weg.
Wir alle hoffen, daß die friedliche und freiheitliche Entwicklung in der Sowjetunion fortgesetzt wird. Wir sind zutiefst überzeugt: Nur Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind die großen Ideale, denen die Zukunft gehört, und sie sind vor allem das Fundament einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung in Europa. Ich denke, gemeinsam wollen wir für dieses Ziel unseren Beitrag leisten.
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Ich möchte die Anwesenden auf der Tribüne bitten, uns die Möglichkeit zu geben, unsere Veranstaltung hier auch ordnungsgemäß durchzuführen. Wir haben hier alle Möglichkeiten eröffnet, auch Ihre Erklärungen, Appelle und Ihre Demonstrationen zur Kenntnis zu nehmen.
Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Herrn Brandt das Wort.
Brandt: ({0}) : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über diesem Januar 1991 liegt eine mehrfache Tragik: Da schien das Ende des Kalten Krieges den Weg freigemacht zu haben für eine wesentliche Entlastung der Nord-Süd-Beziehungen. Sogar über eine nutzbringende Friedensdividende durfte man sich Gedanken machen. Und jetzt? Wie weit zurückgeworfen werden wir uns selbst dann finden, wenn die akute Kriegsgefahr am Golf gebannt sein sollte? Aber sie ist es ja nicht; im Augenblick müssen wir doch eher davon ausgehen, daß Krieg stattfinden wird, als daß er abgewendet werden kann.
Vor kurzem sah es noch so aus, als könnte endlich zukunftsträchtige Zusammenarbeit zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn begründet werden. Wie wichtig dies gerade aus europäischer Sicht und deutscher Mitverantwortung wäre, dazu durfte ich am 20. Dezember in Berlin etwas sagen, nicht zum erstenmal. Und jetzt? Wie lange wird es wohl dauern, bis sich Fäden endlich so knüpfen lassen, daß sie halten?
Da hatten die Präsidenten der beiden nuklearen Großmächte angefangen, von gemeinsamen Menschheitsaufgaben zu reden, und den Eindruck zu vermitteln, sie zögen friedenspolitisch an einem Strang. Und heute? An wessen Adresse war es eigentlich gerichtet, wenn vor wenigen Tagen in einem Beschluß der Volksdeputierten in Moskau davon die Rede war, die Suche nach einer friedlichen Lösung der Krise werde ganz besonders befürwortet? Man muß, denke ich, nicht aus Lübeck kommen, um das Geschehen an der Ostsee ebenso wichtig zu nehmen wie das an anderen geschichtsträchtigen Küsten.
Gorbatschow ist in der akuten Gefahr, daß ihm die Grundsubstanz politischen Kredits abhanden kommt. Ich wende mich - da ich es darf - beschwörend an den Träger des Friedensnobelpreises 1990 in der Hoffnung, daß er noch die Möglichkeit hat, weiteres Unheil abzuwenden.
({1})
Brandt
Meine Fraktion wird sich durch ihren Vorsitzenden, den Kollegen Vogel, zu diesen tief deprimierenden Vorgängen am Wochenende noch gesondert äußern. Ich stelle aber schon jetzt fest, Herr Bundeskanzler, daß wir, was dieses Thema angeht, mit der Regierung übereinstimmen.
({2})
Mit meinen Freunden, Landsleuten und Ko-Europäern bin auch ich mit guten Gedanken bei den Opfern und ihren Familien. Ich grüße alle diejenigen in Litauen wie in Lettland und in Estland - und nicht nur dort - , die bittere Enttäuschung erfahren, nachdem sie Grund hatten, davon auszugehen, daß die feierlichen gesamteuropäischen Texte von Helsinki und Paris - Menschenrechte, Selbstbestimmung, Verzicht auf Gewalt - auch für sie bestimmt gewesen seien. Ein geschichtlicher Schlußpunkt ist das jedenfalls nicht.
Aber manche, die uns zuhören und für die wir sprechen, haben sich natürlich über dieses Wochenende die Frage gestellt: Auf wie sicherem Grund steht das, was im hinter uns liegenden Jahr mit der Sowjetunion vereinbart wurde?
Soweit es an uns liegt, sollte es keine Unklarheiten geben, schon gar nicht hinsichtlich des Wunsches, Schwierigkeiten mit den sowjetischen Soldaten auf deutschem Boden zu vermeiden und ihnen bei ihrer geordneten Heimkehr weiterhin behilflich zu sein.
Die europäische Politik wird im übrigen viel zu tun haben, um sich illusionsfrei auf den Prozeß fortdauernden Wandels in der bisherigen Sowjetunion einzustellen.
Zeiten verwirrender Gefahren - wenn ich mich der sehr ernsten Krise am Golf zuwenden darf - dürfen nicht dazu verleiten, den springenden Punkt des Geschehens aus dem Auge zu verlieren. Tatsache ist, daß vor einem knappen halben Jahr nicht etwa Kuwait den Irak angegriffen hat, sondern daß es die irakische Staatsführung war, die Kuwait, Mitglied der Vereinten Nationen, auf brutale Weise hat besetzen lassen. Tatsache ist weiter, daß sich seitdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wie es dessen Pflicht war, durch vielfache Beschlüsse bemühte, diese schwere Verletzung des Völkerrechts rückgängig machen zu lassen. Die dafür gesetzte Frist läuft morgen ab, nach unserer Zeit Mittwoch früh um 6.00 Uhr.
Nun stellt sich die Frage, ob sich aus dem Ablauf dieser Frist ein Automatismus ableitet, der nur noch dem Einsatz militärischer Machtmittel Raum läßt. Das mag auf den ersten Blick logisch erscheinen. Doch ich sage hier ganz offen, daß ich mich den Argumenten derer nicht verschließen kann, die in Amerika wie in Europa und in anderen Teilen der Welt, nicht zuletzt in der nahöstlichen Region selbst, hinter einen solchen Automatismus ernste Fragezeichen setzen, die statt dessen gefragt haben, ob die Möglichkeit nichtmilitärischer Sanktionen so hätte genutzt werden können oder noch genutzt werden kann, daß recht bald die gewünschte Wirkung erzielt wird.
({3})
Eine Pflicht zur militärischen Intervention vermag ich nicht zu erkennen, zumal dann nicht, wenn andere Mittel noch nicht wirksam genug eingesetzt wurden.
({4})
Es ist auch nicht so, daß in eine antiamerikanische Ecke gestellt werden könnte, wer den Sinn der Truppenkonzentrationen in der arabischen Wüste bezweifelt. Er befände sich immerhin in der Gesellschaft früherer Präsidentschaftsberater und hoher Militärs, ganz zu schweigen von einer sehr starken Minderheit im Senat und Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten.
Wenn in der amerikanischen und der internationalen Debatte wiederholt an Korea und an Vietnam erinnert wurde, so doch wohl nicht zuletzt, um nach den Zielen von Krieg und Frieden zu fragen. Ich mag es auch in diesem Augenblick noch nicht für unabweisbar halten, daß ein Krieg ausbricht, der über das Gebiet am Persischen Golf und über den Nahen Osten hinaus verheerende Ausmaße annehmen könnte und der uns in Europa bestimmt nicht ungeschoren davonkommen ließe.
Es hatte ja seinen guten Grund, daß sich die Hoffnungen der Europäer in besonderem Maße auf die Torschlußreise von Pérez de Cuéllar konzentrierten und daß viele von uns immer noch glauben möchten, Präsident Mitterrand könnte das Prestige seines Landes und das Gewicht seines Wortes im letzten Augenblick einsetzen, so einsetzen, daß das den Nachbarn in der arabischen Welt nicht weniger zugute käme als uns in Europa.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen und der Präsident der Französischen Republik, denke ich, sollten wissen, daß Europa und wir in Deutschland allemal voll hinter ihnen stehen, wo es sich um einen vielleicht entscheidenden, so von vielen schon kaum noch für möglich gehaltenen Dienst am Frieden handelt.
({5})
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen wird dem Weltsicherheitsrat noch heute - oder wird es nach dortiger Zeit erst morgen früh sein? - über seine Friedensbemühungen in Bagdad berichten. Daß bei seinen Gesprächen mit der irakischen Führung die Resolution zu Kuwait eingehend erörtert wurde, zeigt zwar, daß Saddam Hussein weiß, worum es eigentlich geht, aber seine heutige Rede - soweit sie uns zur Kenntnis gekommen ist - vor dem irakischen Parlament hat wiederum nicht erkennen lassen, daß der Irak den UN-Beschlüssen Folge leisten will.
Kein Zweifel nun, daß schon viel kostbare Zeit verschenkt worden ist, und zwar nicht allein wegen der in Bagdad offensichtlich zur Staatsdoktrin erhobenen Sturheit.
Ich will beim Wesentlichen bleiben, beim springenden Punkt und sage noch einmal: Verantwortlich für das beängstigende Spiel mit Zeit, unser aller Zeit, ist
Brandt
im besonderen die irakische Führung, die nicht wahrhaben wollte, daß sie eine Bringschuld zu erfüllen hat, weil die Beschlüsse des Weltsicherheitsrats unzweideutig verlangen, der Irak muß Kuwait räumen.
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Da möge man sich in Bagdad nichts vormachen: Das meinen auch diejenigen auf beiden Seiten des Atlantik, die von einer eher eingeengten militärischen Handlungslogik nicht überzeugt sind. Das habe ich übrigens vor ein paar Monaten in Bagdad so und nicht anders gesagt. Das habe ich dem dortigen Präsidenten übrigens auch auf Grund meiner nicht staatlichen Verantwortung am 18. Dezember 1990 geschrieben, als der Kollege Hans-Jürgen Wischnewski, der dem Hause nun leider nicht mehr angehört, mit einem sehr enttäuschenden Bericht von dort zurückkam. Inhaltlich gibt es insoweit, so gut ich es verstehe, zwischen Minderheit und Mehrheit im Deutschen Bundestag keinen Unterschied.
Aber ob es einem gefällt oder nicht: Die harte UN-Resolution 678 hat bis zur Stunde ihre Wirkung verfehlt. Ob aus Fehleinschätzung oder eiskaltem Kalkül: Die irakische Führung hat bis zur Stunde keinerlei Anstalten gemacht, ihre Truppen zurückzuziehen oder unmißverständlich anzukündigen, daß sie damit übermorgen beginnt.
Ich kehre zu der Frage zurück, ob bei anhaltender Sturheit die militärische Offensive gleichsam automatisch zu folgen habe, da auf Grund der Beschlußlage des Sicherheitsrates dann alle Mittel - so steht es dort - erlaubt seien. Das Recht, Kuwait mit militärischen Mitteln zu befreien - wenn das dann Befreiung wäre-, wenn sich Irak nicht noch auf den Weg des Rückzugs begibt, läßt sich nicht bestreiten. Aber - so fragen Gläubige und Ungläubige, Moslems und Christen - gibt es immer noch eine Alternative, die nicht schwächliche Nachgiebigkeit bedeutete, sondern die den Druck der internationalen Staatengemeinschaft wirksamer als bisher zur Geltung brächte?
Wir selbst stünden übrigens etwas besser da - lassen Sie mich das in aller Offenheit sagen -, wenn wir guten Gewissens sagen könnten, es hätte im Zeichen unserer neu gewonnenen Souveränität deutlichere deutsche Initiativen gegeben.
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Bei uns hätte z. B. aber nicht zuletzt gegen jene Profiteure wirksamer, wirksam genug eingeschritten werden können, die sich einer besonderen Art von Entwicklungspolitik angenommen haben,
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nämlich einer Politik zur Entwicklung von Krieg. Wir stünden besser da, wenn mit dem Pfund deutscher Wirtschaftskraft im Sinne konstruktiver Politik im Nahen Osten im guten Sinne gewuchert worden wäre.
Weshalb haben nicht die deutsche und die europäische Politik stärker als erkennbar darauf gedrängt, das Wirtschaftsembargo wirksamer zu machen
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und etwa jeden Luftverkehr und alle Arten von Geschäftskontakten zu unterbinden? Ich weiß: Zugenommen hat mancherorts das Verständnis für die Notwendigkeit einer weniger egoistischen und besser koordinierten Erdölpolitik. Aber mit solchen eher abstrakten Einsichten ist im Augenblick nicht viel gewonnen.
Daß ein Krieg in der Golfregion nur zu leicht zum Flächenbrand werden kann, meine Damen und Herren, darauf habe ich wie andere Debattenredner hier im Bundestag am 15. November hingewiesen. Mittlerweile läßt sich diese Gefahr noch deutlicher als vor zwei Monaten ablesen. Auch mit begleitenden schwerwiegenden Verletzungen des Völkerrechts, darunter Terrorakten außerhalb der Region, muß gerechnet werden. Wie die verschärften Kontrollen auf den Flughäfen zeigen, werden solche Terrordrohungen ernst genommen - zu Recht, wie ich meine. Niemand hier wird allerdings glauben wollen, polizeiliche Maßnahmen böten uns ausreichenden Schutz vor den Fernwirkungen eines Golfkrieges, wenn er denn kommt.
