Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie zur ersten Sitzung nach der Sommerpause ganz herzlich noch einmal im alten Plenarsaal.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich noch einige Mitteilungen zu machen.
Zunächst möchte ich den Kollegen, die in der Sommerpause runde Geburtstage feierten, nachträglich gratulieren. Es sind dies der Kollege Rolf Koltzsch, der am 16. Juli 65 Jahre alt wurde, und der Kollege Dr. Hans Stercken, der am 2. September seinen 70. Geburtstag feierte. Ich spreche Ihnen die besten Wünsche des Hauses aus.
({0})
Der Kollege Dr. Harald Schreiber hat am 30. Juni 1993 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger hat der Abgeordnete Walter Schell am 22. Juli 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Für den verstorbenen Kollegen Günther Tietjen hat der Abgeordnete Kurt Palis am 12. Juli 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Der Kollege Wolfgang Roth hat am 2. September ebenfalls auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Christa Lörcher am 3. September 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Wegen seiner Ernennung zum Staatssekretär hat der Kollege Gerhard Pfeffermann auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Sein Nachfolger, der Abgeordnete Wolfgang Erler ({1}), hat am 6. September die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die neue Kollegin und die neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.
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Der ehemalige Abgeordnete Wolfgang Roth ist auch als Mitglied des Infrastrukturrates beim Bundesminister für Post und Telekommunikation ausgeschieden. Die Fraktion der SPD benennt als Nachfolger den Abgeordneten Dr. Uwe Jens. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Uwe Jens als ordentliches Mitglied im Infrastrukturrat beim Bundesminister für Post und Telekommunikation benannt.
Nach dem Ausscheiden des Kollegen Bernhard Jagoda ist es erforderlich, einen Nachfolger für die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank zu benennen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt hierfür den Abgeordneten Dietrich Austermann vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Dietrich Austermann in den Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank entsandt.
Schließlich möchte ich Ihnen noch mitteilen, daß der Stenographische Dienst in das Haus IV umgezogen ist und somit der Stenographische Bericht wieder, wie gewohnt, am nächsten Tag erscheint.
({3})
Deshalb gilt ab sofort wieder die in der Geschäftsordnung vorgesehene Korrekturfrist von zwei Stunden.
Meine Damen und Herren, nun kommen wir zur Tagesordnung. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll in verbundener Aussprache mit Tagesordnungspunkt 1 der Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts, Drucksache 12/5630, beraten werden. Insoweit soll die Tagesordnung erweitert und von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 und den soeben aufgesetzten Tagesordnungspunkt auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Hauhaltsjahr 1994 ({4})
- Drucksache 12/5500 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997
- Drucksache 12/5501 -
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms - 1. SKWPG -- Drucksache 12/5502 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({5}) Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms - 2. SKWPG -- Drucksache 12/5510 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({6}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
ZP1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts ({7})
- Drucksache 12/5630 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({8})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache, nach der Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen, drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Bundeshaushalts 1994 und der Finanzplan bis 1997 bilanzieren einen großen Teil der Konsolidierungs- und Wachstumsanstrengungen, die wir in den letzten Monaten vorbereitet und beschlossen haben.
Der Entwurf des Bundeshaushalts ist kein Dokument der Ankündigungen und Versprechungen, es sei denn, der Ankündigung, die notwendigen Anpassungen zu vollziehen, und des Versprechens, alles für Wachstum und Beschäftigung zu tun. Der Bundeshaushalt ist auch kein Wahlhaushalt, aber er macht deutlich: Wir haben keine andere Wahl, als Verzicht zu üben und dem Investitionsstandort Deutschland Vorrang zu geben.
({0})
- Wenn Sie sagen: Wirklich nicht?, dann ist das ein großes Kompliment.
({1})
Denn wenn Sie vor Wahlen standen, haben Sie andere Haushalte vorgelegt.
({2})
- Sie hören die Zwischenrufe, die hinter Ihnen sind, nicht, Herr Kollege Wieczorek. Auf Sie komme ich noch lobend zu sprechen;
({3}): Verdächtig!)
aber ich fürchte, das tut Ihnen nicht gut.
Dieser Bundeshaushalt ist nach den Daten und Fakten ein Spar- und Konsolidierungshaushalt, aber er spart nicht zu Lasten der Konjunktur.
({4})
Der Entwurf dieses Bundeshaushalts und die Gesamtheit der Konsolidierungs- und Wachstumsbeschlüsse der letzten Monate beruhen auf der Zusammenarbeit vieler Mitstreiter in den Ministerien, im Parlament, in der Presse und in der Öffentlichkeit. Diesen Mitstreitern möchte ich heute herzlich danken; denn es ist leider sehr viel schwerer, unpopuläre Sachentscheidungen mitzutragen, als sich vermeintlich publikumswirksam gegen solche Beschlüsse in Position zu setzen.
({5})
Selbstverständlich nehme ich jede kritische Anmerkung zu unseren finanzpolitischen Entscheidungen ernst. Wir werden jede Anregung und jeden Verbesserungsvorschlag sorgfältig prüfen.
({6})
Aber eine Gefährdung der Gesamtkonzeption unserer Finanz- und Steuerpolitik durch gezielte Angriffe auf einzelne Elemente, durch alternativloses Blockieren und durch Schüren von Ängsten können und werden wir nicht hinnehmen. Es bleibt bei dem vereinbarten Sparvolumen. Es bleibt bei den Wachstumsbeschlüssen, und wir halten an Solidität und an Stabilität fest.
({7})
Wir haben den Mut, zu sagen, was finanzpolitisch geht und was nicht geht. Zum Sparen gibt es keine Alternative, und am Verzicht führt kein Weg vorbei;
denn wir sparen und wir verzichten für Deutschlands Einheit und für seine Zukunft.
({8})
Dieser Bundeshaushalt ist ein Dokument der klaren Aussage und der Kontinuität.
({9})
Er setzt fort, was an Konsolidierungsanstrengungen seit 1990 vor dem Hintergrund der Wiedervereinigungsaufgaben bereits unternommen wurde. Wir haben im Bundeshaushalt allein zwischen 1990 und 1993 dauerhaft 40 Milliarden DM an echten Ausgabeneinsparungen erwirtschaftet und bei der Kreditfinanzierung die im Herbst 1990 selbstgesteckte Obergrenze von 70 Milliarden DM jeweils deutlich unterschritten. Im Frühjahr wurden im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms Haushaltseinsparungen von 10 Milliarden DM vereinbart. Jetzt sollen und müssen noch einmal über 20 Milliarden DM durch das Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm aus den Ausgabenpositionen herausgenommen werden.
Die Konsolidierungsbeschlüsse zeigen bereits positive Wirkung. Die Beschlüsse der letzten Monate waren rechtzeitig, sie waren richtig bemessen, und sie waren richtungsweisend.
Mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm haben wir innerhalb weniger Monate, auch unter Inkaufnahme weitreichender Kompromisse, einen möglicherweise lang schwelenden Finanzkonflikt zwischen Bund und Ländern verhindert und so den mittelfristigen Aufbau Ost erst ermöglicht. Wir sind unserem Vorhaben treu geblieben, im Jahre 1993, eineinhalb Jahre vor dem Zeitpunkt, wo es rechtlich notwendig ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und eine so wichtige Entscheidung aus den Wahlauseinandersetzungen des Jahres 1994 herauszuhalten.
({10})
Mit dem jetzt im Entwurf vorliegenden Konsolidierungs- und Wachstumspaket setzen wir auf die Stabilität der Deutschen Mark, auf niedrigere Zinsen, mehr Investitionen und auf das internationale Ansehen der deutschen Volkswirtschaft.
Was im Rahmen der parlamentarischen Behandlung in den nächsten Monaten erst noch gesetzlich fixiert werden muß, hat bereits entscheidende positive Wirkungen entfaltet. Ohne die Konsolidierungs- und Wachstumsbeschlüsse wären wir weder im nationalen noch im internationalen Maßstab handlungsfähig geblieben. Noch im Juni dieses Jahres stand „Die D-Mark auf dem Prüfstand" - so die FAZ vom 23. Juni 1993. Frau Kollegin Matthäus-Maier urteilte am gleichen Tage schnell, aber leider vorschnell, wie meistens: „Deutschland als Weichwährungsland." Der Öffentlichkeit früher weitgehend unbekannte Währungsspekulanten drohten die D-Mark auszuhebeln.
Die FAZ heute:
Die D-Mark ist wieder die stärkste Währung der Welt.
Das heute als erster Satz des Kommentars in der FAZ!
({11})
Man muß auch den Wirtschaftsteil der FAZ lesen, Frau Kollegin Matthäus-Maier; man wird nicht dümmer davon.
Wenn von dem ganzen Gerede von damals heute keine Rede mehr ist, wenn die Deutsche Mark gegenüber den EWS-Währungen und zuletzt auch gegenüber dem US-Dollar teilweise kräftig aufgewertet hat, so beruht das vor allem auf der Finanz- und Geldpolitik in Deutschland, die - jeweils in eigener Verantwortung - gemeinsamen Stabilitätszielen verpflichtet bleiben.
Nur auf der Grundlage der einschneidenden Sparbeschlüsse konnten wir auch beim Weltwirtschaftsgipfel in Tokio bestehen und auf gesicherter Basis unsere eigenen politischen Vorstellungen und Empfehlungen vertreten. Wir müssen Rücksicht auf die Befürchtungen unserer Wirtschaftspartner in aller Welt nehmen, und diese Befürchtungen wären dramatisch eskaliert, wenn die Kreditaufnahme im Bundeshaushalt, wie es ohne unsere Einsparungsbeschlüsse der Fall gewesen wäre, nahe an die 100-MilliardenDM-Grenze herangerückt wäre.
Unsere finanzpolitische Botschaft lautet: Deutschland steht zu seiner internationalen Mitverantwortung für Konjunktur und Beschäftigung, für Stabilität, für die Öffnung der Handelsgrenzen und für den Aufbau sozial orientierter Marktwirtschaften in allen Teilen dieser Welt.
Nach den warnenden Ereignissen von Juli und August braucht man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was passiert, wenn auf Grund unzureichender Anpassungsanstrengungen in Deutschland und in anderen Ländern die Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen zerstört würden, die Finanz- und Kreditmärkte kollabierten und an den Grenzen die Handelsbarrieren unter dem Druck nationaler Not wieder errichtet würden. Wer leichtfertig über die negativen Konsequenzen angeblicher Brüningscher Sparpolitik spekuliert, sollte auch diese konkreten Gefahren berücksichtigen, die im ausgehenden Sommer sehr viel näher lagen als die vielbeschworene Deflation. Wenn man in einem Haushalt ein Defizit von fast 70 Milliarden DM hinnimmt, um damit die Konjunktur zu stabilisieren, um damit die Nachfrage zu stärken, dann ist es schon ökonomischer Unfug, in diesem Zusammenhang von Brüningscher Politik zu sprechen.
({12})
Der große weltweite Konkurrenzkampf findet heute nicht auf dem Feld der globalen Nachfrage, sondern beim Investitionskapital statt. Mit welchem Recht können wir die Konsolidierung verschieben oder verweigern, solange in Osteuropa und in den Entwicklungsländern jede Mark, jeder Franc und jeder Dollar dringend benötigt werden, um Existenzsicherung und mehr Beschäftigung zu ermöglichen? Wie können wir in sturer Anspruchshaltung verharren und gleichzeitig von allen Nachbarn und Partnern Verzicht und Anpassungsbereitschaft fordern? Wir wer14686
den die Konsolidierung der Bundesfinanzen in den kommenden Jahren konsequent fortsetzen.
Der Bundeshaushalt 1994 steigt bei einem Volumen von 478,4 Milliarden DM gegenüber dem Vorjahr um weniger als 3 %, wenn der einmalige Sondereffekt auf Grund der Durchleitung der Mittel für die Bahnreform unberücksichtigt bleibt. Trotz erheblicher konjunktureller Mehrbelastungen und zusätzlicher Leistungen an die jungen Länder verharrt die Kreditaufnahme im nächsten Jahr mit 67,5 Milliarden DM knapp unterhalb des für dieses Jahr eingeplanten Volumens.
Für den gesamten Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung beträgt der durchschnittliche Ausgabenanstieg 2,3 %. So können wir die Kreditaufnahme bis 1997 wieder auf 38 Milliarden DM zurückführen. Die Kreditbegrenzung setzt erneutes Wachstum ab 1994 voraus. Das Wachstum machen nicht wir, sondern die Wirtschaft. Jede Defizitprognose ist deshalb eine bedingte Vorausschätzung. Aber wir fördern das Wachstum durch Ausgabenbeschränkung und Strukturanpassung, damit wir unsere Ziele erreichen. Es ist jedenfalls ein positives Zeichen, wenn sich jetzt herausstellt, daß im zweiten Quartal dieses Jahres erstmals ein gewisser Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes gegenüber dem ersten Quartal erzielt wurde. Wir hoffen und wir setzen alles daran, daß sich dieser Prozeß fortsetzt, der genau in dem Bereich liegt, wie der Kollege Rexrodt und ich die Konjunktur bisher sehr vorsichtig, aber realistisch eingeschätzt haben.
({13})
Bei gleichbleibender Kreditaufnahme im Haushalt 1994 verkraften wir rund 10 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit und Steuerausfälle von über 20 Milliarden DM. Das ist nur durch einen drastischen Abbau des strukturellen Defizits möglich. Nach den Kennziffern der OECD geht in Deutschland die strukturelle, konjunkturunabhängige Deckungslücke im Zeitraum von 1992 bis 1994 um 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts zurück. Das ist weit mehr als im Durchschnitt der G-7-Länder, die nur 0,5 % Defizitabbau erreichen.
Fast alle Ausgabenbereiche im Bundeshaushalt gehen real zurück, viele sogar nominal. Soweit überhaupt Steigerungen zu verzeichnen sind, gehen sie fast ausschließlich auf das Konto von Rechtsverpflichtungen. Die Mehrbelastungen bei den Zinsen aus der Altschuldenhilfe für die Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern, aus den Zuschüssen an die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und nicht zuletzt aus den Zuschüssen an den Fonds Deutsche Einheit machen zusammen fast 30 Milliarden DM aus und übertreffen damit für sich genommen den Anstieg der Bundesausgaben bei weitem. Ich bitte wirklich einmal zu berücksichtigen, daß wir bei dieser bescheidenen Steigerung von nur etwas mehr als 2 % 30 Milliarden DM zusätzlich verkraften, die vor allen Dingen mit der deutschen Einheit und anderen Rechtsverpflichtungen zusammenhängen.
Trotz aller Konsolidierungsanstrengungen werden die Schulden im Verhältnis zum Sozialprodukt bis 1995 noch auf rund 60 % ansteigen. Aber das sind nicht allein die Schulden des Finanzministers. Allein 400 Milliarden DM, rund 13 % des Sozialprodukts, entfallen auf die Erblasten des Sozialismus.
({14})
- Wollen Sie das vielleicht bestreiten? Ich nehme doch an, daß Sie mit Ihrem Namen mit der Erblast dieses Sozialismus nichts zu tun haben wollen, oder?
({15})
In das staatliche Schuldenkonto gehen im übrigen auch die Kredite ein, die Länder und Gemeinden für sich in Anspruch nehmen.
„Die Bundesrepublik Deutschland im Rausch negativer Zahlen", so überschrieb Renate Merklein einen Artikel im „Handelsblatt" im letzten Dezember. Sie wies dann Punkt für Punkt nach: Die Dramatik des Schuldenanstiegs war in den 70er Jahren weitaus größer als heute.
({16})
- Das wollen Sie nicht mehr hören. - Allein 1974/75, wo die deutsche Einheit bekanntlich nicht stattfand, gab es einen Zuwachs von 33 %, meine Damen und Herren.
({17})
Wir stehen für die Schulden ein, die mit der deutschen Einheit zusammenhängen. Auf diese Schulden können wir durchaus stolz sein. Die brauchen wir uns von Ihnen und von niemandem vorhalten lassen.
({18})
Ich habe lieber unvermeidbare Schulden durch die Wiedervereinigung als weniger Schulden in einem geteilten Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({19})
Im übrigen zeugt es nicht gerade von tiefergehender Einsicht, wenn sich die Diskussion immer nur um die Passiva der Wiedervereinigungsbilanz dreht und die entscheidenden Aktiva völlig außer acht bleiben. Tatsächlich investieren wir in das größte deutsche Wachstumsprojekt seit Kriegsende.
Wenn es gelingt, bis Ende der 90er Jahre in den jungen Bundesländern 80 % der Wirtschaftskraft Westdeutschlands zu erreichen, so läßt sich die Rendite der heutigen Aufwendungen mit jährlich rund 300 Milliarden Mark an zusätzlichem Sozialprodukt beziffern.
Über diesen materiellen Aspekt hinaus muß auch immer wieder an den Gewinn für die Menschen erinnert werden. Wieviel hätten die Deutschen der Nachkriegszeit dafür gegeben, wenn ihnen lange Jahre der Teilung und der militärischen Bedrohung erspart geblieben wären!
({20})
Franz Josef Strauß hat in seinem Buch „Entwurf für Europa" im Jahre 1966 darüber nachgedacht, ob die
frühere Sowjetunion für einen Preis von 100 bis 120 Milliarden DM - nach heutiger Rechnung über 300 Milliarden DM - wohl bereit gewesen wäre, der damaligen Sowjetzone wenigstens einen ÖsterreichStatus zuzubilligen.
({21})
Sicherlich wären auch Konrad Adenauer, Theodor Heuss oder Kurt Schumacher zu einem solchen oder noch größeren Opfer bereit gewesen.
Im Überleitungsvertrag haben wir 15 Milliarden DM dafür aufgewendet, um fünf Jahrzehnte, nachdem der erste Sowjetsoldat deutschen Boden betreten hat, zu erreichen, daß der letzte russische Soldat deutschen Boden wieder verläßt. Für 15 Milliarden DM, meine Damen und Herren, haben wir das erreicht. Das ist, glaube ich, ein großer Vorteil, den man auch jenseits von Angebot und Nachfrage einmal quantifizieren und beziffern muß.
({22})
Nur, Politiker wie Kurt Schumacher gibt es heute in der ersten Reihe der SPD nicht mehr. Statt dessen beherrschen seit 1989 die Wiedervereinigungsbuchhalter von Oskar Lafontaine bis zu Frau Matthäus-Maier die Szene, die beim Stichwort deutsche Einheit an nichts anderes denken können als an Schulden und Kreditaufnahme.
({23})
Statt beim Thema Schulden verantwortungslos Panik zu machen und den Menschen Angst einzuflößen, sollte die SPD einmal die internationalen Statistiken anschauen. Zur Zeit weist Deutschland unter den sieben großen Industriestaaten mit Großbritannien die geringste Verschuldung auf. Viele von diesen Ländern wären froh, wenn sie ohne Wiedervereinigungsaufgaben so dastünden wie wir.
Wir kürzen und streichen. Aber wir sind weit davon entfernt, unökonomisch auf die Sparbremse zu treten und den gesamtwirtschaftlichen Rahmen aus dem Auge zu verlieren. Eine Kreditaufnahme von fast 70 Milliarden DM in den drei aufeinanderfolgenden Jahren 1993, 1994 und 1995 kann überhaupt nicht restriktiv wirken. Die in diesem Jahr massiv angestiegenen Ausgaben für den Arbeitsmarkt und die zusätzlichen Aufbaumittel für die jungen Länder wirken wie ein mittelfristiges Konjunkturprogrammm, das den Abschwung dämpft und den Wiederaufschwung vorbereitet.
Im Zusammenhang mit den gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen unserer Finanzpolitik und ihren Folgen für die Beschäftigung, vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Gerechtigkeitsdiskussion, möchte ich eines unmißverständlich klarstellen: Wir lassen uns von niemandem mangelnde Verantwortung für die Arbeitslosen in Deutschland vorwerfen. Wer Konsolidierung und Privatisierung mit Beschäftigungsabbau gleichsetzt, muß sich der grundsätzlichen Frage stellen: Ist es moralisch zu rechtfertigen, zugunsten der Erhaltung einzelner Arbeitsplätze
({24})
gesamtwirtschaftliche und ordnungspolitische Fehlsteuerungen in Kauf zu nehmen?
In der verkürzten öffentlichen Diskussion hat immer der einen Vorsprung, der fordert: Wir müssen hier einspringen, dort Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zusätzlich installieren und dort den Konkurs eines Unternehmens verhindern. Aber wer in der SPD oder in Teilen der Gewerkschaften hat den Mut zu sagen: Wenn ihr unseren Vorschlägen folgt, dann retten wir zwar das Unternehmen X oder das Unternehmen Y, vielleicht für einen beschränkten Zeitraum; wir müssen dafür aber an anderer Stelle den Verlust von Zehntausenden oder Hunderttausenden Arbeitsplätzen in Kauf nehmen, weil die Finanzierung der Erhaltungssubventionen die gesunden Betriebe und die bisher zukunftssicheren Arbeitsplätze gefährdet?
1 % Zinssteigerung bei höherer Staatsverschuldung kostet die deutsche Wirtschaft 7 Milliarden DM. Das sind die Kosten von rund 35 000 Arbeitsplätzen. Diese Rechnung sollten die Gewerkschaften und alle einmal aufmachen, bevor sie von konsolidierungsbedingtem Arbeitsplatzabbau sprechen. Entscheidend sind nicht vollmundige Sozialbekenntnisse, sondern Taten und faktische Ergebnisse.
({25})
Deshalb geht der größte Teil der Diskussion über eine angebliche soziale Schieflage oder eine angebliche Gerechtigkeitslücke an den wirklichen Kernproblemen des wiedervereinigten Deutschlands vorbei. Natürlich müssen die Lasten so gerecht wie möglich auf alle Bevölkerungsgruppen verteilt werden; natürlich müssen die mehr beitragen, die mehr leisten können; und natürlich darf das Soziale in unserer Marktwirtschaft nicht unter die Räder kommen. Aber wenn wir den Empfehlungen der Opposition folgen würden, dann hätten wir vordergründige Gerechtigkeit im Elend, und der Sozialstaat ginge in Konkurs.
({26})
- Sie werden doch nicht behaupten, daß bei einem Sozialbudget von 1 Billion DM, 1 000 Milliarden DM,
({27})
eine Kürzung von 15 Milliarden DM an die Grenze des Sozialstaats ginge oder ein Kahlschlag sei.
({28})
Bei den Leistungen für Arbeitslose liegen wir in Europa hinter Dänemark und Belgien an dritter Stelle. Im EG-Vergleich der Zahlungen bei Krankheit, Arbeitsunfall und Mutterschaft erreichen wir den zweiten Rang. Die Bundesregierung hat seit 1982 die Leistungen für die Familienpolitik mehr als verdoppelt. Wir haben schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Kinderfreibetrag schrittweise
erhöht und so mehr Gerechtigkeit für Familien erreicht.
Seit Anfang der 80er Jahre stiegen die Regelsätze in der Sozialhilfe um 60 %, während Löhne und Gehälter netto im gleichen Zeitraum deutlich weniger, um 37 %, zunahmen. Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß zu Ihrer Zeit der Stand der Sozialhilfe ein völlig unbefriedigender gewesen wäre, was stimmen würde, wenn der Vorwurf zuträfe, daß durch unsere Kürzungen nun das Ende der Sozialhilfe oder des Sozialstaats erreicht sei.
({29})
Nach der Wiedervereinigung hat diese Bundesregierung das auf ein viel höheres Wohlstandsniveau zugeschnittene System der sozialen Sicherung weitgehend unverändert auf die jungen Länder übertragen. Das Rentenniveau in Ostdeutschland liegt heute, drei Jahre nach dem 3. Oktober 1990, schon bei 73 % des Westniveaus. Das bedeutet gegenüber dem Jahr der Wiedervereinigung praktisch eine Verdoppelung der durchschnittlichen Rentenbezüge. Wenn man sich in den neuen Bundesländern gerade mit den Rentnern unterhält, strömt einem unendlich viel Dankbarkeit dafür entgegen. Das ist etwas, was in der publizierten Meinung Deutschlands leider überhaupt nicht zum Ausdruck kommt.
({30})
Wenn die Opposition unsere Konsolidierungs- und Kürzungsmaßnahmen angreift, dann tut sie es wider besseres Wissen; denn jeder Sozialdemokrat, der sich länger als eine Stunde mit der Finanzpolitik beschäftigt hat, weiß: Wenn es um ernsthafte Einsparungen im Bundeshaushalt geht, kann der Sozialbereich nicht ausgespart werden. Wer diese Stunde Zeit nicht erübrigen mag, sollte zum Telefonhörer greifen und vielleicht Hans Apel, Hans Matthöfer oder Helmut Schmidt anrufen.
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- Das werde ich Helmut Schmidt sagen: daß Sie bei dieser Passage gelacht haben. Das mag er nämlich überhaupt nicht.
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- Frau Kollegin, vielleicht erinnern Sie sich noch des Satzes, ich nehme an - Sie standen ja immer an seiner Seite -, daß Sie ihm applaudiert haben, als er 1981 sagte: Wer mehr tun will für beschäftigungswirksame Maßnahmen, muß tief, viel tiefer ins soziale Netz hineinschneiden. Gilt der Satz, oder gilt er nicht? Galt er damals, und gilt er heute nicht vielleicht auch?
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- Lesen Sie die alten und die neuen Bücher. Ich habe sogar das Ihrige gelesen; Sie haben es mir ja mit Widmung zugesandt. Es lohnt sich in Teilen zu lesen.
({34})
Meine Damen und Herren, die von mir genannten Finanzminister der SPD mußten zur Sicherung der Bundesfinanzen von 1975 bis 1982 in das BAföG einschneiden, Wohngeld, Kindergeld, Arbeitslosenhilfe und manches andere mehr kürzen. Ich sage Ihnen das nur, damit Sie das nicht völlig aus der Erinnerung verdrängen. Und dies alles ohne deutsche Einheit, ohne einen Transfer von fünf Prozent pro Jahr.
({35})
Jetzt kommen Sie dran, Herr Wieczorek.
({36})
-Nobel, aber natürlich, wie es einem Haushälter gebührt. In der „Frankfurter Rundschau" vom 26. August 1993 wird aus einem internen Positionspapier des Haushaltsexperten der SPD-Fraktion, Helmut Wieczorek, zittiert. In diesem Papier heißt es nach der „Frankfurter Rundschau":
Möglichkeiten für kompensatorische Kürzungen zum Sparpaket der Bundesregierung sind faktisch nicht vorhanden.
Ich hoffe, daß dies sauber und richtig zitiert ist.
({37})
- Ja, gut, auf der Ausgabenseite; das ist ganz interessant.
Zu der immer wieder erhobenen Forderung nach stärkeren Einschnitten bei den Verteidigungsausgaben steht weiter geschrieben:
Dieser Weg scheint für die Zukunft nicht weiter gangbar, es sei denn, er erschöpft sich im rein politischen Deklamationscharakter.
({38})
Wenn dem so ist, dann nehmen Sie doch endlich Frau Matthäus-Maier ihr „Jagdtrauma" wegen des Jägers 90, für dessen Produktion noch nicht eine Mark aufgewendet wurde. Aber sie tigert von Veranstaltung zu Veranstaltung, von Fernsehshow zu Fernsehshow und verunsichert damit nur die Menschen, im Bewußtsein der Tatsache, daß das, was sie sagt, schlichtweg nicht stimmt.
({39})
Die vorgesehenen Kürzungen im Transferbereich - Bund und Bundesanstalt für Arbeit - belaufen sich auf rund 16 Milliarden DM. Das sind rund eineinhalb Prozent aller Sozialausgaben. Durch möglichst breite Streuung der Kürzungen wird diese Einsparungslast auf viele Schultern verteilt.
Im wesentlichen geht es nicht um Kürzungen, sondern um die Begrenzung des Zuwachses oder um das vorübergehende Einfrieren von Leistungen. Damit wird der Prozeß der Anpassung an die gesunkene durchschnittliche Wirtschaftskraft im wiedervereinigten Deutschland vollzogen, der sich auch im Bereich der Löhne und Gehälter vollzieht und noch stärker vollziehen muß. Wenn sich alles anpaßt, kann
Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode
der Umverteilungskuchen nicht unverändert bleiben.
Bei einer nur einigermaßen fairen Beurteilung der sozialen Ausgewogenheiten der jüngsten Spar- und Konsolidierungsbeschlüsse muß im übrigen auch das zuvor beschlossene Föderale Konsolidierungsprogramm mit einbezogen werden. Durch steuerliche Maßnahmen in einer Größenordnung von rund 33 Milliarden DM - 7,5 %iger Solidaritätszuschlag, Anhebung der Versicherungsteuer und die Verdoppelung der privaten Vermögensteuer - wird insbesondere den Leistungsfähigeren eine spürbare Zusatzbelastung auferlegt. Dagegen bleiben Familien mit Einkommen von weniger als 40 000 DM pro Jahr vom Solidaritätszuschlag völlig unbelastet.
Seit der Steuerreform 1990 haben wir vorrangig zu Lasten der höheren Einkommensgruppen Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen in einer Größenordnung von knapp 38 Milliarden DM abgebaut.
Auch im jetzigen Sparpaket wird die Steuer ihren Beitrag leisten. So wird durch den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts eine Vielzahl von Steuergestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Wir sollten uns wirklich langsam fragen, wieviel Zeit und Energie wir noch für eine völlig unsinnige und am Kern der Dinge vorbeigehende Gerechtigkeitsdiskussion aufbringen wollen. Weltweit werden unter dem Vorzeichen überhöhter Transferausgaben und dringend benötigter Investitionsmittel staatliche Leistungen begrenzt und auch liebgewordene Vergünstigungen zusammengestrichen.
Vom ehemals proklamierten „Volksheim" Schweden über Frankreich, Kanada und Italien werden Leistungsansätze zurückgenommen, werden Selbstbeteiligungen in der Krankenversicherung eingeführt und Leistungssteigerungen verzögert. Schweden hat in mehreren Konsolidierungsschritten Haushaltseinsparungen in Höhe von 11 % des Bruttosozialproduktes vollzogen oder vorbereitet.
Nicht die Bundesregierung, sondern die deutsche Opposition ist in dieser Frage international isoliert. Ihr Widerstand richtet sich gegen die Empfehlungen fast aller internationaler Organisationen und Kommissionen, vom Währungsfonds über die EG-Kommission bis zur OECD. Wenn es allein nach den Ratschlägen dieser Organisationen ginge, müßten wir nicht weniger, sondern wesentlich mehr in Transferleistungen hineinschneiden.
Auch innerhalb Deutschlands weiß doch jeder, der in politischer Verantwortung steht, um die unausweichlichen Konsolidierungszwänge. Mein Kollege Schleußer aus Nordrhein-Westfalen hat sich Anfang Juni für neue Prioritäten auch in der Sozialpolitik ausgesprochen. Kenner der Haushaltsrealitäten wie der Kollege Struck oder die Frau Ministerpräsidentin Simonis haben ganz vorsichtig zu sagen gewagt: Ohne Sozialkürzungen geht es nicht. Frau Simonis streicht in ihrem eigenen Landeshaushalt bei Vorschulklassen, beim Landeserziehungsgeld und beim Landesblindengeld.
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Es wird doch langsam zu einem lächerlichen Ritual: im eigenen Bereich wird konsolidiert, im kleinen Kreis gibt man zu, es ist unabdingbar notwendig, es müßte mehr passieren. Sobald man aber vor der Fernsehkamera steht, prügelt man auf den Bundesfinanzminister und auf die Koalition ein - ein lächerliches Ritual.
({41})
Es ist eine schlimme Entwicklung, wenn Ihr neuer Vorsitzender und mußmaßlicher Kanzlerkandidat ({42})
- Ich weiß es nicht.
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- Es sieht nicht so aus? Herr Kollege Schäuble hat gute Beziehungen zur SPD-Fraktion.
({44})
- Wie auch immer, Kollege Schäuble, wir fürchten niemanden.
({45})
Aber es ist schon eine üble und geschmacklose politische Tat, die Ministerpräsidenten, auch die CDU-Ministerpräsidenten und vor allen Dingen die Ost-Ministerpräsidenten, dazu aufzufordern, im Bundesrat Blockade zu üben, obwohl wir das gerade für die Menschen in den jungen Bundesländern tun, um damit den Aufbau in Deutschland zu bewerkstelligen.
({46})
Ich bin sicher, die Länder wissen sehr wohl, wo ihre wirklichen Interessen liegen. Ohne die Konsolidierungsanstrengungen des Bundes wären weder die 57 Milliarden DM Transferleistungen für die jungen Bundesländer ab 1995 noch die Entschuldung für Bremen und das Saarland ab 1994 finanzierbar.
Wo waren denn die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in ihrer Solidarität, als es um die Behebung der Haushaltsnotstände im Saarland und in Bremen ging? Die Bundesregierung, der Bund, leistet das in überzeugender Art und Weise, nicht die SPDLänder, die eigentlich von ihrem Namen her zur Solidarität auch unter den Ländern verpflichtet gewesen wären.
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- Der Beifall ehrt Sie. Ich hätte aber wenigstens erwartet, daß die Kollegen aus dem Saarland und aus Bremen in Ihren Beifall eingestimmt hätten.
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- Sie sind von da hinten so schwer zu verstehen. Wenn Sie die Zeitung weglegen, dann geht es besser. Das ist kein Vorwurf, nur ein Hinweis.
