Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt 1 zu erweitern:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Köppe, Dr. Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß ({0}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufhebung des Verbots öffentlicher Versammlungen im Regierungsviertel während der Debatte über das Asylrecht
- Drucksache 12/4529 Der Antrag soll in einer 5-Minuten-Runde beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Köppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit NATODraht-Gittern und 4 000 Polizisten wird heute dafür gesorgt, daß Demonstranten aus dem Regierungsviertel ferngehalten werden.
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Sie alle haben das sicherlich bei Ihrer Herfahrt zum Parlament bemerkt. Die Demonstranten sind hierher gekommen, um gegen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl zu demonstrieren.
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Unsere Bundestagsgruppe möchte, daß diese Demonstrationen nahe am Parlament stattfinden können.
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Gerechtfertigt wird dieses Polizeiaufgebot mit dem Bannmeilengesetz. § 3 des Bannmeilengesetzes bietet allerdings die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen. Mit unserem Antrag wollen wir gemäß § 3 des Bannmeilengesetzes den Bundesminister des Innern auffordern, von seiner Befugnis Gebrauch zu machen
und das Verbot von öffentlichen Versammlungen innerhalb des Bannkreises für den heutigen Tag auszusetzen.
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Es ist - das betone ich - die Nutzung einer gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, die wir beantragen. Wir wissen allerdings, daß in der Vergangenheit davon bisher nie Gebrauch gemacht wurde. Daher stellt sich natürlich auch die Frage, wofür es diesen § 3 im Bannmeilengesetz überhaupt gibt.
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- Nein, ich schäme mich überhaupt nicht.
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Außerdem sieht unser Antrag vor, dem Polizeipräsidenten von Bonn die Befugnis einer flexiblen räumlichen Eingrenzung des Bannkreises je nach seiner Lagebeurteilung zu übertragen. Sollte es also konkrete Hinweise auf Gewalttätigkeiten oder Behinderungen von Abgeordneten geben,
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hat der Polizeipräsident -
Einen Augenblick! - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt trotzdem zuzuhören. Hinweise auf Gewalttätigkeit sind in der Tat da. Das rechtfertigt die Notwendigkeit der getroffenen Sicherheitsmaßnahmen.
({0})
Ich bitte Sie, fortzufahren.
Wenn es also solche Hinweise gibt, hat der Polizeipräsident noch immer die Möglichkeit, dagegen vorzugehen.
({0})
Dafür brauchen wir nicht die Bannmeilenregelung.
Im übrigen - das wissen Sie vielleicht selbst - war es gerade der Polizeipräsident von Bonn, der darauf hingewiesen hat, daß er ohnehin alle nötigen Befugnisse hat und daß die Bannmeilenvorschriften seine Arbeit „nicht fördern, sondern behindern" . So der Polizeipräsident von Bonn.
Ich sage dies vor allem an jene Abgeordneten gerichtet, die sich um ihre Sicherheit ängstigen, aber auch an die Abgeordneten, die uns unterstellen wollen, wir seien Befürworter von Gewalttätigkeiten - nur, weil wir eine Aufhebung der Bannmeile fordern, so wie sie im Gesetz vorgesehen ist. Vielmehr müssen sich diese Abgeordneten fragen lassen, ob nicht gerade die polizeiliche Sicherung der Bannmeile auch provozierend wirken kann,
({1})
und zwar auf diejenigen, die hier demonstrieren wollen.
Es gibt also zusammengefaßt drei Möglichkeiten:
Erstens. Wir belassen alles so, wie es jetzt ist, und führen unsere Beratungen zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl heute in einem Wasserwerk durch, das mehr einer Festung als einem Parlament gleicht.
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Zweitens. Wir veranlassen, daß der Bannkreis heute verkleinert wird.
Drittens. Wir setzen für den heutigen Tag die Bannmeile außer Kraft.
Unsere Bundestagsgruppe möchte, daß der Draht und die Gitter jetzt abgebaut werden und der Polizeieinsatz entschieden reduziert wird.
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Als nächster spricht der Kollege Dr. Rüttgers.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war bekannt, daß wir diese kurze Debatte zu Beginn des heutigen Tages führen würden. Als ich mir überlegt habe, was ich dazu sagen soll, habe ich mir folgenden Satz aufgeschrieben: Ich hoffe sehr, daß der heutige Tag friedlich verläuft.
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Leider muß man sieben Minuten nach 9 Uhr schon feststellen, daß diese Hoffnung zerstoben ist. Für viele Kollegen ist es zur Zeit noch nicht möglich, den Bundestag zu betreten. Der Kollege Bleser ist tätlich angegriffen worden. In dieser Situation, Frau Kollegin Köppe, stellen Sie sich hier hin und sagen: Wir müssen das Verbot von öffentlichen Versammlungen innerhalb des Bannkreises aufheben, die Polizei muß weg.
Ja, wer ist denn eigentlich schuld, daß diese Situation eingetreten ist? Sind etwa wir, die wir hier unser Recht als Abgeordnete wahrnehmen, schuld daran? Wer ist denn schuld daran, daß hier diese Zustände herrschen?
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Ich will es ganz vorsichtig sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, Frau Kollegin Köppe, ist jedenfalls sträflich naiv.
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Das Recht, als Parlament frei zusammenzutreten und in Rede und Gegenrede sowie nach freier Entscheidung Gesetze zu beschließen, ist das Rechtsgut, das das Bannmeilengesetz schützt. Mit ihrem Antrag will das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Bannmeile aufheben. Die Logik, die hinter diesem Antrag steckt, ist verräterisch. Damit der Rechtsverstoß nicht eintritt, soll die Rechtslage geändert werden.
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Das heißt doch in Konsequenz: Recht wird beliebig. Das aber darf nicht sein!
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Jeder in Deutschland kann im Rahmen der Gesetze demonstrieren. Aber er darf dabei das Parlament, die Volksvertretung, nicht bei seiner Arbeit behindern.
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Die Bannmeile - vielleicht muß man das noch einmal sagen - ist kein vordemokratisches Relikt, im Gegenteil: Sie ist historisch entstanden, um die demokratischen Institutionen vor denen zu schützen, die die Demokratie bekämpft haben.
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Die Bannmeile garantiert die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Sie sichert die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten. Wer dies heute aufgeben will, muß wissen, wem er damit Tür und Tor öffnet. Der Demokratie, der Freiheit und der Handlungsfähigkeit der Volksvertretung nutzt er jedenfalls nicht.
Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir den Antrag ablehnen.
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Als nächster spricht Herr Abgeordneter Dr. Struck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute eine große Chance als Deutscher Bundestag: dann nämlich, wenn wir die Debatte über die wichtige Neuregelung des Asylrechts im Wege eines gegenseitigen Verstehens, eines Aufeinanderzugehens unter Respektierung der unterschiedlichen Ansichten durchführen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es wichtig ist - ich sage das in bezug auf die Reaktionen, die wir im Hause auf die Rede der Kollegin Köppe
hatten, ob man ihr inhaltlich zustimmt oder nicht; auch wir werden ihr inhaltlich nicht zustimmen -, zu sagen: Auch sie hat das Recht, ihre Meinung hier vorzutragen, und wir sollten das alle respektieren.
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Ich möchte an dieser Stelle einfügen, daß jetzt der denkbar ungeeignetste Zeitpunkt ist, darüber zu diskutieren, ob man eine Bannmeile braucht oder nicht. Ich bin schon der Auffassung, daß wir darüber einmal diskutieren müssen; aber jetzt ist der ungeeignetste Zeitpunkt.
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Meine Damen und Herren, wir sollten heute bitte eines bedenken: Die Demonstranten, die versuchen, unsere Entscheidung zu beeinflussen, draußen vor der Tür oder überall im Lande,
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sind nicht Chaoten
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- Moment, bitte! -, sondern vielfach Menschen, die Sorge haben, daß der Bundestag eine aus ihrer Sicht falsche Entscheidung trifft.
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Wir haben eine eigene Verantwortung, und ich bin nicht bereit, wenn solche Vorfälle, wie wir sie zu beklagen haben, festgestellt werden müssen, ein pauschales Verdammungsurteil über die Demonstranten in Deutschland zu fällen.
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Das heißt aber für uns Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, daß wir von dieser Stelle noch einmal an alle die, die demonstrieren wollen, apppellieren, das friedlich zu tun, die Meinung Andersdenkender zu respektieren, auch die Meinung andersdenkender Bundestagsabgeordneter.
Ich möchte an dieser Stelle zum Abschluß sagen: Ich danke schon jetzt den Polizeibeamten und den vielen Sicherheitskräften, die heute dafür sorgen, daß eine ordnungsgemäße Debatte durchgeführt werden kann, sehr herzlich.
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Das Wort hat nun der Abgeordnete Richter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Struck, natürlich hat Frau Köppe das Recht, hier ihre Meinung vorzutragen, und damit sie dieses Recht
wahrnehmen kann, stehen draußen Polizeibeamte in einem wirklich schwierigen Einsatz,
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Polizeibeamte, die für uns, die für den Parlamentarismus in diesem Land, die für die Demokratie ihre Knochen hinhalten müssen. Wir sollten ihnen dafür danken.
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Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen friedlichen Demonstranten und Chaoten, und niemand sagt, daß alle, die demonstrieren, Chaoten sind; das wäre grundfalsch. Aber es sind eben auch Chaoten darunter; es sind Leute darunter, die unsere Demokratie zerstören wollen, und wir werden uns dagegen zu wehren wissen.
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An diesem Tag treffen wir eine Entscheidung von einer großen Tragweite, eine Entscheidung, die in weiten Kreisen unserer Öffentlichkeit als lange fällig erwartet wird. Wie immer die Entscheidung jedes einzelnen Abgeordneten sein wird - ich respektiere jede Meinung -, wir müssen sicherstellen, daß diese Meinung hier auch zum Tragen kommt. Wir müssen sicherstellen, daß der Souverän, dieses Parlament, handlungsfähig bleibt, und dem dient die Bannmeile, meine Damen und Herren!
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Keiner von uns hat sich seine Entscheidung leichtgemacht. Und, meine Damen und Herren: Es muß dabei bleiben, daß es die freie, individuelle Entscheidung eines jeden Abgeordneten ist, die sich nicht einem Druck, einem physischen Druck unterwerfen darf; denn das wollen wir nicht tun: Wir wollen uns nicht dem Druck der Straße unterwerfen, wir wollen uns nicht davonmachen unter dem Druck der Straße, sondern wir wollen zu unserer Verantwortung stehen und heute entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es ein großes Maß an Naivität ist, das Frau Köppe hier zum Ausdruck brachte, oder ob etwas ganz anderes dahintersteht. Ich persönlich empfinde es als bedrückend, daß wir unter einem so massiven Polizeischutz zusammentreten müssen, aber ich bin froh, daß es ihn gibt.
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Ich finde auch, daß es kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Demokratie ist, wenn Abgeordnete, aber auch Mitarbeiter von Abgeordneten physisch bedroht, bedrängt, in eine schwierige persönliche Lage gebracht werden, wie viele von Ihnen das heute morgen erlebt haben.
Wir werden - ich will das an dieser Stelle deutlich sagen - dem Druck der Straße nicht weichen.
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Manfred Richter ({6})
Wir wollen heute eine Debatte führen, die unserer Bevölkerung klarmacht, mit welcher Ernsthaftigkeit wir uns diesem schwierigen Problem in der Vergangenheit gewidmet haben, und dann wollen wir entscheiden. Dieses Parlament muß handlungsfähig bleiben. Deswegen bleibt es auch beim Bannkreis.
Vielen Dank.
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Als nächster spricht Herr Abgeordneter Dr. Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es nicht gut, wenn in dieser Diskussion verschiedene Rechtsinstitute miteinander vermischt werden. Niemand hat die Aufhebung des Straftatbestands gefordert, der „Nötigungen von Mitgliedern eines Verfassungsorgans" lautet.
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Niemand hat die Aufhebung des Straftatbestandes der Körperverletzung, Sachbeschädigung und ähnliches gefordert. Worum es hier geht, ist, ob gestattet wird oder nicht gestattet wird, daß eine friedliche Versammlung unter freiem Himmel innerhalb der Bannmeile stattfindet.
({1})
Alle anderen Bestimmungen einschließlich des Rechts, gegen bestimmte Straftaten, wenn sie denn begangen werden oder wenn versucht wird, sie zu begehen, vorzugehen, bleiben davon völlig unberührt.
Nein, Sie vermischen das absichtlich, weil Sie die Bannmeile nämlich geschaffen haben, um sich bei Ihren Entscheidungen hier die Bürgerinnen und Bürger vom Halse zu halten.
({2})
Das, glaube ich, ist ein falscher Ansatz.
Einen Augenblick!
- Gepfiffen wird hier im Saal nicht.
({0})
Es ist immer die Frage, wo Chaos anfängt.
({0})
- Versuchen Sie doch, noch einen Moment lang zuzuhören.
({1})
Die Bannmeile ist doch ein Sonderschutz, den sich eine bestimmte Gruppe von Menschen nimmt und anderen, die ebenfalls in Auseinandersetzungen mit Bürgerinnen und Bürgern Entscheidungen zu treffen haben, keineswegs zubilligt.
Sie haben heute gesagt, Sie wollen nicht zulassen, daß Sie dem Druck der Straße weichen müssen. Ich darf daran erinnern, daß Sie gerade auch mit der Straße immer dann argumentieren, wenn es um die Abschaffung des Asylrechts geht, und Sie dort durchaus bereit sind, sich dem Druck der Straße zu beugen. Ich darf Sie daran erinnern, daß z. B. gerade nach den Brandanschlägen auf das Asylheim in Rostock-Lichtenhagen als Argument gesagt wurde, jetzt muß das Asylrecht ganz schnell geändert werden. Dies ist es, was man unter „dem Druck der Straße weichen" verstehen könnte.
({2})
Ich sage Ihnen: Die Bannmeile ist eine unzulässige Einschränkung des Demonstrationsrechts. Das bedeutet überhaupt nicht, daß diejenigen, die für ihre Aufhebung plädieren, etwa damit einverstanden wären, daß Straftaten begangen werden.
Einem Wunsch von Herrn Rüttgers will ich mich ausdrücklich anschließen: Auch ich habe den großen Wunsch an alle Demonstrantinnen und Demonstranten und auch an die Polizistinnen und Polizisten, daß alles, was heute stattfindet, friedlich und gewaltfrei verläuft. Aber dazu muß man es auch erlauben und nicht einschränken oder verbieten; denn damit provoziert man geradezu Gewalt.
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Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/4529? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS/ Linke Liste bei einer Enthaltung abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 bis 4 auf:
1. - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 12/4152 - ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Wolfgang Bötsch, Johannes Gerster ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3})
- Drucksache 12/2112 -({4})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({5})
- Drucksache 12/4984 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Erwin Marschewski
Gerd Wartenberg ({6})
Hans-Joachim Otto ({7})
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/4995 Berichterstattung:
Abgeordnete Rudolf Purps Karl Deres
Ina Albowitz
2. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 12/4450 - ({9})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
- Drucksache 12/4984 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Erwin Marschewski
Gerd Wartenberg ({11})
Hans-Joachim Otto ({12})
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/4996 Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Deres Ina Albowitz
Rudolf Purps
3. - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber
-- Drucksache 12/4451 - ({14})
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Ausländer
- Drucksache 12/3686 ({15}) - ({16})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren ({17})
- Drucksache 12/5008 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Eimer ({18}) Brigitte Lange
Ursula Männle
b) Berichte des Haushaltausschusses ({19}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 12/5009, 12/5010 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Irmgard Karwatzki
Dr. Wolfgang Weng ({20})
4. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Konrad Weiß ({21}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechte von Niederlassungsberechtigten, Einwanderinnen und Einwanderern
- Drucksache 12/1714 ({22}) - ({23})
- Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung von Flüchtlingen ({24})
- Drucksache 12/2089 - ({25})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({26})
- Drucksache 12/4984 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Erwin Marschewski
Gerd Wartenberg ({27}) Hans-Joachim Otto ({28})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({29})
zu dem Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß ({30}) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Das Asylrecht ist unverzichtbar
zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Unantastbares Grundrecht auf Asyl und die jüngsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen
- Drucksachen 12/3235, 12/1216, 12/4984 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann
Gerd Wartenberg ({31})
Hans-Joachim Otto ({32})
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ablauf der Beratungen.
Interfraktionell sind für die gemeinsame Aussprache zehn Stunden vereinbart. Danach folgen die Abstimmungen. Ich weise darauf hin, daß vier Abstimmungen namentlich durchgeführt werden.
Vereinbart ist weiterhin, daß Redebeiträge auch zu Protokoll gegeben werden können. Das Wort zur Abgabe von Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung soll erst nach Durchführung aller Abstimmungen erteilt werden. Auch Erklärungen zur Abstimmung können selbstverständlich schriftlich abgegeben werden.
Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Als erster beginnt Herr Dr. Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der kurze Vorlauf vor dieser Beratung hat schon gezeigt, daß die Debatte, die wir heute zu führen, und die
Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, zum einen von einer ganz ungewöhnlichen Vorgeschichte, zum anderen von Umständen begleitet sind, die ebenso ungewöhnlich wie hoffentlich einmalig bleiben.
Wir, die Verantwortlichen in Bund und Ländern, haben seit mehr als anderthalb Jahrzehnten um eine verantwortbare Steuerung für Zuwanderung gerungen. Nach langen, qualvollen Beratungen, Diskussionen, Auseinandersetzungen, Versuchen, gemeinsame Wege zu finden, sind wir heute an dem Punkt angelangt, abschließend beraten und entscheiden zu können.
Zugleich muß ein großes Polizeiaufgebot - ich hoffe, daß es wirklich einmalig ist, daß wir ein solch großes Polizeiaufgebot brauchen - die Integrität unserer parlamentarischen Beratungen und Entscheidungen sicherstellen. Wen könnte das nicht bedrükken?
Deswegen ist mein erstes Wort an dieser Stelle ein Dank an die Polizeibeamten und die Sicherheitskräfte,
({0})
die heute einen schweren Dienst tun müssen, die provoziert werden und sich nicht provozieren lassen dürfen und die nicht nur uns, sondern auch den freiheitlichen Rechtsstaat schützen.
Mein zweites Wort ist eine Mahnung zur Besonnenheit und zur Verantwortung, eine Mahnung an alle: innerhalb dieses Saales und außerhalb unseres Parlaments.
Ich möchte am Beginn dieser Debatte gerne die Erklärung unseres Bundespräsidenten zitieren, der Anfang dieser Woche erklärt hat:
Im Laufe der Woche berät der Deutsche Bundestag über das Asylrecht. Wir dürfen alle davon ausgehen, daß dies in tiefem Bewußtsein der leidvollen Erfahrungen geschieht, die uns unsere eigene Geschichte über die elementare Bedeutung des Rechtes auf Asyl lehrt. Ein Zeichen dafür sind die ernsten Auseinandersetzungen der vergangenen Monate zu diesem Thema. Jetzt stehen die Entscheidungen dort an, wo sie nach unserer Verfassung hingehören: im Bundestag und im Bundesrat. Eindringlich
- so der Bundespräsident bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger, die Beratungen und Beschlüsse dieser Verfassungsorgane mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und mit Besonnenheit zu begleiten. Jeder Versuch, Bundestag oder Bundesrat von außen mit rechtswidrigen Mitteln unter Druck zu setzen oder gar Gewalt auszuüben, wäre nur ein Anschlag auf unsere Verfassung, er würde keinem Asylbewerber nützen und am Ende vor allem den Ausländern und denen schaden, die auf Achtung und Schutz ihrer Menschenwürde unter uns angewiesen sind.
Ich denke, wir alle sollten uns diese Ermahnung unseres Staatsoberhauptes zu eigen machen.
({1})
Zu der Besonnenheit, zu der wir verpflichtet sind, gehört, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch ein verantwortlicher Umgang mit der Wahrheit, gerade in dieser Debatte und heute. Wer hier in diesem Saal oder außerhalb sagt, Gegenstand der Debatte sei die Abschaffung des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, der sagt nicht die Wahrheit.
({2})
Nachdem die Diskussionen so lange geführt worden sind, muß man vermuten, daß jemand dann gegen besseres Wissen nicht die Wahrheit sagt.
Die Entscheidung, die wir zu treffen haben, ist wichtig für den inneren Frieden in unserem Land, für das friedliche, gute Miteinander von deutschen und ausländischen Mitbürgern und für unsere Fähigkeit, auch in Zukunft Verfolgten Schutz, Zuflucht, Aufnahme zu bieten. Es leben in der Bundesrepublik Deutschland 6,5 Millionen Ausländer. Sie leben ganz überwiegend - das muß auch so bleiben oder höchstens noch besser werden - friedlich und freundlich mitten unter uns. Es wird auch nach der Entscheidung des heutigen Tages keine Abschottung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ausländischen Mitbürgern, solchen, die zu uns kommen wollen und zu uns kommen werden, geben.
Es werden in den nächsten Jahren - völlig unabhängig von dem, was wir entscheiden - 200 000 bis 250 000 zusätzliche ausländische Mitbürger jedes Jahr allein im Wege des Familiennachzugs auf Grund bestehender Regelungen unseres Ausländerrechtes zu uns kommen. Wir haben in den letzten Jahren über 300 000 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien in Deutschland aufgenommen, mehr als jedes andere europäische Land. Wir haben uns im Bewußtsein unserer Verpflichtung gegenüber denjenigen unserer Landsleute, die durch Diktatur und Krieg in diesem Jahrhundert mehr zu leiden hatten als die meisten von uns, verabredet, daß wir auch in Zukunft Aussiedler, die zu uns kommen wollen, in einer Größenordnung wie in den letzten Jahren, zwischen 200 000 und 230 000 Jahr für Jahr, aufnehmen werden.
({3})
Wer vor diesem Hintergrund davon redet, die Bundesrepublik Deutschland solle abgeschottet werden, redet gegen besseres Wissen. Er sagt nicht die Wahrheit; er redet falsch Zeugnis.
({4})
Vor diesem Hintergrund können wir der Tatsache nicht ausweichen, daß im vergangenen Jahr zusätzlich 440 000 Menschen unter Berufung auf das Recht auf Asyl zu uns nach Deutschland gekommen sind, von denen die allermeisten nicht tatsächlich politisch verfolgt sind. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, daß Monat für Monat in diesem Jahr 1993 50 000 unter Berufung auf das Recht auf Asyl, obwohl sie ganz überwiegend nicht politisch verfolgt sind, Aufnahme in 'der Bundesrepublik Deutschland suchen und für einen zu langen Zeitraum finden.
Wir wissen aus den anderthalb Jahrzehnten, in denen wir um dieses Problem und mit diesem Problem ringen, daß es ohne eine Ergänzung unseres Grundgesetzes eine zureichende Steuerungsmöglichkeit nicht gibt. Wir, die Verantwortlichen von Bund und Ländern, haben in diesen anderthalb Jahrzehnten alles versucht, was ohne Änderung des Grundgesetzes möglich war.
({5})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, unglücklicherweise tragen Ihre Parteifreunde in einem Großteil der Bundesländer derzeit Verantwortung. Reden Sie einmal mit denen! Wir haben die Asylgesetze, die Asylverfahrensgesetze, ein dutzendmal geändert, Verfahren beschleunigt, Arbeitsverbote eingeführt und wieder abgeschafft - es hat am Ende alles nicht genützt, und es reicht schon gar nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne eine Änderung des Grundgesetzes, seit der Eiserne Vorhang weggefallen ist und Europa und Deutschland nicht mehr teilt.
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- Nein, aber in anderthalb Jahrzehnten - - Ich könnte Ihnen, Herr Duve, Erklärungen der früheren Bundesregierung, Beschlußfassungen der Regierung Schmidt hier vorlesen. Auch Sie kennen sie. Es lohnt sich doch nicht!
Wir, die CDU/CSU und die F.D.P., die Koalition, haben immer gesagt - und zwar schon vor dem Wegfall des Eisernen Vorhangs, als wir noch gar nicht zu hoffen gewagt haben, daß 1989 so Glückliches in Deutschland und Europa stattfinden werde -, daß mit der Abschaffung der Binnengrenzen in Europa eine Harmonisierung des Asylrechts in Europa zwingend notwendig werden wird, die ebenfalls nicht ohne eine Grundgesetzänderung möglich ist. Auch dieses haben wir schon Mitte der 80er Jahre gewußt und gesagt. Offene Grenzen in Europa ohne Kontrollen erzwingen eine gemeinsame Asyl- und Zuwanderungspolitik in der Europäischen Gemeinschaft.
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Anders ist auch an dem Tatbestand nichts zu ändern, daß bis zum heutigen Tag zwei Drittel aller Asylbewerber, die nach Europa kommen, in die Bundesrepublik Deutschland kommen.
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Der Grund dafür, rechtlich jedenfalls, liegt ganz einfach darin - damit sind wir beim Kern unserer Beratung und Entscheidung -, daß unser Grundgesetz in Art. 16 seiner noch geltenden Fassung einen weiterreichenden Schutz für politisch Verfolgte bietet als die Genfer Flüchtlingskonvention, deren Mitglied wir wie alle anderen zivilisierten Staaten dieser Erde sind.
Wenn nur ein einziges Land, die Bundesrepublik Deutschland, in seiner verfassungsrechtlichen Schutzgewähr über die Schutzgewähr der Genfer Konvention hinausgeht - es gibt keine zweite Verfassung auf dieser Erde, die dies tut -, dann braucht man sich hinterher nicht zu wundern, wenn zwei Drittel aller Asylbewerber in Europa nach Deutschland kommen. Das ist der Grund, warum ohne eine Grundgesetzänderung dieses nicht zu erreichen ist. Wer die Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen will, der muß unseren grundrechtlichen Schutz für politisch Verfolgte an das Niveau der Schutzgewähr der internationalen Staatengemeinschaft, wie es in der Genfer Konvention seinen Ausdruck findet, anpassen. Nichts anderes ist der Gegenstand der heutigen Beratung und Entscheidung.
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Wer dies als Abschaffung des Schutzes für Verfolgte bezeichnet, der behauptet, daß der Rest der zivilisierten Staaten dieser Erde politisch Verfolgte nicht schützt. Dazu haben wir Deutsche am Ende dieses Jahrhunderts nun wirklich keinen Grund. Ich denke, daß auch in der Asylpolitik am deutschen Wesen die Welt nicht genesen sollte; vielmehr sollten wir uns vielleicht etwas mehr vergewissern, was andere im Schutz für Verfolgte weltweit für richtig, notwendig, angemessen und vertretbar halten.
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Nur so können wir Mißbrauch bekämpfen, den es in einem zu großen Umfang gibt. Nur so, verehrte Kolleginnen und Kollegen, können wir im übrigen den kriminellen Organisationen, die Schlepperbanden heißen und die Menschenhandel betreiben, die Geschäftsgrundlage entziehen, indem wir die besondere verfassungsrechtliche Situation in Deutschland an den europäischen und weltweiten Standard anpassen.
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Ich habe schon gesagt, und ich wiederhole es: Dies alles bedeutet nicht, daß wir die Bundesrepublik Deutschland gegenüber irgendjemandem abschotten. Auch das sich einigende Europa schottet sich nicht ab. Wir verlagern mit der Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, unsere Probleme auch nicht auf unsere Nachbarn in Europa. Auch dies ist nicht wahr. Es werden auch in Zukunft, nach der Änderung oder Ergänzung des Art. 16 unseres Grundgesetzes, noch genügend Verfolgte und Nichtverfolgte in die Bundesrepublik Deutschland kommen.
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Wir wollen mit unserer Regelung, mit der wir uns anpassen an das Niveau der Schutzgewähr aller anderen zivilisierten Staaten, insbesondere der europäischen Staaten, ja nichts anderes als eine faire Lastenverteilung in Europa erreichen, die wir aber erst erreichen können, wenn wir eben nicht mehr Schutz gewähren als alle anderen.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann wäre das zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Republik Polen geschlossene Abkommen der letzte Beweis, daß wir unsere Nachbarn, die weiter östlich gelegen sind, gerade nicht mit den Problemen alleine lassen wollen.
In diesem Abkommen sichern wir unseren polnischen Nachbarn nicht nur Hilfe bei der Bewältigung der Probleme zu, sondern wir sichern auch ausdrücklich zu, daß, wenn Polen morgen - so wie heute Deutschland - mit zu vielen Asylbewerbern überfordert sein sollte, wir einen Teil dieser Flüchtlinge oder Asylbewerber aus Polen in Deutschland weiterhin aufnehmen wollen, weil wir auch Polen mit den Problemen nicht alleine lassen wollen. Nur, auch wir Deutschen dürfen uns mit den Problemen mitten in Europa nicht alleine lassen.
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Eine faire Lastenverteilung im europäischen Zusammenhang ist eine notwendige Voraussetzung dafür, daß wir auch eine europäische Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit in der Ursachenbekämpfung dieser Flucht- und Wanderungsbewegungen erreichen.
Sie haben es mir lange nicht geglaubt, aber wenn Sie sich heute in der südlichen Oberrheinebene mit Ausländer- oder Polizeibehörden unterhalten, dann wissen Sie, daß diese ganz überwiegend damit beschäftigt sind, daß Hunderte von sogenannten Asylbewerbern aus Algerien Woche für Woche über die französisch-deutsche Grenze nach Deutschland kommen und nicht zurückgeschoben werden können - obwohl Frankreich sie selbstverständlich zurücknehmen könnte -, weil unser Grundgesetz uns daran hindert. Das ist doch ein Mißbrauch in der europäischen Situation, den wir ändern müssen.
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Wenn wir Ursachen besser bekämpfen wollen, können wir das nur in europäischer Gemeinsamkeit tun. Niemand macht sich eine Illusion darüber, daß bei den dramatischen Ungleichgewichten zwischen Ost und West in Europa und Süd und Nord auf dieser einen Erde die globalen Verteilungskämpfe dramatischer werden und daß in diesen Wanderungsbewegungen ein Risiko innen- wie außenpolitisch für die Stabilität der freiheitlichen Demokratien Europas liegt. Wir sollten mehr als bisher unsere Anstrengungen darauf konzentrieren.
Nur, um in anderen Ländern Not und Elend besser zu bekämpfen, brauchen wir neben europäischer Zusammenarbeit auch die Erhaltung der Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit unserer Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, wir müssen die innere Stabilität unseres freiheitlichen Rechtsstaats bewahren.
Unsere Verantwortung gebietet eben, nicht nur nach vielleicht edlen Motiven und hehren Zielen zu fragen, sondern auch die Folgen unseres Tuns und unseres Unterlassens zu bedenken. So müssen wir vorausschauend handeln und erkennbaren Gefährdungen rechtzeitig begegnen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ob wir heute noch rechtzeitig sind, ist die Frage. Es ist eher zu spät als zu früh.
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In der gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Aufnahme von Flüchtlingen und zum Asylrecht vom 26. November vergangenen Jahres heißt es: „Die Unsicherheit nimmt zu. Dies ist der Nährboden, auf dem Aggression und Protest wachsen und Fremde oft zum Sündenbock gemacht werden." Wenn dies so ist, dann müssen wir diesen Nährboden bekämpfen, indem wir dieser Verunsicherung entgegenwirken.
Wir schulden unseren Bürgern, wenn wir die Freiheit stabil halten wollen, eine Ordnung, die das friedliche Zusammenleben der Menschen sicherstellt. Nur wenn wir unseren Bürgern das Gefühl geben und bewahren, daß dieser freiheitliche Rechtsstaat in der Lage ist, eine solche Ordnung des Zusammenlebens zu garantieren, schaffen wir die notwendigen und unverzichtbaren Grundlagen für Toleranz und für entspanntes Miteinander von Deutschen und Ausländern in diesem Land. Nur wenn wir die Zuwanderung nach Deutschland besser steuern und begrenzen können, als es bisher möglich ist, sichern wir auch für die Zukunft ein friedliches und freundliches Miteinander von deutschen und ausländischen Mitbürgern.
Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt hat in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 - so lange ist das her: mehr als 20 Jahre - davon gesprochen, daß es notwendig geworden ist, daß wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten.
Ihr früherer Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner hat am 15. Februar 1982 in einer Sitzung des SPD-Parteivorstands gesagt:
Wenn wir uns weiterhin einer Steuerung des Asylproblems versagen, dann werden wir eines Tages von den Wählern, auch unseren eigenen, weggefegt, dann werden wir zu Prügelknaben gemacht werden. Ich sage euch: Wir sind am Ende mit schuldig, wenn faschistische Organisationen aktiv werden. Es ist nicht genug, vor Ausländerfeindlichkeit zu warnen; wir müssen die Ursachen angehen, weil uns sonst die Bevölkerung die Absicht, den Willen und die Kraft abspricht, das Problem in den Griff zu bekommen.
Sie hätten vielleicht früher auf Ihre früheren Vorsitzenden von Partei und Fraktion hören sollen.
({16})
Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde, es ist heute nicht der Tag zum Nachkarten.
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- Wenn Sie sich in einer so schwierigen Debatte, in der Sie sich auch miteinander und untereinander schwertun, an Worte Ihrer früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden erinnern lassen, so hoffe ich, daß dies auch für Ihre eigene Entscheidungsfindung ein hilfreicher Beitrag ist.
({18})
Wenn Sie in der Lage wären, in der die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - mich selbst einDr. Wolfgang Schäuble
geschlossen - sind, also über mehr als eineinhalb Jahrzehnte gewarnt, gebeten, gemahnt, gedrängt, gerungen hätten und bis zum heutigen Tag immer wieder an Ihrem Widerstand gescheitert wären, dann könnten Sie verstehen, welches Maß an Selbstdisziplin und Zurückhaltung für uns heute erforderlich ist.
({19})
Wenn Sie das Entsetzliche, was sich außerhalb dieses Hauses zur Stunde vollzieht,
({20})
und den Schaden, der für das friedliche Zusammenleben von deutschen und ausländischen Mitbürgern in den letzten Jahren eingetreten ist, weil man unseren Mahnungen und Warnungen und Forderungen lange nicht gefolgt ist, bedenken, sollten wir uns schnell darauf konzentrieren.
({21})
- Nein, ich möchte Sie einladen, die Debatte und die Entscheidung mit dem notwendigen Ernst und mit der notwendigen Verantwortung zu führen.
({22})
Ich möchte insbesondere diejenigen, die das, was heute zur Entscheidung ansteht, ablehnen wollen, bitten, so viel Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden auch in der Debatte aufzubringen, wie wir sie vor Ihrer anderen Meinung immer aufgebracht haben und auch in dieser heutigen Debatte aufbringen werden.
({23})
Wir haben intensive Gespräche zwischen den Verantwortlichen der Fraktionen geführt, und vor allem die Kolleginnen und Kollegen im Innenausschuß dieses Hauses haben in den zurückliegenden Wochen und Monaten intensive Beratungen geführt, für die ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen bedanken möchte.
({24})
Ich sage noch einmal: Wir sollten diese Debatte in Respekt auch vor den Argumenten des jeweils Andersdenkenden führen. Aber das gilt auch für diejenigen, die seit langem überzeugt sind, daß ohne eine Änderung des Grundgesetzes der innere Frieden in diesem Lande nicht zu bewahren ist. Wenn wir im gegenseitigen Respekt und im Bewußtsein um unsere Verantwortung diese Debatte heute führen und entscheiden, dann dienen wir dem inneren Frieden, dann dienen wir dem friedlichen Zusammenleben von deutschen und ausländischen Mitbürgern, dann dienen wir unserem freiheitlichen Rechtsstaat. Darum möchte ich Sie bitten. Tun wir unsere Pflicht!
({25})
Als nächster spricht der Abgeordnete Hans-Ulrich Klose.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema wird
uns auch in den kommenden Jahren beschäftigen, denn die Ursachen für die anhaltende Fluchtbewegung von Ost nach West und von Süd nach Nord verschwinden nicht von heute auf morgen. Es wird lange dauern, bis sich in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion stabile rechtsstaatliche und demokratische Strukturen bilden. Das enorme Wohlstandsgefälle wird sich gewiß nicht in wenigen Jahren einebnen lassen. Die Welt ist geteilt in arm und reich. Europa bleibt geteilt durch eine Wohlstandsgrenze. Sie verläuft an der Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland.
Wir eignen uns schlecht als Grenzland in einem faktisch weiterhin geteilten Europa, denn wir, die Deutschen, im Zentrum Europas lebend, durchlaufen zur Zeit selber eine Phase der Instabilität. Wir sind wieder ein Land, ein Volk. Aber dieses Volk lebt in unterschiedlichen Wirklichkeiten. Heute wissen wir: Es wird länger dauern, bis zusammengewachsen ist, was zusammengehört, eine Generation mindestens; und das trotz des massiven Finanztransfers von West nach Ost in Höhe von 150 Milliarden Mark pro Jahr und mehr.
Wenn es aber schon in Deutschland so lange dauern wird, bis die innerdeutsche Wohlstandsgrenze verschwindet, um wieviel länger wird es in Europa dauern, da doch die Hilfe von Westeuropa und Osteuropa und, um auch dies zu sagen, die des reichen Nordens für den armen Süden bei weitem geringer ist als die Hilfe von Deutschland ({0}) allein für Deutschland ({1}).
Wir alle wissen es und müssen es gerade heute aussprechen: Das Problem der Zuwanderung wird uns weiter beschäftigen, und zwar massiv. Nach einer Umfrage der Europäischen Gemeinschaft wollen in den nächsten Jahren rund 20 Millionen Osteuropäer sicherlich oder wahrscheinlich nach Westeuropa auswandern. Wie viele im Süden auf gepackten Koffern sitzen, wissen wir nicht.
Wenn es so ist und wenn es so bliebe, daß rund 70 % aller Zuwanderer aus Osteuropa in die Bundesrepublik Deutschland kommen, dann gewinnt man ein Gefühl für die wirkliche Dimension des Problems. Es ist nicht lösbar, es ist nur steuerbar. Aber wie? Die Wanderung einfach geschehen lassen, das geht nicht. Die Mauer und die mit Stacheldraht und Minen gesicherten Grenzen will niemand wiederaufrichten. Was wir tun müssen, ist klar: Wir müssen unseren Nachbarn im Osten Europas beim Aufbau demokratischer und marktwirtschaftlicher Strukturen helfen; mit „wir" meine ich die Deutschen, die Westeuropäer, die Amerikaner, die Japaner. Weit über 50 % aller Hilfe für Ost- und Südosteuropa ist bisher aus Deutschland gekommen. Ich beklage das nicht, sage aber: Die anderen müssen mehr tun.
({2})
Wir alle müssen mehr tun, um dem Süden zu helfen, damit er Anschluß gewinnt an die Entwicklung in der sogenannten Ersten Welt. Fluchtursachen bekämpfen! Das ist das Thema.
({3})
Gefragt sind nicht Bekenntnisse, sondern Handlungen. Darüber, was im einzelnen zu tun ist, haben uns die Entwicklungspolitiker wiederholt informiert. Wir sollten auf sie hören.
({4})
Ich will hinzufügen, daß das Thema „Flucht und Fluchtursachen„ natürlich auch eine militärische Seite hat. Die hohe Zahl von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen beweist es. Darüber zu reden, würde Sinn machen, denn dann ginge es um Hilfe und nicht um die den Außenminister so sehr bedrückende Frage des außenpolitischen Gewichts der Bundesrepublik Deutschland, um das Mitreden und das Dabeisein-Dürfen.
({5})
Über Hilfe für Menschen wäre mit Sozialdemokraten allemal zu reden; Prestigeprobleme - auch außenpolitische - interessieren uns weniger.
({6})
„Hilfe für Menschen" kann nicht bedeuten, daß wir alle, die in Not sind, bei uns aufnehmen. Das schaffen wir nicht; das überfordert uns tatsächlich und emotional.
Dabei lege ich übrigens auf folgende Feststellung Wert: Etwa 70 % der Bevölkerung - eher mehr - wollen, daß wir unser Asylrecht ändern. Diese 70 % als zumindest tendenziell ausländerfeindlich einzustufen halte ich für absolut falsch. Ich bestreite den Wahrheitsgehalt solcher Behauptungen.
({7})
Wir Deutschen leben schon seit vielen Jahren mit vielen Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten zusammen - zumeist friedlich und freundlich. Wir sprechen von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Und das ist keine Redewendung; wir meinen es so.
Dennoch gibt es bei vielen Menschen eine zunehmende Angst vor Überforderung und Wohlstandsverlusten durch die massenhafte mißbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts. Und wer wollte bestreiten, daß es die gibt?
({8})
Die Menschen hier wollen, daß wir dies und die ungebremste Zuwanderung stoppen. Sie wollen ganz überwiegend aber auch, daß wir das Asylrecht für wirklich politisch Verfolgte sichern.
({9})
Der Asylkompromiß, auf den wir uns im Dezember vergangenen Jahres geeinigt haben und den wir heute gesetzgeberisch in zweiter und dritter Lesung umsetzen, versucht, das zu leisten.
Drei Teile sind zu unterscheiden: der geänderte Art. 16, jetzt 16a des Grundgesetzes, die verfahrensrechtlichen Begleitgesetze und das Asylbewerberleistungsgesetz.
Meinerseits einige Anmerkungen zu dem neuen Art. 16 a der unter verfassungsästhetischen Gesichtspunkten nicht eben ein Meisterwerk geworden ist.
({10})
Aber das war für uns auch nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß der Abs. 1 noch immer lautet:
Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
({11})
Damit ist das Asylrecht als Individualrecht erhalten, was niemand in seiner Bedeutung unterschätzen sollte. Daraus folgt nämlich, daß wir politisch Verfolgten das individuelle Asylrecht sichern müssen, entweder bei uns oder bei anderen, mit denen wir in Asylfragen zusammenarbeiten.
Sichere Herkunftsländer und sichere Drittstaaten können nicht beliebig benannt werden. Es müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Das Verfassungsgericht kann nachprüfen, ob diese Kriterien erfüllt sind.
Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gehören dazu. Dort werden die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention akzeptiert und angewendet. Gleiches gilt jedenfalls für Polen, die Tschechische Republik, Österreich, die Schweiz und die skandinavischen Länder. Alle diese Staaten sind heute nach übereinstimmender Beurteilung sichere Drittstaaten. In allen wird das Asylrecht für politisch Verfolgte gewährleistet. Es gibt geordnete Verfahren und vergleichbare Standards.
Es ist deshalb angemessen, wenn im Verhältnis zu diesen Staaten nach dem Stellvertreterprinzip verfahren wird. Geprüft, bejaht oder abgelehnt wird das Asylrecht in dem Schengen- oder Drittstaat, den der Asylbewerber zuerst erreicht. Ein Asylrecht und, vorgeschaltet, ein Recht auf ein Verfahren in einem Land ihrer Wahl gibt es aber für Asylbewerber nicht. Das ist die entscheidende Einschränkung gegenüber der bisherigen Regelung. Diese Einschränkung muß sein, weil sich sonst nichts ändert, da andernfalls weiterhin bei allen, die in die Bundesrepublik Deutschland kommen, hier geprüft und hier entschieden werden muß. Das widerspräche der Systematik von Schengen und Dublin. Dies widerspräche, um dies ebenfalls zu sagen, auch der Beschlußlage meiner Partei, die die Drittstaatenregelung durch Beschluß des Bonner Parteitags im November 1992 ausdrücklich akzeptiert hat.
Sie wissen, meine Damen und Herren, und haben es mit Sorge und mit Häme begleitet: Nicht wenige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hatten schon mit diesem Bonner Parteitagsbeschluß ihre Schwierigkeiten.
({12})
Manch einer hat deswegen die Partei verlassen, manch einer nach vielen Jahren der Mitgliedschaft. Darüber mit einem Achselzucken zur Tagesordnung überzugehen ist meine Sache nicht,
({13})
zumal da ich für die Motive derer, die für die Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung plädieren, sehr wohl Verständnis habe.
Der alte Art. 16 ist doch nicht zufällig in unser Grundgesetz geraten. Dafür gab und gibt es gute historische und politisch-moralische Gründe. Ich nehme diese Gründe ernst, ich verstehe sie und respektiere sie. Noch vor zwei Jahren habe ich ähnlich argumentiert wie jene knapp hundert Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, die dem Asylkompromiß heute nicht zustimmen werden.
Ich bitte aber auch um Respekt für die anderen, für die Mehrheit der Fraktion, die wie ich angesichts der tatsächlichen Entwicklung ihre Position geändert haben und heute für eine Änderung des Grundgesetzes stimmen werden. Auch wir wollen das Asylrecht für politisch Verfolgte erhalten.
({14})
Wir fürchten aber, daß es am Ende in der Massenhaftigkeit der Zuwanderung verlorengeht, weil es wegen Überlastung und Überforderung weder rechtlich noch tatsächlich gewährleistet werden kann.
({15})
438 191 Asylbewerber waren es im vergangenen Jahr, allein in Hamburg 20 460. Das sind etwa so viele, wie im vergangenen Jahr in Großbritannien Aufnahme gefunden haben - woraufhin dort das Asylrecht verschärft wurde. 161 324 kamen in den ersten vier Monaten dieses Jahres, davon 7 861 nach Hamburg, das ich nur beispielhaft für andere Kommunen nenne. Wir alle wissen, daß die Kommunen es nicht mehr schaffen. Es gibt keine Wohnungen mehr, keine leerstehenden Häuser, keine Hotel- oder Heimplätze. Auf Schiffen wohnen die Menschen auf engstem Raum und in Containerdörfern, für die es inzwischen kaum noch geeignete und erschlossene Flächen gibt.
