Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe als erstes den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten ({1})
- Drucksachen 12/2704, 12/2747, 12/5298, 12/5421, 12/5720 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Peter Struck
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist der Fall.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich als Berichterstatter das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum sogenannten Geldwäschegesetz mitteilen. Der Bundesrat hatte den Vermittlungsausschuß in vier Punkten angerufen. Das Ergebnis ist wie folgt:
Künftig sollen alle Finanztransaktionen ab einem Betrag von 20 000 DM - nicht, wie im Beschluß des Bundestages vorgesehen, von 25 000 DM - so erfaßt werden, daß der Einzahler oder Auftraggeber identifiziert wird. Das Geschäft soll so lange angehalten werden, bis die Staatsanwaltschaft zustimmt oder nach der Anzeige zwei Tage abgelaufen sind. Auch das ist eine Änderung gegenüber dem Bundestagsbeschluß, der einen Tag vorsah. Es wird im Gegensatz zum Bundestagsbeschluß eine Privilegierung bestimmter Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, Steuerberater oder Strafverteidiger nicht mehr geben.
Ich möchte in Absprache mit den anderen Fraktionen, Frau Präsidentin, dazu gleich eine Erklärung für die SPD-Bundestagsfraktion abgeben.
Wir werden heute diesem Vorschlag des Vermittlungsausschusses - wenn auch unter Bedenken - zustimmen.
({0})
Unsere Bedenken machen sich vor allen Dingen daran
fest, daß mit diesem Vorschlag und dem Beschluß des
Vermittlungsausschusses noch nicht alle denkbaren gesetzlichen Möglichkeiten zur effektiven Bekämpfung der Geldwäsche ergriffen worden sind. Wir werden deshalb die Bundesregierung auffordern, weitere Gesetzesinitiativen vorzulegen.
Auch wir selbst werden gesetzesinitiativ werden. Wir werden zu dem jetzt verabschiedeten Geldwäschegesetz einen zusätzlichen Antrag einbringen, der Institutionen oder Spielbanken, die ihre Pflicht zur Mitteilung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden verletzen, gegenüber dem Staat in Höhe der Finanztransaktionen schadenersatzpflichtig machen soll.
Wir werden außerdem beantragen, daß den Steuerbehörden schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung Mitteilung von Banken gemacht werden muß, wenn ein Nachweis über die Herkunft dieser Geldbeträge nicht erbracht werden kann.
Außerdem werden wir beantragen, daß Verdachtsfälle nach dem Geldwäschegesetz auch bei Zweigstellen und Unternehmen deutscher Banken im Ausland mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen belegt werden sollen. Denn die Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen, daß gerade im Ausland in Zweigstellen deutscher Unternehmen Geldwäsche vorgenommen wurde.
({1})
Wir wollen, daß die Geldwäsche künftig bei einfacher Fahrlässigkeit und nicht, wie bisher rechtlich vorgesehen, nur bei Leichtfertigkeit strafbar sein soll.
Der letzte Punkt, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ist: Wir sind uns alle darüber einig, daß eine wirksame Bekämpfung organisierter Kriminalität, insbesondere von Drogenkriminalität, vor allen Dingen im Bereich der Geldwäsche und der Verfolgung von Geldtransaktionen im Inland und im Ausland erfolgen kann. Jedermann weiß aus den Berichten, daß pro Jahr in Deutschland etwa 80 bis 100 Milliarden DM aus organisierter Kriminalität kursieren. Wir glauben, daß mit den weiteren Gesetzesinitiativen, die wir erwarten, in Zukunft die Geldwäsche effektiv bekämpft werden kann.
Dr. Peter Struck Vielen Dank.
({2})
Als Berichterstatter hat Herr Dr. Blens das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Erklärung von Herrn Struck nur eine kurze Erklärung für unsere Fraktion hinzufügen.
Es ist ja die Aufgabe des Vermittlungsausschusses, einen fairen Kompromiß zwischen dem zu finden, was der Bundestag, repräsentiert durch die Bundestagsmehrheit, auf der einen Seite beschlossen hat, und dem, was der Bundesrat, repräsentiert durch die Bundesratsmehrheit, auf der anderen Seite beschlossen und gefordert hat. Ich denke, das, was wir hier vorschlagen, ist ein fairer Kompromiß zwischen diesen beiden Positionen.
Herr Struck hat den Inhalt ja im einzelnen vorgetragen. Wenn man das zusammenfaßt, kommt man zu dem Ergebnis, daß der die Empfehlung des Vermittlungsausschusses zu drei Forderungen des Bundesrates - Wegfall des Anwaltsprivilegs, Wegfall des Strafverteidigerprivilegs und Verlängerung der Frist nach der Ermittlungsbehörden, um einzuschreiten, wenn Verdachtsfälle vorliegen dahin geht, der Forderung des Bundesrates hunterprozentig zu folgen.
Bei der vierten Forderung des Bundesrates ging es um die Herabsetzung des Schwellenwertes von 25 000 auf 15 000 DM. Wir haben das halbiert und sind der Meinung, daß 20 000 DM angemessen ist, um den Geschäftsanfall bei den Banken und, damit die Anhäufung von Daten nicht allzug groß werden zu lassen, was ja auch der Sache der Ermittlungsbehörden nicht unbedingt dienlich wäre; denn in einer Masse von Daten kann man ersaufen, d. h., man kann das Gegenteil von dem erreichen, was man an sich in Sachen Bekämpfung der organisierten Kriminalität erreichen will.
Ich glaube also, wir haben hier einen fairen Kompromiß vorgeschlagen. Wenn Sie das einmal zusammennehmen, so empfehlen wir, 90 % der Forderungen des Bundesrates zu folgen. Deshalb bin ich erfreut, zu hören - es hat ja gestern wohl etwas länger
gedauert -,
({0})
daß sich die Länder offensichtlich alle nun dazu durchgerungen haben, nacher im Bundesrat dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu folgen. Ich freue mich auch, Herr Struck, daß Sie nun heute morgen erklären, daß Ihre Fraktion dem Vorschlag folgt. Ich halte ihn für vernünftig.
Sie haben im Vermittlungsausschuß weitere Forderungen gestellt. Diese Forderungen haben wir nicht in den Vermittlungsvorschlag übernommen, und zwar nicht, weil wir sie alle einfach ablehnen, sondern - ich wiederhole das, was ich schon vorgestern gesagt habe - weil der Vermittlungsausschuß kein Überparlament ist. Der Vermittlungsausschuß ist auch kein Ersatz für ein Parlament. Wenn uns schwierige, auch rechtlich schwierige, Vorschläge im Vermittlungsausschuß gemacht werden, müssen diese zunächst sehr gründlich in den Fachausschüssen des Bundestages und des Bundesrates beraten werden; danach können sie meinetwegen wieder im Vermittlungsausschuß auftauchen.
Wir müssen uns hüten, den Vermittlungsausschuß an die Stelle der Fachberatung hier im Hause und im Bundesrat zu setzen. Deshalb haben wir Ihnen zugesagt: Wenn Sie Ihre Anträge hier einbringen, sei es in laufende Gesetzgebungsverfahren oder sei es, daß Sie einen neuen Gesetzentwurf vorlegen, dann werden wir uns intensiv damit beschäftigen. Wir werden sie sorgfältig prüfen. Wir wollten - ich bleibe dabei, daß das richtig ist - die Sache nicht übers Knie brechen. Deshalb haben wir es nicht in den Vorschlag aufgenommen.
Ich danke allen. Ich danke auch den Kollegen der F.D.P. - das sage ich hier ausdrücklich -, die bei diesem Gesetz nicht nur über ihren Schatten, sondern über mehrere Schatten gleichzeitig springen mußten, um das Ergebnis möglich zu machen. Ich denke, es dient der Sache, daß mit breiter Mehrheit heute hier und heute im Bundesrat der Vorschlag des Vermittlungsausschusses zur Geldwäsche akzeptiert wird.
({1})
Als Berichterstatter hat Herr Mischnick das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrte Kolleginnen und Kollegen! Namens der F.D.P.-Fraktion erkläre ich, daß es uns nicht leichtgefallen ist, diesem Kompromiß zuzustimmen, daß es uns aber darauf ankam, dieses Gesetz so schnell als möglich in Kraft zu setzen, damit die Wirksamkeit der Bestimmungen, die wir hier gefunden haben, erprobt werden kann.
Wir waren überzeugt, daß das, was wir im Bundestag gefunden hatten, die richtige Lösung ist. Da wir wissen, daß es hier zu einer gemeinsamen Lösung kommen mußte, haben wir schließlich zugestimmt - in der Hoffnung, daß das, was wir jetzt gemeinsam beschlossen haben, von allen Seiten so umgesetzt wird, daß es sachlich das erreicht, was wir uns vorgenommen haben.
Wenn im Vermittlungsausschuß zusätzlich Fragen aufgeworfen werden, die nicht Gegenstand der Beratung in den Ausschüssen waren oder nicht ausführlich genug beraten worden sind, muß nach unserer Auffassung erst die Beratung in den Ausschüssen geschehen. Das heißt nicht, daß Vorschläge, die vernünftig sind, nur deshalb als abgelehnt betrachtet werden können, weil sie erst im Verfahren des Vermittlungsausschusses eingebracht werden und nicht einmal im Verfahren beim Bundesrat enthalten waren. Deshalb warne ich davor, die Tatsache, daß andere Vorschläge noch nicht behandelt worden sind, gegen diejenigen auszuschlachten, die eine sachgerechte Beratung im Parlament für notwendig halten.
Ich danke Ihnen.
({0})
Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor der Abstimmung erteile ich Herrn Dr. Hirsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Zusammen mit einigen Kollegen, die zu so früher Stunde nicht hierhergefunden haben - wahrscheinlich weil sie nicht wußten, daß dieser Punkt jetzt auf der Tagesordnung steht -,
({0})
werde ich dem Vermittlungsergebnis trotz aller Anerkennung der Bemühungen, die angestellt und hier eindrucksvoll dargestellt worden sind, nicht zustimmen, weil der Gesetzentwurf zwar mehr kostentreibende Bürokratie schafft, aber in Wirklichkeit die Möglichkeiten, Geldwäsche zu erkennen, verringert; denn es wird nun die von uns neu geschaffene Möglichkeit abgelehnt, erkennbar werden zu lassen, wenn jemand über mehrere Anderkonten bei mehreren Banken über mehrere Anwälte oder Notare Geldbewegungen betreiben will. Das wird nicht mehr erkennbar sein, obwohl das im Gesetzentwurf enthalten war. Und es bleibt dabei, daß wesentliche Lücken bestehen, weil illegales Geld, das aus Bestechung, Betrug, Untreue und Steuerhinterziehung erzielt worden ist, von dem System dieses Gesetzes nicht erfaßt wird, so daß es ohne irgendwelche Sanktionen gewaschen werden kann. Das geht nicht. Deswegen lehne ich und lehnen andere das Vermittlungsergebnis ab.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5720? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Gegenstimmen aus F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten ({1})
- Drucksachen 12/4902, 12/5081, 12/5191,
12/5235, 12/5228, 12/5420, 12/5721
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heribert Blens
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Daher kommen wir unmittelbar zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5721? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung bei Gegenstimmen von SPD und PDS/Linke Liste angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
ZP11 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Berufsbildungsförderungsgesetzes
- Drucksachen 12/3197, 12/4831, 12/5225, 12/5722 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Paul Hoffacker
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Damit kommen wir auch hier zur Abstimmung.
Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5722? - Gegenstimmen? - Die Beschlußempfehlung ist bei drei Gegenstimmen aus SPD und PDS/Linke Liste ohne Stimmenthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18a bis d und den Zusatzpunkt 7 auf:
18. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3})
zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Verheugen, Dr. Uwe Holtz, Norbert Gansel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reform der Vereinten Nationen
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Michaela Blunk ({4}), Günther Bredehorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Die Zukunft der Vereinten Nationen: Aktive Deutsche Mitwirkung an Stärkung und Reform
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Karl-Heinz Hornhues, Karl Lamers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen
- Drucksachen 12/1719, 12/3702, 12/3703, 12/5731 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Dr. Eberhard Brecht Ulrich Irmer
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nichtmilitärische Unterstützung der Vereinten Nationen
- Drucksache 12/3779 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({5}) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hans Modrow, Andrea Lederer, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Reform der Vereinten Nationen
- Drucksache 12/4568 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({6})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe, Vera Wollenberger, Werner Schulz ({8}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch Mitglieder der Bundesregierung wegen der Beteiligung deutscher Soldaten an VN-Einsätzen
- Drucksachen 12/4639 ({9}), 12/5305 Berichterstattung:
Abgeordnete Christian Schmidt ({10}) Dr. Eberhard Brecht
Gerd Poppe
ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerd Poppe, Werner Schulz ({11}), Dr. Wolfgang Ullmann, Vera Wollenberger und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen
- Drucksache 12/5728 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({12})
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es wird höchste Zeit, daß wir uns in diesem Hause abschließend mit den Vorstellungen des Deutschen Bundestages zur Reform der Vereinten Nationen beschäftigen. Der Reformprozeß der Vereinten Nationen ist schneller in Gang gekommen, als die meisten von uns
gedacht haben. Bei aller Sympathie für das, was in New York geschieht, wird man festhalten müssen: Die deutsche Rolle in den Vereinten Nationen ist in den letzten Jahren nicht stärker geworden. Man kann nicht erkennen, daß den großen Ankündigungen, die von verschiedenen Außenministern in den Vollversammlungen der Vereinten Nationen gemacht worden wären, die entsprechenden Taten gefolgt wären.
({0})
Was wir uns wünschen, ist, daß sich dieser Bundestag und diese Bundesregierung endlich mit der Frage beschäftigen, wie man die Vereinten Nationen zu einem Instrument machen kann, das Krisen in der Welt vorbeugend bekämpft und dafür sorgt, daß Krisen gar nicht erst entstehen,
({1})
statt sich ausschließlich mit der Frage zu beschäftigen, wann man unter welchen Bedingungen Militär irgendwo hinschicken muß, um bereits ausgebrochene Krisen zu bekämpfen.
Wir haben deshalb, meine Damen und Herren, unserem Antrag zur Reform der Vereinten Nationen einen neuen und erweiterten Sicherheitsbegriff zugrunde gelegt. Wir müssen erkennen: Das friedliche Zusammenleben der Völker wird nicht nur durch Kriege und Bürgerkriege bedroht. Massenarmut, Verelendung, Flüchtlingsströme, Umweltzerstörungen, Ressourcenverschwendung, alle diese globalen Probleme bedrohen das Überleben der Menschheit und unsere Sicherheit.
Wir haben keine Alternative. Durch Abkapselung der reichen und friedlich zusammenlebenden Länder ist uns nicht gedient. Unser ureigenes Interesse verlangt geradezu, daß wir uns auch für den Frieden und den Wohlstand anderer Völker einsetzen. Nur so können wir unsere eigene friedliche und wirtschaftliche Entwicklung sichern.
Man kann über den Zustand der Vereinten Nationen denken, wie man will. Auch wir denken zunehmend skeptischer darüber, wenn wir sehen, in welcher Weise sich frühere Großmächte oder die letzte übriggebliebene Großmacht dieses Instruments bedienen. Es bleibt aber kein Zweifel daran: Es gibt kein anderes Instrument als die Vereinten Nationen, das für eine wirkliche Weltfriedenspolitik sorgen kann. Es gibt keine andere Instanz in der Welt, die das tun kann.
({2})
Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation hatte sich, wie Sie alle wissen, die Blockade im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen aufgelöst. Die neuen Handlungsfähigkeiten wurden und werden zusätzlich durch einen ehrgeizigen und reformfreudigen Generalsekretär erweitert. Er hat mit der Agenda für den Frieden wichtige Ziele formuliert und bemüht sich auch darum, Reformvorhaben voranzutreiben. Dennoch ist die Situation der Vereinten Nationen heute angesichts der historischen Chancen und der friedenspolitischen Anforderungen weltweit in Wirklichkeit tief bedrückend. Mehr denn je gilt die Formel, daß die Vereinten Nationen nicht mehr leisten können, als
die wichtigsten Mitgliedstaaten ihr zu leisten erlauben.
Ständig bewegt sich die UNO am Rande des finanziellen Bankrotts. Dies lähmt die Vereinten Nationen in allen Bereichen, von der Verwaltung bis hin zu den entwicklungspolitischen Programmen. Dramatisch ist die Lage bei der Finanzierung der friedenserhaltenden Maßnahmen. 3,6 Milliarden Dollar sind allein in diesem Jahr für „peace keeping " -Operationen vorgesehen. Aber weniger als die Hälfte davon ist von den Mitgliedsländern bereits bezahlt. Diese Haushaltssituation der Vereinten Nationen erschwert zukünftige Einsätze und verlängert die Reaktionszeit in Krisen auf unerträgliche Weise, weil notwendiges Material nicht auf Vorrat ist. Diese Situation führt dazu, daß Friedensmissionen ganz und gar scheitern, wie das beispielsweise in Angola geschehen ist, wo das Geld nicht zur Verfügung stand, um eine wirklich ausreichende Friedensoperation in Gang zu bringen. Das Morden, das heute in Angola stattfindet, ist nur deshalb möglich, weil die Völker der Welt nicht bereit gewesen sind, die Dollars aufzubringen, die man bräuchte, um eine umfassende Friedensoperation in Angola zu finanzieren.
Es ist mehr als bedauerlich, daß wir immer noch in einer Welt leben, in der Unsummen in Rüstungsgüter und die Unterhaltung von Armeen investiert werden, anstatt diese Mittel den Vereinten Nationen für konflikverhütende und friedenserhaltende Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Bundesrepublik sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte einige Sätze zu den verschiedenen Anträgen sagen, die zur Abstimmung stehen. Wir hatten im Auswärtigen Ausschuß eine aktualisierte Fassung unseres Antrages vom Dezember 1991 vorgelegt, die heute auch hier in der Beschlußempfehlung enthalten ist. Die Zielrichtung bleibt aber die gleiche. Wir wollen Hinweise geben, wo pragmatisch und kurzfristig auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen Verbesserungen möglich und notwendig sind.
Andererseits weisen wir darauf hin, wo eine grundlegende Reform des UNO-Systems nötig ist. Ich weiß wohl, daß dieser Gedanke einer grundlegenden UNO-Reform als utopisch erscheint. Aber man muß auch in der Lage sein, eine langfristige Zielsetzung zu formulieren. Ich sehe keine andere Möglichkeit, denn unsere außenpolitischen Anstrengungen sollten ohne Wenn und Aber auf eine stabilere, gerechtere und friedlichere Weltordnung zielen. Erreichen können wir das durch eine wesentlich verbesserte internationale Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen.
Die Reformvorstellungen meiner Fraktion betreffen die Arbeitsmöglichkeiten der Vereinten Nationen insgesamt, insbesondere die Stellung des Generalsekretärs, die Organisation des Generalsekretariats und die Finanzierung der UNO. Sie betreffen das Mandat und die Zusammensetzung des Sicherheitsrates. Hier treten wir vor allem dafür ein, daß der Sicherheitsrat in seiner Zusammensetzung repräsentativer im Sinne einer Vertretung der Weltbevölkerung sein muß.
Wir setzen uns für eine verbesserte Menschenrechtspolitik, einen erweiterten Katastrophenschutz und eine verstärkte Flüchtlingshilfe im Rahmen der Vereinten Nationen ein. Breiten Raum nimmt auch der Komplex Umwelt und Entwicklung ein. Natürlich ist der Bereich der Friedenssicherung von besonderer Bedeutung.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß es Bemühungen gegeben hat, einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD zustande zu bringen. Dies ist leider nicht möglich gewesen. Ich bedaure das. Nichtsdestoweniger will ich hier festhalten, daß in den Grundlinien und praktischen Inhalten die hier vorliegenden Anträge sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden und daß bei dem, was heute hier verabschiedet werden wird, ein deutlicher Wille des Deutschen Bundestages in Richtung Bundesregierung sichtbar werden wird, welche Leitlinien, welche Grundsätze, welche Grundgedanken ihrer UNO-Politik in den nächsten Jahren zugrunde liegen sollen.
Es gibt einen Punkt, meine Damen und Herren, auf den ich noch besonders eingehen muß. In dem Antrag der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion „Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen" werden Aussagen gemacht, denen wir nicht zustimmen können. Wir werden diesen Antrag ablehnen.
Hier geht es um die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Friedensoperationen der Vereinten Nationen. Sie verwenden in diesem Antrag den Begriff „friedensschaffende Maßnahmen". Ich müßte Sie hier doch sehr herzlich darum bitten, von diesem Begriff endlich Abstand zu nehmen. Es ist wirklich eine unerträgliche Vergewaltigung der deutschen Sprache, als friedensschaffende Maßnahme das Schlimmste zu bezeichnen, was Menschen sich gegenseitig antun können, nämlich Krieg gegeneinander zu führen.
({3})
Die UNO selber, wenn ich das einmal sagen darf - vielleicht überzeugt Sie das mehr -, verwendet den Begriff „friedensschaffende Maßnahmen" für den Bereich der Kriegsführung nicht. Wenn die UNO von „peace making", friedensschaffenden Maßnahmen, spricht, handelt es sich um ein politisches Gesamtkonzept, handelt es sich darum, mit politischen, diplomatischen und gegebenenfalls auch Mitteln der militärischen Absicherung ein politisch bereits ausgehandeltes Friedenskonzept zu realisieren. Also sollten wir diesen Ausdruck bitte nicht mehr verwenden.
Wir verfolgen sehr genau, was sich im Bereich der Vereinten Nationen tut. Ich sehe mit einem gewissen Vergnügen, wenn sich der Bundesaußenminister - ich freue mich, daß er hier ist und das hören kann - neuerdings hinter der SPD versteckt. Angeblich verhindern ja die deutschen Sozialdemokraten die deutsche UNO-Fähigkeit. Herr Außenminister, Sie können die SPD nicht dafür verantwortlich machen, daß die Bundesregierung die Vereinten Nationen im Bereich der Friedenssicherung so wenig unterstützt,
obwohl die SPD diese Unterstützung schon so lange fordert.
({4}) - Ja, es ist so.
Die Vereinten Nationen haben friedenserhaltende Maßnahmen und insbesondere die vorbeugende und konfliktschlichtende Diplomatie in den Mittelpunkt ihrer eigenen Aktionen gestellt. In mehreren umfangreichen Sitzungen und Berichten hat die Sonderkommission für friedenserhaltende Maßnahmen Vorschläge zur Verbesserung der UN-Blauhelmmissionen gemacht. Auch der Nordatlantische Kooperationsrat baut Blauhelmmissionen aus. Im Bericht an die 48. UNO-Generalversammlung unterstützt die Peace keeping commission der UNO die Initiativen des Generalsekretärs zum Aufbau von Bereitschaftskräften und zum Abschluß von Verträgen mit den UNO-Mitgliedern über die ständige Bereitstellung von militärischem, polizeilichem und zivilem Personal zur kurzfristigen Teilnahme an friedenserhaltenden Missionen.
Ein besonderer Fonds für die verbindliche und rechtzeitige finanzielle Ausstattung soll geschaffen werden, um Friedensmissionen rechtzeitig und kurzfristig in Gang bringen zu können. Die UNO legt besonderen Wert auf die spezielle Ausbildung der zivilen, polizeilichen und militärischen Teilnehmer an Friedensmissionen. Denn im Unterschied zu Kampfeinsätzen erfordern die Grundregeln von Peace keeping Fähigkeiten des Personals, die weit über die militärischen Grundfertigkeiten hinausgehen, individuelle Verantwortlichkeit, Fähigkeit zum Verhandeln zwischen zwei Streitparteien, strikte Unparteilichkeit gegenüber Konfliktparteien, Standfestigkeit und eine enorme psychische Stabilität, um auch in komplizierten Situationen Gewalt möglichst zu vermeiden.
Darüber hinaus werden von den Teilnehmern an Friedensmissionen Kenntnisse der örtlichen Gesetze, Regeln und Eigenarten der Bevölkerung erwartet. Nicht ohne Grund legt das UNO-Sonderkomitee für friedenserhaltende Maßnahmen großen Wert auf die besondere Ausbildung der militärischen und nichtmilitärischen Peacekeeper.
Das Fehlverhalten von Blauhelmsoldaten z. B. in Bosnien und in Somalia schadet dem Ruf der Vereinten Nationen und schadet der gesamten Idee der friedenserhaltenden Maßnahmen. Das rücksichtslose Verlassen der Grundsätze der Blauhelmmissionen in Mogadischu treibt die Vereinten Nationen womöglich in ihr ostafrikanisches Vietnam. Die UNO muß wieder zu ihren Prinzipien zurückkehren, nämlich unparteiisch Kriegsparteien zur Kooperation zu veranlassen.
({5})
Meine Damen und Herren, weitere zentrale Elemente der Vorschläge im Bericht des Sonderkomitees für friedenserhaltende Operationen sind der Ausbau präventiver Maßnahmen zur Veränderung von Konflikten und zur Unterstützung friedlicher Streitbeilegung.
({6})
Des weiteren sollen regionale Organisationen nach Kapitel VIII der UNO-Charta wie die KSZE besonders gefördert werden im Bereich der vertrauensbildenden Maßnahmen, der Tatsachenfeststellung, der Vermittlung, der Beobachtung von Friedensmissionen und bei der Friedensstabilisierung nach Beendigung von Konflikten. Das alles sind die Dinge, die im Mittelpunkt der UNO-Aktivitäten zur Friedenssicherung stehen.
Die Vereinten Nationen haben ihre Mitglieder gefragt, inwieweit sie bereit sind dabei zu helfen. Ich will nur darauf hinweisen, daß sämtliche skandinavischen Länder, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden, positiv auf die Anfrage des UNO-Generalsekretärs vom Juni 1993 geantwortet haben und die konkrete Hilfe angeboten haben im Bereich der ständigen Bereitschaftskräfte für Friedensmissionen, der zentralen Koordination und Organisation von Friedensmissionen in New York, bei der speziellen Ausbildung von UN-Personal und bei der Errichtung eines Reservefonds für Friedensmissionen.
Wo aber, Herr Dr. Kinkel, bleibt Deutschland? Wo ist die Zustimmung der Bundesregierung? Wo ist die Zustimmung der Bundesregierung zu dem Wunsch, den die Vereinten Nationen auch an Deutschland herangetragen haben?
Im Namen der SPD kann ich hier feststellen, daß alles das, was die Vereinten Nationen durch den Generalsekretär von ihren Mitgliedern erwarten, die uneingeschränkte Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion findet.
({7})
Wie kann jemand angesichts dieser Tatsache von einer Blockade der deutschen UNO-Politik durch die SPD reden? Hier blockieren sich andere gegenseitig, und sie wollen sich unter uns verstecken.
({8})
- Lieber Herr Irmer, Sie freuen sich so, Sie amüsieren sich so. Ich sage Ihnen: Niemand in den Vereinten Nationen fordert von Deutschland das, worüber Sie die ganze Zeit diskutieren, nämlich die Bereitstellung von Kampftruppen unter einem UNO-Kommando. Niemand verlangt das.
({9})
Entsprechende Vorschläge gemäß Art. 43 der UNO-Satzung sind von fast allen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates abgelehnt worden. Die USA lehnen die Bereitstellung amerikanischer Kampftruppen unter ein UNO-Kommando aus verfassungsrechtlichen Gründen ab. Behauptet irgend jemand auf der Welt, daß die Vereinigten Staaten deshalb nicht UNO-fähig wären?
Ähnliches gilt für Japan. Ist Japan UNO-unfähig, weil es keine Kampftruppen, sondern nur unbewaffnete Blauhelme schicken will?
Meine Damen und Herren, hören Sie endlich mit dieser Diskussion über etwas, was es bei den VereinGünter Verheugen
ten Nationen nicht gibt, was die Vereinten Nationen nicht wollen, was niemand von uns verlangt, auf. Was von uns verlangt wird, ist, daß wir endlich bereit sind, das zu tun, was ein politisch und wirtschaftlich so starkes Land wie Deutschland für die Vereinten Nationen tun soll, nämlich ihnen zu helfen, daß sie ihren friedenssichernden und friedenserhaltenden Auftrag auch tatsächlich durchführen können.
({10})
Die unendliche, manipulative Diskussion, die hier über die angebliche Notwendigkeit von Kampfeinsätzen geführt wird, kommt uns wirklich allmählich so vordergründig vor, daß wir fragen müssen: Was wollen Sie eigentlich in Wirklichkeit damit erreichen? Auf was wollen Sie das deutsche Volk vorbereiten?
({11})
Um eine Weltfriedensinstanz, um Weltinnenpolitik, um Hilfe, meine Damen und Herren, geht es dabei nicht. Dabei geht es um außenpolitische Interessen, die Sie nicht wagen, hier von diesem Pult aus offen und öffentlich zu bekennen.
({12})
Sehen Sie endlich ein, daß die Vereinten Nationen Personal und Geld für friedenserhaltende Maßnahmen brauchen und daß es überhaupt nicht darauf ankommt, darüber zu reden, ob die Bundeswehr irgendwo in der Welt in Kriege geführt wird oder nicht. Die UNO will solche Kriege nicht. Wir wollen solche Kriege auch nicht, aber wir wollen helfen, damit Konflikte vermieden werden, damit Konflikte beigelegt werden und damit Frieden in dieser Welt möglich wird.
({13})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Ruck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rechtzeitig zur diesjährigen Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York haben wir heute im Deutschen Bundestag die Chance, ein Signal an die Völkergemeinschaft zu senden: ein Signal, das verdeutlichen soll, welchen Stellenwert wir den Vereinten Nationen beimessen, wie wir ihre Zukunft sehen und wie sich das souveräne, wiedervereinigte Deutschland darin einbringen will.
Wir wollen es sicher anders, als dies von meinem Vorredner Verheugen geschildert worden ist.
({0})
Ich muß sagen, ich finde einige Passagen in Ihrer Rede sehr seltsam, Herr Verheugen: als ob die Bundesrepublik Deutschland auch unter sozial-liberaler Koalition nicht wirklich sehr viel für friedenssichernde Maßnahmen, für humanitäre Einsätze bei der UNO getan hätte, und als ob wir nicht seit langem einer der wichtigsten Geldgeber für diese Vereinigung gewesen wären.
Ich glaube nicht, daß der verstorbene Willy Brandt mit den Aussagen, die Sie zu Ihrer eigenen UNO-Politik früher getroffen haben, einverstanden wäre.
({1})
Ich glaube, unser Signal muß lauten: Die UNO ist für uns wieder ein politischer Hoffnungsträger. Stärkung und Reform der Vereinten Nationen sind dringend. Deutschland ist entschlossen, diese Reform mit zu gestalten und mit zu verantworten.
Die Reform der Vereinten Nationen ist möglicher denn je, aber sie ist auch dringender denn je. Sie ist möglich, weil das Ende des Kalten Krieges - wir hoffen alle, daß es ein bleibendes Ende ist - die Selbstblockade der UNO gelöst hat und den Blick auf die eigentlichen Probleme dieser Welt freigemacht hat.
Sie ist dringender denn je, weil diese Probleme vor unseren Augen von Tag zu Tag wachsen: die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen, das Flüchtlingselend, das organisierte Verbrechen, die Kriege und Bürgerkriege und die entsetzlichen massenhaften Verletzungen der Menschenrechte nicht zuletzt auch durch die Nationalitätenkonflikte in Ost- und Südosteuropa.
Die UNO hat versucht, diese Lähmung des Ost-West-Konfliktes abzuschütteln. Das letzte Veto eines Sicherheitsratsmitglieds liegt lange zurück; entschlossen hat Boutros-Ghali die Reformen angepackt, die in seiner Kompetenz liegen; die UNO hat neue, wenn auch nicht unumstrittene Wege beschritten, um schier unlösbare Konflikte zugunsten der geschundenen Bevölkerung doch zu lösen, wie in Somalia und Kambodscha.
Dennoch ist offenkundig, daß die UNO den gewaltigen Aufgaben und neuen Möglichkeiten in ihrer derzeitigen Verfassung nicht gewachsen ist - weder politisch noch administrativ. Die Organisation ist zu schwerfällig und zuwenig effizient; die Zusammensetzung des Sicherheitsrates ist nicht mehr zeitgemäß, seine Beschlüsse kämpfen mit Akzeptanzproblemen, nicht zuletzt auch in den Entwicklungsländern.
Die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen bei internationalen Streitigkeiten, Bürgerkriegen, Umweltverbrechen und massiven Menschenrechtsverletzungen ist zu gering. Hier setzen die beiden Reformvorschläge in den Anträgen von CDU/CSU und F.D.P., aber auch die Vorschläge der SPD an.
So sehr ich bedauere, Herr Verheugen, daß trotz der gemeinsamen Anstrengungen, insbesondere auch der Entwicklungspolitiker aller Parteien, ein gemeinsamer Antrag nicht zustande gekommen ist, stelle ich fest, daß gut 90 % unserer Vorschläge ein gemeinsames Signal der Koalitionsparteien und der SPD an die Vereinten Nationen sind.
Wir sind uns einig, daß die Entwicklungshilfe im UN-System gestärkt und besser koordiniert werden
muß, sowohl innerhalb des Systems als auch nach außen, z. B. mit der Weltbank. Dasselbe gilt - gerade nach der Rio-Konferenz - für den Umweltbereich, der ebenfalls nach wie vor schwachbrüstig und zu unkoordiniert ist. Wir sind uns einig darin, daß die Finanzierung des UN-Systems endlich auf neue Beine gestellt werden muß. Gemeinsam wollen wir die Feindstaatenklausel gestrichen sehen, gemeinsam machen wir Vorschläge für einen wirkungsvolleren Schutz der Menschenrechte durch die UNO, für verbesserte und erweiterte Möglichkeiten friedenssichernder Maßnahmen im zivilen Bereich, bei der Konfliktvorbeugung durch Blauhelme und beim Kampf gegen die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen.
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß diese genannten Schwerpunkte deutlich mehr Raum einnehmen - in unseren Anträgen wie in dem der SPD - als z. B. Fragen nach Änderungen des Sicherheitsrates oder nach Kampfeinsätzen. Auch dies ist ein Signal: Wir sind gemeinsam davon überzeugt, daß die wichtigsten Voraussetzungen für Frieden, Demokratie und Wahrung der Menschenrechte in konfliktvorbeugenden Maßnahmen und der Bekämpfung möglicher Konfliktursachen besteht, so auch Boutros-Ghali eindrucksvoll in seiner „Agenda für den Frieden".
Was sollen wir aber dort tun, wo Skrupellosigkeit, Niedertracht und Torheit zu jenen grauenhaften Entgleisungen sogenannter Politiker und Machteliten führen, wie in Kambodscha, Ex-Jugoslawien, Somalia, Sudan und vielen anderen Orten, oder wo die internationale Sicherheit so ungeniert nachhaltig und ungebrochen gefährdet wird, wie durch das internationale Verbrechertum?
Die Tragödie im ehemaligen Jugoslawien liegt doch nicht in mangelnder Entwicklungshilfe, fehlendem Frühwarnsystem oder fehlenden diplomatischen Bemühungen der UNO zur friedlichen Streitbeilegung begründet. Ihr engagierter, gefährlicher, aber zahnloser Einsatz wurde zur Blamage - denken wir an das Katz- und Mausspiel bei den Hilfslieferungen - zu Lasten hunderttausender unschuldiger Opfer des Krieges. Diese Blamage setzt ein falsches Signal für potentielle Barbaren in anderen Teilen der Welt.
Auch ich habe kein Patentrezept für das richtige Verhalten der Völkergemeinschaft in einem so schlimmen und komplizierten Fall wie Jugoslawien. Aber eines ist sicher: Wir müssen uns entscheiden, ob wir die Vereinten Nationen in einen Zustand versetzt sehen wollen, mit dem sie Aggression, Gewalt, Unterdrückung und internationale Bedrohung entschiedener bekämpfen können als bisher, notfalls auch mit Gewalt, wenn kein anderes Mittel mehr übrigbleibt.
({2})
CDU/CSU und F.D.P. haben diese Entscheidung getroffen. Wir wollen auch hier eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir wollen den Sicherheits- und Friedensbegriff des Art. 39 der UNO-Charta ebenfalls erweitern. Der Sicherheitsrat soll nicht nur, wie dies bisher der klassische Fall war, bei der Aggression eines Landes auf die Nachbarschaft eingreifen können, sondern auch bei massiven Menschenrechtsverletzungen
innerhalb eines Landes, bei gefährlicher Umweltzerstörung, bei der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, beim weltweiten Drogenhandel und bei der Bekämpfung der Ursachen von schwerwiegenden Flüchtlingsproblemen.
Wir wollen die Einrichtung eines UN-Menschenrechtsgerichtshofes und eines internationalen Gerichtshofes für Kriegsverbrechen; aber so, daß diese Gerichtshöfe nicht nur Urteile auf dem Papier produzieren, sondern die UN auch die Instrumente an die Hand bekommt, diese Urteile zu vollziehen.
({3})
Wir wollen schließlich die Aktivierung des Generalstabsausschusses nach Art. 47 der Charta in Verbindung mit einer Verwirklichung des Art. 43. Dort ist der Abschluß von Sonderabkommen vorgesehen, mit denen die Mitgliedstaaten Streitkräfte in ständiger Verfügbarkeit für die UN bereithalten - allerdings auf der Basis jeweiliger nationaler Entscheidungen. Auch das, Herr Verheugen, hat Boutros-Ghali ausdrücklich in seiner Agenda für den Frieden angemahnt.
Diese Forderungen sind jedoch nicht zu trennen von unserem Vorschlag zu einer Reform des Sicherheitsrates. Dabei denken wir nicht nur an eine mögliche Aufnahme von Japan und Deutschland als neue ständige Mitglieder, sondern auch an eine stärkere Einbeziehung der sogenannten Dritten Welt. Ich bin davon überzeugt, daß wir Effizienz und Durchsetzungsvermögen der Vereinten Nationen langfristig nur sichern können, wenn wir auch die Entwicklungsländer mit Sitz und Stimme an der Verantwortung im Sicherheitsrat teilnehmen lassen.
({4})
Dies gilt gerade auch, wenn es um Entscheidungen über friedenssichernde und friedensschaffende Maßnahmen geht. Ich könnte mir vorstellen, daß die Entwicklungsländer unter sich jeweils einen Vertreter aus Asien, Afrika und Lateinamerika auf Zeit für dieses wichtige Gremium benennen.
Denkbar und wünschenswert wäre auch die Vertretung von Teilen der Erde durch regionale Zusammenschlüsse - vorausgesetzt, sie sind funktionsfähig und demokratisch legitimiert. Den Prozeß dazu könnte die Europäische Gemeinschaft mit gutem Beispiel und einem gemeinsamen Sitz im Weltsicherheitsrat sicher beschleunigen.