Entgegen falschen Behauptungen konsolidiert sich der Bund nicht zu Lasten der Länder und Gemeinden. Zwar führen die Absenkungen der Lohnersatzleistungen und anderer Maßnahmen im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit für sich genommen zu Folgekosten bei den Gemeinden. Aber bereits im Föderalen Konsolidierungsprogramm sind Maßnahmen zum Subventionsabbau, im Personalbereich und bei der Sozialhilfe enthalten, die zu einer Entlastung der Länder und Gemeinden von rund 5 Milliarden DM führen. Hinzu kommen weitere Einsparungen durch das Konsolidierungs- und Wachstumspaket in Höhe von 4 Milliarden DM ab 1994, insbesondere die Nullrunde bei Beamten, die Korrekturen bei der Sozialhilfe und die steuerlichen Maßnahmen. Entlastungen ergeben sich schließlich auch aus der neuen Asylregelung und der Einführung der Pflegeversicherung ab 1996. Wenn die SPD schon früher einer vernünftigen Asylregelung zugestimmt hätte, hätten wir uns in den letzten Jahren Milliardenausgaben erspart.
({49})
- Herr Kollege Solms, Sie haben gemerkt, daß ich nur von der SPD gesprochen habe.
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Ich verhalte mich auch in der Geschichte absolut koalitionstreu.
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- Gut, der Beifall hat sich in Ihren Kreisen etwas in Grenzen gehalten. Vor allem hat mir Graf Lambsdorff vorher zugesichert, daß er regelmäßig Beifall klatschen wolle; aber seit er nicht mehr Bundesvorsitzender ist, sucht er in dem Handbuch nach, wer alles Mitglied seiner Fraktion ist.
({52})
Ich komme zum Thema zurück. Bund und Länder haben beim Föderalen Konsolidierungsprogramm, bei der Verabschiedung des steuerlichen Standortsicherungsgesetzes und bei anderen wichtigen Entscheidungen immer wieder eine Basis der Gemeinsamkeit und des Kompromisses gefunden. Der Bund ist immer wieder auf die Länder zugegangen, zuletzt bei der unentgeltlichen Übertragung von ehemals russischen Liegenschaften.
Bei dieser föderalen Gemeinsamkeit muß es auch künftig bleiben, denn der Bund trägt die Verantwortung nur für rund 40 % des öffentlichen Ausgabenvolumens. Er hat zuletzt im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms bei der Mehrwertsteuer auf sieben Anteilspunkte zugunsten der Länder verzichtet. Er kann deshalb seiner gesamtstaatlichen und internationalen Verantwortung nur gerecht werden, wenn die Länder entsprechend dem Verfassungsauftrag - Art. 109 des Grundgesetzes - ebenfalls den „Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen" .
({53})
Große gemeinsame Aufgaben stehen vor allem noch im Bereich des Subventionsabbaus und der Privatisierung auf der Tagesordnung. Der Bund ist beim Subventionsabbau im Westen bereits einen großen Schritt vorangekommen.
Ich hätte mir wirklich gewünscht, daß bei der Diskussion um den Subventionsbericht der Bundesregierung diese Dinge und diese Fakten etwas differenzierter zur Kenntnis genommen worden wären.
Daß wir bei den Subventionen im Westen einen entscheidenden Abbau erreicht haben und daß der Anstieg allein auf die Investitionshilfen und die Unterstützungen für die jungen Bundesländer zurückgeht - das verdient, wie ich meine, schon eine differenzierte und nicht nur eine allgemeine Beurteilung.
({54})
Im Westen gingen in den letzten drei Jahren die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes um fast ein Viertel, das sind 6,5 Milliarden DM, zurück.
Parallel wurden für die ostdeutschen Länder erhebliche Zusatzmittel bereitgestellt. Der Anteil der Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland an den gesamten Bundessubventionen erreicht inzwischen 42 %. Pro Kopf gerechnet entfallen auf den Osten dreimal so viel an Subventionsleistungen wie auf den Westen, und das ist auch notwendig und gerechtfertigt.
({55})
Ebenso wie beim Subventionsabbau hat der Bund bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen die Vorreiterrolle übernommen, und das nicht erst jetzt. Bereits mein Vorgänger Stoltenberg hat das mit aller Entschiedenheit eingeleitet und verwirklicht.
({56})
Erst allmählich beginnen die Länder nachzuziehen. Hier sind noch größere Anstrengungen unbedingt erforderlich, wenn wir den Standort Deutschland über dieses Jahrtausend hinweg in der Spitze der Industrieländer halten wollen.
Wir wollen in den kommenden Jahren - nach der weitgehend abgeschlossenen Veräußerung des industriellen Bundesbesitzes - die Privatisierung vor allem im Telekommunikations- und Verkehrsbereich fortsetzen. Ich warne allerdings davor, die Privatisierung als Instrument zur Sanierung der Staatsfinanzen zu betrachten. Es geht allenfalls um zweistellige Milliardenbeträge. Da sollte sich niemand gesundrechnen und ungedeckte Schecks herausreichen.
Privatisierung ist Wachstumsförderung - vor allem in Ostdeutschland. Wer die Privatisierung stört, stellt
sich gegen Investitionen und Beschäftigung und damit letztlich gegen die Interessen der Menschen.
({57})
Meine Damen und Herren, ich habe gelesen, daß die SPD einen Untersuchungsausschuß in Sachen Treuhandanstalt installieren will.
({58})
Sie haben heuer angekündigt, gegen mich einen Moksel-Untersuchungsausschuß, einen Lapas-Untersuchungsausschuß und einen Strato-Untersuchungsausschuß zu machen. Von allem haben Sie sehr schnell, nachdem Sie die Fakten einigermaßen kennengelernt haben, Abstand genommen. Zunächst allerdings immer nach dem Motto „semper aliquid haeret" , nach dem Motto: Wenn etwas daran ist, dann muß er zurücktreten, damit über das Wochenende die Schlagzeile da ist. Aber später die Entschuldigung, die ist bei Ihnen weitgehend ausgeblieben - mit Ausnahme des Kollegen Struck; das will ich hier auch einmal in aller Klarheit sagen.
({59})
Ich meine: Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber wir hätten eigentlich Wichtigeres zu tun, als uns in einem unnötigen und überflüssigen TreuhandUntersuchungsausschuß mit dieser Vergangenheit zu beschäftigen; ganz abgesehen davon, daß dies natürlich für die Investoren in aller Welt nicht gerade förderlich wäre und ein Teil der Arbeit in der Treuhandanstalt, die wir bezahlen müssen, nicht mehr stattfände, sondern für Untersuchungsausschüsse und für die Teilnahme an Sitzungen in Anspruch genommen würde, anstatt diese Manpower effizient einzusetzen.
({60})
Natürlich gibt es in einer Mammutbehörde wie der Treuhandanstalt auch menschliches Versagen. Wo gegen Gesetze verstoßen wurde, werden Staatsanwälte und Gerichte Gerechtigkeit einfordern. Aber wer glaubt, aus dem Nachweis einzelner Fehltritte bei dem Privatisierungspotential von etwa 20 000 Verträgen, die in den letzten drei Jahren abgeschlossen wurden, billige Wahlkampfmunition gegen die Koalition zu gewinnen, der hat wenig Ahnung von den Fragen, die die Deutschen in Ostdeutschland wirklich interessieren.
Insofern sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob Sie damit auch dem Vermächtnis und der Arbeit von Detlev Karsten Rohwedder, Klaus von Dohnanyi, Hans Apel und vielen anderen gerecht werden, die sich hier engagiert haben.
({61})
Ich will hier auch als der zuständige Minister meinen Dank und meine Anerkennung an die tüchtige und tapfere Frau Breuel und viele andere in der Treuhandanstalt aussprechen, die unglaublich viel Positives in den letzten Jahren bewirkt haben.
({62})
90 % der früheren Staatsbetriebe wurden inzwischen
privatisiert. Käufer aus dem In- und Ausland haben im
Zusammenhang mit dieser Privatisierung 180 Milliarden DM an Investitionen zugesagt und 1,5 Millionen Arbeitsplätze garantiert.
Selbst in schwierigen Industriebranchen wie der Mineralölverarbeitung, der Großchemie, bei den Werften und in der Stahl- und Elektroindustrie konnten beträchtliche Privatisierungs- und Sanierungserfolge erzielt werden. Wenn man sich einmal vorstellt, daß wir für die Sanierung und Privatisierung der Werften etwa 3,5 Milliarden DM ausgeben, um damit industrielle Kerne zu erhalten, dann wird doch niemand behaupten können, wir würden leichtfertig an den Menschen in Ostdeutschland vorübergehen.
({63})
Meine Damen und Herren, bisher ist kein einziges plausibles Sanierungskonzept allein aus finanziellen Gründen gescheitert. Wer da leichtfertig oder böswillig vom Plattmachen oder von industriellem Kahlschlag redet, der hat von den Realitäten in Ostdeutschland wenig Ahnung und stellt die Tatsachen auf den Kopf.
({64})
- Die Menschen sind dann verunsichert, wenn sie von der politischen Klasse so informiert werden, wie Sie es in Ostdeutschland tun. Das ist das Problem.
({65})
Seit der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 hat die Treuhandanstalt fast 50 Milliarden DM für Unternehmen in Ostdeutschland ausgegeben. Darüber hinaus unterstützt sie ihre Betriebe mit umfangreichen Bürgschaften und Altkreditentschuldungen. Die gesamten Sanierungshilfen summieren sich so auf einen dreistelligen Milliardenbetrag.
Um verstärkt industrielle Kerne zu erneuern und ökologische Altlasten zu beseitigen, ist der Kreditrahmen der Treuhandanstalt in diesem Jahr auf 37 Milliarden DM erweitert worden. Wir werden eine entsprechende Aufstockung auch für das nächste Jahr einplanen.
Wir gehen auch bei den Exportbürgschaften für ostdeutsche Betriebe bis hart an die Grenze des Vertretbaren. Allein für das Waggonbauwerk in Ammendorf haben wir einschließlich der jetzt zugesagten 110 Millionen DM 610 Millionen DM an Bürgschaften für Lieferungen an Staaten der früheren Sowjetunion bereitgestellt.
Aber es gibt Vertretbarkeitsgrenzen dort, wo die Bürgschaft bei objektiver Analyse der Umstände zum Zuschuß wird. Und wir können auch nicht den Bürgschaftsrahmen für einige wenige Betriebe reservieren, während andere Produzenten vor vergleichbaren Absatzproblemen stehen und ebenfalls Hilfe erwarten.
Bis Ende 1994 wird die bei der Treuhandanstalt aufgelaufene finanzielle Erblast nach heutiger Erkenntnis bei etwa 275 Milliarden DM liegen. Schon diese Größenordnung zeigt: Wir haben alle finanziellen Spielräume für die Restrukturierung der Industrie in den östlichen Ländern ausgenutzt.
Wer noch mehr will und wer sich auf reine Erhaltungssubventionen versteift, handelt nicht anders als ein Landwirt, der sein Saatgut verfüttert. Erhaltungssubventionen gehen zu Lasten der Finanzierungsmöglichkeiten unseres Mittelstandes oder zu Lasten des Ausbaus der Infrastruktur. Das sind die wirklichen Alternativen, vor denen niemand die Augen verschließen kann.
Alles, was wir im Bereich der Treuhandanstalt, in der Steuer- und Finanzpolitik und in der Wirtschaftspolitik in den kommenden Monaten und Jahren entscheiden, muß sich der zentralen Aufgabe unterordnen, den Investitions- und Beschäftigungsstandort Deutschland konkurrenzfähig zu halten. Denn nur wenn wir im Wettbewerb um produktive Arbeitsplätze international auch in Zukunft mithalten, lassen sich soziale Leistungen, lassen sich Familienpolitik, Ausbildung und Infrastruktur überhaupt finanzieren.
Bezogen auf die Finanzpolitik heißt Standortsicherung: konsolidieren, um Preise und Zinsen zu stabilisieren; restrukturieren, um einen möglichst großen Investitionsbeitrag des Staates zu erreichen.
Innerhalb des engen Haushaltsrahmens schaffen wir durch Umschichtungen und neue Prioritäten zusätzliche Wachstumsimpulse.
Den Schwerpunkt des Bundeshaushalts mit einem Anteil von fast 25 % - das sind rund 110 Milliarden DM - bilden wiederum die Ausgaben für die jungen Länder. Zunehmend konzentrieren sich jetzt die vom Bund bereitgestellten Mittel auf substantielle langfristige Strukturverbesserungen, nachdem in den ersten Jahren zwangsläufig die Sozialtransfers im Mittelpunkt standen.
Bezeichnend für diese Entwicklung sind der deutliche Anstieg der Mittel für Bahn und Straße und des Verfügungsrahmens für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung". Die Konditionen beim Eigenkapitalhilfeprogramm wurden deutlich verbessert. Insgesamt werden 1994 rund 27 Milliarden DM für investive Zwecke in den neuen Ländern aufgewendet.
Über den Bereich der neuen Länder hinaus wird der Bundeshaushalt 1994 durch verkehrspolitische Langfristentscheidungen geprägt. Im Mittelpunkt steht die Strukturreform der Eisenbahnen. Sie werden in eine privatrechtlich organisierte Deutsche Eisenbahn AG überführt und von wesentlichen Lasten, insbesondere von ihren Altschulden, befreit. Wir schaffen damit die Voraussetzung für einen leistungsfähigen Schienenverkehr, der Landstraßen und Autobahnen entlastet und damit zugleich ein Stück Umweltschutz verwirklicht.
Die Tilgung der vom Bund zu übernehmenden Altschulden der Bahnen ist ohne Zusatzfinanzierung nicht zu verwirklichen. Wir werden deshalb die Mineralölsteuer ab 1994 um bis zu 16 Pfennig erhöhen. Angesichts der zuletzt mäßigen Benzinpreisentwicklung und der Priorität des Verkehrsausbaus in Ost und West ist diese zusätzliche Belastung unumgänglich und vertretbar.
({66})
- Nein, fünf Mark werden nicht angestrebt. ({67})
-Ja, Peter, bei euch bin ich da nicht so sicher. Bei uns haben wir das im Griff.
({68})
- Doch, doch. Da bin ich mir mit dem Kanzler ziemlich einig.
({69})
- „Ziemlich" heißt auf schwäbisch „fast vollständig".
({70})
Ein wichtiges Element der Bahnreform ist die geplante Übertragung des regionalen Schienenverkehrs auf Länder und Gemeinden. Die Aufgabenumschichtung, die wesentlich mehr Spielraum für den Regionalverkehr eröffnet, darf den Finanzkorridor im Bereich der Bahnen allerdings nicht weiter öffnen. Wer hier unannehmbare Forderungen stellt, gefährdet die Bahnreform.
Unter Einbeziehung des ab 1995 erhobenen Solidaritätszuschlags auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer und vor dem Hintergrund der schon hohen Abgabenlast im Sozialversicherungsbereich ist mit der Mineralölsteueranhebung der Spielraum des Zumutbaren praktisch ausgeschöpft. 1995 wird die Abgabenquote auf einen Höchststand von über 44 % ansteigen. Das ist allenfalls kurzfristig, für wenige Jahre, und angesichts der Sondersituation durch die deutsche Wiedervereinigung vertretbar. Ein Dauerzustand darf es auf keinen Fall bleiben.
({71})
Darum muß auch eines klar sein: Sobald wir wieder Spielraum haben, kann es nicht darum gehen, neue soziale Leistungen zu beschließen, sondern die Steuer- und Abgabenlast der Bürger und der Wirtschaft wieder zu reduzieren. Das muß die Priorität sein.
({72})
Die Verabschiedung des Standortsicherungsgesetzes war ein wichtiges Signal für die Fortsetzung unserer wachstumsfördernden Steuerpolitik. Weitere Verbesserungen der steuerlichen Rahmenbedingungen bleiben mittelfristig auf der Tagesordnung. Wenn es um die Steuerpolitik der nächsten Legislaturperiode geht, steht neben der Rückführung des Solidaritätszuschlags vor allem die Gewerbesteuer im Mittelpunkt. Vorrangig sind die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Einschränkung der Gewerbeertragsteuerbelastung. Das schließt selbstverständlich einen finanziellen Ausgleich für die Gemeinden ein.
Auch der Familienlastenausgleich steht in der nächsten Legislaturperiode erneut auf der Tagesordnung. Grundkonzeption sollte sein, das Existenzminimum für Kinder künftig vollständig über den Kinderfreibetrag abzudecken und das Kindergeld auf die Familien mit geringerem Einkommen zu konzentrieren, die diese zusätzliche Unterstützung wirklich brauchen.
({73})
Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Meine Damen und Herren, wir setzen auf nationale Standortsicherung und internationale Kooperation. Wir werden deshalb den Vertrag von Maastricht nach Geist und Inhalt erfüllen und unsere Beziehungen zu den übrigen Industriestaaten, zu Osteuropa und zu den Entwicklungsländern noch weiter ausbauen.
Die letzten Währungsturbulenzen im EWS haben die Entscheidungen zur Wirtschafts- und Währungsunion nicht in Frage gestellt. Deutschland hat seine Währungsverpflichtungen erfüllt.
({74})
- Wenn man in einem solchen Zusammenhang im letzten Jahr und auch in diesem Jahr jeweils etwa 50 Milliarden DM aufwendet, um einer Währung, deren Fundamentals in Ordnung sind, beizustehen, wird uns niemand mangelnde internationale oder europäische Verantwortung vorwerfen können.
({75})
Wir haben in einer dramatischen Nachtsitzung in Brüssel alles getan, um das EWS fortzusetzen und den Weg zur Währungsunion offenzuhalten. Die Kombination aus unveränderten Leitkursen und erweiterten Bandbreiten hat sich in den letzten Wochen als erfolgreich erwiesen.
({76})
Nach anfänglich stärkeren Ausschlägen haben sich die meisten Währungen wieder den ursprünglichen Schwankungsbreiten angenähert. Damit ist zunächst auch die Gefahr von Agrarpreissenkungen gebannt, denen wir uns auf jeden Fall widersetzt hätten.
Meine Damen und Herren, die Währungsturbulenzen des Sommers haben erneut unterstrichen: Im Kern geht es im Vertrag von Maastricht nicht um das Zusammenlegen von Währungen, sondern um das Zusammenwachsen des europäischen Wirtschaftsraums. Nur wenn wir bei Löhnen, Gehältern, Preisen und Zinsen in Europa in eine Richtung marschieren, kann das Währungsdach halten und können wir die vollen Vorteile der Integration wirklich nutzen.
Das Entscheidende dieser Wirtschafts- und Währungsunion besteht doch darin, daß sich ganz Europa - die Zwölf und auch andere - auf den Weg der Stabilität gemacht hat, um Europa zu einer Stabilitätszone zu machen. Das ist doch der große Erfolg dieser Politik, die unbedingt fortgesetzt werden muß. Da spielt es dann keine Rolle, ob die Währungsunion letztlich ein oder zwei Jahre früher oder später kommt. Entscheidend ist, daß die Konvergenzziele auch weiterhin gelten, nicht zur Disposition stehen und unseren Zielsetzungen entsprechen.
({77})
1994 wird zunächst die zweite Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft treten. In dieser Vorbereitungsphase, in der die geldpolitische Souveränität nicht eingeschränkt ist, entscheiden die tatsächlich meßbaren Konvergenzfortschritte, wann wir die dritte Stufe, also die gemeinsame Währung, erreichen. Denn die europäische Währung entsteht nicht am Verhandlungstisch in Brüssel, sondern in den europäischen Volkswirtschaften.
Mitentscheidend für diesen Anpassungsprozeß wird die Glaubwürdigkeit künftiger Geldpolitik sein. Glaubwürdigkeit erwächst auch aus Traditionen und Überzeugungen. Wir brauchen deshalb eine rasche Entscheidung über den Sitz der Europäischen Zentralbank, die in Frankreich ihren richtigen Platz finden wird.
({78})
Entschuldigung, in Frankfurt. - Dazu, meine Damen und Herren, bedarf es keiner lauten Töne, sondern klarer Worte. Ich meine, daß wir alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllen und der Finanzplatz Frankfurt wirklich die optimale Voraussetzung bringt für den Sitz der Europäischen Zentralbank.
({79})
Nichts kommt in dem Zusammenhang von allein. Wir müssen hier um alles kämpfen: um den Sitz der Europäischen Notenbank in Frankfurt, um die europäische Integration, um Investitionen und Arbeitsplätze, um soziale Sicherheit und gesellschaftlichen Frieden.
Wir haben in der Finanzpolitik gekämpft und in schwierigsten Zeiten seit 1990 die richtigen und notwendigen Ziele durchgesetzt: Wir haben 1990 über die deutsche Währungsunion und das Überleitungsabkommen mit der früheren Sowjetunion strategische, finanzpolitische Entscheidungen getroffen, ohne die der 3. Oktober nicht möglich geworden wäre.
Wir haben die wohl größte Finanzumschichtung und Finanzausgleichsoperation Deutschlands zugunsten der jungen Länder Anfang dieses Jahres verwirklicht.
Wir haben die Bundesfinanzen seit 1989 praktisch völlig umstrukturiert und auf neue Herausforderungen eingestellt.
Wir haben in der Finanz- und Steuerpolitik trotz aller Finanzierungsaufgaben unverändert auf Wachstum und Beschäftigung gesetzt, damit Deutschland auch im nächsten Jahrtausend im internationalen Standortwettbewerb noch mithalten kann.
Schließlich haben wir das soziale Netz in ganz Deutschland ausgespannt und gegen alle Anspannungen gesichert. Wie vor der Wiedervereinigung fällt bei uns niemand ins Bodenlose. Aber Verzicht auf Zuwachs ist hier wie überall unumgänglich.
Die Ergebnisse unserer Anstrengungen können sich sehen lassen: Trotz deutlicher Rezession in diesem Jahr hat das reale Sozialprodukt in Deutschland mit insgesamt 9 % zwischen 1990 und 1993 um rund die Hälfte stärker zugenommen als im Durchschnitt der sieben größten Industriestaaten.
Die D-Mark ist hart wie eh und je.
Auf der Grundlage niedriger Zinsen und umfassender Förderung wächst das Wohnungsangebot mit zweistelliger Zuwachsrate. Der Bau von über einer halben Million Wohnungen wird dieses Jahr vor14694
aussichtlich in Angriff genommen - mehr als in jedem Jahr seit Anfang der 70er Jahre.
Der Aufbau in Ostdeutschland kommt voran. Im Zeitraum 1992/93 wird der Zuwachs des Sozialprodukts dort insgesamt real rund 12 % betragen. Angesichts eines Investitionsvolumens von rund 130 Milliarden DM in diesem Jahr - das ist pro Kopf gerechnet fast doppelt so viel wie im Westen - ist der Aufholprozeß auch für die kommenden Jahre praktisch gesichert.
Durch die erfolgreiche Arbeit der Treuhandanstalt steht das wohl größte Privatisierungsprojekt in der Geschichte der Industriestaaten kurz vor seiner Vollendung.
Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern doppelt belastet: Unverändert große Wiedervereinigungsaufgaben treffen zusammen mit der weltweiten Konjunkturflaute, die jenseits unserer Grenzen zu noch viel tieferen Einbrüchen und stärkerem Arbeitsplatzverlust geführt hat.
Aber wir gehen nicht in die Knie. Deutschland ist und bleibt eine starke Industrienation. Pro Kopf verfügen wir über mehr Auslandsvermögen als jedes andere Land, einschließlich Japan. Von den internationalen Kreditbewertungsagenturen werden wir unverändert mit dem begehrten „Triple A" ausgezeichnet. Das heißt uneingeschränkte Bonität und geringste Zinsen für deutsche Schuldner - für öffentliche und private. Alles, was in der nationalen und internationalen Diskussion über den Niedergang Deutschlands formuliert wird, hält den Fakten und Daten nicht stand.
Wir tragen allerdings eine gehörige Portion Mitverantwortung an der Entstehung eines verzerrten Deutschlandbildes. Unzufriedenheit und Nörglertum beherrschen einen zu großen Teil der öffentlichen Diskussion.
({80})
Politikverdrossenheit ist zur alles erklärenden Entschuldigung für verbreitete Passivität und Pessimismus geworden, obwohl durch Politikverdrossenheit nicht ein einziges Problem gelöst wird.
({81})
Niemand hat das Recht, leichtfertig über die begründeten Sorgen vieler Menschen im Westen und Osten Deutschlands hinwegzugehen, die von individuellen Schicksalsschlägen oder von wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen sind. Aber die eigentliche gesellschaftliche Fehlentwicklung findet bei den anderen statt, die in Sicherheit und relativem Wohlstand leben und dennoch mit der Gegenwart nicht zurechtkommen und alles auf den Staat schieben.
Frau Professor Noelle-Neumann schrieb kürzlich im „ Rheinischen Merkur":
Glück wird gefunden im Entwickeln der Anlagen und Fähigkeiten durch Überwinden von Hindernissen, Schwierigkeiten und Durststrecken.
In der Anstrengung, dieses Glück zu erreichen, liegt der Schlüssel zur Lösung der deutschen Aufgaben.
Ich glaube, wir Deutschen haben trotz aller irritierender öffentlicher Diskussion die Fähigkeit nicht verloren, uns aufzuraffen und das große Gemeinschaftswerk der deutschen Wiedervereinigung zu vollenden. Von dieser Fähigkeit zeugen die vielen Hunderttausenden neugegründeten mittelständischen Unternehmen in den jungen Ländern. Auch Umfrageergebnisse des Infas-Instituts, nach denen die Mehrheit der Westdeutschen bereit wäre, für die Zukunftssicherung zur 40-Stunden-Woche zurückzukehren, sprechen gegen Dekadenz und Trägkeit. Überzeugend ist schließlich der Einsatz junger Deutscher jenseits der Grenzen, die im Sinne der Friedensziele ihren Dienst in Kambodscha und Somalia leisten oder geleistet haben.
({82})
Die Finanzpolitik mag manchem als kaltes Zahlenwerk erscheinen. Aber sie spiegelt wider, ob wir zur Anpassung und Solidarität letztlich in der Lage sind. Indem wir unsere volkswirtschaftlichen Kräfte auf die hervorragenden Prioritäten in Ostdeutschland, auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf internationale Friedenssicherung und Zusammenarbeit lenken, stellen wir uns gegen die „Vertreibung der Solidarität", die Hans Barbier vor einigen Monaten in einem bemerkenswerten Kommentar als Gefahr an die Wand gemalt hat.
Meine Damen und Herren, dieser Bundeshaushalt hilft Grenzen überwinden. Dieser Bundeshaushalt schafft Grundlagen für künftiges Wachstum und mehr Beschäftigung. Dieser Bundeshaushalt dient allen Deutschen und erfordert deshalb breite Zustimmung. Darum bitte ich Sie sehr herzlich.
({83})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach elf Jahren Kohl-Regierung steht die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel: Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie zuvor, jeden Tag werden ca. 2 000 Arbeitsplätze abgebaut, die Staatsverschuldung explodiert, in der Finanzpolitik herrscht das Chaos,
({0})
die Inflation schwächt die Mark, die Realeinkommen von Arbeitnehmern und Rentnern sinken,
({1})
die Armut in Deutschland nimmt zu, immer mehr Menschen werden Opfer der Wohnungsnot, die Kriminalität steigt und steigt, der rechtsradikale Mob wird immer dreister, und schließlich: Die Politikverdrossenheit nimmt täglich zu.
({2})
Gerade in dieser Situation bräuchten wie eine starke Regierung.
({3})
Unsere Bürger wissen, daß wir die Ärmel aufkrempeln müssen und daß es nichts zu verteilen gibt. Sie wissen, daß Opfer gebracht werden müssen. Sie sind dazu auch bereit.
Aber statt diese Bereitschaft der Bürger zu nutzen, statt die Kräfte der Gesellschaft zu bündeln, um in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Krise zu überwinden, verfährt diese Bundesregierung nach dem Motto: aussitzen, täuschen, über die Runden kommen. Schon 20 Minister sind mittlerweile zurückgetreten. Diese Regierung ist abgewirtschaftet.
({4})
Die Bundesregierung spielt die Menschen gegeneinander aus: die Arbeitgeber gegen die Arbeitnehmer, die Arbeitsplatzbesitzer gegen die Arbeitslosen, die Ostdeutschen gegen die Westdeutschen, die Niedrigverdiener gegen die Sozialhilfeempfänger. Herr Bundeskanzler, Sie führen die Kräfte nicht zusammen, Sie spalten unsere Gesellschaft! Ein Bundeskanzler, der spaltet, den kann sich dieses Land nicht leisten.
({5})
Vor elf Jahren hat Helmut Kohl den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Anspruch auf geistig-moralische Erneuerung gestürzt. Der Anspruch war groß, das Versagen noch größer. Helmut Schmidt hat solche hochtrabenden Worte nie geliebt. Aber ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie nur einen Bruchteil der Führungsqualitäten, der nüchternen Offenheit, des Verantwortungsbewußtseins für das Gemeinwohl, wenn Sie vor allem nur einen Bruchteil der wirtschaftspolitischen Kompetenz von Helmut Schmidt hätten, dann würden wir heute mit den Problemen dieses Landes besser fertig.
({6})
Die Finanzkrise des Staates hat bedrohliche Ausmaße angenommen. Ein öffentlicher Schuldenberg von insgesamt 1,8 Billionen DM, eine Neuverschuldung allein in diesem Jahr von 224 Milliarden DM und Zinsausgaben allein in diesem Jahr von 134 Milliarden DM - das ist das Ergebnis einer unverantwortlichen Finanzpolitik. Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt damit im Moment nicht einmal die Stabilitätsvoraussetzungen der Europäischen Währungsunion.
Obwohl der Staat in jeder Minute 1,4 Millionen Mark Steuern einnimmt, macht er zusätzlich in jeder Minute 426 000 Mark neue Schulden und zahlt für Schulden in jeder Minute 255 000 Mark Zinsen. Jede Minute neue Staatsschulden in Höhe eines Eigenheims! Dieser Finanzminister hat in den vier Jahren seiner Amtszeit mehr Schulden gemacht als alle seiner 13 Vorgänger in 40 Jahren zusammen. Auch wenn Sie das nicht gerne hören: Schuldenmachen ist zum Markenzeichen dieser Bundesregierung geworden.
({7})
In der Finanzpolitik herrscht das blanke Chaos. Alle wesentlichen Finanzzahlen dieser Bundesregierung haben sich als falsch und meilenweit entfernt von der Wirklichkeit erwiesen. Ein ganzes Jahr lang haben Sie Stein und Bein geschworen, daß 1993 die Ausgaben höchstens um 21/2% steigen. Und das Ergebnis: Statt 21/2% sind es jetzt 7,2 %, also fast dreimal soviel. Und die Neuverschuldung für 1993? Bei seiner Einbringungsrede hier vor einem Jahr sprach der Finanzminister noch von 38 Milliarden DM. Im November sprach er dann von 43 Milliarden; im Januar waren es 48 Milliarden, im April 53 Milliarden, im Juli schließlich 67,5 Milliarden DM. Und aus dem Finanzministerium ist zu hören, daß es auch noch mehr werden könnten.
Ich sage Ihnen: Wer als Finanzminister mit seinen Zahlen so danebenliegt, der kann entweder nicht rechnen, oder er hat ganz bewußt Parlament und Öffentlichkeit getäuscht. Ich fürchte, Herr Waigel, bei Ihnen kommt beides zusammen, und das eine ist so schlimm wie das andere!
({8})
Die Folge dieser Schuldenexplosion sind explodierende Zinsbelastungen. Schon heute zahlt der Staat auf die Staatsschulden 134 Milliarden DM Zinsen. 1997 werden es nach Ihren eigenen Zahlen über 180 Milliarden DM sein.
({9})
Jede fünfte Steuermark wird dann allein für das Bezahlen von Zinsen draufgehen. Wer so maßlos den Weg in die Staatsverschuldung geht, handelt unverantwortlich gegenüber unseren Kindern und Enkeln.
({10})
Was durch Zinszahlungen aufgefressen wird, fehlt für andere notwendige Staatsaufgaben: Es fehlen fünf Millionen Arbeitsplätze in Deutschland - Sie aber kürzen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik in Ihrer Finanzplanung um 57 %. Es herrscht Wohnungsnot in Deutschland - Sie aber kürzen den Verpflichtungsrahmen für den sozialen Wohnungsbau um 30 %. Immer mehr Menschen können die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen - Sie aber kürzen das Wohngeld um 26 %. Wir haben einen Pflegenotstand
- Sie aber kürzen die Mittel für den Zivildienst um 20 %. Unsere Hochschulen platzen aus allen Nähten
- Sie aber kürzen die Mittel für den Hochschulbau um 17 %. Wir müssen Energie einsparen - Sie aber kürzen die Mittel für erneuerbare Energien und rationelle Energieverwendung um insgesamt 8,5 %.
({11})
Wir brauchen mehr Investitionen - die Investitionsausgaben des Bundes aber gehen bis 1997 zurück. Schließlich, meine Damen und Herren: Wir waren uns beim Asylkompromiß doch einig, daß die Bekämpfung der Fluchtursachen mindestens genauso wichtig
ist, um die Zuwanderung zu begrenzen. Da können Sie doch jetzt nicht die Entwicklungshilfe einfrieren!