Von den finanziellen Belastungen, die mit diesem Zustrom verbunden sind, will ich nicht reden. Von den Folgen aber muß geredet werden, die das alles für die eigene Bevölkerung hat. Wer z. B. in Hamburg in einem Stadtteil mit hohem Asylbewerberanteil lebt, der spürt die Auswirkung sehr direkt und sehr konkret. Die Menschen dort sind nicht etwa ausländerfeindlich, aber ihre Lebensverhältnisse verschlechtern sich oft in bedrückender Weise; sie fühlen sich bedroht, persönlich und sozial.
({16})
Es wäre nicht richtig, das alles zu leugnen. Es ist gefährlich, einfach untätig zuzusehen, wie sich die Verhältnisse entwickeln. Es gefährdet am Ende - das ist meine sehr konkrete Angst - die Stabilität unserer Demokratie,
({17})
zumal da die Versuchung, mit diesen Problemen und
den damit verbundenen Ängsten und Sorgen politisch
Schindluder zu treiben, groß ist. Den demokratischen
Parteien - das wissen wir inzwischen, wie ich hoffe - nützt das nicht, nur den Rattenfängern von rechts. Deren Geschäft sollten wir aber wahrlich nicht betreiben.
({18})
Dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes werden wir mehrheitlich zustimmen. Die Zustimmung ist uns durch die zur Umsetzung der sogenannten Drittstaatenregelung notwendige Vereinbarung mit Polen möglich gemacht worden. Wir haben das Zustandekommen einer solchen Vereinbarung nicht zum Junktim erklärt, aber doch von Anfang an deutlich gemacht, daß ohne eine solche Vereinbarung mit unserer mehrheitlichen Zustimmung nicht zu rechnen sei. Die Bundesregierung hat das ernst genommen und die Verhandlungen mit Polen unverzüglich begonnen und zu einem auch aus unserer Sicht guten Ergebnis geführt. Das ist ein großer und wichtiger Schritt; denn erstens wollten wir nicht den Eindruck entstehen lassen, wir, die Deutschen, würden unsere Probleme zu Lasten unseres östlichen Nachbarn lösen. Zweitens wollten wir mit einer Vereinbarung mit Polen einen Einstieg schaffen in das von uns angestrebte europäische Verteilungs- und Lastenverteilungsverfahren.
Wir brauchen eine solche europäische Lösung. Wir wußten und wissen aber, daß wir sie ohne Änderung unserer Rechtslage nicht bekommen. Die Vereinbarung mit Polen hat, wenn Sie so wollen, Pilotfunktion. Weitere Vereinbarungen, bilateral und multilateral, müssen folgen, vor allem mit der Tschechischen Republik, mit der Slowakischen Republik und mit Ungarn.
Ich möchte übrigens die Gelegenheit nutzen, nicht nur der Bundesregierung zu bestätigen, daß sie im Falle Polen fair verhandelt hat, sondern auch ganz ausdrücklich der polnischen Regierung für ihr außerordentliches Verständnis für unsere deutschen Probleme zu danken und für die Bereitschaft, mit uns bei der Lösung dieser Probleme zusammenzuarbeiten.
({19})
Ich bin übrigens nach einem Besuch in Prag und Bratislava sicher, daß wir auch mit den dortigen Regierungen zu Vereinbarungen gelangen können, wenngleich sich dort wegen der erst kürzlich erfolgten Teilung des Landes zusätzliche Schwierigkeiten ergeben. Immerhin, die Bereitschaft, mit uns bei der Lösung des Zuwanderungsproblems zusammenzuarbeiten, ist auch dort vorhanden. Das Verhandlungsangebot gegenüber der Tschechischen Republik liegt vor. Es erscheint uns fair.
Meine Damen und Herren, es gibt, wie Sie wissen, einen Punkt, der uns die Zustimmung zu den asylrechtlichen Begleitgesetzen sehr schwer macht. Ich rede von dem vielzitierten § 34a Abs. 2, der es den Verwaltungsgerichten verbietet, Asylbewerbern, die in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden sollen, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Wir haben darüber lange geredet und verhandelt, leider ohne Ergebnis. Dabei sehe ich sehr wohl, daß die
Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Wirksamkeit der gesamten Drittstaatenregelung in Frage stellen könnte. Sie muß beschränkt sein - ist es auch nach unseren Vorstellungen - auf ganz besondere Ausnahmefälle.
Die Möglichkeit gänzlich auszuschließen und die Betroffenen allein auf das Bundesverfassungsgericht als erste und einzige Instanz zu verweisen ist verfassungsrechtlich höchst problematisch, um es milde zu formulieren.
({20})
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sollten das noch einmal bedenken; denn das Risiko, vom Verfassungsgericht alsbald korrigiert zu werden, erscheint mir beträchtlich.
Auf ein ungelöstes Problem möchte ich Sie aufmerksam machen. Wir haben uns in dem Asylkompromiß vom Dezember vergangenen Jahres darauf geeinigt, einen besonderen Status für Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen. Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sind keine Asylbewerber. Sie werden aber immer noch künstlich in das Asylverfahren hineingedrückt, weil sonst die finanziellen Lasten allein bei den Kommunen hängenbleiben.
({21})
Das genau wollten wir ändern. Wir schaffen es aber nicht, solange die Frage der Finanzierung nicht gelöst ist.
Ich sehe bisher leider weder beim Bund noch bei den Ländern die Bereitschaft, sich über diese Frage zu verständigen. Bei den Solidarpaktverhandlungen hat man das Problem - wie soll ich sagen? - vergessen, und jetzt fühlt sich keiner angesprochen. Das ist nicht in Ordnung; denn ganz abgesehen davon, daß wir die Kommunen nicht einfach hängenlassen können, auf diese Art und Weise wird ein Teil des Asylkompromisses unterlaufen.
({22})
Die Asylbewerberzahlen werden künstlich aufgebläht; es entstehen zusätzliche Verfahren, die die Durchführung der notwendigen Verfahren für wirkliche Asylbewerber verzögern. Der Beschleunigungseffekt verpufft.
Der Bund ist angesprochen, und die Länder sind angesprochen. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, werden auf das Thema beharrlich und immer wieder zurückkommen.
({23})
Meine Damen und Herren, zwei Anmerkungen zum Schluß. Die erste: Es wird immer wieder bezweifelt, ob die Neuregelung des Asylrechts wirklich etwas bringt. Meine Antwort: Ja, sie bringt etwas. Ich könnte aber keine Zahlen nennen, hielte es auch für unverantwortlich, dies zu tun, zumal die eigentliche Wirkung der Neuregelung nicht in den neuen gesetzlichen Möglichkeiten liegt, die freilich nicht geringzuschätzen sind, sondern in dem dadurch angestoßenen Prozeß einer Europäisierung des Problems. Die unmittelbare, sofort wirksame Entlastung wird eher gering sein. Mittel- und längerfristig wird die Entlastung aber spürbar eintreten.
Eines muß aber klar sein: Eine Lösung des Asylproblems in dem Sinne, daß künftig keine Menschen mehr kommen, gibt es nicht.
({24})
Das haben wir immer gesagt, hier im Plenum und auf der Straße. Wir wiederholen es heute. Wir können das Problem nicht lösen, wir können es nur begrenzen und damit beherrschbar machen.
Nun die zweite und letzte Anmerkung: Ich bin gestern nach den Beratungen und nach der Abstimmung in der eigenen Fraktion gefragt worden, ob ich froh und zufrieden mit dem Ergebnis sei. Ich habe diese Frage nicht beantworten können, kann es auch heute nicht. Wie könnte ich froh sein über eine Entscheidung, bei der mein inneres Abstimmungsverhältnis ähnlich gespalten ist wie das der Fraktion? Vielleicht sind die inneren Mehrheitsverhältnisse etwas günstiger.
Aber das will ich sagen: Froh und ungeteilt glücklich ist bei uns niemand mit der zu treffenden Entscheidung. Bei uns allen bleiben Zweifel, mehr oder weniger stark, aber doch unüberhörbar. Darauf wollte ich im bewußten Gegensatz zu jenen hinweisen, die hier und draußen auf der Straße, immer ganz genau und sicher wissen, was richtig und moralisch ist.
({25})
Zufrieden? Na schön, unzufrieden bin ich nicht.
({26})
Es war ein langer Weg seit jener Debatte vom April 1992, als wir schon einmal nahe beieinander schienen, bis heute. Heute schaffen wir es, hoffe ich, ein Stück notwendiger Veränderung oder Anpassung an veränderte Wirklichkeiten. Daß dies möglich ist, sollte beachtet werden.
Denen, die die schwierige Arbeit in Verhandlungsrunden, Arbeitsgruppen und Ausschüssen geleistet haben, gilt jedenfalls Dank und Anerkennung. Ich nenne als ein Beispiel aus meiner Fraktion den Kollegen Gerd Wartenberg. Was er in den letzten Monaten geleistet hat, werden wir nicht vergessen.
({27})
Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Hermann Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Situation außergewöhnlicher politischer Herausforderungen. Damit meine ich nicht in erster Linie die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Debatte heute stattfinden muß. Aber zum friedlichen Charakter der Demonstranten, die diese Rahmenbedingungen schaffen, will ich doch etwas sagen.
Ich habe gerade eine Mitteilung aus dem Auswärtigen Amt bekommen, daß dort zwei Außenminister uns befreundeter Staaten am Zugang in das Gebäude gehindert worden sind, daß der Staatssekretär Kastrup tätlich angegriffen worden ist, sein Fahrzeug beschädigt ist und daß die Demonstranten auf Befragung nach dem friedlichen Charakter gesagt haben:
„Dies ist keine friedliche Demonstration. Wir werden den Zugang, auch mit Gewaltanwendung, verhindern. " Da stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit derjenigen, die diese Demonstranten mit ihren unterstützenden Reden, auch hier, begleiten.
({0})
Ich glaube, daß wir uns in der bedeutsamsten Woche dieser Legislaturperiode befinden. Einige der sehr zentralen Probleme dieser Legislaturperiode sind heute und in dieser Woche zu entscheiden: zunächst natürlich die Entscheidung zur Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes und damit zur zukünftigen Ausgestaltung unseres Asylrechts.
Zweitens steht aber auch die Neugestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an und eine Neubestimmung der Frage, welche öffentlichen Lasten von den öffentlichen Händen und den Sozialversicherungssystemen noch getragen und finanziert werden können. Darüber werden wir morgen befinden.
Darüber hinaus ist die Frage einer Einführung einer Pflegeversicherung zu entscheiden, die ja mit der vorher angeführten Frage in direktem Zusammenhang steht. Können wir uns weitere soziale Sicherungssysteme leisten, obwohl wir in allen anderen Bereichen, wie jeder weiß, zurückfahren müssen? Ich will für die F.D.P. gleich im voraus ganz eindeutig sagen: Wir brauchen eine Pflegeversicherung, um die bedürftigen Menschen abzusichern, aber wir können sie nur im Rahmen des finanziell und volkswirtschaftlich Verantwortlichen auf den Weg bringen.
({1})
Nicht zuletzt blicken wir auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts am Freitag zum § 218, die von vielen Menschen, insbesondere von vielen Frauen mit großen Erwartungen, auch mit Befürchtungen verbunden wird.
Ich glaube, wir sollten uns bewußt sein, wie wichtig diese Woche für uns alle ist: für das Parlament und für die demokratischen Parteien. Wir alle sind uns der großen Verantwortung bewußt, die wir mit den Entscheidungen in diesen zentralen Fragen übernehmen. Schon zu lange haben unsere Bürger auf uns warten müssen; weitere Verzögerungen werden sie nicht hinnehmen. Das wird sich sonst bei den Wahlen zeigen.
Die Entscheidung darüber, wie wir die Asylrechtsgarantie in unserem Grundgesetz sichern und gleichzeitig den Asylmißbrauch bekämpfen können, bewegt nicht nur die gesamte Bevölkerung, sondern strahlt weit über die Grenzen unseres Landes hinaus. Unsere heutige Debatte stellt trotz bekannter Thematik eine historische Zäsur dar.
({2})
Herr Dr. Solms, darf ich einen Augenblick um Unterbrechung bitten? Der Geräuschpegel ist kaum zumutbar. Diejenigen, die den Saal verlassen möchten, mögen das bitte unmittelbar tun, damit die Ruhe im Saal herrscht, die nötig ist, damit der Redner gehört werden kann.
Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik wird die Regelung des Asylrechts im Grundgesetz direkt geändert, und zwar in dem besonders sensiblen Bereich der Grundrechte. Wir hatten gewissenhaft zu prüfen und haben gewissenhaft geprüft, ob die Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes zwingend geboten ist. Die Aufnahme der Asylrechtsgarantie in unser Grundgesetz ist unlösbar mit unserer Geschichte und unserer historischen Identität verbunden. Unzählige Menschen mußten im Dritten Reich ihre Heimat verlassen und Zuflucht in fremden Ländern suchen. Nicht immer waren es gute Erfahrungen, die die Menschen auf ihrer Flucht vor Diktatur und Unrecht auch an den Grenzen durchaus gefestigter westlicher Demokratien machen mußten.
Die Verfasser des Grundgesetzes waren 1949 auch auf Grund dieser Erfahrungen von dem Leitmotiv bewegt, nach den schrecklichen Jahren der Gewaltherrschaft, nach Krieg und Zerstörung, auf deutschem Boden einen rechtsstaatlichen Neuanfang zu ermöglichen. Dazu gehörte auch der verfassungsrechtlich garantierte Schutz vor politischer Verfolgung. „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - das war der schlichte, prägnante Satz, der sich schließlich in Art. 16 des Grundgesetzes niederschlug. Besser kann man es eigentlich auch nicht formulieren. Niemand konnte sich in jener Zeit jedoch die Situation ausmalen, wie wir sie heute bei der Asylgewährung im wiedervereinigten Deutschland vorfinden.
Der Parlamentarische Rat hat bei seinen Beratungen zur Formulierung des Grundgesetzes durchaus Überlegungen angestellt, ob Deutschland, das damals in Schutt und Asche lag, überhaupt imstande sein würde, politisches Asyl zu gewähren. Das ist den Protokollen zu entnehmen. Das zeigt uns, daß dem Parlamentarischen Rat 1949 bei der Formulierung des Art. 16 eine gänzlich andere Situation vor dem geistigen Auge stand, als sie sich uns heute darstellt. Die heutige Situation war 1949 nicht vorhersehbar. Sie war eigentlich auch nicht vorstellbar. Und schon gar nicht vorhersehbar war, was Gerichte und Verwaltungen aus diesem eindeutig formulierten Verfassungsgebot in den Jahren danach gemacht haben.
({0})
Welch ein Verfahrensgestrüpp, welch eine komplizierte Verästelung der Rechtsprechung, welch ein Wust von Verfahrensregeln dem Gebot, politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aufgepfropft wurden, hat sich dann später erst gezeigt und zu einer Handlungsunfähigkeit der staatlichen Organe geführt.
Ich habe schon einmal an dieser Stelle gesagt, in typisch deutschem Drang nach perfekter Regelung und größter Einzelfallgerechtigkeit laufen wir Gefahr, das Asylrecht, das wir eigentlich schützen wollen, selbst zu gefährden.
({1})
Die fast 440 000 Asylbewerber im vergangenen Jahr und die bereits 161 000 Flüchtlinge, die in den ersten vier Monaten dieses Jahres Zuflucht bei uns gesucht haben, zwingen uns, die geänderten Rahmenbedingungen nun endlich zur Kenntnis zu nehmen. Sie zwingen uns, Verfahren zu entwickeln, die uns in die Lage versetzen, der faktischen Aussetzung des Asylrechts, wie sie heute besteht, zu begegnen.
({2})
Ich verrate kein Geheimnis: Gerade wir Liberalen haben uns sehr schwergetan, überhaupt einer Änderung der Verfassung in diesem sensiblen Bereich näherzutreten.
Wir sind immer davon ausgegangen, daß die Grundrechte so, wie sie im Grundgesetz formuliert sind, nicht angetastet werden sollten. Aber auch die F.D.P. als Rechtsstaatspartei muß nun nach einem tiefgreifenden und bewegenden Diskussionsprozeß erkennen, daß wir uns nicht verschließen dürfen, diese Verfassungsbestimmung so zu ändern, daß der eigentliche Sinngehalt des Art. 16 wieder erfüllt werden kann.
({3})
Es war - zugegebenermaßen wie in den anderen Parteien auch - ein mühseliges, manchmal nahezu quälendes Ringen um die richtige Lösung. Dieser Prozeß war aber dennoch notwendig und richtig, und er dauert in Wirklichkeit ja noch an.
Bei den Abstimmungen heute abend wird es auch Mitglieder meiner Fraktion geben, die dem fraktionsübergreifenden Kompromiß, der unserer Debatte zugrunde liegt, letztlich nach ihrer eigenen freien Entscheidung und Bewertung nicht zustimmen können. Diese Entscheidung respektieren wir, wie wir auch eine solche Entscheidung anderer Mitglieder des Hauses respektieren.
Andererseits schulden wir auch gerade denjenigen besonderen Respekt, die sehr eingehend und mit großer Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit ihre Position überprüft haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, daß wir uns einer Neuformulierung der Verfassung nicht verschließen dürfen;
({4})
denn diese haben die Überprüfung nicht weniger gewissenhaft vorgenommen als die anderen, die zu der anderen Entscheidung gekommen sind.
({5})
90 % der Bevölkerung erwarten von uns eine Änderung des Grundgesetzes. Ein Scheitern an dieser Stelle hätte dramatische Auswirkungen. Das Vertrauen in die Politik würde dadurch tiefgreifend gestört. Das Vertrauen in die demokratischen Parteien nähme zunehmend Schaden. Nicht nur die demokratischen Parteien, das ganze demokratische System würde ins Wanken geraten. Das ist meine Vermutung. Die Folgen wären unabsehbar. Auch dieser Verantwortung, meine Damen und Herren, müssen wir uns stellen.
({6})
Ich sage noch einmal mit Nachdruck zu denen, die dem Asylkompromiß nicht zustimmen wollen: Wer sich jetzt einer Lösung verweigert, muß wissen, daß dies bei der deutschen Bevölkerung, jedenfalls bei der weit überwiegenden Mehrheit, keinerlei Verständnis findet. Der muß wissen, daß er damit das Asylrecht für politisch Verfolgte eher in Gefahr bringt, obwohl er es eigentlich gerade besonders schützen will. Gerade weil wir das Asylrecht sichern wollen, sind wir bereit, die notwendigen Änderungen zu beschließen.
({7})
Wir tun das aus Verantwortung für die politisch Verfolgten. Wir tun es aus Verantwortung für die Sicherung des Rechtsstaates. Wir tun es aus Verantwortung für die Stabilität der demokratischen Ordnung. Wir tun es nicht zuletzt aus Verantwortung für ein Zusammenwachsen in Europa.
Die da sagen, wir würden den Stammtischparolen nachgeben, machen es sich gar sehr leicht. Wir unterwerfen uns weder dem Druck der Stammtische, noch lassen wir uns vom Druck der Straße, wie wir ihn heute hier um das Parlament herum erleben, beeinflussen.
({8})
Nein, wir handeln wohlüberlegt und so, wie wir es nach dem sehr ernsthaften Diskussionsprozeß und nach Abwägung aller Argumente für richtig halten.
Ich sage hier nach ernsthafter Prüfung mit allem Nachdruck: Ich kann die Entscheidung vor meinem Gewissen verantworten. Wir alle, die wir diesem Beschluß zustimmen, können diese Entscheidung vor unserem Gewissen verantworten, und dazu sind wir nach der Verfassung aufgerufen.
Meine Damen und Herren, wir haben immer wieder gesagt: Wir wollen ein europäisches Asylrecht schaffen, an dem alle Länder mit gleichen Rechten und Pflichten teilnehmen können. Wenn Europa auf Dauer Bestand haben will, können wir die Lasten nicht so ungleich verteilt lassen, wie sie heute verteilt sind. Es muß in Europa zu einer gerechteren Lastenverteilung kommen. Wer tatsächlich in seiner Heimat politische Verfolgung befürchten muß, soll weiterhin auf Zuflucht hoffen können. Allerdings kann er nicht die freie Wahl haben, in welchem Land er diese Zuflucht erhält.
({9})
Auf Dauer kann Deutschland nicht allein die Hauptlast der Flüchtlingsbewegung tragen. Das würde alle unsere Mittel und Ressourcen, das würde unsere Städte und Gemeinden, das würde schließlich auch unsere Bevölkerung überfordern. Mit der sogenannten Drittstaatenregelung nehmen wir daher auch unsere Nachbarn in die Pflicht. Das muß man ganz offen sagen. Wir laden damit aber unsere Probleme nicht bei den Nachbarn ab. Wer das so sieht, hätte den Sinn dieser Vereinbarung nicht richtig verstanden.
Die Drittstaatenregelung soll eine gerechtere Lastenverteilung in Europa möglich machen. In der Übergangszeit müssen wir diesem Ziel durch bilateDr. Hermann Otto Solms
rale Vereinbarungen mit denjenigen Nachbarländern, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören, entsprechen. Sie sollten sich am Vorbild der deutsch-polnischen Übereinkunft orientieren, die allgemein als sehr gelungen beurteilt wird.
({10})
Durch sie erhält Polen im übrigen technische, organisatorische und finanzielle Hilfen, um auch seinen Teil leisten zu können. Diese Hilfen werden mit dazu beitragen, daß die tatsächliche Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in Polen gesichert wird.
Aber eines sage ich für die F.D.P. ganz ausdrücklich: Wir wollen diese Nachbarländer nicht als Pufferzone gegen Zuwanderung für Deutschland mißbrauchen. Im Gegenteil: Wir sehen darin ein Element der Annäherung dieser Staaten an die Europäische Gemeinschaft, einen wichtigen Schritt zur Europäischen Gemeinschaft. Mit der Beteiligung von Polen und der Tschechischen Republik binden wir diese Lander enger an Europa mit dem Ziel, das Tor zur Vollmitgliedschaft ein Stück weiter aufzumachen.
({11})
Meine Damen und Herren, auch die heutige, bedeutsame Änderung unseres Asylrechts wird entgegen mancher Äußerung von interessierter Seite nicht dazu führen, daß um Deutschland in Zukunft von allen, die Zuflucht suchen, ein großer Bogen gemacht wird oder gemacht werden muß. Wir können zwar davon ausgehen, daß sich die gegenwärtigen Zahlen deutlich verringern werden. Wir sollten allerdings nicht den Eindruck erwecken, als wäre das Problem des Asylmißbrauchs mit dieser Entscheidung völlig gelöst.
({12})
Darüber hinaus fordert der Asylkompromiß vom letzten Jahr die Bundesregierung zu Recht auf, die Möglichkeit einer geregelten Zuwanderung auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene zu prüfen und mit den Mitgliedstaaten entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Dieser Frage hat sich die Bundesregierung aus Sicht der F.D.P. nach dieser Entscheidung baldmöglichst anzunehmen.
Deutschland wird auch in Zukunft ein starker Magnet bleiben. Das ist doch völlig klar. Wer etwas anderes erwartet, betrachtet die Situation eher naiv. Deutschland ist einerseits für die wirklich Asylsuchenden ein Magnet, zum anderen aber auch für solche, die Armut, Elend, Verfolgung und Bürgerkriegswirren in ihrer Heimat entkommen wollen. Allein 1992 waren nach UNO-Angaben weltweit 18 Millionen Menschen auf der Flucht. Viele Menschen haben von Geburt an kaum eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Das müssen wir wissen, und das ist mit ein Teil unserer Verantwortung.
Wenn es uns, d. h. allen Industrieländern, nicht endlich gelingt, daß diese Menschen in ihren Heimatländern bessere Lebenschancen erhalten, werden wir dem Wanderungsdruck auf Dauer auch durch noch so gute Gesetze nicht standhalten können. Wir dürfen
uns nicht der Selbsttäuschung hingeben, daß das Problem der globalen Wanderung mit dem heutigen Gesetzentwurf erledigt wäre. Ganz im Gegenteil: Die Verantwortung steigt. Deshalb werden wir auf Dauer auch um eine Regelung der Zuwanderung nicht herumkommen.
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit einem dringenden Appell an die Bundesländer. Es besteht kein Zweifel, daß das gesamte neue Regelungswerk leerlaufen wird, wenn die Bundesländer nicht auch einen Teil zum Gelingen beitragen.
({14})
Es darf nicht dazu kommen, daß das Bundesamt und seine Außenstellen die Anerkennungsverfahren zwar schnell durchführen, daß aber die Verfahren der Länder weiterhin unvertretbar lange Zeit beanspruchen. Das würde im übrigen zu einer großen Enttäuschung bei der Bevölkerung führen.
Ich fordere daher alle Verantwortlichen in den Bundesländern auf, ihren Beitrag zu leisten und dieser Verantwortung auch tatsächlich gerecht zu werden;
({15})
denn wie im Bund, so stehen die demokratischen Parteien auch in den Ländern und Gemeinden in der Verantwortung. Es ist also auch wieder unsere gemeinsame Verantwortung.
Unsere Geschichte zeigt uns, daß es den extremen Kräften am linken wie am rechten Flügel - Herr Klose, die extremen Kräfte sind eben auch heute nicht nur am rechten Flügel zu finden ({16})
häufig gelingt, die Defizite der Politik, die Handlungsunfähigkeit der demokratischen Parteien zum eigenen Vorteil auszunutzen. Beim Einsatz demagogischer Parolen waren uns die extremen Kräfte immer überlegen. Dem müssen wir uns deshalb gemeinsam entgegenstellen.
({17})
Wir müssen dies tim durch die Überzeugungskraft unserer Argumente, durch Handlungsbereitschaft und durch klare und verläßliche Entscheidungen, die wir hier zu treffen haben. Die demokratischen Grundwerte können wir nur gemeinsam verteidigen. Sonst werden wir sie nicht bewahren können. Auch diesem Ziel dient unsere heutige Entscheidung, nämlich uns zurückzubesinnen auf die Grundwerte unserer demokratischen Ordnung und gemeinsam dafür zu kämpfen, daß wir diese erhalten können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({18})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Veränderungen, die die Behandlung des sogenannten Asylproblems schon jetzt in der politischen Landschaft der Bundesrepublik bewirkt hat, sind gewaltig und deprimierend. Die populistische Instrumentalisierung von tatsächlichen sozialen Problemen und Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Flüchtlingen in den Kommunen, die Instrumentalisierung von Vorurteilen und latentem Rassismus zur Durchsetzung einer neuen Asylpolitik hat die politische Auseinandersetzung um Zukunftsfragen auf eine durch und durch irrationale Basis gestellt. Außer Kraft gesetzt wurden die Maßstäbe der Menschlichkeit und der Vernunft.
Die Bundesrepublik ist zweifellos eine führende Wirtschaftsmacht. Aber sie ist beteiligt - und darüber wird hier so gut wie überhaupt nicht geredet - an der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Es gibt keinen Widerstand dieser Bundesregierung dagegen, daß die Märkte für die sogenannte Dritte Welt nicht geöffnet werden; dagegen, daß den Ländern dieser Welt keine stabilen Rohstoffaufkaufpreise garantiert werden; dagegen, daß mit Kaffee-, Kakao- und Bananenpreisen in einer Art und Weise umgegangen wird, die diese Länder immer wieder in größte existentielle und soziale Schwierigkeiten stürzen müssen. Nein, die Bundesrepublik macht mit. Sie lebt zum Teil davon.
Ist es nicht aber wenigstens moralisch höchst fragwürdig, vorn Elend und Hunger in der sogenannten Dritten Welt zu profitieren und gleichzeitig Mauern gegen die Flüchtlinge aus ihr hochzuziehen, gegen Flüchtlinge, die versuchen, diesem Elend und diesem Hunger zu entkommen?
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Gab es nicht gerade nach Wegfall des Ost-WestKonflikts große Chancen, an das solidarische Bewußtsein von Menschen zu appellieren, sie auf die wirklichen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, vorzubereiten, zu einem Umdenken beizutragen? Diese Chancen blieben ungenutzt.
So wie im Rahmen der Vereinigung den Westdeutschen täglich erklärt wird, was die Ostdeutschen sie kosten, um Entsolidarisierung zu erreichen, so wurde den Menschen Angst gemacht vor Ausländerinnen und Ausländern, vor Flüchtlingen und insbesondere vor Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, und nachdem diese Angst erzeugt ist, begründet man seine Entscheidungen mit dieser Angst.
Auch ich nehme Ängste ernst. Aber es gab reale Möglichkeiten, sie abzubauen. Sie alle wissen, daß die Zuwanderungen in die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren abnehmen. Aber eine solche Tatsache hätte zur Durchsetzung einer veränderten Asylpolitik nicht getaugt, und deshalb wird sie verheimlicht, deshalb werden nur die Zahlen über steigende Asylbewerbungen bekanntgegeben. Natürlich sagen Sie nicht, wie viele von denen ab- oder zurückgeschoben werden, wie viele Ausländerinnen und Ausländer jährlich die Bundesrepublik verlassen, nämlich fast eine halbe Million. Wie in der DDR-Propaganda werden unangenehme Zahlen verschwiegen und nur jene betont, die die eigene Politik rechtfertigen sollen.
Sprache ist verräterisch. Es waren Politikerinnen und Politiker, die die Begriffe von Scheinasylanten, von Flüchtlingsströmen, von Wirtschaftsflüchtlingen, vom Asylmißbrauch, von asylfreien Zonen, von Durchmischung und Durchrassung und das schlimme Wort vom Staatsnotstand in die Debatte brachten, und solche Worte zeigen Wirkung.
All jene, die in der beschriebenen Art und Weise die Asyldebatte führten und führen, haben an rassistischen und ausländerfeindlichen Pogromen als intellektuelle Urheber ihren Anteil.
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Sie können für sich in Anspruch nehmen, das Klima in der Bundesrepublik verändert zu haben, aber in welch schlimmer Art und Weise!
Nun sind wir in einer Situation, in der wir einen neuen Schub von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit befürchten müssen, und zwar dann, wenn sich herausstellen wird, daß die rechtlichen Veränderungen, die hier heute beschlossen werden sollen, die Probleme, die dahinterliegen, nicht einmal im Ansatz lösen können.
Statt Asylbewerberinnen und -bewerbern mit geordneten rechtlichen Verfahren werden wir eine Vielzahl illegaler Flüchtlinge bekommen. Sie, Herr Klose, haben darauf hingewiesen, daß Menschen in ein Asylverfahren gezwungen wurden, in das sie gar nicht hineinpaßten, nämlich die Bürgerkriegsflüchtlinge. Das ist wahr, und jetzt wird dasselbe passieren, daß Flüchtlinge in die Illegalität getrieben werden, weil es kein geordnetes rechtliches Verfahren mehr gibt.
Das wird Auswirkungen zeigen. Diese Flüchtlinge werden nämlich noch rechtloser sein. Sie werden durch die Bereitschaft, zu fast jedem Lohn zu arbeiten, noch stärker auf den Arbeitsmarkt drücken. Sie werden Opfer von Kriminalität werden, ohne die Chance zu haben, auch nur Anzeige zu erstatten, weil sie dann ihren illegalen Aufenthalt bekanntgeben müßten. Sie werden auch überdurchschnittlich selbst zur Kriminalität neigen - aus sozialer Not, aus Isoliertheit. Solche Erscheinungen schüren Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, und das wissen Sie auch.
Aus der Erfahrung der DDR ergibt sich eine weitere Lehre, die zwingender Natur ist. Ich will das hier so deutlich formulieren: Wer Mauern an den Grenzen errichtet, egal, ob sie aus Infrarotstrahlen oder aus Beton bestehen, der wird auch die Bereitschaft zum Schießen aufbringen müssen, damit solche Mauern einen Sinn machen.
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Sie werden es noch erleben: Wer heute der faktischen Abschaffung des Asylrechts zustimmt, muß wissen, daß er Mitverantwortung trägt, wenn eines Tages an den Grenzen auf Flüchtlinge geschossen wird.
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Mit der Abschaffung des Artikels 16 wird auch Geschichte auf eigenwillige Art und Weise aufgearbeitet. Es war die Lehre aus der Zeit des Naziregimes, die zur Einführung dieses Artikels führte. Millionen Menschen, die aus Deutschland flüchten wollten, insbesondere Juden, hätten gerettet werden können, wenn es in anderen Staaten ein individuelles Recht auf Asyl gegeben hätte. Es ist bekannt, wie viele Staaten sich damals gegen Flüchtlinge verweigerten. Es ist bekannt, daß Staaten während des Faschismus Flüchtlinge nur nach Gutdünken aufnahmen, nach eigenen politischen und ökonomischen Interessen. Deshalb haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes beschlossen, politisch Verfolgten einen Anspruch auf Asyl zu gewähren und es nicht in das Belieben des Staates zu stellen, ob er Asyl gewährt oder nicht.
Während des Kalten Krieges wurde Art. 16 im Rahmen der Ost-West-Auseinandersetzungen instrumentalisiert. Jeder und jede, die aus einem Ostblockstaat kam, galt als politisch verfolgt und genoß Asyl. Damals stimmten Bundesverfassungsgericht und offizielle Politik überein, daß Art. 16 des Grundgesetzes im Hinblick auf die sich sozialistisch nennenden Staaten möglichst weit interpretiert werden muß. Aber diesen Zweck hatte Art. 16 des Grundgesetzes 1989 erfüllt. Seitdem wird deshalb mit allen Mitteln gegen ihn gearbeitet. Er dient nicht mehr zur Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt. Er könnte jetzt seiner wirklich humanitären Intention gerecht werden, und genau das soll nicht geschehen.
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Es war die Bundesrepublik, auch die SPD, die meines Erachtens zu Recht die DDR immer dafür kritisiert hat, diese verletze die allgemeine Deklaration der Menschenrechte dadurch, daß sie nicht jeder Bürgerin und jedem Bürger das Recht einräume, jeden Staat, d. h. auch den eigenen, zu verlassen.
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Aber was ist ein solches Menschenrecht wert, wenn sich andere Staaten geschlossen weigern, Menschen aufzunehmen?
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Zeigt sich so, daß die offizielle Propaganda der DDR zumindest in dem Punkt recht hatte, daß sie der Bundesrepublik vorwarf, auf diesem Recht nur als Instrument gegen die DDR zu bestehen, nicht aber es wirklich weltweit durchsetzen zu wollen?
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Die Menschheit steht heute vor existentiellen Herausforderungen. Noch nie gab es einen so ungezügelten Ressourcenabbau,
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noch nie eine so weit verbreitete Naturvernichtung.
Noch nie hat die Menschheit über die Art und Weise,
wie sie produziert, wie sie Waffen herstellt und
anwendet, die Grundlagen ihrer eigenen Existenz so gefährdet wie heute. Das Wohlstandsgefälle zwischen der sogenannten Ersten und der sogenannten Dritten Welt wird täglich größer. Die Ausmaße von Hunger und Elend auf dieser Welt lassen sich kaum noch erfassen, geschweige denn beschreiben. Fast alle wissen, daß wir anders produzieren und anders konsumieren müssen, daß wir andere Beziehungen der Solidarität und der Mitmenschlichkeit benötigen, damit die Menschheit überhaupt überleben kann.
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Nicht erst seit heute warnt der Club of Rome vor den Entwicklungen, die sich leider völlig ungehemmt fortsetzen.
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Auf diese riesigen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, reagieren die führenden Industriestaaten mit zwei Antworten: Einsatz des Militärs und Abschottung. Es ist völlig klar, daß diese Antworten nicht einmal zu einer Verschnaufpause führen werden. Die Existenzbedrohungen für die Menschheit werden zunehmen.
Indem den Menschen vorgegaukelt wird, daß über eine juristische und eine Infrarot-Mauer das Flüchtlingsproblem von ihnen ferngehalten werden kann, berauben wir uns der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, zur Lösung dieser Probleme beizutragen, und gefährden damit langfristig die Existenz unserer eigenen Bevölkerung. Also nicht nur aus humanistischen Gründen, nicht nur aus Gründen der Solidarität, sondern durchaus auch aus egoistischen, aus existentiellen Gründen wäre eine gänzlich andere Politik angezeigt als die der Militarisierung und Abschottung.
Militarisierung bedeutet, täglich mehr Waffen und damit Krieg und Bürgerkrieg in die Welt zu exportieren,
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um dann den Flüchtlingen den Weg zu versperren und deutsche Soldaten hinterherzuschicken. Wer solche Politik betreibt, verändert sich auch selbst.
Ich meine, daß ein Blick in die Bibel genügt, um deutlich werden zu lassen,
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- wann haben Sie denn das letztemal hineingesehen? ({13})
daß die Christlich Demokratische und die ChristlichSoziale Union künftig wenigstens auf den Begriff „ christlich" verzichten sollten.
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Gott sagte zu Moses - Sie können das im 3. Buch Moses, Kap. 19, nachlesen -:
Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.
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Er soll unter euch wohnen wie ein Einheimischer, und du sollst ihn lieben wie dich selbst.
Schauen Sie sich einmal an, was Jesus über den Umgang mit Fremden gesagt hat.
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Laut dem Evangelium von Matthäus, Kap. 25, wies er bekanntlich auf die Kriterien hin, die vor dem Weltgericht gelten werden.
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- Frau Präsidentin, ich bitte, mir das von der Redezeit abzusetzen.
Der Redner bittet um Ruhe. Aber er mutet uns auch eine Menge zu.
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Es ist mir neu, Frau Präsidentin, daß die Bibel im Deutschen Bundestag eine Zumutung ist.
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Er hat auf die Kriterien des Weltgerichts hingewiesen, und er hat gesagt:
Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Als Gerechte sieht er nur jene an, die Hungrigen zu essen, Durstigen zu trinken geben und Fremde aufnehmen. Aber Sie erklären heute, daß Sie nichts von alledem vorhaben. Im Gegenteil, Hungernde sollen in ihr Elend zurückgeschickt, politisch Verfolgte an den Grenzen abgewiesen werden.
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Auch die F.D.P. hat sich verändert. Es gab Zeiten, als sie Tabuthemen aufgriff, sich hinter Minderheiten in dieser Gesellschaft stellte - in dem Wissen, keinesfalls populär zu handeln. Ich erinnere daran, daß es von allen Parteien zuerst die F.D.P. war, die sich für die Integration und Gleichstellung von Menschen einsetzte, die eine andere als die heterosexuelle Orientierung hatten. Inzwischen ist dies fast Allgemeingut geworden. Damals aber mußte die F.D.P. gegen den Strom schwimmen; und sie tat es. Genau das macht Liberalismus aus: der Kampf um Toleranz, der Mut, sich für Minderheiten einzusetzen, ihre Rechte hochzuhalten, wenn die Mehrheit dabei ist, diese Minderheiten zu unterdrücken oder geringzuschätzen. Gerade eine liberale Partei hätte deshalb für die Erhaltung des Asylrechts auch gegen eine Mehrheit kämpfen müssen.
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Es ist gerade für Deutschland unerträglich, wenn es keinen parteipolitisch organisierten Liberalismus mehr gibt.
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In dieser Logik liegt dann auch, daß dem großen Lauschangriff und anderen Dingen zugestimmt wird. Das ist dann eben das Ende des parteipolitisch organisierten Liberalismus.
Am schwersten mit der Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Asylrechts hat es sich sicherlich die SPD gemacht. Letztlich aber wurde eine Mehrheit organisiert, die ausreichen wird; dies ist entscheidend. Es widerspricht jedoch der Tradition der Sozialdemokratie, zumindest so, wie ich sie verstehe. Da gibt es doch wohl unzweifelhaft auch sehr viele positive Elemente, die man auch dann anerkennen muß, wenn man selbst kein Sozialdemokrat ist. Zu dieser Tradition gehört ein gewisser Internationalismus. Zu dieser Tradition gehört, sich für sozial Schwache und Benachteiligte einzusetzen. Zu dieser Tradition gehört aber nicht Nationalismus, nicht Abschottung, nicht Einschränkung von Grundrechten, nicht die Zustimmung zu einer Veränderung der Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland in militaristischer und national-egoistischer Hinsicht, wie dies gegenwärtig geschieht.
Wer so mit seiner eigenen Tradition bricht, handelt meines Erachtens nicht nur politisch schädlich, sondern verliert auch Profil, wird unkenntlich. Es gibt Situationen, in denen dieses Profil wichtiger ist als die Zahl von Wählerstimmen. Im übrigen glaube ich nicht, daß Prinzipienlosigkeit dazu führt, daß man Wählerstimmen gewinnt.
Indem hier heute dafür gesorgt wird, daß das politische Programm der Republikaner zum Asylrecht aus dem Jahre 1990 nicht nur verwirklicht, sondern übererfüllt wird, wird ihnen zugleich in die Hände gespielt; denn die Wähler wählen lieber das Original als ein schwaches Duplikat.
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Ich weiß, daß das keinesfalls für alle Mitglieder der SPD gilt. Es gilt jedoch für eine Mehrheit, und die Minderheit muß sich dem stellen.
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Wenn ich mir den Kompromiß einmal genau ansehe, muß ich der CDU/CSU zugute halten, daß sie wenigstens deutlich gesagt hat, was sie wollte, nämDr. Gregor Gysi
lich daß es einen individuellen Anspruch auf Asyl nicht mehr gibt. Was Sie letztlich erreicht haben - abgesehen von einer schlappen Bestimmung zu Bürgerkriegsflüchtlingen -, ist eine Täuschung. In Abs. 1 wird ein Recht statuiert, das in den nächsten Absätzen wieder aufgehoben wird, indem Sie sagen: Jeder, der über eine Landgrenze zu uns kommen will, bekommt keinen Zutritt. Das heißt, daß er sein Recht aus Abs. 1 überhaupt nicht wahrnehmen kann. Ich sage Ihnen: Dann gehe ich lieber offen mit solchen Dingen um, als daß lediglich eine Täuschung formuliert wird, ganz abgesehen davon, daß es grundgesetzlich höchst bedenklich ist, in Abs. 1 ein Recht zu statuieren, das in den nächsten Absätzen wieder aufgehoben wird.
Wer mit Länderlisten operiert, macht sie zum Gegenstand von Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Schon fordert die Türkei, in die Liste aufgenommen zu werden. Welche Bundesregierung wird bereit sein, gute Beziehungen zu einem Staat zu gefährden, indem sie diesen Staat von der Liste der Nichtverfolgerstaaten streicht, wenn es dort zu politischen Verfolgungen kommt? Wird es dann nicht eine Güterabwägung, eine sogenannte politische Schadensberechnung und -begrenzung geben?
Ich appelliere an die wirklichen Christen, an die liberalen und sozialen Demokraten unter Ihnen:
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Sagen Sie nein zur Abschaffung des Asylrechts! Sagen Sie nein zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem mörderischen Naziregime! Verweigern Sie sich der Abschaffung eines Grundrechts und einer Täuschung,
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die da lautet: Fremder, du wirst politisch verfolgt; deshalb hast du Anspruch auf Asyl; wir haben dir aber fast alle Wege zu uns versperrt.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Konrad Weiß.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verurteilt entschieden jeden Versuch, mit Gewalt gegen Mitglieder des Deutschen Bundestages vorzugehen und diese Debatte zu beeinflussen.
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Sie alle wissen, daß die Abgeordneten unserer Fraktion
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aus der Tradition des friedlichen Herbstes kommen.
Wenn, wie soeben mitgeteilt wurde, unser Kollege Wolfgang Ullmann sowie andere aus anderen Fraktionen tätlich angegriffen und verletzt worden sind, so ist das eine Schande.
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- Wir wollten die Bannmeile nicht für die Gewalttäter aufheben, sondern für die große Anzahl von friedlichen Demonstranten.
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert aus diesem Hause die gewalttätigen und gewaltbereiten Demonstranten auf, sich aus dem Staub zu machen und in den Kindergarten zu gehen, wo sie hingehören.
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Sie schaden der Sache nur, für die sie sich einzusetzen meinen. Mit ihrer egoistischen Gewaltsamkeit schaden sie den Flüchtlingen und Verfolgten, für die sie sich einzusetzen meinen. In ihrer bodenlosen Dummheit machen sie gemeinsame Sache mit den Rechtsradikalen.
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Die heutige Debatte, meine Damen und Herren, steht unter mehrfachem Zwang. Da ist zuerst der unübersehbare Zwang des Faktischen, den auch wir nicht leugnen. Die Flüchtlinge und Asylbewerber, die in Deutschland Zuflucht vor Verfolgung und Not suchen, sind zweifellos für unsere Gesellschaft eine gewaltige Herausforderung. Aber anders als diejenigen, die in der totalen Abschottung Deutschlands das Heil suchen, ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Auffassung, daß die Deutschen sehr wohl in der Lage sein sollten und könnten, eine menschliche und solidarische Lösung zu finden.
