Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich nachträglich Herrn Dr. Joachim Grünewald ganz herzlich zum 60. Geburtstag gratulieren, den er am 21. November feierte.
({0})
Wir danken ihm für seine Arbeit und wünschen ihm alles Gute.
Ich möchte ferner Dr. Norbert Herr neu im Parlament begrüßen, der für den verstorbenen Kollegen Richard Bayha in den Bundestag nachgerückt ist. Ich begrüße ihn herzlich und wünsche uns gute Zusammenarbeit.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994
({1})
- Drucksachen 12/5500, 12/5870 Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({2})
Wir kommen zu den Einzelplänen. Zunächst stimmen wir über drei Einzelpläne ab, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksachen 12/6001, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Rudi Walther ({3}) Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 01 bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 12/6002, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({4}) Dr. Wolfgang Weng ({5}) Helmut Esters
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 02 bei einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 12/6003, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Ernst Kastning
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Einzelplan 03 angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 12/6008, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Nils Diederich ({6}) Hans-Werner Müller ({7})
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 12/6025 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Neuling Dr. Wolfgang Weng ({8}) Helmut Wieczorek ({9})
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung - Drucksache 12/6029 Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Arnulf Kriedner
Dr. Gero Pfennig
Hans-Werner Müller ({10}) Dr. Wolfgang Weng ({11}) Helmut Wieczorek ({12}) Manfred Hampel
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksachen 12/6020, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps Roland Sauer ({13}) Ina Albowitz
Zum Einzelplan 32 liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Konrad Weiß ({14}) vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Sommer wichtige finanz- und haushaltspolitische Richtungsentscheidungen getroffen:
({0})
Wir haben ein umfassendes Sparpaket geschnürt, das den Bund 1994 um mehr als 20 Milliarden DM, die öffentlichen Haushalte insgesamt um 25 Milliarden DM entlastet. Wir haben die Initiative zur umfassenden Mißbrauchsbekämpfung vor allem im steuerlichen Bereich ergriffen.
({1})
Zugleich setzen wir wirksame Wachstumssignale durch das Standortsicherungsgesetz, das Vorziehen öffentlicher Investitionen und die planungs- und verfahrensrechtliche Beschleunigung von Verkehrs- und von Bauinvestitionen.
Seit der Vorlage des Regierungsentwurfs im Sommer haben sich erhebliche Zusatzbelastungen durch die Anpassung der gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen ergeben. Trotzdem werden wir die bisher vorgesehene Defizitgrenze von 70 Milliarden DM einhalten. Auch bei den Ausgaben bleiben wir, nach Bereinigung durch den Sonderposten Bahnreform, mit einem Anstieg von 2,9 % unter der im Finanzplanungsrat vereinbarten Wachstumsrate von 3 %.
Hinter der Einhaltung der Eckwerte steht ein erheblicher zusätzlicher Konsolidierungsbeitrag des Haushaltsausschusses. Im Rahmen der Ausgabenerhöhung um 1,6 Milliarden DM gegenüber dem Regierungsentwurf wurden Mehranforderungen von 10 Milliarden DM aufgefangen, davon allein 8 Milliarden DM für den Arbeitsmarkt. Noch in diesem Jahr werden wir die näheren Einzelheiten über die Einsparungen bei den Verwaltungsausgaben und -zuschüssen festlegen, um die vom Haushaltsausschuß vorgesehene globale Minderausgabe von 5 Milliarden DM konkret auszufüllen.
Man wirft uns vor, wir würden die Investitionen in die Einheit vor allem durch höhere Schulden und zusätzliche Steuern finanzieren.
({2})
- Haben Sie bisher einen Beitrag dazu geleistet, daß wir geringere Steuern und Abgaben hatten? Haben Sie bisher einen Beitrag durch zusätzliche Ausgabenkürzungen geleistet, um weniger Schulden zu machen? Mir jedenfalls ist davon nichts in Erinnerung.
({3})
Tatsächlich haben wir eine ausgewogene Policy-Mix, eine fast gleichmäßige Inanspruchnahme der Finanzierungsquellen erreicht. Seit der Wiedervereinigung wurden im Bundeshaushalt, einschließlich der jüngsten Sparmaßnahmen, rund 70 Milliarden DM bei den Ausgaben gekürzt. Bezogen auf ein Haushaltsvolumen des Bundes von rund 480 Milliarden DM sind das 15 % aller Ausgaben. Wenn man innerhalb von drei Jahren 15 % aller Ausgaben kürzt, um damit die Jahrhundertaufgabe Wiedervereinigung mitzufinanzieren, ist das eine große haushaltspolitische Leistung.
({4})
Diese Ausgabenkürzungen waren fast genauso umfassend wie die im Zusammenhang mit der Einheit zusätzlich erhobenen Steuern und Abgaben. Bereinigt man im Bundeshaushalt die aktuellen Konjunktureffekte, so beläuft sich die einigungsbedingte zusätzliche Kreditaufnahme auf rund 20 Milliarden DM. Selbst wenn man die Kreditaufnahme der Treuhandanstalt zusätzlich berücksichtigt, bleibt der Kreditfinanzierungsanteil noch unter den anderen Finanzierungskomponenten.
Unbestritten gibt es bei uns über den konjunkturellen Ausschlag hinaus ein strukturelles Defizit in den öffentlichen Haushalten in einer Größenordnung von rund 3 % des Bruttoinlandproduktes. Aber wer dieses Defizit mit den Daten der Jahre 1981/82 oder mit den aktuellen Defiziten anderer Industrieländer vergleicht, darf doch nicht unterschlagen, daß Deutschland drei Jahre nach Vollendung der Einheit vor ganz anderen Aufgaben steht.
({5})
Oder, anders gewendet: Ohne die Wiedervereinigung hätten wir heute mit Sicherheit eines der niedrigsten Staatsdefizite aller westlichen Länder. In jedem Falle wäre die Deckungslücke weit geringer als 1975 oder 1981/82.
Entscheidend ist die wachstums- und beschäftigungspolitische Effizienz unserer finanzpolitischen Beschlüsse. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung oder Wirtschaftsexperten der SPD, z. B. Herr Kollege Uwe Jens, halten Sparen in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche für den größten Sündenfall und sprechen von Brüningscher Deflationspolitik. Andere, auch die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Kollegin Matthäus-Maier, halten das größte
Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland für unzureichend,
({6})
prophezeien den unmittelbaren Absturz in den Schuldenstaat und fordern noch drastischere Einschnitte. So feiern in den Reihen der SPD Keynes und Brüning gleichermaßen Urständ.
({7})
Die daraus hervorgehenden wirtschaftspolitischen Folgerungen, z. B. ein noch weitergehendes Aufstokken bei der Steuerlast, wie es Ministerpräsident Scharping letzte Woche auf dem Parteitag gefordert hat, wollen wir auf gar keinen Fall. Wir werden demgegenüber Kurs halten. Ein Ausbremsen der Konjunktur findet nicht statt. Mit Defiziten im Bundeshaushalt von jeweils rund 70 Milliarden DM in den Jahren 1993 und 1994 verstetigen wir die gesamtwirtschaftliche Nachfrage im beginnenden Wiederaufschwungsprozeß.
({8})
Auf der anderen Seite können wir die konjunktur und arbeitsmarktbedingten Zusatzlasten nicht unvermindert auf die öffentlichen Haushalte durchschlagen lassen.
({9})
Denn sonst gefährden wir den Zinssenkungsprozeß, unterbrechen die Preisstabilisierung und schaden so dem Wiederaufschwung.
Mancher glaubt immer noch, durch zusätzliche Staatsnachfrage, noch höhere Steuern und möglichst hohe Lohnabschlüsse ließen sich Wachstum und Beschäftigung sichern. Aber wie soll man Wachstum und Beschäftigung schaffen, wenn man verteilt, statt zu produzieren?
Georg Kronawitter hat diese Woche tief in die Kiste der Volksverdummung gegriffen und versucht, die Zusammenhänge der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik am Beispiel der Fürstin von Thurn und Taxis zu exemplifizieren: 600 Milliarden DM bei den Reichen einsammeln, und schon sind die Probleme der deutschen Einheit, der Arbeitslosigkeit und des sozialen Ausgleichs gelöst.
Er vergißt dabei nur zweierlei: Erstens. Vermögensbesitzer sind nur zu einem geringen Teil die Großgrundbesitzer. Zweitens. Die Vermögen liegen nicht faul und untätig auf Konten herum, sondern sind der Gegenposten zu Milliardeninvestionen in unserer Wirtschaft, und diese wiederum sind die Voraussetzung für Arbeitsplätze und Einkommen, meine Damen und Herren.
({10})
Es ist wirklich die billigste Polemik und die dümmste
dazu, die hier der Exoberbürgermeister von München
in seiner sattsam bekannten politisch-demagogischen Art unter die Menschen zu bringen versucht hat.
({11})
- Ich wußte gar nicht, daß Sie sich über Herrn Kronawitter so ärgern!
({12})
- Nein; ich habe nur das Notwendige gesagt. Nehmen Sie doch Stellung dazu! Sie müssen doch einmal sagen, ob der überhaupt noch zu Ihnen paßt oder nicht!
({13})
Solidaritätszuschlag, höhere Vermögensteuer, milliardenfacher Abbau von Steuervergünstigungen, Kürzungen von Kindergeld und steuerlicher Wohnungsbauförderung für Besserverdienende - all das trifft diejenigen, die auf Grund der Steuerprogression ohnehin schon überproportional zur Finanzierung der Staatsaufgaben beitragen.
({14})
85 % der Investitionen in die Einheit werden von den Leistungsträgern unserer Gesellschaft aufgebracht, 15 % von den Empfängern staatlicher Transfers.
({15})
- Ich nehme an, unter den 85 % sind auch ein paar von Ihnen. Das ist ja nicht völlig auszuschließen.
({16})
Ich kann mich daran erinnern, irgend jemand, der sich in Ihren Reihen aufhält, hat einmal gesagt: Mehr als 5 000 DM zu verdienen sei unmoralisch. Ich möchte wissen, ob die Dame zwischenzeitlich, seitdem sie es erreicht hat, konsequent abliefert, an wen auch immer. Mir jedenfalls ist nichts bekannt.
({17})
- Wissen Sie überhaupt, um wen es sich handelt?
({18})
- Okay.
({19})
- Also, immerhin ist ein bestimmter Erkenntnisprozeß vorhanden. Man schämt sich nicht mehr, wenn man über 5 000 DM verdient.
5 % der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen trägt bei einem Einkommensanteil von 18 % mit 25 % zur Finanzierung des Aufbaus in Ostdeutschland bei.
Meine Damen und Herren, dieser Bundeshaushalt erreicht durch strikte Konsolidierung und Konzentration auf Wachstumsbereiche mehr, als jedes Deficit spending, jedes Umverteilungspaket und jedes SPD16454
Ausgabenprogramm, wie es auf dem jüngsten SPD-Parteitag wieder einmal in Verleumdung aller Konsolidierungsschwüre beschlossen wurde, jemals bewirken könnten.
({20})
Wir helfen - und das haben die Bundesbank und andere klar zum Ausdruck gebracht -, die Zinsen zu senken und damit Milliardenbeträge für Investitionen in den Betrieben freizusetzen.
({21})
Wir tragen zur weiteren Preisstabilisierung bei und sichern damit die Ersparnis als Grundlage unseres Wohlstands. Wir sichern durch unseren Sparkurs das internationale Vertrauen in die deutsche Finanz- und Geldpolitik. Diesen für die Finanzierung der Einheit entscheidenden Zusammenhang hat die Bundesbank in ihrem jüngsten Monatsbericht nachdrücklich unterstrichen.
Durch zusätzliche Milliardenbeträge für die Arbeitslosenhilfe und für die Bundesanstalt für Arbeit helfen wir all denjenigen, die von der Weltrezession durch Arbeitslosigkeit betroffen werden. Die entscheidende Hilfe für die Arbeitslosen kann allerdings nur erneuertes Wachstum bringen.
Wann die Wachstums- und Beschäftigungskrise endgültig überwunden ist, kann niemand mit absoluter Gewißheit voraussagen. Weil das so ist, gibt es auch keine absolut verläßlichen Haushaltsprognosen. Wer meint, unsere grundsätzlichen finanz- und wirtschaftspolitischen Konzeptionen kritisieren zu müssen, soll das tun. Aber wer den Finanzminister verdammt, weil sich die professionellen Wirtschaftsforscher, die wissenschaftlichen Institute und die internationalen Organisationen um 0,1, 0,2 oder 0,3 Prozentpunkte beim Wachstum vertan haben, hat offensichtlich an unserer Finanzpolitik nichts anderes auszusetzen.
Es ist absurd, uns geschönte Haushaltsdaten vorzuwerfen. Wir sind gar nicht frei, irgendwelche beliebige Daten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und für die Steuereinnahme zu verwenden. Zuständig für die entsprechenden Prognosen sind der Arbeitskreis „Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzungen" und der Arbeitskreis „Steuerschätzung". Vertreten in diesen Gremien sind in unterschiedlicher Zusammensetzung neben verschiedenen Bundesressorts die Länder und Gemeinden, die Bundesbank, das Statistische Bundesamt, fünf führende Wirtschaftsforschungsinstitute sowie der Sachverständigenrat. An deren Prognosen halten wir uns. Wenn sich die Prognosen ändern, passen wir unsere Haushaltsdaten an. Einen anderen Weg gibt es dazu nicht.
({22})
Aber unabhängig von allen Prognoseproblemen müssen wir mit aller Kraft weiter konsolidieren, beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden sowie bei den Sozialversicherungen. Das ablehnende Votum des Finanzausschusses des Bundesrates
gegenüber den Spar- und Wachstumsgesetzen ist in diesem Zusammenhang ein falsches Signal.
({23})
Es geht nicht an, daß sich der Bundesrat auf der einen Seite für drastische Einsparungen ausspricht und dann versucht, unsere umfassenden Kürzungsmaßnahmen zu blockieren.
({24})
Irgendwo sind die Dinge kommunizierende Röhren. Wer hier blockiert, aber bei der Bahnreform mehr will, der muß wissen: Irgendwo beißen sich die Dinge. Wir können nicht mehr ausgeben als wir haben.
({25})
Frau Ministerpräsidentin Simonis gehört mit Sicherheit nicht zu den SPD-Kolleginnen, die uns das Leben in den letzten Jahren leichtgemacht haben. Aber Frau Simonis weiß, wovon sie redet. Das hat sie z. B. in einem Interview mit der Zeitschrift „Focus" vom 21. Juni klargemacht, als sie, an ihre Parteifreundinnen und Parteifreunde in der SPD-Fraktion gerichtet, die offenen Enden sozialdemokratischer Finanzpolitik zusammenführte. Ich zitiere:
Wenn sie wissen,
- Frau Simonis meint hier die Mitglieder der SPD-Fraktion daß das nicht mehr zu bezahlen ist, kann man doch nicht hingehen und mit vor Empörung bebender Stimme sagen:
- wen sie da bloß gemeint hat? Waigel, du bist der größte Schuldenmacher aller Zeiten.
({26})
Der Rudi Walther ist jetzt ganz still, und zwar aus folgendem Grund. Hier höre ich, ich sei der fröhlichste Schuldenmacher dieser Republik, und vor ein paar Wochen bittet er mich, zu seinem 65. Geburtstag zu kommen und dort eine launige Rede zu halten.
({27})
Herr Kollege Walther, Sie haben ja auch noch bestätigt, das sei eine gute Rede gewesen. Also: Entweder ist man fröhlich; dann wird man beschimpft, daß man eine gute Laune hätte. Oder man schaut trübselig vor sich hin; dann verstrahlt man nicht den notwendigen Optimismus. Ich versuche eine Mischung, und ich werde mich deswegen nicht ändern.
Nur: Was Frau Simonis sagte, war ja nicht an meine Adresse, sondern an Ihre Adresse gerichtet. Sie sagte nämlich:
Zwei Stunden später geht der nächste Redner aufs Podium und meint: Und im übrigen: Für die Pflegeversicherung gibt es keine Kompensation, da lassen wir nicht mit uns verhandeln. - Das paßt nicht zusammen.
({28})
Das hat nicht nur Frau Simonis, sondern auch die Mehrheit der deutschen Bürger inzwischen erkannt. Deshalb rangiert nach neuesten Meinungsumfragen die finanzpolitische Kompetenz der Unionsparteien deutlich vor derjenigen der Opposition.
({29})
- Ich weiß, das schmerzt Sie. Aber es ist so.
Vergleichbare Konsolidierungsaufgaben bei Bund, Ländern und Gemeinden erfordern gleichgerichtete Reaktionen. Wir können auf Bundesebene die unumgänglichen Kürzungen nicht glaubwürdig vertreten, solange in manchen SPD-Kommunen immer noch an zusätzlichen Verkehrsinseln und Randsteinumbauten gearbeitet wird. Man sollte auch nicht durch die Städte- und Gemeindeverbände den Haushaltsnotstand ausrufen lassen, solange in manchen Verwaltungen - auch bei den ostdeutschen Kommunen - noch ein massiver Personalüberhang besteht, der viel kostet, aber niemandem etwas nützt.
({30})
Der Bund bezieht die Aufgabe der Verwaltungsstraffung auch auf sich selbst. Was im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung an Personalaufstockungen unumgänglich war,
({31})
darf für kein Ressort zum Besitzstand werden. Trotz erheblicher Zusatzaufgaben werden wir deshalb im Bundeshaushalt 1994 rund 6 000 Stellen einsparen. Wir werden die lineare Stellenkürzung auch 1995 fortsetzen.
Darüber hinaus ist eine strenge Aufgaben- und Hierarchieprüfung erforderlich, um alle Rationalisierungsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst aufzuspüren.
Wir wollen bei der dauerhaften Sicherung der Staatsfinanzen nicht gegen die übrigen Gebietskörperschaften, sondern mit den Ländern und Gemeinden vorankommen. Die jüngsten Absprachen zur Regionalisierung des Schienenverkehrs unterstreichen das nachdrücklich. Wir haben auch bei den Spar-und Konsolidierungsbeschlüssen zugunsten der Länder und Gemeinden gehandelt. Allein schon durch die gesetzlichen Einsparungsmaßnahmen - Nullrunde bei der Beamtenbesoldung, Absenkung der Sozialhilfe, Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur" -, durch die Mißbrauchsbekämpfung und durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern werden die Mehrbelastungen der Länder und Gemeinden bei der Sozialhilfe von rund vier Milliarden DM vollständig ausgeglichen. Darüber hinaus kann das Tarifsignal für den öffentlichen Dienst durch den Gehaltsstopp für Beamte zu weiteren Milliarden-Entlastungen auf allen Haushaltsebenen führen und so einen spürbaren Nettokonsolidierungsbeitrag erbringen.
Wir müssen auch heute wieder über den notwendigen Subventionsabbau diskutieren. Aber bevor man ernsthaft in eine solche Debatte eintritt, sollte man sich ein wenig mit den Fakten auseinandersetzen.
Zu den Fakten gehört: Im Bereich der Steuervergünstigungen und Steuersubventionen haben wir seit 1989 einen Abbau von rund 38 Milliarden DM erreicht. Zwischen 1991 und 1997 gehen die Finanzhilfen in den alten Ländern von 13 Milliarden DM auf 8,5 Milliarden DM - das sind rund 40 % - zurück, bzw. sie sind zurückgegangen. Der Anteil der westdeutschen Finanzhilfen an den Gesamtausgaben reduziert sich dabei von 3,2 % auf 1,7 %.
Ich bin jederzeit bereit, über einen noch weiter gehenden Subventionsabbau zu sprechen. Aber ich habe kein Verständnis dafür, wenn die Vertreter der SPD in Haushaltsdebatten vollmundig den weiteren Subventionsabbau fordern und abends in ihrem Kreisverband dazu auffordern, gegen die angeblich völlig willkürliche Kürzung staatlicher Hilfen und den Verlust von Arbeitsplätzen vor den Werkstoren der betroffenen Betriebe zu demonstrieren.
({32})
Es ist ebenfalls eine merkwürdige Doppelstrategie, wenn anschließend wahrscheinlich Frau Matthäus-Maier wiederum gegen den Verteidigungshaushalt losgeht, den Jäger 90 zum 95. Mal apostrophiert und der Ministerpräsident von Niedersachsen sagt: Alles, was wir benötigen, muß in Deutschland erzeugt werden; so kann es mit der Bundeswehr nicht mehr weitergehen. Das ist eine Doppelstrategie,
({33})
die nicht ehrlich ist und die aufgegriffen werden muß.
({34})
- Warten Sie einmal! Er ist so flexibel, daß er Sie schon längst überholt hat, bevor Sie Ihren Zwischenruf beendet haben.
({35})
- Ja, Sie sind darüber vielleicht froh; Sie können sich aber nie sicher sein, ob er nicht noch einmal kommt.
Wir verzichten auch nicht auf Steuereinnahmen durch Toleranz gegenüber Steuersündern. Im Gegenteil: Durch das Mißbrauchsbekämpfungsgesetz schließen wir zahlreiche Lücken,
({36})
müssen uns dafür allerdings mit dem Vorwurf der Steuerkomplizierung auseinandersetzen. Wir helfen darüber hinaus den Ländern, die Leistungsfähigkeit der Steuerverwaltung zu steigern. Aber wir können den Ländern ihre grundgesetzlich festgelegte Verantwortung nicht abnehmen.
({37})
Wenn dort seit 1987 in den Finanzämtern im Saldo keine neue Planstelle hinzugekommen ist - ich kritisiere das nicht -, muß sich der berechtigte oder unberechtigte Vorwurf des milliardenschweren Steuerverzichts auf den Schreibtischen meiner sozialde16456
mokratischen Kollegen in Düsseldorf, in Kiel oder in Hannover und nicht beim Bundesfinanzminister wiederfinden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kommen mit dem Bundeshaushalt 1994 und dem Spar-und Wachstumsprogramm bei der Sicherung der Staatsfinanzen entscheidende Schritte voran. Aber wir haben keinen Anlaß, auszuspannen oder den Konsolidierungsaspekt bei der Lösung von Einzelaufgaben auszublenden.
({38})
Berlinumzug, Entschädigungsgesetz, Bildungsförderung, Altlastensanierung, Kohle- und Stahlhilfen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - das alles sind ernstzunehmende Themen. Aber wenn man jedem dieser Stichworte nur einige Milliarden DM an Zusatzausgaben für den Bund zuordnen würde, wäre die Entlastung durch die vom Haushaltsausschuß beschlossenen globalen Minderausgaben schon mehr als aufgezehrt.
Je stärker wir uns bei den entscheidbaren Aufgaben binden, um so weniger Spielraum bleibt uns, unabwendbare Zusatzbelastungen auszugleichen. Vor allem gefährden wir aber durch die Inkaufnahme von Zukunftsbelastungen den Spielraum, den wir in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unbedingt brauchen, um die Steuer- und Abgabenlast wieder zu senken. Das für diese Legislaturperiode beschlossene Ausgabenmoratorium muß auch in den kommenden Monaten in der vordersten Front unserer Konsolidierungsstrategie bleiben. Wir können neue Aufgaben nur übernehmen, wenn vorher der Verzicht in einem anderen Bereich fest vereinbart ist.
Konsolidieren heißt auch Gestalten. Darin liegt die große Chance und Aufgabe der aktuellen Finanzpolitik. Was wir in den letzten Jahren durch massive Einschnitte bei den Ausgaben und durch höhere Steuern und Abgaben an finanziellen Ressourcen gewonnen haben, dient dem Zusammenwachsen Deutschlands. Dieses Zusammenwachsen zeigt sich in den statistischen Angaben über das Bruttosozialprodukt, über die Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten sind die jungen Länder mit jährlichen realen Zuwachsraten von 7 % bis 10 % zu dynamischen Wachstumsregionen Europas geworden. Ab 1994 wird nach den vorliegenden Schätzungen in den ostdeutschen Ländern pro Kopf mehr investiert als im ursprünglichen Bundesgebiet.
Die guten Wachstumsergebnisse zeigen sich auch in den erheblich steigenden Steuereinnahmen der jungen Länder. Während der Bund auf Grund der jüngsten Steuerschätzung in den Jahren 1993 und 1994 auf insgesamt 4,3 Milliarden DM verzichten muß, wurde die Schätzung für die jungen Länder und ihre Gemeinden um 3,1 Milliarden DM nach oben revidiert. Diese Anpassung ist nicht gerade eine Basis, um zusätzliche Forderungen an den Bund zu richten. Ich muß das einmal sagen, weil die Finanzminister der Ostländer dies aus verständlichen Gründen noch nicht so deutlich gesagt haben. In diesem Raum jedoch,
glaube ich, ist es schon richtig, auch auf diese positive Auswirkung hinzuweisen.
({39})
Der Wandel wird einem noch viel stärker bewußt, wenn man immer wieder einmal den Schreibtisch in Bonn verläßt und sich ein eigenes Bild von den realen Entwicklungen in Deutschland macht.
({40})
- Ja, ich komme gleich darauf. Ich nehme an, Sie stimmen mit dem überein, was der Oberbürgermeister von Magdeburg zu dem Thema gesagt hat.
({41})
- Nein, er heißt Dr. Polte. Er ist viel sympathischer. Er war dabei, als wir die Grundsteinlegung für den Neubau der Oberfinanzdirektion in Magdeburg durchführten.
Der SPD-Oberbürgermeister Dr. Polte, der bestimmt nicht von parteilicher Sympathie für die Bundesregierung übermäßig geleitet ist, hat sich dort in einer bemerkenswerten Art und Weise bei der Bundesregierung dafür bedankt, was sie an Mitteln für den Aufbau in Magdeburg, des Landes SachsenAnhalt und überhaupt für alle jungen Bundesländer zur Verfügung gestellt hat.
({42})
Er hat vor allem auf die überzeugende große Hilfe durch den Bund verwiesen, und er hat gesagt: Hier in Magdeburg trifft man noch auf Menschen, die es nicht verlernt haben, sich über die deutsche Einheit zu freuen.
({43})
Wenn ich den SPD-Oberbürgermeister von Magdeburg hier zitiere, rührt sich bei der SPD keine Hand zum Beifall. Das spricht doch Bände.
({44})
Meine Damen und Herren, Deutschland leidet nicht an der Wiedervereinigung, sondern Deutschland wächst an ihr.
({45})
Immer nur über Belastungen zu sprechen, führt in die Irre. Denn auf der Habenseite der Wiedervereinigungsbilanz stehen der Aufbau einer modernen Wirtschaftstruktur in Ostdeutschland, erneuerte Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa, die Entlastung von Rüstungskosten und von Kosten früherer teilungsbedingter Zusatzaufgaben. Vor allem aber steht der Gewinn von Freiheit, Freizügigkeit, Freundschaft und Sicherheit, die niemand in Mark und Pfennig aufwiegen kann, auf der Habenseite.
({46})
Die konjunkturellen Zeichen für den Wiederaufschwung mehren sich. Die Wiedervereinigung schreiBundesminister Dr. Theodor Waigel
tet voran. Der Rat der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister hat auf seiner gestrigen Sitzung in Brüssel anläßlich der Diskussion über das zweite deutsche Konvergenzprogramm erst wieder unseren wirtschafts- und finanzpolitischen Anpassungsweg bestätigt.
Die Aufgabe der Wiedervereinigung ist nicht größer als der Wiederaufbau nach 1945, als die Eingliederung von Millionen Vertriebener anstand, oder als die Anstrengungen, die wir unternehmen mußten, um in den 50er Jahren in die Gemeinschaft freiheitlicher Demokratien wieder aufgenommen zu werden. Gehen wir mit Realitätssinn, im Bewußtsein der Risiken, aber vor allem mit Optimismus an die Arbeit; dann kann uns alles gelingen, was wir für Deutschland erarbeiten und investieren.
Ich danke Ihnen.
({47})
Als nächster spricht der Kollege Helmut Wieczorek.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, ich würde ja gerne Ihrer Aufforderung nachkommen und hier eine launige Rede halten. Ich glaube, ich würde es noch hinkriegen, Sie alle so zu unterhalten, wie Sie, Herr Finanzminister, uns unterhalten haben beim 65. Geburtstag von Herrn Walther. Ich verspreche Ihnen, wenn es Ihnen nützt: Ich halte die Rede zu Ihrem 60. Geburtstag - egal, auf welcher Seite des Hauses Sie dann sitzen und wo Sie dann gerade sind.
({0})
- Sie haben dann Gelegenheit, genug zu lachen.
Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Es ist schon ein eigenartiges Parlamentsverständnis, wenn wir die zweite Lesung des Bundeshaushaltes im Parlament mit einer Erklärung des Finanzministers beginnen.
({1})
- Ich denke, es war wirklich so etwas - Angst will ich nicht sagen - wie die Flucht nach vorn. Der Finanzminister wollte uns die Themen vorgeben, mit denen wir uns beschäftigen sollen.
({2})
Herr Finanzminister, wenn Sie einmal Ihr eigenes Parlamentsverständnis zugrunde legen, müssen Sie eigentlich zu dem Ergebnis kommen, daß die zweite Lesung die Stunde des Parlaments ist.
({3})
Sie haben uns den Haushalt aufgestellt. Sie haben ihn uns in der ersten Lesung hier vorgestellt. Wir haben darüber beraten.
({4})
- Eigentlich, Herr Schäuble, müßten Sie jetzt darauf drängen, daß der Haushaltsausschuß in seiner Gesamtheit Ihnen sagt, was er eigentlich beraten hat.
({5})
Aber Sie haben kein Parlamentsverständnis mehr, Herr Schäuble. Das kann man im Haushaltsausschuß genau beobachten.
({6})
Sie bringen doch mittlerweile als Koalition Regierungsvorschläge als Gesetze ein, und dann legen Sie, so wie Sie das beim letzten Mal mit dem Standortsicherungsgesetz gemacht haben, 225 Seiten Änderungen zu Ihren eigenen Vorschlägen vor. Sie haben kein Parlamentsverständnis mehr. Sie verwechseln nämlich Ihre Beschlüsse in Ihren Koalitionskungelkreisen mit dem deutschen Parlament.
({7})
Daß Sie so etwas auch noch institutionalisieren, ist das, was uns traurig macht.
Traurig macht uns aber auch Ihr Haushalt insgesamt, den Sie uns vorlegen; denn dieser Bundeshaushalt 1994 ist nicht nur der letzte Etat dieser Wahlperiode, sondern er ist gleichzeitig die Bilanz aus elf Jahren konservativer Politik der Regierung Kohl. Deshalb ist dies zugleich auch eine Debatte über die Lage der Nation im wiedervereinigten Deutschland.
Unser Land leidet an der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Diese Krise umfaßt inzwischen alle Lebensbereiche und gefährdet die wirtschaftliche und politische Stabilität unseres Landes. Unter der dreifachen Wucht von selbstverschuldeter Vereinigungskrise, stärkster wirtschaftlicher Rezession der Nachkriegszeit und grassierender Massenarbeitslosigkeit versinkt der Bundeshaushalt im Schuldenchaos. Diese Regierung ist unfähig, den Teufelskreis aus Wirtschafts-, Sozial- und Finanzkrise zu durchbrechen.
({8})
Der Mangel an Wahrhaftigkeit in Ihrer Politik hat zu millionenfacher Enttäuschung und zu einem Verlust an Grundvertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates geführt.
({9})
Die Rückgewinnung des Vertrauens bei den Enttäuschten setzt aber die Lösung ihrer sozialen Probleme voraus. Sie dagegen wollen die Krise der Gesellschaft zu einer Frischzellenkur für konservative Politik machen, so wie Ihr Standortbericht in Wahrheit bloß eine Neuauflage des Lambsdorff-Papiers von 1982 ist.
({10})
An Ihrer rückwärtsgewandten Wirtschafts- und Sozialpolitik droht der gesellschaftliche Konsens in Deutschland zu zerbrechen. Der soziale Friede ist
Helmut Wieczorek ({11})
aber nicht nur ein positiver Standortfaktor erster Ordnung, sondern er ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.
({12})
Ohne sozialen Frieden zerbricht das Modell Deutschland.
Meine Damen und Herren, mit Ihrer Politik wird die Nation erneut gespalten - nicht nur in Ost und West, sondern auch in Arm und Reich, in die, die noch Arbeit haben, und die, die millionenfach Arbeit suchen, in die, die noch ein Dach über dem Kopf haben, und die, die eine preiswerte Wohnung suchen. Das alles ist die tagtägliche Erfahrung von Millionen Menschen.
({13})
Zur Überwindung der ökonomischen und politischen Krise gehört Wahrhaftigkeit, gehören politische Handlungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit. Das verlangt einfach eine neue Politik, die umfassend und entschlossen die Strukturreform in allen Lebensbereichen anpackt.
Nach elf Jahren konservativ-liberaler Koalition haben wir in allen Lebensbereichen des Staates ein Defizit an Strukturreformen, einen Reformstau. Die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der Finanzpolitik versinkt im Schuldenchaos. Das Steuerrecht ist sozial ungerecht und investitionsfeindlich. Die Modernisierung der Wirtschaft bleibt auf der Strecke. Es fehlt eine ökologische Politik zur Energie- und Ressourceneinsparung, eine Reform des öffentlich geförderten Arbeitsmarktes und seiner Finanzierung,
({14})
eine Reform der beruflichen Bildung und der Forschungsförderung, eine Industriepolitik für den Aufbau Ost ebenso wie für die sozial gerechte Finanzierung der deutschen Einheit. All dies gehört zusammen und muß zusammengeführt werden.
Mit solchen Projekten würde das Gesicht unseres Landes neu gezeichnet. Das ist ein Lösungsweg zur Mobilisierung der wirtschaftlichen Kräfte, zur Eindämmung der Beschäftigungskrise und damit zur Rückführung der strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten. Das sind sozialdemokratische Antworten, die wir den konservativen Herausforderungen gegenüberstellen. Die alte sozialdemokratische Losung „Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen" war nie so aktuell wie heute.
({15})
Sie versuchen, die Defizite Ihrer Politik hinter einer neuen Debatte über alte Werte zu verstecken. Da beklagen Sie, Herr Bundeskanzler, der große gesellschaftliche Konsens sei verlorengegangen. Ich bitte Sie: Es war doch Ihr katastrophaler Fehler, bei dem fälschlich so genannten Solidarpakt im Frühjahr dieses Jahres auf die Beteiligung und den Konsens zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Unternehmern, Bundesbank, Kommunen und Parteien zu verzichten.
({16})
Die Bündelung und die Zusammenführung der nationalen Kräfte für die deutsche Einheit, für Arbeitsplätze, für Wohnungen, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist seit 1990 zentrale Forderung der Sozialdemokraten in diesem Parlament.
({17})
Sie haben die Angebote, Herr Kollege Rossmanith, selbstherrlich ausgeschlagen. Ja, Sie gehen diesen Weg sogar noch weiter, indem Sie mit Ihren Spargesetzen zum Bundeshaushalt 1994 die Zusage brechen, keine gesetzlichen Regelleistungen zu kürzen.
Meine Damen und Herren, wieder sparen Sie auf Kosten der Menschen mit den geringen Einkommen, der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger.
({18})
Ihnen fehlt jede Empfindung dafür, was es für diese Menschen bedeutet, auf 20 oder 30 DM im Monat verzichten zu müssen.
({19})
Was Sie für ein Trinkgeld halten, davon müssen diese
Menschen möglicherweise einen ganzen Tag leben.
Da geben 60 Abgeordnete Ihrer Fraktion zu Protokoll, sie hätten den Spargesetzen nur in der Erwartung zugestimmt, daß die Mehrheit des Bundesrates im Vermittlungsausschuß - ich zitiere - „die noch notwendigen Korrekturen zur besseren Sozialverträglichkeit der beiden Gesetzentwürfe durchsetzen" wird.
({20})
Zur Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, meine
Damen und Herren, hoffen 60 Koalitionsabgeordnete
auf die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat!
({21})
Und da stellt sich der Finanzminister her und beklagt, daß der Bundesrat von Sozialdemokraten gebraucht wird, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Da wird doch die Bankrotterklärung von ihm zu Protokoll gegeben.
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Meine Damen und Herren, Ihre Spargesetze sind nicht nur unsozial, Sie gefährden damit auch noch das einzig halbwegs stabile Konjunkturaggregat, nämlich die private Nachfrage. Mit Kürzungen und Steuererhöhungen entziehen Sie rund 35 Milliarden DM an Kaufkraft. Damit schaden Sie der Konjunktur und produzieren neue Haushaltslöcher, Herr Kollege Waigel, die bis in die Größenordnung von 20 Milliarden bis 25 Milliarden DM gehen. Können Sie denn nicht einmal im Gesamtzusammenhang denken? Können Sie eigentlich nur sektoral Ihren engen Bereich sehen, und müssen Sie die volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge außer acht lassen?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung muß das nachholen, was Sie längst aufgegeben haben, nämlich die gesamtwirtschaftliche Bewertung Ihrer konfusen Finanzpolitik. Herr Finanzminister, Ihre Finanzpolitik hat sich in dem neuen deutschen magischen Viereck aus Finanzierung der deutschen EinHelmut Wieczorek ({23})
heit, Finanzierung der Arbeitslosigkeit, Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und gleichzeitig Konsolidierung der Staatsfinanzen völlig verfangen. Sie haben in diesem magischen Viereck weder Konzepte noch Prioritäten gesetzt.
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Ihr mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm erhobener Anspruch, einen im Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden ausgewogenen Konsolidierungsfortschritt zu erreichen, wird mit dem Bundeshaushalt 1994 faktisch aufgekündigt. Mit Ihren Begleitgesetzen wälzen Sie nämlich die sozialen Lasten der Wirtschaftskrise in Höhe von 4 Milliarden DM, künftig 6 Milliarden DM, auf die Kommunen ab. Da wird Ihre Forderung nach Eindämmung der konsumtiven Leistungen doch zu einer unwahren Formel und wird auch nicht dadurch richtiger, daß Sie die „Möblierung" der Innenstädte dagegensetzen. Daran gehen die Städte nicht kaputt, sondern an den Lasten, die Sie ihnen aufbürden, für die sie keine Finanzausstattung haben.
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Der Verschiebebahnhof trifft mit konjunkturellen Steuerausfällen und einem Rückgang des Länderfinanzausgleichs zusammen. Als Folge werden die sicher geglaubten Finanzgrundlagen der Ostländer erneut erschüttert. Die neuen Länder und Gemeinden werden im nächsten Jahr ein Defizit von 40 Milliarden DM aufweisen. Das lähmt den Aufbau Ost. Nicht die konsumtiven Leistungen, nein, die dringend zum Aufbau benötigten Investitionen müssen zwangsläufig zurückgeschnitten werden.
Sie wälzen die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit auf die Kommunen ab, indem Sie die Kommunen verpflichten, Sozialhilfeempfängern Arbeit zu geben. Mit einem Federstrich machen Sie die Kommunen zum größten Arbeitgeber in der Bundesrepublik. Das hat doch mit kooperativem Föderalismus nichts mehr zu tun.
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Damit fahren Sie nicht nur die Kommunen gegen die Wand, sondern produzieren Lohndumping und den dritten Arbeitsmarkt, wobei Sie bei dem zweiten schon große Probleme haben.
Meine Damen und Herren, Sie tragen damit die Verantwortung auch für die Folgen dieses Verschiebebahnhofes: für den zwangsläufigen Anstieg von Gebühren und kommunalen Steuern. Das ist Gift für die Konjunktur. Aber Sie haben es so gewollt.
Sie kündigen gleichzeitig für die Wirtschaft Steuersenkungen wie die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer an. Sie wissen doch ganz genau, daß das überhaupt nicht zu finanzieren ist, weder heute noch morgen. Das treibt nur die Staatsverschuldung weiter hoch und geht letztlich wieder zu Lasten der Kommunen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, in Ihrer Finanzpolitik stimmt nichts mehr. Da ist nur noch Untergangsstimmung und sonst nichts. Innerhalb der letzten vier Jahre stiegen die geplanten Ausgaben für den Haushalt 1994 von 421 Milliarden DM auf nunmehr 480 Milliarden DM an. Auch die haben Sie nur
erreicht, Herr Kollege Roth, weil die Koalition im Haushaltsausschuß in einer Nacht- und Nebelaktion eine Haushaltssperre über 5 Milliarden DM verhängt hat.
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Diese Sperre ist willkürlich. Sie ist ohne Sinn und Verstand und dient einzig dem Ziel, die Neuverschuldung optisch unter 70 Milliarden DM zu treiben.
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Sie waren doch auf Grund Ihrer inneren Zerstrittenheit und Entscheidungsunfähigkeit nicht in der Lage, während der achtwöchigen Beratungen auch nur 1 % des Haushaltsvolumens konkret zu kürzen. Damit wird erneut ein Haushalt verabschiedet, der nicht beschlußfähig ist. Die Stunde der Wahrheit kommt noch.
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- Es ist falsch, wenn Sie sagen, wir wollten drauflegen. Frau Kollegin Albowitz, wir haben keinen einzigen Antrag gestellt, bei dem die Nettokreditaufnahme erhöht werden muß.
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Sie sollten keine Behauptungen in den Raum stellen, sondern Sie sollten sich vorher überzeugen.
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Die Bundesregierung geht aber weiter: Sie spart nicht bei sich, sondern sie spart bei anderen - das ist ja viel einfacher -, bei denen nämlich, bei denen sich der Staat zur Erfüllung seiner gesellschaftlichen Aufgaben bedient. Wer der Jugendhilfe, den Wohlfahrtsverbänden oder den Institutionen der Entwicklungshilfe Geld entzieht, der muß einfach damit rechnen, daß dann seine Aufgaben nicht mehr durchgeführt werden.
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Deshalb ist das natürlich auch ein Signal an die Wirtschaft, aber ein negatives. Die Sperre schafft erneut Unsicherheit. Sie blockiert die Haushalte der Zuwendungsempfänger. Sie zieht einen Rattenschwanz von Auftragsstornierungen nach sich, Aufträge, von denen die Wirtschaft lebt und die Arbeitsplätze sichern. Die Rezession wird multiplikativ verstärkt.
Natürlich muß gespart werden. Auch die SPD bejaht das Sparziel von 5 Milliarden DM. Wir haben unsere Mithilfe im Haushaltsausschuß angeboten. Wir haben eine ganze Latte von Vorschlägen für den Abbau von Subventionen, von Steuervergünstigungen und -minbrauch vorgelegt. Keinen einzigen haben Sie aufgegriffen.
Meine Damen und Herren, die Rückführung der strukturellen Defizite verlangt, daß die Staatsausgaben langsamer wachsen als das Sozialprodukt. Das setzt aber zweierlei voraus: ein glaubwürdiges Programm zur Begrenzung der Staatsausgaben und eine Politik, die für ausreichendes Wirtschaftswachstum zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sorgt. Über beides verfügen Sie nicht. Selbst die beschlossenen
Helmut Wieczorek ({33})
Sozialkürzungen setzen nicht am strukturellen, sondern am konjunkturellen Defizit an.
Herr Bundesfinanzminister, Ihr Konsolidierungsziel, das Sie auch heute nachmittag wieder beschworen haben, ist das eines durchschnittlichen Ausgabenanstiegs von 2,5 % jährlich. Das ist reine Makulatur, und Sie wissen das selbst. Wir haben Ihnen das in der letzten Debatte schon vorausgesagt. Im Durchschnitt der letzten vier Jahre stiegen die Ausgaben des Bundes, Herr Kollege Roth, um jährlich 6 %; nicht um 2,5 %, sondern um jährlich 6 %.
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Im laufenden Jahr beschleunigt sich der Anstieg Ihrer Ausgaben sogar auf 8 %.
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1994 sind es bisher 6 %, allerdings ist Ihre Haushaltssperre da schon eingerechnet. Auch im Jahr 1994, Herr Kollege Roth, werden Sie nicht unter insgesamt 7 % am Jahresende wegkommen. Ich sage Ihnen das heute schon.
Sie treiben immer wieder das gleiche Spiel: Die Ausgabenentwicklung wird grundsätzlich zu niedrig angesetzt, um Erfolge zu signalisieren. Wenn die positiven Annahmen dann zu negativen Ergebnissen beim Haushaltsvollzug geworden sind, setzt sich das Spiel fort: Die Konsolidierung wird schlicht und einfach ein paar Jahre weiter nach vorne geschoben.
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So waren Sie bei der Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt 1994 vor zwei Jahren noch bei 30 Milliarden DM. Jetzt sind Sie bei 70 Milliarden DM. Im laufenden Jahr sind Sie deutlich über 70 Milliarden DM. Bei ehrlicher Veranschlagung der Kosten für die Arbeitslosigkeit und der Einnahmenseite werden es 1994 weit über 80 Milliarden DM sein. Herr Finanzminister, die 8 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit
({37})
- 9 Milliarden DM sogar - haben Sie doch da nur geparkt, damit Sie sie nicht in Ihre Nettokreditaufnahme einrechnen müssen.
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Ich sage Ihnen: Sie werden mit diesen Beträgen nicht hinkommen. Wir werden schon nach einem halben Jahr des Haushaltsvollzuges sehen können, daß die 90 Milliarden DM im nächsten Jahr für Sie kein Fremdwort sein werden. Das macht uns große Sorgen.
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Wenn ich alle Ihre Nebenhaushalte dazunehme, Herr Minister, dann wird sicherlich auch Ihnen schwindlig. Dann kommen Sie nämlich deutlich auf über 150 Milliarden DM Nettokreditaufnahme in einem Jahr. 150 000 Millionen DM nehmen Sie in nur einem Jahr über die zusätzliche Verschuldung auf.
Mittelfristig sind die steigenden Finanzierungsbeiträge für Europa, für die Bahnreform, die Kosten des Entschädigungsfonds und auch die konjunkturellen Steuerausfälle noch nicht berücksichtigt. Das sind alles Risiken in der Größenordnung von zweistelligen Milliardenbeträgen.
Die Staatsfinanzen können kollabieren, ohne daß Sie imstande sind, klare Antworten zu geben und Zukunftsvertrauen zu erwecken. Ein Aufschwung, Herr Minister, ist leider nicht in Sicht. Für eine Belebung fehlen alle Anzeichen. Der Sachverständigenrat hat das ebenfalls gesagt. Kommen da neue Steuern und Abgaben, um die Defizite zu begrenzen, frage ich Sie. Bei den Einsparungen haben Sie selbst das Ende der Fahnenstange signalisiert.
Wie reagieren die Verbraucher auf weiter sinkende Realeinkommen, wie die Finanzmärkte, wenn wieder Nüchternheit über die Bewertung Ihrer Spargesetze einkehrt? Sie haben sich in eine ausweglose Schuldenfalle manövriert. Aus ihr wird sich diese Regierung nicht mehr befreien können.
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„Endstation Staatsbankrott", so nannte die CSU 1980 eine Wahlkampfanzeige. Den Text möchte ich Ihnen gerne einmal vorlesen. Ich zitiere:
Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte liegt jetzt annähernd bei der Ziffer, welche uns Hitler als Ergebnis seines Wahnsinnskrieges hinterlassen hatte, bei 400 Milliarden DM.
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Das war der Stil der politischen Auseinandersetzung zu Zeiten, als Sie in der Opposition waren: Vergleiche zwischen Hitler und einer demokratisch gewählten Regierung.
Herr Bundesfinanzminister, in der Sprache von damals wären Ihre 2 150 Milliarden DM Staatsverschuldung jetzt doch bestimmt der Weltuntergang.
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Für all diese Schuldentürme kann weder die Sondersituation der deutschen Einheit noch allein die wirtschaftliche Rezession haftbar gemacht werden. Es ist die Quittung für ein Politikversagen Ihrer Regierung seit den 80er Jahren, als Sie die stabile Konjunkturlage, Herr Finanzminister, nicht zu Strukturreformen angesichts der sich abzeichnenden Fehlentwicklungen in Staat und Gesellschaft nutzten.
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Statt dessen wurde eine Politik der Klientelbedienung betrieben und auf Pump finanziert. Da liegen die eigentlichen Ursachen für die große Verschuldungskrise. Das ist die Quittung für Unterlassungen, Fehlentscheidungen und Versäumnisse beim Aufbau Ostdeutschlands. Das zusammen ist die wahre Erblast, die Sie dem deutschen Volk aufgebürdet haben und
Helmut Wieczorek ({44})
die eine neue Regierung ab 1995 wird abtragen müssen.
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Herr Bundesfinanzminister, Sie nehmen wie selbstverständlich die Ausnahmeregelung von der Schuldenbegrenzung nach Art. 115 des Grundgesetzes in Anspruch. Die Bindung der Kreditaufnahme an die Investitionsausgaben nach Art. 115 geht von der Erwartung aus, daß die Investitionen rentierlich sind, weil sie produktiv in die Zukunft wirken und damit sich selbst tragen.
Konsequenterweise ist die Schuldenbegrenzung dann aufgehoben, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nachhaltig gestört ist und mit der Neuverschuldung eine Politik finanziert wird, die nachvollziehbar und glaubwürdig zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes führt. Damit sollte die optimale Entfaltung des Wachstumspotentials einer Volkswirtschaft ermöglicht werden.
Bei dieser Zielsetzung wäre es auch gerechtfertigt, die kommenden Generationen, die den Nutzen einer so verstandenen Wachstumspolitik haben werden, an ihrer Finanzierung über Zins und Tilgung der Verschuldung zu beteiligen. Diese Voraussetzungen sind bei Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht mehr gegeben.
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Ihre Schuldenpolitik führt zu einer Lähmung der Staatstätigkeit und nicht zur Wiedergewinnung von Wachstum und Beschäftigung. Dies läßt sich unschwer an der Entwicklung der Zins-Steuer-Quote ablesen: Von 1990 bis 1995 wird die Zinslast des Staates auf 160 Milliarden DM mehr als verdoppelt sein. Die Zins-Steuer-Quote des Bundes liegt schon 1995 nach Ihrer eigenen Finanzplanung bei 24 %. Die Tendenz geht danach realistischerweise gegen 30 %. Das bedeutet, daß mindestens ein Viertel des Steueraufkommens durch Zinsen aufgefressen wird,
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Steuern, die hart erarbeitet werden müssen und dennoch nicht zur Verbesserung der Lebenschancen der Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen.
Zur Durchbrechung der Finanzkrise bedarf es einer Politik umfassender Strukturreformen von Staat und Gesellschaft. In einem solchen Zusammenhang, Herr Finanzminister, stellt sich auch die Frage nach der Staatsschuld anders dar. In einem solchen Konzept ist Verschuldung zukunftsorientiert, weil sie Arbeits- und Lebensmöglichkeiten eröffnet, weil die Staatsfinanzen künftig solide über Steuereinnahmen finanziert werden. Weil aber Ihre desolate Finanzpolitik die Chancen auf die Zukunft verstellt, steht Ihre Verschuldungspolitik längst nicht mehr im Einklang mit unserer Verfassung.