({12})
Auch wirtschaftspolitisch hat die Schuldenpolitik der Bundesregierung unseren Staat handlungsunfähig gemacht. Angesichts von fünf Millionen Arbeitsplatzsuchenden wäre ein Gegensteuern durch zusätzliche kreditfinanzierte Ausgaben ja durchaus erwägenswert.
({13})
Aber wer so etwas jetzt fordert, der übersieht, daß die öffentliche Hand sich 1993 ohnehin schon in Höhe von 224 Milliarden DM verschuldet und damit schon fast die gesamte private Ersparnis in Anspruch nimmt. ({14})
Dies ist bereits ein Super-Keynes, leider im überwiegenden Maß für Konsum und nicht für Investitionen ausgegeben. ({15})
Der übersieht leider auch, daß die Bundesregierung in der guten Weltkonjunktur der 80er Jahre trotz über 100 Milliarden DM Bundesbankgewinne die Staatsverschuldung dramatisch weiter erhöht und keine Vorsorge für schlechte Zeiten getroffen hat. Deutschland sitzt in einer hausgemachten Schuldenfalle, meine Damen und Herren.
({16})
Was 1974, nach der ersten Ölpreiskrise, unter Bundeskanzler Helmut Schmidt bei einem Stand der gesamten öffentlichen Verschuldung von - hören Sie bitte zu! - 212 Milliarden DM, inklusive Bahn und Post, noch möglich war, ist jetzt bei einem fast zehnmal so hohen Schuldenstand von beinahe 2 Billionen DM verbaut. Diese Regierung steht vor dem finanz- und wirtschaftspolitischen Offenbarungseid.
({17})
Wer die konjunkturpolitische Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen will, muß jetzt endlich mit der Konsolidierung beginnen.
({18})
Die Mentalität „Sparen erst im nächsten Jahr, vielleicht auch erst in zwei Jahren, auf jeden Fall erst nach der nächsten Wahl, am besten überlassen wir das Sparen unseren Kindern" muß durchbrochen werden. Es kann nicht länger nach dem Motto gehandelt werden: Wenn Geld da ist, wird es ausgegeben; wenn keines da ist, werden eben Schulden gemacht. - Nur wer bereit ist, den handlungsunfähigen Staat in Kauf zu nehmen, oder wer ihn sogar will, kann die Schuldenlawine unbegrenzt weiterlaufen lassen.
Übrigens, mit ihrer Schuldenpolitik ist die Bundesregierung auch zum Problemverstärker Nummer eins geworden. Das gilt für die Inflation, die sich hartnäkkig über 4 % hält und bei der wir innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft längst auf die Hinterbank gerutscht sind. Das gilt auch für die hohen Leitzinsen der Bundesbank und die faktische Aussetzung des Europäischen Währungssystems. „Schuld an der Krise des EWS sind die Schulden, die Theo Waigel macht", schrieb die „Süddeutsche Zeitung". Damit hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen, meine Damen und Herren.
({19})
Konjunkturpolitisch dringend geboten wäre eine weitere Leitzinssenkung durch die Bundesbank. Diese sieht sich aber durch die hohe Inflationsrate und die Schuldenpolitik der Bundesregierung daran gehindert. Daß hier ein Dauerkonflikt zwischen Bundesregierung und Bundesbank auf dem Rücken von Bürgern und Wirtschaft ausgetragen wird, darf so nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
Deshalb: Sparen muß sein. Aber auch Sparen muß man mit Sinn und Verstand. Sie sparen leider am falschen Ende. Ihr Kürzungspaket ist sozial ungerecht und ökonomisch unvernünftig.
({20})
„Den Schwachen ans Leder, die Starken geschont", sagte ein Kommentator. Und der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse hat es sogar einen „Brandsatz für den sozialen Frieden" genannt.
Herr Finanzminister, Sie versuchen immer wieder, zu widerlegen, daß auch Ihr neues Kürzungspaket sozial ungerecht ist. Damit gehen Sie aber auf Dummenfang. Wie sind die Zahlen? Sie sagen z. B. in der „Süddeutschen Zeitung":
Die 25 % der sogenannten Besserverdienenden unter den Steuerzahlern finanzieren über 50 % dessen, was geleistet werden muß.
Sie verschweigen allerdings dabei, daß diese oberen 25 % auch mehr als 50 % aller Einkommen beziehen. Diese vollständigen Zahlen bestätigen die Gerechtigkeitslücke und widerlegen Sie, Herr Waigel.
({21})
Außerdem, Herr Waigel, unterschlagen Sie, daß Ihre Steuer- und Abgabenerhöhungen bei der Mineralölsteuer, der Heizölsteuer, der Erdgassteuer, der Tabaksteuer, der Telefonsteuer, der Versicherungssteuer, der Mehrwertsteuer, den Arbeitslosenversicherungsbeiträgen und nächstes Jahr bei den Rentenversicherungsbeiträgen die niedrigen Einkommen relativ viel stärker treffen als die hohen - übrigens alles Steuer- und Abgabenerhöhungen, von denen Sie vor der Wahl behauptet haben, sie würden nie und nimmer stattfinden, meine Damen und Herren.
({22})
Wie Sie Ihre Zahlen auch drehen und wenden, Herr Waigel, der ganz normale, gesunde Menschenverstand sagt einem doch: Ein Kürzungspaket, zu dem jemand wie der Bundeskanzler, der Finanzminister oder auch ich selbst mit meinem Einkommen nicht eine einzige Mark beisteuern muß, das aber Arbeitslose, Familien mit Kindern und Sozialhilfeempfänger
zur Kasse bittet, kann doch nicht sozial gerecht sein.
({23})
Völlig unverständlich ist auch, daß diese Regierung angesichts einer Arbeitslosigkeit von Millionen Menschen so tut, als sei hier ein Heer von Faulpelzen, das man durch Leistungskürzungen zur Arbeit treiben müsse. 5 Millionen Arbeitssuchende bei nur 290 000 gemeldeten offenen Stellen - an diesen beiden Zahlen zeigt sich doch in aller Deutlichkeit, wie abwegig Ihre Unterstellung ist. Alle diejenigen, die - oft verzweifelt - Arbeit suchen und keine finden können, durch Kürzung des Arbeitslosengeldes zu bestrafen, für das sie ja schließlich Beiträge gezahlt haben, ist wirklich blanker Zynismus, meine Damen und Herren!
({24})
Mißbrauch muß selbstverständlich verhindert werden, auch im sozialen Bereich. Darauf haben die ehrlichen Steuer- und Abgabenzahler ein Recht.
({25})
Aber sie haben ebenso ein Recht darauf, meine Damen und Herren, daß diese Bundesregierung endlich entschlossen gegen Steuerhinterzieher und Subventionsbetrüger vorgeht, zumal die Summen, um die es da geht, eine Vielfaches der Summen beim sozialen Mißbrauch ausmachen.
({26})
Nicht zu übersehen ist auch, daß dieses Kürzungspaket überwiegend zu Lasten der Frauen geht; denn sie sind es, die ganz besonders von Arbeitslosigkeit betroffen und am stärksten auf Sozialhilfe angewiesen sind, vor allem in Ostdeutschland. Dort stellen Frauen fast zwei Drittel der Arbeitslosen und rund 60 % der Sozialhilfeempfänger. Nein, meine Damen und Herren, nach der Klage der CDU/CSU in Karlsruhe gegen die Fristenregelung beim § 218 und gegen die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen jetzt auch das noch! Ich sage Ihnen: So lassen die Frauen nicht länger mit sich umspringen!
({27})
Ihr Kürzungspaket ist nicht nur sozial ungerecht, es ist auch ökonomisch unvernünftig. Die Arbeitslosenunterstützung muß doch in den meisten Fällen vollständig für den Lebensunterhalt ausgegeben werden. Das Arbeitslosengeld im Westen beträgt im Durchschnitt 1 362 DM im Monat; Sie kürzen es um 80 DM. Im Osten liegt es bei 884 DM; Sie kürzen es um 52 DM. Wenn ein Arbeitsloser beim Kaufmann um die Ecke für 50 oder 80 DM weniger einkaufen kann, dann fehlt das an konjunkturwirksamer Nachfrage. Das summiert sich zu Milliarden. „Gift für die Konjunktur" hat der Einzelhandelsverband Ihr Paket genannt. Die Einzelhändler haben recht! Ihr Kürzungspaket ist auch wirtschaftspolitisch ein Rohrkrepierer!
({28})
Das gleiche gilt für die Sozialhilfe. Bei einer Inflationsrate von über 4 % und einem durchschnittlichen Regelsatz von 515 DM im Monat bedeuten die Kürzungsmaßnahmen bei der Sozialhilfe einen Realeinkommensverlust von 12 DM in diesem Jahr und noch einmal 22 DM im nächsten Jahr. Da möchte ich die Kollegen von der Union an ein Schreiben des Kollegen Geißler vom Januar dieses Jahres erinnern, in dem er sagte:
Einer alten Frau, die zusätzlich zu ihrer kleinen Rente noch einen Sozialhilfeanspruch hat, 15 oder 20 DM wegzunehmen, das wäre eine Schande.
Meine Damen und Herren, Herr Geißler hat recht. Und deswegen fordern wir Sozialdemokraten ausdrücklich zusammen mit Herrn Scharping die unionsgeführten Länder auf, Ihrem unsozialen Kürzungspaket eben nicht zuzustimmen.
({29})
Ist Ihnen überhaupt bewußt, daß auch rund 800 000 Kinder von der Sozialhilfe leben müssen, in Großstädten bereits jedes elfte Kind? Kennen Sie denn nicht die Fälle, daß Kinder nicht an der Klassenfahrt teilnehmen können, weil dafür die Sozialhilfe nicht reicht? Wir wissen doch alle von dem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Armut der Eltern und späterer Armut und Arbeitslosigkeit der Kinder. Diesen Kindern den Start ins Leben nun noch schwerer zu machen, das ist doch wirklich eine erbärmliche Politik.
({30})
Sie begründen die Kürzungen der Sozialhilfe mit dem sogenannten Abstandsgebot zwischen Arbeitseinkommen und Sozialhilfe. Aber der Grund dafür ist doch nicht, daß die Sozialhilfe verschwenderisch üppig ist. Der Grund liegt zum einen darin, daß in diesem Land teilweise noch beschämend niedrige Löhne und Gehälter gezahlt werden, zum anderen aber darin, daß die Bundesregierung durch den nach wie vor zu niedrigen Grundfreibetrag bei der Steuer von nicht einmal 1 000 DM im Monat den Menschen auch noch das Existenzminimum wegsteuert. Dreimal hat das Bundesverfassungsgericht Ihnen mittlerweile bescheinigt, daß Sie die Bürger und dabei vor allem die Familien mit Kindern verfassungswidrig zu hoch besteuern. Ich sage Ihnen: Eine Bundesregierung, die Arbeitseinkommen so sehr mit Steuern und Abgaben belastet, daß diese bis nahe an die Sozialhilfe heranrutschen, hat wirklich kein Recht, den geringen Abstand zwischen Sozialhilfe und niedrigen Löhnen zu beklagen. Das ist doch pure Heuchelei!
({31})
Warum fordern wir denn immer die ökologische Steuerreform, mit der die Arbeitseinkommen steuerlich entlastet würden und der Energieverbrauch höher belastet würde?
({32})
Wären Sie unseren Vorschlägen gefolgt, dann wären die Nettolöhne höher
({33})
und gäbe es dieses Problem des fehlenden Abstands zur Sozialhilfe nicht.
Statt dessen haben Sie uns jahrelang beschimpft, gleichzeitig aber die Mineralölsteuer um sage und schreibe 55 Pfennig je Liter erhöht, ohne damit die Lohn- und Einkommensteuer zu senken, wie wir es vorhatten. Das ist doch keine sinnvolle Reformpolitik; das ist Abkassieren zum Stopfen von Haushaltslöchern!
({34})
Jetzt haben nicht nur die Umweltverbände, sondern auch der Bundesverband Junger Unternehmer eine ökologische Steuerreform gefordert. Ich finde das gut. Und wenn Sie heute hundertmal nein sagen - die ökologische Steuerreform wird kommen; denn sie ist notwendig.
Der häufig geringe Abstand zwischen Sozialhilfe und niedrigen Arbeitseinkommen ist vor allem ein Problem von Familien mit Kindern, in denen oft das Arbeitseinkommen nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren. Es ist schlimm genug, daß bei uns viele Familien dadurch in Armut geraten, daß sie Kinder bekommen. Aber geradezu aberwitzig ist es doch, deshalb dann auch noch den anderen Familien mit Kindern die Sozialhilfe zu kürzen. Daß bei uns Familien mit jedem Kind ärmer werden, ist doch nicht zuletzt das Ergebnis des kinderfeindlichen Familienlastenausgleichs, den diese Bundesregierung zu verantworten hat.
({35})
Wer kann denn eigentlich verstehen, daß über den steuerlichen Kinderfreibetrag hinaus Eltern mit niedrigen Einkommen für ihr Kind nur eine Entlastung von 65 DM im Monat erhalten, Eltern mit Spitzeneinkommen dagegen eine Entlastung von 181 DM im Monat, also fast dreimal soviel? Spitzenverdiener erhalten also für ihr Kind im Monat 116 DM mehr Entlastung als Niedrigverdiener. Dieser Unterschied soll nach den Plänen von Herrn Waigel, die er hier soeben vorgetragen hat, sogar auf mehr als 200 DM steigen.
({36})
200 DM mehr im Monat als Niedrigverdiener würde der Spitzenverdiener für sein Kind als Entlastung erhalten. So treiben Sie doch die Ungerechtigkeit wirklich auf die Spitze.
({37})
Sie weisen darauf hin, daß Sie bei Höherverdienenden jetzt das Kindergeld kürzen wollen. Das ist doch ein Ablenkungsmanöver. Denn an die eigentliche soziale Ungerechtigkeit, nämlich die ungerechten Kinderfreibeträge, gehen Sie nicht heran, weil Sie hoffen, daß die Menschen die Ungerechtigkeit hinter dem komplizierten Steuerwirrwarr nicht erkennen. Ihre Kürzungen setzen statt dessen bei den kinderreichen Familien an, während kinderlose Familien mit Bleichhohen Einkommen ungeschoren bleiben.
({38})
Jetzt wollen Sie den kinderreichen Familien auch noch die Ermäßigung bei der Bundesbahn streichen, den sogenannten Wuermeling-Paß. Der Bundeskanzler rudert ja schon gerade zurück. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wo sind eigentlich Ihre Familien- und Ihre Jugendministerinnen? Die müßten sich doch schon längst schützend vor die Familien mit Kindern gestellt haben.
({39})
Unser Vorschlag lautet - ich wiederhole ihn -: 250 DM Kindergeld im Monat vom ersten Kind an für jedes Kind. Das ist ohne zusätzliche finanzielle Belastung für die Haushalte zu finanzieren, wenn der ungerechte steuerliche Kinderfreibetrag ersetzt und außerdem das Ehegattensplittung für hohe Einkommen begrenzt wird.
Da das Ihnen so weh tut, wiederhole ich es. Sie wissen doch, daß ein Spitzenverdienerehepaar, auch wenn es keine Kinder hat, einen Splittingvorteil von bis zu 22 842 DM im Jahr hat, daß aber eine Niedrigverdienerfamilie mit einem Kind 14 Jahre braucht, um über Kinderfreibetrag und Kindergeld diese 22 842 DM zu erhalten, die das Spitzenverdienerehepaar ohne Kinder Jahr für Jahr für Jahr erhält. Das können wir doch wirklich nicht rechtfertigen. Ändern Sie das doch mit uns!
({40})
Auch beim Wohnungsbau sind Reformen möglich, die nicht an knappen Kassen scheitern müssen, z. B. die steuerliche Förderung des Eigenheimbaus, bei der Bezieher höherer Einkommen, die doch eigentlich auf die Förderung gar nicht angewiesen sind, weil sie ohnehin bauen würden,
({41})
ungefähr doppelt so viel an Förderung erhalten als Otto Normalverbraucher, der die Förderung doch ganz besonders braucht. Das ist wohnungspolitisch der blanke Unsinn.
Werfen Sie endlich Ihre ideologischen Blockaden über Bord und greifen Sie unseren Vorschlag eines einheitlichen Förderbetrags für alle Häuslebauer auf! Die kleinen und mittleren würden dann mehr bekommen, und die großen würden weniger erhalten. Das alles läßt sich ohne zusätzliches Geld aufkommensneutral finanzieren. Das ist nicht nur gerechter, sondern es würden zusätzlich Zehntausende von Wohnungen gebaut, die dieses Land ja wohl dringend braucht.
({42})
An Umschichten und Sparen kommt keiner vorbei. Wenn der Finanzminister aber jetzt bei seinem Kürzungspaket sagt, man müsse beim größten Ausgabenblock ansetzen, und das sei nun einmal der Sozialetat
mit insgesamt 1 Billion DM, dann macht er es sich wirklich zu einfach. Das meiste davon ist doch durch eigene Beiträge finanziert. Da ist die gesamte Krankenversicherung drin. Und der größte Posten sind die Renten.
Wenn Sie den Eindruck erwecken, als wäre da ein frei verfügbares Sozialvolumen von 1 Billion DM, dann fragt man sich: Haben Sie es vielleicht doch auf die Renten abgesehen? Sie leugnen das zwar jetzt. Aber wer so viele Steuerlügen hinter sich hat, der bricht auch andere Versprechen.
({43})
Wie wäre es, wenn Sie beim Sparen endlich vernünftig vorgingen? Greifen Sie doch unsere Vorschläge auf!
Herr Waigel, Sie haben Herrn Wieczorek schlicht und einfach falsch zitiert.
({44})
Herr Wiezorek hat gesagt, 20 bis 30 Milliarden DM könnte man auf der Ausgabenseite des Haushalts nicht sparen. Das ist selbstverständlich. Deswegen haben wir Ihnen ein Paket mit einer Mischung von Ausgabenkürzung, Abbau von Steuersubventionen und Bekämpfung der Steuerhinterziehung vorgelegt.
Sie sagen, Sie hätten kein Geld. Aber Sie geben doch Geld für alles mögliche aus, was nicht sein muß. Sie haben Geld für 55 Staatssekretäre. Sie haben Geld in Höhe von 500 Millionen DM für Öffentlichkeitsarbeit und neue Hochglanzbroschüren. Sie haben Geld für die Raumfahrt: 122 Millionen DM mehr, als der Forschungsminister selbst beantragt hat. Sie haben Geld für Tierversuche. Sie haben Geld für den Kauf neuer Munition in Höhe von 1,3 Milliarden DM allein im nächsten Jahr. Sie haben Geld für den Bau neuer Kampfhubschrauber, obwohl die von der NVA übernommenen völlig ausreichen. Sie haben Milliarden für Steuersubventionen, für die Absetzbarkeit von Bewirtungsspesen, von Luxus-Pkw und, sage und schreibe, von Schmiergeldern. Sie haben Geld für milliardenschwere neue Vermögensteuersubventionen. Und Sie haben Geld in Höhe von mehreren Millionen Mark für die steuerliche Absetzbarkeit von Hausgehilfinnen für wohlhabende Familien mit zwei Kindern unter zehn Jahren, obwohl Otto Normalverbraucher nicht einmal seine mittlerweile hohen Kindergartenbeiträge von der Steuer absetzen kann.
({45})
Und dann haben Sie auch noch so viel Geld, daß Sie den Solidaritätszuschlag für höhere Einkommen haben auslaufen lassen. Allein dadurch fehlen 30 bis 40 Milliarden DM. Milliarden für den Jäger 90, den Sie doch bestellen wollen, wollen Sie auch noch geben.
Für all das haben Sie Geld. Wie können Sie es dann wagen, zu sagen, das Geld sei so knapp, daß Sie
Arbeitslosen, Familien mit Kindern und Sozialhilfeempfängern in die Tasche greifen müssen?
({46})
Außerdem: Was der Finanzminister Sparen nennt, ist zum erheblichen Teil wieder nur ein Verschiebebahnhof.
({47})
Sie sparen nicht nur zu Lasten der Schwachen, sondern auch auf Kosten der Kommunen. Sie schieben doch durch die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe mindestens 4 Milliarden DM Belastungen einfach aus dem Bundeshaushalt auf die Städte und Gemeinden. Erst recht wird nicht gespart, wenn der Finanzminister das Schlechtwettergeld streicht
({48})
und dann das Doppelte davon als Arbeitslosengeld an arbeitslose Bauarbeiter zahlen muß.
({49})
Wer so handelt, bekommt die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel und erweist dem Wirtschaftsstandort Deutschland einen Bärendienst.
Nach dem neuesten Standortbericht der Bundesregierung muß der Wirtschaftsstandort Deutschland ja in einem schlimmen Zustand sein. Da muß ich doch einmal fragen: Wer hat denn dieses Land seit elf Jahren regiert und wirtschafts- und finanzpolitisch in diese schwere Krise geführt? Das ist doch Ihr Offenbarungseid.
({50})
Leider hat die Bundesregierung in ihrem Standortbericht wieder eine Chance vertan. Was Sie hier vorlegen, ist eher ein Warenhauskatalog, bei dem die Arbeitgeber alles bestellen können und die Arbeitnehmer alles bezahlen müssen. Können Sie uns z. B. erklären, wie Sie die dort angekündigten milliardenschweren Steuersenkungen zugunsten von Unternehmen angesichts einer Staatsschuld von 1,8 Billionen DM finanzieren wollen, ganz abgesehen von der sozialen Schlagseite?
Man wird das Gefühl nicht los, daß die Bundesregierung die Rezession als Vorwand benutzt, um Umverteilung von unten nach oben zu betreiben und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden.
({51})
Wie kann man denn sonst auf die Schnapsidee kommen, bei der Pflegeversicherung die Kranken durch Karenztage für die pflegebedürftigen alten Menschen zahlen zu lassen? Wir Sozialdemokraten wollen eine Pflegeversicherung. Wir werden darüber mit Ihnen aber erst dann verhandeln, wenn Ihr unsozialer Vorschlag der Einführung von Karenztagen vom Tisch ist.
({52})
Weil Sie beim Stichwort Standort so gern auf Japan verweisen: Nachdem in Deutschland viele Manager14700
Behälter im Vorjahr zum Teil kräftig angehoben worden sind, schreibt „Die Zeit":
Kein japanisches Unternehmen würde auch nur erwägen, die Vorstandsgehälter ({53}) um zweistellige Prozentsätze zu erhöhen, wenn das Unternehmen gleichzeitig Mitarbeiter entlassen muß.
({54})
Wie lange müssen wir eigentlich noch warten, bis diese Bundesregierung nicht immer nur einseitig die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zum Maßhalten auffordert, sondern endlich auch einmal die deutschen Manager?
({55})
Wir brauchen endlich eine Bundesregierung, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, den Aufbau im Osten und die Zukunftssicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt:
Erstens. Die GATT-Verhandlungen zur Sicherung eines freien Welthandels müssen erfolgreich abgeschlossen werden. Ich warne die Bundesregierung aber davor, den Franzosen jetzt neue Gelder zu versprechen, um damit deren Zustimmung zum GATT-Abschluß zu erkaufen. Das können wir uns bei aller Freundschaft mit Frankreich nicht leisten.
({56})
Zweitens. Wir brauchen für unsere exportorientierte Wirtschaft wieder ein stabiles europäisches Währungssytem, wie es von Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing geschaffen worden ist. Hören Sie endlich auf, mit Ihrer Schuldenpolitik der Störenfried in Europa zu sein, und machen Sie das EWS rasch wieder funktionsfähig!
({57})
Drittens. Wir brauchen ein Zukunftsinvestitionsprogramm für den Aufbau der Infrastruktur in Ostdeutschland, und zwar schon ab 1994, versehen mit einer kommunalen Investitionspauschale, die sich in der Vergangenheit, wie wir wissen, bewährt hat.
Wir brauchen, viertens, endlich das längst überfällige Entschädigungsgesetz. Die unselige Eigentumsregelung ist schon das Investitionshindernis Nummer eins in Ostdeutschland. Es darf nicht sein, daß durch die Unfähigkeit der Bundesregierung, sich auf eine Entschädigungsregelung zu einigen, auf die falsche Eigentumsregelung ein zusätzliches Investitionshindernis draufgepackt wird.
Fünftens. Wir brauchen endlich den klaren Sanierungsauftrag für die Treuhandanstalt.
({58})
Die im Solidarpakt vereinbarten 10,5 Milliarden DM ab 1995 zum Erhalt der industriellen Kerne in Ostdeutschland müssen wirklich bereitgestellt werden. In Ihrer Finanzplanung fehlen dazu aber bisher noch 3 Milliarden DM, Herr Waigel. Wenn es um Aufträge für die bayerische Rüstungs- und Raumfahrtindustrie
geht, legen Sie immer noch Geld drauf. Die Menschen im Osten kommen sich da zu Recht verlassen und verschaukelt vor.
({59})
Wir Sozialdemokraten haben gestern beschlossen, die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses „Treuhandanstalt" zu beantragen.
({60})
Dieser Untersuchungsausschuß soll prüfen, ob und inwieweit durch Fehler der Bundesregierung oder der Treuhandanstalt Arbeitsplätze in Ostdeutschland vernichtet worden sind, obwohl sie hätten gerettet werden können. Meine Damen und Herren, was haben Sie eigentlich dagegen? Wenn Sie so sicher sind, daß nichts war, dann müßten Sie mit uns zusammen für diesen Untersuchungsausschuß sein.
({61})
Außerdem: Kümmern Sie sich weiter um den Waggonbau in Ammendorf! Wie Sie das notwendige Finanzierungsinstrument nennen, ist mir egal. Aber daß wir für die nach Aussage der Treuhandanstalt modernste Waggonfabrik Europas Zeit kaufen müssen, bis sie auf eigenen Beinen stehen kann, muß doch selbstverständlich sein.
({62})
Überhaupt scheint es der Bundesregierung ganz recht zu sein, wenn die Treuhand Blitzableiter für die Fehler der Bundesregierung ist.
({63})
Nehmen Sie doch nur Bischofferode: Wenn es Herr Waigel als Fach- und Rechtsaufsicht der Treuhand nur gewollt hätte, könnte doch der Kali-Fusionsvertrag mit seiner umstrittenen Konkurrenzausschlußklausel längst dem Treuhandausschuß offengelegt worden sein. Wer das nicht tut, der sät Mißtrauen. Wir Sozialdemokraten haben deshalb eine Sondersitzung des Treuhandausschusses beantragt. Wir werden da nicht lockerlassen.
({64})
Sechstens. Wir müssen in Bildung und Ausbildung mehr investieren. Einer unserer wichtigsten Standortfaktoren ist die Qualifikation und Motivation unserer Menschen. Dazu gehört, daß alle Jugendlichen in Ostdeutschland einen Ausbildungsplatz erhalten. Herr Bundeskanzler, Sie stehen da im Wort. Wir werden nicht lockerlassen. Es darf nicht sein, daß die erste Erfahrung von Jugendlichen mit der Arbeitswelt die Arbeitslosigkeit ist.
({65})
Notwendig ist auch, daß junge Menschen wieder verstärkt in Handwerksberufen eine Chance sehen. Damit läßt sich aber nicht vereinbaren, daß diese Bundesregierung die Aufstiegsfortbildung im Handwerk streicht.
({66})
Siebtens. Wir brauchen mehr Investitionen in Zukunftstechnologien und eine grundlegende Modernisierung unserer Wirtschaft.
({67})
Wir müssen deutlich mehr für Forschung und Technologie tun, z. B. für neue Umwelttechniken, für Energieeinsparung und erneuerbare Energien, für Informations- und Kommunikationstechnologien und für neue Werkstoffe.
({68})
Es ist deshalb ein Fehler, daß die Bundesregierung den Forschungshaushalt kürzt.
Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie wenigstens auf den Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg, der Ihre Politik wörtlich als forschungspolitische Bankrotterklärung bezeichnet hat. Wo Herr Teufel recht hat, da hat er recht.
({69})
Achtens. Die Debatte über die Länge der Arbeitszeit muß endlich vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Angesichts von fünf Millionen Arbeitsuchenden ist es doch völlig abwegig, eine allgemeine Verlängerung der Wochenarbeitszeit zu fordern. Die Arbeitslosigkeit würde doch nur noch steigen.
Was wir statt dessen brauchen, sind längere Maschinenlaufzeiten, damit sich kapitalintensive Investitionen besser rentieren. Ich frage mich allerdings, warum die Unternehmen die kurzen Maschinenlaufzeiten beklagen, wenn sie gleichzeitig die vorhandenen tarifvertraglichen Flexibilisierungsmöglichkeiten nicht ausreichend nutzen.
({70})
Neuntens. Wir müssen es endlich fertigbringen, daß Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die an einer Stelle überflüssig geworden sind, nach Umschulung und entsprechender Qualifizierung an anderer Stelle weiterbeschäftigt werden.
Es fehlen Zehntausende von Menschen bei der Polizei, bei der Finanzverwaltung, bei den sozialen Diensten und bei der Jugendarbeit. Da ist es doch absurd, in immer neuen Wellen öffentlich Bedienstete auf Kosten der Steuerzahler, vielleicht noch mit einem „goldenen Handschlag", wie Sie es bei der Bundeswehr gemacht haben, in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken.
({71})
- Wir können gerne darüber sprechen. Stellen Sie eine Zwischenfrage!
Zehntens. Wir müssen Arbeitslosigkeit und dürfen nicht die Arbeitslosen bekämpfen. Dazu brauchen wir für längere Zeit einen zweiten Arbeitsmarkt.
({72})
Kürzen Sie daher nicht ständig bei den Maßnahmen für Arbeitsbeschaffung, Qualifizierung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen.
({73})
Es ist doch ein Treppenwitz unserer Industriegesellschaft, daß Millionen Menschen arbeitslos sind und gleichzeitig Arbeit in Fülle unerledigt bleibt.
Dabei wird oft vergessen: Sinnvolle Arbeit kostet kaum mehr als Arbeitslosigkeit. Nimmt man hinzu, daß vor allem Langzeitarbeitslosigkeit ein schweres persönliches Schicksal ist und daß Massenarbeitslosigkeit nicht zuletzt ein gefährlicher Nährboden für Rechtsradikalismus, wachsende Gewaltbereitschaft und Ausländerfeindlichkeit ist, dann wird klar: Das Finanzieren von Massenarbeitslosigkeit statt sinnvoller Arbeit ist doch die gefährlichste und unsinnigste volkswirtschaftliche Verschwendung, die man sich überhaupt vorstellen kann.
({74})
Elftens. Wir brauchen wieder Wachstumsraten in der Wirtschaft statt Wachstumsraten bei der Kriminalität.
({75})
Wir müssen endlich die öffentliche Sicherheit in Deutschland wiederherstellen, die während Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler, verlorengegangen ist. Der Bundesinnenminister selbst hat doch erst neulich vor einer Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland durch Kriminalität und Extremismus gewarnt.
Wir müssen dafür sorgen, daß die organisierte Kriminalität unser Gemeinwesen nicht korrumpiert. Im Moment ist die Bundesrepublik Deutschland der Hauptanziehungspunkt für internationales Drogengeld, weil die Bundesregierung die längst überfällige Umsetzung der EG-Richtlinie gegen Geldwäsche verschleppt. Es muß Schluß damit sein, daß dieser Bundesregierung die Geschäftsinteressen von Banken und Anwälten wichtiger sind als der Schutz unserer Kinder vor der Drogenmafia.
({76})
Zwölftens. Wir müssen den sozialen Frieden in unserem Lande bewahren. Er war stets ein entscheidender Standortvorteil Deutschlands. Die einseitige Belastung der kleinen Leute bei der Finanzierung der deutschen Einheit, die Kürzung bei der Arbeitslosenunterstützung, die Verarmung von Familien mit Kindern, Ihr ständiges Fummeln an Karenztagen und beitragsbezogener Rente, das alles verhärtet das soziale Klima nicht nur in der Politik, sondern bis in die Gesellschaft und in die Betriebe hinein.
Herr Bundeskanzler, Sie sollten doch der Bundeskanzler aller Bürger und nicht einzelner Interessengruppen sein!
In der Politik der Bundesregierung muß endlich sichtbar werden, was der Ausdruck der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 war: Wir sind ein Volk! Bei uns wird nicht der eine gegen den anderen ausgespielt, sondern wir alle zusammen versuchen, solidarisch gemeinsam die Krise zu überwinden.
({77})
Dann werden wir auch die Politikverdrossenheit überwinden.
({78})
Gewiß kann die Politik nicht alles. Aber sie kann mehr, als diese Bundesregierung bringt.
Deswegen brauchen wir einen Neuanfang.
({79})
Als nächster spricht der Kollege Adolf Roth.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; ich jedenfalls hatte den Eindruck, der Bundesfinanzminister hätte eine fundiertere und bessere Antwort auf seine bemerkenswerte Einbringungsrede verdient
({0})
als das, was die Kollegin Matthäus-Maier hier abgeliefert hat.
({1})
Sie haben zwölf Punkte in einem gemischten Katalog mit Ihrer bekannten Verve agitatorisch hier vorgebracht. Worauf wir alle gewartet hatten - denn wir haben heute früh die Zeitung gelesen -, das waren die 17 Thesen der SPD für die Konjunktur, das neue Wirtschaftskonzept der SPD, der Abschied vom Kurs der siebziger Jahre. Darauf sind Sie uns jede Antwort schuldig geblieben. Wir haben nur Wiederholungen gehört.