Der gegenwärtige völlig unbefriedigende Zustand ist das Ergebnis einer unentschlossenen und ratlosen Politik, einer Politik, die schändlich versagt hat. Obwohl der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern absehbar war, obwohl erkennbar war, daß die Verwaltungen überfordert und die vorhandenen Aufnahmekapazitäten bald erschöpft sein würden, wurden die Kommunen und Länder von der Bundesregierung im Stich gelassen. Die Probleme stauten sich an, bis gehandelt werden mußte, wie gut oder wie schlecht auch immer. Aus dieser Zwangslage schien nur ein Rundumschlag befreien zu können, der Rundumschlag des Asylkompromisses nämlich. Anstatt alles daranzusetzen, das Asylrecht zu bewahren und zu gewährleisten, soll es nun so weit eingeschränkt werden, daß das einer Abschaffung gleichkommt.
Davon - dies ist ein weiterer Zwang, unter dem hier und heute gehandelt wird - verspricht sich manch
Konrad Weiß ({6})
einer das Wohlwollen der Wählerinnen und Wähler und das Überleben seiner Partei. Das ist nicht nur verantwortungslos, das wirkt verheerend auf die politische Kultur unseres Landes. Was soll aus Deutschland werden, wenn ein Grundrecht, ein Menschenrecht so leichtfertig für eine Wahl in die Waagschale geworfen wird? Dabei ist die Stimmung gegen das Asylrecht doch erst das Ergebnis der Handlungsunwilligkeit der Politik, verquickt mit einer Desinformationskampagne sondergleichen. Verfolgten und Armen Hilfe und Zuflucht zu verwehren ist gotteslästerlich, Herr Schäuble, nicht das stärkende Gebet von besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die zudem Verfassungstreue üben.
Mit übelsten Methoden, die ich mit Schnitzlers „Schwarzem Kanal" ausgestorben glaubte, wurde über Monate hin Stimmung gegen das Asylrecht gemacht. Erinnert sei an das unsägliche Schreiben des damaligen Generalsekretärs der CDU, Volker Rühe, an die CDU-Ortsverbände.
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In manchen Zeitungen, selbst in öffentlich-rechtlichen Medien, setzte sich das fort. Anstatt aufzuklären, wurde agitiert. Nun scheinen selbst jene, die den Popanz errichtet haben, an ihn zu glauben. Wenn wir das widerstandslos hinnehmen, wird unserer Demokratie unheilbar Schaden zugefügt. Die Abgeordneten von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben ihre Entscheidung für das Asylrecht jedenfalls nicht von Wählerstimmen oder vom Parteienheil abhängig gemacht; sie stehen treu und unerschütterlich zum Grundgesetz.
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Gerade für Ostdeutsche, die ihr Leben lang unter der Mauer gelitten und gegen sie aufbegehrt haben, ist die Vorstellung unerträglich, daß nun eine neue Mauer um Deutschland errichtet werden soll, eine Mauer aus Gesetzen und Abkommen, eine Mauer des Wohlstands und des kalten Egoismus. Dabei bin ich fest überzeugt, daß nach wie vor eine Mehrheit der Deutschen bereit ist, Verfolgten und Flüchtlingen zu helfen, und daß diese Mehrheit der Menschlichkeit den Vorrang vor der bequemen, hartherzigen Abschottung gibt.
Viele sind allerdings unsicher geworden durch das anhaltende Sperrfeuer gegen das Asylrecht. Doch wenn man mit den Bürgerinnen und Bürgern spricht, wenn man sie über Zusammenhänge und Hintergründe informiert, zeigen sie Verständnis für die Not von Flüchtlingen und Asylbewerbern und setzen sich entschieden für sie ein, auch in Ostdeutschland. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Ich begrüße ausdrücklich die couragierte Entscheidung des Landes Brandenburg, sich im Bundesrat der Stimme zu enthalten, und danke den Freunden von der brandenburgischen BÜNDNIS-Fraktion, die dafür den Koalitionsvorbehalt geltend gemacht hat. Vor allem aber danke ich den Frauen und Männern, den Bürgerinitiativen und Gruppen überall im Lande, die unseren Kampf für die Erhaltung des Asylrechts in den vergangenen Monaten und Wochen und bis zum heutigen Tage gewaltfrei unterstützt und mitgetragen
haben. Durch Briefe und Aufrufe, in vielen gewaltfreien Aktionen, vor allem aber durch tätige Mitmenschlichkeit im Dienste an Asylbewerbern und Flüchtlingen haben sie gezeigt, daß sie das Grundrecht auf Asyl auch weiterhin im deutschen Grundgesetz wissen wollen und daß sie bereit sind, persönlich für Verfolgte einzustehen.
Sollte es heute tatsächlich zur Abschaffung des Art. 16 Abs. 2 kommen, so werden diese Frauen und Männer als mündige Bürgerinnen und Bürger künftig von ihrem Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 unseres Grundgesetzes Gebrauch machen und Verfolgten Zuflucht dort bieten, wo der Staat sie verwehrt.
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Ich weiß von vielen, die ihre Bereitschaft dazu erklärt haben, und ich ermutige alle dazu; denn Hilfe für Verfolgte und Bedrängte ist nicht nur eine Menschenpflicht, sondern auch eine christliche Tugend. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als werteorientierte Partei wird auch in Zukunft ohne Wenn und Aber am Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." festhalten und, sollte das Grundgesetz heute in der beabsichtigten Weise geschändet werden,
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für seine Wiederherstellung eintreten.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiert jedem Menschen das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. Die Genfer Flüchtlingskonvention geht weiter und gesteht Flüchtlingen Rechte gegenüber den Staaten zu. Aber sie räumt keinen Rechtsschutz zur Überprüfung von Verwaltungshandlungen des Staates ein. Dieses Recht gewährt der Art. 16 Abs. 2 unseres Grundgesetzes. Seine Perspektive ist die des Individuums, nicht die des Staates.
Diese neue Sicht, dieser großartige Fortschritt im europäischen Rechtssystem, ist erlitten und erstritten worden von denen, die als Flüchtlinge Rettung gesucht hatten vor deutschem Egoismus und Nationalismus.
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Sie alle würden wir verraten, wenn wir die Verstümmelung des Art. 16 Abs. 2 dulden würden.
Thomas Mann und Albert Einstein, Bertold Brecht und Marlene Dietrich, Friedrich Wolf und Kurt Tucholsky, Anna Seghers und Willy Brandt, die Reichstagsabgeordneten Siegfried Aufhäuser und Georg Bernhard, Friedrich Dessauer und Rudolf Hilferding, Ludwig Quidde und Ernst Reuter, Johannes Schauff und Luise Schiffgens, Joseph Wirth und Clara Zetkin sowie noch viele andere Asylanten, ihnen allen sind wir bei der heutigen Entscheidung verpflichtet.
Es geht hier und heute um mehr als um die Novellierung eines Verfassungssatzes; es geht um die Grundfesten dieses Staates, um die Grundwerte und
Konrad Weiß ({12})
urn die selbstauferlegten Pflichten des wiedervereinigten Deutschland.
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Es ist zu befürchten, daß der Bresche im Grundgesetz, die heute geschlagen werden soll, bald andere folgen werden. Schon wird versucht, aus der Bundeswehr eine Wehrmacht und aus Tarifpartnern Tariffeinde zu machen.
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Die Restauration kriecht aus hundert Grüften. Unsere Demokratie ist in Gefahr.
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Im Deutschen Bundestag sitzt der erste Abgeordnete der Republikaner; vergessen Sie es nicht.
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Wir dürfen es nicht zulassen, daß den dumpfen Wahn der Nationalisten, ihrem Gebrüll und ihrer Gewalt Grundwerte unserer Demokratie geopfert werden. Deutschland hat nur in der Gemeinschaft der Völker eine Zukunft, nicht außerhalb.
Meine Damen und Herren, das Asylrecht ist Menschenrecht. Eine notwendige europäische Harmonisierung des Asylrechts muß dieses Menschenrecht zum Maßstab nehmen. Die beabsichtigte Änderung des Grundgesetzes und die Folgegesetze werden an den tatsächlichen Problemen nichts ändern.
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Auch weiterhin werden Menschen versuchen, der Verfolgung, den Kriegen und Bürgerkriegen, der Armut und Not zu entfliehen und in unserem reichen Land eine Überlebenschance zu finden. Wer das Beispiel anderer europäischer Staaten zeigt, wird die illegale Zuwanderung zunehmen. Menschen, die heute noch als Asylbewerber wenigstens eine Zeitlang geduldet werden, werden morgen im Untergrund dahinvegetieren - in einer nicht mehr kontrollierbaren Grauzone von illegaler Arbeit und Kriminalität. Damit sind schwerwiegende soziale Konflikte vorprogrammiert, mit denen verglichen die heutige Situation als harmlos erscheinen wird.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich intensiv um konstruktive Lösungen bemüht und eine Reihe von Gesetzentwürfen in den Bundestag eingebracht, die heute ebenfalls beraten werden. Wir haben ein Niederlassungsgesetz vorgeschlagen, das den in Deutschland seit längerem wohnenden Ausländern einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung sichern soll. Sechseinhalb Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die in Deutschland leben und arbeiten, die seit Jahrzehnten hier wohnen oder gar hier geboren sind, werden die bürgerlichen Rechte vorenthalten. Sie sind Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse.
Außerdem hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Flüchtlingsgesetz und ein Einwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht. Ziel unseres Flüchtlingsgesetzes ist es, die Rechtsstellung von Flüchtlingen
gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu sichern und eine gesamteuropäische Flüchtlingspolitik vorzubereiten. Unser Einwanderungsgesetz will der Tatsache Rechnung tragen, daß Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist und bleiben wird.
Mit unseren Gesetzen wollten wir die Voraussetzungen für eine geregelte, von Bund und Ländern verantwortlich gestaltete Zuwanderungspolitik schaffen. Ich bedauere, daß unser alternatives Konzept weder in den Ausschüssen noch hier im Plenum ernsthaft bedacht und diskutiert worden ist, sondern daß sich statt dessen eine Mehrheit ausschließlich mit Abwehrstrategien und Asylverhinderungskonzepten befaßt hat.
Das Ergebnis, der Asylkompromiß, ist niederschmetternd und unwürdig. Der neue Art. 16a, aus dem Kompromißkauderwelsch ins Deutsche übersetzt, lautet: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, aber nicht in Deutschland. Entgegen der Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes, die besagt, daß ein Grundrecht in seinem Wesen nicht angetastet werden darf, tastet er das Grundrecht auf Asyl nicht nur an, er ruiniert es in seinem Wesen. Zugleich wird die Rechtsweggarantie außer Kraft gesetzt. Mehrere Verfassungsrechtler und Rechtspraktiker haben bei den vorangegangenen Anhörungen eindringlich gerade vor dieser Beschneidung des Grundgesetzes gewarnt.
Ebenso gab es ernsthafte und nachdrückliche Zweifel, ob das Konzept sicherer Drittstaaten überhaupt verfassungskonform sei. Nach diesem Konzept kann sich nicht auf die Verheißung von Satz 1, den Schutz vor politischer Verfolgung, berufen, wer aus einem als sicher geltenden Drittstaat einreist. Nach der Theorie der Asylkompromißler sind das alle Nachbarstaaten Deutschlands.
Weil Theorie und Praxis nicht so recht übereinstimmten, wurden die Emissäre des Innenministers ausgesandt, Außenpolitik zu machen. Mit sanfter Gewalt wurde den Polen ein Vertrag aufgedrängt. Die kosmetische Operation kostet den deutschen Steuerzahler 100 Millionen DM.
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Aber es half nichts; Theorie und Praxis wurden nicht stimmig. Denn Polen war 1992 lediglich in der Lage, 564 Verfolgten Asyl zu gewähren. In der Tschechischen Republik waren es ganze 100.
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Der Optimismus, dies mit deutschem Geld ändern zu können, grenzt an Torheit. Die Leidtragenden werden Flüchtlinge und Verfolgte sein, die weder bei den Deutschen noch bei unseren Nachbarn Sicherheit finden werden. Polen und die Tschechische Republik werden auf Dauer gezwungen sein, ihre Ostgrenze in einer Weise abzuschotten, die einen schweren Rückschlag für die junge demokratische Kultur und die Menschenrechte in diesen Ländern bedeutet. Durch die Abschiebeprämien, die Deutschland zahlt, wird es zu Spannungen zwischen der einheimischen sozial
Konrad Weiß ({20})
schwachen Bevölkerung und den durch die deutschen Millionen bevorzugten Zuwanderern kommen. Auf diese Weise exportieren wir Rostock und Mölln zu den Polen und Tschechen. Diese Politik ist zynisch und würdelos.
Ebenso fragwürdig ist der Versuch, das Asylverfahren durch ein Konzept sogenannter verfolgungsfreier Länder zu beschleunigen. Ich frage mich: Wäre aus der Bonner Perspektive auch die DDR ein verfolgungsfreier Staat gewesen? Vermutlich ja;
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denn zu den Herkunftsländern, die nach Auffassung der Bundesregiening frei von Verfolgung sind, zählen Rumänien, Bulgarien, Ghana und Indien. Berichte von amnesty international und vom amerikanischen Kongreß belegen etwas ganz anderes, nämlich daß ganze Volksgruppen in diesen Ländern verfolgt und die Menschenrechte keineswegs gesichert sind.
Das Konzept der verfolgungsfreien Staaten steht auf tönernen Füßen und gefährdet Menschenleben. Wie werden Sie, die heute ja sagen, reagieren, wenn die ersten Nachrichten vom Tod eines Verfolgten, den Sie zurückgeschickt haben, Sie erreichen werden?
Die weltweiten Fluchtbewegungen werden anhalten. Die Ursachen sind vielfältig. Ob wir es wollen oder nicht, ob wir Gesetze machen oder nicht, auch künftig werden Menschen bei uns Zuflucht vor Verfolgung und Krieg, Hunger und Elend suchen.
Unser Bestreben sollte es sein, möglichst vielen in unserem Land ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und zugleich konsequent und entschieden die Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich bitte Sie eindringlich, meine Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, folgen Sie den inneren Zweifeln, von denen der Kollege Klose sprach. Hören Sie auf Ihr Gewissen und sagen Sie nein zum untauglichen und undemokratischen Asylkompromiß.
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Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Abg. Freimut Duve.
Herr Kollege Gysi, ich habe während Ihrer Rede einen sehr lauten Zwischenruf gemacht. Ich möchte ihn erläutern.
Sie haben in Ihrer Rede, wenn ich es richtig verstanden habe, gesagt, daß bis zum Ende der DDR der Art. 16 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Instrument gewesen sei, sozusagen zur Manipulation und zur politischen Propaganda. Das ist ganz und gar falsch. Ich halte es für ein sehr untaugliches Argument, um es sehr sanft zu sagen.
Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß in den 40 Jahren des Art. 16 bis zum Fall der Mauer wesentlich mehr Menschen aus allen Diktaturen der Welt, von weither und von sehr nah, hierher kamen und daß die Mehrheit unserer Bevölkerung und die Mehrheit der politischen Parteien aus der Lage heraus im
Grundsatz akzeptiert hat, daß Menschen aus jenen Diktaturen einen Anspruch auf das Asylrecht nach Art. 16 hatten, Das war keine politische Propaganda, sondern es entsprach der Wirklichkeit, unter der wir alle, auch Sie, gelebt haben.
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Zur Entgegnung erteile ich Herrn Gysi das Wort.
Herr Kollege Duve, ich habe gesagt, daß es von der DDR-Propaganda immer als ein politisches Instrument bezeichnet worden ist.
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Und ich habe gesagt, daß wir ihr nachträglich nicht dadurch recht geben dürfen, daß genau mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts dieses Instrument beseitigt wird. Das ist das, was ich kritisieren wollte.
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Als nächster spricht der Bundesminister des Innern, Herr Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach jahrelangen quälenden- nicht nur für Sie quälenden, auch für uns quälenden - Debatten trifft der Deutsche Bundestag heute eine Entscheidung von elementarer Bedeutung für den inneren Frieden in unserem Lande. Wenn dieses Parlament die Verfassung ändert, damit politisch Verfolgte schnell anerkannt werden und die Asylbewerber, die sich zu Unrecht auf Asyl berufen, rasch in ihre Heimatländer zurückgeführt werden, dann entspricht dieser Beschluß dem Willen der deutschen Bevölkerung. Er ist überfällig, wird seit langem erwartet und erhofft von unseren Städten und Gemeinden
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und von unseren Mitbürgern, die die gegenwärtige Situation der illegalen Zuwanderung nach Deutschland als besorgniserregend und beängstigend empfinden. Ein Scheitern der Verfassungsänderung wäre katastrophal für die Demokratie in unserem Lande, für die Handlungsfähigkeit des Staates und für das Vertrauen der Bevölkerung in die Politiker und in dieses Parlament.
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1980 - bei einem Asylbewerberzugang von 108 000 Personen - war es ein SPD-Mitglied, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Wolfgang Zeitler, der als einer der ersten für die Änderung der Verfassung plädierte, um die Steuerungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland in den Flüchtlingsfragen wieder zu erlangen.
Die Entwicklung nach 1980 hat seine Prognose, mit einfachgesetzlichen Regelungen sei das Asylbewerberproblem auf Dauer nicht zu bewältigen, voll und
eindrucksvoll bestätigt. Jedes Jahr sind die Zahlen gestiegen. Seit dem Herbst 1991, als sich die SPD in dem Parteiengespräch beim Bundeskanzler noch einer Änderung des Grundgesetzes strikt verweigerte, sind bis heute rund 700 000 neue Asylbewerber nach Deutschland gekommen - bei einer Anerkennungsquote zwischen 3 und 5 %. Über 200 000 waren es allein seit dem Asylkompromiß vom 6. Dezember.
Wir haben alles unternommen, um gegenzusteuern. Aber bei der geltenden Rechts- und Verfassungslage können weder die Verwaltungen des Bundes und der Länder noch die Gerichte mit diesem immer stärker anschwellenden Zustrom fertigwerden.
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Sie können damit nicht fertigwerden, obwohl wir in einer gewaltigen Kraftanstrengung die Zahl der Mitarbeiter in Zirndorf von 1 176 im Herbst 1991 innerhalb von anderthalb Jahren verdreifacht haben, und zwar bis heute - einschließlich der schriftlichen Einstellungszusagen - auf fast 4 000. Sie werden mir keine Behörde nennen können, in der ein solch dramatischer Anstieg der Zahl der Mitarbeiter bei solchen Problematiken möglich gewesen ist. Sie können damit nicht fertigwerden, obwohl in den beiden vergangenen Monaten beim Bundesamt jeweils weit über 40 000 Entscheidungen ergangen sind. Das sind absolute Rekordzahlen.
Wie diese Leistung des Bundes einzuschätzen ist, wird am besten dadurch deutlich, daß von den zugesagten 500 Einzelentscheidern der Länder am 1. April 1993 erst 298 ihren Dienst angetreten haben und bis heute noch nicht alle zugesagten Aufnahmeeinrichtungen der Länder errichtet wurden.
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Ich will das nur einmal sagen, weil vorhin während der Rede des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, des Kollegen Schäuble, Zwischenrufe gemacht wurden, in denen unterstellt wurde, wir hätten nicht versucht, auf der Grundlage des geltenden Rechts alles zu unternehmen, um mit den Problemen fertig zu werden. An den Bund kann sich dieser Vorwurf nicht richten.
({4})
Das heißt: Vor diesen Zahlen gibt es kein Ausweichen. Wir brauchen die Grundgesetzänderung. Wir brauchen die Drittstaatenregelung, die ein Kernstück des Asylkompromisses darstellt. An dieser Drittstaatenregelung darf und kann nicht gerüttelt werden.
Ich darf daran erinnern, daß die Union und der Bundesinnenminister für die Änderung der Verfassung eine sogenannte institutionelle Garantie vorgeschlagen hatten. Dies war bei der SPD nicht durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund haben wir damals im Wege des Kompromisses jedoch ausdrücklich vereinbart, daß sich derjenige, der aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland kommt, nicht auf das Asylrecht berufen kann und daß die schnelle Abschiebung nicht behindert werden darf.
Wir waren uns am 6. Dezember einig - übrigens auch im Januar, als wir mit Frau Däubler-Gmelin, mit Herrn Schmude und anderen über weitere Fragen gesprochen haben, Herr Kollege Klose -, daß ein Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes im Inland verfassungsrechtlich zulässig und gewollt ist, weil im Hinblick auf die vereinbarten Elemente für die Festlegung eines Staates als sicherer Drittstaat schwere, nicht wiedergutzumachende und nicht hinnehmbare Nachteile für den Asylbewerber nicht entstehen können,
({5})
sonst würden wir solche Staaten gar nicht auf die Liste der sicheren Drittstaaten setzen.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude zuzulassen?
Ja.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister Seiters, können Sie bestätigen, daß wir Sozialdemokraten von vornherein den Folgerungen widersprochen haben, die Sie im Asylverfahrensgesetz aus Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz gezogen haben, d. h. daß das von vornherein ein Streitpunkt war?
Ich kann bestätigen, daß wir in den 50 Stunden vor dem 6. Dezember lange, lange und immer wieder über diese Fragen gesprochen haben. Das Ergebnis war: Ausschluß des gerichtlichen Rechtsschutzes vom Inland her bei Asylbewerbern, die aus sicheren Drittstaaten gekommen sind. Das ist die Wahrheit.
({0})
Es droht nicht eine Abschiebung eines möglicherweise politisch Verfolgten in den Herkunfts- und angeblichen Verfolgerstaat, sondern es geht - ich will es noch einmal sagen - um die Überstellung des Ausländers in einen vom Gesetz qualifizierten Drittstaat, wobei Voraussetzung für diese Qualifikation ist, daß dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Dies ist eine absolut rechtsstaatliche Regelung. Wir dürfen sie nicht abwerten und erst recht nicht diffamieren.
({1})
Durch die vereinbarten verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Aufnahme eines Landes in die Liste der sicheren Drittstaaten ist gewährleistet, daß dem Ausländer in dem sicheren Drittstaat keine Gefahr politischer Verfolgung, keine Gefahr der Abschiebung in einen Verfolgerstaat entgegen den Vorschriften der Genfer Konvention, keine Gefahr der Folter oder der unmenschlichen Behandlung und keine Gefahr der Abschiebung entgegen den Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention droht.
Ich muß ganz ehrlich sagen, auch nachdem ich mir Ihren Antrag angeschaut habe, Herr Kollege Klose:
Bundesminister Rudolf Setters
Sie sprechen von einem Schlupfloch, ich spreche von einem Dammbruch, der entstehen würde, wenn alle Asylbewerber künftig mit der einfachen Behauptung, die Prüfung durch die Behörde des Bundesamtes sei nicht rechtmäßig erfolgt, den einstweiligen Rechtsschutz in Deutschland in Anspruch nehmen könnten. Das ist kein Schlupfloch, das ist ein Dammbruch. Wir kennen die Mißbrauchstatbestände zur Genüge.
({2})
Ich finde es auch nicht ganz fair, wenn jetzt aus den Reihen derjenigen, die seinerzeit die Schaffung einer institutionellen Garantie abgelehnt haben und denen wir mit dem gefundenen Kompromiß entgegengekommen sind, nunmehr die Verfassungsmäßigkeit des § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes in Frage gestellt wird.
Wer die Drittstaatenregelung wieder aufschnüren will, trifft den Asylkompromiß in seinem Kern. Die Gerichte würden zusätzlich belastet, alle Asylbewerber könnten das Gericht anrufen, es würden weitere Engpässe auftreten. Der Asylbewerber aus dem sicheren Drittland müßte in der für die richterliche Entscheidung benötigten Zeit untergebracht werden bzw. er hätte die Möglichkeit unterzutauchen.
Die von uns gefundene Lösung ist nach unserer Überzeugung verfassungsgemäß, für eine effektive Lösung zwingend notwendig und darf unter keinen Umständen durchlöchert werden, wenn wir nicht dem Mißbrauch erneut Tür und Tor öffnen wollen.
({3})
Wir haben oft darüber gesprochen und diskutiert - auch in den Runden -, daß die schnellste Verwaltungsentscheidung letzten Endes wirkungslos ist, wenn auch in Fällen, in denen sich der Ausländer nicht auf das Asylrecht berufen kann, die Aufenthaltsbeendigung durch die Anrufung der Gerichte hinausgezögert wird. Hier liegt ein entscheidender Schlüssel für die Milderung des Problems.
Ich will mich auch mit dem völlig abwegigen Vorwurf auseinandersetzen, in Deutschland würde es künftig keine fairen Asylverfahren mehr geben, es gebe keine Chance mehr für politisch Verfolgte und zigtausende von Asylbewerbern würden plötzlich auf einen Schlag des Landes verwiesen. Ich kann wirklich nur sagen: Das ist eine völlig absurde und abwegige Vorstellung.
Wenn ein - so die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" - unmöglicher Minister wie der unsägliche niedersächsische Bundesratsminister Trittin behauptet,
({4})
das Asylrecht werde weggeputscht, dann weise ich dies als eine verleumderische Unverschämtheit zurück.
({5})
Gestatten Sie mir aber die Zusatzbemerkung: Ich
äußere auch meine Verwunderung darüber, daß ein
solcher unsäglicher Minister sich in einem Landeskabinett unter sozialdemokratischer Führung tummeln darf
({6})
und unter Führung eines sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten.
({7})
Ich finde das unerträglich.
({8})
Wir werden auch künftig den politisch Verfolgten Zuflucht und Heimstatt in der Bundesrepublik Deutschland gewähren. Wir werden auch künftig in großem Umfang den Bürgerkriegsflüchtlingen helfen. Es wird auch künftig viele, viele Asylverfahren in Deutschland geben. Meine Besorgnis geht in eine ganz andere Richtung, und ich mache keinen Hehl aus meiner Meinung: Nach meinem subjektiven Empfinden mußte ich in den letzten Wochen massiv darum kämpfen, daß die Effektivität dieses Gesetzentwurfes nicht immer weiter in Frage gestellt wurde. Ich habe schon beklagt, daß die einfache, unkomplizierte, praktikable und handhabbare Regelung einer institutionellen Garantie nicht hat durchgesetzt werden können.
Ich bedauere, daß wichtige Länder wie Ungarn oder Slowakei wegen der Haltung der Opposition nicht auf die Liste der sicheren Drittstaaten gesetzt werden konnten, obwohl am 6. Dezember die CSFR als sicherer Drittstaat vereinbart wurde und die Slowakei aus dieser CSFR hervorgegangen ist und obwohl Budapest eine Drehscheibe der illegalen Zuwanderung bildet.
({9})
Ich halte es für einen schweren Nachteil, daß wichtige andere Länder, bei denen die Anerkennungsquote 0,0 % beträgt - etwa Indien -, nicht auf die Liste der sicheren Herkunftsländer gesetzt wurden. Aus Indien sind im vergangenen Jahr rund 6 000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen.
({10})
Die Flughafenregelung ist sehr kompliziert geworden. Das gilt auch für die Fristen in gerichtlichen Verfahren. Wir konnten die Einschränkung des Prüfungsumfangs bereits beim Verwaltungsverfahren nicht erreichen und durchsetzen, ebensowenig die Einreiseverweigerung wegen Vortäuschung einer falschen Identität bereits an der Grenze oder eine Öffnungsklausel in Europa, wie sie insbesondere im Anhörungsverfahren mehrfach angemahnt wurde. Das heißt, die Koalition hat viele Zugeständnisse machen müssen, die mich auch mit Sorge erfüllen. Eine weitere Verwässerung darf es nicht geben, wenn wir nicht die Zielsetzung dieses Gesetzes in Frage stellen wollen.
({11})
Bundesminister Rudolf Setters
Ich begrüße, Herr Kollege Klose - damit helfen Sie uns allen -, Ihren Appell an die Länder, mitzuarbeiten. Schwarzer-Peter-Spiele helfen uns ohnehin auch bei der Umsetzung nicht weiter. Hier sind alle gefragt. Es wird großer Anstrengungen bedürfen, um dieses Gesetz effektiv umzusetzen. Das gilt für den Bund, das gilt für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, das gilt für die Länder, die Ausländerbehörden und die Justiz gleichermaßen.
Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir von der Koalition alle Voraussetzungen geschaffen haben, daß auch die SPD der Grundgesetzänderung zustimmen kann. Wir haben alles geregelt, was am 6. Dezember vereinbart wurde. Wir haben eine Sonderregelung für die Bürgerkriegsflüchtlinge. Wir haben eine Regelung für die Altfälle. Die Aussiedlerfrage ist einvernehmlich geregelt. Soeben haben wir uns auf der Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder in Potsdam einvernehmlich über eine humanitäre Lösung für die Vertragsarbeitnehmer der ehemaligen DDR verständigt.
({12})
Ich habe mit der Republik Polen einen Vertrag unterzeichnet, der von allen Seiten als fair und als Modellösung für eine europäische Lastenteilung verstanden und gewürdigt worden ist. Ich habe dabei mit Rücksicht auf unsere polnischen Nachbarn eine Regelung in Kauf genommen, die die Abschieberegelung erst im Jahre 1994 in vollem Umfang zur Geltung bringt.
Ich bin natürlich froh über das Ergebnis in der SPD-Bundestagsfraktion, aber ich möchte gerne eine Frage an diejenigen in der SPD stellen, die gegen die Verfassungsänderung votieren wollen. Nachdem es die Sozialdemokraten waren, die jedenfalls praktisch - ich muß es so verstehen - ein Junktim zwischen dem Polenvertrag und der Verabschiedung der Asylgesetze hergestellt haben. Es gibt viele Erklärungen, vor der zweiten und dritten Lesung müsse der Vertrag unterzeichnet sein, sonst komme eine Zustimmung für die SPD nicht in Frage.
({13})
Ich frage: Sollte ich bei einem Scheitern der Asylgesetze nach Warschau fahren und erklären, dies ist ein guter Vertrag, er dient den deutsch-polnischen Beziehungen, er hat Modellcharakter für eine europäische Lastenteilung bei der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung sowie der Lösung bzw. der Milderung des Asylproblems, wir haben ihn beide in diesem Geiste unterzeichnet, nehmen Sie ihn bitte zurück, er wird nicht mehr gebraucht?
Wir würden uns in der Welt lächerlich machen und gegenüber unseren polnischen Nachbarn völlig unglaubwürdig werden. Ich bitte auch dies bei der Abstimmung zu bedenken.
({14})
Ich will den deutsch-polnischen Vertrag vor dem Deutschen Bundestag in wenigen Sätzen erläutern und gleichzeitig - wie auch von der Opposition
gewünscht - eine Erklärung zu den Verhandlungen mit der Tschechischen Republik abgeben.
Die Gespräche mit der Republik Polen haben wir am 7. Mai mit der Unterzeichnung des Abkommens abgeschlossen. Mit diesem Abkommen haben Polen und Deutschland eine Vereinbarung getroffen, die den Deutschen und den polnischen Interessen gleichermaßen Rechnung trägt. Die Bundesrepublik Deutschland und Polen - das ist auch meine persönliche feste Überzeugung - nehmen damit ihre gemeinsame europäische Verantwortung wahr, um die durch die Migrationsbewegungen entstehenden Belastungen zu mildern.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich die Erklärung des polnischen Präsidenten begrüßen, der öffentlich gesagt hat:
Wir akzeptieren die Beweggründe Bonns; wir sagen: Deutschland hat recht, so kann es nicht weitergehen. Unsere Grenze darf nicht mehr so durchlässig sein für Menschen, die in Deutschland das Asylrecht mißbrauchen. Diese Herausforderung müssen wir bewältigen.
Herr Kollege Weiß, ich glaube mehr dem polnischen Präsidenten als Ihnen.
({15})
Sie sollten sich sehr zurückhalten mit Äußerungen dieser Art, die Sie hier im Deutschen Bundestag gemacht haben.
({16})
Ich greife auch den Dank auf, Herr Kollege Klose, den Sie an die polnische Regierung gerichtet haben. Ich kann nur sagen: Die Gespräche, die wir geführt haben, mein polnischer Amtskollege Milczanowski und ich, sind im Laufe dieser Wochen und Monate in einem Geist und in einer Partnerschaft geführt worden, auch mit einer Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Positionen, daß ich an dieser Stelle die feste Überzeugung äußere, daß wir auch bei der Umsetzung des Abkommens so konstruktiv und freundschaftlich zusammenarbeiten wie schon bei der Erarbeitung des Vertrages.
Wir wollen den Polen mit der Finanzhilfe insbesondere in drei Bereichen helfen: Schaffung einer Flüchtlings- und Asylinfrastruktur, Verstärkung des Grenzschutzes der Republik Polen, Verstärkung des Schutzes der öffentlichen Ordnung.
Die Republik Polen bekennt sich zu ihren Verpflichtungen aus dem Schengener Rücknahmeübereinkommen von 1991. Dies wird insbesondere auch dadurch deutlich, daß die Asylbewerber bis zu einer Frist von sechs Monaten nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt werden können. Die Republik Polen wird im Jahre 1993 bis zu 10 000 Asylbewerber zurücknehmen, die nach dem Inkrafttreten des neuen deutschen Asylrechts über Polen nach Deutschland gelangt sind. Die Personen, die direkt an der Grenze zurückgewiesen werden, werden dabei nicht mitgerechnet.
Da es erklärtes Ziel der Verhandlungen war, eine Überforderung der Republik Polen durch die Rücknahmeverpflichtung zu vermeiden, sieht das Abkom13524
men außerdem vor, daß die Bundesrepublik Deutschland bei außergewöhnlichen Ereignissen, die zu einem sprunghaften oder massiven Zustrom von Zuwanderern auf das Gebiet der Republik Polen führen, bestimmten Gruppen dieser Personen die Einreise gestattet. Ich wiederhole allerdings, daß durch die zahlenmäßigen Beschränkungen die Drittstaatenregelung in bezug auf Polen in diesem Jahr nur eingeschränkt zum Tragen kommen kann. Dies war aber von allen Seiten des Hauses gewünscht und gefordert.
Nach Abschluß der Parteienvereinbarung zur Asylrechtsänderung vom 6. Dezember 1992 hat die Bundesregierung auch mit der damaligen Regierung der ČSFR unverzüglich Gespräche aufgenommen, schon vorher, aber ich beziehe mich jetzt einmal auf dieses Datum. Ziel dieser Gespräche ist, mit der nunmehr Tschechischen Republik ebenso wie mit der Republik Polen hinsichtlich der Auswirkungen des deutschen Asylrechts im bilateralen Verhältnis der beiden Nachbarstaaten zu einem fairen Ausgleich der Interessen zu gelangen.
Die Teilung der (SFR in die Staaten Tschechische Republik und Slowakei hat den Fortgang der Verhandlungen und damit den Abschluß eines Rücknahmeübereinkommens sowie ergänzender Vereinbarungen über finanzielle und administrative Hilfen entsprechend unserer Vereinbarung vom 6. Dezember verzögert. Die Gespräche wurden auf verschiedenen Ebenen geführt. Die Eckpunkte unseres Angebotes sind:
Erstens. Die Verpflichtung der Tschechischen Republik zur Rückübernahme von Ausländern, die über die tschechisch-deutsche Grenze in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne die notwendigen Einreisevoraussetzungen zu erfüllen. Inhaltlich soll sich dieses Rücknahmeübereinkommen nach den mit der Republik Polen ausgehandelten Abmachungen ausrichten.
Zweitens. Abschluß eines Zusammenarbeitsvertrages entsprechend dem Lastenverteilungsabkommen mit der Republik Polen. Die Bundesregierung ist also bereit, ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten, wie es Grundlage des Rücknahmeübereinkommens oder des Zusammenarbeitsvertrages mit der Republik Polen war. Die Bundesrepublik stellt ihre Bereitschaft in Aussicht, sich an den Kosten zu beteiligen, die der Regierung der Tschechischen Republik für den Ausbau von Institutionen zur Durchführung von Asylverfahren entstehen. Weiter kann der Regierung der Tschechischen Republik bei der Ausstattung mit Transport- und Kommunikationsmitteln sowie bei der technischen Ausrüstung und auf organisatorischem und finanziellem Gebiet Unterstützung geleistet werden, um unkontrollierten Wanderungsbewegungen entgegenzuwirken. Schließlich soll der tschechischen Seite angeboten werden, eine Regelung für den Fall zu treffen, daß außergewöhnliche Ereignisse zu einem sprunghaften oder massiven Zustrom von Flüchtlingen oder illegalen Zuwanderern auf das Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik führen.
Drittens. Grundlage der Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Tschechischen Republik ist, daß in die Tschechische Republik
zurückgeschobene oder rücküberführte Ausländer dort die Möglichkeit erhalten, ein Asylverfahren zu durchlaufen. Die Genfer Flüchtlingskonvention verlangt von den beigetretenen Staaten die Durchführung eines Asylverfahrens. Das Asylverfahren in der Tschechischen Republik ist in einem Flüchtlingsgesetz geregelt. Die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist darin sichergestellt.
Bei Rückschiebungen wird der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen ({17}) beteiligt. Nach dessen Aussage vom 7. Mai 1993 wird von der Tschechischen Republik das Verbot des Refoulement beachtet.
Nachdem in der vergangenen Woche die Gespräche mit der Tschechischen Republik hier in Bonn entscheidende Fortschritte gebracht haben, hoffe ich, daß wir auch den deutsch-tschechischen Vertrag in den nächsten Wochen unterzeichnen können.
Wir bemühen uns darüber hinaus, meine Damen und Herren, die Übernahmeabkommen mit Österreich und der Schweiz den neuen Entwicklungen anzupassen.
In den Verhandlungen mit der Schweiz konnte am 26. März 1993 zu den wesentlichen Regelungspunkten eines neuen bilateralen Rückübernahmeabkommens bereits Einvernehmen erzielt werden. Die Unterschriftsreife ist zwischenzeitlich hergestellt. Der genaue Zeitpunkt der Unterzeichnung wird in Kürze mit der Schweiz abgestimmt.
Auch mit Österreich sind mehrere Gespräche geführt worden. Gegenwärtig ist Österreich zur Anpassung des bestehenden bilateralen Abkommens noch nicht bereit.
({18})
Ich denke aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Österreich, das sich auf den Weg zur Europäischen Gemeinschaft macht, wird sich im Asylrecht Regelungen nach europäischem Standard nicht verweigern können. Das werden wir mit aller Deutlichkeit und hoffentlich auch mit Unterstützung der Opposition unseren österreichischen Freunden verdeutlichen.
({19})
Ich möchte noch einmal zusammenfassen: Ziel der neuen Asylgesetze ist es, die Zahl der unberechtigten Asylanträge auf Dauer wesentlich zu verringern. Durch schnelle Verfahren und schnelle Rückführungen in sichere Dritt- und Herkunftsstaaten soll deutlich gemacht werden, daß mit einem Asylantrag nicht mehr - quasi automatisch - ein längerer Aufenthalt in der Bundesrepublik zu erreichen ist. Wie schnell uns das gelingt, hängt von einer Reihe von Faktoren ab.
Große Bedeutung kommt der Grenzkontrolle und der Grenzüberwachung zu. Wir werden in Abstimmung mit unseren östlichen Nachbarn an unseren
östlichen und südöstlichen Grenzen das Personal verstärken.
({20})
Wenn auf der Grundlage des polnisch-deutschen Abkommens auch die Polen ihre Grenzsicherungsmaßnahmen im Sinne der Erklärung von 33 Staaten in Budapest, daß sich die illegale Zuwanderung zu einer Bedrohung für die Stabilität und die innere Sicherheit in Europa auswächst, verstärken, können wir dies, so denke ich, nur gemeinsam begrüßen.
({21})
Wir drängen auf weitere Rücknahmeübereinkommen. Wir wollen mit anderen Hauptherkunftsländern ähnliche Übereinkommen schließen wie mit Rumänien, wonach für die Abschiebung ausreicht, die Zugehörigkeit zu diesem Staat glaubhaft zu machen.
Die Länder müssen eine konsequente Aufenthaltsbeendigung sicherstellen. Die Innenministerkonferenz in Potsdam hat vor zehn Tagen, meinem Vorschlag folgend, eine Arbeitsgruppe „Rückführung" eingesetzt, an der sich auch der Bund beteiligt. Diese Arbeitsgruppe soll alle mit der Vorbereitung und Durchführung der Rückführung von Ausländern im Zusammenhang stehenden Fragen prüfen und entsprechende Lösungsvorschläge erarbeiten.
Ich appelliere an die Bundesländer, die Vereinbarung des Asylkompromisses vom 6. Dezember umzusetzen, wonach zur Durchführung insbesondere der beschleunigten Asylverfahren die Länder die personellen, die sächlichen und die organisatorischen Voraussetzungen schaffen sollen. Das muß gelten für die Zahl der Richter, für das Personal, für die Räumlichkeiten und auch für die Abschiebehaftplätze. Ich sage das auch deshalb, weil nach hier vorliegenden Erkenntnissen die Länder ihre Gerichte und Ausländer- bzw. Abschiebebehörden vielfach noch nicht sachgerecht ausgestattet haben. Ich denke, auch hier sollten wir aus gemeinsamer Verantwortung die notwendigen Maßnahmen treffen und die Länder auffordern, das Nötige zu tun.
({22})
Ich bitte Sie, die vorliegenden Gesetze heute mit den erforderlichen Mehrheiten zu beschließen. Ich bitte den Bundesrat, seine Beratungen zügig durchzuführen, damit diese Gesetze dann endlich am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten können.
Mit dem nach wie vor gewährten Schutz für politisch Verfolgte bleibt Deutschland ein ausländerfreundliches Land, das seinen Beitrag zur humanitären Hilfe leistet. Wie jeder andere Staat muß aber auch Deutschland Zuwanderung steuern und begrenzen können. Wer sich die Handlungsfähigkeit bei der Steuerung von Zuwanderung bewahrt, hat auch mehr Spielraum für die notwendige Hilfe vor Ort und die Aufnahme von Menschen, die von Krieg und Bürgerkrieg betroffen sind.
({23})
Ich plädiere bei allem Verständnis für Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen - ich habe das vor diesem Hause oft gesagt -, eindringlich dafür, daß der Deutsche Bundestag die richtigen Prioritäten setzt: nicht in erster Linie für Asylbewerber aus wirtschaftlichen Gründen, sondern für politisch Verfolgte und für Flüchtlinge und Bürgerkriegsflüchtlinge in existentieller Not und Bedrängnis. Auch dieser Priorität gilt die heutige Abstimmung. Sie ist elementar für die Zukunft unseres Landes.
({24})
Meine Damen und Herren, ich möchte nunmehr dem Abgeordneten Dr. Jürgen Schmude das Wort erteilen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit den heute anstehenden Entscheidungen setzen wir uns in den Stand, die Zuwanderung zu gestalten und den Strom der Aufnahmesuchenden zu steuern. Das ist viel, aber das ist kein Ende des Asyls auf deutschem Boden.
Wir dürfen es nicht dabei lassen, daß Flüchtlinge selbst und mit rechtlich bindender Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland entscheiden, daß sie nur hier und nirgends sonst Asyl zu bekommen haben.
({0})
Die europäische Lastenverteilung bei der Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge ist mit Recht von allen Seiten seit langem gefordert worden. Sie ist nur möglich, wenn Schutzbedürftige nicht in jedem Fall ihren Asylanspruch hier durchsetzen können, sondern wenn man sie an andere Staaten verweisen darf, die ebenfalls Asyl gewähren. Eine solche Neuregelung ist nun einmal nicht ohne Grundgesetzänderung zulässig.
({1})
Aus gutem Grund sind die Vorwürfe im Laufe der Beratungen und der Sachverständigenanhörungen leiser geworden, das Asylgrundrecht werde im neuen Art. 16a Abs. 1 nur formal erhalten. Mehr und mehr hat sich die richtige Einsicht durchgesetzt, daß dieses Grundrecht in seiner Wirkung auf die folgenden Vorschriften des Grundgesetzes und auf die des Verfahrensrechts ausstrahlt. Es setzt Maßstäbe, es begründet Erfordernisse auch für diejenigen Fälle, in denen Asyl künftig auf Grund des Asylverfahrensgesetzes gewährt werden wird.
Herr Gysi, ich hätte mich gefreut, wenn Sie diese Rechtstatsachen zur Kenntnis genommen hätten, statt uns hier eine abwegige und abenteuerliche Rechtskonstruktion vorzuführen.
({2})
Noch schlimmer empfand ich es bei Herrn Weiß, der leider nicht im Saal ist. Er hat auf Grund völliger Verkennung der Rechtslage hier eine Widerstandsrede gehalten, nach der er sich nicht wundern muß, wenn die Gewaltbereitschaft, die er zu Beginn seiner
Rede beklagt hat, bei anderen Leuten durch solches Gerede gesteigert wird.
({3})
Ich sprach vom Asyl, das auch künftig auf Grund des Asylverfahrensgesetzes in vielen Fällen gewährt werden wird. Viele Menschen werden solches Asyl erhalten, obwohl sie über sogenannte sichere Drittstaaten in die Bundesrepublik eingereist sind.