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Meine Damen und Herren, wichtige Strukturreformen bleiben einfach liegen. Forschung und Technologie sowie Bildung und Wissenschaft sind für die
Stärkung der deutschen Position auf den Weltmärkten von entscheidender Bedeutung. Alle reden von Innovationen,
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von neuen Produkten und neuen Ideen. Geschehen ist nichts, alles nur Rhetorik.
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Der Forschungs- und der Bildungsetat gehen zurück. Sozialdemokratische Vorstöße werden abgebügelt. Tagtäglich Erfindungsreichtum und Innovationsbereitschaft anzumahnen, die inneren Reformen des Forschungs- und Bildungsbereichs jedoch liegenzulassen und gleichzeitig das materielle Fundament dafür zu zerschlagen: Das alles, meine Damen und Herren, paßt doch einfach nicht zusammen.
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Was Sie auch vergessen, meine Damen und Herren: Der Mensch lebt nicht von Brot allein.
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Ich frage Sie, Herr Finanzminister: Sind Sie sich eigentlich klar darüber, in welchem Maße Phantasie für Innovationsarbeit nötig ist? Wissen Sie eigentlich, wo man Phantasie bildet? Beispielsweise im Kulturbereich. Wissen Sie, daß der Staat durch Theater, durch bildende Künste wichtige Voraussetzungen schaffen muß, um Innovationen zu erreichen? Gehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, eigentlich den richtigen Weg, indem Sie gewachsene Kulturstätten in Ostdeutschland rigoros sterben lassen?
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Darf man das auf die Frage des Finanzausgleichs reduzieren, Herr Finanzminister?
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Würden Sie hier den gleichen Maßstab anlegen wie beim Erhalt der Bundeswehr nach Beendigung der weltweiten Bedrohung, so kämen Sie wohl zu einem ganz anderen Ergebnis.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ergänzend zu einem anderen wichtigen Thema kommen, dem Steuerrecht.
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Ihr Steuerrecht ist zu einer Wachstumsbremse geworden.
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„Steuerchaos", „Wegwerfgesetze" und „Mißbrauch" sind Schlagworte, die von denen in die Welt gesetzt werden, die mit Ihrem Steuerrecht umgehen müssen, die Ihre Gesetze anwenden müssen und die davon sprechen, daß Ihr Steuerrecht nicht nur ungerecht ist, sondern auch investitionsfeindlich und daß es jede
Helmut Wieczorek ({57})
ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft verhindert.
„Leistung muß sich wieder lohnen", haben Sie früher einmal gesagt. Doch gerade die am dringendsten benötigten Leistungen, vermehrter Einsatz von Arbeit und vermehrte Anstrengungen zum Umweltschutz, machen Sie durch Ihre Politik besonders unrentabel. Sie fördern mit Ihrer Steuergesetzgebung die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Zerstörung der Umwelt. In falscher Solidarität mit den Interessenverbänden der Unternehmen und durch Klientelpolitik räumen Sie der steuerlichen Begünstigung von Geldkapital Vorrang gegenüber dem produktiven Sachkapital ein.
({58})
Der geradezu widersinnige Akt, die Begünstigung der Finanzanlagen durch Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer bei gleichzeitiger Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen, wurde von der SPD eben noch verhindert. Die Mineralölsteuer wird bei Ihnen zu einem rein fiskalischen Finanzierungsinstrument ohne jede verkehrspolitische oder ökologische Steuerungsfunktion.
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Die Einführung einer Energiesteuer wird einfach ad acta gelegt. In Ihrem Steuerdickicht bleibt zunehmend die Gerechtigkeit auf der Strecke. Das Gesetz zur Bekämpfung des Steuermißbrauchs ist eine reine Farce.
({60})
Sie haben ein Klima erzeugt, in dem Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft einen Umfang angenommen haben, daß die gesellschaftliche Akzeptanz des Steuersystems ausgehöhlt wird.
Meine Damen und Herren, den größten Flop hat sich der Bundesfinanzminister mit der Zinsabschlagsteuer geleistet.
({61})
Dieser Flop setzt allem die Krone auf.
({62})
Er erweist sich wirklich als der größte Flop in der Steuerpolitik.
({63})
Wenn Ihnen hier 12 Milliarden DM in der Kasse fehlen, Herr Finanzminister, dann haben nicht Ihre Beamten falsch gerechnet, sondern dann steht dahinter eine Kapitalflucht in einer Größenordnung von fast 400 Milliarden DM. Diese ist dadurch bedingt, daß Ihre Gesetze unwirksam waren. Das war von vornherein eine Anstiftung zur Steuerflucht.
({64})
Meine Damen und Herren, nicht die Höhe der Steuerquote ist für uns das zentrale Thema in diesem
Land, sondern die ungerechte und investitionsfeindliche Verteilung der Steuerlast. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten eine grundlegend neue Ausrichtung unserer Steuerpolitik.
({65})
Es besteht auch kein Zweifel, daß die von Ihnen zu verantwortende fehlerhafte Abstimmung von Finanz- und Geldpolitik zu einer entscheidenden Wachstumsbremse geworden ist. Weil der Finanzpolitik ein glaubwürdiges Programm zur Eindämmung der öffentlichen Defizite fehlte, trug die Bundesbank allein die Last der Stabilität der Währung. Die Ursache für das überhöhte Zinsniveau liegt bei Ihnen.
({66})
Aber, meine Damen und Herren, die Geldpolitik darf nicht einseitig das Ziel der Preisstabilität verfolgen; auch Wachstum und Beschäftigung müssen durch sie gestützt werden. Die Entscheidung der Bundesbank, trotz der Rezession die Leitzinsen 1992 zu erhöhen, hat die Krise verschärft, die Arbeitslosigkeit verstärkt und dem europäischen Einigungsprozeß Schaden zugefügt. Die Erhöhung des Außenwertes der D-Mark um durchschnittlich 16 % in den letzten anderthalb Jahren hätte nur durch eine Kostenreduzierung im entsprechenden Umfang aufgefangen werden können. Dazu hätte es aber beispielsweise einer Lohnstückkostenreduzierung um rund 40 % bedurft. Eine solche Reduzierung gibt es in keinem Unternehmen, weder in Deutschland noch in Japan, noch sonst irgendwo auf der Welt.
({67})
Derartige von der Finanz- und Geldpolitik zu verantwortende Verwerfungen können weder auf der Kostenseite noch durch das technologische Zukunftspotential der Exportwirtschaft kurzfristig wettgemacht werden. Für die exportorientierte Wirtschaft wurden deshalb sehr viel mehr Probleme durch die Währungspolitik verursacht, als jemals Gewerkschaften mit Lohnabschlüssen hätten verursachen können.
({68})
Was wir Ihnen hier vorwerfen, ist die bewußte Verharmlosung dieser Zusammenhänge.
({69})
Sie konzentrieren die Debatte statt dessen auf einen einzigen Punkt, nämlich auf die angebliche Lohnkostenkrise. Die deutschen Löhne - lassen Sie sich das einmal vom „Handelsblatt" sagen - sind im Durchschnitt der Jahre national nicht aus dem Ruder gelaufen. Zum Problem wird die Kostenstruktur nach Umrechnung in fremde Währungen. Laden Sie deshalb nicht finanzpolitisches Versagen bei den Gewerkschaften ab!
({70})
Da sind Sie nicht anders als manche im Arbeitgeberlager, die das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen
Helmut Wieczorek ({71})
mit der Brechstange als Gipfel der Kreativität und Innovation ansehen.
({72})
Sie merken gar nicht, daß Sie an dem Ast sägen, auf dem Sie sitzen.
({73})
Meine Damen und Herren, Sie haben auch das ökonomische Einmaleins vergessen. Die Nachfrage steigt nicht, wenn Löhne und Sozialleistungen sinken. Das führt nur immer tiefer in die Rezession und in eine Nachfragekrise.
Im übrigen: Wo bleiben denn Ihre konstruktiven Vorschläge,
({74})
mit dem Gewerkschaftslager ins Gespräch zu kommen, wenn es beispielsweise um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital geht? Da ist bei Ihnen Sendepause auf der ganzen Linie.
({75})
Die Bundesregierung betreibt mit ihrem ständigen Jammern über zu hohe Löhne, zu hohe Sozialleistungen, zu hohe Umweltstandards, zu wenig Innovation, zu wenig Forschung schlicht eine Standortzersetzung. Sie wurden nicht zum Miesmachen gewählt, sondern zum Handeln!
({76})
Statt dessen produzieren Sie Papiere: Herr Rexrodt natürlich über die Sozialpolitik, über Arbeitsvermittlung und Nebenkosten; Herr Blüm antwortet im Gegenzug mit Thesen zur Wirtschaftspolitik, zum Subventionsdschungel und zum Steuerchaos.
Ich will Ihnen nicht Absicht unterstellen, aber mit all Ihrem Getue erzeugen Sie bei den Menschen nichts als Angst und Verdrossenheit.
({77})
Herr Waigel, eine Politik, die Angst und Abwendung erzeugt, statt Zuversicht zu vermitteln, ist eine gescheiterte Politik.
({78})
Unser Land, meine Damen und Herren, braucht jetzt eine verläßliche Orientierung, eine gesamtdeutsche Strategie für Wachstum, Beschäftigung und Erneuerung. Damit werden wir Sozialdemokraten die öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen.
({79})
Ich will hier keine Nachhilfe betreiben,
({80}) wenngleich Sie alle es natürlich nötig hätten.
({81})
- Na gut, versuchen wir es mal. Ob Sie es begreifen, weiß ich nicht. Aber ich will Ihnen sagen, wie wir die Probleme anpacken würden.
({82})
Nur dann, wenn durch die Überwindung der Rezession die Steuereinnahmen verbessert und die Kosten der Arbeitslosigkeit verringert werden, kann eine durchgreifende Konsolidierung der Staatsfinanzen, Herr Finanzminister, gelingen. Deshalb ist die Finanzpolitik bei der Sanierung der Staatsfinanzen auf eine wirksame Wirtschaftspolitik angewiesen, nicht auf eine Wirtschaftspolitik, die in der Gastwirtschaft gemacht wird.
({83})
Die Sozialdemokraten stellen die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit an die erste Stelle. Dieser Herausforderung müssen sich alle anderen Aufgaben unterordnen - nicht weil sie weniger wichtig wären, sondern weil sie sonst nicht gelingen. Weder der Aufbau Ost noch die Angleichung der Lebensverhältnisse noch der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, weder die Sanierung der Staatsfinanzen noch die Einigung Europas ist ohne eine Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit möglich.
({84})
Wer den Menschen die Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit nicht nehmen kann, Herr Finanzminister, kann sie auch nicht für andere Aufgaben und für andere, neue Ziele gewinnen.
({85})
Deshalb haben Sozialdemokraten die Ziele Arbeit und Umwelt immer miteinander verknüpft. Wir zeigen den Menschen, daß ökologische Modernisierung einer Volkswirtschaft eine Technologie der Zukunft ist,
({86})
die Arbeit sichert und neue Arbeitsplätze schafft.
Im übrigen, Herr Waigel: Wie wollen Sie die Menschen eigentlich für Europa begeistern, wenn es sich um ein „Europa der Arbeitslosigkeit" handelt?
({87})
Glauben Sie wirklich, daß die Menschen diesem Europa ihre Währung anvertrauen wollen? Deshalb brauchen wir nicht den nationalen, sondern den europäischen Beschäftigungspakt.
({88})
Die Sanierung der Staatsfinanzen verlangt nach einer mittelfristig angelegten Konsolidierungsstrategie. Wir wollen - in Abhängigkeit von der konjunkturellen Lage - die Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf eine Zuwachsrate, die spürbar unter dem Nominalzuwachs des Bruttosozialprodukts liegt. Dies erfordert aber eine durchgreifende Durchforstung der Staatsaufgaben und Einsparungen auch bei den Per16464
Helmut Wieczorek ({89})
sonalausgaben, insbesondere durch den Abbau personeller Überkapazitäten.
Dazu gehören Einsparungen wie die Kürzung der Rüstungsausgaben auf Grund neuer sicherheitspolitischer Konzeptionen und eine weitere Verringerung des Streitkräfteumfangs.
({90})
Dazu gehören auch die degressive Ausgestaltung und zeitliche Befristung von neuen Subventionen und der schrittweise Abbau bestehender Subventionen.
({91})
Dazu gehört aber auch, Frau Kollegin Albowitz, der Abbau überflüssiger Steuervergünstigungen, gegen den Sie sich immer wehren,
({92})
das Schließen von Steuerschlupflöchern, die bessere Erfassung von Spekulationsgewinnen, die energische Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Subventionsbetrug sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen Schwarzarbeit und den Mißbrauch staatlicher Leistungen.
({93})
Meine Damen und Herren, wir wollen eine Unternehmensteuerreform für Innovationen und Zukunftsinvestitionen, eine ökologische Steuerreform, die neue Wachstumsmärkte erschließt und den Faktor Arbeit entlastet.
Und schließlich: Es muß dabei immer gerecht zugehen. Die Finanzierungslast des Staates muß wieder gerecht verteilt werden.
Meine Damen und Herren, Finanzpolitik muß Politik für Menschen möglich machen. Sie darf nicht spalten, sondern muß die Lebensverhältnisse bessern helfen. Wir können die Bedürfnisse der Menschen nicht wegsparen, sondern müssen versuchen, sie zu befriedigen. Gute Politik und gute Finanzpolitik muß von den Menschen verstanden werden können, wenn sie akzeptiert werden soll. Deshalb wissen wir, daß wir unsere Ziele nur in Solidarität und im gesellschaftlichen Konsens verwirklichen können.
Ich danke Ihnen sehr.
({94})
Als nächster spricht unser Kollege Adolf Roth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Ausschußsacharbeit besteht zwischen den Haushaltspolitikern der Koalition und der Opposition mehr Gemeinsamkeit, als man nach den wortreichen Attacken meines Vorredners vermuten könnte. Der Kollege Wieczorek ist gekommen und hat sozialdemokratische Antworten angekündigt.
({0})
Wir waren sehr gespannt darauf, solche Antworten zu hören, denn eben erst hatte ja der neue Sprecher aus dem Saarland auf dem Parteitag öffentlich zugegeben, daß es sozialdemokratischen und sozialistischen Regierungen in ganz Europa bisher nirgends gelungen ist, Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen oder gar zu beseitigen. Deshalb waren wir auf die Antworten der SPD, die Sie angekündigt hatten, gespannt. Aber Sie haben hier nur eine Suada von Beschimpfungen abgeliefert. Dies ist keine Alternative.
({1})
Ich wäre froh, wenn wir in drei Punkten Übereinstimmung hätten. Ich will versuchen, sie konkret zu benennen.
Erstens. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist unausweichlich und vorrangig, und wir brauchen Vertrauen, Vertrauenssignale, wenn wir den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland schaffen wollen.
Zweitens. Wir müssen die Sparstiefel anbehalten, weil höhere Schulden oder zusätzliche Steuern in dieser Situation kein Ausweg, sondern ein Irrweg sind.
Drittens. Weil die konjunktur- und strukturbedingten Wachstumsengpässe den Verteilungsspielraum inzwischen auf Null gebracht haben, sind wir auf Umschichtungsspielräume und öffentliche Ausgabenbeschränkungen angewiesen.
Meine Damen und Herren, das sind die Grundfragen, über die jetzt in der Haushaltsdebatte gestritten werden muß: um die besseren Lösungen für eine Politik des Wiederaufschwungs in Deutschland.
Uns verbindet im Haushaltsausschuß über die Fraktionen hinweg ein Grundverständnis von der Wahrnehmung des parlamentarischen Budgetrechts. Wir hätten - das will ich eingangs mit einem Ausdruck von wirklich kollegialer Freundlichkeit anmerken - den ungewöhnlichen Beratungsmarathon von 120 Stunden zum Haushalt 1994 nicht erfolgreich zum Abschluß bringen können, wenn wir nicht in Rudi Walther von der SPD einen ungewöhnlich guten Ausschußvorsitzenden hätten.
({2})
So etwas sagen wir offen und ehrlich. Wir scheuen nicht vor einem Lob zurück, denn Rudi Walther, eben erst 65 Jahre jung geworden, führt seit inzwischen zehn Jahren den Haushaltsausschuß souverän und unangefochten. Es ist ein wichtiger Stuhl. Er steht traditionell der Opposition zu,
({3})
und diese Tradition sollte auch dann, wenn Rudi Walther im nächsten Jahr, wie er angekündigt hat, aus dem Parlament ausscheidet, ein guter Nachfolger aus den Reihen der SPD wahrnehmen.
({4})
Lieber Rudi Walther, dies ist Ihre letzte große Haushaltsrunde mit dem Etat 1994, Anlaß genug, persönlichen Dank auszusprechen für die straffe und stets kollegiale Abwicklung unseres voluminösen
Adolf Roth ({5})
Beratungsstoffes. Ich finde - man kann das ruhig einmal hier im Parlament sagen -, an Rudi Walther kann sich jeder Nachfolger und jede Nachfolgerin eine Scheibe abschneiden.
({6})
Ich möchte in den Dank gerne auch all die übrigen einbeziehen, die eine Hervorhebung verdient haben: den bewährten Vizevorsitzenden des Ausschusses, Klaus Rose, unsere Kolleginnen und Kollegen aus der gemeinsamen Arbeitsgruppe der CDU/CSU und F.D.P., insbesondere Dr. Wolfgang Weng, den Sprecher der F.D.P., mit der wir gerade bei dieser schwierigen Haushaltsrunde immer wieder zu vernünftigen Kompromissen gekommen sind.
({7})
Unsere Arbeit war stets von Effektivität und Zielbezogenheit geprägt.
In den Dank einschließen möchte ich aber auch alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros, in den Stäben der Arbeitsgruppen, im Sekretariat des Haushaltsausschusses. Sie alle haben ziemlich rackern müssen, und sie haben Streßresistenz bewiesen. Mit solchen Mitarbeitern kann man Staat machen. Sie verdienen unsere Anerkennung.
({8})
Meine Damen und Herren, ich möchte auch dem Bundesfinanzminister Theo Waigel ein Wort des Dankes aussprechen;
({9})
denn er hat in dieser konjunkturell schwierigen Situation und in dieser wichtigen Aufbauphase in Deutschland nach der Wiedervereinigung mit den schwierigsten Part im Regierungsgeschäft zu tragen. Dies gilt auch für seine Leitungs- und Führungsstäbe, für seine beiden Staatssekretäre, den tatkräftigen Parlamentarischen Staatssekretär Jürgen Echternach und den neuen beamteten Staatssekretär Dr. Overhaus, unseren langjährigen Mitstreiter als Haushaltsdirektor. Aber auch all die vielen Mitarbeiter im Ministerium, insbesondere in der Haushaltsabteilung, haben große Mühe aufgewandt, um mit uns gemeinsam, in der Partnerschaft zwischen Regierung und Parlament - je in eigener Verantwortung - die Politik des Haushaltsabschlusses herbeizuführen. Wir sehen, daß wir gerade jetzt in der deutlichen Beschränkung öffentlicher Ausgaben einen Schwerpunkt unserer Politik setzen müssen, wenn wir den begonnenen und sich in vielen Details Gott sei Dank schon abzeichnenden Prozeß des konjunkturellen Umschwungs und Aufschwungs meistern wollen.
Meine Damen und Herren, die von den Koalitionsparteien getroffenen haushaltspolitischen Beschlüsse sprechen eine auf Zukunft und Stabilität gerichtete Sprache. Erst letzte Woche hat der Sachverständigenrat die verläßliche und umfassende Konsolidierung der Staatsfinanzen über Ausgabekürzungen als die wichtigste politische Aufgabe bezeichnet. Diese Aufgabe, so sagt der Sachverständigenrat, duldet jetzt keinen zeitlichen Aufschub, wenn man nicht auf Jahre
hinaus den Spielraum der Finanzpolitik noch stärker einengen will, als dies in Deutschland bereits der Fall ist.
In der Opposition und bei einigen sogenannten alternativen Sachverständigen gibt es allerdings Stimmen, die besagen, in der gegenwärtigen Wirtschaftslage müsse der Staat zunächst seine Konsolidierungsanstrengungen zurückstellen und auf der expansiven Spur nachfragestützender Ausgaben verhauen.
({10})
Genau das gleiche hat eben der Kollege Wieczorek eingebracht,
({11})
indem er kritisierte, daß durch die Politik der entschlossenen Sparsamkeit und Konsolidierung auf Deutschland angeblich ein Nachfrageausfall von 35 Milliarden DM zukäme.
({12})
Meine Damen und Herren, dieses Denken, diese Positionen sind für uns nicht neu. Wir kennen sie sattsam noch aus den 70er Jahren. Sie waren teuer, und sie waren im Ergebnis fruchtlos.
({13})
Im Gegensatz zur Politik der SPD hat die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. in den 80er Jahren empirisch deutlich unter Beweis stellen können, wie man durch eine strikte Begrenzung der staatlichen Ansprüche und durch eine Rückführung der Ausgaben Vertrauen schaffen und Wachstumskräfte freisetzen kann. Die Reduzierung von Staatsdefiziten behindert das wirtschaftliche Wachstum nicht, sie ist im Gegenteil eine Politik, die positive Vertrauenseffekte und stabile Erwartungen bei der investierenden Wirtschaft nährt und damit Vertrauen auf den Märkten schafft. Solidität und Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik fördern den Aufschwung und die privatwirtschaftliche Dynamik. Genau darauf sind wir in Deutschland nach der Wiedervereinigung angewiesen. Deshalb hätte ich gerade von der SPD erwartet, daß sie nicht nur die Politik der Bundesregierung in einem Totalverriß kritisiert, sondern mit einem eigenen stabilen Konzept in die Debatte eingreift.
({14})
Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hält es für das durchschlagende Rezept, und er fordert dies auch mit besonderer Dringlichkeit ein. Er bestreitet, daß eine Politik wachsender Defizite einer konjunkturellen Erholung überhaupt dienlich sein könne. Eine Ausweitung des Staatsdefizits sei nicht nur wirkungslos - so sagt der Sachverständigenrat -, sondern kontraproduktiv, weil auf längere Sicht mit einer erhöhten Abgabelast zu rechnen sei und dies
Adolf Roth ({15})
den Spielraum der privaten Aktivitäten einschränken würde.
Schaut man sich unter diesem Blickwinkel die Etatbeschlüsse der Koalition genauer an, dann verdeutlichen sie den schwierigen, aber - wie ich finde - gelungenen Balanceakt zwischen Sparzwang und Konjunkturstabilisierung. Das Ausgabevolumen des Haushalts 1994 in Höhe von 480 Milliarden DM mit einer Steigerung von 4,8 % brutto, reduziert um die durchgeleiteten Aufwendungen der Bahnreform von 2,9 %, signalisiert die Bereitschaft der Koalition, unter Wahrung strikter Stabilitätskriterien die Folgen der gravierenden Arbeitsmarkteinbrüche sozial aufzufangen, zugleich aber den Prozeß des haushaltspolitischen Umdenkens ohne Rücksicht auf anstehende Wahltermine zu beschleunigen.
Nach dem Föderalen Konsolidierungsprogramm ist auch das Spar- und Wachstumspaket der Koalition mit Entlastungen von zunächst 21 Milliarden DM, später ansteigend auf 29 Milliarden DM, lückenlos parlamentarisch umgesetzt worden.
Übrigens profitieren, Herr Kollege Wieczorek, Länder und Gemeinden durch die hierin enthaltenen Entlastungen mit einem Gesamtvolumen zwischen 4 und 6 Milliarden DM. Man sollte das erstens nicht verschweigen und zweitens auch die Länder an ihre Pflichten gegenüber den Kommunen erinnern; denn dort liegt ja der engste Verwaltungszusammenhang begründet.
({16})
Darüber hinaus haben CDU/CSU und F.D.P. im Haushaltsverfahren den sachlich unausweichlichen Sparprozeß weiter vorangetrieben. Zusätzlichen Ausgabewünschen ist seitens der Koalition konsequent ein Riegel vorgeschoben worden. Durch harte Sparschritte und gezielte Ansatzreduzierungen wurden bei Einnahmen und Ausgaben insgesamt Etatentlastungen von 10 Milliarden DM erzielt. Insbesondere auch die ausgebrachte globale Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden DM bei den sächlichen Verwaltungsausgaben und Zuschüssen ist ein vertrauensbildender Schritt von großer Bedeutung. Damit wird die Einhaltung einer Defizitgrenze von unter 70 Milliarden DM ermöglicht und zugleich ein Signal an die Geldpolitik gegeben, die schrittweise Rückbildung des Zinsniveaus in Deutschland fortzusetzen.
Meine Damen und Herren, in einer Zeit, da sich die Bürger wirtschaftlichen Einschränkungen unterwerfen müssen, setzen wir mit diesem Kürzungsbeschluß ein unmißverständliches Zeichen dafür, daß auch der Staat seinen eigenen Bereich von umfassenden Sparanstrengungen nicht verschonen kann und nicht verschonen wird.
Zusammen mit den hierfür ausgebrachten Haushaltssperren verschärft die globale Minderausgabe die öffentliche Ausgabendisziplin. Wir wissen, daß dies ein harter, aber letztlich unausweichlicher Eingriff ist. Sämtliche Einzelpläne der Ressorts müssen einen fairen Teil des Einsparvolumens erbringen, unter angemessener Schonung zukunftsorientierter Vorhaben der deutschen Politik.
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Die Möglichkeit der Verlagerung der Sperre erlaubt zudem in der Praxis auch eine flexible Handhabung.
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Im Aufdecken eigener Schwachstellen sind jetzt die Häuser aufgefordert, Phantasie und Kreativität walten zu lassen. Insbesondere müssen auch Zuschüsse und Zuweisungen mit Subventionscharakter noch einmal scharf unter die Lupe genommen werden.
Der Vorwurf der Opposition, soeben vom Kollegen Wieczorek wiederholt, dieser vom Parlament auf erlegte, für manchen in der Tat überraschend deutliche Sparbeschluß stelle eine Bankrotterklärung dar,
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wird für die SPD zum politischen Bumerang.
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Er fällt auf jene SPD-Regierungen und jene Kommunen zurück, die den Konsolidierungszwängen durch Blockadepolitik auszuweichen versuchen.
Unser Beschluß ist ein Signal auch an den Bundesrat. Er verschärft den sachlichen Druck, die Spar- und Wachstumsgesetze ohne Abstriche nun im Vermittlungsverfahren passieren zu lassen. Der Bundeshaushalt kann sich nicht durch die Blockadepolitik der Lander weitere Defizite aufdrängen lassen.
Meine Damen und Herren, dennoch sind diese Sparschritte und die verhängte Haushaltssperre nicht in der Lage, die Nettokreditaufnahme des Bundes 1994 auf ein wirklich verträgliches Maß zu reduzieren. Mit 69,1 Milliarden DM bleibt die Kreditaufnahme überhöht und liegt außerhalb des ursprünglich festgelegten Zielkorridors. Dies hat aber Gründe, und zwar, wie ich finde, Gründe, über die man offen diskutieren muß. Der wichtigste Grund ist der von der deutschen Politik geleistete Aufbaubeitrag in Ostdeutschland. Ich glaube, daß uns diese Zukunftsinvestitionen, die sich in von Jahr zu Jahr verstärkten Transfers für die neuen Bundesländer niederschlagen, auch eines Tages eine positive Erfolgsbilanz im Sinne einer wirtschaftlichen Modernisierung und Revitalisierung liefern werden.
Über die im Regierungsentwurf enthaltenen Ansätze hinaus mußten aber auch deutliche Ausgabeerhöhungen und Verminderungen der Steuereinnahmen hingenommen werden, die nach der jüngsten Schätzung um 2,7 Milliarden DM für 1994 niedriger ausgefallen sind als erwartet.
Meine Damen und Herren, allein für die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit mußten zusätzliche 7 Milliarden DM eingeplant werden, und die aktualisierten Mehrausgaben im Sozialhaushalt bringen mit einer Summe von 2 Milliarden DM auch spiegelbildlich zum Ausdruck, welche Dynamik unsere Sozialleistungsgesetze in einer Periode wirtschaftlicher Wachstumsschwäche haben. Wo konjunkturelle Impulse ausbleiben, kann auch der Haushalt nicht zaubern. Dies muß offen eingeräumt werden. Aber
Adolf Roth ({21})
genauso gilt der Satz, daß fehlendes Geld nicht durch Parteitagsbeschlüsse ersetzt werden kann.
({22})
Meine Damen und Herren, ohne das massive Gegensteuern bei den ausgabeträchtigen Leistungsgesetzen und ohne die konsequente Absage an jedwede Plafonderweiterung wäre die Nettokreditaufnahme 1994 auf die Rekordmarke von 100 Milliarden DM hochgeschnellt. Dies hätte niemand politisch verantworten können. Gerade Deutschland kann sich kein stabilitätswidriges Verhalten gegenüber den Finanzmärkten leisten. Immerhin hat auch die SPD dem Bundesfinanzminister im Haushaltsausschuß anerkennend bescheinigt, mit seiner Politik die Turbulenzen auf den Währungsmärkten in diesem Sommer erfolgreich in den Griff bekommen zu haben.
({23})
Wir schließen uns dieser anerkennenden Bestätigung gerne an. Nach wie vor gehört die D-Mark zu den stabilsten Spitzenwährungen der Welt. Darauf sind wir stolz.
Herr Kollege Wieczorek, wie Sie das in Ihrem Redebeitrag als Ausdruck einer in Deutschland verworfenen Finanzpolitik darstellen können, bleibt Ihr Geheimnis. Jeder weiß, daß in diesem Sommer ohne den von der Bundesregierung und der Koalition eingeschlagenen Weg der Konsolidierung die deutsche Bundesbank nicht in der Lage gewesen wäre, innerhalb von zehn Monaten siebenmal die Leitzinsen abzusenken. Die politischen Bemühungen zur Verbesserung des Standorts Deutschland erfordern im weiteren konzentrierte Anstrengungen, um die seit 1989 dramatisch veränderten Quoten bei Staatsausgaben, Steuern und Sozialbeiträgen wieder nach unten zu korrigieren. Auch dieses Ziel setzt rasche Erfolge bei der Begrenzung der Ausgabendynamik voraus. Wir wollen und müssen eine Ausgabenlinie unterhalb des nominalen Wirtschaftswachstums erhalten, d. h. wir müssen den Ausgabenzuwachs des Bundeshaushalts bis 1997 im Schnitt auf jährlich 2,5 % begrenzen. In der Phase von 1983 bis 1989 haben wir schon einmal diese Konsolidierungslinie unter heftigem Dauerprotest der SPD-Opposition und unter zum Teil wüsten Kaputtsparbeschimpfungen konsequent durchgehalten. Es hat sich in konsolidierten Finanzen und in einer mehrstufigen Politik der Steuersenkung niedergeschlagen.
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- Verehrter Herr Kollege Wieczorek, Sie sollten bei der Wahrheit bleiben. 1989 haben wir drei Millionen mehr Arbeitsplätze gehabt als zu dem Zeitpunkt, als Sie ihre Regierungsverantwortung in Deutschland abgeben mußten. Das ist die Situation.
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Jetzt endlich, auf dem SPD-Parteitag in Wiesbaden, hat Herr Scharping mit zehnjähriger Verspätung die Richtigkeit der Koalitionslinie bestätigt und in sein
eigenes Programmvokabular aufgenommen, nämlich die Steigerung der öffentlichen Ausgaben unterhalb des Potentialzuwachses der Wirtschaft zu halten.
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Meine Damen und Herren und Frau Matthäus Maier, ich kann nur hoffen, daß Sie nicht weitere zehn Jahre verstreichen lassen, bis Sie aus diesem qualvollen Prozeß des Umdenkens endlich auch praktische politische Schlüsse ziehen.
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Für uns jedenfalls gilt: Mit den ab 1995 neu justierten bundesstaatlichen Finanzbeziehungen muß auch ein Zielkonzept 2000 in Gang gesetzt werden, das die Rückführung der Staatsquote, die Rückführung der Steuer- und Abgabenlast sowie der tolerierbaren Haushaltsdefizite in festgelegten Prozeßschritten auf die Basiswerte von 1989 wieder verbindlich macht.
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Der hat doch schon geredet. Bitte!
Herr Kollege Roth, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, daß Sie das Ziel, das Sie jetzt soll vollmundig verkündet haben, von 1989 bis heute noch nicht ein einziges Mal erreicht haben, sondern daß Sie im Gegenteil in diesem Jahr mit 8 % Steigerung deutlich über der Steigerung des Bruttosozialprodukts liegen?
Herr Kollege Wieczorek, ich bin über Ihre Frage mehr als erstaunt. Ihre ganze Debattenstrategie zielt darauf ab, der Öffentlichkeit in Deutschland zu signalisieren, im Prozeß der letzten vier Jahre hätte es überhaupt keine außergewöhnlichen, epochalen Veränderungen und Probleme gegeben, wir wären nur mit einer stinknormalen Haushaltsgestaltung in Deutschland beschäftigt gewesen. Daß uns die Wiedervereinigung mit ihren Sonderlasten über die Maßen beansprucht hat, ist doch jedem bekannt. Und Sie waren es, die immer weitere drängende Forderungen eingebracht haben.
({0})
Da sollten Sie jetzt nicht die Koalition öffentlich verunglimpfen, daß wir angeblich eine unsolide Haushaltspolitik gemacht haben.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige Anmerkungen zu den wichtigsten Veränderungen im Haushalt 1994 machen. Das nackte Zahlenbild täuscht, weil beträchtliche Sonderfaktoren den quantitativen Konsolidierungserfolg buchstäblich verdecken. Ich nenne die über den Haushalt durchgeleiteten zehn Milliarden DM für die Bahnreform, ich
Adolf Roth ({2})
nenne die um elf Milliarden DM höheren Zuweisungen an die ostdeutschen Bundesländer über den Fonds Deutsche Einheit, die stabile Finanzierungsgrundlage für die Landes- und Kommunalhaushalte, ich nenne die Altschuldenhilfe Wohnungsbau Ost, die Milliarden-Transfers in die Sozialversicherungskassen, die internationalen Hilfen und die Bürgschaftsentschädigungen. All das sind Sonderfaktoren, die im Gesamtergebnis unseres Bundeshaushalts leider optisch untergehen. Es sind temporäre Lastenschübe. Sie beuteln die Bundeskasse, und sie drücken der Haushaltspolitik insoweit, wenn man nur die Zahlen bewertet, einen irreführenden Stempel auf.
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Dennoch: Ich bin Haushaltspolitiker genug zu sagen: All dies, was hier finanziert werden muß - und es gibt dazu keine Alternative -, muß im Haushalt auch verkraftet werden können, es muß durch Einnahmen abgedeckt sein, und dies bringt den enormen Zwang zur Politik des Sparens. Folge sind substantielle Einschränkungen in nahezu sämtlichen Politikbereichen. Die Einzelpläne der Ressorts spiegeln diesen Prozeß ja auch in anschaulicher Weise wider.
Lediglich die Haushalte des Forschungsministeriums und des Verteidigungsministeriums sind von den Plafondsabsenkungen und gezielten Kürzungen dieses Jahres weitgehend verschont geblieben. Im Gegenteil: Hier wurden sogar einige wichtige Strukturverbesserungen beschlossen.
Im Interesse der neuen Verteidigungskonzeption sind bei der Bundeswehr rund 300 Millionen DM des veranschlagten Sach- und Betriebsaufwands in den investiven Bereich des Materials und der Infrastruktur umgeschichtet worden. Das war eine beachtliche Leistung der Hardthöhe.
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Wir erwarten, daß diese eingeleitete Strukturverbesserung in den nächsten Jahren konsequent fortgesetzt und schrittweise wieder ein Investitionsanteil im Verteidigungshaushalt von 30 % erreicht wird.
Im Interesse der Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland wurden die Mittel für Forschung und Technologie gegenüber dem Vorjahr nicht abgesenkt. Die Forschungspolitik des Bundes soll und wird ihren hohen Stellenwert behalten, um zukunftsträchtige innovative Maßnahmen zu fördern und die technologische Entwicklung unserer Industrie und auch unseres Mittelstandes wirkungsvoll zu ergänzen.
Der Sozialhaushalt bleibt der mit Abstand größte Einzelplan des Bundesetats. Er wächst auf die neue Rekordsumme von 130,4 Milliarden DM und weist damit eine neunprozentige Steigerung gegenüber dem Vorjahr auf.
Es kommt keine Kritik an den Aufwuchszahlen von der Opposition. Sie redet ja trotz dieser Zahlen immer von einer Politik des strukturellen und gezielten Sozialabbaus.
({5})
Aber die Zahlen stehen in einem ganz klaren Widerspruch dazu, was die Leistungsfähigkeit und die Möglichkeiten unseres Bundeshaushalts angeht.
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Die Höhe des Sozialhaushalts, die Höhe des Einzelplans 11, grenzt jetzt schon an den Gesamtumfang des Bundeshaushalts von 1974. Das war das letzte Regierungsjahr von Willy Brandt.
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- Ja, ja. Sie hören nicht gern von den Entwicklungen, die gerade der soziale Sektor auch unter der Regierungsverantwortung von Helmut Kohl in Deutschland genommen hat. Das hören Sie nicht gern. Sie hätten gern, das Gegenteil wäre der Fall.
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Die Sozialausgaben haben sich seit dem damaligen Zeitpunkt um das Fünffache erhöht. Das deutsche Sozialbudget ist mit über 1 000 Milliarden DM auch international in einer Spitzenposition und umfaßt ein Drittel unserer volkswirtschaftlichen Gesamtleistungen.
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Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eine grobe und auch beleidigende Verzerrung, wenn angesichts solcher Dimensionen Korrekturen im Bereich von 1 % bis 2 % als Ausdruck sozialer Gewissenlosigkeit öffentlich diffamiert werden. Wir weisen das entschieden zurück.
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Wenn den Erwerbstätigen - der Finanzminister hat es gerade in seiner Rede gesagt -, die durch ihre beruflichen Leistungen 85 % der zusätzlichen Finanzbelastungen erbringen müssen, Einschränkungen zugemutet werden müssen, dann müssen auch die nichtsteuerbelasteten Empfänger von staatlichen Transfers vorübergehend geringfügige Einbußen akzeptieren können. Dies ist ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.
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Die SPD spricht übrigens neuerdings - wir haben das von ihrem Parteitag gehört - von der Kürzung „konsumtiver Staatsausgaben". Was hierunter zu verstehen ist, Herr Kollege Wieczorek, hätten wir allerdings gern von diesem Pult aus sehr konkret verdeutlicht bekommen. Einschränkung „konsumtiver Staatsausgaben": Ich vermute, daß dies nichts anderes als das Eingeständnis der SPD ist, daß in einer konjunkturell schwierigen Zeit, die zudem durch Strukturfaktoren besonderer Art belastet ist, auch die SPD nicht umhin käme, in eigener Verantwortung
Adolf Roth ({12})
eine Politik von Eingriffen in bestimmte gesetzliche Leistungen des Bundes vorzunehmen. Dann sagen Sie das bitte ehrlich und bekennen sich dazu, daß Sie in den Haushaltsjahren 1981 und 1982 genau diese Politik mit einer besonderen Deutlichkeit hinsichtlich der Abstriche im sozialen Leistungsbereich schon einmal praktiziert haben. Das wäre ein ehrliches Eingeständnis.
({13})
Meine Damen und Herren, mit dem Haushalt 1994 wird die Sparpolitik der Koalition auch im Personal-und Verwaltungsbereich konsequent fortgesetzt. Als Teil einer mehrjährigen - modern ausgedrückt -„Verschlankungsstrategie" werden auch 1994 die Stellenpläne der obersten Bundesbehörden um 1 % und die des nachgeordneten Bereichs um 1,5 % gekürzt. Dies führt zu einer Personalverringerung von knapp 5 000 Stellen im nächsten Jahr. Hinzu kommt die vorgesehene Besoldungsnullrunde bei Beamten, Regierungsmitgliedern und Abgeordneten. Hinzu kommen die gezielten Kürzungen beim Sachaufwand, bei der Datenverarbeitung, bei der Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu den Reisekosten. Auch der Haushalt des Deutschen Bundestages muß 1994 Mittelkürzungen von immerhin 16 Millionen DM sowie einen auf vier Jahre verteilten Personalabbau von insgesamt 158 Stellen hinnehmen. Dies haben wir im Einvernehmen über die Koalitionsgrenzen hinaus so beschlossen.
Die Ausgaben für die Bundesverwaltung insgesamt werden 1994 unter das Niveau des laufenden Jahres abgesenkt. Der Anteil des Verwaltungsaufwands am Gesamthaushalt des Bundes liegt damit erstmals unter 6 %, obwohl 1994 drei neue Bundesämter, das für Güterverkehr, für die Bundeseisenbahnen und für die Wertpapieraufsicht, hinzukommen.
Meine Damen und Herren, der Gestaltungsschwerpunkt des Haushalts 1994 liegt nach wie vor beim Aufbau Ost: 126 Milliarden DM - fast jede vierte Haushaltsmark - sind hierfür eingeplant. Auch der hohe Investitionsanteil von 64 Milliarden DM, fast zur Hälfte einigungsbedingt und in Ostdeutschland aufgewandt, unterstreicht das Bemühen der Koalition, trotz Konsolidierungszwang den Themen Standortsicherung Deutschland und Aufbau Ost Vorrang einzuräumen.
Der Haushalt, so wie er in seinem Ausschußberatungsergebnis dem Plenum vorgelegt worden ist, unterstreicht unsere Entschlossenheit zu weiterem eisernen Sparen. Wir sagen ein klares Nein zu Tagesopportunismus und Wahljahrkosmetik, weil wir nur so die Risiken der mittelfristigen Finanzplanungen und die bedenkliche Ausgabendynamik der öffentlichen Hand in den Griff bekommen.
Diese Politik schafft Vertrauen und sichert Arbeitsplätze, neues Wachstum und damit die Zukunftsfähigkeit unseres vereinigten Vaterlandes. Der Bundeshaushalt kann seiner Pilotfunktion für die gesamtstaatliche Konsolidierung nicht ausweichen.
In einer Zeit, in der viele Wünsche auf den Staat und seine Kassen gerichtet sind, wächst auch die Zahl derer unaufhörlich weiter, die von uns äußerste Anstrengungen verlangen, solidesten Umgang mit Geld zu praktizieren. Deshalb ist unsere Politik im kommenden Jahr und in der mittelfristigen Periode der vor uns liegenden Finanzplanungsphase durch Sparsamkeit hoch drei gekennzeichnet. Wir bleiben bei Konsolidierung, bei Stabilität und Fortschritt für Deutschland.
Herzlichen Dank.
({14})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Wolfgang Weng.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Kollege Wieczorek hat seine Rede mit dem Satz beendet: „Ich danke Ihnen sehr." Die Betonung lag auf dem Sehr. Es war außerordentlich begründet, die Rede mit dieser Betonung zu beenden, weil das Zuhören eine echte Qual war.
({0})
- Herr Kollege Wieczorek, wenn die Rede einer Fraktion in einem solchen Widerspruch zum tatsächlichen Handeln steht, wie das bei Ihnen der Fall ist, dann ist es wirklich quälend, zuhören zu müssen. Es dient auch nicht der Meinungsbildung, sondern es ist einfach etwas, das man überstehen muß.
({1})
Ich darf als ein - ich sage einmal typisches - Beispiel dieser Diskrepanz zwischen Gesagtem und Getanem eine einzige Sache hier erwähnen: Sie haben gesagt, Ihre Fraktion habe keine ausgabenträchtigen Anträge gestellt. Wer hier die rosa Blätter sieht, stellt fest, der Einzelplan 30 soll um 524 Millionen DM, der Einzelplan 31 soll um 320 Millionen DM aufgestockt werden.
({2})
Dieses natürlich alles ohne Deckung, alles ohne das Aufzeigen der Finanzierung. Ich sage, es ist wirklich schwer erträglich, mit solcher Vorstellung nachher fertig zu werden und zu arbeiten.
({3})
Herr Dr. Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Wenn er mit dem Mikrophon umgehen kann, gern.
({0})
- Vorhin konnte er es nicht.
Auf so etwas gehe ich nicht ein.
Helmut Wieczorek ({0})
Herr Kollege Weng, wären Sie so freundlich, dem Haus zu sagen, was ich wirklich gesagt habe? Ich habe gesagt: Wir haben keinen Antrag gestellt, der zu einer Erhöhung der Nettokreditaufnahme führt. Sie sollten das bitte nachlesen, denn sonst muß ich das Ganze unter dem Stichwort Rabulistik abtun.
Herr Kollege Wieczorek, diese Anträge mit der Erhöhung liegen hier vor. Ich weiß nicht, wie Sie das abdecken wollen. Es ist alles sehr kurz auf den Tisch gekommen. Entgegen dem, was Sie hier vorgetragen haben, haben Sie jedenfalls eine ganze Reihe von Erhöhungsanträgen gemacht. Das haben Sie hier vor dem Plenum vorher anders gesagt.
({0})
Wir debattieren heute in zweiter Lesung über den Bundeshaushalt 1994. Wir debattieren damit über das Ergebnis der Beratungen im Haushaltsausschuß, nachdem wir die Vorstellungen des Regierungsentwurfs in der ersten Lesung hier hatten. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich immer noch bei der Gestaltung der öffentlichen Finanzen und auch sonst in einer Übergangsphase.
Wir sollten nicht vergessen, daß wir ein Ereignis von historischer Dimension bewältigen müssen. Die deutsche Einheit ebenso wie der Zusammenbruch des Sowjetimperiums stellen uns vor Herausforderungen, wie sie in den über 40 Jahren der alten Bundesrepublik unbekannt waren. Daß uns die Bewältigung dieser historischen Aufgabe bei allen Schwierigkeiten bisher gelungen ist, ist eine ganz besondere Leistung der handelnden Politik in Deutschland.
({1})
Ich will dabei nicht all die Schwierigkeiten vergessen, die für viele einzelne Bürger, die aber auch für den Staat in diesem Zusammenhang entstehen. Trotz allem: Wer sich die Auseinandersetzungen in anderen Ländern Europas ansieht, die eine Folge des genannten Zusammenbruchs sind, der sollte das Wehklagen bei uns zumindest relativieren, besser: einstellen und die Dinge in Angriff nehmen.
({2})
Unsere Finanzprobleme sind größer als erwartet, weil viele Hoffnungen der letzten Jahre zerstoben sind, weil auch Probleme der Weltwirtschaft unsere internen Probleme verschärfen. Auch strukturelle Versäumnisse in der Wirtschaft, auch in der Politik der letzten Jahre, erschweren jetzt unsere Situation.
Deshalb haben sich bei der Beratung des Haushalts 1994 auch neue Konstellationen ergeben - eine Situation, die wir in dieser Weise in den vergangenen 10 Jahren nicht hatten, die für die Bundesregierung, natürlich auch für den sachzuständigen Bundesfinanzminister, ein Signal, eine Warnung sein müssen.
Da im Regierungsentwurf für die zu befürchtende verschlechterte Situation bei Einnahmen und Ausgaben keine Vorsorge getroffen war, und da es von der Regierung auch keine Initiativen gab, den erkannten Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, hat die Mehrheit im Haushaltsausschuß mit einer globalen Sperre
von 5 Milliarden DM in letzter Minute reagiert und damit deutlich gemacht, daß das Parlament eine weitere ausufernde Verschuldung nicht akzeptieren wird.
({3})
Ich appelliere an den Herrn Bundeskanzler ebenso wie an den Herrn Bundesfinanzminister: Wenn die bitteren Sparbeschlüsse des Frühjahrs auf Grund der Entwicklung nicht als ausreichend angesehen werden können, dann muß die Regierung auch den Mut haben, im Bereich der Transferleistungen weitere Kürzungen ins Auge zu fassen. Daß eine doppelzüngige Opposition die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zur Blockade nutzt, darf nicht Resignation,
({4})
sondern muß Kampfeswillen auslösen.
Wenn die SPD hier im Bundestag heute wieder nach mehr Sparsamkeit ruft, im Bundesrat aber populistisch die Spargesetze verschleppt, dann muß man dieses klägliche Rollenspiel öffentlich anprangern, bis den Genossen der Spaß hieran vergeht.
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Wir haben, Herr Kollege Purps, die Stichworte alle hervorragend im Ohr: die Besitzstandswahrungen, die man der Steinkohle zusagt; keine Sonderopfer, die man im öffentlichen Dienst dann sagt; Gerechtigkeit, der Kollege Wieczorek hat es jetzt wieder gesagt. Das Streben nach Gerechtigkeit muß Ziel politischer Arbeit sein. Aber Gerechtigkeit versprechen im Sinne letzter Gerechtigkeit heißt, die Menschen hinters Licht führen.
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Wer die globalen Zahlen des Haushalts nüchtern analysiert, der kann zu keinem anderen Schluß kommen als der Notwendigkeit solcher Kürzungen. Bei den geplanten rund 480 Milliarden DM Ausgaben betreffen rund 170 Milliarden DM Sozialtransfers. Das zeigt, wie gering die Spielräume sind.
Ich will die anderen Globalzahlen hier nicht nennen. Aber das, was im tatsächlichen Haushaltsverfahren bewegt werden kann, hat natürlich nicht den Umfang, mit dem sich hier im konsumtiven Bereich schnell größere Summen einsparen ließen, wenn die gesetzlichen Leistungen unbehelligt bleiben. Wir haben ja auch ein Signal gegeben, aber der Umfang des Sparkonzepts aus dem Frühjahr reicht eben aus heutiger Sicht nicht mehr aus.
Während die Bundesländer die Spargesetze blokkieren, macht aber die Bundesregierung leider weitere Finanzzusagen im Zusammenhang mit der Bahnreform. Wir haben zwar außer den Pressemeldungen bisher noch keine Zahlen auf dem Tisch, aber wenn über das ursprüngliche Konzept hinausgegangen wird, halte ich für nicht gesichert, daß der Bundestag dem Verhandlungsergebnis zustimmen kann.
Wenn die Zeitungsmeldungen stimmen, daß der Bund so viel nachgegeben hat, dann kann ich nicht nachvollziehen, warum der bayerische Ministerpräsident, der ja nun gerade durch andere unerfreuliche
Dr. Wolfgang Weng ({7})
Äußerungen bezüglich Europa aufgefallen ist, jetzt hier Nachforderungen anmeldet.
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Er sollte sich die Nachforderungen gut überlegen, meine Damen und Herren. Die Alternative zur Bahnreform ist, daß die Bahn in Bundesbesitz bleibt und ein radikales Sparprogramm fahren muß, das genau in den Flächenländern, besonders in Bayern, hart zuschlagen würde.
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Auch die Entschädigungsregelungen far enteignete Ostvermögen, deren Ergebnisse man in den letzten Tagen der Presse entnehmen konnte, sind bisher nicht finanziert. Das gilt ebenso für die möglichen Zahlungen an Heimatvertriebene aus früheren deutschen Ostgebieten, die in der DDR eine neue Heimat gefunden hatten - von den Kosten im Zusammenhang mit dem Umzug der Hauptstadt will ich hier gar nicht reden. Die Finanzplanung muß um diese politisch gewünschten und notwendigen Dinge erweitert werden. Ohne finanzielle Abdeckung, d. h. ohne entsprechende Kürzungen anderer Ausgaben, wird es nicht zu bezahlen sein.