Einwände, daß eine Erweiterung des ständigen Sicherheitsrates schnell auch zu einer erneuten Lähmung führen könnte, nehmen wir sehr ernst. So ist zu diskutieren, ob man bei einer Erweiterung die Vetoregeln so ändert, daß nur jeweils zwei Länder gemeinsam ein gültiges Veto aussprechen können. Auf keinen Fall aber darf es im ständigen Sicherheitsrat zu einem Zwei-Klassen-System kommen, nämlich zu Staaten mit und ohne Vetorecht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Verwirklichung unseres Antrags setzt natürlich einen gewaltigen internationalen politischen Kraftakt voraus. Es sind auch Änderungen der UN-Charta mit all den damit verbundenen Mehrheits- oder sogar Einstimmigkeitsgrundsätzen im System notwendig. Ein
solcher Kraftakt wäre vor einigen Jahren völlig undenkbar gewesen.
Die Vereinten Nationen stehen jedoch nun in einer Zerreißprobe zwischen den gewaltigen Ansprüchen und Hilferufen einerseits und ihren derzeitigen Möglichkeiten andererseits. Eine marginale Reform würde der Weltgemeinschaft nichts nützen. Ich habe den Eindruck, daß immer mehr Mitglieder der Vereinten Nationen - auch im Weltsicherheitsrat - diese Meinung teilen.
Deutschland hat an einer grundlegenden Stärkung und Reform der Vereinten Nationen ein überragendes Interesse - nicht nur, weil wir einer der größten Geldgeber sind. Denken wir an unsere sensible geographische und geopolitische Lage in Mitteleuropa, an unsere massive Betroffenheit bei all den genannten globalen Problemen wie den Flüchtlingsströmen und dem Drogenkrieg, und denken wir daran, daß wir nach unserem Grundgesetz denselben Grundwerten und den gleichen moralischen Handlungsmaximen verpflichtet sind, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen zum Ausdruck gebracht worden sind.
Es ist deshalb keineswegs Großmannssucht - und dies wird auch international nicht so gesehen -, wenn wir uns bei einer Erweiterung des Sicherheitsrates ebenfalls um einen Sitz als ständiges Mitglied bemühen, wenn die Europaoption nicht zum Tragen kommt.
Aber es ist eine Illusion zu glauben, daß wir zwar erstklassig in den Rechten werden könnten, aber in den Pflichten zweitklassig blieben. Willy Brandt hat vor 20 Jahren den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen unterschrieben und feierlich erklärt, die Charta der UNO zu akzeptieren. Er hat dabei Kap. 7 nicht ausgenommen.
Gesetzt den Fall, die Opposition bliebe bei ihrem Nein zu einer Option Deutschlands, sich an solchen UNO-Aktionen zu beteiligen, die humanitäre Hilfe und das Völkerrecht notfalls auch unter dem Schutz von Waffen oder mit deren Hilfe durchzusetzen, meine Damen und Herren, so wäre dies realpolitisch gleichzeitig auch das Nein der SPD zu einer stärkeren Einflußnahme unseres Landes auf die Reform der Vereinten Nationen, wäre das Nein zu einem möglichen Sitz als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat und damit auch das Nein zu einer stärkeren und natürlich auch eventuell zu einer mäßigenden Einflußnahme auf das Ob und Wie von friedenssichernden und friedensschaffenden Maßnahmen der UNO. Wir können nicht anderen vorschreiben, daß sie für unsere moralischen Empfindungen den Kopf hinhalten sollen, wenn wir uns selbst flugs aus dem Staube machen, sobald die Konsequenz unsere moralischen Empfindungen schmerzt.
({5})
In Somalia sucht die SPD krampfhaft und mit der Lupe nach der Grenze von Humanität und dem Anfang von Logistik - als ob es wirklich darum ginge. Die Somalia-Aktion der UNO ist sicher nicht fehlerfrei verlaufen. Aber vor dem Eingreifen der UNO sind täglich tausend Menschen, zumeist unschuldige Zivilisten, an der Unfähigkeit und Barbarei selbsternannter Eliten gestorben, denen das Schicksal der eigenen Bevölkerung vollkommen gleichgültig war und ist.
({6})
Wer dies ändern will - ich wende mich auch an die mir sehr vertrauten Entwicklungspolitiker, die doch genau wissen, in welchem Zustand sich viele Entwicklungsländer und ihre Bevölkerungen befinden, Herr Professor Holtz -, muß notfalls und gegebenenfalls auch konsequent sein. Sonst wird jede moralische Entrüstung zur Farce.
({7})
CDU/CSU und F.D.P. bekennen sich in den vorliegenden Anträgen zur gestiegenen Verantwortung Deutschlands in der Weltgemeinschaft und zu ihrem Interesse an einer aktiveren Rolle der Bundesrepublik im Rahmen der Vereinten Nationen. Boutros-Ghali hatte recht, als er vor kurzem sagte: Die Vereinten Nationen haben durch das Ende des Ost-West-Konflikts eine zweite Chance bekommen. Ob sie jemals eine dritte erhalten werden, ist unsicher.
Meine Damen und Herren, wir sollten alle mit unseren Kräften mithelfen, daß die Weltgemeinschaft nicht noch einmal Jahrzehnte darauf warten muß, daß sie vielleicht eine dritte Chance bekommt.
Vielen Dank.
({8})
Als nächster spricht der Abgeordnete Ulrich Irmer.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig: Nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes haben die Vereinten Nationen eine neue Chance bekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es die Vision, es solle nie wieder Krieg geben dürfen, es solle nie wieder Gewalt angewendet werden dürfen auf der Welt, und wenn irgend jemand den Frieden stören sollte, dann sollten es die Vereinten Nationen sein, die als einzige berechtigt wären, den Frieden wiederherzustellen. Es gab die Vision von Weltinnenpolitik und die Vision eines Gewaltmonopols, das bei den Vereinten Nationen liegen sollte. Diese Visionen haben sich nicht verwirklicht. Der Kalte Krieg war davor. Erst jetzt, seit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes, besteht wieder eine Chance, daß wir diesen alten Visionen näherrükken.
Man wird leicht verlacht, wenn man von Visionen spricht. Man wird darauf hingewiesen, daß sich die Politik mit Realitäten zu beschäftigen habe, mit dem, was man vorfindet, daß man sich mehr oder weniger mit dem abzufinden hätte, was nicht in ganz kleinen Schritten von Tag zu Tag erreicht werden kann. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube: Wir tun alle miteinander gut daran, uns an Visionen zu erinnern, Visionen weiterzuentwickeln und anzustreben, daß
wir vielleicht eines Tages wenigstens einen Teil dieser Visionen umsetzen können.
({0})
Hier ist es die Idee der Weltinnenpolitik, die wir mit der Institution Vereinte Nationen verknüpfen: Wie wir in unserem Staat ein Gewaltmonopol haben, in unserer Gesellschaft dem Staat das Gewaltmonopol zuweisen, so könnte man sich doch auch die Welt vorstellen.
Rechtsbrecher wird es immer geben. Die gibt es bei uns im Inneren, die gibt es auch außerhalb unserer Grenzen. Es gibt ja traurige Beispiele. So wie wir sagen, wir haben staatliche Organe, die dann für Ordnung sorgen, staatliche Organe, die natürlich zunächst einmal dafür sorgen, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind, daß keine Gewalt aufkommen dürfte, haben diese Aufgabe weltweit die Vereinten Nationen.
Es ist doch so - und da haben alle recht, die das gesagt haben -: Die Vereinten Nationen sind in erster Linie dafür verantwortlich, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die ökologischen Verhältnisse auf der Welt besser werden. Hier sind die Vereinten Nationen gefordert. Wer sollte es denn sonst tun können?
Hier müssen wir die bestehenden Institutionen stärker mit Leben erfüllen. Wir brauchen die Reformschritte, die in den Anträgen angedeutet sind. Auch die SPD macht da ja durchaus vernünftige Vorschläge und ist da nicht weit von uns entfernt. Wir müssen diese Reformschritte tun. Wir als Deutsche müssen dabei helfen, daß es geschieht.
Wir brauchen natürlich die Reform der Institutionen. Der Generalsekretär muß in seinen Möglichkeiten gestärkt werden, die Generalversammlung muß handlungsfähiger werden, das Finanzsystem muß in Ordnung gebracht werden. All die Unterorganisationen der Vereinten Nationen, die sich eben mit solchen Dingen wie Entwicklung, Zusammenarbeit, Umweltschutz beschäftigen, müssen umstrukturiert, besser aufeinander abgestimmt, in ihrer Finanzierung gestärkt werden. All dies ist unbestritten. Leisten wir dazu unseren Beitrag!
({1})
Es gibt noch mehr, was wir weiterentwickeln müssen. Ich habe dies gestern in der Debatte zu Bosnien kurz angedeutet, ich möchte es hier als Prinzip wiederholen: Wir müssen unser Völkerrecht weiterentwickeln. Das Völkerrecht ist bisher daran orientiert, daß es Auseinandersetzungen zwischen Staaten gab, zwischen einem Staat und einem anderen. Hierfür haben wir Regeln.
Wir haben keine Regeln dafür, jedenfalls keine ausreichenden Regeln, was geschieht, wenn es innerhalb von Staaten zu Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Gruppen, zwischen einzelnen Völkern kommt, wie wir es jetzt in so schrecklicher Weise im ehemaligen Jugoslawien erleben. Hier ist unser Völkerrecht nicht weit genug entwickelt. Wir sollten uns Gedanken machen, was wir da tun können.
Ich rege auch an, daß wir uns hier im Bundestag, vielleicht in einer Arbeitsgruppe, zusammensetzen und dies einmal angreifen, um dann Anregungen zu erarbeiten.
Was ist z. B. mit dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts? Das steht doch nicht isoliert da. Es kann doch nicht irgendein Volk, das innerhalb eines Staates mit anderen Völkern zusammenlebt, sagen, wir nehmen jetzt unser Selbstbestimmungsrecht in Anspruch, und ohne Rücksicht auf andere Völkerrechtsprinzipien setzen wir das auch durch.
Das Selbstbestimmungsrecht ist natürlich ein wesentliches Recht. Gerade wir Deutsche haben auf Grund unseres Selbstbestimmungsrechts auch unsere Vereinigung erzielen können. Aber das Selbstbestimmungsrecht ist nicht isoliert, sondern es ist begrenzt, eingeschränkt durch andere Prinzipien.
Ich meine z. B., kein Staat soll entstehen dürfen, wenn nicht vorher ganz verbindlich festgelegt worden ist, auch mit Garantien darauf, daß er in seinem Lande Minderheiten anständig behandelt und ihnen Autonomierechte gewährt.
({2})
- Lieber Herr Brecht, wir sind uns ja hier völlig einig, daß eben dies auch der Punkt ist, wo es in Jugoslawien nicht geklappt hat, daß diese Regeln bisher nicht bestehen. Und weil sie nicht bestehen, weil wir solche Entwicklungen für die Zukunft verhindern wollen, müssen wir solche Rechte entwickeln und dann auch in internationales Recht umsetzen.
Ich sprach von Autonomierecht. Auch das Autonomierecht ist natürlich kein absolutes Recht, sondern hat einen Gegenpol im Loyalitätsanspruch, den ein Staat erheben kann, wenn er bereit ist, Minderheiten und einzelne Gruppen anständig, menschenwürdig zu behandeln und ihnen Autonomierechte zu gewährleisten.
Lassen Sie mich hier ein Wort zur Situation der Kurden sagen. Wir werden ja nachher in der Aktuellen Stunde dieses Thema haben. Ich meine sehr wohl, daß die Türkei in der Behandlung der Kurden noch etwas nachzuholen hat, daß die Situation so nicht bleiben kann, daß die Kurden einen Anspruch auf Autonomie haben. Aber dann hat umgekehrt auch die Türkei den Anspruch, daß die kurdische Bevölkerung, wenn sie denn Minderheitenrechte, Autonomierechte bis zur politischen Autonomie innerhalb des Landes erhält, loyal zum Staat Türkei steht.
({3})
Ich will nur darauf hinweisen, daß wir aufhören müssen, uns einzelne Rechtsaspekte herauszupicken, wie sie uns gerade passen, und sie je nach Sympathie absolut zu setzen und dabei zu vergessen, daß jedes Recht in seiner Theorie, aber auch in seiner praktischen Ausübung durch andere Rechte begrenzt ist.
({4})
Das ist innerstaatlich so, das ist auch so im Leben der Völker und der Volksgruppen miteinander.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt, wie wir Fortschritte erzielen können. Wir haben ja in Europa und im nordatlantischen Raum gesehen, welche Erfolge das Institut KSZE, Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, erzielen konnte. Gerade beim Abbau des Ost-West-Konfliktes hat sich diese Konferenz, die anfangs belächelt, zum Teil auch abgelehnt wurde, zu einem unglaublich vitalen und dynamischen Prozeß entwickelt, der die Welt in ihrer Struktur, in ihrem Gefüge, in dem sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet hatte, fast aus den Angeln gehoben hat, und zwar im positiven Sinne.
Sollte man nicht dieses Instrument der regionalen Abmachungen - denn das ist die KSZE im Sinne der Charta der Vereinten Nationen - als ein Muster nehmen, als eine Art Modell, und ähnliche Institutionen in anderen Weltregionen einrichten? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: So notwendig und unausweichlich es ist, daß im Augenblick auch Amerikaner, auch Deutsche, auch Pakistani in Somalia den humanitären Einsatz betreiben, mir wäre es persönlich wesentlich sympathischer, es gäbe in Afrika eine Organisation, die bereit und in der Lage wäre, in ihrer Nachbarschaft diese Aufgabe zu erledigen.
({5})
Das ist keineswegs Kritik an der Präsenz von Amerikanern, Deutschen und Pakistani. Aber es wäre natürlich allein wegen des kulturellen Umfeldes, wegen der Nähe, wegen vergleichbarer Problematik viel besser, dies könnte regional erledigt werden. Deshalb sollten wir wirklich diesen Gedanken weiterverfolgen, die Idee der KSZE etwas auszubreiten, nicht mit missionarischem Eifer, aber indem man dem anderen sagt: Schaut einmal, so hat uns das genützt, das könnte auch anderen nützen.
Meine Damen und Herren, es tut mir leid: Ich muß jetzt doch die Polemik erwidern, die vorhin hier gekommen ist.
({6})
- Danke schön. Ermuntern Sie mich nur!
Herr Verheugen, was sie heute früh wieder vorgeführt haben,
(Dr. Wolfgang Weng ({7}) ({8}):
Widerlich!)
läßt mich doch ernsthaft daran zweifeln, daß Sie das meinen, was Sie sagen. Sie sagen: Wir sind bereit, alles das mitzumachen, was die Staatengemeinschaft von uns verlangt, was die UNO von uns erwartet. Wir sind aufgefordert worden, uns an der humanitären Aktion in Somalia zu beteiligen. Was machen Sie? Sie sagen nein. Hier aber sagen Sie: Wir sind bereit, all das zu tun, was von uns verlangt und erwartet wird. - Da stimmt irgend etwas nicht.
({0})
Und dann sagen Sie: Wir müssen die Verfassung
ändern. Und wenn wir Ihnen konstruktiv vorschlagen,
wie wir das denn machen sollen, dann sagen Sie: Da sind wir nicht dabei.
({1})
Es ist einfach schlimm zu sehen, wie Sie sich mit vorgeschobenen Gründen aus einer Situation herauswinden, die wir als Verantwortung einfach akzeptieren müssen.
({2})
Wo kommen wir denn als Deutsche hin, wenn wir heute wieder mit erhobenem Zeigefinger den Vereinten Nationen sagen, wie sie es denn machen müssen? Da kommen die Deutschen und machen wunderbare Vorschläge. Auch Sie machen ja wunderbare Vorschläge. Aber dabei darf man doch nicht stehenbleiben.
Was halten denn die anderen von uns, wenn wir wieder einmal alles besser wissen und ihnen sagen: So müßt ihr eure Institutionen reformieren, da müßt ihr euer Geld zahlen, und da müßt ihr all dies tun. Dann fragt man uns: Und wo seid ihr, wenn es auch einmal gefährlich wird? Dann verschanzen wir uns hinter irgendwelchen historischen Erwägungen, hinter der triefenden Moral mancher Apostel, die sich da hinstellen und nicht bereit sind, die Verantwortung zu akzeptieren, die auch wir als Deutsche haben.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie bejahen die Idee des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen. Sie bestreiten ja gar nicht, daß es Fälle geben kann und leider gibt, in denen es unerläßlich ist, daß einem Gewalttäter auch mit Gewalt entgegengetreten wird, daß er in seine Schranken gewiesen wird, daß man ihm auf die Finger klopft und sagt: So geht es nicht. Das Bejahen Sie ja in der Theorie.
({4})
Sie sagen: Ja, ja, das muß natürlich gemacht werden. Dann stellen wir die Frage: Wer soll es machen? Da heißt es: Alle anderen, nur nicht wir.
({5})
- Sie sagen es, und Sie beweisen es tagtäglich durch Ihr Verhalten.
Wir werden ja die Klärung bekommen. Natürlich brauchen wir eine klare verfassungsrechtliche Grundlage. Das sagen wir anderen auch. Wir haben Ihnen angeboten, sich zu beteiligen. Sie können das tun. Weil wir Ihre Stimmen zu einer Änderung des Verfassungswortlautes brauchen, bitten wir Sie darum, mitzuwirken.
({6})
Wir sind auch verhandlungs- und kompromißbereit. Sie nicht; Sie schlagen eine Minimallösung vor, die gänzlich inakzeptabel ist, und reden überhaupt nicht weiter. Damit boykottieren Sie das Ganze.
({7})
Damit erweisen Sie sich als politikunfähig. Daß Sie politikunfähig sind, könnte ich leicht ertragen; aber leider behindern Sie damit die Politikfähigkeit unseres Landes. Damit sind Sie mitverantwortlich dafür, daß wir nicht die Rolle spielen können, die man auch international von uns erwartet.
Sie haben gesagt, die deutsche Rolle sei leider nicht verstärkt worden, die Deutschen spielten leider keine größere Rolle in den Vereinten Nationen. Die Analyse ist ja richtig. Aber Sie müssen doch auch die Antwort auf die Frage geben, woran das liegt. Es liegt im Augenblick an der Verweigerungshaltung der SPD.
({8})
- Ja, es ist so. Sie werden sich noch sehr wundern. Das Bundesverfassungsgericht wird ja nun zu entscheiden haben. Ich bin ganz sicher: Vom Bundesverfassungsgericht wird mehr Weisheit ausgehen, als wir sie von der SPD jemals erwarten können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Hans Modrow.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste sagt mit ihrem Antrag zur Reform der Vereinten Nationen ja zur UNO. Ihre Verdienste bei der Entkolonialisierung, der Kodifizierung von Völkerrecht oder im politischen Dialog sind keineswegs gering. Und wenn hier vom deutschen UNO-Beitrag die Rede ist, sollte auch der der DDR nicht unerwähnt bleiben. So konstatiert Professor Wilhelm Brims 1988 in der in Bonn herausgegebenen Zeitschrift „Vereinte Nationen": „Insgesamt kann die UN-Politik Ost-Berlins eher als mehrheitsfähig gelten als die Bonns."
Wir sagen jedoch nein zur UNO, wenn es um ihren Mißbrauch durch die USA und ihre engsten Verbündeten geht. Nimmt man die UNO heute, ist eindeutig: Sie konnte bisher weder langfristig Konflikte schlichten noch der Verletzung der Menschenrechte in fast allen Staaten der Welt wirkungsvoll Einhalt gebieten. Trotz einer Kette von Weltkonferenzen ist kaum eines der globalen Probleme einer Lösung ernsthaft nähergebracht worden.
Die UNO kann nur - das ist offensichtlich die Situation - so gut sein wie alle Mächte, die in ihr vor allem das Sagen haben. Dennoch halten wir diese einmalige, universelle internationale Organisation für unverzichtbar und für berufen, bei der Verhinderung und Eindämmung von internationalen Konflikten sowie der Erörterung und Lösung globaler Fragen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Nicht wenige der Vorschläge aus Boutros-Ghalis „Agenda far den Frieden" weisen dafür einen richtigen Weg, auch wenn sie weiterer Diskussion bedürfen.
Voraussetzung für eine wirkliche Änderung der Dinge ist, daß wesentliche Schritte einer echten Demokratisierung gegangen werden und vor allem die Rolle der UNO bei der Zivilisierung der internationalen Politik, bei der Bewältigung der globalen Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich und zur Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschheit gestärkt wird.
Die schönen Worte, die UNO zum zentralen Friedenshüter in einer Weltinnenpolitik der Völkergemeinschaft machen zu wollen, sind jedoch eine Mogelpackung. Wir vermissen nach wie vor konkrete Vorschläge der Bundesregierung zur Überwindung der Nord-Süd-Gegensätze, für eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung, für die Lösung der globalen Asyl- und Migrationsprobleme und zur Verhinderung der Umweltzerstörung. Die Militäraktion in Somalia kostet ein Vielfaches der geleisteten humanitären Hilfe, von der steigenden Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung nicht zu reden!
Statt wirklich humanitäre Hilfe zu leisten, verordnet man in diesem Jahr der Entwicklungspolitik eine Nullrunde. Im Kern geht es der Bundesregierung vordergründig um zweierlei: endlich einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat einzunehmen, um in einem dem 19. Jahrhundert nachempfundenen „Konzert der Mächte" mitzureden, sowie jederzeit die Bundeswehr für militärische Missionen außerhalb der Beschränkungen des Grundgesetzes einsetzen zu können. - Erst eine Reform des Sicherheitsrates und dann die Frage seiner Zusammensetzung, das ist das Gebot der Stunde.
Der UNO-Blauhelmeinsatz und die friedlichen Maßnahmen der UNO wirken wie eine Tarnkappe, um endlich den Einstieg in eine neue Phase der Machtpolitik zu schaffen. Die Bundeswehr erhält neuen Sinn, und der hohe nationale Rüstungsetat kann wieder gerechtfertigt werden.
Gewiß ist der Vorwurf einer Militarisierung der Außenpolitik ein hartes Wort, aber alles läuft in diese Richtung. Wenn man nicht mehr weiterweiß, ruft man am Ende nach Waffen. Diese Art von Außenpolitik ist eine Politik der Schwäche, auch wenn sie Stärke zeigen soll.
({0})
- Das wissen Sie; darüber müssen wir uns nicht streiten.
({1})
- Wenn Sie das für eine schöne Rede halten, dann sind wir uns ja einig. ({2})
Sie wird einen Konflikt allenfalls kurzfristig, aber nie grundsätzlich bewältigen können.
Die angemessene Alternative für die Bundesrepublik wäre eine Außenpolitik der bewußten Selbstbeschränkung, eine Konzentration auf die friedliche Regelung von Konflikten vor allem durch VerhandDr. Hans Modrow
lungen, auf einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung globaler Probleme und auf eine vielseitige, effektive humanitäre Hilfe, ganz abgesehen davon, daß dies auch für das deutsche Ansehen in der Welt sehr vorteilhaft wäre.
Das in diesem Zusammenhang immer wieder gebrauchte Argument der Ablehnung eines deutschen Sonderweges ist Schlichtweg unzutreffend und außerdem, glaube ich, nicht ganz frei von Demagogie.
Herr Irmer, weshalb, so ist zu fragen, soll die deutsche Souveränität nicht auch zum Neinsagen zu einer falschen Politik genutzt werden? Der deutsche Verzicht auf Atomwaffen im Gegensatz zu anderen Verbündeten ist doch eindeutig ein solcher positiver Fall. Soll der etwa als nächstes der „Normalität" geopfert werden? Oder nehmen Sie die Invasion in Somalia, über die hier im Dialog gestritten wird: An ihr nehmen 22 Länder von den 184 UNO-Mitgliedern teil. Mindestens 160 fürchten offensichtlich nicht den Vorwurf eines Sonderweges, wie es bei der Bundesrepublik immer wieder der Fall ist.
Die Bundesregierung steht in Treue fest zur Somalia-Mission, weil sie sich damit offensichtlich für einen Sitz im Sicherheitsrat empfehlen will. Das wäre aber absurd. Auch ist es allenfalls schmückendes Beiwerk, wenn Minister Kinkel erklärt, es gehe darum, die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren zu behaupten. Ein Blick in die Geschichte beweist doch unwiderlegbar: Macht ist immer mehr zur Durchsetzung egoistischer Interessen denn zur Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit gebraucht worden. Darin sind auch bittere Lehren auf östlicher Seite genauso einbezogen.
Angeführt von den USA, wird heute im Sicherheitsrat militärische Gewalt als Instrument der Konfliktlösung favorisiert. Aus dem bisherigen Verhalten der Bundesregierung entsteht nicht der Verdacht, daß sie künftig dagegen im Sicherheitsrat ein Veto einlegen will. Aber selbst wenn sie das wollte - soviel ist doch wohl sicher -, würden die USA ein deutsches Veto gegen ihre Politik niemals zulassen.
Zieht man die Haltung der anderen UNO-Mitglieder in Betracht, dürfte es ebenfalls sehr unwahrscheinlich sein, daß ein deutscher Sitz als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates in der von Bonn gewünschten Form erreichbar ist. Die Erfahrungen besagen außerdem: Jede Anstrengung in diese Richtung gibt, ob man es will oder nicht, bestimmten rechten Kreisen politischen Auftrieb. Eine Außenpolitik der Vernunft und des Augenmaßes dürfte deshalb ein solches Ziel nicht anstreben.
Eine Bemerkung zum Finanzhaushalt: Der UNO mangelt es für viele Maßnahmen an Geld. Während für Blauhelmeinsätze und Polizeiaktionen Unsummen ausgegeben werden, können vorbeugende UNO-Diplomatie, Friedenskonsolidierungsmaßnahmen und anderes praktisch kaum finanziert werden. Der Jahreshaushalt aller UNO-Organisationen und -Programme - freiwillige Beiträge und Pflichtbeiträge einbezogen - beträgt bekanntlich etwa die Hälfte des Haushaltes von Berlin.
Im Lichte des Gesagten halten wir eine grundsätzliche Überprüfung der deutschen UNO-Politik, wie überhaupt des außenpolitischen Konzepts, in der neuen Phase der Weltpolitik für unverzichtbar. Wir schlagen deshalb vor, unter der Verantwortung des Bundestages eine unabhängige Kommission zu bilden, in der alle Fraktionen - aber in diesem Falle auch die Gruppen des Hauses - sowie interessierte Organisationen, Institutionen und Gremien und kompetente Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur vertreten sind. Sie sollte die Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen und zur Stärkung ihrer Rolle bei der Lösung der globalen Probleme - Vorschläge, die von den verschiedensten Seiten unterbreitet werden - erörtern, zusammenfassen und danach dem Bundestag zur Beschlußfassung vorlegen.
({3})
Als nächster spricht der Kollege Gerd Poppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zweifel an der Notwendigkeit einer Reform der Vereinten Nationen gibt es wohl kaum. Es gibt sie allerdings hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten. Dennoch wurden und werden von verschiedensten Seiten immer wieder Reformvorschläge gemacht. Neben vielen NichtRegierungsorganisationen bemühen sich gegenwärtig immerhin 73 Regierungen von Mitgliedstaaten um Beiträge zur Reform.
Diese Überlegungen spielen sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Erwartungen an die UN ab, Konflikte zu schlichten und zur Beseitigung weltweiter ökonomischer, sozialer und ökologischer Krisen beizutragen. Daß die meisten dieser Erwartungen bis jetzt enttäuscht wurden, vermindert nicht ihre Berechtigung, vielmehr belegt dieser Umstand die wachsende Bedeutung der UN.
Das Problem besteht darum auch nur in zweiter Linie in der Schwerfälligkeit des Apparats, der Ausdehnung der Bürokratie oder den Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Aufgaben der Vereinten Nationen. Vor allem liegt es darin, daß die Praxis der Vereinten Nationen, die als unmittelbares Ergebnis des Zweiten Weltkrieges entstanden sind, immer noch von der jahrzehntelangen Blockkonfrontation geprägt ist. Ihre Entscheidungsmechanismen sind überholt und der heutigen Situation in der Welt nicht mehr angemessen.
Die Vereinten Nationen haben heute fast viermal soviel Mitglieder wie bei ihrer Gründung und entsprechend veränderte Mehrheitsverhältnisse. Der Ost-West-Konflikt ist beendet, der Nord-Süd-Konflikt offenkundiger geworden. Deutlicher als zuvor tritt die Aufgabe der Weltorganisation zutage, die friedliche Zusammenarbeit in einer immer enger zusammenrückenden Welt mit immer drängender werdenden Überlebensproblemen zu fördern und zu sichern.
In der deutschen Öffentlichkeit wird die Bedeutung dieser gemeinsamen Anstrengungen nur sehr verkürzt durch zwei in den letzten Monaten von der Bundesregierung und auch heute wieder von der
Regierungskoalition ständig überstrapazierte Themen dargestellt. Diese beziehen sich ausschließlich auf vermeintlich deutsche Interessen im Rahmen der UNO. Sie berühren die eigentlichen Probleme kaum, sondern verstellen eher den Zugang zu ihnen.
Das ist zum einen der Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat, selbstredend mit Vetorecht, wie der Bundeskanzler in Tokio verkündete. Zum anderen ist es die Behauptung, vor allem die Bereitschaft zu militärischen Einsätzen sei die Voraussetzung für eine angemessene Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen.
Vergebens sucht man in der UNO-Charta nach einem solchen Kriterium. Für die Auswahl der nichtständigen Mitglieder ist nach Art. 23 „besonders zu berücksichtigen: in erster Linie der Beitrag von Mitgliedern der Vereinten Nationen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und zur Verwirklichung der sonstigen Ziele der Organisation sowie ferner eine angemessene geographische Verteilung der Sitze". Es ist nicht einzusehen, daß das für die ständigen Mitglieder nicht auch gelten sollte.
Vergebens sucht man in den Anträgen der Regierungskoalition nach einem Konzept zur Zusammensetzung des Sicherheitsrats, das zu dessen Demokratisierung im Sinne solcher geographischer Repräsentanz vor allem der Lander des Südens beitragen könnte. Vor allem der Antrag „Die zukünftige Rolle der Bundesrepublik Deutschland ..." verweist eher auf einen nach der deutschen Vereinigung wiederentstandenen Anspruch nationaler Interessenpolitik, die von tradierten Machtvorstellungen geprägt ist.
({0})
- Natürlich habe ich das gelesen. ({1})
Unserer Meinung nach wird hiermit ein falscher Weg beschritten.
Um den vorhin skizzierten neuen Aufgaben gerecht zu werden, müssen Bemühungen um eine UN-Reform von der Grundvorstellung geprägt sein, daß die Legitimität der Vereinten Nationen eines neuen Konsenses der Gesellschaften und Völker bedarf, daß ihre Institutionen und Methoden nur dann Akzeptanz finden werden, wenn sie sichtbar anderen als nationalstaatlichen Interessen genügen.
Auf dieser Grundlage ist unser Antrag zur „Aufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen" entstanden. Wir möchten diesen Antrag zugleich als Initiative dafür verstanden wissen, daß der Bundestag mit der heutigen Beschlußfassung seine Aufgabe in bezug auf eine UN-Reform nicht als erledigt betrachtet.
Ich will dazu anmerken, daß in unserer Gruppe zum vorletzten Spiegelstrich des Kapitels „Friedenssicherung" keine Übereinstimmung vorhanden ist. Es gibt dazu eine geteilte Meinung.
Wenn die Wahrung nationaler Friedens- und Sicherheitsinteressen nach und nach an eine überstaatliche Organisation, ein System kollektiver Sicherheit abgetreten werden soll, so folgen wir damit einem Prinzip, das im Zusammenhang mit der Bewältigung von Umweltproblemen oder Hungersnöten viel weniger strittig ist. Man könnte das als eine Art globaler Sozialpolitk darstellen, deren Bestandteil eine gemeinsame Sicherheitspolitik ist. Je stärker die Bereitschaft von voreinander Schutz suchenden Staaten ist, einander Schutz zu gewähren, desto größer wird die Sicherheit des einzelnen Staates und seiner Bereitschaft, auf Selbstschutz zu verzichten. Deshalb benötigen die Vereinten Nationen längerfristig eine Übertragung von mehr Verantwortung für das Ganze auf die Staaten, die selber macht- und militärpolitisch eher schwach sind.
Mit den heutigen, historisch begründbaren, aber überlebten Strukturen, mit Sonderrechten für einige wenige ökonomisch und militärisch starke Staaten droht die Chance einer solchen Entnationalisierung von Sicherheitspolitik verspielt zu werden. Eine verstärkte Aufrüstung aller Nationalstaaten wäre die Folge.
Mit der Analyse und mit einer Reihe von Vorschlägen im Antrag der SPD wie auch mit etlichen Forderungen im Koalitionsantrag zur „Stärkung und Reform" der Vereinten Nationen stimmen wir durchaus überein. Darüber hinaus erscheint es uns aber dringend geboten, undemokratische Entscheidungsmechanismen, wie sie z. B. in den Bretton-WoodsOrganisationen die Regel sind, zu beseitigen. Nur Hand in Hand mit einer solchen Demokratisierung kann eine Stärkung der UN gelingen.
Auf die zwischenstaatliche Ebene bezogen bedeutet das zum einen, daß die bevölkerungsreichen und armen Länder stärker an den Entscheidungen beteiligt werden müssen.
Zum zweiten sollten für die nationalen Parlamente bessere Möglichkeiten geschaffen werden, an der UN-Politik ihrer Regierungen mitzuwirken und sie zu kontrollieren. Das Ziel der Entnationalisierung darf nicht Entdemokratisierung bedeuten. Nicht die Souveränität der Legislative soll eingeschränkt werden, sondern die Einbindung der Exekutive in internationale Problemlösungen und ihre Kontrolle sollen verbessert werden.
Drittens schließlich sollen die Partizipationsmöglichkeiten für NGOs vergrößert werden. Diese sind den Problemen näher und können die Bedürfnisse der Menschen oft besser artikulieren und glaubwürdiger vertreten als staatliche Organisationen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung.
Für außerordentlich problematisch halten wir die im SPD-Antrag, vor allem aber die im Koalitionsantrag vorgesehene Kompetenzerweiterung des Sicherheitsrates. Ehe durch neue Interpretationen des Art. 39 der Charta die Aufgaben des Sicherheitsrates auch auf solche Probleme wie den weltweiten Drogenhandel sowie Flüchtlingsströme ausgedehnt werden, erscheint es uns sinnvoller, den ECOSOC in einen demokratischen Weltwirtschafts-, Sozial- und Umweltrat umzugestalten, der in seiner eigenständiGerd Poppe
gen Bedeutung und Entscheidungskompetenz dem Sicherheitsrat gleichrangig zur Seite steht.
Schließlich wäre als besonderer Schwerpunkt unseres Antrags das Thema der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zu nennen. Es wird von den Koalitionsparteien nur gerade mal erwähnt, von der SPD zu wenig ausgeführt. Ein wesentliches Ziel der UN-Reform muß die Verbesserung der Instrumentarien für eine gewaltfreie Schlichtung und Deeskalation von Konflikten sein. Die Sicherung des Friedens durch präventive Diplomatie ist schon jetzt im Kapitel VI der Charta deutlich vor jeglicher Gewaltanwendung angesiedelt. Das verdeutlicht den Vorrang, den die Charta der Konfliktprävention einräumt, auch wenn der Begriff dort nicht explizit vorkommt.
Wir hoffen, daß ein internationaler Konsens darüber gefunden werden kann, daß Verfahren zur friedlichen Lösung von Konflikten mit wirklicher Rechtsverbindlichkeit ausgestattet werden.
({2})
Das würde bedeuten, daß die Verfahren des Kapitels VI, präzisiert und erweitert, nicht mehr als Vorläufer von Gewaltanwendungen fehlinterpretiert werden können, sondern ihnen Priorität vor allen anderen Verfahren eingeräumt und damit die wichtigste Aufgabe des Sicherheitsrates neu und genauer definiert wird.
Die zwingende Folge der Präzisierung und Ergänzung des Kapitels VI der Charta wäre dann, Sanktionen gemäß Kapitel VII an die Voraussetzung zu binden, daß alle Möglichkeiten präventiver Diplomatie und gewaltfreier Konfliktlösung ausgeschöpft wurden. Nach der Logik dieses Vorgehens wäre dann auch innerhalb des Kapitels VII zu verfahren, indem einer verbindlichen Abfolge nichtmilitärischer Sanktionen der Vorrang gegenüber jeglicher militärischen Zwangsmaßnahme einzuräumen ist.
Meine Damen und Herren, gerade angesichts der in etlichen Staaten erkennbaren Tendenz, zu einer stärker nationalstaatlich geprägten Außenpolitik zurückzukehren, und insbesondere der neuen nationalistischen Gefahren mitten in Europa gibt es keine Alternative zu den Vereinten Nationen, so unvollkommen deren Möglichkeiten gegenwärtig auch sind.
Das vereinte Deutschland wird deswegen seinen neuen Aufgaben am ehesten gerecht, indem es auf eine nationale Macht- und Interessenpolitik weitgehend verzichtet und sich mit aller Kraft an der Aufwertung und Demokratisierung der Vereinten Nationen beteiligt.
({3})
Als nächster spricht der Minister des Auswärtigen, Bundesminister Kinkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beinahe auf den Tag genau vor 20 Jahren wurden vor dem UN-Gebäude am East River erstmals die Flaggen zweier deutscher Staaten gehißt. Seither hat sich die
Weltlage fundamental verändert. Der Ost-West-Gegensatz ist beigelegt; Deutschland ist wiedervereinigt; die Mauern fallen auch im Osten und hoffentlich auch bald in Südafrika.
Die Vereinten Nationen sehen sich heute vor Herausforderungen gestellt, die vor wenigen Jahren niemand so sehen und auch nicht erkennen konnte.
Seit 1987 hat es mehr friedenserhaltende Maßnahmen als zuvor in den 42 Jahren seit Gründung der UNO gegeben. Das Ende der Ost-West-Konfrontation hat die gegenseitige Abhängigkeit der Menschheit bei der Bewältigung der zentralen Friedensaufgaben, bei der Schaffung von Arbeit, der Überwindung von Armut, Not und beim Schutz der Rechte von Mensch und Natur in den Vordergrund gerückt.