Hinsichtlich solcher Drittstaaten, in denen die Anwendung der Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention sichergestellt sein muß, erlaubt der neue Art. 16 a Abs. 2 nach einer entsprechenden Einreise die Zurückverweisung in den Drittstaat. Daß das kein bloßes Abweisungs- und Abschottungssystem ist, zeigt das mit Polen geschlossene Abkommen in den Vereinbarungen über die Übernahme von Flüchtlingen durch Deutschland bzw. über den Verzicht auf die Zurückverweisung nach Polen.
Wir haben zustimmend eine entsprechende Erklärung des Bundesinnenministers zur Tschechischen Republik gehört, und, Herr Seiters, wenn Sie weiterreichende Klärungen, z. B. hinsichtlich Ungarns erreicht haben, kommen Sie wieder. Wir sind mit dabei, die Anlage zu ergänzen, aber mit Klärung, nicht zuvor. Letzteres können Sie nicht erwarten.
({4})
Das künftig im Grundgesetz vorgesehene Verfahren gegenüber sicheren Drittstaaten setzt freilich voraus, daß dort Zuflucht und Schutz für diejenigen gewährleistet sind, die sie wirklich brauchen. Herr Schäuble, es ist eine neue Lage, daß wir von Staaten umgeben sind, in denen auf Grund entsprechender Absprachen und auf Grund ihrer inneren Verhältnisse Zuflucht und Schutz gewährleistet sind. Von dieser Lage können Sie für die vergangenen 15 Jahre, auf die Sie so selbstzufrieden zurückblicken, nicht ausgehen.
({5})
Es war ja schön, daß Sie uns belehrt haben, daß Sie schon anderthalb Jahrzehnte recht gehabt haben. Herr Klose hat eindrucksvoll klargemacht, daß wir solche Selbstsicherheit und Selbstzufriedenheit auch heute nicht haben.
({6})
Das zeigt, sehr geehrte Damen und Herren, es trennt uns Sozialdemokraten von den Konservativen noch vieles beim Asylrecht, und das bleibt auch so.
({7})
Menschen müssen also Zuflucht in den Drittstaaten finden können, und erforderlichenfalls muß die Bundesrepublik Deutschland durch besondere Hilfen und auch durch die Übernahme von Zuwanderern dazu beitragen, daß diese Gewährleistung funktioniert. Notfalls muß der entsprechende Staat in dem gesetzlich ja vorgesehenen Verfahren sogar aus der Liste der sicheren Drittstaaten herausgenommen werden. Fehlt es nämlich am sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2, ist eine Rücksendung verfassungsrechtlich unzulässig. Der Flüchtling kann sich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar auf
das Asylgrundrecht berufen. Das Bundesverfassungsgericht kann ihm dabei helfen, indem es die Verfassungswidrigkeit der Einstufung eines anderen Staates als eines sicheren Drittstaates feststellt. Das können wir uns nicht wünschen, aber möglich ist das.
Freilich, hinsichtlich der vorgesehenen Zurückschiebung in den sicheren Drittstaat beanstanden wir, daß durch das heute vorliegende Asylverfahrensgesetz in seinem § 34 a der Rechtsschutz in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise beschränkt werden soll. Dabei braucht es ja gar keine Diskussion darüber zu geben, daß das Asylverfahren selbstverständlich im Drittstaat und nicht hier erfolgen soll. Klar ist, daß für das deutsche Verfahren regelmäßig die Feststellung einer Einreise über einen sicheren Drittstaat genügt, ohne daß ein reguläres Asylverfahren erforderlich ist.
Aber der Bescheid über die Rückschiebung in einen sicheren Drittstaat kann falsch sein. Er kann dem Art. 16a Abs. 2 widersprechen und dadurch den Antragsteller gefährden und schädigen. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gar nicht über diesen oder einen anderen sicheren Drittstaat eingereist ist und infolge falscher Zuordnung gleichwohl dorthin zurückkehren soll.
Erst recht ist es der Fall, wenn der Ausländer begründeten Anlaß zu der Sorge hat, daß er vom Drittstaat die sofortige Weiterschiebung in seinen Heimat- und Verfolgerstaat zu erwarten hat. Einzelne Beispiele kennen wir ja auch aus EG-Staaten.
Dann liegen, meine Damen und Herren, offensichtliche und krasse Fehlentscheidungen vor. Auch die Abgeordneten der Regierungskoalition haben in den Ausschußberatungen eingeräumt, daß es zu solchen Fehlentscheidungen kommen kann. Aber einen angemessenen, nämlich vorläufigen Rechtsschutz für die Betroffenen verweigern sie trotzdem vollständig. Sie schaffen ihn ab. Den Verwaltungsgerichten soll ausdrücklich die einstweilige Anordnung verboten werden, auch wenn sie das Unrecht mit Händen greifen können.
Der Art. 16a Abs. 2 deckt diese Beseitigung des Rechtsschutzes nicht. Nach ihm kann die Abschiebung unabhängig von einem Rechtsbehelf vollzogen werden. Daß das auch unabhängig von einer gerichtlichen Entscheidung, die man deshalb gleich verbietet, geschehen soll, steht da nicht.
Die Abgeordneten der Regierungskoalition räumten in den Ausschußberatungen ein, daß vorläufiger Rechtsschutz erforderlich werden kann. Für diesen Fall verweisen sie auf das Bundesverfassungsgericht. Dorthin könne sich der Antragsteller mit dem Begehren einer einstweiligen Anordnung wenden. Dieser Ausweg über den Gang zum Bundesverfassungsgericht ist ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.
({8})
Wer das Geständnis der rechtsstaatswidrigen Abschaffung des Rechtsschutzes ablegen will, der muß es so machen. Er macht das Bundesverfassungsgericht zum Ersatzverwaltungsgericht, belastet es mit den Aufgaben anderer Gerichte und zwingt es geradezu,
die betreffende Regelung bei erster Gelegenheit zu korrigieren.
({9})
Ein weiteres Mal, meine Damen und Herren, soll so ein politischer Fehler in Gesetzesform gegossen und zur Berichtigung dem Bundesverfassungsgericht zugespielt werden.
Dieser Eingriff wird gewiß erfolgen. Er wird das Ansehen des Gesetzgebers beschädigen, der sehenden Auges diese Korrektur provoziert.
({10})
Das einzig gute daran wird sein, daß so die verfehlte Regelung im Ergebnis nicht zu Lasten der Flüchtlinge gehen kann.
Übrigens bitte ich Sie sehr eindringlich, auch Sie, Herr Bundesinnenminister, den Antrag, den die SPD dazu eingebracht hat und für den ich hier spreche, zu lesen, statt über ihn zu reden, ohne ihn zu kennen.
({11})
Es ist ja ein drucktechnisches Versehen, um dessen Verhinderung ich mich vergeblich bemüht habe, daß der letzte Satz auf dieser roten Seite weiterhin unterstrichen ist. Aber es hilft Ihnen vielleicht, zu erkennen, was wir wirklich wollen, statt uns vorzuhalten, wir würden hier Bleiberechte und Zeitschinderei ermöglichen.
({12})
Ich sagte, den Flüchtlingen wird vom Bundesverfassungsgericht geholfen werden, und zwar gegen das, was hier beschlossen wird. Weil das gewährleistet erscheint, ist es vertretbar, die dringend gebotene Gesamtregelung an diesem Punkt nicht scheitern zu lassen. Sie wird, wenn unser Antrag abgelehnt werden sollte, schließlich doch in der Form in Kraft sein, die wir ihr durch eine gerichtlich angeordnete Nachbesserung zu geben haben. Wir können dem Gesetzgeber diese Blamage - und den schwerwiegenden sachlichen Fehlgriff - heute ersparen. Der SPD-Antrag bietet die Möglichkeit dazu.
Deshalb bitte ich Sie noch einmal, zu prüfen, ob Sie ihm nicht doch zustimmen möchten.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Michael Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute vor der in den Augen der meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wichtigsten und weitreichendsten Beschlußfassung des Deutschen Bundestages, die in dieser Legislaturperiode zu treffen ist.
Als erstes muß ich mich bei den Polizeibeamten bedanken, daß es mir überhaupt möglich war, hierherzukommen. Bereits früh um 6 Uhr gab es die ersten Angriffe. Was ich besonders bedauerlich finde, ist, daß inzwischen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hierherkommen wollten und teilweise durchgekommen sind, den Angriffen dieser Chaoten ebenfalls ausgesetzt waren.
({0})
Die Erwartungen an den Bundesgesetzgeber in bezug auf die heutige Lösung sind seit langem klar und eindeutig. Dem millionenfachen Mißbrauch unseres Asylrechts muß ein deutliches Ende gesetzt werden.
({1})
Es war bis zur heutigen Beschlußfassung ein langer und steiniger Weg, den die CSU als erste aufgezeigt hat und den lange Zeit nur die Union gegen viele Anfeindungen gegangen ist.
({2})
Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres waren es erneut 161 324 Asylbewerber. Hochgerechnet wären dies im Jahr 1993 650 000 Zuwanderer, die wir zu erwarten hätten, wenn wir nicht handeln. Nur der allergeringste Teil dieser Asylbewerber wird in seinen Heimatländern tatsächlich aus politischen, religiösen und ethnischen Gründen verfolgt, wie die niedrige Anerkennungsquote von unter 5 % sichtbar belegt. Das bestehende Asylrecht wird aus wirtschaftlichen Gründen als Instrument einer unkontrollierten Zuwanderung mißbraucht - wenigstens versucht man, ein Bleiberecht für möglichst lange Zeit zu erlangen.
Wie ein starker Magnet auf kleine Metallsplitter wirkt dabei das bisherige individuelle Grundrecht auf Asyl in unserem Grundgesetz, mit einer absoluten Rechtsweggarantie und einem daraus resultierenden Bleiberecht. Die lange Verfahrensdauer und die auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hohen Sozialleistungen machten Deutschland zu einem gelobten Land. Dieser gewaltige Mißbrauch schadet den wirklich politisch Verfolgten und widerspricht völlig dem Sinn des Asylrechts.
({3})
Damals, 1949, als die Väter und die wenigen Mütter des Grundgesetzes nach langen und tiefgebenden Diskussionen aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte dieses weltweit einmalige Grundrecht schufen, konnten sie in keiner Weise voraussehen und abschätzen, welche Folgen hieraus 30 oder 40 Jahre später auch durch eine andere Rechtsprechung entstehen würden. Dafür war das Asylgrundrecht nie gedacht.
Deutschland nimmt seit Jahren zwei Drittel aller Asylbewerber auf, die sich in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft melden. Die Bundesrepublik muß dabei bislang auch Bewerber aufnehmen, deren Anträge von anderen Staaten der EG bereits abgelehnt worden sind. In den zurückliegenden Jahren ist deshalb Deutschland quasi zu einem Reserveasylland in Europa geworden - ein untragbarer und unhaltbarer Zustand.
({4})
Die Belastung durch Hunderttausende von nichtverfolgten Asylbewerbern ist außerordentlich hoch und hat in den zurückliegenden Jahren mehr und
mehr auch den einzelnen Bürger betroffen. Für unsere Bevölkerung ist die Schmerzgrenze schon seit langem überschritten. Die Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber durch Staaten und Kommunen sind ausgeschöpft. Weitere Belastungen sind unzumutbar.
Die finanziellen Aufwendungen der öffentlichen Kassen in Milliardenhöhe sind angesichts der wenigen wirklich echten Asylbewerber in dieser Höhe dem deutschen Steuerzahler nicht länger zumutbar.
Die Schätzungen des Oberbürgermeisters Becker aus Pforzheim, die bereits letztes Jahr veröffentlicht waren, beliefen sich auf 35 Milliarden DM. Dabei handelt es sich um Kosten, die die Wirtschaftsflüchtlinge dem deutschen Steuerzahler letztendlich verursachen.
Deswegen muß der Asylmißbrauch dringend bekämpft werden. Die Bewältigung des Asylmißbrauchs bindet auch immer mehr qualifiziertes Verwaltungspersonal, das dadurch für andere Aufgaben nicht zur Verfügung steht.
Deutschland ist zum Einfallstor für die Zuwanderung nach Westeuropa geworden. Eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik der europäischen Staaten ließ sich infolge der einzigartigen deutschen Asylregelung bisher nicht verwirklichen. Warnungen vor dieser Entwicklung und konkrete gesetzgeberische Vorschläge von CDU und CSU wurden, wie ich meine, viel zu lange in den Wind geschlagen.
Insbesondere meine Partei, die CSU, hat schon seit Jahren eine Grundgesetzänderung für unumgänglich gehalten und diese immer wieder angemahnt.
({5})
Ich erinnere hier an meinen Vorgänger im Amt des Landesgruppenvorsitzenden, Dr. Wolfgang Bötsch, der vehement an dieser Stelle dafür eingetreten ist.
({6})
Ich erinnere auch daran, welche Vorwürfe gerade die CSU immer wieder einstecken mußte. Besonders betroffen war hiervon der damalige Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und heutige bayerische Innenminister Edmund Stoiber. Über ihn sind geradezu Schmutzkübel ausgegossen worden, weil er als erster für eine Änderung des Grundgesetzes mit eingetreten ist.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst die Probleme in den Kommunen haben die Sozialdemokraten, wie ich meine, sensibilisiert, hier tätig zu werden.
({8})
Ich möchte ganz kurz aus einem Brief vorlesen, den der Münchener Oberbürgermeister Kronawitter
({9})
erst in diesen Tagen an die Kolleginnen und Kollegen, an seine „lieben Genossinnen und Genossen", geschrieben hat. Er schreibt:
Jeden, der nur theoretisierend für die weitere Öffnung unserer Grenzen zugunsten von Wirtschaftsflüchtlingen ist, darf ich herzlich nach München einladen, damit er sich selbst vor Ort ein Bild über die Probleme bei der Unterbringung von Asylbewerbern machen kann.
Er schreibt weiter:
Unsere Leute können nicht mehr begreifen, - damit meint er die Münchener Bürger daß bei ihnen an allen Ecken und Enden massiv gespart wird, aber für Wirtschaftsflüchtlinge Millionenbeträge zur Verfügung stehen müssen.
Soweit Herr Kronawitter.
({10})
Ich freue mich, daß Sie ihn vorhin einen guten Mann genannt haben; ich hätte erwartet, daß es zumindest bei Teilen Ihrer Fraktion Beifall für das gibt, was Herr Kronawitter geschrieben hat.
({11})
- Ich habe möglichst neutral vorgelesen, verehrte Frau Kollegin Schmidt. Es waren die Worte von Kronawitter; es waren also keine Veröffentlichungen des „Bayernkurier" oder irgend etwas, was Herr Schmude ein konservatives Machwerk nennen würde.
Mittlerweile ist Gott sei Dank ein Kompromiß gefunden worden, über den wir heute abzustimmen haben. Politisch Verfolgte genießen auch in Zukunft Asylrecht, und zwar weiterhin auf der Grundlage eines individuellen Grundrechts. Viele in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätten hier eine institutionelle Garantie lieber gesehen; aber wir haben diesen Kompromiß mitgetragen.
Wer aus der EG oder aus einem sicheren Staat einreist, wird sich künftig allerdings nicht mehr auf dieses Asylrecht berufen können. Darüber ist heute schon ausführlich debattiert worden. Wir halten unsere Nachbarländer für Rechtsstaaten, die in der Lage sind, dieses Problem rechtsstaatlich zu lösen,
({12})
und können deswegen darauf verzichten, deren Entscheidungen noch einmal zu überprüfen oder in Frage zu stellen.
({13})
Die Genfer Flüchtlingskonvention kennt kein Asylrecht auf Deutschland. Hüten wir uns also vor der Überheblichkeit, anderen Demokratien in Europa mindere Rechtsstaatlichkeit zu unterstellen.
Bei Asylbewerbern, die künftig aus einem verfolgungsfreien Herkunftsland kommen, wird vermutet, daß die Anträge offensichtlich unbegründet sind. Sie müssen sofort wieder ausreisen. Gleiches gilt für alle
anderen Fälle, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten.
Ich gehe davon aus, daß allein das Wissen um die neue Regelung in Deutschland viele potentielle Asylbewerber von vornherein von einer Antragstellung abhalten wird, da sie zu keinem Bleiberecht mehr führen wird. Wir vermiesen damit den Schleppern und Menschenhändlern das Geschäft.
({14})
Deswegen wäre es auch falsch gewesen - darüber wurde vorhin noch einmal debattiert -, Forderungen aus der SPD auf großzügige Ausnahmen bei der Abschiebung nachzugeben. Das Ziel wäre, wie ich meine, unverantwortlich verwässert worden.
({15})
Die zunehmende Unterbringung in zentralen Sammelunterkünften ermöglicht zudem eine rasche Bearbeitung der Anträge vor Ort und sichert eine rasch durchsetzbare Wiederausreise. Das sind im übrigen Forderungen, die von der CDU/CSU lange immer wieder gestellt worden sind.
Verringert wird auch die Attraktivität der Sozialleistungen, die nunmehr auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche beschränkt werden. Auch das hat gerade die CSU über viele Jahre gefordert und dafür viele wütende Proteste geerntet.
An die Stelle von bisherigen Bargeldleistungen treten Sachleistungen. Mit Sachleistungen sind die Schlepper allerdings nicht zu bezahlen, und deswegen wird das vielen nicht recht sein.
Deutschland ist kein Einwanderungsland und kann als dichtbesiedeltes Gebiet auch kein Einwanderungsland werden. Die Aufnahmekapazität unseres Landes und unserer Bevölkerung darf nicht überfordert werden. Wer dies tut, fördert Fremdenfeindlichkeit.
({16})
Schon allein wegen des Familiennachzugs von Ausländern und wegen des noch in den nächsten Jahren anhaltenden Zustroms von deutschstämmigen Aussiedlern aus Osteuropa besteht auch unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsmarkts und der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung für eine zusätzliche Einwanderung von Ausländern weder Spielraum noch Bedarf. Wir sind der Überzeugung, daß Einwanderungspolitik kein Mittel ist, um die Probleme von Hunger, Elend und Armut in der Welt zu mildern oder gar zu lösen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb auch weiterhin auf Einwanderung gerichtete Gesetze konsequent ablehnen.
Die Ursachen der Wanderungsbewegungen liegen in den unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Reichtum und Wohlstand sind nicht mehr durch den Eisernen Vorhang von krasser Armut getrennt. Wir müssen uns bemühen, das wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen Ost und West schrittweise abzubauen. Das können die Deutschen nicht alleine, dazu bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller Europäer. Nur durch konsequente und sozial verpflichtende Marktwirtschaft läßt sich den Menschen eine dauerhafte
Lebensperspektive in ihrer Heimat geben. Zu helfen, dies aufzubauen, muß unser Ziel sein.
Deutschland ist weder ein ausländerfeindliches Land noch will es das in Zukunft in einem zusammenwachsenden Europa werden. Im Gegenteil, wir wollen ein ausländerfreundliches Land bleiben. Seit vielen Jahren leben bei uns ausländische Mitbürger. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für unsere Wirtschaft, für unseren Staat und für die Gesellschaft. Deswegen müssen wir aufpassen, daß dieses Zusammenleben nicht dadurch gestört wird, daß die Einwanderung unkontrolliert wird, daß sie zu groß wird, daß sie zu Mißbräuchen führt und daß sie dadurch Fremdenfeindlichkeit in Deutschland auslöst.
Herr Abgeordneter Glos, der Abgeordnete Schily wollte Sie gerne etwas fragen. Ich weiß nicht, ob Sie es beantworten wollen.
Es ist in dieser Geschichte so viel hinterfragt worden; es geht heute nicht mehr um Fragen, sondern um Antworten. Diese Antworten werden gegeben.
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Wir haben deshalb immer aufs schärfste alle Gewalttaten gegen Ausländer und Asylsuchende verurteilt. Ausländer haben wie jeder andere Bürger in Deutschland vollen Anspruch auf unseren Schutz. Wer ausländerfeindlichen Strömungen entgegenwirken will, muß eine von der Bevölkerung akzeptierte Asylpolitik betreiben. Unsere Bürgerinnen und Bürger müssen die Gewißheit und das Zutrauen haben, daß die Asylverfahren zügig und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abgewickelt werden. Die Bürger wollen sicher sein, daß Deutschland nicht hilflos Wanderungsströmen ausgeliefert ist. Die längst überfällige und notwendige Grundgesetzänderung, die wir heute beschließen, schafft die notwendigen Grundlagen, um den Mißbrauch wirksam einzudämmen. Zugleich wird damit - darum muß es uns heute auch gehen - das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Handlungsfähigkeit unseres Rechtsstaats und vor allen Dingen auch in die Handlungsfähigkeit der Parteien in der parlamentarischen Demokratie wiederhergestellt und gefestigt.
Ich hoffe, daß dies auch dazu führt, daß die radikalen Parteien, die nicht zuletzt aus diesem Grund soviel Zulauf hatten, sich wieder entsprechend zurückentwickeln. Ich beobachte mit großem Interesse, in welchen Vierteln mit welchen Wahlergebnissen in der Vergangenheit gerade radikale Parteien besonderen Zulauf hatten. Es ist vorhin hämisch und in Richtung gegen uns von den Konservativen gesprochen worden. Die Konservativsten in diesen Sachen sind traditionelle sozialdemokratische Wähler. Was Sie zu hören bekommen, wenn Sie mit denen über dieses Problem debattieren,
({1})
ist weit von dem entfernt, was diskutiert wird, wenn die von Ihnen so apostrophierten Konservativen diese Diskussion miteinander führen.
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Uns wäre es lieber gewesen, Herr Schily, es wäre schneller gelöst und geregelt worden. Unser Land hat diesen Zustrom nicht zuletzt deswegen, wie ich meine, länger ertragen müssen, weil quälende Diskussionsprozesse in der SPD schnelle Regelungen verhindert haben. Die Vorschläge lagen lange genug auf dem Tisch.
Trotzdem ist, wie ich meine, heute ein guter Tag, weil das Ansehen unseres Rechtsstaats wieder gefestigt wird, weil eine drohende schwere Staats- und Verfassungskrise gebannt wird. Deswegen hoffe ich heute auf große Zustimmung.
Ich möchte ganz zuletzt auch an die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung appellieren, die laut Pressemeldungen eine Zustimmung ablehnen will: Sie muß auch an ihr Amt denken, an das, was sie vertritt.
So möchte ich Frau Schmalz-Jacobsen ebenso wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages, die noch Bedenken haben, herzlich bitten, diesem Gesetz zuzustimmen.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Jörg van Essen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Machen wir uns nichts vor: Seit dem Asylkompromiß am 6. Dezember 1992 ist erneut viel Zeit vergangen. So unerfreulich der Zeitverzug ist, er hat eines deutlich gemacht: Die Steigerung der Asylbewerberzahlen im ersten Vierteljahr 1993 um erneut 30 % zeigt in aller Klarheit, wie dringend reagiert werden muß. Wir brauchen für eine bessere Steuerung die Teilung in die nicht oder weniger Schutzbedürftigen und dazu eine Änderung des Grundgesetzes.
Ich habe von keinem einzigen Kritiker der Drittstaatenlösung einen rechtlich fundierten Widerspruch zu meiner Feststellung in der ersten Lesung gehört, daß es zwar ein Menschenrecht auf Schutz vor politischer Verfolgung und unmenschlicher Behandlung, aber kein Recht auf diesen Schutz im Wunschland, ein Asylrecht à la carte, gibt.
({0})
Die Benennung der sicheren Drittstaaten ist fair und nach sorgfältiger Prüfung der Situation in den jeweiligen Ländern erfolgt. Auch Polen und die Tschechische Republik gehören zu diesen Staaten. Weder ein polnischer noch ein tschechischer Staatsangehöriger ist im Jahre 1992 anerkannt worden; auch sämtliche verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind ablehnend gewesen. Das zeigt, daß es sich um stabile Demokratien handelt.
Von den seit August 1992 in Polen vom Amt für Flüchtlingsanerkennung durchgeführten 350 Verfahren sind bis Ende 1992 immerhin 70 Flüchtlinge, damit ein Fünftel, positiv beschieden worden. Man kann in Polen Asyl bekommen.
In der Tschechischen Republik hat die Vertreterin des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge gegenüber der deutschen Botschaft erklärt, daß auf Grund der dort geltenden Gesetze ein effektiver Schutz vor Verstößen gegen das Refoulement-Verbot bestehe.
Die Drittstaatenlösung kann ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn Rücknahmeabkommen bestehen. Auch hier ist ein Weg der Fairneß eingeschlagen worden. Die Bundesrepublik hat sich nicht auf die für sie recht günstige Rechtsposition zurückgezogen, die ihr das Abkommen zwischen den Schengener Staaten und Polen gewährt. Sie beteiligt sich mit einem namhaften Betrag und mit administrativer Hilfe an dem weiteren Aufbau der Flüchtlingsverwaltung in Polen und bei dem Ausbau der Grenzkontrollen in diesem Land. Sie läßt Polen auch im übrigen nicht allein. Im Falle einer Überlastung des Nachbarn haben wir uns zur Übernahme von Flüchtlingskontingenten verpflichtet.
Eine gerechte Lastenverteilung dieser Art wäre auch mit unseren Nachbarn in der EG zu wünschen. Es muß schnell eine Wiederholung dieses fairen Abkommens im spiegelbildlichen Sinne mit der Tschechischen Republik geben.
Ich bedaure in diesem Zusammenhang sehr, daß sich die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD nicht bereitgefunden haben, auch die Slowakische Republik zu einem sicheren Drittstaat zu erklären. Die unterschiedliche Behandlung wird die Teilung der ehemaligen CSFR beschleunigen und die Abgrenzung zwischen beiden ehemaligen Landesteilen verstärken. Das können wir nicht wollen.
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Während mit dem sicheren Drittstaat Schweiz ebenfalls in kurzer Zeit ein Rücknahmeabkommen zu erwarten ist, ist in Österreich - der Innenminister hat es schon gesagt - eine solche Bereitschaft nicht erkennbar. Dies - das sage ich mit aller Deutlichkeit - ist nicht hinnehmbar.
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Die Österreichische Politik ist denkbar schlecht beraten, wenn sie glaubt, mit einer Regelung bis zum Beitritt in die Europäische Gemeinschaft warten zu können. Ein Land, das egoistisch ausschließlich seinen eigenen Interessen nachgeht, ist zu einem Beitritt in eine Gemeinschaft nicht fähig.
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Die Kollegen aus der SPD haben bis zum Schluß eine Anrufung des Verwaltungsgerichts für die nach ihren eigenen Angaben äußerst seltenen Fälle zu erreichen versucht - sie werden es in der heutigen Abstimmung wieder versuchen -, denen die Rechtswidrigkeit der Abschiebung geradezu auf die Stirn geschrieben ist. Ich halte diesen Weg nachdrücklich
für falsch und auch nicht für notwendig. Wir würden für ganz wenige Fälle ein kleines Loch öffnen, das sich schnell zum Dammbruch entwickeln würde. Jeder halbwegs versierte Anwalt würde mit möglichst kompliziertem Sachvortrag den Weg zum Verwaltungsgericht suchen, um eine Abschiebung zu verzögern. Wir würden die Verwaltungsgerichte blockieren und jeden Lösungsansatz zunichte machen. Völlig unterschlagen, insbesondere in den Medien, wird dabei, daß in diesen seltenen Ausnahmefällen selbstverständlich der Weg zum Bundesverfassungsgericht geebnet ist.
Der Asylbewerber, dem durch einen grob rechtswidrigen Verwaltungsakt Schaden an elementaren Rechten zugefügt wird, hat damit eine faire Chance, noch in der Bundesrepublik Recht zu erhalten. Der Verfassung ist Genüge getan, Herr Kollege Schmude.
Herr Abgeordneter van Essen, ich habe Meldungen von zwei Abgeordneten, die eine Zwischenfrage stellen wollen. - Zunächst der Abgeordnete de With.
Herr Kollege van Essen, glauben Sie, daß es gut ist - wie Sie selbst sagen -, daß das Verfassungsgericht in diesem Fall quasi als Verwaltungsgericht tätig wird? Hielten Sie es nicht für besser, gleich zu sagen: Dann sollen eben die normalen Richter arbeiten?
Ich denke, es geht im wesentlichen darum, daß einem Asylbewerber Schaden an Leib und Leben drohen könnte. Das ist ja auch der Bereich, den Sie selbst angesprochen haben, wo Sie den Schutz für notwendig erachtet haben. Leib und Leben sind insbesondere in den ersten Bestimmungen des Grundgesetzes geschützt.
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Deshalb ist gerade das Bundesverfassungsgericht aufgerufen, in diesen wenigen Fällen für den Schutz der Grundrechte zu sorgen.
({1})
Herr Dr. Schmude bitte.
Herr van Essen, können Sie mir vielleicht hier ein einziges anderes Gesetz nennen, das Bundestag und Bundesrat beschlossen haben und wobei sie die Betroffenen darauf verwiesen haben, sich gegen die falsche Anwendung des Gesetzes gleich an das Verfassungsgericht in Karlsruhe zu wenden? Kennen Sie ein solches Gesetz?
({0})
Herr Kollege Schmude, auch Sie wissen aus den Verhandlungen, daß jeder sein Recht aus dem Ausland einklagen kann.
({0})
Wir schicken diese Menschen in Staaten, in denen sie sicher sind. Der Begriff „sichere Drittstaaten" besagt ja, daß in diesen Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention angewandt werden. Von daher ist ein Rechtsschutz in den Staaten, in die wir die Menschen schieben, sichergestellt.
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Im Bereich der sicheren Herkunftsländer sind mit Gambia und Ghana auch außereuropäische Staaten in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Dies ist sowohl durch die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus diesen Ländern wie nach Berichten über die Menschenrechtslage und über die Menschenrechtspraxis vor Ort gerechtfertigt. Wir sind nicht der Versuchung erlegen, die Welt in Gut und Böse einzuteilen. Die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird sich auch in Zukunft nach den Gegebenheiten vor Ort, nach der Zahl der Asylbewerber aus dem jeweiligen Land und - ich füge auch das hinzu - deren Verhalten in der Bundesrepublik Deutschland - das Thema Kriminalität ist hier ein Punkt - richten.
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Die gefundenen Lösungen sind nicht der Königsweg aus den Problemen des Nord-Süd-Gefälles und der daraus resultierenden Wanderung - das ist heute schon mehrfach gesagt worden; wir sollten sehr darauf achten, nicht diesen Eindruck zu erwecken -, aber sie sind ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Wir werden auch in Zukunft auf neue Entwicklungen zu reagieren haben.
Die Landungen von zwei Charterflugzeugen in Frankfurt am Main und in Berlin-Schönefeld machen dies überdeutlich. Es freut mich sehr, daß uns auch noch während der Gesetzesberatungen in einem entscheidenden Punkt eine Nachbesserung, eine Reaktion auf neues Verhalten gelungen ist.
Mein Kollege Hans-Joachim Otto und ich haben uns als Verhandlungsführer der F.D.P. von Anfang an für eine besondere Flughafenregelung eingesetzt. Niemand wird dieser Lösung vorwerfen können, sie sei eine einseitige Regelung zu Lasten von Flüchtlingen. Sie gilt nämlich in besonderer Weise für diejenigen, die während des Fluges ihrer Identitätspapiere verlustig gegangen sind. Diese Papiere müssen nach den strikt beachteten internationalen Regeln bei der Ausreise auf dem Luftwege vorgelegt worden und damit vorhanden gewesen sein. Durch nichts macht ein Flüchtling deutlicher, daß er mangels Erfolgsaussichten nicht mit einer Anerkennung als politisch Verfolgter rechnet und nur die auf die Ablehnung folgende Abschiebung behindern will, als durch ein solches Vernichten oder Verstecken der Identitätspapiere.
({3})
Trotzdem wird er ebenso fair behandelt wie Einreisende aus sicheren Herkunftsstaaten. Verzögerungen bei den Behörden und bei den Gerichten gehen nicht zu Lasten des Flüchtlings. Ihm ist auch Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, so daß er auch nicht schutzlos ist.
Von Flüchtlingshilfeorganisationen wird immer wieder der Eindruck zu erwecken versucht, es handele sich bei nahezu allen hier ankommenden Flüchtlingen um Opfer politischer Verfolgung. Dies ist falsch. Aber wenn man Asylbewerberunterkünfte aufsucht, wird man auch auf Fälle von schwerem menschlichem Schicksal treffen. Ich habe deshalb Respekt vor denen, die sich friedlich für diese Menschen engagieren und ihnen in vielfältiger Weise dafür Hilfe zukommen lassen. Ich danke ihnen an dieser Stelle ausdrücklich.
({4})
Aber wir in der Politik stehen in einer Gesamtverantwortung. Diese Gesamtverantwortung macht überdeutlich, daß man die Probleme in den Hauptherkunftsländern nicht dadurch löst, daß man die Zahlungskräftigen, die die kriminellen Schlepperbanden bezahlen können, in unserem Land aufnimmt.
({5})
Eine Verbesserung der Hilfe für die Herkunftsländer ist schon deshalb notwendig, weil nur so die Wanderungsbewegungen auf Dauer wirksam vermindert werden können. Hier steht die Bundesrepublik bisher sehr allein.
70 % - ich wiederhole: 70 % - der Aufbauhilfe für die neuen Demokratien in Ost- und Südosteuropa werden von der Bundesrepublik geleistet, obwohl wir mit dem Wiederaufbau in den neuen Bundesländern sehr belastet sind.
Unsere wohlhabenden Nachbarn sind nicht betroffen und deshalb weniger an der Beseitigung der Fluchtursachen interessiert. Dies muß dringend geändert werden. Auch diesem Zweck dienen die neuen gesetzlichen Bestimmungen.
Wir haben es uns insgesamt bei den Änderungen des Grundgesetzes und der einfachen Gesetze nicht leichtgemacht. Die Beratungen waren bestimmt von dem Respekt vor dem notwendigen Schutz der politisch Verfolgten einerseits und dem Bestreben, offensichtlichem Mißbrauch besser begegnen zu können, andererseits.
Ich habe in meiner Rede an vielen Stellen ganz bewußt den Begriff „fair" verwandt. Wir haben auch als Verhandlungsführer fair miteinander gerungen. Ich danke den Kollegen aus der CDU/CSU und aus der SPD dafür, daß wir konstruktiv miteinander arbeiten konnten. Wer sich um eine gerechte Beurteilung dessen bemüht, was wir ihm heute zur Abstimmung vorlegen, wird erkennen, daß wir dem Anspruch der Fairneß auch bei den gesetzlichen Regelungen gerecht geworden sind.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde Zeit, daß wir heute eine Änderung des Grundrechts auf Asyl
beschließen; denn die Asylbewerberzahlen sind beträchtlich gestiegen, nämlich von 10 000 in den siebziger Jahren über 100 000 in 1980 auf fast 450 000 im letzten Jahr. Dazu ist die Anerkennungsquote gefallen, nämlich von 12 % im Jahre 1980 auf 1,9 % im April dieses Jahres.
Diese Zahlen belegen überdeutlich: Die überwältigende Mehrheit der Asylbewerber hat den Zutritt in unser Land unter mißbräuchlicher Berufung auf das geltende Asylrecht erlangt, allein im vergangenen Jahr mehr Menschen, als Bonn Einwohner hat, mehr, als unsere Kommunen mit Wohnraum versorgen können, und mehr, als die Sozialhilfe-Etats verkraften, meine Damen und Herren!
({0})
Trotz dieser eindeutigen Entwicklung fände diese Debatte heute nicht statt, hätten nicht CDU und CSU seit Jahren auf die sich zuspitzende Situation hingewiesen und eine Änderung der Rechtslage gefordert.
({1})
Heute, meine Damen und Herren, sind wir soweit: Das Beharren der Union gegen manche Strömung des Zeitgeistes auf einer für richtig erkannten Position, ihre kontinuierliche Überzeugungsarbeit wider Polemik und verfälschende Darstellungen tragen Früchte. Die Novellierung des Asylrechts wird heute in diesem Hause beschlossen werden, zum Vorteil der wirklich politisch Verfolgten, zum Vorteil der hier lebenden Ausländer und zum Vorteil von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, für die wir einen besonderen Status vorsehen.
({2})
Wir würden das Ziel einer Änderung des Asylgrundrechts auch heute nicht erreichen, wenn nicht die Mehrheit der SPD ihre Zustimmung zum Asylrecht angekündigt und beschlossen hätte.
Ich stelle hier noch einmal fest: Der einfache Gesetzgeber, CDU/CSU und F.D.P., hatte keine Möglichkeit, den Verfassungsmißbrauch zu verhindern. Nicht diese Regierung und die von ihr gemachte Politik haben deswegen versagt. Wir hatten einfach nicht die Chance, das Grundgesetz zu ändern, weil Sie bisher Ihre Zustimmung nicht gegeben haben
({3})
- das entspricht den Tatsachen - und weil Sie sich bisher gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen hatten, Frau Kollegin Fuchs.
Heute stehen wir vor einer anderen Situation. Nach dem Parteienkompromiß vom 6. Dezember können wir in zweiter und dritter Lesung die Änderung der Asylgesetze beraten. Wir haben zwischen den stark divergierenden Auffassungen einen Kompromiß erzielt, der am individuellen Grundrecht, am Asyl, festhält, aber realistische Möglichkeiten eröffnet, Mißbrauch entgegenzuwirken. Es ist ein Kompromiß, der unzählige Verhandlungsrunden erfordert und an die an den Verhandlungen Beteiligten auch entsprechende physische Anforderungen gestellt hat. DesweErwin Marschewski
gen darf ich mich ganz herzlich bei allen Kollegen von der SPD, F.D.P. und CSU bedanken.
Aber lassen Sie mich einen besonderen Dank einem Kollegen sagen, der heute nicht hier dabeisein kann. Ich meine unseren erkrankten Freund Johannes Gerster.
({4})
Ich bedanke mich bei ihm, und ich wünsche ihm in unser aller Namen von ganzem Herzen alles Gute, gute Besserung!
({5})
Es liegt bei jeder Form eines Kompromisses auf der Hand, daß er nicht alle Seiten voll befriedigt. Dessen bewußt, möchte ich hier nur auf einen Vorwurf eingehen, der in besonderem Maße unberechtigt ist: die Behauptung, die Regelung sei unchristlich.
Gegenüber solchen Protesten stelle ich nochmals klar: Die Reform des Asylrechts dient gerade dem Schutz der tatsächlich politisch Verfolgten, d. h., dem Schutz von Menschen, die in ihren Heimatländern aus politischen Gründen daran gehindert werden, die allein den Menschen von Gott gegebene Freiheit zu gebrauchen. Es geht darum, Menschen Asyl zu gewähren, deren Leben dadurch bedroht ist, daß sie entsprechend ihrer Überzeugung handeln und sich äußern.
Vielleicht ist der erwähnte Vorwurf - leider oftmals in Unkenntnis des tatsächlich Beschlossenen abgegeben - für Gutgläubige entschuldbar, aber nur für Gutgläubige; denn ich räume ein, daß die komplizierten Vorschriften des Völkerrechts, des Verfassungsrechts, des Ausländerrechtes sicherlich außergewöhnliche Anforderungen an das Gesamtverständnis stellen.
Deswegen stelle ich noch einmal klar: Die Genfer Konvention und die Europäische Menschenrechtskonvention, also völkerrechtliche Übereinkommen, sind und bleiben für die Bundesrepublik Deutschland geltendes bindendes Recht.
Wie hoch wir diese beiden internationalen Abkommen einschätzen, ersehen Sie daraus, daß wir beide Abkommen jetzt ausdrücklich im Grundgesetz erwähnen. Wir halten uns an die Genfer Konvention, an die Vereinbarungen zum Menschenrecht auf europäischer Ebene.
Aber das hindert uns nicht daran, das Asylrecht zu novellieren. Kernpunkt der Novellierung - das ist vorhin gesagt worden - sind eben die sicheren Herkunftsstaaten und die sicheren Drittstaaten.
Wer würde heute diesen einfachen Satz „Politisch Verfolgte genießen Asyl" noch so auslegen, daß jemand, der sich darauf beruft, hier einreisen kann, daß er jahrelang hierbleiben kann, daß selbst dann eine umfassende Prüfung erforderlich ist, wenn überhaupt keine Anhaltspunkte für irgendeine politische Verfolgung vorliegen? Deswegen brauchen wir das neue Asylrecht. Wir haben die Drittstaatenregelung gemacht, weil wir das subjektive Grundrecht letzten Endes beibehalten wollten. Deswegen haben wir
auch die Regelung mit den sicheren Herkunftsländern getroffen.
Richtig ist, meine Damen und Herren, daß jedem Verfolgten Schutz gewährt werden muß, aber nicht notwendigerweise in Deutschland - das ist vorhin schon gesagt worden -, sondern auch in den demokratischen Anrainerstaaten, in Frankreich, in Polen, in der Tschechischen Republik, in Österreich oder in der Schweiz. Deswegen können wir dem neuerlichen Anliegen von SPD-Abgeordneten, Ausnahmen von der Drittstaatenregelung zuzulassen, wenn jemand bloß behauptet, politisch gefährdet zu sein, nicht zustimmen. Es gäbe niemanden, der dann nicht mißbräuchlich zu seinen Gunsten angäbe, daß dies gerade für ihn zuträfe. Die Drittstaatenregelung - allein Konsequenz der Akzeptanz des subjektiven Grundrechts - würde ins Leere gehen. Ich sage Ihnen: dies alles ohne Grund. Die Gerichte würden zusätzlich belastet, die Asylbewerber würden wieder auftauchen oder untertauchen können, und dem Mißbrauch würde Tür und Tor geöffnet.
Ein Wort zu Polen: Es war behauptet worden, daß wir mit der Drittstaatenregelung namentlich Polen überfordern wollten. Daß dies nicht der Fall ist, haben wir bewiesen. Das am 7. Mai geschlossene Abkommen hat, so meine ich, Modellcharakter. Ich darf mich an dieser Stelle ganz besonders beim Bundesinnenminister herzlich bedanken.
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Herr Seiters, Sie haben für unser Land Gutes getan, und Sie haben für das Verhältnis Deutschlands zu Polen Gutes getan.
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Meine Damen und Herren, wir sind bereit - Minister Seiters hat es gesagt -, ein entsprechendes Abkommen auch mit der Tschechischen Republik zu schließen, dies ebenfalls nach den Zielen, die der polnische
Wir wollen nicht zulassen, daß Deutschland durch ein Überangebot von Flüchtlingen destabilisiert wird. Wir müssen Deutschland vor Wirrwarr schützen.
Aber er hat weiter gesagt:
Wir dürfen auch nicht zulassen, daß Polen destabilisiert wird.
Meine Damen und Herren, das ist ein ernstes Wort, auch an die Damen und Herren, die vielleicht dieser Regelung noch nicht ihre Zustimmung geben. Wir wollen mit Polen zusammenarbeiten. Wir wollen die jungen Demokratien des Ostens unterstützen, und diesem Zweck dienen diese Abkommen.
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Im Gesamtpaket zur Regelung des Asylrechts findet sich insbesondere ein wichtiger Punkt, über den wir lange diskutiert haben, die Flughafenregelung. Es war eine schwierige Frage, aber wir waren einfach gezwungen, diese Regelung einzuführen, weil wir bedauerlicherweise über Schlepper verstärkten Zustrom von Asylbewerbern auf dem Luftwege zu verzeichnen haben. Daher ist es wichtig, hier eine Rege13534
lung gefunden zu haben, die es uns ermöglicht, vor der Einreise über Asylanträge zu entscheiden und vor allen Dingen ein Untertauchen von Leuten, die politisch nicht verfolgt sind, auszuschließen.
Diesem Zweck dient schließlich auch das neue Asylbewerber-Leistungsgesetz. Ich meine, wir können und dürfen nicht zulassen, daß deutsche Sozialhilfegelder weiterhin auch dafür verwendet werden, die verbrecherischen Machenschaften von Menschenschmugglern zu finanzieren, was leider derzeit geschieht.
({1})
Es glaubt doch niemand, daß die 30 000 DM, die die chinesische Mafia den Leuten abpreßt, allein daraus bezahlt werden, daß die Menschen zu Hause ihre Habseligkeiten verkaufen. Diese Banden werden leider auch über Sozialhilfe bezahlt. Wer dies alles weiß, der kann, so meine ich, dem vorliegenden Asylpaket seine Zustimmung nicht verweigern. Wer heute ja sagt, der folgt dem, was der Souverän, was die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zum übergroßen Teil wollen, der folgt dem, was die tatsächliche Lage von uns allen erfordert und was verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Denn keinem politisch Verfolgten droht die Gefahr, in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem ihm politische Verfolgung droht.
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Das Schlußwort soll denen gelten, die zum Asylkompromiß immer noch nein sagen. Ich appelliere an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Unser Volk verlangt eine praktikable Antwort zur Lösung des Asylproblems.
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Es kann Diskussionen und Fragen - manche sagen auch: rein akademische Diskussionen und Fragen - nicht mehr ertragen; sonst wird es sich uns verweigern. Und wie sieht dann die Alternative aus? Wenn Geschichte überhaupt lehren kann, dann sagen uns die 20er Jahre und der Beginn der 30er Jahre: Weimar ist gescheitert, weil sich Demokraten nicht einigen konnten. Wir müssen uns bewähren, indem wir zeigen, daß wir zu Problemlösungen fähig sind.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Gerd Wartenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorab eine Bitte an die CDU/CSU-Fraktion: Herr Schäuble und auch der Kollege Marschewski haben soeben noch einmal darauf hingewiesen, daß die CDU/CSU das AsylProblem schon vor Jahren gesehen und die richtigen Instrumente angeboten habe.