Die Belastung der Bürger mit Steuern und Gebühren, auch verbunden mit der schon feststehenden weiteren Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer im Zusammenhang mit den Lasten der deutschen Einheit, eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer mit Blick auf die Notwendigkeiten bei der Deutschen Bundesbahn - dies alles stellt eine Obergrenze der Belastungen dar. Aus Sicht der F.D.P. wird der Staat künftig noch stärker sparen müssen.
Unsere Entscheidung, den Haushalt unter dem Eindruck der verringerten Einnahmeschätzungen und der zusätzlichen Kosten für die Arbeitslosigkeit, die auf den Bund zukommen, noch einmal um 5 Milliarden DM zu kürzen, ist ein bitterer Einschnitt, der auch uns nicht leicht gefallen ist. Besser wäre der Eingriff in Leistungsgesetze gewesen, der wenigstens den Umfang der genannten Mehrbelastungen hätte haben müssen.
Daß die Opposition im Haushaltsausschuß die Chance verpaßt hat, durch Zustimmung zu der globalen Kürzung die Position des Parlaments gegenüber der Regierung deutlicher hervorzuheben, bedauere ich persönlich.
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Das Angebot, Herr Kollege Wieczorek - er ist schon wieder enteilt -, in letzter Minute von Ihnen, an den Kürzungen der genannten Größenordnung im Detail mitzuwirken, ist unglaubwürdig, denn erstens waren im laufenden Verfahren von Ihrer Seite Kürzungsvorschläge vergleichbarer Größenordnungen überhaupt nicht zu sehen, und zweitens hätte ein solcher Vorschlag, wie Sie wissen, bedeutet, daß das geordnete Haushaltsverfahren ausgerechnet im Vorwahljahr verlassen worden wäre.
Wir wollen in der Verantwortung der Mehrheit aus CDU/CSU und F.D.P. alles in unserer Macht Stehende tun, daß mit Beginn des nächsten Jahres der Haushalt
wie in den vergangenen zehn Jahren rechtskräftig Gültigkeit erlangt. Die Bundesregierung hatte mit ihrem Haushaltsentwurf den Versuch gemacht, auf der Ausgabenseite stärker als bisher die Geldansätze auszuschöpfen.
In jedem Haushaltsjahr gibt es in der Abwicklung unabweisbare Mehrausgaben, die dadurch finanziert werden, daß in manchen Bereichen auch Geld übrigbleibt. Sonst steigt die Verschuldung zusätzlich an. Dies haben wir durch unsere Beschlüsse verhindert, indem wir die sogenannten Verstärkungs- und Dekkungsvermerke im wesentlichen wieder gestrichen haben.
Der Haushalt beinhaltet immer noch erhebliche Risiken. Wir können nicht sicher sein, daß die Zinshöhe so niedrig bleibt. Wir können nicht sicher sein, daß nicht weitere Gewährleistungen auf den Haushalt zukommen. Ob hier die Haushaltsansätze reichen werden, ist unsicher.
Die immer neuen Forderungen nach Bürgschaften, auch nach Hermes-Bürgschaften sind aus Sicht der Exporteure natürlich verständlich. Aber wer sieht, in welchem Maße wir jetzt schon für Gewährleistungen eintreten müssen, kommt zu dem Schluß: Wenn für die Zahlungsfähigkeit der Lieferländer in Zukunft keine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, geht es um ExportSubventionen, die wir auf Dauer in solcher Höhe nicht aus der öffentlichen Kasse bezahlen können. Die guten deutschen Produkte müssen auch wieder preiswerter werden.
Meine Damen und Herren, bisher hat die Bundesbank den Kurs der Koalition mit Zinssenkungen begleitet, d. h. sie hat ihn in der Konsequenz für richtig gehalten. Die D-Mark ist eine stabile Währung. Dies muß auch so bleiben.
({11})
Gerade deshalb müssen wir unsere Anstrengungen eher noch vergrößern, durch sparsame Ausgabenpolitik die Bundesfinanzen zu konsolidieren. Die Hoffnung, sie mittelfristig zu sanieren, habe ich nicht aufgegeben.
Wenn ab dem Jahr 1995 die Aufteilung der Finanzen zwischen den Gebietskörperschaften und die Aufteilung der Erblasten im Zusammenhang mit der deutschen Einheit endgültig sind, sollten auch sämtliche sogenannte Schattenhaushalte abgeschafft sein, und der Bürger, auch die handelnde Politik, einen klaren Überblick in der Situation der öffentlichen Finanzen unseres Staatswesens haben, auch über die Schulden in der Konsequenz der deutschen Einheit, die wir dann verzinsen und abzahlen müssen. Ich sage hier aber ganz klar, meine Damen und Herren: Egal, was die deutsche Einheit dann finanziell gekostet hat, wir werden diesen Preis, den Preis für den Fall der Mauer, für die Freiheit unserer Mitbürger gern bezahlen.
({12})
Kürzungen durch Regierung und Haushaltsausschuß werden von den Betroffenen öffentlich genügend dargestellt, von der geneigten Presse ausreichend beklagt. Sie sind zahlreich und haushaltspolitisch notwendig, auch wenn sie auch uns auf der
Dr. Wolfgang Weng ({13})
Mehrheitsseite häufig schwerfallen. Ich will nicht im einzelnen darauf eingehen. Lassen Sie mich einige wenige Beispiele nennen, daß wir trotz schwierigster Haushaltssituation zusätzliche Ausgaben getätigt bzw. eine wesentliche Umschichtung von Geldern vorgenommen haben.
Ein alle Jahre wieder kontroverser Bereich sind die Werftsubventionen. Wir diskutieren sie hier auch immer in der Öffentlichkeit, um die Situation klarzumachen. Der Hinweis darauf, daß zukünftig mit der gleichen Begründung, die für Werftsubventionen genannt wird, nämlich der Begründung erleichterter Wettbewerbsfähigkeit, auch Lohnsubventionen für die deutsche Automobilindustrie verlangt werden könnten, hat die Interessenvertreter außerhalb wie innerhalb dieses Parlaments in diesem Jahr ein wenig gebremst. Zusätzlich war der Beschluß, den wir gefaßt haben, von der verstärkten Aufforderung an die Bundesregierung begleitet, im Bereich Werften endlich auf europäischer Ebene zu einer konsequenteren Reduzierung der Subventionierung zu kommen. Ein Gutachten des Wirtschaftsministeriums hat ja gezeigt, daß die ständige Behauptung, im Fernen Osten werde massiv subventioniert, so nicht mehr haltbar ist. Es kann ja wohl nicht sinnvoll sein, daß die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft auch in diesem Bereich innerhalb der Gemeinschaft Subventionswettläufe veranstalten.
Wir haben ein sehr großes Finanzvolumen aus der Subvention „Zinszuschüsse" in die Subvention „Wettbewerbshilfe" umgeschichtet, auch in der Finanzplanung für die kommenden Jahre. Damit sind aber - das entspricht dem F.D.P.-Willen bei Subventionen - eine Reihe von Einschränkungen verbunden: Erstens. Auch bei einer Veränderung auf dem Kapitalmarkt sollen die Betroffenen nicht davon ausgehen, daß die Zinssubventionen wieder nach oben gefahren werden.
Zweitens. Wir haben den Fördersatz bei den Wettbewerbshilfen erneut - jetzt auf 6,5 % - abgesenkt. Sie wissen, wir sind für degressive Gestaltung von Subventionen. Auch haben wir den Bundesanteil kontinuierlich weiter zurückgeführt. In den Folgejahren wird der Anteil des Bundes, der früher einmal zwei Drittel dieser Subvention bezahlt hat und zur Zeit mit 50 % beteiligt ist, auf 40 % und dann auf ein Drittel reduziert. Ziel bleibt, die Subvention absehbar ganz entfallen zu lassen. Die degressive Ausgestaltung, die wir jetzt beschlossen haben, ist schon ein richtiger Schritt in diese Richtung.
({14})
Ein zweites Beispiel betrifft die geplante Weltausstellung Expo 2000 in Hannover. Ich möchte hier und heute noch einmal in aller Deutlichkeit feststellen, daß das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover ihre eigenen Leistungen erbringen müssen und daß sich auch die interessierte Wirtschaft stärker beteiligen bzw. stärker in die Risikohaftung gehen muß, wenn dieses Projekt stattfinden soll. Aber durch die Beteiligung des Bundes an der Ausstellungsgesellschaft - hierfür haben wir die Gelder im Haushalt bereitgestellt - signalisieren wir das Interesse des Bundes an dieser Ausstellung.
Gerade nachdem das Bild der Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch die häßlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten erheblich gelitten hat und nachdem uns leider nicht die Möglichkeit gegeben wurde, mit der Olympiade in Berlin im Jahr 2000 der Welt das moderne und junge Deutschland positiv darzustellen, sollte die Expo 2000 als eine solche Chance genutzt werden. Eine große Zahl von Menschen aus anderen Ländern und natürlich eine entsprechende Verbreitung über die Medien weltweit können und werden ein modernes, ein positives Deutschlandbild zeichnen. Wir werden dann Gastgeber sein. Wir sollten ein guter Gastgeber sein. Deutschland auf dem Weg ins zweite Jahrtausend - die F.D.P.-Fraktion unterstützt den Plan der Expo 2000.
({15})
Daß wir unter dem Eindruck der trostlosen Enthüllungen über leichtfertigen Umgang mit Blut für die Opfer der Aidskatastrophe zur schnellen Hilfe bzw. - da ja Hilfe im eigentlichen Sinne des Wortes traurigerweise nicht möglich ist - zur schnellen Unterstützung in der Not 20 Millionen DM bereitgestellt haben, erwähne ich besonders. Bei diesen menschlichen Tragödien ist mehr als sonst schnelles Handeln erforderlich. Leider muß gesagt werden, daß sich andere, die zur finanziellen Hilfestellung wirklich viel mehr Anlaß hätten als der Bundeshaushalt, bisher vornehm zurückhalten.
({16})
Mein Appell richtet sich an Bundesländer, vor allem aber auch an das Deutsche Rote Kreuz, an die Versicherungswirtschaft und an die Pharmaindustrie, in dieser Angelegenheit jenseits von rechtlichen Fragen Mithilfe zu leisten.
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Die unschuldigen Opfer der Nachlässigkeiten und der kriminellen Machenschaften brauchen wirklich unbürokratische Unterstützung. Die F.D.P.-Fraktion hat dem Rechnung getragen.
Der Staat muß künftig ein sparsamer und zwangsläufig ein schlankerer Staat werden. Die finanzielle Not erzwingt Dinge, die vor wenigen Jahren in der politischen Diskussion der großen Parteien noch unvorstellbar gewesen wären. Privatisierung und Deregulierung gewinnen neue Dynamik. Vielen Menschen ist auch erst jetzt bewußt geworden, wie unbeweglich und wie träge sich manche lièbgewordenen Institutionen entwickelt haben.
({18})
Das gilt für Verbände ebenso wie für Selbstverwaltungsorgane. Beschlüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit im vergangenen Jahr seien hier als besonders schlechtes Beispiel in Erinnerung gerufen.
({19})
Verantwortungsfähigkeit zeigt sich nicht bei Schönwetter, sondern wenn es Probleme gibt. Man stelle sich nur vor, daß bei erster Überprüfung MilliardenDr. Wolfgang Weng ({20})
beträge an Mißbrauch aufgedeckt wurden - ein trauriges Zeugnis für Selbstverwaltung und Regierungskontrolle.
({21})
Neu diskutiert werden kann plötzlich - Norbert Blüm hat ja Offenheit signalisiert -, daß man die vielfältigen Beschäftigungsverhältnisse im häuslichen Bereich in echte Arbeitsverhältnisse umwandeln sollte, eine alte F.D.P.-Forderung. Auch die Opposition muß sich überlegen, ob sie nicht statt diskriminierender Wortschöpfungen besser über ihren Schatten springt. Gerade wegen der Kinderbetreuung, bei der junge Familien Kooperationsmodelle ansteuern könnten, und wegen der zusätzlichen Betreuung bei älteren Menschen, auch mit Blick auf die häusliche Pflege im Zusammenhang mit der geplanten Pflegeversicherung, ist es sinnvoll, wenn Arbeitsplätze im häuslichen Bereich normalisiert und legalisiert werden.
({22})
Daß dann Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müßten, ist positiv zu bewerten. Zusätzlich endet Schwarzarbeit größeren Umfangs. Den betroffenen Arbeitnehmern wird etwas geboten, was der SPD doch eigentlich ein besonderes Anliegen sein sollte, nämlich soziale Sicherheit.
Wir müssen in der Bundesrepublik im Bereich der Dienstleistungen eine große Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen, sonst wird die viel zu hohe Arbeitslosigkeit zum Dauerproblem. Mangelverwaltung kann doch wohl nicht unser Ziel sein. Die F.D.P. steht für neue Arbeitsplätze in jedem Bereich. Wir wissen, daß es keine schnelle Globallösung gibt; aber viele kleine Schritte werden und müssen für Besserung sorgen. Die Förderung von Investitionen wird fortgesetzt; denn natürlich müssen auch und gerade Arbeitsplätze im Bereich der Zukunftstechnologien bei neuen Spitzenprodukten entstehen.
Die gute Vorbereitung der Kanzlerreise nach Fernost durch Außenminister Kinkel und Wirtschaftsminister Rexrodt
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hat zu Abschlüssen und Kooperationen geführt, die zukunftsweisend sind. Nur durch wirtschaftliches Wachstum können wir unsere Probleme ohne Verlust des Lebensstandards lösen. Die vielen guten Konzepte, die ja nicht nur bei der F.D.P., sondern die auch beim Koalitionspartner CDU und CSU bereitgehalten werden, müssen konsequent umgesetzt werden.
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Herr Kollege Dr. Weng, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, wenn Sie mir freundlicherweise noch eine Minute einräumen. Ich habe noch Zeit in Reserve. Vielen Dank.
Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, trotz der vielen Wahlen des kommenden Jahres den Weg politischen Muts neu zu beschreiten und den Bürgern wie nach 1982 klare Vorgaben für die Zukunft zu vermitteln. Dann lösen wir unsere Haushaltsprobleme, die ein Spiegel der allgemeinen wirtschaftlichen Probleme sind. Die F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag will hierbei weiterhin treibende Kraft bleiben.
Wir werden dem Haushalt 1994 in zweiter Lesung zustimmen.
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Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist unsere Frau Kollegin Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1994 muß im Zusammenhang mit dem sogenannten Solidarpakt, dem Standortsicherungsgesetz und dem Sparpaket gesehen werden. Nur so erhält man ein zusammenhängendes Bild von dem unerhörten Anschlag, den diese Bundesregierung auf die Lebenshaltung der abhängig Beschäftigten, der ökonomisch und sozial Ausgegrenzten und Deklassierten unternimmt.
Die Bundesregierung spricht zwar von Konsolidierung und vom Erhalt des sozialen Netzes, sie gibt vor, an der Behebung sozialer Notstände ein Interesse zu haben. In der Praxis läuft aber alles auf eine ungeheure Ausplünderung der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger hinaus, während gleichzeitig den Unternehmern ungeheure Steuervorteile verschafft werden, und das konsequent, wenn man allein die letzten drei Jahre betrachtet.
Im Mittelpunkt der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung steht der Abbau der Löhne und Gehälter, der unter dem Stichwort Deregulierung geführt wird. Löhne und Gehälter sollen gesenkt werden, um über sinkende Lohnnebenkosten das Preisgebäude für Waren und Dienstleistungen ins Wanken zu bringen.
Es ist schlicht und einfach Unsinn, wenn behauptet wird, daß niedrige Löhne und Gehälter niedrigere Preise im Gefolge haben oder daß eine Senkung der Löhne und Gehälter zum Preisabbau führt. Löhne und Preise werden von ganz verschiedenen Faktoren bedingt, wenngleich bei beiden das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt.
Der von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen proklamierte Abbau der Löhne und Gehälter, der leider immer mehr von großen Teilen der SPD und auch des DGB akzeptiert wird, führt keineswegs etwa zur Belebung der Konjunktur und zum Aufschwung, sondern im Gegenteil zu ihrer Schwächung und damit zur Steigerung der Absatzkrise.
Meine Damen und Herren, diese Politik erinnert an Heinrich Brüning. Herr Waigel, ich erinnere da gerne an einige Details in Ihrem Sparpaket, die auf eine fatale Geschichte zurückblicken können: Auch Herr Brüning nahm für sich in Anspruch, sich in sozialer Gesinnung von niemandem übertreffen zu lassen.
Auch Brüning erklärte, er werde keinen Abbau sozialer Leistungen zulassen.
Teil von Brünings sogenanntem Reform- und Sanierungsprogramm war jedoch der als Selbständigmachen der Arbeitslosenversicherung bezeichnete Abbau der sozialen Fürsorge. Durch Kürzung der Erwerbslosen- und Krisenunterstützung wuchsen die Ausgaben der Kommunen für Wohlfahrtslasten. Ferner beabsichtigte Brüning, das Reich, die Länder und die Gemeinden per Gesetz zu zwingen, die Ausgaben drei Jahre lang nicht zu erhöhen und alle höheren Einnahmen zur Senkung der Besitzsteuern zu verwenden.
Zwar sah bereits das Arbeitslosenversicherungsgesetz von 1927 für arbeitslose Jugendliche sowie für Empfänger von Wohlfahrts- und Krisenunterstützung die Pflicht zu gemeinnützigen Arbeiten vor, aber das reichte Herrn Brüning nicht, der im September 1930 für Arbeitslose einen verstärkten Arbeitszwang ankündigte, den die regierungsnahe und konservative Presse natürlich als ersten Schritt zur allgemeinen Arbeitspflicht begrüßte.
Wir haben in der vergangenen Sitzungswoche im Rahmen der Haushaltsbegleitgesetze ebenfalls diese Arbeitspflicht hier im Haus mit der Mehrheit der Koalition verabschiedet. Man muß bitte auch einmal zur Kenntnis nehmen: Es gibt nur die Pflicht zur Arbeit. Aber wenn z. B. ein Sozialhilfeempfänger nicht arbeiten kann, weil ihm die Kommune keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, hat er als solcher auch in dieser Beziehung nicht die Möglichkeit, ein Recht auf Arbeit einzuklagen. Sie sind hier nur für Pflichten und Zwang.
Der Bundeshaushalt 1994 ist konservativ und zugleich destruktiv. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen halten stur an der alten Entwicklungsrichtung fest. Gerade dort werden notwendige Handlungsspielräume beschnitten, wo ein Kurswechsel dringend erforderlich wäre. Ich nenne hier als Beispiele die Arbeitsmarkt-, die Sozial-, die Umwelt- und die Forschungspolitik.
Der Zuschnitt dieser Haushalts- und Finanzpolitik tritt durch den Haushaltsplan 1994 deutlich hervor. Eine liberale Kapitalförderung paart sich mit einem rigiden Sparkurs im Sozialbereich und einem durch Beschneidung arbeitsmarktpolitischer Instrumente verschärften Arbeitsplatzabbau. Der Bund trägt seine Schulden nicht ab, sondern häuft mittelfristig einen riesigen Schuldenberg an. Niemand kann jedoch gleichzeitig Haushaltssanierung im Stile der Bundesregierung und wirkliche Problemlösung betreiben.
Die PDS/Linke Liste sieht sich mit ihren Vorschlägen und Forderungen in vollständiger Opposition zur Koalition und zur SPD. Die SPD kokettiert verbal mit Alternativen. Doch CDU/CSU, F.D.P. und SPD kapitulieren vor den Altlasten ihres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells.
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Natürlich sind wir uns von der PDS/Linke Liste darüber im klaren - dazu komme ich jetzt -,
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daß der in Jahrzehnten angehäufte Berg von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Problemen und Fehlentscheidungen nur durch einen grundlegenden politischen Kurswechsel in Angriff genommen und abgetragen werden kann. Diese Fehler haben wir in Ost- und Westdeutschland, sicher auch durch verschiedene Systeme bedingt. Aber die Fehler sind auf beiden Seiten da. Die Rechnung erhalten wir jetzt.
Es liegt uns im Unterschied zu allen anderen Parteien allerdings fern, die Wirtschaftskrise je nach parteipolitischem Standpunkt auf ein Versagen irgendeiner Landes- oder Bundesregierung zurückzuführen. Das hieße die bundesdeutsche Gesellschaft nach dem Motto heiligzusprechen: Die Verhältnisse sind goldrichtig, wir brauchen nur die richtigen Politiker. Das zu behaupten wäre eine Verharmlosung.
Die Wirtschaftskrise, die alle Länder der kapitalistischen Welt erschüttert, dauert an. Selbst die berufsmäßigen Wetterpropheten des Kapitalismus sind bis heute nicht in der Lage, auch nur einen Silberstreifen am Horizont zu entdecken, der die ganze kapitalistische Welt überschattet. Ich betone und unterstreiche: Keiner von ihnen kann bis jetzt auch nur ein positives Anzeichen nennen, das auf eine baldige Besserung hindeuten würde.
Die steigende Arbeitslosigkeit kennzeichnet die Entwicklung aller Industriestaaten. Wenn es richtig ist, daß für diese Entwicklung weitgehend unwichtig ist, ob eine der Sozialdemokratie verwandte oder eine konservative Regierung amtiert, dann ist daraus zu folgern, daß beide Varianten politischer Herrschaft unfähig sind, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Denn dieses ökonomische System funktioniert unabhängig von der jeweiligen Regierungsvariante, so daß in der gegenwärtigen Phase die Arbeitslosigkeit überall zunimmt. Wäre es da nicht richtig und nur konsequent, danach zu fragen, ob dieses System und seine Produktionsverhältnisse, wenn man die Arbeitslosigkeit nicht nur mildern, sondern beseitigen will, grundsätzlich verändert werden müssen?
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Alle Altparteien und leider auch GRÜNE und BÜNDNIS 90 verweigern sich in ihrem Bekenntnis zur Marktwirtschaft diesen Gedanken.
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- Darum geht es nicht. Es geht darum, bessere Lösungen zu finden. Daß es in der DDR nicht funktioniert hat, wissen wir. Aber das hier ist auch nicht die beste aller möglichen Welten. Man darf sicher nicht allein die Massenarbeitslosigkeit von 4 Millionen in Deutschland sehen, man muß auch einen Blick auf Europa und die Welt insgesamt richten. Ich glaube, die Situation zeigt eindeutig, daß auch dieses System nicht in der Lage ist, Massenarbeitslosigkeit, Massenobdachlosigkeit, Hunger und Sterben zu beseitigen.
Konzepte zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, die die gegenwärtige Diskussion bestimmen, bestehen vorrangig darin, daß der auftretende Mangel verteilt wird und eine Überwindung der Arbeitslosigkeit nur als Beschneidung der Konsummöglichkeiten und als Abbau des Lebensstandards der arbeitenden Unterprivilegierten in dieser Gesellschaft vorstellbar erscheint.
Die PDS/Linke Liste ergreift in diesen Abwehrkämpfen gegen die Wirtschaftskrise eindeutig Partei. Wir führen den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit und gegen Lohnverzicht und Lohndiktat.
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- Hören Sie zu, dann werden Sie dazu noch etwas erfahren.
Diese Haushaltsdebatte ist eine Gespensterdiskussion, weil der Finanzminister um einen zweiten Nachtragshaushalt 1993 nicht herumkommen wird und auch die für 1994 erwartete Neuverschuldung wesentlich höher ausfallen wird, als Herr Waigel bisher zugibt. Die PDS/Linke Liste hegt gegen die im Haushaltsentwurf 1994 eingestellte globale Minderausgabe haushaltsrechtliche Bedenken. Der Haushaltsausschuß hat damit die Regierung zu Einsparungen in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM ermächtigt und ihr auferlegt, ausgerechnet 10 % der Zuschüsse für laufende Zwecke an soziale und ähnliche Einrichtungen zu sperren. Die PDS/Linke Liste erhebt gegen diese Verwischung der Verantwortlichkeiten zwischen Parlament und Regierung verfassungsrechtliche Bedenken.
Was im kommenden Frühjahr auf uns zukommen wird, wird alles in den Schatten stellen, was Theo Waigel vor noch nicht allzu langer Zeit unbegründete Schreckensszenarien der Opposition genannt hat. Die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung ist auf Treibsand gebaut. Weder im Zusammenhang mit dem Haushalt des Bundes noch im Zusammenhang mit allgemeinen Fragen der Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung führt eine abstrakte Verschuldungsdebatte weiter. Wir fordern hier schon seit langem, daß der Bundestag endlich über Ziele, Politikschwerpunkte und über deren zeitliche und finanzielle Dimensionen diskutiert und entscheidet.
Trotz der realen ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme, die in der größer gewordenen Bundesrepublik buchstäblich auf der Straße liegen, wird die Diskussion in diesem Hause zu oft auf die Frage nach dem besseren Regierungspersonal reduziert.
Die Bundesregierung behauptet, die Rentabilität von Kapitalanlagen oder Investitionen in Deutschland, auf die die bundesdeutsche Wirtschaft in erheblichem Umfang angewiesen sei, sei gefährdet. Deshalb - so ihre Logik - müssen die Unternehmenssteuern gesenkt und Einkünfte aus Kapitalvermögen steuerlich entlastet werden.
Doch trotz des im Sommer 1992 beratenen Zinsabschlaggesetzes betrug die Summe ausländischer Kapitalanlagen in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr 160 Milliarden DM. Das bedeutete eine Steigerung um 128 %, bezogen auf 1991.
Bundesdeutsche langfristige Kapitalanlagen im Ausland erhöhten sich von 1991 auf 1992 um rund 21,3 % auf 114 Milliarden DM. Von einer Kapitalflucht konnte und kann also keine Rede sein.
Das vom Bundestag vor kurzem gegen die Stimmen der PDS/Linke Liste verabschiedete Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz leistet keinen Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des Mißbrauchs von Steuervergünstigungen, die nach einer Schätzung der Deutschen SteuerGewerkschaft Steuerausfälle in Höhe von rund 130 Milliarden DM pro Jahr bedeuten. Da jedoch jährlich 2 000 Beschäftigte aus der Finanzverwaltung in die Privatwirtschaft wechseln, ist noch nicht einmal eine ordentliche Betriebsprüfung der Großunternehmen möglich. Vor allem durch massive Sozialkürzungen will die Bundesregierung 1994 im Bundeshaushalt über 20 Milliarden DM einsparen. Nur 1,4 Milliarden DM soll der Abbau von Subventionen und Steuermißbrauchsmöglichkeiten erbringen. Diese Einnahmenverbesserungen des Bundes bestehen jedoch zu einem großen Teil aus lauter Luftbuchungen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf unsere Vorschläge hinweisen, deren Umsetzung zusätzliche Steuereinnahmen in Milliardenhöhe erbringen würde.
Wir haben der Bundesregierung wiederholt Vorschläge zum Abbau der ungerechtfertigten und unsozialen Steuervorteile vorgetragen. Allein die Streichung folgender zweier Steuervergünstigungen könnte über 3,6 Milliarden DM zusätzlich in die öffentlichen Kassen bringen: Der mit dem Solidarpakt beschlossene Bewertungsabschlag von 25 % beim Betriebsvermögen sollte ebenso zurückgenommen werden wie die Berücksichtigung des Ansatzes der Steuerbilanzwerte der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer.
Die Vorteile aus dem Ehegattensplitting, das eindeutig höheren Einkommen zugute kommt, werden allein in diesem Jahr zu Steuerausfällen in Höhe von 40 Milliarden DM führen.
Die Verwirklichung unserer steuerpolitischen Vorschläge würde dem Staat jährlich Mehreinnahmen in Höhe von bis zu 55 Milliarden DM bescheren und wäre sozial gerecht. Wenn jetzt noch die aus dem Solidaritätszuschlag und aus der Einführung einer Arbeitsmarktabgabe zu erwartenden Einnahmen von mindestens 33 Milliarden DM hinzukämen, könnte der Staat 1994 über 88 Milliarden DM zusätzlich verfügen.
Die jüngsten Ergebnisse des Arbeitskreises Steuerschätzung haben bewiesen, was die PDS/Linke Liste immer wieder behauptet hat, nämlich: Dieser Bundesregierung ist die Haushalts- und Finanzpolitik aus dem Ruder gelaufen. Wir hatten bereits für März dieses Jahres eine Neuverschuldung des Bundes von 70 Milliarden DM erwartet. Herr Waigel hatte anfangs mit 55 Milliarden DM gerechnet und war gezwungen, durch einen Nachtragshaushalt die Neuverschuldung auf über 67 Milliarden DM hochzuschrauben. Ein
Haushalt 1994 mit einem schöngerechneten Defizit von 69,1 Milliarden DM, das weit über den investiven Ausgaben von 64,8 Milliarden DM läge, wäre übrigens verfassungswidrig. Ich wundere mich, daß die Bundesregierung Art. 115 des Grundgesetzes nicht ernst nimmt; denn schließlich war es auch der Abgeordnete Dr. Kohl, der vor dem Bundesverfassungsgericht beantragt hatte, den Haushalt 1981 für verfassungswidrig zu erklären, weil die Kredite um rund 1,9 Milliarden DM über den Investitionsausgaben lagen.
1994 werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden um 9,3 Milliarden DM niedriger sein, als sie in der Mai-Schätzung erwartet worden waren. Die westdeutschen Kommunen haben angesichts eines 1994 erwarteten Einnahmeausfalls in Höhe von rund 1,7 Milliarden DM bereits Alarm geschlagen und warnen vor dem Finanznotstand bzw. sehen sich schon am Ende. Dem Bund werden allein im laufenden Haushaltsjahr 1,4 Milliarden DM an Steuereinnahmen fehlen. Hinzu kommt in diesem Jahr noch eine von 18 auf 26 Milliarden DM erhöhte Zuschußforderung der Bundesanstalt für Arbeit an den Bund, die ihre Ursache in den dramatisch gestiegenen Arbeitslosenzahlen hat. Und Sie wollen uns hier noch allen Ernstes weismachen, Sie könnten sich und Ihre Finanzpolitik ohne einen zweiten Nachtragshaushalt über das Jahr retten!
Der Bundesfinanzminister hat als Konsequenz aus den jüngsten Steuerschätzungen angekündigt, daß sich die finanzpolitischen Grundlinien des Bundes nicht ändern werden. Das heißt: weiter steigende Defizite. Ein konjunktureller Aufschwung ist nicht in Sicht. Und die steigende Arbeitslosigkeit in Kombination mit diesem Sparpaket an Sozialmaßnahmen wird nicht nur die Nachfrage schwächen, sondern zwangsläufig auch zu niedrigeren Steuereinnahmen führen. Nullrunden, Reallohnkürzungen sowie der Verzicht auf Lohnanpassungen werden diese negative Entwicklung noch beschleunigen.
Frau Kollegin Dr. Höll, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.
Ich komme gleich zum Ende.
Deshalb fordert die PDS/Linke Liste die Rücknahme der Senkungen von Vermögen- und Gewerbesteuer, die Einführung des Solidaritätzuschlags des westdeutschen verarbeitenden Gewerbes.
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- Setzen Sie sich doch endlich einmal ernsthaft mit diesen Vorschlägen auseinander und sparen Sie nicht immer bei den sozial Schwachen! Denn die können sich nicht so wehren und haben keine solche Lobby wie die Großen; das ist doch der Hintergrund. Fangen Sie mit einer Ergänzungsabgabe für Besserverdienende an! Damit haben Sie dann tatsächlich einen ersten Schritt getan.
Unsere Vorschläge liegen Ihnen vor. Setzen Sie sich damit endlich konkret auseinander!
Ich danke Ihnen.
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Meine Damen und Herren, die nächste Wortmeldung ist die des Kollegen Werner Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines muß man dem Finanzminister schon lassen: Auch wenn seine Aus- und Einsichten noch so trüb sind, er versteht es blendend, die Fakten und Zahlen für seine miserable Finanz-/Haushaltslage zurechtzubiegen. Damit kommt man in diesem Haus - einige befreiende Lacher plazierend; auch das versteht er - zwar über die zweite und dritte Lesung des Haushalts, aber nicht über die Zeit. Fröhliche Laune ist nun einmal kein Politikersatz, es sei denn, man hält schon die laufende Finanzpolitik selbst - und schlechterdings - für einen Witz.
Wer Schulden hat, muß - Herodot zufolge - notwendigerweise auch lügen. Das entschuldigt nichts, erklärt aber vieles. Sogar das „Schlechtachten" des Sachverständigenrates wird von der Regierung auf Erfolgslinie getrimmt. Dabei steht dort unmißverständlich: Gerade das Fehlen einer verläßlichen Konsolidierungsstrategie in den beiden letzten Jahren hat erheblich zur Verunsicherung der Konsumenten und Investoren beigetragen und damit den konjunkturellen Einbruch mit verursacht.
Auch die mittelfristige Finanzplanung folgt einem Wunschbild. Hierzu die Sachverständigen: Die Ausgabenentwicklung wird offenbar grundsätzlich zu niedrig angesetzt, womit Konsolidierungserfolge signalisiert werden. - Genau das aber war die Praxis der letzten Jahre. Laufend mußten die Zahlen korrigiert werden, ständig wird der Haushalt von der Wirklichkeit überholt, werden die Deckungslücken immer größer. Die Konsolidierung wird auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben. Was diese christlichliberale Regierung eint, ist das Gesundbeten - die Waigelschen Rosenkränze der Finanzpolitik.
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- Wenn Glaube Ihre Politik ersetzt, dann sind Sie wirklich arm dran.
Noch im Frühjahr hat der Bundeskanzler betont: Mit dem Ergebnis des Bonner Solidarpakts haben wir die Finanzgrundlagen für die vor uns liegenden Jahre bis 1995 und darüber hinaus gesichert. - Irren ist menschlich. Doch als Dauerzustand wird es zum Verhängnis.
Das Föderale Konsolidierungsprogramm hat die Zerrüttung der öffentlichen Finanzen nicht beendet. Die Verschuldung des Staates wird weiter dramatisch ansteigen.
Letztlich hat der Sachverständigenrat ein vernichtendes Urteil über die Finanzpolitik der Bundesregierung gesprochen. Die Grundannahmen für den Haushalt 1994 stimmen - in der unverwechselbaren Sprache des Kanzlers - vorne und hinten nicht. Die
Werner Schulz ({1})
Angaben über die Steuereinnahmen müssen revidiert und die Ausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit wegen der wachsenden Arbeitslosigkeit erhöht werden. An das erwünschte Wirtschaftswachstum glaubt vermutlich nur noch der Wirtschaftsminister. Von soviel Tücken umgeben, braucht auch er seinen Hoffnungsschrein. Ich glaube hingegen, daß uns der Finanzminister bald einen neuen Nachtragshaushalt vorlegen muß.
Die mit dem Haushalt 1994 geplante Demontage des Sozialstaates ist kein Rezept zur notwendigen Sanierung der öffentlichen Finanzen. Die geplanten Kürzungen der Sozialleistungen werden die konjunkturelle Krise eher verlängern.
So wie alle auf Godot warten, wartet diese Regierung offenbar nur noch auf die Große Koalition. Dann werden wir eine Kopie der Sparpolitik der sozialliberalen Koalition der späten siebziger Jahre erleben. Die Bundesregierung hat sich in einen Strudel aus Wirtschafts-, Sozial- und Finanzkrise begeben, aus dem sie offenbar nicht mehr herauskommt.
Die Entwicklung der Verschuldung belegt dies nachdrücklich. Vor zwei Jahren wurde für das Jahr 1994 noch mit 28 Milliarden DM Defizit gerechnet. Nach Abschluß der Haushaltsberatungen für das gleiche Jahr ist die geplante Neuverschuldung mit 69,1 Milliarden DM schon fast mehr als doppelt so hoch. Bei einer realistischen Einschätzung der Haushaltsrisiken muß sogar mit über 80 Milliarden DM gerechnet werden. Daran ändert auch die globale Minderausgabe von 5 Milliarden DM nichts, mit der die Koalition einen Dichtungsgummi zum Rettungsring erklärt.
Vor allem die Risiken werden von der Bundesregierung völlig vernachlässigt, also die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit, die Kosten für die Finanzierung der Bahnreform, die zusätzlichen Belastungen durch das Entschädigungsgesetz.
Der Haushalt 1994 ist eine Perlenschnur von Halbwahrheiten. Durch die Ausgliederung von Teilen der öffentlichen Finanzwirtschaft aus dem Bundeshaushalt wird ein immer größerer Teil der Verschuldung in Neben- und Schattenhaushalten versteckt. Zu den knapp 70 Milliarden DM ausgewiesener Neuverschuldung muß zusätzlich die Neuverschuldung aus den Schattenhaushalten von weiteren 70 Milliarden DM gerechnet werden.
Das gleiche gilt für die Gesamtverschuldung des Bundes. Die ausgewiesenen Schulden werden 1994 etwa 750 Milliarden DM erreichen. Den gleichen Betrag erreichen aber auch die Verbindlichkeiten der Schattenhaushalte. Es ist einfach nicht zu fassen: Die Hälfte der Schulden der mittelbaren und unmittelbaren Staatsverwaltung sind der regulären Haushaltsbetrachtung entzogen.
Auch in diesem Jahr hat der Bundesrechnungshof scharfe Kritik an diesem Vorgehen geübt. Er betonte: Die finanzwirtschaftlichen Vorbelastungen für die Zukunft können nur dann angemessen und umfassend bewertet werden, wenn die Verschuldung des Bundes und deren Folgekosten zusammenfassend,
also unter Einschluß der Sondervermögen, dargestellt werden.
Am Beispiel der Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages zeigt sich, daß die Bundesregierung mit gezinkten Karten spielt. Nur ein Teil der wirklichen Defizite und der tatsächlichen Gesamtverschuldung wird berücksichtigt. Im aktualisierten deutschen Konvergenzprogramm, das am Montag in Brüssel vorgelegt wurde, behauptet die Bundesregierung sogar, daß sie das Maastricht-Kriterium von 3 % schon im Jahr 1995 unterschreiten werde. Mit billigen Taschenspieltertricks versucht sich der Finanzminister am finanzpolitischen Offenbarungseid in Brüssel vorbeizumogeln.
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Die Kürzungen im Etat betreffen fast ausschließlich die unteren und mittleren Einkommensgruppen. Die unsoziale Umverteilungspolitik der Bundesregierung unterhöhlt damit gerade die Standortbedingungen, die für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland von großer Bedeutung sind: die soziale Balance, den sozialen Frieden.
Damit nicht genug, werden schon wieder neue Unternehmensteuersenkungen angekündigt, und Graf Lambsdorff, offenbar ein moderner Raubritter des Rotstifts, fordert weitere Kürzungen im Sozialbereich. Gleichzeitig versucht die Bundesregierung, einen Teil der Lasten auf die Kommunen zu verlagern. Durch die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre werden Langzeitarbeitslose in die Sozialhilfe getrieben. Die Sozialhilfeausgaben der Kommunen steigen um mindestens 5 Milliarden DM auf etwa 17 Milliarden DM. Die Bundesregierung verpflichtet damit die unteren Ebenen des Staates zu Leistungen, ohne gleichzeitig für eine finanzielle Deckung zu sorgen.
Vielleicht war Ernst Albrecht seiner Zeit voraus, oder er wußte, was von seiner Partei noch alles zu erwarten ist, als er die Beteiligung des Bundes in Höhe von 50 % an den Sozialhilfeausgaben gefordert hat. Die Grünen - Sie wissen das - haben diesen Vorschlag in der elften Wahlperiode als Gesetzentwurf eingebracht. Sie können auch diesmal mit uns rechnen. Vielleicht ließe sich hier, allen Spekulationen zum Trotz, mal eine grün-schwarze Sachkoalition erproben.
Während dies noch in den Sternen steht, ist vorauszusehen: Die rabiaten Kürzungen im Haushalt untergraben die sozialen und kulturellen Standortbedingungen Deutschlands. Der Forschungsetat wird eingefroren, die Bildungsausgaben werden sogar gekürzt. Darüber hinaus sollen die Ausgaben für Kultur in Ostdeutschland drastisch eingeschränkt werden. Mit einem Vorstoß gegen die Regelung des Einigungsvertrages versucht die Bundesregierung, die gestrichene Kulturförderung in Ostdeutschland zu kompensieren. Ohne Rechtsgrundlage sollen 400 Millionen DM aus dem gemeinnützigen DDR-Parteivermögensfonds in den Bundeshaushalt eingestellt werden.
Auch in anderer Hinsicht trickst die Regierung. Seit Jahren werden die Sozialversicherungen zur Verschleierung der finanzpolitischen Notlage für die
Werner Schulz ({3})
Finanzierung des Aufbaus in Ostdeutschland zweckentfremdet. Allein 1993 werden mehr als 50 Milliarden DM aus den Kassen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung für die Transfers aufgebracht. Die gestiegenen Lohnnebenkosten in Deutschland haben hier eine ihrer wesentlichen Ursachen. Die Bundesregierung hat die Probleme, die sie im Standortbericht beklagt, zu einem großen Teil selbst mit verursacht.
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Subventionsabbau. Diese Regierung wollte immer Subventionen kürzen. Aber eine vernünftige Regelung, nämlich die Befristung von Subventionen, die der Wirtschaftsminister vorgeschlagen hat, ist auf Betreiben von Finanzminister Waigel wieder gestrichen worden. Das alles ist kein Zufall. Typisch für diese Art Subventionierung ist das Zinsabschlaggesetz. Schon jetzt zeigt sich, daß nicht einmal die bescheidenen Erwartungen erfüllt werden.
Doch es ist nicht verwunderlich, wenn, wie die „Wirtschaftswoche" berichtet, sogar die der Bundesregierung unterstehende Postbank zur Kapitalflucht in ihre Filialen nach Luxemburg einlädt. Der Postminister nutzt für die Postbank eine Steueroase zu Lasten der öffentlichen Finanzen! Vielleicht sollte der Finanzminister einmal Herrn Bötsch mit diesem Problem vertraut machen. Umgekehrt könnte Herr Bötsch den Agrarminister fragen, warum die Bundesregierung mit jährlich etwa 30 Milliarden DM eine die Umwelt zerstörende Überproduktion im Agrarsektor subventioniert. Und dieser könnte den Finanzminister fragen, warum sein Haus der Anwaltskanzlei eines CSU-Abgeordneten Prozesse im Streitwert von fast 1 Milliarde DM übertragen hat. Möglicherweise herrscht in Bayern eine andere Vorstellung von Subvention, eine Art Geldzirkulation unter Freunden.
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Diese Regierung besitzt keine Fähigkeit zu einem Kurswechsel in der Finanzpolitik. Ich fordere an dieser Stelle den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses erneut auf, endlich seine Ankündigung wahrzumachen und die Verfassungsmäßigkeit der Schuldenpolitik prüfen zu lassen, noch bevor er in den verdienten Ruhestand geht.
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Die schonungslose Offenlegung der staatlichen Finanzlage ist der allererste Schritt zur Besserung der Staatsfinanzen. Alle Finanzströme des Staates müssen im Zusammenhang erfaßt und dargestellt werden. Das ist eine Binsenweisheit. Die Politik des sorglosen Schuldenmachens, das Abkassieren der kleinen Leute muß endlich ein Ende haben. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit in der Finanzpolitik. Es darf nicht sein, daß die Bundesregierung immer erst durch das Verfassungsgericht zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten gezwungen wird - wie beim Familienlastenausgleich, bei der Zinsbesteuerung, beim Finanzausgleich. Eine gerechte Besteuerung des Grundeigentums ist längst überfällig. Einen schlanken Staat, Herr Weng, erreicht man nicht durch dürre Reden, schon gar nicht durch soziale Abführmittel.
Im dritten Jahr nach der deutschen Einheit steht ein solidarischer Lastenausgleich weiterhin dringend auf der Tagesordnung. Der Verzicht auf den Solidaritätszuschlag bis 1995 ist ein schwerwiegender Fehler. Neben einer struktur- und finanzpolitisch ausgerichteten Investitionshilfeabgabe ist eine Arbeitsmarktabgabe von Selbständigen, Beamten und Politikern dringend erforderlich, um endlich die soziale Schieflage bei der Finanzierung der deutschen Einheit zu korrigieren. Daß diese Regierung das lösen könnte, glaubt ohnehin keiner mehr. Doch was immer deutlicher wird: Sie hat und hatte es auch nie ernsthaft
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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Hansgeorg Hauser.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Tatsache, daß sich in dieser wichtigen Haushaltsdebatte nicht nur Haushälter, sondern auch Finanzpolitiker zu Wort melden, wollen wir unterstreichen, wie eng sich Haushalts- und Finanzpolitik angesichts der derzeitigen großen finanziellen Herausforderungen verzahnt haben. Haushalts- und Finanzpolitik, also die Ausgabenseite und die Einnahmenseite, sind die beiden Seiten der einen Medaille, mit der wir einerseits die großen Herausforderungen der Vollendung der Einheit Deutschlands und andererseits die schwierigen strukturellen und konjunkturellen Probleme in den Griff bekommen müssen. Dabei haben die Haushalts- und die Steuerpolitik wachsende Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft, die wir deshalb immer stärker ins Blickfeld rücken müssen.
Entgegen den Behauptungen, die hier erhoben worden sind, legen wir die Zahlen schonungslos auf den Tisch.
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Die Staatsschuldenquote, d. h. die Staatsschulden in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, erreicht 1994 mit 54 % einen historischen Höchststand, ebenso der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte mit einer Höhe von 1,74 Billionen DM, ohne die Sonderhaushalte. Der Finanzierungssaldo der öffentlichen Gesamthaushalte wird 1994 166 Milliarden DM betragen; das sind über 5 % des Bruttoinlandsprodukts.
Meine Damen und Herren, das sind aber zum größten Teil die Schulden, die aus der Wiedervereinigung entstanden sind. Ich kann nur in aller Deutlichkeit das unterstreichen, was der Finanzminister immer wieder sagt: Dieser Schulden brauchen wir uns nicht zu schämen. Das sind Schulden, die wir hier für die Einheit gemacht haben und zu denen wir stehen.
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Hansgeorg Hauser ({2})
Dem Bund ist es zwar mit dem jetzt zu beschließenden Haushalt und den damit verbundenen Spargesetzen gelungen, rund 21 Milliarden DM und zusammen mit der globalen Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden DM insgesamt 26 Milliarden DM einzusparen; doch damit drosseln wir die Nettokreditaufnahme nur und können sie auf dem Niveau von knapp 70 Milliarden DM halten. Dies ist eine Leistung des Bundesfinanzministers und der Kollegen im Haushaltsausschuß, für die wir uns bedanken müssen.
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Aber es ist im Ergebnis nur ein Stopp des Trends, und wir müssen den Trend umkehren,
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wie es auch in der Finanzplanung des Bundes mit der vorgesehenen Rückführung der Nettokreditaufnahme bis zum Jahre 1997 im Finanzplan beschlossen ist.
Diese Linie müssen wir konsequent einhalten, um das Vertrauen in die Stabilität der D-Mark zu erhalten und die Kriterien von Maastricht zu erfüllen. Wir dürfen nicht in eine Schuldenfalle laufen, deren Risiken die „Wirtschaftswoche" in dieser Woche anschaulich am Beispiel einiger europäischer Länder dargestellt hat. Wie Sie dem Sparprogramm entnehmen können, ist die CDU/CSU fest entschlossen, diese Dynamik zu durchbrechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, was ich hier sage, dient nicht der Unterstützung Ihrer unqualifizierten Kritik am Schuldenstand des Bundes.
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Sie fordern populistisch immer neue Mehrausgaben des Staates, die Sie mit noch höheren Steuern finanzieren wollen. Herr Weng hat hier sehr richtig formuliert, daß wir mit den Anträgen, die hier auf den Tisch gelegt werden, neue eklatante Beispiele dafür haben. Und das wollen Sie obendrein noch abstreiten!
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Weng, Herr Hauser?
Bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege Dr. Weng.
Herr Kollege Hauser, ich muß Ihnen eine Mitteilung machen, in Frageform natürlich: Würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß die Kollegen der SPD nach meiner Rede jetzt hier einen Antrag auf massive Kürzungen im Verteidigungsbereich vorgelegt haben, der zur Finanzierung der anderen von ihnen
eingebrachten Anträge dienen soll? Das heißt, meine Äußerungen haben sie offensichtlich angeregt, nun doch noch mit Kürzungsvorschlägen nachzufassen.
({0})!
Herr Kollege Weng, ich nehme das sehr gern zur Kenntnis, aber ich habe in diesem neuen Antrag, der hier auf den Tisch gelegt wurde, auch gelesen, daß man beispielsweise bei der wehrtechnischen Forschung und Entwicklung kürzen möchte, daß man also genau das Gegenteil dessen macht, wofür andere auf die Straße gehen und demonstrieren, weil ihre Arbeitsplätze verlorengehen, weil beispielsweise Erprobungsstellen der Bundeswehr Entlassungen vornehmen müssen, da sie die finanziellen Mittel nicht mehr haben. Das ist die Konsequenz, die die SPD mit ihrer doppelten Moral zutage legt.
({0})
Meine Damen und Herren, daß Sie mit mehr Steuern die Mehrausgaben finanzieren wollen, haben Sie auf Ihrem letzten Parteitag wieder deutlich gezeigt. Sie haben bereits in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung eindeutig bewiesen, daß Sie in der Weltrangliste absolut die unangefochtene Nr. 1 im Schuldenmachen sind, indem Sie in den 13 Jahren von 1969 bis 1983 die Bundesschuld versiebenfacht haben - versiebenfacht, meine Damen und Herren! Es ist auch darauf hinzuweisen, daß Deutschland im internationalen Vergleich, ebenso wie England beispielsweise, weit von einer Verschuldenskrise entfernt ist. Auch darauf ist in dem Artikel in der „Wirtschaftswoche", auf den ich mich bezogen habe, zutreffend hingewiesen worden.
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Meine Damen und Herren, die Bewältigung der Schuldenkrise kann bei der Bewältigung der Altlasten sehr hart werden. Es heißt hier:
So reichten jahrelang die Primärüberschüsse in der Konsolidierungsphase der 80er Jahre gerade aus, den weiteren Anstieg der Schuldenquote zu verhindern.
({2})
- Herr Wieczorek, hören Sie doch zu! Ihre Argumente werden auch durch die Lautstärke nicht besser. Hören Sie mal gut zu!
({3})
Ohne die Schuldenpolitik der SPD hätten wir in den 80er Jahren sogar den absoluten Schuldenstand abbauen können.
({4})
- Sehen Sie, das kommt davon, daß Sie nicht zugehört haben. Ich darf Ihnen den Satz noch einmal vorlesen: Ohne die Schuldenpolitik der SPD hätten wir in den 80er Jahren sogar den absoluten Schulden16480
Hansgeorg Hauser ({5})
stand abbauen können. Wenn Sie dann fragen: Warum haben Sie es nicht getan?, so ist das der Beweis dafür, daß Sie nicht zuhören können.