Blutige neue Konflikte, ob im ehemaligen Jugoslawien, im Kaukasus oder in Angola, führen uns täglich drastisch - zu drastisch - vor Augen, daß die Sicherung des Friedens auch in der postkommunistischen Ära großer kollektiver Anstrengungen bedarf.
Die heutige Debatte im Deutschen Bundestag unterstreicht, daß dieses Hohe Haus und die Bundesregierung sich einig sind: Die Vereinten Nationen müssen in den Stand gesetzt werden, Wächter und Impulsgeber einer neuen internationalen Ordnung des Rechts, der Demokratie und der tragfähigen Entwicklung zu werden.
({0})
Dies liegt auch und ganz besonders im vitalen Interesse Deutschlands. Kaum ein Land ist so wie wir auf politisch und wirtschaftlich stabile internationale Rahmenbedingungen angewiesen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in den vergangenen 20 Jahren aktiv und engagiert an der Arbeit in den Vereinten Nationen beteiligt. Ich erinnere beispielhaft an unser Engagement für eine politische Lösung des Namibia-Konflikts während unserer ersten Mitgliedschaft als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat 1977/1978, an unsere erfolgreiche Initiative zur Schaffung eines Zusatzprotokolls über die Abschaffung der Todesstrafe, an die Schaffung eines Registers für den Waffentransfer und an unsere Initiative zur Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs zu Jugoslawien.
({1})
Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten bisher schon engagiert in den Vereinten Nationen mitgewirkt. Heute sind wir drittgrößter Beitragszahler der Vereinten Nationen. Wir sind viertgrößter Entwicklungshilfegeber auf der Erde, und wir haben mehr als alle übrigen Staaten für die Unterstützung der ehemals sozialistischen Staaten getan.
Das wird international auch gesehen, und es wird international auch anerkannt. Aber die Völkergemeinschaft erwartet von uns heute zu Recht, daß wir uns nicht nur finanziell, sondern eben auch personell uneingeschränkt für den Weltfrieden engagieren, so wie es unsere Partner tun und wie es einem Land unserer Größe und Wirtschaftskraft zukommt.
({2})
Herr Verheugen hat mir gesagt, daß er leider nicht dasein könne. Ich akzeptiere das, weil ich manchmal auch in der Situation bin, eine Sitzung vorzeitig verlassen zu müssen.
({3})
Aber ich habe ihm gesagt, ich könne ihm nicht ersparen, daß ich mich trotzdem an ihn wende und ihm in absentia sage: Wenn wir uns an der Diskussion über die innere Reform der UNO und ihre neue Rolle glaubwürdig beteiligen wollen, dann müssen wir zuallererst unsere Glaubwürdigkeit herstellen und auf eine Sonderrolle verzichten. Und ich sage deutlich: Das vermisse ich bei dem Antrag der Opposition!
({4})
Herr Verheugen hat, wie ich finde, zu Recht gesagt, die UN könnten nur das leisten, was ihre Mitglieder zu leisten bereit seien. Richtig, und deshalb muß sich der Deutsche Bundestag endlich selbst in die Lage versetzen, über friedenserhaltende und friedensschaffende Einsätze unserer Bundeswehr zu entscheiden.
({5})
Herrn Verheugen rufe ich - nochmals in absentia - zu: Ich bleibe bei dem Begriff ,.friedensschaffende Maßnahmen", weil dieser Begriff auf eine unnachahmliche deutliche Art und Weise sagt, worum es tatsächlich geht, nämlich darum, Frieden zu schaffen,
({6})
und nicht um Interventionen, wie uns die Opposition immer wieder klarzumachen versucht. Es geht nicht um Interventionen!
Herrn Modrow würde ich gern folgendes sagen: Wenn immer so getan wird, als dürften Menschenrechtsverletzungen und schwerstes Unrecht nicht, wenn es letztlich absolut notwendig ist, durch Gewalt beseitigt werden, dann hat man in Deutschland zu schnell vergessen, daß der Diktator Hitler 1945 durch Gewalt beseitigt worden ist, um hier einen neuen demokratischen Anfang zu gewährleisten.
({7})
Wenn wir die Stärkung kollektiver Sicherheit unter dem UNO-Dach wünschen, dann dürfen wir bei dem Bemühen der UN, dieses Ziel zu erreichen, nicht immer nur auf andere verweisen. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß sich diese Einsicht auch in der SPD durchsetzt und daß die SPD - ich bleibe auch hier bei diesem Wort - ihre Blockadehaltung aufgibt.
({8})
Als Außenminister füge ich hinzu, daß das Ausland unseren innenpolitischen Hickhack für mich erkennbar zunehmend weniger versteht, daß wir dabei sind, Schaden zu nehmen. Ich war gestern abend mit einer hochrangigen Wirtschaftsgruppe zusammen. Deutsches Standing, unser Ansehen draußen hat gelitten.
Ich sage es mit großer Vorsicht, aber doch deutlich. Wir sollten wissen, daß wir uns die Debatte, die innenpolitisch hier abläuft, nicht länger leisten können.
({9})
Ich füge auch hinzu, daß unsere Bundeswehr endlich wissen muß, daß sie auf einer sicheren Rechtsgrundlage zu Einsätzen hinausgeschickt wird, die zur Friedensschaffung und zur Friedenserhaltung dringend notwendig sind und bei denen wir uns nicht weiter auf der Zuschauertribüne verstecken dürfen.
({10})
Weil immer wieder Behauptungen in dieser Richtung aufgestellt werden, möchte ich genauso deutlich bemerken: Es geht nicht um eine Renaissance militärischen Denkens. Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen muß gerade auch für die Vereinten Nationen immer Ultima ratio bleiben. Unser Beitrag zu den Vereinten Nationen wird auch in Zukunft in allererster Linie politischer und wirtschaftlicher Natur sein. An der vor allem durch unsere Vergangenheit bestimmten Kultur der Zurückhaltung darf und wird sich nichts ändern.
({11})
Beide Elemente deutscher Außenpolitik, Verantwortungsbereitschaft und Zurückhaltung beim Gebrauch militärischer Gewalt, werden am nächsten Mittwoch meine Botschaft an die 48. Generalversammlung in New York prägen. Deutsche Außenpolitik wird sich der Erfahrungen unserer Geschichte bewußt bleiben, aber sie wird daraus die richtigen Schlußfolgerungen ziehen: den Weg der Mitverantwortung, nicht den der Absonderung und der Verweigerung.
Meine Damen und Herren, Generalsekretär Boutros-Ghali hat in seiner Agenda für den Frieden selbst wegweisende Impulse in der Debatte über die Reform der Vereinten Nationen gesetzt. Diese müssen nun zielstrebig und energisch umgesetzt werden. Wir brauchen keine ausufernde Reformdiskussion, sondern eine zügige Steigerung der Arbeitsfähigkeit sowie eine Stärkung der bestehenden Organe. Bei allen Reformüberlegungen ist Energie, aber natürlich auch Realismus angezeigt. Die Vereinten Nationen stellen keine Weltregierung dar, sondern ein freiwilliges Zusammenwirken von inzwischen 184 souveränen Staaten.
So sollte nach unserer Auffassung das Reformkonzept in etwa aussehen:
Erstens. Die Fähigkeit zur Konfliktvorbeugung muß erheblich verbessert werden. Das ist eine der Lehren, die wir aus den derzeitigen Konflikten ziehen müssen. Vor allem bei der Vorsorge und nicht bei der Nachbesserung muß angesetzt werden. Das Sekretariat muß in die Lage versetzt werden, seine Aufgabe der Vorbereitung und der Implementierung friedenserhaltender Maßnahmen effektiver zu erfüllen. Die ständige Verfügbarkeit nationaler Kontingente für UNO-Missionen bleibt ein wichtiges Ziel, wenn kollektive Sicherheit wirklich schlagkräftig werden soll. Die Teilnahme aber muß immer freiwillig und nationalen Voraussetzungen unterworfen bleiben. Die
Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen im Bereich friedenserhaltender Maßnahmen muß verbessert, NATO und WEU können und müssen zu Sicherheitspartnern der Vereinten Nationen werden. Das Zusammenwirken zwischen ihnen und der UNO in Jugoslawien ist ein erster Schritt. Die Bewährungsprobe wird die Überwachung und Durchführung eines Friedensabkommens sein, sollte es in Genf tatsächlich erreichbar sein.
Zweitens. Der Sicherheitsrat sollte die heutige Verfassung der Staatengemeinschaft widerspiegeln. Dies ist für seine Glaubwürdigkeit, auf Dauer aber auch für seine Funktionsfähigkeit unverzichtbar. Die zentralen Entscheidungen über Frieden und Sicherheit werden heute mehr denn je im Sicherheitsrat gefällt. Im wohlverstandenen deutschen Interesse, aber - ich betone das nachdrücklich - auch, um unserer gewachsenen Verantwortung gerecht zu werden, bemüht sich die Bundesregierung darum, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu erreichen.
({12})
Wir streben diesen Sitz an mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten. Unser Anliegen hat inzwischen breite Unterstützung in der Welt erfahren. Dieses Anliegen hat vor allem aber auch breite Unterstützung in unserer Bevölkerung. Das wird zu wenig wahrgenommen. Die letzten Umfragen sagen deutlich, daß wir etwa 75 % Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für diesen Wunsch und für dieses Anliegen der Bundesregierung haben.
({13})
Ich würde in diesem Zusammenhang schon ganz gerne daran erinnern, daß es die SPD war, die als erste diesen ständigen Sitz nachdrücklich gefordert hat. Ich meine schon, daß man natürlich, wenn man A sagt, auch B sagen muß.
({14})
Sie wissen sehr genau, daß wir einen Sitz im Sicherheitsrat nur dann erreichen können und erreichen werden, wenn wir vorher die dringend notwendige Verfassungsänderung über die Bühne gebracht haben. Dazu brauchen wir Sie. Ich appelliere nochmals an Sie und gebrauche auch bewußt das Wort: Geben Sie die Blockadehaltung auf!
({15})
Drittens. Die Durchsetzung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte bleibt ein Schwerpunkt unseres weltweiten Friedensbeitrags. Die Bundesregierung wird mit Nachdruck auf die Umsetzung der Beschlüsse der Menschenrechts-Weltkonferenz in Wien hinwirken. Wichtig ist die Schaffung von Organen zur Durchsetzung der Menschenrechte. An erster Stelle steht hier die Schaffung des Amtes eines Hochkommissars auf der bevorstehenden Generalversammlung. Ihn fordern wir, ihn durchzusetzen versuchen wir mit anderen zusammen.
Die finanzielle und personelle Stärkung des Genfer Menschenrechtszentrums muß hinzukommen. Die
Arbeiten am Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof müssen vorangetrieben werden.
Die wesentlich auch auf deutsche Initiative zurückgehende Einrichtung eines Internationalen Gerichtshofs zur Ahndung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien ist ein erster wichtiger Schritt. Sie zeigt auch - ich finde, das ist sehr wichtig - das gestiegene internationale Rechtsbewußtsein im Zusammenhang mit solchen Fragen.
Viertens. Die Agenda für den Frieden muß durch Generalsekretär Boutros-Ghali durch die von ihm vorgeschlagene Agenda für Entwicklung ergänzt werden.
({16})
Die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Dritten Welt und der Reformstaaten zwischen Bug und Wladiwostok ist die wichtigste Voraussetzung für weltweite Stabilität. Hierzu bedarf es nicht zuletzt einer tiefgreifenden Reform des Wirtschafts-, Sozial- und Entwicklungshilfebereichs der UNO. Ein ganz zentrales Ziel muß dabei die Stärkung der Instrumente zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums sein, das alle Entwicklungsfortschritte zunichte zu machen droht.
Das Bemühen um eine effiziente Führung der Entwicklungsfonds der UN, des Weltemährungsprogramms und des Kinderhilfswerks durch die Mitgliedstaaten hatte bislang nur begrenzten Erfolg - leider. Dazu brauchen wir neue energische Reformanstrengungen.
Wir haben den UN ein großzügiges Angebot für die Ansiedlung von Institutionen der technischen Zusammenarbeit hier in Bonn unterbreitet. Die UN haben jetzt festgestellt, daß Bonn als Standort für internationale Institutionen geeignet ist und in Frage kommt. Ich finde, das ist eine ganz wichtige und für diese Stadt auch wesentliche Entscheidung. Ich habe mich persönlich dem Generalsekretär gegenüber hierfür mit Nachdruck eingesetzt und werde das auch jetzt bei der Generalversammlung und auch in weiterer Zukunft tun.
({17})
Fünftens. Dem Erdgipfel von Rio müssen jetzt Taten folgen. Die Kommission für nachhaltige Entwicklung muß in die Lage versetzt werden, in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beim Umweltschutz die Zeiger der Uhr nach vorne zu setzen.
Sechstens. Alle Reformbemühungen sind schließlich vergebens, wenn die Kluft zwischen Aufgaben und Finanzmitteln der UN nicht geschlossen wird. Auch hier gilt der Satz, daß die Vereinten Nationen nur so gut sein können, wie ihre Mitglieder dies zulassen. Anfang August waren die Mitgliedstaaten mit ihren Beiträgen um sage und schreibe 2 Milliarden Dollar, davon rund 1,1 Milliarden Dollar im Bereich der Friedenssicherung, im Rückstand. Das kann natürlich so nicht weitergehen. Das kann so nicht richtig sein. Wir müssen eine deutlich verbesserte Beitragsdisziplin der Mitglieder erreichen.
Dazu gehören natürlich auch ein effektiveres Management und finanzielle Reformen. Der unter Mitarbeit des früheren amerikanischen Zentralbankpräsidenten Volcker und anderer Finanzexperten erstellte Bericht hat die Richtung aufgezeigt, in die es gehen muß.
Dies gilt auch für den amerikanischen Vorschlag für einen Generalinspekteur. Als drittgrößter Beitragszahler haben wir ein dringendes Interesse an einem effizienten Einsatz unserer Mittel und an einer soliden und sparsamen Verwaltung und Haushaltsführung der UNO.
({18})
Ich möchte auch von dieser Stelle aus nachdrücklich immer wieder erhobene Behauptungen zurückweisen, wir Deutsche seien nicht zuverlässig bei unseren Zahlungen. Das ist absoluter Unsinn. Wir sind nicht nur der drittgrößte Beitragszahler; wir sind, auch nach Aussagen von Boutros-Ghali selber, mit der zuverlässigste Beitragszahler. Wenn es hin und wieder aus haushaltstechnischen Gründen eine Verzögerung von ein paar Wochen gibt, dann kann ich nur sagen: Wenn alle anderen Länder sich so verhalten würden wie die Bundesrepublik Deutschland, dann würde es den Vereinten Nationen finanziell gutgehen.
({19})
Meine Damen und Herren, wir müssen im gemeinsamen Interesse zusammen die Reform der Vereinten Nationen vorantreiben. Lassen Sie uns aber mit derselben Entschlossenheit auch die innerstaatlichen Voraussetzungen für eine Übernahme aller Rechte und Pflichten schaffen. Wir folgen damit der Kontinuität einer langen und aktiven deutschen Mitarbeit in den Vereinten Nationen und in ihren Sonderorganisationen, die übrigens bereits Jahre vor unserem Beitritt begonnen hat. Wir zeigen damit der Welt unseren Willen, den gemeinsamen Auftrag der Charta der Vereinten Nationen und des Grundgesetzes zu erfüllen, nämlich dem Frieden in Europa und in der Welt zu dienen.
Helfen Sie mit - das ist mein ganz besonderes Anliegen als Außenminister -, daß Deutschland ein geachteter und verantwortungsbewußter Partner in der Weltgemeinschaft bleibt.
({20})
Es spricht jetzt der Kollege Professor Dr. Uwe Holtz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spätestens seit 1989, dem annus mirabilis, nach dem Ende der durch zwei antagonistische Supermächte geprägten internationalen Ordnung, stellt sich die Frage nach einer neuen Rolle der Vereinten Nationen. Ex-Jugoslawien und Somalia zeigen, daß Militärstiefel allein nicht ausreichen, um das Pflänzchen Frieden zum Wachsen zu bringen. Deshalb sage ich: Der deutsche Beitrag zum Frieden muß in erster Linie politisch, wirtschaftlich und entwicklungspolitisch sein, nicht militärisch.
({0})
Wir wollen die Vereinten Nationen auch und gerade entwicklungspolitisch aufwerten. Jetzt gilt es, die dreifache Zielsetzung der UN-Charta durchsetzen zu helfen, nämlich den internationalen Frieden zu wahren, die Achtung vor den Menschenrechten zu fördern, internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und insgesamt zu einem besseren Leben in größerer Freiheit beizutragen. Wer diese drei Hauptziele ernst nimmt und in der Erkenntnis handelt, daß kein Staat heute als Insel der Seligen in Ozeanen der Armut und Unterentwicklung überleben kann, wird neben nationalen Anstrengungen gerade auch auf die internationale Zusammenarbeit setzen müssen.
CDU/CSU, SPD und F.D.P. haben sich nach längeren Vorarbeiten am 10. Februar dieses Jahres im Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, im AwZ, auf gemeinsame Empfehlungen zur Stärkung und Reform der Vereinten Nationen im entwicklungspolitischen Bereich geeinigt. Der vom mitberatenden AwZ verabschiedete Text geht davon aus, daß die bisherige Struktur des UN-Systems zur Bekämpfung der globalen Probleme wie Hunger, Bevölkerungsexplosion, Flucht und Umweltzerstörung nicht effizient genug ist. Zur Bewältigung dieser Probleme und zur Förderung einer auf Dauer tragfähigen, wirtschaftlich produktiven, sozial gerechten, umweltverträglichen und menschenwürdigen Entwicklung haben wir Vorschläge unterbreitet. Sie sind zu einem großen Teil sowohl im veränderten SPD-Antrag als auch in der uns heute zur Abstimmung vorliegenden und von der Koalitionsmehrheit im federführenden Auswärtigen Ausschuß beschlossenen Beschlußempfehlung zu finden.
Insgesamt geht es uns darum, das UN-System der Entwicklungszusammenarbeit und seine Programme koordinativer und leistungsfähiger zu gestalten sowie dem UN-Entwicklungsprogramm UNDP eine Schlüsselrolle für die Entwicklungshilfe im Bereich der technischen Zusammenarbeit zu geben. Außerdem müssen alle relevanten UN-Organisationen darauf verpflichtet werden, zur Umsetzung der Agenda 21 von Rio de Janeiro beizutragen.
Dazu gehören auch Beiträge zur Entschärfung der Bevölkerungsbombe, der Armutsbombe, der Verschuldungsbombe und der Umweltbombe. Wer solche Bomben entschärft, trägt auch zum Frieden und zur internationalen Sicherheit bei.
({1})
Von daher ist die angestrebte Agenda far Entwicklung so wichtig, da stimme ich dem Herrn Bundesaußenminister zu.
Angesichts der großen internationalen Aufgaben bei knappen Finanzen muß auch in den Vereinten Nationen wie hier zu Hause gelten: Jede einzelne Steuer-Mark muß zwei-, dreimal umgedreht werden, bevor man sie ausgibt. Trotzdem ist Zahlungsdisziplin für das gute Funktionieren auch der Vereinten Nationen unerläßlich. Dies gilt insbesondere für die Vereinigten Staaten von Amerika.
({2})
Bedauerlich ist, daß die Vorstellungen der SPD über die Verantwortung der Entwicklungsländer und der Industrieländer keine Entsprechung im Koalitionsantrag gefunden haben. Wir haben in unseren gemeinsamen Empfehlungen im entwicklungspolitischen Ausschuß deutlich gemacht, daß die Entwicklungsländer ihre eigenen Anstrengungen verstärken müssen, daß sie im Verwaltungsbereich, im politischen Bereich für good governance, für ein gutes Regieren, für ein demokratisch legitimiertes Regieren, sorgen müssen.
Wir haben aber auch gesagt, wo die Verantwortung der Industrienationen, auch der Bundesrepublik Deutschland, liegt: Wir fordern die Industrienationen auf, daß sie zu ihrer Verantwortung für die Handelsliberalisierung und für entwicklungsfördernde weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen stehen sowie zu solidarischer Hilfe durch qualitativ und quantitativ verbesserte Entwicklungszusammenarbeit wie auch zu weiteren Schuldenerleichterungen bereit sein müssen.
Eine viel restriktivere Waffenexportpolitik gehört auch dazu. Herr Außenminister, es ist immer schön zu hören, daß sich die Bundesregierung seit Jahren, seit Jahrzehnten dafür einsetzt, ein Waffenexportregister bei den Vereinten Nationen einzurichten. Sorgen Sie doch dafür, daß wir einfach zu Hause anfangen! Veröffentlichen Sie doch endlich die Zahlen der deutschen Waffenexporte. Das wäre ein erster guter Beitrag.
({3})
Wir wissen, daß Entwicklungsländer die notwendigen Eigenanstrengungen unternehmen müssen und daß Geld allein noch nicht dauerhaft sozialverträgliche und menschenwürdige Entwicklung bedeuten muß. Aber ohne Geld geht vieles nicht. Deshalb beklagen wir den vorprogrammierten Absturz der deutschen Entwicklungshilfeleistungen in den tiefen Keller umso deutlicher.
Sehr geehrter Herr Außenminister, da kann ich Ihren fast selbstgefällig zu nennenden Worten im Bereich der Höhe der entwicklungspolitischen Leistungen nicht zustimmen. Ich will das belegen:
({4})
1982/83 wurden 0,48 % des Bruttosozialproduktes für die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen ausgegeben, 1990 nur noch 0,42 %. In diesem Jahr werden es 0,35 % sein. Nach den Berechnungen der Bundesregierung - wenn nichts geändert wird - werden es 1997 nur 0,29 % sein, und das bei einem 0,7%-Ziel.
Auch die absoluten Leistungen gehen zurück. Im letzten Jahr waren es 11,8 Milliarden DM, im nächsten Jahr werden es nur noch 10,9 Milliarden DM sein. Da kann ich - obwohl ich weiß, was innerdeutsch und insbesondere gegenüber Osteuropa geleistet wird - nur sagen: Wenn eine solche Politik weitergeführt wird, ist dieser Sturzflug der deutschen Entwicklungshilfe gefährlich, unverantwortlich und wird sich rächen.
({5})
Sie alle wissen es doch selbst genau: Was wir heute entwicklungspolitisch versäumen, haben wir morgen als innenpolitische Probleme bei uns auf dem Tisch. Denken Sie nur an die Völkerwanderungen.
({6})
Entwicklung ist doch der andere Name für Frieden.
Ich bedaure ein weiteres Desiderat: Mir ist unerklärlich, warum die Koalitionsfraktionen nicht die im entwicklungspolitischen Ausschuß vorhandene übereinstimmende Auffassung von der Notwendigkeit einer stärkeren parlamentarischen Begleitung der UNO aufgegriffen haben.
Abgeordnete müssen doch - da war sich auch die europäische Parlamentarierkonferenz vom vergangenen Wochenende im Wasserwerk zum Thema „Schaffung globaler menschlicher Sicherheit" einig - über nationale Grenzen hinweg globale, mächtige Institutionen wie die Weltbank und die UN insgesamt stärker parlamentarisch begleiten, auf nationaler wie internationaler Ebene.
({7})
Es darf nicht so kommen wie bei der EG, daß wir Angelegenheiten von der nationalen Ebene nach New York zur UNO verlagern und daß die parlamentarische Begleitung im Atlantik versinkt.
Ich denke nicht an die Einrichtung neuer parlamentarischer Versammlungen. Ich kann mir gut vorstellen, daß z. B. die existierende Interparlamentarische Union, effektiver gestaltet, zu einem parlamentarischen Counterpart der Vereinten Nationen werden könnte. Für bestimmte wichtige UN-Institutionen könnten kleine, zum Teil auch ad hoc zusammengesetzte internationale Parlamentarierkomitees ins Auge gefaßt werden.
Wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, an einem umfassenden Sicherheits- und Friedensbegriff arbeiten; theoretisch haben wir da schon vieles geleistet. Menschliche Sicherheit weist über die militärische Dimension weit hinaus. Langfristigkeit und Nachhaltigkeit der Friedenssicherung setzen eine völlig neue, um die soziale, wirtschaftliche, politische, ökologische und menschenrechtliche Dimension erweiterte Vorstellung von Sicherheit, nämlich globaler menschlicher Sicherheit, voraus.
Meine Vision ist: Die Vereinten Nationen sollen zum Motor für die Civic Society, für die demokratische, friedliche Zivilgesellschaft in der ganzen Welt werden.
({8})
Das deutsche Parlament erwartet von der Bundesregierung ein größeres Engagement in den Vereinten Nationen - das entnehme ich der Beschlußlage des Auswärtigen Ausschusses -, auch im Bereich der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Neben den bilateralen Anstrengungen zur Lösung großer, vielfältiger Probleme erkennt der Bundestag ausdrücklich die Bedeutung des Multilateralismus und hier insbesondere der Vereinten Nationen an. Es wäre in der Tat gut, wenn Bonn wirklich zu einem nationalen und internationalen Nord-Süd-Zentrum ausge15318
baut werden könnte; das wäre eine gute Visitenkarte, auch für ein neues Gesicht.
In der letzten Zeit heißt es oft über die Deutschen und die Vereinten Nationen, es werde eine neue Rolle in der Welt gesucht. Der Bundesrepublik stünde es gut an, die neue Rolle und ein besseres Profil im NordSüd-Bereich zu suchen. Wir hatten, liebe Kolleginnen und Kollegen, gute Architekten in der Westpolitik, wir hatten gute Architekten in der Ostpolitik. Jetzt brauchen wir Baumeister für eine neue Südpolitik.
({9})
Als nächster spricht Andreas Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich bedauere, daß der Kollege Verheugen nicht mehr hier sein kann.
({0})
Ich finde wirklich, daß sein Beitrag heute morgen, der Redebeitrag des Bundesgeschäftsführers der Sozialdemokraten, ein eindrucksvolles Dokument der Regierungsunfähigkeit der Sozialdemokraten war.
({1})
- Herr Kollege Brecht, ich meine, daß es wirklich ein unglaublicher Vorgang ist, wenn uns der Kollege Verheugen hier sinngemäß vorwirft, mit unserer Friedensposition bei den UN rasselten wir mit Säbeln oder seien kriegslüstern.
({2})
- Er hat es sinngemäß gesagt.
Dieser Vorwurf ist deswegen so ungehörig und unglaublich, weil er damit nicht nur uns und die Regierung beleidigt, sondern alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen, weil er die UN als Institution beleidigt, weil er den Generalsekretär der UN beleidigt,
({3})
und er beleidigt, meine Damen und Herren, nicht zuletzt den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion. Es spricht Bände, daß der heute morgen nicht hier war, um sich die Rede von Herrn Verheugen anzuhören.
({4})
Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition dokumentiert mit ihren Anträgen zur Reform der Vereinten Nationen, daß sie bereit ist, unserer wachsenden Verantwortung in einer sich wandelnden Welt gerecht zu werden. Mit unseren Anträgen sagen wir heute hier ein klares Ja zu der Reform der Vereinten Nationen - mit einer Vision, mit einem wichtigen
Ziel: Das System der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen muß zu einem schlagkräftigen Instrument einer neuen Weltinnenpolitik werden.
Meine Damen und Herren, ich finde, man kann nur dann glaubwürdig mit dem Anspruch auf Reformen und Veränderungen an die Vereinten Nationen herantreten, wenn man selber bereit ist, auch die Pflichten, die sich aus der UNO-Mitgliedschaft ergeben, zu erfüllen.
Hier ist wieder die sozialdemokratische Fraktion angesprochen. Meine Damen und Herren, bei Ihrer Suche nach Ihrem Standpunkt zu den großen außenpolitischen Fragen unserer Zeit sollten Sie sich wieder mehr auf die Grundsätze des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt besinnen. Als Deutschland 1973 Mitglied der Vereinten Nationen wurde, hat Willy Brandt seine Grundüberzeugung sinngemäß mit den Worten umschrieben, daß in einer Welt, in der jeder auf jeden angewiesen ist, Friedenspolitik nicht vor der eigenen Haustür haltmachen darf. Wir teilen diese Auffassung.
({5})
Meine Damen und Herren, ich habe nach der Rede von Herrn Verheugen und nach Ihrem Zickzackkurs den Eindruck, daß Sie dieser Grundüberzeugung von Herrn Brandt nicht gerecht werden.
({6})
Die Kluft zwischen den Realpolitikern in Ihrer Fraktion und den Gesinnungspazifisten ist so groß, daß Sie in der Tat zu einer klaren Position in dieser wichtigen UNO-Frage nicht mehr fähig sind.
Es ist doch auch wahr - das können Sie nicht abstreiten -, das Gesinnungspazifismus - die Welt ist nun einmal so - in vielen Fällen in der Realität nichts anderes ist als eine unterlassene Hilfeleistung gegenüber den Ärmsten der Armen in der Welt.
Meine Damen und Herren, gerade als jüngerer Abgeordneter finde ich, daß wir aufhören müssen, das schreckliche Kapitel der deutschen Geschichte als Rechtfertigung dafür zu nehmen, daß wir einen deutschen Sonderweg gehen könnten.
({7})
Es ist für mich gerade unter humanitären Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar, daß man sich an friedenserhaltenden UN-Missionen beteiligen darf, an friedensschaffenden Maßnahmen dagegen nicht.
Dort, wo Frieden bereits verloren ist, ist Hilfe durch die Vereinten Nationen doch notwendiger denn je. Dies kann im Einzelfall auch eine humanitäre Intervention, wie in Somalia, sein. Sie sind leider nicht dazu bereit, diesen Weg mit uns zu gehen.
Ich finde auch - lassen Sie mich das sehr persönlich sagen -: Gerade wegen unserer Geschichte haben
Andreas Schmidt ({8})
wir eine besondere Verantwortung, eine besondere Pflicht, mitzuhelfen, den Frieden in der Welt zu sichern,
({9}) aber auch Frieden in der Welt zu schaffen,
({10})
wenn es auf Grund der realpolitischen Lage keine Alternative zu Peace-making-Aktionen der Vereinten Nationen gibt.
({11})
Meine Damen und Herren, die Somalia-Aktion der Vereinten Nationen ist eine humanitäre Intervention. Aber uns geht es natürlich nicht nur um den militärischen Aspekt. Auch für die CDU/CSU-Fraktion steht außer Frage, daß die Intervention in Somalia - und das gilt auch generell - kein Ersatz für eine auf lange Sicht angelegte richtige Entwicklungshilfepolitik für Krisengebiete sein kann.
({12})
Aber es gilt auch: Das militärische Eingreifen der Vereinten Nationen kann im Einzelfall die Voraussetzung dafür sein, daß eine effektive Entwicklungshilfepolitik für die Ärmsten der Armen erst möglich wird.
({13})
Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch vor Augen halten: Wenn wir uns als Bundesrepublik Deutschland dazu entschließen, an UN-Missionen teilzunehmen, erwächst daraus für uns auch eine besondere Mitverantwortung für die Zukunft des jeweils betroffenen Landes - gerade auch für die Zeit nach einem eventuellen militärischen Erfolg im Sinne einer Friedensstiftung.
({14})
Wir brauchen daher im Rahmen der UN-Reformdebatte auch eine Diskussion darüber, wie friedenswahrende oder friedenswiederherstellende Maßnahmen in ein Gesamtkonzept zur Entwicklung einer Krisenregion eingebettet werden können.
({15})
Meine Damen und Herren, ich will hierzu unter entwicklungshilfepolitischen Gesichtspunkten drei kurze Gedanken äußern:
Erstens. Eine UN-Intervention muß zwingend eine entwicklungspolitische Komponente enthalten; d. h. daß eine UN-Intervention konzeptionell das vorrangige Ziel haben muß, das nach Abzug der UN-Kontingente Strukturen vorhanden sind, um den Menschen in der dann befriedeten Region eine menschenwürdige und demokratische Zukunftsperspektive zu eröffnen.
({16})
- Ich spreche ja davon, daß wir dies tun müssen. Aber wir können das natürlich glaubwürdiger tun, wenn wir insgesamt bereit sind, bei UNO-Aktionen auch bei friedensschaffenden Maßnahmen mitzumachen. Dann sind wir viel glaubwürdiger, auch in diesen Fragen mitzudiskutieren.
({17})
- Lassen Sie mich einmal weitermachen, Herr Kollege Holtz.
Das, was ich gerade gesagt habe, entspricht im Grundsatz übrigens auch der deutschen Entwicklungshilfepolitik, indem wir Entwicklungshilfe konditionieren und von bestimmten innerstaatlichen Strukturen abhängig machen.
Zweitens. Vor der Entscheidung über eine militärische Intervention muß eine Konzeption und Planung der UN-Aktivitäten für den Zeitraum nach der eigentlichen militärischen Befriedungsaktion entworfen werden. Dies ist keine nationale Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, aber wir sind aufgerufen, uns in diesem Sinne an einem notwendigen Diskussionsprozeß innerhalb der UN zu beteiligen. Wir werden unseren Einfluß in dieser Diskussion aber nur dann geltend machen können, wenn wir bereit sind, die Lasten einer militärischen Befriedungsaktion mitzutragen und mitzuverantworten.
Drittens. Im Sinne einer positiven Entwicklung eines Krisengebietes ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie die UN-Kontingente neben ihrer rein militärischen Funktion im Zeitrahmen ihrer Anwesenheit auch Aufgaben von Entwicklungshelfern übernehmen könnten. Die Wiederherstellung von Infrastruktur, Wasserversorgung, Nachrichtenwesen und andere humanitäre Aufgaben dienen der langfristigen Befriedigung eines Krisengebietes vor allem für den Zeitraum nach der eigentlichen militärischen Intervention. Die nichtmilitärische Komponente von friedensschaffenden Maßnahmen muß im Rahmen der Vereinten Nationen stärker koordiniert werden und muß einen höheren Stellenwert erhalten.
Ich will hier auch sagen: Die deutschen Soldaten in Somalia leisten diesbezüglich Vorbildliches. Ich finde, wir sollten ihnen hierfür danken und unseren Respekt aussprechen.
({18})
Ich finde, Frieden und Entwicklung sind untrennbar miteinander verbunden. Deshalb sehen wir in unserem UN-Reform-Antrag einen Schwerpunkt darin, die Entwicklungszusammenarbeit unter dem Dach der UNO zu stärken und ihr eine neue Qualität zu geben. Wir treten in unseren Anträgen daher dafür ein, die Vielzahl der UN-Entwicklungsprogramme und -Entwicklungsfonds zusammenzuführen und besser zu koordinieren. Wir treten ferner dafür ein, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP, von einem reinen Finanzierungsmechanismus zu einer effizienten Entwicklungsinstitution auszubauen.
({19})
Andreas Schmidt ({20})
Die Vereinten Nationen sind vor allem für die Menschen in den Entwicklungsländern zu einem Hoffnungsträger für eine bessere Zukunft, für mehr Wohlstand, für mehr Frieden und für mehr soziale Gerechtigkeit geworden. In einer sich immer schneller wandelnden Welt mit den daraus resultierenden Krisen, Ängsten und Konflikten werden die Bedeutung und die Verantwortung der Vereinten Nationen für die eine Welt, in der wir alle gemeinsam leben, wachsen und zunehmen.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, sind bereit, uns an den großen Aufgaben und Zielen der Vereinten Nationen zu beteiligen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, unsere Verantwortung im Weltsicherheitsrat wahrzunehmen. Wir sind dazu bereit, meine Damen und Herren. Aber es gilt auch: Deutschland wird dieser Verantwortung, die wir übernehmen müssen, insgesamt nur gerecht werden können, wenn wir zwischen Regierung und Opposition hinsichtlich der gesamten Bandbreite der UNO-Friedenspolitik hier in Deutschland einen Konsens finden. Die Weltgemeinschaft erwartet zu Recht von Deutschland, daß wir uns nach der Wiedervereinigung im Sinne einer friedlichen Entwicklung in die Vereinten Nationen vollständig integrieren, unseren Beitrag leisten und auf einen nationalen Sonderweg und auch auf nationale Scheuklappenpolitik verzichten.
Dieser Konsens, den wir nötig haben, wird uns nur gelingen, wenn Sie zu einer klaren Position finden, die auch von Ihrem Fraktionsvorsitzenden vertreten wird. Ich sage Ihnen voraus, meine Damen und Herren von der Opposition: Sie werden mit Ihrem Antrag zur Reform der Vereinten Nationen nur dann Gehör im Ausland finden, wenn Sie in der nächsten Zeit nachweisen und dokumentieren, daß Sie hinsichtlich Ihrer außenpolitischen Forderungen selbst reformfähig sind.
Ich danke Ihnen.
({21})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UNO teilt zur Zeit das Schicksal mit der Bundesregierung in einem Punkt, nämlich beide haben in der Öffentlichkeit derzeit ein relativ schlechtes Ansehen. Die Bundesregierung, speziell der Bundeskanzler, hat nach dem Wegfall der bipolaren Ordnung den Ost- und Westdeutschen etwas versprochen, was nicht einhaltbar war, und die UNO ist von den Anforderungen an diese Organisationen überrollt worden und stand vor dem Problem, diesen Anforderungen nicht gerecht werden zu können.
Die UNO wurde unverschuldet Opfer der „Diskrepanz zwischen Vision und Realität", so jedenfalls hat es Boutros-Ghali vor der 48. Vollversammlung der UNO jetzt beschrieben. Was kann aber eine Weltorganisation schon bestellen, wenn sie ein reguläres Budget hat, das in der Größenordnung des Budgets
der New Yorker Feuerwehr liegt? Dabei verfügt die New Yorker Feuerwehr über einen unglaublichen Vorteil: Sie kann nämlich die Feuerwehrzüge ausrükken lassen, ohne sich vorher monatelang um das Geld für diese Einsätze kümmern zu müssen.
Die Einrichtung eines Revolving Fund ist zwar ein bescheidener Lösungsansatz, erlöst die UNO aber nicht aus ihrer durch finanzielle Not bedingten Ohnmacht.
({0})
Die sich in Deutschland zunehmend etablierende Distanz zur UNO hat leider auch einen innenpolitischen Grund. Die Koalitionsfraktionen haben es im Zusammenspiel mit einigen Zeitungen geschafft, daß viele Bürger unseres Landes den Begriff „UNO" automatisch mit dem Begriff „Kampfeinsatz" assoziieren.
({1})
Ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, daß Sie das beabsichtigt haben. Dies war nur das Hundeopfer bei der Treibjagd auf die SPD.
({2})
Ich sage Ihnen aber: Wer wie der Kanzler die deutsche Beteiligung an UNO-Kampfeinsätzen zur Schicksalsfrage der deutschen Politik hochstilisiert, der braucht sich nicht über eine UNO-Abwehrfront in unserem Volk zu wundern.