({0})
- Meine Damen und Herren, auch Sie waren keine Hellseher und konnten das Jahr 1989 mit der Öffnung der Grenzen zum Ostblock nicht voraussehen.
({1})
Sie haben niemals darauf reagiert. Die von der CDU/ CSU 1991 vorgeschlagene Verfassungsänderung, die heute auf Grund des neuen Kompromisses für erledigt erklärt wird, ist nur eine Verfassungsänderung in bezug auf Westeuropa, nämlich in bezug auf die Staaten des Schengener Abkommens. Dies war noch vor anderthalb Jahren Ihr einziger Lösungsversuch.
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Wir hätten diesen Kompromiß mit all seinen Schwierigkeiten und diese Art der Verfassungsänderung weder von Ihrer Seite noch von unserer Seite jemals in Angriff genommen, hätte sich nicht die historische Veränderung des Jahres 1989 vollzogen und hätten wir nicht den Zustrom von europäischen Flüchtlingen, die zu 80 % aus Osteuropa kommen. Das ist die entscheidende Änderung. Damit sind viele Prognosen, viele Einschätzungen - auch die der Sozialdemokraten - durch eine neue Wirklichkeit über den Haufen geworfen worden. Das ist die historische Wahrheit.
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Entscheidungen und Regelungen über die Begrenzung der ungesteuerten Zuwanderung sind schwierig und niemals widerspruchsfrei. Jede neue Regelung muß in ihren humanitären und ethischen Ansprüchen und an ihrer möglichen und notwendigen Wirksamkeit zur Begrenzung der ungesteuerten Zuwanderung gemessen werden. Dieser Widerspruch ist meistens nicht voll aufzulösen. Weil das so ist und weil das auch bei diesem Kompromiß so ist, dem ich zustimme, weil ich ihn für notwendig halte, obwohl er Widersprüchlichkeiten enthält und man in bestimmten Bereichen Fragezeichen setzen muß, gehöre ich nicht zu denjenigen, die meinen, man könne sich jetzt, da das Werk getan ist, auf die Schulter klopfen.
Im Gegenteil! Meine Unsicherheit - bezogen auf das globale Problem, vor dem wir stehen - ist nach wie vor groß. Wenn man sich unter rechtlichen, humanitären, weltweiten Aspekten sehr intensiv mit dieser Materie beschäftigt, kommt man sich schon ein bißchen wie Don Quichotte, der gegen die Windmühlenflügel kämpft, vor. Warum? Weil ein globales Problem, das uns wahrscheinlich auf Jahrzehnte begleiten wird, von einem demokratischen Rechtsstaat mit seinen Regularien immer nur in Teilaspekten gelöst werden kann.
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Deswegen ein Appell an die Öffentlichkeit: Keiner darf erwarten, daß dieses globale Problem in einem offenen Europa mit rechtsstaatlichen Instrumentarien so gelöst wird, wie mancher sich das vorstellt. Viele hoffen, die Zuwanderung insgesamt müsse doch so drastisch begrenzbar sein, daß alle Probleme zu lösen sind. Das wird nicht so sein. Deswegen stimmt auch die Kritik nicht, die von Herrn Weiß vom BÜNDNIS 90 oder von Herrn Gysi vorgetragen worden ist, wonach dieses Land das Asylrecht aufgegeben hat und hier
Gerd Wartenberg ({5})
keine Verfolgten mehr Zuflucht finden können. Das ist dummes Zeug!
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Wenn wir uns des mühsamen und so schwierigen Versuchs unterzogen haben, uns den wirklichen Problemen unserer Gesellschaft zu stellen, der Überlastung der Städte und Gemeinden, den Schwierigkeiten der Integration, der Ängste und der Sorgen der Menschen unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen bei gleichzeitig großer Zuwanderung, dann ist das nicht ein Eingehen auf das, was man „Druck der Straße" nennt. Wenn man Ängste und Sorgen von Bürgern in einer schwierigen Zeit und die begrenzte Handlungsfähigkeit des Staates diffamiert, indem man einfach von einem unzulässigen „Druck der Straße" spricht, dann wird man in einer Demokratie den Sorgen und Nöten vieler Menschen niemals gerecht werden können.
({7})
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es in meiner Fraktion viele Kritiker dieses Kompromisses gibt. Von diesen weiß ich aber auch, daß sie sich quälend der Realität gestellt haben und daß sie in quälenden Prozessen Verfassungsänderungsvorschläge erarbeitet haben, um dem Anspruch an Ethik und Wirksamkeit gerecht zu werden.
Es gibt aber leider auch Kritiker - da muß ich noch einmal Herrn Weiß und Herrn Gysi ansprechen -, die das Thema auf eine so abstrakte Ebene heben, daß man die Wirklichkeit nicht mehr sehen muß.
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Auch dies ist eine Form von Selbstbetrug, die in einer Gesellschaft gefährlich ist. Wer die Wirklichkeit mit der Überlastung und den Schwierigkeiten unserer Gemeinden ausblendet, wird auch niemals politisch überzeugend handeln können.
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Meine Damen und Herren, es wird behauptet, dieses Land sei kleinlich und bösartig in der Diskussion und bei dem Versuch, Regelungsmechanismen zur Steuerung der Zuwanderung zu finden. Dieses Land - das sage ich mit Stolz - ist ein Land, das zum Teil gewollt, zum Teil ungewollt - wegen seiner geographischen Lage - wie kein anderes Industrieland Menschen aufnimmt und sich trotz der sich daraus ergebenden Belastung redlich bemüht, sie unterzubringen.
({10})
Wer die Schwierigkeiten unserer Gemeinden und ihrer vielen Bediensteten, aber auch der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen sieht, mit diesem Problem umzugehen, der weiß, was wir manchmal in unserem Lande von der politischen Ebene her einzelnen Menschen zumuten, weil wir bis jetzt keine Instrumentarien gefunden haben, die wirksam genug sind, dieses Problem auf eine andere Ebene zu heben und dort zu lösen. Wenn man das nicht anerkennt und das nicht sieht, dann ist dies Doppelmoral. Ich bitte, dafür Verständnis zu haben, daß solche Menschen, die mit den Problemen direkt konfrontiert werden, häufig anders reagieren als solche, die weit weg von der Materie und von diesem Problem sind.
({11})
Dieses Land nimmt Menschen auf, und zwar nicht nur unter dem Dach unseres sehr weiten Asylrechts, sondern es nimmt auch sehr bewußt Bürgerkriegsflüchtlinge auf. Ich habe mir gestern noch einmal die Statistik des UNHCR angesehen. Danach hat kein Land so viele Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb des Asylrechts aufgenommen wie die Bundesrepublik Deutschland - 240 000.
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Man kann schon etwas bitter werden - auch gegenüber unseren europäischen Nachbarn -, daß es auf der Konferenz in Lissabon im letzten Jahr unmöglich war, eine Regelung der Europäischen Gemeinschaft zur Aufnahme von bosnischen Flüchtlingen zu finden.
({13})
Aber wenn das so ist, dann kann man dieses Problem nicht ausweichend behandeln, wie das insbesondere einige von den Gruppen gemacht haben, die sagen, erst einmal müsse eine europäische Lösung her. Eine europäische Lösung kann leider - das muß man auch ein wenig resignativ feststellen - nur dann erfolgen, wenn auch von den überlasteten Staaten - die Bundesrepublik Deutschland ist einer dieser Staaten - Druck auf andere ausgeübt wird.
({14})
Nur so wird in absehbarer Zeit eine europäische Lastenverteilung zu erreichen sein.
Ich weiß: Für viele ist es ganz besonders schwierig, in den Prozeß der Lastenverteilung unsere östlichen Nachbarn einzubeziehen. Ja, das ist ein ernstes Problem. Gleichwohl sind wir in die Verhandlungen und Diskussionen nicht einfach nach dem Motto gegangen: Wir wollen den anderen unsere Last aufbürden. Der Vertrag, der mit Polen geschlossen worden ist, ist beispielhaft. Er ist der einzige Vertrag dieser Art in der Welt, der ein echtes burden-sharing beinhaltet.
({15})
Gewiß haben wir das nicht nur aus Altruismus gemacht, sondern auch deswegen, weil wir in einer Notlage sind. Das heißt, wir haben das gezwungenermaßen gemacht, um uns zu entlasten, aber auch um den Polen zu helfen. Ich glaube, das ist nicht verwerflich in einer Situation, in der ein Land innenpolitisch erhebliche Probleme hat und es auf Dauer nicht zulassen kann, daß andere Lander, welche auch immer, sagen: Wir machen so lange nichts, wie die Bundesrepublik Deutschland uns die Probleme abnimmt. Dann muß es erlaubt sein, auch das deut13536
Gerd Wartenberg ({16})
sche innenpolitische Interesse zu formulieren. Das ist nicht illegitim.
({17})
Dieses Interesse - so wird unterstellt - gehe voll zu Lasten von Verfolgten. Das stimmt nicht. Die Drittstaatenregelung, gegen die sich die Aggressivität am stärksten entlädt, ist vom Ansatz her nichts Neues. Wir haben in den alten Asylgesetzen seit über zehn Jahren immer eine Drittstaatenregelung gehabt. Wir haben - erstaunlicherweise - Gerichtsurteile, daß Afghanen, die in Pakistan waren, zurückkehren mußten, weil Pakistan als sicherer Drittstaat für Afghanen anerkannt wurde. Das haben unsere höchsten Gerichte gesagt. Allerdings hatte diese Drittstaatenregelung unter der uneingeschränkten Verfassungsformulierung des alten Art. 16 Abs. 2 GG nur eine sehr begrenzte Wirksamkeit. Deswegen mußte neben der individuellen Prüfung der Verfolgungstatbestände ein Mechanismus geschaffen werden, der a priori - angelehnt an die anderen westeuropäischen Staaten - bestimmte Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt und uns die Möglichkeit gibt, wenn sichergestellt ist, daß dort um Asyl nachgesucht werden kann und ein Asylverfahren durchgeführt wird, die Menschen dorthin zurückzuschicken. Das ist hart. Aber es ist unter dem Aspekt der europäischen Verteilung unumgänglich. Darauf haben sich alle westeuropäischen Staaten schon lange eingelassen. Nebenbei gesagt: Im letzten Jahr haben sechs europäische Staaten Drittstaatenregelungen eingeführt, die sehr hart sind. Auf Grund der Notwendigkeit, andere Länder in den Problembereich der Flüchtlingsbewegungen einzubeziehen, gibt es keine andere Möglichkeit. Gleichwohl ist gesichert, daß politisch Verfolgte hier auch weiterhin Aufnahme finden können.
Die Bürgerkriegsregelung, die wir geschaffen haben, ist mehr als ein Goodwill. Es ist die ausdrückliche Feststellung, daß dieses Land, obwohl es stark belastet ist und auch weiterhin stark belastet sein wird, Bürgerkriegsflüchtlingen neben den Asylsuchenden eine hohe Priorität einräumt. Auch das ist eine Sache, die uns mit Stolz erfüllen sollte. Andere Staaten machen das nicht.
({18})
Meine Damen und Herren, die Drittstaatenregelung hat einen Fehler - darauf haben die Kollegen Klose und Schmude hingewiesen -, der nicht allein ein Schönheitsfehler ist. Der totale Ausschluß des Tätigwerdens eines Gerichts durch einfachgesetzliche Regelung ist nicht zu vertreten. Ich bitte Sie noch einmal darüber nachzudenken, wie kontraproduktiv diese Regelung sein kann. Jeder weiß: Das Verfassungsgericht kann es aus eigenem Interesse nicht zulassen, die einzige Instanz zu sein, bei der Verfahren geführt werden, d. h. de facto so etwas wie ein Verwaltungsgericht zu sein.
({19})
Wenn das so ist, bedeutet das: Wenn die ersten Fälle bei Gericht anhängig werden, wird die Abschiebung erst einmal ausgesetzt werden. Wir haben dies bei anderen asylrechtlichen Maßnahmen erlebt. Die
Behörden werden dann nicht mehr abschieben. Deswegen ist die Regelung des § 34 a Abs. 2 kontraproduktiv.
Lassen Sie uns die Regelung, die Kollege Schmude vorgeschlagen hat, heute beschließen. Sie werden sich sonst wundern, welche Probleme wir in den nächsten anderhalb Jahren haben werden, bis das Verfassungsgericht entschieden hat. Ich kann alle nur davor warnen. Wir haben den § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes nicht aus Jux und Dollerei problematisiert, sondern weil wir unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit und der Wirksamkeit einen Weg finden müssen, der auch funktioniert. Ich glaube, wir vertun die Chance, wenn wir in diesem Punkt jetzt nicht eine Revision im Sinne des SPD-Vorschlags vornehmen.
Recht herzlichen Dank.
({20})
Zu einer Kurzintervention möchte ich dem Abgeordneten Michael Glos das Wort erteilen.
Durch Telefonanrufe weiß ich, daß in der Parlamentsberichterstattung, die zur Stunde im ZDF läuft, mein Beitrag am Schluß falsch dargestellt und kommentiert worden ist. Ich habe nicht die Forderung nach Abberufung
({0})
der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung erhoben, falls sie dem Asylkompromiß nicht zustimmt, sondern ich habe an die Ausländerbeauftragte wie an andere Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen appelliert, dem Asylkompromiß zuzustimmen.
({1})
Nunmehr hat der Abgeordnete Detlef Kleinert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Viele Vorredner, gerade eben in sehr eindrucksvoller Weise Herr Kollege Wartenberg, haben auf die rechtlichen Schwierigkeiten hingewiesen, in denen wir uns befinden und denen wir heute mit einer ganz besonderen Kraftanstrengung zu entkommen versuchen, nämlich mit einer Grundgesetzänderung aus einem sehr bedeutenden, sehr umfassenden, aber immer noch einzelnen Anlaß. Ich habe da so meine Zweifel.
Wir haben uns vor Jahren schon darüber unterhalten, ob man das, was hier in den Folgegesetzen heute zu verabschieden beabsichtigt ist, mit Recht und guten Gründen, auch ohne eine Grundgesetzänderung hätte verabschieden können. Nach jüngsten Vorkommnissen im Zusammenhang mit der AWACS-Auseinandersetzung neige ich wieder sehr viel mehr dazu, zu sagen: Selbst wenn nur Zweifel bestehen, ob einfachgesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, sollte man lieber hier handeln und das Grundgesetz ändern, als erst einmal einfachgesetzlich
Detlef Kleinert ({0})
tätig zu werden und die Sache dann dem Verfassungsgericht zuzuschieben.
({1})
Das ist des Hauses nicht würdig.
Darum bin ich dankbar dafür, daß wir diesen klaren Weg gehen. Ob er aber wirklich zu dem führt, was wir wollen, nämlich zu der reinlichen Trennung derjenigen, die die Mütter und Väter, wie es neuerdings so schön heißt, des Grundgesetzes gemeint haben, als sie gesagt haben: „Politisch Verfolgte genießen Asyl" , da bin ich mir sehr unsicher.
({2})
Ich hätte eine noch klarere Regelung bevorzugt, wobei ich übrigens keinen Zweifel daran lassen möchte: Für mich wäre die klarste Regelung die, daß die Bürger in unserem Lande so wie die große Mehrheit der hier im Hause Anwesenden sich einfach so benehmen, wie man sich benimmt, daß man nämlich gastfrei ist, daß man freundlich zu Fremden ist, daß man sie gerne in seinem Hause aufnimmt - insonderheit dann, wenn sie verfolgt sind - und daß man das tut ohne ins einzelne gehende gesetzliche Vorschriften.
({3})
Das würde ich mir wünschen, ohne Rechtsprechung, ohne detaillierte Gesetze, mit denen wir uns - das fürchte ich jedenfalls - schon wieder in die Irre schicken. Wir alle haben doch diese normale Einstellung und können uns darauf verlassen.
Ich glaube, daß wir den anderen, den formalen Weg heute gehen müssen. Wir gehen ihn aus Überzeugung. Ich habe eben gesagt, was besser wäre: diejenigen, die wir meinen, hier mit offenen Armen aufzunehmen, und alle, die wir nicht meinen, höflich, aber leider bestimmt, weil die Welt so ist und weil wir - in den Ralationen der Welt - ein sehr kleines Land sind, wieder nach Hause zu schicken.
Diese Veranstaltung heute ist benutzt worden, um einen, ich will nicht gerade sagen, sehr ernsthaften, aber immerhin einen Angriff auf unsere Entscheidungsfreiheit zu unternehmen - interessanterweise durch Leute, die von sich sagen, wir sollten hier nicht dem Druck der Straße weichen, aber ihrem Druck. Das ist sehr interessant.
({4})
Es mag mir nicht einleuchten, daß Menschenwürde anderer einen Teil Verzicht auf Menschenwürde bedeutet. Das kann doch wohl in sich keinen Sinn geben.
Es mag mir überhaupt, um zur Praxis zu kommen, nicht einleuchten, daß der Flüchtlingsrat Niedersachsen, gemeinnützig, ein eingetragener Verein, den Kollegen Rappe mit einem angeblich von ihm verfaßten Brief zitiert, in dem es u. a. heißt: Wir sind alle überfordert, wir Sozialdemokraten sind betroffen, normale deutsche Jugendliche sind verunsichert und sehen sich in ihrer Not zu unschönen Szenen gegen verarmte Flüchtlinge gezwungen. Das geschieht nicht immer ganz demokratisch. Einige Ausländer hatten
Pech und wurden dabei verbrannt. Unterschrift: Hermann Rappe.
Das ist ja nicht das Schlimmste an dieser Veröffentlichung, sondern die Einleitung lautet:
In Hildesheim wurden Handzettel in Briefkästen gesteckt, die den Briefkopf der SPD und die Unterschrift des SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Rappe tragen. Rappe ist Befürworter einer Asylrechtsänderung und gilt innerhalb der SPD auch in anderen Fragen als rechter Hardliner.
Wir dokumentieren das offenkundig gefälschte Schreiben - ein ähnliches ist bereits zu Lörrach aufgetaucht - und sind gespannt, ob es Nachahmer findet.
Die Herausforderung zur Hetze, zur Gemeinheit, zur Verdummung - das ist es, was wir nicht mit niedersächsischer Staatsknete in diesen Kreisen gefördert wünschen.
({5})
An dieser Stelle bekenne ich, daß ich nach vielen Jahren des Zögerns in diesen Tagen sehr ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob meine Partei nicht in Hamburg recht getan hat, als sie die Abkoppelung der Kirchen vom Staat durch Beseitigung der Kirchensteuer wollte.
({6})
Es ist nun einmal feststellbar, daß zu Revolutionen in diesem Lande besonders fest besoldete Persönlichkeiten neigen, und dazu möchte ich nicht beitragen.
({7})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erfahre gerade, daß sechs Polizeibeamte im Büro von Dagmar Enkelmann und in meinem Büro waren, um dort ein Transparent „Asylrecht verteidigen! " abzunehmen.
({0})
- - Daß Sie an dieser Stelle klatschen, zeigt nur, welche demokratische Gesinnung Sie haben. Das macht das sehr deutlich.
({1})
Ich verlange jedenfalls von der Präsidentin dazu eine Erklärung; denn noch ist es doch wohl so, daß Abgeordnete zumindest anwesend sein müssen, wenn Polizeibeamte in ihr Büro eindringen.
Meine Damen und Herren, heute siegt die Gewalt der Straße, und die Grundrechte verlieren.
({2})
Es muß daran erinnert werden, daß die Beschleunigung, die das Projekt „Abschaffung des Grundrechts
auf Asyl" phasenweise erfahren hat, explizit mit
neofaschistischem und rassistischem Terror auf der Straße begründet worden ist. Als Zugabe wurde jeweils eine unglaubliche Hetze in den Medien gegeben. Ich zitiere aus der „Hamburger Morgenpost":
Man kann es nicht leugnen, Roma sind eine ernsthafte Plage.
In der „Badischen Zeitung" heißt es: Roma sind die reinste Seuche. Die „Kölner Rundschau" schreibt:
Wer sich absolut nicht anzupassen vermag, muß das Land verlassen, und zwar so schnell wie möglich.
({3}) - „Jawohl" höre ich hier.
Und jetzt ein Zitat des nordrhein-westfälischen Sozialministers. Er erklärte im Sommer 1992:
Die Ausländerfeindlichkeit ist eindeutig durch das Fehlverhalten einiger Ausländergruppen verursacht worden, die das Klima vergiftet haben. Es handelt sich dabei um Sinti und Roma.
Diese und andere Schlagworte wurden mehr und mehr zu Brandsätzen, Baseballschlägern und Stiefeltritten - und nur wenige hier haben sich geweigert, auf der Woge dieser Stimmung zur beschleunigten parlamentarischen Hinrichtung des Asylrechts zu surfen.
Es ist kein Appell des Bundeskanzlers vor dem Presserat an die journalistische Ethik bekanntgeworden, um die Privatsphäre und Unverletzbarkeit der Ausländer und Ausländerinnen zu schützen. Dort redet er erst jetzt und nur für die Ehre seinesgleichen.
Die Furcht vor rassistischen Ausschreitungen zwingt doch niemanden, die Opfer zu Tätern zu machen, und Pro Asyl fragt ja zu Recht, ob wir in einem Land leben möchten, in dem das „Gesetz der Straße" gilt. Heute stimmt jedenfalls eine Mehrheit dafür.
({4})
So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. Welche Verhältnisse hatten wir eigentlich bisher im Bereich der Asylpolitik, daß jetzt der Größenwahn an den Grenzen aufrüsten kann? Und warum wird genau das von einer Mehrheit hierzulande als Politik der Vernunft gegenüber Flucht- und Migrationsbewegungen vor der eigenen Haustür begriffen?
Aus der wachsenden Zahl von Asylbewerberinnen und -bewerbern wurde nicht auf wachsende soziale und politische Probleme geschlossen, die eine tiefgreifende Änderung vor allem der Außen- und der Entwicklungspolitik zur Folge haben müßten; geschlossen wurde auf wachsenden Mißbrauch unseres angeblich zu liberalen Asylrechts. Und die Geschichte des Asylverfahrensgesetzes ist die Geschichte der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, des Ausbaus seiner abschreckenden und diskriminierenden Elemente wie Sammellager, mal Arbeitsverbot, mal Arbeitspflicht, Einschränkung der Freizügigkeit, Sozialhilfe als Sachleistungen, Einführung der Visumspflicht.
Auch die neuen, großzügigen Einbürgerungs- und Bleiberechtsregelungen waren leere Versprechungen.
Ich erinnere an die unzähligen Anregungen und Anträge auch hier im Hause, den Bundesbeauftragten abzuschaffen, der mit seinen Zigtausenden von Einsprüchen die Verfahren verschleppt und behindert. Ich erinnere an die Forderungen, einen Sonderstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu schaffen, damit diese nicht ins Asylverfahren gedrängt werden müssen. Ich erinnere an die dringenden Bitten des Hohen Flüchtlingskommissars, endlich die Genfer Flüchtlingskonvention und die dort enthaltene Flüchtlingsdefinition wieder ins Asylverfahrensgesetz aufzunehmen. Nichts davon wurde aufgegriffen.
Diese Geschichte hat auch die Opposition verschlissen. Ohne die SPD wäre heute eine Änderung des Grundrechts auf Asyl nicht möglich. Und die Niederlage der parteiinternen Opposition hat keineswegs am Dienstag stattgefunden, sondern die Etappe hat begonnen mit dem Festklopfen der Eckpunkte der neuen Gesetze in halbkonspirativen Kanzlerrunden und Spitzengesprächen. Dazu hat die SPD-Opposition viel zu lange geschwiegen.
Heute werden Sie eine Bürgerkriegsflüchtlingsregelung verabschieden, die elementaren Beschlüssen des Exekutivkomitees des UNHCR widerspricht. Im Falle von massenhaften Fluchtbewegungen soll nämlich den Flüchtlingen ohne Rücksicht auf ihre individuelle Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention ein Mindestschutz gewährt werden. Sie werden dagegen eine Regelung verabschieden, nach der Bund und Länder über den Kriegs- oder Bürgerkriegszustand in bestimmten Gebieten übereinstimmend entscheiden müssen; danach müssen Bund und Länder auch übereinstimmend über Kontingente entscheiden.
So legitimiert und kontingentiert müssen die Flüchtlinge dann auch noch darauf verzichten, einen Asylantrag zu stellen. Gerade die auch in Ihrer Definition eigentlich politisch Verfolgten verlieren damit ihren Anspruch auf Abschiebeschutz bei Beendigung der Kriegs- oder Bürgerkriegsregelung.
Sie opfern heute internationale humanitäre Normen der Ermächtigung für Bund und Länder über die Entscheidung, wo denn schon Krieg oder noch Krise herrscht. Nichts wird einfacher sein, als die Humanität im Bermudadreieck von politischen Überzeugungen, diplomatischen Erwägungen und dem Zwang zur Einstimmigkeit zwischen allen Bundesländern und dem Bund verschwinden zu lassen.
Das Gezerre um Übereinstimmung in Sachen ehemalige Werkvertragsarbeitnehmer der DDR bestätigt diese Befürchtungen. Der jetzt in Baden-Württemberg aufgehobene Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Kroatien und der Umgang mit den noch geduldeten kurdischen Flüchtlingen zeigen dies ebenfalls.
Die auch von diesem Hause aus gezielt abgesenkte Toleranzschwelle der Deutschen wurde dargestellt als sachliche Grenze der Belastbarkeit. In kaum verhüllter Arbeitsteilung mit Rechtsradikalen wurde der
Umgang mit Schwächeren aller sozialer, sozialstaatlicher und humanitärer Phrasen entkleidet.
({5})
Das Prinzip wenden Sie auch nach außen an.
Herr Abgeordneter Pfeffermann, ich bitte Sie, ruhig zu bleiben.
({0})
- Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, ruhig zu bleiben. - Fahren Sie fort, Frau Abgeordnete.
Ich nenne die Verträge mit Rumänien, mit Polen, die Verhandlungen mit der Tschechischen Republik und anderen.
({0})
Mit der Drohung, 40 000 Menschen zurückgeschoben zu bekommen, und der Wiedereinführung der Visumpflicht für polnische Bürgerinnen und Bürger wurde die Zustimmung der polnischen Regierung zu dem neuen Abkommen befördert. 120 Millionen Mark gibt es, nicht für den Aufbau der polnischen Gesellschaft, sondern für ein bißchen Asylbürokratie und sehr viel Technik zur Aufrüstung an den polnischen Grenzen. Letzteres muß auch noch zum großen Teil in der Bundesrepublik eingekauft werden.
({1})
Es war die Drohung mit weiterer sozialer und politischer Destabilisierung, die die Nachbarstaaten in das deutsche Flüchtlingsabwehrsystem und zur Kollaboration gezwungen hat.
Unbekümmert setzt sich die Bundesregierung darüber hinweg, daß ein Großteil der Grenzschwierigkeiten zwischen den neuen Staaten im Osten durch die hier gewollte Asylpolitik verursacht wird. Die Außenpolitik, die der Innenminister macht, macht Flüchtlings- und Ausländerfeindlichkeit zum Exportschlager made in Germany. Und wenn in Ungarn die Sondereinheiten des Militärs Kopfprämien für aufgegriffene Flüchtlinge erhalten, liegt die Verantwortung dafür letzten Endes hier.
Jeder halse seinem Hinterland oder Vorhof seine Probleme auf, damit das gemeinsame Haus der Reichen sauber bleibe. - Das ist der Kern der europäischen Lastenteilung, die vom deutschen Innenminister als neue Solidarität gepriesen wird. Diese westeuropäische Komplizenschaft gegen Süden und Osten besiegeln Sie mit der Zustimmung zu den Asylgesetzen.
Die Mittel dazu sind Drittstaatenregelung und Listen sicherer Herkunftsländer. Unterlaufen werden die Genfer Flüchtlingskonvention und andere internationale Abkommen. Ermächtigt wird die Bundesregierung zur Lösung der grenzüberschreitenden sozialen Fragen mit Polizei und paramilitärischem Grenzregime. Von der Bundesrepublik geht ein System von Kettenabschiebungen aus. Mögliche Asylbewerber
und Asylbewerberinnen können ohne ordentliches Verfahren von Land zu Land geschoben werden, unter Umständen bis in ihr Herkunftsland.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
({0})
Darf ich noch einen letzten Satz sagen:
({0})
Demokratische Politik wurde durch Populismus ersetzt. Wir lehnen dieses Gesetz ab.
({1})
Ich erteile der Abgeordneten Frau Ingrid Köppe das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Stunden sind hier in der Debatte mehrmals Übergriffe auf Abgeordnete erwähnt worden.
({0})
- Auch auf Mitarbeiter. Es ist selbstverständlich, daß solche Gewalt nicht dem Anliegen der Demonstration dient. Andererseits denke ich - ({1})
Ich habe das nicht richtig verstanden. Wenn es so gesagt worden ist, möchte ich es in aller Schärfe zurückweisen. Ich behalte mir vor, einen Ordnungsruf zu erteilen.
Frau Abgeordnete, fahren Sie fort.
({0})
Andererseits, denke ich, hätte man solche Gewalttätigkeiten vermeiden können, indem man sich über die Demonstrationen, die ja angekündigt waren, langfristig Gedanken gemacht hätte, wenn man das Regierungsviertel nicht zu einer Festung ausgebaut hätte,
sondern die friedliche Demonstration in der Nähe des Parlaments hätte stattfinden lassen.
({0})
Nun aber zum Thema. Es ist gar nicht lange her, da haben wir erlebt, wie alljährlich Zigtausende Menschen aus der DDR weggegangen sind. Einige scheinen das schon vergessen zu haben; deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal daran erinnern.
({1})
- Ja, es waren Deutsche.
({2})
Viele aus meinem Freundeskreis sind damals „rübergegangen" - so nannte man das -; und es waren jedes Mal sehr lange überlegte und in vielen Nächten diskutierte Entscheidungen mit harten Konsequenzen. Jedes Mal hat es bedeutet, die vertraute Umgebung zu verlassen, sich von Freunden zu trennen. Es bedeutete aber auch Angst vor dem neuen Leben.
({3})
Für die, die in der DDR blieben, war es jedes Mal schmerzlich, zu spüren, wie sich der Freundeskreis verringerte, weil so viele ausreisten.
Andererseits gab es tatsächlich etliche Gründe, der DDR auf Nimmerwiedersehen den Rücken zu kehren. Diejenigen, die „rübergingen", waren in den meisten Fällen tatsächlich nicht politisch verfolgt. Viele, sehr viele gingen, weil sie endlich besser leben wollten. Sie wollten richtiges Geld sehen für richtige Arbeit, Geld, von dem man sich etwas leisten konnte. Sie wollten endlich nicht mehr tagelang nach allen möglichen Waren, die sie sich kaufen wollten, durch die Stadt laufen oder stundenlang vor Geschäften Schlange stehen.
({4})
Es sind tatsächlich etliche gegangen, weil sie einen besseren Wohlstand wollten.
({5})
Sie wollten, daß es ihren Kindern einmal besser geht. Viele, die aus der DDR in die Bundesrepublik ausreisten, waren Wirtschaftsflüchtlinge.
({6})
Im September 1989 verteidigte Kanzler Kohl alle diese Wirtschaftsflüchtlinge aus der DDR. Er sagte:
.Ich habe etwas dagegen, daß hier bei uns in der Bundesrepublik der eine oder andere sagt: Die kommen ja nur aus wirtschaftlichen Gründen. Ja, die private Wohlfahrt, eine Verbesserung des eigenen Wohlstandes gehören auch zu den Menschenrechten.
So Kanzler Kohl im Jahre 1989.
Dieses Menschenrecht ist für Bürger und Bürgerinnen, die aus anderen Ländern in die Bundesrepublik kommen, bereits während der letzten Jahre immer weiter eingeschränkt worden. Und jetzt, im Jahre 1993, soll auch das Menschenrecht auf Asyl faktisch abgeschafft und sollen auch die politisch, rassisch und ethnisch Verfolgten mit einer Festungsmauer gehindert werden, in Deutschland Zuflucht zu suchen.
({7})
Wir haben in der DDR sehr intensiv erlebt, wie es ist, hinter einer Mauer zu leben. Wir haben 1989 die Freude gespürt, als die Mauer endlich abgerissen wurde. Jetzt, im dritten Jahr nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, erleben wir allerdings, daß eine neue Mauer ein Stückchen weiter östlich aufgebaut wird. Mit Überwachungsanlagen, Bewegungsmeldern, Infrarotgeräten und Bundesgrenzschutz soll verhindert werden, daß Wirtschaftsflüchtlinge zu uns kommen. Wir, die wir früher zu den Ärmeren gehörten, finden uns plötzlich unter Reichen wieder, die versuchen, sich abzuschotten.
Meine eigene Vergangenheit ist mir zu nahe, als daß ich jetzt plötzlich eine solche Politik befürworten könnte. Deswegen lehne ich eine Änderung des Art. 16 ab.
({8})
Meine Damen und Herren! Ich erteile jetzt unserem Kollegen Peter Hintze das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Kollege Wartenberg von der SPD hat soeben in der Debatte der CDU/CSU vorgehalten, sie habe 1989 die deutsche Einheit nicht vorausgesehen. Ich glaube, Herr Wartenberg hat etwas verwechselt.
({0})
Die Wahrheit ist doch wohl, daß die SPD den Gedanken der deutschen Einheit aufgegeben hatte. Wir hingegen haben nicht nur daran festgehalten, sondern wir haben sie auch mit herbeigeführt.
({1})
- Bleiben Sie entspannt, Frau Schmidt. - Dazu paßt auch das, was Frau Kollegin Köppe soeben sagte. Menschen, die in Deutschland an der Mauer erschossen wurden, als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen, finde ich unerträglich.
({2})
Herr Kollege Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Köppe?
Gerne.
Bitte, Frau Köppe.
Herr Kollege, muß ich denn nun in Zukunft daran zweifeln, daß Sie in der Lage sind, zuzuhören?
({0})
Denn wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich so etwas nicht behauptet habe.
({1})
- Vielleicht lassen Sie mich doch einmal ausreden.
({2})
- Ich habe von denjenigen gesprochen, die aus der DDR ausgereist sind. Sehr, sehr viele haben die DDR tatsächlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, weil sie einen besseren Lebensstandard haben wollten.
({3})
Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, und sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich als Bürgerin der DDR natürlich weiß, daß es auch politisch Verfolgte gegeben hat?
({4})
- Ich habe gesagt, daß die meisten, die ausgereist sind, Wirtschaftsflüchtlinge waren.
({5})
- Sie hätten zuhören müssen. Vielleicht sollten Sie in Zukunft nicht immer dazwischenschreien, sondern einfach einmal zuhören. Dann werden Sie das auch hören.
({6})
Ich möchte die Frage beantworten, Frau Kollegin Köppe. Mich hatte beschwert, daß Sie die Tatsache des kommunistischen Zwangsregimes in der DDR auf die Problematik der Wirtschaftsflüchtlinge, wie Sie sie nennen, in Ihrer Rede reduzieren wollten. Das fand ich unvollständig, und deswegen habe ich das hier auch so angesprochen.
({0})
Daß die kommunistische Planwirtschaft auch ökonomisch zusammengebrochen ist, wollte ich damit nicht in Frage stellen.
Ich möchte noch einen Einwand von Herrn Wartenberg aufgreifen. Er hat uns hier vorgehalten, die früheren Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes seien aus seiner heutigen Sicht unzureichend. Er hat das triumphierend in den Raum gerufen. Ich muß ihm darauf antworten: Selbst das, was Sie heute aus richtiger Erkenntnis nach langjähriger Diskussion für unzureichend halten, wollten Sie von der SPD damals nicht einmal mittragen. Das ist die Wahrheit. Deutschland wäre viel erspart geblieben, wenn wir diese heutige Debatte und Beschlußfassung schon früher gehabt hätten, nicht aber erst nach diesem langen und qualvollen Diskussionsprozeß.
({1})
Wenn es um die Erhaltung eines wichtigen Grundrechts geht, dann, finde ich, sind wir es unserem Grundgesetz schuldig, uns in unserer Beratung, aber auch der deutschen Öffentlichkeit deutlich zu machen, daß das Menschenrecht auf Zuflucht für politisch Verfolgte von uns heute mit unserer Beschlußfassung um kein Jota gekürzt wird.
({2})
- Wer gegen die Drittstaatenregelung polemisiert oder hier lacht, der unterstellt ja, daß bei unseren Nachbarn in Frankreich oder in Polen Asylbewerber nicht vor politischer Verfolgung sicher seien. Diese Beleidigung unserer Nachbarstaaten brauchen wir nicht hinzunehmen.
({3})
Was die Mütter und Väter des Grundgesetzes angeht: Sie hatten die Nazischrecken in guter Erinnerung, und sie haben das Schutzrecht geschaffen; aber sie haben nie daran gedacht, daß dieses Schutzrecht eines Tages ein Nutzrecht für kriminelle Schlepperbanden würde, die mit Hilfe des Asylrechts ihre Geschäfte machen. Sie würden heute an unserer Seite stehen, wenn wir das Recht wieder zu dem machen, als was es gedacht ist, nämlich einem Schutzrecht für Menschen, die woanders vor Verfolgung nicht sicher sind.
({4})
Die Bürger, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wissen in ihrer Mehrzahl recht gut, was die Politik leisten kann und was nicht. Sie erwarten nicht, daß ein Problem von der Größenordnung der Asylfrage im Handumdrehen gelöst wird, und sie sind sich auch darüber im klaren, daß dieses Problem nicht morgen nach unserer Beschlußfassung verschwunden ist.
Aber wir wissen auch, daß die Bürger zu Recht erwarten - und dafür treten wir ein -, daß wir das, was in unserer Kraft steht, unternehmen und daß wir eine Mißbrauchsbegrenzung, wie sie in unserer Hand liegt, tatsächlich vornehmen und sie nicht jahrelang unterlassen. Das ist nämlich der Grund für die Politikverdrossenheit, mit der wir uns auseinandersetzen.
Es hat genug Politiker gegeben, die den Bürgern weismachen wollten, das Problem sei gar nicht real, es sei nur herbeigeredet oder, wie Herr Trittin in London sich äußerte, das Produkt von politischen Kampagnen der CDU/CSU und von Teilen der SPD; hören Sie mir zu! Bezeichnenderweise haben uns die anwesenden
Engländer vor diesen Tiraden in Schutz genommen; aber ich warte bis heute vergeblich auf eine Entschuldigung des zuständigen Ministerpräsidenten, der sonst in diesen Tagen sehr viele Worte für sehr viele Fragen findet. Ich finde, auf diese Entschuldigung hätten wir ein Recht.
({5})
Vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrungen, die Menschen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft machen mußten, haben wir allen Anlaß - und das haben heute viele angesprochen -, das Asylrecht als Menschenrecht sorgsam zu bewahren. Es sorgsam zu bewahren bedeutet aber auch, dieses Rechtsgut vor Mißbrauch zu schützen.
Sorgsam bewahren heißt nicht tatenlos sein. Es sorgsam zu bewahren heißt nicht nur, auf Prinzipien zu pochen, sondern auch darauf zu schauen, wie diese Prinzipien im gelebten Recht verwirklicht und genutzt werden können. Tatenlosigkeit in der Frage des Asylrechts ist kein Ausweis hoher ethischer Gesinnung.
({6})
Gefahren drohen einem Grundrecht vor allem auch dann, wenn es durch fortwährenden Mißbrauch seinen eigentlichen Charakter verliert, wenn es ausgehöhlt wird, wenn es seinen Sinn verliert und im Bewußtsein der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger, ad absurdum geführt ist. Genau das ist der Fall. Das empört die Menschen im Lande, und es empört sie zu Recht.
Auch die Randalierer und Chaoten vor dem Regierungsviertel wissen das natürlich. Ihre Attacke gilt der freiheitlichen und repräsentativen Demokratie, den Regeln des friedlichen Interessenausgleichs, dem Wesen der Demokratie selbst. Sie demonstrieren nicht für den Schutz irgendeines Rechtes, sondern sie demonstrieren und kämpfen gegen die parlamentarische Demokratie. Davon werden wir uns nicht bedrängen und nicht erpressen lassen.
({7})
- Dem Thema ist es angemessen; es ist dem Thema seit vielen Jahren angemessen. Nur, Sie haben sich diesem Thema und der dahinterstehenden Wirklichkeit seit Jahren verweigert. Sie haben es so weit kommen lassen, wie es heute ist, so daß wir jetzt in dieser mühsamen Weise zum Ergebnis kommen müssen. Das haben Sie sich zuzurechnen.
({8})
Es kann nicht darum gehen, diejenigen, die zu Unrecht Asyl beantragen, an den Pranger zu stellen.
Wir wenden uns entschieden gegen jede pauschale Verunglimpfung der Asylbewerber.
({9})
Im Gegensatz zu der von Ihnen ständig wiederholten Behauptung beteiligen wir uns nicht an dieser Verunglimpfung.
Es ist verständlich, daß Menschen ihre Heimat verlassen, wenn ihnen berichtet wird, daß es ihnen woanders besser geht und daß es bei uns - im Unterschied zu allen Flüchtlings- und Asylregelungen auf der Welt - einen Schlüssel gibt, der ihnen die Tür dazu aufschließt, nämlich das deutsche Asylrecht. Niemand hat das Recht, mit Hetzparolen gegen diese Menschen vorzugehen. Wer unseren Abscheu verdient, das sind die Schlepper, die Schlepperbanden, und ebenso die gewalttätigen Menschen in unserem Lande, die auf Fremde einschlagen und gegen sie vorgehen. Dies darf uns aber nicht davon abhalten, das, was wir in diesem Bereich als sachlich richtig und notwendig erkennen, auch zu tun.
Wir können in Deutschland nicht die Probleme der ganzen Welt lösen. Um so mehr müssen wir weltweit unter den Industriestaaten, die dazu in der Lage sind, eine Bewegung dafür schaffen, die Ursachen der Wanderungs- und Flüchtlingsbewegungen von Grund auf anzugehen, Hunger, Elend und Krankheiten vor Ort bekämpfen zu helfen und Ländern, deren wirtschaftliche Entwicklung gefährdet ist, bei dieser Entwicklung entsprechende Unterstützung zu geben.
Wir geben heute viele Milliarden für die Durchführung von Asylverfahren aus, von denen weit über 90 % mit der Ablehnung enden. Ist es nicht viel sinnvoller, dieses Geld in den Herkunftsländern bei den Menschen einzusetzen, um dort zu helfen? Dort kommt es viel mehr Menschen zugute.
({10})
Die rechtliche Regelung ist das eine, die Überwindung der Fluchtursachen ist das zweite.
Herr Kollege Hintze, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Bitte.
Bitte, Kollege Hirsch.
Herr Kollege Hintze, ich habe soeben mit Freude Ihre Bemerkung gehört, daß es sinnvoller sei, diese Milliarden in den Herkunftsländern der Flüchtlinge einzusetzen. Darf ich damit rechnen, daß Sie bei der kommenden Haushaltsberatung entsprechende Anträge stellen werden?
({0})
Diese Frage ist nicht neu, Herr Kollege Hirsch.
({0})
Meine Damen und Herren, wir müssen dem Kollegen Hintze jetzt die Chance geben, die Frage zu beantworten. Bitte, Herr Kollege.
Hier dürfen wir nicht in einen künstlichen Gegensatz verfallen. Ich habe Ihre Frage auch nicht so verstanden. Das eine ist - das tun wir heute - daß wir das Grundgesetz wieder in den Stand versetzen, den auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes gemeint haben,
({0})
und den Mißbrauch des Asylrechts unterbinden. Das zweite ist, daß wir in Zukunft all unsere Kraft darauf richten, daß den Ländern, deren wirtschaftliche Lage ein Grund für solche Wanderungsbewegungen ist, geholfen wird.
Aber eines ist in Ihrer Frage unzutreffend, und deswegen war das Gejohle und Gehöhne von der SPD wie so oft verfrüht. Die Bundesrepublik Deutschland ist das Land in Europa, das für die Hilfe etwa in Osteuropa mehr getan hat als alle anderen westeuropäischen Länder zusammen.
({1})
Wir brauchen uns an dieser Stelle überhaupt keine Vorhaltungen machen zu lassen.
({2})
- Auf diesen geistlosen Zwischenruf muß ich sagen:
({3})
- Aber man sollte Luther immer richtig zitieren.
Es ist eine Tatsache, daß wir mehr geben und mehr tun als die anderen zusammen. Diese Lastenverteilung kann auf Dauer nicht stimmen. Vielmehr muß es die Bemühung aller westlichen Staaten sein, diese Aufgabe zu lösen. Heute beseitigen wir den Mißbrauch. Morgen werden wir unsere Bemühungen fortsetzen, daß auch in den wirtschaftlich schwächeren Ländern die Entwicklung weiter positiv vorangeht.
Herzlichen Dank.
({4})
Der nächste Redner ist unser Kollege Eckart Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hintze, vom Generalsekretär einer christlichen Partei hätte ich etwas mehr intellektuelle Redlichkeit erwartet.