Inzwischen erkennt man die ganz reale Gefahr eines Krieges, der zusätzlich zu den tödlichen Bedrohungen des Einsatzes chemischer und biologischer Waffen eine Umweltkatastrophe von globalen Ausmaßen heraufbeschwören und außerdem die Weltwirtschaft gewaltig belasten würde. Angesichts dieser Gefahren darf man zwar nicht politisch in die Knie gehen, aber man darf den Kopf auch nicht in den Sand stecken.
Ich habe hier an jenem 15. November gefragt, ob jemand meinte, wir könnten unbeschadet am Rande stehen, wenn die Golfregion samt Erdölfeldern in Flammen stünde. Was das bedeuten könnte, habe ich, wie andere auch, erst lernen müssen: Die Folgen der Rußwolken wären, wenn sie etwa die Hälfte der Nordhalbkugel überdeckten, nicht weit entfernt von jenem nuklearen Winter, der bei einem entsprechenden Einsatz von Atomwaffen zu vermuten wäre.
Was die militärische Seite angeht: Ich räume ein, daß man nicht gut ein System weltweiter kollektiver Sicherheit fordern kann und sich dann im Prinzip dagegen wenden darf, daß dies im Rahmen des Möglichen auf dem Boden der Vereinten Nationen verwirklicht wird, allerdings - nach den Vorschriften der Charta - vernünftigerweise unter gemeinsamem Oberbefehl; jedenfalls darf die Kontrolle den Vereinten Nationen nicht entgleiten.
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Nun darf aber bei dieser Gelegenheit nicht die Entscheidung übers Knie gebrochen werden, in welcher Weise sich Deutschland künftig verhält, wenn es aufgefordert wird, sich an friedenssichernden Aufgaben der Vereinten Nationen zu beteiligen. Das Grundgesetz gilt, bis es verändert oder ergänzt ist, was übriBrandt
gens, da dies ein Zeichen internationaler Verantwortung setzte, recht bald geschehen sollte.
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Politisch untauglich erscheint der sozialdemokratischen Fraktion die deutsche Beteiligung an der Entsendung einer mobilen Einsatzeinheit der NATO in die Türkei. Sie hält dies für eine Fehlentscheidung;
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dies auch deshalb, weil das Entsendungsverlangen in der Türkei selbst lebhaft umstritten ist.
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Wer lediglich auf externe Anforderung reagiert, verkennt vermutlich die Brisanz der Lage wie des Problems. Die verfassungsmäßigen Konditionen sollten jedermann bekannt sein. Indirekt leisten wir ohnehin - man denke nur an die Infrastruktur mit allem, was für den Nachschub der Alliierten davon abhängt - erheblich mehr, als den meisten bewußt ist. Ich füge hinzu: Materiell ist das schon heute wesentlich mehr, als der symbolische Marinebeitrag mancher anderer Länder bedeutet.
In der einen wie in der anderen Richtung muß man sich wohl freilich erst noch daran gewöhnen, daß wir nicht mehr unter fremdem Vorbehaltsrecht leben.
Was die deutsche Außenpolitik in der Golfregion anbelangt, so will ich Ihr grundsätzliches Einstehen, Herr Bundeskanzler, für eine friedliche Konfliktlösung natürlich überhaupt nicht in Zweifel ziehen. Gleichwohl - ich habe es schon gesagt und wiederhole es - hätte ich mir mit anderen ein höheres Maß an Eigeninitiative gewünscht.
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Ständig wiederholte Bekundungen der Bereitschaft, sich ein- und unterzuordnen, sind eben doch kein Ersatz für zielstrebiges Handeln.
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Wenn die Europäische Gemeinschaft in der Golfkrise eher als Zwerg denn als ernst zu nehmender Akteur wahrzunehmen war, so schließt dies selbstredend die Kritik an jenen ein, die uns einreden wollten, der Übergang zur politischen Union stehe unmittelbar bevor. Davon kann ja leider überhaupt keine Rede sein.
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Davon kann leider keine Rede sein, da, wie die jüngste Erfahrung zeigt, die Handhabung der intergouvernementalen EPZ - Europäische Politische Zusammenarbeit - nicht ausreichend ist, um ernste Dinge zu bewegen. Es ist ja keinem aufmerksamen Beobachter verborgen geblieben, daß die EPZ mit ihrer jetzigen Entscheidungsstruktur, wo es sich um mehr als um nicht verpflichtende Bekenntnisse handelt, lediglich zu einem inhaltsarmen Minimalkonsens führt, und zwar deshalb, weil es an hinreichender inhaltlicher Übereinstimmung mangelte.
Ernste Beiträge zur Lösung von Konflikten dürfen jedoch nicht auf die lange Bank geschoben werden, bis endlich einmal eine Politische Union verwirklicht sein mag und, wenn ich hinzufügen darf, inzwischen hoffentlich auch der Unsinn halbjährlicher Präsidentschaftswechsel überwunden sein wird;
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denn das kommt der Behandlung ernster Dinge nun weiß Gott nicht zugute.
Nicht von ungefähr, meine Damen und Herren, verlief der Golfgipfel im September in Helsinki ohne europäische Beteiligung auf europäischem Boden, ohne Beteiligung irgendwelcher Art der Gemeinschaft. Das Tauziehen Ende des Jahres um die Befugnisse der italienischen Präsidentschaft wirkte eher peinlich. Das Hin und Her um ein irakisches Treffen mit einer Troika in oder von Luxemburg paßt zusätzlich in das triste Bild dessen, was uns - so wir es nicht besser wissen - als gemeinsame Außenpolitik verkauft wird. Nicht einmal über einen gemeinsamen, geordneten Abzug der Botschaften aus Bagdad hat man sich verständigen können. Ich fand das nicht nur bedauerlich, sondern auch blamabel.
Aber vielleicht kann Europa ja doch noch etwas tun: Ähnlich wie seine Rede vor den Vereinten Nationen im September setzte François Mitterrands SiebenPunkte-Plan vom vorigen Mittwoch die Räumung Kuwaits in eine zeitliche Abfolge zur Bewältigung anderer Probleme im Nahen und Mittleren Osten. Wem das nicht paßt, weil er darin ein Eingehen auf Saddam Husseins nachträglich konstruierte „linkage", also Zusammenfügung unterschiedlicher Probleme, zwischen Kuwait und Palästina befürchtet, verkennt die Lage und vergißt zudem, daß zur Palästinenser-Frage bereits 1980 - das ist jetzt über zehn Jahre her - auf dem EG-Gipfel in Venedig durch die Außenminister eine europäische Initiative versprochen worden war. Daß daraus dann nichts wurde, war vor allem dem lähmenden Ost-West-Konflikt geschuldet.
Nun hatten wir gehofft, es können sich neue Chancen zur Lösung auch der zentralen Nahostprobleme bieten. Keine Frage: Die irakische Führung hat das Thema Palästina nachgeschoben. Jedenfalls war bei den Verhandlungen mit Kuwait vor der Invasion, Ende Juli also, davon keine Rede. Keine Frage aber auch, daß es ein politischer Fehler wäre, wenn dieses Thema von europäischer oder westlicher Seite krampfhaft ausgespart würde.
Man sollte sich nichts vormachen: Der Vorwurf doppelter Standards wird in der Region auch von solchen erhoben, die mit Saddam Hussein nichts am Hut haben.
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Das erneut wenig balancierte Äußerungen aus der PLO-Führung die palästinensische Sache nicht gerade erleichtern, steht auf einem anderen Blatt.
Meine Partei hat - ich will daran überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen - bei aller Verbundenheit mit Israel und zumal mit den dorthin entkommenen Überlebenden des Holocaust das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser seit vielen Jahren befürwortet.
Brandt
Ich sehe keinen Grund, warum man wegen der akuten Krise Problemverdrängung betreiben sollte.
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Allerdings füge ich da noch einmal hinzu: Nichts darf zu Lasten geschriebener und ungeschriebener Zusicherungen und Verpflichtungen gehen.
Die Sorgen vor ungezügelter Aufrüstung - nicht allein des Irak - sind sehr ernst zu nehmen. Nur, die Konsequenz, die manche daraus ableiten, Krieg müsse sein, damit aus Kuwait kein zweites München werde, diese Weisheit ist dann doch einem Zweifel ausgesetzt. Sie hätte unkalkulierbare Folgen für eine ohnehin in hohem Maße instabile Region. Machtambitionen haben mehrere, nicht nur der eine.
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Und um es gelinde zu sagen: Vordemokratisch ist mehr als eines der dortigen Regime auch.
({21})
Zumal - in der Regel ebenfalls weit über jedes vernünftige Maß hinaus - militärisch gerüstet wird, woran - wie noch einmal erwähnt werden darf - Waffenexporteure aus West und Ost und übrigens auch aus Staaten des Südens kräftig verdient haben und verdienen.
Die vernünftige Schlußfolgerung daraus, daß nämlich für den Nahen und Mittleren Osten ein dem KSZE-, ein dem Helsinki-Prozeß vergleichbarer Prozeß recht bald begonnen werden sollte, wird mittlerweile von vielen Seiten geteilt. Daß Europa hierzu über dringend erforderliche, höchst restriktive Waffenexportkontrollen hinaus seinen Beitrag leisten sollte, liegt auf der Hand. Allein wegen der geographischen Nähe müssen Europa die politischen und wirtschaftlichen Perspektiven der arabischen Welt in hohem Maße interessieren, was den Südeuropäern so bewußt ist wie uns mittlerweile die schwierige Situation in Osteuropa. Hier wie dort sind gerade auch die damit verbundenen kulturellen Herausforderungen nicht zu übersehen.
Es gibt - wer hier wüßte es nicht - eine Mehrzahl ungelöster Probleme, z. B. zwischen Zypern und Afghanistan - Libanon nicht zu vergessen - , oder sagen wir: von Marokko bis zum Indischen Ozean. Es gibt den Libanon und die Kurden, den dreisten Reichtum weniger und das Elend der Massen. Es gibt eine wahnsinnige Überrüstung.
Saddam Hussein, von dem man halten mag, was man will, hat im vergangenen Sommer - ich denke, es war der 12. August - selbst darauf hingewiesen, daß die Mittel der Massenzerstörung unter Kontrolle gebracht werden müssen. Es hätte sich vielleicht gelohnt, ihn rasch beim Wort zu nehmen.
Im übrigen gibt es keinen Zweifel, daß regionale Vereinbarungen - wo immer möglich - den Vorzug verdienen gegenüber solchen, die als von außen kommend verstanden werden. Stabile Verhältnisse lassen sich ohnehin nur über einen längeren Zeitraum durch vertrauensbildende Zusammenarbeit herstellen: zwischen den arabischen Staaten und mit Israel und mit dem Iran. Europa kann und sollte in diesem langwierigen Prozeß seine vermittelnde und auch sonst hilfreiche Rolle spielen, sowenig erfolgversprechend es auf den Tag bezogen aussehen mag.
Allerdings gibt es wohl keinen Zweifel daran, daß die jüngsten Veränderungen im Ost-West-Verhältnis, einschließlich der damit neu verbundenen weltpolitischen Ungewißheiten, uns noch mehr Probleme bescheren werden, als man zunächst angenommen hatte. Die irakische Führung hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, das Moskau - übrigens auch Peking - mit Washington auf der Ebene der Vereinten Nationen übereinstimmen würde. Seitdem vermissen manche, die sich sehr daran gewöhnt hatten, die Rolle der Sowjetunion als eines weltpolitischen Faktors.
Es kommt hinzu, was in Rußland und in den anderen Republiken rumorend im Gange ist. Hoffentlich gehört dazu nicht die Kalkulation einiger Leute, im Windschatten von Nahost lasse sich erledigen, was sonst noch mehr Empörung auslösen würde.
({22})
Meine Damen und Herren, deutsche Verantwortung hat im Wissen um alle Schwierigkeiten dem Frieden zu gelten - darin stimme ich dem Bundeskanzler ausdrücklich zu - und der Sorge um das internationale Recht. Andere entscheiden in dieser Runde über Krieg oder Frieden.
Wenn unsere Stimme Gehör finden soll, dann muß sie unmißverständlich als Stimme des Friedens zu hören sein. Wir sind dies auch, denke ich, den vielen Bürgern schuldig, die vielerorts, übrigens gerade auch in den neuen Bundesländern, für Frieden spontan aktiv geworden sind.
({23})
Wir entscheiden weiterhin darüber, was wir uns aufladen lassen und was wir selbst auf uns nehmen wollen, damit es dem verträglichen Umgang zwischen den Völkern und ihren Staaten zugute kommen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Bötsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die jüngsten Ereignisse in Litauen haben leider bestätigt, daß unsere Befürchtungen zum Nationalitätenkonflikt in der Sowjetunion berechtigt gewesen sind. Die Auswirkungen der Entwicklungen in der Sowjetunion auf die weltpolitische Situation und im speziellen auch auf den Golfkonflikt lassen sich derzeit noch nicht völlig abschätzen; sie geben aber jedenfalls zu Sorge Anlaß.