Hinter dieser vermeintlichen Schicksalsfrage steht auch der verständliche Wunsch, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu werden. Während zur Überraschung und teilweise auch zum Ärger unserer NATO-Partner Außenminister Kinkel bei der 47. Generalversammlung ein solches Interesse anmeldete, bezeichnete der Kanzler die Frage des Sicherheitsrates als an letzter Stelle stehend. Und dann wieder der Kanzler: Die Bundesrepublik sei für diese Aufgabe nicht gerüstet. Eine letzte Äußerung kommt aus Tokio, wo der Kanzler ein Vetorecht für Deutschland einforderte.
Den öffentlichen Dialog zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt hätte Karl Valentin vermutlich so kommentiert: Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.
Auf die Aufforderung des Generalsekretärs vom 5. März 1993 zu Vorschlägen für eine angemessene Erweiterung des Sicherheitsrates meldete der Bundesaußenminister das Interesse Deutschlands für einen ständigen Sitz an. Es hätte Sinn gemacht, dieses Begehren im Vorfeld mit den Außenministern Großbritanniens und Frankreichs abzustimmen. Studiert man nämlich die Antworten der derzeitigen ständigen Mitglieder an Boutros-Ghali, so stellt man fest, daß der deutsche Wunsch lediglich bei den Amerikanern eine positive Würdigung findet.
So muß doch die Frage gestellt werden, ob der Herr Außenminister nicht einmal bei unseren engsten Freunden Gehör fand oder ob dies alles handwerklich nur ein wenig unprofessionell angefangen hat.
({3})
Ich möchte an dieser Stelle für die SPD-Bundestagsfraktion klarstellen: In unserem Antrag „Reform der Vereinten Nationen" haben wir bis zur Wahrnehmung eines gemeinsamen europäischen Sitzes eine deutsche Mitgliedschaft in diesem wichtigen UN-Gremium grundsätzlich befürwortet. Es macht durchaus Sinn, wenn wir als drittgrößter Beitragszahler mehr Einfluß auf die sicherheitspolitischen Prioritäten des Rates nehmen. Entscheidungsprozesse dürfen nicht mehr nach dem Desert-storm-Muster ablaufen: Washington konzipiert, New York kopiert, Deutschland finanziert. Und der Generalsekretär resigniert.
({4})
Falls der Sicherheitsrat erweitert würde, sollten nicht nur Japan und Deutschland, sondern auch einige bevölkerungsreiche Länder Asiens, Afrikas und Südamerika ein Eintrittsticket erhalten. Hier stimmen wir mit den Forderungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überein.
Dies allein wird nicht ausreichen, um den Vorwurf der nur in der Generalversammlung vertretenen Staaten abzubauen, der Sicherheitsrat entscheide selbstherrlich und ohne jegliche Kontrolle. Man sollte daher eine Appellationsinstanz ins Auge fassen, bei der auf der Grundlage des Völkerrechts Entscheidungen der UNO angefochten werden können.
Unsere eigene ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ist kein Obligo. Wir Sozialdemokraten werden darauf verzichten, wenn der Preis des Eintrittstickets zu hoch ist. Wir haben heute einige Beiträge gehört, auch vom Kollegen Ruck und vom Außenminister, wo dieses Argument wieder als innenpolitische Keule verwandt wird. Interventionskriege wie der Golfkrieg oder militärische Out-of-area-Schläge im Rahmen von WEU oder NATO auf der Grundlage von Art. 51 der UN-Charta sind mit uns nicht zu machen.
({5})
In den vorliegenden Anträgen zur Reform der UNO sind eine Reihe von guten Vorschlägen enthalten, die den Apparat der Vereinten Nationen wirksamer gestalten können, so eine Verschlankung von Gremien und eine bessere Abstimmung ihrer jeweiligen Aktivitäten.
Wenn hier und in den verschiedensten Reformvorschlägen aber eine Stärkung der UNO gefordert wird, so frage ich mich doch nach der Ernsthaftigkeit einer solchen Forderung. Tatsache ist doch, daß die Hochstimmung nach der Unterzeichnung der Charta von Paris 1990 längst verflogen ist und die UNO in einer tiefen Krise steht. Es geht in Wirklichkeit also nicht mehr urn eine weitere Stärkung der Weltorganisation, es geht um den Kampf gegen einen zunehmenden Verfall der UNO. Der rapiden Ausbreitung ethnischnationaler Konflikte und den wachsenden Schwierigkeiten, ihren Ausbruch zu verhindern und sie einzudämmen, steht die Weltorganisation ohne den Rückhalt der Verbalreformisten mehr oder weniger hilflos gegenüber. Ich will Ihnen einige Beispiele dazu nennen.
So kommen die USA ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach und tragen mit ihren enormen finanziellen Außenständen von 1,3 Milliarden DM maßgeblich zur Finanzkrise der UNO bei. Der Ausdruck
„Finanzkrise" ist eigentlich eine Verharmlosung. Es geht in Wirklichkeit um eine politische Krise, die mit dem Risiko des Scheiterns der Idee weltweiter kollektiver Sicherheit verbunden ist.
Ein anderes Beispiel. Den Ankündigungen Bill Clintons und der VN-Botschafterin Albright, amerikanische Truppen würden entgegen der bisherigen Praxis dem UN-Oberbefehl unterstellt, sind bislang keine Taten gefolgt. In Somalia verfolgen die Amerikaner ihre eigene, höchst fragwürdige Strategie. Dazu paßt es, daß die in der „Agenda für den Frieden" anvisierten UNO-Friedensstreitkräfte vom Sicherheitsrat nicht befürwortet werden, weil insbesondere Amerika und Großbritannien es ablehnen, eigene Truppen dem Generalsekretär zu unterstellen. Hier können Sie vielleicht sehen, wo unser Mißtrauen liegt.
Auch die deutsche UNO-Politik ist nicht frei vom Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zwar gehören wir zu der Gruppe der einigermaßen pünktlich und vollständig zahlenden Mitglieder der Weltgemeinschaft. Der Außenminister hat dies eben auch gewürdigt. Eine Senkung des freiwilligen UNICEF-Beitrages von 20 Millionen DM auf zunächst 10 Millionen DM und nun sogar auf 5 Millionen DM mit dem Hinweis auf bestehende Guthaben des UNO-Nebenorgans wirkt angesichts der enormen Aufgabe des Kinderhilfswerks in Afrika, insbesondere in Somalia, kleinkariert.
({6})
Dies ist um so bedauerlicher, als der Beitrag der Bundesregierung für UNICEF im Verhältnis zu anderen UN-Organisationen ohnehin schon verhältnismäßig gering ausfiel.
Ich frage mich weiterhin, warum Deutschland im Unterschied zu seinen europäischen Nachbarn nicht bereit ist, sich der Rechtsprechung des IGH zu unterwerfen.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer zu beantworten?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege Brecht, Sie waren doch am Mittwoch ebenfalls im Auswärtigen Ausschuß und haben gehört, womit die Bundesregierung es begründet, daß der UNICEF-Beitrag jetzt gesenkt werden soll. Das liegt daran - und das wissen Sie doch, frage ich Sie -, daß es dort erhebliche Guthaben gibt, die sich auch verzinsen, und daß deshalb angesichts unserer prekären Haushaltslage eine Kürzung an dieser Stelle wesentlich eher gerechtfertigt ist als an anderen Stellen im Etat des Auswärtigen Amtes, der ja auch zusammengestrichen werden muß.
Herr Kollege Irmer, ich habe dieses Gegenargument, das Sie jetzt gebracht haben, eben schon genannt. Aber Sie wissen genau,
wie UNO-Sonderorganisationen funktionieren. Dort werden immer wieder Zwischenzahlungen deponiert und anschließend für größere Aufgaben abgerufen. Eine Momentaufnahme des Guthabens der UNICEF kann also keine Grundlage für eine haushaltspolitische Entscheidung des Bundestages sein.
Ich möchte noch einmal auf die Frage des IGH zurückkommen. Deutschland ist also offensichtlich nicht bereit, sich der Rechtsprechung des IGH zu unterwerfen. Da frage ich mich: Wie konnten wir unbekümmert eine friedliche Schlichtung des Lockerbie-Konfliktes mit Libyen vor dem IGH fordern, wenn wir selbst nicht zu einer ohnehin widerrufbaren Unterwerfung unter diese Jurisdiktion bereit sind? Wovor hat die Bundesregierung Angst?
Generalsekretär Boutros Ghali hat anläßlich der Eröffnung der 48. Generalversammlung zu Recht kritisiert, daß die großen Mächte gigantische Kriseneinsätze der Weltorganisation fordern, ohne gleichzeitig der Organisation die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
({0})
Vieles spricht zur Zeit dafür, daß sich zwischen der UNO und einigen ihrer Mitglieder eine bestimmte Art von „Arbeitsteilung" anbahnt. Auf der einen Seite werden der UNO die Aufgaben zugeschoben, an deren Bewältigung die mächtigen Staaten selbst kein unmittelbares Interesse haben. Auf der anderen Seite möchten sich diese Staaten möglichst weitgehend von UNO-Entscheidungen freihalten und ihre Militärbündnisse dann einschalten können, wenn es der eigenen Interessenlage entspricht.
Die UNO läuft so Gefahr, zum sicherheitspolitischen Selbstbedienungsladen der westlichen Mächte zu werden. So jedenfalls stellen wir Sozialdemokraten uns ein System kollektiver Sicherheit nicht vor. Wir sind entschieden für ein regionales System kollektiver Sicherheit in Europa. Denn wir brauchen dringend eine Entlastung durch Regionalorganisationen, wie sie im Kapitel VIII der VN-Charta vorgesehen sind.
({1})
Die KSZE hat sich inzwischen dazu bereit erklärt. Angesichts ihrer derzeitigen Schwäche wirkt dies als Sympatiekundgebung, aber nicht als ein wirkliches Angebot. Der KSZE fehlen bislang die notwendigen Mechanismen und Instrumente, um den Aufgaben der Friedenswahrung und Friedenserhaltung in Europa gerecht zu werden. Deshalb sollen nach dem Willen der westlichen Staaten NATO und WEU in die Lücke springen. In Jugoslawien wird das bereits in bescheidenem Umfang praktiziert.
Hierbei kann es sich bestenfalls um Übergangsregelungen handeln. Bei Interessenkonflikten zwischen der UNO und den Militärorganisationen auf dem Gebiet der Friedenssicherung müßten die Weltorganisation bzw. die KSZE notwendigerweise den kürzeren ziehen. Die Verteidigungsbündnisse sind ja nicht - wie eine Regionalabmachung im Sinne der Charta - an den Weltsicherheitsrat gebunden. Wer also wirklich die Stärkung der UNO will, darf sie nicht auf die dürftige Rolle des Legitimationsbeschaffers beschränken.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute stehen eine Reihe unterschiedlicher Anträge für eine Reform der UNO zur Debatte. Es ist erfreulich, daß sich auch andere Fraktionen dieses Hauses von unserem fast zwei Jahre alten Antrag haben inspirieren lassen. Jedenfalls freuen wir uns, daß Sie vielen unserer Vorschläge und Forderungen zustimmen. Ich bedaure nur, daß es trotzdem nicht zu einem gemeinsamen Antrag gekommen ist.
({3})
Auch wenn wir einige wenige inhaltliche Vorbehalte gegenüber dem CDU/CSU-F.D.P.-Antrag in Drucksache 12/3702 haben, werden wir dennoch das hohe Maß an gemeinsamen Reformansätzen durch eine Stimmenthaltung honorieren.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrem Antrag eine Mitbeteiligung der nationalen Parlamente an der UNO-Politik ihres Landes gefordert. Durch die Einsetzung eines Unterausschusses "Vereinte Nationen - Weltweite Organisationen" gehört der Deutsche Bundestag zu den wenigen Parlamenten, wo dies der Fall ist. Unser Engagement entscheidet darüber, inwieweit dieses parlamentarische Gremium deutsche UNO-Politik mitgestaltet.
Der deutsche Essayist Frank Thieß bezeichnete die Weltgeschichte als ein Meer von Blut und Tränen, in dem die wenigen ruhigen und friedlichen Zeiten wie einsame Inseln schwimmen. Land kommt immer wieder mal in Sicht. Unser außen-, entwicklungs- und umweltpolitisches Engagement im Rahmen der UNO entscheidet mit darüber, ob wir es je erreichen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Professor Dr. Karl-Heinz Hornhues das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß dieser Debatte für meine Fraktion noch einmal zusammenfassend sagen, was wir mit Blick auf die UNO wollen.
Erstens. Wir wollen eine allgemeine Steigerung der Effizienz der Arbeit der UNO-Haupt- und Nebenorganisationen.
Zweitens. Wir plädieren für eine Reform des Sicherheitsrates, wobei wir bei der anstehenden Diskussion um die Erweiterung natürlich froh sind über manchen, der uns ermutigt hat, uns selber für einen Sicherheitsratssitz zu interessieren. Allerdings wissen wir auch, daß es wichtig ist, die Handlungsfähigkeit dieses Gremiums zu verbessern und nicht zu erschweren.
Drittens. Wir wollen die Kapazitäten der UNO zur Sicherung und Wiederherstellung des Friedens stärken.
Viertens. Wir wollen die Instrumente der UNO zur Wahrung und Durchsetzung von Menschen- und Minderheitenrechten verbessern.
Fünftens. Wir wollen ein stärkeres Engagement der Vereinten Nationen im Bereich von Umwelt und Entwicklung.
Sechstens. Wir wollen das Kontrollregime für die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen ausbauen und ein verbindliches Regelsystem der Vereinten Nationen für die Waffenexportpolitik ihrer Mitgliedstaaten durchsetzen.
Ich glaube, so kann man die wichtigsten Forderungen und Wünsche, die wir an eine Reform und Verbesserung der Vereinten Nationen haben, zusammenfassen. Wenn ich die Debatte richtig verfolgt habe, haben wir darin auch keine großen Meinungsverschiedenheiten.
Wenn ich mich allerdings an die letzten zwei Stunden der Debatte zurückerinnere, möchte ich hier eines anfügen: Ich glaube, wir sind bei all dem, was wir gerne möchten und wie wir die Welt gerne hätten, oft in der großen Gefahr, uns wunderschöne Visionen zu machen und zu übersehen, wie die wirkliche Welt ist, um dann um so heftiger jammern zu müssen, wenn wir erleben, daß Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen.
Wir haben jetzt die Hoffnung, daß vieles bessergeht, weil nach dem Ende des Kalten Krieges das Blockieren über lange Zeiten hinweg beendet ist, das die UNO oft in den Geruch einer Quasselbude, einer ineffizienten, vielleicht sogar überflüssigen Organisation gebracht hat. Wir können jetzt hoffen, daß die Vereinten Nationen verstärkt in der Lage sind, Probleme dieser Welt zu lösen. Ich glaube, in einer solchen Situation, wo die Hoffnung auf Verbesserungen da ist, müssen wir mit den Beinen auf der Erde bleiben.
183 Nationen gehören den Vereinten Nationen an, mit unterschiedlichsten Interessen und unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Ordnungen. Auch wenn der große Konflikt zwischen Ost und West weg ist, so sind doch eine Fülle anderer Probleme da.
Wenn wir die Demokratien in den Vereinten Nationen einmal zusammenzählen, werden wir feststellen: Wir sind eine Minderheit in den Vereinten Nationen. Mit dieser Wirklichkeit werden wir leben müssen, genauso wie wir bei all dem, was wir uns wünschen, mit der Begrenztheit der Mittel leben müssen. Es ist illusorisch, wenn wir, die wir begeistert z. B. für die UNO sind, die Forderungen aufeinanderhäufen, aber gleichzeitig genau wissen, daß uns die Kollegen im Haushaltsausschuß die harte Frage stellen: Wo wollt ihr das Geld streichen, das wir da hingeben sollen?
Insoweit bitte ich auch uns selber, bei unseren Forderungen und Wünschen, die wir hier formulieren, im Kontakt mit den anderen in diesem Hause zu bleiben, die mit guten Gründen andere Interessen vertreten, und zu versuchen, eine Balance zu finden, statt die Balance zu verlieren.
Der UNO werden heute auf Grund der Hoffnungen, die man an sie bindet, massenhaft zusätzliche Aufgaben zugewiesen, für die sie nie gegründet worden ist, bei denen wir aber meinen, wenn man ihr diese zuweist, sind wir aus dem Schneider. Dies verbindet sich mit einer Zahlungsmoral der Mitglieder - das ist heute schon angesprochen worden -, die in Wahrheit die UNO gegenwärtig am Rande des finanziellen Ruins stehen läßt. Daß wir halbwegs guten Gewissens sagen können, wir haben alles relativ pünktlich bezahlt, tröstet Herrn Boutros Ghali nicht über die großen finanziellen Probleme hinweg.
Ich bitte also bei all dem, was wir haben, das Maß zu wahren, damit wir nicht eines Tages vor unsere Bürger treten und erklären müssen, warum so vieles von den Wünschen und Träumen, die wir formuliert haben, wieder nicht Wirklichkeit geworden ist. Wir sollten uns deshalb gemeinsam darauf konzentrieren, pragmatisch Schritt für Schritt die möglichen Verbesserungen durchzusetzen, statt nur den Träumen nachzuhängen.
In dieser Debatte hat - es war nach den ersten Einlassungen des Kollegen Verheugen kaum anders zu erwarten - die Frage der Friedenssicherung, der Friedensgarantie, der Friedensschaffung durch die Vereinten Nationen und unseres Beitrags dazu eine bedeutende Rolle gespielt. Ich will das nicht alles noch einmal aufgreifen.
Ich möchte an dieser Stelle die Sozialdemokraten nur dringend bitten, die Unterlagen und Protokolle jenes Jahres 1973 durchzusehen, in dem wir, die Bundesrepublik Deutschland, den Vereinten Nationen beigetreten sind.
({0})
- Wenn Sie dies getan haben, Herr Kollege Holtz, wissen Sie, wovon ich rede.
({1})
Damals ist die Bundesrepublik ohne Wenn und Aber, ohne irgendeinen Vorbehalt, ohne irgendeinen Hinweis auf verfassungsrechtliche Problematiken beigetreten, und nicht nur dies: Die damalige Bundesregierung hat den Deutschen Bundestag in einer Denkschrift, die Bestandteil des Ratifizierungsverfahrens war, ausdrücklich und präzise in der Drucksache 7/154 darauf hingewiesen, was die Pflichten Deutschlands als Mitglied der Vereinten Nationen seien.
Herr Dr. Hornhues, hier gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Bitte schön!
Besten Dank, Herr Präsident. - War es, Herr Kollege Hornhues, nicht auch so, daß damals ein Interpretationskonsens in bezug auf die Verfassung zwischen CDU/CSU, SPD und F.D.P. bestanden hat, daß Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr nicht gedeckt sind?
Herr Kollege Holtz, ich bitte Sie herzlich, alle Ausführungen Ihres verstorbenen Ehrenvorsitzenden Willy Brandt nach15324
zulesen, der dies für sich als Bundeskanzler für jene Zeit bestritten hat.
({0})
Ich richte also die dringende Bitte an die SPD, uns endlich einmal zu erläutern, warum man von dieser damaligen Selbstverständlichkeit, nämlich ein normales Mitglied mit allen Rechten, aber auch mit allen Pflichten zu werden, abweicht und uns mit Anträgen beim Bundesverfassungsgericht in diese weder unseres Landes noch den Menschen außerhalb und unseres Landes dienende heillose Diskussion stürzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe noch eine Bitte an das Auswärtige Amt, an den Bundesaußenminister; dieser Punkt ist mir hier ein wenig zu kurz gekommen. Der Bundesaußenminister wird ja nächste Woche nach New York fahren. Zwar erklärt das Auswärtige Amt - vermutlich zu Recht -, daß die sogenannten Feindstaatenklauseln der Vereinten Nationen, die sich wesentlich auch auf das ehemalige Deutschland beziehen, obsolet seien. Das kann man so sehen und interpretieren. Wenn das so ist, ist für uns nicht einsehbar - deswegen ist dies Bestandteil des Entschließungsantrags, der hier vorliegt -, warum man das dann nicht auch streichen kann. Sie wissen vermutlich so gut wie ich, wie man innenpolitisch eine solche Formulierung, die dort immer noch steht, im Sinne einer Negativrolle Deutschlands mißbrauchen kann.
({1})
- Ich habe genau Sie gemeint, Herr Kollege Krause, und Ihre Freunde.
Meine herzliche Bitte lautet: Tragen Sie dazu bei, reden Sie mit unseren Freunden; es müßte angesichts einer Reformwilligkeit genereller Art möglich sein, obsolete Formulierungen zu beseitigen.
Ich gehe davon aus, daß Sie bereit sind, eine Frage des Abgeordneten Schäfer zu beantworten.
Ja.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Hornhues, wir greifen das natürlich gerne auf. Ich darf als Abgeordneter die Frage an Sie richten, ob Ihnen nicht genauso wie mir bekannt ist, daß die Änderung der Textstelle, an der uns zweifellos liegt, in der UNO deshalb noch nicht erfolgt ist, weil dort die berechtigte Sorge besteht, daß eine Fülle von Staaten eine Fülle von Wünschen bezüglich Textänderungen bei den bestehenden UN-Statuten äußern würden, wenn die angesprochene Änderung erfolgte. Deshalb war bisher die Bereitschaft, Texte der UNO zu ändern, gering. Das hat aber nichts mit Deutschland zu tun.
Herr Kollege Schäfer, dies ist mir zweifelsohne bekannt. Nichtsdestotrotz gilt: Da ich bisher weder bei der UNO selbst
noch in irgendeinem UN-Mitgliedsland jemanden gefunden habe, der dezidiert für die Beibehaltung der Formel plädiert hat, müßte es trotz aller Bedenken vergleichsweise einfach sein, wenigstens bei dem einen Punkt einen Konsens zu erreichen. Das beschließen wir gleich als Forderung an die Bundesregierung.
Ich freue mich, Ihrem Gesicht ansehen zu können, daß Sie dem Außenminister dies mitteilen. Dieser wird sich selbstverständlich, da er Mitglied der Koalitionsregierung ist, dafür einsetzen. Er wird das Mögliche zu erreichen versuchen.
({0})
Lassen Sie mich zum Schluß ein paar Minuten an diejenigen denken, die sich als Menschen hinter dem Begriff der Vereinten Nationen verbergen. Ich denke an die oft gescholtenen Bürokraten, von denen man meistens nur hört, daß sie viel zuviel Geld verdienen - und alle diese üblichen Redensarten. Diese Menschen versuchen aber in manchmal ausgesprochen schwierigen Situationen, all das, was wir unter dem Motto „Das soll die UNO mal lösen!" abschieben, zu regeln. Sie stehen vor dem Problem, immer mehr Aufgaben zugewiesen zu bekommen, die sie lösen sollen. Wir - ob in Deutschland oder anderswo - zeigen nur geringe Bereitschaft, ihnen die notwendige Handlungsmöglichkeit zu geben.
Ein Teil dessen, was die SPD heute zum Thema „Frieden schaffen" erklärt hat, beinhaltet, daß man alle möglichen Wünsche und Träume bezüglich der UNO hat, während man ihnen auf der anderen Seite die entsprechenden Möglichkeiten konkret versagt.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, für meine Fraktion allen diesen Menschen herzlich zu danken. Ich danke auch den Soldaten, welcher Nation auch immer, die ihr Leben riskieren, um Frieden zu erhalten oder Frieden zu schaffen. Damit dienen sie dem Frieden und den Zielen der Vereinten Nationen; damit dienen sie auch unseren Interessen und unseren Friedenswünschen.
Ich danke unseren Soldaten, nicht nur in Somalia, sondern auch an vielen anderen Stellen der Welt, wo sie sich engagieren, wo sie im Einsatz sind.
Ich möchte mit einem Moment des Gedenkens an diejenigen schließen, die ihr Leben für die Dinge gegeben haben, über die wir gelegentlich mit ein wenig zuviel Pathos reden, während wir zuwenig daran denken, was es konkret für den einen oder anderen bedeutet.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Krause ({0}).
Herr Präsident! Herr Staatsminister! Meine Damen und Herren! Drei Erfordernisse zukünftiger deutscher
Dr. Rudolf Karl Krause ({0})
UNO-Politik möchte ich betonen. Ich stehe damit in diesem Hause nicht allein.
Erstens. Deutsches Engagement muß der Durchsetzung deutscher Interessen dienen, so wie andere Regierungen den Interessen ihrer Völker dienen. Herr Verheugen sagte ja, frühere und übriggebliebene Großmächte bedienten sich der Vereinten Nationen: arabische Länder und die USA sowie Rotchina in einer Weise, die als undemokratisch gegenüber Nationalchina bezeichnet werden muß. Und vergessen wir nicht: Sehr vehement und sehr erfolgreich hat sich die DDR in den Jahren ihrer Zugehörigkeit zur UNO dieser Organisation zur Durchsetzung ihrer außenpolitischen Interessen bedient.
Zweitens. Gleichberechtigung und Völkerfreundschaft - ich benutze bewußt dieses Wort - setzen die Abschaffung des Feindstaatenartikels 53 und auch des Art. 107 voraus.
Drittens. Ein ständiger Sitz und auch - wenn der Kanzler das so sagt - ein Vetorecht sind Voraussetzung für Gleichberechtigung, dafür - wie es Außenminister Kinkel sagte -, daß wir alle Rechte und Pflichten übernehmen.
Lassen Sie mich kurz einige Sätze zur Analyse sagen. Herr Verheugen sagte, die deutsche Rolle sei in den letzten Jahren in der UNO nicht größer geworden. Ich sage dazu: Sie entspricht nicht unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten und ist unserer moralischen Kraft als deutsches Volk auch nicht angemessen.
1973 bis 1989 war die UNO in der Tat nicht das Forum, auf dem deutsche Regierungen die deutsche Frage auch nur angesprochen, geschweige denn durchzusetzen versucht hätten. Das ist, wie vielen Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion bekannt ist, 1988 in Reykjavik vom Bundeskanzler auch abgelehnt worden. Einer mußte dafür auch ins Gras beißen, dem man blühenden Unsinn nachsagte.
In der letzten Ausgabe der Zeitung „Das Parlament" steht sehr richtig auf der ersten Seite: Die deutsche Frage war in der UNO kein Thema. Ich möchte deshalb mit einer gewissen Häme verschiedene andere Politiker zitieren, die mir sonst nicht nahestehen: Außenminister Genscher war der beste Außenminister, den die DDR in den 70er und 80er Jahren hatte. Ich möchte mir einen eigenen Kommentar dazu ersparen.
({1})
Die Gleichberechtigung der DDR in der UNO zementierte und rechtfertigte nach außen die deutsche Spaltung bis 1989. In der UNO wäre auch darüber hinaus mit großer Wahrscheinlichkeit nichts von der deutschen Regierung getan worden, um die deutsche Einheit wiederherzustellen. Das waren die Menschen in der DDR.
({2})
Deutsches Engagement zur Durchsetzung deutscher Interessen ebenso wie andere Völker auch - ich zitiere den Kollegen Andreas Schmidt -: Ein Sonderweg kann aus der Vergangenheit nicht abgeleitet werden. Auch andere Länder haben ihre Vergangenheit mit ihren Kolonialvölkern.
Zur zweiten Forderung: Gleichberechtigung. Feindstaat ist definiert als jeder Staat, der im Verlauf des Zweiten Weltkrieges Feind irgendeines der Signatare war, also auch Finnland, Ungarn, Rumänien, Italien, die Slowakei und möglicherweise Österreich. Deshalb muß die Feindstaatenklausel unbedingt fallen.
Ich wende mich aber auch gegen den Erhalt des Art. 107, der festschreibt, daß alles völkerrechtswidrige und kriegsverbrecherische Kriegs- und Nachkriegsunrecht gegen irgendeinen der als Feindstaaten bezeichneten Nationen festgeschrieben wird.
Wenn die deutsche Bundesregierung sagt, wir erkennen Art. 107 an, dann sagt das bitte auch den Heimatvertriebenen, damit da klar Fraktur geredet wird. Erkennen wir die Vertreibung nicht an, dann sind wir gegen Art. 107, oder eben das Gegenteil ist der Fall.
Zum dritten Punkt, zum ständigen Sitz und Vetorecht: Ja, ich bin dafür, daß wir in allen Rechten und auch in allen Pflichten unseren Beitrag als 80-Millionen-Volk auf der Welt leisten. Aber das deutsche Geld, 9 % des Beitrages, muß sich auch in entsprechendem
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
- Einfluß widerspiegeln. Ich bin dafür, wie es Amerikaner uns sagten: partnership in leadership.
Danke.
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich an die Spielregeln halten würden.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung, weil mir weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Zunächst stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 12/5731 ab. Der Ausschuß empfiehlt unter I, den Antrag der Fraktion der SPD zur Reform der Vereinten Nationen auf Drucksache 12/1719 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen worden.
Unter II empfiehlt der Ausschuß, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Zukunft der Vereinten Nationen auf Drucksache 12/3702 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen worden.
Unter III empfiehlt der Ausschuß schließlich, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur zukünftigen Rolle der Bundesrepublik Deutschland im System der Vereinten Nationen auf Drucksa15326
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
che 12/3703 anzunehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen worden.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch Mitglieder der Bundesregierung wegen der Beteiligung deutscher Soldaten an VN-Einsätzen - es handelt sich um die Drucksachen 12/4639 ({0}) und 12/5305 - ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung, den Antrag abzulehnen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit der Mehrheit von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen worden.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/3779, 12/4568 und 12/5728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Parlamentarische Kontrollkommission
Bericht über die bisherige Kontrolltätigkeit gemäß § 6 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes
- Drucksache 12/5080 -
b) Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze
- Drucksache 12/4402 - ({1})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 12/5626 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({3})
Dr. Burkhard Hirsch
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 12/5627 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres Ina Albowitz
Rudolf Purps
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Maßnahmen zur Auflösung des Bundesamtes
für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes
- Drucksachen 12/4403, 12/5626 - Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({6}) Dr. Willfried Penner
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine verlängerte Redezeit erhalten soll. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann hat zunächst einmal als Berichterstatter der Abgeordnete Dr. Penner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn jemand einen Auftrag erhält, ihn annimmt und ausführt, dann ist er seinem Auftraggeber gegenüber rechenschaftspflichtig. So ist es jedenfalls die allgemeine Regel und Übung.
Für die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission hat das bis 1992 nicht gegolten. Anfangs von den Fraktionen bestimmt, seit 1978 vom Parlament gewählt, blieb die Tätigkeit der Kontrolleure wie die Betätigung der zu kontrollierenden Geheimdienste selbst geheim.
Seit gut einem Jahr ist das anders. Wenn auch die Grundsätze der Geheimhaltung nach wie vor im Gesetz hervorgehoben werden - ich füge hinzu: hervorgehoben werden müssen -, ist doch die gesetzliche Verankerung der Pflicht der PKK zur Berichterstattung an das Plenum, an das Parlament, ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz für die Mitglieder der PKK geworden.
Der erste Bericht dieser Art ist schon im Juni dieses Jahres vorgelegt worden. Er ist die Grundlage der heutigen Debatte.
Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus acht Mitgliedern des Bundestages, die vom Parlament zu Beginn dieser Legislaturperiode oder mittlerweile gewählt worden sind. Derzeit gehören der Kommission folgende Mitglieder an: die Abgeordneten Johannes Gerster, Dr. Burkhard Hirsch, Dr. Rolf Olderog, Dr. Willfried Penner, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Peter Struck, Dr. Hans de With und Wolfgang Zeitlmann.
({0})
Seit der Konstituierung in der 12. Wahlperiode ist die Parlamentarische Kontrollkommission zu 13 ordentlichen und 10 außerordentlichen Sitzungen zusammengekommen. Darüber hinaus hat es eine Vielzahl von Besprechungen der Mitglieder der PKK aus Anlaß der Novellierung des PKK-Gesetzes 1992 gegeben.
Die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission erfolgte durch den jeweiligen Koordinator der Nachrichtendienste beim Bundeskanzler, durch die Staatssekretäre des Bundesministeriums des Innern und des Bundesverteidigungsministeriums, durch die Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Amtes für Sicherheit der BunDr. Willfried Penner
deswehr, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes, aber auch durch nachgeordnete Mitarbeiter dieser Behörden.
Die Beratungen gingen ungefähr zu gleichen Teilen auf Initiativen der Bundesregierung und der Mitglieder der PKK zurück.
Folgende Themen bildeten bei den Beratungen einen besonderen Schwerpunkt:
Erstens. Die Folgen der Wende im Ost-WestVerhältnis für die nachrichtendienstliche Tätigkeit haben die Parlamentarische Kontrollkommission eingehend beschäftigt. Dazu gehört auch die Beratung über Stasi-Material aus Anlaß aktueller Fälle. Es ist absehbar, daß gerade dieser Themenbereich die PKK noch lange Zeit in Anspruch nehmen wird.
Zweitens. Mit dem Thema Waffenexport hat sich die PKK nicht nur aus Anlaß des Golfkrieges, sondern auch im Zusammenhang mit Berichten über Kernwaffen- und C-Waffen-Entwicklungen in mehreren Schwellenländern befaßt.
Drittens. Im Rahmen der so bezeichneten wehrtechnischen Zusammenarbeit mit Israel hat die beabsichtigte Lieferung von wehrtechnischem Material in den Beratungen der PKK einen breiten Raum eingenommen. Dieser Vorgang hat in der Öffentlichkeit seinerzeit deshalb besonderes Aufsehen erregt, weil die Lieferung als Export von landwirtschaftlichen Geräten deklariert war. Dafür gab es nach Auffassung der Kommission keinen Anlaß. Auch bei der wehrtechnischen Zusammenarbeit erinnert die Kommission daran, daß in jedem Fall die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten sind.
Beim politischen Extremismus in Deutschland galt das besondere Augenmerk der Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland, insbesondere auch in den neuen Bundesländern und in Berlin. Rechtsextremistisch bestimmte Gewalttaten entsprechen nach den bekanntgewordenen Erkenntnissen wohl eher der Gesinnung einer bundesweiten Minderheit, gehen aber bisher nicht auf bundesweite organisatorische Vernetzung rechtsextremistischer Organisationen zurück.
Bei der mehrfachen eingehenden Behandlung des Themenbereichs „Internationale Drogenkriminalität" wurde die Frage erörtert, ob der BND auch auf diesem Gebiet tätig werden sollte. Unbeschadet unterschiedlicher Überzeugungen beim Trennungsgebot zwischen polizeilichen Aufgaben einerseits und denen der Nachrichtendienste andererseits wird dies mittlerweile einmütig für nützlich erachtet, soweit strafrechtlich bedeutsame Erkenntnisse des BND im Ausland unverzüglich den zuständigen Stellen der Strafverfolgung zugeleitet werden.
Die Ermächtigung des BND-Gesetzes reicht dafür nach Auffassung der Kommission aus. Insofern ist der schriftliche Bericht der Parlamentarischen Kontrollkommission ergänzungsbedürftig. Im übrigen hat auch der Rechtsausschuß des Bundestages diese Frage einstimmig bejaht.
Die Erfassung der internationalen Fernmeldeverkehre, durch die Informationen über fremde Staaten auf politischem, wirtschaftlichem, militärischem und
technisch-wissenschaftlichem Gebiet ausgetauscht werden, hat die Parlamentarische Kontrollkommission ebenfalls mehrfach beschäftigt. Sie hat auch diese Frage eingehend erörtert. Dabei ging es um die Frage, ob Informationen über Personen, die den Schutz des Art. 10 des Grundgesetzes genießen, und die bisher vom BND sofort vernichtet werden, zukünftig an die zuständigen Stellen der Strafverfolgung weitergegeben werden sollen. Eine von der Bundesregierung zur Neuordnung dieser Frage in Aussicht gestellte Gesetzesnovelle ist bis heute noch nicht vorgelegt worden.
Die Parlamentarische Kontrollkommission unterstützt Bemühungen der Bundesregierung, nach den politischen Veränderungen in Osteuropa eine Zusammenarbeit auch mit den Diensten von Staaten des früheren Warschauer Pakts, insbesondere Rußlands zu ermöglichen. Auch auf parlamentarischer Ebene zeigen diese Staaten ebenso wie andere westeuropäische Länder ein hohes Interesse am deutschen System einer parlamentarischen Kontrolle nachrichtlicher Tätigkeit.
Die erweiterten Kontrollkompetenzen für die Parlamentarische Kontrollkommission sind nunmehr eineinhalb Jahre in Kraft. Sie sind wie folgt praktiziert worden:
Erstens. Die nunmehr mögliche Mitberatung der Wirtschaftspläne der Dienste erfolgte in einer besonderen Sitzung erstmals für den Haushalt 1993. Die Ergebnisse wurden in einer Stellungnahme dem Vertrauensgremium im Haushaltsausschuß übermittelt. Dabei hält die Parlamentarische Kontrollkommission eine angemessene Personalausstattung der Nachrichtendienste im Hinblick auf neue Herausforderungen für gerechtfertigt.
Zweitens. In drei Fällen hat die Parlamentarische Kontrollkommission von der Möglichkeit einer öffentlichen Bewertung aktueller Vorgänge Gebrauch gemacht.
Drittens. Im Berichtszeitraum gingen bei der Parlamentarischen Kontrollkommission erstmals Hinweise von Bediensteten im Sinne der Nr. 2 der Erklärung der Bundesregierung vom 12. März 1992 ein. Danach können sich Mitarbeiter der Nachrichtendienste zur Verbesserung der Aufgabenerfüllung direkt an die PKK wenden, wenn ihre auf dem Dienstweg gegebenen Hinweise ohne Erfolg geblieben sind. Die Kommission hat diese Eingaben behandelt und abschließend beschieden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Unterrichtungen durch die Bundesregierung und die Nachrichtendienste sind umfassend und gründlich erfolgt. Indiskretionen waren der Arbeit der Kommission nicht dienlich. Die Arbeit der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission orientierte sich nicht an der sonst gewohnten Trennlinie zwischen Opposition und Parlamentsmehrheit. Die Nachrichtendienste haben im Rahmen von Gesetz und Recht auftragsgemäß das Ziel verfolgt, die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik zu schützen.
Die Kommission dankt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz,
des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes für ihren Einsatz.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Rolf Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bericht, der von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestages vorgelegt worden ist, mag manchem nicht sonderlich aufregend erscheinen, kann dies aus Gründen notwendiger Geheimhaltung in seinen sachlichen Informationen wohl auch nicht sein. Klar, jeder Spionageroman ist viel spannender. Aber es ist immerhin eine Premiere; Kollege Penner hat darauf hingewiesen. Der Bericht bedeutet für die PKK die Aufnahme eines zusätzlichen demokratisch-parlamentarischen Elements. Es ist ein Schritt, die Arbeit der PKK und vielleicht auch die der Nachrichtendienste aus dem Verborgenen ein Stück mehr ans Licht der Öffentlichkeit zu holen.