({2})
Wir würden Ihnen ja abnehmen, Frau Kollegin Matthäus-Maier, daß Sie vieles politisch geändert wissen wollen. Sie müßten uns bloß sagen, wie Sie das machen wollen, mit welcher Zielrichtung, mit welchem Gesamtkonzept, und mit welchem Geld das Ganze bezahlt werden soll.
Ich bin sehr gespannt darauf, was die Haushaltfachpolitiker Ihrer Fraktion hier im Plenum an Anregungen in dieser Generalaussprache vorzutragen haben. Sie haben ja kaum zum Bundeshaushalt geredet.
({3})
Ich bin sehr gespannt, ob sich die Fachpolitiker ihrer Fraktionen - und Kollege Wieczorek wurde ja aus höchstem Munde hier lobend hervorgehoben - in dieser vorgegebenen politischen Linie überhaupt, und sei es nur in Rudimenten, wiederfinden können. Das wäre doch zumindest der Ansatzpunkt für eine konstruktive Aussprache gewesen.
Dies war mit Blick auf die Rede von Theo Waigel der klassische Fall einer politischen Unterforderung. Er hat Ihnen die Antwort gegeben, bevor Sie überhaupt geredet hatten. Ich denke, damit ist auch aus unserer Sicht
({4})
wiederum die Linie politisch eindeutig begradigt.
Die Zeiten haben sich geändert. Sie werden bei aller Schwierigkeit der Probleme den Bundesfinanzminister mit dem, was Sie hier vorzubringen haben, nicht aus der Fassung bringen und ihn erst recht nicht politisch aus dem Amt treiben. Sie sind vielleicht darüber frustriert, daß Sie nicht hier oben auf der Regierungsbank sitzen dürfen, aber ich bin nicht ganz sicher, ob Sie überhaupt von Ihrer eigenen Partei dazu eine Chance bekommen werden.
({5})
Die Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik in Deutschland befindet sich derzeit in ihrer kritischsten Phase seit langem. Eine Gemengelage von Rezession, vereinigungsbedingtem Finanzbedarf und strukturellen Belastungen und Herausforderungen des Standorts Deutschland zwingt uns alle - und das ist eine parlamentarische Gesamtverantwortung - zur durchgreifenden Entscheidung bis November.
({6})
Der Bundeshaushalt 1994 ist dabei der Kern eines weitreichenden, in sich schlüssigen, aufeinander abgestimmten Gesetzgebungspakets, das die klare Handschrift des Bundesfinanzministers Theo Waigel trägt, aber auch den klaren politischen Willen zeigt, gemeinsam in den Koalitionsfraktionen und den beteiligten Gruppen den Weg zu einer konjunkturpolitischen Wende, zu einer Politik für mehr Aufschwung und mehr Wachstum in Deutschland einzuschlagen. Dies ist ein Haushaltswerk der stabilitätspolitischen Verantwortung und ein Spar- und Konsolidierungsprogramm für Wachstum und Arbeitsplätze.
Der eingeschlagene Weg ist sicher nicht bequem, aber es gibt zu ihm keine vernünftige Alternative. Deshalb unterstützen wir ihn.
Mit seinem eng begrenzten Ausgabenanstieg auf 478 Milliarden DM und der ehrgeizigen Eindämmung der strukturellen Haushaltsdefizite um über 21 Milliarden DM stärkt der Bundeshaushalt 1994 den durch
Adolf Roth ({7})
alle fundierten Prognosen gestützten realen Wachstumsspielraum von 1 bis 2 % im nächsten Jahr. Dies ist das eigentliche Kernanliegen unserer Politik. Wir wollen durch Konsolidierung und über strikte Ausgabenbegrenzung Vertrauen festigen und neue Leistung mobilisieren. Das beste Konjunkturprogramm - das sollte eigentlich auch die SPD mittlerweile begriffen haben ({8})
ist politische Verläßlichkeit, ist marktwirtschaftliche Zuverlässigkeit und ist Zielklarheit in der Politik. Dem dient dieses Gesamtpaket, das heute hier zur Diskussion steht.
({9})
Die Reduzierung von Staatsdefiziten behindert nicht wirtschaftliches Wachstum, sondern im Gegenteil: Diese Reduzierung von Defiziten fördert den wirtschaftlichen Aufschwung.
({10})
Wir haben dies auch in den 80er Jahren nachhaltig empirisch unter Beweis gestellt.
({11})
Die Konsolidierungspolitik verstärkt nicht die Nachfrageschwäche der Wirtschaft, sondern sie führt ganz im Gegenteil zu positiven Vertrauenseffekten. Die Deutsche Bundesbank argumentiert wiederholt in diesem Jahr genau in diese Richtung, und ich denke, sie liegt mit dieser Einschätzung in der Sache auch richtig. Nachfrageschwäche ist vor allem eine Folge von Unsicherheit. Der Aufschwung beginnt im Kopf der wirtschaftlichen Akteure, und er hat sehr viel mit stabilen wirtschaftlichen Erwartungen zu tun. Diese Erwartungen zu stärken ist Ziel einer soliden Haushaltspolitik.
({12})
- Ja, genau in diese Richtung. Ich bedanke mich für die freundliche Bestätigung.
({13})
Die jüngst ausgesprochene Mahnung der Deutschen Bundesbank, nun auch in den Beratungswochen im Deutschen Bundestag den Einsparschwerpunkt auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts nicht aufzuweichen, muß ernstgenommen werden. Es hat ja im Frühjahr einige Kritik daran gegeben, daß wir 10 Milliarden DM eingespart haben, aber mit Blick auf 1995 und die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs auch gezwungen waren, Einnahmeverbesserungen in Form von Steuererhöhungen zu beschließen. Dies war kein Konjunkturimpuls im klassischen Sinne. Um so wichtiger ist es, daß jetzt durch dieses Spar- und Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm eine wichtige und notwendige Ergänzung erfolgt. Es gibt keinen anderen Weg. Höhere Steuern und eine noch stärkere Verschuldung würden uns in die Sackgasse führen.
Die Entwicklung an den internationalen Devisenmärkten unterstreicht im übrigen das grundlegende Vertrauen in die Deutsche Mark und die deutsche Finanzpolitik. Die Anleger trauen Deutschland einen konjunkturellen Aufschwung bei sinkenden Preissteigerungsraten zu. Dieses Vertrauen ist auch wichtig für eine weitere Absenkung der nationalen Zinsen, und demzufolge brauchen wir die aufeinander abgestimmte Geld- und Finanzpolitik, denn sie eröffnet der Bundesbank die Zinssenkungsspielräume, die sie seit Juli auch mit Erfolg nutzt.
An die Haushaltspolitiker des Parlaments richten sich in dieser Situation naturgemäß große Erwartungen. Die wichtigste ist, ob es uns gelingt, den Ausgabenanstieg von 1994 bis 1997 auf durchschnittlich 3 zu begrenzen, weil wir nur so unser ehrgeiziges Ziel erreichen können, das Finanzierungsdefizit des Bundeshaushalts wieder auf die angestrebte Zielmarke unter 40 Milliarden DM - das ist dann, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, 1 % - herunterzudrücken.
Meine Damen und Herren, es ist der politische Wille von CDU/CSU und F.D.P., diese Politik zum Erfolg zu bringen, und deshalb unterstützen wir das Spar- und Wachstumsprogramm. Wir werden es über die parlamentarischen Hürden bringen. Qualitative Verbesserungen im Einzelfall sind möglich. Sie unterliegen der parlamentarischen Beratung und Beschlußfassung. Es darf aber nicht zu irgendeiner quantitativen Einschränkung dieses Pakets kommen.
({14})
Wir werden darüber hinaus im Haushaltsverfahren sämtliche Ansätze überprüfen und jeden sich bietenden Spielraum für zusätzliche Einsparungen bei den Ressorts selbstverständlich nutzen, wie dies unser Auftrag als Parlament ist. Das mag im Einzelfall weh tun; wir wissen das. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten aber mit Recht, daß in Zeiten der um sich greifenden Finanzknappheit der Staatsverbrauch im engeren Sinne besonders scharf unter die Lupe genommen wird.
Daß dies kein leeres Wort ist, beweist schon der Regierungsentwurf; denn das Kapitel Verwaltungsausgaben weist für 1994 keinerlei Steigerungsraten auf. Ganz im Gegenteil: Sein Anteil am Gesamthaushalt sinkt sogar deutlich auf 5,9 %. Dies ist vor allem die logische Konsequenz einer strikten Politik begrenzter Personalausgabensteigerungen. Hierzu gehört die angekündigte Besoldungs-Nullrunde für den öffentlichen Dienst und natürlich auch die wiederum 1 %ige Absenkung des Personalbestandes des Bundes, so wie wir uns im Solidarpakt gegenüber den anderen Gebietskörperschaften politisch festgelegt haben. Wir werden in den drei Jahren 1994, 1995 und 1996 über 11 000 Stellen im Bundeshaushalt einsparen. Wir fordern die Länder und die Gemeinden dazu auf, eine gleichwertige Einsparung durch angemessene personalwirtschaftliche Maßnahmen herbeizuführen, wie das vom Bund vorexerziert wird.
({15})
Adolf Roth ({16})
Dazu haben sich Länder und Gemeinden auch verpflichtet.
({17})
Diese Zusage muß natürlich in Besonderheit auch in den neuen Bundesländern eingehalten werden. Denn es kann nicht hingenommen werden, daß die Personaldichte der neuen Bundesländer im Vergleich zu den westlichen Bundesländern heute weit überproportional ist. Wir müssen dort zu einer deutlichen Reduzierung kommen. Andernfalls können die Anpassungsgeschwindigkeiten in der Einkommens- und Besoldungspolitik in den neuen Bundesländern und ihren Gemeinden so nicht eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, die Rotstiftpolitik des Bundes bringt 1993 über globale Sperren und Kürzungen neben den anderen beschlossenen Sparmaßnahmen eine Zusatzeinsparung von 1,8 Milliarden DM. Wir wollen in den Ausschußberatungen die Möglichkeiten ausschöpfen, auch für 1994 ein entsprechendes Sparresultat zu erzielen, und zwar durch gezielte Einzelkürzungen, weil diese allemal sinnvoller sind als globale Sparmaßnahmen über Haushaltssperren. Sämtliche Ausgabepositionen müssen demgemäß scharf unter die Lupe genommen und überprüft werden.
Unsere Konsolidierungsmaßnahmen dienen dem Ziel, den Staatsaufwand soweit abzuspecken, daß sich die rezessionsbedingten überhöhten Staatsdefizite nicht in der Phase der gesamtwirtschaftlichen Wiederbelebung verfestigen können.
Wir wissen, daß vor allem die Sozialeinsparungen beim Bund und bei der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von immerhin 16 Milliarden DM - verglichen mit dem heute noch geltenden Recht - am schwierigsten durchzusetzen sind. Sie stehen im Zentrum der innenpolitischen Diskussion. Ich habe mich über Ihre oberflächliche Betrachtungsweise gewundert, Frau Kollegin Matthäus-Maier;
({18})
Sie telefonieren jetzt auch wieder. Denn, meine Damen und Herren von der Opposition, das war 1982 beim 13-Milliarden-Sparpaket der SPD-Regierung von Helmut Schmidt, den Sie so hervorgehoben haben,
({19})
überhaupt nicht anders. 13 Milliarden DM Einsparung, davon 7 Milliarden DM allein bei der Bundesanstalt für Arbeit, Absenkung des Unterhalts- und Übergangsgeldes bei der beruflichen Bildung, Einschränkung der ABM-Förderung, Kürzung des Kindergeldes ohne Berücksichtigung von Einkommensgrenzen, Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Ich könnte die Liste fortsetzen. 35 Einzelmaßnahmen für insgesamt 13 Milliarden DM Ausgabensenkungen und 3 Milliarden DM Einnahmeverbesserungen! Ich frage mich bei Ihren Reden ernsthaft, ob Ihnen das alles eigentlich noch bewußt und in Erinnerung ist.
Im Finanzbericht 1982 von Finanzminister Hans Matthöfer hieß es damals lapidar zur Begründung:
Ziel dieser Maßnahmen ist es, in Zeiten einer ungünstigen Entwicklung des Arbeitsmarktes die Arbeitsförderung funktionsfähig zu erhalten, sie auf die besonderen arbeitsmarktpolitischen Bedürfnisse auszurichten und den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit besondere Rechnung zu tragen.
Und an anderer Stelle:
Bei dieser Operation sind Eingriffe in Leistungsgesetze unvermeidbar.
Das war 1982, Helmut Schmidt und Hans Matthöfer.
Ich fordere Sie ernstlich auf, Ihre Argumentationslinie wirklich im Sinne politischer Glaubwürdigkeit zu überprüfen
({20})
und sich mit Sachverstand in die Diskussion, in die Ausschußberatungen der nächsten Wochen einzuschalten.
({21})
Was damals möglich war, geschah lange vor der Wiedervereinigung. Wir müssen über den Bundeshaushalt im nächsten Jahr 119 Milliarden DM für die Finanzierung in den neuen Bundesländern aufwenden. Wir stehen als Koalition zu den Sparbeschlüssen, so schmerzlich sie sind, weil eine nachhaltige Haushaltsentlastung ohne Ausgabekürzungen im wachstumsdynamischsten Bereich - das sind nun einmal die sozialen Transferleistungen - in der Sache nicht möglich ist.
Trotz dieser Eingriffe behalten die Sozialausgaben im Bundeshaushalt 1994 ihre traditionelle Spitzenposition, wo sie mit einem Anstieg auf 168 Milliarden DM - immerhin eine Gesamtquote von rund 35 % - die absolute Spitzenstellung einnehmen.
Bezogen auf das Jahr 1982 hat sich das deutsche Sozialbudget auf mittlerweile über 1 000 Milliarden DM mehr als verdoppelt. Dies ist eine Spitzenstellung in der gesamten Welt, 1,5 % davon beträgt nun das Gesamtausmaß der leistungsgesetzlichen Einschränkungen. Ich sage das nicht zum Schönreden und Schönrechnen, sondern einfach, um die Proportionen richtigzustellen.
Ich möchte an dieser Stelle einmal Gerhard Hennemann von der „Süddeutschen Zeitung" zitieren, der am 12. August dieses Jahres treffend kommentiert hat:
Wer ... behauptet, daß mit den im internationalen Vergleich relativ geringfügigen Abstrichen an verschiedenen Lohnersatzleistungen bereits für große Gruppen der Gesellschaft der Weg in ein menschenunwürdiges Dasein eingeschlagen werde, der ist ein Sozialromantiker und legt keinen Wert darauf, auch als Finanzpolitiker ernst genommen zu werden.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
({22})
Ich möchte die sozialdemokratischen Kollegen Frau Matthäus-Maier und Joachim Poß bei ihrer aktuellen
Adolf Roth ({23})
Oppositionspolemik eigentlich darum bitten, dies einmal mit in Betracht zu ziehen, denn vor genau drei Monaten, am 8. Juni, haben sie in einer Presseerklärung noch verlangt:
Wer die konjunkturpolitische Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen will, muß jetzt mit der Konsolidierung beginnen.
({24})
Es ist klar, daß es bei der Haushaltssanierung keine Tabus geben darf.
({25})
Wenn Sie solche wohlklingenden Botschaften und Ankündigungen bringen, dann hätte ich erwartet, daß Sie heute auch einen strikten Katalog Ihrer eigenen Vorstellungen dem Hohen Haus vorgelegt hätten.
({26})
Bei dem propagandistischen Tremolo Ihrer Agitation haben Sie heute zum allererstenmal seit zehn Jahren den Jäger 90 weggelassen.
({27})
- Der war drin? Ich habe nur die Hubschrauber und die Munitionsbeschaffung aufgenommen.
({28})
Ich sage Ihnen: Mit dieser Argumentationslinie überzeugen Sie nicht einmal mehr Ihre eigenen Kollegen und Fachpolitiker in der Fraktion.
({29})
Denn der Verteidigungshaushalt wird 1994 deutlich auf 48,6 Milliarden DM nach 52,2 Milliarden im Jahr 1992 abgesenkt.
({30})
Sie wissen, daß er in Ihrer Regierungszeit knapp 20 % des Haushalts ausgemacht hat. Im nächsten Jahr werden es genau 10 % des Bundeshaushalts sein. Das ist schon ein sichtbarer Unterschied.
({31})
Im übrigen ist der Haushaltsobmann der SPD angemessen gewürdigt worden. Wir loben uns untereinander immer, wenn sich irgendeine Möglichkeit dazu bietet, und das kommt auch vor.
({32})
Da gibt es für uns auch keine Schranke zur Opposition.
Ich wünschte, wir könnten Sie bei Ihren Vorschlägen
auch einmal für etwas mehr Vernunft in der deutschen Finanzpolitik loben.
({33})
Weil der Minister aus der „Frankfurter Rundschau" zitiert hat, sollte ich Ihnen nicht vorenthalten, wie die Überschrift dieses schönen Artikels gewesen ist: „Wenn Lafontaine mit dem Hut die Sparideen der SPD einsammelt" . Im Text heißt es dann sehr knapp: „Die Ausbeute war leider mager. " Um so mehr warten wir nun gespannt auf das Feuerwerk von Ideen, das morgen der neue Parteivorsitzende der SPD, der sich ja eine angemessene Redezeit hat reservieren lassen, vor dem Hohen Haus ausbreitet. Ich hoffe, es werden nicht nur schön verglühende Raketen sein, sondern ernsthafte, tragfähige Ideen, mit denen wir etwas anfangen können.
({34})
Meine Damen und Herren, auch beim Stichwort Subventionsabbau argumentiert die Opposition an den Tatsachen vorbei. Die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes wird durch den deutlichen Subventionsabbau - im Westen immerhin 11 % in diesem Jahr - und durch zusätzliche Ausgaben, allerdings für die neuen Bundesländer, geprägt. 1994 geht die Hälfte der Finanzhilfen in die neuen Länder, während es bisher nur 38 % - oder immerhin 38 % gewesen sind.
Ohne den zusätzlichen Bundesanteil von 2,35 Milliarden DM für die Wohnungsbaualtschulden wären 1994 die öffentlichen Finanzhilfen des Bundes um 1 Milliarde DM zurückgegangen. Diesen Sonderfaktor muß man sehen und sollte ihn nicht verschweigen.
Mittelfristig sieht der Finanzplan bis 1997 einen deutlichen Abbau der Finanzhilfen vor. Wir wollen im Westen die Subventionen auf 8,4 Milliarden DM abbauen. Wenn die notwendige Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft abgeschlossen sein wird, müssen auch dort die hohen Übergangssubventionen zurückgeführt werden.
Subventionsabbau bleibt gerade für diese Koalition eine politische Daueraufgabe. Sie ist nicht vorrangig am Ziel der kurzfristigen Haushaltsentlastung orientiert, sondern hat ordnungspolitisch qualitativ eine ganz andere Dimension.
Das gleiche gilt natürlich auch für die Steuervergünstigungen des Bundes. Wir haben immer gesagt: Lieber niedrige Steuertarife ohne viele Ausnahmetatbestände als überhöhte Steuertarife mit vielen Schlupflöchern! 38 Milliarden DM sind seit 1990 bereits im steuerlichen Subventionsabbau eingespart worden. Durch Eindämmung von Mißbräuchen, durch die Einführung von Einkommensgrenzen für bestimmte Sozialtransfers - ich nenne das Kindergeld und das Erziehungsgeld - werden wir auf diesem politischen Weg auch konsequent fortfahren.
Das Konsolidierungspaket beschränkt sich nicht auf die Haushaltssicherung. Daneben ist beschlossen, eine ganze Reihe von Maßnahmen dem Ziel eines
Adolf Roth ({35})
verstärkten Wachstums und einer Beschäftigungsförderung zuzuordnen.
({36})
Neben dem Standortsicherungsgesetz und dem neuen Arbeitszeitgesetz mit seinen neuen Flexibilisierungsmöglichkeiten möchte ich hier nur beispielhaft erwähnen, daß der Bund seine produktiven Investitionen in wichtigen Bereichen im kommenden Jahr verstärken wird. Auch hier geht der Löwenanteil von etwa 50 % in die neuen Bundesländer. Darüber hinaus werden die Investitionsausgaben des Bundes 1994 auch bewußt auf die erste Jahreshälfte vorgezogen. Wir werden die Planungsverfahren beschleunigen, und wir werden den Weg freimachen für eine Erleichterung der Aufbauinvestitionen in Deutschland.
Wir fordern, daß aber auch die Gebietskörperschaften diesem Beispiel des Bundes Rechnung tragen und in ihren Verantwortungsbereichen Gleiches tun.
({37})
Meine Damen und Herren, ohne zu handeln hätten wir beim Bund bald Defizite im dreistelligen Milliardenbereich. Nach den bereits beschlossenen Steuererhöhungen von immerhin, auf 1995 gerechnet, 65 Milliarden DM seit 1990 und den absehbaren zusätzlichen Abgabebelastungen von etwa 50 Milliarden DM wird alles zusammen 1995 zu einer dramatisch hohen staatlichen Abgabequote von 44,5 % führen.
Neben diesen Maßnahmen muß deshalb der eindeutige Schwerpunkt unserer Politik jetzt und in den kommenden Haushaltsjahren eindeutig bei den Ausgabekürzungen liegen. Sie machen im vorliegenden Haushaltsentwurf einschließlich des Spar- und Wachstumspaketes vom 13. Juli 1993 bereits 90 % aus. Sie entlasten damit die öffentlichen Haushalte in den Jahren bis 1996 um rund 100 Milliarden DM.
Dieser Sparkurs manifestiert sich auch in der Entwicklung der Einzelpläne der Ministerien. Die meisten von Ihnen - der Finanzminister hat darauf hingewiesen - haben im kommenden Jahr real eine negative Steigerungsrate. Andere wichtige Einzelpläne schrumpfen sogar nominal.
Wo es dennoch bestimmte Steigerungsraten gibt, die ins Gewicht fallen, stecken dahinter ausschließlich Sonderfaktoren. Ich nenne die Bahnreform mit 8,5 Milliarden DM, die den Plafonds des Verkehrshaushaltes ausweitet. Ich nenne die Altschuldenhilfe für den Wohnungsbau Ost, die sich im Etat des Wohnungsbauministers niederschlägt.
Größter Einzelplan bleibt mit 122 Milliarden DM und einer neuerlichen Steigerung von fast 2 % aber der Haushalt des Arbeits- und Sozialministers. Ich denke, damit werden wir gerade in dieser schwierigen Situation unserer sozialpolitischen Verantwortung gerecht, insbesondere auch im Zusammenhang mit den hohen gesetzlichen Rentenzuschüssen, die aus dem Bundeshaushalt erbracht werden müssen.
Der Aufwuchs des Gesamthaushaltes ist knapp genug: 2,6 % netto, 4,4 %, wenn die Bahnreform mit eingerechnet wird. Dahinter - das muß man offen ansprechen - verbergen sich keinerlei operative Möglichkeiten für neue politische Maßnahmen. Wir müssen mit Minizuwachsraten zurechtkommen, insbesondere weil wir im nächsten Jahr die 11 Milliarden DM höhere Zuweisung an den Fonds Deutsche Einheit und den gestiegenen Zinsaufwand verkraften müssen.
Meine Damen und Herren, trotz dieser ehrgeizigen Sparpolitik bleibt die Nettokreditaufnahme des Bundes im kommenden Jahr auf der für uns nach wie vor zu hohen Marke von rund 67,5 Milliarden DM stehen. Das heißt, wir werden in etwa auf dem Niveau des laufenden Jahres verharren. Niemand kann schon heute verbindlich voraussagen, ob nicht weitere konjunkturelle Risiken dieses Bild im Ergebnis noch beeinflussen werden. Allerdings werden konjunkturbedingte Mehreinnahmen nicht für zusätzliche Ausgaben angesetzt, sondern sie dienen der Reduzierung der Bundeskreditaufnahme.
({38})
Soweit die Kredite über die Linie der Investitionsausgaben hinausgreifen - dies ist ein Betrag von zur Zeit 2,7 Milliarden DM -, bedeutet dies aber keine Verletzung des Art. 115 des Grundgesetzes. Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts läßt sich nicht bestreiten. Die erhöhte Nettokreditaufnahme ist in dieser schwierigen wirtschaftlichen Situation nicht nur ökonomisch, sondern auch verfassungsrechtlich in Ordnung und zu rechtfertigen.
({39})
Unbeschadet dessen ist es unsere erklärte Absicht, durch strikte Ausgabenkontrolle die Nettokreditaufnahme des Bundes so niedrig wie möglich zu halten, auch im kommenden Jahr. Das von der Koalition und vom Bundeskabinett beschlossene Ausgabenmoratorium behält weiter seine unbefristete Gültigkeit. Eine Ausweitung der Nettokreditaufnahme durch parlamentarische Ausgabenbeschlüsse darf es demzufolge 1994 nicht geben.
({40})
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß wir bei einer beharrlichen Umsetzung unserer politischen Beschlüsse die richtigen Signale setzen. Seit dem Kabinettsbeschluß im Juli hat die Bundesbank die Leitzinsen gesenkt. Von Schwäche der D-Mark redet niemand mehr. Ganz im Gegenteil: Die Deutsche Mark gehört jetzt wieder zu den stärksten Währungen weltweit.
Mittlerweile gibt es sogar erste Anzeichen dafür, daß die Konjunktur nicht mehr weiter zurückgeht. Das Geschäftsklima bessert sich. Der Auftragseingang und die Produktion beginnen sich in vielen Bereichen zu stabilisieren. Wir haben durchaus die Chance, wieder an die Beschäftigungs- und Wachstumsdynamik der 80er Jahre heranzukommen, wenn wir uns politisch durch Selbstbeschränkung und Disziplin aus dieser Talsohle schrittweise herausarbeiten.
Adolf Roth ({41})
Dann allerdings - hier unterstütze ich nachdrücklich das, was der Bundesfinanzminister gesagt hat -werden die Absenkungen der staatlichen Neuverschuldung, der Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt und der Abgabenquote wieder mit gleicher Dringlichkeit auf der politischen Tagesordnung stehen wie in den Jahren zwischen 1983 und 1989. Das vor der Wiedervereinigung erreichte Niveau von 45 % der Staatsquote am Bruttosozialprodukt wird dabei neuerlich unsere politische Richtschnur sein.
Mit diesem Konzept der finanzpolitischen Solidität und monetären Stabilität werden wir das vereinigte Deutschland voranbringen
({42})
und allen Bürgerinnen und Bürgern in unserer Gesellschaft Chancen für einen erfolgreichen Zukunftsentwurf liefern.
({43})
Wir als Koalition von CDU/CSU und F.D.P. wissen um unsere gemeinsame politische Erfolgshaftung. Der Bundeshaushalt 1994 und alle dazugehörigen Begleitgesetze sind für diese Koalition ein wichtiger politischer Prüfstein. Ich denke, wir können es pakken.
Herzlichen Dank.
({44})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt für das Jahr 1994 ist ein Haushalt des Umbruchs. Er stellt in vieler Hinsicht einen Neubeginn dar, aber er läßt auch Fragen offen. Deshalb ist es naheliegend, daß man als Parlamentarier an den Regierungsentwurf mit gemischten Gefühlen herangeht. Die Frage, ob die Politik die Dinge im Griff hat, die Frage, ob sie sie wieder in den Griff bekommt, stellt sich mit großem Ernst.
Im Haushalt, im sogenannten Hauptbuch der Nation, treffen jetzt negative Effekte von verschiedenen Seiten aufeinander. „Spare in der Zeit, so hast du in der Not." Leider hilft uns im Moment dieser gute Rat nichts; denn jetzt ist die Not groß.
({0})
Wir haben in der Zeit zwar gespart, aber es zeigt sich, wir haben nicht genügend gespart.
({1})
Zur Abwehr eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts darf der Bund seine Verschuldung ausnahmsweise über die im Art. 115 des Grundgesetzes vorgegebene Grenze anheben. Hiervon macht die Bundesregierung in ihrem Entwurf Gebrauch. Aber dies muß wirklich die Ausnahme bleiben; denn manchmal beschleicht einen entgegen aller Finanzplanung bei wieder steigender Nettoverschuldung das unheimliche Gefühl, daß der Schuldengipfel nicht erreicht und überschritten ist, sondern immer höher wird.
({2})
Was aber die wachsenden Schulden für künftige Jahre an Einschränkung öffentlicher Handlungsfähigkeit bedeuten, kann man sich leicht vorstellen. Die Handlungsspielräume werden bei vielen feststehenden Kosten, bei vielen wachsenden Kosten und ständig wachsenden Zinslasten, die wir berücksichtigen müssen, von Jahr zu Jahr geringer.
Ein Haushalt des Umbruchs liegt ganz sicherlich vor, weil sich Koalition und Kabinett zu einem in dieser Form nie dagewesenen Sparkonzept durchgerungen haben. Das Programm zur Stärkung des Wachstums, zur Sicherung des Standorts Deutschland und zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, das die Koalitionsfraktionen am 30. Juni im Vorfeld der Entscheidungen des Kabinetts über den Haushalt beschlossen haben, war bittere Notwendigkeit.
Die einfache Fortentwicklung früherer Planung unter Berücksichtigung der Steuerausfälle und der zusätzlichen vom Bund zu leistenden Ausgaben hätte die Nettoneuverschuldung auf über 100 Milliarden DM für das kommende Jahr anwachsen lassen, wenn wir nicht die bekannte spürbare Kürzung im konsumtiven Ausgabenbereich beschlossen hätten. Bei allem Erschrecken über die jetzt erforderlichen Zahlen der Neuverschuldung für die kommenden Jahre: In einem solchen Fall wäre Entsetzen angebracht gewesen. Deswegen sind auch die Stimmen aus dem politischen Raum wie von sogenannten Sachverständigen sehr leise geworden, die eine höhere Verschuldung von uns gefordert haben.
({3})
International betrachtet hat die Aktion sofort wieder einen Bonus gebracht: Die Deutsche Mark hat sich stabilisiert; die Stabilität erscheint gesichert.
({4})
Natürlich sind diese Kürzungsbeschlüsse erwartungsgemäß heftig kritisiert worden. Das alte Schema - öffentliche Sparsamkeit wird angemahnt, aber wenn sie stattfindet, wird sie kritisiert - ist auch hier wieder zum Tragen gekommen. Die Kritiker - wir haben es auch heute hier wieder gehört - verfahren nach dem einfachen Motto: Die Öffentlichkeit hat keinen Gesamtüberblick. Deswegen läßt heftige Schelte an Einzelmaßnahmen den eigenen Weizen blühen. Sachliche Auseinandersetzungen, vor allem konkrete und wirklich machbare eigene Vorschläge, spart man sich.
({5})
- Wir haben ein Musterbeispiel solchen Verhaltens vorhin eine dreiviertel Stunde lang genießen dürfen. Daß Frau Matthäus-Maier sogar noch die ihres Erachtens zu hohen Gehälter der deutschen Manager uns
14708 Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Dr. Wolfgang Weng ({6})
angelastet hat, zeigt das Debattenniveau der Opposition.
({7})
Seien Sie sicher, Frau Matthäus-Maier: Dieses jämmerliche Rollenspiel täuscht die Öffentlichkeit nicht.
({8})
- Ja, das ist angemessen, Herr Kollege.
Herr Dr. Weng, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage in diesem Zusammenhang zu beantworten?
Ja, bitte, Frau Matthäus-Maier.
Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Darf ich Sie darauf hinweisen, daß ich die Erhöhung der Managergehälter nicht der Bundesregierung angelastet habe, sondern daß ich sie gefragt habe, warum von seiten der Bundesregierung, nachdem „Die Zeit" und übrigens auch Herr Stihl diese Anhebung der Managergehälter kritisiert haben, immer nur von Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften Maßhalten gefordert wird, aber z. B. nie Manager zum Maßhalten aufgefordert werden.
Frau Matthäus-Maier, ich habe Ihnen wirklich gut zugehört. Sie haben das nach meiner Erinnerung anders gesagt, als Sie es jetzt hier darstellen.
({0})
- Das wird sich durch einfaches Nachlesen im Protokoll klären lassen.
Wenn Sie hier Ihre Reden halten, fällt mir - wie vielen anderen auch - immer Kassandra ein. Kassandra war schlimm. Sie hat die Zukunft schlimmer vorausgesagt und schwärzer gesehen, als sie wurde. Sie sind schlimmer. Sie stellen die Gegenwart schwärzer dar, als sie ist.
({1})
- Ich habe hier keine Unwahrheit gesagt, sondern Sie haben in Ihrer Zwischenfrage Dinge abgeändert, die Sie in Ihrer Rede gesagt haben.
({2})
- Dieses Spiel kennen wir von Ihnen, auch Ihr Geschick in bestimmten Dingen. Trotzdem bleibt, daß Sie hier solche Eindrücke erweckt haben.
Die Entwicklungserwartungen im Bundeshaushalt waren nach der Wiedervereinigung sicherlich zu positiv. Wir haben die wirtschaftliche Entwicklung falsch eingeschätzt. Aber wir können ja wirklich nichts anderes tun, als uns auf die Prognosen der
Sachverständigen zu verlassen. Das haben wir in der Vergangenheit getan. Auf diesen Prognosen fußen unsere eigenen Voraussagen.