Mit Erschütterung stellen wir fest, daß die Auffassung, die der KGB-Chef im letzten Dezember vor dem Obersten Sowjet äußerte, nämlich daß die - wie er
sagte - Ordnung notfalls mit Blut wiederhergestellt werden müsse, Realität geworden ist. Dabei ist es zunächst gleichgültig, welche Person den Marschbefehl für das brutale Vorgehen der sowjetischen Truppen in Wilna gegeben hat. Die Schüsse dienten jedenfalls dazu, Menschenrechte und Selbstbestimmung in Litauen zu verletzen.
Ich habe eine dpa-Meldung von vor einer halben Stunde hier in der Hand, in der es heißt, daß Präsident Gorbatschow nach eigenen Worten erst am Sonntagmorgen von dem militärischen Eingreifen in Wilna erfahren habe. Dem müssen wir zunächst glauben, und zunächst müssen wir davon ausgehen, daß Präsident Gorbatschow weiterhin Perestroika und Glasnost in der Sowjetunion wünscht. Ich möchte ihn auffordern, wenn dies so ist, zu versuchen - ich sage: zu versuchen - , falls dies möglich ist, die Verantwortlichen für den militärischen Einsatz in Wilna zur Rechenschaft zu ziehen.
({0})
Meine Damen und Herren, die gute und hoffnungsvolle Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, die wir insbesondere in Deutschland im letzten Jahr getätigt haben und die eigentlich in ihren Grundsätzen erst begonnen hat, darf nicht zu einem Kapitel der Vergangenheit werden. Die sowjetische Führung muß begreifen, daß sich heute der Freiheitsdrang der Menschen nicht mehr wie zu Stalins Zeiten mit militärischen Mitteln unterdrücken läßt.
({1})
Von Gorbatschow stammen die Worte: Es gibt kein Zurück zum gestrigen Tag. Die Zukunft der Sowjetunion läßt sich nur durch Fortsetzung des Reformkurses und die Achtung der Menschenrechte sichern, nicht durch den Einsatz von Panzern gegen friedliche Demonstranten. Ich glaube, das ist die Quintessenz, die nicht nur wir, sondern die Sowjetunion aus diesen Ereignissen zu ziehen haben.
Für den Nahen Osten gelten im Grundsatz die gleichen Gesetze. Eine Lösung der Golfkrise kann es nur auf der Grundlage der Entschließungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen geben. Es ist ja nicht nur die mehrmals erwähnte Entschließung 678, sondern es wurde mit dem Golfkonflikt insgesamt ein Dutzend Entschließungen gefaßt.
Die durch den Überfall auf Kuwait verletzte Völkerrechtsordnung muß ohne Einschränkung wiederhergestellt werden. Dazu müssen die irakischen Truppen abziehen und muß die widerrechtliche Annexion Kuwaits als irakische Provinz annulliert werden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die Haltung der Bundesregierung, die sich mit allen Kräften bis zur letzten Sekunde für eine friedliche Lösung einsetzen will.
({2})
Solange noch eine Chance für den Erfolg diplomatischer Mittel besteht, muß der Waffeneinsatz vermieden werden. Darüber besteht wohl in diesem Haus volles Einvernehmen.
Auch Präsident Bush will eine friedliche Lösung und hat dem Irak zugesagt, daß es bei einer Räumung Kuwaits keinen Angriff geben werde. Auch darauf möchte ich noch einmal hinweisen.
Wenn der irakische Diktator zu einer nüchternen Analyse seiner eigenen Lage bereit wäre - oder soll ich sagen: in der Lage wäre -, müßte er jetzt die Ausweglosigkeit, in der er sich befindet, einsehen und dem eindeutig erklärten Willen der internationalen Völkergemeinschaft nachgeben. Es liegt allein an ihm, ob der Krieg vermieden werden kann.
Bisher scheint aber niemand den Weg zu kennen, Saddam Hussein zur Vernunft zu bringen. Der Iraker verstrickt sich in immer mehr folgenschwere Fehlrechnungen. Es scheint ihm gleichgültig zu sein, daß er mit seinem Handeln seinem eigenen Land, aber auch den armen Ländern zumindest in seiner Region großes menschliches Leid und massiven Schaden zufügen wird.
Der bisherige Verlauf der Krise hat gezeigt, daß er im Grund genommen nur in den Kategorien der militärischen Macht zu denken vermag. Für diplomatische Bemühungen scheint er nur ansprechbar, wenn ihnen mit militärischen Machtmitteln Nachdruck verliehen werden kann.
Daher, Herr Kollege Brandt, halte ich die Entscheidung, internationale Truppen an den Golf zu senden, für richtig, genauso wie die Entscheidung der Bundesregierung, 18 Kampfflugzeuge im Rahmen der AMF in die Türkei zu entsenden.
Die Verlegung der deutschen Flugzeuge dient ausschließlich Verteidigungszwecken des NATO-Partners Türkei und dokumentiert unseren Willen, im Rahmen des Bündnisses einen Beitrag zur Abschrekkung und zur Kriegsverhinderung zu leisten; zu nichts anderem.
Zu der Behauptung mancher, die Verlegung der Maschinen sei eine Angriffsvorbereitung, will ich sagen: Sie grenzt zumindest an Verleumdung. Schließlich gab es die AMF schon, als die SPD noch den Verteidigungsminister stellte; und unter SPD-Ministern hat die AMF schon damals auch an Übungen in der Türkei teilgenommen. Das muß man wissen, wenn man den Sachverhalt objektiv beurteilen will.
Herr Kollege Vogel, heute ist das Wort nicht mehr gefallen; am Anfang der Debatte wurde diese Entsendung aus Ihrer Partei als Verfassungsbruch bezeichnet. Dann, als dieser Irrtum offensichtlich wurde, hat man sich auf die Formel zurückgezogen: politisch nicht notwendig.
Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, daß Sie begreifen, daß gerade die Entsendung von Soldaten ein unverzichtbares Mittel zur friedlichen Beilegung der Krise darstellt, weil nur dann die Abschreckung in diesem Bereich glaubhaft ist. Diplomatie ohne Macht ist wirkungslos. Aggressoren muß man entschlossen entgegentreten, wenn man sie vor weiteren Überfällen abhalten will.
({3})
Wir verstehen die Sorgen der Menschen in unserem Lande um die Erhaltung des Friedens. Ich möchte aber diejenigen, die in diesen Tagen auf die Straße
gingen oder gehen, auch diejenigen, die hier vor dem Parlament demonstrieren und denen ich meinen persönlichen Respekt für ihre subjektive Sorge um den Frieden nicht versagen will, fragen, ob sie dem Frieden nicht weit mehr gedient hätten, wenn sie unmittelbar nach dem 2. August 1990, also nach dem Überfall auf Kuwait, demonstriert hätten.
({4})
Ich glaube, daß dies der richtigere Zeitpunkt gewesen wäre.
Der Bundespräsident hat jüngst in einem Interview mit einer süddeutschen Zeitung zur Frage von außenpolitischer Selbstbeschränkung unterstrichen, daß - ich zitiere - „wir Deutsche uns nicht auf uns selbst zurückziehen dürfen". Deutschland darf also nicht abseits stehen, wenn es um einen Beitrag zur Bewältigung von Krisen und zum Erhalt des Friedens in der Welt geht.
Meine Damen und Herren, es ist hier schon gesagt worden: Die Krise am Golf wird mit der Räumung Kuwaits nicht beendet sein. Es gibt dort zahlreiche weitere Konfliktfelder mit ähnlicher Brisanz. Wir sollten uns deshalb heute schon damit befassen, wie es danach weitergehen kann. Wir wollen weiter suchen, wie in dieser krisengeschüttelten Region ein dauerhafter Friede gesichert werden kann.
Der Bundeskanzler und der Kollege Brandt haben das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Lebensraum angesprochen. Es gibt weitere Punkte: Der Reichtum der Golfregion sollte nicht weiter für die Aufrüstung verschwendet werden, der Nahe Osten braucht vielmehr ein wirksames Rüstungskontrollregime mit weitreichenden Abrüstungsvereinbarungen.
({5})
Langfristig wird es darauf ankommen, einen auf Verträge gegründeten Ausgleich auch zwischen den armen und den reichen Staaten in dieser Region zu erreichen und der Bevölkerung dort einen besseren Anteil an den vorhandenen, auch Reichtum bewirkenden Ressourcen zu organisieren.
Die Länder, die die Natur mit umfangreichen Ressourcen gesegnet hat, sollten in gleicher Weise zur Unterstützung bereit sein, wie dies in der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Jahren gegenüber Spanien und Portugal, gegenüber Griechenland und Irland erfolgt ist, in der gleichen Weise, wie jetzt die Europäische Gemeinschaft, die Länder der Europäischen Gemeinschaft und die übrigen Länder Westeuropas bereit sind, den Ländern Ost- und Südosteuropas in ihrer wirtschaftlichen Not zu helfen und die Wohlstandsgrenze überwindbar zu machen. Ich will nicht sagen, daß wir da alles richtig gemacht haben, aber wir, die Europäische Gemeinschaft, sollten unsere Hilfe anbieten, wenn geeignete Wege zur Überwindung der Spannungen gesucht werden müssen und wenn die Vielzahl der in der Golfregion angestauten Probleme gelöst werden müssen.
Meine Damen und Herren, namens der CDU/CSUFraktion möchte ich die Bundesregierung bitten, in ihren Bemühungen, solange auch nur eine Chance
besteht, den Krieg zu verhindern, zur friedlichen Lösung des Konflikts am Golf fortzufahren.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nachrichten und die Bilder, die uns gestern aus Wilna erreicht haben, sind erschütternd und bedrückend zugleich. Unter dem Eindruck dieser Bilder und des Blutes, das in Wilna geflossen ist, spreche ich vor allem anderen auch an dieser Stelle den Opfern und ihren Angehörigen unser Mitleid und unser Mitgefühl
({0})
und denen, die versucht haben, das von ihnen gewählte Parlament und die Einrichtungen ihrer Republik mit ihren Leibern zu schützen, unsere Sympathie und unseren tiefen Respekt aus.
({1})
Was immer auch in den nächsten Wochen und Monaten geschehen mag, eines ist gewiß: Mit Panzern und militärischer Gewalt läßt sich das Streben der Menschen nach Freiheit und Selbstregierung für einige Zeit, vielleicht sogar für Jahre unterdrücken. Auslöschen läßt sich dieses Bestreben nicht.
({2})
Das hat die Entwicklung in Ungarn seit den 50er und die Entwicklung in der Tschechoslowakei seit Ende der 60er Jahre, aber auch die Entwicklung in Polen nach der Verhängung des Kriegsrechts gezeigt. Das sollte denen Hoffnung geben, die jetzt von Enttäuschung und Verzweiflung überwältigt werden. Das sollten aber auch die begreifen, die den Befehl für die Militäraktion in Wilna gegeben haben und die damit jetzt zu den gleichen Mitteln greifen, die schon in Budapest und Prag versagt und in diesen Ländern nur zur inneren Lähmung und gegenüber der Sowjetunion zu Empörung und Ablehnung, ja zum Haß zwischen den Völkern geführt haben.
({3})
Für die deutsche Sozialdemokratie verurteile ich die Aktionen, die das sowjetische Militär bisher in Wilna und offenbar auch in anderen Städten Litauens unternommen hat, mit Entschiedenheit. Sie richten sich gegen ein frei gewähltes Parlament und die von ihm bestellte Regierung, also gegen Institutionen, die im Einklang mit den Prinzipien der Perestroika ins Leben getreten sind. Sie richten sich ferner gegen das Selbstbestimmungsrecht, also gegen einen völkerrechtlichen Grundsatz, der in der Charta der Vereinten Nationen verankert und in der KSZE-Schlußakte bekräftigt worden ist.
Natürlich kann auch dieses Recht - wir wissen das aus unserer eigenen Geschichte der letzten 40 Jahre - nicht absolut gesetzt und ohne Rücksicht auf die jeweiligen Umstände und auf die Folgen um
jeden Preis in vollem Umfang durchgesetzt werden. Natürlich spielt auch hier die zeitliche Dimension eine Rolle. Aber nichts erlaubt einer wie auch immer firmierenden Personengruppe, sich an die Stelle eines demokratisch gewählten Parlaments und einer demokratisch gewählten Regierung zu setzen und deren Befugnisse an sich zu reißen.
({4})
Nichts rechtfertigt es, gegen diejenigen, die ihre demokratischen Institutionen gewaltlos verteidigen, Panzer in Marsch zu setzen und andere militärische Gewaltmittel anzuwenden.