Es gibt eine ganz bemerkenswerte Entwicklung. Ursprünglich waren in der Bundesrepublik Deutschland die Nachrichtendienste, die Geheimdienste ein Bereich ausschließlich in der Verantwortung der Bundesregierung, abgeschirmt von jeder parlamentarischen Kontrolle. Der erste Schritt kam dann 1956: Die Einrichtung eines parlamentarischen Vertrauensmännergremiums. Seine Mitglieder waren nicht vom Parlament gewählt, sondern von den Fraktionen bestellt, in der Regel die Fraktionsvorsitzenden bzw. Parlamentarischen Geschäftsführer. Eine Rechtsgrundlage für diese Mitglieder gab es nicht.
1978 kam es dann in der Folge des Falles Traube zu einem förmlichen Gesetz, dem PKK-Gesetz, das wir 1992 novelliert haben. Danach ist die PKK zwar kein verfassungsrechtlich abgesicherter normaler Bundestagsausschuß, aber doch ein parlamentarisches Arbeitsgremium mit gesetzlich klar umrissenen Informationsansprüchen und entsprechenden Informationspflichten der Bundesregierung.
Erstmals ist in diesem neuen Gesetz auch die Berichtspflicht der PKK gegenüber dem ganzen Deutschen Bundestag verankert. Ich denke, das hat einen gewissen Symbolwert. Der Kollege Penner hat es gesagt. Es verdeutlicht Verantwortung und Rechenschaft der PKK gegenüber dem Parlament als Ganzem und auch gegenüber der Öffentlichkeit, ein Stück mehr Transparenz.
Ein demokratisches Parlament steht immer vor der schwierigen Aufgabe abzuwägen: Einerseits sind die geheimen Dienste, nichtöffentliche Aktivitäten des Staates unverzichtbar - und es gehört zur Aufgabe der PKK, insoweit auf die Leistungsfähigkeit der Dienste zu achten -, andererseits soll ein möglichst großer Teil, eigentlich die gesamte öffentliche Verwaltung, in einem demokratischen Staat, einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliegen, insbesondere um die Grundrechte der Bürger gegen etwaige Übergriffe - das ist eine verständliche Besorgnis - der Geheimdienste zu schützen.
Ich bin überzeugt, alle bisherigen Aktivitäten der PKK, auch wenn sie den Diensten sicher gelegentlich lästig gewesen sind, haben insgesamt den Diensten genutzt. Nur wenn der Bürger sieht, daß Geheimdienste parlamentarisch kontrolliert werden, wird er ihnen vertrauen können. Ohne dieses Vertrauen gibt es keine leistungsfähigen Dienste, insbesondere deshalb nicht, weil es dann keine motivierten Mitarbeiter in diesen Diensten gibt.
Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes und des militärischen Abschirmdienstes sehr herzlich danken und ihnen sagen, daß sie für unseren demokratischen Staat und für unsere Bürger einen wichtigen, ja, wie wir eigentlich überzeugt sind, einen unverzichtbaren Dienst ausüben. Ihre Arbeit vollzieht sich unter besonders schwierigen Bedinungen.
Natürlich gibt es auch dort - das ist unvermeidbar - Fehler, Pannen, menschliche Schwächen. Völlig klar. Aber wir sollten doch mit Nachdruck jenen absichtsvollen Darstellungen entgegentreten, die sich in manchen Medien und bei bestimmten Autoren finden, die sich auszeichnen durch maßlose Übertreibungen oder unverantwortliche Spekulationen, zuweilen sogar durch bewußte und bösartige Verdrehungen der Tatsachen, und die damit ein Zerrbild von den Diensten vermitteln, das mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun hat.
In gewisser Weise typisch, auch wenn es da natürlich einen berechtigten Kern der deutlichen Kritik gab, für die Berichterstattung einiger Journalisten über die Nachrichtendienste war die mit Übertreibungen und leichtfertigen Spekulationen gespickte Berichterstattung einiger Medien, einiger Journalisten über den angeblich illegalen Waffenhandel des BND mit Israel 1991.
Voll grober Unwahrheiten und bösartiger Verfälschungen ist z. B. auch die Publikation eines gewissen Schmidt-Eenboom. Zu behaupten, der Bau einer Giftgasanlage im Libyschen Rabta sei mit Deckung oder sogar mit Hilfe des BND geschehen, ist eine grobe Unwahrheit.
Ich bekräftige: Nach meiner Überzeugung arbeiten die Mitarbeiter der Dienste äußerst korrekt, gesetzestreu, verantwortungsbewußt. Nach meiner Überzeugung haben wir, obwohl gewisse Schwachpunkte nicht übersehen werden können, insgesamt leistungsfähige Dienste, in jedem Fall rechtsstaatlich zuverlässige Dienste.
Meine Damen und Herren, zum Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann ich nur erneut unterstreichen, was ich bei der ersten Lesung gesagt habe: Der vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Gesetzentwurf erhobene Vorwurf, die geheimen Dienste entzögen sich tendenziell einer rechtlichen Kontrolle und rechtlichen Bindungen und produzierten unablässig Skandale, ist ungerecht und nur als eine grundlegende Verkennung unserer Dienste zu bewerten.
Frau Köppe, Sie und viele andere Bürger der ehemaligen DDR haben ihre Erfahrungen in der Begegnung mit einem Geheimdienst einer kommuniDr. Rolf Olderog
stischen Diktatur sammeln müssen. Aber ich bitte Sie zu erkennen, daß es einen fundamentalen Unterschied macht, ob es sich um einen Geheimdienst in einer Diktatur handelt oder um die Geheimdienste in einer verfassungsrechtlich abgesicherten Demokratie, bei uns in Deutschland. Eine wehrhafte Demokratie kann leider auf Nachrichtendienste, auch und gerade heute wieder, nicht verzichten.
Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, aber auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen des Bundestages versichern - ich schließe damit an das an, was der Kollege Penner ja schon für alle Mitglieder vorgetragen hat -:
({0})
Die PKK hat keinen Grund, sich über mangelnde Auskunftsbereitschaft der Bundesregierung zu beklagen. Es hat tatsächlich seit sehr langer Zeit - es gab auch einmal andere Zeiten; das möchte ich in Erinnerung rufen - nicht einen einzigen ernsthaften Konflikt zwischen PKK und der Bundesregierung gegeben. Ich empfinde die Zusammenarbeit in der PKK ohne Einschränkung als vertrauensvoll. Ich danke dafür dem Koordinator der Bundesregierung und den Chefs der Dienste.
Damit allerdings auch hier kein falsches Bild entsteht: Vertrauensvolle Zusammenarbeit heißt nicht etwa augenzwinkernde Kameraderie oder daß wir die Bundesregierung nachsichtig mit Glacéhandschuhen anfassen. In der PKK wird hart und insistierend gefragt, Herr Struck
({1})
- Herr Struck, Sie ganz besonders -; der Regierung wird nichts geschenkt.
Im Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heißt es, die Aufgaben der Dienste seien weitgehend entfallen. Wenn es so wäre, könnten wir alle, könnte die Welt aufatmen. Davon kann aber leider keine Rede sein. Die allabendlichen Fernsehbilder zeigen in bedrükkender Deutlichkeit, daß die Welt nicht friedlicher geworden ist, sondern verstärkt mit brennenden Konflikten belastet ist. Daß sich nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes Schwerpunkte verschoben haben und neue Herausforderungen dazugekommen sind, ist oft genug betont worden. Ich will es nicht wiederholen.
Wie notwendig der BND ist, zeigen wenige Stichworte: Aufrüstung fundamentalistischer Staaten in Nah- und Mittelost, internationaler Terrorismus, illegaler Technologietransfer, ABC-Waffen im illegalen internationalen Handel.
Wie wichtig der Verfassungsschutz ist, zeigen der erschreckende Anstieg eines ausländerfeindlichen Rechtsradikalismus in Deutschland, der Fortbestand der RAF, eine umfangreiche Wirtschaftsspionage und extremistische Ausländerbestrebungen in Deutschland. Vor allem die entsetzlichen Anschläge auf Ausländerheime haben uns erschüttert und alarmiert.
Sie belasten das Ansehen und zum Teil auch die Handlungsfähigkeit Deutschlands im Ausland.
Angesichts der dramatisch ansteigenden Gefahr durch die organisierte Kriminalität plädiere ich für die Beteiligung der Nachrichtendienste des Bundes, des BND und des BfV, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität durch Beobachtung ihrer Strukturen und ihrer Entwicklung im Vorfeld einschließlich der Befugnis, unter parlamentarischer Kontrolle den internationalen Fernmeldeverkehr und den Inlandsfernmeldeverkehr zu überwachen.
Die organisierte Kriminalität arbeitet mit konspirativen Methoden, die der geheimen Arbeit der professionellen Dienste durchaus vergleichbar sind. Im Hinblick auf die Erfahrung unserer Abwehrdienste bei der Vorfeldbeobachtung - ein Gebiet, das unserer Polizei noch weitgehend fremd ist - treten wir dafür ein, zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität den Verfassungsschutz zu beteiligen.
Das würde die Beobachtung der Strukturen und der Entwicklung dieser Kriminalität wesentlich erleichtern. Insbesondere im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit öffnen sich dabei neue Erkenntnismöglichkeiten. Bei unseren Partnern, z. B. in den USA, Italien und in den Niederlanden, sind die Inlandsnachrichtendienste mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität befaßt. Insoweit könnte die internationale Kooperation auch auf das Vorfeld der Strafverfolgung schon wirksam ausgedehnt werden.
Auch eine Ausdehnung des G-10-Gesetzes auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität durch den Verfassungsschutz ist geboten. Der Katalog des Art. 1 § 2 Abs. 1 des G-10-Gesetzes sollte um die Straftaten nach § 129 StGB ({2}), § 130 StGB ({3}), § 131 StGB ({4}) erweitert werden.
Ich möchte darauf hinweisen, daß es bei der gebotenen Trennung von Verfassungsschutz, Polizei und Strafverfolgungsbehörden auch in Zukunft bleiben sollte.
Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der uns die wachsenden Probleme der inneren Sicherheit alarmieren und die Bedrohung der äußeren Sicherheit wieder stärker ins Blickfeld kommt, sollten sich die politisch Verantwortlichen nachdrücklich zu den Sicherheitsorganen bekennen.
Ich habe bei meiner Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten den Eindruck gewonnen - ich wiederhole, was ich bereits früher einmal im Bundestag gesagt habe -, daß die gegenüber den Diensten besonders mißtrauische und kritische Sicht der Medien, bestimmter Abgeordneter und der Öffentlichkeit gelegentlich zu einer eher bedenklichen Zurückhaltung und zu Handlungsverzicht der Dienste auch dort führt, wo Recht und Gesetz einwandfrei Handlungsermächtigung bieten. Andere Dienste im Ausland haben mehr Selbstsicherheit und können damit erfolgreicher arbeiten.
Wir begrüßen den Bericht der PKK und nehmen ihn zustimmend zur Kenntnis. Wir lehnen den Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab. Wir beken15330
nen uns zu den Nachrichtendiensten. Sie sind ein notwendiger Bestandteil unserer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung. Meine Fraktion gibt ihnen ihren vollen Rückhalt.
Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Hans de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Medien, nicht nur in den Magazinen, erfreuen sich Berichte aus der Welt der Nachrichtendienste größter Beliebtheit und tragen dazu noch - warum sollten wir es verschweigen - zur Auflagensteigerung bei.
Fast ebenso weit verbreitet ist die Auffassung, die Nachrichtendienste brächten nichts, ja sie gehörten
- jedenfalls in einer Demokratie - abgeschafft. Und wenn Unebenheiten, Ungeschicklichkeiten und Fehlhandlungen bei den Diensten aufgedeckt werden
- und derartige Mängel gibt es überall -, erscheint das bei den Diensten immer etwas sensationeller und führt noch dazu, daß dem Parlament vorgeworfen wird, es werde an der Nase herumgeführt; Dienste könne man ohnehin nicht kontrollieren.
Natürlich tut sich eine Demokratie mit ihren Diensten schwer. Diese arbeiten verdeckt oder, sagen wir, geheim. Die Demokratie lebt vom öffentlichen Wort.
({0})
Die Geschichte der Einführung von Kontrollmaßnahmen in unserer Demokratie ist - wie wir aus dem Bericht gehört haben - jung. Wir nehmen heute überhaupt zum erstenmal einen Bericht der Kontrollkommission im Bundestag entgegen und debattieren darüber. Es ist gewissermaßen eine Premiere. Deswegen haben wir die Pflicht weiterzudenken. Es kann und darf die Geschichte der Einführung von Kontrollmaßnahmen keineswegs zu Ende sein. Denn auf die Dauer können die Dienste nur akzeptiert werden, wenn über ihre Arbeit mehr bekannt und weniger geheimnisgekrämert wird.
({1})
Wenn das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meint, mit der Auflösung des Ost-West-Konfliktes müßten auch die Dienste aufgelöst werden, so kann diese Meinung schon durch wenige Beispiele widerlegt werden.
Warum mußte sich unsere Bundesregierung von amerikanischen Behörden und von der „New York Times" sagen lassen, daß die Deutschen an der Errichtung einer Giftgasfabrik in Libyen mitarbeiteten? Entsprechende Vorfälle können sich wiederholen.
({2})
Daß hier der Bundesnachrichtendienst hilfreich sein kann, weil er vorher zu informieren imstande gewesen wäre, liegt auf der Hand. Dabei liegt auch auf der Hand, daß der Bundesnachrichtendienst - freilich
verfassungsrechtlich abgesichert - in einem Punkt, jedenfalls nach meiner Auffassung, zu unser aller Nutzen einen Kompetenzzuwachs erhalten sollte. Nach Gesetz und Recht darf er aus dem internationalen Äther gesammelte und in seinem Computer gespeicherte Gespräche nur nutzen und muß sie dann sofort vernichten, was er auch tut, wenn diese Gespräche nach Deutschland führen, gleichgültig ob damit die Zulieferung zur Errichtung einer Giftgasfabrik oder der Bau einer Atombombe aufgedeckt werden könnte.
Die Parlamentarische Kontrollkommission und das G-10-Gremium haben im Dezember letzten Jahres die Bundesregierung aufgefordert - hierauf hat Herr Kollege Penner schon hingewiesen -, hierzu einen Gesetzentwurf vorzulegen, damit uns derart wichtige Informationen nicht verlorengehen. Zunächst sollte dieser Entwurf noch vor Ostern und dann noch vor der Sommerpause vorliegen: Die Bundesregierung ist noch immer säumig. Heute haben wir gehört, daß bis zum Oktober etwas produziert werde. Ich glaube, nachdem die Bundesregierung schon vor einem Jahr gesagt hat, dies sei eilig, ist es, wenn bis heute nichts vorgelegt wurde, gerechtfertigt zu sagen: Sie ist säumig.
Der Verfassungsschutz war es, der in den letzten Monaten - ich füge hinzu: die Bundesregierung hätte ihn eher nutzen müssen - die extreme Rechte durchleuchtet und damit Grundlagen für Maßnahmen geschaffen hat. Der Verfassungsschutz hat auch bei der Bekämpfung des Linksextremismus gute Arbeit geleistet.
Sicherlich steht die Bundeswehr nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens; aber Anhaltspunkte dafür, sie sei frei von Versuchen des Links- und Rechtsextremismus, gibt es nicht.
Ich meine, schon diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Dienste nicht entbehrt werden können.
Auf einem ganz anderen Blatt steht die Frage, ob der bisherige Kontrollmechanismus des Parlaments ausreicht und, wenn nein, wie er erweitert werden kann, ohne die Dienste in ihrer Arbeit, auch international gesehen, zu behindern.
Meine erste Forderung lautet, daß die Berichtspflicht aus der Parlamentarischen Kontrollkommission im Bundestagsplenum und die Möglichkeit des Vorsitzenden, mit Zweidrittelmehrheit der Kontrollkommission öffentliche Erklärungen in Form von Wertungen abzugeben, auf das G-10-Gremium übertragen werden sollte. Kaum einer kennt das G-10-Gremium, erst recht nicht den Mechanismus der Kontrolle zwischen G-10-Gremium und G-10-Kommission und vor allem nicht die Wirkung dieses Kontrollmechanismus.
Immerhin darf ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Zahl der Individualkontrollen in den letzten zehn Jahren in etwa konstant geblieben ist, wohingegen sich die Zahl der Telefonüberwachungen nach der Strafprozeßordnung in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht hat. Das spricht im Kern für den Kontrollmechanismus des G-10-Gesetzes.
Natürlich prüft das Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses die Haushalte der Dienste; seit neuestem hat die Parlamentarische Kontrollkommission insoweit ein gewisses Mitspracherecht.
Für mich taucht gleichwohl die Frage auf, ob der Öffentlichkeit hier nicht mehr Einblick gegeben werden sollte. Ich glaube nicht, daß von einem Klischee gesprochen werden kann, wenn ich sage: Vom Geheimstempel wird noch immer viel zuviel Gebrauch gemacht.
({3})
Meine zweite Forderung lautet: Natürlich ist es für die Bundesregierung schwierig zu entscheiden, was als von besonderem Interesse und wann es der Parlamentarischen Kontrollkommission mitgeteilt werden soll. Das sei konzediert. Im Fall der - wie es hieß - von einem befreundeten Dienst erhaltenen StasiUnterlagen und den sich daraus ergebenden Ermittlungsverfahren wegen Stasi-Verdachts hat die Bundesregierung allerdings - das sei nicht verschwiegen - mit dazu beigetragen, daß ein völlig falscher Eindruck entstanden ist. Die Welt glaubte, um im Jargon von Adenauer zu bleiben, an einen Abgrund von Landesverrat in den Fraktionen, in den Parteien und in sonstigen obersten Etagen. Ich denke, eine frühere Information der Parlamentarischen Kontrollkommission hätte ziemlich sicher mache Spekulation, manche Ente und viel Schaden vermeiden können.
Ganz abgesehen davon ist es unzuträglich - ohne daß ich jetzt bestimmte Vorwürfe erhebe; ich beklage das nur -, daß sich Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission damit konfrontiert sehen müssen, daß in wichtigen Fällen Dritte, außerhalb der Regierung Stehende, offenbar mehr wußten als die, die kontrollieren sollten. Einen zweiten Fall ähnlicher Art sollte sich die Bundesregierung nicht noch einmal leisten.
Dritter Punkt. Für jedermann ist offenkundig, daß Indiskretionen in diesem Bereich nicht nur einen hohen Unterhaltungswert haben, sondern auch - ich habe das an anderem Ort schon gesagt - betroffenen Personen eine besondere Rufschädigung, ja den bürgerlichen Absturz bringen können.
Ich bin nicht sicher, ob sich die Verantwortlichen hier dessen immer im strengen Sinn bewußt waren. Ich kann auch nicht sagen, woher die Indiskretionen in den Fällen unseres Bundestagskollegen Wolfgang Lüder und unseres früheren Kollegen Karl Wienand kamen. Ich meine, es müßte hier durch innerorganisatorische Maßnahmen besser als bisher sichergestellt werden, daß Indiskretionen und in jedem Fall unterschiedliche oder - vorsichtig gesagt - unterschiedlich wirkende öffentliche Erklärungen ausbleiben, damit die Betroffenen für sich und - ich füge hinzu - auch für ihre Familien rascher und besser Handlungsspielraum gewinnen und haben.
Vierter Punkt. Wir als Parlamentarier sollten uns selbstkritisch fragen - ich betone das -, ob wir nicht mehr Zeit für die Kontrolle aufbringen sollten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß wir Vorfällen hinterherhecheln und zu spät inzwischen unwillig gewordene Ohren bedienen.
Ich habe gesagt, wir stehen mit unseren Möglichkeiten und Maßnahmen zur Abklärung und Kontrolle eher noch am Anfang, als daß wir uns - so füge ich hinzu - befriedigt auf die Schulter klopfen könnten.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Ingrid Köppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Debatte stehen der Bericht der PKK, aber auch unsere Initiativen zur Abschaffung der Geheimdienste. Ich möchte zu Beginn noch einmal kurz die wesentliche Begründung für unsere Vorlagen rekapitulieren.
Herr Olderog, wir sind durchaus in der Lage, unsere Erfahrung, die wir mit dem MfS gemacht haben, von dem zu unterscheiden, was wir jetzt über die westlichen Geheimdienste kennenlernen. Unsere Initiativen zur Abschaffung der westlichen Geheimdienste - das können Sie uns zugestehen - basieren auf einer intensiven Auseinandersetzung eben mit jenen Diensten.
Erstens. Wir meinen, daß die Leistungsbilanz dieser Geheimdienste düster ist. Dafür sind ihre Etats aber sehr hoch.
Zweitens. Wir meinen, daß die von den Diensten gewünschten neuen Aufgaben und Befugnisse allenfalls der Arbeitsplatzsicherung dienen können, nicht aber zur Erfüllung von heute wichtigen gesellschaftlichen Bedürfnissen beitragen.
Drittens. Die sogenannte Kontrolle der Dienste - darauf komme ich dann auch noch zu sprechen - ist keine Kontrolle.
Zu den einzelnen Diensten: Wir meinen, der BND hat in der Vergangenheit wesentliche politische Entwicklungen verschlafen, oder aber gelieferte Informationen wurden von der Bundesregierung nicht umgesetzt. Der BND hat angeblich auch nicht bemerkt, daß RAF-Angehörige längst im DDR-Exil waren.
Zum Verfassungsschutz: Weder die Entwicklung des Terrorismus, die Fortexistenz der RAF, noch auch nur ein einziges Attentat hat der Verfassungsschutz verhindern können. Nur in etwa einem Prozent der Strafermittlungsverfahren auf Grund von Staatsschutzdelikten hat der Verfassungsschutz der Polizei überhaupt mit Hinweisen helfen können. Das Erstarken von Rechtsextremismus und Neonazis hat der Verfassungsschutz in der Vergangenheit nicht erkannt; er war ja in der Vergangenheit auch schon dafür zuständig. Er hat es heruntergespielt, jedenfalls aber nicht verhindern können oder wollen.
In letzter Zeit ist der Verfassungsschutz im Zusammenhang mit Intrigen gegen einen mißliebigen Datenschützer in Brandenburg bekannt geworden. Hier hat im übrigen kürzlich das Verwaltungsgericht Köln bestätigt, daß Herr Werthebach offensichtlich rechtswidrig Akten durchgesteckt hat, die gegen den Datenschützer in Brandenburg benutzt werden sollten. In dem laufenden Strafermittlungsverfahren erwarten wir, daß das BMI nun ohne Ansehen der
Person Werthebach die erforderliche Genehmigung zur weiteren Aufklärung erteilt.
Fragen nach der Wirksamkeit dieser Behörden, denen sich jedes Wirtschaftsunternehmen mit einer Jahresbilanz stellen müßte, werden von den Geheimdiensten gern mit dem Einwand abgewimmelt, die großen Erfolge ließen sich wegen Quellenschutzes leider nicht nennen.
Wenn man nun die Bilanz der Dienste, Kosten und Nutzen, bereitwillig und ernsthaft resümiert, kann man eigentlich nur zu der von uns gezogenen Konsequenz gelangen und sagen: Auflösen! Allein die offen ausgewiesenen Zahlungen an BND, MAD und BfV betrugen im vergangen Jahr weit über 600 Millionen DM, tatsächlich über 1 Milliarde DM. Der Etatentwurf für 1994 sieht noch Steigerungen vor. Wir meinen: Dies darf nicht sein, während gleichzeitig Sozialleistungen überall gekürzt werden.
Zur Zeit suchen die Dienste nach neuen Aufgaben; das ist bekannt. Nach dem Willen der Unionsinnenpolitiker soll der Verfassungsschutz die Befugnis zum großen Lauschangriff bekommen, ferner auf Initiative der CSU über den Bundesrat die Überwachungskompetenz nach dem § G 10 gegen kriminelle Vereinigungen erhalten, was bekanntlich ein sehr weites Feld ist.
Die Präsidenten des BND wollen ebenfalls neue Aufgaben und Befugnisse. Einstweilen sind nämlich die angemaßten Aktivitäten des BND im Bereich internationaler Drogen-, Nuklear- und Waffenhandel nicht vom BND-Gesetz gedeckt, also rechtswidrig. Das sagt auch die PKK. Daraus sollten die Konsequenzen gezogen werden, statt nun womöglich das BND-Gesetz noch zu erweitern. Denn Erfolge, meinen wir, sind von solchen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für den BND nicht zu erwarten, da für all die genannten Bereiche bereits die nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden zuständig sind.
Auch wenn der BND nun die Befugnis zum Abhören und zur Auswertung von Inlandstelefonaten beansprucht, ist der Bedarf sehr zu bezweifeln, von der Kritik an erneuten Grundrechtsverkürzungen für solche Lauschangriffe einmal ganz abgesehen. Denn dem Zollkriminalinstitut sind gerade im letzten Jahr sehr weit reichende präventive Abhörbefugnisse eingeräumt worden; die Verfassungsklage dagegen läuft noch. Jedenfalls, meinen wir, ist das mehr als genug. In diesem Zusammenhang bedaure ich sehr, daß die für Mitte September zugesagte Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nach diesen BND-Aktivitäten zwar bereits geschrieben ist, aber uns zur heutigen Debatte noch nicht vorgelegt wurde. Fazit: Neue Aufgaben bzw. Befugnisse geben den Geheimdiensten keine Perspektive.
Ebensowenig ist es mit bloßen Reförmchen getan wie im letzten Jahr mit der Novelle des Gesetzes über die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Rolle der PKK wird noch immer treffender mit „Vertrauensmännergremium" beschrieben, dem Begriff, unter dem BND-Gründer Gehlen die PKK einst initiierte. Effektive Kontrolle durch Parlament oder gar Öffentlichkeit und geheim arbeitende Dienste stehen in unauflöslichem Gegensatz zueinander.
Der uns vorliegende erste PKK-Bericht weist für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren lediglich zwölf reguläre und sechs außerordentliche Sitzungen aus. Das ist keine allzu enge Kontrolldichte. Die Sondersitzungen kamen zudem offenbar stets auf Grund von Medienveröffentlichungen über die Dienste, z. B. zum Waffenexport nach Israel, zu den Vorgängen in Bad Kleinen oder auch zu den HVA-Akten, zustande. Obwohl die Regierung nach der alten wie der neuen Fassung des PKK-Gesetzes die Kommission von sich aus über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten hatte, geschieht dies offenbar noch immer nicht.
Zum Beispiel war das Bundesamt für Verfassungsschutz ab 1984 über den V-Mann Steinmetz informiert, hielt ihn schon 1987 für eine Spitzenquelle und erfuhr am 8. April 1992 konkret von seinen Treffen mit der RAF-Spitze. Aber die PKK wurde über diesen Vorgang von besonderer Bedeutung erst am 12. Juli 1993 informiert und das auch nur wegen der Panne in Bad Kleinen.
In dieser Sitzung sollte dann den Abgeordneten zunächst weisgemacht werden, das BfV sei erst im Herbst 1992 eingeweiht worden, was sich jedoch als nicht haltbar herausstellte. Zu dem gesamten Vorgang Steinmetz/Bad Kleinen einschließlich der Querbezüge zur Justizvollzugsanstalt Weiterstadt wage ich außerdem zu behaupten, daß die PKK bis heute nicht die volle Wahrheit erfahren hat.
Zweites Beispiel: die HVA-Akten. Ende Juni erklärte Herr Hirsch, in der PKK habe Herr Schmidbauer nicht über diese Unterlagen berichtet. Dies, obwohl es sich auch hierbei zweifellos um einen bedeutenden Vorgang handelte. Offenbar sind in der PKK Wochen vorher lediglich die bekannten Ankündigungen über 2 000 Verfahren bzw. Spuren gefallen. Nach außen jedenfalls ließ die Regierung gerne Spekulationen über die Herkunft der Akten aus Moskau wuchern. Und offenbar erst nach weiteren „Spiegel"-Berichten wurde vor zwei Wochen in der PKK die Herkunft der Informationen von der CIA eingeräumt.
Fazit: Eine wirkungsvolle Kontrolle der Dienste besteht nicht. Sie stünde auch in unauflöslichem Gegensatz zum Wesen eines Geheimdienstes.
Daraus sind, meinen wir, die Konsequenzen zu ziehen. Ich bitte Sie, unseren Anträgen zu folgen: die Geheimdienstgesetze zu streichen und die Behörden möglichst sozialverträglich abzuwickeln.
Danke.
({0})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist unzutreffend, Frau Köppe, daß ich hier erklärt hätte, der Koordinator Schmidbauer hätte über die Akten, die sich auf 2 000 Personen beziehen und die Erkenntnisse über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes in der Bundesregierung ergeben, nicht berichtet, sondern - Sie müssen schon lesen, was man sagt - ich habe gesagt: Es ist nicht erklärt worden, daß die Akten aus Moskau kommen.
Ich habe wiederholt gesagt, daß - wie sich das auch aus dem Bericht des Kollegen Penner ergibt - über diese Vorgänge selbstverständlich im einzelnen in der PKK berichtet worden ist; wir haben allerdings aus Gründen des Quellenschutzes darauf verzichtet, darauf zu insistieren, zu erfahren, wie der Erkenntnisgang der Akten im einzelnen gewesen ist. Ich bin überzeugt, daß es berechtigt ist, darauf zu verzichten. Und wir haben uns peinlich davon gehütet, uns auch nur einen Einzelfall, sozusagen auf Vorhalte, vortragen zu lassen, d. h. uns Informationen geben zu lassen, mit denen wir gesetzlich korrekt nichts anfangen können. Denn Sie wissen - und das muß man dann sagen -, daß die Tätigkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission aus gutem Grund gesetzlich geheim ist.
Manches, was Sie hier an scheinbar nicht genügend intensiver Kontrolle rügen, ist deswegen schwierig zu widerlegen, weil wir kraft Gesetzes gehindert sind - vernünftigerweise, muß ich sagen -, hier im einzelnen die Themen - Dauer der Sitzungen, die Tätigkeiten - darzustellen. Ich verweise auf das, was der Kollege Penner dazu vorgetragen hat, und schließe mich dem an, weil es einfach der Wahrheit entspricht.
Sie sind bereit, die Frage zu beantworten, die gestellt werden soll. - Bitte schön, Frau Köppe.
Herr Hirsch, ist es denn richtig, daß Sie zu diesem Zeitpunkt - es war Juni - nicht über die Herkunft dieser Akten unterrichtet wurden?
Frau Kollegin Köppe, ich habe eben noch einmal gesagt, daß wir aus Gründen des Quellenschutzes, von dessen Berechtigung wir überzeugt waren und sind, darauf verzichtet haben, uns den Gang der Akten im einzelnen vortragen zu lassen.
Eine Nachfrage, bitte schön.
Stimmen Sie mir auch zu, daß zum gleichen Zeitpunkt in der Presse behauptet wurde, die Unterlagen kämen aus Moskau, daß der KGB eine Presseerklärung veröffentlicht hat, in der dies bestritten wurde und die deutsche Seite aufgefordert wurde, das zu dementieren, was nicht geschah?
Sie haben mich gefragt, ob ich Ihnen „auch" zustimme. Ich weiß nicht, worauf sich das „auch" beziehen soll, weil ich Ihnen bisher überhaupt nicht zugestimmt habe.
Ich wiederhole noch einmal, daß wir aus Gründen des Quellenschutzes darauf verzichtet haben, uns über die Herkunft der Akten und den Lauf des Aktenganges im einzelnen informieren zu lassen.
({0})
- So ist es. Wenn das der Inhalt der Frage war: Es ist nicht behauptet worden, daß die Akten aus Moskau kommen. Das war ja wichtig, weil in dieser Frage Spekulationen durch alle Welt geisterten, und alle taten so, als ob das schon eine festgeschriebene Tatsache sei. Das war der Grund, warum wir damals diese Erklärung abgegeben haben.
Meine Damen und Herren Kollegen, ich bin manchmal versucht, Nachrichtendienste mit Känguruhs zu vergleichen. Sie sind größer, als man denkt, sie bemühen sich darum, sich geräuschlos zu bewegen, sie haben häufiger, als man glaubt, etwas im Beutel, aber der Inhalt ist selten so überraschend, wie man annimmt.
({1})
- Richtig.
Die Wirkung der Geheimdienste auf den Gang von Geschichte und Politik wird häufig überschätzt. Der Umfang ihrer tatsächlichen Kenntnisse wird dagegen häufig unterschätzt. Vor allen Dingen aber unterschätzen die Dienste selbst die innenpolitische Wirkung ihrer Tätigkeit. Ein im Inland tätiger Nachrichtendienst wie der Verfassungsschutz kann eben leicht in den Verdacht geraten, nicht die Verfassung, sondern die Regierung zu schützen. Wenn das nicht, auch durch Kontrolle, überzeugend widerlegt werden kann, dann zerstört er mehr an demokratischem Bewußtsein, als er auftragsgemäß schützen kann. Da hängt viel von den handelnden Personen ab. Da hängt auch viel davon ab, daß soweit irgend möglich Öffentlichkeit hergestellt wird.
Der Verfassungsschutzbericht hat erfreulicherweise damit begonnen, den Umfang der finanziellen Mittel des Verfassungsschutzes und die Zahl seiner Mitarbeiter zu veröffentlichen. Er hat leider noch nicht die Empfehlung der Innenministerkonferenz übernommen, auch die Zahl der in Dateien gespeicherten Personen mit bestimmten Kriterien zu veröffentlichen. Das erfordert ein gewisses Umdenken. Wir halten das für notwendig.
Ihre Forderung, Frau Köppe, die Dienste aufzulösen, ist allerdings ebenso liebenswert wie ahnungslos. Die Welt ist mit dem Ende des kalten Krieges eben nicht sicherer geworden. Das Interesse vieler Staaten an Industriespionage hat keineswegs nachgelassen, nicht der Drang vieler Staaten, in den Besitz atomarer Mittel zu kommen, und schließlich auch nicht die Entschlossenheit extremistischer Gruppen, unsere Verfassung und ihre Grundwerte umzuwerfen.
Natürlich haben wir ein vitales Interesse daran
- und müssen es haben -, die Entwicklungen in anderen Ländern rechtzeitig zu erkennen, auch wenn sie nicht in den Zeitungen stehen. Natürlich haben wir ein vitales Interesse daran, die Tätigkeit fremder Dienste in unserem Land zu erkennen. Und natürlich haben wir auch ein vitales Interesse daran, z. B. die sich organisierenden rechtsradikalen Gruppierungen, die unsere Verfassung zerstören wollen, zu erkennen.
Wir müssen also nicht - wie Sie wollen - die Dienste auflösen, sondern wir müssen die sogenannten Dienste so wirksam wie möglich machen, aber gleichzeitig dafür sorgen, daß sie die individuellen und demokratischen Rechte der Bürger unseres Landes nicht beeinträchtigen.
Die Bundesrepublik ist eines der wenigen Länder, die die Tätigkeit und die notwendige Kontrolle der Dienste gesetzlich geregelt haben. Wir sehen keine Veranlassung, den Tätigkeitsbereich der Dienste auszudehnen.
Hinsichtlich des Bundesnachrichtendienstes hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß er bei der Bekämpfung illegaler Waffenexporte und bei der Rauschgiftbekämpfung jedenfalls da tätig werden sollte, wo sich das aus der Struktur des jeweiligen Drittlandes ergibt. Es ist nicht so, wie Sie sagen, daß das eine rechtswidrige Tätigkeit sei. Vielmehr gibt es einen einstimmigen Beschluß des Rechtsausschusses - ich nehme an, daß Ihre Gruppe im Rechtsausschuß vertreten ist -, daß diese Tätigkeit von der gesetzlichen Regelung gedeckt ist. Das macht auch einen Sinn, weil nämlich bei den illegalen Waffenexporten eine Zusammenarbeit mit der Polizei des Empfängerlandes naturgemäß nicht erwartet werden kann. Es gibt Länder - ich meine jetzt nicht die, die der Kollege Olderog aufgezählt hat, sondern Rauschgift erzeugende Länder -, in denen die Trennung von Polizei, Verfassungsschutz und Militär nicht gegeben ist, so daß unsere Aufteilung zu etwas merkwürdigen Konsequenzen führt. In diesen Fällen halten wir also die Tätigkeit des Nachrichtendienstes für notwendig.
In bezug auf den militärischen Abwehrdienst bin ich allerdings der Auffassung, daß er ohne weiteres mit dem Verfassungsschutz zusammengeführt werden könnte. Er ist nichts anderes als ein Verfassungsschutz im Bereich der Bundeswehr.
Beim Verfassungsschutz selbst kommt nach unserer Überzeugung, Kollege Olderog, eine Beteiligung an der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung nicht in Betracht. Wir wollen keine geheime Ermittlungspolizei, die von den gesetzlichen Regeln der Strafprozeßordnung und der Polizeigesetze befreit wäre. Wer Polizei und Verfassungsschutz miteinander verbindet, will eine andere Republik.
Sie haben hier mit dem Wort „Vorfeld" operiert. Das ist eine sehr verführerische Vokabel. Wer vom Vorfeld spricht, muß sagen, wo es anfängt. Sie meinen ja in Wirklichkeit Ermittlungen gegen Personen, die nicht einmal im Verdacht einer strafbaren Handlung stehen, und Sie meinen Ermittlungen in einem Bereich, in dem es keine Kenntnisse über irgendeine strafbare Handlung gibt. Das ist es, was unter Vorfeld verstanden ist. Ich habe einmal gesagt: Das Vorfeld beginnt mit der Geburt eines Menschen. Wo wollen Sie anfangen?
Wir haben einmal einen sehr verdienstvollen Präsidenten des Bundeskriminalamtes gehabt, der gesagt hat: Das Ideal der Polizei muß sein, vor dem Täter am Tatort zu sein.
({2})
Er hat dann begriffen, daß dieses Ziel - wenn überhaupt - nur mit einem unglaublichen Aufbau an Kontrollmechanismen über jeden Menschen erreichbar wäre. Sie müssen sich fragen, ob Sie das wirklich wollen. Da ist es mit den einfachen Vokabeln Vorfeld oder Vorbeugung nicht getan.