Zum zweiten glaube ich nicht, daß irgend jemand in der Lage ist, die internationale Wirtschaftsentwicklung sicher vorauszusagen. Diese hat natürlich für eine große Exportnation, für eine Nation, die in ihrer Wirtschaft ganz wesentlich auf funktionierenden Export angewiesen ist, entscheidende Auswirkungen.
Die schwache internationale Wirtschaftsentwicklung ist nicht neu. Sie ist in der Bundesrepublik einigungsbedingt zwei Jahre später angekommen, weil im Zuge der Wirtschafts- und Währungsunion und der Wiedervereinigung, vor allem durch den Umtausch der Ostmark in Westmark, nationale Sonderfaktoren zum Tragen kamen. Davon haben wir alle damals profitiert.
Herr Abgeordneter Dr. Weng, Herr Abgeordneter Dr. Ullmann möchte eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?
Ja, bitte sehr, Herr Präsident.
Herr Kollege, stimmen Sie mir darin zu, daß doch aber absolut vorhersehbar war, was in der ehemaligen DDR nach der Währungsunion am 1. Juli 1990 passieren würde, nämlich das, was wir jetzt erleben?
Nein, Herr Kollege Ullmann, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Wenn das vorhersehbar gewesen wäre, hätten wir in einer Reihe von Dingen sicher politisch anders gehandelt, als wir es getan haben. Hinterher zu sagen, es sei vorauszusehen gewesen, ist relativ einfach. Sie finden in der Politik wie in den Medien natürlich immer welche, die es vorausgesagt haben. Das ist aber genau der Typ Kassandra: Wer Schlechtes voraussagt, hat irgendwann einfach recht. Im Grundsatz konnte eine solche Voraussage, wie Sie sie hier anmahnen, damals nicht gemacht werden.
({0})
Die Schulden des Bundes steigen im vorgelegten Etat 1994 bedrohlich. Deswegen können auch ausbleibende Steuereinnahmen nicht beliebig durch höhere Verschuldung ausgeglichen werden.
Es stellen sich aus heutiger Sicht zwei Fragen.
Erstens. Springt die Wirtschaft tatsächlich in der zweiten Jahreshälfte spürbar an, ist die Talsohle überwunden? Ich hoffe sehr, daß sich das angekündigte Licht am Ende des Tunnels nicht als Glühwürmchen mitten im Tunnel entpuppt. Die Haushaltsprobleme würden dann eklatant größer.
Zweitens. Es bleibt die Frage, ob es uns gelingt, den Standort Bundesrepublik so auszugestalten, daß möglichst schnell und auf längere Sicht wieder Wachstum in Zukunftsbranchen stattfindet, daß neue
Dr. Wolfgang Weng ({1})
Arbeitsplätze in moderner industrieller Fertigung entstehen können und daß damit auch die Basis für den weiteren Ausbau im Dienstleistungsbereich geschaffen wird. Im anderen Fall wird das Wohlstandsniveau unserer Bürger nicht zu halten sein. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.
({2})
Es ist gut, daß in dieser Situation die Bundesregierung auf Vorlage des Bundeswirtschaftsministers ein Papier zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland vorgelegt hat. Es ist schade, daß im Kabinett einige der genannten und notwendigen Maßnahmen verbessert und ein wenig auf der Zeitachse hinausgeschoben worden sind. Ich nenne nur als Beispiel das immer wieder beliebte Thema des Subventionsabbaus. Für die Zukunft ist hier eine ganze Menge versprochen. Im Augenblick gibt es offene Wünsche.
Im Bereich Subventionsabbau gibt es auch interessante Einzelheiten. Unser Kollege Carl-Ludwig Thiele hat entdeckt, daß entgegen dem erklärten politischen Willen des Bundestages ein Teil der sogenannten Zonenrandförderung immer noch weiterläuft. Im Jahr 1991 ist seinerzeit beschlossen worden, die Zonenrandförderung auslaufen zu lassen. Eine geschickte Regie hat hier erreicht, daß steuermindernde Rücklagen von 50 % von beabsichtigten Investitionen gebildet werden dürften, auch wenn diese Investitionen erst bis zum Jahre 1997 getätigt werden. Die dem Staat entstehenden Einnahmeverluste hieraus werden auf weit über 1 Milliarde DM geschätzt. Kein Zweifel, daß es für die Betroffenen, im wesentlichen wohl in Bayern, angenehm ist, aber es geht an dem, was wir hier erklärt und gewollt haben, vorbei.
({3})
- Der Zwischenruf des Herrn Bundesfinanzministers, ich helfe ihm damit im Wahlkampf, läßt mich schließen, daß man hier die richtige Sache angetippt hat und wir diese noch mit Sorgfalt nachverfolgen müssen.
Meine Damen und Herren, die Vorlage aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist in weiten Teilen von allen Sachverständigen für richtig erachtet worden, vor allem auch von den Sachkundigen aus der Wirtschaft selbst. Daß parteipolitisch motivierte Kritik sofort aufkam, als die Springer-Presse einen einzelnen Punkt, nämlich das Stichwort Renten, thematisierte, war zu erwarten. Nun kann man trefflich darüber diskutieren, ob es im Augenblick der richtige Zeitpunkt war, über die mögliche Rentensituation des Jahres 2010 zu spekulieren. Ich hoffe sehr, daß nicht größere Zahlen von Mitarbeitern im Bundeswirtschaftsministerium derzeit mit Fragen der Rentenhöhe im Jahre 3000 beschäftigt sind. Aber wenn das Thema Renten schon angesprochen war, dann kann man es konsequenterweise ehrlich diskutieren und sollte es nicht mit der Hoffnung auf kurzfristigen Wahlkamfspeck mit einem Tabu belegen.
Das Standortpapier macht hierzu Aussagen; sie sind nicht ganz so klar. Die Frage bleibt im Raum, wie das System künftig verändert werden muß, um den Generationenvertrag zu erhalten. Dabei gibt es eine Reihe von Größen, die heute nicht abschließend bekannt sind, z. B. die Frage der Zuwanderung. Jeder weiß, daß Lebensarbeitszeit und Bevölkerungsentwicklung, daß vor allem aber die Zahl der Arbeitsplätze und natürlich die Beitragshöhe in direktem Bezug zum zukünftigen Rentenniveau stehen. Dies bedarf keiner Erläuterung. Jeder weiß auch - und hierfür stehen erklärtermaßen alle politischen Parteien in der Bundesrepublik -, daß die Menschen in Zukunft sicher sein können, eine gerechte Altersversorgung zu erhalten. Frau Matthäus-Maier, was Sie heute erneut versucht haben, ist schäbig, nämlich Zweifel und Angst hieran zu säen.
({4})
Bei dem Stichwort Standortsicherung aus Haushältersicht stellen sich für die Zukunft Fragen, die die Politik in den kommenden Jahren wird beantworten müssen. Dabei geht es auch um das Bild Deutschlands, um das deutsche Ansehen in der Welt. Die Bundeshauptstadt Berlin hat sich um die Ausrichtung der olympischen Spiele im Jahre 2000 beworben. Wir hoffen, daß dieses internationale Fest der Jugend tatsächlich in Berlin stattfinden kann. Das wird aber bedeuten, daß der Bund helfen muß. Und das wird dann heißen: Einsparungen in Bereichen, in denen sie bisher nicht vorgesehen sind.
Nach der Entscheidung über den Austragungsort der Olympiade müssen dann die Überlegungen bezüglich des Umzugs von Bundestag und Bundesregierung nach Berlin ausgestaltet werden. Das heißt, es muß dann auch der Öffentlichkeit klargemacht werden, wann, in welchem Zeitraum und zu welchen Kosten dieser Umzug stattfinden soll.
({5})
Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover hat sich mit Unterstützung der Bundesregierung vor der Wiedervereinigung um die Ausrichtung der EXPO 2000 bemüht. Sie hat den Zuschlag erhalten. Nach der Wiedervereinigung ließe sich dieses Projekt als Schaufenster deutscher Leistungskraft für die ganze Welt unter Einbeziehung neuer Bundesländer noch besser gestalten. Natürlich müssen das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover den notwendigen Anteil an Vorleistungen erbringen und vor allem auch politisch uneingeschränkt hinter dieser EXPO stehen. Es kommt nicht in Frage, daß die Landesregierung mit gespaltener Zunge spricht, die GRÜNEN gegen das Projekt agieren und dann, wenn der Bund finanziell zur Hilfe aufgefordert wird, sich der Ministerpräsident in dem sonnt, was der Bund unterstützt. Aber es wäre nach meinem Erachten peinlich, wenn die wichtige Wirtschafts- und Exportnation Deutschland eine solche Chance der weltweiten Selbstdarstellung nicht nutzen würde; denn der Standort Deutschland wird ganz wesentlich durch das internationale Ansehen, durch die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer exportierenden Wirtschaft bestimmt. Auch hier ist neuer Anschub notwendig.
Lassen Sie mich hierzu einige einleuchtende Beispiele der jüngeren Vergangenheit nennen, die direkt oder indirekt mit dem Bundeshaushalt zu tun haben.
Dr. Wolfgang Weng ({6})
Zum Beispiel die Magnetbahn Transrapid. Wir haben die Entwicklung dieser Magnetschwebebahn mit enormen Summen aus dem Bundeshaushalt finanziert, und jetzt gilt der Transrapid als einsatzbereit. Es ist allgemeine Auffassung, daß eine Referenzstrecke in Deutschland erforderlich ist, weil dieses Hochtechnologieprodukt sonst schwer oder gar nicht zu exportieren sein dürfte, und es besteht die Gefahr, daß die Firma ihr mit der Unterstützung aus dem Bundeshaushalt erworbenes Know-how abgibt.
Ich weiß, daß in der Vergangenheit aus der Wirtschaft bezüglich der Verwirklichung sehr vollmundige Versprechungen gemacht worden sind, die sicherlich so nicht eingehalten werden. Ich weiß aber auch, daß es keine Referenzstrecke geben wird, wenn hierzu nicht der politische Wille vorhanden ist, wenn sich nicht die Politik, z. B. der Bundesverkehrsminister, an die Spitze dieser Bewegung setzt. Mit Dampflokomotiven, meine Damen und Herren, wird die deutsche Exportindustrie keine Exportmärkte erobern.
({7})
Zum Beispiel der Intercity-Express. Wir alle hören mit Freude, daß es in den Vereinigten Staaten großes Interesse an diesem Zug gibt, der vermutlich das Beste ist, was derzeit auf dem Weltmarkt als Hochgeschwindigkeitszug angeboten wird. Ich habe auch mit Interesse gelesen, daß sich Taiwan sehr stark für diesen Zug interessiert. Ein tatsächlicher Exporterfolg wäre ein wichtiges Signal. Aber das uns befreundete und sehr eng verbundene Südkorea hat sich zunächst für das französische Konkurrenzmodell entschieden. Diese Entscheidung bedeutet gerade auch aus der Sicht asiatischer Mentalität eine bittere Niederlage für Deutschland. Vielleicht hätten frühzeitige politische Signale von höherer Ebene dem deutschen Angebot noch mehr Gewicht gegeben. Besonders in Asien achtet man auf solche Signale.
({8})
Wir haben durchaus weiterhin Grund, selbstbewußt aufzutreten, aber gerade weil wir diesen Grund haben, müssen wir auch asiatischen Freunden klarmachen, daß es im Handel keine totalen Einbahnstraßen geben darf. Vor allem Japan, aber auch Korea und andere Länder schotten ihre Märkte partiell ab, sind dafür aber teilweise mit Dumping-Methoden mit ihren Produkten auf anderen Märkten vorhanden. Dies dürfen wir bei aller Freundschaft nicht auf Dauer hinnehmen.
Zum Stichwort „selbstbewußtes Auftreten" erlauben Sie mit noch ein Wort zur deutschen Selbstdarstellung im Ausland: Immer nur Negativ-Darstellungen verstärken natürlich das Gefühl, daß in Deutschland eine Art Weltuntergang herrsche - ein Gefühl, das sich weltweit tatsächlich ausbreitet. Dabei läßt sich doch trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller Probleme für viele Menschen in unserem Land die bisherige Bewältigung der deutschen Einheit in schwieriger weltpolitischer Lage durchaus positiv darstellen. Ich sage Ihnen: Gerade in einem anderen geteilten Land, in Koera, beobachtet man diese
Bewältigung sehr aufmerksam, und da ist es sicherlich
nicht gut, wenn Negativ-Darstellungen überwiegen.
({9})
Es beeindruckt in anderen Ländern auch nicht, wenn eine große Zahl deutscher Ministerpräsidenten und halbe Landtage anreisen, um den staunenden Gastgebern deutsche parlamentarische Streitkultur vorzuführen. Und wenn ein früherer Bundeskanzler ins ferne Korea reist, um den Menschen dort zu erzählen, wie schlimm es in der Bundesrepublik aussieht, nicht ohne den peinlichen Hinweis, daß, wenn er noch Kanzler wäre, natürlich alles besser ginge, dann bringt das das Bild Deutschlands und damit auch den Standort Deutschland nicht voran.
({10})
Die Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland sollte zuallererst durch die Bundesregierung stattfinden, die Außenpolitik durch den Herrn Bundesaußenminister; der macht das auch am besten.
({11})
Wenn sich Herr Kinkel, wie in seinem Interview in dieser Woche angekündigt, künftig im Ausland etwas stärker für deutsche Wirtschaftsbelange einsetzen will, ist dies kein Fehler.
({12})
Die Reisediplomatie von Kommunal- und Landespolitikern dagegen bringt die Bundesrepublik nicht voran.
Auch nach der erneuten Absenkung der Ausgaben bleibt der Haushalt des Verteidigungsministeriums einer der großen Einzeletats. Ich möchte an dieser Stelle erneut den jetzigen und früheren Angehörigen der Bundeswehr den ausdrücklichen Dank der F.D.P. aussprechen. Wer sich vor Augen hält, in welcher Weise die neue Situation der äußeren Sicherheit in Mitteleuropa eine große Zahl von Menschen persönlich belastet hat, ihre Lebensplanung verändert hat, der muß voller Hochachtung für diese Bereitschaft sein, solche Lasten zu tragen.
({13})
Ich weiß nicht, ob es in der Geschichte ein einziges Beispiel gibt, daß eine Armee auf Grund politischer Vorgaben so radikal - und im Effekt bei uns: so problemlos - verkleinert wurde, wie das in Deutschland infolge der Zwei-plus-Vier-Vereinbarung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung erforderlich war.
({14})
Verteidigungsbereitschaft, aber auch zukünftige Aufgaben der Bundeswehr in einer veränderten Welt haben weiterhin ihren Preis. Wir Abgeordneten haben mit Blick auf die Haushaltssituation immer wieder die Frage vor uns - wir bekommen sie immer wieder gestellt -, warum wir uns z. B. die Einsätze der
Dr. Wolfgang Weng ({15})
Bundeswehr in anderen Ländern leisten, wenn doch überall gespart werden muß.
({16})
Ich bin der Überzeugung - und das entspricht auch der Beschlußlage der F.D.P. -, daß die deutsche Politik in der Lage sein muß, alle möglichen Plfichten der Vereinten Nationen zu erfüllen. Bei den anstehenden Hilfeleistungen dürfen wir dann auch nicht hintanstehen. Leicht fallen uns diese Ausgaben aus Haushaltssicht nicht. Aber wir können doch sicher nicht solche Leistungen von anderen, viel ärmeren Ländern in der Welt verlangen, ohne selbst mitzuhelfen, wenn es z. B. in Somalia darum geht, Tausende von Menschen vor dem Verhungern zu retten.
({17})
In Zeiten knappen Haushalts muß die Situation der nationalen Rüstungsindustrie neu definiert werden. Diejenigen, die sich mit dem Etat befassen, wissen, daß die Beschaffungen gegenüber dem, was früher war, extrem verringert worden sind. In anderen Ländern führt eine vergleichbare Situation, wie man ständig der Presse entnehmen kann, zu einer massiven Ausweitung des Rüstungsexports. Dies wollen wir für Deutschland nicht. Aber dann muß eine Schwerpunktbildung stattfinden. Ich glaube, sie muß im Bereich Forschung liegen. Dies ist ebenso wichtig wie die Tatsache, daß die industriellen Partner Anspruch auf langfristige Planung und auf ehrliche Partnerschaft haben. Der Verteidigungsetat in seinem verkleinerten Umfang wird künftig stärker als in der Vergangenheit auch industriepolitische Überlegungen über längere Zeiträume berücksichtigen müssen.
Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik der F.D.P.-Fraktion hat sich in der Vergangenheit immer sehr stark an den Aussagen der Deutschen Bundesbank orientiert. Für die Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank gibt es für uns keine Alternative. Eine Inflationspolitik, wie sie Helmut Schmidt einmal propagiert hat, kommt für uns nicht in Frage. Eine solche Politik zerstört nämlich nicht nur das Vertrauen im In- und Ausland, sie zerstört auch das Vermögen der Menschen, die im Vertrauen auf den Staat Konsumverzicht geleistet und ihr Geld gespart haben. Daß die stabile Deutsche Mark in der Übergangsphase nach der deutschen Einheit auch den Zufluß ausländischen Kapitals nach Deutschland erleichtert, ist naheliegend. Wir hoffen, daß dieser Zufluß bald nicht mehr in gleichem Umfang notwendig ist. Im Augenblick aber brauchen wir ihn und sind dankbar dafür.
Die Deutsche Bundesbank hat die Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren natürlich auch kritisiert. Manche der kritischen Äußerungen stellen sich im nachhinein als berechtigt dar. Auch der damalige Umtauschkurs der Ost-Mark erweist sich jetzt in vieler Hinsicht als zu hoch. Daß die Bundesbank aber trotzdem ihre Zinspolitik jetzt verändert, daß sie ihren Zinskurz ein wenig gelockert hat, zeigt uns, daß die jetzt eingeleitete Wende, daß die von uns beschlossenen Maßnahmen richtig sind und daß insbesondere das verabschiedete Sparpaket der richtige Weg ist.
Die Kürzungen im Sozialbereich innerhalb dieses Pakets sind erwartungsgemäß heftig kritisiert worden. Ich glaube, daß das Kürzungsvolumen bei einem Gesamtumfang von Sozialleistungen in der Bundesrepublik von über 1 000 Milliarden DM im Jahr 1992 trotzdem noch erträglich ist.
({18})
Die Ausgaben im Bundeshaushalt steigen ja sogar weiter an, nur ist der Umfang dieser Steigerung verringert worden.
Natürlich werden weitere finanzpolitische Anstrengungen erforderlich sein. Und natürlich hoffen wir auch, daß uns weitere Zinssenkungsschritte durch die Deutsche Bundesbank helfen. Die Kritik, die von dort an den Zinssubventionen aus dem Bundeshaushalt kommt, nehmen wir ernst. Die Bundesregierung ist aufgefordert, es in diesem Bereich jetzt genug sein zu lassen. Der Geldmarkt kommt sonst zusätzlich in Unordnung.
({19})
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung beinhaltet Risiken. Meine Damen und Herren, ein Risiko betrifft natürlich die Politiker selbst innerhalb wie außerhalb der Regierung. Wir wissen, welche Einsparungen im Regierungsentwurf am schwersten gefallen sind. Wir wissen, welche Forderungen nach Mehrausgaben am populärsten sind. Die Frage wird sein, ob die Koalition ihrem selbstgesteckten Ziel treu bleibt, nämlich keine Ausweitung der Ausgaben ohne Finanzierung zuzulassen. Dies hat das Bundeskabinett beschlossen. Dies haben die Koalitionsfraktionen beschlossen und mehrfach bekräftigt und verstärkt. Hieran müssen wir uns dann messen lassen, wenn unsere Beratungen zu Ende sind.
Dies betrifft im Haushaltsverfahren auch die bisher als Einsparung vorgeschlagenen Positionen Schlechtwettergeld, Arbeitnehmersparzulage, Zuschüsse für den Erhalt von Kulturgütern in Ostdeutschland und anderes mehr.
Die Forderung allein nach Mehrausgaben ist wohlfeil, egal wie gut sie begründet ist. Ich will auf Gegenargumente in der Sache in diesem Zusammenhang verzichten, weil ich nicht den Eindruck erwekken will, als stelle sich die F.D.P. inhaltlich grundsätzlich gegen solche Forderungen. Im Gegenteil, Sie wissen, sie sind teilweise von meinen Kollegen erhoben worden.
({20})
Aber wenn wir alle geforderten, notwendigen und wünschenwerten Dinge zusätzlich nur als Ausgaben in den Bundeshaushalt aufnehmen würden, ohne sie durch Kürzungen an anderer Stelle auszugleichen, dann hieße dies weiteres rapides Anwachsen der Nettoneuverschuldung. Die Signalwirkung hieraus wäre negativ, und da Haushaltskonsolidierung ja auch ein Teil Standortsicherung ist, würden wir unseren eigenen erklärten politischen Zielen entgegenhandeln.
Dr. Wolfgang Weng ({21})
Dies ist auch ein Appell an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in den Fachausschüssen: Schlagen Sie uns für unsere Beratungen im Haushaltsausschuß bitte keine Mehrausgaben vor, ohne im Bereich Ihrer eigenen Etats hierfür auch Kürzungsvorschläge mitzuliefern!
Ein letzter Satz an den Herrn Bundesfinanzminister. Sie haben, Herr Bundesfinanzminister, signalisiert, daß nach den Steuererhöhungen bei der Mineralölsteuer und dem Solidaritätszuschlag, den die F.D.P., wie Sie wissen, gerne befristet hätte, die Steuerschraube für die nächsten Jahre aus Ihrer Sicht nicht weiter angezogen werden darf.
({22})
Diese Aussage ist notwendig, sie ist wichtig. Sie ist auch aus unserer Sicht richtig.
Sollten aber, was ich nicht hoffen will, die erwarteten Einnahmen hinter den heutigen Steuerschätzungen zurückbleiben, so müßte nach unserer Überzeugung zur Sicherung des Haushalts erneut über weitere Einsparungen geredet werden. Insofern hoffen wir sehr, gemeinsam mit den Kollegen von der Union, daß eine positive wirtschaftliche Entwicklung uns vor dieser Last bewahrt.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion und in ihrem Auftrag die Abgeordneten der F.D.P. im Haushaltsausschuß werden zusammen mit der Union die Detailberatungen am Bundeshaushalt 1994 mit großer Sorgfalt aufnehmen. Wir wissen, daß wir von der Opposition hier keine Hilfe in der Arbeit erwarten können. Bisher aber hat die Mehrheit der Koalition im Haushaltsausschuß nach 1982 noch jede Regierungsvorlage deutlich verbessert.
Hieran wollen wir erneut mitwirken. Hierfür wollen wir und hierfür werden wir sorgen. Dies soll auch für den Bundeshaushalt 1994 erneut so werden.
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushalts- und Finanzdebatte soll nach dem Willen der Bundesregierung und der Koalition ganz im Zeichen der Auseinandersetzung über die Zukunft des angeblich stark gefährdeten Standorts Deutschland stehen. Da auch die SPD-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe „Standort Deutschland" eingerichtet hat, scheint die Lage sehr ernst zu sein.
({0})
- Scheint! - So aktuell diese Debatte auch sein mag, so ist sie Ouvertüre nur zur Neuinszenierung eines alten Stücks.
Ich möchte meinen Beitrag zu dieser Debatte mit einem etwas längeren Zitat beginnen:
Die Grundlinien des Reformplans der Regierung
sind ein vollkommen ausgeglichener Haushaltsplan, Selbständigmachen der Arbeitslosenversicherung, Sparsamkeit auf allen Gebieten, auch an den Gehältern, Vereinfachung des behördlichen Apparates, insbesondere auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, eine Steuerpolitik, die den Produktionsprozeß nicht unerträglich belastet, vielmehr die Kapitalbildung ... fördert.
In dieser Rede forderte der Kanzler unter anderem,
daß eine gewisse Beweglichkeit in die Gehälter und Löhne gebracht werde. Die Aufgabe, die zu hohen Preise für deutsche Produkte den Preisen auf dem Weltmarkt anzugleichen, sei für unsere wirtschaftliche Gesundung so wichtig, daß sie selbst dann durchgeführt werden müsse, wenn alle Bevölkerungsschichten unbequeme Opfer tragen müßten. Sozialpolitik um ihrer selbst willen sei ein Gebilde im luftleeren Raum.
Es war jedoch nicht der Kanzler Helmut Kohl, der dies forderte, sondern der Kanzler Heinrich Brüning, der im Oktober 1930 vor dem Reichstag mit diesen Worten seine erste Notverordnung, der weitere folgten, verteidigte.
({1})
In einer Denkschrift mit dem Titel „Aufstieg oder Niedergang" heißt es:
Ausgangspunkt für alle Maßnahmen der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik ist unter den für die deutsche Wirtschaft gegebenen Umständen die Förderung der Kapitalbildung. Sie ist die Voraussetzung für die Steigerung der Produktion und liegt daher im Interesse aller Schichten des deutschen Volkes. Die deutsche Wirtschaft muß von allen unwirtschaftlichen Hemmungen befreit werden.
Diese am 2. Dezember 1929 vom Reichsverband der Deutschen Industrie veröffentlichte Denkschrift würde auch in Ton und Diktion in die grundlegend veränderte politische Landschaft im Jahre 3 des größer gewordenen Deutschlands passen. Unverkennbar sind die ideologischen Parallelen zwischen 1929 und 1993.
Es war zwar nicht der Reichsverband der Deutschen Industrie, sondern dessen bundesdeutsche Variante, die am vergangenen Montag die Entwurfsfassung des Standortberichtes der Bundesregierung als nicht ausreichend kritisierte, aber die Motive, die hinter solchen Denkschriften und Erklärungen stecken, sind die gleichen wie 1929. Der Anteil der Sozialausgaben und der Staatsschulden am Bruttosozialprodukt soll gesenkt werden, damit der Staat den Unternehmern zwecks Profiterzielung zusätzliche Subventionen, steuerliche Vergünstigungen und zinsgünstige Kredite finanzieren kann.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf 1994 und das zweiteilige Sparpaket stehen in der Traditionslinie der Brüningschen Notverordnungen. Damals wie heute gipfelt die haushaltspolitische Regierungskunst in Kürzungen bei Leistungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Damals wie heute werden Unternehmer mit Steuergeschenken überhäuft. Die Sparbeschlüsse der BundesDr. Barbara Höll
regierung bedeuten eine Kürzung der real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Sie werden im kommenden Jahr zu einem Rückgang des privaten Verbrauchs und zu einem Wachstumsverlust von einem Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts führen. Durch die Kürzungen bei den Lohnersatzleistungen sowie das Einfrieren der Sozialhilferegelsätze werden immer mehr Menschen der Armut preisgegeben. Durch den Rückzug des Staates aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik wächst die Zahl der Arbeitslosen. Der von der Bundesregierung durch Leistungskürzungen über den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erhoffte Spareffekt von 10 Milliarden DM wird nicht erzielt. Weitere noch gnadenlosere Sparbeschlüsse zu Lasten der abhängig Beschäftigten und der Sozialhilfeempfänger werden folgen, wie Herr Waigel heute ankündigte. Der Preis der Ware Arbeitskraft soll weiter gedrückt, sprich: die Löhne sollen gekürzt und Arbeitszeitbeschränkungen sollen rückgängig gemacht werden. Durch Kürzung von Arbeitlosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie durch Sozialhilfezahlungen unterhalb des Bedarfs soll der Druck auf die Beschäftigten erhöht werden, sich hierbei den verschärften Arbeitsbedingungen willig zu unterwerfen. Menschen ohne Arbeit werden als Schmarotzer gebrandmarkt, gegen die gar nicht hart genug vorgegangen werden kann.
Die Unterordnung und Disziplinierung der Menschen wird sowohl durch ökonomischen Druck als auch durch eine ideologische Umerziehung bewirkt, die leider bereits Früchte zeigt. Umfragen signalisieren eine verstärkte Opferbereitschaft der Menschen zugunsten von Maßnahmen für eine Stärkung des Standorts Deutschland. Auch Reichskanzler Brüning hatte 1932 angesichts einer von ihm diagnostizierten weltweiten Strukturkrise an die Opferbereitschaft der - so wörtlich - „kleinen Existenzen" appelliert.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung hat Anfang Juli die neuen Konturen der wirtschaftspolitischen Diskussion in Deutschland umrissen und eine vermeintliche Struktur- und Kostenkrise in Westdeutschland ausgemacht. Unbestritten ist hierbei auch aus Sicht der PDS, daß die bundesdeutsche Wirtschaft vor strukturelle und konjunkturelle Probleme gestellt ist.
Es gehört allerdings unserer Meinung nach schon ein gehöriges Maß an professioneller Blindheit dazu, um zu übersehen, daß die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland ganz andere Ursachen hat als die in Westdeutschland. Im Osten bestehen die Probleme auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Dort geht es um die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. In Westdeutschland dominiert dagegen eine Nachfrageschwäche, die aus einem Konflikt von Geld- und Lohnpolitik resultiert.
Ich zitiere aus dem Bericht:
Die Wirtschaftspolitik ist in Gefahr, auf der Basis einer falschen Diagnose zu handeln und damit Therapien anzuwenden, deren Wirkungen die Konstitution einer im Prinzip gesunden Volkswirtschaft erheblich schwächen können.
Es gibt in Westdeutschland auch keine Kostenkrise; denn nur zweimal in den vergangenen 25 Jahren sind die Lohnstückkosten stärker gestiegen als im Durchschnitt der 18 wichtigsten Industrieländer. Die in ihrer Wettbewerbsfähigkeit angeblich so gefährdete westdeutsche Wirtschaft hat immerhin den ostdeutschen Markt erobert.
Da die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung darauf ausgerichtet ist, die Interessen und Wünsche der Unternehmer zu befriedigen, und zu diesem Zwecke lediglich die Kampfbegriffe wechselt, die die Angriffe auf sozialstaatliche Errungenschaften legitimieren sollen, würde eine Debatte über Haushaltstitel und Einzelpläne mehr vernebeln als erklären.
Welche Ideologie hinter den Aussagen der Bundesregierung zum gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmen ihrer Haushalts- und Finanzpolitik steckt, ist den einzelnen Formulierungen ihres Finanzberichts zu entnehmen. Eine Folge des Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten ist nach Aussage der Bundesregierung, daß die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung langfristig neu strukturiert wird. In den osteuropäischen Ländern fürchtet sie - so wörtlich - „neue Konkurrenten im weltwirtschaftlichen Wettbewerb " um die erfolgversprechendsten Kapitalverwendungen.
Es geht also um die Neuaufteilung der Reviere für die Profitjäger. Es geht um den verschärften, gnadenlosen Konkurrenzkampf im Weltmaßstab, dessen Verlierer und Opfer schon nicht mehr interessieren. Diese Konkurrenz umfaßt auch Kapitalverwertungsbedingungen. Das Kapital, dieses scheue Reh, darf nicht verschreckt werden. Damit es sich weiterhin lohnt, überschüssiges Kapital in der Bundesrepublik und nicht im Ausland möglichst gewinnträchtig anzulegen, gewährt die Bundesregierung deshalb Unternehmern Steuererleichterungen und verschont alle Gutverdienenden mit höheren Steuern, einer Arbeitsmarkt- oder Ergänzungsabgabe, die deren Einkommen mindern würde.
Während diese Bundesregierung die Sozialleistungen kürzt, unternimmt sie nichts, um die steuerlichen Vorteile aus dem Ehegattensplitting, die sich für 1993 auf etwa 40 Milliarden DM beziffern lassen, abzubauen. Sie unternimmt nichts, um gegen die Steuerhinterziehung von Unternehmern wirksam vorzugehen. Würde die steuerliche Erfassungsquote nur um einen Prozentpunkt steigen, könnten Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden DM realisiert werden. Die sogenannte Schattenwirtschaft führt zu jährlichen Steuerausfällen in einer Größenordnung von bis zu 130 Milliarden DM. Doch wenn, wie geschehen, der Bundeskanzler seinen Freunden aus Industrie und Wirtschaft aus guter Kameradschaft versprochen hat, daß er zum eisernen Sparen entschlossen ist, dann heißt das für die Besitzenden in diesem Lande Entwarnung.
Nichts spricht stärker für diese These als ein Blick in die drei Gesetzentwürfe, die der Deutsche Bundestag in dieser Woche beraten soll. Nur die wenigsten der im Juli von der Bundesregierung beschlossenen Sparmaßnahmen gehen überhaupt zu Lasten der Bezieher höherer Einkommen.
Ein Subventionsabbau in nennenswertem Umfang erfolgt nicht. Sämtliche Kürzungen sozialer Leistungen, die über die Bundesanstalt für Arbeit abgewikkelt werden, sowie die Streichungen beim Kinder- und Erziehungsgeld bedürfen überdies nicht der Zustimmung der Länderkammer.
Die SPD tönt zwar laut, sie wolle den Sozialabbau nicht mitmachen, und verweist dabei auf ihre Mehrheit im Bundesrat. Diese Bundesratsmehrheit würde allerdings bestenfalls Sozialkürzungen in Höhe von 685 Millionen DM verhindern können, denen Kürzungen in Höhe von rund 22,7 Milliarden DM entgegenstehen, die der Bund ohne Zustimmung der Länder im Bundestag beschließen lassen kann.