Ein solches Vorgehen verstößt gegen die Prinzipien der KSZE, wie sie von der Sowjetunion und allen anderen KSZE-Mitgliedern zuletzt im November vergangenen Jahres in der Charta von Paris für ein neues Europa bekräftigt worden sind. Wir verurteilen die Militäraktionen schon aus diesem Grunde auf das entschiedenste und fordern, sie sofort zu beenden und nicht an anderer Stelle wieder aufzunehmen.
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Zugleich fordern wir alle Beteiligten auf, erneut in Verhandlungen einzutreten und nach friedlichen Lösungen zu suchen. Die Reise einer Delegation des sowjetischen Föderationsrates nach Wilna und die Kontakte, die daraufhin offenbar zwischen dem litauischen Parlament und den Militärbehörden zustande gekommen sind, geben in dieser Hinsicht eine gewisse Hoffnung. Die Militäraktion zu beenden und zum Dialog zurückzukehren, das verlangt das Recht, das verlangen aber auch die politische Vernunft und die Sorge um den Frieden in Europa und in der Welt.
Wer immer die Befehle für die Militäraktion gegeben hat, der muß wissen: Militärische Gewalt mildert die Nationalitätenkonflikte in der Sowjetunion nicht, sondern verschärft sie. Alle Völker der Sowjetunion, die Autonomie und Selbstregierung oder auch Selbständigkeit anstreben, werden jetzt fürchten, daß das, was in Wilna, in Litauen geschah, morgen auch bei ihnen geschehen kann. Der Weg, den Michail Gorbatschow zur Erneuerung der rechtlichen Grundlagen für die Zusammenarbeit der Völker der Sowjetunion, ihrer Staaten und Republiken bereits eingeschlagen hat, wird dadurch blockiert. Bürgerkrieg könnte an die Stelle von Verhandlungen und von Interessenausgleich treten. Was Bürgerkrieg in einem Land bedeuten könnte, in dem an vielen Orten noch immer atomare Waffen in großer Zahl lagern, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung.
Wer militärische Gewalt anwendet, muß weiter wissen, daß er damit das Vertrauen in die Reformpolitik der letzten Jahren erschüttert und den Eindruck erweckt, er wolle diese Politik beenden oder gar in die Vergangenheit zurückkehren. Das würde in der Sowjetunion selbst den erbitterten Widerstand derer hervorrufen, die die im Verlauf der Perestrojka gewonnenen Freiheiten nicht wieder verlieren und erneut gegen eine Diktatur eintauschen wollen. Es würde aber auch das aufs Spiel setzen, was in Europa und im Verhältnis zwischen Ost und West insgesamt,
gerade auch auf Grund der Politik Gorbatschows seit 1985, an Verständigung, Kooperation und Friedenssicherung gewachsen ist.
In beiden Richtungen haben die ernsten Mahnungen, die Eduard Schewardnadse anläßlich seines Rücktritts als Außenminister geäußert hat, durch die jüngsten Ereignisse eine besorgniserregende Bekräftigung erfahren. Ich bin tief überzeugt, daß die große Mehrheit der Menschen in der Sowjetunion das, was da in Europa gewachsen ist, nicht wieder preisgeben will. Ich sehe bis zur Stunde auch keine Beweise dafür, daß Michail Gorbatschow sein eigenes Friedenswerk in Frage stellen oder gar zerstören will.
({6})
Deshalb muß mit der eindringlichen Warnung an die Kräfte der Konfrontation die Bekräftigung unserer festen Absicht einhergehen, den reformerischen Kräften in der Sowjetunion weiterhin, ja sogar noch verstärkt zu helfen,
({7})
und zwar im Sinne einer gemeinsamen europäischen Anstrengung. Darum wäre es auch verfehlt, die humanitäre Hilfe für die Menschen der Sowjetunion jetzt einzustellen.
({8})
Im Gegenteil, gerade diese Hilfe macht deutlich, was Zusammenarbeit und wechselseitiges Verständnis bewirken und was der Rückfall in die Vergangenheit zerstören würde - auch an menschlichen Brücken, die durch diese Hilfe entstanden sind.
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Die heutige Sitzung war zunächst allein dazu bestimmt, die Golfkrise zu debattieren. Über das Wochenende ist die litauische Krise hinzugekommen. Zwischen beiden besteht ein zeitlicher Zusammenhang. Die Gefahr für den Weltfrieden würde sich erhöhen, wenn beide Krisen darüber hinaus politisch zusammenfließen und zu einer Konfrontation der Weltmächte führen würden.
Herr Kollege Brandt hat in unserem Namen bereits vor einem militärischen Automatismus und vor einem Krieg am Golf gewarnt. Ich wiederhole diese Warnung und sage: Das Recht muß gegen den irakischen Diktator mit Mitteln durchgesetzt werden, die das gegenwärtige Übel, das schlimm genug ist, nicht durch ein größeres, noch viel schlimmeres Übel mit unübersehbaren Risiken ersetzen.
({10})
Diese Risiken sind durch die Vorgänge in Litauen größer, keinesfalls aber geringer geworden.
An die Kräfte der Konfrontation in der Sowjetunion richte ich die Warnung, den Golf-Konflikt nicht als Schutzschild für militärische Gewalt im eigenen Land zu mißbrauchen. Dies würde den Diktator in Bagdad ermutigen, ja vielleicht sogar auf einen Konflikt der
Weltmächte hoffen lassen, der ihm nutzt. Wer so handelt, lüde in einer Situation, in der die Menschen ohnehin von Stunde zu Stunde mehr um den Frieden bangen, schwerste Verantwortung auf sich.
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Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das vergangene Jahr war ein Jahr, in dem die Menschen in Europa, und nicht nur in Europa, Hoffnung schöpften, ein Jahr, in dem die Freiheit und die Demokratie vorankamen, Waffen verschrottet und alte Gräben eingeebnet wurden, das Jahr auch, in dem unser Volk zu seiner Einheit gefunden hat, und ein Jahr, in dem die Vision vom gemeinsamen europäischen Haus Gestalt gewann. Das darf uns nicht unter den Händen zerrinnen, das darf sich nicht als Fata Morgana erweisen.
Deshalb müssen wir gemeinsam mit unseren europäischen Freunden, mit unseren Verbündeten und unseren Partnern jede Anstrengung unternehmen, damit in diesem Europa die Vernunft die Oberhand behält und Europa nicht wieder in die Zeiten der Konfrontation und des Ost-West-Gegensatzes zurückfällt.
({12})
Es spricht alles dafür, daß die Fraktionen dieses Hauses, das Regierung und Opposition bei allem, was uns sonst trennen mag und auch in der Einschätzung der weiteren Entwicklung der Golfsituation trennen mag, in diesem Punkt so weit wie möglich zusammenarbeiten. Wir sind zu dieser Zusammmenarbeit bereit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Am Tage vor seinem Tode hat Friedrich Dürrenmatt geschrieben: „Eine furchtlose Vernunft ist das einzige, was uns in der Zukunft zur Verfügung stehen wird, diese möglicherweise zu bestehen, uns nach der Hoffnung Kants am eigenen Schopfe aus dem Untergang zu ziehen. "
Meine Damen und Herren, es fällt schwer, Furchtlosigkeit zu fordern, wenn wir die von Angst und Schrecken erfüllten Gesichter der Menschen in Wilna sehen. Es fällt schwer, Vernunft zu erkennen, wenn Saddam Hussein heute wieder vom „heiligen Krieg", von der „großen siegreichen arabischen Schlacht" spricht. Wie können wir die Zukunft bestehen, die noch vor wenigen Wochen, wenigstens in Europa, so hell vor uns zu liegen schien? Können wir, dürfen wir all denen Furchtlosigkeit empfehlen, die doch nur zu begründete Angst vor dem Schrecken eines Krieges am Golf haben?
Der Krieg mit Massenvernichtungsmitteln ist nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
({0})
Das war schon die Erkenntnis nach den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges. Um wieviel mehr gilt es heute!
Schließen wir also den Einsatz militärischer Mittel am Golf aus? Man kann, Herr Brandt, über ein längeres Embargo, über ein wirksameres Embargo, über mehr politischen Druck sprechen. Mir fällt es schwer, mich eines Wirtschaftsembargos zu erinnern, das schärfer kontrolliert durchgeführt und wirksamer gewesen ist als das gegen den Irak. Sollte es wirklich sein - dies ist nicht nur eine Nebenbemerkung -, daß auch dieses Embargo wie so viele andere, aber mit sehr viel geringerer Bedeutung, unterlaufen worden sein sollte, dann haben sich diejenigen, die das getan haben, schmählich gegen den Weltfrieden, gegen die Freiheit und die Sicherheit in der Welt vergangen.
({1})
Wir wollen alles tun, was in unseren - allerdings sehr bescheidenen - Kräften steht, um doch noch eine friedliche Lösung zu erreichen. Aber, meine Damen und Herren, wenn es denn alles nichts hilft, wenn der Aggressor seine Beute nicht freigibt, lassen wir sie ihm dann, nehmen wir den Rechtsbruch hin und vergessen gerade wir Deutschen alle unsere Erfahrungen, wohin das Gewähren-Lassen eines Diktators endgültig führt oder führen kann? Es sind schwierige, es sind schlimme Fragen. Runde, glatte, befriedigende Antworten gibt es nicht, aber intellektuelle Ausflüchte gibt es auch nicht.
({2})
Es gibt nur - und das ist wenig - den immer wiederholten Appell an die Vernunft Saddam Husseins. Aber ist seine Vernunft überhaupt unsere Vernunft? Dann hätte es den Krieg Iran-Irak wohl nicht geben dürfen und können. Im übrigen hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen dem luxemburgischen Außenminister heute berichtet und ihm gesagt, nach seiner, des Generalsekretärs, Überzeugung - seine Mission war erfolglos; das wissen wir - habe der Irak seine Entscheidung getroffen; das war die wörtliche Mitteilung.
Meine Damen und Herren, die FDP würdigt die ebenso besonnene wie entschlossene Haltung der Bundesregierung, der Regierungen der Europäischen Gemeinschaft und des Bündnisses und ganz besonders die Haltung des Weltsicherheitsrates, des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen.
Herr Brandt, Sie haben von dem europäischen Zwerg gesprochen, von den Schwierigkeiten auf dem Wege zur Europäischen Union und zur Europäischen Politischen Zusammenarbeit; die Ergebnisse seien mager. Gewiß, es ist immer schwierig gewesen, und es wird noch lange schwierig bleiben. Sie haben das Wort „leider" hinzugefügt. Wir müssen und wir werden diesen Weg weitergehen. Ich finde, daß wir geDr. Graf Lambsdorff
rade in den Fragen des mittleren Ostens, in den Fragen, mit denen wir uns hier beschäftigen, in den letzten Jahren innerhalb der Europäischen Gemeinschaft größere Übereinstimmung auf politischem, auch auf außenpolitischem Gebiet gefunden haben als in vielen anderen Fragen.
({3})
Erlauben Sie mir in dem Zusammenhang, daß ich auf den halbjährlichen Wechsel eingehe. Ich glaube, es ist ganz gut: ein halbes Jahr Ratstätigkeit mit der Verpflichtung und dem Ehrgeiz, etwas weiterzubewegen. Das kontinuierliche Element der Kommission und der Wechsel im Rat: So schlecht ist das nicht, Herr Brandt. Aber ich könnte mir vorstellen, daß Sie es kritisieren, wenn, wie eine italienische Agentur vor einer halben Stunde gemeldet hat, die europäischen Außenminister sich entschlossen haben, keine weitere Initiative in Bagdad zu unternehmen. Sie folgen auch hier dem Rat des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, der sie darauf aufmerksam gemacht hat, sie würden sich nur eine weitere Demütigung einhandeln.
Die Resolutionen der Vereinten Nationen müssen ohne Bedingung befolgt werden. Wir halten eine internationale Konferenz zur Bewältigung der Probleme der Region Naher Osten einschließlich der Palästinenserfrage und des Existenzrechts des Staates Israel für erforderlich und wünschenswert. Den Weg dazu kann jetzt nur Saddam Hussein freimachen. Er blockiert. Er muß Kuwait räumen. Er blockiert die von ihm selbst gewünschte Konferenz. Ob er sie tatsächlich wünscht, ist nach den gestrigen Gesprächen in Bagdad ebenfalls zweifelhaft geworden.
Meine Damen und Herren, die Freie Demokratische Partei unterstützt die Entscheidung des NATO-Rats und der Bundesregierung, Flugzeuge der Bundesluftwaffe in die Türkei zu verlegen. Dagegen vorgebrachte verfassungsrechtliche Einwände sind nicht stichhaltig. Wir haben sie auch nicht mehr gehört; das ist gut so.