In bezug auf die Kontrolle der Dienste wird gelegentlich darauf hingewiesen, sie sei schon deswegen so intensiv, weil daran die Parlamentarische Kontrollkommission, die G-10-Kommission, der Haushaltsausschuß, der Innenausschuß, der Rechnungshof und die Dienstaufsicht beteiligt seien. Das ist irreführend, denn jedes dieser Gremien sieht nur einen Ausschnitt einer naturgemäß überwiegend geheimen Tätigkeit und eben nicht ihre Gesamtheit.
Die Parlamentarische Kontrollkommission hat erst seit kurzem - wie hier vorgetragen wurde - die Möglichkeit, die Haushaltspläne und gegebenenfalls Akten einzusehen. Das scheint sich zu bewähren; aber es hängt viel von der Bereitschaft der Dienste zur Zusammenarbeit und auch zur Selbstkontrolle ab.
Neben einer Fülle anzuerkennender und erfolgreicher Arbeit hat es natürlich auch Fehlleistungen gegeben. Die Dienste kommen vor allen Dingen dann in ein schiefes Licht, wenn durch gezielte Indiskretionen von wem auch immer der Versuch unternommen wird, in die politische Auseinandersetzung einzugreifen. Solche politischen Indiskretionen bewirken meistens das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen. Sie zerstören vor allem das Vertrauen in die Integrität der Dienste und können darum unter keinen Umständen als eine Art läßliche Sünde hingenommen werden. Wenn die Dienste in den Verdacht geraten, für innenpolitische Auseinandersetzungen mißbraucht zu werden oder mißbraucht werden zu können, dann wird es schwierig. Und wenn es irgendwo eine verschuldensunabhängige politische Verantwortung geben muß, dann ist es hier.
Die Wirksamkeit der Parlamentarischen Kontrollkommission hängt vom Vertrauen des Parlaments ab. Ich schließe mich dem Dank an, der an die Mitarbeiter der Dienste hier gerichtet worden ist. Ich sage auch, daß der Koordinator, Staatsminister Schmidbauer, in der Praxis der PKK sich weit mehr um Zusammenarbeit und Offenheit bemüht hat, als es zu mancher früheren Zeit der Fall gewesen ist. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit der Mitglieder der Kommission. Ich versichere Ihnen, diesem Haus, daß wir uns ernsthaft darum bemühen, unsere Kontrollpflichten zu erfüllen.
({3})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ulla Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht haben auch Sie in den letzten Tagen in der Presse eine kleine Meldung zur Kenntnis genommen, daß der Bundesinnenminister dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Aussagegenehmigung für dessen Anhörung vor dem Untersuchungsausschuß „Weiterstadt" des Hessischen Landtags nicht erteilt hat.
Ich finde, der Bundesinnenminister hat damit beispielhaft belegt, was von seinen vorschnellen Versprechungen über eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle und des Verlaufs von Bad Kleinen zu halten ist.
Vor allem hat Herr Kanther damit indirekt die Indizienkette des Magazins „Focus" gestützt, nach der das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dem Anschlag auf die JVA Weiterstadt im Vorfeld gewußt hat und diesen nicht verhindert hat, um so an die RAF-Kommandoebene heranzukommen. Herr Kanther hat zumindest den Spekulationen neue Nahrung gegeben.
Angebracht sind jetzt Spekulationen darüber, ob der Männerbund in der PKK über eine mögliche Verstrickung des Bundesamtes oder anderer Sicherheitsbehörden des Bundes informiert worden ist.
Die Probleme mit der PKK sind vielfältig. Man muß feststellen:
Erstens. Es gibt offenbar viele Möglichkeiten, die PKK zu umgehen. Eindrucksvoll fand ich beispielsweise im Zusammenhang mit Bad Kleinen die Diskussion über die Rechtsgrundlage des Einsatzes eines Personenschutzsenders, also einer Wanze. Nach dem Motto: „Welches Gesetz darf es denn diesmal sein?" wurde streng rechtsstaatlich entschieden.
Die Gesetze des Landes Mecklenburg-Vorpommern konnten nicht zur Anwendung kommen, weil es bekanntlich von dieser Aktion in Bad Kleinen ausdrücklich ausgeschlossen war.
Als Rechtsgrundlage für diesen BKA-Einsatz dienten schließlich die Landesgesetze von Rheinland-Pfalz. Die Bundesbehörden hätten sich zwar auch auf Bundesgesetze berufen können. Der Nachteil wäre allerdings gewesen: Man hätte die PKK informieren müssen.
Zweitens. Was aber, wenn beispielsweise die PKK über eine eventuelle Verstrickung des VS und des BKA in den Anschlag auf Weiterstadt informiert worden wäre? Der Demokratie ist ja nicht damit gedient, daß acht ehrenwerte Abgeordnete darüber informiert werden - als wäre es dann gut.
Ich meine, die Kontrolle der Geheimdienste kann doch nicht darin bestehen, daß diese Herren dieses Wissen haben, aber darüber schweigen. Jedoch genau dazu verpflichtet sie das Gesetz.
Drittens. Vielleicht gibt es in diesem Hause noch Abgeordnete, die wirklich glauben, die PKK wolle die Geheimdienste kontrollieren. Der PKK-Bericht selber, den wir heute hier diskutieren, widerlegt meines Erachtens diesen Glauben. Man erfährt daraus z. B., daß der BND von Journalistinnen bei illegalen Waffengeschäften ertappt worden ist. Verpaßt ihm nun die PKK einen Freibrief? Sie mahnt nämlich in ihrem Bericht - auch Herr Penner hat das schon zitiert -: In jedem Falle müssen die gesetzlichen Vorschriften beachtet werden.
({0})
Hier wird nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen, Herr Penner, daß es der BND beim nächsten Mal schlauer anstellen könnte, Waffengeschäfte zu tätigen. Die PKK bleibt damit meines Erachtens gedanklich weit hinter den Bewährungsauflagen für Taschendiebe zurück.
Ich stimme dem Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nach Auflösung der Geheimdienste voll zu. Bad Kleinen hat gezeigt, daß dieser Antrag eigentlich noch erweitert werden müßte.
({1})
Mittlerweile ist es so weit, daß nicht nur die Geheimdienste nicht zu kontrollieren sind, sondern daß sich mehr und mehr auch die Polizei einer parlamentarischen Kontrolle entzieht. Polizeiliche Arbeit und Geheimdienstarbeit gleichen einander immer mehr an.
Die Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung ist dabei praktisch die Institution, die die strikte Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei aufhebt und staatliche Macht zusammenballt.
Es ist meines Erachtens ausgesprochen alarmierend, wenn heute die PKK über Polizeieinsätze wie in Bad Kleinen informiert werden muß. Dabei ist allen Beteiligten klar, daß auch diese Unterrichtung lediglich eine Geste war, ein schamhaft vorgehaltenes Feigenblatt eines demokratischen Rechtsstaates, der sich noch an die Methoden einer geheim agierenden Staatspolizei erinnert.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze auf Drucksache 12/4402. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/5626 unter Nr. 1, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Auflösung der Nachrichtendienste auf Drucksache 12/4403 abzulehnen. Wer stimmt der Beschlußempfehlung zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Lieselott Blunck ({0}), Arne Börnsen ({1}), Marion Caspers-Merk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Vorsorgender Verbraucherschutz im europäischen Versicherungswesen
- Drucksachen 12/2888, 12/4279 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer halben Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich kann die Debatte eröffnen. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Lilo Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den Versicherungen ist - das ist nur ganz wenig überspitzt formuliert - nur eines sicher: der Gewinn der Versicherungsgesellschaften.
({0})
Da wird einer 60jährigen Kriegerwitwe unter dem Etikett „Sterbeversicherung" eine Kapitallebensversicherung mit 25jähriger Laufzeit aufgeschwatzt. Der Rückkaufswert beläuft sich nach 17 Jahren und Einzahlungen von 8 600 DM auf ganze 5 200 DM - völlig legal, wie Versicherungsanbieter und das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen der Kundin unisono mitteilen. Wen verwundert es da noch, wenn unter den Vermittlern das Motto kursiert: „Wer leben will, bringt Leben" , d. h. bringt eine Kapitallebensversicherung an den Mann und an die Frau.
Da erleben ältere Privatkrankenversicherte ein böses Erwachen mit zum Teil eklatanten Beitragssteigerungen und Spitzenbeiträgen von über 1 000 DM monatlich. Sie waren vielfach der völlig falschen Vorstellung erlegen, daß eine Erhöhung ihrer Beiträge im Alter ausgeschlossen sei; denn § 8 a der Musterbedingungen der Krankenversicherungen enthält nur einen sehr verklausulierten Hinweis hierauf. Eine Aufklärung durch die Vermittler erfolgt in aller Regel nicht. Eine Möglichkeit des Wechsels besteht gewöhnlich nicht, da die Altersrückstellungen bei einer Kündigung selbstverständlich bei der alten Versicherungsgesellschaft verbleiben.
Weitverbreitet ist die Bindung von Kunden und Kundinnen durch langfristige Verträge, und zwar in aller Regel zum Schaden der Kunden und Kundinnen. Nach den Untersuchungen der Verbraucherverbände sind es in aller Regel Verträge mit sehr ungünstigen Bedingungen.
Selbst das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen sieht diese Entwicklung mit äußerstem Unbehagen. In einem Bericht an den Finanzausschuß hat es im Herbst letzten Jahres mitgeteilt:
Das gemäß § 8 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz bestehende Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers bei Verträgen mit einer mehr als dreijährigen Laufzeit kommt in der Praxis kaum zum Zuge. Die Versicherer schließen dieses Recht regelmäßig dadurch aus, daß sie die im Gesetz vorgesehenen alternativen Laufzeiten von einem Jahr, drei, fünf und zehn Jahren anbieten und für Verträge mit einer Dauer von fünf und mehr Jahren einen Prämiennachlaß einräumen. Versicherer, die vor Inkrafttreten der Neuregelung höchstens Fünfjahresverträge angeboten haben,
({1}) schließen nunmehr auch Zehnjahresverträge ab. Eine dem Schutz des Versicherungsnehmers dienende Vorschrift ({2}) hat damit dazu beigetragen, daß sie den Abschluß von langjährigen Verträgen eher gefördert als gehemmt hat.
Im Klartext: Die verbraucherfreundliche und wettbewerbsfördernde Möglichkeit, Versicherungsverträge mit kürzeren Laufzeiten abzuschließen, wird unterlaufen.
Wer nach dem ersten Teilentwurf vom Januar 1993 für die erneut anstehende Novellierung des Versicherungsvertragsgesetzes Hoffnung geschöpft hat, daß nun die Kündigungs- und Widerrufsbedingungen verbessert werden und damit die leidige Knebelung der Verbraucherinnen und Verbraucher entfällt, sieht sich nach Vorlage des Referentenentwurfs bitte enttäuscht. Wie schon bei der letzten Novelle hat die Versicherungswirtschft offenkundig wieder erfolgreich die Lobbyistenfäden gezogen.
Die F.D.P., die angeblich Garant für den freien Markt ist, zeigt ihr wahres Gesicht. Es geht Ihnen überhaupt nicht um einen funktionierenden Wettbewerb. Es geht Ihnen um den Schutzzaun; es geht Ihnen um die Gewinnmaximierung von Versicherungsgesellschaften.
({3})
Der ursprüngliche Referentenentwurf vom Januar dieses Jahres sah eine Kündigungsmöglichkeit nach spätestens drei Jahren vor - was alle Sachverständigen bei der Anhörung unterstützten - und hielt das aus Wettbewerbs- und Verbraucherschutzerwägungen für zwingend notwendig.
({4})
Ich hätte jetzt gerne die Justizministerin gefragt: Welche neuen Erkenntnisse, welche einschneidenden Veränderungen innerhalb von acht Monaten haben zu diesem skandalösen Sinneswandel geführt? Oder ist es so, daß Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion, der Fraktion der Justizministerin, die sich aus Befangenheitsgründen besser zurückgehalten hätten, sie aus sehr eigensüchtigem Gewinnstreben „umgedreht" haben? ich erwarte darauf wirklich eine sehr klare Antwort.
Nun sind wie schon so oft die minimalen und grundlegenden Verbraucherrechte wieder zur Disposition gestellt worden. Da verwundert es überhaupt nicht, daß die weitergehenden Rechte und Verbesserungen, die wir haben wollen, erst gar nicht zur Diskussion standen.
Man kann allerdings dieser Bundesregierung eine gewisse Konsequenz nicht absprechen. Denn sie ist schon in der Antwort auf unsere Große Anfrage - übrigens nach achtmonatigem Überlegen ({5})
zu dem Entschluß gekommen, daß Transparenz, kundenorientierte Beratung und Zugang der Versicherten
zum Recht große und künftig - durch den freien
Lieselott Blunck ({6})
Markt innerhalb der EG - noch zunehmende Bedeutung erhalten.
({7})
Handlungsbedarf stellt die Bundesregierung allerdings nicht fest: Die Verbraucher und Verbraucherinnen möchten sich bitte an die entsprechenden Fachzeitschriften halten und sich der Stiftung Warentest und der Verbraucherverbände bedienen.
Die Bundesregierung knüpft damit nahtlos an die bisherige Politik der EG-Kommission an, die mit ihrem Liberalisierungsansatz der dritten Richtliniengeneration nur auf die Öffnung der Märkte für die Versicherungsanbieter abzielt. Sie geht sogar noch einen - verhängnisvollen - Schritt weiter. Denn mit dem damit verbundenen Wegfall der Vorabgenehmigung von Versicherungsbedingungen und Tarifen entsteht in der Bundesrepublik eine Lücke im Verbraucherschutz. Daß es kein Zurück in die Ära weitreichender staatlicher Aufsicht gibt, müssen wir nicht diskutieren, zumal da das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen nicht immer die Zustimmung der Verbraucherseite fand.
Die Bundesregierung hat bisher aber keinerlei Anstrengungen unternommen, hierfür einen Ausgleich zu schaffen, und das zum Schaden seriöser deutscher Anbieter und zum Schaden der Verbraucherseite. Offensichtlich haben Sie überhaupt kein Interesse, die Umsetzung der neuen EG-Richtlinie als Chance zu nutzen,
({8})
um das Marktgleichgewicht und den Wettbewerb zu fördern. Denn mit Marktgleichgewicht fördern Sie den Wettbewerb.
({9})
Dreh- und Angelpunkt ist die Transparenz bei der Produktgestaltung und der Kundeninformation, und da darf ich doch annehmen, daß Sie sehr für Transparenz und Produktinformation sind. Das muß leicht verständlich und gut vergleichbar geschehen, und dazu sind wirklich umfassende Informationen über das Angebot in diesem komplizierten europäischen Versicherungsmarkt nötig.
Das ist eine wesentliche Voraussetzung für den Verbraucher und die Verbraucherin, damit sie nicht nur gut versichert werden, sondern damit sich auch seriöse und verbrauchergerechte Anbieter am Markt durchsetzen.
({10})
In einer so schwierigen Materie wie Versicherungen ist Beratung unverzichtbar. Allerdings muß sie kundenorientiert und fachlich fundiert sein. Da genügt eben nicht das, was eine Anzeige einer großen Versicherungsgesellschaft vom vergangenen Jahr verheißt, die da lautet:
Haben Sie nichts gelernt? - Kommen Sie zu uns! In ein paar Kursen bilden wir Sie zum TopVersicherungsverkäufer aus.
Das sind dann genau diese Verkäufer, die in Drükkerkolonnen hingehen
({11})
und ungeahntes Leid auch für diejenigen bringen, die sich dort versichern.
({12})
Auf der Grundlage der EG-Empfehlung für Versicherungsvermittler wollen wir deshalb die Qualifikation für Vermittler durch staatlich anerkannte Berufsausbildung verbessern. Mit diesem Anliegen finden wir auch in Vermittlerkreisen Unterstützung, denn auch für sie bedeutet eine Höherqualifizierung eine Aufwertung ihres Berufes und somit mehr Arbeitsplatzsicherheit; denn eine Gesellschaft wird sich bei einem Mitarbeiter, in dessen Ausbildung sie investiert hat, sehr viel gründlicher als bei einem unqualifizierten überlegen, ob sie ihn entläßt.
Last but not least wollen wir den Zugang der Versicherten zum Recht verbessern, z. B. durch Beweislasterleichterungen bei Nachweis von Verstößen gegen Informations- und Beratungspflichten oder bei Unfallentschädigungen. Selbstverständlich soll dann auch das Bundesaufsichtsamt als Verbraucherschutzbehörde gestärkt werden.
Mit dieser Konzeption eines vorsorgenden Verbraucherschutzes im Versicherungsbereich wollen wir erreichen, daß Verbraucher und Verbraucherinnen vor Nachteilen geschützt werden, und zwar, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wir wollen damit erreichen, daß nicht nur die Anbieter, sondern auch die Versicherten die Vorteile des Binnenmarktes voll ausschöpfen können, und dies zum Nutzen der seriösen deutschen Anbieter und der Verbraucher.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Gunnar Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Blunck, man darf Einzelfälle, die es natürlich überall im Wirtschaftsleben gibt, nicht dazu benutzen, um dann zu einer generellen Beschimpfung dieser Branche überzugehen.
({0})
- Natürlich, die Welt besteht aus Einzelfällen; aber Sie wissen doch, Herr Duve, daß man aus Einzelfällen, wenn man sie losgelöst von dem allgemeinen Bild darstellt, auch ein Zerrbild entwickeln kann. So ist eben die Versicherungswirtschaft auch nicht, Frau Blunck, als daß es sich hier nur um unseriöse Geschäftemacherei handelte. Dies gilt nicht.
({1})
Sind Sie bereit, Herr Abgeordneter, eine Zwischenfrage zu beantworten?
Sehr gern.
Bitte sehr, Frau Abgeordnete. Sie müssen das Mikrofon zunächst langsam hochziehen, dann auf den Knopf drücken, dann warten, bis das rote Licht erscheint, und dann können Sie sich artikulieren.
({0})
Wunderbar.
Herr Uldall, würden Sie mir denn zugestehen, daß die Forderungen, die wir gestellt haben, um so leichter erfüllbar sind, weil es sich doch hierbei um ganz seriöse Anbieter auf dem Markt handelt?
Um so leichter könnten Sie dem doch zustimmen, weil alle Versicherungsgesellschaften diese Minimalforderungen sofort erfüllen können.
({0})
Herr Duve, klatschen Sie nicht zu früh!
({0})
Ich muß zunächst sagen: Es gibt ja kaum einen Wirtschaftszweig, der bisher so reglementiert worden ist wie die Versicherungswirtschaft. Dies hat sich zum Wohle der Versicherungswirtschaft, aber auch zum Wohle der Versicherungsnehmer ausgewirkt.
Was Ihre Vorschläge betrifft, werde ich gleich einige Punkte im einzelnen aufgreifen. Ich sage aber generell, daß das, was Sie da vorschlagen, eine Überregulierung des Marktes zur Folge haben würde, die noch weit über das hinausginge, was wir heute haben.
Ich möchte eine zweite Vorbemerkung machen: Sie hatten über die Gewinne der Lebensversicherungsgesellschaften gesprochen. Ist Ihnen bekannt, liebe Frau Blunck, daß über 90 % der Gewinne der Versicherungsunternehmen den Versicherungsnehmern als Überschußbeteiligungen wieder zugute kommen?
({1})
Das gibt es in keiner anderen Branche, und das geschieht nicht dadurch, daß der Gesetzgeber irgendeine Reglementierung in dieser Richtung getroffen hätte, daß wir vorgeschrieben hätten, die Gewinne müßten als Überschußbeteiligungen gutgeschrieben werden, sondern das ist gerade durch den Markt geschehen. Also das, was dort verdient wird, kommt zum überwiegenden Teil dem Versicherungsnehmer wieder zugute.
({2})
Der Abgeordnete Freimut Duve möchte nunmehr eine Frage stellen.
Bitte.
Herr Hamburger Kollege Uldall, ist es denn wirklich richtig, daß wir hier als Parlamentarier das tun, was Sie jetzt tun, indem Sie sich nämlich praktisch zum Pressesprecher eines für
uns wichtigen Wirtschaftsbereichs machen? Wir sind doch diejenigen, die so etwas kontrollieren müssen. Deshalb sind die Informationen, die Sie jetzt geben, ganz irrelevant für eine parlamentarische Beratung zur Verbesserung der Lage der Verbraucher in diesem Bereich. Nach meiner Meinung müßten Sie genauso Anwalt für die Verbraucher sein statt Pressesprecher dieses Wirtschaftsbereichs.
({0})
Das ist ein wichtiger Hinweis, Herr Duve, und wenn Sie meine Rede bis zum Schluß aufmerksam verfolgen - und ich habe keine Zweifel, daß Sie mit voller Aufmerksamkeit in diesem überfüllten Haus jetzt zuhören werden -, werden Sie auch von mir sehr kritische Punkte erfahren. Nur, ich gehöre zu den Abgeordneten - und Sie ja sicherlich auch, lieber Herr Duve -, die darauf achten, daß hier im Hause immer fair auch über die gesprochen wird, die nicht anwesend sind. Deswegen möchte ich keine generelle Beschimpfung der Versicherungswirtschaft zulassen.
({0})
Herr Abgeordneter Uldall, auch der Abgeordnete Hitschler möchte Ihnen gern eine Frage stellen.
Bitte.
Herr Kollege Uldall, sind Sie geneigt, mir zu bestätigen, daß das, was Sie soeben gesagt haben, natürlich nur für den Bereich der privaten Versicherungswirtschaft gilt, nicht für den Bereich der gesetzlichen Versicherung, aus dem der Bürger leider keine Rückzahlungen zu erwarten hat?
Das ist richtig. Frau Blunck hat ja über die privaten Lebensversicherungen gesprochen, und deswegen habe ich mich auch auf sie bezogen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zur Großen Anfrage der SPD und zum Entschließungsantrag. Das ist ja auch ganz schön, wenn wir jetzt endlich damit anfangen können.
Der Binnenmarkt ist nicht nur ein drohendes Ungeheuer, sondern er eröffnet auch für den Verbraucher neue Chancen. Es wird mehr Wettbewerb geben; neue Produkte werden das Angebot bereichern. Dies gilt für alle Märkte, die vom Binnenmarkt betroffen werden, aber insbesondere für den Versicherungsmarkt, der ja bisher durch eine sehr starke Regulierung gekennzeichnet war.
Im Zuge dieser Deregulierung muß aber auch auf den Verbraucherschutz geachtet werden, Herr Duve. Sie hatten mir ja versprochen, Herr Duve, diese Punkte aufmerksam zu verfolgen, und ich sage deswegen: Es muß sichergestellt werden, daß der deutsche Versicherungskunde, der bisher durch strenge
gesetzliche Bestimmungen und die Kontrollen des Bundesaufsichtsamts geschützt wurde, nicht in seinen Interessen beeinträchtigt wird.
({1})
Es ist deswegen gut - so hatte ich es in meinem Manuskript sogar schon vorbereitet -, daß die SPD dieses Thema aufgreift.
({2})
Allerdings halte ich den von der Opposition in der Großen Anfrage und in dem Entschließungsantrag aufgezeigten Weg nicht uneingeschränkt für gangbar. Unbedingt wichtig ist mehr Aufklärung der Versicherungsnehmer. Aber grundsätzlich sollte dieses, wo es möglich ist, nicht durch den Staat, sondern durch die Versicherungswirtschaft und den Markt erfolgen. Der Staat selber muß dann eingreifen, wenn weder die Selbstregulierung des Marktes noch freiwillige Vereinbarungen wirksam sind.
Die Vorschläge der SPD führen zu einer Überregulierung der Märkte mit einer Fülle von Bestimmungen und Vorschriften, durch die dann kein Mensch mehr durchschaut. Die Bevölkerung hat für diese Überbestimmung im Zuge der europäischen Harmonisierung überhaupt kein Verständnis mehr. Die EG-Vorschriften, was ein Apfel ist oder was eine Wurst ist, rufen überall nur Unverständnis, bestenfalls Heiterkeit hervor. Derartige Fehler sollten wir bei der Versicherungswirtschaft jetzt nicht wiederholen.
Zur Zeit werden die Entwürfe für das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Versicherungsvertragsgesetz erstellt. Wenn diese in den Ausschüssen beraten werden, dann ist der richtige Zeitpunkt, um die Einzelheiten zu besprechen, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag aufgelistet haben. Dies wird alles bis zum 1. Juli des nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Der Entschließungsantrag, den Sie vorgelegt haben, Frau Blunck, ist schon etwas Ungewöhnliches, denn er nimmt die Ausschußberatungen in der ersten Lesung vorweg. Ich bestätige Ihnen aber, daß Sie mit viel Fleiß alles zusammengetragen haben, was im Rahmen der Ausschußberatungen angesprochen werden könnte.
({3})
Es ist aber völlig unmöglich, eine Diskussion über die von Ihnen genannten speziellen Fragen jetzt im Plenum zu führen. Es gibt Gott sei Dank die Trennung zwischen Beratung im Plenum und Beratung im Ausschuß. Diese sollten wir nicht verwischen.
({4})
Im übrigen haben wir diesen Antrag erst seit 48 Stunden vorliegen.
({5})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Antrag von Ihnen ernsthaft zur Diskussion gestellt werden sollte, denn dann hätte er früher eingehen müssen.
Wie sollten wir jetzt aus dem Stand entscheiden, ob wir ein „Gütesiegel für verbraucherfreundliche Angebote" einführen wollen oder wie die Bruttoprämie aufgeschlüsselt werden soll oder wie die von der SPD geforderte „Verpflichtung zur vollständigen, übersichtlichen, gut lesbaren und verständlichen Wiedergabe aller Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers" gesetzlich zu definieren ist? Das schaffen wir jetzt nicht. Solche Fragen gehören in die Ausschüsse und sollen nicht vorab im Plenum diskutiert werden.
({6})
- Herr Duve, Sie sind doch nicht erst seit gestern im Ausschuß.
({7})
Diese Punkte werden doch während einer Ausschußberatung eingebracht und werden dann von den Kollegen dort aufgegriffen.
({8})
- Bei uns im vornehmen Finanzausschuß geht so etwas viel geräuschloser und dafür sehr viel effizienter.
Dies veranlaßt die Abgeordnete Frau Blunck, Sie zu bitten, eine Frage zuzulassen. - Bitte.
Lieber Herr Uldall, würden Sie nicht sagen, daß es hervorragend ist, wenn den Ausschuß eine solch gute Vorarbeit erreicht und er dann noch substantieller diskutieren kann, als er es, wie ich Ihnen zweifelsohne zugestehe, sicher sowieso schon macht?
({0})
Rügen Sie uns doch nicht, weil wir fleißig waren, sondern loben Sie uns deshalb, und sagen Sie, daß das, was wir gemacht haben, in Ordnung ist, und nehmen Sie dazu Stellung!
({1})
Frau Abgeordnete Blunck, wenn Sie das jetzt in Frageform gekleidet hätten, hätten Sie sogar der Geschäftsordnung entsprochen.
Stimmen Sie mir da zu?
Wenn Sie mit diesem Entschließungsantrag das Ziel verfolgt haben, von mir eine Note für Ihren Fleiß zu bekommen, dann sage ich, das war „gut".
Aber es geht nicht darum, daß wir jetzt den Fleiß beurteilen. Wir müssen hart zur Sache gehen. Deswe15340
gen möchte ich zunächst zur Ausbildung der Versicherungskaufleute etwas sagen, die Sie auch angesprochen haben. Es ist wenig erfolgversprechend, in ein Gesetz hineinzuschreiben: Unseriöse Versicherungsvertreter werden verboten. Solche Formulierungen wären, wenn man sie denn bringen würde, unsinnig. Was man aber machen kann, ist, dafür zu sorgen, daß die Vertreter eine gute Ausbildung erhalten und unseriöse Verkäufer von der Branche selbst zurückgezogen werden. Derartige Kontrollen dürften sehr viel effizienter sein als staatliche Vorgaben.
({0})
Als positives Beispiel für eine brancheneigene Regelung ohne Mitwirkung des Staates kann die Ausstellung von Qualifikationsausweisen angeführt werden. Inzwischen haben 43 000 Vertreter entsprechende Ausweise, die erst nach einer entsprechenden speziellen Ausbildung ausgegeben werden. Für dieses Programm interessieren sich auch andere EG-Staaten. Dieses Beispiel zeigt, daß die Branche selber erfolgreich Dinge anpacken kann, die nicht unbedingt durch den Staat gelöst werden müssen.
An einem weiteren Beispiel möchte ich zeigen, daß der Markt selbstregulierend schwarze Schafe aussondern wird. Wie bekannt, bieten z. B. englische Lebensversicherungen Verträge an, die zwar auch „Lebensversicherungsvertrag" heißen, aber sehr viel risikoreicher sind als das, was die deutschen Gesellschaften anbieten. Während deutsche Versicherungsunternehmen sehr strenge Auflagen hinsichtlich einer Minimierung des Risikos zu beachten haben, können z. B. englische Gesellschaften die Kapitalanlagen sehr viel lockerer vornehmen. Als Folge können diese Gesellschaften dann höhere Renditen versprechen. Die Gefahr, daß deutsche Versicherungsnehmer hierauf hereinfallen, ist nicht von der Hand zu weisen.
Aber es wird auch zu Gegenreaktionen auf dem Markt kommen. Zunächst einmal wird sich die Fachpresse mit den Kapitalanlageformen der einzelnen Gesellschaften beschäftigen. Während heute in den Zeitungen nur ein Renditevergleich der deutschen Lebensversicherer erfolgt, wird in Zukunft auch eine Risikoeinstufung des Versicherers erfolgen. Bisher ist das nicht notwendig, da alle zu vergleichenden Gesellschaften den einheitlichen Vorschriften hinsichtlich der Kapitalanlage unterliegen. In Zukunft werden dann die Tabellen, die wir alle aus „Capital" oder „Impulse" oder aus der Tageszeitung kennen, auch ein entsprechendes Kennzeichen für die Sicherheit dieses Unternehmens ausweisen.
Dann wird es eine zweite Selbstregulierung geben. Die ausländischen Versicherungsgesellschaften werden aus Kostengründen nicht unbedingt mit eigenen Vertriebsorganisationen auf den deutschen Markt kommen, sondern sie werden sich um Mehrfachagenten bemühen, d. h. um Versicherungsverkäufer, die ihren Kunden Versicherungen von mehreren unterschiedlichen Gesellschaften anbieten. Im eigenen Interesse werden diese Mehrfachagenten darauf achten, daß sich ihre Kunden des Risikos bei einer auf den ersten Blick vorteilhaften ausländischen Versicherung bewußt sind. Tut der Agent dieses nicht, wird er auf Dauer seine Kunden verlieren. Das heißt, von dem
so häufig kritisierten Vertrieb wird selbst auf Transparenz hingewirkt werden.
Diese Beispiele zeigen, daß im Zuge der Marktöffnung sich von allein neue Bestandteile einer Selbstregulierung eröffnen werden.
Lassen Sie mich abschließend festhalten: Das Interesse des Versicherungsnehmers muß im Zuge der europäischen Harmonisierung gesichert werden. Eine Überregelung wird es aber mit uns nicht geben.
({1})
Unser nächster Redner ist der Kollege Walter Hitschler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD und der Entschließungsantrag hierzu geben uns Gelegenheit, die unterschiedlichen Auffassungen über das Grundverständnis vom Bild des wirtschaftenden Menschen hier einmal klarzulegen. Nach unserer Auffassung gilt gerade im Versicherungswesen der Grundsatz - und das unterscheidet uns fundamental von Ihnen -: so wenig Staat wie möglich und so viel Staat wie nötig.
Die Wünsche unserer Mitbürger nach Versicherungsleistungen zur Abdeckung der unterschiedlichsten Risiken sind äußerst differenziert. Die Verbraucher möchten eine möglichst auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Versicherungsleistung, denn sie gewährt ihnen ein Stück Entfaltungsfreiheit. Jeder reglementierende Eingriff bedeutet zunächst eine Einengung des individuellen Gestaltungsspielraums der Vertragspartner. Deshalb muß das Angebot an Versicherungsleistungen vielfältig sein und den Kundenwünschen Rechnung tragen.
Nur ein vielfältiges Angebot vieler Anbieter sorgt für den Wettbewerb untereinander, der gottlob jetzt im Europäischen Binnenmarkt noch größer wird, aber nicht ein bürokratischer Vorschriftenwust, wie Sie ihn uns mit Ihrem Entschließungsantrag anempfehlen.
Vorsorgender Verbraucherschutz darf deshalb nicht dazu führen, daß Versicherungsleistungen zu einem Einheitsbrei zusammengerührt werden. Preistransparenz, wie Sie sie hier immer fordern, heißt nicht, daß der Verbraucher keinen Durchblick mehr benötigt.
Die Pfiffigkeit und die Cleverness der Verbraucher sollten wir auch nicht unterschätzen. Verbraucher sind heute willens und in der Regel auch in der Lage, Vergleiche zu ziehen und sich selbst ein Urteil zu bilden. Der Gesetzgeber darf die Freiheit des mündigen Bürgers, den wir so oft anmahnen, nicht der Dusseligkeit einzelner wegen zu sehr einengen.
Vielleicht wäre in der Tat, Frau Blunck, einmal zu erwägen, eine Vorschrift einzuführen, daß die Versicherungsnehmer vor Abschluß eines Vertrages die Versicherungsbedingungen und die Vertragsbedingungen des Vertrages, den sie unterzeichnen, auch einmal durchlesen. Denn viele solcher Fälle, wie Sie sie eben geschildert haben, dieser Frau von 60 Jahren, die einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 20 oder 25 Jahren abschließt, eine solche
Dusseligkeit können Sie in der Tat auch durch noch so gezielte gesetzliche Reglementierung nicht verhindern.
({0})
- Natürlich war sie dusselig. Wollen Sie etwa bestreiten, daß sie dusselig war?
({1})
- Der Verkäufer hat die Situation ausgenutzt, und er wird bei einer nachträglichen Mißbrauchsaufsicht dabei auf die Nase fallen.
({2})
Sie werden doch nicht bestreiten können, daß die Frau dabei auch dusselig war. Sie wollen jeden Bürger an die Hand nehmen und ihn dorthin führen, wo Sie ihn haben wollen; genau das wollen wir nicht, Herr Kollege.
({3})
Verbraucherschutz soll nicht und kann nicht zu Überregulierungen führen
({4})
und darf der Versicherungswirtschaft nicht allzu enge Fesseln anlegen.
({5})
- Über Ihre Dusseligkeit, Herr Kollege, brauchen wir uns hier nicht zu unterhalten. Vielleicht können wir uns wieder auf daß Thema konzentrieren.
({6})
Herr Kollege Duve, Zwischenrufe sind gestattet. Aber der Redner muß seine Ausführungen ordnungsgemäß machen können. Ich bitte deswegen um etwas Zurückhaltung.
Bitte sehr.
Auf jeden Fall regelt der Markt dies besser als Staatsbeamte, und mehr Wettbewerb führt zu mehr Produktqualität. Die Sehnsucht nach der Kuscheldecke obrigkeitsstaatlicher Fürsorge, die in Ihren Wortmeldungen hier wiederum zum Ausdruck kommt,
({0})
führt doch dazu, daß, wie einige Spötter meinen, manche Versicherungsgesellschaft durch dies e Aufsicht allzuviel Speck angesetzt hat, auch wenn man natürlich nicht bei einer „armen" Versicherungsgesellschaft versichert sein möchte.
Nein, das, was Sie vorschlagen, würde zu einer Vereinfachung und Vereinheitlichung der Informationsvielfalt führen und damit letztlich nicht zu einem echten Produktwettbewerb,
({1})
sondern lediglich zu einem Werbungswettbewerb und zu einem ausgeprägten Kartellverhalten der Versicherungsanbieter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?
Nein, ich möchte dem Kollegen Duve keine Gelegenheit geben, seine Tiraden fortzusetzen.
({0})
- Das ist schon in Ordnung; das können Sie mir nachher privatim sagen.
Staatliche Aufsicht sollte sich beschränken auf die Finanzaufsicht zur Sicherung des Verbrauchers im Sinne des Insolvenzschutzes - sie haben wir; unter Umständen sollte auch ein Konkurssicherungsfonds vorgeschrieben werden - und auf eine nachträgliche Mißbrauchsaufsicht, die im übrigen jetzt vorgesehen ist, und sie sollte natürlich die Qualifikation und die Zuverlässigkeit derer, die das Versicherungsgeschäft betreiben, beobachten und auch im Auge haben.
Alles andere regelt die Versicherungswirtschaft am besten selbst, beispielsweise die Einführung von Standard- und Musterbedingungen zur Sicherung einer Mindestproduktqualität, einheitliche Definitionen der versicherten Gefahren und Risiken zur Produktklarheit.
Ihr Entschließungsantrag ist ein Dokument zur Umsetzung des Grundsatzes „Soviel Staat wie möglich, sowenig Gestaltungsfreiheit wie nötig". Er kann unser Gefallen nicht finden, denn er würde ein Paragraphenratatouille zur Folge haben, das ein umfangreiches eigenes Gesetzbuch mit einem tausendseitigen dazugehörigen Kommentar füllen würde. Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, es erhält jetzt gemäß § 27 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung der Kollege Freimut Duve das Wort zu einer Zwischenbemerkung.
Herr Vorsitzender! Herr Kollege! Meine etwas heitere Erregung bezog sich auf einen seriösen Tatbestand. Sie hatten in einer Zwischenfrage an die Kollegin Blunck die Dusseligkeit von uns allen und unseren Zuhörern in einem erstaunlichen Maße überschätzt.
({0})
Sie haben in ihrem Zwischenruf behauptet, daß die öffentlichen Versicherungsanstalten Gewinne machten, die sie nicht abzugeben hätten, und daß dieses Abgeben, dieses Rückführen der Gewinne, ausschließlich von den privaten vorgenommen würde und nicht von den öffentlichen. Die öffentlichen
I machen keine Gewinne und haben keine Gewinne. Sie haben einen falschen Soupcon in die Debatte hineingebracht. Es handelt sich um zwei völlig verschiedene Systeme.
Meine zweite Bemerkung: Die Ängste der Bürger muß man sehr ernst nehmen. Von den Ängsten der Bürger vor den Risiken des Lebens lebt die Versicherungswirtschaft. Viele dieser Ängste werden mobilisiert, und viele sind real. Ich bin sehr für ein privates Versicherungswesen. Ich glaube, daß es bei uns sehr gut ist. Ich glaube jedoch auch, daß es sich selber diskreditieren würde, wenn man das mit Dusseligkeit von Verbrauchern abqualifiziert. Wir brauchen dazu ein anderes Verhältnis, damit die Menschen keine Angst vor diesen Versicherungsgesellschaften bekommen.