({6})
Wir müssen von der hohen Staatsquote von 52 % in 1994, der hohen Abgabenquote von 44,5 % und der Steuerquote von 25 % wieder herunter.
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- Ich habe gerade schon gemerkt, daß Sie die wichtigsten Passagen verpassen, Herr Wieczorek, wenn Sie immer hineinbrüllen. Deswegen sollten Sie einmal zuhören. Hinterher können wir uns vielleicht bei einem Bier darüber unterhalten, was Sie damit meinen.
({8})
Immerhin haben wir trotz der historisch einmaligen Aufgabe bei der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands bisher noch nicht den historischen Höchststand der Steuerquote in den 70er Jahren erreicht.
Meine Damen und Herren, mir ist es unbegreiflich, wie die SPD permanent die Substanzbesteuerungen nach wie vor nicht abschaffen will. Die Gewerbekapitalsteuer ist ein Hindernis erster Ordnung bei der Unternehmensbesteuerung. Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß wir das endlich abschaffen müssen.
({9})
Trotz der Sparmaßnahmen, die wir getroffen haben, gibt es eine ganze Reihe von Risiken auf der Ausgabenseite. Ich möchte einige Beispiele nennen, die besonders kostenträchtig sind: Die Bundesanstalt für Arbeit ist bereits angesprochen worden, die uns gegenüber den ersten Planungen für 1993 um zusätzliche 25 Milliarden DM belastet hat
({10})
und für die wir jetzt 1994 den Bundeszuschuß wieder auf 18 Milliarden DM aufstocken mußten. Weitere Erhöhungen sind je nach Entwicklung der konjunkturellen Lage nicht ausgeschlossen. Ich denke an die Bahnreform. Herr Weng, ich kann Ihre Ausführungen zum größten Teil unterstreichen. Auch hier darf es nicht sein, daß wir zusätzliche Belastungen bekommen. Die Möglichkeiten des Bundes sind ausgereizt.
({11})
Vor allem darf es nicht zu einer verfassungsrechtlichen Beteiligung der Länder an der Mineralölsteuer im Sinne einer zweiten flexiblen Gemeinschaftssteuer kommen.
({12})
Der Bund muß insoweit den Handlungsspielraum
behalten. Ich denke an das Entschädigungsgesetz,
das uns wahrscheinlich etliche Milliarden DM mehr
kostet, und an das Vermögenszuordnungsgesetz, mit dem die Länder und Gemeinden den Bund zu einer Schuldenübernahme in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM veranlassen wollen.
Letztlich möchte ich auch auf die finanziellen Risiken des Berlin-Umzuges hinweisen, den wir uns in den nächsten Jahren kaum leisten können. Die Lösung liegt hier nur in einer vernünftigen Zeitachse.
({13})
Diese zusätzlichen Haushaltsrisiken muß man vor dem Hintergrund der bereits beschlossenen Steuererhöhungen für 1994 und 1995 sehen, die sämtlich schon in der Finanzplanung - ich sage das einmal etwas salopp - verfrühstückt worden sind. Die konjunkturellen Auswirkungen auf das Wachstum können wir noch nicht abschätzen. Klar muß aber für Bürger und Unternehmen jetzt schon sein: Es kann und darf über die bereits beschlossenen Steuererhöhungen hinaus keine zusätzlichen Belastungen geben.
In der Steuerpolitik können wir sinnvolle und notwendige Förderungsmaßnahmen, wie z. B. bei den Forschungsausgaben, nur ermöglichen, wenn wir umschichten und an anderen Stellen Erhaltungssubventionen abbauen. Auch in der Steuerpolitik gilt das Moratorium: Keine zusätzliche Förderung ohne Gegenfinanzierung.
Mit dem Mißbrauchsbekämpfungsgesetz haben wir konsequent unsere bisherige Politik des Abbaus von Steuersubventionen fortgesetzt und damit auch auf diesem Gebiet zur Haushaltskonsolidierung beigetragen.
Meine Damen und Herren, das Beispiel der letzten zehn Jahre hat gezeigt, daß wir durch Steuersenkungen sehr wohl Wachstumspolitik betreiben können. Dazu müssen wir wieder zurückkehren.
Ich glaube, daß man der gegenwärtigen angespannten Haushaltslage aber auch positive Elemente abgewinnen kann, wenn dies dazu führt, daß überkommene Subventionstöpfe abgebaut, die Staatsausgaben auf ihren notwendigen Kern zurückgeführt und verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Nicht umverteilen ist gefragt, sondern Konsolidierung durch Einsparen und neue Leistungsanreize für Bürger und Unternehmen.
({14})
Die Finanzpolitik der Koalition ist mit dem Bundeshaushalt 1994 insoweit auf dem richtigen Weg.
({15})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Manfred Hampel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe der Einbringungsrede von Herrn Waigel sehr aufmerksam gelauscht, weil ich erwartet hatte, irgend etwas zu hören, worauf ich reagieren müßte. Außer einer unpassenden Bemerkung über eine launige Rede, die
übrigens um Längen besser war als das, was Sie heute abgeliefert haben, habe ich nichts gehört, worauf es sich lohnte einzugehen. Für eines ist diese Rede aber doch symptomatisch für den derzeitigen Zustand dieser Bundesregierung: kraftlos, nichtssagend.
Ich möchte an den Anfang meiner Rede zwei Zitate stellen, ein erstes Zitat aus dem Monatsbericht für Oktober des Arbeitsamtes Dessau:
Die neuesten Arbeitsmarktzahlen vom Oktober weisen erneut einen leichten Anstieg des Arbeitslosenbestandes im Amtsbezirk Dessau aus. Mit 25 949 Arbeitslosen sind das 180 oder 0,7 % Arbeitslose mehr als im September. Im Vergleich zum Vorjahr sind es sogar 28 % oder 5 682 Arbeitslose mehr.
Die Arbeitslosenquote, auf der Basis aller abhängigen zivilen Erwerbspersonen berechnet, stieg von 21,1 % im September auf 21,2 %. Vor einem Jahr hat sie bei 14,8 % gelegen.
Das zweite Zitat ist aus dem Bericht des Bundesrechnungshofs über die Tätigkeit der Treuhandanstalt, Bundestagsdrucksache 12/5650:
Mehr als die Hälfte der vom Bundesrechnungshof untersuchten Verträge enthielten keine Regelungen oder nur rechtlich nicht bindende Absichtserklärungen des Käufers zu Investitionen und Arbeitsplätzen. Verträgen mit rechtlich bindenden Investitions- und Arbeitsplatzzusagen fehlte häufig eine Präzisierung hinsichtlich des Verbleibs der Invesitionen im Unternehmen oder der Zahl der zu beschäftigenden Arbeitnehmer auf den zugesagten Arbeitsplätzen. Vertragsstrafen für den Fall der Nichterfüllung der Zusagen waren häufig ohne nachvollziehbare Begründung nicht vereinbart.
({0})
Im übrigen empfehle ich diese Bundestagsdrucksache dringend zur Lektüre. Sie macht klar, welchen Anteil die Bundesregierung an dem wirtschaftlichen Niedergang in den neuen Ländern hat.
Meine Damen und Herren, die Zitate aus dem Bericht des Arbeitsamtes Dessau und des Bundesrechnungshofes sollten Sie zum Nachdenken anregen.
({1})
Ich stelle es Ihnen anheim, diese beiden Zitate in einen Zusammenhang zu bringen.
({2})
Im vierten Jahr nach dem Beitritt der ehemaligen DDR schwankt die Stimmung über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland zwischen Bangen und Hoffen. Das mit der Einführung der D-Mark erhoffte dynamische Wachstum durch die Kräfte des Marktes hat sich als Illusion erwiesen. Von einer kurzfristigen Anpassungskrise trauen sich inzwischen selbst die Strategen der reinen Lehre des Marktes nicht mehr zu reden.
Gefragt ist wirtschaftspolitisches Handeln. Seitens der Bundesregierung bleibt dies jedoch noch immer aus. Zaudern, Zögern und eine erschreckende Tatenlosigkeit lassen die Entindustrialisierung im Osten immer weitergehen.
({3})
Von ursprünglich 9 000 568 Beschäftigten im ersten Quartal 1990 sind wir im Osten inzwischen bei 6 100 000 Beschäftigten im dritten Quartal 1993 angekommen. Das sind rund 3,5 Millionen Personen, die aus dem Erwerbsleben auf die verschiedensten Arten ausgeschieden sind. Die offizielle Arbeitslosenzahl von 1 157 000 nimmt sich dagegen vergleichsweise lächerlich aus.
Im industriellen Bereich im engeren Sinne, also im Bergbau und im verarbeitenden Gewerbe, ist die Beschäftigtenzahl auf ca. 1 460 000 abgesunken und damit auf unter 24 % des ostdeutschen Unternehmenssektors. Gemessen am tatsächlich realisierten Umsatz, bedeutet selbst dieser Wert noch einen Beschäftigungsüberhang. Die Investitionstätigkeit ist trotz erheblicher Förderinstrumente und Förderquoten von bis zu 50 % quantitativ und qualitativ nicht ausreichend.
Im Jahre 1992 wurden pro Erwerbstätigen nur ca. 75 % des westdeutschen Niveaus investiert, davon im verarbeitenden Gewerbe nur ca. ein Fünftel. Die Steigerungsrate für Anlageinvestitionen bei Ausrüstungen ist rückläufig und liegt derzeit bei 6,1 %. Das Potential für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wurde zum größten Teil abgebaut. Von ursprünglich 75 000 in der Industrie beschäftigten Wissenschaftlern waren bis zum dritten Quartal 1993 nur noch 10 000 in regulärer Arbeit.
({4})
- 10 000, 5 000 sind in AB-Maßnahmen und sonstigen Programmen.
Regionale Disparitäten haben sich weiter verschärft. Einzelne Regionen wurden durch die Krise ihrer Branchen vollständig deindustrialisiert.
Der Industriebesatz, also die Industriebeschäftigten pro 1 000 Einwohner, ist von 195 im Jahre 1989 auf 48 Beschäftigte im dritten Quartal dieses Jahres gesunken. Das noch vorhandene Industriepotential Ostdeutschlands ist für sich genommen nicht mehr in der Lage, einen selbsttragenden Aufschwung in Gang zu setzen.
({5})
Die produktive Basis der ostdeutschen Wirtschaft ist mit nur noch ca. 24 % so weit unterhöhlt, daß nachgelagerte unternehmensbezogene Dienstleistungen keine ausreichende Basis mehr haben. Lediglich im Bausektor und in den baunahen Dienstleistungen ist ein Aufwärtstrend zu verzeichnen. Diese Sektoren der ostdeutschen Wirtschaft hängen aber nach wie vor am Finanztransfer von Ost nach West, da vor allem die öffentliche Hand Auftraggeber ist.
Die Selbstbeschränkung der Wirtschaftspolitik auf eine einzelwirtschaftliche Effektivierung und die Übertragung dieser Aufgaben an die Treuhandanstalt
hat zu einer weitgehenden Zerrüttung der ökonomischen und sozialen Strukturen geführt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Entwicklung darf nicht länger hingenommen werden.
({6})
Es ist höchste Zeit zum Handeln. Der Markt ist als Selbstregulativ unfähig, diese Umwandlungsaufgabe zu bewältigen. Der Staat muß die Grundlagen erst entwickeln und gestalten. Nur so wird es möglich sein, die weitere Entindustrialisierung zu stoppen. Die Zentren industrieller Produktion - sprich: die Erhaltung, Sanierung und Modernisierung industrieller Kerne mit Ausstrahlung in den tertiären Sektor - müssen im Osten Deutschlands wiederhergestellt werden. Dafür werden wir uns einsetzen.
({7})
Die im Bestand der Treuhandanstalt verbliebenen größeren Industriebetriebe können dafür die Grundlage bilden. Das allein wird jedoch nicht ausreichen. Die Stützung und Entwicklung des bereits privatisierten und reprivatisierten Sektors ist von gleicher Bedeutung.
Aus der Sicht der Sozialdemokratie kann sich die Diskussion um die Treuhandnachfolgeorganisation daher nicht auf eine Auseinandersetzung über eine optimale Verwaltungslösung beschränken. Sie kann sich auch nicht auf die Frage beschränken, ob und wie die verbliebenen Aufgaben privatrechtlich am besten zu organisieren sind.
Wir betrachten es als eine vorrangige Aufgabe, mit dem noch vorhandenen Potential Aufbauarbeit im und für den Osten zu leisten. Einige große Unternehmen wie Buna, Leuna, die Chemie AG, die Deutsche Waggonbau AG, die Betriebe der Landtechnik, die Laubag und Mibrag, die SKET und die VEAG - um nur einige zu nennen - sind Beispiele von Großbetrieben, die zu industriellen Zentren mit entsprechender Ausstrahlung in den Dienstleitungssektor und die Zuliefererindustrie entwickelt werden können.
Daneben wird es eine Anzahl von noch ca. 100 mittleren und kleineren Unternehmen geben, die nach Ende des operativen Geschäfts im Besitz der Treuhand sein werden. Auch diese Unternehmen sind zu entwickeln und die Standorte zu erhalten.
({8})
Eine weitere wichtige Frage ist die Situation der bereits privaten Betriebe, also die Situation der privatisierten und reprivatisierten Betriebe. Unsere Betriebe kranken in einem großen Umfang an fehlendem Eigenkapital, das aus eigener Kraft nicht aufgebracht werden kann, betrachtet man den Umfang der Investitionen, der notwendig ist. Hier wäre es dringend notwendig, seitens des Landes und der Bundesregierung Bürgschaften zum Aufbau in den neuen Bundesländern zu übernehmen.
Mit der Privatisierung und Reprivatisierung ist nämlich keinesfalls eine Überlebensgarantie erreicht. Die Treuhand weigert sich vehement, Unternehmen zurückzunehmen. Lediglich im Fall der Niederlassung Halle ist es gelungen, die Treuhand zur Rücknahme von Unternehmen zu bewegen, zu deren Verkauf es auf Grund betrügerischer Manipulationen gekommen war.
Wenn dieser Handlungsgrundsatz Rücknahme bei Eingehungsbetrug bzw. betrügerischen Tatbeständen zwischenzeitlich akzeptiert ist, bleibt ein weiterer Faktor noch immer Schlupfloch für die Treuhandanstalt. Es muß einen Sinn machen, diese Unternehmen zurückzunehmen. Mit anderen Worten: Wenn ein Betrüger so viel Zeit und Muße hatte, ein Unternehmen so weit auszuweiten, daß eine Sanierung nur noch mit hohem Kapitaleinsatz zu bewerkstelligen wäre, macht es nach Auffassung der Treuhand keinen Sinn, diese Unternehmen zurückzunehmen. Beispiele dafür sind die Thüringische Faser Schwarzer und das Faserwerk Pirna, welche an eine indische Investorengruppe veräußert werden, wobei man sicher das Wort Investorengruppe in Anführungsstriche setzen müßte.
({9})
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Ich will nicht für eine generelle Rücknahmeverpflichtung eintreten. Dies wäre gesamtwirtschaftlich nicht vertretbar.
Allerdings ist die derzeitige starre Haltung der Treuhandanstalt gegen die Rücknahme von Unternehmen bei gescheiterter Privatisierung auch nicht der Weisheit letzter Schluß, zumal Mißmanagement in der Treuhandanstalt als Preis der schnellen Privatisierung für das Scheitern von Betrieben wesentlich mit verantwortlich ist.
In ihrer Gegenäußerung zum Bundesrechnungshofbericht stellt die Treuhandanstalt fest: Die Zulässigkeit unvollkommenen Arbeitens sei die Existenz- und Erfolgsgrundlage der Treuhandanstalt schlechthin.
({10})
Ich hoffe, Sie haben diesen Satz richtig verstanden.
({11})
Ich lese ihn gern noch einmal vor - er ist in dem von mir erwähnten Bundesrechnungshofbericht nachzulesen -: Die Zulässigkeit unvollkommenen Arbeitens sei die Existenz- und Erfolgsgrundlage der Treuhandanstalt schlechthin.
({12})
Angesichts dieses Grundsatzes, über den jetzt nicht zu streiten ist, muß aber verlangt werden, daß schädliche Folgen dieses unvollkommenen Arbeitens nicht zu Lasten der betroffenen Unternehmen und letztlich zu Lasten der Beschäftigten gehen.
({13})
Offensichtlich weigern sich Treuhand und Bundesregierung, die Verantwortung für Folgeschäden einer zu schnellen Privatisierung und einer verfehlten Wirtschaftspolitik zu übernehmen. Statt dessen wird eine Erblastenlegende aufgebaut, mit der diese verfehlte
Politik kaschiert werden soll. Damit muß endlich aufgehört werden.
({14})
Es ist allerhöchste Zeit, traditionelle Denkmodelle auf den Müll zu werfen und sich den zu lösenden Aufgaben vorurteilsfrei und ohne parteipolitischem Taktieren zu stellen.
({15})
Wirtschaftliche Entwicklungsstrategien zugunsten der neuen Länder müssen in einem Konzept der gleichzeitigen Bewältigung der in den alten Ländern anstehenden Strukturprobleme eingebunden sein. Wenn es nicht gelingt, die langfristigen Strukturprobleme Westdeutschlands zu bewältigen, wird auch die Integration Ostdeutschlands allein aus Mangel an Ressourcen schleppend vorankommen. Die Mark kann eben nur einmal ausgegeben werden. Das ist eine Binsenweisheit.
Je langsamer im Osten der Aufschwung geht, um so länger wird er dauern, und um so länger wird er von Transferleistungen aus dem Westen abhängig sein -mit all den negativen Auswirkungen auf das Zusammenleben von Ost- und Westdeutschen, deren Tendenz schon jetzt deutlich sichtbar ist.
Die Menschen im Osten wollen sich ihre Lebensgrundlage selbst erarbeiten. Man muß ihnen nur die Möglichkeit dazu geben. Mit unserem wirtschaftspolitischen Konzept werden wir dafür die Voraussetzungen schaffen.
({16})
- Sie können es nachlesen.
({17})
- Das wäre jetzt zu umfangreich, und dafür würde jetzt meine Redezeit nicht ausreichen.
Deutschland steht vor einer Herausforderung, wie sie seit der Gründung der Bundesrepublik nicht mehr gegeben war. Das sind:
Erstens. Die sprunghaft gestiegene Staatsverschuldung, die den Handlungsspielraum des Staates auf Grund der hohen Zinsbelastung dramatisch einschränkt.
Zweitens. Die Integrationsaufgabe im Osten mit all ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen.
Drittens. Der hohe Kostenstand und die unzureichende Kapitalbildung vor allem in Ostdeutschland.
Viertens. Die Folge des Nachwuchsmangels als Ergebnis eines langanhaltenden Geburtenrückgangs und in den neuen Ländern der dramatische Einbruch der Geburtenzahlen nach der Wende.
Fünftens. Die beginnende Erosion des Ausbildungssystems. In meinem Haushalt, Bildung und Wissenschaft, wurde die Aufstockung um 320 Millionen DM, die ausschließlich investiv für den Aus- und Neubau von Hochschulen genutzt werden sollte, von der Koalition abgelehnt. Ebenso trifft die globale
Minderausgabe in der Titelgruppe 06 Fördermaßnahmen für den wissenschaftlichen und beruflichen Nachwuchs.
Sechstens. Die langfristigen Kosten der Alters- und Pflegeversicherung.
Siebtens. Die Entschädigungsregelung und die Regelung in bezug auf die Vertriebenen. Bei den Vertriebenen geht es um die 4 000 DM-Regelung. Der erste Gesetzentwurf war ja wohl ein vollkommener Flop. Es ist von neuen Belastungen - je nachdem; ich kenne jetzt das genaue Konzept der Koalition nicht - zwischen 11 und 17 bis 18 Millionen DM die Rede. Auf jeden Fall wird es eine zusätzliche Belastung des Bundeshaushalts werden. Das ursprünglich vorgehabte Nullsummenspiel geht wohl nicht auf.
Diese Summe der Aufgaben kann mit den herkömmlichen Instrumenten nicht bewältigt werden; schon gar nicht mit dem „Weiter so"-Denken dieser Bundesregierung.
({18})
Die Fortsetzung des industriellen Kahlschlags in den neuen Ländern hat nicht nur für die Menschen in den neuen Ländern, sondern auch für die Unternehmen und ihre Beschäftigten in den alten Ländern schwerwiegende Folgen.
Zum Schluß möchte ich noch auf einige Punkte, die Treuhand betreffend, eingehen. Im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms hatten wir erreicht, daß das Bekenntnis zum Erhalt industrieller Kerne durch Erhöhung des Kreditrahmens der Treuhandanstalt realisiert werden könnte. Ich sage bewußt: könnte; denn nach unserer Auffassung geschieht im Bereich der direkten Investitionen zu wenig.
Augenscheinlich nimmt die Treuhand diese zweimal 8 Milliarden DM als willkommene Aufstockung ihres Finanzrahmens, ohne damit tatsächlich Substantielles im investiven Bereich für sanierungsfähige Unternehmen zu leisten. Bundesregierung und Treuhand müssen sich endlich zu einer aktiven Industriepolitik bekennen.
({19})
Dies ist für den Wiederaufbau der ostdeutschen Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Es ist ökonomisch viel besser, bestehende Zentren zu modernisieren, als Betriebe zusammenbrechen zu lassen und zu hoffen, daß auf den Ruinen bald etwas Neues entsteht.
Die Weiterführung der Unternehmen, die noch nicht privatisiert werden können, in Management-KGs ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nur dürfen diese Management-KGs keine kleinen Treuhandanstalten werden. Bisher krankt das Konzept der Management-KGs an ihrer nahtlosen Einbindung in das vorrangige Privatisierungsziel der Treuhandanstalt. Dies kommt auch in den Konstruktionsprinzipien der Management-KGs zum Ausdruck.
Die anderen verbliebenen Aufgaben der Treuhandanstalt haben ebenfalls nicht unerhebliche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen: erstens die Verwaltung und Verwertung der Liegenschaften für gewerbliche und für Wohnzwecke, zweitens die Verwaltung und Verwertung land- und forstwirtschaftlicher Nutz16484
flächen, drittens das Vertragsmanagement einschließlich der Abwicklung und der Reprivatisierung und viertens die hoheitlichen sowie andere Aufgaben der Treuhandanstalt.
Dies alles ist so zu organisieren, daß weitere negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in den neuen Ländern verhindert werden. Dafür werden wir uns bei der Gestaltung der Nachfolgestruktur und Organisation der Treuhand einsetzen. Wir werden uns dafür einsetzen, daß endlich eine positivere wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland beginnt und daß die Anpassung der Lebensverhältnisse in Ostdeutschland so schnell wie möglich vollzogen werden kann.
Schönen Dank.
({20})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Arnulf Kriedner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einige Redner der Opposition haben sich gewundert, warum der Finanzminister so fröhlich ist. Ich kann die Fröhlichkeit des Finanzministers sehr gut verstehen. Angesichts der Konzeptlosigkeit,
({0})
die die Opposition hier vorgeführt hat, angesichts der Tatsache, daß ich nicht ein einziges Rezept außer Analysen gehört habe, meine sehr verehrten Damen und Herren,
({1})
wäre auch ich als Finanzminister ausgesprochen fröhlich. Das kann ich doch wohl sagen.
Herr Finanzminister, solange Sie mit einer Opposition leben müssen, die hier nicht viel mehr macht als die Fortsetzung ihres gerade beendeten Parteitages, können Sie ganz gut leben.
({2})
- Ich will versuchen, Herr Kollege Jungmann, Ihnen zu erläutern, warum ich so eingestiegen bin.
({3})
- Ja, klar, natürlich, ich kenne ja die Aversionen, die Sie haben, wenn ich hier rede. Insofern ist das nicht so schlimm.
({4})
- Ich bin sehr gerne bereit dazu, wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen würden.
Meine Damen und Herren, Sie haben hier jetzt mit zwei Rednern, Kollegen Wieczorek und Kollegen
Hampel, entweder Wahlkampfstrategie oder verbale Akrobatik vorgeführt - nur eines von beiden geht -,
({5})
und zwar nach dem Strickmuster: Kollege A, Redner Wieczorek, beklagt steigende Kreditaufnahme und Schattenhaushalt; Redner B, Kollege Hampel, ruft zur Rücknahme von Betrieben durch die Treuhandanstalt auf, d. h. zur Steigerung der Beträge in den Schattenhaushalten. Was ist von beiden richtig, meine Damen und Herren?
({6})
- Oh, ich habe sehr gut mitgeschrieben, was hier gesagt worden ist.
Der Kollege Hampel hat hier in einem Zitat ausgeführt, welchen Anteil die Bundesregierung am wirtschaftlichen Niedergang in Ostdeutschland hat. Kollege Hampel, Sie sind sonst im Ausschuß jemand, mit dem man durchaus reden kann. Warum haben Sie nicht mit einem einzigen Wort darauf hingewiesen, wer eigentlich den wirtschaftlichen Niedergang in Ostdeutschland und in allen sozialistischen Ländern zu verantworten hat? Wer war das denn? Hat das diese Bundesregierung durch ihre Politik gemacht?
({7})
- Da nützt Ihnen doch das Abwinken nichts, Frau Kollegin. Sie reisen doch auch öfters in ein ehemals sozialistisches Land. Sie kennen doch die Lasten, die andere Länder wie Ungarn, wie die Tschechoslowakei oder jetzt die beiden Nachfolgestaaten, wie Polen oder gar die Länder, die der Sowjetunion nachgefolgt sind, zu tragen haben und unter welchen Zuständen die leben. Sie tun so, als ob wir auf einer Insel der Seligen lebten und als ob Lasten, die die Vergangenheit, die sogenannte sozialistische Staatswirtschaft, hervorgerufen hat, allein Schuld dieser Regierung wären. Das halte ich nicht für einen guten Beitrag zu einer logischen Debatte in diesem Haus.
({8})
Herr Kollege Kriedner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel?
Selbstverständlich.
Bitte, Kollege Hampel.
Herr Kriedner, selbstverständlich kann man den Anteil, den das SED-Regime in der Wirtschaft der ehemaligen DDR hinterlassen hat, nicht kleinreden.
({0})
- Ich habe gesagt: „den Anteil" . Erst einmal zuhören! - Meinen Sie nicht, daß es sich die Bundesregierung sehr einfach macht, wenn sie jetzt alles auf die Erblastenlegende schiebt und glaubt, sich damit von
ihrer Verantwortung, die sie heute hat, freimachen zu können?
Herr Kollege Hampel, ich möchte Ihnen auf Ihre Frage mit nackten Zahlen antworten. Die Eröffnungsbilanz der Treuhandanstalt hat 218 Milliarden DM an „Miesen" gebracht. Es sind Schulden bei den Wohnungsbaugesellschaften von rund 50 Milliarden DM vorhanden gewesen. Bei der Reichsbahn beträgt der Schuldensaldo etwa 48 Milliarden; es waren 38 Milliarden DM, und durch die Zinsen ist der Betrag angewachsen.
Mit Zinsen sind es rund 140 Milliarden DM, die der Staatshaushalt der DDR an „Miesen" hinterlassen hat. Wenn ich einmal grob zusammenrechne, sind es eine runde halbe Billion DM. Sie können die nicht einfach wegreden und so tun, als ob es sie gar nicht gäbe.
({0})
Meine Damen und Herren, mit keinem einzigen Wort ist auf diese Erblast hier eingegangen worden.
({1})
Sie tun in den Reden, die Sie hier halten, so, als ob das allein ein Verschulden der jetzigen Regierung war. Dagegen wehre ich mich ganz entschieden.
({2})
- Ein verbales Dauerschreien im Hintergrund nützt auch nichts. Das bringt uns nicht in die Diskussion, die wir an sich miteinander führen sollten. Aber mir ist auch klar, daß ganz kurz vor Wahlen, wie sie bevorstehen, eine richtige Diskussion kaum möglich ist.
Lassen Sie mich trotzdem versuchen, ein paar Zahlen aus dem Haushalt zu nennen. Vielleicht haben wir die Chance, wenigstens über Zahlen einander näherzukommen. Wir, Kollege Wieczorek, müssen uns gemeinsam mit Einzelplan 60 und hier insbesondere mit dem Kapitel 6003 auseinandersetzen. Dort stehen die Leistungen, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zu erbringen sind. Man muß einfach einmal in aller Bescheidenheit darauf hinweisen dürfen, daß 1993 an solchen Leistungen 33,4 Milliarden im Haushalt standen und daß für 1994 41,3 Milliarden genannt sind, d. h. - trotz der hier schon dargestellten finanziellen Situation des Staates - ein Aufwachs von 8 Milliarden DM vorhanden ist.
Allein bei der für die Finanzierung der Länder und Gemeinden wichtigsten Position, beim Fonds Deutsche Einheit, steigt der Ansatz von 20,2 Milliarden DM auf 29,6 Milliarden DM an. Da erzählen Sie hier permanent, daß da nichts getan würde.
Ich muß Ihnen auch sagen, Herr Kollege Hampel - wir verstehen uns sehr wohl -: Auch ich beklage Abbau von Industrie im Osten. Aber der Satz, den Sie vorhin gebraucht haben, macht mich doch etwas verwundert. Sie haben gesagt:
Das vorhandene Industriepotential
- damit meinen Sie wohl das im Osten ist für sich allein nicht imstande, einen selbsttragenden Aufschwung zustande zu bringen.
War es das denn etwa vorher, meine Damen und Herren?
({3})
- Wenn Sie von Volkswirtschaft nichts verstehen, sollten Sie schweigen! Wenn ich einen solchen Satz zu interpretieren versuche, dann hören Sie mir doch erst einmal zu, ehe Sie schreien!
({4})
- Ich schiebe ihm etwas in den Mund? Das ist ein Wortzitat. Ich habe mitgeschrieben, was Herr Hampel gesagt hat.
Ich sage noch einmal: Es gibt in der Welt überhaupt keine selbsttragenden Aufschwünge mehr. Wir alle erleben doch in der gegenwärtigen Krise, wie schwer es Volkswirtschaften haben, sich von weltweiten Entwicklungen abzukoppeln. Da nützen auch die sozialistischen Marx-Sprüche nichts, die Sie von der PDS hier vorgetragen haben. Ihre Wirtschaft hat am ehesten bewiesen, daß Sie nicht in der Lage ist, auch nur irgendeine Krise auszusteuern.
({5})
Ihre Sprüche waren hier sehr wenig hilfreich.
({6})
- Ich will Sie auch gar nicht aufwerten. Ihr Beitrag war auch entsprechend.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir geht es nur darum, daß wir mit halben volkswirtschaftlichen Wahrheiten der vor uns liegenden Aufgabe mit Sicherheit nicht beikommen werden.
Lassen Sie mich bitte noch ein paar Zahlen nennen. Sie hören sie sehr ungern; aber ich nenne sie trotzdem. Ich sage, was dieser Haushalt leistet: Zinszuschüsse an mittelständische und kleinere Unternehmen, ERP-Sondervermögen, 97 Millionen DM. Zahlungen nach dem Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht 217 Millionen DM - bei all diesen Beträgen Aufwuchs -, Erstattung an Rentenversicherungsträger im Osten 250 Millionen DM, Hochschulprogramm 90,5 Millionen DM, Gemeindekreditprogramm ein Aufwuchs von 250 Millionen auf 550 Millionen DM.
({7})
- Kollege Jungmann, entschuldigen Sie. Sie sind doch Haushälter. Nun versuchen Sie doch nicht, Sachen herunterzureden, die Sie im Haushalt nachlesen können. Schauen Sie bitte in den Haushalt hinein, und sagen Sie mir, wo in diesen wesentlichen Punkten die Bundesregierung nicht zugelegt hat. Diese Aufwüchse haben wir durch unsere Beschlüsse im Haushaltsausschuß mitgetragen.
Ich nenne weiterhin: Zinszuschüsse für Wohnungsmodernisierungsprogramme, KfW, von 40 Millionen
auf 440 Millionen DM, elfmal mehr als im vergangenen Jahr. Es werden hier Worte an den Himmel gemalt wie: „Finanzkatastrophe", „Staatsbankrott", und der Kollege Wieczorek hat sogar versucht, den „Weltuntergang" herbeizureden. Gott sei Dank ist das Land davon ein Stück entfernt.
Herr Kollege Kriedner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Jungmann?
Ja.
Bitte, Kollege Jungmann.
Herr Kollege Kriedner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß mein Zwischenruf andeutete, daß all das, was Sie gesagt haben, zwar richtig ist, aber unter dem Vorbehalt einer 10 %igen qualifizierten Sperre und der globalen Minderausgabe von 5 Milliarden DM liegt? Erst am Ende wird man sehen, was tatsächlich getan worden ist und was nicht nur beabsichtigt worden ist.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Jungmann, Ihre Zwischenfrage ermuntert mich geradezu fortzufahren, weil sie mir die Gelegenheit gibt, darauf hinzuweisen, daß ich nicht sehe, wo in diesem Haushaltsbereich Sperren angebracht werden können. Ich bin mir absolut sicher, daß bei dem Ansatz von 41,3 Milliarden DM wohl kaum Abstriche gemacht werden, weil diese Bundesregierung eines weiß: Sie weiß die Schwerpunkte richtig zu setzen, und sie weiß, daß die deutsche Wiedervereinigung einer der Schwerpunkte ihrer Politik ist.
({0})
- Sehr geehrter Herr Kollege Küster, ich verstehe ja, daß die Opposition alles kleinreden muß. Aber ich muß Ihnen sagen: Sie sollten wenigstens auch einmal etwas anerkennen. Sie sollten mich mit Ihren Zwischenrufen nicht überdecken.
({1})
Solange ich das Mikrophon habe, bin ich besser als Sie auf Ihrem Stuhl.
({2})
- Schreien können Sie schon ganz gut. Ob das immer das Richtige ist, ob der Kehlkopf das bessere Instrument ist als der Kopf, das bezweifle ich ohnehin, lieber Herr Kollege Küster.
Ich will Ihnen nur einmal sagen: Sie können nicht wegleugnen, was infrastrukturell in den neuen Bundesländern getan worden ist. Sie tun ja so, als ob die
letzten drei Jahre vergangen wären, ohne daß etwas getan worden wäre.
({3})
Ich sehe den Kollegen Krause dort hinten sitzen. Überlegen Sie sich doch einmal, was in dieser Zeit etwa in der Frage des Verkehrs und des Baus von Schienenverbindungen und Straßenverbindungen sowie bei der Telekommunikation getan worden ist. Einfach so zu tun, als ob das alles nichts wäre, damit macht man sich die Sache zu leicht.
({4})
- Dazu habe ich schon eben etwas gesagt. Dazu haben Sie keine Antwort. Sie haben keine Antwort darauf, was Sie tun würden, wenn Sie in der Situation wären, in der die jetzige Regierung ist. Diese Regierung gibt Antworten, indem sie finanziert, indem sie Infrastruktur aufbaut.
Herr Kollege Kriedner, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser?
Bitte, ich gestatte gern noch eine Zwischenfrage.
Bitte schön.
({0})
Auch die Fragen, die Ihre Kollegen gestellt haben, waren Stützfragen.
Herr Kollege Kriedner, würden Sie bitte unseren Kollegen von der SPD hier mitteilen, daß die Ausgaben für den Straßenbau im Osten auch Ausgaben und damit erhebliche wirtschaftliche Hilfen für den Westen sind, da Autobahnen ebenfalls im Westen gebaut werden?
Herr Kollege, ich bestätige Ihnen, daß das Aufgaben sind, die für ganz Deutschland wahrgenommen werden und die dem Zusammenwachsen dieses Landes und der gegenseitigen Kommunikation dienen. Da ist noch viel Nachholbedarf, glaube ich.
({0})
- Also, für Sie sind alle Infrastrukturaufgaben Banalitäten? Ich nehme das zur Kenntnis.
({1})
Ich allerdings halte Infrastruktur in Deutschland für ausgesprochen wichtig. Ich glaube nicht, daß man das banalisieren kann, wie Sie das eben getan haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube weder, daß wir eine „Endstation Staatsbankrott" erreichen werden, noch, daß durch die EinbrinArnulf Kriedner
gung dieses Haushaltes ein Verlust an „Grundvertrauen in die demokratische Gesellschaft" hervorgerufen wird, wie das der Kollege Wieczorek hier geäußert hat. Ich glaube auch nicht, daß der Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft, nämlich der soziale Friede, unter diesem Haushalt, so wie er eingebracht wird, leidet.
Ich glaube im Gegenteil, daß die Regierung in einer außerordentlich schwierigen Situation - dazu sind von Ihnen durchaus einige vernünftige Analysen geliefert worden - den Versuch einer Antwort unternommen hat.
({2})
- Analytisch war durchaus richtig, daß die Weltwirtschaft nicht läuft und daß das Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hat. Analytisch ist richtig, daß wir die Folgen der deutschen Wiedervereinigung nach wie vor sehr hart spüren. Analytisch ist richtig, daß die Ostwirtschaft zusammengebrochen ist. Dem kann man nur zustimmen.
Ich glaube also, daß wir den Versuch einer Antwort machen. Mehr kann das auch nicht sein; denn - darauf nehme ich noch einmal Bezug - auch die sozialdemokratisch regierten Bundesländer versuchen, mit ähnlichen Maßnahmen wie die jetzige Bundesregierung in ihren Ländern auszusteuern. Wenn Sie das nicht hinnehmen wollen, meine Damen und Herren, dann tun Sie mir leid.
Für meine Begriffe wird mit diesem Haushalt eine richtige Weichenstellung vollzogen. Wir sollten diese Weichenstellung allesamt mitvollziehen. Dazu lade ich sogar die Opposition ein.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen. Wer stimmt für den Einzelplan in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will an dieser Stelle einmal feststellen: Es ist wirklich sehr schwierig, von hier vorne eine Mehrheit auszumachen.
({0})
Ich mache Sie nur darauf aufmerksam: Wir beraten in diesem Hause den Bundeshaushalt. Ich möchte gerne, daß wir auch für die folgenden Tagesordnungspunkte und morgen hier klare Verhältnisse bei den Abstimmungen haben.
({1})
Ich kann hier nur sagen: Mit knapper Mehrheit ist der Haushalt des Bundesministers der Finanzen angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stimmen jetzt über den Einzelplan 32, Bundesschuld, ab. Dazu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Konrad Weiß ({2}) auf Drucksache 12/6198 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den
Änderungsantrag des Kollegen Konrad Weiß? - Niemand. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Gegenstimmen und Enthaltungen ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Einzelplan 32 in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! ({3})
Stimmenthaltungen? - Auch dieser Einzelplan ist mit knapper Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung. Wer stimmt für den Einzelplan 60 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe? - Stimmenthaltungen? - Auch dieser Einzelplan 60 ist mit knapper Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte darum - wir werden nun den nächsten Einzelplan beraten -, daß wir am Ende der Debattenzeit, wenn abgestimmt wird, klare Mehrheitsverhältnisse haben.
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- Bei dieser Besetzung waren es knappe Mehrheiten.
({5}) Ich rufe nun auf:
Einzelplan 31
Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft
- Drucksachen 12/6024, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Carl-Ludwig Thiele
Zum Einzelplan 31 liegt außerdem ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Frau Kollegin Doris Odendahl.
Herr Präsident! Liebe der Bildungspolitik verbundene Kolleginnen und Kollegen! Bei der Einbringung des Haushalts 1994 habe ich mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß dieser Haushalt des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft eine Schlüsselfunktion hat, weil es erste Aufgabe und Pflicht der Bildungspolitik ist, jungen Menschen Vertrauen und Orientierung für ihre Lebensplanung zu geben. Es erfüllt mich mit großer Bitterkeit, daß der heute zur Abstimmung stehende Einzelplan 31 diese Aufgabe nicht erfüllt.
Das von Ihnen angerichtete finanzpolitische Desaster ist zu tiefgreifend und Ihre Erkenntnisfähigkeit so
nachhaltig gestört, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, wenigstens noch über diesen Einzelplan erkennbare Signale auszusenden, wie Sie die Zukunftserwartungen junger Menschen erfüllen wollen. Unter dem Scherbenhaufen Ihrer Bildungspolitik leiden nicht nur die Auszubildenden, sondern Sie schaden damit ebenso unserem gesamten Bildungsbereich, den Bildungseinrichtungen in den alten wie in den neuen Bundesländern gleichermaßen.
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Dadurch gefährden Sie die Zukunftsaussichten der Jugendlichen und die Chance, den Qualifikationsstandort Deutschland zu sichern, ohne den die Sicherung des Wirtschaftsstandortes nicht gelingen kann.
Zur Sicherung dieses Qualifikationsstandortes habe ich den Bundeskanzler Anfang 1992 aufgefordert, Bildung wieder zur Chefsache zu machen, und zwar sowohl die berufliche Bildung als auch die Hochschulpolitik,
({1})
also auf den beiden Feldern, auf denen der Bund im Rahmen unserer Verfassung mit zuständig und verantwortlich ist. Der Kanzler hat diese Forderung zwar aufgegriffen, indem er einen imaginären Bildungsgipfel propagiert hat. Allerdings hat er seine löbliche Absicht auf seine unnachahmliche Art in den letzten zwei Jahren ausgesessen und zerredet. Als am 11. November, gleichsam als Abgesang für wirksame Maßnahmen, im Haushalt 1994 sein bildungspolitisches Forum nahezu ergebnislos zu Ende ging, haben der Kanzler und der Bildungsminister das Thema Bildungspolitik erneut auf die lange Bank geschoben.
Dabei hatten die Wissenschafts- und die Finanzminister der Länder im Mai und Oktober 1992 erstmals seit 15 Jahren festgestellt, daß der Bildungsbereich, gemessen an den gar nicht so goldenen Zeiten Mitte der 70er Jahre, dramatisch unterfinanziert ist. Bund und Länder haben sodann im Eckwertepapier vom 5. Mai 1993 eine Reihe von Strukturreformen und notwendigen Finanzierungsvorschlägen unterbreitet. Letztere hat der Bundeskanzler an diesem denkwürdigen 11. November brüsk abgelehnt, nachdem die Länder ihre Forderung in den ersten Monaten schon deutlich reduziert hatten, und zwar auf die Anhebung des Hochschulbauansatzes des Bundes von 2 Milliarden DM.
Heute kommt nun die Stunde der Wahrheit für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, und für den Bundeskanzler. Die SPD-Fraktion legt heute einen Änderungsantrag mit einer Aufstockung der Hochschulbaumittel auf 2 Milliarden DM vor.
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Ich trage Ihnen die Begründung dieses Antrags,
({3})
die gestiegene Bildungsnachfrage der Jugendlichen und den wachsenden Qualifikationsbedarf von Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung sowie die dramatische Situation der Hochschulen selbst, nicht
mehr im einzelnen vor; Sie kennen sie alle. Wir bieten Ihnen in der Tat - Ihr Zwischenruf ist berechtigt - dazu auch einen Deckungsvorschlag aus dem Einzelplan 14 gut begründet an und stellen unseren Antrag hiermit zur Abstimmung. Sie haben heute damit noch einmal die Chance, das im Bereich so dringend notwendige Signal zu geben.
Ich bin dabei im klaren, daß durch diese Maßnahme allein noch keine Verbesserung der Studienbedingungen zu erwarten ist.
({4})
Es sind vor allem diese unzureichenden Studienbedingungen, die die durchschnittlichen Studienzeiten immer mehr verlängern. Zu Ihrem reizenden Zwischenruf sage ich Ihnen: Sie müssen auch bei diesem Haushalt Prioritäten setzen.
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Hier Bundeswehr und hier Bildung, das ist in der Tat gefordert. Wir stellen Sie vor diese Wahl.
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Der Mangel an studentischem Wohnraum, die nicht ausreichende Ausbildungsförderung nach dem BAföG, Mängel in der Studienorgansation und schleppende Prüfungsabläufe müssen zusammen mit einer Verbesserung der Personalausstattung im Mittelpunkt einer Strukturreform von Bund und Ländern an den Hochschulen stehen.
Kurzfristig kann die von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen bisher verweigerte Erhöhung der Hochschulbaumittel des Bundes von 1,68 Milliarden DM auf mindestens 2 Milliarden DM keine Lösung der Kapazitätsengpässe an den Hochschulen bringen. Sie wäre aber das notwendige deutliche Signal, daß auch der Bund bereit ist, die Hochschulen offenzuhalten und sie - vor allem die Fachhochschulen - entsprechend der steigenden Bildungsnachfrage sowie dem wachsenden Qualifikationsbedarf auszubauen. Bei einem Ansatz von 1,68 Milliarden DM ist ein Ausbauziel auf 1,3 Millionen Studienplätze - wie vom Wissenschaftsrat überzeugend begründet - erst in 30 bis 40 Jahren zu erreichen.
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Ich weiß, daß auch in den Ländern Schwierigkeiten bestehen, die notwendigen Eigenanteile bei gemeinsam von Bund und Ländern finanzierten Bildungsaufgaben aufzubringen. Ich appelliere deshalb auch an die Länder, sich nicht lediglich auf den Hochschulbau festzulegen, sondern die sozialen Bedingungen der Studierenden mit zu beachten.
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- Hören Sie zu, wofür die Bundesregierung verantwortlich ist! Weder plant die Bundesregierung die notwendige Anpassung der Freibeträge und Bedarfssätze beim BAföG, um es Studierenden aus einkommensschwächeren Verhältnissen zu ermöglichen, ihr Studium etwas freier von materiellen Sorgen in kürDoris Odendahl
zeren Fristen - und das ist im Interesse aller - zu absolvieren, noch hat die Bundesregierung vor, die Qualitäts- und Attraktivitätsprobleme in der beruflichen Bildung - hier möchte ich insbesondere die Probleme der Berufsschulen in den neuen Ländern ansprechen - selbst mit anzupacken.
Statt dessen oder trotzdem plant die Bundesregierung, sich von einer neuen Arbeitsgruppe, die an diesem denkwürdigen 11. November vom Kanzler vorgeschlagen wurde, Empfehlungen erarbeiten zu lassen, wie Studienbewerber auf die berufliche Bildung umgelenkt werden können. Ich warne Sie nachdrücklich: Dieser Verschiebebahnhof ist der falsche Weg, meine Damen und Herren. Das Grundgesetz erlaubt keine Bedarfslenkung.
({9})
Die Jugendlichen werden weiterhin die für ihre beruflichen und sozialen Perspektiven günstigen Bildungsangebote anstreben. Sie erleben gegenwärtig wieder einmal hautnah, daß Berufsausbildung im dualen System, wie sie sie vorfinden, keine vergleichbaren Arbeitsplätze, keine ausreichenden Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sichert, sondern sehr oft von der Ausbildung direkt in die Arbeitslosigkeit führt. Der richtige Weg wäre es, alle Bildungswege attraktiv zu machen, und zwar für alle Jugendlichen gleichermaßen.
Statt dessen stellt die Bundesregierung im Haushalt 1994 falsche Weichen in Richtung Begabtenförderung in der beruflichen Bildung. Die SPD ist nicht grundsätzlich gegen eine Begabtenförderung; sie befürwortet sie.
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Die von Ihnen inzwischen mit erheblichem Aufwand betriebenen Maßnahmen greifen aber zu kurz. Bis heute gibt es dafür keine Konzepte. Gleichzeitig soll die AFG-Förderung der Fortbildung zum Meister und Techniker ganz wegfallen.
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Zugleich vernachlässigt die Bundesregierung, um es milde auszudrücken, die Benachteiligtenförderung und die Förderung und Umschulung von fehlqualifizierten Beschäftigten und Arbeitslosen. Sie begreift einfach nicht die Chance, den vor allem vom Handwerk beklagten Fachkräftemangel durch Förderung der über zwei Millionen Jugendlichen zu beheben, die seit 1970 bis heute ohne einen qualifizierten Abschluß geblieben sind. Die sind es nämlich, die angesichts der dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen zuallererst von Arbeitslosigkeit bedroht und betroffen sind. Sie haben im Bereich Ausbildung und berufliche Weiterbildung von dieser Bundesregierung nichts mehr zu erwarten. Ihrem Haushalt zufolge wurden sie ganz einfach abgeschrieben.
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Meine Damen und Herren, was ist in dieser verfahrenen Situation zu tun?
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Da sich die Bundesregierung aus der finanziellen Flankierung der Strukturreform im Bildungsbereich faktisch verabschiedet hat, müssen die Länder ihren eigenen Weg gehen - und diesen Weg wohl auch neu bestimmen.
Die SPD bedauert diese Situation außerordentlich; denn Bildung und Wissenschaft sind für uns gesamtstaatliche Aufgaben von hohem Rang. „Abstriche bei der Qualität und Qualifizierung durch die im Beruf stehende Generation zu Lasten bildungswilliger junger Menschen stellen den Generationenvertrag nachhaltig in Frage" , heißt es in der kürzlich verabschiedeten „Bonner Erklärung" des Präsidiums der SPD.
Gerade beim Sparen müssen die richtigen Prioritäten gesetzt werden.
({14})
Sicher gibt es noch Sparmöglichkeiten, die weder zu Qualitätseinbußen noch zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen für das Personal und die Auszubildenden selbst führen. An der Erarbeitung der nun erforderlichen Konzepte müssen die Betroffenen mitbestimmend beteiligt werden.
Die Länder müssen daher mit allen Gruppen an ihren Hochschulen gemeinsam überlegen, wie sie die materiellen Studienbedingungen - für die Studierenden wie für das gesamte Hochschulpersonal -, die Reform der Studieninhalte, der Studien- wie der Prüfungsorganisationen ohne zusätzliche Mittel so hinbekommen, daß eine Verkürzung der Studienzeit nicht die Falschen belastet - und darum geht es -: die BAföG-Empfänger, die Studierenden mit Kindern, die behinderten Studierenden, um nur einige Gruppen zu erwähnen. Bei aller Notwendigkeit der Straffung des Studiums müssen notwendige Freiräume für Studium wie Lehre bewahrt werden.
Dieser Weg zu einer neuen Hochschulstruktur wird lang und schmerzhaft sein, da in absehbarer Zeit nicht mit einer nachhaltigen Verbesserung der finanzpolitischen Situation zu rechnen ist. Dennoch appelliere ich auch an die Hochschulen: Solidarisieren Sie sich mit den bildungswilligen Jugendlichen, reden Sie nicht weiteren Zugangsbeschränkungen das Wort! Das ist das falsche Signal.
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An die Wirtschaft muß der Appell gerichtet werden: Setzen Sie nicht auf die Umlenkung von Jugendlichen in die berufliche Bildung! Fassen Sie Mut zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung! Nutzen Sie in der Diskussion um eine Verkürzung der Arbeitszeit gemeinsam mit den Gewerkschaften die Einsicht in die Notwendigkeit zur Weiterbildung! Weiterbildung muß endlich den Stellenwert erhalten, den sie in unserer vom raschen Strukturwandel geprägten Welt schon längst hätte einnehmen müssen. Bieten Sie vor allem allen Jugendlichen in den neuen Ländern qualifizierte betriebliche Ausbildungsplätze an! Es ist Ihre gemeinsame berufsbildungspolitische wie gesellschaftspolitische Verantwortung. Damit leisten Sie auch Ihren Beitrag, ein weiteres Anwachsen des Rechtsradikalismus zu verhindern.