Wer ein integriertes Verteidigungssystem will, der gibt dabei Entscheidungsbefugnisse an das Bündnis ab. Die Piloten der Alpha-Jets der Bundesluftwaffe haben auf dem gleichen türkischen Flughafen schon oft geübt. Die Flugzeuge, der Typ der Flugzeuge und ihr jetziger Standort außerhalb der Reichweite der türkischirakischen Grenze, machen den defensiven Charakter dieses Einsatzes ganz klar. Wir alle wünschen uns, daß es nicht zum Ernstfall durch einen Angriff des Irak auf die Türkei kommt. Ich halte ihn - soviel Mut habe ich - für unwahrscheinlich. Es wäre ein Angriff Sadam Husseins auf die NATO.
Wir sind beeindruckt - auch das sollte in dieser Stunde erwähnt werden - von dem Ernst, der Besonnenheit und dem Pflichtbewußtsein, mit dem die Soldaten des Jagdgeschwaders 43 ihrem Auftrag nachkommen, und wir danken ihnen dafür.
({4})
Die FDP begrüßt die wirtschaftliche, die finanzielle Unterstützung, die die Bundesregierung dem NATO-Partner USA zugesagt hat. Die USA tragen die Hauptlast bei der Durchsetzung der UN-Resolutionen. Die amerikanische Administration würdigt die Leistungen der Bundesrepublik, der Bundesregierung. Die in den letzten Tagen im US-Kongreß geäußerte scharfe Kritik ist ungerecht. Ich denke in diesem Zusammenhang besonders an die Rede von Senator Byrd.
Wir teilen die Friedenssehnsucht der Menschen in Deutschland und der Welt. Wir verstehen, daß für den Frieden demonstriert wird. Aber warum wird denn gegen die UNO, die USA und die Bundesregierung demonstriert? Der Aggressor sitzt in Bagdad.
({5})
Krieg gibt es doch längst, seit dem 2. August 1990, seit dem Einmarsch der Iraker in Kuwait.
({6})
„Blut für Öl" , das ist eine unzulässige Verkürzung. Es geht auch um Öl - obwohl die Weltwirtschaft mit dem heutigen Zustand fertig werden kann. Wer Ölquellen gewaltsam erobert, der will ja nicht die Produktion stillegen, sondern anschließend Öl verkaufen. Aber vor allem geht es doch um internationales Recht, um die Verletzung der Souveränität eines kleinen Landes durch seinen militärisch mächtigen Nachbarn. Und - auch das sei in diesem Parlament gesagt - es geht um Menschenrechte. Der Bericht von „amnesty international" über irakische Grausamkeiten in Kuwait ist ein Dokument des Entsetzens. Ich empfehle niemandem, ihn zu lesen.
({7})
Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Duve?
Wenn mir das auf meine Redezeit nicht angerechnet wird, Frau Präsidentin, gerne. Die Zeit wird mir ohnehin knapp; das ist ein Hinweis an meinen Parlamentarischen Geschäftsführer.
Das ist in Ordnung. - Bitte!
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es solche „amnesty" -Berichte bereits gab, als es in einer Art von Koalition gegen Khomeini eine sehr enge Zusammenarbeit des Westens mit dem Irak gegeben hat?
({0})
Herr Duve, ich möchte in meinem vorbereiteten Text fortfahren und Ihnen sagen - wie ich es vorhatte -, daß in diesem Zusammenhang sehr wohl gefragt werden muß: War der Charakter dieses Regimes unbekannt, als der Irak mit Waffen - 80 % aus der Sowjetunion, 20 % aus dem Westen - vollgepumpt wurde? Ist es richtig, daß sol34
ches auch jetzt noch geschieht? - Ihre Frage ist nur zu gerechtfertigt.
({0})
Meine Damen und Herren, das ist es doch: Haben wir alle in der westlichen Welt uns eigentlich gleichermaßen aufgeregt, als der Libanon entsprechend behandelt wurde? Wie haben wir es gehalten, als Irak gegen Iran stand, um die Fundamentalisten aufzuhalten? Es sind schlimme, es sind schwierige Fragen. Ich sagte ja: Mit intellektuellen Ausflüchten kommen wir niemals weg.
Die Freien Demokraten begrüßen es, daß der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister alles in ihren Kräften Stehende tun - das ist auch der Grund, warum Hans-Dietrich Genscher nicht hier sein kann - , um dem drohenden großen Krieg entgegenzuwirken, um doch noch eine friedliche Lösung zu erreichen. Versuchen - oder muß man heute schon sagen: versuchten - sie das Unmögliche? Alles kann möglich werden, wenn die furchtlose Vernunft, von der Dürrenmatt sprach, sich doch noch durchsetzt.
Meine Damen und Herren, mit großer Sorge sehen wir nach Wilna. Wir sehen dabei die zeitliche Koinzidenz, aber keinen sachlichen Zusammenhang zu den Ereignissen am Golf. Noch ist zuviel unklar. Präsident Gorbatschow hat der Gewalt vorgestern abend abgesagt. Wenig später wurden vierzehn Menschen in Wilna getötet. Wer hat den Befehl zum Schießen gegeben? War es der Armeekommandant?
Wir fürchten um vieles, was 1990 so hoffnungsvoll begann. Aber wir möchten unsere Landsleute warnen, von einem Tag zum anderen vom „Hosianna" zum „Kreuziget ihn! " überzugehen.
({1})
Das haben wir immer gekonnt. Deswegen, Herr Vogel, bin ich mit Ihnen der Meinung: keine voreilige Verurteilung.
Wir Liberalen sprechen allen Angehörigen der Opfer unsere Anteilnahme aus. Wir denken an unsere Freunde in den neu erwachten liberalen Parteien im Baltikum. Und erlauben Sie mir diese Bemerkung: Ich denke schon an einen Teil der Welt, dem ich mich persönlich besonders verbunden fühle und den deutsche Politik 1939 schmählich verschachert hat.
({2})
Hier holt uns die deutsche Geschichte ein.
Die Freien Demokraten appellieren an
Geben Sie den Menschen in Reval, in Riga und in Wilna das, was Sie in Dresden, Budapest, Prag und Warschau gegeben haben, Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit.
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Lassen Sie nicht zu, daß Glasnost und Perestroika zerstört werden!
Europa braucht die Sowjetunion, aber nicht die Sowjetunion der Schüsse von Wilna. Europa braucht die Sowjetunion des Friedensnobelpreisträgers und Staatsmannes Michail Gorbatschow.
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Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der PDS hat die Zuspitzung der innenpolitischen Auseinandersetzung in der UdSSR, insbesondere in Litauen, den Einsatz militärischer Gewalt und den Verlust von Menschenleben mit großer Sorge und tiefer Betroffenheit aufgenommen. Wir lehnen den Einsatz militärischer Mittel grundsätzlich ab.
({0})
Wir wissen, daß die gegenwärtige Entwicklung der UdSSR unerhört kompliziert verläuft und in jedem Falle weitestreichende Konsequenzen für die Perspektive von Sicherheit und Stabilität nicht nur in der Sowjetunion selbst, sondern in der ganzen Welt hat. Die weitere Verschärfung der politischen, sozialen und ökonomischen Probleme im Land, die sich auch in wachsendem Maße in nationalem Hader widerspiegeln, untergräbt die 1985 eingeleitete Politik der Umgestaltung, den Fortbestand der Union und gefährdet die Chance eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der europäischen Staaten und Völker.
Das Zusammenleben aller Völker der UdSSR, die freie Entwicklung und Selbstbestimmung der Menschen im Lande waren und sind Grundanliegen der Politik des Neuen Denkens. Das erfordert politische Weitsicht, Toleranz, sehr viel Geduld und Aufeinanderzugehen.
Wir erwarten von den Beteiligten, alles zu unternehmen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, die Lage in Litauen zu entspannen sowie die entstandenen Probleme mit friedlichen Mitteln zu lösen. Ein Ende der Perestroika wäre eine Katastrophe für alle. Die Erhaltung der Sowjetunion kann nur auf politisch-demokratischem Weg und nicht mit militärischen Mitteln gesichert werden.
Für uns bedeutet das aber auch, daß Deutschland nicht Lehrmeister wird und daß es eine Außenpolitik der guten Nachbarschaft gegenüber der UdSSR fortsetzt.
Die größte Gefahr für die Menschheit aber besteht gegenwärtig in der Golfregion. Der Irak hat den Kuwait besetzt, hat eine Aggression verübt. Dabei ist es unerheblich, ob uns die gesellschaftlichen Systeme im Kuwait oder im Irak gefallen. Ich lehne das feudale System im Kuwait ebenso ab wie die menschenverachtende Diktatur des Herrn Hussein im Irak. Beiden Völkern wünsche ich, daß sie ihr Selbstbestimmungsrecht verwirklichen und demokratische und soziale Gesellschaftsstrukturen aufbauen können.
Aber das alles kann nicht rechtfertigen, daß verschiedene Staaten, insbesondere die USA, jetzt einen Krieg gegen den Irak entfachen wollen. Und niemand soll so tun, als ob das international üblich war und ist. Als die USA z. B. Panama und Grenada besetzten, kam glücklicherweise kein Staat auf die Idee, die USA deshalb anzugreifen. Allerdings gab es nicht einmal Embargobeschlüsse oder ähnliches, was durchaus möglich und gerechtfertigt gewesen wäre.
Das Problem ist, daß die Einhaltung des Völkerrechts von bestimmten Großmächten nur dann durchgesetzt wird, wenn es eigenen Vorstellungen entspricht. Und das genau ist Willkür und nicht Recht.
Es gibt viele nicht erfüllte UN-Sicherheitsratsresolutionen, auch und gerade für den Nahen Osten. Seit Jahren wird zur Lösung der Gesamtprobleme im Nahen Osten einschließlich der Sicherheit Israels und des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser eine Friedenskonferenz von verschiedenen Seiten gefordert, ohne daß die Weltgemeinschaft auch nur ihr Zustandekommen erreicht hätte.
Ein Krieg der USA und anderer Staaten in der Golfregion wäre eine menschliche, ökologische und ökonomische Katastrophe; er birgt riesige Gefahren für alle Kontinente, auch den europäischen, in sich. „Kein Blut für Öl" , diese Losung bringt das Mißtrauen der Menschen zum Ausdruck, daß es einigen Mächtigen weniger um das Völkerrecht und mehr um ökonomische und politische Einflußsphären geht. Auch deshalb unsere Forderung: Kein Krieg am Golf. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Dieser Krieg wird, wenn er stattfindet, auch ein Krieg der Ersten gegen die Dritte Welt. Die reichen Länder nehmen sich das Recht heraus, die Dritte Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten, auch militärisch.
Was kann die Bundesrepublik Deutschland gegen den Krieg tun? Zunächst sollte durch die Annahme der von uns beantragten Entschließung klargestellt werden, daß es keine Beteiligung, keine Unterstützung durch Deutschland an einem bzw. für einen Krieg am Golf geben wird, weder militärisch noch finanziell noch materiell noch auf andere Weise.
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Es reicht, daß zumindest Lastwagen und anderes militärisches Gerät aus der früheren DDR und, was noch schlimmer ist, Giftgasfabriken aus der früheren BRD im Irak nun kriegerisch eingesetzt werden bzw. eingesetzt werden könnten. Es besagt viel, wenn der stellvertretende Regierungssprecher Dieter Vogel zu diesen Fabriken erklärt: Ich möchte Ihnen die Namen der Firmen schon deshalb nicht nennen, weil ich sie nicht kenne; aber ich glaube, auch wenn ich sie kennen würde - man könnte sich ja kundig machen -, würde ich sie nicht öffentlich nennen. - Da weiß man, wer wen schützt.
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Die deutschen Soldaten und deutsches Gerät sind unverzüglich aus diesem Raum zurückzuziehen, gerade auch aus der Türkei, die - nebenbei gesagt - die Gelegenheit nutzt, ihre Menschenrechtsverletzungen gegen den kurdischen Teil der Bevölkerung zu forcieren.
Was mich bei vielen Erklärungen und Zeitungsberichten entsetzt, ist die selbstverständliche Art, mit der plötzlich über Krieg, über Beginn des Krieges oder Notwendigkeit des Krieges so gesprochen oder geschrieben wird, als ob der Krieg doch die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
Und im Innern? Als erster Akt ein Strafverfahren gegen den GRÜNEN Eberhard Walde, d. h. gegen jemanden, der gegen den Krieg aufruft, nicht etwa gegen Kriegsbefürworter. Die Disziplinierung beginnt also sehr früh. Dabei ist doch klar, daß niemand gegen seinen Willen zur Beteiligung an einem solchen Krieg gezwungen und daß dieser Wille auch durch Flugblätter beeinflußt werden darf.
Deutschland würde schon einen großen Beitrag leisten, wenn es klipp und klar erklärte, sich nicht an einem Krieg zu beteiligen. Es wird für die US-Administration von Bedeutung sein, daß Deutschland ausscheidet.
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Führende deutsche Politiker könnten sich - ich würde mich, obwohl ich nicht zur genannten Gruppe gehöre, gerne daran beteiligen - als wirksames menschliches Schild gegen den Krieg ({4})
- ich bin nicht sicher, ob es Ihnen immer erspart bleibt; aber das ist eine andere Frage - nach Bagdad oder Jersualem begeben.