Die beiden uns vorliegenden Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Sparpakets enthalten ein Haushaltsvolumen von insgesamt rund 23,4 Milliarden DM im Jahre 1994, steigend auf 27,9 Milliarden DM bis 1997. Von dieser Summe könnte der Bundesrat einen Anteil zwischen 2,9 % und maximal 5,6 % durch sein Abstimmungsverhalten beeinflussen. Er könnte!
Grausamer kann jedoch meines Erachtens die Bundesregierung hierbei ihre Lieblingsopposition SPD nicht blamieren als dadurch, daß sie exakt die Sozialkürzungen durch die Koalitionsmehrheit im Bundestag beschließen läßt, deren Verhinderung die Sozialdemokraten als Ergebnis ihres segensreichen Mitwirkens beim Solidarpakt bejubelten.
Daß angesichts der wachsenden Zahl Arbeitsloser 1994 Kürzungen der arbeitsmarktpolitischen Ausgaben in einem Umfang von 13,7 Milliarden DM wirksam werden sollen, beweist den totalen Angriff der Bundesregierung auf die Bezahlung der menschlichen Arbeit.
Es hat keinen Zweck, hier ausschließlich seiner moralischen Empörung Luft zu verschaffen. Die Bundesregierung handelt nicht etwa wider besseres Wissen, wenn sie Lohnersatzleistungen zusammenstreicht, sondern in treuer Pflichterfüllung gegenüber den Interessen der bundesdeutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, werden unter das Existenzminimum gedrückt - übrigens auch hier mit Unterstützung der SPD.
Unterversorgung der Menschen ohne Arbeit und der Menschen, die als Flüchtlinge den Weg in dieses reiche Land gefunden haben - das ist das Programm dieser Bundesregierung, dem die SPD nur in Nuancen widerspricht. Deutsche Stammtische jubeln, wenn - auch hier hat die SPD den Weg freigemacht - Flüchtlinge die Sozialhilfe nicht mehr bar, sondern in Form von Sachleistungen erhalten.
Mit dem im Solidarpakt bereits angekündigten Kampf gegen den angeblichen Mißbrauch sozialer Leistungen blies die Koalition zur Offensive gegen angebliche Schmarotzer und Sozialbetrüger.
„Schmarotzer" - damit ist nicht jenes Drittel der Mitte Juni von der Bundesanstalt für Arbeit geprüften Unternehmen gemeint, bei dem es Rechtsverstöße wie Lohndumping zu Lasten von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie illegale Leiharbeit gab. „Sozialbetrüger" - das sind nicht jene Unternehmen, deren Baustellen nur auf dem Papier standen. Nein, der Angriff gilt den abhängig Beschäftigen, obwohl das Sündenregister der ebenfalls kontrollierten 12 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergab, daß nur 145 Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe illegal arbeiteten. Das heißt, ganze 1,16% gehören zu dieser angeblichen Kategorie der Schmarotzer.
Der Bundesarbeitsminister bescheinigte demgegenüber in einem Brief an den Präsidenten des Deutschen Groß- und Außenhandelsverbandes „einer Reihe von Arbeitgebern ... ein großes Maß an krimineller Energie, um die Solidargemeinschaft zu betrügen". Aber Konsequenzen zu Lasten dieser Unternehmen finden sich in den uns vorliegenden Gesetzentwürfen nicht.
Das Mißbrauchs- und Steuerbereinigungsgesetz, das uns am Montag auf den Tisch flatterte, soll Konsequenzen in dieser Richtung nur vortäuschen.
Diese Gesellschaft steht vor der größten Zäsur der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Solange die DDR und die anderen sozialistischen Staaten existierten, war die Bundesrepublik, sowohl materiell als auch ideologisch unterstützt durch die USA, verpflichtet, sich gegenüber Ostdeutschland als Schaufenster zu präsentieren. Es gab zwar keine gerechte Vermögensverteilung, aber den westdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wurde über Lohnzuwächse und verbesserte Sozialgesetzgebung vorgegaukelt, sie könnten an dem durch ihre Arbeit geschaffenen Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft teilhaben.
({2})
Jetzt steht dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nahezu konkurrenzlos da. Westdeutsche Unternehmen können nun für die Kosten eines deutschen Arbeitnehmers zwei Ostdeutsche, zehn Ungarn, 17 Tschechen, 18 Polen, 38 Bulgaren oder 70 Russen beschäftigen. Die Folgen sind bekannt.
Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung, der sie tragenden Koalition und der ihr in Grundfragen nicht widersprechenden SPD führt dazu, daß diese Gesellschaft in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt wird. Ostdeutschland wird eine Industriebrache, in ganz Deutschland verlieren Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze, und diejenigen, die noch Arbeit haben, haben die Freiheit, sich zwischen den immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen und einem Leben unterhalb des Existenzminimums zu entscheiden.
Wer nicht spurt, dem drohen Zwangsdienste, die zunächst noch „zweiter Arbeitsmarkt" genannt werden, damit die SPD zustimmen kann. Anpassung, Verzicht, Unterordnung - so wird den Menschen eingetrichtert - zahlen sich aus, sichern den Arbeitsplatz und stärken die deutsche Nation, an die inbrünstig jeder glauben soll, wer sich in dieser Gesellschaft nicht mehr zurechtfindet. Für die Anpassung und Ohnmacht entschädigt die Härte, mit der „die da oben" endlich mit allen aufräumen, die nicht mitmachen wollen, und das mittlerweile weltweit - siehe Somalia.
Ich möchte abschließen. Der Haushalt 1994 und die ihn begleitenden Gesetze lenken den Generalangriff auf den Sozialstaat. „Wir müssen die Krise nutzen, denn jetzt sind die Menschen reif ", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dagegen werden wir Widerstand leisten!
({3})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Werner Schulz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit steht die Bundesregierung vor einer paradoxen Situation. Sie muß den Haushalt konsolidieren und gleichzeitig die Konjunktur ankurbeln. Mit dem vorgelegten Haushaltsentwurf und seinen Begleitgesetzen wird sie beiden Zielen nicht gerecht, sondern verfehlt diese gründlich.
Nun sollen die Schwächsten der Gesellschaft das bezahlen, was die Stärksten bisher schuldig geblieben sind. Ihr Beitrag wurde zwar häufig beschworen, doch bisher nicht im mindesten eingefordert. Die Finanzpolitik folgt einem Dreisatz aus Irrtum, Illusion und Schwindel.
Noch im März hat der Bundeskanzler erklärt, daß
mit dem Solidarpaktergebnis die Finanzgrundlagen für die vor uns liegenden Jahre bis 1995 und darüber gesichert sind.
Der Haushaltsentwurf beweist hingegen: Die öffentlichen Finanzen sind weiterhin zerrüttet. Zwar hat der Solidarpakt - eine Wortschöpfung ohne Grundsubstanz - die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern neu geregelt, doch haben die alten Bundesländer vor allem ihre Eigeninteressen verteidigt.
Die SPD war der Auffassung, daß sie mit ihrer Vorleistung zur großen Koalition die Verschlechterung von sozialpolitischen Ansprüchen ausgeschlossen hätte. Ihr ach so geschickter Verhandlungsführer Scharping
({0})
ist noch nicht einmal auf den pfiffigen Gedanken gekommen, sich genau das von der Bundesregierung garantieren zu lassen.
Jetzt erfolgt der unsoziale Nachschlag, der damals schon als „Solidarpakt II" im Gespräch war. Wer das beklagt, sollte zumindest sagen, daß er über den Tisch gezogen worden ist - eine Art bayerischer Kampfsport, der sich nach der Vereinigung ausgebreitet hat und in dem der Finanzminister, der nicht mehr ({1})
- Fingerhakeln heißt das, jawohl, und in dieser Disziplin ist, glaube ich, Theo Waigel Träger des schwarzen Gürtels.
Erst jetzt wird der vermeintliche Solidarpakt deutlich. Ein Konsolidierungsprogramm jagt das nächste. Das Regierungsprogramm ist ein einzigartiger Konsol.
({2})
- Das ist ein Staatsschuldschein, - wenn Sie das nicht wissen sollten.
Das föderale Konsolidierungsprogramm hat die Finanzmisere nicht beendet. Im Gegenteil: Die Staatsverschuldung steigt, der Handlungsspielraum des Staates verengt sich. Bereits heute zahlt der Finanzminister jede achte Steuermark an seine Gläubiger. In den nächsten Jahren wird die gesamte Neuverschuldung für die Zinsen alter Schulden draufgehen.
Jetzt schließt sich der Teufelskreis einer schwindelerregenden Finanzpolitik. Der Anfangsbetrug „deutsche Einheit auf Pump und auf Kosten der Sozialversicherung" hat eine finanzielle Kettenreaktion ausgelöst. Der einzige Trumpf, der dieser Regierung noch bleibt, ist die Hoffnung auf Konjunkturbelebung. Nun mag ja der Glaube manches bewegen, nur Schuldenberge hat er bisher noch nicht versetzt.
Der Entwurf des Bundeshaushalts 1994 ist das verheerende Zwischenergebnis einer finanzpolitischen Mißwirtschaft. Er ist sozial unausgewogen, verschärft die Rezession und wälzt die Kosten auf die Kommunen ab. Was hier vorliegt, ist kein Haushaltssicherungsgesetz, sondern ein Gesetz, das auf dem Rücken der am Boden Liegenden ausgetragen wird.
Drei Jahre nach der Währungsunion beginnt der Kanzler zu ahnen, daß die Einheit die zuvor bestandenen Strukturschwächen der Wirtschaft nur verdeckt hat. Nach dem dolce vita einer liederlichen Schuldenpolitik folgen nun die Verzweifelungsakte hektischer Betriebsamkeit.
({3})
Die Arbeitslosigkeit hat katastrophale Ausmaße erreicht. Sie ist, allen Ablenkungsversuchen zum Trotz, das Problem Nummer eins, an dem viele andere Probleme hängen.
Aber was kümmert das diese Regierung in ihrer selbstverschuldeten Finanzklemme? Sie kürzt die Arbeitslosenunterstützung, befristet das Arbeitslosengeld und bekämpft damit die Arbeitslosen anstatt die Arbeitslosigkeit.
Geplant ist die statistische Bereinigung, indem der wachsende Sockel der Dauerarbeitslosigkeit in die Sozialhilfe umgesetzt wird. Die gleichzeitige Beschneidung der Sozialhilfeleistungen aber vertieft die Spaltung der Gesellschaft - eine wohl dauerhaft bleibende historische Leistung der Regierung Kohl. Hier winkt schon der Kanzler Brüning oder läßt grüßen. Ich denke, das ist schon vergleichbar.
Für die Pflegeversicherung sollen die Kranken aufkommen. Die Löcher im Haushalt sollen die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger stopfen. Gleichzeitig werden von Bundesregierung und SPD-regierten Ländern Steuersenkungen für Unternehmen beschlossen, getreu dem barmherzigen Motto der christlich-liberalen Koalition: Wer reich ist, dem wird gege14716
Werner Schulz ({4})
ben; wer wenig hat, dem wird auch das noch genommen.
Kein Bluff wird ausgelassen. Jetzt wird mit einem faulen Trick die unsoziale Sparpolitik am Bundesrat vorbeigeschlenzt. Es führt offenbar nichts daran vorbei: Im zustimmungspflichtigen Teil werden die Länder vor die Wahl gestellt, die Sozialhilfekürzungen zu akzeptieren oder den ohnehin bedürftigen Kommunen große Finanzlasten aufzubürden.
Nach wie vor werden die Haushaltsrisiken verharmlost oder ausgeblendet. Das für 1993 angenommene Bruttoinlandsprodukt nähert sich mehr einem Wunschtraum als der Wirklichkeit. Die nächste Korrektur der Steuereinnahmen ist vorhersehbar. Der ministeriöse Erblastfonds, die außenwirtschaftlichen Gewährleistungen mit Ausfallrisiko, die Defizite von Bundesbahn und Reichsbahn, die steigenden Lasten der Bundesanstalt für Arbeit und die schwebenden Verfahren „Konzernhaftung Treuhand", „Rentenausgleichszahlung" und „Lufthansa-Privatisierung" bilden ein explosives Gemisch für den vom Rotstift gezeichneten Bundeshaushalt.
Da ich gerade von Unterschlagungen rede: Der Sammelsuriumsbericht zum Standort Deutschland verschweigt, daß auch die Finanz- und Steuerpolitik zu einer Schwächung der Standortbedingungen geführt hat. Seit Jahren werden zur Verschleierung der finanziellen Notlage die Sozialversicherungen für die Alimentierung Ostdeutschlands zweckentfremdet. Allein 1993 werden 50 Milliarden DM aus den Kassen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung für die Transfers aufgebracht. Da liegt der Grund für den Anstieg der Lohnnebenkosten. Auch da hat die Bundesregierung die Probleme, die sie heute beklagt, selbst mitverursacht.
Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit ist mit der deutschen Einheit aus den Fugen geraten. Jetzt wakkelt der soziale Friede; ein von Regierung und Unternehmern allzuoft unterschätzter Standortvorteil. Am Rande dieser Gesellschaft rumort es. Die Benachteiligten stemmen sich gegen die Endgültigkeit ihres Schicksals. Auch rücksichtslose Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Lebensentwertung schlagen gewaltsam zurück. Andererseits fehlt es nicht an Willen, Fleiß und Ideen. Die Menschen in den neuen Bundesländern, das Gros der Arbeitslosen in Ost und West, die sind bereit, die Ärmel aufzukrempeln, falls ihnen die Regierung Kohl nicht vorher das letzte Hemd ausgezogen hat.
Kein Zweifel: In Anbetracht der strapazierten Kassen und der enormen Anforderungen für den Aufbau Ost gilt strikte Sparsamkeit. Doch diese Regierung spart zuwenig und zudem am falschen Fleck.
Während die Haushalte der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger schrumpfen, wachsen der Haushalt von Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt und Bundestag. Justiz, Innenpolitik und Gesundheit erhalten zwar in allen Staatsreden mehr Bedeutung - wir werden das morgen hören -, aber demnächst auch weniger Geld. Auch Bildung und Wissenschaft verlieren an Gewicht. Innerhalb der OECD liegen wir mit diesen richtungsweisenden Ausgaben bereits an 22. Stelle.
Die zukunftsbestimmenden Etats Forschung und Entwicklungshilfe kommen ebenfalls an die kurze Leine des Finanzministers. Was nützt da die Feststellung von der verschlafenen Innovation oder die Beteuerung, daß die Fluchtursachen bekämpft werden müssen? Wer Forschungsmittel einfriert, muß sich nicht über die geistige Schockfrostung wundern. Wer den Geldfluß in die Zwei-Drittel-Welt drosselt, erhöht den Einwanderungsdruck in die Bundesrepublik.
Die mehrfach versprochene Subventionskürzung findet wieder nicht statt. Die Befristung von Subventionen bleibt ebenfalls eine unverbindliche Absichtserklärung. Nach wie vor gilt: Die einzige Wirtschaft, die unter dieser Regierung Konjunktur hat, ist die Cliquenwirtschaft. Diese Regierung findet keine Einsparmöglichkeiten, weil sie auf sozialen Abwegen ist. Dabei gäbe es im eigenen Verantwortungsbereich genügend. Allein das „Journal für Deutschland", neu herausgegeben, kostet 3,2 Millionen DM: Eine glanzlose Politik auf Hochglanzpapier wird hier teuer verkauft.
Nach drei Jahren Bundestag ist mir bewußt, daß die Opposition Forderungen stellen kann, die nichts, aber auch gar nichts bewirken. Unsere Forderungen liegen seit den Sozialpaktgesprächen auf dem Tisch: Ökosteuern, Arbeitsmarktabgabe, Investitionshilfeabgabe, Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Eintreibung von Steuerrückständen, EG-weite Regelung der Zinssteuer, Einsparungen im Rüstungsetat, Wegfall von Subventionen und Steuervergünstigungen, verkehrswertgerechte Vermögensbewertung, Abschöpfung von Bodenspekulationsgewinnen usw. Damit könnten ein solider Haushalt ohne Sozialkürzungen, der Aufbau Ost, ein zukunftsträchtiges Energie- und Infrastrukturprogramm und ein zweiter Arbeitsmarkt finanziert werden. Doch Kooperation ist in diesem Parlament nicht gefragt.
Was wir tun können, ist, Klarheit zu vermitteln, daß die Lebenslüge über die Kosten der deutschen Einheit, der unterbliebene Lastenausgleich die meisten teuer zu stehen kommt. Die Gewinner der deutschen Einheit bleiben unberührt. Sie haben den mühelosen Reibach längst auf der hohen Kante liegen oder profitabel im Ausland investiert.
Vor annähernd 20 Jahren hat die CDU die „neue soziale Frage" entdeckt. Die Regierung Kohl hat sie nun übersichtlich und einseitig entsorgt. Wenn diese Regierung nach Leistung bezahlt werden sollte, dann müßte sie ab heute Schlechtwettergeld bekommen. Denn seit dem eitlen Sonnenschein der Wiedervereinigungsfeier steht sie im Regen, und das ist wahrlich kein goldener.
({5})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hans Peter Schmitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Schulz, ich habe bei Ihrer Rede gedacht: Wo mag der Herr wohl leben? - Jedenfalls nicht in Deutschland.
({0})
Hans Peter Schmitz ({1})
Ein zweiter Punkt, der mir aufgefallen ist: Wenn Sie sich wirklich sachlich, inhaltlich mit der Geschichte beschäftigt hätten, würden Sie diesen Vergleich mit der Brüningschen Politik mit Sicherheit so nicht ziehen. Ich halte ihn historisch für falsch. Sachlich ist er eh falsch.
Meine Damen und Herren, klar ist - und daran geht überhaupt kein Weg vorbei -: Wir müssen feststellen, daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im letzten halben Jahr erheblich schwächer verlaufen ist, als wir dies zu Anfang des Jahres noch erwarten konnten. Trotz der ersten Anzeichen einer Stabilisierung der Wirtschaftslage ist derzeit noch nicht absehbar, inwieweit die Konjunkturkrise, in der wir uns zweifellos befinden, zurückgeht. Darüber hinaus hat der Konjunktureinbruch die vorhandenen strukturellen Defizite - das kommt eigentlich zuwenig zum Ausdruck - deutlich sichtbar werden lassen. Sie müssen gerade jetzt entschlossen angepackt werden. Darauf werde ich in meinen Ausführungen noch eingehen.
Diesen veränderten Rahmenbedingungen tragen der vom Bundesfinanzminister heute eingebrachte Entwurf des Bundeshaushalts 1994 sowie das Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm der Bundesregierung und die entsprechenden Gesetzentwürfe Rechnung.
({2})
Der konjunkturelle Einbruch hat zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und somit zu einer erheblichen Steuermindereinnahme bei einem gleichzeitig entsprechend höheren Zuschußbedarf der Bundesanstalt für Arbeit geführt. Im laufenden Haushalt haben wir über 25 Milliarden DM Anstieg der Nettokreditaufnahme auf 67 Milliarden DM hinnehmen müssen. Für das laufende Jahr hat es keine andere Alternative gegeben, als die konjunkturbedingte Deckungslücke durch eine entsprechende Erhöhung der Nettokreditaufnahme zu finanzieren. Ich denke, das ist völlig unstreitig. Ebenso unstreitig muß es aber auch sein, daß die jährliche Nettokreditaufnahme in dieser Größenordnung auf Dauer gesehen nicht vertretbar ist. Da sind sich wohl alle Seiten des Hauses einig.
({3})
Insofern ist es nicht nur konsequent, sondern auch zwingend geboten gewesen, daß die Bundesregierung neben dem Entwurf des Haushalts 1994 zum Abbau struktureller Defizite auch ihr Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm mit einem Entlastungsvolumen für den Bund bei den Einnahmen und bei den Ausgaben von 21 Milliarden DM für das Jahr 1994, das auf 28 Milliarden DM ansteigt, und das für die öffentlichen Gesamthaushalte ein Entlastungsvolumen von jährlich 25 bis 35 Milliarden DM erbringt, vorgelegt hat.
Damit werden die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Rückführung der Nettokreditaufnahme geschaffen, wie dies im Finanzplan vorgesehen ist. Wir haben das ehrgeizige Ziel, die Nettokreditaufnahme bis 1997 auf 38 Milliarden DM zurückzuführen. Ich halte dies für wichtig und erstrebenswert.
({4})
Ohne die Realisierung dieses Konzepts würde die Nettokreditaufnahme im Jahr 1994 nicht auf dem diesjährigen Niveau gehalten werden können. Sie würde mit Sicherheit steigen.
Wer, meine Damen und Herren von der Opposition - wir haben das heute wieder festgestellt -, so vehement gegen die heute eingebrachten Gesetzentwürfe herzieht, der sollte sich nicht immer darauf beschränken, zu sagen, wogegen er ist, sondern er sollte klipp und klar erklären, wie seine eigenen Alternativen aussehen.
({5})
Jedenfalls - Frau Matthäus-Maier, ich werde mir den Katalog noch einmal zu Gemüte führen - in der ersten Durchsicht habe ich keine sehr ernst zu nehmenden Vorschläge bei Ihnen gefunden.
({6})
- Das ist sehr nett. Das werden wir dann prüfen.
({7})
Im Gegenteil, was in den letzten Tagen und Wochen und auch heute aus Ihren Reihen zu hören war, hat nichts mit Einsparen zu tun, aber viel mit zum Teil sehr unnützen Mehrausgaben, z. B. die wiederholte Forderung nach Beschäftigungsprogrammen. Die haben Sie schon während Ihrer Regierungszeit soundso oft angekündigt und vorgelegt. Sie haben nichts anderes gebracht, als Geld gekostet, und nichts Nennenswertes bewirkt. Diese Programme sind verpufft. Sie waren heiße Luft, mehr nicht.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein, finde ich, bemerkenswertes Zitat aus der „Frankfurter Rundschau", die Ihnen bekanntlich nähersteht als uns, vom 26. August dieses Jahres vortragen:
An den Vorschlägen, wie und wofür der Staat mehr Geld ausgeben sollte, hat es noch nie gefehlt. Wenige Tage vor dem Start der Haushalts- und Spardebatten in Bundestag und Bundesrat mangelt es denn auch nicht an Wünschen aus den Reihen der SPD, wo überall Bonn nicht kürzen oder zusätzlich draufsatteln sollte.
An dieser Feststellung hat sich nichts geändert, auch heute in der Debatte nicht. Dein habe ich nichts hinzuzufügen.
({8})
Das öffentliche Erscheinungsbild in den letzten Wochen entspricht dem auch. In den letzten Monaten und Wochen sind sie auch in der Haushalts- und Finanzpolitik einfach konzeptlos gewesen. Der Kollege Dreßler und andere aus Ihren Reihen äußern die Befürchtung, wir würden uns da - so wörtlich - totsparen. Wem in der jetzigen Situation aber nichts anderes einfällt, als die vorhandenen strukturellen Defizite durch immer weitere Ausdehnung des öffentlichen Korridors oder, wenn sie so wollen, der Nettokreditaufnahme zu finanzieren, der muß sehr genau
Hans Peter Schmitz ({9})
wissen, daß dies nicht nur den Spielraum für dringend benötigte private Investitionen einschränkt. Er provoziert vielmehr, daß er eine höhere Zinsquote, höhere Leitzinsen, eine höhere Inflationsrate bekommt und den Handlungsspielraum der Bundesbank entscheidend einschränkt. Damit würde im Grunde genommen jedwede konjunkturelle Entwicklung abgewürgt werden.
({10})
- Wenn man Ihre Vorschläge einmal genau prüft, stellt man fest, daß genau das drin ist, was ich eben gesagt habe: Konjunkturprogramm noch und noch, Vorschläge zur Ausgabenpolitik. Aber wenn man mit Ihnen einmal über die Vorschläge für Einsparungen zur Stabilisierung unserer wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse reden will, ist nichts vorhanden. Insofern bleibe ich bei der Feststellung, die ich eben getroffen habe.
({11})
Auch an weiteren Vorschlägen - ich bin gespannt, was nachher Kollege Poß hier verkünden wird - über das hinaus, was geplant worden ist, haben Sie aus Ihren Reihen nichts anderes als Steuererhöhungen gefordert. Das ist Gift - das wissen Sie selber - für die Konjunktur. Es ist nicht vertretbar.
Auch die Abgabenquote - das ist schon mehrfach ausgeführt worden; der Finanzminister hat das dankenswerterweise noch einmal festgeklopft - und die Staatsquote sind uns zu hoch.
Herr Abgeordneter Schmitz, entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche. Die Abgeordnete Frau Matthäus -Maier würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Wie könnte ich das ablehnen! Allein aus Höflichkeit lasse ich die Frage zu.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
({0})
Herr Schmitz, weil ich aus den Reihen der Koalition schon oft gehört habe, Steuersubventionen dürfe man nicht abbauen, weil nachher die Steuer sei und das dann eine Steuererhöhung sei, frage ich Sie: Wenn in diesem Land z. B. Schmiergelder steuerlich absetzbar sind, was unstreitig ist,
({0})
und ich den politischen Willen habe, das abzuschaffen, weil ich das schlicht und einfach für verkehrt halte - das fordern wir -, dann lehnen Sie das ab, weil das im Endergebnis eine Steuererhöhung ist, oder wie kann ich Sie verstehen? Sie sind doch entweder dafür,
daß Schmiergelder nicht absetzbar sind, oder dagegen.
({1})
Jetzt weiß ich nicht, ob ich diese Frage so qualifizieren soll, wie ich das innerlich tue.
({0})
- Ja, das kann ich gleich. - Aber Frau Kollegin Matthäus-Maier, sollte Ihnen entgangen sein, daß wir im steuerlichen Bereich - das hat der Kollege Waigel hier deutlich gemacht, und ich glaube, der Kollege Roth auch; ich antworte seriös - 38 Milliarden DM an Subventionen bereits abgebaut haben? Sollte Ihnen das entgangen sein, dann weiß ich nicht, warum Sie mir diese Frage mit dem Schmiergeld stellen. Ich halte sie nicht für sehr seriös; ich halte Schmiergelder überhaupt nicht für seriös.
({1})
Wenn das allerdings Ihr Vorschlag ist, kann ich Ihnen aber auch als Haushälter sagen: Das bringt den Saft nicht zusammen, mit dem wir den Motor schmieren sollen. Also, ich halte diese Frage für nicht sehr seriös. Insofern möchte ich in meinen Ausführungen fortfahren.
({2})
Ich sage deshalb mit aller Entschiedenheit, noch einmal bezogen auf die Abgabenquote: Die Grenze der Belastbarkeit ist sowohl beim Steuerzahler als auch für die Wirtschaft erreicht. Wir müssen deshalb alles daransetzen, die hohe Steuerlast mittelfristig wieder abzusenken und die Privatinitiative zu fördern.
({3})
Nur so lassen sich im übrigen auch die Finanzierungsgrundlagen unseres Sozialsystems langfristig sichern. Das hängt sehr eng zusammen, das läßt sich nicht voneinander trennen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit ihrer Entschlossenheit, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren, den richtigen Weg beschritten. Namhafte Experten im In- und Ausland unterstreichen das. Das zeigt sich allein dadurch, daß das Vertrauen der Finanzmärkte in die D-Mark zurückgekehrt ist. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die D-Mark sei in der Sommerpause stark verunsichert gewesen. Allerdings: Die ersten Anzeichen waren da. Das Vertrauen der Finanzmärkte in die D-Mark ist nicht nur zurückgekehrt, die D-Mark ist härter denn je.
Die Bundesbank hat mit den Zinssenkungsbeschlüssen umgehend positiv auf die Eckwerte zum Spar- und Wachstumspaket reagiert.
Darum möchte ich hier auch einiges unterstreichen. Unabhängig davon, ob in den parlamentarischen Beratungen noch das eine oder andere Detail modifiziert wird oder auch die angestrebte Einsparsumme
Hans Peter Schmitz ({4})
jetzt noch entsprechend reduziert wird: Das Ergebnis muß es bringen, meine Damen und Herren. Über die Einsparungssumme lassen wir mit uns nicht reden, und an diesem Ergebnis lassen wir nicht rütteln. Das muß erreicht werden.
({5})
Wir kommen aber auch an der nüchternen Feststellung nicht vorbei, daß wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben. Tun wir doch nicht so, als ob die Bevölkerung das nicht begriffen hätte. Wenn Umfrageergebnisse zeigen, daß 70 % unserer Bevölkerung anerkennen, daß wir teilweise über unsere Verhältnisse gelebt haben, meine Damen und Herren,
({6})
dann ist die Politik nicht nur gezwungen, dann tut sie gut daran, darauf zu reagieren. Denn mehr als sonst ist nicht das Wünschenswerte in den Vordergrund zu stellen, sondern das, was machbar ist, ist in den Vordergrund zu stellen, sowohl in der Finanz-, in der Wirtschafts- wie auch in der Sozialpolitik.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem strapazierten Begriff der sozialen Gerechtigkeit sagen. Manchmal drängt sich mir der Eindruck auf, als gebe es in der politischen, aber auch in der publizistischen Argumentation zwei Grundströmungen: Die einen widmen sich der sogenannten „gerechten" Verteilung des Wohlstandes; die anderen fühlen sich vor allen Dingen dem Ziel verpflichtet, den Wohlstand zu mehren.
Während die ersteren - die Reden werden es in dieser Woche wieder zeigen - soziale Sensibilität und Warmherzigkeit für sich beanspruchen, unterstellen sie gleichzeitig den anderen soziale Kälte. Ich finde, so einfach kann man es sich nicht machen. Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit. Alles, was verteilt wird, meine Damen und Herren, muß zunächst hart erarbeitet werden. Daran geht kein Weg vorbei.
({7})
Deshalb können wir in der jetzigen Situation, in der die Realeinkommen rückläufig sind, nicht nur die Steuer- und Beitragszahler - das wird viel zu sehr übersehen -, sondern müssen auch die Bezieher staatlicher Leistungen zu einem Beitrag zur konjunkturellen Wiederbelebung heranziehen. Beide sind gefordert: sowohl diejenigen, die Steuern und Beiträge leisten, wie auch gleichzeitig diejenigen, die empfangen. Beide sitzen nämlich in einem Boot.
Das sage ich nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß beispielsweise die Sozialhilfesätze in den letzten Jahren erheblich stärker angestiegen sind als die Nettolöhne. Während nämlich die Nettolöhne zwischen 1982 und 1992 nominal um 37 % gestiegen sind, betrug der nominale Zuwachs der Sozialhilfesätze in der gleichen Zeit 60 %.
Machen wir uns doch nichts vor! Derjenige, der in einer Leichtlohngruppe - entweder im öffentlichen Dienst oder im industriellen bzw. gewerblichen Bereich - beschäftigt ist und sieht, daß der Abstand zwischen seinem Gehalt und dem Sozialhilfesatz sehr gering ist, muß doch auf die Idee kommen, sich zu fragen, warum er für so wenig Abstand noch arbeiten geht. Wer die Augen davor nicht verschließt und sich unters Volk mischt, der sieht jeden Tag neue Beispiele. Verschließen wir doch nicht die Augen davor!
({8})
- „Wem erzählen Sie das?" Ich bin gespannt auf Ihre Ausführungen.
Im übrigen ist eine prozentual stärkere Steuerbelastung von Beziehern höherer Einkommen unserem Steuersystem sowieso immanent.
({9})
- Sie sagen „natürlich".
({10})
- Ich habe nichts dagegen. Warten Sie doch ab.
Knapp 30 % der Steuerpflichtigen, die mit einem Jahreseinkommen von über 60 000 DM, tragen über 70 % der Lohn- und Einkommensteuerlast. Wer immer wieder nur den Abbau von Steuervergünstigungen fordert, dem sei gesagt, daß seit der Steuerreform 1990 - ich habe das eben schon einmal betont; ich wiederhole es - Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen, Frau Matthäus-Maier, von fast 38 Milliarden DM abgebaut worden sind. Sie sollten das einmal zur Kenntnis nehmen und keine dummen Zwischenfragen stellen.
({11})
- Ich fand sie nicht sehr qualifiziert. Ich will das hier einmal ganz offen sagen. Ich habe gedacht, man wäre in einen vernünftigen Dialog eingetreten; aber das ist ja nicht möglich.
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- Ja, gut.
In Zukunft muß dem Lohnabstandsgebot wieder stärker Rechnung getragen werden. Auch der in unteren Lohngruppen Beschäftigte muß Gewißheit haben, daß sich seine Leistung lohnt. Das ist heute, wie jeder weiß, nicht immer der Fall. Das verfügbare Nettoeinkommen eines Arbeitnehmers muß deswegen in einem vernünftigen Verhältnis zur Lohnersatzleistung stehen. Auch das müssen wir offen aussprechen; es geht kein Weg daran vorbei.