Meine Damen und Herren, zum Schluß will ich über die Beratungen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zum Haushaltsentwurf der Bundesregierung sprechen. Vorhin kam der Zwischenruf, wir sollten einmal Vorschläge zum Einsparen machen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat neben zwei Hauptanträgen zur BAföG-Anpassung 1994/95 und zum Hochschulbau eine ganze Reihe von Einspar und auch Erhöhungsanträgen gestellt, die ohne Ausweitung des Budgets hätten verwirklicht werden können. Leider sind weder die Koalitionsabgeordneten im Bildungsausschuß noch die Leitung des Ministeriums, soweit sie überhaupt bei den Ausschußberatungen anwesend war, auf unsere fachlichen Gesichtspunkte substantiell eingegangen. Eine geordnete Diskussion war nicht gewollt und gar nicht möglich.
Auch die Beratungen im Haushaltsausschuß sind eine Farce, wenn man bedenkt, welch verheerende Folgen die geplante zehnprozentige Kürzung bei den Sachmitteln jetzt haben wird. Diese Beratungen sind so unqualifiziert wie die im Bildungsausschuß gewesen.
Wir könnten Genugtuung empfinden, daß es den Berichterstattern im Haushaltsausschuß gelungen ist, den Investitionstitel zur Förderung überbetrieblicher Ausbildungsstätten um 15 Millionen DM anzuheben.
({16})
Jedoch reicht das nicht aus, urn in den neuen Ländern, rascher als bisher geschehen, ein mit den alten Ländern vergleichbares dichtes Netz solcher notwendiger Einrichtungen zu schaffen. Wir warten hier immer noch auf eine Gesamtplanung von Standorten überbetrieblicher Einrichtungen in den neuen Ländern.
({17})
- Das müssen Sie tun, nicht die Länder; Sie sind doch als Bundesregierung dafür verantwortlich!
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- Ich rede von überbetrieblicher beruflicher Ausbildung. Machen Sie sich als Haushälter einmal sachkundig in bezug auf die Verantwortlichkeit des Bundes!
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- Es ist ja unglaublich.
Erschwerend kommt hinzu, daß für diese Anhebung zum wiederholten Male in den letzten Jahren in den BAföG-Topf gegriffen wurde.
Es ist mehr als ärgerlich, daß der BAföG-Ansatz um weitere 15 Millionen DM gekürzt werden soll. Er ist inzwischen derart geplündert worden, daß er unter Einrechnung der erheblichen Darlehensrückflüsse auf weit unter zwei Milliarden DM gesunken oder, wie man neuerdings sagt, geschrumpft ist.
Ohne jede Beratung im Bildungsausschuß sollen 2 Millionen DM bei den Zuwendungen an Stiftungen zur Studien- und Promotionsförderung gestrichen werden. Den begabten Studierenden aus sozial schwächeren Verhältnissen wird auf diesen Wegen der soziale Aufstieg durch Bildung weiter erschwert. Chancengleichheit bleibt auf der Strecke.
Die Bundesregierung hat in diesem Jahr mit den ausbildungsbereiten Jugendlichen in den neuen Ländern erneut ihr politisches Spiel getrieben. Ihre erst in den Haushaltsberatungen etatisierte Unterstützung zusätzlicher außerbetrieblicher Ausbildungsplätze ist viel zu spät gekommen. Jetzt bringen Sie Erfolgsmeldungen als Mogelpackung, meine Damen und Herren.
({20})
Ich sage Ihnen auch, warum: Weil viele Jugendliche nicht so lange warten konnten.
({21})
Nach Berechnungen des DGB sind rund 30 000 Jugendliche, die im Vermittlungsjahr 1992/93 eine betriebliche Ausbildung angestrebt hatten, erneut aus der Bilanz verschwunden. Im Verschwindenlassen solcher ausbildungssuchender Jugendlichen sind Sie stark. Das praktizieren Sie schon das dritte Jahr.
Sie sind anderweitig untergekommen, wie es in der Berufsberatungsstatistik heißt. Im Klartext: Sie haben ihre Bewerbung resigniert zurückgenommen und setzen bestenfalls - bestenfalls! - ihre schulische Ausbildung fort. Von einer erfüllten Ausbildungsgarantie der Wirtschaft, wie sie der Bundeskanzler lauthals immer wieder verkündet hat, kann erneut keine Rede sein. Das muß man um der Wahrheit willen auch einmal sagen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe von ganzem Herzen, daß dies der letzte von dieser Bundesregierung verantwortete Bildungshaushalt war.
({22})
Sie haben genug Schaden angerichtet bei der Zukunftssicherung der Jugendlichen in Bildung und Beruf. Sie sind unfähig, im Bildungsbereich den Generationenvertrag als Pakt der Solidarität zwischen der älteren und der jüngeren Generation zu begreifen. Sie haben leider alles getan, um der nächsten Bundesregierung die Chance zu einem neuen Aufbruch und zu neuer Orientierung für die Jugendlichen und Erwachsenen in der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung zu erschweren, wenn nicht gar zu verbauen.
({23})
Politik muß das Mögliche anstreben, Herr Kollege Sauer. Sie haben von Ihren Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. Im Gegenteil: Sie tragen Tag für Tag mehr dazu bei, diesen Staat handlungsunfähig zu machen. Der Einzelplan 31 des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft im Haushalt 1994 ist für Ihre
Politikunfähigkeit der schlagende Beweis. Die SPD-Fraktion lehnt diesen Einzelplan ab.
({24})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Klaus-Dieter Uelhoff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich das Horrorszenario höre, das Sie uns eben gerade hier vorgetragen haben, Frau Kollegin, frage ich mich wirklich: In welchem Land leben wir eigentlich?
({0})
Warum wird unser Bildungssystem weltweit als vorbildlich hingestellt, und zwar in der beruflichen Bildung genauso wie in der Hochschulbildung? Sie machen den jungen Leuten in unserem Lande doch keinen Mut. Sie vertreiben sie, und Sie machen sie frustriert, weil Sie ihnen ein Szenario zeigen, das mit der Realität überhaupt nicht in Übereinstimmung steht.
Unsere berufliche Bildung wird nach wie vor sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch weltweit als vorbildlich dargestellt. Unsere Hochschulen leisten nach wie vor unter schwierigen Bedingungen eine hervorragende Arbeit.
({1})
Sie haben hier ein Strickmuster vorgestellt, das hervorragend paßt für Leute, die entweder nicht zuhören
({2})
oder die nur Forderungen stellen und das Wünschbare als das Machbare hinstellen.
Es ist hervorragend, wenn man wie Sie sagen kann, wir müßten mehr Geld für den Hochschulbau, wir müßten mehr Geld für den Bau von überbetrieblichen Lehrwerkstätten bereitstellen.
({3})
Aber wenn man eine Gesamtverantwortung für den Haushalt hat, wenn man eine Gesamtverantwortung gegenüber dem Steuerzahler hat, dann tun Sie sich in der Tat schwer, das Wünschbare und das Machbare in Übereinstimmung zu bringen. Genau das ist der Fehler in dieser Rede der Frau Kollegin Odendahl.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße die Verabschiedung des 23. Rahmenplans für den Hochschulbau; denn er zeigt trotz der angespannten Haushaltslage des Bundes eine Perspektive auf. Wenn die Hochschulpolitik oder die Bildungspolitik bei uns wirklich der Odendahlsche Scherbenhaufen wäre, dann frage ich mich: Wo ist die Verantwortung der 16 Bundesländer für die Bildungs- und für die Hochschulpolitik geblieben? Hier sitzen Bund und Länder wirklich in einem Boot.
({5}): Sehr wahr!)
Ich frage mich wirklich, wie Sie Ihre einseitige Schau begründen wollen.
Die wichtigsten Veränderungen im Hochschulbereich sind nicht nur durch den Einsatz von zusätzlichem Geld zu erreichen, auch wenn - das will ich ausdrücklich bestätigen - eine Aufstockung der Mittel für den Hochschulbau wünschenswert gewesen wäre.
({6})
Nur, man muß immer wissen, woher man das Geld nimmt und wer die Zinsen für die weitere Verschuldung zu bezahlen hat.
({7})
Wir sind schon sehr stolz darauf, daß wir die Nettokreditaufnahme unter der Grenze von 70 Milliarden DM gehalten haben. Das war nicht Ihr Verdienst, sondern das war der Verdienst der Koalition im Haushaltsausschuß und der Bundesregierung.
({8})
Wir müssen in der Hochschulpolitik die Fehler der Vergangenheit aufarbeiten, z. B. das alleinige Entscheidungsrecht der Eltern bei der Wahl der Schuh laufbahn. Ein falscher Ehrgeiz der Erziehungsberechtigten hat wahrlich schon oft zu verfehlten Weichenstellungen geführt. Um so mehr möchte ich ausdrücklich die Initiativen der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen begrüßen, den Übertritt in die weiterführenden Schulen von eindeutig definierten Leistungskriterien abhängig zu machen.
({9})
Denn was nützt es uns, wenn wir ein Heer von Abiturienten haben - wie Herr Picht das früher gefordert hat - und die Hochschulen überfüllt sind? Was nützt es uns, wenn wir ein Heer von Hochschulabsolventen haben?
({10})
Wir brauchen nicht nur Professoren und Diplomingenieure, sondern wir brauchen Facharbeiter, wir brauchen den Mittelbau, der der Garant für unseren wirtschaftlichen Fortschritt ist.
({11})
Die Einigung der Ministerpräsidenten auf die Begrenzung der Regelstudienzeiten und die Entschlackung der Lehrpläne und Prüfungsgebiete - dies sind Wege in die richtige Richtung, und ich will ausdrücklich den Ministerpräsidenten der Länder auch hier ein herzliches Dankeschön dafür sagen, daß sie, jedenfalls viele von ihnen, da über ihren eigenen Schatten gesprungen sind. Die Sanktionen für Lang16492
zeitstudenten, die das Land Berlin bereits eingeführt hat, halte ich ebenfalls für durchaus geeignet, um den nahtlosen Übergang vom Studium in den Vorruhestand zu verhindern.
Meine Damen und Herren, ich will aber ein anderes wichtiges Feld ansprechen, wo auch die Kollegin deutlich gemacht hat, daß wir hier auf dem richtigen Wege waren, indem wir um 15 Millionen DM aufgestockt haben.
Die berufliche Bildung ist nicht das Flaggschiff der Bildungspolitik, aber sie ist ein oft sträflich unterschätzter wesentlicher Bestandteil einer zukunftsorientierten Bildungspolitik. Wie ich bereits in der ersten Lesung als Meinung der Koalitionsarbeitsgruppe angekündigt habe, haben wir im Haushaltsausschuß die berufliche Bildung durch Umschichtung von 15 Millionen DM zugunsten der überbetrieblichen Ausbildungsstätten gestärkt.
Durch diese Erhöhung, meine Damen und Herren, stehen Mittel für den Neubau und die Modernisierung von Ausbildungsstätten in den neuen und in den alten Bundesländern zur Verfügung. Wir wissen sehr wohl, daß diese Mittel begrenzt sind, aber sie reichen aus, um das Netz der überbetrieblichen Ausbildungsstätten in den neuen Bundesländern engmaschiger zu knüpfen. Ich habe mich vor wenigen Wochen in Rudolstadt von der hervorragenden Arbeit einer dieser überbetrieblichen Ausbildungsstätten in den neuen Bundesländern überzeugen können.
({12})
Diese Mittel reichen darüber hinaus auch aus, um wichtige Maßnahmen in den alten Bundesländern weiterführen zu können und notwendige Modernisierungen auf den Weg zu bringen. Damit bleibt auch die Finanzierung durch die Komplementärmittel der Länder und der jeweiligen Träger gesichert. Ein Verzug, der die alten Bundesländer von der zukünftigen Entwicklung abgekoppelt hätte, konnte so vermieden werden.
Meine verehrten Damen und Herren, wir haben eben auch kritische Bemerkungen zur Begabtenförderung gehört. Ich bin eigentlich sehr froh darüber, daß es im Ausschuß gelungen ist - übrigens im Einvernehmen mit den Kollegen der Opposition -, die Begabtenförderung auch in der beruflichen Bildung aus der politisch streitigen Situation herauszuführen. Diese Begabtenförderung in der beruflichen Bildung trägt erheblich zur Steigerung der Attraktivität dieses Sektors der Bildungspolitik bei.
Was das angeht, was Sie, Frau Kollegin, zu der Ausbildungsinitiative Ost zur Vermittlung von Ausbildungsplätzen gesagt haben, so haben wir im Westen, wie jedermann weiß, eine fünf- oder gar sechsstellige Zahl von freien Ausbildungsplätzen, aber wir haben im Osten nachweislich keinen jungen Menschen mehr, der nach Abschluß seiner Schulausbildung direkt in die Arbeitslosigkeit oder in die Ausbildungslosigkeit entlassen wird. Nach all dem, was wir gehört haben - und hier beziehe ich mich nicht auf den Deutschen Gewerkschaftsbund, sondern auf die Bundesanstalt für Arbeit -, gibt es in Ostdeutschland keinen 15-, 16jährigen jungen Menschen, der, obwohl er eine Ausbildung will, nicht in einer Ausbildung steht.
({13})
Herr Kollege Uelhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Doris Odendahl?
Aber bitte schön.
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Kollege, weil Sie offenbar nicht auf dem neuesten Stand der Ausbildungssituation in den alten Bundesländern sind, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zahlreiche Ausbildungszentren gerade in den größeren Betrieben hier in den alten Ländern derzeit geschlossen werden und gar nicht mehr ausbilden? Ich kann Ihnen auf Anhieb allein aus meinem Wahlkreis einige nennen.
Das ist doch gar nicht überraschend, weil wir im Westen ein Überangebot an Ausbildungsplätzen haben, während wir im Osten gerade auf pari kommen, so daß diejenigen, die es wollen - und die Ausbildungsinitiative ist ja ausdrücklich auf Ostdeutschland gerichtet -, auch eine Ausbildung erhalten. Im Westen haben wir ein Überangebot an freien Plätzen. Deswegen ist es überhaupt nicht verwunderlich, wenn im Westen überbetriebliche Lehrwerkstätten ihre freien Plätze nicht füllen können. Also mit dieser Zwischenfrage haben Sie mir jedenfalls nicht nachweisen können, daß Sie, was die Ausbildungsplatzsituation angeht, nun wirklich auf dem neuesten Stand sind.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will aber bei dieser erfolgreichen Ausbildungsplatzinitiative, die übrigens gemeinsam mit den Ländern und der Europäischen Union auf den Weg gebracht wurde, eine Besonderheit hervorheben: Die teilweise Finanzierung aus dem Bundesanteil des Europäischen Sozialfonds in Höhe von 250 Millionen DM ist ein gewichtiges Beispiel dafür, daß Deutschland nicht nur in die Europäische Gemeinschaft einzahlt, sondern daß die Mittel der Europäischen Gemeinschaft auch den Menschen vor Ort zugute kommen. Hier wurde kein Geld nach dem Gießkannenprinzip von Brüssel verteilt. Der Schlüssel zur Aufteilung richtet sich vielmehr nach regionalen Schwerpunkten. So erhält z. B. das Land Sachsen, in dem das Ausbildungsplatzdefizit am größten war, auch den größten Anteil aus dieser Förderung.
Abschließend will ich noch ausdrücklich sagen, daß ich es auch sehr begrüße, daß es gelungen ist, den erfolgreichen Probelauf der Sommerakademien für Schüler zu einer Konstanten in der Bildungspolitik und im Bildungshaushalt zu führen.
({1})
Für die Schülerakademien haben wir im Haushaltsausschuß den Regierungsansatz sogar noch aufgestockt. Ich halte diese außerschulische Veranstaltung für besonders geeignet, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs bereits im Vorfeld des Hochschulstudiums ein Forum zum Gedankenaustausch und zur gezielten Förderung zu bieten. Damit kann die weitere wissenschaftliche Bildung auf eine fundierte Basis gestellt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Investitionen in unser Bildungssystem sind gut angelegt. Ich wünschte mir auch in dem einen oder anderen Fall mehr Mittel, aber wir müssen das Wünschbare und das Machbare in eine Übereinstimmung bringen. Wir haben im Haushaltsausschuß meiner Meinung nach die richtigen Schwerpunkte gesetzt, um den Beitrag der Bildungspolitik, den Beitrag auch des Bundes in der Bildungspolitik zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland leisten zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen und bitte um die Annahme des Einzelplans 31.
({2})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Worte kurz vorab zur SPD. Die SPD hat zwei Anträge zum Einzelplan 30 und zum Einzelplan 31 gestellt, die in der Summe 844 Millionen DM Mehrausgaben bringen. Als Deckung ist der Einzelplan 14 mit 770 Millionen DM dargestellt worden. Ich glaube, dabei sind die aktuellen Zahlen noch nicht berücksichtigt worden, aber ich stelle eine Unterdeckung von 74 Millionen DM fest. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist der, daß die Kollegin Odendahl zwar viele Punkte angesprochen hat, die aus ihrer Sicht von der Regierung und der Regierungsmehrheit nicht getragen sind, aber sie hat nur einen einzigen Punkt in das Plenum eingebracht, bei dem sie gerne konkrete Änderungen hätte. Das war der Hochschulbau.
({0})
Sehr verehrte Damen und Herren von der SPD, wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie die Anträge, für die Sie hier mit Ihren Reden werben, hier auch entsprechend einbringen; denn fast alle Anträge sind kostenträchtig. Versprechen Sie den Leuten doch nicht, solche kostenträchtigen Anträge zu stellen, ohne überhaupt eine Deckung dafür aufzuzeigen! - Das zur SPD.
({1})
- Ich bitte Sie, wenn Sie etwa versuchen, solide
Oppositionspolitik zu betreiben, dann dürfen Sie nicht
nur davon reden, daß Deckung gebracht werden muß,
dann müssen Sie Deckung bringen. Wenn Sie die Deckung nicht bringen, dann muß ich Ihnen sagen, daß das unseriös ist. Ganz einfach.
({2})
Der Bildungsetat ist mit einem Volumen von rund 6,2 Milliarden DM weiter auf hohem Niveau. Im Bildungsbereich können damit die bedeutsamen Aufgaben fortgeführt werden. Auf das BAföG entfallen im nächsten Jahr 2,3 Milliarden DM. Eine den tatsächlichen Erfordernissen angepaßte Bedarfsschätzung der Mittel für die BAföG-Förderung, besonders für die neuen Länder, hat zu einer Minderung dieses Haushaltsansatzes geführt.
Der beruflichen Qualifikation unserer Jugendlichen gilt unser besonderes Augenmerk. Während im Westen Lehrstellen im großen Maße unbesetzt bleiben, gibt es im Osten zuwenig betriebliche Ausbildungsplätze. Die Förderung von überbetrieblichen Ausbildungsstätten soll daher vom kommenden Jahr an noch stärker auf die neuen Länder konzentriert werden. Wie anders wollen wir den jungen Leuten in den neuen Bundesländern Hoffnung und uns die Chance auf einen langfristig verbesserten Standort Deutschland geben?
Für die Finanzierung dieser überbetrieblichen Einrichtungen, die die Qualität der Berufsausbildung sichern sollen, waren insgesamt 110 Millionen DM vorgesehen. Daß es uns gelungen ist, das Volumen gegenüber dem Regierungsentwurf um 30 Millionen auf 140 Millionen DM doch noch zu erhöhen, halte ich für ein erfreuliches Ergebnis.
({3})
Es geht um den Aufbau und um die Modernisierung eines bedarfsgerechten, regional ausgewogenen Netzes überbetrieblicher Ausbildungsstätten. Sie sind ein unverzichtbarer Strukturbestandteil der Berufsbildung, der insbesondere für die mittelständische Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist.
({4})
Das Parlament trägt damit dem Arbeitsmarkt und der Stellensituation in den neuen Bundesländern Rechnung.
Daß auf Initiative von Bundesminister Ortleb durch eine Gemeinschaftsinitiative außerdem 10 000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt worden sind, die Bund und Länder gemeinsam finanzieren, um die Ausbildungsplatzsituation in Ostdeutschland zu verbessern, sei hier nochmals positiv erwähnt. Der Aufbau Ost findet in diesem Etat statt, und das ist gut und notwendig.
({5})
Ich freue mich ganz besonders darüber, daß der Regierungsentwurf für den Etat 1994 die vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages für den Etat 1993 vorgenommene Erhöhung der Mittel für den Hochschulbau um 80 Millionen DM beibehalten hat. Dies bedeutet, daß durch unsere Entscheidung im Haushaltsausschuß in diesem und im nächsten Jahr insgesamt 320 Millionen DM mehr für den Hochschul16494
bau zur Verfügung stehen, als dies ursprünglich beabsichtigt war.
Ich würde mich allerdings freuen, wenn die Länder diese Erhöhung auch einmal positiv würdigen könnten.
({6})
Denn die Enge in den öffentlichen Haushalten dürfte auch den Ländern bekannt sein, wenngleich bedauerlicherweise dort das entsprechende Handeln, nämlich Sparen, noch nicht stattfindet. So hat z. B. Rot-Grün in Niedersachsen die Stellen in der Ministerialbürokratie seit drei Jahren um 30 % erhöht,
({7})
obwohl im Programm der SPD ,wie jüngst in Wiesbaden beschlossen, das Gegenteil gefordert wird. Diese Beschlüsse von Wiesbaden sind doch das Papier überhaupt nicht wert, auf dem sie stehen, wenn auf der anderen Seite so gehandelt wird.
({8})
- Ja, aber, Herr Struck, in Niedersachsen sind Sie persönlich zum Glück für die Regierung nicht verantwortlich. Ich kann Sie gut verstehen, daß Sie da lieber im Bundestag in der Opposition sitzen als mit Ministerpräsident Schröder in einer Regierung.
Ich möchte an dieser Stelle auch für die BundLänder-Gespräche noch einmal den Vorschlag wiederholen, über die Finanzierung von Hochschulkliniken, die ein gutes Drittel des Hochschulbauetats binden, sowie über die aufwendig durchgeführten Asbestsanierungen und ihre gesetzlichen Standards noch einmal intensiv nachzudenken und mit dem Ziel zu diskutieren, auf diesem Weg Mittel für den allgemeinen Hochschulbau freizusetzen.
({9})
In Zeiten knapper Finanzen in der Staatskasse ist nicht Besitzstandsdenken angezeigt, sondern gerade in dieser Zeit sollte zur Bewältigung dieser konkreten Probleme Phantasie freigesetzt werden. Dieses Ziel wird der nachfolgenden Generation immer wieder gepredigt. Warum wendet sie denn die Ministerialbürokratie in den Ländern nicht an?
({10})
Ich hoffe im Interesse der kommenden Generationen, daß ich vom Gegenteil überzeugt werde und unabhängig von der Ausschöpfung der jetzigen Regelung, die das Grundgesetz bei der Finanzierung der Universitätskliniken vorsieht, in diesem Bereich möglicherweise eine entsprechende Grundgesetzänderung erfolgt. Dem normalen Studenten ist es jedenfalls nicht klarzumachen, daß seine Situation an der Universität auch deshalb so schlecht ist, weil Universitätskliniken, die zum Teil ja auch Länderverantwortung bei der Krankenhausfinanzierung abdecken, Milliarden aus dem Etat fressen.
Die Mittel für die Begabtenförderung Berufliche Bildung steigen um zwei Millionen DM auf 28 Millionen DM. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß dieses neue Instrument der Begabtenförderung sowohl bei den Kammern wie auch bei den jungen Leuten sehr gut angekommen ist. Bemerkenswert ist, daß sich alle Handelskammern an diesem Begabtenförderprogramm beteiligen, das eine Förderung von 9 000 Jugendlichen gewährleistet.
({11})
Zu Recht fordert die Wirtschaft die Gleichstellung von allgemeiner und beruflicher Bildung. Wir Liberale setzen uns dafür ein, daß die Gleichwertigkeit nicht nur ein Postulat bleibt, sondern auch in die Praxis umgesetzt wird.
({12})
Die Attraktivität betrieblicher Berufsausbildung wird maßgeblich von den Einkommens- und Karrierechancen bestimmt. Das Bildungssystem muß durch flexiblere Einstufungs- und Laufbahnregelungen in Wirtschaft und Verwaltung und dementsprechend durch bessere Aufstiegschancen für beruflich besonders Qualifizierte durchlässiger werden. Leistungsstarke Lehrlinge müssen mehr Angebote für chancenfördernde zusätzliche Qualifikationen erhalten.
({13})
Interessante Aufstiegs- und Entwicklungschancen dürfen nicht nur Absolventen von Hochschulen vorbehalten sein.
Angesichts von 1,8 Millionen eingeschriebener Studenten und 1,6 Millionen Auszubildenden in Betrieben warne ich vor einer Fehlinterpretation dieser Bildungsstatistik. Mit rund 500 000 Lehrabschlußprüfungen 1991 gegenüber 154 000 Examina an den Hochschulen zeigt sich das Übergewicht beruflicher Absolventen. Die Zahl der beruflichen Ausbildungsabschlüsse ist damit mehr als dreimal so hoch wie die Zahl der Universitätsabschlüsse. Es darf nicht die Schlußfolgerung gezogen werden, daß mehr junge Leute einen Hochschulabschluß erwerben als einen Gesellen- oder Facharbeiterbrief.
({14})
1992 standen 256 000 Studienanfängern rund 495 000 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge gegenüber.
Der Bundeskanzler hat am 11. November 1993 sein Versprechen wahr gemacht und zu einem ersten bildungs- und forschungspolitischen Grundsatzgespräch - ein Diskussionsforum - ins Kanzleramt eingeladen, im Vorfeld des nun seit einem Jahr geplanten sogenannten Bildungsgipfels.
({15})
Was hat nun dieser Bildungsgipfel, der eher im Mittelgebirge oder - richtiger - am Rande des Siebengebirges als in den Alpen stattfand, gebracht? War er ein Flop, wie es die einen sagen? War es ein Gipfel der Verschiebepolitik?
({16})
War es ein Gipfel der unerfüllten Erwartungen und kleinen Peinlichkeiten? Oder hat er der Bildung den Auftrieb gegeben, den sie benötigt?
Es hat zwar lange gedauert, aber die Einsicht beginnt sich nun doch durchzusetzen, daß Bildungspolitik kein Luxusgut ist, das man sich für Zeiten konjunktureller Blüte und voller öffentlicher Kassen aufsparen könnte. Wer den von einer strukturellen Krise bedrohten Wirtschaftsstandort Deutschland sichern will, muß beim Fundament beginnen.
({17})
Das wird in den heutigen Industriegesellschaften in zunehmendem Maße von der Qualität der Ausbildungsplätze, der Qualifikation der Menschen und deren Motivation am Arbeitsplatz gebildet. Ohne grundlegende Sanierungsmaßnahmen auf dieser Ebene wären alle anderen Initiativen zur Standortsicherung auf Sand gebaut.
Das Diskussionsforum, zu dem sich der Bundeskanzler mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung getroffen hat,
({18})
ist Ausdruck dieser Erkenntnis. Bis zu deren Umsetzung in die Praxis wird es noch ein weiter Weg sein. Es gilt, den Weg zügig zu beschreiten.
({19})
Eine Reform des Bildungssystems, die mehr ist als ein bloßes Herumkurieren an Symptomen, kann nur mit Aussicht auf Erfolg eingeleitet werden, wenn ihr ein weitgehender Konsens aller Beteiligten zugrunde liegt
({20})
und auch die Bereitschaft der Länder besteht, in Gespräche zu gehen, um dort ernsthaft über Strukturen nachzudenken, wie ich das für die Hochschulkliniken gerade schon einmal exemplarisch deutlich gemacht habe.
({21})
Denn ich glaube, wenn wir uns einmal in Ruhe zusammensetzen und überdenken, welche Strukturen in der Bundesrepublik gewachsen sind und ob sie so, wie sie gewachsen sind, im Ergebnis beibehalten werden müssen, werden wir einsehen, daß sich auch ohne eine Erhöhung der Mittel, für die wir die Deckung nicht sehen und die Sie vermutlich nicht haben - wenn Sie auch anderes behaupten -,
({22})
mit Phantasie Mittel und Wege finden werden, einiges zu machen, was unser System auf eine neue, bessere Grundlage stellen kann, als das bisher der Fall ist.
({23})
Bildung und Wissenschaft sind unabdingbar notwendige Investitionen in unsere Zukunft. Nur durch eine Reform unseres Ausbildungssystems wird es
auch in Zukunft möglich sein, daß unsere Kinder und auch Deutschland im Wettbewerb - nicht nur innerhalb Europas - bestehen können. Die Bildungspolitik von heute bestimmt das Gesicht der Gesellschaft von morgen. Die Qualität unseres Bildungssystems entscheidet, wie wir die Zukunft unseres Landes meistern. Lassen Sie uns diese Chancen gemeinsam beherzt ergreifen.
Die F.D.P. stimmt dem Einzelplan des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft zu.
({24})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Dietmar Keller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Thiele, ich stimme Ihnen zu: Bildung und Wissenschaft sind Investitionen für die Zukunft. Das hört man in allen Parteien. Aber natürlich muß man dazu sagen: Bildung und Wissenschaft kosten Geld. Der Haushalt 1994, der uns vorliegt, erweckt eher den Eindruck, als seien Bildung und Wissenschaft das fünfte Rad der in den Schlamassel geratenen staatlichen Finanzkarosse. Der Haushalt für Bildung und Wissenschaft präsentiert sich wie der zum Grundsatzgespräch degenerierte Bildungsgipfel am 11. November 1993: ohne langen Atem und ohne große Ideen.
Allerdings war das Jahr 1993 von der CDU auf ihrem bildungspolitischen Kongreß lautstark zum Jahr bildungspolitischer Entscheidungen deklariert worden. Interessant ist, welche Haushalt Sie in dieser Beziehung vorlegen. Der Haushalt für Bildung und Wissenschaft läßt von diesem Atem und diesem Vorsatz nichts spüren. Allerdings haben Sie - nicht ganz so lautstark - in diesem Jahr interessante bildungspolitische Weichen gestellt. Ich sage Ihnen: Diese bildungspolitischen Weichen, die Sie jetzt gestellt haben, sind einseitig und auf wichtigen Gebieten auch falsch. Warum?
Erstens. Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Menschheit kommen als konstituierende inhaltliche, aber auch strukturbildende Elemente des zukünftigen Bildungs- und Wissenschaftsstandortes Deutschland nicht vor. Wenn wir darauf verzichten, verzichten wir auf alles das, was wir von Bildung und Wissenschaft fordern.
Herr Glotz hat für die SPD in einem sehr interessanten Beitrag solche Dimensionen entwickelt. Ich wünschte mir, die SPD würde entsprechende parlamentarische Aktivitäten einleiten, so daß dieses Programm „Bildung und Wissenschaft im Jahre 2000" nicht erst im Jahre 2000 greift, sondern heute durch haushaltspolitische Entscheidungen vorbereitet wird.
Zweitens. Die CDU und ihre bildungs- und wirtschaftspolitischen Parteigänger arbeiten mit der Reanimierung von Gottesfurcht und deutschen Werten und Tugenden an einer ideologischen Umgründung des staatlichen Bildungs- und Wissenschaftssystems. Diese Umgründung ersetzt die freie Entfaltung
der Persölichkeit durch Leistung, Gemeinsinn und Verantwortung, Chancengleichheit durch Chancengerechtigkeit, gemeinsame Bildungsangebote durch differenzierte.
Diese Art von Zukunftskonzept setzt geradezu voraus, daß die Wege in die Leistungsgesellschaft immer enger und auch unsozialer werden, daß die Wolfsgesetze auch strikt in der Bildung zu gelten haben, daß künftig nicht mehr die Zwei-Drittel-Gesellschaft, son-dem, wenn das so weitergeht, eine Halbe-HalbeGesellschaft im Bildungsbereich vorgeformt wird.
({0})
Drittens. Die in Gang gesetzte Bildungsreform zeichnet sich dadurch aus, daß weder die Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Schülerinnen und Schüler sowie Eltern, noch Lehrerinnen und Lehrer ihre Architekten sind. Immer mehr wird Bildung und Wissenschaft zu einer Wirtschafts- und Finanzsache.
Ich sage Ihnen: Wenn die Finanzminister das entscheidende Wort in der Bildung und Wissenschaft haben, geht es Ihnen so, wie es der DDR gegangen ist. Dort hat die politische Führung auch das Wort der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht ernst genommen und hat sich auf Finanz- und Wirtschaftsfragen allein orientiert. Der Untergang war total und gewaltig. Ihnen steht das bevor, und Sie werden Deutschland in einen Zustand reiten, für den Sie die Verantwortung zu tragen haben.
({1})
- Entschuldigung, Ihr Kollege Kriedner hat gerade gesagt: Nicht der Kehlkopf, sondern der Kopf entscheidet. Seien Sie vorsichtig!
({2})
Viertens. Vom Zusammenwachsen der Bildungs- und Wissenschaftslandschaften in Ost und West ist schon lange nicht mehr die Rede. Die Weichen, die gestellt werden, gehen von westdeutscher Geschichte und Situation und westdeutschem Änderungsbedarf aus. Es wird offenbar auch angenommen, daß nach Schaffung strukturell-formaler Ähnlichkeit der ostdeutschen Bildung und Wissenschaft eine ostdeutsche Spezifik nicht mehr bestehe oder doch kein nennenswertes politisches Gewicht mehr habe. Diese Annahme und eine darauf gegründete Politik haben sich schon in den vergangenen Jahren als falsch erwiesen und sind auch morgen und übermorgen nicht richtiger. Die Reduzierung der Zahl der Wissenschaftler im Osten Deutschlands von 180 000 auf ca. 25 000 - und damit auf ein Siebtel der Dichte in Westdeutschland - ist das Ende eines Wissenschafts und Wirtschaftsstandortes in Ostdeutschland.
Herr Kollege Keller, würden Sie bitte zum Ende kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja.
Ich denke, dieser Konzeption und diesem Haushaltsentwurf darf man nicht zustimmen. Man muß, solange es möglich ist, laut das Wort dagegen erheben und dafür sorgen, daß Bildung und Wissenschaft wirklich wieder den Platz in Deutschland einnehmen, der ihnen gebührt.
Nun hat der Kollege Dr. Wolfgang Ullmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Titel Bildung und Wissenschaft geht es um Investitionen schwerwiegendster und konsequenzenreichster Langfristigkeit. Es ist nur realistisch, wenn wir in der Beratung über den Einzelplan 31 eingedenk sind, daß wir es bei ihm mit Entscheidungen zu tun haben, deren Wirkungen die Generationen im 21. Jahrhundert, also im kommenden Jahrtausend, zu spüren bekommen werden. Dies um so mehr, als wir alle wissen, daß gerade unsere Generation vor der Aufgabe steht, das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft völlig neu zu bestimmen.
Es geht darum, die Wissenschaft weg von der Sklaverei einer die Wirklichkeit verwüstenden, verbrennenden und zerstörenden, dem militärisch industriellen Komplex verhafteten Technologie hin zu einer Kultur der lebensdienlichen und lebenserhaltenden Technologie zu emanzipieren. Das ist eine Technologie, die das Leben als solches überhaupt voraussetzt und ernst nimmt, statt es auf Mechanik oder Chaotik zu reduzieren.
Es geht darum, Wissenschaft und Bildung zu regionalisieren, um längst vorhandene Geschichtskontexte zu aktualisieren und zu artikulieren, nachdem sie jahrhundertelang durch fanatisch behauptete Grenzen der Kommunikation beraubt waren, so wie es paradigmatisch die neue Universität in Frankfurt/ Oder versucht.
Es geht darum, Wissenschaft und Bildung zu europäisieren. Allein europäisch betrieben, kann Wissenschaft ihren unerläßlichen Beitrag dazu leisten, der Gesellschaft Selbstorganisationsspielräume zu eröffnen, die nicht mehr nur durch Vernichtung von Lebensqualität besetzt und erweitert werden können. Gerechtigkeit für alle Formen und Stufen des Lebens, Frieden zwischen dem Menschen und der außermenschlichen Wirklichkeit, Integrität der Schöpfung, d. h. Anerkennung eines eigenständigen, nicht bloß materiellen Seinsranges auch der uns fernsten Wirklichkeit - das alles sind Aufgaben, die nicht weniger, sondern mehr Wissenschaft von uns verlangen.
Was dokumentiert der Haushaltplan der Bundesregierung angesichts dieser immensen Herausforderungen? Sie will die Zahl der Studierenden senken und gedenkt, das mit den verschiedensten Hebeln zu tun. Über die Griffe in die BAföG-Kasse ist gesprochen worden. Mich haben Nachrichten erreicht, daß man zusieht, wie chinesische Studenten von ihrer eigenen Botschaft mit Rückzahlungsforderungen schikaniert und am Studium gehindert werden. Es erreichen mich Alarmrufe von Institutionen der politischen Bildung, deren Mittel gekürzt werden.
Meine Damen und Herren, muß man da nicht fragen: Denkt die Bundesregierung etwa, an die Stelle der angesichts der Eruptionen rechtsextremistischer Barbarei gerade jetzt unerläßlichen Arbeit an Aufklärung und wissenschaftlicher Bildung jene schon geraume Zeit inhalts-, ziel- und uferlos schweifende Wertediskussion treten zu lassen? Das, denke ich, wird uns in dieser dramatischen Situation keinen Schritt weiterbringen. Oder meint sie, die wissenschaftsfeindliche, aber rückschrittsfreundliche Losung „Berufsausbildung statt Studium" werde es verhindern, daß der Standort Deutschland zu einem Stagnationsort Deutschland wird?
Wenigstens die höchst bescheidenen Forderungen in der Bundesratsstellungnahme zur beruflichen Bildung und zu Investitonszuschüssen, die SPD-Anträge zu Hochschulneubau und -ausbau sowie zu Forschung und Technologie und auch unser eigener bescheidener Antrag zur Friedens- und Konfliktforschung sollten Berücksichtigung finden.
Die hier geforderte Neuorientierung der Wissenschaftspolitik wird mit so bescheidenen Aufstockungen freilich niemals zu leisten sein. Eines aber steht fest: Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime ist auch dadurch bewirkt worden, daß sie den Kontakt zur Praxis der fortschrittlichen Wissenschaft verloren hatten. Die Bundesrepublik Deutschland wird der Frage nicht ausweichen können, ob sie bereit ist, diese Warnung auch in ihrer Haushaltspolitik zu beherzigen.
Danke.
({0})
Nun hat der Kollege von Waldburg-Zeil das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Könnte es sein, daß wir das letzte Mal in diesem Plenum einen Einzelplan 31 des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft beraten?
({0})
In der Tat, wenn wir im Frühjahr 1994 im Plenum den Vorschlägen der Verfassungskommission folgen und die Bundeskompetenzen nach Art. 72 und Art. 75 Nr. 1 des Grundgesetzes so einschränken, daß in Zukunft ein mecklenburg-vorpommerscher Schneider nach anderen Grundsätzen ausgebildet wird als ein solcher im Saarland, ein Metallfacharbeiter nach anderen Kriterien in Nordrhein-Westfalen als in Baden-Württemberg und im Hochschulwesen viele Bereiche nicht mehr durch Rahmengesetzgebung des Bundes geregelt werden können, wird man sich in der Tat fragen müssen, ob wir noch ein Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft brauchen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich muß noch eines hinzufügen. Das geht natürlich nicht: alle Kompetenzen den Ländern und alle Kosten dem Bund.
({2})
Mißverstehen Sie mich bitte nicht,
({3})
es hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland schon viele Ministerien gegeben, die nicht mehr bestehen. Darum geht es nicht. Ich möchte nur über den Kreis der Bildungspolitiker hinaus zum Nachdenken darüber anregen, ob wir uns auf dem Höhepunkt der Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland einen Rückfall in bildungspolitische Kleinstaaterei leisten können.
({4})
Meiner Meinung nach wäre das bedauernswert, vor allem deshalb, weil - in dem bildungs- und forschungspolitischen Grundsatzgespräch am 11. November 1993 ist es ja überdeutlich geworden - eine weitgehende Übereinstimmung darüber herrscht, was gegenwärtig an Kurskorrekturen nötig wäre.
Es geht dabei in keiner Weise um eine Totalrevision des Bildungssystems. Es geht nur um eine vernünftige Weiterentwicklung. Dem trägt dieser Haushalt auch Rechnung. Zunächst einmal müssen Maßnahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung im Vordergrund stehen.
Wenn heute über Kostenkrise in der Wirtschaft gesprochen wird, muß man immer hinzufügen, daß diese nur dort Platz greift, wo gleiche Arbeiten anderswo billiger geleistet werden können. Wo Spitzenprodukte erstellt werden, die eben nur hier erstellt werden können, sind die Facharbeiter nicht zu teuer. Wir brauchen sie dringend.
In der Phase der ersten Bildungsreform ist aber unter dem Gesichtspunkt der Begabungsreservenausschöpfung ein gewisser einseitiger Sog in Richtung auf die akademische Bildung erzeugt worden. Man braucht hier gar nicht umzusteuern. Nötig ist aber, die Bedingungen für in der Berufsbildung Stehende und akademisch Auszubildende wieder vergleichbarer zu machen.
({5})
Wir diskutieren hier noch einfach zu ungleichgewichtig.
Ein Beispiel: die Intensivierung der Begabtenförderung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Es ist mir unverständlich, warum bei Haushaltsberatungen jedesmal von seiten der Opposition gerade hier der Sparhebel angesetzt werden soll. Zugleich betonen Sie ja ebenso wie wir ständig die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung.
Natürlich bedeutet stärkere Differenzierung der Berufsbildung auch Nachdenken darüber, was man mit den Bewerbern macht, die sich mit den theoretischen Inhalten schwerer tun. Hier gilt es, die mehr praktisch Begabten durch das Angebot speziell auf sie zugeschnittener Ausbildungsordnungen ebenso zu fördern und zu fordern wie die mehr theoretisch Begabten durch zusätzliche Angebote.
({6})
Im Hochschulbereich herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß durch zügige Realisierung
der Studienstrukturreform an den Universitäten und nicht zuletzt mit Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre die Studienzeiten verkürzt werden sollen.
Im Gegensatz zum Forschungsbereich fehlen materielle und immaterielle Anreize für gute Leistungen in der Lehre fast völlig. Schlechtere Leistungen werden weder transparent gemacht noch gar sanktioniert. Hier müßte eine Bindung der Mittelvergabe an die Hochschule bzw. den Fachbereich nach lehrleistungsbezogenen Kriterien erfolgen, z. B. nach der Zahl der erfolgreichen Absolventen innerhalb der Regelstudienzeit. Über- bzw. Unterschreitung der durchschnittlichen Studienzeit könnte so bei der Mittelvergabe nach einem Bonus-Malus-System belohnt bzw. sanktioniert werden.
Schließlich herrscht auch, jedenfalls weitgehend, Übereinstimmung darüber, daß die Einführung von Studiengebühren für diejenigen, die das Prinzip lebenslangen Lernens mit dem einer lebenslangen Universitätszugehörigkeit verwechseln, nicht von vornherein tabuisiert werden darf.
Es herrscht auch Übereinstimmung darüber, daß der Fachhochschulausbau schneller vorangehen soll als der der Universitäten. Das entspricht sowohl dem Gebot des effektiven Einsatzes überaus knapper Ressourcen als auch der erkennbaren Nachfrage durch Studierende.
Schließlich ist auch die Prüfung des Ausbaus von Berufsakademien und sonstiger tertiärer Ausbildungsgänge im Verbund mit der Wirtschaft, z. B. durch die Fachhochschulen, endlich Gegenstand intensiver und gleichwohl dringend notwendiger Erörterungen geworden. Natürlich ist es so, daß auch nach den Überlegungen des Wissenschaftsrates die Anforderungen an den Hochschulbaubereich und damit an den Bund höher liegen, als wir in diesem Haushalt festlegen konnten. Ich möchte aber umgekehrt einmal darauf hinweisen dürfen, daß für die Hochschulbauförderung noch im Jahr 1990 1,1 Milliarden DM veranschlagt waren, während es heute immerhin 1,68 Milliarden DM sind.
({7})
Aus diesem Grunde werden wir, lieber Herr Kuhlwein, Ihren Antrag, weil keine Deckung vorhanden ist, ablehnen müssen.
Das enthebt uns nicht weiteren Nachdenkens. Aber eines wird bei der gesamten derzeitigen Bildungsreformdiskussion deutlich: Es geht nicht um eine einfache Gleichung: Je mehr Mittel, desto besser die Bildung, sondern: Welche qualitativen Maßnahmen müssen getroffen werden, um bei begrenzten Staatsfinanzen ein Optimum im Bildungsbereich zu erreichen? Hier bin ich zuversichtlich, daß wir in der vom Bundeskanzler angestoßenen Diskussion um den Wirtschaftsstandort Deutschland, auch was den Bildungsbereich angeht, gemeinsam ein gutes Stück weitergekommen sind, zumindest was die Analyse und die zu treffenden Maßnahmen angeht.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Gedanken anfügen. Wenn der Staat mit seinen Finanzen an Grenzen stößt, muß man versuchen, privates Kapital in Aufgabenbereiche zu lenken, die bisher vom Staat wahrgenommen werden.
({8})
Das gilt nicht nur für den Straßen- und Schienenbau, für die Post und Privatisierungen in den verschiedensten Bereichen. Auch im Bildungsbereich kann man, wie ausländische Vergleiche zeigen, erhebliche private Angebote realisieren.
Wir brauchen nicht einmal außerhalb unserer Grenzen zu sehen. Die für die Zukunft wichtigste Säule der Bildung, nämlich die Weiterbildung, wird heute in einem Umfang von der Wirtschaft finanziert, der von den Mitteln her die Gesamtausgaben von Bund und Ländern für den Hochschulbereich deutlich übersteigt: 40 Milliarden DM gegenüber 30 Milliarden DM. Private Einrichtungen im Hochschulbereich gibt es zwar, aber nach wie vor zu wenige. Ich meine, daß die hierfür bestehenden gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen zu eng sind. Wenn etwa vorgeschrieben wird, daß Professoren nicht geringer, aber auch nicht höher besoldet werden dürfen als im staatlichen Hochschulwesen - was soll diese Einengung? Auch bei der Mindestzahl anzubietender Fächer sollte der Grundsatz gelten: ruhig klein, aber dafür gut. Wo private Studienplätze angeboten werden, braucht sie der Staat nicht zu finanzieren.
({9})
Die Chance von Haushaltsberatungen in besonders finanzknappen Zeiten wäre die, erfinderisch zu werden.
Ich danke Ihnen.
({10})
Und nun spricht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Norbert Lammert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den herausragenden Ereignissen des heute mehrfach zitierten bildungspolitischen Grundsatzgesprächs auf Einladung des Bundeskanzlers in der vorletzten Woche gehört die gemeinsame und ausdrückliche Einschätzung der Spitzenrepräsentanten der Wirtschaft wie der Wissenschaft, daß die Modernisierung unseres Bildungssystems ein unverzichtbarer Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist. Allein diese gemeinsame Überzeugung als Grundlage gemeinsamer künftiger Maßnahmen belegt, daß die bildungspolitische Initiative des Bundeskanzlers weder auf die lange Bank geschoben noch folgenlos geblieben ist.
Dabei bestand unter den Teilnehmern weitgehende Übereinstimmung auch über die wesentlichen Reformpunkte. Der Wille aller Beteiligten, diese große Aufgabe gemeinsam zu meistern, war für jeden klar
erkennbar. Deswegen besteht Anlaß zu der Zuversicht, daß wir dieses Ziel auch gemeinsam werden erreichen können.
Mit Blick auf die anstehenden parlamentarischen Beratungen der Vorschläge der Verfassungskommission, die Kollege Graf Waldburg aus guten Gründen in diese bildungspolitische Haushaltsdebatte eingeführt hat, verdient festgehalten zu werden, daß zahlreiche Gesprächsteilnehmer bei diesem Grundsatzgespräch die Bildungsreform als eine gesamtstaatliche Aufgabe bezeichnet und ausdrücklich davor gewarnt haben, die Kompetenz des Bundes bei der Hochschulpolitik und der Berufsbildung einzuschränken. Sowohl die Wissenschaftsorganisationen als auch sehr nachdrücklich die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben diese Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission abgelehnt, insbesondere im Hinblick auf die Nachteile für die Rechtseinheit und Rechtsklarheit sowie auch und gerade mit Blick auf die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Deswegen schließe ich mich dem Appell des Kollegen Graf Waldburg natürlich gerne an und bitte Sie ausdrücklich, bei den anstehenden, sorgfältig zu führenden Beratungen hier im Hause und in den Ausschüssen die vorgeschlagenen Änderungen zu den Art. 72 und 75 des Grundgesetzes zurückzuweisen und damit im übrigen einer breiten Übereinstimmung unter den Bildungspolitikern quer durch die Fraktionen des Bundestages zu folgen.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungsreformen müssen in erster Linie in den Köpfen stattfinden.
({1})
Fehlende Kreativität und mangelnder Reformwille sind durch mehr Geld nicht zu ersetzen. Dies gilt allerdings auch umgekehrt. Das, was man bildungspolitisch für notwendig hält, muß man auch finanzieren können. Insofern bedarf das, was wir gemeinsam als Kernpunkte einer modernen, die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere der nachwachsenden Generation sichernden Bildungspolitik betrachten, auch einer entsprechenden finanziellen Absicherung.
Der Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, über den wir heute reden, sieht Ausgaben in Höhe von knapp 6,2 Milliarden DM vor. Mit diesem Volumen können nicht alle fachlichen Erfordernisse in vollem Umfang erfüllt werden. Das ist wahr. Gleichwohl bietet dieser Haushaltsentwurf eine ausreichende Grundlage, die genannten Aufgaben gestalterisch anzugehen.
Ich kann in diesem Zusammenhang nur einige wenige bildungspolitische Schwerpunkte dieses Einzelplans herausgreifen. Ich möchte das aber auch mit Blick auf die Debattenbeiträge gerne tun. Ich will aus guten Gründen mit dem Bereich beginnen, den die meisten Kolleginnen und Kollegen, die in dieser Debatte gesprochen haben, zu Recht als einen zentralen Aufgabenbereich der Bildungspolitik des Bundes,
aber auch der Länder herausgestellt haben, nämlich mit dem Bereich der beruflichen Bildung.
Als außerordentlicher Erfolg ist es sicher zu bezeichnen, daß im Jahre 1993 in den neuen Ländern entgegen manchen berechtigten und vielen unberechtigten Zweifeln allen Jugendlichen, die dies wünschen, ein Ausbildungsplatz angeboten werden kann. Im übrigen, Frau Kollegin Odendahl: Die Bundesregierung läßt weder Zahlen noch Jugendliche verschwinden.