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Nach zwei Weltkriegen, die in unserem Jahrhundert von Deutschland ausgingen, und nach der Erlangung der Einheit Deutschlands ist außenpolitische Selbstbescheidung zumindest dergestalt geboten, daß eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg, ohne daß sie selbst angegriffen worden ist, ausgeschlossen wird,
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auch und gerade eine Beteiligung an diesem bevorstehenden Golfkrieg. Kein Krieg der Ersten gegen die Dritte Welt, keine Beteiligung deutscher Soldaten und deutschen Gerätes an einem solchen Krieg!
Lassen Sie uns nicht über den Krieg, sondern über den Frieden nachsinnen. Embargomaßnahmen werden irgendwann ihren Einfluß ausüben, um die Aggression des Irak gegen den Kuwait zu beenden. Aber der Beginn des Golfkrieges wäre eine Katastrophe für die ganze Menschheit: in humaner Hinsicht, in ökologischer und in ökonomischer Hinsicht. Niemand hat das Recht, eine solche Katastrophe zu beginnen oder heraufzubeschwören.
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Deshalb appelliere ich an Sie: Leisten wir alle gemeinsam unseren Beitrag, um diesen Krieg in letzter Minute zu verhindern, und versuchen wir nicht jetzt schon, Rechtfertigungen dafür zu finden, daß er stattfindet und daß und von wem er begonnen wurde.
Danke.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wollenberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem 29. November befindet sich die Welt im Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Wochenlang hatten sich Politiker und Kommentatoren bemüht, den Eindruck zu erwecken, als wäre dieser Krieg allein ein Problem der Wüstenregion, in der er geführt werden soll, und die europäische und nordamerikanische Bevölkerung könnte zuschauen, wie weit hinten in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen, wenn auch - im Unterschied zu Goethes Studenten - vielleicht mit Unbehagen.
Am Vorabend des Ablaufs des Ultimatums wird klar, daß die Politiker im Begriff sind, die Schwelle zu einem Krieg zu überschreiten, der bereits im Vorfeld deutliche Zeichen eines Dritten Weltkrieges trägt und der in seinen Auswirkungen mit tödlicher Sicherheit global sein wird.
Fast reaktionslos hat die Welt zugesehen, wie ein riesiges militärisches Potential im Nahen Osten zusammengezogen wurde. Mit 8 000 Panzern, die jetzt in der Wüste stationiert sind, könnte die größte Panzerschlacht aller Zeiten geführt werden. Aber vorher soll es einen Enthauptungsschlag aus der Luft geben, einen Blitzkrieg mit den neuen Wunderwaffen, kurz: Wir erleben die schaurige Wiedergeburt des Wunderglaubens an die Allmacht des Militärischen, die wir in Europa vor kurzem noch für so gut wie überwunden hielten.
Diese Mißgeburt soll nun helfen, eine Frage gar nicht erst zuzulassen, da sie auch in Bagdad gestellt wird: Gibt es den Nahost-Konflikt, gibt es besetzte Territorien in der Region erst, seitdem irakische Truppen in Kuwait einmarschiert sind? - Wenn die Besetzung Kuwaits unerträglich ist, dann ist auch die Besetzung von Teilen Syriens, des Libanons, der Westbank und Gazas unerträglich. Die Eroberung des Kleinstaates Kuwait unter fadenscheinigen Vorwänden macht die Eroberung des Kleinstaates Panama unter ähnlich fadenscheinigen Vorwänden nicht besser.
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Wenn die irakischen C-Waffen unerträglich sind, dann sind es die syrischen und die libyschen, die ägyptischen und die israelischen auch.
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Wenn die irakische Atomwaffenforschung unerträglich ist, dann sind es die israelischen Atombomben nicht minder, dann sind es auch die amerikanischen und die sowjetischen. Im politischen Urteil darf es nicht zweierlei Maß geben.
All das macht klar, daß es keinen Kriegsgrund gibt, kein Ziel, das mit diesem Krieg erreicht, kein Problem, das mit ihm gelöst werden könnte.
Diese Tatsache wird durch das Dilemma verdeckt, daß es im Irak einen Diktator gibt, der gestoppt werden muß. Es gibt einen eindeutigen Bruch des Völkerrechts, den man nicht dulden kann, und das in einer Region, in der das Völkerrecht seit Jahrzehnten mit Füßen getreten wird, und zwar von einer Macht, die jahrelang von allen Seiten gehätschelt und gerüstet wurde, die sieben Jahre lang einen blutigen, menschenverachtenden Krieg gegen das gefürchtete Khomeini-Regime geführt hat, eine Macht, die mit Hilfe deutscher Grundstoffe produzierte chemische Waffen, bereits im Krieg gegen den Iran, gegen die eigene Opposition und gegen die Kurden eingesetzt hat, ohne daß es nennenswerte Proteste internationaler Politiker gegeben hätte und ohne daß es zu einem Stopp der internationalen Rüstungslieferungen gekommen wäre.
Deshalb stehen wir heute vor der Situation, daß die Soldaten der multinationalen Truppen und auch die deutschen Soldaten auf dem türkischen Militärflughafen in Erhac mit Waffen aus deutscher Produktion bedroht werden. Der Irak verfügt über die Panzerabwehrsysteme HOT und MILAN und über das Flugzeugabwehrsystem Roland, Waffen, die auch von der Bundeswehr benutzt werden.
Wer Saddam Hussein heute zu Recht verurteilt - wir tun das mit allem Nachdruck - , muß gleichzeitig deutlich machen, daß dieser Diktator seine verhängnisvolle weltpolitische Rolle all jenen verdankt, die ihn offen oder verdeckt unterstützt haben: den USA, der Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, Deutschland - Ost und West - , Italien und etlichen anderen. Saddam Hussein ist das Produkt des kollektiven Versagens der Spitzenpolitiker aller an der Weltpolitik beteiligten Nationen.
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Der Zeitraum des Ultimatums wurde maximal für die Kriegsvorbereitung genutzt und nur minimal, um eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeizuführen. Selbst diese minimalen Bemühungen versagten auf ganzer Linie. Dieses Versagen war durch eine Politiksprache vorprogrammiert, die mit den militärischen Drohgebärden korrespondierte. Als ob er die Situation absichtlich festfahren wollte, damit der Krieg auch geführt werden kann, erhöhte Präsident Bush, als Saddam Hussein erste schwache Zeichen des Einlenkens erkennen ließ, seinen Pokereinsatz am Golf um 200 000 Soldaten, um der Weltöffentlichkeit dann eine Friedensgeste nach Bagdad zuzumuten, die da lautete: „Gib auf, du Ratte, oder ich zerquetsche dich! ". Dies ist die Sprache der Eskalation, nicht des Friedenswillens.
Und dann vollzog Bush in seinem Brief an Hussein eine haarsträubende Kehrtwendung: Es läge nunmehr allein in Husseins Händen, ob dieser Konflikt ohne Gewalt enden kann oder nur ein Vorspiel für weitere Gewalt wird. Einem Nahost-Hitler die Entscheidung über Krieg und Frieden zu überlassen - deutlicher kann eine Bankrotterklärung nicht sein.
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Aber während jeder ehrliche Bankrotteur seinen Bankrott anmeldet, sich aus dem Geschäft zurückzieht und Fähigeren das Feld überläßt, soll ein Schlachtfeld das Versagen verdecken - ein Schlachtfeld übrigens, meine Damen und Herren, das zur Hälfte von Kindern bewohnt wird. Pro Soldaten werden auf diesem Schlachtfeld mindestens sechs Kinder sterben. Das ist die Quintessenz der grausigen Logik von Politikern, die mit Hilfe eines Krieges ihr Gesicht wahren wollen.
Aber die irakischen und kuwaitischen Kinder werden nicht die einzigen Opfer sein. Der durch die Abschreckungspolitik in die Enge getriebene Diktator hat selbst die wirksamsten Abschreckungsmittel in der Hand: erstens Terroranschläge überall auf der Welt; zweitens Unterbindung der Ölzufuhr aus Nahost; drittens Existenzbedrohung für Israel; viertens globale ökologische Folgen eines Brandes der Ölfelder. Nimmt man diese Drohungen ernst - und wir haben allen Grund dazu - , werden Terroranschläge gegen Zentren der Industriestaaten zum Merkmal des drohenden Krieges gehören.
Vor zwei, drei Jahren begannen deutsche Wissenschaftler die Verwundbarkeit moderner Industriegesellschaften genauer zu untersuchen. Die nüchternen und zugleich erschreckenden Ergebnisse, u. a. Ende 1988 in Berlin und im Juni 1990 in Hamburg diskutiert, führen zu dem eindeutigen Schluß, daß eine moderne Gesellschaft weder zur Kriegführung noch zu einer sinnvollen militärischen Verteidigung ihres eigenen Territoriums in der Lage ist.
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Aber die Erkenntnis, daß die Industriegesellschaft mit ihrem hochempfindlichen Organismus gerade durch ihre innere Struktur kategorisch gezwungen ist, eine unter allen Umständen friedliche Politik zu machen, wird von den Politikern, den Militärs und der Rüstungsindustrie weiterhin ignoriert. Allein die Drohung, den Ölstrom aus dem Nahen Osten im Ernstfall absichtlich längerfristig zum Versiegen zu bringen, müßte jedem Politiker der vom Nahost-OL abhängigen Industriestaaten einen Schauer über den Rücken jagen.
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht darum, den Verlauf des zweiten Golfkrieges prognostizieren zu wollen. Es geht auch nicht darum, einschätzen zu wollen, wie Hussein wirklich reagieren wird, wenn er aufs äußerste bedrängt ist. Es geht darum, eine durch die Verminung der Ölfelder glaubhaft gemachte, auf die Spitze getriebene Abschreckung ernst zu nehmen. Man kann nicht davon ausgehen, daß Hunderte oder gar Tausende brennende Ölfelder innerhalb einiger Monate gelöscht werden können, selbst wenn die Kampfhandlungen wider Erwarten rasch beendet werden sollten. Bereits nach wenigen Monaten wären die Rauchmengen in der Atmosphäre denen gleich, die bei einem großen Atomkrieg entstehen könnten.
Es gibt kein Beispiel für eine solche Katastrophe in der überlieferten Geschichte; dies muß mit allem Ernst und Nachdruck gesagt werden. Niemand kann sicher sein, welches Ausmaß sie wirklich annehmen könnte. Es besteht das reale Risiko, daß die großen Biotope der Erde in ihrer heutigen Form nicht überleben könnten. Es besteht die Gefahr, daß außerhalb der Konfliktregion wesentlich mehr Menschen an den indirekten Folgen des Golfkrieges sterben als durch die Kampfhandlungen. Obwohl viele Wissenschaftler inzwischen entsprechende Studien vorgelegt haben, sind diese Erkenntnisse bisher politisch nicht wirksam geworden - ein weiteres Glied in der Kette des Versagens der Politiker.
Als wäre das alles nicht genug, besteht die reale Gefahr, daß im Golfkrieg Atomwaffen eingesetzt werden. Erst gestern hat Israel sein Recht, sich mit eigenen Mitteln gegen Hussein zu wehren, bekräftigt. Husseins Drohung, die Juden zu vergasen, ist ein psychologischer Schockangriff, der angesichts der realen Existenzbedrohung die in Israel ohnehin vorhandene Neigung zu einem Präventivschlag verstärkt hat. Die Erinnerung an den Holocaust des jüdischen Volkes in den Gaskammern des Dritten Reiches setzt die psychische Barriere, einen Atomschlag zu führen, drastisch herab.
Das bringt die anderen Atommächte in die prekäre Lage, die Entscheidung über einen möglichen eigenen Kernwaffeneinsatz nicht mehr in der Hand zu haben. Explodiert eine Atomwaffe über irakischem Territorium, so wird Hussein alle noch verbleibenden Optionen eines Gegenschlages einsetzen, da sie binnen weniger Minuten verlorengehen könnten. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß sich Israelis und Amerikaner beschießen, da es keinerlei Abstimmung zwischen ihnen gibt.
Was sich hier ankündigt, ist die schockierend einfache Fortschreibung jener militärischen Konzeption, die mit den demonstrativen Atomangriffen auf Hiroshima und Nagasaki das kapitulationsreife Japan zum Kotau zwang und die Welt mit einem brutalen Tritt ins Atomzeitalter beförderte.
Am Vorabend des Golfkrieges ist die herkömmliche Politik in einer tödlichen Sackgasse. Welche Chancen gibt es, das Unheil abzuwenden? Vor einem Jahr haben wir erlebt, wie scheinbar festgefügte Diktaturen innerhalb weniger Wochen wie Kartenhäuser zusammenbrachen, weil ihnen massenhaft die Akzeptanz entzogen wurde. Wir brauchen jetzt etwas ähnliches. Dem Golfkrieg muß massenhaft die Akzeptanz entzogen werden. Wir brauchen eine Bürgerbewegung gegen das Außen- und Sicherheitspolitikmonopol der Regierung.