Aber auch der Aufbau in den neuen Bundesländern hat seinen Tribut gefordert. Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, daß das Zusammenwachsen unseres Vaterlandes nach vier Jahrzehnten der gewaltsamen und unnatürlichen Trennung schwierig gewesen ist. Deswegen hat Theo Waigel, wenn man die Debatte über die Verschuldung führt, recht, daß er die sozialistische Erblast hier
Hans Peter Schmitz ({13})
anführt. Man kann doch nicht über Verschuldung reden und sagen: Das alles schieben wir beiseite. Die 400 Milliarden DM, mit denen wir es hier zu tun haben, sind aus heiterem Himmel gekommen. - Es ist in der Tat die sozialistische Erblast. Man kann dies nicht, wie es von seiten der SPD des öfteren gemacht wird, ausschließlich Theo Waigel ans Bein binden. Ich finde das unredlich. Wir sollten uns zur Bewältigung dieser Dinge bekennen. Dann haben wir auch die Chance, dies dem Bürger deutlich und klar zu machen.
({14})
- Ach, wissen Sie, ich habe mir das, was wir in dieser Regierungszeit erreicht haben, angesehen. Ich finde, wir können eine tolle Bilanz vorlegen bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir die große Aufgabe der Wiedervereinigung finanzieren mußten. Es gab keine Alternative dazu.
In Zeiten der SPD-Regierung betrug die durchschnittliche Steigerungsrate des Haushaltes 9 %; Sie hatten sogar einen Ausreißer von 17 % - ohne Wiedervereinigung. Wenn wir unter Einbeziehung der Finanzierung der Bahnreform nominal mit einer Steigerungsrate von 4,4 % auskommen und angesichts der Bilanz der Jahre vorher, dann, finde ich, hat Theo Waigel ein Lob verdient, ein großes Lob, auch von der Opposition.
({15})
Trotzdem muß ich Sie einmal unterbrechen, weil der Herr Abgeordnete Dr. Ullmann gerne eine Zwischenfrage stellen möchte.
Aber gerne.
Herr Kollege, stimmen Sie mir darin zu, daß unsere Debatte vielleicht an Sachlichkeit gewönne, wenn wir uns darüber einig sein könnten, daß hier nicht die Qualität der SED-geführten Wirtschaft zur Debatte steht, sondern der Umgang mit deren Hinterlassenschaft?
Ich denke, Herr Kollege, ich habe nichts anderes gesagt. Ich habe gesagt: Das, was hinterlassen worden ist, müssen wir bewältigen. Wenn Sie hier beim Umgang differenzieren, kann ich nur sagen: Nein, nein, Sie kommen nicht daran vorbei, auch die Tatsachen und Fakten zu nennen. Die Bewältigung dieser Riesenlast ist eben in Mark und Pfennig ausgedrückt. Dieses Geld müssen wir alle aufbringen, damit wir diese Last bewältigen können. Sie ist faktisch vorhanden. Sie muß bewältigt werden, sie muß auch finanziert werden, und dies tun wir. Auch die Bürger in den neuen
Bundesländern können sich darauf verlassen, daß wir das machen.
({0})
Der Umfang der sozialistischen Erblast hat sicherlich unsere Vorstellungen überstiegen. Wenn wir uns hier die unrühmliche Rolle der SPD-Opposition einmal vor Augen halten - ich habe das eben schon getan; ich denke, daß wir morgen noch ein Stückchen davon erleben werden -, dann möchte ich daran erinnern, wie sich die sozialdemokratisch geführten Länder verhalten haben, als der Bundesfinanzminister ankündigte, er wolle ein föderales Konsolidierungskonzept auf den Tisch des Hauses legen. Ich habe einzig und allein gehört: Nein, so nicht, das nicht und jenes nicht.
Als das Ende erreicht war, hat sich der eine oder andere sogar gerühmt - ich gebe zu, da waren auch unsere Leute nicht ganz unbeteiligt -, er habe gedacht, er wäre schwerer über die Hürde gekommen und hätte mehr zahlen müssen. Ich meine, die Finanzminister der SPD-geführten Bundesländer haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als es darum ging, gemeinsame Aufgaben für unser gemeinsames Vaterland mit zu übernehmen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie das weitergehen wird.
In der Regierungszeit der Sozialdemokraten - das habe ich eben schon gesagt - wurde mit Haushaltssteigerungen gearbeitet, die mit Sicherheit wesentlich über dem lagen, was heute von Theo Waigel vorgelegt worden ist. Ich bin sicher, daß wir in Zukunft noch mit weiteren Herausforderungen konfrontiert werden. Ich nenne z. B. den internationalen Wettbewerb. Das Thema Arbeitsplätze hat hier schon eine Rolle gespielt. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Programm vorgelegt.
Ich bin gespannt, ob die Sozialdemokraten, die ein ähnliches Programm hier vorgelegt haben, dann, wenn es darum geht, bei konkreten Gesetzesvorlagen ihre Zustimmung oder ihre konstruktive Arbeit einzubringen, noch zu dem stehen. Wir werden sie jedenfalls ganz konkret daran festhalten.
Wir können diesen Herausforderungen eigentlich nur wirksam begegnen, wenn wir umdenken, wenn wir uns rechtzeitig auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen. Das kann aber nicht alleine eine Aufgabe des Bundes sein. Alle Gebietskörperschaften müssen daran mitarbeiten, sowohl der Bund, als auch die Länder und Gemeinden. Das kann aber auch nicht Aufgabe des Staates und der Politik alleine sein, sondern es richtet sich vielmehr an alle gesellschaftlichen Gruppen. Insbesondere die Tarifpartner müssen den volkswirtschaftlichen Realitäten Rechnung tragen.
({1})
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden auch in Zukunft das finanzpolitisch Erforderliche entschlossen anpacken. Nicht mit Kleinmut, mit Wehleidigkeit werden wir die Zukunft erfolgreich gestalten, sondern nur mit Mut, mit Augenmaß und Zuversicht.
({2}) - Und der F.D.P., selbstverständlich.
Hans Peter Schmitz ({3}) Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Joachim Poß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Beitrag des Kollegen Schmitz hat deutlich gemacht, daß wir spätestens im anstehenden Gesetzgebungsverfahren noch einige Fakten klären müssen, z. B. wie die Lebensverhältnisse von Sozialhilfeempfängern tatsächlich aussehen und ob das Finanzministerium in den Beispielen, die es zitiert, wirklich den repräsentativen Arbeiterhaushalt in einen Vergleich zu den Sozialhilfebezügen gesetzt hat. Ich habe hier andere Zahlen. - Ich wollte mich mit diesem Thema hier nicht näher beschäftigen; ich nehme an, daß die Sozialpolitiker auf das Thema noch eingehen werden. - Ich habe andere Vergleichszahlen. Ich wollte damit nur sagen: Wir sollten uns die Zahlen wirklich sehr gründlich anschauen.
({0})
- Ja, das werden wir dann feststellen.
Das gilt auch für die von Ihnen heute öfter erwähnten 38 Milliarden DM beim Abbau steuerlicher Subventionen. Wir werden sicherlich schon morgen die Unterlage, die uns die Erläuterungen dazu gibt, anfordern. Das werden wir uns sehr genau anschauen. Der Subventionsbericht wird ja wohl auch von Ihnen nicht als endgültig aussagekräftig bezeichnet, wenn der Sparerfreibetrag plötzlich keine Subvention mehr ist und einiges mehr.
({1})
- Diese Zahl ist ja von Ihnen bisher auch nicht so ins Feld geführt worden.
Die von der Bundesregierung groß angekündigte Bekämpfung von steuerlichem Mißbrauch bleibt in völlig unzureichenden Ansätzen stecken.
({2})
Nachdem die Bundesregierung monatelang in der Öffentlichkeit wie ein Löwe gebrüllt hat, ist mit dem jetzt vorgelegten Entwurf eines Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes nur noch ein Papiertiger in Miniformat übriggeblieben. Die im Gesetzentwurf enthaltenen wenigen Maßnahmen zur Bekämpfung des steuerlichen Mißbrauchs sind in ihrer Quantität insgesamt jämmerlich und mit den veranschlagten Mehreinnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden DM für 1994 und 1,9 Milliarden DM für 1995 in ihrer Quantität geradezu beschämend.
({3})
Insgesamt bleiben die vorgesehenen Maßnahmen weit hinter dem Notwendigen und dem Möglichen zurück. Nicht einmal der ausdrücklich ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorgelegte Mißbrauchskatalog aus dem Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums wird in seinen wesentlichen Punkten abgearbeitet. Von einer ernsthaften Bekämpfung der Steuerhinterziehung und des steuerlichen Mißbrauchs kann deshalb in diesem Gesetzentwurf keine Rede sein.
({4})
Es ist geradezu eine Verhöhnung der ehrlichen Steuerzahler, wenn in der allgemeinen Begründung zum Gesetzentwurf ausgeführt wird, daß damit „die Steuerpflichtigen, die bisher in unangemessener Weise ihre Steuerbelastung minimieren konnten, zur dringend erforderlichen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte besonders herangezogen" werden.
Tatsächlich läßt die Bundesregierung jedenfalls mit den jetzt vorgelegten Maßnahmen die dringend notwendige Bekämpfung des steuerlichen Mißbrauchs zur Alibifunktion verkommen.
Meine Damen und Herren, seit den sogenannten Solidarpaktverhandlungen im Frühjahr dieses Jahres beteuert die Bundesregierung ständig, daß sie die Mißbrauchsbekämpfung nicht nur im Sozialbereich vornehmen will, sondern sich auch dem Subventionsbetrug und der Steuerhinterziehung zuwenden wird. Doch wenn es konkret wird, wird tatsächlich bei denjenigen abkassiert, die ohnehin kaum noch Geld in der Tasche haben.
({5})
Mit den jetzt von Ihnen beschlossenen massiven Einschnitten ins soziale Netz übertreffen Sie wirklich alles bisher Dagewesene. Sie stufen den Menschen mit ganz geringem Einkommen, den Erwerbslosen, den Sozialhilfeempfänger, auch noch in bezug auf das herab, was ihm bisher ein bißchen Unterstützung und Entlastung von existentiellen Sorgen brachte: Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Kindererziehungsgeld, Schlechtwettergeld, Eingliederungshilfe und Arbeitslosenhilfe.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, indem Sie diesen Kürzungen zugestimmt haben, haben Sie sich endgültig vom Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft verabschiedet.
({6})
- Das ist noch vornehm ausgedrückt. Ich darf den bekannten Jesuitenpater und Ökonomen Professor Friedhelm Hengsbach zitieren; er bezeichnet das politische Rezept der Bundesregierung, die Armen zu schröpfen und die Leistungsstarken zu schonen, „fast als Regierungskriminalität". Ich war also in meiner Wortwahl noch zurückhaltend.
({7})
Der längst überfällige Abbau von Steuersubventionen wird von der Bundesregierung erneut nicht in Angriff genommen. Es ist ein Skandal, daß die Bundesregierung immer neue Opfer von denen verlangt, die ohnehin kaum genug zum Leben haben, und daß sie an den bekannten Privilegien für eine kleine, gutsituierte Minderheit festhält. Da ist das Dienstmäd14722
chenprivileg, die Absetzung von Schmiergeldern, die unbegrenzte steuerliche Berücksichtigung von betrieblich genutzten Luxus-Pkw.
({8})
Das sind nur Beispiele, die Signalcharakter haben, weil sie den Weg Ihrer Politik beleuchten.
({9})
Die Bundesregierung ist also nicht nur inkonsequent beim Abbau von Steuersubventionen, sie baut bestehende Steuersubventionen sogar noch aus. Zum Beispiel soll der Schuldzinsenabzug für neue Eigenheime in Höhe von 12 000 DM im Jahr, der bis Ende 1994 befristet ist, um ein weiteres Jahr bis 1995 verlängert werden. Der Schuldzinsenabzug verschärft schon heute die krasse soziale Schlagseite der geltenden steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums. Da der Schuldzinsenabzug mit steigendem Einkommen zu wachsenden steuerlichen Entlastungen führt, kann er nur von Spitzenverdienern voll ausgenutzt werden. Er führt außerdem zu für die öffentlichen Haushalte teuren Mitnahmeeffekten. Mit dem Schuldzinsenabzug pumpt die Bundesregierung das Geld der Steuerzahler in ein ineffizientes Fördersystem nach dem Motto: Teure Steuergeschenke für Großverdiener, völlig unzureichende Förderung des Durchschnittsverdieners.
({10})
Im übrigen, Herr Kollege Gattermann, hat die Bundesregierung den Schuldzinsenabzug 1991 mit der Begründung eingeführt, er sei als Ausgleich für die gestiegenen Kapitalmarktzinsen notwendig. Heute sind die Zinsen mit unter 7 % so niedrig wie seit 1987 nicht mehr. Die Begründung ist insoweit hinfällig. Gleichzeitig will die Bundesregierung für Arbeitnehmer die Arbeitnehmersparzulage abschaffen. Von der Streichung betroffen sind rund zehn Millionen meist junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 27 000 DM bzw. 54 000 DM. Die Arbeitnehmersparzulage erfüllt nach wie vor eine wichtige Aufgabe bei der Vermögensbildung gerade jüngerer Menschen und dient der Mobilisierung privaten Kapitals zu Wohnungsbauinvestitionen. Rund sechs Millionen Bausparer erhalten die Sparzulage.
({11})
Insgesamt wurden mit allen vermögenswirksamen Leistungen, die in Bausparverträgen angelegt werden, im vergangen Jahr 7 Milliarden DM angespart. Die Arbeitnehmersparzulage ist also ein ganz wichtiges Instrument für untere und mittlere Einkommensschichten, um frühzeitig das notwendige Eigenkapital zu bilden, ohne das sie kaum eine Chance hätten, ihren Traum vom eigenen Haus oder von einer eigenen Wohnung zu verwirklichen.
({12})
Im übrigen ist die Begründung der Bundesregierung, die Abschaffung der Arbeitnehmersparzulage sei deshalb erforderlich, weil der Verwaltungsaufwand „außer Verhältnis zum Zulagenvolumen" stehe, schlicht unzutreffend. Nach voneinander unabhängigen Berechnungen von Oberfinanzdirektionen, der Deutschen Steuergewerkschaft und der privaten Bausparkassen ist der Verwaltungsaufwand minimal. Im Regelfall wird die Arbeitnehmersparzulage bei der Einkommensteuerveranlagung oder beim Lohnsteuerjahresausgleich maschinell ermittelt. Sie ist sozusagen ein Abfallprodukt bei der Steuerfestsetzung.
Mit der Verlängerung des Schuldzinsenabzugs wird denjenigen noch etwas dazugegeben, die auf eine staatliche Unterstützung gar nicht angewiesen sind. Gleichzeitig wird mit der Streichung der Arbeitnehmersparzulage dort etwas genommen, wo mit staatlicher Unterstützung tatsächlich etwas bewirkt werden kann. Eine solche Politik ist nicht nur ökonomisch verfehlt, sie ist auch sozial unerträglich. Bundesfinanzminister Waigel fördert so die private Verschuldung und behindert das private Sparen junger Menschen. Umgekehrt wäre es richtig: Sparförderung statt Schuldenförderung. Aber wie ist das einem Bundesfinanzminister beizubringen, der täglich über 400 Millionen DM neue Schulden macht und beim Sparen immer nur die anderen meint?
Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gattermann?
Ja, bitte.
Herr Kollege Poß, können Sie den Katalog Ihrer Gründe für die Aufrechterhaltung der Arbeitnehmersparzulage noch dahingehend ergänzen, daß wir hier ein Sparpotential mit nationaler Bindung haben, während ansonsten Sparkapital, wie wir wissen, in den letzten Monaten in erheblichem Umfang außer Landes ging?
Ich glaube, diese Anmerkung bedarf keiner Kommentierung, Herr Gattermann.
({0})
Die unverantwortliche soziale Schlagseite des Kürzungspakets wird auch dadurch keinen Deut geringer, daß der Bundesfinanzminister oder auch andere ständig betonen, das Paket sei sozial ausgewogen. Genauso falsch ist die Behauptung, vor allem die Besserverdienenden hätten die deutsche Wiedervereinigung finanziert. Der Realitätsverlust ist erstaunlich, denn die Fakten sind eindeutig.
Die Kollegin Matthäus-Maier hat darauf hingewiesen, daß die Steuererhöhungen - die Anhebung der Mehrwertsteuer, der Mineralölsteuer, der Tabaksteuer, der Versicherungsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer - und die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge die kleinen und mittleren Einkommen relativ stärker belasten.
Hat der Bundesfinanzminister vergessen, daß der Solidaritätszuschlag Mitte 1992 ausgelaufen ist und die Mehrwertsteuer Anfang 1993 erhöht wurde, obwohl das Aufkommen von Solidaritätszuschlag und Mehrwertsteuer mit jeweils rund 12 Milliarden DM
Joachim Poll
etwa gleich ist? In dieser Maßnahme steckt doch eine Umverteilungswirkung; d. h. die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen werden stärker belastet, und die Bezieher hoher Einkommen, z. B. wir, werden entlastet. Der Solidaritätszuschlag war doch trotz des Mangels, daß er keine Einkommensgrenzen hatte, für die Bezieher höherer Einkommen die einzige an der Leistungsfähigkeit orientierte Belastungskomponente. Diese Belastungskomponente, der einzig nennenswerte Beitrag der Spitzenverdiener, wurde jetzt auf die breite Masse der Bevölkerung umgelegt. Die Untersuchungen des RWI, die ja seriös sind, belegen, daß bei den angenommenen Vereinigungskosten Arbeitnehmer mit zusätzlich 4 % des Einkommens belastet werden, Selbständige dagegen nur mit 1,7 %.
Wer wie Bundesfinanzminister Waigel immer wieder behauptet, was offenkundig falsch ist, der darf sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Bürger von dieser Politik abwenden.
({1})
Gerade die kleinen Leute fühlen sich verschaukelt.
({2})
Deswegen ist dieser Finanzminister seit Jahren mit seiner Politik eine der tatsächlichen Ursachen für die sogenannte Politikverdrossenheit.
({3})
Fragen Sie doch einmal die Bevölkerung, mit welchen Namen die Steuerlügen und der Wählerbetrug verbunden sind! Sie werden immer wieder die Namen Kohl und Waigel hören. Der Herr Geißler hat doch recht, wenn er fordert: Wir brauchen den Mut, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Denn wenn man den Kopf in den Sand steckt, bleibt doch der Hintern zu sehen, sagt ein afrikanisches Sprichwort.
({4})
Das gilt auch für die in dem von der Bundesregierung vorgelegten Standortpapier geforderten weiteren Steuerentlastungen für Unternehmen. Die im Standortsicherungsgesetz beschlossenen Steuersenkungen sind noch nicht einmal im Bundesgesetzblatt verkündet, da wird schon wieder gefordert, die ertragsabhängigen und die ertragsunabhängigen Unternehmenssteuern weiter deutlich zurückzuführen.
({5})
Wer jetzt solche Forderungen unter dem Deckmantel der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland erhebt, der ist von allen guten Geistern verlassen
({6})
und er bringt mit seinem Schwarzmalen hinsichtlich der Steuerbelastung unserem Standort mehr Schaden als Nutzen. Sie legen es geradezu darauf an, entscheidende Standortfaktoren wie den sozialen Frieden und selbst die innere Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Was bringt es denn, jetzt falsche Hoffnungen auf eine weitere Senkung der Unternehmenssteuer zu wekken, die ja allein schon aus finanzpolitischen Gründen nicht zu erfüllen sind? Ihr ewiges Rufen nach Steuersenkungen für die Wirtschaft ist deshalb gesamtwirtschaftlich verantwortungslos.
({7})
So wie die Bundesregierung in der Gesellschaft die Lasten auf die sozial Benachteiligten abwälzt, so wälzt sie auf staatlicher Ebene die Lasten auf die Gemeinden ab. Insbesondere den strukturschwachen Städten und Gemeinden, die bereits in den letzten Jahren wiederholt durch Eingriffe der Steuerpolitik der Bundesregierung finanziell gebeutelt wurden, droht jetzt der Kollaps als Folge einer verfehlten Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung. Immer mehr Kommunen befürchten, daß sie in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage sein werden, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Sie kennen die Finanzsituation in den ostdeutschen Kommunen; aber auch in den westdeutschen Kommunen muß man genau hinschauen. Die Verhältnisse sind in der Tat unterschiedlich. Das ist differenziert zu sehen. Aber die Kommunen leisten doch einen Beitrag im Rahmen der Einigungsbemühungen. Die Finanzierung des Fonds Deutsche Einheit und der ab 1995 geltende reformierte Finanzausgleich belasten sie zusammen mit mehr als 7 Milliarden DM jährlich. Allein durch die Reduzierung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe kommen auf die Kommunen nach ihren Schätzungen zusätzliche Kosten von mindestens 5 Milliarden DM zu.
Es wird also hier nicht gespart, wie sich der Herr Bundesfinanzminister dessen rühmt, sondern die Kosten werden lediglich auf andere verschoben. Der Finanzminister spart gar nicht, sondern er läßt auf Kosten der Bürger in den Städten und Gemeinden von den Kämmerern und Kommunalpolitikern sparen.
({8})
Die Bürger in den Kommunen müssen also ausbaden, was die Bundesregierung unter dem Vorwand einer vermeintlichen Haushaltskonsolidierung anrichtet.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kommt in seinem letzten Bericht zu einem vernichtenden Urteil zur Finanzpolitik.
Herr Kollege Poß, ich fürchte, Sie können kein langes Zitat mehr bringen, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Die Bundesregierung handele kurzsichtig, wenn sie in einer Situation, in der sich das System der sozialen Sicherung zu bewähren habe und arbeitsmarktpolitisches Gegensteuern notwendig sei, die sozialen Leistungen beschneide und den Umfang von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einschränke. Kraft und Willen fehlen im übrigen auch bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und des
Mißbrauchs von Steuervergünstigungen oder dem stärkeren Eintreiben von Steuerrückständen.
Das DIW hat recht: Es fehlt dieser Bundesregierung nicht nur an Kraft, es fehlt ihr leider auch am Willen dazu.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hermann Rind.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Poß, würden Sie mir einen Augenblick Ihr Ohr leihen? Sie wissen genausogut wie ich, daß in den letzten Monaten, wann immer seitens der F.D.P. -, aber auch der CDU/ CSU-Kollegen von Steuersenkungen die Rede war, stets gesagt wurde, daß sie im Unternehmensbereich zur Standortsicherung nötig sind, sobald wir sie uns aus haushaltspolitischer Sicht wieder leisten können. Damit war immer die Aufforderung verbunden, daß dann der Grundfreibetrag angepaßt werden muß. Das habe ich in den letzten Monaten von keinem Politiker der Koalitionsfraktionen anders gehört.
Dies ist die Perspektive, die unsere Unternehmer, aber auch unsere Bürger haben müssen. In Zeiten, in denen es uns finanziell wieder besser geht, müssen wir zur Politik der Steuersenkung der 80er Jahre zurückfinden. Dazu stehen wir in der Tat. Wenn Sie dies für unseriös halten, dann verstehe ich Sie und die Welt nicht mehr.
({0})
Herr Kollege Rind, der Herr Kollege Poß würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Rind, können Sie nicht bestätigen, daß es zumindest von Wirtschaftsminister Rexrodt aus den letzten Wochen und Monaten mehrere Zitate gibt, in denen diese Einschränkungen, die Sie jetzt gemacht haben, bei der Präsentation in der Tat nicht vorgekommen sind, auch nicht die Einschränkung, die der Herr Bundesfinanzminister heute in seiner Rede angedeutet hat?
Herr Kollege Poß, das kann ich nicht bestätigen. Auch Herr Rexrodt hat immer erklärt, daß die Senkung der Unternehmensteuern ein wichtiges Ziel dieser Bundesregierung sei. Er hat nie den Hinweis vermissen lassen, daß dies natürlich an die haushaltspolitischen Voraussetzungen gebunden ist. Es mag sein, daß das irgendwo verkürzt wiedergegeben worden ist. Aber diese Aussage habe ich von ihm nie anders gehört.
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Noch ein Wort zu dem, was Sie zu den Mißbrauchs-fragen gesagt haben. Sie haben - ich will nur einen Punkt aufgreifen - die Schmiergelder erwähnt. Es stimmt, daß Schmiergelder abzugsfähig sind, aber nur - und das vergessen Sie und auch Frau Matthäus-Maier immer dazuzusagen -, wenn man den Empfänger benennt, um sicherzustellen, daß sie dann der
Besteuerung beim Empfänger zugeführt werden. Sie können sich vorstellen, in welchem Umfang Schmiergelder, wenn sie denn geleistet werden, steuerlich abgezogen werden, wenn der Empfänger genannt werden muß. Dieser Punkt spielt in der Praxis so gut wie überhaupt keine Rolle.
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Dies aber nur als kurze Anmerkung.
Verzeihung, Herr Kollege Rind. Ich wollte nur sagen: Der Dialog findet eigentlich zwischen dem Redner und dem Plenarsaal statt, nicht bei den Kollegen im Plenarsaal untereinander.
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Mich hat es nicht sehr gestört, Herr Präsident.
Nun aber zum Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz, das heute in erster Lesung mit beraten wird.
Meine Damen und Herren, wenn sich der Gesetzgeber entschließt, Steuerschlupflöcher zu schließen, so muß er sich darüber im klaren sein, daß es steuerrechtlichen Gestaltungskünstlern immer wieder gelingt, in den komplexen Gesellschaftsverhältnissen, die wir nun einmal haben, Gestaltungsmöglichkeiten zu finden. Der Gesetzgeber hängt also im Prinzip immer hinterher. Wir bekennen uns dazu, daß Steuerschlupflöcher geschlossen werden. Wir haben dies in der Vergangenheit getan. Wir haben seit 1990 eine ganze Reihe von steuerlichen Maßnahmen ergriffen, die solches zum Inhalt hatten.
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Aber wer dies tut und sagt, der muß wissen, daß wir damit immer mehr Komplizierungen in das Steuerrecht hineintragen. Das ist die andere Seite der Medaille.
Dieses Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz zeigt hinsichtlich der Ergiebigkeit dessen, was wir bei der Bekämpfung von Mißbrauch herausholen können, daß das Tarrain weiträumig abgegrast ist. Ich glaube, daß wir uns sehr wohl einmal Gedanken darüber machen sollen, ob es gut ist, wenn wir mit immer feineren Regelungen einen immer kleineren Nutzen in Form von Steuermehreinnahmen erzielen, dadurch aber ins Steuerrecht, das eh schon kaum mehr übersehbar ist - selbst für Fachleute nicht -, immer mehr Komplizierungen hineintragen.
Wer den Entwurf dieses Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes liest, gerät in Versuchung, vor dieser Materie zu kapitulieren. Dies gilt für die Finanzpolitiker; wieviel mehr muß es für die
steuerpflichtigen Bürger und für die Sachbearbeiter in der Finanzverwaltung gelten.
Wir werden im Herbst eine Anhörung mit Fachleuten der Steuerverwaltung zum Themenbereich Vereinfachung des Steuerrechts haben. Die Präsidenten der Oberfinanzdirektionen, zuletzt bei ihrer Tagung in Bad Pyrmont, richten Hilferufe an den Gesetzgeber, hier nun endlich tätig zu werden und mit einem großen Schnitt endlich einmal für Steuervereinfachung und Bereinigung in weiten Bereichen des Steuerrechts zu sorgen.
Ich weiß, daß die Aufgabe der Haushaltskonsolidierung uns zwingt, auch die letzten Reserven an Steuereinnahmen zu mobilisieren. Dann müssen wir aber auch so ehrlich sein und zugeben, daß wir damit einen Beitrag zu immer mehr Komplizierung leisten und daß dies auf Dauer so nicht weitergehen kann.
Nun zu einigen Punkten im Gesetz. Herr Poß hat in seiner Rede die Sparzulage angesprochen. Es gibt schon verschiedene Presseerklärungen, von mir, vom Kollegen Solms, vom Kollegen Hitschler, die sich auch damit befaßt haben. Wir würden, Herr Kollege Poß, die Arbeitnehmersparzulage auch gerne erhalten. Wir sind der Meinung, daß wir bei der Sparförderung schon weggeschnitten haben, was wegzuschneiden war, und daß die zwei Elemente der Sparförderung, die noch verblieben sind, nach Möglichkeit erhalten bleiben sollen, zumal sie ja mittlerweile auch nur den Beziehern geringerer Einkommen zugute kommen. Es hat sozialpolitische, wohnungsbaupolitische und gesellschaftspolitische Gründe, daß wir dies wünschen.
Nur, damit dies auch klar ist: Das Ziel der Haushaltskonsolidierung hat Vorrang vor allem anderen. Dies bedeutet, daß, wenn die Sparzulage erhalten werden soll, eine gleichwertige Einnahmenverbesserung gefunden werden muß. Daran arbeiten wir zur Zeit. Wir werden darüber in den Arbeitsgruppen der Koalition und im Finanzausschuß zu reden haben.
({1})
Auch wir Finanzpolitiker sind froh und stolz, daß es dem Verkehrsminister gelungen ist, den gordischen Knoten bei der Besteuerung des Güterfernverkehrs im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft durchzuhauen. Die Senkung der Kfz-Steuer für Lkw ist eigentlich die froheste Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht. Aus bekannten Gründen ist die gleichzeitige Erhöhung der Mineralölsteuer für Benzin und Dieselkraftstoff nicht in diesem Gesetz enthalten, wird aber zeitgleich beraten werden. Hier werden Steuermehreinnahmen von 8,5 Milliarden DM zu erwarten sein. Dazu kommt noch, was aus verfahrenstechnischen Gründen in den Ermittlungen noch nicht enthalten ist, daß die Umsatzsteuer auf die Mineralölsteuer immerhin auch ca. 1,2 Milliarden DM beträgt. Wir von der F.D.P. sind uns bewußt, daß auch diese Steuererhöhungen inflationstreibend wirken. Wir tragen sie nur mit, weil die Bahnreform ein vorrangiges Ziel ist und zur Finanzierung dieser Reform diese Mittel benötigt werden.
Aber all denen, die, bevor diese Steuererhöhung im Bundesgesetzblatt steht oder überhaupt abschließend parlamentarisch beraten ist, schon wieder über weitere Mineralölsteuererhöhungen nachdenken, sei gesagt, daß wir Freie Demokraten uns solchen Plänen mit hartem Widerstand entgegenstemmen werden.
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- Das ist erfreulich. Sie sehen, die Koalition ist sich einig.
Aber es kommen natürlich von der einen oder anderen Seite derartige Töne, und die können wir in der konjunkturellen Landschaft, in der wir leben, nicht gebrauchen.
Dies gilt im übrigen auch für die Diskussion um eine Abgabe auf Alkohol und Tabak aus gesundheitspolitischen Gründen. Nachdem es so scheint, als ob höhere Krankenkassenbeiträge für Alkoholtrinker, Zigarettenraucher und Süßigkeitenesser auf den Widerstand von Politikern, Krankenkassen und Ärztevertretern stoßen, wird nun der Ausweg über eine Sonderabgabe propagiert. Im Klartext bedeutet dies eine Steuererhöhung.
Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, von mir als Finanzpolitiker sagen: Wir haben z. B. bei den Zigaretten die Steuern so weit erhöht, daß bereits mehr als zwei Drittel des hohen Preises für eine Zigarette aus Steuern bestehen. Wir hätten keine unabweisbaren Bedenken, die Steuer auch noch weiter zu erhöhen. Nur: Wer die Geschichte der Tabaksteuern kennt, weiß, daß es für Zigarettenraucher wie für Alkoholtrinker eine Grenze gibt, die, wenn sie überschritten wird, zu einem Rückgang an Einnahmen führt.
({3})
Gesundheitspolitisch mag dies erwünscht sein, nur möge man sich von der Vorstellung freimachen, daß aus einer Sonderabgabe - sprich: einer Steuerbelastung - Mehreinnahmen für gesundheitspolitische Zwecke resultieren.
({4})
- Eines hat nicht der Wirtschaftsminister vorgeschlagen, Herr Kollege. Ich verfolge aufmerksam, was er macht. Die Vorstellungen kommen aus einer anderen Ecke.
({5})
Aber sie werden auch von der SPD tatkräftig unterstützt. Das gibt es auch in der F.D.P.; das weiß ich auch.
Meine Damen und Herren, dieses Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz ist sicherlich in weiten Teilen unvermeidbar. Nur, es steht einer Vereinfachung des Steuerrechts entgegen und ist nur mit Zähneknirschen in den Teilen, die Komplizierungen bedeuten, hinnehmbar. Wir müssen uns - dies ist ein ernster Appell an alle, die sich mit der Sacharbeit in diesem Bereich befassen müssen - nach den Anhörungen im Herbst und im Frühjahr zum Thema Steuervereinfachung wirklich dazu entschließen, mit radikalen Schnitten, die natürlich auch nicht unproblematisch sind - wer mit der Materie beschäftigt ist,
weiß dies -, einzugreifen. Die Finanzverwaltung, die Bürger und die Unternehmen sind nicht mehr in der Lage, weitere Komplizierungen hinzunehmen.
Dies ist mein ernster Appell und meine Mahnung am Ende meiner Rede. Es wird ein vordringliches Ziel für uns alle sein, uns diesem Ziel zu widmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Herr Kollege von Larcher, es war wirklich nicht der Wirtschaftsminister. Ich darf daran erinnern, daß es im Ottomanischen Reich einen Sultan gab, der zu einer Zeit, als das Rauchen dort verboten war, nachts durch die Straßen ging und Raucher an Ort und Stelle durch Scharfrichter köpfen ließ.