({2})
Das, was an Angeboten und Nachfragen betrieblich und außerbetrieblich zur Verfügung steht, ist nun aus für jedermann zugänglichen Quellen und Dokumenten auch für jedermann nachvollziehbar,
({3})
wobei ich Ihre Irritation begreife, wenn Sie Jahr für Jahr im Herbst mit Tränen in den Augen vor den Prognosen stehen, die Sie im Frühjahr des gleichen Jahres zu den Ausbildungsplatzbemühungen vorgetragen haben. Aber ich denke, uns eint die gemeinsame Freude darüber, daß jeder, der einen Ausbildungsplatz benötigt, auch einen Ausbildungsplatz bekommen kann.
({4})
- Nein, nicht nur auf unserem; auf „unserem" übrigens schon gar nicht, weil wir uns ja sowohl bei der Einschätzung der Prognosen wie auch bei dem Nachweis der Ergebnisse nicht auf unsere Papiere stützen, sondern auf die der dafür zuständigen Behörden und Institutionen - wie Sie im übrigen auch, wie ich hoffe. Deswegen füge ich ausdrücklich hinzu, daß wir in der Tat das Ziel, möglichst allen Jugendlichen ein betriebliches Ausbildungsverhältnis anbieten zu können, noch nicht erreicht haben, wenngleich der guten Ordnung halber auch mit Dank und Respekt festgehalten werden sollte, daß die Betriebe ihre Zusage zu einem verstärkten Engagement durch einen weiteren Zuwachs an betrieblichen Ausbildungsplätzen in einer Größenordnung von ungefähr 12 % nun in der Tat eingelöst haben. Das, finde ich, gehört an einer solchen Stelle auch dazu.
({5})
Wahr ist, daß wir zur Ergänzung dieses Ausbildungsangebotes von insgesamt etwa 85 000 betrieblichen Plätzen zusätzliche außerbetriebliche Angebote benötigt haben. Darum hat sich der Bundesbildungsminister, darum haben sich andere in den Ländern und darum haben sich auch viele Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen bemüht. Es ist uns gelungen, dies rechtzeitig und pünktlich zum Beginn des Ausbildungsjahres zu realisieren.
({6})
- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen
doch genausogut wie ich - auch wenn Sie das aus
wiederum verständlichen Gründen nicht gerne öffent16500
lich vortragen -, daß der Bedarf an außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen um ein Vielfaches größer gewesen wäre, als er jetzt geblieben ist, wenn wir im Frühjahr oder Frühsommer des Jahres die Ankündigung in die Welt gesetzt hätten, wir würden einen verbleibenden Bedarf mit einem öffentlichen Programm decken. Insofern ist das, was wir gemacht haben, die intelligente Umsetzung Ihrer Forderung nach sparsamem Umgang mit öffentlichen Mitteln auch und gerade im Bildungsbereich.
({7})
Ein weiterer Schwerpunkt der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung in den neuen Ländern ist die Schaffung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten, für die im Jahre 1994 insgesamt 125 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden. Ich bin erfreut und dankbar dafür, daß bisher alle diesen Bereich betreffenden Anträge aus den neuen Ländern bedient werden konnten.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auch den Berichterstattern für den Einzelplan 31 danken, die die Bemühungen aller Bildungspolitiker um eine Mittelaufstockung in diesem Bereich erfolgreich unterstützt haben. Das belegt im übrigen, daß in den Beratungen des Haushaltsausschuss es offenkundig nicht nur Finanzoperationen mit statistischen Ausgleichsmechanismen bewältigt werden, sondern daß sich die Sensibilität für den Sachverhalt, in diesem Fall also für die Prioritäten der Bildungspolitik, auch in den Beratungen und Beschlüssen des Haushaltsausschusses niederschlägt, für die ich mich deswegen ausdrücklich bedanken möchte.
({8})
Um dem erkennbar zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen, sind Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der beruflichen Bildung dringend erforderlich. Auch davon war in dieser Debatte zu Recht mehrfach die Rede.
In diesen Kontext gehört die Erhöhung des Ansatzes für die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung auf jetzt 28 Millionen DM. Damit können weitere 3 200 Stipendiaten in das Programm aufgenommen werden.
Wer im übrigen meint, an dieser Stelle würde nun des Guten zuviel getan, dem empfehle ich einen Blick auf die entsprechenden Mittelansätze für Graduiertenförderung, für Promotionsstipendien, für Begabtenförderung im akademischen Bereich. Dann werden die gelegentlich sehr vordergründigen Einwände gegenstandslos, die ich deswegen hier im einzelnen auch gar nicht weiter behandeln will.
({9})
Was den Hochschulbereich angeht, wissen Sie, daß für den Hochschulbau wiederum 1,68 Milliarden DM an Bundesmitteln vorgesehen sind. Der Kollege Thiele hat vorhin bereits darauf aufmerksam gemacht, daß wir damit den Ansatz des Vorjahres trotz der erheblich verschärften Finanzsituation aufrechterhalten.
Ich verleugne auch hier nicht, daß aus fachlicher Sicht nach meiner Überzeugung ein höherer Ansatz begründet gewesen wäre und daß der jetzige Ansatz scharfe Einschnitte in der Planung des Hochschulbaus erfordert.
Dies gilt allerdings nicht nur für den Hochschulbau. Es gilt auch für manchen anderen Bereich, der im Rahmen der verfügbaren Mittel hinter dem zurückbleiben muß, was man sich bei rein fachlicher Betrachtung nicht nur gewünscht hätte, sondern sicher auch für zweckmäßig erklären könnte.
Gleichwohl ist es gelungen, mit dem am 18. Oktober verabschiedeten 23. Rahmenplan für den Hochschulbau die dringlichsten neuen Vorhaben wenigstens für die neuen Länder und zum Teil für den Fachhochschulausbau auch in den alten Ländern zu beginnen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch hervorheben, daß das Bundesbildungsministerium im Rahmen des Programms „Verbesserung, Erhalt und Neuschaffung von studentischem Wohnraum in den neuen Ländern" 1994 60 Millionen DM zur Verfügung stellt und übrigens allein damit den Nachweis führen kann, daß von einer schlichten Verwaltung des Status quo keine Rede sein kann. Wir setzen auch in diesem Etat an besonders wichtigen Stellen mit besonders dringlichem Bedarf neue Prioritäten. Auch dies ist sicher ein wichtiger Beitrag zur Förderung besserer Studienbedingungen in den neuen Ländern.
Ich will schließlich noch wenige Sätze zur internationalen Zusammenarbeit sagen, zumal der Kollege Ullmann völlig zu Recht auf die Notwendigkeit internationaler Perspektiven in der Bildungspolitik im allgemeinen und europäischer Perspektiven für eine Bildungspolitik in einen europäischen Binnenmarkt verwiesen hat.
Die internationale Zusammenarbeit konzentriert sich naturgemäß vor allem auf die Europäische Union und die weitere Hilfe für die neuen unabhängigen Staaten sowie die mittel- und osteuropäischen Staaten.
Im zweiten Halbjahr 1994 wird die Bundesrepublik Deutschland die Präsidentschaft in der Europäischen Union innehaben und sich deswegen auch im Bildungsbereich bemühen müssen und auch bemühen wollen, wesentliche Fortschritte bei der Zusammenarbeit der Mitgliedsländer im Bereich der Bildungspolitik zu erzielen und insbesondere neue tragfähige Konzeptionen für die Fortführung der dann auslaufenden europäischen Bildungsprogramme zu entwikkeln.
Die bereits begonnene Zusammenarbeit auf dem Bildungssektor zugunsten des Reformprozesses in den mittel- und osteuropäischen Staaten sowie den neuen unabhängigen Staaten wird fortgesetzt und intensiviert. Das Bundeskabinett hat hierzu vor wenigen Wochen einen entsprechenden Bericht verabschiedet, den der Bundestag angefordert hatte. Er liegt nun vor. Er belegt unsere Bemühungen in der Vergangenheit und unsere Absicht zur Intensivierung in der Zukunft.
Meine Damen und Herren, der Kollege Keller hat vorhin in seinem Diskussionsbeitrag darauf hingewieParl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
sen, daß es aus seiner Sicht manche interessanten bildungspolitischen Weichenstellungen in diesem Jahr gegeben habe. Er hat das kritisiert und als eher irreführend bezeichnet. Sie werden verstehen, Herr Kollege Keller, daß die Bundesregierung die Kritik einer Partei des sogenannten demokratischen Sozialismus
({10})
eher als Gütesiegel denn als Makel empfindet
({11})
und sich insofern durch diese Skepsis in ihrer bildungspolitischen Orientierung nicht irritieren läßt.
({12})
Die Frau Kollegin Odendahl hat mit der ihr eigenen vornehmen Zurückhaltung vorhin den Einzelplan 31 als den schlagenden Beweis für die Politikunfähigkeit dieser Bundesregierung bezeichnet.
({13})
Verehrte Kollegin Odendahl, man hätte die absehbare Ablehnung des Haushalts der Regierung durch die Opposition vielleicht etwas weniger dramatisch machen können. Jedenfalls trägt zur Politikfähigkeit des Deutschen Bundestages bei
({14})
- zur Politikfähigkeit des Deutschen Bundestages! -, daß die Bereitschaft zur sachlichen Auseinandersetzung ohne vordergründige Polemik in den Ausschußberatungen regelmäßig ausgeprägter ist als in den Plenardebatten.
({15})
Dafür möchte ich mich auch bei dieser Gelegenheit ausdrücklich bedanken.
({16})
- Wie Sie sich erinnern, Herr Ausschußvorsitzender, habe ich diesen Haushaltsentwurf in einer Sitzung des Ausschusses höchstpersönlich vorgestellt.
({17})
- Ich war in einer darauf folgenden Sitzung wegen Teilnahme an einer Kabinettsitzung, wie Sie wußten, nicht anwesend.
({18})
Denn trotz jahrelangen Trainings besitze ich immer noch nicht die Gabe der Bilokalität.
({19})
Dafür bitte ich die verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition um Verständnis.
({20})
Ich hatte zum Schluß im Hinblick auf die auffällige Diskrepanz zwischen der Tonlage der Beratungen im Ausschuß und im Plenum
({21})
anfragen wollen, ob über die Politikfähigkeit hinaus die vielbeschworene Politikverdrossenheit vielleicht auch mit dieser Diskrepanz zusammenhängen könnte. Das aufzudecken wäre eine wichtige Aufgabe der politischen Bildung. An der Überwindung dieser Diskrepanz zu arbeiten könnte eine dankbare Aufgabe der Bildungspolitiker sein.
({22})
Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 31 liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über diesen Einzelplan, den des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/6203 vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt nun für den Einzelplan 31 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 31 angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 30
Bundesministerium far Forschung und Technologie
- Drucksachen 12/6023, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dietrich Austermann
Zum Einzelplan 30 liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Vera Wollenberger und Gerd Poppe vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache zu diesem Einzelplan eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Dr. Emil Schnell das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Impuls dieser Anregung aufnehmen und vorweg meinen Mitberichterstattern, den Kollegen Austermann von der CDU/CSU und Zywietz von der F.D.P., und natürlich den engagierten Mitarbeiterinnen und Mit16502
arbeitern des Forschungsministeriums für die konstruktive und gute Zusammenarbeit recht herzlich danken. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die konstruktive Kritik, die ich hier sicherlich mit einbauen werde, durchaus so gemeint ist, wie sie gesagt wird, und keine Polemik darstellt.
Wir haben in den Beratungen natürlich auch gemerkt, daß die Gemeinsamkeiten der Koalition im wesentlichen erschöpft waren, sowohl bei der Frage, wie man mit Forschung und Technologie umgehen und wie viele Mittel man für bestimmte Schwerpunkte einsetzen soll, als auch bei der Frage, welche Gesamthöhe der Plafond des Einzelplanes 30 haben soll, obwohl der Kanzler - andere auch - mehrfach gewisse Standortbeziehungen festgestellt hat, Fragen bezüglich Forschung und Technologie und der Bedeutung des Standortes Deutschland betreffend. Ich denke, trotz dieser Abstimmungsschwierigkeiten gab es im Haushaltsausschuß aber im wesentlichen ein gutes und sachbezogenes Klima, was wir natürlich in erster Linie unserem Vorsitzenden Rudi Walther zuzuschreiben haben.
Ich möchte kurz zur Analyse des Einzelplanes in den Jahren 1991 bis 1994 kommen. Wenn man die Haushaltsreden der letzten Jahre zu Forschung und Technologie verfolgt, kann man feststellen, daß die Koalition mit dem Einzelplan im wesentlichen zufrieden war. Sie hat trotzdem jedes Jahr etwas aus dem Einzelplan herausgeschnitten, um ihr Einsparziel zu erreichen. Sie hat den Anteil des Einzelplanes am Gesamthaushalt kontinuierlich zurückgefahren. Sie hat dadurch eigentlich deutlich gemacht, daß Forschung und Technologie zwar interessant sein mögen, für sie aber nicht vorrangig von Bedeutung sind.
Der Finanzminister konnte immer ohne Widerstand aus den eigenen Reihen den Forschungshaushalt als Steinbruch mißbrauchen.
({0})
Ich erinnere daran - Minister Waigel ist jetzt leider nicht da -: Er hat auch dieses Jahr wieder versucht, den armen Minister Krüger - arm sage ich deshalb, weil der Haushalt entsprechend aussieht -, gleich nachdem er Platz genommen hatte, über den Tisch zu ziehen, indem er ihm vorgeschlagen hat: Spar mal kräftig ein; das, was wir dann zusammenkriegen, geben wir nach Bayern für den Weltraum. Er hat sich im Prinzip als größter bayerischer Weltraumlobbyist dargestellt. Ich denke, das war eine unschöne Sache. Wir konnten im Ausschuß dieses Problem Gott sei Dank korrigieren und diesen Fehler beheben. Dafür bin ich dankbar.
({1})
Der Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung, universitärer Forschung, Industrieforschung und innovativen, weltmarktfähigen Produkten wurde in der Vergangenheit sträflich nicht erkannt oder heruntergespielt. Das Prinzip des Handelns lautete für die Bundesregierung: Von der Hand in den Mund; oder, anders gesagt, wenn die Katastrophe naht oder uns schon erreicht hat, dann erst ist die Bundesregierung bereit, erste,
meist unzureichende Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen. Das gilt übrigens für viele Problembereiche, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit aufgetaucht sind und auch vorhersehbar waren. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, das darf so nicht weitergehen.
Die Bedeutung von Forschung und Technologie für den vieldiskutierten Standort Deutschland wurde von der Koalition nur teilweise erkannt. Das Ergebnis dieser Einsicht lautet: reale Kürzung des Haushaltes - also weiter so wie bisher -, Substanzverzehr in erschreckender Weise. Durch mehr Einsicht, Umdenken, Industrie- und Produktnähe der Forschung sollen die neuen Ergebnisse erzielt werden. Das allein wird natürlich nicht fruchten können, weil das deutsche Forschungssystem nicht nur auf Einsicht, Freude und Glück beim Forschen basiert. Natürlich drängen wir alle gemeinsam darauf, daß wir schneller vom Gedanken zum Produkt kommen. Wir warnen die Koalition jedoch nochmals ausdrücklich davor, bei ihrem Sparforschungshaushalt zu bleiben, und fordern sie auf, sich für den Standort Deutschland zu entscheiden, d. h. unserem Antrag zum Forschungshaushalt zuzustimmen. Ich gehe auf diesen Antrag nachher noch einmal kurz ein.
Stetigkeit und Berechenbarkeit sind übrigens nicht nur im Forschungsbereich vonnöten. Die Haushaltspolitik der Bundesregierung ist insgesamt eine Wellblechpolitik, ohne klare Perspektiven und Verläßlichkeiten für den Standort Deutschland, für die Wirtschaft. Das wird übrigens auch von vielen führenden Wirtschaftsvertretern immer wieder bestätigt. Diese Wellblechpolitik setzt sich bei den Personalentscheidungen fort. Einen neuen Minister pro Quartal vertragen nicht einmal die Beamten im Ministerium. Zunehmende Resignation und Unmut sind auszumachen.
({2})
Alle spüren, es geht dem Ende entgegen.
({3})
Auch das hat natürlich etwas mit Standortqualität zu tun.
Wie sehen die Zahlen aus?
({4})
Von 1986 bis 1994 fällt der Anteil des Einzelplans 30 am Bundeshaushalt von 2,74 % auf - historisch niedrige - 1,98 % und liegt somit immer noch unter 10 Milliarden DM. Die Steigerung gegenüber 1993 ist gleich Null. Wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, weiß man, was das bedeutet.
Die internationale Konkurrenz kann sich freuen. Amerikaner und Japaner wissen inzwischen, welche Signale für ihren jeweiligen Standort von Bedeutung sind, und handeln entsprechend. Sie setzen voll auf Bildung, Forschung, Technologie, Kooperation - und natürlich auch auf die entsprechenden Mittel, die dafür benötigt werden. Eine Nullrunde bei Löhnen und Gehältern ist sicherlich ein diskussionswürdiges
Zeichen in dieser schwierigen Zeit, eine Nullrunde beim Forschungshaushalt eben gerade nicht.
({5})
Auch muß die Frage gestellt werden, ob die forschungsfremden Elemente des Einzelplans 30 nicht endlich ausgelagert werden müssen. Die Einsicht ist eigentlich übergreifend vorhanden gewesen. Aber der Finanzminister und der Forschungsminister haben diesen Schritt nicht gemeinsam erreichen können. Es dient der Klarheit und Wahrheit nicht, wenn z. B. die Mittel für die Beseitigung der Altlasten, die mit Forschung und Technologie herzlich wenig zu tun haben, den Etat aufblasen und die Schrumpfung der für Forschung tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel verschleiern.
({6})
Zudem fordern wir die Bundesregierung und die Energieversorger nachdrücklich auf, eine stärkere Industriebeteiligung an den Kosten der Altlastensanierung und an der anlagenbezogenen Forschung im Kernenergiebereich festzumachen.
Der Kanzler sagte am 5. November vor dem Bundesrat
({7})
- ich möchte es zitieren -:
In der nächsten Woche findet im Rahmen der Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages die „Bereinigungssitzung" statt. Ich gehe davon aus, daß wir dabei eine vernünftige Lösung zur Erhöhung von Mitteln finden, wobei ich den ausdrücklichen Wunsch habe, daß diese Mittel nicht zuletzt auch für die neuen Länder eingesetzt werden.
Ich frage die Kollegen hier - Sie haben nachher noch die Möglichkeit, Herr Kollege Austermann, darauf zu antworten -, was aus diesem Versprechen geworden ist, ob es nicht schon gebrochen ist.
({8})
Die Forschungspolitiker aller Parteien haben einvernehmlich eine deutliche Erhöhung des Plafonds gefordert und detailliert untersetzt. Auch die Koalition hat, glaube ich, eine Erhöhung um etwa 260 Millionen DM gewollt. Der Kollege Austermann hat dementsprechend den Versuch mit unternommen, bei den Beratungen im Berichterstattergespräch Vorschläge in diese Richtung mitzutragen. Sein Fehler war nur: Er hatte sich nicht oder nur unzureichend mit seinen Kollegen der Haushaltsarbeitsgruppe abgestimmt, so daß die Ergebnisse des Berichterstattergesprächs im Haushaltsausschuß schließlich völlig über den Haufen geworfen wurden. Es wurde ein willkürlich vorgegebenes Einsparziel für alle Haushalte stur, ohne Sinn und Verstand, durchgepeitscht. Das ist eine Niederlage für die deutsche Forschung, aber auch eine Niederlage für die Koalitionskollegen. Die Kraft und
die Gemeinsamkeit der Koalition, Schwerpunkte zu setzen, sind in der Tat verbraucht.
({9})
Das Mittel der globalen Minderausgabe ist alles, was bleibt. Fünf Milliarden DM globale Minderausgabe zu den schon vorhandenen wurden von der Koalition mehr aus Verzweiflung und fehlendem Mut am letzten Tag der Haushaltsberatung über bestimmte Gruppen des Haushalts verhängt. Besonders trifft es die Zuwendungsempfänger, die z. B. einen wesentlichen Teil des Forschungshaushalts ausmachen. Es ist zu befürchten, daß hier erhebliche Einschränkungen für alle forschenden Institute kommen werden.
Fünf Milliarden DM werden also am Parlament vorbei nach Gutdünken im Dezember von der Regierung gestrichen. Das ist eine bedenkliche Sache.
({10})
- Das ist keine falsche Aussage, Kollege Austermann. Diese Kürzungen der Bundesregierung werden dem Parlament, wenn es hochkommt, zur Kenntnis gegeben, und das ist es dann gewesen. Ich sehe nicht, daß die explizite Zustimmung des Haushaltsausschusses und des Parlaments eingeholt werden muß. Insofern, meine ich, liege ich schon richtig.
Ich frage noch einmal: War das die vernünftige Lösung, die der Kanzler angekündigt hat? Oder meint er etwa die SED-Parteigelder, die er im Prinzip noch gar nicht hat - wenn ich einmal sagen darf, was ich gehört habe? Die Kommission ist sich noch nicht einig darüber, was mit dem Geld eigentlich passieren soll. Insofern sind es Ankündigungen, die uns nicht weiterhelfen, die auch nicht der Industrieforschung oder irgendeiner anderen Forschung zugute kommen können. Ich kann in dem Zusammenhang nur hoffen, daß die für die Chemiezentren in Adlershof gefundenen Übergangslösungen und das Bessy-II-Projekt - auch in Adlershof - nicht doch noch dem Rotstift zum Opfer fallen.
Mit dieser Vorgehensweise ist eigentlich das relativ starke parlamentarische Haushaltsrecht von den Kollegen der Koalition auf den Kopf gestellt worden.
({11})
Die Hörigkeit von Parlamentariern gegenüber der Regierung stellt nicht gerade eine Sternstunde der Demokratie dar.
({12})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die Kontrolle der Regierung zur Vermeidung von Fehlern darf auch von den Koalitionsabgeordneten ausgeübt werden.
({13})
Das ist kein Vorrecht der Opposition. Auch Sie sind dazu verpflichtet, Schaden von Deutschland abzuwenden.
({14})
Die Überschriften in den Fachzeitschriften zur Forschung und Technologie lauten etwa so: „Noch fehlen klare technologiepolitische Zielvorstellungen", „Stiefkind Wissenschaft", „Orakel aus Fernost" usw. - Sie kennen das alles. Das hat auch seine Gründe. Es ist nicht nur das Singen dieses schlimmen Liedes, sondern es ist etwas dran. Die Situation ist in der Tat sehr schwierig und wird noch schwieriger werden.
Dabei ist klar, wo die Zukunftstechnologien des 21. Jahrhunderts angesiedelt sind. Zahlreiche Studien zeigen diese Felder auf: Informationsverarbeitung, Materialforschung, Biotechnologie, Verkehrstechnologie usw. Wenn man sich den Delphi-Bericht genauer anschaut, wird klar, welche großartigen neuen Möglichkeiten bevorstehen. Ich möchte ein paar aufzählen, damit es nicht allzu trocken ist.
Im Jahre 2001 soll das dreidimensionale Fernsehen ohne Brille kommen; im Jahre 2002 der Ein-GigabitSchaltkreis - dann können Sie Ihre Festplatten in den Sondermüll werfen. Es wird die Begrünung von Wüsten geben.
Im Jahre 2003 kommen die dezentrale Trinkwasseraufbereitung aus Meerwasser, stufenlose Getriebe, die photokatalytische Produktion von Wasserstoff aus Wasser, im Jahre 2004 der Roboter für alle Bereiche, zum Feuerlöschen, der Bauroboter, der Roboter für Blinde und für die Krankenpflege bis hin zum Babyroboter, über den sich dann viele trefflich streiten werden, schließlich die künstliche Lunge.
Im Jahre 2005 gibt es die Hochtemperaturkunststoffe, Solarzellen mit 30 % Wirkungsgrad, künstliches Blut.
({15})
- Der künstliche Mensch, Kollege Weng, kommt später, wahrscheinlich gar nicht.
({16})
Für das Jahr 2006 ist die Aidsheilung angepeilt; die meisten Krebsarten sind heilbar. Vieles wird durch die Biotechnologie möglich. Im Jahr 2007 werden die Tierversuche ersetzt; Wälder erholen sich vom sauren Regen. Liebe Kollegen, hören Sie genau hin!
Ab 2012 gibt es die perfekten Übersetzungscomputer. Fast alle Allergien werden heilbar sein. Man kann das Absterben von Gehirnzellen verhindern usw.
Warum zähle ich alle die Dinge auf? Weil ich in erster Linie von den Möglichkeiten der technologischen Zukunft im Dienste der Menschheit fasziniert bin. Wir sollten gemeinsam das politische Klima für die Technologiezukunft in Deutschland täglich verbessern helfen.
({17})
Die Analysen und strategischen Dialoge helfen aber allein nicht weiter, wenn Sie nicht endlich aus der Verkrustung herauskommen, das vorhandene sowie zusätzliches Geld in die Hand nehmen und entsprechend massiv in den oben genannten Bereichen fördern, wieder mehr Risiko wagen und den Erfolg kontrollieren.
Zur Industrieforschung möchte ich noch folgendes sagen: Im Bericht der Bundesregierung zur Situation der Forschung in den neuen Ländern lautet die Überschrift dazu: „Kritische Lage der Forschung in der ostdeutschen Wirtschaft". Von rund 86 000 Beschäftigten in F und E in der Wirtschaft waren 1992 weniger als 24 000 beschäftigt. Im Vergleich zu den alten Ländern müßten etwa 70 000 in FuE beschäftigt sein. Ich bin in den letzten Jahren immer wieder auf die drängenden Probleme der Industrieforschung eingegangen. Ich werde auch nicht müde, es heute wieder zu tun.
Wir haben sinnvolle Vorschläge unterbreitet wie z. B. die zeitweilige Sockelfinanzierung der Forschungs-GmbH, stärkere Beteiligung von Technologieunternehmen am Innovationsrisiko, stärkere Förderung des Zuwachses der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in der Wirtschaft, besonders im Mittelstand, Verstärkung der Verbundforschung, echte Kredithilfen etc. Weitere Vorschläge sind in unserem Antrag enthalten. Ich möchte Sie bitten, diesem Antrag auch deshalb zuzustimmen.
Natürlich haben auch die Industrie und die Treuhandanstalt in diesem Bereich eine ganz besondere Verantwortung, die aber ganz offensichtlich nicht wahrgenommen wurde. Der Wirtschaftsminister, der ja auch etwas mit Industrieforschung zu tun hat - das sollte man ihm noch einmal sagen -, hat im wesentlichen nach Gründen gesucht, warum bestimmte, oben vorgeschlagene Instrumente nicht in die alten Denkstrukturen passen. Er hat den Markt voll wirken lassen und nichts Intelligentes unternommen, um den drastischen Rückgang der Zahl von ForschungsGmbHs auf jetzt 47, also ein Drittel zu stoppen.
Dazu hat sich der Verband innovativer Unternehmen in den neuen Bundesländern und Berlin zu Recht kritisch geäußert. Ich möchte das jetzt nicht vortragen, sondern nur darauf hinweisen, daß auch in dieser Stellungnahme sehr sachdienliche Hinweise enthalten sind, die aufzeigen, was zu tun ist, um für die Industrieforschung und speziell für die ForschungsGmbH eine mittelfristige Perspektive zu schaffen.
Zum Schluß möchte ich ganz kurz noch etwas zum Transrapid sagen. In vielen Reden der vergangenen Wochen und in einer Reihe von Pressemeldungen war der Transrapid als Exempel für eine unzureichende Koordinierung innerhalb der Bundesregierung, aber auch zwischen Wirtschaft und Politik angeführt worden - zu Recht, so meine ich. Denn der Transrapid ist ein Verkehrsmittel der Zukunft, mit Eigenschaften, die wir alle hoch schätzen: geringer Energieverbrauch, geringer Landschaftsverbrauch, sicherer als jedes andere Verkehrsmittel usw. Sie kennen das im wesentlichen. Hier ist der Forschung in den letzten 20 Jahren mit viel Kraft und Geld ein Technologiesprung von der Mechanik zur Elektronik gelungen, ein Quantensprung sozusagen.
Die Frage ist, wie beherzt die Regierenden mit einer großen Innovation umgegangen sind. Typisch deutsche Bedenkenträgerei in allen Reihen hat verheerende Auswirkungen, besonders für den Standort Deutschland. Aber man streitet sich um Geld, das um ein Vielfaches wieder nach Deutschland zurückfließen könnte.
Herr Kollege Schnell, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Nein, es wird nicht angerechnet.
Herr Kollege Schnell, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß vor der Wiedervereinigung für eine Probestrecke des Transrapid ein in Nordrhein-Westfalen gelegenes Gebiet vorgesehen war und daß wir auf Grund dessen, was Ihre Partei diesbezüglich gemacht hat - sie hat nämlich nach einigem Hin und Her ganz schnell nein gesagt -, eine jahrelange Verzögerung hinnehmen mußten und wir das Projekt erst jetzt wieder, nach der Wiedervereinigung, mit einer möglichen Strecke zwischen Hamburg und Berlin weiter vorantreiben können?
({0})
Herr Kollege Weng, ich kenne die Sachverhalte in bezug auf den Transrapid ziemlich genau und kann sie auch über 20 Jahre zurückverfolgen. Ich denke schon, daß man sich auch ein anderes Land für die Teststrecken hätte aussuchen können, wenn man das unbedingt hätte durchsetzen wollen. Andererseits wissen wir, daß die technologische Einsatzreife erst vor einigen Monaten soweit bestätigt wurde, daß klar war: Dies könnte ein realistisches Projekt werden.
({0})
Ich denke, die Chancen sind auch mit dem Transrapid groß - ein System, das völlig neu ist, das schrittweise eingeführt werden kann und das - und darauf kommt es mir besonders an - mindestens 100 000 zukunftssichere Arbeitsplätze zusätzlich schaffen könnte, und das gerade in Bereichen, die besonders in den neuen Ländern Absatz und Märkte benötigen, wie die Stahlbranche, die Leistungselektronik, die Elektrotechnik, der Waggonbau, der auch viel im Gerede ist, und ungezählte Zulieferbereiche. Hier ist jede Mark für die Zukunft gut angelegt. Hier muß nicht nur die Politik, sondern auch die Großindustrie, die enormes Kapital zur Zeit lieber auf der Bank arbeiten läßt, ein klares Umdenken erkennen lassen, Risikobereitschaft zeigen und ein Signal setzen.
Inzwischen hat der Kanzler den Transrapid zur Chefsache erklärt. Ich kann nur hoffen, daß das vielgerühmte Aussitzprinzip hier ausnahmsweise nicht zur Anwendung gebracht wird.
Schließlich zum Antrag 12/6199, den wir gestellt haben. Kollege Weng hat vorhin nicht richtig zugehört und auch die Unterlagen nicht gut studiert. Es ist so, daß die Erhöhungsvorschläge in den Einzelplänen 30 und 31 sowie die Vorschläge zur Einsparung in den Einzelplänen 14 und 60 und in der Öffentlichkeitsarbeit in der Summe keine zusätzliche Belastung des Haushalts ausmachen. Insofern war die Kritik unberechtigt. Wir haben sehr wohl darauf geachtet, daß keine zusätzlichen Belastungen entstehen.
Ich darf Sie also noch einmal bitten, unserem Antrag zuzustimmen - damit gleichen wir gerade die Inflationsrate aus -, um Forschung und Technologie nicht vollkommen wegbrechen zu lassen. Wir lehnen den Einzelplan 30 deshalb in der jetzigen Form ab. - Ich danke Ihnen recht herzlich für die Aufmerksamkeit.
({1})
Nun spricht der Kollege Dietrich Austermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Schnell hat sich bemüht, die Debatte etwas aufzulockern, indem er technologische Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte vorgezeichnet hat. Er hat ein Datum vergessen: Im Oktober 2014 wird Oppositionsführer „Scharpingpong" nach 20 Jahren in Pension gehen, und die Opposition wird dann durch einen Laptop und ein Megaphon ersetzt werden.
Ich glaube, wenn man heute die Forschungsdebatte führt, dann muß man sich darüber klar sein, was wir tatsächlich während der Beratung im Haushaltsausschuß erreicht haben. Da muß man sich auch vor Augen halten, daß die SPD bei ihrem Bundesparteitag in der vergangenen Woche das Thema Forschungspolitik überhaupt nicht erwähnt hat.
({0}) - Ja, das tut natürlich weh.
Es gibt ein einziges Zitat in dem Beschluß über den Beschäftigungspakt, der offensichtlich niemanden packt. Da soll die Rüstungskonversion gezielt vorangetrieben werden, wozu die Förderung ökologischer Zukunftsinvestitionen durch neue Eisenbahnwaggons gebraucht werde. Also, wenn das alles zum Thema Forschungspolitik ist, dann ist das etwas dünn.
({1})
Inzwischen gehört es zu den Binsenweisheiten der Politik, lieber Herr Struck, daß für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie Forschung und Technologie eine entscheidende Bedeutung haben. Deutschland gehört zu den forschungsintensivsten Industrieländern der Welt mit weiten Bereichen ausgezeichneter Leistungen. Es gilt heute, die technologische Spitzenposition zu erhalten, zu sichern und in weiten Bereichen auszubauen. Dabei hat die Forschungspolitik einen ganz erheblichen Teil geleistet, und weitere Teile müssen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erbringen.
({2})
- Rudi, ich habe das leider nicht verstanden, was du gesagt hast.
Die Forschungspolitik hat sich auch insofern durchgesetzt - und das gilt für die Arbeit, die der Kollege Zywietz und ich als Berichterstatter mit dem Kollegen Schnell, der sich davon inzwischen distanziert, geleistet haben -, als der Forschungshaushalt ohne Kür16506
zungen durch die Haushaltsberatungen gekommen ist. 9,46 Milliarden DM stehen für neue Technologien bereit. Hinzu kommen 100 Millionen DM aus dem Risikobeteiligungsvertrag, weitere 50 Millionen DM an Hochschulerneuerungen, weitere 50 Millionen DM für wirtschaftsnahe Forschung. Auch aus dem Vermögen der SED und der sogenannten Massenorganisationen wurden inzwischen Gelder bereitgestellt, die mindestens in der Größenordnung von 150 Millionen DM auch in die Forschung in den neuen Ländern fließen. Über das, was bisher hierfür vom Forschungsminister an Programmen entwickelt worden ist, müssen wir sicher noch einmal reden. Aber Tatsache ist, daß es nach der Aussage und der Zusage des Bundeskanzlers diese zusätzlichen Mittel geben wird. Es ist nur mehr recht und billig, daß das Geld, das der Bevölkerung dort gestohlen worden ist, wieder in die Region zurückfließt und dann den Projekten der Zukunft dient.
({3})
Ich glaube, man muß auch mit Recht darauf hinweisen, was wir inzwischen in den neuen Bundesländern erreicht haben: 82 neue Institute - Max-Planck, Fraunhofer-Gesellschaft, Blaue Liste usw. -, eine beachtliche Leistung, die man gar nicht hoch genug werten kann.
Daß wir für eine solide Finanzpolitik sind, haben wir selbstverständlich bei der vorgenommenen Kürzung von 5 Milliarden DM gesagt, und wir haben klare Vorstellungen darüber, wo das realisiert werden soll. Ich bin den Kollegen im Haushaltsausschuß dankbar, daß sie zugestimmt haben, daß wir den Bereich zukunftszugewandter Technologien bei den Einsparungen weitgehend verschonen wollen. Wir werden sicherlich nicht am Parlament vorbei, sondern bei den Beratungen im Dezember im Haushaltsausschuß dazu gefragt werden und unsere Meinung dazu sagen.
Meine Damen und Herren, unsere Forschungspolitik muß in nächster Zeit vor allem deutlich machen, inwieweit Hochtechnologie einen mittelfristigen Aufschwung beflügeln kann. Je weiter der jeweilige Betrachter von den unmittelbaren technologischen Entwicklungen entfernt ist, desto euphorischer wird das Wort Hochtechnologie als Hoffnungsträger gebraucht. In der Tat können Schlüsseltechnologien einen wichtigen Weg zeigen. Politik, Wirtschaft und Forschung müssen sich aber auch zu einem neuen leistungsfähigen Konsens zusammenfinden. Die Stichworte Gentechnologie und Mikroelektronik unterstreichen dies.
Ich bin dem Forschungsminister sehr dankbar dafür, daß er mit den Strategiegesprächen erste Schritte unternommen hat. Wir müssen Schlüsseltechnologien unterstützen, die ein weites Produkt- und Anwendungsspektrum bilden. Idealerweise erfüllt das die Mikroelektronik bzw. die Mikrosystemtechnik. Wir alle wissen, wie schwer es in den letzten Jahren war, hier auch bei der Wirtschaft die entscheidenden Schritte zu bewirken. Bei der Mikroelektronik könnte man fast von einem Beleg dafür sprechen, weshalb es in Deutschland in den letzten Jahren zu einer falschen Entwicklung gekommen ist: zu viel Ängstlichkeit, zu viel Verzagtheit, zu viel Bedenken innerhalb der wissenschaftlichen Konkurrenz und
vielleicht manchmal auch politische Entscheidungsschwäche. So werden jetzt in Deutschland entwickelte Telefax-Geräte oder Laptops in Japan gebaut. LC-Displays werden woanders hergestellt, weil sich in Deutschland dafür kein Hersteller gefunden hat. Ich glaube, dies sagt nichts über die Schwäche der Forschungspolitik, sondern eher über Ängstlichkeit und Verzagtheit, auch in der Wirtschaft, aus. Auch hier müssen Änderungen stattfinden.
({4})
Ich glaube, daß man aber durchaus sagen kann, daß wir den Verlust der Schlacht noch nicht beklagen müssen. Auch im Bereich der Mikroelektronik gibt es neue Wege der Siliciumtechnologie. Wir können davon ausgehen, wenn in absehbarer Zeit die richtigen Schritte unternommen werden und mit den zusätzlichen Mitteln, die wir bereitgestellt haben, wird der neue Weg beschritten werden können.
Es muß eine Neuordnung der außerindustriellen und außeruniversitären Forschung geben. Hierzu braucht man eine industrielle Konsensrunde, wie sie der Forschungsminister angeregt hat. Er muß dabei die Federführung übernehmen. Seine Abteilungsleiter und Referenten müssen in die Betriebe ausschwärmen. Sie müssen gemeinsam als Mentoren an Tischen von Betrieben, Wissenschaft und Politik sitzen und dafür sorgen, daß wir neue Anfänge wagen, manchmal durchaus dort, wo die Industrie zu ängstlich ist, sagen, mit 100 %, aber abnehmender Förderung, aber mit der Industrie, weil wir wollen, daß sie dabei ist und auch bei den neuen Entwicklungen dabei bleibt.
({5})
Die Wirtschaft selbst hat ihre Aufgaben zum Teil noch nicht gelöst. Die Petersberg-Runde über Mikroelektronik ist dafür ein Beispiel. Ich glaube, manchmal, wenn nur davon gesprochen wird, daß Massenentlassungen bei diesem oder jenem Betrieb durchgeführt werden, sollte manch ein Manager vielleicht ganz oben anfangen, an der Spitze beginnen, bevor Entscheidungen getroffen werden, die nicht die Situation der Mitarbeiter berücksichtigen. Ich glaube, daß wir auch überlegen müssen, ob die Konstruktion der Projektträger, wie wir sie heute haben, in Zukunft so noch beibehalten werden kann. Hier wird Verantwortung verlagert, ohne Risiken dafür tragen zu müssen. Manchmal gibt das Ministerium das an einen Projektträger weiter und dieser an einen anderen, dann kommt eine Empfehlung zurück. Je nachdem, wie das in der Verwaltung gewollt ist, gibt es manchmal Ergebnisse, die wir nicht wollen. Auch dies empfiehlt sich in einer Situation, wo wir vieles auf den Prüfstand stellen müssen, einer Überprüfung.
Meine Damen und Herren, die Beratungen im Haushaltsausschuß haben deutlich gemacht, wo wir neue Akzente setzen wollen und wo künftig Abstriche gemacht werden müssen. Die Grundfinanzierung der Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung steigt um 11,2 %. Die Mittel für erneuerbare Energien steigen. Hinzu kommen 10 Millionen DM im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers für die Markteinführung erneuerbarer Energien. Rund 300 Millionen DM werden für erneuerbare Energien ausgegeben. Dies kann man gar nicht oft genug unterstreichen, wenn
immer wieder behauptet wird, die Bundesregierung tue dafür zu wenig.
({6})
Wir verstärken Umwelt- und Klimaforschung, Forschung im Dienste der Gesundheit, Informationstechnik, Biotechnologie, Technologien für den bodengebundenen Transport und Verkehr. Überall dort geben wir mehr Geld aus.
Gekürzt wird bei Großgeräten, Kohle und anderen fossilen Energieträgern, nuklearer Energieforschung und Kernfusion sowie Fachinformation und Weltraumforschung.
Das Thema Weltraum ist in den letzten Tagen - das ist ganz interessant - in die Diskussion geraten. Wenn man das über Jahre verfolgt hat, was auch ich seit einiger Zeit kann, dann stellt man den ständigen Wechsel der Positionen der SPD fest. Jetzt, unter dem Eindruck der Entscheidungen in großen Betrieben - bei der DASA beispielsweise -, entdeckt auf einmal die SPD ihre Vorliebe für die Raumfahrt.
({7})
Wir erinnern uns allerdings, daß Herr Catenhusen vor Jahren von unrealistischen Träumen einer autonomen Weltraumstation Westeuropas gesprochen hat; es mache keinen Sinn, autonome europäische bemannte Raumfahrt zu verwirklichen. „Raumstation ist finanziell nicht darstellbar." Er forderte eine deutliche Verkleinerung der DARA. Er forderte eine Schwerpunktverlagerung von den Mitteln für Raumfahrt zu anderen Bereichen. Soweit Herr Catenhusen, Vorsitzender des Forschungsausschusses!
Herr Mosdorf beklagt am 2. September, daß die Bundesregierung in der Forschungs- und Technologiepolitik quer durch alle Ressorts auf die alten, überholten „Dinosauriertechnologien" , beispielsweise die Raumfahrt, setzt. Am 2. September dieses Jahres: Dinosauriertechnologie Raumfahrt! Die Arbeitsgruppe Haushalt der SPD fordert in den Haushaltsberatungen Einsparungen beim deutschen Beitrag für europäische Weltraumorganisationen. Das ist noch nicht einmal drei Wochen her.
Im April begrüßten die raumfahrtpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion den geglückten Start der D-2-Mission, wenden sich aber zugleich gegen die bemannte Raumfahrt.
Das ist ein Spagat, den kaum ein Mensch noch nachvollziehen kann.
({8})
Jetzt, unter dem Druck der Gefährdung der Arbeitsplätze bei der DASA, teilt die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin, Heide Simonis, mit: Die Ministerpräsidenten mit DASA-Standorten wollen generell Hilfsmöglichkeiten zum Erhalt von Arbeitsplätzen in der Luft- und Raumfahrt sowie im militärischen Bereich erörtern. Simonis fordert eine solide Entwicklung ohne Stop-and-go-Politik in dieser Schlüsselindustrie. Da kann man nur sagen: Hört doch endlich auf mit eurer Stop-and-go-Position im Bereich der Raumfahrt!
({9})
Die Mittel für Weltraumforschung haben sich in den letzten Jahren nach oben entwickelt. Wir haben jetzt mit einer Festschreibung bei 1,1 Milliarden DM einen vernünftigen Stand erreicht. Ich glaube, daß sowohl die Raumfahrtindustrie davon leben kann wie auch die Impulse, die daraus in die Wirtschaft gehen, vernünftig sein werden.
Im Bereich der Luftfahrtforschung haben wir übrigens das Gleiche. Da wurde jahrelang beklagt, wir täten im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers nicht genug zum Abbau der Luftfahrtsubventionen. Und jetzt wird gefordert, da müßte doch nun endlich mehr getan werden. Im Bereich des Bundeswirtschaftsministers haben sich die Mittel allerdings nach unten entwickelt.
({10})
Dies hängt aber einfach mit der Entwicklung neuer Flugzeuge zusammen.
Von Stop and go kann also überhaupt keine Rede sein. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, daß das Management durch ständige Attacken der Regierungsparteien in Niedersachsen, in Hamburg und in Schleswig-Holstein verunsichert wurde. Sie haben dort die Manager in den großen Betrieben durch ihre Positionen verunsichert,
({11})
nicht nur im Bereich der Energiepolitik, sondern auch im Bereich der Raumfahrt, auch im Bereich Forschung und Technologie insgesamt, und damit Zaghaftigkeit an die Stelle von Entscheidungsfreude gesetzt.
({12})
Wem es um Arbeitsplätze in Forschung und Technologie ernst ist, der darf nicht so verantwortungslos daherschwätzen, wie es die SPD in den letzten Jahren zu den Themen Raumfahrt- und Luftfahrtförderung getan hat.
Jetzt will Ministerpräsident Schröder in Lemwerder sogar militärische Rüstung mittragen. Sein Koalitionspartner und Kabinettskollege Trittin von den Grünen bescheinigt ihm, er habe einen Knall,
({13})
was hier nicht kritisiert werden muß. Eine klare Politik ist dies keineswegs.
({14})
- Nun, gut, dann haben sie beide einen Knall, Schröder und Trittin. Wenn das der Umgang in der künftigen Regierungskoalition wäre, empfiehlt sich das wohl nicht für Bonn zur Wiederholung.
Schröder hat sich bereits vor einiger Zeit mit seinem grünen Koalitionspartner darauf verständigt, daß der Transrapid - nach Catenhusen übrigens auch eine überflüssige Mammut-Technologie - nicht von Hamburg nach Hannover fahren soll. Herr Kollege Weng hat mit Recht auf Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Dann gab es in Niedersachsen noch einen zweiten Anlauf. Da hat dann die örtliche SPD gesagt: Überall, aber nicht bei uns - wie das Motto dann immer lautet. Jetzt werden die neuen Bundesländer, jetzt wird Mecklenburg-Vorpommern zeigen, wie man das
macht, wie man Entscheidungsfreude für Forschung und neue Technologien nutzen kann.
({15})
Wir werden unsere Anstrengungen darauf verwenden, nun die Industrie dafür zu begeistern, dieses Projekt durchzusetzen. Man kann es niemandem in den Mangagementzentralen übelnehmen, daß er sagt: Wir warten zunächst, bis die politische Entscheidung da ist. Wir haben die Entscheidung getroffen. Wir werden das jetzt in Ergebnisse umsetzen.
Die SPD hat sich auf ihrem Bundesparteitag mit der Frage befaßt, wie Deutschland aus seiner schwierigen Situation herausgeführt werden kann. Die SPD könnte dazu einen guten Beitrag leisten, wenn sie bei allen wesentlichen Themen, die mit Arbeitsplätzen und mit Forschung zusammenhängen, ihre Blockadepolitik im Bundesrat aufgeben würde.
({16})
Die SPD stoppt bei der Gentechnologie, sie stört beim Transrapid, sie stellt die falschen Fragen in der Raumfahrt, und sie verweigert sich in der Kernforschung.
({17})
Heute kommen Sie mit einem Katalog von Anträgen. Gewissermaßen geht Emil Schnell als Forschungsgärtner von Potsdam mit der technologischen Gießkanne spazieren. Emil, nachdem wir uns im Haushaltsausschuß darauf geeinigt haben, 270 Millionen DM umzuschichten, und nachdem im Forschungsausschuß mit Zustimmung der SPD gesagt worden ist, daß man 270 Millionen DM haben wolle, ist die SPD kurz darauf hergegangen und wollte 410 Millionen DM. Heute legt die SPD einen Aufstokkungsantrag über 524 Millionen DM vor, nach dem Motto: Je höher, desto besser. Sie hat dabei übersehen, daß ein wesentlicher Teil der Dinge, die dort vorgelegt worden sind, längst von uns realisiert worden sind, angefangen von der erneuerbaren Energie bis zu vielen anderen Bereichen, etwa der Informationstechnik, und, und, und.
({18})
Man kommt jetzt mit alten Hüten und verkauft sie jetzt als neue Forschungs- und Technologiepolitik.
({19})
- Nein, das ist einfach die Wahrheit, Herr Struck; das müssen Sie ertragen,
Der Kollege ist nicht nur polemisch, sondern er ist jetzt gleich am Ende seiner Redezeit.
- weil gerade bei dieser Zukunftstechnologie, in dieser wichtigen Frage das entscheidende Thema für unsere Bürger
liegt. Hier wird nämlich entschieden: Wie haltet ihr es mit den Arbeitsplätzen der Zukunft? Da muß man feststellen: Bei der SPD Fehlanzeige. Anträge mit der Gießkanne, aber keine konkrete Politik.
Herr Kollege Austermann, würden Sie dann zum Ende kommen? Sie sind nämlich schon über der Zeit.
Ich bin dabei, den letzten Satz zu sprechen.
({0})
Sie sind am Ende Ihrer Redezeit; darum lasse ich auch keine Zwischenfrage zu.
Dann darf ich schließen.
Unsere Technologiepolitik wird zum Hoffnungsträger in der Wirtschaftsflaute. Die Forschungspolitik konzentriert sich auf die Stärkung des Standortes Deutschland. Es bleibt viel Arbeit, die neuen Akzente, wie Ökologie, Klimaforschung, Elektronik, Mikrosystemtechnik, erneuerbare Energien, Bio- und Gentechnologie, Materialforschung, Verkehrsforschung, mit neuem Einsatz in die Verwaltung umzusetzen.
({0})
Ich glaube, daß wir dabei mit diesem Forschungsminister und diesem Haushalt die richtigen Wege beschreiten. Deswegen stimmen wir dem Einzelplan 30 zu, lehnen die Anträge der SPD und vor allem auch die der GRÜNEN ab, die heute noch nicht einmal zu der Debatte erschienen sind.
Herzlichen Dank.
({1})
Und nun spricht der Kollege Werner Zywietz.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Rauh, aber herzlich" sagt der Volksmund. Also nehmen Sie meine Stimme als Ausweis der Zuneigung - ich kann auch schon sagen: der Zustimmung - zu diesem Einzelplan.
({0})
- Da habe ich mir diese Stimme geholt.
({1})
- Nein, das wäre nicht richtig gewesen. Aber es wird euch nicht gelingen, mich von dem abzubringen, was ich hier in den sieben oder acht Minuten zu diesem Einzelplan sagen wollte.
Die einfachen Wahrheiten sind ja schon gesagt worden, nämlich wie wichtig Forschung und Entwicklung sind. Das kann ich mit der der F.D.P. eigenen
Klugheit nur unterstreichen. Die einfachen Wahrheiten sind ja in der Regel die richtigen. Ohne Forschung keine neuen Produkte, ohne neue Produkte keine florierende Wirtschaft und ohne florierende Wirtschaft kein vernünftiger Standort Deutschland.
({2})
Das charakterisiert eigentlich den Stellenwert, über den wir uns - das entnehme ich aus den Reaktionen - einig sind.