({1})
Nur deswegen habe ich mir erlaubt, Ihr Wort Dusseligkeit zu kritisieren.
Insgesamt, glaube ich, haben wir in Deutschland ein gutes System für beide Formen von Lebenssicherung. Nur, daß Ängste mobilisiert und ausgenutzt werden, steht - glaube ich - außer Frage.
Unser Kollege Dr. Burkhard Hirsch erhält zum gleichen Paragraphen die gleiche Chance.
Hen Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nur gemeldet, um einer Bemerkung des Kollegen Duve entgegenzutreten, nämlich daß die Versicherungswirtschaft von den Ängsten der Bürger lebt. Die Versicherungen leben davon, daß sie Risiken verteilen, Risiken, die der einzelne häufig allein nicht tragen kann. Das ist der Sinn der Versicherungswirtschaft. Wir sollten das nicht dadurch changieren, daß wir diesem Gewerbezweig vorhalten, er lebte von Ängsten.
({0})
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, als letzter Redner in dieser Debatte erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, unser Kollege Rainer Funke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich spontan gemeldet, als Frau Blunck die Bundesjustizministerin angriff. Wir sind zwar nicht federführend, trotzdem möchte ich auf diese Angriffe eingehen, die ich deshalb für ziemlich unglaublich halte, Frau Blunck, weil Sie hier unterstellen, daß einseitig von der Bundesregierung, von Parteien und Fraktionen Interessenpolitik betrieben wird. Das halte ich für eine unglaubliche Berner-kung.
({0})
- Herr Kollege, wir sind keine Lobbypartei. Ich bin jedoch froh, daß wir eine Versicherungswirtschaft in der Bundesrepublik haben, die in der Welt einmalig ist, um die wir in der ganzen Welt beneidet werden und die auch im Interesse der Verbraucher gut funktioniert, viel besser als z. B. manche amerikanische oder englische Versicherung, und bei der unsere deutschen Verbraucher hinreichend geschützt sind.
Sie haben - ich will mich jetzt bemühen, Ihre Frage sachlich zu formulieren - gefragt: Weshalb hat es die Bundesregierung aufgegeben, bei Versicherungsverträgen zum Ende des dritten Laufzeitjahres ein unbedingtes Kündigungsrecht einzuräumen? Das wäre die sachliche Frage gewesen, die Sie polemisch formuliert haben.
Dazu kann ich sagen: Wir haben - das ist Ihnen vielleicht entgangen - im Jahre 1991 das Versicherungsvertragsgesetz neu formuliert. Wir haben dort auch die Kündigungsrechte neu formuliert. Für den Verbraucherschutz ist es auch wichtig, und zwar für beide Seiten, für den Anbieter, nämlich die Versicherung, aber auch für den Verbraucher, daß wir, was die Verträge und die Gesetze angeht, Verläßlichkeit haben, so daß man auch verläßlich kalkulieren kann. Wir können nicht im Jahre 1991 ein Gesetz machen und im Jahre 1993 schon wieder eines. In der Tat sind mir die Bedenken ({1})
- Frau Blunck, vielleicht darf ich es doch ausführen - des einen Verbandes bekannt. Dieses ist natürlich in die Diskussion eingeflossen.
Wir wollen die Erfahrungen des Gesetzes aus dem Jahre 1991 zunächst einmal abwarten. Wir werden dann wieder auf den Bundestag zukommen. Im übrigen darf ich darauf hinweisen: Der Bundestag ist der Gesetzgeber und nicht die Bundesregierung.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß dieser Aussprache. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5716 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen.
({0})
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 8 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zur Lage der Kurden in der Türkei im Rahmen ihrer Gespräche mit der türkischen Ministerpräsidentin Çiller
Vizepräsident Helmuth Becker
Die Gruppe PDS/Linke Liste hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich erteile zunächst unserer Frau Kollegin Ulla Jelpke das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weder die türkische Ministerpräsidentin, Tansu Çiller, die sich Anfang der Woche auf Einladung des Bundeskanzlers in der BRD aufhielt,
({0})
noch Bundeskanzler Kohl haben in ihren Gesprächen die Massaker am kurdischen Volk, aber auch die Menschenrechtsverletzungen gegenüber türkischen Oppositionellen erwähnt. Es fiel kein Wort über Folter, Vergewaltigung, Hinrichtung, Verschleppung, Ermordung und Zerstörung durch das Türkische Militär und Todesschwadronen. Dafür gab es um so mehr Worte und Taten für die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen und gemeinsame Absprachen in Sachen innere Sicherheit. Darunter sind Maßnahmen gegen die PKK sowie gegen kurdische Vereine und Institutionen in der BRD zu verstehen. Innere Sicherheit heißt aber auch weiterhin geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, Waffenlieferungen in die Türkei und deutsche Polizeihilfe für türkische Sicherheitskräfte.
Ohne die wirtschaftliche und finanzielle Hilfe aus Deutschland wäre die türkische Regierung meines Erachtens gar nicht in der Lage, den Krieg gegen das kurdische Volk zu führen. Daß sich die Bundesregierung damit zum Mittäter im Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk macht, habe ich hier in diversen Türkei-Debatten schon ausgeführt.
Erst vor wenigen Wochen hat mir eine bundesdeutsche Frauendelegation, die die Türkei/Kurdistan besucht hat, Fotos überreicht, die den Einsatz deutscher Waffen gegen das kurdische Volk beweisen; ich weiß nicht, zum wievielten Male.
Diese Politik der Bundesregierung ist zutiefst zu verurteilen und zu verabscheuen. Die Bundesregierung weiß nämlich sehr genau, daß mit Frau Çiller eine noch härtere Politik gegen das kurdische Volk stattfindet. Mit Phosphorbomben und Giftgas strebt Frau Çiller - so sagt sie selbst - „die Endlösung in der Kurdenfrage" an.
Unwidersprochen seitens der Bundesregierung bleiben auch die zynischen und arroganten Auftritte von Frau Ministerpräsidentin Çiller vor den Medien. Befragt zu den Menschenrechtsverletzungen antwortet Frau Çiller kalt lächelnd:
Die Deutschen müssen erst einmal lernen, die Türkei so zu sehen, wie sie wirklich ist. Die Türkei verändert sich sehr dynamisch und hat ein völlig neues Gesicht.
({1})
Was die Menschenrechte angeht, würde ich mir wünschen, daß die Türken in Deutschland wenigstens einen Bruchteil der Rechte hätten, die wir unsern kurdischen Mitbürgern einräumen.
Zweifellos sind die rassistischen Übergriffe in der Bundesrepublik scharf zu verurteilen. Einen Völkermord damit gleichzusetzen bzw. ihn zu verniedlichen ist meines Erachtens aber die Spitze an Zynismus.
Meine Damen und Herren, die Auseinandersetzung in der Türkei/Kurdistan auf ein Terrorismusproblem zu reduzieren, ist hierzulande weit verbreitet und meines Erachtens für die Bundesregierung inzwischen eine Legitimation, die Zusammenarbeit mit der Türkei auf allen Gebieten auszuweiten. Leider ist es aber auch für die SPD-Fraktion einer der Hauptgründe, sich in Schweigen zu hüllen. Ich denke, auch Sie von der SPD machen es sich damit zu einfach.
({2})
- Wir können ja einmal hören, was Sie in der Vergangenheit zu diesen Themen zu sagen hatten.
Meine Damen und Herren, ich unterstütze keineswegs die Entführung ausländischer Touristen der letzten Zeit in der Türkei/Kurdistan,
({3})
auch wenn ich in diesen Aktionen mehr die Verzweiflung als das Terrorismusproblem sehe.
({4})
Ich unterstütze aber die Forderung, die kürzlich auch von 120 Kurden, die sich in einem Hungerstreik befanden, in Köln formuliert wurde, endlich eine Bundestagsdelegation nach Türkei/Kurdistan zu entsenden. Obwohl nach dem letzten Waffenembargo 1992 im Auswärtigen Ausschuß festgelegt wurde, daß eine Bundestagsdelegation in das türkische Kurdengebiet fährt, ist dies bis heute unterblieben.
({5})
Wer sich wirklich ein Bild von der Situation des kurdischen Volkes machen will - und ich bin in der Tat oft genug dagewesen -, der kommt nicht umhin, dieses Land zu besuchen und dort mit den Menschen zu sprechen. Sie sollten nicht nur nach Ankara fahren. Dort erhalten Sie nämlich ein ganz anderes Bild der Türkei, als dies der Türkei/Kurdistan entspricht.
({6})
- Es muß sehr lange her sein, Herr Hirsch, daß Sie in Kurdistan gewesen sind.
Ich bin ehrlich gesagt ziemlich desillusioniert,
({7})
aber es wäre vielleicht ein kleiner Schritt. Danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Meine Damen und Herren! Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Hans Stercken.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns sind die hier soeben
vorgetragenen Urteile oder Vorurteile - wie man das auch nennen will - bekannt. Frau Jelpke, Sie haben dazu aufgefordert, sich vor Ort kundig zu machen. Ich habe dies getan. Ich will darüber auch berichten.
Ich kenne dieses Land seit 35 Jahren. Ich habe ein Jahr dort gelebt. Ich kenne die Kurdenfrage seit jener Zeit sehr genau. Ich bin in alle Dörfer gefahren. Ich habe mit allen, auch mit den Leuten der PKK, gesprochen. Ich bin zurückgekommen und habe dazu eine Erklärung abgegeben. Nicht übereinander reden, so sagte ich - die Überschrift lautet: Kooperation statt Konfrontation- , sondern miteinander. Es gibt viel mehr guten Willen, wenn er nur erkannt und bestärkt wird. Es gilt also, nicht entmutigt zu sein, sondern zu ermutigen. Mut gehört angesichts eines menschenverachtenden Terrorismus dazu.
({0})
- Ich lasse nicht von Ihnen festlegen, mit wem ich dort zu sprechen habe. Ich spreche überall und, wie ich einmal in einem „Spiegel"-Interview gesagt habe, wenn es sein muß, mit des Teufels Großmutter,
({1})
wenn ich damit meine parlamentarische Aufgabe erfüllen kann.
Parlamentarier sind Parlamentäre. Parlamentarier sind keine Leute, die in andere Länder fahren und sich dort mit irgendwelchen Organisationen an irgendeinem Kampf - einem Kampf, der mit terroristischen Methoden geführt wird - beteiligen. Vielmehr möchten Parlamentarier und auch ich - so wie wir das auch gestern in Sachen Bosnien hier erörtert haben - Menschen miteinander versöhnen. Wir kommen doch nicht weiter, wenn sich die Menschen nicht gegenseitig annehmen und wenn nicht ein Rechtszustand erreicht wird.
({2})
Den können wir mit solchen terroristischen Mitteln nicht erreichen.
Solche Entschlossenheit, sagte ich weiter, zu Werken des Friedens, der Versöhnung und der Toleranz ist mit der Fortsetzung von Terrormaßnahmen nicht zu vereinbaren. Der Wille, Frieden zu schaffen, muß alle am Prozeß Beteiligten beseelen. Ich sage dies, weil ich mir wirklich eine parlamentarische Aufgabe zugemessen habe, um den Versuch zu machen, die Menschen miteinander zu versöhnen und um Gespräche anzukurbeln.
Das Kurdistan-Komitee hat auf diesen Artikel, den ich hier nur auszugsweise zitiert habe, mit der Feststellung reagiert: Stercken erklärt Unterstützung für die Massakerpläne des türkischen Staats am kurdischen Volk.
Meine Damen und Herren, glauben Sie wirklich, daß wir mit solchen Formen des Umgangs weiterkommen?
Dennoch habe ich in der darauffolgenden Woche dem gleichen Komitee geschrieben, daß ich zu einem
Gespräch bereit bin. Ich weiß nicht, wie man überhaupt in der Sache einen Einfluß als Parlamentär nehmen soll, wenn man nicht mit den Leuten spricht, wenn man nicht versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten.
({3})
- Waffenboykott, an wen? Die Türkei ist unser Bundesgenosse im Bereich der Nordatlantischen Allianz. Sie hat da eine Selbstbindungsverpflichtung für den Einsatz von Waffen gegeben. Darüber können wir allenfalls mit ihr reden. Das bedeutet, daß sie nicht gegen Bürger eingesetzt werden können.
Es hat bei all den sehr kritischen Gesprächen, die darüber stattgefunden haben, in keinem Augenblick den Eindruck gegeben, daß Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland - so pflege ich unseren Staat zu nennen; Sie haben noch Ulbrichts Formel „BRD" benutzt - eingesetzt werden.
Meine Damen und Herren, ich stehe zu dem, was ich hier vortrage. Wenn deutsche Parlamentäre dazu beitragen können, daß ein Gespräch stattfindet, damit die Parteien zur Einsicht kommen, wenn wir niemanden, wie wir dies gestern im Falle Jugoslawiens hier erörtert haben, dabei ausgrenzen und wenn wir sagen: „Auch die vielen Vorbehalte, die wir politisch etwa gegen Serben empfinden, dürfen uns nicht dazu verleiten, daß wir eine Serbenfeindlichkeit, also eine Feindlichkeit gegen das serbische Volk, entwickeln", dann gilt dies für alle, die an diesem ethnischen Konflikt beteiligt sind. Mit den Mitteln des Terrors - mit Entführungen, mit Bombardierungen, mit der Verseuchung Deutschlands mit Drogen und mit Erpressungen, die hier stattfinden - ist das Problem nicht zu lösen. Deshalb leisten wir einen parlamentarischen Beitrag zu dieser Frage, wenn wir ganz eindeutig sagen, mit welchen humanitären Mitteln ein solcher Konflikt entschärft und hoffentlich bald gelöst werden kann.
({4})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Freimut Duve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde befaßt sich mit den Menschenrechtsverletzungen und dem - das werden wir von der Bundesregierung dann ja hören - was bei dem Besuch der türkischen Ministerpräsidentin gesagt und besprochen worden ist. In der Tat handelt es sich hier um eine Gemengelage von Problemen besonderer Art. Das müssen wir Außenpolitiker zur Kenntnis nehmen, das müssen unsere Innenpolitiker zur Kenntnis nehmen, und das müssen die Menschenrechtspolitiker zur Kenntnis nehmen.
Das erste: Wir haben uns immer wieder sehr engagiert um Vorgänge wie die Zerstörung von Dörfern usw. gekümmert. Ich will nur als Beispiel sagen, daß wir großen Druck auf die peruanische Regierung ausgeübt haben. Aber hier haben wir ein etwas anderes Problem. Es ist das einzige Konfliktgebiet, aus dem fast zwei Millionen Bürger bei uns leben, unter
denen ein tiefer Riß jeden Tag deutlicher wird: mehrheitlich Türken und in der Minderheit türkische Kurden oder kurdische Türken oder Kurden, die sich ganz herauslösen wollen. Das ist für unsere Innenpolitik ein besonderes Feld. Im Verhältnis zur Türkei können wir also gar nicht anders, als dies immer zu berücksichtigen.
Ich bin sicher, daß bei den Gesprächen mit der Ministerpräsidentin auch die Ereignisse von Mölln und Solingen besprochen werden mußten. Das hat etwas mit uns und unserem Umgang mit der Minderheit zu tun. Ich habe es bedauert, daß bei der Trauerfeier in Hamburg für die Opfer von Mölln viele kurdische Hamburger nicht gekommen sind; ich habe das bedauert. Das heißt, es ist ein Konflikt, der auch hier bei uns ganz in die Tiefe geht.
Das zweite: Anders als in Peru, anders als im Irak, anders als in Syrien und anders als im Iran ist die Frage, wie es im Land aussieht, viel leichter zu klären; denn die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei - Ermordung von Journalisten, Verbot einer Menschenrechtskonferenz im Sommer, die nach „Europaratsphilosophie" nie hätte verboten werden dürfen; sie ist zwei Tage vorher verboten worden - können wir deswegen wahrnehmen, weil die Türkei eine Demokratie ist und weil es dort eine Presse gibt. Gerade Journalisten werden dort ja auch deshalb von Terrorgruppen umgebracht, weil es eine freie Presse gibt.
Das ist völlig anders im Irak, das ist völlig anders in Syrien. Wir müssen immer aufpassen: Wenn wir von einem Land besonders viel wissen, dann ist das auch ein Teil seiner Qualität. Und wenn wir von einem Land besonders wenig wissen - die äußerste Brutalität des Irak im Umgang mit den Kurden haben wir bis zum Giftgasangriff 1988 und der Flucht von fast 40 000 Menschen nicht gewußt; ich will darauf nur hinweisen -, dann spricht das für sich selbst.
Drittens. Die Türkei gehört in einem intensiven Maße zu Europa und zu uns. Dies ist nicht irgendein Land, zu dem wir als gute Menschen fahren, um zu sagen: Wir gucken mal nach dem Rechten, sondern die Türkei will nach Europa, gehört in vielem zu Europa und ist in ihrer inneren Konstruktion sehr stark von Europa geprägt.
Aber nun gibt es etwas Neues: Durch das Zerbrechen der Sowjetunion hat sich die außenpolitische Situation der Türkei in einem dramatischen Ausmaß verändert wie fast in keinem anderen Staat der Welt. Ein Staat, der eine Art Randstaat am Eisernen Vorhang, mit aufgebaut von der NATO, gewesen ist, der von heute auf morgen plötzlich Staaten begegnet, deren Führungen seine eigene Sprache sprechen, ohne daß die Türken dies vorher richtig gewußt hatten, der Wettlauf in den islamischen Republiken der früheren Sowjetunion, all das verändert die Lage der Türkei in der Welt.
Deshalb - und das ist eine Warnung - der zunehmende Konflikt und die - da gebe ich Ihnen recht, Frau Jelpke - zunehmende offenkundige Gewaltbereitschaft auch des Militärs. Die Vorstellung, man könne das Problem militärisch beenden - Herr Sterkken ist ja da mit uns einer Meinung -, klingt in den Äußerungen der jetzigen Ministerpräsidentin, die ich gehört habe, durch. Sie tut so, als könne man das Problem dieses Aufstandes militärisch in wenigen Monaten lösen.
Das ist deswegen äußerst gefährlich, weil die Lage des Militärs in der Türkei in bezug auf die offene Demokratie bis heute nicht geklärt ist.
Herr Kollege Duve, Sie haben Ihre Redezeit längst überschritten. Ich bitte um einen Schlußsatz.
Herr Präsident, ich danke Ihnen. Ich sage diesen Schlußsatz: Für Europa, für uns Deutsche wird es von außerordentlich großer Bedeutung sein, daß das Militär in der Türkei politisch und demokratisch kontrolliert bleibt. Verbote von Menschenrechtskonferenzen darf es nicht geben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, was unsere Geschäftsordnung zur Aktuellen Stunde sagt. Da heißt es: Es gibt Redebeiträge bis zu fünf Minuten, nicht über fünf Minuten.
({0})
- Weniger hätten Sie gedurft, Herr Kollege. - Bitte, Herr Kollege Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bestaune bei Frau Jelpke immer wieder, mit welchem Selbstbewußtsein sie irgendwelche Tatsachen und Behauptungen in die Welt setzt. Selbstverständlich sind manche Mitglieder auch meiner Fraktion im kurdischen Gebiet gewesen: Diyarbakir, Musch, an der iranisch-irakischen Grenze, im Araratgebiet waren Sie selbstverständlich und haben dort mit den Leuten gesprochen.
Wenn wir sagen, daß die Bundesrepublik und die Türkei miteinander befreundet sind, dann kann das nicht nur eine formelhafte Wendung und nicht nur eine Beschwörung historischer Kontakte sein. Wir wissen, daß die Türkei der bedeutende Staat im mittleren Osten ist, der sich trotz aller Schwierigkeiten, Irritationen und Umwege immer wieder um die Herstellung demokratischer Verhältnisse im Sinne einer europäischen Tradition bemüht. Wir wissen, welche großen Leistungen und welchen erheblichen Beitrag türkische Arbeitnehmer in der Bundesrepublik für unsere Gesellschaft erbringen. Und wir wissen sehr wohl, daß die Bundesrepublik im Bewußtsein vieler Türken ein Symbol für die Haltung ist, die Europa der Türkei entgegenbringt. Damit beeinflussen wir die innenpolitische Lage und das innenpolitische Schicksal dieses Landes mit einer Verantwortung, der sich viele Bürger unseres Landes nicht bewußt sind.
Um so mehr schmerzen uns die Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren eingetreten sind. Dazu gehören auf der einen Seite die Verbrechen an Türken in Mölln, Solingen und anderswo. Dazu gehört auf der
anderen Seite die unglückliche und falsche Minderheitenpolitik, die die Türkei gegenüber den Kurden betreibt. Das muß man ebenso offen aussprechen.
Damit haben wir keine Veranlassung, uns moralisch zu überheben. Ich erinnere an die Pogrome gegen Ausländer in der Bundesrepublik, und ich erinnere auch an die Schwierigkeiten in der Bundesrepublik, einen ausdrücklichen Minderheitenschutz in unsere Verfassung aufzunehmen.
Die Kurden sind ein altes Volk von über 20 Millionen Menschen, ein Volk, das beim Zerfall des Osmanischen Reiches zwischen der Türkei, dem Irak und dem Iran aufgeteilt wurde und das doch sein Bewußtsein einer eigenen kulturellen Identität und seine eigenen Sprache erhalten hat. Ich glaube nicht, daß man dieses Selbstbewußtsein mit militärischen Mitteln vernichten kann, und man darf das auch nicht.
({0})
Ich sehe mit Bedauern, daß es zu einer wachsenden Radikalisierung des Kampfes auf beiden Seiten gekommen ist. Die Lösung kann nicht mit Waffen, sie muß mit Toleranz und mit autonomen Strukturen gesucht werden, ein Gedanke, der der türkischen Regierung allerdings völlig fremd geblieben ist.
Den in der Bundesrepublik lebenden Kurden müssen wir allerdings mit derselben Entschiedenheit sagen, daß wir nicht bereit sind, hinzunehmen - und es uns auch nicht leisten wollen -, daß die Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden und zwischen Türken und kurdischen Türken auf dem Boden der Bundesrepublik mit kriminellen Mitteln ausgetragen wird.
({1})
Das geht nicht! Es kann auch nicht hingenommen werden, daß deutsche Touristen entführt werden und dann ein kurdischer Vertreter in der Bundesrepublik erklärt, wir müßten mit ihnen verhandeln, wenn sie freigelassen werden sollen. Dieser Mann sollte die Bundesrepublik unverzüglich verlassen müssen. Das geht nicht.
({2})
Wir werden die Minister von Bund und Ländern unterstützen, wenn sie nach der erforderlichen Prüfung zu der Überzeugung kommen sollten, daß die kurdische PKK in der Bundesrepublik nach unseren Gesetzen verboten werden muß. Wir erwarten aber auch von den Innenministern, das kurdische politische Flüchtlinge unverändert in der Bundesrepublik eine Heimstatt finden können.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bundesrepublik und die Türkei sind befreundet, und wir wollen, daß das so bleibt. Das berechtigt uns aber auch, an die Türkei zu appellieren, die Kurden als eine ethnische Minderheit zu erkennen, auch wenn das im Lausanner Vertrag nicht vorgeschrieben ist. Das berechtigt uns auch, an die Türkei zu appellieren, den in der Türkei lebenden Deutschen wenigstens dieselben
Rechte zu geben, die heute schon die Türken in der Bundesrepublik haben.
({3})
Und schließlich verpflichtet uns diese Freundschaft mit der Türkei auch dazu, die berechtigten Interessen der Türkei in der Bundesrepublik zu beachten und zu respektieren.
({4})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Gerd Poppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich hat Frau Çillers Besuch in der Bundesrepublik seine Berechtigung. Die Morde an türkischen Frauen und Kindern, die rechtsextremistischen Übergriffe gegen Flüchtlinge und - seit Mölln - zunehmend auch gegen hier seit Jahrzehnten ansässige Minderheiten, insbesondere die türkische, haben nicht nur uns, sondern auch die Öffentlichkeit in der Türkei, die ansonsten Deutschland traditionell freundlich verbunden ist, alarmiert. Dieser Ausbruch von Haß und Gewalt gegen ihre Landsleute hat bei den Menschen in der Türkei tiefe Irritation und berechtigte Empörung ausgelöst.
Aber geben die fremdenfeindlichen Exzesse in Deutschland Frau Çiller das Recht, im Vorfeld ihres Besuches in Deutschland gegenüber einer Nachrichtenagentur öffentlich zu beklagen: „Die ständigen Fragen nach den Menschenrechten in der Türkei machen mich krank. "?
Es ist eben diese Ignoranz maßgeblicher türkischer Politiker und nun auch Politikerinnen, die stärker als alle anderen Faktoren verhindert, daß die formal wieder eingerichtete türkische Demokratie endlich mit Leben erfüllt wird und die für eine demokratische Gesellschaft unerläßliche zivile Kontrolle der Macht überhaupt eine Chance bekommt.
Die Verteidiger des kemalistischen türkischen Zentralstaats weigern sich, zu akzeptieren, daß zur Demokratie auch das Teilen von Macht mit anderen als den offiziellen Machteliten gehört, z. B. mit den Minderheiten der Kurden, der Armenier, der Griechen und vieler, vieler anderer.
Die türkische Republik ist bis heute ein Polizeistaat geblieben, ein Staat, der darüber hinaus in unseliger Tradition dem Militär eine überfülle an Sonderrechten und direkter wirtschaftlicher und politischer Macht einräumt, mit katastrophalen Folgen für das Land, während der Staat in seinen offiziellen Erklärungen nicht müde wird, seine Orientierung auf gemeinsame europäische Werte zu betonen.
Die Folter, die türkische Polizisten und offenbar unkontrollierte Sicherheitskräfte als gängige Verhörmethode vollendet beherrschen, macht die Betroffenen - das sind alle, die in irgendeinem Zusammenhang mit der Staatsmacht in Konflikt geraten - physisch und psychisch krank. Die Folter und die permanente Verletzung von Menschenrechten maGerd Poppe
chen die Menschen in der Türkei krank, nicht die Frage nach den Menschenrechten!
({0})
Die fortdauernden, massiven Einschränkungen der Versammlungs- und Organisationsfreiheit, die subtilen Formen von Zensur, die die Schere im Kopf der Journalisten und Autoren aktivieren, das alles macht Menschen krank.
Was hätte die Türkei zu verlieren, wenn sie Minderheiten wie den zig Millionen von Kurden, aber auch relativ kleinen Gruppen wie den Arabern und den Yezidi endlich die Rechte einräumen würde, zu deren Einhaltung sie sich als Europaratsmitglied und im Rahmen der KSZE-Vereinbarungen schon vor Jahren verpflichtet hat?
Die hoffnungslose Situation im Südosten der Türkei, wo sich die hemmungslos ausgeübte Staatsmacht und die massiven Übergriffe der PKK gegenseitig bedingen und aufschaukeln, liefert keine Berechtigung für die Fortdauer der massiven Einschränkungen der Grundfreiheiten und politischen Rechte in den kurdischen Gebieten. Im Gegenteil, dies ist Ausdruck einer grundsätzlich falschen Staatskonzeption, die die moderne Türkei als ein Nachfolgestaat des multikulturellen osmanischen Reiches als Geburtsfehler mit sich herumschleppt.
Ohne die Preisgabe des überspitzten Zentralstaatsprinzips, ohne weitgehende Autonomieregelungen und einklagbare Minderheitenrechte wird es keine demokratische Türkei geben. Diese Erkenntnis sollten gerade Vertreter der türkischen Machtelite wie Frau Çiller beherzigen, auf die die Menschen in der Türkei so große Hoffnungen gesetzt haben.
({1})
Wir dürfen den berechtigten Fragen Frau Çillers nach den Rechten der in Deutschland lebenden türkischen Kinder, Frauen und Männer nicht ausweichen. Wir müssen uns schnellstens um befriedigende Antworten bemühen. Wir werden aber deswegen nicht aufhören, unsere Fragen nach den Menschenrechten in der Türkei zu stellen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt, unserem Kollegen Helmut Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute nicht zum erstenmal über die uns bedrükkenden Fragen, die die Kurden in der Türkei betreffen. Heute wird hier ein Zusammenhang mit der Reise der türkischen Ministerpräsidentin nach Deutschland hergestellt.
Ich darf zunächst in aller Schärfe die Behauptung der Kollegin von der PDS/Linke Liste zurückweisen, die Türkei, die türkische Regierung und damit offensichtlich auch das Parlament betrieben Völkermord und seien an einer Endlösung der kurdischen Frage interessiert. Das Wort „Endlösung" aus deutschem
Munde - das muß ich Ihnen sagen - ist unerhört. Das darf man hier nicht stehenlassen.
({0})
Ich darf einmal feststellen, was seit der letzten Debatte z. B. an Positivem geschehen ist. Das muß hier auch einmal angeführt werden, nachdem zunächst der Schwerpunkt auf die Kritik an der Türkei gelegt wurde. Es gibt in der Türkei inzwischen durchaus ein breites Spektrum von Veröffentlichungen in kurdischer Sprache, und das halte ich für einen Fortschritt. Es gibt Zeitungen und Filme. Es gibt sogar eine Zeitung, die in der Türkei offen und unverhüllt die Ziele der Kurdischen Arbeiterpartei vertritt.
Die kürzlich erfolgte Abschaffung des Fernseh- und Rundfunkmonopols in der Türkei halte ich für einen Fortschritt. Wir hoffen - hier stimme ich all den Rednern zu, die in einer anderen Weise als Sie, Frau Jelpke, zu diesem Thema gesprochen haben -, daß die Türkei die Möglichkeit nutzt, der kurdischen Sprache auch in einem freien Fernsehen den ihr gebührenden Platz einzuräumen.
({1})
Meine Damen und Herren - auch Kollege Hirsch hat zu Recht darauf hingewiesen -, ich glaube, es ist etwas kurzsichtig, wenn man bei uns immer nur die derzeitige Situation in einem Land moralisch beurteilt, wie es in Deutschland Mode geworden ist, statt sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen.
({2})
- Es ist eine große Mode. Ich bin gern bereit, Ihnen privat eine Liste dieser Art von Mode aufzustellen, wie in Deutschland über die Welt in allen Einzelheiten moralisch befunden wird. Ich spreche nicht von Ihnen, Herr Duve, und nicht vom Parlament.
Die schwierige Entwicklung der Türkei nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches, die großen Schwierigkeiten, die die Türkei heute hat, haben zur Folge, daß die Türkei eben nicht - wie wir wissen - so schnell in die Europäische Gemeinschaft eingegliedert werden kann. Sie ist zudem durch Nachbarstaaten und ein von uns mit Sorge beobachtetes Vordringen des sogenannten Fundamentalismus bedroht, so daß in der Türkei eine ganz schwierige Politik - auch innenpolitisch - gemacht werden muß. Dies muß man einfach erkennen.
Ich glaube, daß das, was die PKK betreibt, letztlich darauf hinauslaufen soll - so wie bei dem von Ihnen beschworenen Sendero Luminoso, Herr Duve, in Peru -, daß es zu militärischen Übergriffen kommt, um die weltweite öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Das ist doch der Hintergrund der Methoden, mit denen hier gearbeitet wird. Sie leisten ihnen Vorschub, Frau Kollegin, sonst gar nichts.
({3})
Man kann und darf nicht verlangen, daß eine Regierung einfach hinnimmt, daß eine Organisation Dörfer überfällt, Zivilisten tötet, ausländische Touristen kidnappt, Attentate innerhalb und außerhalb der Türkei, auch in Deutschland, vornimmt und junge Wehrpflichtige aus öffentlichen Transportmitteln herausholt, um sie öffentlich zu erschießen, und dann
sagen, mit denen muß verhandelt werden, und wenn gegen sie eingegriffen wird, ist das eine Art Endlösung. So kann man nicht argumentieren.
({4})
Die PKK betreibt das ganz bewußt, und sie arbeitet grenzübergreifend, offensichtlich gut organisiert, und verfügt - auch das dürfen Sie bei Ihren intensiven Kontakten mit ihr einmal untersuchen - allem Anschein nach über fast unbegrenzte Ressourcen an Waffen. Es müßte einmal geprüft werden: Wo kommen die eigentlich her? Das fragen Sie immer in bezug auf Jugoslawien. Fragen Sie auch einmal: Wo kommen die Waffen bei der PKK her?
Hören Sie auf, zu sagen, es seien deutsche Waffen, mit denen die Kurden umgebracht würden. Auch das haben Sie heute wieder behauptet. Das ist nicht wahr. Das ist genausowenig wahr wie Ihre wahrscheinlich morgen erfolgende Behauptung - ich setze schon voraus, daß auch das noch kommt -, auch die PKK werde mit deutschen Waffen versorgt. Solche Behauptungen kennen wir schon hinlänglich.
Ich kann Ihnen sagen, daß der sogenannte einseitige Waffenstillstand der PKK seit April diese Jahres durch die brutale Wiederaufnahme von Gewalttätigkeiten zerstört worden ist. Die hohe Zahl der unaufgeklärten, politisch motivierten Morde - das betrifft nicht nur die PKK - macht natürlich auch uns Sorge.
Sosehr wir es für legitim betrachten, daß eine Regierung - in welchem Land der Welt auch immer - gegen Terrorismus vorgehen muß, sowenig kann es natürlich richtig sein, wenn es dabei zu menschenrechtlichen Verstößen kommt. Hier sind sich alle Fraktionen dieses Bundestages und auch die Regierung einig. Das ist auch beim Besuch der türkischen Ministerpräsidentin Çiller angesprochen worden und steht im Gegensatz zu Ihren Auffassungen.
Ich will hier nicht Äußerungen der türkischen Ministerpräsidentin qualifizieren, aber ich darf Ihnen sagen, daß der Bundesaußenminister mit seinem türkischen Amtskollegen, Herrn Çetin, sehr freimütig über die uns bedrückenden Fragen gesprochen hat. Außenminister Çetin hat die Sorgen der Bundesregierung entgegengenommen und uns gesagt, er verstehe sie. Er verweist auch auf die Bemühungen seiner Regierung, die Menschenrechtslage zu verbessern.
Wir müssen das weiterhin einklagen. Wir müssen auch in die Türkei gehen - das habe ich früher schon oft genug gesagt; der Kollege Stercken ist hier einer der mutigsten Vorkämpfer -, mit den türkischen Kollegen unserer Couleur sprechen - ich bitte die Opposition, auch mit den Kollegen ihrer Couleur zu sprechen - und ihnen sagen: Wir führen hier keinerlei antitürkische Debatten, sondern wir sind besorgt. Wir wollen ja, daß die Türkei ihren Platz in Europa einnimmt. Dazu muß sie sich aber an die hier gültigen Rechtsauffassungen halten. Das haben wir der Türkei immer gesagt, und das wird auch weiterhin gelten.
Wir sind der festen Überzeugung, daß es nur im Geiste der Solidarität unter Partnern möglich sein wird, hier Verbesserungen zu erreichen und wirklich dazu beizutragen, daß die Kurden die Möglichkeiten erhalten, die wir alle für sie nachdrücklich wünschen. Es hat aber keinen Sinn, hier mit Schlagworten, mit einer Art von Hetzkampagnen die Situation zu verschärfen, wodurch den Kurden in der Türkei in keinerlei Weise geholfen wird.
Vielen Dank.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nächster Redner ist jetzt unser Kollege Gerhard Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Mithelfer beim Anmahnen und bei der Verwirklichung der Menschenrechte sind jederzeit herzlich willkommen, gleichgültig, welcher politischen Richtung sie angehören. Wenn aber eine Diskussion über die Menschenrechte in einem anderen europäischen Staat nur begonnen wird, um gegen die eigene Regierung Knüppel schwingen zu können, dann ist das keine Hilfe für die Betroffenen, sondern der schäbige Versuch, mit dem Leid anderer Menschen Propaganda zu treiben.
Ungeachtet dieser Tatsache sollte uns eine Diskussion über die Situation der Kurden in der Türkei aus Anlaß des Besuchs der türkischen Ministerpräsidentin durchaus eine Aktuelle Stunde wert sein; denn die Probleme in den fünf Staaten, in denen Kurden derzeit leben, sind ungelöst, und die Kurden selbst besitzen kein gemeinsames Konzept, um eine friedliche Entwicklung zu formulieren.
Die Tatsache, daß sich eine gewalttätige und alles andere als demokratische Partei weltweit zur Sprecherin der Kurden ernannt hat, ist - Herr Staatsminister Schäfer hat schon darauf hingewiesen - für die Kurden auch nicht gerade hilfreich.
Wir sollten allerdings trotz der aus unbekannten Quellen gesponserten Propaganda einer der letzten marxistisch-leninistischen Parteien nicht übersehen, daß es andere kurdische Repräsentanten gibt, die mit der PKK nichts außer der Nationalität gemeinsam haben. Ich glaube, es lohnt sich, mit ihnen zu reden.
({0})
Über den Kurden in der Türkei, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, schwebt seit 1918 die Devise von der einen und unteilbaren Republik, auf die der Herr Kollege Poppe schon hingewiesen hat; eine These, auf die man aus dem Frankreich von 1789 als die zentrale Idee Atatürks zurückgegriffen hat, eine These, die von vielen Militärs in der Türkei immer noch als das Vermächtnis Atatürks angesehen und entsprechend auch politisch verteidigt wird.
An die Stelle der kulturellen Vielfalt - das war die Idee - sollte neben der Einheit des Staates auch die Einheit des Volkes und der Sprache treten. Eine Minderheit durfte offiziell nicht existieren.
Wir mögen das zu Recht für falsch halten, aber außergewöhnlich in Europa waren diese Ansichten nicht. Ja, ich füge hinzu: Außergewöhnlich sind diese
Vorstellungen auch in anderen europäischen Staaten bis heute nicht.
Dennoch: In der Türkei hat sich eine Wandlung angebahnt. Ich erinnere mich daran, daß ich Anfang der 80er Jahre im Sonderausschuß des Europarats mit dazu beitragen durfte, die Demokratie in der Türkei wiederherzustellen. Ich erinnere mich, wie die damaligen Führungskräfte noch mit aller Selbstverständlichkeit das Wort „Kurden" überhaupt nicht in den Mund nahmen, sondern allenfalls von „Bergtürken" sprachen und sich entsprechend politisch verhielten.
Ich erinnere mich aber ebenso an die erste Menschenrechtskonferenz der türkischen Nationalversammlung vor zwei Jahren in Antalya, wo mir niemand mehr widersprach, als ich die Beachtung der Rechte von Minderheiten verlangte. Wenn ich mir die offizielle Politik ansehe, muß ich feststellen: Hier hat sich in der Tat eine Menge geändert, ob ich an das Menschenrechtsministerium oder an die Tatsache denke, daß man an die Spitze einer Menschenrechtskommission inzwischen einen Kurden gesetzt hat.