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Wir dürfen den Politikern nicht länger die Entscheidung über Krieg und Frieden überlassen.
Was wir jetzt brauchen, ist die tägliche Montags-Demo für den Frieden in allen Orten. Die Erfahrungen des gewaltlosen Widerstandes in Osteuropa haben gezeigt, wie wirkungsvoll es ist, wenn er nur konsequent angewendet wird.
Meine Damen und Herren, auch dieses Parlament - so spät es auch zusammengetreten ist - kann noch etwas tun. Wer an diesem Krieg nicht mitschuldig werden will, den fordere ich auf, über die Parteischranken hinweg gemeinsam Wege aus dem Unheil zu suchen. Über die in unserem Entschließungsantrag
gemachten Vorschläge hinaus, bitte ich Sie dringend um Unterstützung unserer Initiativen. Willy Brandt hat bereits darauf hingewiesen, daß längst nicht alle friedlichen Mittel zur Konfliktbeilegung ausgeschöpft sind. Im Augenblick ist es das Wichtigste, zu verhindern, daß nach Ablauf des Ultimatums sofort die Waffen sprechen.
Um dies zu unterstützen, schlagen wir vor, daß der Deutsche Bundestag sofort eine Delegation von Mitgliedern aller Fraktionen in den Irak und nach Israel entsendet - als ein Signal, daß das erste frei gewählte deutsche Parlament nicht gewillt ist, sich dem Automatismus des Krieges zu beugen.
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Die Delegation sollte in allen beteiligten Staaten Gespräche führen mit dem Ziel einer Nahost-Friedenskonferenz unter Beteiligung der Palästinenser und der Kurden. Parallel dazu könnte der Bundestag Präsident Mitterrand und Außenminister Poos bitten, sofort in den Irak zu fahren und Verhandlungen aufzunehmen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, daß er Saddam Hussein aufgefordert hat, sich jetzt zum Rückzug zu entschließen. Der Bundestag sollte heute beschließen, diese Aufforderung mit einer Geste des unbedingten Friedenswillens des ersten frei gewählten deutschen Parlaments zu begleiten: dem sofortigen Rückzug der Bundeswehreinheiten aus der Türkei.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Minister der Verteidigung, Herr Dr. Stoltenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die dramatische Zuspitzung der Krise am Golf, die Anwendung militärischer Gewalt im Baltikum - bei allen Unterschieden in den Bewertungen kommen die gemeinsamen Sorgen, die wir haben, und auch - trotz aller Differenzierungen - manche gemeinsamen Ziele über die Grenzen der Parteien hinweg in der Debatte klar zum Ausdruck. Aber in der Tat: Es gibt auch Unterschiede in den Bewertungen und Folgerungen. Diese zu verdeutlichen und argumentativ zu begründen ist ja der Sinn einer solchen Debatte.
Es ist für uns alle - für alle Deutschen und fast alle Europäer - eine bittere Erfahrung, daß auch in der Sowjetunion Gorbatschows militärische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung eigener politischer Ziele möglich ist und angewandt wird. Dies ist eine bestürzende Überraschung, obwohl es schon in den letzten Monaten des vergangenen Jahres aus der Führungsgruppe Äußerungen gab, die darauf hinwiesen. Ich bin nicht der einzige, der in den letzten Tagen an die dramatische Rücktrittserklärung Eduard Schewardnadses vom 20. Dezember und das, was er zu ihrer Begründung angeführt hat, gedacht hat.
Von uns allen weniger beachtet wurde - wir müssen uns selbstkritisch fragen, was wir versäumt haben - der Aufbau einer gewaltigen militärischen Macht, eines gewaltigen Zerstörungspotentials über zehn Jahre hinweg im Irak Saddam Husseins.
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Es ist wahr, daß manche im Westen und auch bei uns in der Zeit der Drohungen des Ajatollah Khomeiny zu sehr geneigt waren, dies bloß unter dem Vorzeichen eines Gegengewichts zu sehen. Aber die gewaltsame militärische Besetzung und Annexion Kuwaits war und ist eine unmittelbare Gefährdung auch anderer Staaten dieser Region: der Vereinigten Emirate, Bahrains und Saudi Arabiens. Deswegen ist mir manche Kritik an der Entscheidung der USA und anderer, auch der Briten und Franzosen, zur Eindämmung und zur Risikominderung ihre Truppen an den Golf zu senden, zu einfach und zu wenig glaubwürdig. Diese Politik der Eindämmung war nicht nur militärisch, sondern auch politisch geboten und nach meiner Ansicht unvermeidbar. Ohne diese Entscheidung wären die Resolutionen der Vereinten Nationen und die intensiven diplomatischen Aktivitäten wohl von Anfang an aussichtslos gewesen.
Wir reden unter dem drängenden Druck der Probleme und Sorgen dieser Tage. Aber wahr ist auch, daß seit Anfang August, seit über fünf Monaten, vor allem innerhalb der Vereinten Nationen nachhaltige Anstrengungen unternommen worden sind, um den Irak zum Einlenken zu bewegen. Wahr ist, daß sie bis zum heutigen Tag keinen Ansatz eröffnen.
Ich möchte denen, die in diesen Tagen besonders massiv Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika üben, empfehlen, sich einmal die Debatten im amerikanischen Parlament, vor allem diejenigen vom vergangenen Wochenende, sorgfältig anzuschauen.
({1})
Dort ist über die Frage, ob es eine sinnvolle Alternative ist, noch über viele Monate hinweg den Kurs des Embargos mit allen gewaltigen Problemen und Risiken fortzusetzen, die dies mit sich bringt, abgestimmt worden. Eine Minderheit hat sich aus ehrbaren Motiven dafür ausgesprochen. Aber wir sollten der Mehrheit unserer amerikanischen Kollegen, der Senatoren und der Mitglieder des Repräsentantenhauses, die als Ultima ratio in der Auslegung der Beschlüsse der Vereinten Nationen den anderen Weg für möglich halten, nicht leichtfertig und billig Verantwortungsbewußtsein und Ethos absprechen, wie das zum Teil leider geschieht.
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Wir haben diese Entscheidung in Deutschland nicht zu vollziehen. Wir haben mitzudenken und mitzuraten und im Rahmen bescheidener Möglichkeiten mitzuwirken. Wir sollten ja auch alles tun, was die verbleibenden Tage erlauben.
Aber wahr ist - ich will das hier unterstreichen -, Deutschland beteiligt sich nicht an der militärischen Stationierung im Golf. Die besondere verfassungsrechtliche Situation und Interpretation ist der entscheidende Grund dafür, Wir müßten das allerdings erklären, nicht nur den Amerikanern, Briten und Franzosen, sondern auch den Dänen, Griechen und Portugiesen, die im Herbst Kriegsschiffe an den Golf
geschickt haben. Wir müssen das unseren Nachbarn in Polen und in der Tschechoslowakei erklären, deren erste demokratische Regierungen in den letzten Wochen kleine militärische Spezialeinheiten, im wesentlichen zur Vorsorge gegen ABC-Waffen, an den Golf geschickt haben. Niemand wird behaupten, daß ein Mann wie Präsident Vaclav Havel eine solche Entscheidung getroffen hat, weil es ihm mit dem Frieden nicht Ernst sei.
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Dieser Mann versteht auf Grund des eigenen Lebensweges sowie der moralischen und politischen Leistung über Jahrzehnte mehr vom Frieden, aber auch vom Zusammenhang von Frieden und Recht als viele, die heute wohlfeil auf die Amerikaner einschlagen.
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Meine Damen und Herren, wir werden uns nicht an militärischen Maßnahmen, Aktionen und Stationierungen im Golf beteiligen. Ich sage es noch einmal, weil es mich bestürzt - ich spreche nicht von dieser Debatte, aber von vielem, was wir in diesen Tagen erleben - , mit welcher Hemmungslosigkeit bestimmte politische Gruppierungen Ängste bei Menschen erzeugen oder ausnutzen.
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Da werden, Herr Kollege Ehmke, gefälschte Einberufungsbescheide verteilt. Ich spreche hier niemand in diesem Hause an. Da werden Plakate unter Verfälschung des Emblems der Bundeswehr gedruckt und aufgehängt, daß Bundeswehrsoldaten angeblich an den Golf sollen. Da werden Ängste erzeugt. Da gibt es jene Aufforderung zur Desertion. Herr Kollege Gysi, die Staatsanwaltschaft als unabhängige Instanz hat doch das Verfahren gegen den von Ihnen genannten früheren Geschäftsführer der GRÜNEN nicht deshalb eingeleitet, weil er gegen den Krieg am Golf ist, sondern weil er mit Verleumdungen und Unwahrheiten zur Desertion aufruft. Verfälschen Sie doch die Sachverhalte nicht,
({6})
um die es in diesem Verfahren und in der innenpolitischen Auseinandersetzung geht!
Wir haben - der Bundeskanzler hat es begründet, die Kollegen Bötsch und Graf Lambsdorff haben dazu Stellung genommen - die Alpha-Jets im Rahmen der Allied Mobile Force und mit ihnen 250 Luftwaffensoldaten in die Türkei nach sorgfältiger Prüfung und Beratung innerhalb der Bundesregierung und auch im Bündnis entsandt, nachdem dies beantragt worden war.
Hier, Herr Kollege Brandt, verstehe ich Ihre Kritik nicht. Sie haben das als eine untaugliche Maßnahme beschrieben und eigentlich nur gesagt, es sei in der Türkei umstritten.
Das kann nicht ausreichen. Ich möchte Sie doch einmal daran erinnern - ich habe es jetzt auch in den Unterlagen nachgelesen - , daß im Herbst 1969 die Bundesregierung, der wir beide angehört haben - Sie als Außenminister -, ausdrücklich ihre Zustimmung zu den im Bündnis vereinbarten Regeln für die Allied Mobile Force gegeben hat.
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- Ich will das nur sagen. Wir stehen in der Kontinuität jener Entscheidung und jener Grundsätze, Herr Ehmke. Ich will hier nicht die einzelnen Stationen darstellen, wie sie dann in der Zeit auch der Regierung Helmut Schmidts fortgeschrieben und präzisiert worden sind. Es gilt das, was damals im Grundsatz vereinbart wurde.
Man kann es in der kürzesten Form so zusammenfassen: Wir haben uns konkret zur Solidarität im Bündnis bekannt. Solidarität kann keine Einbahnstraße sein.
Ich erinnere mich - und einige von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, tun dies genausogut -, wie wir 1961 beim Bau der Mauer und bei dem gewaltigen Schock, der Deutschland erschütterte, darauf vertraut haben, daß unsere Verbündeten bei uns die Sicherheit Westdeutschlands und Berlins militärisch gewährleisteten. Ich erinnere mich an Debatten in diesem Hohen Hause, dem ich auch damals angehörte, 1968 bei der Invasion in die Tschechoslowakei - und ich könnte einige noch auf ihre damaligen Beiträge hier ansprechen - , und daran wie entscheidend es für uns war zu wissen: Wenn dies eskaliert, dann haben wir Verbündete auf deutschem Boden, und solche, die uns helfen werden. Das haben wir als Grund genommen zu sagen: Wir können den Frieden behaupten.
Aber wenn wir uns in den Jahren und Jahrzehnten der Konfrontation in Zentraleuropa, von der wir trotz des schlimmen Rückschlags in der Sowjetunion hoffen, daß sie in der alten Form vorbei ist, auf das Bündnis verlassen haben, dann müssen auch andere sich auf unsere Solidarität im Bündnis verlassen können.
({8})
Denn wenn das nicht mehr der Fall ist, dann ist das Bündnis in der Tat allenfalls noch ein Diskussionsforum
({9})
und nicht mehr eine glaubwürdige Institution für Sicherheit und, wenn nötig, auch für Verteidigungsfähigkeit.
Die AMF-Verbände - das war doch der Grund, sie zu entsenden; wir haben es nicht allein getan, sondern einstimmig wurde es so beschlossen - sind ein deutliches Zeichen für die Glaubwürdigkeit des Bündnisses. Diese Entscheidung macht den Krieg jedenfalls hinsichtlich der Einbeziehung der Türkei unwahrscheinlicher. Sie macht die Hemmschwelle für mögliche Angreifer größer.
Insofern leisten auch hier die Soldaten der Bundeswehr, denen Graf Lambsdorff in eindrucksvoller Weise gedankt hat, einen Beitrag für die Stabilität und die Friedenssicherung nach besten Kräften. Das sollte allgemein Anerkennung in diesem Hause finden.