Nicht einig, bei all den sympathischen Worten über die gute Kooperation, die wir pflegen, sind wir uns offensichtlich über die Wege dorthin. Denn aus den Beiträgen des Kollegen Emil Schnell wurde ja deutlich, daß er sich sehr lange damit aufgehalten hat, neue Forderungen zu stellen und den Haushalt deswegen zu kritisieren, daß er mit 9,5 Milliarden DM zu gering ist. Gut, man kann sich immer etwas mehr wünschen. Es gibt aber auch eine Pädagogik der Verweichlichung.
Wir müssen uns mehr auf die Effizienzsteigerung mit den vorhandenen Mitteln einstellen. Man kann nicht am frühen Nachmittag - ich bin ja hier gewesen - solche Sätze des Kollegen Wieczorek hören - beide, Emil Schnell und Wieczorek, sind ja Mitglied im Haushaltsausschuß -, wie die, in denen er gesagt hat - ich zitiere inhaltlich; ich habe es mir mitgeschrieben -: Wenn hier so weitergemacht wird, dann versinkt man im Schuldenchaos. Das war eine seiner Aussagen. Oder: Dieser Haushalt sei eine Schulden-falle mit Endstation Staatsbankrott. So etwas kann man nicht drei Stunden vorher absondern und dann hingehen und bei einem Haushalt von 9,5 Milliarden einfach 500 Millionen obendrauf tun.
({3})
Ich habe in dem Haushalt schon einiges erlebt, aber man muß doch wenigstens die Scham ein bißchen wahren. Man kann nicht zwei DIN-A-4-Seiten mit lauter Erhöhungen in dieser Größenordnung vorlegen und nicht eine einzige Position einfügen, bei der man einsparen will. Später wird dann ein bißchen schamhaft ein Blatt beigefügt, auf dem steht, alles weg beim Einzelplan 14. Das heißt für die nicht ganz so Kundigen, daß alles bei der Verteidigung eingespart wird. Das geht hin bis zur Verpflegung der Soldaten.
({4})
Da wird ebenso gespart wie bei der Munition.
Das ist nicht der Weg, der mitgegangen wird, auch wenn wir wissen, wie wichtig Forschung und Entwicklung sind. Hier muß man ganz klar sagen, das kann nicht die Politik der nächsten Jahre für uns hier sein, sondern sie muß eindeutig darauf ausgerichtet sein, die Effizienz im Forschungsbereich zu steigern. Das geht auch. Wir sollten uns nicht in einer theoretischen Diskussion verheddern, wieviel Grundlagenforschung richtig sein mag und wieviel angewandte Forschung richtig ist.
Es steht fest, daß in den Ländern - ich nenne Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika -, die uns in letzter Zeit mit ihren Produkten und Leistungen am Markt davongelaufen sind und die eher Produkte auf den Messen, die man besuchen kann, als Erneuerungen und innovative Produkte vorstellen, der Weg von der grundlegenden Forschung zum verkaufbaren, wettbewerbsfähigen Produkt schneller gegangen wird.
Das ist das Entscheidende. Sie machen diesen Weg schneller und in vielen Fällen auch kostengünstiger. Wenn wir nicht aufholen, bleiben wir zweiter Sieger. Das hat nichts mit einer quantitativen Diskussion zu tun, sondern damit, daß wir mehr Frische in diesen ganzen Bereich hineinbringen müssen.
({5})
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren - ich will es nicht über einen Kamm scheren -, daß im Forschungsbereich vielfach mehr der Selbstverwirklichung einzelner Personen oder einzelner Institute der Vorrang eingeräumt wird als der Tatsache, daß wir über die Forschung die Selbstbehauptung des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu leisten haben.
({6})
Wir müssen den Wettbewerb mit anderen sehen und dürfen keine kleinen Spielchen in persönlichen Eitelkeiten oder irgendwelchen Nischen betreiben. Der einzige Maßstab, ob Forschung richtig angelegt ist, ist die Tatsache, was wirklich an verkaufbaren Produkten herauskommt.
Da hat der Kanzler ja recht - ich schaue einmal hinüber - , wenn er in der ihm eigenen Klarheit sagt: Entscheidend ist, was hinten rauskommt.
({7})
- Keine Mengendiskussion.
Das heißt, die Diskussion bei den knappen Geldern und der Situation, wie sie nun einmal ist, darüber, ob man noch etwas drauflegen kann, ist nach meiner Meinung vertane Zeit. Wir müssen wirklich herangehen und die politischen Felder, auf die man setzen will, klar definieren.
Ich habe hier einmal gesagt, es wäre schön, wenn man ein Trüffelschwein hätte, das diese Felder erkundet. Das Trüffelschwein kann ich nicht erneut auf den Weg bringen. Diese Felder sind jetzt auch einigermaßen bekannt.
Man könnte es an einem Beispiel darstellen: Investition in Zukunft wäre der angesprochene Transrapid. Ob man ihn im Emsland im Kreis herumfahren lassen muß oder ob man sich nicht irgendwo an einer Strecke unter der Sonne Kaliforniens oder von Las Vegas nach Los Angeles beteiligt, um die letzten Forschungsfeinheiten dort erkunden zu können, das sind Dinge, die mir interessant zu sein erscheinen. Das wäre sinnvoller, als unter Ausschluß der Öffentlichkeit einen Apparat im Kreis herumfahren zu lassen und dafür viel Geld aufzuwenden. Das wäre auf jeden Fall ein Beispiel für eine Zukunftsinvestition. Keine
Zukunftsinvestition ist zumindest das Ausmaß der Kohlesubvention.
({8})
Das ist eindeutig Vergangenheit. Das andere deutet in die Zukunft.
({9})
Wenn man Zeit hätte, könnte man mehr Beispiele aufzählen, die das wiedergeben. Genau darin liegt die Problematik, daß wir zuwenig Mut haben, hier eine größere Klarheit hineinzubringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushalt spiegelt auch einen größeren Beitrag für die neuen Bundesländer wider. Da haben wir - bei sonst stagnierendem Haushalt - eine Steigerung von 1,8 auf 1,9 Milliarden DM, und wir haben dadurch einen zusätzlichen Akzent. Das ist gut.
Der Minister wird sich da besonders für die industrienahe Forschung freuen; denn eines ist auch klar: Wir können nur einigermaßen sicher gemeinsam die Zukunft erlangen, wenn das wirtschaftliche Leistungsgefälle zwischen den neuen Bundesländern und den alten Bundesländern stärker eingeebnet wird. Drei bis vier Jahre gemeinsamer Tätigkeit haben wir ja nun schon. Diese Übergangsfrist, die wir haben, läuft langsam aus. Das heißt die Geschwindigkeit, mit der das Produktniveau angeglichen werden muß, ist nicht mehr allzu lange durchzuhalten. Deswegen ist eine Verstärkung der industrienahen Forschung in diesem Bereich besonders wichtig.
Ich weiß ja um die Schwierigkeiten, um von einer - bildhaft gesprochen - kommunistischen Regionalliga in diesem abgeschotteten Raum, in dem man unter sich bei festen Grenzen konkurriert hat - nur so konnte man noch solche Autos konstruieren -, die es seit vier Jahren nicht mehr gibt, in die marktwirtschaftliche Weltliga aufzusteigen und mit der dortigen Technik zu konkurrieren. Das erfordert einige Sonderanstrengungen, damit dieser Weg in fünf bis acht Jahren so gegangen werden kann, daß wir von einem gleichen Niveau in diesem Wettbewerb sprechen können. Der Haushalt spiegelt dieses Mehr an Geld, diese Milliardenunterstützung wider. Das betone und begrüße ich ausdrücklich.
({10})
Herr Kollege Zywietz, hätten Sie die Güte, zu einem Ende zu kommen?
Ja. Kurzum: Die Akzente des Haushalts sind deutlich geworden. Wir haben etwas umgeschichtet, bei der ESA etwas herausgenommen. Das ist auch richtig; denn in Paris geht zuviel Geld in der internationalen Forschung verloren. Dieses Geld kommt nicht bei der Forschung an, sondern das ist offensichtlich so ein schöner Platz, wo zuviel für die Verwaltung ausgegeben wird.
Hier soll doch nicht jeder glauben, daß es, wenn man dort kürzt, zu Lasten der Forschung geht. Man
sollte dafür sorgen, daß es zu Lasten der Administration geht. Da sind doch auch noch einige Luftblasen drin, um dies erledigen zu können.
Der entscheidende Punkt ist, daß wir mit den Mitteln im Bereich Forschung und Entwicklung durchaus das tun, was wir als wichtig und richtig erkannt haben. Das ist mit den 9,5 Milliarden DM zu leisten. Deswegen stimmen wir diesem Haushalt zu.
Mit Blick auf den Minister möchte ich noch sagen, daß das Haus darauf achten möge, die letzte forschungs- und technologiepolitische Instanz für die Verwendung öffentlicher Mittel zu bleiben.
Herr Kollege, das habe ich ernst gemeint mit diesem Ende.
Beratung ist gut, aber wir brauchen keine forschungspolitische Räterepublik. Die Kompetenz und die Möglichkeiten sind im Hause gegeben, und das muß auch die letzte Instanz sein, damit wir auch als Parlament genau wissen, an wen wir uns zu halten haben. In diesem Sinne stimmen wir von der F.D.P. diesem Haushalt zu.
Ich möchte nicht versäumen, dem Kollegen Laermann,
Das muß jetzt nicht auch noch sein! Also wirklich, das sind jetzt zwei Minuten, Herr Kollege.
- der, wie ich sehe, ein letztes Mal diesem Haushalt beiwohnt, recht herzlich für seine immerwährende und konstruktive Unterstützung zu danken.
({0})
Das kriegt der nächste weniger.
({0})
- Diese Minuten kriegt der Herr Minister weniger. So geht das nicht. Das waren zwei Minuten. Eine halbe Minute ist ja in Ordnung, aber zwei Minuten nicht. Bei einer Redezeit von sieben Minuten machen zwei Minuten etwa 30 % aus.
Nun hat der Kollege Dietmar Keller das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit dem Gespräch des Bundeskanzlers am 11. November ist ja sehr viel von Zukunft die Rede gewesen und im Zusammenhang mit der Zukunft vom Standort Deutschland und der Forschung. Nun bin ich in einer schwierigen Situation.
({0})
Nachdem Staatssekretär Lammert mich vorhin kritisiert hat - in der Annahme, ich würde den richtigen
Weg der Bundesregierung kritisieren -, kann ich
mich ja jetzt gar nicht trauen, Ihnen zu sagen: Sie sind auf dem richtigen Weg. Aber ich bin wiederum doch nicht in einer schwierigen Situation, weil ich bei Ihnen weiß, daß Wort und Tat nicht übereinstimmen;
({1})
denn der Haushalt, den Sie jetzt vorlegen, ist ein Beweis, daß Sie den Stellenwert der Forschung so ernst nicht nehmen.
Im übrigen ist dies gar nicht so neu; denn der Anteil des Forschungsetats am Gesamtetat rutschte in den Jahren der Regierung Kohl von knapp 3 % auf unter 2 % oder um 35 % insgesamt ab.
Wenn man also einen Eindruck von der Entfernung gewinnen will, die zwischen den Worten und den Taten der Bundesregierung liegt, ist der Forschungshaushalt ein besonders anschauliches Beispiel. Die chronische Unterfinanzierung der Forschung und Technologie ist ein erster wunder Punkt. Ein zweiter Punkt ist natürlich die Struktur des Forschungshaushaltes, der die Struktur der staatlichen Forschungsförderung widerspiegelt.
Es mag zwar begrüßenswert sein, daß von den klassischen und teuren Renommierobjekten Kernenergie und Raumfahrt etwas abgerückt wird, obwohl sie immerhin noch 40 % des Forschungshaushaltes ausmachen; die neue Losung „Forschung für den Wirtschaftsstandort Deutschland" ist in ihrer Ausschließlichkeit aber mit Sicherheit auch nicht das, was die Steuerzahler von der staatlichen Forschungsförderung erwarten können und erwarten müssen.
Die Verengung aller Zukunftsfragen auf Wirtschaftsstandortfragen mag vielleicht für die Wirtschaft die passende Brille sein, für die von der Allgemeinheit finanzierte staatliche Forschungsförderung paßt sie nicht.
Das Dilemma für diesen Haushalt ist bereits im Bundesforschungsbericht 1993 angelegt. Das kleinere Übel besteht wohl darin, daß an der Formulierung seines Vorworts gleich drei Minister beteiligt waren. Ich darf aber daran erinnern, daß es immerhin 1988 in einer Hochzeit des Hauses Riesenhuber noch eigenständige Kapitel zu solchen Themenfeldern wie Debatte um Wissenschaft und Technik und die Rolle der Forschungspolitik oder Chancen und Risiken von Technologien oder Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft gab.
Es war sicher keine Frage der Endredaktion, daß es diese Kapitel 1993 nicht mehr gibt. So finden wir uns jetzt in einem Zustand, in dem es zwar einige Skandale mehr gibt wie z. B. die jetzt verseuchten Blutkonserven, aber Chancen und Risiken von Technologien im Forschungsbericht nicht mehr thematisiert werden.
An die Stelle einer Diskussion über Ziele und Inhalte staatlicher Forschungsförderung ist die wirtschaftliche Effizienz als Nonplusultra getreten. Der für mich wichtige Satz - ich zitiere -: „Auch in Zeiten knapper Haushalte müssen die Ergebnisse grundlegender Forschung als Kulturgüter aufgefaßt werden" steht dort, wo er keinen Schaden anrichten kann: im Vorwort.
Für die folgenden 670 Seiten des Berichtes und natürlich auch für den Forschungshaushalt ist er folgenlos. Ein ähnliches Vorwortschicksal ereilt auch den Satz - ich zitiere -: „Der Bewahrung des Friedens in der Welt, die das übergeordnete Ziel jeder Politik zu sein hat, ist auch die Forschungspolitik verpflichtet. "
Etwas mehr Mühe macht es, auf Seite 265 des Berichts die programmatische Feststellung zu finden:
In Deutschland zielen staatliche FuE-Anstrengungen vorrangig auf zivile FuE-Förderung und hier insbesondere auf die Förderung der Grundlagenforschung und eine breit angelegte Vorsorge für die Entfaltung menschlicher Lebenschancen und die Sicherung des sozialen Fortschritts.
Diese schönen Sätze sollten unserer Meinung nach ganz entscheidend für die Strukturierung und auch für die Schwerpunktbildung im Forschungshaushalt sein. Tatsächlich ist es aber so, daß im Haushalt mehr als zwei Drittel der Mittel für wirtschaftsorientierte Forschung ausgegeben werden sollen und knapp 20 % für militärische Forschung und Entwicklung.
Für die in den zitierten Sätzen so betont sozial und ökologisch orientierte Forschung bleibt dann der Rest von etwa 11 bis 13 %. Herr Forschungsminister, das ist sehr, sehr wenig. Sie haben die Chance, es noch zu verändern. Leider ist es so, daß wahrscheinlich Ihr erster Haushalt auch Ihr letzter wird, so daß Sie kaum eine Chance haben, das Bild zu verändern.
({2})
Nun spricht der Kollege Dr. Ulrich Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forschungspolitik dieser Bundesregierung stimmt vorne und hinten einfach nicht. Die gleiche Bundesregierung, die die Standortkrise herbeigeredet hat - objektive Daten dafür gibt es nicht oder kaum - läßt den für den Innovationsprozeß wichtigen Fund T-Haushalt nominal stagnieren, real schrumpfen.
Auch das Drauflegen von 150 Millionen DM für die Industrieforschung im Osten ändert daran nichts. Gerade die zukunftsorientierten und zukunftsnotwendigen Etats des BMBW und BMFT müssen unter der selbstverschuldeten Finanz- und Verschuldungskrise dieser Bundesregierung leiden.
Da trägt - das sage ich offen - der SPD-Antrag, den BMFT-Etat um 524 Millionen DM aufzustocken, den Zukunftsnotwendigkeiten schon viel eher Rechnung.
({0})
Die Innovationsfeindlichkeit dieser Bundesregierung - es ist Innovationsfeindlichkeit, was wir Ihrem ständigen Innovationsgerede zuwider hier feststellen müssen - ist aber nicht das einzige Problem in diesem Zusammenhang.
Der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der in diesen Tagen sein 25jäh16512
riges Bestehen begeht, zeigt - ich finde, da hat er einfach recht - drei Mängel auf: Erstens. Unter Riesenhuber war immerhin noch von den möglichen ökologischen und sozialen Risiken neuer Techniken die Rede. Unter den Bundesministern Wissmann und Krüger ist dieses eine Leitmotiv im Begriff, völlig zu verschwinden. Standortfragen, Wachstumsförderung, Marktbeherrschung dominieren die F-und-T-Debatte stärker als je zuvor.
Zweitens. Der langjährige, insgesamt nicht urbewährte Konsens tripartistischer Zusammenarbeit in der F-und-T-Politik, die Zusammenarbeit von Industrie, Staat und Gewerkschaft, ist aufgekündigt worden, zu Lasten der Gewerkschaften, der abhängig Beschäftigten und der betrieblichen Interessenvertretungen.
Drittens. Forschung und Technologie, auch die Grundlagenforschung, sollen nur noch im Hinblick auf industrielle Verwertung und Umsetzung gefördert werden. Das stranguliert jedoch auf lange Sicht die Forschung insgesamt und vor allem die Grundlagenforschung. Ausgerechnet Deutschland mit seiner Tradition - das ist ein positiver Gesichtspunkt - in einer ganzen Reihe von Grundlagenforschungsgebieten entzieht sich damit eine seiner wichtigsten Grundlagen für die weitere Zukunft. Das sage ich ganz bewußt als jemand, der im Hochschulbereich tätig ist und auch eine ganze Reihe von Jahren in der Forschung gearbeitet hat. Da kann man so nicht herangehen. Wer das macht, entzieht sich sogar für die ganz lange Entwicklung schlicht und einfach die Grundlage.
Es kommt hinzu, daß nun auch in der F-undT-Politik von der Koalition gefordert wird, die Beschränkungen für militärische Forschung abzubauen bzw. aufzuheben. Es kommt hinzu, daß so gut wie nichts getan wurde und auch in Zukunft kaum etwas getan wird, um dem Kahlschlag bei der Industrieforschung im Osten entgegenzuwirken.
Nein, diese Bundesregierung handelt allen wesentlichen Notwendigkeiten im Bereich der F-und-TPolitik zuwider. Die Aberwitzigkeit dieser Politik wird aber so richtig eigentlich an einem Kleckerbetrag des Haushalts 1994 sichtbar. Die Mittel für Friedens- und Konfliktforschung werden drastisch um 60 % gekürzt. Es geht da um läppische 1 Million DM. Die Friedens- und Konfliktforschung, so im Berichterstattergespräch auch geäußert, soll schlicht und einfach verschwinden.
Kollege Briefs, Sie sind auch schon 30 Sekunden über die Redezeit.
Ich komme zum Schluß. Ich werde bei weitem nicht so weit überziehen wie Kollege Zywietz von der F.D.P.
Der Rüstungshaushalt von fast 50 Milliarden DM dagegen wird trotz des ersatzlosen Wegfalls des traditionellen Feindes im Osten auf fast unveränderter Höhe gehalten, und das trotz der bekannten Finanznöte. Ich kann mich nicht erinnern, in den inzwischen fast sieben Jahren Zugehörigkeit zu diesem Haus einen solch deutlichen und zum Aufhorchen zwingenden Verstoß gegen gegenwärtige und zukünftige Notwendigkeiten erlebt zu haben.
Jetzt ist wirklich Schluß.
Das ist der letzte Satz. - Nur: Dieser Wahnsinn hat Methode; er zeigt insbesondere auch, was diesem Land ins Haus steht, wenn diese Politik nach 1994 weitere vier Jahre so betrieben werden könnte.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen.
Nun hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Paul Krüger, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion um den Standort Deutschland hat in den letzten Wochen und Monaten eine weitestgehende Einigkeit über die große Bedeutung von Forschung und Technologie für unsere Zukunft gezeigt. In dem Bemühen, mehr für Forschung und Technologie zu tun, fand ich Unterstützung nicht nur aus allen Fraktionen, sondern auch aus den Ländern sowie aus den Wirtschaftsverbänden und aus vielen Kreisen der Öffentlichkeit. Nachdem, wie ich meine, jahrelang zuwenig getan wurde, sind jetzt viele klüger geworden. Wenn ich sage, daß zuwenig getan wurde, meine ich das weniger auf den Bundeshaushalt als vielmehr auf alle Bereiche bezogen, die mit Forschung und Technologie beschäftigt sind.
Das Ergebnis kann man so zusammenfassen: Deutschland kann ohne neue Technologien und neue Produkte für neue Märkte seinen Wohlstand nicht halten.
({0})
Ich füge bewußt hinzu: Forschung ist Voraussetzung, um gangbare Wege zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Entwicklung in einer immer stärker bevölkerten und dadurch immer stärker genutzten Welt aufzuzeigen.
Im Rahmen der allgemeinen Diskussion wurde sehr deutlich: Wir brauchen Schwung und Kraft für eine Innovationsoffensive, mit der wir die Zukunft gewinnen und gestalten. Es gilt - ich bekenne mich ausdrücklich dazu -, die Grundlagenforschung nicht zu schwächen. Aus ihr sollen die Voraussetzungen und die Innovationen wachsen, mit denen wir die anstehenden Aufgaben meistern können. Wir sind in der Grundlagenforschung, meine Damen und Herren, bezogen auf die Bevölkerung mit deutlichem Abstand Weltmeister.
({1})
Grundlagenforschung besitzt die Kompetenz und schafft das Wissen für neuartige Problemlösungen. Dies haben ganz offensichtlich nun auch die Japaner erkannt, die sich bemühen, hier in kleinen Schritten nachzuziehen und ihre Grundlagenforschung zu aktivieren. Wissenschaftliche Ergebnisse, die heute in den Labors erarbeitet werden, bestimmen schon morgen
den Erfolg auf neuen Märkten. Damit ist klar die Stelle identifiziert, an der eine zukunftsorientierte Forschungspolitik ansetzen muß.
Forschungspolitik ist dabei mehr als Förderpolitik. Ganz wesentliche Fragen der Forschungs- und Technologiepolitik lassen sich nicht nur am Geld festmachen, wie das leider heutzutage und auch heute in dieser Debatte viel zu häufig getan wird. Die Diskussion der letzten Monate hat sehr deutlich gezeigt, daß es nicht nur ums Geld geht. Es besteht z. B. die Forderung nach einem Technologierat, die ich hier nicht kommentieren möchte. Aber ich möchte sagen, daß wir im BMFT bereits seit meinem Amtsantritt an einer Dialogstrategie arbeiten, weil ich glaube, daß ein kleines Gremium, zudem sehr heterogen zusammengesetzt, das leisten kann, was hier zu leisten ist.
Wir arbeiten an dieser Dialogstrategie. Ich habe vor zwei Monaten das erste Mal den Strategiekreis tagen lassen. Erstaunlicherweise ist dort gar nicht über Geld geredet worden, sondern wir haben dort im wesentlichen über Probleme gesprochen, die unsere Forschung belasten und die nicht mit Geld zusammenhängen.
Der erste Bereich sind die Rahmenbedingungen für die Forschung in Deutschland, die mir Sorge machen und die sich im wesentlichen auf zwei Bereiche konzentrieren: Das eine ist die mangelnde Aufgeschlossenheit in der breiten Öffentlichkeit, teilweise sogar die fehlende Akzeptanz oder die Ablehnung von neuen Technologien. Das ist gar keine allgemeine Aussage. Es hängt in erster Linie damit zusammen, daß die Leute unterschiedlich betroffen sind, und in zweiter Linie mit der Angst vor Risiken, die verständlich ist, denn diese Risiken kann man zum Teil nicht überschauen. Ich möchte mir ersparen, jetzt detailliert darauf einzugehen. Das ist eine ganz wichtige Frage. Ich appelliere an alle, meine Damen und Herren, diese Frage nicht leichtfertig zu behandeln, sondern bei der Einführung neuer Technologie einen ganz offensiven Dialog mit der Bevölkerung zu führen.
({2})
Das andere sind die rechtlichen Bedingungen innerhalb der Rahmenbedingungen. Ich nenne hier nur stichwortartig: Gentechnikgesetz, Tierschutzgesetz, Chemikaliengesetz, Datenschutzgesetz - alles Gesetze, die uns schon derzeit hindern und die uns zukünftig noch mehr hindern werden, erfolgreich zu forschen. Ich brauche gar nicht zu erwähnen, welche Fraktionen sich daran beteiligen, diese Gesetze weiter zu verschärfen und uns das Leben in der Forschung schwerzumachen.
Der zweite Bereich, der in dem Strategiekreis identifiziert worden ist, ist die technologische Wettbewerbsfähigkeit. Ich will hier als Stichwort nur die Effektivität der Forschung nennen. Auch hier gibt es Reserven, die sich insbesondere im Bereich der Flexibilität der Forschungseinrichtungen, aber auch der konzeptionell abgestimmten Vorgehensweise der Forschung festmachen lassen. In diesem Zusammenhang sei auch gesagt, daß die steuerliche Förderung der Forschung ein wichtiges Instrument sein kann und sollte, um Nachteile unserer Forschung in Deutschland gegenüber allen anderen großen Industrienationen zukünftig abzubauen.
Ein weiterer Bereich, auf den ich nicht näher eingehen will, den ich gleichwohl für wichtig halte, ist der Bereich der Nachwuchsförderung, dem eine ganz große Bedeutung zukommt.
Der dritte Bereich, mit dem wir uns beschäftigt haben, ist die mangelnde Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte, im Markt und in Erfolg für die Wirtschaft. Es ist nicht zu verstehen, daß wir bei den ausgezeichneten Produktionsstrukturen auf der einen Seite, die wir in Deutschland haben, und den hervorragenden Ergebnissen der Grundlagenforschung auf der anderen Seite im Bereich der Innovationen zum Teil nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wir haben bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, wie wir uns konditionieren, wie wir wettbewerbsfähig werden können.
Ein wichtiger Punkt, der in der heutigen Debatte hier und da anklang, ist eine klare Zielorientierung, die wir auch über den strategischen Dialog erreichen wollen. Wir müssen die Schwerpunkte für die Forschung für die Zukunft aufdecken, damit wir wissen, wofür wir Risiken eingehen; denn beim Risiko will man wissen, wofür es getragen wird. Hierzu - ich sagte es bereits - wird die Dialogstrategie, die wir angegangen sind, einen wichtigen Beitrag leisten.
Weiterhin ist die notwendige Zusammenarbeit, die zwischen den Wissenschaftlern in den Forschungsinstituten der Grundlagenforschung und den Entwicklern, den Praktikern in den Unternehmen nicht klappt. Hier streitet man sich nun darüber, wer eine Holschuld hat, ob die Holschuld oder die Bringschuld der Wissenschaft wichtiger ist.
Ich glaube, es ist viel wichtiger, von vornherein gemeinsame Strategien zu entwickeln und sie gemeinsam zu realisieren. Wir wollen - und dazu haben wir schon Maßnahmen eingeleitet - stärker in strategischen Verbundprojekten arbeiten und alle Beteiligten, Mittelständler wie Großunternehmer, institutionelle Forschung wie Praxisforschung wie auch Hochschulforschung, in diesen gemeinsamen strategischen Verbundprojekten zusammenfassen. Erste Erfolge zeichnen sich hier bereits ab.
({3})
Darüber hinaus werden wir die Forschungskooperation stärker fördern. Wir haben dazu im September bereits ein erstes Instrument verabschiedet; es fängt an zu greifen.
Wichtig scheint mir besonders der Technologietransfer über Köpfe zu sein, indem wir möglich machen, daß Forscher aus Unternehmen zeitweilig an Hochschulen oder Institute gehen können - wir finanzieren das - und umgekehrt Forscher in die Unternehmen gehen können und dadurch tatsächlich den Transfer von Technologie erheblich beschleunigen.
Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von Maßnahmen aufzählen, an denen wir arbeiten, über die
wir nachdenken, um diesen Prozeß zu beschleunigen.
({4})
- Herr Wieczorek, daß Sie sich dafür nicht interessieren, kann ich mir gut vorstellen; denn Sie haben in der Vergangenheit bewiesen, daß Sie - nicht Sie persönlich, aber Ihre Fraktion - für den Bereich der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis nicht viel übrig haben.
({5})
Wir müssen dazu beitragen, daß subjektive Barrieren, die hier wirken, in Zukunft stärker abgebaut werden.
({6})
Wir müssen nicht zuletzt dazu beitragen - das ist hier in der Debatte heute richtig gesagt worden -, daß die Risikoscheu abgebaut wird, insbesondere die Risikoscheu in der Wirtschaft, die verhindert, daß Grundlagenforschungsergebnisse in die Praxis umgesetzt werden können.
Ein Prüfstein für die Bereitschaft in Deutschland, sachlich begründete Investitionsrisiken einzugehen, ist der Transrapid. Mit dem Transrapid können in Deutschland Arbeitsplätze in einer anwendungsreifen Zukunftstechnologie geschaffen werden,
({7})
in der Deutschland derzeit einen Wettbewerbsvorsprung von fünf bis zehn Jahren hat. Das BMFT kämpft seit Jahren für diesen Transrapid, übrigens sehr häufig und sehr lange auch gegen die SPD. Wir haben über 1,7 Milliarden DM in diese Technologie investiert.
Es ist richtig und abgemacht, daß wir nun die Wirtschaft fordern, deutlich mit uns ins Risiko zu gehen. Aber wir müssen uns auch selbst fordern, das finanziell Notwendige zu tun. Der Transrapid darf nicht schlechtergestellt werden als die klassische Rad-Schiene-Technik.
({8})
Die Entscheidung über den Transrapid ist ein Prüfstein für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands.
Meine Damen und Herren, die Debatte um den Forschungshaushalt ist grundsätzlich ambivalent. Ich kann natürlich nicht verhehlen, daß ich als Forschungsminister gern mehr Mittel für meinen Etat zur Verfügung gehabt hätte.
({9})
Welcher Minister würde das nicht wollen? Auf der anderen Seite muß auch der Haushalt des BMFT den bekannten finanzpolitischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.
In der ersten Lesung, meine Damen und Herren, hatte ich Sie aufgefordert, gemeinsam nach Umschichtungsmöglichkeiten für den so wichtigen Haushalt, von dem wir alle überzeugt sind, zu suchen. Aber soweit ich weiß, hat die SPD keine Umschichtungsoder anderweitigen Deckungsvorschläge gemacht. Ich weiß nur von Erhöhungen. Daß das nicht seriös ist, ist heute Gott sei Dank schon deutlich geworden.
Ich bitte Sie zu berücksichtigen, meine Damen und Herren, daß die staatlichen Aufwendungen für zivile Forschung und Entwicklung in Deutschland mit einem Anteil von 0,94 % am Bruttoinlandsprodukt weit höher sind als z. B. in den USA oder in Japan, nämlich etwa doppelt so hoch.
({10})
Sogar in absoluten Zahlen sind sie wesentlich höher als die japanischen. Nehmen Sie das bitte einfach zur Kenntnis. Herr Schnell! Hier von einem Steinbruch zu sprechen scheint mir unangebracht zu sein.
({11})
Dieser Haushalt, meine Damen und Herren, ist in seiner Themensetzung und in seiner Struktur zukunftsorientiert. Es ist einfach nicht richtig, wenn die Opposition behauptet, die Technologiepolitik habe auf alte und überholte Technologien gesetzt. Der Anteil der Schlüsseltechnologien am BMFT-Haushalt hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Hierzu zähle ich die Informationstechnik, die Biotechnologie, die Umwelttechnologien, die Materialforschung und neue physikalische Technologien wie Nanotechnologien, Lasertechnik oder Biosensorik, auch die Verkehrstechniken. Ebenfalls deutlich ausgeweitet wurde der Anteil der Daseinsvorsorge, wozu ich die Gesundheitsforschung, aber auch die ökologische Forschung und die Klimaforschung zähle.
Ich darf an dieser Stelle erinnern, daß Deutschland wegen seines Engagements im Bereich der Umweltforschung deutlich Weltmeister im Bereich der Umwelttechnik ist. Wir exportieren 20,5 % der Weltumwelttechnik. Die Japaner sind gerade dabei, bei uns zu kopieren. Sie versuchen, uns in diesem Bereich einzuholen, was ihnen hoffentlich nicht gelingen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Aufbau der Forschungslandschaft in den neuen Ländern wird ohne Einschränkungen im notwendigen Umfang fortgesetzt. Der Gesamtumfang der Förderung im Verantwortungsbereich des BMFT wird nochmals erheblich gesteigert: auf über 1,9 Milliarden DM in diesem Jahr. Allein die Forschungseinrichtungen in den neuen Bundesländern erhalten 1994 einen Aufwuchs von über 100 DM.
({12})
Damit ist es uns gelungen, die staatlich getragene Forschungstruktur in den neuen Ländern neu und zukunftssicher zu strukturieren.
Noch immer sehr bedrückend ist die Situation der ostdeutschen Industrieforschung. Ich bin deshalb sehr froh, daß wir für die von mir vorgeschlagene Maßnahme Produkterneuerung 150 Millionen DM zur Verfügung gestellt bekommen werden. Ich höre
jedoch, daß das Land Brandenburg schon wieder ablehnt und dort reduzieren möchte. Sie wissen, durch welche Partei dieses Land geführt wird.
({13})
- Ich muß das deutlich sagen, weil heute hier mit anderen Positionen gehandelt worden ist.
Die Ursache für die vorgeschlagene Förderung ist, daß die Unternehmen aus den neuen Bundesländern nach 40 Jahren Sozialismus in großer Breite bei der Wettbewerbsfähigkeit ihre Produkte sowohl auf nationalen wie auch auf internationalen Märkten erhebliche Rückstände aufweisen. Eine Besserung dieser Lage ist ohne Hilfe nicht in Sicht. Der Anteil der neuen Länder bei den technologischen Exportgütern - ich halte das für sehr bedenklich - ist auf 1,9 % gesunken. Bis vor kurzem ging ich noch von 2,5 % aus. Es ist katastrophal.
Wir geben derzeit bereits 30 % der gesamten Aufwendungen im Bereich der Industrieforschung Ost durch den Bund aus. Für die alten Bundesländer sind es ganze 5 %. Wir werden deshalb in einigen wichtigen Schlüsseltechnologiefeldern wie der Informationstechnik, der Biotechnik und Umwelttechnik, aber auch der Gesundheitstechnik, also in solchen Schlüsseltechnologiefeldern, die für die Wirtschaft in den neuen Bundesländern von besonderer Bedeutung sind und die gute Chancen auf den Weltmärkten haben, eine gezielte und einheitliche Förderung für das gesamte neue Bundesgebiet zusätzlich vorschlagen.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Erfolg hat viele Väter. Ich möchte allen, die an diesem Haushalt kreativ mitgewirkt haben und die dabei mitwirken, insgesamt Lösungen zu finden, herzlich danken. Einige dieser Väter haben sich heute zu Wort gemeldet. Ich glaube, jetzt gilt es alle Kräfte zu mobilisieren, eine Innovationsoffensive, die dringend notwendig ist, in Forschung und Technik zu starten. Ich glaube, meine Damen und Herren, dieser Haushalt bietet dazu sehr gute Voraussetzungen.
Vielen Dank.
({15})
Jetzt erhält zu einer Erklärung zur Abstimmung der Kollege Jürgen Timm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsplan Forschung und Technologie mit seinen rund 9 Milliarden DM spiegelt in seiner vom Haushaltsausschuß vorgelegten Fassung nicht die fachlichen Prioritäten wider, die wir im Fachausschuß in den Haushaltsberatungen gesetzt haben.
({0})
Damit kein Mißverständnis entsteht: Es geht mir dabei
nicht darum, daß wir mehr Mittel gebrauchen könnten. Darüber sind wir sicherlich alle einig. Es geht mir
darum, daß nicht erkennbar ist, wie der Fachausschuß bei dem rituellen Vorgang - auf dem Wege über die Berichterstatter zum Haushaltsausschuß - sinnvoll seine fachliche Kompetenz einbringen soll.
({1})
Die Mittel sind knapp; wir müssen überall sparen. Das ist kein besonders erfreulicher Anlaß, wenn es den Forschungshaushalt betrifft.
Ich möchte Sie an ein Beispiel erinnern, das hier auch schon anklang. Wir haben am 11. November in einer Aktuellen Stunde über die Probleme der Luft- und Raumfahrt gesprochen. Ich habe in der Debatte damals in meinem Beitrag gesagt, daß schon der Haushaltsplan 30 mit den vorgesehenen Kürzungen in seinem Bestandteil Raumfahrt dazu führen wird, daß etwa 150 bis 200 Arbeitsplätze allein am Standort Bremen in Frage stehen werden. Ich kann nicht erkennen, warum es einen besonderen Sinn macht, daß unser Haushaltsplan gerade in diesem Bereich den größten Brocken der Umstrukturierung vornimmt - „Umschichtung" wäre das bessere Wort dafür -, denn es geht nicht um die Mittel, die mehr zur Verfügung stehen sollen, sondern es geht einfach darum, daß Mittel in andere Bereiche hineingebracht worden sind, wo sie der Fachausschuß übereinstimmend nicht gewollt hat.
Wir vergeben damit die Zinsen unserer langjährigen Forschungsförderung in diesem Bereich. Trotz aller Einsparnotwendigkeit kann ich nicht erkennen, daß es einen großen Sinn macht, im Fachausschuß Haushaltsberatungen durchzuführen, wenn die Prioritätensetzung im weiteren Verlauf der Beratungen völlig über den Haufen geworfen wird. Ich denke, das ist ein Grund neben der allgemeinen Einsparnotwendigkeit. Ich kann diesem Haushalt nicht zustimmen.
Danke.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen mir nicht mehr vor.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Einzelplan 30, den des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der SPD sowie der Abgeordneten Vera Wollenberger und Gerd Poppe vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 12/6199? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Abgeordneten Vera Wollenberger und Gerd Poppe auf der Drucksache 12/6197? ({1})
Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt dann für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Stimment16516
Vizepräsidentin Renate Schmidt
haltungen? - Damit ist bei einer Stimmenthaltung und mehreren Gegenstimmen der Einzelplan 30 angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 10
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 12/6010, 12/6030 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb Ernst Kastning
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu gegenteilige Meinungen? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Es ist außerdem die Bitte geäußert worden, Reden zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden?
({2})
- Bei einer Gegenstimme ist dies positiv entschieden worden. Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Kollege Ernst Kastning das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht ganz sicher, was es in diesem Moment heißt, daß Reden zu Protokoll gegeben werden können.
({0})
Es ist nicht das erste Mal - wenn es denn so sein soll -, daß wir Reden zu Protokoll geben sollen, und ich habe keine Lust mehr, das noch mitzumachen.
({1})
Dann rede ich lieber gar nicht. Und es wäre nur konsequent, wenn wir die Debatte dann absetzten. Aber da mir das Wort erteilt worden ist, will ich doch einiges sagen.
Meine Damen und Herren, die Agrarfinanzierung war öffentlich schon immer umstritten und mit Subventionsvorwürfen behaftet. Sie ist für den Bürger oftmals wirklich nicht nachvollziehbar. Dabei bringen bürokratische Entscheidungen in Brüssel, z. B. bei der Bekämpfung der Schweinepest, das Faß des Unmuts
- nicht nur bei den Bauern - mit Recht zum Überlaufen.
({2})
Vergessen wird indes häufig, Herr Minister
({3})
- Charly, vielleicht störst du jetzt einmal etwas weniger -, daß an den Grundlagen für Brüsseler Einzelentscheidungen die nationalen Regierungen in
aller Regel irgendwann einmal mitgewirkt haben, also auch Bundesregierungen.
({4})
Übrigens sind wir uns beim aktuellen Thema Schweinepest parteiübergreifend sehr schnell einig geworden, daß der Bund helfen muß, insbesondere wenn der Veterinärausschuß der EG seine Haltung nicht schnellstens korrigieren sollte.
1994, meine Damen und Herren, und in den folgenden Jahren dürfte die Kritik an der Agrarpolitik und ihrer Finanzierung eher zu- als abnehmen. Zudem ist sie mit Haushaltsrisiken belastet, wie es sie in dieser Entstehungsart bislang kaum gegeben haben dürfte. Ein Teil dieser Risiken findet seine Ursache allerdings in einer verfehlten Politik der Bundesregierung.
({5})
Die Umsetzung der EG-Agrarreform macht in den neuen Bundesländern u. a. wegen der falsch und zu niedrig festgelegten Grundflächen große Schwierigkeiten. Es ist richtig, wenn Sie sagen, daß die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe dafür nicht verantwortlich zu machen sind.
({6})
- Herr Hornung, ich habe gemerkt, daß Sie da sind. Danke für den Zwischenruf. - Deshalb darf man sie auch nicht mit dem Problem des drohenden Einkommensausfalls alleinlassen. Diese Einbußen werden vom Deutschen Bauernverband für 1994 auf insgesamt rund 500 Millionen DM beziffert.
Wenn Sie, Herr Minister, jetzt lapidar feststellen, in der Summe führten die einzelbetrieblichen Entscheidungen zu einem hohen Überschreitungssatz mit der Folge erheblicher Sanktionen, so klingt das fast, als handele es sich bei diesem Vorgang um ein Naturgesetz. Wir haben es hier aber nicht etwa mit einer Art schicksalhafter Fügung zu tun, sondern zu einem guten Teil mit den Auswirkungen von Fehlern, an deren Zustandekommen auch der Bundeslandwirtschaftsminister beteiligt war,
({7})
wenn auch nicht Sie in Person.
Wenn nunmehr die Bundesregierung behauptet, die Sanktionsregelung der EG-Kommission sei nicht durchführbar, und die ausführenden Länder zur Nichtbeachtung auffordert, dann bedeutet dies nichts anderes, als daß sich die sich ja wohl stets als die EG-rechtlichen Saubermänner darstellenden Deutschen nach dem Willen dieser Bundesregierung einen Rechtsbruch leisten wollen.
({8})
- Passen Sie auf, Herr Hornung, daß ich nicht mit Worten auf Sie einschlage, wenn Sie weiter dazwischenrufen. ({9})
Meine Damen und Herren, wer eine solche Aufforderung formuliert, der trägt zum Verfall europäischer Sitten bei, mit möglicherweise langjährigen negativen Wirkungen für die deutschen Interessen in Brüssel.
({10})
Es ist, finde ich, betrüblich und stimmt sehr nachdenklich, wenn die Bundesregierung darin das letzte Mittel sieht, um Schlimmes für die ostdeutschen Landwirte zu verhindern. Sollte das auch von uns gewünschte Ziel der Basisflächenkorrektur nicht erreicht werden, dann stehen, Herr Minister, dem Bund nach den Worten Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs Leistungen an die betroffenen Bauern ins Haus, die von 18 Millionen DM im Jahre 1994 auf etwa 180 Millionen DM im Jahre 1997 ansteigen können.
Wenn ich dann noch bedenke, daß die EG möglicherweise zusätzliche Anlastungen geltend macht, die aus den Kosten für die Mehrproduktion auf Grund ausgebliebener Flächenstillegungen herrühren, könnten wir sehr schnell so etwas ähnliches wie den berühmten Bauchladen bei der Milch haben.
({11})
Herr Borchert, wo wollen Sie das Geld dafür hernehmen?
Es stellt sich doch wohl die Frage, seit wann das Ministerium eigentlich von der zehnprozentigen Grundflächenüberschreitung weiß. Der Antwort hierauf kommt nach meiner Ansicht eine nicht unerhebliche Bedeutung zu; denn die Bundesregierung hat es offenbar schlicht versäumt, das Problem in einer weit günstigeren Situation als heute, nämlich beim Schnüren des Agrarkompromißpakets im Dezember 1992, auf den Tisch zu legen.
Die Ihnen allen oder zumindest den Fachpolitikern bekannte Zeitschrift „Ernährungsdienst" kommentiert, es sei ja noch nicht einmal zur Sprache gekommen, als die Milchquoten der südlichen Mitgliedsländer aufgestockt wurden, was auf mangelnde diplomatische Fähigkeiten des Bundesministers schließen lasse. Andererseits kann sich der Kommentator dieses Blattes aber nicht so recht vorstellen, daß die, wie er sagt, Elementarregeln der EG-Politik in Bonn nicht beherrscht werden, um daraus schlußfolgernd die Frage aufzuwerfen: Sollte die Basisflächenfrage verbummelt worden sein? Oder wurden mit Blick auf das Superwahljahr 1994 die Prioritäten zugunsten stabiler Agrarpreise in ganz Deutschland gesetzt?
({12})
Mit Recht wird in derselben Zeitung, und zwar in der Ausgabe vom Samstag letzter Woche, wie ich finde, bildhaft treffend formuliert:
Der europäische Rock paßt Jochen Borchert offenbar nicht über das nationale Hemd.
Im Sommer dieses Jahres, meine Damen und Herren, beschlossen die Minister und Notenbankgouverneure, die Bandbreite der zulässigen Währungsabweichungen für die am Wechselkursmechanismus des EWS teilnehmenden Staaten auf 15 % zu erweitern. Was als Rettung für das EWS gedacht war, muß Agrarpolitiker und Landwirtschaft jedoch beunruhigen, auch wenn im nachhinein gesagt wird, es sei nicht die deutsche Absicht gewesen, in das agrarmonetäre System der EG einzugreifen. Die Ängste der Bauern vor Preisverlusten sind noch lange nicht ausgeräumt, Herr Minister.
Hat es denn damals keine Abstimmung zwischen Finanz- und Agrarminister in Bonn gegeben? Sie selbst, Herr Minister, sagen ja doch, abrupte währungsbedingte Senkungen der Marktordnungspreise in Deutschland mit allen Konsequenzen für die bäuerlichen Einkommen seien jetzt theoretisch jederzeit möglich. Ich teile diese Einschätzung. Ich teile die Auffassung, daß auf Gemeinschaftsebene eine Anpassung des agrarmonetären Systems erreicht werden muß, die auch künftig die Anwendung des Switch-over möglich macht.
({13})
- Ich habe bereits vor einem Jahr, Herr Hornung, auf dieses Problem hingewiesen. Ich frage Sie heute, Herr Minister Borchert, wie es in Brüssel um Ihre Bemühungen in dieser Frage steht.
({14})
- Wir waren schon oft einer Meinung, der Minister aber offenbar nicht und die CDU in ihrer Arbeitsgruppe auch nicht, Herr Heinrich.
Oder haben Sie womöglich - das muß ich aus meiner Erfahrung der letzten drei Jahre fragen - schon wieder eine Ersatzlösung in Form nationaler Ausgleichszahlungen im Hinterkopf, die ein weiteres Haushaltsrisiko darstellen würde?
Ich habe jedenfalls echte Zweifel, ob es der Bundesregierung gelingen wird, den Scherbenhaufen der Basisflächen ohne Belastung des Bundeshaushalts zu kitten und darüber hinaus nationale Interessen mit denen der EG in Einklang zu bringen.
Ich muß sagen: Im Verlauf dieses Jahres drängt sich mir allmählich der Verdacht auf, daß dies auch ein Ergebnis der Personalpolitik des Jochen Borchert ist, der alle Verantwortung innerhalb seines Hauses auf einen - mir bislang übrigens persönlich nicht bekannten, aber wohl real existierenden - beamteten Staatssekretär konzentriert hat und von sich selbst offenbar glaubt, einmalige diplomatische Fähigkeiten zu besitzen. Warum hat man einen alten EG-Fahrensmann, der ständigen Kontakt zu Brüssel hielt, aus dem Amt entfernt?
Ich wäre, Herr Borchert, im Interesse der deutschen Landwirtschaft durchaus bereit, einer Wiederbesetzung der freigewordenen B-11-Stelle, also der Staatssekretärsstelle, mit einem ausgewiesenen Europa-Fachmann zuzustimmen. Wenn diese Stelle jedoch freigehalten werden soll, um sie im Laufe des Jahres, trotz erheblichen Widerstandes - wie wir wissen, selbst aus der Koalition -, nach den persönlichen Wünschen des Bundeskanzlers klammheimlich vom Landwirtschaftsministerium ins Kanzleramt hinüberzuschieben,
({15})
dann ist das angesichts der Stellenstreichungen in anderen Bereichen unverantwortlich. Es ist der Öffentlichkeit auch nicht zu erklären.
({16})
„Klammheimlich" sage ich berechtigterweise. Denn wenn dem nicht so wäre, hätten Sie sofort entscheiden können und hätten nicht diesen komischen Haushaltsvermerk anzubringen brauchen,
({17})
in dem steht: „Der Haushaltsausschuß entscheidet",
({18})
obwohl der Landwirtschaftsminister, jedenfalls im Fachausschuß, hat erklären lassen, er wolle diese Stelle nicht wieder besetzen.
({19})
- Das dürfen Sie im Protokoll nachlesen, Herr Weng.
Herr Minister, Sie sind vor gut einem Dreivierteljahr mit dem zentralen Ziel angetreten, eine leistungs- und wettbewerbsfähige marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft herzustellen.
({20})
- Zugegeben, Herr von Hammerstein: Die Reden des Ministers haben auch mich zunächst aufhorchen lassen - das gebe ich zu -, schien doch mit diesen Zielvorgaben eine sinnvolle Bewegung in den Agrarhaushalt zu kommen. Die Erwartungen, die Sie geweckt haben, wurden allerdings nicht erfüllt. Wie man hört, soll es ja auch in den Reihen der Koalition Kollegen geben, die sich durch Ihre Worte haben blenden lassen. Die kommen gerade aus Ihrer Fraktion, Herr Weng.
Einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung" vom 20. September dieses Jahres entnehme ich, daß sich auch Graf Lambsdorff in diesem Herbst auf Borcherts Agrarpolitik eingeschossen hat.
({21})
- Sehr gut. - Er sieht sie - ich zitiere - „in der Kneifzange aus bayerischer und europäischer Agrarpolitik". Er vermutet, Sie wollten vielleicht gar keinen klaren Kurs steuern.
({22})
Ich habe selten Grund dafür, den Einschätzungen von Herrn Lambsdorff zuzustimmen.
({23})
Aber den Eindruck, daß die deutsche Agrarpolitik zur
Zeit eine Politik ohne Konzept ist, habe inzwischen
auch ich. Und ich stehe mit dieser Einschätzung nicht allein.
({24})
Meine Damen und Herren, die jetzt vorgenommenen Einschnitte in die Gemeinschaftsaufgabe und die Streichung der ursprünglich zur Finanzierung flankierender Maßnahmen vorgesehenen Mittel zeigen sehr deutlich, daß Sie, Herr Minister, die Umsetzung der flankierenden Maßnahmen der EG-Agrarreform sträflich vernachlässigen.
({25})
- Herr Hornung, Sie wissen wahrscheinlich noch nicht, was sich im Moment tut. - Wenn ich höre, daß die Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe in Höhe von 160 bis 180 Millionen DM, die letzten Donnerstag im Haushaltsausschuß noch als vermeintlicher Rettungsanker schnell beschlossen wurde, eventuell zu einem großen Teil aus Kürzungen bei der Gemeinschaftsaufgabe aufgebracht werden soll,
({26})
dann muß ich feststellen, daß dies ein erhebliches Stück Abweichung von Ihrem bei Amtsantritt verkündeten Kurs bedeutet, Herr Borchert.