({0})
Aber so sind Sie eben. Ich kann es verstehen. Sie wollen mit solchen Reden Ihren Arbeitsplatz im Konrad-Adenauer-Haus sichern.
({1})
Nun zum Thema. Ich spreche im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion, die im vergangenen Dezember den zwischen der CDU/ CSU, der F.D.P. und der SPD ausgehandelten Asylkompromiß abgelehnt haben und die heute nach Abschluß der Ausschußberatungen feststellen müssen, daß ihre Befürchtungen berechtigt gewesen sind.
Die heute zur Abstimmung stehenden Änderungen des Grundgesetzes und die darauf fußenden Änderungen des Asylverfahrens berühren das individuelle Grundrecht auf politisches Asyl in seinem Wesensgehalt. Sie verfehlen gleichzeitig das Versprechen des Kompromisses vom 6. Dezember 1992, daß der Schutz tatsächlich politisch Verfolgter gewährleistet werden müsse. Sie geben herzlich wenig für die damals proklamierte These her, daß Deutschland ein weltoffenes, tolerantes Land sei und daß das auch so bleiben solle.
Meine Partei hat auf ihrem Bonner Parteitag am 16. November vergangenen Jahres unter der Überschrift „Flüchtlingen helfen, Zuwanderung steuern, Gemeinden entlasten" ein Paket von gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen beschlossen, das wir denen entgegensetzen wollten, die mit verantwortungsloser Agitation Ausländerfeindlichkeit geschürt und damit den gesellschaftlichen und politischen Konsens über ein weltoffenes und tolerantes Deutschland beschädigt hatten.
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Dieses Paket sah ausdrücklich auch die Möglichkeiten von Änderungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz vor - allerdings in einer strikt begrenzten Formulierung.
Viele Delegierte haben dem auf dem damaligen Parteitag schweren Herzens zugestimmt, weil sie das Gesamtkonzept wollten. Sie gingen davon aus, daß unsere Fraktion im Bundestag ihre Sperrminorität bei einer Änderung des Grundgesetzes dafür nutzen könnte, auch die übrigen Bestandteile des Pakets umzusetzen. Dies ist offenbar nicht gelungen.
Wir beschließen heute nicht über die generelle Zulassung der Doppelstaatsbürgerschaft, die der SPD-Parteitag verlangt hat. Wir beschließen heute nicht über die Bekämpfung der Fluchtursachen, z. B. durch eine schrittweise Erhöhung der öffentlichen entwicklungspolitischen Leistungen auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts, die nicht nur von der SPD gefordert wird.
Herr Kollege Hintze, zu Ihrer Aufklärung: Bei den Haushaltsberatungen im vergangenen November ist
ein Antrag meiner Fraktion, der das ausdrücklich vorsah, von der Regierungskoalition abgelehnt worden,
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obwohl Ihre eigene Nachwuchsorganisation inzwischen ähnliche Forderungen erhoben hat.
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Wir beschließen heute nicht über eine Neuverteilung der Kosten für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen, mit der die Haushalte - vor allem die der Gemeinden - entlastet werden könnten, damit sie Bürgerkriegsflüchtlinge nicht mehr ins Asylverfahren schieben. Wir beschließen nicht über ein europäisch abgestimmtes Einwanderungsrecht, wie es der SPD-Parteitag wollte; und wir haben dafür auch bei den Maastricht-Verträgen keine Perspektive bekommen. Wir beschließen auch nicht über die Aufnahme des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention ins Grundgesetz, die nicht nur von der SPD, sondern auch von vielen Flüchtlingsorganisationen gewollt wurde.
Was wir dagegen beschließen sollen, ist der Versuch, das Asylrecht des Grundgesetzes künftig weitgehend leerlaufen zu lassen. Die Bundesrepublik ist danach durch Gesetz von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben. Das sind Staaten, in denen die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt sein soll. Wer als Asylbewerber über solche Staaten zu uns kommt, der hat bereits dort Sicherheit vor Verfolgung gefunden - so sagt jedenfalls der Gesetzentwurf -, egal, wie lange er sich dort aufgehalten hat.
Wer an der Grenze erwischt wird, kann zurückgewiesen werden. Wer sich im Inland meldet, soll ohne viel Federlesen abgeschoben werden können. Damit wir ganz sichergehen, daß es sich bei diesen sicheren Drittstaaten auch um solche handelt, schließen wir Regierungsabkommen ab. Auf Polen ist schon hingewiesen worden; mit der Tschechischen Republik soll eines folgen. Ob der Mindestabschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention dort tatsächlich gewährleistet ist, entzieht sich unserer Kenntnis, darf aber am heutigen Tage noch bezweifelt werden - und das, ohne den Polen und den Tschechen zu nahe treten zu wollen.
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Die Koalition will trotzdem verbieten, daß Verwaltungsgerichte im Einzelfall bei Vorliegen gewichtiger Gründe und einer konkreten Gefährdung des Asylbewerbers die Abschiebung in den vielleicht gar nicht so sicheren Drittstaat durch einstweilige Anordnung verhindern können. Damit wird - das haben wir heute auch schon gehört - nach Auffassung vieler Experten das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes verletzt, mit vielleicht lebensgefährlichen Folgen für einzelne Asylbewerber.
Die Kettenabschiebung gerade von politisch Verfolgten in ihr Heimatland dürfte nicht außerhalb jeder historischen Erfahrung liegen. Jürgen Schmude hat darauf hingewiesen, daß es so etwas auch im EG-Bereich gegeben hat.
Einer, der uns viele Bedenken gegen die Neuregelung ins Stammbuch geschrieben hat, ist der Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, Walter Koisser. Ich wundere mich manchmal, wie eine Bundesregierung, die eilfertig jedem UNO-Hinweis auf denkbare Bundeswehreinsätze in der weiten Welt nachgeht, sich über gravierende Einwände der Vereinten Nationen hinwegsetzt, wenn es um die Behandlung von Flüchtlingen geht.
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Walter Koisser hat die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention als materielle Grundlage für die Gewährung von Asyl angemahnt, auch wegen der als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylbewerber aus Bosnien-Herzegowina, die z. B. wegen ihrer Volkszugehörigkeit von Freischärlern mißhandelt und vertrieben worden sind. Walter Koisser hat die Möglichkeit einer widerlegbaren Vermutung bei Einreise aus sicheren Drittländern und Voraussetzungen für das Konzept „sicheres Drittland" gefordert, die durch ein einfaches Regierungsabkommen nicht erfüllt werden können. Koisser hat schließlich auf Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention hingewiesen, nach dem jede Abschiebung oder Zurückweisung in ein anderes Land ohne Anhörung des Asylgesuchs auch dann unzulässig ist, wenn in diesem Land die Weiterschiebung in einen Verfolgerstaat drohen könnte.
Gerade die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem bisher beispielhaften Asylrecht und ihrer erklärten Bereitschaft, zusätzliche internationale Verpflichtungen zu übernehmen, sollte den völkerrechtlichen Konsens, der bisher bestanden hat, nicht beschädigen. Koisser hat am 11. März gewarnt:
Alles deutet darauf hin, daß die östlichen Nachbarstaaten nun ihrerseits bei der Drittlandregelung in Zugzwang geraten. Es droht so ein Domino-Effekt, der die gegenwärtige internationale Praxis und Struktur des Flüchtlingsschutzes in Frage stellt.
Das Asylrecht des Grundgesetzes ist ein hohes Gut. Es ist eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte und Bestandteil der politischen Kultur im Deutschland der Nachkriegszeit. Wer es aufgeben oder relativieren will, um andere Rechtsgüter zu schützen, muß den Beweis dafür antreten, daß der Schritt wirksam ist. Mir ist bewußt, daß die Zuwanderung von jährlich mehreren Hunderttausenden - dazu gehören übrigens nicht nur Asylbewerber, sondern auch Spätaussiedler und Bürgerkriegsflüchtlinge; manche mengen das ja gern zusammen - für die Gesellschaft und für viele einzelne nur sehr schwer verkraftbar erscheint. Dies gilt besonders für Zeiten großer Wohnungsnot und hoher Arbeitslosigkeit, an denen diese Bundesregierung ja nicht ganz unbeteiligt gewesen ist.
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Viele, die hier sitzen, sehen deshalb das Rechtsgut des sozialen Friedens und des demokratischen Konsenses in Gefahr. Sie erhoffen sich von einer Asylrechtsänderung den Abbau gesellschaftlicher Spannungen und Konflikte. Denen, die so argumentieren, kann ich meinen Respekt nicht versagen. Aber ich bitte sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob die Änderung des Grundgesetzes wirklich jenes Maß an verbesserter Steuerung der Zuwanderung bringt, das sie anstreben und das diesen Einschnitt in die Verfassung vielleicht rechtfertigen könnte.
Nach den Maßstäben der UNO gibt es gegenwärtig mehr als 15 Millionen Flüchtlinge, die internationale Grenzen überschritten haben, die meisten davon in Ländern der Dritten Welt. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist auch Westeuropa unter Wanderungsdruck gekommen. Wenn wir keine geregelten Verfahren für die Aufnahme, z. B. auch über ein Zuwanderungsgesetz, finden, werden Hunderttausende zu uns kommen. Die Möglichkeit, die Festung Europa mit Mauer und Stacheldraht zu umgeben, scheidet nach unseren eigenen geschichtlichen Erfahrungen wohl aus. Ich unterstelle niemandem, daß er das will. Aber ich verlange eine ehrliche Analyse gerade von denjenigen, die genau wissen, daß die Exportnation Deutschland auf offene Grenzen angewiesen ist, und von denjenigen, die ständig den freien Verkehr von Kapital, Gütern und Dienstleistungen predigen und die sich deshalb nicht wundern sollen, wenn in den anderen Teilen der Welt auch der freie Verkehr von Menschen Richtung Industrieländer ausprobiert wird.
Flucht hat viele Ursachen. Längst nicht alle sind vom Asylversprechen des Grundgesetzes abgedeckt. Auch wir wollen das Ayslrecht den politisch Verfolgten vorbehalten. Aber wenn es uns nicht wenigstens mittelfristig gelingt, Fluchtursachen in Osteuropa und in der Dritten Welt wirksamer als bisher zu bekämpfen, werden wir uns einer Völkerwanderung aus Not und Elend gegenübersehen, wie sie die Geschichte noch nicht erlebt hat.
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Diese Armutswanderung hat bereits begonnen. Deutschland wird einen Teil davon aufnehmen müssen. Der Club of Rome hat 1991 empfohlen, „die Bevölkerung der reichen Länder darauf vorzubereiten, diese Tatsache zu akzeptieren" . Ich weiß, daß das sehr viel schwerer ist als der Streit um Grundgesetzartikel und Verfahrensparagraphen; aber wir sollten den Mut haben, damit anzufangen.
Ich komme zum letzten Satz. Die Frage, ob wir mit der Neufassung des Asylrechts das Risiko eingehen, politisch Verfolgte ihren Verfolgern auszuliefern, ist für viele Abgeordnete eine Gewissensfrage. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, für die ich hier spreche, wollen von der Freiheit ihres Gewissens Gebrauch machen, die ihnen im Grundgesetz verbürgt ist.
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Wir stimmen mit Nein.
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Vizepräsident Helmuth Becker Ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche gleichzeitig für meinen Kollegen Gerhart Baum.
Wir haben bei der Einbringung der Gesetzentwürfe erklärt, daß wir ihnen trotz der Fortschritte für Bürgerkriegsflüchtlinge und beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zustimmen können. Entgegen unserer Hoffnung haben weder die Beratungen noch die eindringlichen Ratschläge vieler Sachverständiger in der Anhörung wesentliche Verbesserungen erbracht.
Die Entwürfe widersprechen humanitären Grundsätzen. Sie sind mit unseren völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Genfer Konvention nicht vereinbar.
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Sie verstoßen gegen bisher tragende Grundsätze unserer Verfassung.
Wir erkennen die große Not unserer Gemeinden. Wir verstehen auch, daß die Aufnahmebereitschaft unserer Bevölkerung begrenzt ist. Es ist auch richtig, daß der Zustrom von Flüchtlingen insbesondere aus Osteuropa zu gemeinsamen europäischen Lösungen zwingt, die unsere westlichen Nachbarn bisher verweigern. Aber was reden wir eigentlich von gemeinsamen europäischen Lösungen, wenn unser Koalitionspartner noch nicht einmal bereit ist, den Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention in unser Asylgesetz aufzunehmen! Das geht nicht.
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Ich danke dem Flüchtlingskommissar Koisser für seine Arbeit.
Der erhabene Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" gehört zum Kernbestand unserer Verfassung. Er bleibt formal erhalten; in Wirklichkeit wird er fast völlig beseitigt.
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Wenn man wissen will, ob ein Gesetz hinnehmbar ist, dann darf man sich nicht an den Umgehungsmöglichkeiten, den möglichen Schlupflöchern orientieren, man muß vielmehr prüfen, wie der Gesetzgeber ein Problem tatsächlich regeln möchte. Durch die vorgesehene gesetzliche Regelung werden die Grenzen der Bundesrepublik für diejenigen fast vollständig geschlossen, die sich auf das Asylrecht berufen. Wer mit dem Flugzeug kommt, wird im Flughafen in einem wirklich nachlesenswerten Verfahren abgefertigt.
Jeder Flüchtling, der über irgendein Nachbarland einreisen will oder aus irgendeinem Nachbarland heimlich unsere Grenze überquert hat, kann in Zukunft ohne jede Anhörung aus der Bundesrepublik dorthin zurückgeschickt werden. Es ist egal, ob er in seiner Heimat politisch verfolgt wird oder nicht;
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es ist egal, ob ihm in seiner Heimat eine unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe droht; es ist egal, ob das Transitland, dem wir den Flüchtling zuschieben, die Genfer Konvention nach denselben Grundsätzen auslegt und handhabt wir wir; es ist egal, ob das Transitland nach seiner Asylpraxis den Flüchtling seinerseits weiterschieben wird oder nicht. Vor der Abschiebung aus der Bundesrepublik wird dem Flüchtling jeder noch so minimale Rechtsschutz verweigert. Er hat nur dann eine minimale Chance, wenn er seine Reisepapiere vernichtet oder wenn er rechtliche Besonderheiten unseres Nachbarn Österreich ausnutzt oder, noch besser, wenn er sich vor der deutschen Küste mit einem Boot aussetzen läßt. Und genau das wird geschehen.
Wir haben nach der Genfer Flüchtlingskonvention die eigene Verpflichtung, einem Flüchtling in der Bundesrepublik rechtliches Gehör und Rechtsschutz zu gewähren. Wir verletzen unsere völkerrechtlichen Verpflichtungen, wenn wir diese versprochene eigene Leistung einfach durch ein innerstaatliches Gesetz unseren Nachbarn zuschieben, ihnen sozusagen die Flüchtlingslast zumuten, die wir selbst nicht mehr tragen wollen.
Wir verändern damit auch die Rechtslage des Flüchtlings, solange es keine inhaltliche Harmonisierung des Asylrechtes mit unseren Nachbarn gibt.
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Ein Flüchtling, der sich bei uns meldet, vertraut sich uns und unserer Rechtsordnung an und nicht irgendeinem anderen Staat. Wir haben uns verpflichtet, ihm zu helfen, und nicht, darauf zu vertrauen, daß unser Nachbar ihm helfen wird.
Es kann auf Dauer nicht verborgen bleiben, daß diese Gesetze das verfassungsrechtliche Asylrecht nur um den Preis seiner praktischen Bedeutungslosigkeit erhalten. Sie führen politisch nicht zu einer Lastenteilung, sondern dazu, daß unsere Nachbarn ihrerseits ihre Grenzen ebenfalls gegen Flüchtlinge abschotten. Ob wir wollen oder nicht, wir bekämpfen auf diese Weise nicht die Fluchtursachen, sondern wir wehren Flüchtlinge ab. Wir verändern damit im Bewußtsein vieler Mitbürger die freiheitliche Substanz unseres Staates, deretwegen sie sich ihm in besonderer Weise verbunden fühlen.
Handlungsfähigkeit beweisen heißt für diese Bürger eben nicht, Flüchtlinge einfach abzuwehren, sondern heißt, eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik zu erreichen, die zu einer wirklichen Bekämpfung der Fluchtursachen und zu einer wirklichen Lastenverteilung führt. Dafür ist hier nichts - nicht einmal etwas in Ansätzen - zu erkennen.
Darum lehnen wir sowohl die vorgeschlagene Verfassungsänderung wie auch das darauf aufbauende Gesetz ab.
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Frau Ingeborg Philipp, Sie haben jetzt das Wort. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Unsere Sünden bestehen nicht so sehr in dem, was wir getan haben, sondern was wir unterlassen haben zu tun." Diese Worte schrieb der langjährige Vorsitzende des Forschungsrats der DDR, Max Steenbeck auf, als er über sein Leben nachdachte. Er wußte, daß Erinnern und Vorausdenken ein Leben erst substantiell wertvoll machen.
Er beschrieb zwei wichtige Situationen, die ich heute mitteilen möchte. Die erste war folgende: Sie waren als junges Ehepaar nach Berlin gefahren, um eine Stehlampe einzukaufen, an einem Tag, der als „Kristallnacht" eine ganz schlimme Berühmtheit erlangte. Sie erfuhren durch Freunde, was geschehen war, sind noch einmal in die Stadt gefahren und haben das Bild der Verwüstung mit Schrecken und Angst erblickt.
Sie haben am nächsten Tag die Überraschung erlebt, daß trotz der Zerstörung der jüdische Ladenbesitzer kam und die Lampe auslieferte. Sie haben angsterfüllte Augen gesehen, die sie zeitlebens in ihrer Erinnerung bewahrt haben.
Die zweite Episode ist einige Jahre später gewesen. Steenbeck war Kriegsgefangener geworden und befand sich in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager. Da er von der Wehrpflicht zurückgestellt war, schrieb er die Formeln weiter, die er bei Siemens entwickelt hatte. Das ist sowjetischen Soldaten aufgefallen, und sie haben das weitergemeldet. Er ist deshalb nach Moskau gekommen und hat dort an der Entwicklung der Atombombe erfolgreich mitgearbeitet.
Was ist erreicht worden? Es ist ein Gleichgewicht des Schreckens erreicht worden, das aber die Menschheit überhaupt nicht weitergebracht hat, das nur Entsetzen ausgelöst hat. Erinnern und Vorausdenken heißt leben.
„Unsere Sünden bestehen nicht so sehr in dem, was wir getan haben, sondern was wir unterlassen haben zu tun. " Das klingt ganz ähnlich wie in der Bibel: „Was ihr nicht getan habt den Ärmsten unter diesen meinen Brüdern, das habt ihr mir nicht getan." Daran müssen wir heute denken. Es ist nämlich ein schwerwiegender Schritt, der heute gegangen wird.
Dieses 20. Jahrhundert wird in der Geschichtsschreibung der Menschheit mit vielschichtigen Angstträumen beschrieben werden müssen. Wir haben keine Kultur des christlichen Abendlandes entwickelt.
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- Auch hier, nicht nur wir. - Wir haben keine Kultur der Menschenliebe zustande gebracht.
Wir sind in einer Zivilisation steckengeblieben, die uns zunehmend unfähig macht, auf unsere Gefühle zu achten, Mitleid und Barmherzigkeit zu emfpinden. Das macht das Zusammenleben von uns allen sachlich und gefühlskalt. Es könnte warmherzig und wohltuend für uns alle werden, wenn wir endlich auf das hören würden, was Bertha von Suttner sagte. Sie rief verzweifelt aus: „Habt doch endlich den Mut zur Liebe!"
Dieser Mut bedeutet ein Zurückstellen egoistischer Wünsche, das Denken für das Wohl aller, auch das gewollte Beschreiten des unteren Weges. Dieser ist nicht leicht, aber er führt in einen Erfahrungsbereich menschlichen Zusammenlebens hinein, der Egoisten immer verschlossen bleiben wird. Es lohnt sich, ihn zu gehen.
Nicht äußerer Wohlstand, sondern inneres Wohlbefinden für uns alle sollte unser Ziel sein. Wir brauchen eine Vision, die das Wohlbefinden aller Menschen weltweit in den Blick nimmt. Nicht eigene Vorteile, sondern das Wohl aller muß mit großer Zielstrebigkeit und Ernsthaftigkeit angestrebt werden. Die eine Menschheit dieser Erde, die gerne auf ihrem Planeten lebt, darf nicht Utopie bleiben, über die politisch nicht gesprochen werden darf; sie muß Realität werden durch eine zielstrebige und harte Arbeit.
Nicht Ängste vor millionenfachem Mißbrauch des Asylrechts, sondern millionenfache Freude durch ein großzügig gewährtes Asylrecht muß Ziel praktischer Politik werden. Erst dann erfüllen wir unsere Aufgabe in diesem Bundestag.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat der Kollege Gerd Poppe das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den Menschenrechtsfragen und einigen außenpolitischen Problemen zuwenden, die in der heutigen Debatte aufgeworfen werden.
Ich beginne mit dem Begriff der sicheren Herkunftsländer. Einerseits wird in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses die jeweilige Menschenrechtssituation als Hauptkriterium der Einordnung als sicheres Herkunftsland benannt, andererseits wird den schwerwiegenden Bedenken von Menschenrechtsorganisationen hinsichtlich der Einbeziehung bestimmter Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsländer in keiner Weise Rechnung getragen.
Amnesty International, Helsinki Watch und andere Organisationen, aber auch der jährliche Menschenrechtsbericht des US-State Department konstatieren beispielsweise Menschenrechtsverletzungen in Rumänien und Bulgarien. Diese bestehen vor allem in der Diskriminierung nationaler und ethnischer Minderheiten. Dem steht der erklärte Wille dieser Staaten entgegen, die Menschenrechte zu sichern und demokratische Verhältnisse zu entwickeln. Maßgebend können aber nicht die Absichtserklärungen von
Regierungen sein, sondern einzig und allein die tatsächliche Lage der Betroffenen, genauer gesagt: des betroffenen Individuums.
Insbesondere gilt dies für die Situation in Ghana, wo noch im Februar dieses Jahres durch Senat und Repräsentantenhaus die USA schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen festgestellt wurden. Allein ihre Auflistung würde meine Redezeit um ein Vielfaches übersteigen.
Zwar wird in der Begründung des Innenausschusses vorgeschlagen, dem Unterausschuß „Menschenrechte und humanitäre Hilfe" die Aufgabe zu erteilen, die notwendigen Hinweise zur Einordnung zu geben. Andererseits hat der Unterausschuß einen solchen Auftrag bisher nicht erhalten. Die Liste der Anlage 2 zu § 29a wurde ohne ihn aufgestellt. Ich wage die Prognose, daß im Unterausschuß die Einordnung Ghanas als sicheres Herkunftsland gegenwärtig nicht mehrheitsfähig wäre.
Erst recht gilt dies für den Versuch der CDU/ CSU-Fraktion, Indien auf die Liste zu setzen. Zwar bleibt uns erspart, heute darüber zu befinden. Falls das Gesamtpaket aber verabschiedet wird, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis Indien, aber auch andere wegen Mißachtung der Menschenrechte kritisierte Staaten, wie z. B. die Türkei, auf der Liste erscheinen.
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Es wird mehrere nach unterschiedlichsten Kriterien zusammengetragene Wunschlisten geben - eine, die sich aus innenpolitischen Erwägungen auf den zur gegebenen Zeit vorhandenen Einwanderungs- oder Asylbewerberdruck bezieht, eine andere, die auf Grund der jeweiligen außenpolitischen Konstellation oder auch nur aus rein wirtschaftlichen Interessen zusammengetragen wird, bestenfalls eine weitere, die die Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission oder von Menschenrechtsorganisationen zur Kenntnis nimmt. Die Verfechter der jeweiligen Kriterien werden sich in eine Dauerfehde begeben.
Hinzu kommt, daß die politisch und wirtschaftlich instabile Lage zahlreicher in Frage kommender Staaten permanent zur Neubestimmung der Listen zwingen wird. Auf die Trägheit von Verwaltungen und Ämtern, die sie hindert, prompt auf Veränderungen zu reagieren, sei nur am Rande verwiesen. Die Handhabung derartiger Listen wird sich bald als undurchführbar erweisen. Ohnehin ist das Sortieren von Staaten erster, zweiter und dritter Klasse außenpolitisch gesehen sehr problematisch. Es wird von diesen als anmaßend empfunden und wird auf die Außenbeziehungen nur belastend wirken.
Meine Damen und Herren, ich sehe das Hauptproblem vor allem darin, daß es bis heute keine in sich konsistente Politik der Bundesregierung gibt, die den großen weltpolitischen Veränderungen der letzten vier Jahre Rechnung trägt, in der sich eine aufeinander abgestimmte Innen- und Außenpolitik gleichermaßen auf die Menschenrechte bezieht.
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Wenn nun die Kategorisierung sicherer Herkunftsländer schon praktisch unlösbare Probleme schafft, so ist die Auflistung der sogenannten sicheren Drittstaaten geradezu widersinnig. Sie konterkariert alle Versuche einer Öffnung Europas, indem der Abbau innerwesteuropäischer Grenzen mit neuer Abschottung im Osten zusammenfällt. Da nützen bilaterale Verträge mit Polen, der Tschechischen Republik und möglicherweise weiteren Staaten nur wenig.
Die Festlegung sicherer Drittstaaten markiert die Außengrenzen der zukünftigen Festung Europa. Nach dem heutigen Vorschlag wären dies u. a. die polnischen Ostgrenzen und die tschechisch-slowakische Grenze.Wer es kann, möge versuchen, sich einen hohen tschechisch-slowakischen Grenzzaun vorzustellen und in Beziehung zu setzen zu unserer noch vor wenigen Monaten geäußerten Vorstellung vom Erhalt der Tschechoslowakei.
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Dieser Zaun wird nach bilateralen Gesprächen mit der Slowakei oder mit Ungarn möglicherweise woanders gebaut, was im Prinzip aber nichts an den Problemen ändert.
Erinnern Sie sich doch einmal, meine Damen und Herren, an jene denkwürdigen Tage im Jahre 1989, als Ungarn von sich aus für DDR-Flüchtlinge die Grenzen nach Österreich öffnete. Was haben wir den Ungarn zu verdanken, und wie armselig fällt nun - fast vier Jahre später - unsere Antwort ihnen und den anderen mittel- und osteuropäischen Völkern gegenüber aus!
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Alle diese Länder befinden sich in tiefgreifenden Reformprozessen. Wenn diese gelingen sollen, brauchen sie außer ihrem Reformwillen vor allem Verständnis und Hilfsbereitschaft aus dem Westen. Am allerwenigsten können sie in der gegenwärtigen Phase damit umgehen, daß wir ihnen einen erheblichen Teil unserer Probleme aufladen.
Die reformorientierten Politiker in diesen Ländern geraten nun unter mehrfachen Druck: zum einen durch den nur um sein eigenes Wohl besorgten Westen, zum anderen durch nationalistische und reformfeindliche Kräfte in ihren Ländern, schließlich noch durch den sozial ins Hintertreffen geratenen Teil der Bevölkerung.
Die vorgesehene bundesdeutsche Asylregelung trägt mit dazu bei, daß die Luft für Demokraten und Reformer in Ost- und Ostmitteleuropa immer dünner wird. Statt ihre Öffnung zu unterstützen, ihre eigenen außen- und sicherheitspolitischen, regionalen und europäischen Möglichkeiten zu berücksichtigen und als konstruktiven Bestandteil gesamteuropäischer Politik zu verstehen, zwingen wir sie dazu, sich abzuschotten, die Grenzen zu ihren Nachbarn, mit denen sie gerade erst einen freien Austausch begonnen haben, zu schließen, entgegen ihren eigenen Intentionen, Visazwang einzuführen wie auch eigene nationale Minderheiten in den Nachbarstaaten in Schwierigkeiten zu bringen.
Herr Kollege Poppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pflüger?
Bitte.
Bitte, Kollege Pflüger.
Herr Kollege Poppe, wir arbeiten ja beide für Polen und sind uns darin einig, daß wir alles tun wollen, um die Demokratie in Polen stabil zu halten. Würden Sie mir aber nicht darin zustimmen, daß die wirklich überwältigende Mehrzahl der Meinungsäußerungen, die wir in letzter Zeit zu dem Kompromiß, zu der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen aus Polen gehört haben, vor allen Dingen die Kommentare in den Zeitungen doch überwiegend positiv sind und daß z. B. die auflagenstärkste polnische Zeitung, die „Gazeta Wyborcza", schrieb: die deutsche Hilfe gibt uns die Chance, das Flüchtlingsproblem auf eine zivilisierte Art und Weise zu lösen? Möchten Sie ferner nicht zur Kenntnis nehmen und sollten wir nicht auch würdigen, daß in dieser Vereinbarung klar festgelegt worden ist, daß sich Deutschland verpflichtet, bei außergewöhnlichen Ereignissen, die zu einem sprunghaften und massiven Zustrom von Zuwanderern auf das Gebiet Polens führen, bestimmten Gruppen die Einreise zu gewähren,
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und können Sie mir bestätigen, daß wir in diesem Jahr eine Überlastquote vereinbart haben?
Ich weiß nicht, ob ich auf jedes Detail Ihrer Fragestellung antworten kann, aber eines ist mir wichtig: Wir haben die Gelegenheit wahrgenommen, uns an Ort und Stelle, d. h. in Polen, selber zu informieren. Wir haben mit unserer Bundestagsgruppe eine Reise unternommen, in deren Verlauf wir den polnischen Präsidenten, den polnischen Außenminister Skubiszewski und andere Politiker gesprochen haben. Wir haben die innenpolitischen Konflikte zwischen den verschiedenen Parteien dort zur Kenntnis genommen. Darunter sind einige stark national geprägte Parteien, die sich inzwischen auf Gaullismus und Thatcherismus berufen und denen z. B. überhaupt nichts an einer Europäischen Union liegt. Der polnische Außenminister gehört zu dem anderen Teil. Er sagte: Wir wollen die Grenzen zu unseren östlichen Nachbarn nicht verschließen, wir wollen Verträge mit Weißrußland, mit der Ukraine, wir wollen vor allen Dingen multilaterale Verträge unter Einbeziehung der Visegrád-Staaten. Wir stehen nach wie vor zu diesem Konzept. Was jetzt ausgehandelt wurde, läuft den Vorstellungen des polnischen Außenministers entgegen.
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Meine Damen und Herren, ich komme zurück auf die Situation der Osteuropäer und Ostmitteleuropäer: Wir meinen, daß die Bundesrepublik Deutschland durch die zu erwartende Entscheidung auf dem Wege ist, eine einmalige historische Chance zu verspielen, die ihr nach dem Ende der Blockkonfrontation zugeGerd Poppe
fallen ist, nämlich die Chance und Verpflichtung, als politisch und wirtschaftlich mächtiger und relativ stabiler mitteleuropäischer Staat ausgleichend und integrierend zu handeln. Die Entwicklung auf dem Balkan und in Teilen der ehemaligen Sowjetunion zeigt, was droht, wenn diese Chance vertan wird.
Länderlisten und Begleitgesetze sind die durchaus logische Konsequenz aus der vorgesehen Grundgesetzänderung. Ebenso logisch folgt daraus für uns, daß wir das heute zur Debatte stehende Gesamtpaket ablehnen.
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Die Methode der Bundesregierung - ich hielte es für eine Trauerspiel, wenn sich ihr eine verfassungsändernde Mehrheit dieses Hauses anschlösse -, sich den Herausforderungen der Zeit mit Abschottung und Geldzahlungen zu entziehen, entspricht durch und durch dem Status-quo-Denken aus einer längst überwunden geglaubten Zeit. In solch gänzlich uninspiriertem und kontraproduktivem Handeln ist nicht der kleinste Funken einer Idee für die Gestaltung des ersehnten neuen Europa zu erkennen.
Die mit dem Ende der Blockkonfrontation verbundenen Hoffnungen der Menschen im Süden und Osten auf eine friedlichere und gerechtere Welt haben sich nicht erfüllt. Der reiche Teil Europas hat auf die Herausforderungen unserer Zeit bisher die falschen Antworten gegeben: Abschottung statt Öffnung, Relativierung und faktische Abschaffung statt Durchsetzung und Erweiterung von Menschenrechten.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist und bleibt die Wahrung der Menschenrechte von essentieller Bedeutung. Jede unserer Aussagen zur gemeinsamen Gestaltung zukünftiger deutscher Politik, sofern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an ihr nach dem Willen der Wähler maßgeblicher als im Moment beteiligt sein sollte, wird daran zu messen sein, in welchem Umfang sich die heute zu befürchtende Fehlentscheidung rückgängig machen läßt.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächster Redner ist unser Kollege Wolfgang Zeitlmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich will zwei aktuelle Bemerkungen vorausschicken.
Heute vormittag fiel mir erstens auf, daß alle diejenigen, die die heutigen Gesetzesvorhaben kritisieren, einen Vorschlag schuldig geblieben sind, wie sie denn ihrerseits mit dem Strom der Zugänge nach Deutschland umgehen wollen. Sie sollten konkrete Vorschläge dazu machen, wie das Problem gelöst werden kann.
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Als zweites fiel mir auf, daß die Bundesratsbank insbesondere im Laufe des Vormittags mehr einer
Zuschauertribüne mit Besuchergruppen geglichen hat als der Vertretung der Länder.
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Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?
Herr Kollege Ullmann, bitte.
Bitte, Herr Ullmann.
Herr Kollege, Sie haben nach Alternativen gefragt. Kann ich davon ausgehen, daß Sie sich Kenntnis über die Entwürfe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Flüchtlingsgesetz und zum Einwanderungs- und Niederlassungsgesetz sowie über unseren Gesetzentwurf zur Staatsbürgerschaft verschafft haben?
Herr Kollege Ullmann, bei einem Zuwachs der Bevölkerungszahl von derzeit knapp 1 Million pro Jahr - wenn wir alle Zugänge zusammenrechnen - kann man sich nicht hinstellen und sich darauf berufen - wie Sie das tun -, daß man Vorschläge gemacht hätte, die noch eine weitere Liberalisierung bedeuten, eine Erleichterung des Zugangs. Herr Kollege Ullmann, ich kenne Ihre Texte sehr genau.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Ausschußberatungen und in vielen zusätzlichen Gesprächen haben sich alle Beteiligten bemüht, den im Kompromiß vorgezeichneten Weg so sachgerecht, effizient und human wie möglich in Gesetzesform zu gießen. Ich möchte zwei Regelungen hervorheben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Hauptschwierigkeit, der Abschiebung nicht asylberechtigter Ausländer, stehen.
Erstens. Ein Asylverfahren im Transitbereich der Flughäfen wird bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten oder solchen ohne oder mit gefälschtem Paß die sofortige Rückführung ermöglichen, wenn sie kein Asylrecht genießen.
Zweitens. Die nachhaltigste Kritik richtet sich gegen die sofortige Abschiebung in einen sicheren Drittstaat. Sichere Drittstaaten sind neben Österreich, der Schweiz, der Tschechischen Republik und Polen, mit denen uns eine Landgrenze verbindet, auch die nordischen Staaten Finnland, Norwegen und Schweden. Besteht eine Rücknahmeverpflichtung, so kann ein Asylbewerber ohne Prüfung der Asylgründe und ohne gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschiebung in diese Länder zurückgeschickt werden. Die Kritik gegen diese Regelung greift nicht durch.
Erstens gilt als sicherer Drittstaat nur ein Land, das die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention beachtet, das also niemand in ein Verfolgerland abschiebt oder der Folter oder Todesstrafe ausliefert. Da die Aufnahme einer größeren Zahl von Asylbewerbern und die
Durchführung des Asylverfahrens für Polen eine grobe Belastung darstellt, wurden in dem kürzlich abgeschlossenen Abkommen Hilfen vereinbart und Vorkehrungen gegen eine Überforderung getroffen. Ein vergleichbares Abkommen streben wir mit der Tschechischen Republik an, die nach derzeitiger Lage jedoch sehr viel weniger belastet sein wird, da kein Rückübernahmeabkommen besteht.
Zweitens ist für die Abschiebung in den sicheren Drittstaat die Einreise über dieses Land Voraussetzung. Diese Feststellung treffen die Behörden. Können sie den Nachweis nicht führen, bleibt der Asylbewerber in Deutschland. Da auch der Nachbarstaat einen Nachweis für seine Aufnahmepflicht verlangt, ist das Risiko einer unrichtigen Entscheidung minimal. Dennoch die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle zu schaffen, ist wegen des damit verbundenen Personalbedarfs und der zeitlichen Verzögerung nicht zu rechtfertigen.
Der neue Art. 16a Abs. 2 Satz 3 schließt deshalb den vorläufigen Rechtsschutz in diesen Fällen aus. Das ist verfassungsrechtlich zulässig und kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip.
Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hirsch?
Bitte schön, Herr Dr. Hirsch.
Herr Kollege Zeitlmann, wenn Sie darauf hinweisen, daß es sich bei den sogenannten sicheren Drittstaaten um Länder handeln muß, die die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gezeichnet haben, müssen Sie dabei nicht berücksichtigen, daß trotzdem die Auslegungskriterien, was denn unter diese Konvention fällt, in den einzelnen Ländern außerordentlich weit voneinander abweichen? Sie wissen z. B., daß die Franzosen einen großen Teil der tamilischen Flüchtlinge akzeptieren und wir nicht. Bei anderen Gruppen ist es umgekehrt. Somit übertragen wir in der Tat unsere eigenen Beurteilungskriterien, zu denen wir uns verpflichtet haben, sozusagen auf andere Staaten, ob sie ihnen folgen wollen oder nicht. Es ist ein ganz wesentlicher Unterschied, ob wir die Entscheidung selber treffen oder ob wir sie einem anderen Staat überlassen.
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Herr Dr. Hirsch, hier gehen die Meinungen auseinander. Wir sind der Auffassung, die Philosophie der Drittstaatenregelung geht davon aus, daß diese Staaten, in die wir ohne Verfahren zurückschicken, das Refoulementverbot achten und niemanden einer Gefahr aussetzen.
Herr Dr. Hirsch, wenn ich eingangs gesagt habe, daß ich bei denen, die ich heute gehört habe und die sich gegen die heutigen Regelungen wenden, vermißt habe, daß sie konkrete Vorschläge darüber machen,
wie sie es regeln wollen, dann habe ich insbesondere an Sie gedacht. Das zur Klarstellung.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Asylproblem läßt sich nicht allein mit der Änderung des Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes bewältigen. Viele Asylbewerber kommen in Wirklichkeit aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland. Wir müssen deshalb auch weiterhin unseren Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen leisten. Mit den dafür aufgewandten Geldern helfen wir mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit den wirklich Bedürftigen und nicht nur denjenigen, die die Reise, oft sogar den Flug und den Schlepper bezahlen können.
Mitverantwortlich für den massenhaften Asylmißbrauch sind die Straftaten namentlich des professionellen Schlepperunwesens. Nach Schätzungen werden etwa 60 % aller Asylbewerber eingeschleust und müssen dafür hohe Summen bezahlen. Die Strafverfolgungsbehörden sind dabei zunehmend mit gut organisierten, konspirativ vorgehenden Schlepperringen konfrontiert. Es ist deshalb erforderlich, daß den Strafverfolgungsbehörden auch für diesen Bereich das Instrumentarium zur Verfügung gestellt wird, das zur Bekämpfung organisierter Kriminalität besteht.
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Nicht hinnehmen können wir auch die illegale Zuwanderung über unsere östliche Grenze. Es ist daher zu begrüßen, daß der Bundesgrenzschutz die Möglichkeit des Einsatzes der Wärmebild- und Radartechnik an den Grenzen prüft. Die Möglichkeiten, durch technische Nachtsichthilfsmittel die Wirksamkeit der Kontrollen zu verbessern, müssen genutzt werden. Auch muß die Anziehungskraft des Bundesgrenzschutzes für den polizeilichen Nachwuchs erhöht werden. Eine viel zu große Zahl von Stellen ist derzeit unbesetzt.
Ein schnelleres und weniger aufwendiges Asylverfahren bringt wenig, wenn abgelehnte Asylbewerber anschließend nicht Deutschland auch wieder verlassen. Diese im Verantwortungsbereich der Länder liegende Frage muß organisatorisch zweckmäßig und wirtschaftlich günstig gelöst werden. Die dazu von der Innenministerkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe muß schnellstmöglich zu Ergebnissen kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den heute zu verabschiedenden Gesetzestexten regeln wir unser Asylrecht grundlegend neu. Wie bei jeder Neuregelung ist nicht auszuschließen, daß sich Lükken und Unzulänglichkeiten im Verfahren herausstellen, die uns zwingen nachzubessern. Auch eine Veränderung der Wanderungsströme oder Fortschritte im Rahmen der europäischen Harmonisierung des Asylrechts werden möglicherweise Änderungen erforderlich machen. Wir können deshalb heute leider nicht sagen, das Problem sei abschließend geregelt. Eine ganz wesentliche Verbesserung können wir jedoch meines Erachtens erwarten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Hans de With das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Verhandlungen über eine künftige Neuordnung des Asylrechts waren und konnten unsere Kernforderungen nur die folgenden sein:
erstens, daß der wirklich Asylberechtigte nach wie vor in einem rechtsstaatlichen Verfahren herausgefunden werden kann und damit nicht in die Verfolgung zurückgeschickt wird, wobei offenkundig ist, daß niemand das Recht hat - das sage ich im Hinblick auf Herrn Hirsch -, daß sich das bei uns abspielen muß; wichtig ist, daß er nicht in die Verfolgung oder in die Folter zurückgeführt wird und daß er ein Verfahren in einem sicheren Drittstaat bekommt;
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zweitens, daß die bisherige faktische Einwanderung über den Art. 16 gebremst und gesteuert wird;
drittens, daß das Asylverfahren weiter beschleunigt wird;
viertens, daß wirtschaftliche Anreize, zu uns zu kommen, abgebaut werden.
Die Umsetzung dieser Forderungen hat zu einem schwierigen und langdauernden Diskussions- und Entscheidungsprozeß geführt. Kein Wunder, es steckte der Teufel nicht nur im Detail. Es mußte dabei auf vielerlei berechtigte Einwände eingegangen und der Dialog mit vielen Menschen und Gruppierungen geführt werden, deren Sorgen wir, wir Sozialdemokraten jedenfalls, sehr ernst genommen haben. Schließlich hat auch das umfängliche Anhörungsverfahren Gegensätzliches und Nachdenkliches in großer Anzahl gebracht. Wir haben versucht, das unterzubringen.
Es wußte schon Voltaire, daß wir nicht in der schönsten aller denkbaren Welten leben. Unsere Welt hat sich seit 1949 gravierend verändert. Insbesondere seit drei Jahren bewegen uns Flüchtlingsströme bisher nicht gekannten Ausmaßes. Damit hat sich die Notwendigkeit ergeben, auch Regelungen anzupassen, die damals in Erinnerung an die Emigration in der Nazizeit Errungenschaften darstellten und auch heute noch sind: den für jederman einklagbaren Rechtsanspruch auf Asylgewährung und die ebenso einmalige wie großzügige Rechtswegegarantie.
Gerade bei diesen Grundrechten haben wir Abstriche machen müssen, Abstriche, die uns weh tun und weh getan haben, die aber auch nötig sind, es sei denn, wir wollten uns zeihen lassen, das Nötige und auch Machbare nicht machbar gemacht zu haben. Die Mehrheit unserer Bürgerinnen und Bürger verstünde uns nicht mehr, handelten wir nicht endlich.
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Dem dient die Einführung erstens der rascheren Trennung zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen und Asylbewerbern; zweitens des Prinzips der sicheren Drittstaaten, wonach grundsätzlich derjenige Staat das Asylverfahren durchführen muß, in den der Asylbewerber eingereist ist, wenn dort ein rechtsstaatliches Verfahren wie etwa bei uns gewährleistet ist - es muß gewährleistet sein! -; drittens des Prinzips der sicheren Herkunftsländer, wonach vermutet wird, daß Verfolgung in dem sicheren Herkunftsstaat nicht droht, es sei denn, diese Vermutung wird durch schlüssige Gegenbehauptungen erschüttert; viertens verkürzte Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zur weiteren Aufenthaltsbegrenzung und fünftens von Leistungsbeschränkungen bei den notwendigen staatlichen Hilfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kuriose auch an dieser Debatte ist nun, daß die einen sagen, was ihr macht, bringt ja überhaupt nichts, und die anderen sagen, was ihr tut, macht die Bundesrepublik zu einer Festung und führt zu keinem Asylverfahren mehr.
Keine der beiden Behauptungen kann wohl zutreffen; wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte.
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Herr Kollege Hirsch, ich war etwas enttäuscht über Ihre sehr pauschale Darstellung, die begann: egal, ob dieses geschieht, egal, ob jenes geschieht. Sie wissen genausogut wie ich, daß etwas mehr als 90 % aller Asylbewerber bei uns im Inland auftauchen und sich melden, nicht an der Grenze. Wenn sie bei der zukünftigen Regelung aus einem sicheren Drittstaat kommen und wir nicht wissen, durch welchen Staat sie zu uns gekommen sind, erhalten sie ein Verfahren, auch ein Gerichtsverfahren. Genauso ist es; sie werden eben nicht einfach zurückgeschickt. Wenn klar ist, aus welchem Drittstaat sie kommen, können sie zurückgeschickt werden.