({1})
Trotzdem: Wir wollen uns auch hier nüchtern an die Situation halten und feststellen: Dies ist noch nicht allgemeine Haltung in der Türkei. Wir müssen hinzufügen: Die PKK, die merkt, daß ihr durch eine solche Menschenrechtspolitik der Boden unter den Füßen weggezogen wird, muß jetzt natürlich mit militärischer Guerillataktik noch einmal versuchen, sich durchzusetzen.
Ich füge hinzu: Innerhalb der Militärs und sicher auch bei einigen türkischen Politikern nähren die Angriffe der PKK die Hoffnung, das Verhältnis der Kurden zum türkischen Staat und das Verhältnis der türkischen Mehrheit zu ihren kurdischen Mitbewohnern mit Gewalt festschreiben zu können.
Unsere Haltung gegenüber diesem Problem kann nur die Unterstützung derer sein, die Demokratie und Menschenrechte in der Türkei zur Selbstverständlichkeit machen und ihre Realisierung durchsetzen. Das schließt Kritik an Überfällen, Vertreibungen, Folterungen und Morden nicht aus; im Gegenteil. Als wir vor zehn Jahren als Europarat unsere Mission in der beinahe bürgerkriegsgeschüttelten Türkei aufnahmen, haben wir auf die nicht mehr aufhaltbare Durchsetzbarkeit der Menschenrechte gesetzt. Ich glaube, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sollten dabei bleiben.
({2})
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Rudolf Bindig. Er macht von der Möglichkeit des § 34 der Geschäftsordnung Gebrauch und spricht vom Saalmikrofon aus.
Bitte, Kollege Bindig.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Über den Besuch der türkischen Ministerpräsidentin wurde berichtet, daß der Kanzler die
Ministerpräsidentin empfangen und in den folgenden Gesprächen auf die jahrelange Freundschaft mit dem türkischen Volk sowie auf den Beitrag hingewiesen habe, den türkische Gastarbeiter für die deutsche Wirtschaft leisten.
Überhaupt stand eine Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Vordergrund. Offen blieben andere Themen.
Weiter heißt es:
Ausgeklammert wurde dem Vernehmen nach jede Diskussion über die Menschenrechtsverletzungen auch durch türkische Staatsorgane im Kampf gegen die Kurden. In Bonn wird befürchtet, die Ministerpräsidentin hätte dann mit den rechtsextremen Übergriffen gegen türkische Gastarbeiter in der Bundesrepublik antworten können.
({0})
Eine solche Phalanx des Schweigens über Menschenrechtsverletzungen darf es nicht geben.
({1})
Wir müssen über Menschenrechtsverletzungen in unserem Land reden, wenn sie stattfinden, aber wir müssen auch über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei deutlich sprechen.
Es wurde dann auch noch über Menschenrechtsverletzungen gesprochen, nämlich in dem Interview, das Frau Çiller gegeben hat. Befragt, wie sie es in der Kurdenfrage halte, sagte sie, daß sie „kein kurdisches Problem" kenne. Wenn Terroristen bekämpft würden, dann käme es schon einmal vor, daß man „in Konflikte mit den Menschenrechten geraten" könne. „Aber wir unternehmen alles, daß wir hier die gleichen rechtsstaatlichen Einrichtungen bekommen wie überall sonst auf der Welt." Dann sagte sie, „die Türken in Deutschland hätten nur zehn Prozent der Menschenrechte, die die Kurden in der Türkei haben."
({2})
Eine solche Äußerung muß mit Schärfe zurückgewiesen werden.
({3})
Nicht nur den Kurden muß dieser Vergleich als der Gipfel des Zynismus erscheinen. Er zeugt von einem bestürzenden Maß an politischer Ignoranz. Wenn es in Südostanatolien so glänzend um die Menschenrechte steht, warum suchten dann Hunderttausende Kurden Asyl in Deutschland? Wo herrscht eigentlich der Ausnahmezustand, wo drohen die Militärs mit dem Kriegsrecht: in Kreuzberg oder in Kurdistan?
Das schrieb die „Frankfurter Rundschau".
({4})
Alle Berichte über die Situation in der Türkei zeigen, daß es im Schatten der bosnischen Krise dort mit den Menschenrechten nicht besser wird, sondern bergab geht: „amnesty international" sagt, im Kampf gegen die Guerilla der Kurdischen Arbeiterpartei
würden die Menschenrechte immer stärker mißachtet. Fast täglich gebe es aus der Südosttürkei Berichte über Folterungen, „Verschwindenlassen", extralegale Hinrichtungen und Verschleppungen kurdischer Dorfbewohner seitens türkischer Sicherheitskräfte. Es wird darüber berichtet, daß Dutzende von Dörfern von Sicherheitskräften ganz oder teilweise niedergebrannt und die Bewohner vertrieben wurden. Opfer staatlicher Menschenrechtsverletzungen seien außer kurdischen Dorfbewohnern vor allem Mitglieder des türkischen Menschenrechtsvereins und Journalisten.
Die türkische Menschenrechtsstiftung berichtet ebenfalls, daß die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei zunehmen. Nach einer Statistik der Menschenrechtsstiftung sind seit November 1991 bei Kämpfen und Terroranschlägen 3 929 Menschen getötet worden. Die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung beziffert die Stiftung auf 538, darunter 16 Journalisten.
Die Internationale Helsinki-Föderation für Menschenrechte hat sich ebenfalls besorgt über die zunehmende Gewalt gegen Kurden im Südosten der Türkei geäußert. Die Polizei würde nichts unternehmen, um die Täter ausfindig zu machen. Daneben prangert diese Einrichtung, die IHF, die Folterung von Gefangenen an.
Alles das ist doch so schlimm, so besorgniserregend, daß wir erwarten müssen, daß die Bundesregierung in den Gesprächen mit der Türkei, einem Mitgliedsland des Europarats, diese Dinge nachhaltig anspricht. Wir müssen dann, wenn ein Land, das den Anspruch erhebt, Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft zu sein, seit Jahren so systematisch die Menschenrechte verletzt, darüber diskutieren, ob nicht jetzt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden muß, daß Deutschland die Initiative mitträgt, eine Staatenbeschwerde bei den europäischen Menschenrechtsinstanzen einzureichen - die es ja gibt -, um dort zu sagen: So kann es in der Türkei nicht mehr weitergehen.
Es muß klargemacht werden, daß ein Land -
Herr Kollege Bindig, Sie haben Ihre Redezeit schon um eine halbe Minute überschritten. Ich kann nicht anders, als Sie zu bitten, einen Schlußsatz zu sagen. Bitte.
({0})
Wir müssen der Türkei klarmachen, daß es nicht möglich ist, voll in die Europäische Gemeinschaft und in die europäische Wertegemeinschaft aufgenommen zu werden, wenn dort die Menschenrechtsverletzungen so weitergehen wie bisher.
({0})
Als nächster hat jetzt unser Kollege Burkhard Zurheide das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist zunächst
dadurch gekennzeichnet, daß es zwischen den Fraktionen hier im Hause eigentlich Einigkeit darüber gibt, daß die Türkei sehr differenziert zu betrachten ist. Es gibt da im wesentlichen keine Unterschiede. Sie leidet aber darunter, daß diejenigen, die diese Aktuelle Stunde beantragt haben, nämlich die Vertreter der PDS, offenkundig nicht bereit sind, sich Argumenten zugänglich zu zeigen. Sie sind sozusagen resistent gegenüber besseren Argumenten.
Eine Bemerkung, Frau Jelpke, die Sie gemacht haben, würde ich hier allerdings gern noch einmal aufgreifen, weil ich sie für so ungeheuerlich halte, daß die Öffentlichkeit wirklich einen Anspruch darauf hat, zu erkennen, was bei Ihnen im Kopfe eigentlich vorgeht. Sie sagen, daß Sie zwar Entführungen nicht billigen wollen, aber andererseits durchaus der Auffassung sind, daß diese Entführungen deswegen passieren, weil Verzweiflung vorliegt. Wenn Sie also sagen, daß man ein gewisses Verständnis dafür aufbringen kann, daß Menschen entführt werden, weil die Entführer verzweifelt sind, dann allerdings muß ich Ihnen sagen: Dies ist der erste Schritt zur Gewalt.
({0})
Der erste Schritt zur tatsächlichen Gewaltausübung besteht darin, daß man die Gewaltausübung anderer anerkennt bzw. Verständnis dafür hat.
({1})
Ich halte dies wirklich für absolut ungeheuerlich, und ich frage mich wirklich, ob Sie dies Angehörigen oder den Betroffenen ins Gesicht sagen würden. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, zu wissen, wie bei Ihnen gedacht wird. Dies ist wirklich unglaublich. Mich hat das empört.
Alle anderen Behauptungen, die Sie aufgestellt haben, etwa daß bei dem Besuch der türkischen Ministerpräsidentin nicht über Menschenrechte geredet worden sei, sind schlicht und ergreifend falsch.
({2})
Alle Verlautbarungen, alle Pressemitteilungen beweisen das Gegenteil. Aus welchem Grunde behaupten Sie dies also?
Frau Jelpke, Sie sagen, daß die Türkei Giftgas gegen Kurden einsetzt. Ich glaube, es war der Irak, der Giftgas eingesetzt hat, und vielleicht sollten Sie dies auch einmal sagen.
({3})
In Wirklichkeit - und das macht diese Debatte so schwierig - können und wollen Sie gar nicht überzeugt werden. Sie wollen sich einer differenzierten Betrachtungsweise gar nicht unterziehen, denn egal, was die türkische Regierung tut oder tun würde: Sie wären dagegen, Sie würden sagen, hier geschieht Schlimmes, und dies einzig und allein deswegen, weil Sie offenkundig zu denjenigen gehören, die auch in der Öffentlichkeit in bestimmten Gruppen durchaus vorhanden sind, die lediglich nach Prügelknaben
suchen, die sie in der Öffentlichkeit madig machen können - ohne Rücksicht auf irgend etwas.
Jetzt möchte ich zu dem Teil zurückkommen, den ich wirklich für dringlich halte:
Ich glaube, wir haben in den vergangenen Jahren in der Türkei schon eine leichte Verbesserung erlebt.
({4})
Es gibt keine ethnische Diskriminierung der Kurden in der Türkei. Die Benutzung der kurdischen Sprache ist seit zwei Jahren erlaubt. Es gibt mittlerweile auch kurdische Publikationen, und die Kurden sind auch im Parlament in Ankara vertreten. Der türkische Außenminister selber ist Kurde. Es ist also nicht so, daß sich keine Verbesserungen ergeben haben.
({5})
Es gibt von der türkischen Regierung mittlerweile sogar einen Plan zur regionalen Wirtschaftsentwicklung in Südostanatolien. Woran die türkische Regierung aber festgehalten hat und festhält, ist das Separatismusverbot. Ich glaube, da haben wir alle Veranlassung zu sagen: Es kann ja nicht illegitim sein, daß die türkische Regierung berechtigt ist, terroristische Übergriffe abzuwehren und zu bekämpfen; das muß eigentlich unter vernünftigen Menschen völlig außer Zweifel stehen.
Das Schlimme - und darüber allerdings muß man reden - ist, wenn bei der Bekämpfung terroristischer Umtriebe die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird, und dies auch noch in menschenrechtsverletzender Art und Weise. Darüber muß geredet werden, und darüber wird geredet. Das tun wir alle, die wir Kontakte in die Türkei haben, die wir mit unseren türkischen Kollegen reden, und das tut auch die Regierung. Dieses Thema ist kein Tabu, darüber wird geredet, und hier gibt es in der Türkei ein offensichtliches Defizit.
Was können also die Ziele sein, die Deutschland in dieser Frage haben sollte? Es ist wichtig der Türkei auch im ständigen politischen Dialog zu versichern, daß wir es akzeptieren, wenn bei der Bekämpfung des PKK-Terrorismus legitime Interessen vertreten werden. Aber - das tun wir auch immer, und das muß auch getan werden - die Türkei muß sich auch an hohen Menschenrechtsstandards messen lassen. Weil die Türkei ein Mitgliedsland der NATO und des Europarates ist, müssen die Standards, an denen sich dieses Land zu messen hat, auch selber messen muß, sehr hoch sein. Es wird von den türkischen Verantwortlichen ja auch nicht in Abrede gestellt, daß es gewisse Defizite in diesem Bereich gibt. Darüber wird offen geredet, und dies muß selbstverständlich auch verbessert werden.
Ziel sollte natürlich sein, daß die Kurden in den Gebieten der Türkei, in denen sie leben, als Minderheiten mit besonderen Rechten anerkannt werden. Ob das über eine Autonomie, ob das über besondere Befugnisse geschieht, darüber wird man reden können. Nur eines muß klar sein: Dieses Problem ist nicht mit militärischer Gewalt lösbar. Das müssen alle beteiligten Seiten verstehen.
Eine letzte Bemerkung möchte ich noch machen: Der Kollege Duve hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Türkei in der Tat ein für uns, für Europa ausgesprochen wichtiges Land ist und daß wir mit der Türkei vernünftig reden müssen. Ausgrenzung hat keinen Zweck. Wenn es Probleme gibt, muß daüber geredet werden. Dies kann man aber letztlich nur dann tun, wenn man mit der türkischen Regierung in Kontakt bleibt, wenn man die Probleme, die es gibt, bespricht, nicht aber dadurch, daß man jemanden nur deswegen zum Außenseiter erklärt, weil man einen Prügelknaben braucht. - Herzlichen Dank.
({6})
Meine Damen und Herren, auch der Kollege Zurheide hat die Redezeit weit überschritten. Ich will noch einmal sagen: Ich kann gar nichts anderes tun als das, was wir in der Geschäftsordnung festgelegt haben. Sonst müssen wir die Geschäftsordnung andern.
({0})
Ich muß deswegen dazwischengehen.
({1})
Der einzelne Redner darf nicht länger als fünf Minuten sprechen. Das heißt, jeder kann darunter bleiben, aber nicht darüber.
Nun hat als nächster der Kollege Dr. Günther Müller des Wort.
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Verschiedene Kulturen, verschiedene Sprachen, verschiedene Traditionen verlangen einen vorsichtigen Umgang miteinander. Wahrscheinlich wird man nur in einem föderalistischen Staat diese Probleme wirklich befriedigend lösen können.
Man muß sich allerdings darüber im klaren sein, daß manche heute die Geschichte mit marxistischen Scheuklappen betrachten. Ich finde es auf jeden Fall empörend, und ich möchte mich bei den Türken dafür entschuldigen, daß hier im Deutschen Bundestag eine Abgeordnete im Zusammenhang mit der Türkei den Begriff der „Endlösung" gebraucht hat.
({0})
- Ich finde das auch als Zitat empörend, liebe Frau Jelpke! Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die Türkei, daß das Osmanische Reich das Land war, daß 1 492 die vertriebenen sephardischen Juden aufgenommen hat und daß die moderne Türkei das Land ist, das unzähligen Emigranten gerade aus Deutschland Asyl gewährt hat.
({1})
Ich erinnere daran, daß unser Kollege Baade von der SPD, daß mein Rektor an der Universität München oder daß Professor Reuter, der Berliner Bürgermeister, in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Deswegen befinde ich mich hier in guter Gesellschaft, wenn ich
sage: Es ist empörend, hier - und sei es als Zitat - den Begriff der Endlösung zu gebrauchen!
({2})
Hier wird Semantik gebraucht, meine liebe Frau Jelpke, und ich kenne Ihre Semantik aus Ihren Artikeln im „Arbeiterkampf". Ich empfehle allen Kollegen, das nachzulesen. Das fällt eigentlich unter Volksverhetzung, aber bei uns wird ja in diesem Bereich wohl nicht mehr ermittelt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die vorsichtige Öffnung der türkischen Regierung gegenüber den Kurden war eine Provokation für die Revolutionäre. Es handelt sich ja nicht, wie man hier sagt, um die kurdische Arbeiterpartei, sondern um die kommunistische, marxistische Partei. Dort wird sie so genannt, aber hier gebraucht man einen anderen Begriff. Die PDS war ja immer eine treue Begleiterin der Weltrevolution, und sie war auch zu einem Zeitpunkt mit einer Delegation in diesem Gebiet, als die Provokationen der PKK gegenüber der Türkei wegen der Öffnung begonnen haben. Manch einer sollte sich vielleicht darüber Gedanken machen, warum diese Delegation gerade zu diesem Zeitpunkt dort war.
({3})
- Ach, ich kann Ihnen noch viel mehr sagen, Frau Jelpke! Warten Sie, ich bin noch lange nicht fertig!
Vor einiger Zeit erschien in der Zeitschrift „Marie Claire" - das ist so ein Schicki-Magazin, das dadurch aufgefallen ist, daß der Kanzlerkandidat Lafontaine ihm einmal ein interessantes Interview über den postmodernen Lebensstil gegeben hat - eine 18seitige Reportage von in gestylten Tarnanzügen gekleideten Frauen, die in einem Ausbildungslager im Libanon den „Befeiungskampf in der Türkei" übten. Im selben Lager waren früher Vertreter der RAF. Diese Todes-Connection, liebe Frau Jelpke, spielt natürlich auch in unserer Republik eine Rolle. Wenn ich z. B. im „Stern" lese:
Bremen wird zu einer deutschen Rauschgifthochburg. 74 Menschen fielen dort 1990 den Drogen zum Opfer. Junkies aus der ganzen Republik besorgen sich in der Hansestadt ihren Stoff, denn der ist in Bremen billig dank kurdischer Clans.
so wissen wir, daß das das Finanzierungsinstrument der PKK für die Waffenkäufe ist. Es würde Ihnen gut anstehen, auch hier etwas gegen Waffenhandel zu sagen und nicht im Fernsehen für den Drogengenuß zu werben, damit noch extra Rauschgift gekauft wird und sie Gelder für den Waffenkauf zur Verfügung haben, um es einmal ganz klar und deutlich zu sagen.
({4})
Der Innenminister von Niedersachsen, ein Sozialdemokrat, Herr Glogowski, erklärte vor Journalisten in Hannover:
Es ist seit vielen Jahren bekannt, daß die PKK mit schlimmen Methoden in vielen Städten Deutschlands Beiträge eintreibt.
Auch hier wissen wir, was in der Bundesrepublik passiert. Wenn wir Statistiken aufstellen, in denen es heißt, es gab soundso viele Anschläge gegen türkische Einrichtungen, so müssen wir feststellen, daß es mehr Anschläge von linksradikalen PKK-Leuten als von Rechtsextremisten gegen türkische Einrichtungen bei uns in der Bundesrepublik gibt. Aber auch dazu äußern Sie sich nicht.
Was von Ihrer Partei und vor allem von Ihnen persönlich, Frau Jelpke - ich lese diese Artikel seit Jahren -, im „Arbeiterkampf " geschrieben wird, ist im Grunde genommen die Fortsetzung des Versuchs, die kommunistische Weltrevolution auf internationaler Ebene ideologisch zu begleiten. Hier haben Sie - das muß ich sagen, Sie kommen ja aus Hamburg - in der PDS die richtige Partei gefunden, weil sie diese Tradition aus dem anderen Teil Deutschlands mit übernommen hat.
({5})
- Ach, Entschuldigung, ich habe überhaupt keine vorbereitete Rede, ich spreche frei. Ich mache es nicht wie Sie, daß ich etwas ablese. Das ist der Unterschied zu Ihnen. Weil Sie gerade etwas zur freien Rede sagen: Ich finde schon sehr interessant, daß von Ihnen kein Wort gesagt worden ist -
Kollege Dr. Müller, Sie können gar nichts mehr sagen,
({0})
weil auch Sie die Redezeit schon weit überschritten haben. Ich muß Sie bitten, einen Schlußsatz zu sprechen.
({1})
Ich sage dazu nur eines: Die Sympathisanten und diejenigen, die an der Seite der PKK in der Bundesrepublik stehen, tragen dazu bei, daß Not und Elend für das kurdische Volk wachsen.
({0})
Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist unsere Frau Kollegin Monika Ganseforth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte wieder zum Thema zurückkommen, nämlich zur Haltung der Bundesregierung zur Lage der Kurden im Rahmen der Gespräche anläßlich des Besuchs der türkischen Ministerpräsidentin.
Ich finde es sehr erfreulich, daß die neue Ministerpräsidentin mit als erstes Land Deutschland besucht hat. Wir sind an intensiven freundlichen Kontakten mit diesem Land sehr interessiert. Da ist dies ein wichtiges Zeichen. Es gäbe vieles, was hätte besproMonika Ganseforth
chen werden müssen. Meiner Meinung nach ist der ganze Besuch auch in der deutschen Öffentlichkeit und in der deutschen Presse leider viel zuwenig beachtet worden. Er hätte mehr Gewicht und mehr Bedeutung verdient.
Aber die Chance, die in einem solchen Besuch und freundschaftlichen Gespräch gelegen hätte, wurde leider vertan. Freundschaft heißt ja nicht, unangenehme Themen auszuklammern, wie es passiert ist, oder den Mantel des Schweigens über Menschenrechtsverletzungen der Türkei zu hüllen oder sie sogar augenzwinkernd hinzunehmen. Freundschaft heißt auch und gerade in schwierigen Zeiten Fragen stellen, deutliche Worte wechseln, Kritik äußern, Rat geben. Dies sage ich als Mitglied der deutschtürkischen Parlamentariergruppe, weil wir, die Mitglieder dieser Parlamentariergruppe, uns mit diesen Themen sehr intensiv beschäftigt haben und das als unsere eigentliche Aufgabe ansehen. Es hätte vieles gegeben, was zwischen der deutschen Regierung und der Ministerpräsidentin hätte angesprochen werden müssen und können. Ich kann mich natürlich nur auf das beziehen, was in der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden ist. Vielleicht hat es noch Geheimgespräche gegeben. Herr Zurheide war, glaube ich, derjenige, der gesagt hat, hier wären noch andere Sachen besprochen worden. Aber es ist auch wichtig, öffentlich zu sagen, worüber man spricht.
Da war von den Themen, die uns alle angehen, nicht die Rede: z. B. von seiten der Türkei die Frage an uns nach der doppelten Staatsbürgerschaft, nach der erleichterten Einbürgerung und nach dem kommunalen Wahlrecht für türkische Mitbürgerinnen und -bürger. Das wären wichtige Themen gewesen.
Von unserer Seite hätte der Fall Waldberg angesprochen werden müssen, ein deutscher Staatsbürger, der wegen angeblicher Kurierdienste in der Türkei im Gefängnis sitzt. Ist das angesprochen worden? Was ist da erreicht worden? Wir warten immer noch darauf, daß er freikommt.
Das Kurdenproblem ist nicht nur eine Frage der Übergriffe auf die Zivilbevölkerung. Auch wenn es gegen Terroristen geht, muß die türkische Regierung rechtsstaatliche Mittel anwenden und kann nicht mit dem Argument ungeklärter Todesfälle und verschwundener Menschen arbeiten. Das ist nicht zulässig, und das muß angesprochen werden. Zum Beispiel ist gerade in der letzten Zeit ein türkischer Abgeordneter der Großen Nationalversammlung umgebracht worden. Auch das sind Themen, die in diese Gespräche gehören.
({0})
Denn militärische Gewalt ist keine Lösung. Es bedarf der politischen Lösung. Da müssen wir Rat geben, und darüber müssen wir sprechen.
({1})
Der türkische Generalstabschef hat in den letzten Wochen immer wieder öffentlich angekündigt, daß das Problem der PKK bis zum Frühjahr 1994 im Südosten der Türkei mit militärischen Mitteln vollständig erledigt werden soll. Das ist eine Ansage des
Terrorismus von Regierungsseite, die nicht zulässig ist und die in den letzten Wochen und Monaten zu einer Eskalation der Gewalt geführt hat.
Wenn Sie von der Regierungsseite die Fortschritte ansprechen, so kann man sagen: Es hat im Frühjahr Fortschritte gegeben. Sie sind aber in den letzten Wochen und Monaten wieder zurückgegangen. Die Übergriffe haben zugenommen. Das wäre ein Thema gewesen.
Das Kurdenproblem ist natürlich ein schwieriges Problem. Es gibt keine einfachen Lösungen. Wenn der Menschenrechtsverein sich in einer großen Konferenz mit möglichen Lösungsvorschlägen beschäftigen will und Wissenschaftler, Politiker und Journalisten zu einer Konferenz einlädt, die zunächst auch vom Ministerpräsidenten und vom Parlamentspräsidenten genehmigt war, und wenn diese Konferenz, auf der Lösungen gefunden werden sollen, einen Tag vorher ohne jede Begründung abgesagt wird, dann ist das nicht in Ordnung und zeigt, daß die Offiziellen an Lösungen, an Diskussionen über Lösungsmöglichkeiten nicht interessiert sind und diese fürchten. Auch das hätte angesprochen werden müssen.
Statt dessen wird über wirtschaftliche Kooperation gesprochen, die zwar auch wichtig ist, die aber auf einem soliden Fundament stehen muß. Zum Beispiel der Bau eines Atomkraftwerkes am Schwarzen Meer ist nun wirklich nicht das, was die deutsch-türkische Zusammenarbeit als wichtigstes Projekt braucht. Gespräche: ja - Herr Stercken und andere haben es gesagt -, aber dann gehört das auch in diese Treffen der Regierungsspitzen.
Ich finde, bedauerlicherweise ist eine Chance vertan worden, die sich beim Besuch der Ministerpräsidentin hier in Deutschland geboten hätte, die Chance, in gegenseitigem Einvernehmen Lösungen für die beiderseitigen Probleme zu finden. Das ist sehr schade.
Schönen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, der Kollege Christian Schmidt ist der nächste Redner.
Frau Kollegin Ganseforth, ich glaube nicht, daß die Chance vertan worden ist.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Diskussionsprozeß, der schwierig ist. Es ist angedeutet worden, daß es in der Frage der Zusammenarbeit und auch der gegenseitigen Beratschlagung zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland eine ganze Reihe von Aspekten gibt.
Ich glaube nach meinen Erkenntnissen auch nicht, daß es zutrifft, daß es die von Ihnen, Herr Kollege Bindig, zitierte Spirale des Schweigens gegeben hat, zumal das zwei Themenbereiche sind, die nicht unmittelbar sozusagen auf Gegenseitigkeit zueinander passen, sondern ganz unterschiedliche Aspekte
Christian Schmidt ({0})
gesellschaftlicher Probleme in den beiden Ländern betreffen.
Ich meine, daß wir auch darüber, was bei uns passiert, sprechen sollten. Sicherlich hat das mit rechtlichen und verfassungspolitischen Fragen der Stellung der türkischen Wohnbevölkerung in Deutschland und umgekehrt auch der deutschen Bevölkerung in der Türkei zu tun. Das wurde bereits angesprochen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Türkei die Einbürgerungsmöglichkeiten für Ausländer verschärft hat
({1})
und daß das natürlich nicht zu den Forderungen paßt, die uns gegenüber erhoben werden. Das sind Themen der Gespräche gewesen.
Soweit ich weiß, wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit diesen Fragen beschäftigen wird. Es wird auch die Arbeit der deutsch-türkischen Wirtschaftskommission wieder aufgenommen werden.
Es wurde auch über die Fragen der inneren Sicherheit in der Türkei gesprochen. Das ist ein Thema, bei dem es nicht nur Ratschläge der Bundesrepublik Deutschland oder der Bundesregierung an die Türkei geben kann, sondern bei dem natürlich auch uns Fragen gestellt werden. Ich verstehe schon, daß die türkische Ministerpräsidentin die Frage nach der Arbeitsweise der PKK in der Bundesrepublik Deutschland stellt. Es kann uns nicht ruhig lassen, daß Überfälle, Besetzungen, Straftaten, Verbrechen und Gewalt auch nach Deutschland getragen werden. Wer sagt, das alles wäre nur billige Propaganda - man hatte bei dem Vortrag von Frau Jelpke den Eindruck, daß sie manches als Propaganda abtun wollte -, dem muß gesagt werden: Die Propaganda liegt bei der PKK. Wenn ich entweder die PKK oder die „Nationale Befreiungsfront" beim Wort nehme - das ist das Sprachrohr der PKK -, dann sehe ich, daß Deutschland ja als Kriegsgegner Nummer zwei bezeichnet worden ist.
({2}) Das kann durch ein Zitat belegt werden.
Wie sollen wir uns dazu verhalten? Wie sollen wir darauf reagieren? Sollen wir etwa darum bitten, daß man vielleicht von der einen oder anderen Entführung absehen möge, oder vielleicht Frau Jelpke als Emissären mit der Bitte losschicken, sie möge bei den Freunden der PKK vielleicht den einen oder anderen Entführten freizubekommen helfen? Ich glaube nicht, daß das der richtige Weg ist. Ich finde es richtig, daß der Bundesaußenminister Überlegungen anstellt, wie auf rechtsstaatlich abgesicherte Weise die PKK bei uns verboten werden kann, so daß diese Aktivität unterbunden werden kann.
Das ist jedoch nicht der einzige Aspekt der Problematik in der Türkei. In der Tat mußten wir darauf Wert legen, daß die im Rahmen der Ausstattungshilfe der NATO an die Türkei, unseren Bündnispartner, gelieferten Waffen einer Nutzung oder Vorhaltung zugeführt werden, die dem NATO-Vertrag adäquat ist. Das heißt, sie sind für den Bündnisfall im Rahmen der NATO vorgesehen, und dafür müssen sie auch verwendet werden. Es gibt in dieser Beziehung einen
Briefwechsel zwischen den Außenministern Kinkel und Cetin, in dem der letztere dies ja sehr deutlich zugesagt und zugesichert hat. Es gibt keinen konkreten Anhaltspunkt, das nicht zu glauben. Im übrigen wird die Ausstattungshilfe im Jahre 1994 ja bereits auf ein Drittel des ursprünglichen Umfangs reduziert und wird 1995 völlig wegfallen.
Mein nächster Punkt richtet sich an die Europäer. Die Türkei ist ein Land, das sich seit dem mehrfach zitierten Kemal Atatürk eindeutig nach Westen orientiert hat, auch in seiner Werteordnung. Deswegen können und wollen wir verlangen, daß die westliche Werteordnung in der türkischen Gesellschaft ihren Niederschlag findet. In vielen Bereichen ist das ja der Fall.
Nur, unsere beispielsweise im Europarat gemachten Angebote, einen verbindlich kodifizierten Katalog über Minderheitenschutz anzubieten, sind ja nun bisher nicht an der Türkei gescheitert. Es gibt wohl auch bei uns, im westlichen und im südlichen Teil Europas, einen erheblichen Nachholbedarf. Ich darf auf das, was ich gestern an dieser Stelle in anderem Zusammenhang gesagt habe, noch einmal Bezug nehmen.
({3})
- Ich will damit sagen, daß ich hoffe, daß auf der Wiener Konferenz endlich das Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention verabschiedet wird, damit auch in bezug auf den Minderheitenschutz des Europarates ein stärkerer und deutlicherer Maßstab für die Türkei auch im Hinblick auf die berechtigten Belange der kurdischen Bevölkerungsgruppe kodifiziert wird.
({4})
Das ist unsere Bringschuld, die wir der Türkei gegenüber haben, und ich hoffe, daß wir in der nächsten Zeit zu einem Ergebnis kommen werden.
({5})
Herr Kollege Schmidt, Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Ich bin am Schluß.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben noch zwei Wortmeldungen. Es redet jetzt zum zweitenmal in dieser Aktuellen Stunde unser Kollege Freimut Duve.
Es ist vielfach von Frau Jelpke und anderen über die PKK gesprochen worden. Ich will noch einmal deutlich sagen: Die PKK ist für uns in Deutschland und vor allem für die Menschen in Kurdistan, im kurdischen Teil der Türkei, und für die Gemäßigten in der Türkei, die nicht in diese Gewalt hineingezogen werden wollen, eine Gefährdung erster Ordnung. Die Menschen, die einen anderen
Weg gehen wollen, werden von der PKK bedroht. Die PKK gefährdet den Weg der Öffnung, den die Regierung in der kulturellen Minderheitsfrage zu beschreiten versucht hat. Das ist bisher viel zuwenig. Wir haben das kritisiert. Wenn es aber überhaupt zu einer friedlichen Ordnung kommen soll, muß es im Rahmen der von der KSZE vorgegebenen Minderheitsregelungen der Autonomie geschehen.
Die PKK will das nicht. Die PKK ist ideologisch in eine Richtung geraten, in der sie unfähig geworden ist, dem eigenen Volk zu helfen. Nein, umgekehrt: Sie bedroht das eigene Volk, und sie bedroht sehr viele Menschen dort. Daß sie Propagandistisches ausnutzen kann, liegt an einem anderen Faktor, nämlich an dem türkischen Militär, das sich sozusagen die Bälle mit der PKK zuspielt.
({0})
Das ist das große Problem. Es gibt sehr viele im Militär, die sich der demokratischen Kontrolle wirklich unterwerfen. Aber es gibt auch sehr viele, die noch der alten Diktatur nachtrauern. Das ist der Gefahrenpunkt, den PKK und dieses militärische Engagement darstellen: daß sehr viele Leute aus null Interesse am Schicksal der kurdischen Menschen und aus sehr viel Interesse an der Zerschlagung der Türkei die Linie der PKK unterstützen und ihr durch Waffenlieferungen und ähnliches helfen. Wir könnten die einzelnen Staaten, die der PKK geholfen haben, benennen.
Das heißt, in dieser Region ist etwas Gefährliches in einer ohnehin sehr gefährlichen Situation entstanden. Wir sind davon betroffen, weil Hunderttausende von Mitgliedern aus beiden Gruppen bei uns leben, Hunderttausende von Menschen, die weder eindeutig der einen Gruppe noch eindeutig der anderen Gruppe zugehören wollen, sondern hier als türkische Minderheit leben und sich nicht in diesen Konflikt hineinziehen lassen wollen. Darum müssen wir verstärkt gegen diese Ideologie der PKK vorgehen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch dies sagen. Wir Europäer tun uns sehr viel schwerer, in den letzten zwei Jahren irgendwo, am Rande oder außerhalb Europas, über Minderheitenschutz von Menschen anderer Religionen zu sprechen. In Europa ist die muslimische, die islamische Minderheit einem Vernichtungsterror ausgesetzt. Gerade von denen, die die PKK unterstützen, haben wir in der Frage der Unterstützung der bedrohten Muslime wenig gehört. Ich erinnere an eine Rede von Herrn Modrow im Bundestag, in der die Belgrader Position ganz eindeutig verteidigt wurde. Das hat mich sehr empört, denn hier in Europa wird zur Zeit eine europäische Minderheit von Europa nicht nur nicht geschützt, sondern durch Terror vernichtet und vertrieben.
({1})
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, letzter Redner ist unser Kollege Heinrich Lummer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir von den Kurden und von der türkischen Regierung sprechen, dann, denke ich, weiß jedermann: Da ist nicht auf der einen
Seite lauter Licht und auf der anderen Seite tiefer Schatten. Sünden gibt es nämlich da wie dort.
Wir können uns den Standpunkt erlauben, die Dinge objektiv zu beurteilen. Das ist in diesem Hause auch erfolgt, bis auf die PDS, die sich offenbar einseitig auf eine Position zurückzieht. Es ist kein bloßer Verdacht, den man hier äußern muß, daß sich die PDS zum Sprachrohr einer bestimmten Gruppe macht. Sie hat einfach aus dem Katalog des Aktionsplanes der kurdischen Gruppen die Aktuelle Stunde herausgenommen, denn es steht darin, daß ab September für die Kurden so etwas gemacht werden soll.
Unsere Orientierungspunkte sind auf der einen Seite sicherlich die Menschenrechte, die wir zu vertreten und zu verteidigen haben, auf der anderen Seite aber sicherlich auch das Recht der Türkei, als Staat in staatlicher Integrität zu existieren. Das heißt, die Türkei hat ein Recht, sich vor Separatismus zu schützen, und sie hat ein Recht, sich vor Terroristen zu schützen, ja eine Pflicht, dieses zu tun. Klar ist, daß dabei keine Verletzungen der Menschenrechte passieren dürfen.
Auf der anderen Seite haben die Kurden einen Anspruch darauf, daß die Minderheitenrechte respektiert werden, vielleicht bis hin zu einem bestimmten Autonomiestatus. Wenn wir auf unsere föderalen Erfahrungen blicken, dann können wir den Rat erteilen: Föderalismus ist ein gutes Instrumentarium, um derartige Probleme zu lösen.
Sowenig den Kurden das Recht, das sie brauchen, in der Vergangenheit gegeben worden ist, sowenig haben sie das Recht, dieses mit terroristischen Methoden durchzusetzen. Sie haben nicht das Recht, in Deutschland Geld zu erpressen, sie haben nicht das Recht, hier Drogenhandel zu betreiben und Waffen zu kaufen. Dieses müssen wir in aller Entschiedenheit sagen. Es ist unser Part, dieses in angemessener Weise zu bekämpfen, auch ohne Aufforderung der türkischen Regierung.
Meine Damen und Herren, es ist viel über Lösungen geredet worden. Ich möchte an das anknüpfen, was der Kollege Stercken zu Beginn gesagt hat. Es fällt der Regierung sicherlich schwer - vielleicht auch der anderen Seite, ich weiß es nicht -, aber es gibt im Grunde keine Alternative zu einem Gespräch und zu einer politischen Lösung.
Sicherlich gibt es noch immer Fälle in der Welt, bei denen die Waffen und das Militär Probleme lösen können. Schade! Es gibt aber auch Fälle, bei denen es sich erwiesen hat, daß das nicht möglich ist, wie z. B. in Israel. Es hat lange gedauert, ehe dort die Gesprächsbereitschaft wuchs. Ich selbst bin früher heftigst angegriffen worden, als ich einmal mit Vertretern der PLO geredet und gesagt habe, man solle mit ihnen reden, man komme irgendwann nicht mehr daran vorbei.
Auch hier, denke ich, ist es klar: Eine militärische Lösung dieses Problems wird es nicht geben. Wenn das so ist, dann muß man die politische Lösung suchen, dann muß man das Gespräch suchen. Das sollten wir beiden Seiten in aller Entschiedenheit sagen. Ich denke, darüber herrscht - bis auf die
PDS - auch Konsens im Hause. In diesem Sinne hoffen wir, daß es dort positiv weitergeht.
Ich hoffe, Herr Präsident, daß ich die fünf Minuten Redezeit nicht überschritten habe.
({0})
Herr Kollege Lummer, Sie waren vorbildlich, denn Sie hatten noch mehr als eine Minute Redezeit übrig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 29. September 1993, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.