({27})
Trotz der Zwischenrufe Charly von Hammersteins steht fest: Minister Borchert predigt betriebliche Strukturverbesserungen, entzieht ihnen aber zugleich den finanziellen Boden. Und Sie, meine Damen und Herren, wirken daran mit.
({28})
Hier rächt sich übrigens - ich sehe da oben Herrn Bredehorn sitzen-, daß Sie und Ihre Kollegen von der CDU/CSU-Arbeitsgruppe nicht bereit waren, Vorstößen auch aus Reihen der F.D.P. zu folgen und rechtzeitig vom herrschenden Gießkannenprinzip Abstand zu nehmen. - Ich sehe Kopfnicken bei Herrn Bredehorn; es freut mich, daß wir einer Meinung sind.
Sie schaden der Sache der Landwirtschaft. Und Sie schaden der Durchsetzungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Agrarpolitik auch dadurch, daß Sie den Regierungsentwurf zur längst überfälligen Agrarsozialreform unverändert durchpauken wollen. Wir alle wollen schnellstens diese Reform.
({29})
Trotzdem dürfen wir nicht die Augen vor den konzeptionellen Mängeln des Reformentwurfs verschließen, mit dem einige hundert Millionen Mark zusätzlicher Steuergelder auf Jahre hinaus gebunden werden, die wir für andere Aufgaben der Agrarstrukturpolitik dringend benötigten.
Ein bäuerliches Solidarsystem, das zu insgesamt zwei Dritteln von der Gesamtgesellschaft finanziert wird, wirft zwangsläufig Fragen nach der innerlandwirtschaftlichen Solidarität auf. Es bleibt unbestreitbar: Beitragszuschüsse für die landwirtschaftliche Alterskasse wird es auf lange Sicht geben müssen. Sie
sind zum Abflachen der Altersstrukturverwerfungen und für Landwirte mit geringem oder mittlerem Einkommen in gestaffelter Form unumgänglich. Aber es ist angesichts von Einsparungen in anderen Sozialbereichen unvertretbar, Familien mit Einkommen von 75 000 DM im Jahr mit den Beziehern von Niedrigeinkommen gleichzubehandeln.
({30})
Hier stimmt das Verhältnis nicht mehr. Selbst wenn die Zahl derjenigen gering sein sollte, Herr Hornung, für Gerechtigkeit sollten Sie auch in Ihren eigenen Reihen in der Landwirtschaft etwas mehr Gespür aufbringen.
({31})
Die eigenständige Alterssicherung für die Landfrauen muß her. Bloß, Sie müssen zugeben, Herr Minister: Die von Ihnen geplante rückwirkende Berücksichtigung von Ehejahren mit landwirtschaftlichen Unternehmern als Beitragsjahre ohne jede Nachentrichtung ist in zweifacher Hinsicht ungerecht. Sie führt zum einen unter den Landfrauen selbst zu großen Ungerechtigkeiten, und ein solcher Schritt ist des weiteren gegenüber den Frauen in anderen Rentenversicherungen bzw. anderen Gesellschaftsgruppen, denen eine solche Chance nie eingeräumt worden ist, kaum zu rechtfertigen.
Von der Koalition und auch vom Deutschen Bauernverband wird gesagt, die Mehrausgaben von mehreren hundert Millionen DM infolge dieser Punkte seien haushaltsneutral aufzufangen, es bedürfe nur einer Umschichtung im Haushalt aus freiwerdenden Mitteln des soziostrukturellen Einkommensausgleichs. Natürlich ist das haushaltsrechtlich, technisch machbar, aber in dieser Argumentation kommt ein finanzielles Besitzstandsdenken zum Ausdruck, das dem von der Regierung selbst verkündeten Sparwillen zuwiderläuft, ja ihm ins Gesicht schlägt, meine ich.
({32})
Diese Regierung - und auch die Koalition, sonst würde sie den Gesetzentwurf so nicht einbringen, verehrte Kollegin - ist eben noch nicht einmal mehr an ihren beileibe nicht hochgesteckten eigenen Ansprüchen zu messen.
Um haushaltspolitisch über die Runden zu kommen, Herr Minister, sind Sie und die Koalition übrigens an anderer Stelle wortbrüchig geworden bzw. drückt sich die Bundesregierung bewußt vor Lösungen.
({33})
Ich erinnere daran, daß einst - Herr Haschke sitzt hier, er wird mir das bestätigen können - eine Regelung für die Inventareinbringer in den neuen Bundesländern angekündigt war und sogar Mittel im Einzelplan dafür vorgesehen waren, die in einem Nachtragshaushalt 1993 zunächst auf künftige Jahre verschoben und jetzt kurzerhand gestrichen wurden.
Kollege Kastning, der Kollege Heinrich steht deshalb, weil er Ihnen eine
Zwischenfrage stellen möchte. Würden Sie die zulassen?
Das habe ich übersehen. Wenn Sie mir die Uhr stoppen, mache ich das.
Ja, sofort stoppe ich sie.
Bitte sehr.
Herr Kollege Kastning, Sie reden hier von Besitzstandsdenken. Würden Sie bitte dem Haus hier erklären, in welcher Form der Argrarhaushalt Kürzungen hat hinnehmen müssen?
Ich kann Ihnen ohne Schwierigkeit sagen, daß der Agrarhaushalt Kürzungen hat hinnehmen müssen, auch schon im Nachtragshaushalt, im übrigen auch mit meiner eigenen Mitwirkung. Ich habe keine Probleme, das zuzugestehen. Ich sage Ihnen nur, Probleme in der Argrarstrukturpolitik könnten wir leichter bewältigen, wenn nicht von vornherein Mittel für andere Dinge festgelegt würden, die anscheinend tabu sein sollen.
({0})
- Ich rede vom Besitzstandsdenken des Argrarhaushalts in seinem Gesamtvolumen.
({1})
Wenn Sie mehr wissen wollen, können wir uns gern darüber unterhalten, wo mehr drin ist, um noch etwas abzubauen. Ich bin da für Hilfe dankbar.
Vielleicht dann weiter im Haushaltsausschuß!
Ich habe gerade von den Inventareinbringern gesprochen. Dieses Geld ist weg. Ich erinnere auch an die von der Regierung bewußt ausgeklammerte Altschuldenregelung in den neuen Bundesländern. Ich erinnere an die noch immer nicht beseitigten Probleme bei der Eigentums- und Verpachtungsfrage. Offensichtlich gibt es auch noch immer Schwierigkeiten bei der Entschädigung für landwirtschaftliches Vermögen im Rahmen der vorgesehenen gesetzlichen Regelung.
Frau Kollegin Dr. Hoth, Kollege Kalb und ich haben uns als Berichterstatter redlich bemüht, gemäß den haushaltspolitischen Notwendigkeiten im Einzelplan 10 gezielt Einsparungen vorzunehmen. Vieles, Herr Heinrich, ist einvernehmlich geschehen. Anderes führte allerdings eher zu Gereiztheiten zwischen CDU/CSU und F.D.P., als daß es zwischen Koalition und Opposition umstritten war, was sicher auch auf den zerrütteten inneren Zustand der Koalition schließen läßt.
({0})
Wir haben widerstrebend, Herr Borchert, selbst in kleinste Titel eingegriffen. Möglicherweise könnte
dadurch sogar die Arbeitsfähigkeit bestimmter Fachabteilungen von Behörden beeinträchtigt werden.
({1})
- Die Betroffenen werden das schon merken. Dieser Wille zum notwendigen Sparen, Herr Minister, ist aber für die Katz und wird unterlaufen, wenn zum einen das Finanzchaos der Bundesregierung und zum anderen ihr agrarpolitisches Unvermögen bzw. ihr Schlingerkurs Risiken bringen, die von einer seriösen Haushaltspolitik nicht aufgefangen werden können.
Deshalb ist der Einzelplan 10 nicht zustimmungsfähig.
({2})
Nun spricht der Kollege Bartholomäus Kalb.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, daß es ein bißchen schwierig ist, zu einzelnen Titeln konkret Stellung zu nehmen, weil wir alle - da sind alle Berichterstatter in der gleichen Situation - noch nicht genau wissen, wie sich die von uns, vom Haushaltsausschuß beschlossene globale Minderausgabe in der Umsetzung auswirkt.
({0})
- Herr Kollege Wieczorek, ich kann mich daran erinnern, daß Sie im Haushaltsausschuß auch dieser globalen Minderausgabe zugestimmt haben. Ich müßte mich sehr irren, wenn ich das falsch mitbekommen hätte.
Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Agraretat im Haushaltsausschuß und zuvor schon in den Berichterstattergesprächen in einer Intensität beraten wie kaum jemals zuvor. Trotz der erheblichen Einsparungen, die wir im Rahmen der Beratungen vornehmen mußten, wollten die Kollegin Dr. Hoth und ich als Koalitionsberichterstatter die unmittelbar einkommenswirksamen Maßnahmen nicht mit Kürzungen versehen. Damit wollten auch wir Berichterstatter die von uns ebenfalls als richtig erkannte Linie des Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert, wie er sie schon bei der Erstellung des Entwurfs des Bundeshaushalts aufgezeigt hat, weiter verfolgen.
({1})
Ich bin dem Mitberichterstatter von der Opposition, Kollegen Ernst Kastning, sehr dankbar, daß er diese Linie seinerseits ebenfalls akzeptiert und mitgetragen hat. Ich hoffe, Herr Minister, daß es Ihnen auch bei der Umsetzung der globalen Minderausgabe gelingen möge, diese Linie beizubehalten. Ich weiß, daß das schwierig sein wird, aber es wäre geboten.
Mit dieser vorhin skizzierten Linie hat der Haushaltsausschuß trotz aller Sparzwänge versucht, der besonderen und von niemandem bestrittenen schwierigen Lage der Landwirtschaft Rechnung zu tragen. Im übrigen haben wir auch bei der Förderung der
Landwirtschaft in den neuen Bundesländern besonders darauf geachtet, daß dort keine Kürzungen vorgenommen werden, wie auch bei den zum BML gehörenden Einrichtungen, wenn Investitionen dieser Einrichtungen in den neuen Ländern zu tätigen sind.
In zwei Bereichen mußten auf Grund der aktuellen Entwicklung zusätzliche Mittel durch den Ausschuß bereitgestellt werden:
Erstens. Mit der Aufstockung des Titels für die landwirtschaftliche Altershilfe um 24 Millionen DM werden landwirtschaftliche Altenteile nach Inkrafttreten der vom Bundestag bereits am 22. Oktober 1993 verabschiedeten Pflegeversicherung genauso gestellt wie die Bezieher anderer gesetzlicher Renten.
Zweitens. Mit 20 Millionen DM unterstützt der Bund die Maßnahmen der Länder zur Bekämpfung der Schweinepest. Obwohl der Bund rechtlich gesehen dazu nicht verpflichtet ist, verkennt er die katastrophalen Auswirkungen dieser Seuche sowohl für die Betriebe in den gesperrten Gebieten als auch für die Schweine- und Ferkelerzeuger im gesamten Bundesgebiet nicht und leistet seinen Beitrag zur Bewältigung der Seuche und zur Marktstabilisierung.
Die jetzt auf Drängen von Minister Borchert ergriffenen Maßnahmen der EG zur Marktentlastung sind grundsätzlich zu begrüßen. Leider hat der EG-Veterinär-Ausschuß in seiner letzten Sitzung die nach unserer Ansicht gebotene Reduzierung der Sperrgebiete nicht vorgenommen. Ein Aufrechterhalten des ursprünglichen gänzlichen Ausfuhrverbots für die gesamte Bundesrepublik hätte allerdings in kürzester Zeit den totalen Ruin der deutschen Erzeuger nach sich gezogen.
Aber eines möchte ich hier schon hinzufügen, auch angesichts der großen Proteste, insbesondere in Norddeutschland: An der Schweinepest ist nicht die Politik schuld.
({2})
Zweitens hat die Politik dafür gesorgt, daß der Schaden begrenzt wird und die Märkte entlastet werden. Möglicherweise kommt jetzt der Protest auch deswegen, weil sich der Markt stabilisiert hat und die Marktpreise wieder höher sind als die Zahlungen, die die EG für den Ankauf tätigt, nämlich 2,35 DM. Vielleicht fühlen sich diejenigen in den Sperrgebieten deswegen benachteiligt. Sie hätten sich mit Sicherheit nicht benachteiligt gefühlt, wenn nicht gehandelt worden wäre und die Preise im Keller geblieben wären.
({3})
Auch das muß gesagt werden.
Es ist aus meiner Sicht auch bedauerlich, daß in Deutschland nun, wie wir heute früh gehört haben, 92 Fälle aufgetreten sind. Das erleichtert unsere Position natürlich auch nicht. Hier müssen wir auch an die Verantwortung der Betriebe appellieren, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, daß nicht weitere Seuchenfälle auftreten.
({4})
Herr Kollege Kalb, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bredehorn gestatten?
Gern, ja.
Herr Kollege Kalb, Sie schildern hier völlig zu Recht, daß die Bundesregierung erhebliche Maßnahmen ergriffen hat, um hier Marktentlastung zu erreichen. Ist es aber hier nicht ganz entscheidend notwendig, Seuchenbekämpfung zu betreiben?
Herr Kollege Bredehorn, das ist richtig. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, daß die Seuchenbekämpfung in erster Linie Aufgabe der Länder ist und wir vom Bund und das Bundeslandeswirtschaftsministerium - -({0})
- Ja, das ist doch so; da kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Ich weiß, daß das Bundeslandwirtschaftsministerium und die dortigen Veterinäre in enger Zusammenarbeit mit den Ländern versuchen, alles zu tun, damit der Seuche Einhalt geboten werden kann.
({1})
Ich habe auch durchaus Verständnis dafür, daß sich die Landwirte in den betroffenen Gebieten, in den Sperrgebieten, jetzt natürlich bedrängt fühlen und ihren Protest zum Ausdruck bringen. Wir müssen aber deutlich machen - das muß uns gestattet sein -, wo die Verantwortung liegt oder wie weit man die Politik verantwortlich machen kann und wie weit nicht. Für das Auftreten der Seuche kann man nicht die Politik verantwortlich machen.
({2})
Ich darf nochmals unterstreichen, daß wir vom Bund her wirklich alles getan haben - mehr, als unsere Pflicht gewesen wäre -, um mitzuhelfen, daß der Schaden begrenzt und die Seuche bekämpft wird.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben allerdings noch drei weitere aktuelle Problembereiche in der EG zu klären. Es ist Minister Borchert Gott sei Dank gelungen, die Switch-over-Regelung nach dem Beschluß zur Erweiterung der Währungsbandbreiten vom 2. August dieses Jahres zunächst wieder zur Anwendung zu bringen.
Noch nicht gelöst sind allerdings die Probleme mit den Ölsaaten und den Basisflächen in den neuen Bundesländern. Darüber wurde vorhin bereits gesprochen. Diese Probleme müssen zur Zufriedenheit der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern gelöst werden. Die da und dort von etwas feinsinnigeren Leuten kritisierte harte Gangart des deutschen Agrarministers in dieser Frage kann von uns nur ausdrücklich unterstützt werden.
({4})
Es geht nicht an, daß man es anderen Ländern
durchgehen läßt, EG-Maßnahmen jahrelang nicht
national umzusetzen, ihnen dann höhere Quoten bzw.
Kontingente zuzubilligen und das aufgelaufene Anlastungsrisiko bzw. die fälligen Anlastungen niederzuschlagen, während man gegenüber Deutschland gnadenlos auf die Einhaltung einmal erfolgter Festlegungen besteht. Gleiches Recht für alle muß auch in der EG oder in der EU - wie es neuerdings heißt - und im Umgang mit den Mitgliedsländern gelten.
Ich bin ja nun wirklich ein überzeugter Europäer, auch wenn man das von einem Bayern schon nicht mehr so recht erwartet.
({5})
Ich lebe hier nach dem Motto: So viel Bayer wie möglich, so viel Europäer wie nötig.
({6})
Aber manchmal hat man den Eindruck - und das ist mir sehr ernst -: Die EG läßt nun wirklich keine Gelegenheit aus, um den letzten Rest an Begeisterung und Zustimmung für das gemeinsame Europa zunichte zu machen.
({7})
Dabei denke ich nicht nur - da gibt es viele Einzelbeispiele - an die Agrarpolitik. Ich könnte genausogut auf den Bereich der Verkehrspolitik und auf andere Bereiche verweisen
({8})
- oder Forschung -, bei denen wir ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Es täte mir leid im Interesse der Sache und der Bedeutung des weiteren Fortkommens im europäischen Einigungsprozeß.
Andererseits bin ich weit davon entfernt, für alle Probleme, wie sie hier entstehen, die EG verantwortlich zu machen.
({9})
Im Gegensatz zu vielen Bauern in unserem Lande - ich sage auch das ganz offen - bin ich trotz aller Probleme mit der EG der Überzeugung, daß die Lage unserer Landwirtschaft ohne EG-Mitgliedschaft nicht besser wäre; nein, ich bin der Meinung, sie wäre sogar schlechter. Bei allem Respekt vor der Landwirtschaft: Europa ist und muß ein bißchen mehr sein als nur gemeinsame EG-Agrarpolitik.
({10})
Im übrigen erlaube ich mir, einmal zu fragen, ob denn wirklich die Position der deutschen Landwirtschaft auf dem Gebiete des Exports ohne die EG besser wäre, ob wirklich der Außenschutz für die Landwirtschaft ohne die EG besser wäre und ob beispielsweise unsere Position im GATT ohne Europäische Gemeinschaft besser wäre. Wir haben uns im letzten Jahr gerade über das anstehende Problem GATT sehr eingehend unterhalten, und wir werden sehen, welcher Abschluß am 15. Dezember letztlich herauskommt. Diese Anmerkung schien mir doch wichtig.
({11})
Besondere Bedeutung in der nationalen Agrarpolitik kommt der Agrarsozialpolitik zu. Hier darf ich die
Zahlen von vorhin nachliefern. Sie stellt mit 7,14 Milliarden DM den größten Kostenblock dar. Trotz der Kürzungen, die wir auch wegen eines Schätzansatzes bei der Krankenversicherung vornehmen konnten, weist die Agrarsozialpolitik immerhin noch eine Steigerung von 4,6 % aus. Die hier eingesetzten Mittel führen zu einer spürbaren Entlastung der bäuerlichen Betriebe und wirken sich unmittelbar positiv auf die verfügbaren Einkommen aus. Ohne die Bundesmittel - davon bin ich überzeugt - könnten viele Betriebe die Last der sozialen Absicherung nicht tragen.
Andererseits stellen die hohen Zuweisungen für die landwirtschaftliche Altershilfe auch eine indirekte Entlastung anderer Rentenversicherungsträger dar. Der rasche Strukturwandel in der Landwirtschaft hat den Generationenvertrag in diesem Bereich längst außer Kraft gesetzt. Wegen der Abwanderung, insbesondere der jungen Generation, ist das Verhältnis zwischen Beitragszahler und Leistungsbezieher ja schon schlechter als 1:1. Ohne den hohen Einsatz an Bundesmitteln wäre ein Ausgleich durch die anderen Alterssicherungssysteme unvermeidbar. Es ist sicherlich nicht befriedigend, daß die Agrarsozialreform in ihrer Gänze 1993 nicht realisiert werden konnte.
({12})
Gleichwohl ist es aber gelungen, einige wesentliche Elemente herauszugreifen und vorzuziehen. Damit werden die Beiträge weitgehend stabilisiert und Ungerechtigkeiten beseitigt. Es war für mich z. B. nie einzusehen, warum einer Bäuerin als Bezieherin einer Erwerbsunfähigkeitsrente als Hinterbliebene die durch Kindererziehungszeiten erworbene Rente auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres noch gekürzt wurde bzw. wird.
Ich kann nicht absehen, welche Agrarsozialreform von diesem Bundestag verabschiedet werden wird. Wir werden sicher das eine oder andere auch im Lichte der konjunkturellen Entwicklung und der Steuermindereinnahmen nochmals sorgfältig prüfen müssen. Es ist aber schon typisch, wie die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Frau Matthäus-Maier, den Entwurf der Agrarsozialreform nach seiner Verabschiedung durch das Bundeskabinett kommentiert und ihn wörtlich als „finanzpolitisches Stück aus dem Tollhaus" bezeichnet hat.
({13})
Diese bösen Worte reihen sich nahtlos an ähnliche Aussagen anderer SPD-Größen ein, womit sie, gewollt oder ungewollt, die in Wirklichkeit vorhandene, tiefsitzende Abneigung gegenüber der Landwirtschaft und ihrer Belange zum Ausdruck bringen.
({14})
Herr Kollege Kalb, würden Sie noch einmal eine Zwischenfrage gestatten?
Dabei verkenne ich nicht, daß sich manche in der SPD redlich um die Landwirtschaft bemühen und in den Ausschüssen konstruktiv um gute Lösungen ringen. Von der SPDSpitze jedoch kommt arg wenig oder sogar Grundfalsches.
Kollege Kalb, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Kastning oder nicht?
Wenn die Uhr stehenbleibt, ja.
Herr Kollege Kalb, würden Sie es nicht doch als ehrenhaft empfinden, wenn auch Sie nun endlich eingestehen würden, daß diese Außerung unserer verehrten Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier in der Sache nun wirklich überholt ist, weil sie sich selbst korrigiert hat? Finden Sie nicht, daß es gut wäre, das nun endlich einzugestehen und nicht dauernd darauf herumzureiten?
Wäre es nicht auch gut, wenn Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen würden, daß ich heute davon gesprochen habe, daß es um bestimmte Mehrkosten geht und nicht um die Agrarsozialreform an sich? Sie selbst haben Andeutungen gemacht, daß man im Lichte der Konjunktur noch einiges betrachten muß.
({0})
Herr Kollege Kastning, mir ist es entgangen, daß sich die Frau Kollegin Matthäus-Maier in diesem Punkt korrigiert hat. Wenn sie das getan hat, nehme ich das gern zur Kenntnis. Ich freue mich darüber im Interesse der Landwirtschaft.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe zur Vorbereitung meines Beitrags auch einige Reden von SPD-Sprechern gelesen. Ich muß feststellen, daß mein Aufklärungsbedarf dadurch nicht geringer, sondern größer geworden ist. Da gab es z. B. die Vorschläge zur Streichung der Gasölbetriebsbeihilfe, über den Abbau des Währungsausgleichs bis hin zur Streichung der Gewinnermittlung nach § 13a des Einkommensteuergesetzes.
Selbst Jan Oostergetelo sagte wörtlich: „Wir werden uns einem Subventionsabbau nicht verschließen", um dann aber an anderer Stelle zu bekräftigen: „Ein Abbau von Hilfen für die Landwirtschaft kommt für uns nicht in Frage".
In einer Presseerklärung der SPD vom 4. Juni 1992 schreibt Jan Oostergetelo: „Seit Jahren fordert die sozialdemokratische Agrarpolitik eine Umstellung des Fördersystems hin zu direkten Transferzahlungen. "
Ein Jahr später, am 23. Juni 1993, kritisiert sein Nachfolger als Agrarsprecher, Kollege Sielaff, diese Transferzahlungen als Förderung nach dem Gießkannenprinzip und fordert: „Wir wollten aber weg vom Gießkannenprinzip und diese Mittel gezielt dort einsetzen, wo sie dringend benötigt werden."
({0})
Vielleicht besitzen Sie heute wenigstens die Freundlichkeit, uns zu sagen, wo die Mittel Ihrer Meinung nach dringend benötigt werden, möglichst aber nach vorheriger Abstimmung mit Ihrer finanzpolitischen Sprecherin.
Herr Kollege Kalb, Sie sind erstens am Ende Ihrer Redezeit angekommen. Deshalb lasse ich keine Zwischenfrage mehr zu. Zum zweiten hätte Sie der Kollege Oostergetelo wahrscheinlich aufklären wollen. Sie sind jedoch, wie gesagt, am Ende Ihrer Redezeit.
Frau Präsidentin, das tut mir furchtbar leid, weil ich letztes Jahr zwei Minuten weniger in Anspruch genommen habe, als mir zustanden.
({0})
Auf Grund dieser Antwort gestehe ich Ihnen noch eine halbe Minute zu.
Das ist dann wirklich die ausgleichende Gerechtigkeit wie beim Finanzamt der Lohnsteuerjahresausgleich. Frau Präsidentin, sehr vielen Dank.
Ich möchte abschließend noch einen Hinweis bringen dürfen. Unsere Landwirtschaft ist auf die Akzeptanz durch den Verbraucher und die Gesellschaft angewiesen. Aber die Gesellschaft muß auch wissen, daß sie auf die Landwirtschaft und ihre Leistungen dringendst angewiesen ist. Denn es gibt keinen Weltmarkt für intakte Kultur- und Naturlandschaft.
Herzlichen Dank.
({0})
Nun spricht Frau Kollegin Dr. Sigrid Hoth.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stelle zu Beginn meiner Rede fest, daß auch in dieser Debatte das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die PDS nicht vertreten sind, während sich Opposition und Koalition nicht nur über den Agrarhaushalt, sondern auch über agrarpolitische Grundsätze streiten.
({0})
Meine Vorredner betonten bereits, daß sich die Haushaltsberatungen in diesem Jahr komplizierter gestalteten als je zuvor. Bereits bei der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs waren sich die Debattenredner aller Parteien einig, daß die Verschuldung der öffentlichen Hand eine solche Größenordnung erreicht hat, daß unter allen Umständen während der Haushaltsberatungen Einsparungen erzielt werden müssen.
Während der Einzelplanberatung wurde deshalb jeder Posten kritisch hinterfragt, und in allen Etats bis auf den Etat für Arbeit und Soziales und den Etat Frauen und Jugend wurden Einsparungen vorgenommen.
Der Einzelplan 10 - Herr Kollege Heinrich, ich sage die Zahl hier gern noch einmal - wurde um 158 Millionen DM gekürzt. Somit beträgt der Etat des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nunmehr etwa 13,3 Milliarden DM, zehnmal weniger als z. B. der des Bundesministers für Arbeit und Soziales.
Die Kürzungen greifen in folgenden Bereichen: 100 Millionen DM Minderbedarf bei Zuschüssen an die Krankenversicherung, 30 Millionen DM weniger im Sonderrahmenplan, 15 Millionen DM weniger bei der Finanzierung von Kassenkrediten für Marktordnungsausgaben bei der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, 20 Millionen DM weniger bei der Gasölbetriebsbeihilfe - um nur die größten Posten einmal zu nennen.
Das heißt, die einkommenswirksamen Leistungen für den Landwirt wurden in ihrer Höhe nicht eingeschränkt.
Angesichts der Einkommenssituation in der Landwirtschaft ist die Forderung „keine Abstriche an den einkommenswirksamen Leistungen" zu verstehen. Auch die Einführung der agrarsozialen Reform und der Pflegeversicherung, die im landwirtschaftlichen Bereich zusätzlich allein 1993 24 Millionen DM als Zuschuß zur Pflegeversicherung der Altenteiler kosten soll, wurde in den Haushaltsberatungen noch berücksichtigt.
Trotzdem bleibt die Grundsatzfrage offen, ob es richtig ist, den Anteil, den die sogenannten agrarsozialen Ausgaben am Etat haben, ständig auszuweiten, während die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe bzw. die Mittel für den investiven Bereich stagnieren und langfristig zurückgehen.
Dies ist jedoch keine Frage der Haushaltsberatungen, dies ist die Grundfrage der Ausgestaltung der agrarpolitischen Rahmenbedingungen zur Schaffung von wettbewerbsorientierten und leistungsfähigen Agrarbetrieben.
Zu der vom Haushaltsausschuß zusätzlich verhängten Kürzung von insgesamt 5 Milliarden DM bei Sach und Verwaltungsausgaben muß auch der Agrarhaushalt noch einen zusätzlichen Beitrag leisten. Diese Einsparungen, Herr Minister, sollten jedoch genauso wie die noch einzusparenden 20 Millionen DM, die für die Schweinepestbekämpfung bereitgestellt wurden, nicht bei den Ausgaben, die investiv oder strukturverbessernd wirken, angesetzt werden.
({1})
Man wird deshalb auch nicht umhin können, über solche „heiligen Kühe" der Agrarpolitik, z. B. die Zuschüsse zur Unfallversicherung oder auch die Gasölbetriebsbeihilfe, zu reden, um nur einmal einige beim Namen zu nennen.
({2})
Während der Haushaltsberatungen ist auch immer wieder betont worden, daß die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz für die alten Bundesländer gekürzt und für die neuen Bundesländer aufgestockt wurden und daß dies nur schwer nachvollziehbar sei. Dabei wird immer völlig vergessen, daß dies erstens ein Solidarpaktbeschluß ist, daß zweitens den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr 180 Millionen DM als Entschädigung für verlorene Inventarbeiträge fest zugesagt wurden und daß drittens die Gelder, die in der Gemeinschaftsaufgabe vorgesehen sind, im wesentlichen für investive Zwecke genutzt werden.
Viertens ist im Wirtschafts- und Agrarpolitischen Informationsdienst vom September dieses Jahres nachzulesen, daß von den über 7 Milliarden DM Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes im Agraretat weit über 5 Milliarden DM den alten und weniger als 2 Milliarden DM den neuen Bundesländern zugute kommen.
Ich denke, unter Berücksichtigung all dieser Fakten ist die relativ geringfügige Erhöhung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe für die neuen Bundesländer mehr als gerechtfertigt.
Während der Haushaltsberatung ist auch kurzfristig auf aktuelle Probleme reagiert worden. 20 Millionen DM wurden zur Bekämpfung der Schweinepest bewilligt, die allerdings auf dem Weg über die globale Minderausgabe im Etat erbracht werden müssen. Die von der EG-Kommission durchgesetzte Bekämpfungsstrategie läßt jedoch mehr als eine Frage offen.
Aber auch bei dem Problem der Berechnung und Anerkennung der Basisflächen für die neuen Bundesländer bezieht die EG-Kommission aus meiner Sicht erstaunliche Positionen. Ich fordere die Bundesregierung deshalb noch einmal auf, mit Nachdruck die Interessen der deutschen Landwirtschaft in Brüssel zu vertreten.
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Es muß Schluß damit sein, daß innerhalb der EG unterschiedliche Maßstäbe - anscheinend je nach Leidensfähigkeit - angewandt werden.
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Die landwirtschaftliche Produktion, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnte im letzten Wirtschaftsjahr einen leichten Einkommensanstieg verzeichnen. Die Vorausschätzung für das Einkommensjahr 1992/93 ergab jedoch, daß wahrscheinlich das Einkommensniveau des Vorjahres gerade erreicht wird.
Auch in den neuen Bundesländern stabilisieren sich die Betriebe. Hauptprobleme sind hier derzeit nach wie vor die Langwierigkeit der Verfahren, bis es endlich mit der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft zum Abschluß von langfristigen Pacht- oder Kaufverträgen kommt, die Anerkennung der Grundflächen durch die EG und die Problematik der Altschulden
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sowie die nach wie vor recht späte Auszahlung der Fördermittel. Ich kann dem Minister im Gegensatz zu dem Kollegen Kastning zwar bestätigen, daß er sich in vielen Punkten bemüht, die Forderungen der Landwirte weitestgehend zu erfüllen.
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- Liebe Kollegen, ich habe Ihrem Redner doch auch aufmerksam zugehört.
Wenn aber als Konsequenz aus den unvermeidlichen Einsparungen auch im landwirtschaftlichen Bereich und den agrarpolitischen Zielsetzungen der Koalition herauskommt, daß die Steigerungen im
agrarsozialen Bereich in Zukunft etwas geringer ausfallen, dafür aber Programme aufgelegt werden, die die Umstrukturierungsprozesse in der Landwirtschaft beschleunigen und erleichtern, Herr Minister, auch dann werden wir diesem zustimmen können.
Die F.D.P.-Fraktion stimmt auch diesem Haushalt zu.
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Nun hat Herr Bundesminister Jochen Borchert das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die öffentlichen Mittel werden knapper. Bund, Länder und Gemeinden müssen ihre Haushalte konsolidieren. Das bedeutet auch für den Agrarbereich, Prioritäten zu setzen, die knappen Mittel auf die wichtigsten Maßnahmen zu konzentrieren.
Ich möchte mich bei den Berichterstattern sehr herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit bei dieser schwierigen Aufgabe bedanken.
Anpassungsbereitschaft, Eigeninitiative und Unternehmertum sind in der Landwirtschaft mehr denn je gefragt. Es gilt, heute die Weichen für die Zukunft zu stellen. Ich freue mich, daß mein Konzept, das ich vorgelegt habe, die volle Zustimmung auch des Kollegen Graf Lambsdorff findet.
Herr Kollege Kastning, Sie sollten nicht nur nach einem Zeitungsartikel vorgehen, vielleicht schickt Ihnen Kollege Weng seine Rede zu. Dann werden Sie einige der Vorbehalte, die Sie heute geäußert haben, zurücknehmen müssen.
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Der Agraretat 1994 trägt dem Konsolidierungszwang Rechnung. Er ist mit etwas über 13 Milliarden DM ein Sparhaushalt. Er ist das Ergebnis von Minderausgaben und von Einsparungen beim großen Ausgabenblock Gemeinschaftsaufgabe.
Dennoch bleibt es dabei: Die Schwerpunkte unserer Agrarpolitik werden nicht verändert. Sie liegen weiterhin bei der Agrarsozialpolitik und bei der Agrarstrukturpolitik.
Natürlich hat sich, wie kann es bei der erforderlichen Haushaltskonsolidierung auch anders sein, das Gewicht zugunsten der gesetzlich festgelegten Maßnahmen und damit zugunsten der Agrarsozialpolitik verschoben. Dies bedeutet aber keineswegs eine Vernachlässigung oder gar eine Abkehr von der Agrarstrukturpolitik im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe, wie die SPD es behauptet.
Der begrenzte Finanzplafond zwingt uns, allerdings in noch stärkerem Maße Prioritäten zu setzen. Zusätzliche Maßnahmen in der Gemeinschaftsaufgabe bedeuten eine Ausweitung des Förderkatalogs. Das heißt, eine Ausweitung auf der einen Seite muß mit Einschränkungen auf der anderen Seite einhergehen. Zugleich dürfen dabei die Konturen der gemeinsamen
zielgerichteten Strukturpolitik in Deutschland nicht verlorengehen.
Lassen Sie mich dies an einem Beispiel deutlich machen. Wenn die Länder fordern, den ökologischen Anbau im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zu fördern, geht dies nur durch Einsparungen in anderen Bereichen, z. B. durch Einsparungen bei der Förderung von wasserwirtschaftlichen Maßnahmen in den alten Bundesländern.
Trotz knapper Mittel bleibt der Schwerpunkt unserer Politik der Aufbau leistungsfähiger, wettbewerbsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe und die soziale Flankierung des Strukturwandels. Deshalb werden wir die Reform der Agrarsozialpolitik in den vorgesehenen beiden Stufen Schritt für Schritt umsetzen.
Hier, Herr Kollege Kastning, stehen Sie vor der schwierigen Aufgabe, innerhalb der SPD zu klären, was Sie denn eigentlich wollen.
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Herr Minister Borchert, Herr Kollege Kastning möchte eine Zwischenfrage stellen.
Aber gern.
Abgesehen davon, daß ich keine Zwischenfrage an den Kollegen Hornung stellen wollte, der schon wieder dazwischengerufen hat, sondern an Sie, Herr Minister: Trifft es denn zu, daß der PLANAK eine Entscheidung über die Förderkriterien vertagt hat? Wenn ja, warum?
Trifft es zu, daß Überlegungen im Gange sind, die globale Minderausgabe für den Einzelplan 10 genau aus der Gemeinschaftsaufgabe zumindest zu einem großen Teil zu erwirtschaften?
Der PLANAK hat die Entscheidung nicht getroffen, weil ich den PLANAK
von dem Beschluß des Haushaltsausschusses unterrichtet habe, im Rahmen einer globalen Minderausgabe 5 Milliarden DM einzusparen, und ich den PLANAK noch nicht darüber informieren konnte, in welchem Umfang dafür auch die Gemeinschaftsaufgabe herangezogen wird. Daß sie mit in die vom Haushaltsausschuß benannten Titelgruppen fällt, ist Ihnen klar, Herr Kollege. Insofern war es vernünftig, im PLANAK abzuwarten, bis die globale Minderausgabe umgesetzt ist.
Ich komme zur Agrarsozialpolitik, Herr Kollege Kastning, zurück. Hier stehen Sie vor einer schwierigen Aufgabe. Nach der Verabschiedung des Regierungsentwurfs hat der Landwirtschaftsminister des Landes Niedersachsen, Herr Funke, erklärt, die SPD könne diesem Entwurf ohne wesentliche Änderungen zustimmen, dies sei ein guter Entwurf. Die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, unsere frühere Kollegin Heide Simonis, hat mich auf dem Landfrauentag in Kiel aufgefordert, mich doch endlich gegen den Finanzminister durchzusetzen und die Reform der Agrarsozialpolitik im Kabinett zu beschließen und dabei die eigenständige Sicherung der Bäuerinnen durchzusetzen. Wenn ich Sie hier gehört habe, Herr Kollege, dann weiß ich nun überhaupt nicht mehr, was die SPD will. Aber dies zeigt sich nicht nur an diesem Punkt, sondern quer durch alle Bereiche der Agrarpolitik.
Der Agraretat ist ein Beweis, daß wir unsere Zusage einhalten, schon ab 1994 die Beitragsstabilisierung in der Alterskasse einzuleiten, und daß wir trotz des Sparzwangs unsere Politik der Einkommenssicherung fortsetzen. Wenn Herr Kollege Kastning die Kürzungen kritisiert: Die SPD in den SPD-regierten Ländern verweigert sich beim soziostrukturellen Einkommensausgleich. Sie stellt diese Mittel auch nicht für andere Maßnahmen der Agrarpolitik zur Verfügung, sondern setzt diese Mittel ein, um die Landeshaushalte zu sanieren. So wirkt sich Ihre Politik bei der Landwirtschaft aus.
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Wir haben den Mitteleinsatz verstärkt, um bei den Beiträgen für die Pflegeversicherung eine systemkonforme Gleichstellung der Altenteiler zu erzielen und um die Kapazitätsanpassungen im Fischereibereich zu verbessern, aber auch um die Landwirtschaft in den von der Schweinepest betroffenen Bundesländern zu unterstützen.
Wie der Haushalt insgesamt, so muß allerdings auch der Agraretat noch eine schwierige Hürde nehmen. Die globale Minderausgabe in Höhe von 10 % muß umgesetzt werden. Wir werden dabei alle Möglichkeiten ausloten, werden uns bemühen, hier sehr sensibel vorzugehen. Aber wir wissen auch, daß diese Einsparungen im Agrarbereich natürlich schmerzhaft sein werden.
Eines ist auch für 1994 sichergestellt: Die Bundesregierung wird die Landwirtschaft bei ihrem schwierigen Anpassungsprozeß auch weiterhin aktiv unterstützen. Dazu gehört auch eine langfristige Perspektive durch die Erschließung neuer Märkte. In diesem Zusammenhang mißt die Bundesregierung dem Anbau von nachwachsenden Rohstoffen eine besondere Bedeutung zu. Wir haben dafür die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe gegründet.
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Ich denke, daß wir damit in diesem Bereich Erfolge erreichen können.
Allerdings: Was immer wir im nationalen Haushalt beschließen, alle national ergriffenen Maßnahmen verpuffen, wenn es uns nicht gelingt, in Brüssel Fortschritte zu erreichen. Wir werden in der agrarmonetären Frage hart bleiben und in Brüssel eine dauerhafte Regelung einfordern. Herr Kollege Kastning, hier gibt es eine sehr genaue und sehr gute Abstimmung zwischen dem Bundesfinanzminister und dem Landwirtschaftsminister.
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- Die haben beide nicht geschlafen. - Wenn Ihnen die Regeln des Europäischen Währungssystems bekannt wären - ich kann Ihnen diese in der knappen Zeit leider nicht in allen Einzelheiten erklären -,
dann wüßten Sie, daß das Europäische Währungssystem auf den Vereinbarungen der Notenbanken aufbaut. Am 2. August haben die Bundesbank und die Niederländische Notenbank vereinbart, zwischen beiden Währungen eine enge Bandbreite von 2,25 % einzuhalten. Diese Erklärung ist von allen anderen Notenbanken akzeptiert worden. Diese Erklärung ist im Ecofin-Rat im Oktober erneut wiederholt worden.
Herr Kollege Kastning, in den Regelungen zum agrarmonetären Bereich heißt es: Das Switch-over gilt für alle Währungen, die untereinander die Bandbreite von 2,25 % einhalten. Wir haben der Kommission geschrieben, daß wir der Meinung sind, daß bis heute das Switch-over gilt. Wir warten auf die Antwort der Kommission.
Zweiter Punkt. Wir werden von der EG-Kommission eine Aufstockung der Grundflächen in den neuen Ländern verlangen; denn es geht hierbei um die Existenz der Betriebe. Dies läßt keinen Verhandlungsspielraum zu.
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Herr Kollege Kastning, wenn Sie mir vorwerfen, es seien Fehler gemacht worden, dann muß ich dazu sagen: Ich habe Fehler nie bestritten. Es gibt erstens den Fehler, daß die statistischen Angaben der früheren DDR nicht stimmen. Es gibt zweitens den Fehler, daß bestimmte Annahmen, die bei der Umrechnung zugrunde gelegt worden sind, sich nicht erfüllt haben. Es gibt drittens den Fehler, der der Kommission zuzuschreiben ist, daß bei der Einbeziehung der Silomaisflächen die Umrechnung dieser Silomaisflächen nicht erfolgt ist. Auf die unterschiedliche Fehlerquote kann man im Detail eingehen.
Ich meine, daß die Festsetzung der Basisflächen in den neuen Bundesländern eine Sondersituation ist, die nicht mit der Situation anderer EG-Länder zu vergleichen ist.
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Ich habe auf diesen Punkt immer hingewiesen, auch in Brüssel. Wenn es möglich ist, daß die Milchquote für Spanien korrigiert wird, weil sie falsch berechnet worden ist - dies in einer Phase, in der es keine Sondersituation gab -, dann muß die Korrektur eines Fehlers für Ostdeutschland möglich sein angesichts der Sondersituation, in der wir nach der Wiedervereinigung standen.
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Herr Kollege Kastning, zu Ihrer rhetorischen Frage, warum der Fehler nicht früher bekannt gewesen sei: Die Bauern bestellen ihre Flächen im Herbst und im Frühjahr und melden die bestellten Flächen im Mai an. Die Anmeldung der Flächen ist im Mai 1993 erfolgt. Ich frage Sie, woher wir im Dezember 1992 die Angaben über die Flächen haben sollten.
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- Mit den Fachleuten können wir gern diskutieren.
Herr Minister Borchert, auch der Herr Kollege Oostergetelo hat eine Zwischenfrage.
Aber gern.
Herr Minister, ich bezweifle nicht das Bemühen, das mit den Basisflächen in Ordnung zu bringen. Aber ich gebe zwei Punkte zu bedenken.
Der erste ist: Wenn man weiß, wie stark die Tierzahl in Mecklenburg-Vorpommern gesunken ist, und wenn man weiß, wie relativ hoch der Grünlandanteil war, dann kann man doch nicht unterstellen, daß die verbleibenden Tiere das Doppelte an Gras fressen. Man hätte das, meine ich, vorhersehen können.
Der zweite: Sie mögen sich nachträglich bemühen. Aber wie groß ist die Chance, daß Sie damit durchkommen? Wir können doch nicht dazu auffordern, sich rechtswidrig zu verhalten.
Herr Kollege, zu Ihrer ersten Bemerkung. Wir haben die Reduzierung der Viehbestände bei der Berechnung 1992 einzubeziehen versucht. Wir alle - auch Sie - haben 1992 nicht geglaubt, daß der Abbau bis 1993 bis auf das nun bekannte Niveau weitergeht. Wir haben uns alle miteinander geirrt; dies sollten wir uns gegenseitig zugestehen.
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- Wer? Wir? Ich habe von Ihrer Seite an keiner Stelle gehört, daß Sie früher darauf hingewiesen haben.
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- Ich habe auch nicht von den Ländern gehört, daß sie dies früher erkannt haben. Ich hätte solche Anregungen gerne frühzeitig aufgenommen. Nur, ich habe von Ihrer Seite nie etwas gehört.
Zum zweiten Punkt. Ich habe mit der Kommission intensiv verhandelt. Die Kommission hätte die Grundflächen im Kommissionsverfahren korrigieren können. Ich habe zur Vorbereitung dieser Entscheidung der Kommission die Kollegen aller europäischen Mitgliedstaaten in ihren Heimatländern aufgesucht und ihnen das Problem der neuen Bundesländer vorgetragen. Sie haben mir gesagt, sie würden eine Kommissionsentscheidung zur Aufstockung der Grundflächen akzeptieren. Wir haben uns damit aber bei der Kommission nicht durchsetzen können.
Ich habe der Kommission vor der Entscheidung erklärt, wir würden eine solche Entscheidung, die keine Aufstockung der Grundflächen, sondern nur eine zeitliche Verschiebung der Sanktionen beinhaltet, die aber allen Betrieben nur die Perspektive läßt, am Ende dieser Phase die zusätzlichen Flächen stillzulegen und damit in Konkurs zu gehen, nicht akzeptieren, weil wir das gegenüber der Situation der
Landwirtschaft in den neuen Bundesländern nicht billigen können.
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Wenn eine Politik nicht bereit ist, einen Fehler zu korrigieren, dann muß man notfalls auch bereit sein, gegen europäisches Recht zu verstoßen, um einen solchen Fehler zu korrigieren.
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Ich finde, eine Politik, die nicht die Kraft hat, Fehler zu korrigieren, kann so nicht weiter unterstützt werden. Deswegen habe ich mich zu diesem Weg entschlossen.
Bei der Lösung eines Problems sind wir ein gutes Stück weitergekommen. Ich meine die Regelungen zur Schweinepest. Wir haben uns seit Auftreten der Schweinepest gegenüber der Kommission mit aller Entschiedenheit für eine Reduzierung der Sperrbezirke und für eine Verwendung des Fleisches von gesunden Tieren aus den Sperrzonen eingesetzt.
Nach zähen Verhandlungen ist es uns gelungen, daß die Kommission ab heute die Herstellung von Fleischkonserven zuläßt. Ich meine, dies ist ein erster wichtiger Schritt.
Ich werte auch positiv, daß die Kommission dem Ständigen Veterinärausschuß eine weitgehende Reduzierung der Sperrbezirke vorgeschlagen hat. Vor allem für Niedersachsen mit seinen intensiven Schweinemastregionen würde dies eine Entlastung bringen.
Morgen wird der Veterinärausschuß hierüber entscheiden. Ich sage: Wir müssen morgen zu einem positiven Ergebnis für die Schweineerzeuger kommen. Das ist von der Seuchensituation her gerechtfertigt und aus ökonomischer Sicht dringend erforderlich. Jede andere Entscheidung hätte verheerende Folgen.
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Unabhängig davon appelliere ich an die allein zuständigen Bundesländer, weiterhin alles zu tun, um die Schweinepest in Deutschland auszurotten. Seuchenbekämpfung und Seuchenvorsorge sind ausschließlich Aufgabe der Bundesländer. Das liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer.
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Wir haben, um die Aufgaben zu koordinieren, einen Krisenstab unter Leitung des Bundesministeriums gebildet. Ich hoffe, daß wir hierbei einen deutlichen Schritt vorankommen.
Ich rufe aber auch die Bauern auf: Ergreifen Sie jegliche Vorsichtsmaßnahme, um eine Ausdehnung der Schweinepest zu verhindern!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird alles tun, um den Agrarstandort Deutschland zu sichern. Die Alternativen der SPD sind auch heute nicht deutlich geworden. Zu jeder Aufgabe, die wir im
Rahmen der Agrarpolitik diskutieren, gibt es die unterschiedlichsten Äußerungen.
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- Nein, von der SPD. Um die Einigkeit und die Abstimmung innerhalb der Koalition brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Es wäre interessanter, wenn Sie sich innerhalb der SPD verständigen könnten, damit wir uns endlich mit Ihren Alternativen auseinandersetzen können. Hier gibt es von jedem Bundesland und von der Fraktion zu jeder Position die unterschiedlichsten Aussagen.
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Dieser Spagat zwischen den Aussagen der Bundestagsfraktion und den Aussagen der Länder war heute auch dem Kollegen Kastning anzumerken.
Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß für unsere Landwirtschaft der soziostrukturelle Einkommensausgleich, die Anpassungshilfen in den neuen Ländern und die Preisausgleichszahlungen für reformbedingte Preissenkungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausgezahlt werden. Außerdem soll auf Initiative der Koalition die Vorsteuerpauschale zum 1. Januar 1994 von 8,5 auf 9 % angehoben werden, um der gestiegenen Vorsteuerbelastung der Landwirtschaft Rechnung zu tragen.
Ich bitte den Bundesrat - hier könnte die Opposition gute Dienste leisten -, dem Votum des Bundestages zu folgen und unserer Landwirtschaft den erforderlichen Ausgleich nicht vorzuenthalten. Diese Erhöhung ist von der Sache her dringend geboten. Wenn Sie sich für Bauern einsetzen wollen, wirken Sie auf die SPD-regierten Länder ein, damit der Bundesrat diese Entscheidung endlich nachvollzieht.
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Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist sich ihrer besonderen Verantwortung gegenüber den Bauern und ihren Familien bewußt. Sie weiß: Wir brauchen die Landwirtschaft zum Leben der ländlichen Regionen, wir brauchen gesunde, preiswerte Lebensmittel, und wir brauchen eine abwechslungsreiche, gepflegte Kulturlandwirtschaft.
Die Landwirtschaft selbst braucht bei ihrem schwierigen Anpassungsprozeß das Verständnis und die Unterstützung von uns allen.
Das ist unser Auftrag. Das, meine ich, ist die Aufgabe aller demokratischen Parteien. Deshalb darf ich Sie um Ihre Zustimmung zum Einzelplan 10 bitten.
Vielen Dank.
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Nun erhält zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung noch der Kollege Gottfried Haschke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Einzelplan 10 in dieser Form nicht zustimmen - mir ist klar, daß Einsparungen im Agrarhaushalt unumgänglich sind -, weil der Titel für verlorene
Gottfried Haschke ({0})
Inventarbeiträge völlig gestrichen ist und weil das die ärmsten Bauern in den neuen Bundesländern trifft, die unverschuldet aus LPGen kommen, die zahlungsunfähig geworden oder in Konkurs gegangen sind.
Danke.
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Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 10 liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Einzelplan in
der Ausschußfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 10 angenommen.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 24. November 1993, 9 Uhr ein. Ich wünsche einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.