Wir Sozialdemokraten meinen: In den wenigen zweifelhaften Fällen, auf die Sie zurückgekommen sind, muß der Rechtsweg durch das Verwaltungsgericht gesichert werden. Deswegen unser Antrag, den wir in zweiter Lesung stellen.
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Selbst wenn dies nicht Gesetz wird, sage ich immer noch: Letzter Rettungsanker ist nach dem geltenden Recht das Verfassungsgericht. Wir halten es zwar nicht für gut, daß das Bundesverfassungsgericht quasi als Verwaltungsgericht denaturiert wird,
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aber wir gehen davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht schon die erforderlichen Maßnahmen treffen wird, wenn das hundertste Verfahren bei ihm gelandet ist.
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Herr Kollege Dr. de With, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lüder?
Bitte schön, Herr Kollege Lüder.
Bitte, Kollege Lüder.
Herr Kollege de With, wegen der Klarheit der Debatte frage ich Sie: Wie wird Ihr Abstimmungsverhalten sein, falls der Antrag zu § 34 a, auf den Sie sich eben maßgeblich gestützt haben, abgelehnt wird?
Ich werde dem gleichwohl zustimmen, weil nicht nur nach der Rechtsprechung, sondern auch nach dem, was alle Parteien in den Verhandlungen übereinstimmend notifiziert haben, immer noch das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann und dieses sofort das Verfahren anhalten wird - mit der Folge, daß es einen Abschiebungsstopp gibt, wenn Gefahr für Leib oder Leben droht.
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Die Beratungen haben, wie Sie wissen, ihre Zeit gedauert. Die neuen Regelungen sind in der Tat zum Teil recht kompliziert ausgefallen. Nur: Wir konnten dabei erreichen, daß erstens keinem Asylbewerber im abgekürzten Verfahren eine mögliche positive Entscheidung durch Fristablauf genommen und er damit rechtlos gestellt wird; daß zweitens die erwähnte Vermutensregelung bei sicheren Herkunftsländern durch den Asylbewerber dann durchbrochen wird, wenn er stichhaltige Gegengründe - eben daß er entgegen der Vermutung verfolgt wird - geltend machen kann; daß drittens die sogenannte Polenregelung schon vorliegt und nicht in den Sternen steht und eben nicht zu Lasten der Asylbewerber und der Polen erfolgt ist, sondern - darauf ist schon hingewiesen worden - beispielhaft für Europa ein erstes wirkliches burden-sharing bringt;
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und daß viertens die Erklärung der Bundesregierung für den abzuschließenden Vertrag mit der Tschechischen Republik dem entspricht - manche sagen: spiegelbildlich -, was mit dem Polenvertrag ausgehandelt wurde, wobei anzumerken ist, daß bis zum Inkraftsetzen des Vertrages eben keiner einfach zurückgeschickt werden kann, weil die Rücknahmeverpflichtung ja noch nicht besteht.
In diesem Zusammenhang sind in der Öffentlichkeit und auch hier zwei Verfahren umstritten: die Flughafenregelung und der Ausschluß des Abschiebestopps beim drohenden Abschieben in einen sicheren Drittstaat.
Es ist richig, daß eine Flughafenregelung bei der Parteivereinbarung vom 6. Dezember letzten Jahres nicht vorgesehen war. Sie war ganz einfach deswegen nicht vorgesehen, weil wir Sozialdemokraten uns dagegen mit Nachdruck gewehrt haben; denn diese Regelung enthielt Bestimmungen, die für uns überhaupt nicht akzeptabel waren. Die jetzige Flughafenregelung enthält dagegen solche rechtsstaatlichen Mängel nicht mehr. Sie ist dringend geboten, da inzwischen Schlepper - wir wissen das - mehr und mehr dazu übergehen, die Einreise aus sicheren
Herkunftsländern per Flugzeug über die Flughäfen zu organisieren.
Was wird in Zukunft am Flughafen geschehen? Herr Hirsch hat das ja so drohend an die Wand gemalt. Wenn jemand bei der Paßkontrolle sagt, er bitte um Asyl, wird ihm das Passieren der Paßschleuse und damit die Einreise verweigert, aber nur dann, wenn er aus einem sicheren Herkunftsland kommt oder keine Papiere oder unvollständige Papiere vorweist. Alle anderen Asylbewerber können einreisen. Dem so aufgehaltenen Asylbewerber ist unverzüglich rechtliches Gehör zu gewähren und unverzüglich Gelegenheit zu geben, sich Rechtsrat zu holen. Ihm ist die Einreise zu gewähren, wenn - und jetzt zähle ich auf - eine Unterbringungsmöglichkeit auf dem Flughafen, z. B. wegen Überfüllung, nicht möglich ist, das Bundesamt nicht binnen zwei Tagen über den Asylantrag entschieden hat, das Verwaltungsgericht nicht binnen 14 Tagen eine Entscheidung gefällt hat, das Bundesamt mitteilt, daß es nicht kurzfristig entscheiden kann, oder dem Asylantrag stattgegeben wird. In allen diesen Fällen kann er herein.
Solange der Schwebezustand anhält, kann der Asylbewerber überall hinreisen, . nur nicht nach Deutschland. Und: Jedem stehen die Möglichkeit der Rechtsberatung sowie ein rechtsstaatliches Verwaltungs- und ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren zu, wenn auch - das gebe ich zu - in verkürzter Form. Kann das alles nicht gewährt werden, wird der Bewerber - wie gesagt - nicht zurückgeschickt; er kann einreisen.
Natürlich kann man über ein so verkürztes Verfahren die Nase rümpfen. Aber ein langes, umständliches Verfahren dient weder dem wirklich Verfolgten noch dem Wirtschaftsflüchtling.
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Ich füge hinzu: Es stößt auf Unverständnis bei unseren Bürgerinnen und Bürgern, auf die wir ja wohl auch noch Rücksicht zu nehmen haben.
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Nicht zu unserer Befriedigung geregelt ist - das haben wir bereits gehört - die Frage des Abschiebestopps bei der Drittstaatenregelung. Hier darf noch hinzugefügt werden: Die Altfälle fallen darunter übrigens überhaupt nicht. Und ich sage es noch einmal, weil es immer wieder mißverstanden wird: Jeder neue Fall kann nach wie vor zum Bundesverfassungsgericht gebracht werden, das die rechtswidrige Abschiebung - wenn es sich auch nur um wenige Fälle handeln wird - jederzeit stoppen kann.
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- Ja, Herr Reuschenbach, so ist es.
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Dazu gibt es einen Präzedenzfall auf Grund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April dieses Jahres.
Daß jedoch jedweder Abschiebestopp durch die normalen Verwaltungsgerichte ausgeschlossen werden soll - ich sage es noch einmal -, erscheint weder durch den neuen Art. 16 a des Grundgesetzes gedeckt, noch besteht Grund zu der Annahme, daß das Bundesverfassungsgericht das einfach hinnehmen wird. Deswegen unser Änderungsantrag, dem ich zu folgen bitte.
Es gab und gibt - ich komme zum Schluß - bei der Bewältigung der Asylproblematik verständlicherweise viele Emotionen. Das geht ja auch ans Herz. Und keineswegs hat der gespannt wartende Bürger immer die zutreffenden Informationen erhalten. Und natürlich handelt es sich um einen mühsam in stundenlangen Sitzungen erworbenen Kompromiß, und er kam auch etwas spät. Aber immerhin: Am 1. Juli tritt zum erstenmal eine wirklich tiefgreifende, jedoch, wie ich meine, tragbare Änderung des Asylrechts in Kraft mit der Möglichkeit, daß eine echte Besserung eintritt. Gleichzeitig wurde ein Anstoß in und für Europa gegeben. Ich füge hinzu: Wenn schon Maastricht, wenn schon europäische Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet, dann hoffentlich bald mehr Zusammenarbeit auch im humanen oder humanitären Bereich.
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Bei aller Abwägung: Wir konnten nicht länger warten. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
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Ich erteile jetzt zunächst unserem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch zu einer Intervention nach § 27 Abs. 2 das Wort.
Herr Präsident, ich melde mich nur, weil ich gezielt angesprochen worden bin.
Herr Kollege de With, ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, es ist ja tatsächlich so, daß jemand, der aus irgend einem unserer Nachbarländer kommt, ohne jedes weitere Verfahren, ohne Rechtsschutz dorthin zurückgeschickt werden kann, ganz egal, aus welchem Grund er in die Bundesrepublik gekommen ist. Wenn Sie sagen, er kriegt ja ein Verfahren, wenn wir nicht wissen, aus welchem Land er kommt, dann sage ich Ihnen: Genau das ist die Anwaltsschläue, ein Schlupfloch zu suchen, das heißt nämlich, demjenigen, der ein Verfahren haben will, zu raten: Du mußt deine Reisepapiere vernichten, dann geht es dir etwas besser. - Das ist kein Rechtssystem, dem man folgen kann.
Und, Herr Zeitlmann, wie sind die Alternativen? Erstens Beschleunigung des Verfahrens, wie wir das mit dem letzten Gesetz gemacht haben - es werden heute mehr Entscheidungen in Zirndorf getroffen, als Flüchtlinge kommen -; zweitens Vereinbarungen über eine inhaltliche Gemeinsamkeit der Asylrechte, die zu einer gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen führen; drittens eine Regelung, wie der Flüchtlingskommissar sie vorschlägt, nämlich dem Flüchtling die Gelegenheit geben, eine gegen ihn
sprechende Vermutung zu widerlegen. Dann hätten Sie ein System, von dem man wohl annehmen muß, daß es der Verfassung und der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht und einigermaßen akzeptabel ist.
Daß Sie es nicht haben wollen, steht auf einem anderen Blatt.
Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dieter-Julius Cronenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, daß die Debatte im Bundestag - auf Ausnahmen komme ich noch zu sprechen - in Inhalt, Ton und Form der Bedeutung des Themas entspricht und mit der nötigen Sachlichkeit geführt wird, was der gerade geführte Dialog bewiesen hat.
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Dabei denke ich aber nicht - und das ist die Ausnahme - an die Ausführungen der PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke. Ich möchte in diesem Zusammenhang folgendes feststellen:
Wenn Frau Jelpke die Mehrheit des Hauses in die Nähe von Rechtsradikalen rückt, sie sozusagen der Kumpanei mit den Rechtsradikalen bezichtigt, dann halte ich das - und ich sage das mit allem Ernst - für eine unverschämte Flegelei.
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Da sie weiß, daß sie die Unwahrheit spricht, wird es ihr ja nicht schwerfallen, sich zu entschuldigen und das zurückzunehmen.
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Im übrigen möchte ich die Abgeordnete Jelpke daran erinnern, daß wir uns gewisse sinnvolle Regelungen gegeben haben. In denen wurde festgelegt, daß Plakate, Transparente, Aufkleber außerhalb der Büros des Bundestages nichts zu suchen haben. Ich wäre froh, wenn auch Sie, meine Damen der PDS, sich danach richten würden.
So ruhig und sachlich alles in allem die Debatte im Hause verläuft, so schlimm sind die Vorgänge auf der Straße vor und zum Teil sogar in der Bannmeile. Das ist, so meine ich, ein unakzeptabler Angriff auf unsere Entscheidungsfreiheit.
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Den Chaoten, die sich dort austoben, geht es nicht um das Recht, auch nicht um das Asylrecht, sondern um die Mißachtung des Rechts und die Zerstörung unserer demokratischen Ordnung.
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Ich meine dabei - damit kein Mißverständnis entsteht - nicht jenen friedvollen Teil der Demonstranten.
Dieter-Julius Cronenberg ({5})
Meine Damen und Herren, welche Ironie liegt in den gedruckten Postkarten, die ich erhielt, in denen es heißt: Möchten Sie in einem Land leben, wo das Gesetz der Straße gilt? Die Absender dieser Karten und die, die da draußen solchen Unsinn praktizieren, diktieren in Wahrheit das Gesetz der Straße. Aber niemand sollte sich davon beeindrucken lassen.
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- Niemand sollte sich beeindrucken lassen, Kollege Reuschenbach, auch nicht von jenen realitätsfernen und möglicherweise blauäugigen Utopisten, die einen Gottesdienst mißbrauchen, die glauben, den Herrgott für sich und ihre Meinung gepachtet zu haben.
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Ich möchte mir in aller Form verbitten, daß dort so verfahren wird. Wenn diese Gottesdiener glauben, für mich beten zu müssen, dann sollen sie das tun, aber an den dafür bestimmten Orten,
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sollen aber nicht böswilligen Chaoten einen Schutzschild liefern.
Kolleginnen und Kollegen, gleich, wie Sie sich entscheiden werden, ich weiß, daß viele es sich verdammt schwer- und nicht leichtgemacht haben. Das trifft ganz bestimmt auch auf die Kollegin Frau Schmalz-Jacobsen zu. Deswegen war es nötig und richtig, daß Michael Glos in einer Intervention festgestellt hat, seine Bemerkung an die Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen sei ein allgemeiner Appell, den Vorlagen zuzustimmen, und habe keinen Zusammenhang mit dem Amt der Ausländerbeauftragten.
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Das ist um so richtiger und notwendiger, als die Ausländerbeauftragte nicht für die Asylbewerber zuständig ist.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werde den Vorlagen zustimmen, und zwar nach reiflicher Überlegung. Auch mir ist das nicht leichtgefallen. Aber ich wünsche mir, nein, ich bin sicher, daß anschließend alle, die bei der Änderung des Grundgesetzes mit Ja, und alle, die mit Nein gestimmt haben, sich für das dann geänderte Grundgesetz so engagiert einsetzen, wie es bisher der Fall war. Dafür möchte ich mich bedanken.
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Unsere Frau Kollegin Dr. Ursula Fischer erhält jetzt das Wort
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Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Durch das griechische Wort „ásylon" wurde in der Antike ein Zufluchtsort für Verfolgte bezeichnet, eine Stätte, die dem Menschen Schutz gewährte. Die im Bundestag und in
der Bundesrepublik seit über einem Jahr stattfindende Debatte zum Asylrecht offenbart, wie weit sich dieses Land von humanistischen Idealen entfernt hat. Die faktische Abschaffung von Art. 16 - der Verzicht auf das einklagbare individuelle Recht auf Asyl - soll das sogenannte Asylproblem auf dem verhängnisvollen Weg der Definition lösen: Zwar soll es das Asylrecht weiterhin geben, nicht aber die Flüchtlinge, die es in Anspruch nehmen könnten.
Mich als entwicklungspolitische Sprecherin der PDS/Linke Liste beunruhigt am meisten, daß die Debatte fast ausschließlich unter innenpolitischen und marktwirtschaftlichen Überlegungen geführt wird.
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Schlagworte wie Beschleunigung des Asylverfahrens, staatlich regulierte Einwanderungspolitik, Quotenregelung, Abschiebung von Asylbewerbern, Mißbrauch des Asylrechts und andere belegen das unmißverständlich. Die globale Sicht und unsere solidarische Haltung bleiben gänzlich auf der Strecke. Wohlstandsegoismus, Gleichgültigkeit gegenüber in Not Lebenden in der sogenannten Dritten Welt, staatlich geschürter Rassismus bestimmen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, leider oft die Sichtweise in diesem Haus.
Meine Damen und Herren, ich bin natürlich für die Beibehaltung des Grundrechts, das politisch Verfolgten in Deutschland Asyl gewährt.
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Die Bundesrepublik kann und darf ihre Verantwortung angesichts der heutigen Welt aber nicht darauf beschränken, denn: erstens sind heute unvergleichlich mehr Menschen existentiell durch Unterentwicklung und Hunger bedroht als durch politische Verfolgung. Über eine Milliarde Menschen werden durch Massenhunger und Not verfolgt. Einigen wenigen gelingt die Flucht zu uns. Wir verweigern ihnen hier den Schutz, da sie ja nicht politisch verfolgt sind, sondern „nur" durch die Not hierher getrieben worden sind.
Zweitens bleibt unverständlich, daß sich CDU/CSU, F.D.P. und SPD in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf ausschließlich auf die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse beschränken, um feststellen zu können, ob - ich zitiere - „eine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet" .
Warum blendet man gerade die wirtschaftlichen und insbesondere die weltwirtschaftlichen Verhältnisse aus, die dazu führen, daß Menschen millionenfach unmenschlich behandelt, erniedrigt und bestraft werden? Sie haben kaum eine Chance, aus dieser schier ausweglosen Lage herauszukommen.
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Obwohl sie nicht politisch Verfolgte im klassischen Sinne sind, kann nicht bestritten werden, daß es gesellschaftliche und politische Verhältnisse im Süden, vor allem aber im Norden - also auch in DeutschDr. Ursula Fischer
land - sind, die sie ins Abseits bzw. auf den Fluchtweg gedrängt haben.
Meine Damen und Herren, die heute anstehende Grundgesetzänderung läuft darauf hinaus, die „Festung Europa", insbesondere aber den vermeintlichen „Festsaal Deutschland", so auszubauen, daß Flüchtlinge aus den Kriegs- und Krisenländern nicht mehr aufgenommen werden müssen und daß somit der erreichte wirtschaftliche Wohlstand mit diesen Menschen nicht geteilt werden muß.
Hören Sie mit dem Mißbrauch Ihrer ökonomischen und politischen Macht auf, und der sogenannte Mißbrauch des Asylrechts wird aufhören; denn die Asylbewerber werden ihr Leben dann in ihren Heimatländern selbst gestalten wollen und es im übrigen auch können, wenn man sie läßt.
Frau Kollegin Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kleinert?
Aber natürlich.
Bitte, Kollege Kleinert.
Frau Kollegin, beruhen Ihre Ausführungen auf Ihren humanitären Erfahrungen in der früheren DDR, oder ist es das erklärte Ziel der verbliebenen links versprengten Gruppen, in diesem Staat durch unkontrollierbare Zustände für Unruhe zu sorgen, um dann in der selbsterzeugten Trübnis im Trüben fischen zu können?
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Sehr geehrter Herr Kollege Kleinert, ich bedanke mich nachdrücklich für diese Frage, die Sie mir gestellt haben. Ich vermute allerdings, daß dies nicht ein Angriff auf meine Persönlichkeit gewesen ist, sondern ein sehr allgemeiner Angriff auf meine Partei.
Sie kennen mein Leben, das ich in der DDR geführt habe, nicht. Ich bin aber eine der wenigen hier im Haus, die z. B. in der Dritten Welt gearbeitet haben, und zwar zwei Jahre als Kinderärztin.
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- Wie bitte? Bitte stellen Sie sich doch an das Mikrophon, und stellen Sie mir die nächste Zwischenfrage. Zuerst will ich aber Herrn Kleinert seine Frage beantworten. Ich beantworte hier gern alle Fragen.
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Herr Kleinert, ich finde das ziemlich unverschämt. Ich sage Ihnen nur eines: Es wäre mir in der Wende sehr leicht gewesen - und man hätte sehr viel Verständnis dafür gehabt -, wenn ich damals z. B. Sprecherin des Neuen Forums oder einer anderen Organisation geworden wäre. Dies wäre mir sehr
leicht möglich gewesen. Ich habe es mir aber nicht so leicht gemacht.
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Deswegen sage ich Ihnen auch folgendes: Ich habe in der DDR Erfahrungen gemacht, die Sie leider nicht machen konnten. Deshalb vielleicht habe ich besonders viel Verständnis für Asylbewerber sowie für die ganze Problematik Asyl und Flüchtlinge. Vielleicht nehmen Sie das hier zur Kenntnis.
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Meine Damen und Herren, ich setze meine Ausführungen fort. Drittens. Welche menschenrechtlichen Motive rechtfertigen die Begründung der drei Fraktionen, daß politisch Verfolgten weiterhin Schutz und Zuflucht gewährt wird - was ich nachdrücklich unterstütze -, während Ausländern, die - ich zitiere - „aus wirtschaftlichen und anderen nicht durchgreifenden Gründen" nach Deutschland kommen, dieser Schutz verweigert wird?
Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren, daß man hierzulande im Falle von politischer Verfolgung anderswo sofort hellhörig wird und die Einhaltung der Menschenrechte einfordert. Wenn aber das Leben von Zighundertmillionen von Erdenbürgern durch Hunger, durch den Entzug des elementarsten Menschenrechts bedroht ist, wird diese Schutzfunktion in Frage gestellt. Für diese Doppelmoral habe ich keinerlei Verständnis.
Besonders weh tut mir das Verhalten einiger Abgeordneter der SPD. Offensichtlich können oder wollen sie sich nicht der parteiinternen Debatte entziehen, die Heribert Prantl gestern in der „Süddeutschen Zeitung" sehr treffend als einen „Fall für das Lehrbuch der Parteipsychiatrie" charakterisiert hat. Das einschlägige Kapitel, so nochmals die „Süddeutsche Zeitung", trägt den Titel: „Wie man alles hergibt und nichts dafür erhält".
Solange politisch Verfolgte Asyl genießen, jenen aber, die durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik in äußerste Not geraten sind und Zuflucht bei uns suchen, das Bleibe- und Schutzrecht vorenthalten wird, bleibt für mich diese Asyldebatte ohnehin eine Farce und die Grundgesetzänderung ein verhängnisvoller Schritt der Abschottung. Das erscheint mir weder sozial oder human noch entwicklungs- und sicherheitspolitisch vertretbar.
Meine Damen und Herren, ich lehne wie die PDS/ Linke Liste die vorliegenden Anträge zur Änderung des Grundgesetzes ab.
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Ich fordere besonders die Abgeordneten von der SPD
auf, sich dieser Ablehnung anzuschließen. Ich
bedanke mich hier nachdrücklich für die sehr sachlichen Feststellungen des Kollegen Hirsch.
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Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Wolfgang Ullmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland hat es abgelehnt, Ausrichter der großen Menschenrechtskonferenz in diesem Sommer zu werden.
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Was uns jetzt passiert ist, war zu erwarten. Die Sache der Menschenrechte holt uns ein, und wir sind in einer Menschenrechtsdebatte in der zugespitztesten Form, denn es geht heute um das Menschenrecht der Flüchtlinge. Es geht um das Menschenrecht dessen, der auf die Solidarität aller Menschen in den verschiedensten Ländern der Erde angewiesen ist. Es geht um das Menschenrecht dessen, der so lange hilflos ist, wie ihm nicht von allen geholfen wird.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind für ihn keine Hilfe. Sie sind kein Beitrag zur Ausgestaltung unseres deutschen Rechtes im Sinne von Art. 14 der Menschenrechtscharta der UN. Sie sind kein Beitrag zur Formulierung eines europäischen Asylrechtes; denn nichts steht in ihnen über das Verhältnis des individuellen Asylrechtes zur Flüchtlingsdefinition der Genfer Konvention. Darum sind sie auch kein Beitrag zur Anwendung der europäischen Menschenrechtskonvention auf unsere ganz neue Situation offener Grenzen und weltweiter Migrationen.
Im Gegenteil, diese Gesetze sind ein hochbedenklicher Präzedenzfall der Aushöhlung eines Grundrechtes durch Blockade seiner Anwendung. Sie sind verfassungswidriges Verfassungsrecht, Vermischung von Verfassungsrecht und einfacher Gesetzgebung, ja sie vermischen einfache Gesetzgebung und Ausführungsbestimmungen.
Sie sind vor allem - und das ist mir das Entscheidende - kein Beitrag zur Lösung der wirklichen Probleme unter Bedingungen, wo in den Abschiebehaftanstalten, wie alle Welt weiß, unmenschliche Zustände herrschen, wo Selbstmordgefahr und Selbstverstümmelung an der Tagesordnung sind, wo an der ostsächsischen Grenze Chinesen aufgegriffen werden und wo im Kreis Zittau unter solchen Bedingungen schierer Willkür natürlich die Kriminalitätsrate um fast 300 % gewachsen ist.
({1})
Was in aller Welt, meine Damen und Herren, soll es da helfen, die letzten Barrieren der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtswegegarantie auch noch zu beseitigen? Die Willkür kann nur noch größer werden.
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Was habe ich an pathetischen Sprüchen in der Gemeinsamen Verfassungskommission dazu hören müssen: Um dem Staat seine Grenzen zu zeigen, ihn davor zu bewahren, sich selbst zu überheben, sich absolut zu setzen, darum müsse ihm so etwas wie Transzendenz, eine Chiffre des Absoluten und was nicht alles gegenübergesetzt werden.
Aber was tun Sie jetzt? Gerade dort, wo das Grundgesetz wegen unseres gemeinsamen Bekenntnisses zu unveräußerlichen Menschenrechten eine Grenze zieht, wo es ein unveräußerliches individuelles Grundrecht auf Asyl festlegt, da hindert keine Transzendenz, keine Chiffre, kein Absolutum daran, diese Grenze nicht zu respektieren, das Asylrecht in ein Abschieberecht zu degradieren, ja zu pervertieren. Nichts hat Sie daran gehindert. Ja, Kollege Schäuble hat sich sogar in die Reihe der Amateurtheologen begeben
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und gemeint feststellen zu müssen, daß diejenigen, die einen Gottesdienst halten, Gotteslästerung begehen. Ich wollte zu diesem Gottesdienst gehen, bin allerdings mit Gewalt daran gehindert worden.
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Ich bin befremdet, daß Veranstalter dieses Gottesdienstes immer noch festgenommen sind.
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Ich möchte diejenigen, die hier Amateurtheologie betreiben, daran erinnern, daß die Tradition, auf die sie sich berufen, nicht danach fragt, wer wann wo in welche Kirche gegangen ist, sondern danach, was er einem der Geringsten seiner Brüder oder Schwestern getan hat. Es ist die Tradition dessen, der gesagt hat: Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich aufgenommen.
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Deswegen, meine Damen und Herren, wird auf dem Evangelischen Kirchentag in München darüber zu reden sein,
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was es denn für Christen bedeutet, daß es in unserem Land jetzt Gesetze gibt, sogar einen Teil der Verfassung, der diesem Grundprinzip christlicher Ethik radikal und diametral widerspricht. Darüber werden wir reden; übrigens in der Zuversicht, daß wir diese Gesetze in Kürze alle neu schreiben müssen. Sie werden von denjenigen geschrieben werden, die von der Sache wirklich etwas verstehen, von Ausländerbeauftragten, von Ausländern selbst,
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von Vertretern internationaler Menschenrechtsorganisationen und nicht von den Leuten, die bloß einen Parteikompromiß basteln wollen.
Herr Kollege Ullmann, es gibt noch zwei Wünsche für Fragen. Wollen Sie die noch erfüllen?
Ja.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Ullmann, stimmen Sie mit mir wenigstens darin überein, daß die Umstellung der Hilfe von Geld- auf Sachmittel, Naturalien, mit der Bibel übereinstimmt?
Das stimmt meines Erachtens überhaupt nicht mit ihr überein, weil der Übergang von Geld- zu Sachleistungen etwas Degradierendes und Diskriminierendes hat.
Eine Zwischenfrage unseres Kollegen Otto Schily noch. Bitte.
Herr Kollege Ullmann, ich will jetzt nicht den Vorwurf von Ihnen auf mich ziehen, Amateurtheologe zu sein. Aber glauben Sie nicht, daß der Religionsstifter, von dem Sie eben gesprochen haben, dafür plädiert hat, daß wir Barmherzigkeit aus uns heraus und nicht durch ein einklagbares Recht üben?
({0})
Das ist sicherlich richtig, weil Jesus nicht an unseren Debatten teilgenommen hat.
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Lieber Herr Schily, daß wir ein einklagbares Individualrecht haben, ist eine unter den jetzigen gesellschaftlichen Bedingungen notwendige Konsequenz seiner Botschaft.
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Nächster Redner ist jetzt unser Kollege Norbert Geis.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion steht nicht im Verdacht, sie würde bei jeder Gelegenheit versuchen, wenn es in die politische Landschaft paßt, das Grundgesetz zu ändern.
({0})
Wir bekommen in der Verfassungskommission sogar den gegenteiligen Vorwurf. Aber in der Frage des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes haben wir schon lange die Forderung aufgestellt, daß das Grundgesetz geändert werden muß, weil wir diese Normierung für eine Fehlkonstruktion halten.
({1})
Sie ist deshalb eine Fehlkonstruktion, weil über das
Asylrecht, das Grundrecht auf Asyl, das angesichts der
Verfassungen aller Länder einmalig ist, diejenigen zu
uns hereinkommen können, die sich auf dieses Recht überhaupt nicht berufen können. Das heißt, diese grundgesetzliche Norm ist Anlaß für einen massenhaften Mißbrauch unserer Verfassung. Diesen massenhaften Mißbrauch unserer Verfassung dürfen wir im Interesse der Verfassung nicht länger hinnehmen. Jeder Staat, jede Regierung, jedes Parlament macht sich am Schluß selbst des Verfassungsbruchs schuldig, wenn es nicht bereit ist, dort, wo pausenlos Mißbrauch getrieben wird, Einhalt zu gebieten. Deshalb müssen wir das Grundgesetz ändern.
Wir kennen doch die Zahlen. Wir wissen, daß monatlich 40 000 Asylbewerber in unser Land strömen -jedesmal eine Stadt mittlerer Größe - und bei uns Bleiberecht haben wollen, Unterkunft suchen. Es braucht gar keine großen mathematischen Kenntnisse, um zu wissen und zu erkennen, daß dies irgendwann zur Katastrophe, zu einer Überfremdung unserer eigenen Bevölkerung führen muß.
({2})
- Dieses Wort habe ich nicht gebraucht. - Ich wiederhole: zur Überfremdung unserer eigenen Bevölkerung.
({3})
- Lieber Herr, seien Sie nicht so aufgeregt und hören Sie erst einmal zu! Ich weise dies entschieden zurück.
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Es ist doch einfach eine Frage der Vernunft, zu erkennen, daß dies, wenn dies so weitergeht, wenn wir keine Änderung herbeiführen, natürlich -
Herr Kollege Reuschenbach, ich bitte jetzt wirklich um Ruhe!
Bitte, Herr Kollege Geis.
Es ist doch überhaupt nicht zu verkennen, daß es dann, wenn es so weitergeht - daraus brauchen wir doch überhaupt keine große Szene zu machen, jeder kann sich das an den fünf Fingern abzählen -, wenn wir nicht den Riegel vorschieben, natürlich zu einer Überfremdung unserer Bevölkerung führen wird. Kein Volk wird eine Überfremdung ohne Konflikt hinnehmen, es kann es gar nicht hinnehmen. Warum nicht? Deshalb nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil jedes Volk seine eigene Art zu leben und das Recht darauf hat. Das ist ein Naturrecht jedes Volkes.
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Dieses Miteinander-vertraut-Sein gerät - wenn wir ständig, wo auch immer, fremden Menschen begegnen - doch in Gefahr; das müssen wir doch erkennen. Deshalb hat unsere Bevölkerung doch Furcht.
Es ist doch klar, warum unsere Bevölkerung Angst hat. Unsere Bevölkerung hat Angst, daß sie eines Tages nicht mehr in dem Deutschland lebt, in dem sie gern leben will. Jedes Volk muß aber doch das Recht haben, in dem Land zu leben, in dem es gern leben
will. Deswegen haben wir das Selbstbestimmungsrecht. Was ist denn daran verkehrt? Wie können wir unserem Volk daraus einen Vorwurf machen?
Es wird uns vorgeworfen, wir seien ausländerfeindlich.
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- Lassen Sie es mich in Ruhe ausführen.
Uns wird Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen. Wir haben gerade eine schmerzliche Trennung über 40 Jahre hinter uns.
({2})
Man muß uns zubilligen, daß wir nach dem schwierigen Prozeß der Einigung erst einmal zu unserer eigenen Indentität finden können. Dies mag durchaus auch dafür ein Motiv in unserer Bevölkerung sein, daß wir natürlich erst einmal zusammenfinden müssen, bevor wir die tägliche Aufgabe der Integration von vielen neuen Bevölkerungsgruppen aus allen Himmelsrichtungen auf uns nehmen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige sagen, dies alles sei nicht von so großer Bedeutung, weil wir doch auf eine multikulturelle Gesellschaft zustreben würden. Jede Kultur kann sich aber nur in einer Gemeinsamkeit entwickeln. Wo Menschen gemeinsam miteinander leben, wo sie sich austauschen und wo sie Miteinander-vertraut-Sein ausbilden können, entsteht Kultur. Wenn dies aber elementar gestört wird - nicht durch Minderheiten, sondern durch eine wirklich elementare Überfremdung, die durch einen ständig neuen und nicht endenden Zustrom von Asylbewerbern tatsächlich zu befürchten ist -, dann werden wir überhaupt keine Kultur entwickeln können, dann kann kein Volk eine Kultur entwickeln. Deswegen ist dieses Gerede von der multikulturellen Gesellschaft wirklichkeitsfremd.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige sagen, Volk, Staat, eigene Kultur seien Vorstellungen aus dem letzten Jahrhundert. Man marschiere auf eine große Weltordnung zu, mit einer gemeinsamen großen Kultur, womöglich noch mit einer großen Weltregierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist irreal. Die Menschen werden sich immer voneinander unterscheiden. Sie werden in ihrer Unterscheidung immer versuchen, dennoch in Gemeinschaften miteinander zu leben und in Volksgemeinschaften zueinander zu finden, ihre Identität zu finden sowie ihr Selbstbestimmungsrecht geltend zu machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist ein Ausfluß und eine Forderung des Selbstbestimmungsrechtes, daß wir uns darüber Gedanken machen, wie wir Art. 16 Grundgesetz so aufbauen und so konstruieren, daß nicht eine Überfremdung unserer eigenen Bevölkerung tatsächlich Platz greift.
Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ullmann?
Ich lasse keine Zwischenfrage zu.
({0})
Herr Ullmann, Sie wissen, daß ich Zwischenfragen pausenlos zulasse, in dieser Frage aber nicht. Lassen Sie mich in aller Ruhe meine Ausführungen machen.
({1})
- Ich will Herrn Ullmann überhaupt nicht übersehen.
Sie haben vorhin vorgetragen, daß es natürlich eine Christenpflicht ist,
({2})
dem Gast Gastrecht zu gewähren und den Fremden aufzunehmen. Ich will nicht verschweigen, daß eine Spannung zwischen dieser Christenpflicht auf der einen Seite und dem Versuch auf der anderen Seite entsteht, das Asylgrundrecht so zu ändern, daß wir es handhaben und mit den anderen Völkern gleichgestellt werden können.
Ich will das gar nicht verschweigen. Aber was wollen wir denn mit der Änderung des Grundgesetzes erreichen, nicht nur wir, die CDU/CSU, sondern auch der Großteil der SPD? Wir wollen erreichen, daß wir Stabilität und Frieden im eigenen Land auch in Zukunft gewährleisten können. Deswegen ändern wir doch das Grundgesetz. Wir ändern es doch nicht, um uns gegen Fremde abzuschotten, sondern weil für uns Stabilität und Friede in unserem eigenen Land ein hoher Wert sind, und das ist ebenfalls ein christlicher Wert.
({3})
In dieser Abwägung, meine ich, sollten wir uns nicht so sehr auf eine Gesinnungsethik verlassen, die in der Wirklichkeit keinen Boden unter den Füßen bekommt. Ich glaube also, daß diese Spannung wohl da ist; aber ich glaube nicht, daß der, der heute abend für eine Änderung des Grundgesetzes stimmt, sich gegen elementare christliche Grundregeln verhält.
({4})
Noch ein letztes: Wir haben natürlich die Aufgabe, die Flüchtlingsströme und die Ursache der Flüchtlingsströme an ihren Quellen zu bekämpfen. Aber wir können dies nicht - darauf weise ich ebenfalls hin - als Deutsche allein tun, sondern wir können es nur im Zusammenhang mit allen europäischen Ländern oder den westlichen Industriestaaten tun. Die Entwicklungshilfe ist eine zentrale Aufgabe unserer Politik, aber nicht nur unserer Politik, sondern der Politik der ganzen freien Welt. Es ist richtig: Die Menschen kommen zu uns, weil sie nicht das tägliche Brot zum Leben haben. Wir müssen etwas dafür tun, daß wir diesen Menschen die Not nehmen. Auch dies ist nicht allein unsere Aufgabe, sondern Aufgabe der gesamten freien Welt.
Wir müssen natürlich auch etwas unternehmen, um die Unterdrückung in den verschiedenen Ländern zu beseitigen, aber doch niemals durch eine kriegerische Intervention, wie das gesagt wird, sondern durch den
Norbert Gets
Versuch - vielleicht ist das eine vornehmliche Aufgabe unserer Außenpolitik -, dabei mitzuhelfen, daß in diesen Ländern Verfassungen entstehen, in denen das Recht des einzelnen auf Leben und auf Würde gewahrt bleibt. Das ist eine vornehmliche Aufgabe unserer Politik. Der verschreiben wir uns doch schon seit 40 Jahren.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen uns von dem Gedanken freimachen, daß wir die Not der Welt bei uns lösen können.
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Wir können die Not der Welt nicht hier in Deutschland lösen. Aber Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt dies, strenggenommen, von uns. Dies war eine großartige, noble Geste der Väter und Mütter unserer Verfassung; wir wollen es nicht verschweigen. Es war ein großartiges Versprechen, das diese Männer und Frauen damals abgegeben haben. Aber dieses Versprechen können wir in dieser Form nicht einhalten, kein Volk auf der Welt kann es einhalten. Deswegen müssen wir eine praktikable Lösung finden, und wir sind auf dem besten Weg dazu.
Allen, die dabei mitgeholfen haben, vor allen Dingen auch den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die vielleicht einen weiteren Weg als wir gegangen sind, danke ich, daß wir heute hoffentlich zu einer Änderung dieses Mißstandes kommen; denn es ist ein Mißstand und nichts anderes.
Danke schön.
({7})
Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Gernot Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Beitrag mit einem Dank beginnen. Es gibt in Deutschland viele Tausend Menschen, die beruflich in kommunalen Einrichtungen oder Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz, der AWO, der Caritas und anderen Einrichtungen oder ehrenamtlich in Asylhelferkreisen oder Bürgerinitiativen als engagierte Anwälte oder als einzelne Bürger Flüchtlingen, die in unser Land kommen, helfen. Sie haben einen schweren Beruf. Sie opfern ihre Freizeit. Sie helfen uneigennützig. Sie lassen sich auf das Einzelschicksal ein. All diese Frauen und Männer, die das tun, sind Botschafter eines nicht fremdenfeindlichen Deutschland. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich Dank und Anerkennung aussprechen.
({0})
Ich tue dies im Namen einer Minderheit in diesem Haus von knapp 100 Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion und einigen anderen Kolleginnen und Kollegen, die für sich ebenso wie die eben angesprochenen Helfer eine klare Priorität gesetzt haben. Wir sind entschlossen, die schweren Lasten zu mindern, die für unsere Gesellschaft durch massenhafte Zuwanderung entstehen. Wir sind aber davon überzeugt, daß es noch wichtiger ist zu verhindern, daß ein Flüchtling, der bei uns Zuflucht vor politischer Verfolgung sucht, weder hier noch anderswo Schutz findet.
Daß diejenigen, die ihre Prioritäten beim Flüchtlingsproblem so setzen, sich heute in der Minderheit befinden, hat zahlreiche Gründe. Hierzu gehören eine von vielen Bürgern der Bundesrepublik als bedrohlich empfundene wirtschaftliche Entwicklung, eine wachsende Arbeitslosigkeit und der von der Bundesregierung zu verantwortende Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Vor allem aber ist es die öffentliche Diskussion, die bewußt und aus politischen Gründen - und mit verhängnisvollen Folgen - auf eine Einschränkung des Asylrechts konzentriert worden ist.
Parallel dazu sind lange Zeit verfahrenstechnische Verbesserungen und Vereinfachungen unzureichend umgesetzt, ja teilweise fahrlässig oder sogar bewußt blockiert worden.
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Der öffentliche Konsens über die Beibehaltung eines liberalen Asylrechts mußte vor diesem Hintergrund Schaden nehmen.
Wenn heute hier eine Minderheit der zur Debatte stehenden Einschränkung des Asylrechts nicht zustimmen kann, dann gibt es dafür schwerwiegende rechtliche und politische Gründe. Die vorgeschlagene Regelung läuft darauf hinaus, daß künftig in Deutschland ein formell aufrechterhaltenes Grundrecht auf Asyl nur noch in besonders gelagerten Fällen wahrgenommen werden kann.
Da alle Nachbarländer zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, gilt jemand, der auf dem Landweg nach Deutschland kommt, per definitionem nicht mehr als politisch Verfolgter im Sinne des Grundgesetzes. Wer dagegen mit einem gültigen Visum einreist oder sich für eine ausreichende Zeit illegal verbirgt - bei einer Einreise über Polen z. B. für sechs Monate -, erhält eine Chance zum Zugang zum deutschen Asylverfahren.
Schon diese Sortierung läßt erkennen: Tatsächlich politisch Verfolgte, die selten über das Privileg eines Visums verfügen oder zu illegalen Aktionen bereit sind, werden es in Zukunft besonders schwer haben, in das deutsche Asylverfahren auch nur einen Zugang zu erhalten.
({2})
Bereits diese Folge des Asylkompromisses ist schwer erträglich.
Schwerer aber noch wiegt, daß Flüchtlinge, die über einen Nachbarstaat nach Deutschland kommen, keine Chance haben sollen, im Einzelfall eine Gefährdung vorzutragen, die sich aus ihrem Rückschub in das „sichere Drittland" ergibt, und daß nicht einmal Gerichte das Recht haben sollen, die Abschiebung dieser Flüchtlinge aufzuhalten. Hier entsteht nachweislich die Gefahr, daß tatsächlich politisch Ver13560
folgte letztlich ihren Verfolgern ausgeliefert werden.
Diese Gefahr läßt sich an den mit Polen vereinbarten Regelungen belegen. In der Polnischen Republik werden große und anerkennenswerte Anstrengungen unternommen, um die Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten. Aber unser Nachbarland ist bisher auf die Bearbeitung einer größeren Zahl von Asylanträgen in keiner Weise vorbereitet.
Das polnische „Amt für Migration und Flüchtlingswesen" beschäftigt bisher 36 Mitarbeiter, davon vier Entscheider.
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Bisher mußte man nie mehr als 1 500 Flüchtlinge unterbringen. Nach dem Regierungsabkommen vom 7. Mai 1993 kann die Bundesrepublik noch in diesem Jahr bis zu 10 000 Personen nach Polen zurückschieben, und ab dem nächsten Jahr gibt es dann keine Obergrenze.
Es ist völlig klar, daß ein Land, das mitten in einer äußerst komplizierten gesellschaftlichen Transformation steckt, das unter einer Zahl von 2,5 Millionen Arbeitslosen und an vier Millionen fehlenden Wohnungen leidet, gar nicht anders kann, als seinerseits den größten Teil der Flüchtlinge weiterzuschieben. Entsprechende Rücknahmeverträge hat Warschau bereits mit der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik sowie mit der Ukraine ausgehandelt; Gespräche laufen mit Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Warum sollte Polen auch nicht dem deutschen Beispiel folgen und seine Lasten durch eine „Sichere-Drittstaaten-Konzeption" mindern?
So entsteht aber ein Kettenschub von Flüchtlingen, bei dem ein tatsächlich politisch Verfolgter unversehens in den Händen seiner Verfolger landen kann; denn immer wieder gibt es - auch der Kollege Schmude hat darauf hingewiesen - besondere Beziehungen eines solchen Transitlandes zum Herkunftsland oder Besonderheiten der örtlichen Asylpraxis, die dem Flüchtling dann zum Verhängnis werden können.
Beispielsweise erkennt Ungarn bis heute im Zuge einer anerkannten Ausnahmeregel keine Flüchtlinge aus außereuropäischen Ländern an. Ein verfolgter Iraker zum Beispiel, dessen Fluchtweg über Budapest und Prag nach Deutschland ging, könnte ohne weiteres zum Opfer des Systems sicherer Drittstaaten werden, ohne daß eines der beteiligten Länder gegen seine internationalen Verpflichtungen verstieße.
Gegen solche Gefahren hilft nur eine Handhabung der Drittstaatenregelung, bei der ein Flüchtling solche besonderen Gefährdungsumstände vortragen kann und eine richterliche Überprüfung der Abschiebung ermöglicht wird.
Solange genau diese Möglichkeit in dem vorliegenden Gesetzespaket nicht enthalten ist, bleibt der Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" ein nicht eingehaltenes Versprechen. Ohne nicht wenigstens die Annahme des vorliegenden Änderungsantrages
der SPD werden die heutigen Beschlüsse das Asylrecht in Deutschland partiell abschaffen, und dazu werden wir unsere Hand nicht reichen.
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Eine weitere ernsthafte Sorge betrifft die politischen Folgen der deutschen Asylrechtsänderung durch die mit ihnen verbundenen bilateralen Abkommen, von denen bisher nur das mit der Republik Polen auf dem Tisch liegt. Es geht dabei um das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der bisherige deutsche Lasten auf unsere östlichen Nachbarn verlagert werden sollen.