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Ich möchte abschließend sagen: Auch nach der schweren Erschütterung - ich denke dabei an die Sowjetunion und anderes, was dazukommt, aber heute nicht zu diskutieren ist, etwa jene sehr problematischen militärischen und politischen Entscheidungen in Verbindung mit dem soeben unterzeichneten Abrüstungsvertrag - , die einen harten Rückschlag darstellt, wollen wir alles tun, um die positiven Veränderungen in den vergangenen beiden Jahren zu behaupten, zu sichern und auszubauen. Aber wir haben doch lernen müssen, daß die großen Errungenschaften von 1989 und 1990 nicht den Weg in eine völlig konfliktfreie und harmonische Welt von morgen eröffnen. Frieden, Freiheit und die Verwirklichung und Durchsetzung des Rechts miteinander zu verbinden bleibt auch in Europa die zentrale Aufgabe. Dafür brauchen wir weiterhin auch eine Bundeswehr, die in Erfüllung ihres Auftrages vom ganzen deutschen Volk getragen wird.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Seifert, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ungefähr 12 % der Weltbevölkerung sind in der einen oder anderen Weise behindert. Es gibt Blinde, Gehörlose, Menschen mit Amputationen, gelähmte, geistig Behinderte, chronisch kranke oder psychisch kranke Menschen.
Kriege, meine Damen und Herren, produzieren massenhaft neue Menschen mit Behinderungen - jeder Krieg, ob in Litauen oder in Kuwait - , und das schon durch die unmittelbaren Kriegseinwirkungen. Welch Schaden droht uns aber erst durch die Umweltkatastrophe, die durch einen drohenden Krieg dort verursacht wird? Ich frage Sie: Wer soll denn die vielen verkrüppelten Menschen dann noch pflegen? Die Menschen werden an Leib und Seele und in ihrer Moral verkrüppelt. Ihr Glaube an die friedliche Konfliktlösung wird verkrüppelt.
Ich bitte Sie daher, unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht zu werden und von diesem deutschen Parlament aus ein Zeichen zu setzen, daß wir gegen einen Kriegsautomatismus eintreten. In diesem Sinne unterstütze ich ausdrücklich den Antrag von Vera Wollenberger, eine Delegation zu entsenden.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Ich bitte Sie dringend, unserer Verantwortung gerecht zu werden, der massenhaften Produktion neuer Menschen mit Behinderungen Einhalt zu gebieten, egal wo sie durch kriegerische Handlungen vorgenommen werden soll.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat nun Frau Abgeordnete Köppe, Bündnis 90/GRÜNE. - Offenbar wird das Wort nicht gewünscht.
Damit sind wir am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung über die uns vorliegenden vier Entschließungsanträge.
Die Fraktion der SPD hat für ihren Antrag auf Drucksache 12/32 namentliche Abstimmung beantragt. Ich würde den Vorschlag machen, daß wir diese namentliche Abstimmung zu Anfang durchführen, damit während der Auszählung weiterberaten werden kann.
Es gibt einen weiteren Antrag auf namentliche Abstimmung, den Abgeordnete der PDS gestellt haben. Ich muß hier darauf hinweisen, daß wir nach unserer Geschäftsordnung dafür entweder einen Fraktionsantrag oder aber die Unterstützung von 34 Abgeordneten brauchen. Diese Voraussetzung ist heute in dieser Sitzung nicht erfüllt. Sie alle wissen, daß sich der Altestenrat am Donnerstag mit der Frage des Fraktionsstatus beschäftigen will. Ich kann deswegen diesen Antrag auf namentliche Abstimmung der Abgeordneten der PDS nicht zulassen.
Ich bitte, daß wir zuerst über den Antrag der SPD abstimmen.
Ich sehe, daß jetzt eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vorliegt. Bitte!
Herr Präsident, der Vollständigkeit halber: Wir haben einen Antrag auf namentliche Abstimmung zu den Punkten 4 und 5 unseres Entschließungsantrages auf Drucksache 12/29 gestellt. Ich würde Sie bitten, feststellen zu lassen, ob es 34 Abgeordnete gibt, die dieses Anliegen unterstützen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie kennen die Regeln dieses Hauses. Wir brauchen 34 Unterschriften. Wir können das nicht qua Abstimmung erledigen. Im übrigen war dem Präsidium nicht bekannt, daß ein solcher Wunsch bei Ihnen vorlag.
Bitte, Herr Abgeordneter Gysi zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident, ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Frage unseres Status nicht geklärt ist. Ich bin der Meinung: Solange sie nicht geklärt ist, ist im Zweifel vom Fraktionsstatus auszugehen. Dann wird man unseren Antrag zulassen.
({0})
Herr Abgeordneter Gysi, ich verstehe Ihren Standpunkt. Aber ich glaube, die Mehrheit des Hauses ist hier einheitlich anderer Meinung.
Nun bitte zur Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer zu den Urnen. Die namentliche Abstimmung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß Abstimmungen über drei weitere Entschließungsanträge folgen.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das die Stimme nicht abgegeben hat? ({0})
Vizepräsident Becker
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte die Abstimmung schließen. - Ich höre keinen Widerspruch. Die Abstimmung ist geschlossen.*)
Darf ich noch einmal alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses aufmerksam machen: Wir kommen jetzt noch zu drei Abstimmungen über Entschließungsanträge zur Golfregion. Wir kommen anschließend zu einer Abstimmung über den Entschließungsantrag zu Litauen. Deswegen bitte ich Sie, inzwischen wieder Platz zu nehmen und zunächst einmal einer Wortmeldung unserer Frau Kollegin Wieczorek-Zeul zuzuhören, die eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben will.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 90er Jahre haben mit einem Fanal für Freiheit und Selbstbestimmung begonnen. Es darf nicht untergehen unter den Schüssen sowjetischer Panzer in Litauen, aber es darf auch nicht untergehen unter dem Diktat des ökonomischen Gesetzes, nach dem der Preis des Menschenlebens fällt, wenn der Preis des Öls steigt.
({0})
Am Wochenende und heute vor dem Deutschen Bundestag, vor der US-Botschaft und der irakischen Botschaft und in allen Städten Deutschlands haben Tausende von Menschen in Kundgebungen für den Frieden und gegen den Krieg am Golf demonstriert. Sie wollten damit allen politisch Verantwortlichen und auch der Bundesregierung signalisieren: Krieg darf kein Mittel der Politik sein.
({1})
Sie hoffen auf uns, auf die Mitglieder des Deutschen Bundestages, daß wir dazu beitragen, den schrecklichen Automatismus hin zum Krieg, der sich mit dem 15. Januar verbindet, zu durchbrechen.
({2})
Wir Deutschen wissen, was zwei Weltkriege an menschlichem Leid und schrecklichen Opfern bedeutet haben. In unserem Volk gibt es deshalb ein tiefes Verantwortungsgefühl für friedliche, nicht-militärische Lösungen. In unserem Volk gibt es deshalb eine tief verankerte Skepsis und Vorsicht bei allem militärischen Säbelgerassel und der Verharmlosung von Kriegsgefahr. Die Menschen wollten - ich will das mit meiner Erklärung zur Abstimmung hier deutlich machen - der Bundesregierung durch ihre Kundgebung deutlich machen, daß sie nicht willens sind, eine Politik hinzunehmen, die Deutschland in einen Krieg schlittern läßt.
({3})
Die Menschen finden es zu Recht skandalös, daß diese
Bundesregierung es toleriert hat, daß deutsche Firmen den Irak erst mit den Waffen ausgestattet haben,
*) Ergebnis Seite 42C
die es Saddam Hussein jetzt möglich machen, das Pulverfaß im Nahen Osten zu zünden.
({4})
und daß es deutschen Firmen offensichtlich nach wie vor möglich ist, auch jetzt noch die Wirtschaftsblokkade zu durchbrechen. Die Menschen wollen nicht, daß 46 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten wieder in einen Krieg ziehen. Im übrigen würde es dem vereinten Deutschland ein Vierteljahr nach seinem Entstehen wahrlich besser anstehen,
({5})
wenn seine Regierung, statt militärische Kräfte zu mobilisieren, alle Kräfte politischer Diplomatie und friedlicher Konfliktlösung mobilisierte,
({6})
Mittel, die noch lange nicht ausgeschöpft sind. Der Irak hat gerade einmal die Hälfte der Wirtschaftskraft Belgiens. Es gibt erstmals ein Embargo, an dem sich alle beteiligen. Deshalb ist die Chance gegeben, daß der Rechtsbrecher Saddam Hussein mit den Mitteln des Embargos zum Abzug aus Kuwait gezwungen werden kann. Deshalb ist die Chance vorhanden. _ Deshalb ist das Setzen auf militärische „Lösungen" ein Irrweg, der schreckliche Auswirkungen für uns alle haben kann.
({7})
Statt konsequent auf die Wirkung des Embargos zu setzen, wurden aus meiner Sicht, die von vielen meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen geteilt wird, seit dem 2. August 1990 zwei schwerwiegende Fehler gemacht. Der erste Fehler war ein überdimensionierter Truppenaufmarsch, weit mehr als zur Kontrolle des Embargos nötig, mit der Folge einer militärischen Eigendynamik zu einem Krieg. Der zweite Fehler war, daß der UNO-Sicherheitsrat am 29. November der amerikanischen Regierung und anderen Regierungen die Möglichkeit und die Legitimation zur Kriegseröffnung nach Ablauf des Ultimatums gegeben und damit einer weiteren Militarisierung des Konflikts den Weg geebnet hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im vergangenen Jahr ist uns allen klar geworden, daß wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen. Zu Beginn dieses Jahres entscheidet sich, was für ein Zeitalter es wird. Ich wünsche mir, daß der Geist von Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung, der die Bürgerrechtsbewegungen in Mittel- und Osteuropa getragen hat und trägt, stärker ist, und zwar nicht nur stärker als die Regime der alten Männer in Osteuropa, sondern auch stärker als alle Kräfte der Gewalt.
Der Sieg in einem Krieg ist unter den Bedingungen der Massenvernichtungswaffen nicht möglich - das wissen wir - , aber der Sieg einer Idee über die Gewalt ist möglich. Das haben die vergangenen Jahre gezeigt, und das macht uns trotz allem Hoffnung für die Zukunft.
Frau Wieczorek-Zeul Ich danke Ihnen.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir streng nach unserer Geschäftsordnung vorgehen, war dies, glaube ich, kein Beitrag zu § 31 der Geschäftsordnung.
({0})
Daß es trotzdem ein bedenkenswerter Diskussionsbeitrag war, das ist sicherlich nicht umstritten.
({1})
Wir kommen nunmehr zu der Abstimmung über die weiteren vorliegenden Anträge, zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 12/33. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einer Stimmenthaltung sowie Gegenstimmen der Sozialdemokraten, der PDS und des Bündnisses 90/GRÜNE ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Entschließungsantrag der Abgeordneten der PDS auf Drucksache 12/28. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einer Reihe von Enthaltungen aus den Reihen der SPD und des Bündnisses 90 sowie bei Zustimmung von Abgeordneten der PDS und des Bündnisses 90 ist dieser Antrag mit der großen Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Antrag der Abgeordneten des Bündnisses 90/GRÜNE auf Drucksache 12/29. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt gegen diesen Antrag? - Wer enthält sich der Stimme? - Wir haben jetzt folgende Situation: Für den Antrag haben gestimmt: Abgeordnete der PDS, Bündnis 90/GRÜNE und einige SPD-Abgeordnete. Gegen diesen Antrag haben gestimmt Abgeordnete der SPD, die CDU/ CSU-Fraktion und die FDP-Fraktion. Enthalten haben sich einige Abgeordnete des Bündnisses 90 und der SPD.
({2})
- So habe ich es hier gesehen.
({3})
- Keine Enthaltungen beim Bündnis 90, wohl aber aus der SPD; das war eindeutig.
({4}) Damit sind diese drei Anträge erledigt.
Ich bekomme nun das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung. Dann können wir auch über den letzten hier vorliegenden Antrag abstimmen. Die namentliche Abstimmung hat ergeben: 596 Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Alle Stimmen waren gültig. Mit Ja haben gestimmt 228; mit Nein haben gestimmt 355; enthalten haben sich 13 Kolleginnen und Kollegen des Hauses. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.*)
({5})
Wir kommen nun zur letzten Abstimmung, und zwar zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP sowie der Abgeordneten des Bündnisses 90/GrÜNE zu den Ereignissen in Litauen, Drucksache 12/34. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einigen Stimmenthaltungen und Gegenstimmen von Abgeordneten der PDS ist dieser Antrag mit der überwältigenden Mehrheit des Hauses angenommen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Schluß dieser Tagesordnung. Ich möchte aber noch ein einziges Wort sagen und eine Hoffnung ausdrücken. Möge diese Diskussion im Deutschen Bundestag mit dazu beitragen, daß uns der Friede erhalten und die Welt vor einer unabsehbaren Katastrophe bewahrt bleibt!
({7})
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 17. Januar 1991, 10 Uhr ein. Es ist vorgesehen, daß nach der Wahl des Bundeskanzlers am Donnerstag vormittag nachmittags um 14 Uhr die Eidesleistung des Bundeskanzlers erfolgt.
Die Sitzung ist geschlossen.