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Herr Kollege Hauser, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Poß hat von Kraft und Willen gesprochen und dabei das DIW zitiert. Ich muß ehrlich sagen: Meine Kollegen und ich haben wirklich sehr viel Kraft und Willen aufbringen müssen, um diesen beiden Reden, von Ihnen und von Frau Kollegin Matthäus-Maier, anzuhören, in denen alles wieder aufgezählt worden ist, was schon seit Ewigkeiten von Ihnen aufgezählt wird, obwohl Sie selbst wissen, daß viele Dinge nicht funktionieren, die Sie machen wollen, und obwohl man in aller Deutlichkeit aus Ihrer eigenen Fraktion immer wieder hört: Um Gottes willen, das kann doch nicht ernsthaft alles sein, was wir zu bieten haben.
Lieber Herr Kollege Poß, Sie sollten das wirklich etwas ernsthafter betreiben und einmal versuchen, sich mit uns auseinanderzusetzen, und das, was wir hier anbieten, dann entsprechend kritisch würdigen. Sie werden sehen, wir werden dann gemeinsam zu einer vernünftigen Entscheidung kommen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutschland befindet sich im dritten Jahr nach der Wiedervereinigung an einem Wendepunkt, an dem wichtige Weichenstellungen für die künftige Entwicklung unseres Landes getroffen werden müssen. Im Gegensatz zur SPD, die nach wie vor nur ihre vermeintlichen Patentrezepte aus der berühmten Mottenkiste holt, hat die Bundesregierung rasch reagiert.
({1})
Mit dem Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm und dem Bericht zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland wurden die Grundlagen für ein entschlossenes Handeln in der Finanz- und Wirtschaftspolitik gelegt.
({2})
- Verehrter Herr Kollege Larcher, wenn Sie einmal
zuhören würden, dann würden Sie mir sehr wohl
zustimmen. Hören Sie doch erst einmal zu, und dann können wir weiter darüber reden.
Die SPD will einfach nicht wahrhaben, daß sich die deutschen Unternehmen einem immer stärker werdenden internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sehen, auf den wir mit einer Verbesserung der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen reagieren müssen. Statt dessen schürt die SPD weiterhin die Neiddiskussion - wir haben das heute wieder ausführlich gehört -, obwohl sie ebensosehr weiß, daß es keine Verteilungsspielräume mehr gibt.
Die finanz- und haushaltspolitische Ausgangslage ist in der Tat sehr ernst. Ich gebe Ihnen zu: Da gibt es nichts zu beschönigen. Wir werden mit der Steuerquote 1993 zwar noch nicht den historischen Höchststand von 1977 erreichen - damals hatten wir 25 % -, werden aber mit 24 % schon sehr nahe herankommen.
Herr Kollege Hauser, der Kollege Poß würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
({0})
Herr Kollege Hauser, sind Sie wirklich der Auffassung, daß mit der Teilnahme an einem allgemeinen Steuersenkungswettlauf, der im übrigen international inzwischen eingestellt wurde, die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wesentlich gestärkt werden kann und daß das der zentrale Punkt bei der Standortdiskussion ist?
Herr Kollege Poß, wir haben uns schon sehr oft über dieses Thema unterhalten. Die Steuern sind sicherlich nicht der einzige Faktor, aber Steuern sind ein maßgeblicher und vor allem ein psychologischer Faktor.
({0})
Viele Unternehmensentscheidungen werden nach dem Steuersatz getroffen. Wenn ich von vornherein einen Steuersatz habe, der wesentlich höher liegt als in den anderen Ländern, dann ist die Entscheidung, wenn ich sonst gleiche Bedingungen habe, schon getroffen. Die Amerikaner können den Wettbewerb, den Sie erwähnen, leicht beenden; denn sie liegen jetzt bei 35 %, und wir liegen mit unseren Steuersätzen noch wesentlich höher.
Der Kollege von Larcher würde auch gern fragen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Hauser, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich von einem Unternehmer aus einem bekannten Unternehmen gesagt bekommen habe, daß das, was Sie gerade gesagt haben, ein Märchen sei, daß eine Standortentscheidung, die ein Unternehmer trifft, von vielen,
vielen Komponenten abhängig sei und daß die Steuer dabei die unwichtigste sei?
Verehrter Herr Kollege von Larcher, dann sollten Sie dem Ihnen bekannten Unternehmer einmal die Untersuchungen von verschiedenen Instituten, so die Untersuchungen des DIHT, auf den Tisch legen, in denen eindeutig der Steuersatz als ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Standortentscheidung genannt wird. Ich glaube, es ist müßig, darüber zu diskutieren. Man kann die Fakten nicht einfach durch solche Behauptungen vom Tisch wischen. Deswegen sollten wir dafür sorgen, daß unsere Steuersätze niedriger werden. Das ist die beste Investitionspolitik, die wir betreiben können.
({0})
Bis 1995 werden wir auf Grund der unumgänglichen Wiedereinführung des Solidaritätszuschlages und der Mineralölsteuererhöhung im Zusammenhang mit der Bahnreform sowie der Mehreinnahmen aus dem Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz mit 25 % den SPD-Rekord leider wieder erreichen. Das ist allerdings in einer einmaligen historischen Situation geschehen, in der wir zum Aufbau der neuen Bundesländer einen öffentlichen Nettotransfer von jährlich über 130 Milliarden DM leisten. Gleichzeitig steigt natürlich auch unsere Abgabenquote auf den hohen Wert von 44 %. Auch das gilt es in der Zukunft wieder entsprechend abzubauen. Diese Summen kennzeichnen die enormen Belastungen, die alle Bürger und die Wirtschaft für den Aufbau der neuen Bundesländer erbringen.
Meine Damen und Herren, dies alles war und ist möglich, weil die Koalition in den achtziger Jahren nach dem finanzpolitischen Desaster der SPD-geführten Bundesregierung eine konsequente Haushaltskonsolidierung und eine Steuersenkungspolitik betrieben hat, mit der die Staatsquote in Höhe von 50 % im Jahre 1982 auf 45 % im Jahre 1989 gesenkt werden konnte. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, daß wir die Einheit in finanzpolitischer Hinsicht hervorragend vorbereitet haben. Es ist nicht auszudenken, in welchem finanzpolitischen Chaos wir uns befunden hätten, wenn die SPD die Regierungsverantwortung zum Zeitpunkt der Einigung gehabt hätte.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Koalition hat unter Federführung des Bundesfinanzministers nach der Einigung im Hinblick auf den normalen Mehrbedarf an finanziellen Ressourcen den Bundeshaushalt bis 1994 um fast 70 Milliarden DM entlastet. Seit der Steuerreform 1990 wurden Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen, die vor allem Höherverdienenden zugute kamen, in Höhe von 38 Milliarden DM abgebaut. Das wird oft übersehen, weil natürlich sehr häufig der Abbau von Steuervergünstigungen als Gegenleistung für andere Maßnahmen herhalten mußte. Deswegen wird so etwas einfach nicht richtig zur Kenntnis genommen; aber es waren in den Jahren seit 1990 38 Milliarden DM. Diese Leistung ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Ich mache den gleichen Fehler wie viele andere: Wir reden von der deutschen Einheit immer nur unter finanziellen Aspekten. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit ist ein historisches Geschenk. Wir von der CDU/CSU haben im Gegensatz zur SPD die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung nie aufgegeben. Die Geschichte hat uns recht gegeben.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich muß es einfach loswerden: Ich finde, es ist ein vollkommen neues Urlaubsgefühl, wenn man irgendwo in der weiten Welt unterwegs ist und plötzlich sächsische oder thüringische Töne hört. Es ist eine Freude, daß man die Landsleute aus den neuen Bundesländern mittlerweile auch im Urlaub überall treffen kann.
({2})
Die Einigung hat aber nicht nur die Reisefreiheit für unsere Landsleute aus dem ehemaligen Unrechtsstaat DDR gebracht; sie hat dort die jahrzehntelange kommunistische Kommandowirtschaft abgeschafft und unsere bewährte Soziale Marktwirtschaft eingeführt.
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Das führt zu schmerzlichen Strukturveränderungen, ist aber langfristig die einzige Basis für Wohlstand und Wachstum.
In den neuen Bundesländern machen trotz aller Unkenrufe der SPD Wiederaufbau und Modernisierung unter dem Einfluß der hohen Förderleistungen aus dem Westen in weiten Bereichen spürbare Fortschritte. Ich kann dem Chef der Deutschen Bank, Herrn Kopper, nur beipflichten, wenn er feststellt, daß die Lage in der ehemaligen DDR besser ist als oft dargestellt.
Die gesamtwirtschaftliche Produktion in den neuen Bundesländern ist im vergangenen Jahr um 7 % gewachsen. Die wirtschaftliche Situation ist in einzelnen Bereichen allerdings weiterhin sehr unterschiedlich. Deshalb müssen wir noch stärker Prioritäten für Investitionen setzen.
Im vergangenen Jahr wurden gesamtwirtschaftlich bereits ca. 109 Milliarden DM investiert. Erfreulich ist die Steigerung auf 130 Milliarden DM in diesem Jahr. Dennoch müssen wir noch etwas Geduld mit dem Aufschwung haben. Aber Geduld ist offenbar eine Eigenschaft, die nicht zu den herausragenden Eigenschaften von uns Deutschen gehört.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Finanzpolitik steht ganz im Zeichen von Haushaltskonsolidierung und Stärkung der Wachstumsgrundlagen. Deutliche Beschränkungen öffentlicher Ausgaben, auch strukturelle Veränderungen im Haushalt, müssen noch stärkeres Gewicht erlangen.
Die Koalition hat unter Federführung des Bundesfinanzministers auch im Jahre 1993 wichtige Ausgabensenkungen in die Wege geleitet, die von wachstumsbelebenden Maßnahmen begleitet wurden. Ich nenne hier nur die Ausgabensenkungen im Rahmen des Föderalen Konsolidierungsprogramms in Höhe von 10 Milliarden DM - das ist auch schon wieder in Vergessenheit geraten - sowie das in dieser Woche
Hansgeorg Hauser ({4})
zu beratende Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm, das eine vorwiegend ausgabenseitige Entlastung allein des Bundeshaushalts um rund 21 Milliarden DM im Jahre 1994 vorsieht, die ab 1996 auf fast 29 Milliarden DM ansteigt.
Aus der Sicht des Finanzpolitikers ist es besonders erfreulich, daß diesmal der Schwerpunkt auf der Ausgabenseite liegt und somit der durchschnittliche Ausgabenanstieg 1994 bis 1997 wie in den 80er Jahren auf knapp 2,5 % begrenzt werden kann. Damit kann das Defizit des Bundes bis 1997 auf unter 40 Milliarden DM zurückgeführt werden. Das sind deutliche vertrauensbildende Signale für den Kapitalmarkt und die Zinsentwicklung. Wir haben es an Hand der Maßnahmen der Bundesbank auch ganz deutlich zu spüren bekommen.
({5})
Die Finanz- und Haushaltspolitik hat mit diesen Entscheidungen ihre Handlungsfähigkeit - Herr Poß, das muß ich ausdrücklich unterstreichen - unter Beweis gestellt, was nicht zuletzt im Hinblick auf die Umsetzung des Maastricht-Vertrags von entscheidender Bedeutung ist.
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- Das ist vollkommen richtig. Das müßte für Sie eigentlich Anlaß genug sein, zu der Überzeugung zu gelangen, daß wir hier erheblich mehr sparen müssen, als Sie das vorhaben oder überhaupt vorschlagen können.
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Sie wissen, daß wir die Kriterien zur Zeit nicht erfüllen; deswegen müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen.
({8})
- Sehen Sie, wir verfolgen dabei keine Strategie des Kaputtsparens, wie sie von der SPD jetzt schon wieder propagiert wird. Dieser Ansatz war bereits in den achtziger Jahren falsch.
Andere aus Ihrer Partei meinen dagegen, wir würden zu wenig sparen. Das ist auch wieder ein Ausdruck dessen, was die SPD hier offensichtlich kennzeichnet: Sie findet kein Konzept für die Finanz- und Haushaltspolitik.
({9})
Wir haben uns für den richtigen Weg entschieden: Die sozial ausgewogenen Einsparungen werden mit Maßnahmen zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung verbunden. Ich möchte hier nur auf die Verdoppelung des KfW-Wohnungsbauprogramms von 30 auf 60 Milliarden DM Investitionsvolumen und die Stärkung wachstumsfördernder Investitionen im Bundeshaushalt sowie insbesondere auf das ab 1994 wirksam werdende Standortsicherungsgesetz verweisen, mit denen die ertragsabhängigen Steuern spürbar gesenkt worden sind.
Mit dem Standortsicherungsgesetz werden die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen nachhaltig verbessert, denn erstmals in der Nachkriegszeit liegen die Steuersätze für die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer bei gewerblichen Einnahmen deutlich unter 50 %.
({10})
- Herr Larcher, wenn Sie die Börsenmeldungen ansehen, stellen Sie fest, daß die Gewinnerwartungen für die Unternehmen von allen Analysten nach oben korrigiert wurden. Das ist eine Auswirkung des Standortsicherungsgesetzes.
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Die Börsenkurse sind deshalb auch angestiegen, und die Börsenkurse - das wissen Sie - bringen Kapital in unser Land, und das ist das Kapital, das wir dringendst brauchen. Deswegen war es eine gute Maßnahme.
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Leider haben wir uns wegen des Widerstandes der SPD-geführten Bundesländer noch nicht mit unseren Plänen zur Senkung oder Abschaffung der ertragsunabhängigen Steuern durchsetzen können. Der Widerstand der SPD-geführten Länder ist mir völlig unverständlich. Sie wollen die verschärfte internationale Wettbewerbssituation unserer Unternehmen einfach nicht sehen. Was sie dabei in Kauf nehmen, ist der Verlust von Arbeitsplätzen. Das nehmen Sie auch nicht zur Kenntnis.
({13})
Das Belastungsniveau im Wirtschaftsstandort Deutschland ist im internationalen Vergleich dennoch zu hoch; wir haben das diskutiert. Zur Zeit ist das nicht vermeidbar, weil die Steuerpolitik auch einen Beitrag zur Konsolidierung im Rahmen unserer Programme leisten muß.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, ungerechtfertigte Gestaltungen und Mißbräuche im Steuersystem zu bekämpfen sowie die Steuervereinfachung weiter voranzubringen. Diesen Zielen dient der Entwurf des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes, das als steuerlicher Teil des SKWP in den nächsten Wochen beschlossen werden soll.
Herr Kollege Hauser, der Kollege Gattermann möchte Sie gern etwas fragen.
Herr Kollege Hauser, würden Sie mich dabei unterstützen, im Zuge der Verkürzung von Gesetzestexten bereits in der Überschrift das Wort „Mißbrauchsbekämpfung" zu streichen, weil es nämlich überhaupt keinen steuerlichen Mißbrauch gibt, der durch ein Gesetz bekämpft werden müßte?
Nach unserer Abgabenordnung ist ein Mißbrauch steuerlich irrelevant. Wenn der Gesetzgeber in Funktion treten muß, um legale Steuergestaltungen zu
verhindern, dann hat das mit Mißbrauchsbekämpfung nichts zu tun.
({0})
Mit diesem moralischen Verdikt werden z. B. hier in diesem Gesetz die gesamten deutschen Banken diskriminiert, als würden sie Mißbrauch betreiben, während sie in Wahrheit legale steuerliche Gestaltung betreiben.
Würden Sie mich unterstützen, den Titel zu verändern?
({1})
Herr Kollege Gattermann, von der Sache her kann ich Ihnen durchaus in einigen Punkten recht geben. Steuerliche Gestaltungen sind, solange sie sich an das Gesetz halten, absolut legal. Beispiel: Der Ehegattenarbeitsvertrag ist eine steuerliche Gestaltung, die absolut legal ist. Wenn diese Gestaltung aber nur als Vorwand dient, ein Vertrag also nur auf dem Papier existiert und tatsächlich nicht durchgeführt wird, dann ist das ein Mißbrauch, der von der Verwaltung zu verfolgen ist. Dafür brauchen wir aber kein Gesetz; denn im Gesetz steht ausdrücklich drin, daß so ein Vertrag zulässig ist. Nur, die mißbräuchliche Ausübungsweise dieses Vertrages muß natürlich bekämpft werden.
Ansonsten muß ich Ihnen ehrlich sagen, daß ich jederzeit dafür bin, daß man den Titel eines Gesetzes möglichst einfach, verständlich und griffig formuliert und es nicht zu Mammutsatzbildungen kommt. Dann aber, Herr Kollege Gattermann, würden wir natürlich wieder im Finanzausschuß eine große Diskussion mit den Kollegen der SPD führen, die uns nötigen würden, auf jeden Fall den Ausdruck „Mißbrauch" in dieses Gesetz aufzunehmen.
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Herr Kollege Hauser, gestatten Sie noch eine Bemerkung: Auch Sprachregelungszwischenrufe von der Regierungsbank aus sind nicht illegal, aber unüblich in diesem Haus.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht auf alle Einzelheiten dieses neuen Gesetzes eingehen. Das Thema der Arbeitnehmersparzulage ist schon angesprochen worden. Die Arbeitnehmersparzulage wollen wir für die alten Bundesländer streichen. In den neuen Bundesländern soll sie weiterhin erhalten bleiben, weil es nach wie vor große Unterschiede zwischen der Vermögensbildung im Westen und im Osten gibt.
Es wird nun sehr viel gegen die Streichung der Arbeitnehmersparzulage polemisiert. Meine Damen und Herren, sie beträgt 7,80 DM im Monat. Sie wird bar ausgezahlt. Aus meiner Erfahrung heraus habe ich noch niemanden erlebt, der die Sparzulage zum Sparen verwendet, sondern das geht in der Regel in den Konsum. Es steht auf dem Gehaltszettel und wird mit dem Gehalt ausgezahlt.
({0})
Das ist eigentlich nicht der entscheidende Punkt dabei. Die 7,80 DM sind mit Sicherheit nicht die entscheidende Anregung dabei.
Ich persönlich würde es allerdings begrüßen, wenn diese Zulage beispielsweise als Initiative für solche Personen erhalten bliebe, die erstmals sparen; insbesondere für solche, die erstmals in einen Beruf eintreten. Für diesen Personenkreis könnte sie ein Anreiz sein, das Sparen zu beginnen und nicht alles, was man als Gehalt oder Lohn bekommt, zu konsumieren.
Wir haben als weitere wichtige Maßnahme in dem Gesetz die Verschärfung der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz, insbesondere bei Verlagerung von Konzernfinanzdienstleistungen in das Ausland. Aber auch hier müssen wir aufpassen, daß wir das maßvoll regeln, um nicht Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Ländern herbeizuführen.
Die Einschränkung von Gestaltungen durch Finanzinnovationen ist ein wichtiger Bereich, ebenso die Eindämmung bestimmter Steuersparmodelle bei Anteilsveräußerungen und -umwandlungen sowie die zeitnahe Besteuerung der sogenannten Spezialfonds. Auch hier müssen wir natürlich aufpassen, daß unsere Gestaltungen, die wir hier formuliert haben, nicht dazu führen, daß es Steuermindereinnahmen gibt, sondern daß wir auch das erreichen, was wir hier haben wollen.
Die Begrenzung der Pauschalbesteuerung von Fahrtkostenzuschüssen auf zusätzliche Arbeitgeberleistungen ist ebenfalls eine sehr sinnvolle Maßnahme. Hier wird tatsächlich nur das zusätzlich gezahlte Gehalt für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle zugrunde gelegt. Es ist nicht mehr die Gehaltsumwandlung möglich, die bisher gang und gäbe ist.
Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Mißbrauch und Gestaltungsmöglichkeiten führen - isoliert betrachtet, ohne die Ausdehnung des Schuldzinsenabzugs - zu fast 3,5 Milliarden DM Entlastungen für Bund, Länder und Gemeinden. Diese Summe ist eine realistische Größenordnung.
Die Vorstellung z. B. von der ÖTV, man könne über die steuerliche Mißbrauchsbekämpfung weitere zig Milliarden DM einfahren und damit auf Ausgabenkürzungen verzichten, ist völlig unrealistisch.
({1})
Selbst der Bund der Steuerzahler, der die Regierung ja immer wieder ganz kräftig kritisiert, hat in der September-Ausgabe seiner Publikation festgestellt, daß eine Verschärfung der Betriebsprüfung nichts bringt. Das stand unter dem Stichwort „Milchmädchenrechnung". Ich will es jetzt nicht so ausdrücken; die Kollegin ist schon gegangen.
Hansgeorg Hauser ({2})
Meine Damen und Herren, wesentlich dabei ist auch immer, daß die Mehreinnahmen durch die Betriebsprüfung ganz genau untersucht werden müssen. Das sind ja nicht alles Mehreinnahmen, sondern sehr häufig sind es Gewinnverlagerungen. Auch das sollte man sich einmal genau anschauen und hier nicht immer von zig Milliarden DM zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten sprechen.
({3})
Ich habe es schon erwähnt: Eine unserer wesentlichen zukünftigen Aufgaben ist die Fortführung der Reform der Unternehmensbesteuerung in Verbindung mit einer Gemeindefinanzreform. Denn wenn wir die Gewerbesteuer abschaffen wollen, müssen wir natürlich den Gemeinden entsprechende Einnahmen verschaffen, entsprechende Anteile an der Einkommensteuer geben oder in anderer Form eine Gestaltung machen. Ich denke, das ist die wichtigste Aufgabe, die wir haben.
Ich meine auch, daß die Finanz- und Haushaltspolitik im nächsten Jahr eines der zentralen Themen des Wahlkampfes werden wird. Wir werden das den Bürgern entsprechend erklären können, und der Bürger hat mehr Verständnis, als hier immer wieder zum Ausdruck gebracht wird. Ich denke, daß die Opposition auf diesem Feld ebenso wie auf vielen anderen Feldern weder handlungs- noch regierungsfähig ist.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß der Posten „Arbeit und Soziales" der größte Posten im Haushalt ist, das ist gut so, und das muß auch so sein. Die Verfassung erlegt uns das schon auf. Darum, meine Herren von der Regierungskoalition, brauchen Sie sich darauf auch nicht allzuviel zugute zu halten. Der Streit geht ja auch nicht hierum. Das ist doch unter uns allen unstrittig. Der Streit geht darum, ob Sie dem Sozialstaatsgebot im übrigen Teil Ihres Haushaltsentwurfs treu geblieben sind. Ich verstehe gar nicht, warum Sie so pikiert reagieren, wenn man diese Frage stellt. Das muß zumindest die Opposition tun, wenn Sie es nicht tun.
Herr Kollege Hauser, wenn Sie da gleich wieder die berühmte Neiddebatte anführen: Das ist nun wahrlich auch ein ganz alter Hut und zeigt, daß Sie in dieser Debatte die Interessen der Besitzenden und Privilegierten vertreten. Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Aber Sie sollten nicht so tun, als seien das die Interessen aller. Das möchte ich mir ausgebeten haben.
Zum Schluß der Debatte möchte ich Ihnen wenigstens noch einen Gesichtspunkt zur Beurteilung dieser Frage anbieten, der meines Erachtens in diesem Hause ebenfalls unstrittig sein müßte. Unsere Gesellschaft ist krank an Entsolidarisierung. Wenn die Bürgermeisterin, in deren Dorf ein Asylantenheim abgebrannt worden ist, hämisch lachend sagt: „Da waren wir ein Problem los", dann ist das Entsolidarisierung. Und wenn der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sagt, Kündigungsrechte seien Luxus, dann ist das, wie ich finde, Entsolidarisierung. Und wenn der neue Präsident der Landeszentralbank des Freistaates Sachsen am Anfang seiner Tätigkeit in einer Rede sagt, eine gehörige Portion Ungleichheit sei in Umbruchzeiten Normalität, das dürfe man nicht so verkniffen sehen, der Tüchtige setzte sich ja schließlich durch, dann ist das, wie ich finde, Entsolidarisierung.
({0})
Nun muß man doch Ihren Haushaltsentwurf daran messen, was Sie dieser allgemeinen Entsolidarisierung entgegenzusetzen haben. Ich denke, das müssen Sie selbst mit tun. Und was setzen Sie dieser Entsolidarisierung entgegen? Ein Programm der Standortsicherung durch Sozialabbau. Damit leisten Sie doch der Verherrlichung des wirtschaftlichen Faustrechts Unterstützung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Ullmann?
Und haben Sie sich schon einmal gefragt, meine Herren, ob Sie damit nicht etwa dem Gewalt- und Kriminalitätssyndrom - ich unterstelle natürlich: ohne das zu wollen - Vorschub leisten? Ich kann Ihnen jetzt schon prophezeien, daß Sie dem dann nicht werden abhelfen können, wenn Sie nach lauter Strafverschärfungen und technischen Überwachungsmaßnahmen rufen.
Aber Sie wollten eine Frage stellen.
Herr Kollege Gallus, bitte sehr.
Herr Kollege Ullmann, glauben Sie nicht, daß in einer Gesellschaft die jeweilige Leistung zu einem bestimmten Teil auch auf der Ungleichheit beruht, weil nicht alle Menschen gleich geschaffen sind? Das heißt nicht, daß nicht aus Solidarität denen geholfen wird, denen geholfen werden muß.
Damit erkennen Sie doch meine Fragestellung an.
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- Ich weiß gar nicht, wo ich das gesagt hätte. Es ist nicht alles gleich. Aber Sie wissen doch, daß es in unserer Verfassung ein Gleichheitsgebot gibt. Das ist doch unstrittig.
({1})
Das muß sich doch auch in unserer Sozialpolitik auswirken. Das sehe ich so.
({2})
Was, meine Damen und Herren, angesichts dieser Entsolidarisierung gefordert ist, ist eine Priorität der Sozialpolitik. Ich weiß nicht, wieso in der Bundesrepublik Deutschland dafür nicht ein Konsens sollte gefunden werden können. Hier muß doch etwas geschehen angesichts der Tatsache, daß unsere Wirtschaft mehr und mehr dazu übergeht, den Markt mit Müll zu überschwemmen, mit Waren, die Müll sind und nicht mehr wirklich vorhandene Bedürfnisse, sondern nur durch Werbung simulierte Bedürfnisse befriedigen. Wenn sich dann Mitglieder der Regierung oder der Herr Bundeskanzler selbst hinstellen und sagen: Wir müssen umdenken, und wir müssen uns vom Anspruchsdenken abwenden, so kommt mir das irgendwie zynisch vor. Der Hungstreik der Kumpel in Bischofferode - ob sie sachlich recht haben oder nicht, ist eine andere Frage - ist doch jedenfalls kein Anspruchsdenken.
Wenn Sie mir dies noch gestatten, Herr Präsident: Ich bin der Meinung, Sozialpolitik kann heute nicht Umverteilung durch Entsolidarisierung, sondern nur Umverteilung durch Selbstbeteiligung am Verteilen heißen. Nicht Einschränkung, sondern Erweiterung der Tariffreiheit muß die Losung sein, so wie es Marianne Birthler mit ihren Lehrern in Brandenburg praktiziert hat. Das war bejahte und aktive, nicht über den Geldbeutel und die Lohntüte erzwungene Selbstbeteiligung. Ich weiß nicht, ob das nicht ein viel wirksameres Mittel zum Wirtschaftsaufschwung wäre als Ihre Form der Umverteilung durch Sozialabbau. Ich teile voll die Meinung, daß die Steuern bei weitem nicht das Entscheidende sind. In einem Wirtschaftsgebiet, in dem es so aussieht wie in den Ostländern, würde ich als Unternehmer nicht investieren. Da braucht es ganz andere Motive.
({3})
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Ulrich Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Etatentwurf für 1994 verfängt sich die derzeitige Bundesregierung noch tiefer als zuvor in den Fallstrikken ihrer eigenen politischen Fehler der Vergangenheit. Es ist in diesem Etat erst recht nicht Abhilfe für die zukünftigen gewaltigen ökonomischen und finanzpolitischen Strukturprobleme des wiedervereinigten Deutschlands abzusehen. Die Verschuldungsorgie wird weiter betrieben. Gesamtstaatlich, einschließlich Schattenhaushalte, belaufen sich die Staatsschulden 1994 auf ca. 1 600 Milliarden DM. 1997 werden es laut mittelfristiger Finanzplanung sogar mehr als 2 000 Milliarden DM Staatsschulden sein. Die Staatsverschuldung erreicht ein Ausmaß, das womöglich - das ist, denke ich, eine der großen Gefahren in der Zukunft - nur noch durch Inflation wieder in den Griff zu bekommen ist. Was das bedeutet, weiß die Bevölkerung dieses Landes aus der Geschichte nur allzugut.
({0})
Daß damit nach den Kriterien der Maastrichter Verträge auch die europäische Einigung gefährdet werden kann, kommt noch hinzu.
Im Etat ist kein Ansatz zur Behebung der strukturellen Ursachen der derzeitigen Wirtschaftskrise zu finden. Im Gegenteil, besonders zukunftsrelevante Etats, z. B. der Etat des BMFT, Forschung und Technologie, stagnieren nominal, sinken real. Ebenso der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft. Diese Bundesregierung läßt die Hochschulen, einen der Motoren einer offenen, zukunftsorientierten, aus der Stagnation führenden Politik, buchstäblich verkommen.
Die plan- und konzeptionslose Politik der Bundesregierung bei der wirtschaftlichen Wiedervereinigung, ihr alleiniges Setzen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes hat nicht nur eine Industriewüste im Osten geschaffen. Sie hat nicht nur Millionen Menschen im Osten, vor allem vordem erwerbstätige Frauen, in die Massenarbeitslosigkeit und in Resignation und Verzweiflung getrieben. Die Fehler dieser Bundesregierung machen auch auf unabsehbare Dauer einen Finanztransfer von etwa 5 % des Bruttosozialprodukts von West nach Ost notwendig. Das übrigens vor allem - das kommt als Problem noch hinzu - für konsumtive und nur in geringem Umfang dagegen für investive Zwecke.
Das Geld dafür und für eine beispiellose Autowahnorgie - ebenfalls vor allen Dingen im Osten - holt sich diese Bundesregierung nicht etwa aus den - trotz Krise und Massenarbeitslosigkeit - weiterhin außerordentlich gut gefüllten Kassen der Wirtschaft, sondern bei den Armen und Armsten dieser Gesellschaft.
Der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung wächst zwar minimal. Er wächst aber bei weitem nicht so, wie es durch die Explosion der Massenarbeitslosigkeit - es fehlen nämlich in diesem Land inzwischen 7 Millionen Arbeitsplätze - notwendig geworden ist.
Trotz des ersatzlosen Wegfalls des traditionellen Feindes im Osten: Der Rüstungsetat ist gegenüber der Zeit des Kalten Krieges noch nicht einmal um 10 % abgesenkt worden. Die fast ungeschmälerte Aufrechterhaltung der Hochrüstung aus der Zeit der Systemkonfrontation
({1})
- das gebe ich Ihnen ja zu - ist eine bemerkenswerte Leistung des politischen Managements dieser Bundesregierung
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- Herr Gallus, hören Sie mal lieber zu! -, allerdings zu Lasten einer wirklichen Friedenspolitik und zu Lasten der Bevölkerung und gerade auch der sozial Schwachen.
Wie es mit dem wirklichen politischen Willen dieser Bundesregierung und dieser Koalition aussieht, zeigt das reale weitere Absenken des Etats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu Lasten der Ärmsten, vor allem im Süden dieser Erde - und das Ganze nach den monatelangen vollmundigen Bekundungen im Zusammenhang mit der faktischen Beseitigung des Asylrechts, an den wirtschaftlichen Ursachen der internationalen Fluchtbewegung ansetzen zu wollen.
({3})
Statt endlich - Herr Gallus, da sollten Sie mal ansetzen! - den Umbau des Steuersystems auf ökologisch günstige Steuerwirkungen in Angriff zu nehmen, werden weiter - und noch mehr - Steuergeschenke und Finanzhilfen an die nach wie vor überliquide Privatwirtschaft gegeben, damit diese wie bisher ohne ökologische Kontrollen und Auflagen expandieren kann. Zur gleichen Zeit erleidet das Paradebeispiel der Umweltpolitik dieser Bundesregierung, das duale System der Müllbeseitigung, kläglich Schiffbruch.
Nein, diese Finanzpolitik und dieser Etat sind kein Schritt in die richtige Richtung. Sie sind sozial höchst ungerecht, ökologisch undurchdacht und schädlich, wirtschaftspolitisch verfehlt und kontraproduktiv.
Diese Politik verschärft die Strukturprobleme, statt sie zu lösen.
Wer zudem eine Haushaltsrunde in dieser Zeit nutzt, um die soziale Kompromißlinie in dieser Gesellschaft gravierend zuungunsten der Hilfsbedürftigen und der abhängig Beschäftigten zu verschieben - das nämlich scheint das zentrale Projekt der Finanzpolitik dieser Bundesregierung und dieser Koalition zu sein -, der bedroht zusätzlich die politische Stabilität dieses Gemeinwesens. Und das in einer Zeit, in der die unheilvollen Gespenster der Vergangenheit - Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus, Nationalismus - in der Gesellschaft und in der Bevölkerung dieses Landes wieder auftauchen und sich ausbreiten. Vor diesem Hintergrund ist die ökonomische und die finanzpolitische Zerrüttung dieses einst so stabilen Landes doppelt gefährlich.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 8. September 1993, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.