Zwar ist vorgesehen, daß Bonn mit 120 Millionen DM Warschau unterstützt - eine interessante Zahl, wenn man sie zu den 35 Milliarden DM in Beziehung setzt, die bei uns angeblich die Jahreskosten zur Bewältigung der Zuwanderung ausmachen
({5})
- ja, dann geben Sie es ja zu -, aber auch eine großzügigere Unterstützung würde nichts daran ändern, daß Polen und Tschechen auf Sicht keine Alternative dazu haben, als ihre Ost- und Südostgrenzen undurchlässiger zu machen.
Der polnische Europaminister Bielecki hat resignierend festgestellt, wenn denn der Preis für eine offene Westgrenze eine geschlossene Ostgrenze sei, dann müsse man ihn eben zahlen.
Schon hat man die Einladungsvorschriften für Besucher aus dem Osten verschärft. Mit deutscher Hilfe wird man die Sicherung der Staatsgrenzen Polens technisch verbessern. Auf diese Weise entsteht zwangsläufig eine neue Ostgrenze Europas. Über sie entscheidet nicht etwa die Gemeinschaft der europäischen Länder, sondern das deutsche Asylrecht.
Erste Opfer sind mehrere osteuropäische Staaten, in denen politische Besucher aus Bonn gerne über europäische Perspektiven reden, so die baltischen Staaten, Belarus, die Ukraine, Rußland, aber auch Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei wird diese neue Ostgrenze Europas sogar mitten zwischen Tschechen und Slowaken verlaufen.
Diese Wiederaufrichtung von Zäunen hinter dem Glacis der zentraleuropäischen Wohlstandsregion, vor der Festung Europa, von einigen Kommentatoren bereits mit einer Renaissance des Eisernen Vorhangs verglichen, wird aber vor allen Dingen katastrophale ökonomische Folgen für ganz Osteuropa haben.
Wir als Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft haben in Westeuropa die Grenzen aufgemacht, weil wir die wirtschaftliche Bedeutung des freien Verkehrs von Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen erkannt haben. Unseren osteuropäischen Nachbarn handeln wir aber Vereinbarungen ab, die sie zur Betonierung eines gestaffelten Grenzsystems gegen Wanderungen aus Osten und Süden zwingt.
Deswegen hat die polnische Seite immer um Gewährung von Zeit gebeten, wenn es um ihre Hilfe bei dem deutschen Flüchtlingsproblem ging. Die deutschen Unterhändler waren stark genug, sich über diese Bitten hinwegzusetzen. Ab 1. Juli soll schon der massenweise Rückschub über die polnischen Grenzen beginnen. Die Bundesregierung versichert, daß das gleiche Ziel mit Prag bald erreicht wird.
Von einer Rücksichtnahme auf die Auswirkungen dieser deutschen Entlastung, die zu massiv und ruckartig kommt, auf die Zukunftschancen des Wirtschaftslebens bei unseren Nachbarn im Osten kann keine Rede sein. Die Langzeitkosten dieser Rücksichtslosigkeit können erheblich sein, für Deutschland und für ganz Europa.
Ich komme zusammenfassend zum Schluß. Das sind die beiden Hauptgründe, daß heute über 100 Abgeordnete den vorgeschlagenen Asylrechtsänderungen nicht zustimmen können: Sie entziehen tatsächlich verfolgten politischen Flüchtlingen in einer nicht abschätzbaren Zahl von Einzelfällen den Schutz, und sie behindern den Chancenausgleich zwischen dem Westen und dem Osten dieses Kontinents.
({6})
Wir werden hier heute in der Minderheit bleiben. Aber wir gehen nicht ohne Hoffnung aus dieser Debatte. Wir setzen darauf, daß dieses Haus die Kraft haben wird, Korrekturen an dem jetzt eingeschlagenen Weg zu beschließen, wenn sich zeigt, daß wir die humanitären Risiken und die politischen Schadenswirkungen des neuen deutschen Asylrechts richtig erkannt und beschrieben haben.
Vielen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Manfred Richter das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel, das wir mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzespaket verfolgen, läßt sich mit zwei Punkten beschreiben. Erstens. Die Lasten in Europa durch Zuwanderer, die sich zu Unrecht auf politisches Asyl berufen, sollen gleichmäßiger verteilt werden. Es kann nicht dabei bleiben, daß Deutschland die übergroße Zahl an Asylbewerbern aufnimmt. Zweitens. Gleichzeitig soll gesichert bleiben, daß diejenigen, die tatsächlich politisch verfolgt werden, auch weiterhin in Deutschland Asyl finden können. Machen wir uns nichts vor: Nur wenn wir das erste Problem lösen, wird das zweite Ziel erreichbar sein.
({0})
Besonders dort, wo die Belastungen übergroß werden, droht die generelle Akzeptanz für ein vernünftiges Miteinander von Deutschen und Ausländern verlorenzugehen. Jeder frage einmal insbesondere in den Kommunen bei den Verantwortlichen nach.
Was ist denn der eigentliche Schutzzweck des Asylartikels im Grundgesetz? Doch wohl nicht, ungehinderten Zugang für alle Ausländer zu erreichen.
({1})
Schutzzweck ist auch nicht, jedem, der zu uns kommen will, ein auf Dauer ausgerichtetes und rechtlich abgesichertes Aufenthalts- oder Bleiberecht zu gewähren. Schutzzweck ist, und zwar ausschließlich, der Schutz vor politischer Verfolgung.
({2})
Wenn aber ein Bewerber aus einem anderen sicheren Drittland bei uns um Asyl nachsucht, dann hat er bereits woanders Schutz vor Verfolgung gefunden. Meine Damen und Herren, wer aus anderen Gründen als politischer Verfolgung zu uns kommen will, hat im Asylverfahren nichts zu suchen.
Bei der gesamten, notwendigerweise kontroversen Diskussion ist allerdings besorgniserregend, daß wir es in zunehmendem Maße mit einer Polarisierung der politischen Auseinandersetzung zu tun haben. Auch bei der heutigen Änderung des Asylrechts geht es eben nicht darum, was der Staat vorrangig zu gewährleisten hat - Freiheit oder Sicherheit -; Freiheit und Sicherheit sind eng miteinander verknüpft.
Unsere demokratische Grundordnung ist auf Ausgleich angelegt. Deshalb kann auch bei der Änderung des Asylrechts nicht in der Polarisierung - hier Freiheit, da Sicherheit - die Lösung liegen. Beides muß zugleich gesichert werden.
({3})
Die überlegene Lebenskraft unseres demokratischen Systems gegenüber totalitären Systemen liegt, wie Werner Maihofer sagte, in seiner Ausgleichs- und Erneuerungsfähigkeit. Wir dürfen und wir werden deswegen nicht hinnehmen, daß sich in unserer Gesellschaft unkontrollierbare Zentrifugalkräfte freisetzen. Das ist unser eigentlicher demokratischer Auftrag in einem liberalen Rechtsstaat.
({4})
Meine Damen und Herren, mit der heutigen Änderung des Asylrechts bleibt das Recht auf politisches Asyl erhalten. Es geht aber kein Weg daran vorbei, daß wir es auf den engen Anwendungsbereich der wirklich politisch Verfolgten beschränken und vor allem praktizierbar machen müssen. Es geht nicht, wie hier mehrfach der Eindruck erweckt wurde, um Abschottung.
({5})
Es geht nicht darum, die Bundesrepublik Deutschland mit einer Mauer zu umgeben. Es geht ausschließlich um ein geordnetes Verfahren, mit dem eine gerechtere Lastenverteilung der Wanderungsbewegungen nach Europa und in Europa erreicht werden soll. Wir denken dabei auch an diejenigen, die mit falschen
Manfred Richter ({6})
Versprechungen zu uns gelockt und geschleppt werden.
({7})
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht das Paradies auf Erden, in dem eine wundersame Mehrung des Wohlstands stattfindet. Wir können ganz gewiß nicht alle Probleme der Welt allein lösen. Aber gerade deshalb müssen wir eine europäische Lösung anstreben, und für diese europäische Lösung schaffen wir heute die Voraussetzungen.
Vielen Dank.
({8})
Frau Kollegin Petra Bläss, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als 10 Millionen Frauen sind in dieser Stunde weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor dem Verhungern, vor Krieg, Folter und Mord, vor Gewalt in der eigenen Familie oder der des Mannes. Die meisten von ihnen fliehen mit ihren Kindern, für die sie allein sorgen und verantwortlich sind. Die Umstände ihrer Flucht sind oft grausam. Die wenigsten von ihnen gelangen nach Westeuropa. Die allermeisten leben unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern in den benachbarten armen Staaten des Trikont. Die, die asylsuchend in die reichen Länder der sogenannten Ersten Welt gelangen, werden in Ermangelung einer nachweisbaren politischen Verfolgung abgewiesen.
In der von den Regierenden sorgfältig geplanten und hektisch inszenierten Diskussion über die sogenannte Asylantenschwemme, die drohende „ Durchrassung " oder das „überfüllte Boot" ist die Tatsache, daß vor allem Frauen von einer Grundgesetzänderung und den Asylbegleitgesetzen betroffen sind, bisher unter den Tisch gefallen. Über drei Viertel aller Flüchtlinge sind Frauen. In wie vielen der in Listen erfaßten sogenannten sicheren Drittstaaten und der Nichtverfolgerstaaten werden sie wegen ihres Geschlechts diskriminiert oder verfolgt? Spielte dieses Kriterium bei der Festlegung dieser Länder überhaupt eine Rolle? Wohl kaum. Dieses Problem wird in unserer Männergesellschaft wohlweislich negiert.
Ich frage deshalb Sie, die mit Listen von Verfolger- und Nichtverfolgerstaaten Einwanderungsquoten und mehr oder weniger rechtsstaatlichen Anhörungsverfahren ihr schlechtes Gewissen wegen der Abschaffung des Asylrechts zu verdrängen suchen: Würden Sie einer von marodierendem Militär vergewaltigten Peruanerin raten, auf die Beseitigung der Fluchtursache Krieg in einer sehr fernen Zukunft zu warten? Würden Sie einer im Nichtverfolgerstaat Mexiko lesbisch lebenden Frau, der wegen ihrer sexuellen Orientierung eine Haftstrafe oder die Einweisung in eine psychiatrische Klinik droht, empfehlen, sie solle darauf vertrauen, daß irgendwann einmal alle Lebensformen gleichberechtigt vor Diskriminierung oder Verfolgung geschützt werden? Mit welchem Recht verwehren Sie Frauen, denen allein wegen ihres Geschlechts eine Verfolgung widerfährt, das Menschenrecht auf Asyl?
Die Einführung des Art. 16a des Grundgesetzes ist keine Ergänzung des Asylrechts, sondern seine endgültige Abschaffung. Es ist bezeichnend für die gegenwärtige politische Situation in der Bundesrepublik, daß CDU/CSU und Teile der SPD darum wetteifern, wer das effektivere Konzept zur Eindämmung der Asylantenströme, zur möglichst kurzfristigen und konzentrierten Unterbringung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber und zu ihrer schnellstmöglichen Abschiebung besitzt? War noch vor einem Jahr der Art. 16 ein Stück sozialdemokratischer Identität, so wird jetzt behauptet, ein weiterer Rechtsruck der Gesellschaft könne nur dann aufgehalten werden, wenn die Forderungen der Rechtsextremisten nach Einschränkung bzw. Abschaffung des Asylrechts vorauseilend zu den eigenen gemacht werden.
Für problematisch halte ich auch die Idee eines Einwanderungsgesetzes, mit dem dann rechtsstaatlich zwischen erwünschten - also „guten" - und unerwünschten - also „schlechten" - Ausländerinnen und Ausländern je nach wirtschaftlicher Notwendigkeit unterschieden werden kann. Solche Ansätze zur Einteilung von Flüchtlingen nach ökonomischen und politischen Kriterien ist im Kern nicht weniger rassistisch als die offene Propagierung der Festung Europa. Auch hier sind die Opfer schutzlose Menschen, insbesondere Frauen.
Vor allem meine Abgeordneten-Kolleginnen möchte ich bitten: Sehen Sie der weltweiten Verfolgung von Frauen nicht tatenlos zu. Machen sie nicht gemeinsame Sache mit den Männergesellschaften, in denen Würde und Leben von Frauen nichts gelten. Sorgen Sie durch Ihr heutiges Nein zur Grundgesetzänderung auch dafür, daß verfolgte Frauen in der Bundesrepublik künftig Aufnahme finden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Herr Kollege Dr. Alfred Dregger, ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es bei der Entscheidung, die wir heute abend zu treffen haben? Nach meinem Dafürhalten geht es darum, einen schweren Fehler und ein großes Versagen in der Vergangenheit zu korrigieren. Voll wiedergutzumachen ist es ohnehin nicht. Ich bin der Meinung, es ist ein schwerer Fehler und ein schlimmes Versagen gewesen, daß es dem Deutschen Bundestag in anderthalb Jahrzehnten nicht gelungen ist, ein vernünftiges Asylrecht zu beschließen, das für unser Volk akzeptabel ist.
({0})
Akzeptabel ist es, wenn es die tatsächlich politisch Verfolgten schützt - bei uns oder anderswo. Es ist ja nicht so - diesen Eindruck kann man manchmal in den Debatten bekommen -, daß die Bundesrepublik Deutschland der einzige Rechtsstaat wäre, der Asyl gewähren könnte oder müßte.
Ferner: Das Asylrecht darf unseren Bestrebungen und Hilfsmaßnahmen für Osteuropa und die Dritte Welt nicht entgegenwirken, sondern sollte sie eher fördern. Ich werde zum Schluß meiner Rede noch darauf eingehen.
Schließlich: Das neue Asylrecht sollte den jetzigen Massenmißbrauch des deutschen Asylrechts, wenn es ihn schon nicht beendet, doch wesentlich eindämmen.
({1})
Ich habe den Eindruck, daß mit dem Asylkompromiß, den die Fraktions- und Parteiführungen uns vorgelegt haben, diese Ziele erreichbar sind. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, dem zuzustimmen. Diese Bitte richte ich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen der SPD, die ja schon zu verantworten haben, daß diese Neuregelung erst heute verabschiedet werden kann, weil sie sich allzu lange dieser Aufgabe entzogen haben.
({2})
Meine Damen und Herren, in einem Augenblick, in dem der Konsens gefragt ist, sage ich das ungern, aber ich spreche dies aus, weil unsere Bürger und Bürgerinnen draußen im Lande gar nicht mehr bereit sind, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Fraktionen des Deutschen Bundestages wahrzunehmen.
({3})
Das ist deshalb schlimm, weil dies zu Vertrauensverlust führt, zu Resignation, zur Abwendung von der Politik,
({4})
womit die Radikalen eine Chance erhalten, die sie sonst nicht haben würden.
Die Herausforderung ist also groß. Wenn Koalition und Opposition - das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit zwingt uns zusammen - nicht umgehend Abhilfe schaffen, dann wird das Asylproblem zu einer tiefen Entfremdung und zu einer Vertrauenskrise zwischen unserem Volk und seinen demokratischen Parteien führen.
Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Wochen diese Vertrauenskrise zu analysieren versucht. Ich habe in meinem Wahlkreis mit vielen Bürgerinnen und Bürgern und insbesondere auch mit Bürgermeistern gesprochen. Was ich gehört habe, mag nicht in jedem Fall einer Nachprüfung standhalten, aber - ich konnte selbst nicht alles überprüfen - was unsere Bürger und Wähler denken, ist in jedem Falle wichtig und wert, hier vor dem Forum der Nation erörtert zu werden.
Mein Eindruck ist, daß sich das Versagen in der Asylpolitik auf das politische Bewußtsein unserer Mitbürger verheerend ausgewirkt hat.
({5})
Um die Dinge vor der deutschen Öffentlichkeit
zurechtzurücken, will ich gleich zu Beginn sagen:
Jeder Staat - auch ein so weltoffener Staat wie der
unsrige - ist zuerst für seine eigenen Bürger da und erst dann für den Rest der Welt.
({6})
Viele unserer Bürgerinnen und Bürger zweifeln inzwischen daran, daß wir in Bonn diese bare Selbstverständlichkeit beherzigen und danach handeln. Das ist schlimm. Unsere Mitbürger fragen - teilweise mit Anzeichen tiefer Resignation und stiller Verzweiflung -, ob denn die hochmögenden Politiker in Land und Bund das alles nicht wissen, was geschieht, die Unglaublichkeiten und Provokationen, von denen Polizisten und Mitarbeiter von Asylbehörden und Sozialämtern in ihrem Bekanntenkreis erzählen.
Die Einzelinformationen führen zu dem weitverbreiteten Gefühl, Fremde, die zu über 90 % das Wort Asyl als täuschenden Vorwand nutzen, um nach Deutschland zu kommen, würden hier besser behandelt als deutsche Staatsbürger. Auch dieses Gefühl ist schlimm. Wir müssen dem energisch entgegenwirken.
Hätte der Deutsche Bundestag den Massenmißbrauch des Asylrechts rechtzeitig beendet, dann wäre dieses Gefühl gar nicht erst entstanden. Wenn die große Mehrheit der Asylbewerber tatsächlich aus politisch Verfolgten bestünde, dann würde ihre Not spürbarer sein. Dann würden sich einige von ihnen wahrscheinlich nicht so provozierend verhalten, wie es zur Zeit der Fall ist. Darm würde so gut wie kein Mitbürger - davon bin ich überzeugt - den Asylbewerbern mit Abneigung begegnen, sondern im Gegenteil mit Mitgefühl und Achtung.
Meine Damen und Herren, ich erinnere an die Zeit - Sie werden sich auch erinnern -, als die ersten Vietnamflüchtlinge von den deutschen Ländern aufgenommen wurden. Ihnen ist mit tiefem Mitgefühl begegnet worden, weil ihre Not offensichtlich war. Denn sie waren Not und Tod entronnen.
Aber heute, wenn Jahr für Jahr Hunderttausende Asylbewerber in unser Land kommen, ohne politischer Gefahr unterworfen zu sein
({7})
und im allgemeinen in einer guten Verfassung, dann ist das etwas völlig anderes und führt auch zu völlig anderen Reaktionen, als es damals bei den Vietnamflüchtlingen der Fall war.
({8})
Meine Damen und Herren, auch andere Völker würden nicht ertragen, was zur Zeit dem deutschen Volk zugemutet wird.
({9})
Die Asylbewerberzahlen bei uns steigen wie eine Rakete in den Himmel. 1992 waren es 438 191. Das ist die Einwohnerzahl von vier Großstädten. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 30 % mehr sein. Das veranlaßt mich zu der Zwischenfrage: Wo sollen sie eigentlich bleiben? Deutschland kann doch nicht zum Jedermannsland werden. Während bei uns die Asylbewerberzahlen permanent steigen, werden sie in
den anderen europäischen Ländern zurückgeführt: in Großbritannien z. B. von nur 44 000 in 1991 auf 21 000 in 1992. Ich frage mich, was sich die Blockierer einer Neuregelung eigentlich denken, um ihr Verhalten rechtfertigen zu können.
({10})
Was wir Abgeordneten in abstrakten Zahlen zur Kenntnis nehmen, erleben viele unserer Mitbürger hautnah. Dabei mag hin und wieder der Neid eine Rolle spielen. Das beginnt bei der Krankenfürsorge: Für Asylbewerber ist sie nach den Regeln des Sozialhilferechts absolut kostenlos. Es geht weiter über die Wohnungsunterbringung, an der manche deutschen Vermieter auf Kosten der Gemeinden - mit Verlaub - ein Schweinegeld verdienen.
({11})
Das setzt sich in der Kindergartenbelegung fort: Asylsuchende Frauen mit viel Zeit bringen ihre Kinder zu Lasten von berufstätigen deutschen Müttern unter. Es endet bei der Kriminalität. Gerade letzteres zeitigt natürlich Reaktionen.
Daß sich manche Asylbewerber bei uns unangepaßt, anmaßend, in Einzelfällen auch kriminell verhalten, steht im Gegegensatz zu allem, was der Durchschnittsdeutsche über das Verhalten in einem Gastland gelernt hat und daher glaubt erwarten zu können. Daß auch mehrfache Straftaten und damit ein eklatanter Verstoß gegen das von einem Gast zu erwartende Verhalten häufig nicht zu sofortiger Ausweisung führen, ist für viele unserer Mitbürger unbegreiflich.
Ein Zweites kommt hinzu. Unsere Mitbürger sind empört, wenn sie von manchen Politikern und Medien der Ausländerfeindlichkeit verdächtigt werden, während sie doch lediglich versuchen, sich aus ihren handgreiflichen Erfahrungen ein Urteil zu bilden. Das verstört und verletzt die Menschen. Manchmal entsteht bei ihnen sogar der Verdacht, daß das undifferenziert ausgesprochene Wort „Ausländerfeindlichkeit" von der Politik als Kampfbegriff zur Ruhigstellung des eigenen Volkes verwendet wird. Ich kann nur warnen, meine Damen und Herren. Es wäre besser, wenn wir zugeben würden: Nicht das deutsche Volk hat in der Asylfrage versagt, sondern die deutsche Politik hat in der Asylfrage versagt,
({12})
weil sie nicht in der Lage war, mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit ein vernünftiges Asylrecht zu beschließen. Ich nehme an, daß Sie mir nicht widersprechen werden, wenn ich sage:
({13})
Das deutsche Volk ist nicht ausländerfeindlich. Das Gegenteil ist richtig. Wer als Ausländer hier lebt und arbeitet, wird von der ganz großen Mehrheit der Deutschen akzeptiert. Das gilt selbstverständlich auch für solche Ausländer, die tatsächlich politisch verfolgt wurden, und es gilt ebenso für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien, von denen wir mehr aufgenommen haben als alle anderen zusammengenommen.
Für viele Mitbürger wird unter diesen Umständen der Slogan der SPD, sie sei die Schutzmacht der kleinen Leute, unglaubwürdig, ja absurd.
({14})
Diese Mitbürger wären schon zufrieden - das gilt insbesondere für solche mit geringem Einkommen, die die Asylbewerber natürlich auch als Konkurrenten um eine Wohnung und später um einen Arbeitsplatz empfinden -, wenn sie von der SPD wenigstens eine ähnliche Aufgeschlossenheit erwarten könnten, wie diese sie allen anderen Gruppen entgegenbringt.
Meine Damen und Herren, auch der hohe Finanzaufwand für ständig steigende Asylbewerberzahlen erweckt Anstoß. In einer Zeit großer Staatsverschuldung erscheint es vielen unserer Mitbürger als nicht vertretbar, die Staatsausgaben zu erhöhen, nur um eine in der Welt einmalige, inzwischen von den meisten als verfehlt erkannte Rechtskonstruktion wie das deutsche Asylrecht aufrechtzuerhalten. Man mag das unterschiedlich bewerten. Unbestreitbar ist jedoch, daß wir für die Finanzierung des Massenmißbrauchs unseres Asylrechts mehr Geld ausgeben als für die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe. Meine Damen und Herren, das ist das Gegenteil von Vernunft und Humanität.
({15})
Wir helfen damit weder den Armen in der Dritten Welt noch ihren Ländern. Im Gegenteil, wir schaden ihnen massiv, indem wir ihnen die aktivsten Kräfte entziehen. Die Asylbewerber, die zu uns kommen, könnten viel für den Aufbau ihrer Länder tun. Sie sind im besten Alter. Sie gehören bestimmt nicht zu den Ärmsten, sonst hätten sie die Reise und irgendwelche Gebühren von Schlepperbanden nicht bezahlen können. Sie sind nach allem, was wir wissen, eher besser ausgebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung in ihrer Heimat.
({16})
Diese Leute locken wir nun, wenngleich nicht vorsätzlich, durch unser Asylrecht zu uns, wo sie hohe Kosten verursachen und ihre Zeit völlig unproduktiv verschwenden. Ich wiederhole: Das ist das Gegenteil von Humanität und Vernunft. Es ist ideologisch motivierter Unsinn,
({17})
Unsinn, der jeden ärgert, dem unsere Zusammenarbeit mit der Dritten Welt wirklich am Herzen liegt. Und nicht nur das. Der jetzige staatlich geduldete Massenmißbrauch des Asylrechts führt dazu, daß Achtung und Loyalität gegenüber unserem Staat immer mehr beschädigt werden. Seien wir uns klar darüber: Man kann Politiker nicht mögen, die die Angst und Sorge der eigenen Menschen vor dieser Entwicklung ignorieren oder mißachten.
Dieses ärgerliche Verdrängen eines realen Problems in Kombination mit der unablässigen Selbstherabsetzung und Selbstbeschuldigung des deutschen
Volkes durch einige Publizisten und Politiker hat - davon bin ich überzeugt - den Republikanern genutzt. Es mag ja den einen oder anderen mit Schadenfreude erfüllen, wenn das Versagen in der Asylpolitik zu Stimmeneinbrüchen bei den großen Parteien führt. Aber nicht nur diese, sondern auch unsere stabile Demokratie sind dann gefährdet. Eines steht doch außer Frage: Die großen Parteien, die in unserer jungen Demokratie die bisherigen Kanzler gestellt haben, tragen doch nicht nur für sich selbst Verantwortung, sondern für das Ganze, für unseren Staat.
Herr Dr. Dregger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Blunck?
Bitte.
Aus tiefer Betroffenheit heraus, Herr Dregger, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß auch eine solche Rede mit den Inhalten, wie Sie sie halten, den rechtsextremistischen Parteien nutzt.
({0})
Meine Dame, die Wahrheit zu sagen und für unsere Mitbürger und die eigenen Wähler einzutreten ist unsere vornehmste Pflicht. Wenn wir das tun, haben die Republikaner keine Chance.
({0})
Wegen der besonderen Verantwortung der großen Parteien für unseren Staat und die Stabilität unserer Demokratie möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der SPD bitten:
({1})
Betrachten Sie sich in dieser Frage doch nicht als Schulmeister des deutschen Volkes, sondern als seine Vertreter. Ignorieren Sie nicht seinen Mehrheitswillen in dieser wichtigen Frage, der doch durchaus vernünftig ist und nichts Unangemessenes verlangt.
Meine Damen und Herren, diesmal ist nicht Mut zu unpopulären Maßnahmen, sondern Mut zu populären Maßnahmen gefordert. Es gibt Leute, die bei so etwas mißtrauisch werden - ich nicht. Denn unser Volk ist weder dumm noch in unangemessener Weise egoistisch, in diesen Fragen schon gar nicht. Es ist daher gewiß nicht unsere Aufgabe, seinen Willen zu mißachten.
({2})
Die Verantwortung tragen jedenfalls wir, niemand sonst. Wir, die gewählten Vertreter des deutschen Volkes, dürfen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser wichtigen Frage nicht enttäuschen.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Viele Politiker - eben gerade wieder Herr Dregger - haben sich in den letzten Tagen hinter dem vorgeblichen Wunsch der Wählerinnen und Wähler versteckt, die angeblich alle die heute vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen und Grundgesetzänderungen verlangen.
Besonders bemerkenswert war in den letzten Tagen aber die Äußerung eines Kollegen der SPD, von Herrn Struck, der mit diesem Wählervotum drohend die letzten Abweichler in den eigenen Reihen zur Zustimmung zum sogenannten Asylkompromiß zwingen wollte.
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Offenbar sind ihm nicht mehr allzu viele auf den Leim gegangen.
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- Ich habe das so deutlich im Fernsehen gehört. - Aber ich glaube, daß gerade das Umkippen des Abgeordneten Vogel für die SPD symptomatisch erscheint, und zwar für einen zunehmenden Opportunismus in dieser Partei.
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Angesichts derartigen massiven erpresserischen innerparteilichen Drucks werden Sie - das garantiere ich Ihnen - nicht nur Mitglieder, sondern auch Wählerinnen und Wähler verlieren. Die Mehrheit der SPD-Fraktion sollte den Flügel ihrer Partei, dem sie angehören, in „Meteorologische Partei Deutschlands " umbenennen;
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denn mehr, als Sie es gegenwärtig tun, kann man sich nicht nach dem Wind drehen. Und die Eigenschaft „sozial" sollten diejenigen, die heute diesem Paket zustimmen, nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.
Die SPD hat die nächste Bundestagswahl aber nicht etwa gestern in ihrer Fraktionssitzung verloren, sondern sie hat sich bereits beerdigt, als ihr der ehemalige Vorsitzende Engholm den Petersberger Strick um den Hals gelegt hat.
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Dabei hätten Sie eine wunderbare Chance gehabt, sich mit dem Vorsitzenden auch gleich des konservativen Zopfes in der eigenen Politik zu entledigen. Nur, so, wie sich die SPD jetzt gibt, werden sie die Wählerinnen und Wähler von der CDU nicht mehr unterscheiden können. Dann können sie - und da gebe ich Herrn Dregger völlig recht - auch gleich das Original wählen.
Mein Wahlkreis liegt in der Nähe der Stadt Rostock in Mecklenburg-Vorpommern. Mir sind leider noch zu sehr die Tage und besonders die Nächte im August vergangenen Jahres im Stadtteil Lichtenhagen mit
den abscheulichen Gewalttaten gegen die dort Hilfe suchenden Ausländer in Erinnerung.
Herr Kollege Feige, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klejdzinski?
Nein. Ich möchte heute auch einmal etwas sagen können, auch zur SPD.
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Ich war entsetzt über den Beifall einiger hundert Bewohner des Rostocker Stadtteils, aber es sind genau die Argumente dieser randalierenden und beifallklatschenden Minderheiten, die Sie heute verwenden, um ein Gesetz zu verabschieden, das die gesamte deutsche Geschichte auf den Kopf stellt. Und für mich ist es kein Zufall, daß genau an dem Tag, an dem dieses Gesetzespaket verabschiedet werden soll, der erste Republikaner im Deutschen Bundestag sprechen wird.
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- Nein, er ist eindeutig aus den Reihen der Christdemokraten hervorgegangen.
Sie verwenden die gleichen dummen Argumente, die die Geschäftsbesitzer verwenden, die etwa in Rostock oder anderswo Besen gegen die Sinti und Roma in die Schaufenster hängen. Genau mit diesen machen Sie hier heute in großer Koalition gemeinsame Sache.
Herr Dregger, Sie hätten genau hinhören müssen, was Ihre Wählerinnen und Wähler zumindest in den neuen Bundesländern - die haben Sie ja mitgewählt - wirklich wollen. Da ruft keiner nach einer Änderung des Grundgesetzes, weil er sich an Leib und Leben bedroht fühlt. Wenn Sie wirklich hinhören würden, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sucht, dann würden Sie feststellen, daß ihre Sorge mehr der Unfähigkeit der verantwortlichen Politiker gilt, die wirtschaftlichen und sozialen Fragen in der Bundesrepublik selbst zu lösen. Es ist die Angst, daß diejenigen, denen sie bei den letzten Wahlen die Regierungsgewalt in die Hände gelegt haben, dieses Land noch tiefer in den Sumpf des Einigungsvertrages hineinreiten und daß es sie mitreißt.
Mein besonderes Mitgefühl gehört an diesem schwarzen Mittwoch den vielen sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in unserem Land. In vielen Ländern, die Sie auf Ihrer Liste der angeblich verfolgungsfreien Drittstaaten haben, sind elternlose Kinder Tag für Tag Opfer von Gewalt. In manchem angeblich sicheren Drittland sind diese unmündigen Opfer von Armut, die auch durch die Bundesrepublik mitverschuldet ist, als schwächste Glieder der Gesellschaft - auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen - grundsätzlich Tag für Tag an Leib und Leben bedroht. Auch diese Kinder fallen genau unter diese Grundgesetzänderung.
Alle, die heute diesen unsäglichen Gesetzen zustimmen werden, machen sich am weiteren Elend
jedes zurückgewiesenen minderjährigen Flüchtlings schuldig.
Von der CDU/CSU-Koalition hätte ich nichts anderes erwartet. Meinen Respekt haben Kollegen wie Frau Schmalz-Jacobsen, Herr Hirsch, Herr Baum und andere von der F.D.P., die das genauso sehen wie wir. Aber angesichts dieser SPD habe ich heute wirklich jede Hoffnung verloren, daß die Mehrheit bei ihr - die Minderheit mag die Hoffnung vielleicht nicht aufgeben - in diesem Lande wirklich etwas ändern will, vielleicht abgesehen von der Verteilung der Machtpositionen in diesem Land.
Sie werden mit der heutigen Änderung des Grundgesetzes in diesem Land Wind säen, aber einen Sturm des Widerstandes gegen den Demokratieabbau ernten.
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Ich glaube, man kann an diesem Grundgesetz viel ändern, aber Art. 16 auf keinen Fall.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile der Kollegin Renate Schmidt das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Herr Dr. Feige, ich möchte hier für uns alle mit aller Entschiedenheit erklären: In unserer Fraktion ist niemand erpreßt worden, weder opportunistisch noch sonst irgendwie,
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sondern wir haben alle in unserer Verantwortung als frei gewählte Abgeordnete versucht, die Entscheidung zu treffen, die wir für richtig halten.
Für viele von uns war das ein schwieriger Diskussionprozeß. Ich kritisiere niemanden, der zu einer anderen Entscheidung kommt als ich selbst, und ich spreche Ihnen das Recht ab, uns in dieser Art und Weise hier herunterzumachen. Das werden wir nicht akzeptieren.
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Denn in dieser Debatte sollten wir den Versuch unternehmen, eine Kontroverse, die allen politischen Parteien, allen demokratischen Parteien zum Schaden gereichte und, was schlimmer ist, über die unsere Demokratie Schaden zu nehmen drohte und die unsere Gesellschaft spaltete, so zu beenden, daß sie zur Befriedung beiträgt.
Dies wird - und das ist mein Wunsch und mein Appell an alle Kollegen und Kolleginnen - nicht mit Rechthaberei, nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, Herr Dr. Dregger, nicht mit dem Schüren von Ängsten gehen können und vor allen Dingen nicht damit, daß wir je nach Standpunkt, den wir vertreten,
Renate Schmidt ({2})
unseren jeweiligen Anhängern nach dem Munde reden.
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Und, Herr Dr. Dregger, Sie haben gerade genau das getan. Sie haben hier einen vorhandenen Teil der Wirklichkeit geschildert und damit Emotionen geschürt, statt zur Aufklärung beizutragen.
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Das ist das, was wir nicht länger tun dürfen.
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Ich sehe schon den nächsten Punkt, der jetzt hier an die Wand gemalt wird: die Länge der Zeit, die diese Entscheidung gebraucht hat. Und jetzt sind die Sozialdemokraten daran schuld!
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Sie werden damit nicht durchkommen. Wenn Sie
glauben, daß Sie Ihr Süppchen wieder mit diesem
Thema kochen können, werden Sie damit scheitern.
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Das wird nicht mehr gehen.
Ich sage Ihnen: Es waren andere Verhältnisse seit 1990, es waren andere Zahlen seit 1990. Wir haben einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß auch manche von uns seit Jahren und nicht erst, Herr Dr. Feige, seit Petersberg, gewußt haben, daß Sie das mit den bisherigen Regelungen nicht weiter tun können.
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- Herr Dr. Dregger, wenn wir über Zeit und Dauer von Entscheidungen und Dauer von Handeln reden, sollten wir auch mal darüber reden, wie lange es gedauert hat, bis Sie den ersten Kompromiß, den wir miteinander vereinbart haben, in die Tat umgesetzt haben: Erst seit 1. April dieses Jahres.
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Da richten sich - das will ich in aller Deutlichkeit sagen - die Vorwürfe nicht nur an diejenigen, die auf der . Regierungsbank jetzt in unzureichender Zahl sitzen, sondern auch an die, die hier auf der Bundesratsbank überhaupt nicht sitzen, auch an diejenigen,
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die meiner Partei angehören, weil ich glaube, wenn wir jetzt nicht endlich ehrlich miteinander umgehen, wird aus dieser ganzen Sache nichts werden.
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Es geht und ging bei unserem Streit um mögliche Wege zur Linderung des Flüchtlingsproblems nicht an erster Stelle um juristische Fragen, und es geht nicht um abstrakte Zahlen, sondern es geht um konkrete Menschen, um ihre Ängste und Hoffnungen und um
unsere Antworten darauf. Es geht, und das sollten wir nie vergessen, um politisch verfolgte, von Folter bedrohte und entwürdigte Menschen, die nach Europa kommen und hier Zuflucht suchen. Ich weiß, ein nur geringer Prozentsatz!
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- Ich weiß es ja, aber es sind konkrete Menschen, die in dieser Situation sind.
Ich hätte mir gewünscht, und ich hoffe, ich höre es noch, daß der Herr Bundeskanzler anläßlich seines Besuches in der Türkei deutlichere Worte und öffentliche Worte gefunden hätte gegen Folter und Verletzung von Menschenrechten.
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Denn wo Menschenrechte verletzt werden, dürfen wir nicht auch noch Waffen liefern. Auch dieses unser opportunistisches Verhalten trägt zu den Fluchtursachen bei, und auch dadurch werden wir mitschuldig.
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Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es geht auch um Menschen, die vor Armut und Hunger flüchten. Sie sind zwar nicht politisch verfolgt, aber diejenigen, die diese Menschen als „Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnen, frage ich, was sie denn eigentlich täten - und ob wir denn diese Phantasie verloren haben -, wenn sie in Kosovo lebten, drei Kinder hätten und nicht wüßten, was sie diesen Kindern am nächsten Tag zu essen geben sollen und was sie an allen nächsten Tagen den Kindern zu essen geben sollten. Ich würde mein Bündel schnüren und dorthin gehen, wo meine Kinder überleben können.
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Ich weiß das, und dennoch weiß ich genausogut, daß diese vor Armut und Not flüchtenden Menschen nicht alle zu uns kommen können. Für uns, für viele von uns war es ein schmerzlicher Prozeß, lernen zu müssen, daß wir in unserer Solidarität Prioritäten setzen müssen, wenn sie nicht zu einer leeren Worthülse verkommen soll. Für viele von uns war und ist es ein schmerzlicher Prozeß, lernen zu müssen, daß wir unser Mitleid mit diesen unseren nächsten Menschen sortieren müssen, wenn wir aus unserem Mitgefühl konkretes Helfen machen wollen, daß ein uneingeschränktes Hilfsangebot an alle, wie es unsere Verfassung derzeit bietet, zur Hilfe für niemanden zu verkommen droht.
Es geht schließlich auch, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen, um Menschen, die, von skrupellosen Geschäftemachern verführt, das wenige, was sie haben, verkaufen, ihre Heimat verlassen, mit dem Versprechen einer angeblich goldenen Zukunft zu uns gelockt werden, dann aber in überfüllten Asylbewerberunterkünften und in der Folge nicht selten in Kriminalität enden. Und, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es geht um Menschen, die hier bei uns selbst in bedrängten Verhältnissen leben und all dem ausgesetzt sind, Mitbürger und Mitbürgerinnen, die Urteile und Vorurteile, berechtigte und unberechtigte Ängste haben, deren Kinder in Hauptschulklassen mit acht bis zehn Nationalitäten gehen, die in der
Renate Schmidt ({16})
Schlange der Wohnungsuchenden nicht nach vorn rücken, deren Hoffnungslosigkeit, Frust und Zorn immer größer werden. Es geht um Bürgermeister und Landräte, die nicht mehr ein noch aus wissen, weil sie überall zum Sparen gezwungen sind
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und gleichzeitig immer größere Beträge für die Unterbringung von Flüchtlingen aufbringen müssen.
Natürlich sind nicht die Asylsuchenden an Wohnungsnot und Spekulantentum schuld, nicht an Schulproblemen, nicht an Arbeitslosigkeit, nicht an Leistungskürzungen. Daran ist eine verfehlte Regierungspolitik schuld und sonst gar nichts.
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Aber genauso richtig ist, daß die immer enger gewordenen finanziellen Spielräume der Städte durch die große Zahl der Zufluchtsuchenden weiter beschnitten werden.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, all dies - und nicht nur ein Teil davon - gehört zur Realität. Das sind unterschiedliche Realitäten und unterschiedliche Wahrnehmungen davon. Alle sind ein Teil der Wahrheit, und keiner ist die ganze Wahrheit.
Wenn wir diese Debatte als Chance zur Befriedung begreifen und sie nutzen wollen, müssen wir diejenigen, die unseren Standpunkt teilen, mit den von ihnen nicht erkannten oder nicht akzeptierten Realitäten konfrontieren. Wir müssen gemeinsam sowohl gegen wohlfeile Sprüche an Stammtischen als auch gegen moralisch überhöhte, aber dennoch unwahre Panikmache antreten. Das müssen wir gemeinsam tun und nicht immer nur den einen Teil übernehmen.
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Und wir müssen die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist, daß dieser aus der Not der großen Flüchtlingszahlen geborene Asylkompromiß nicht die Lösung des Flüchtlingsproblems ist; denn diese Patentlösung gibt es nicht.
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Es stimmt eben weder „Keiner kommt mehr rein" noch „Nichts wird sich ändern".
Kollege Hirsch, wenn ich Ihnen glauben würde - ich glaube Ihnen eigentlich meistens -, wenn ich das so sehen würde, wie Sie es sehen, könnte ich diesem Kompromiß nicht zustimmen. Sie haben das hier vereinfacht dargestellt. Es stimmt eben nicht, daß wir Menschen in ihre Herkunftsländer, wo sie Folter und Tod ausgesetzt sind, zurückschieben, sondern in einen sicheren Drittstaat. Wenn er das nicht gewährleisten kann, dann ist er kein sicherer Drittstaat mehr. Dies ist für mich das Kriterium der Zustimmung, und nichts anderes.
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Zur Wahrheit gehört, daß Zufluchtsuchende nach wie vor zu uns kommen werden. Dennoch wird sich etwas ändern, weil dieser Asylkompromiß nach dem Schengener Abkommen ein zweiter Schritt zu einer
europäischen Regelung des Flüchtlingsproblems ist. Freilich wird sich weniger ändern, als manchem lieb ist und als andere befürchten, die jetzt gegen diesen Kompromiß demonstrieren.
Ich sage dazu noch einmal in aller Deutlichkeit: Wer für Menschenrechte und Flüchtlinge demonstriert, muß das gewaltfrei tun. Das, was sich in der Nähe unseres Hauses abspielt, spottet jeder Beschreibung und kann so nicht hingenommen werden.
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Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, nein, die Bundesrepublik wird kein anderer Staat. Nein, dadurch wird nicht die Wende rückwärts eingeleitet. Nein, dadurch wird nicht Deutschland als Weltmacht eingeleitet, wie es absurd in manchen Demonstrationsaufrufen heißt.
Ich fürchte, mit einer solchen Agitation werden kaum weniger irrationale Ängste geschürt wie durch jene unsäglichen Entgleisungen von Sprachextremisten, die von „Wirtschaftsschmarotzern" oder „durchrasster Gesellschaft" sprechen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich warne auch davor, in deutscher Überheblichkeit unsere bisherigen Regelungen für die einzig möglichen, einzig humanen, einzig demokratischen und damit zu den allein richtigen zu erklären. Unsere europäischen Nachbarn, die ja vielleicht auch ein bißchen demokratische Erfahrung haben, die allesamt auch vernünftige Regeln und geordnete Verfahren haben,
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die eher dem heute zu verabschiedenden Asylbeschluß ähneln, verwahren sich zu Recht gegen eine solche Abqualifizierung ihres Umgangs mit Flüchtlingen.
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Wir dürfen in Europa nicht stehenbleiben. Es müssen weitere Schritte folgen. Wir brauchen eine moderne, vernünftige Zuwanderungspolitik. Dazu ist es notwendig, ideologische Scheuklappen abzulegen und bei der Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik nicht destruktiv zu mauern, sondern konstruktiv zu bauen. Ich sage das besonders an die Adresse des Kollegen Stoiber.
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- Ich kann Ihnen ja einmal sagen, was er so alles in der letzten Zeit gesagt hat.
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Erstens. Das Thema der Flüchtlingspolitik muß endlich an die erste Stelle der Tagesordnung in der Europäischen Gemeinschaft gesetzt werden. Wir haben eine Lastenteilung mit unseren osteuropäischen Nachbarn vereinbart. Jetzt muß endlich auch mit unseren reicheren westeuropäischen Nachbarn
Renate Schmidt ({27})
eine solidarische Lastenverteilung erreicht werden. So kann es nicht weitergehen.
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Zweitens. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, das sowohl die Interessen der Zuwanderungswilligen und ihrer Herkunftsländer berücksichtigt als auch unsere Situation und unsere Interessen.
Drittens. Wir brauchen die Möglichkeit von Doppelstaatsbürgerschaften. Sie sind überfällig.
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Sie wären ein versöhnliches Zeichen - nicht nur den vielen in der Ausländer- und Flüchtlingsarbeit Engagierten gegenüber, sondern vor allem auch gegenüber den seit langen bei uns lebenden Ausländern. Ich hoffe, daß das, was der Herr Bundeskanzler für möglich hält, jetzt endlich auch in die Tat umgesetzt wird.
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Viertens. Wir brauchen ein Staatsbürgerschaftsrecht, das vor allem nicht auf das Abstammungs-, sondern auf das Geburtsland Deutschland abstellt.
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Dieses wäre ein wichtiger Beitrag zur Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Fünftens. Das kommunale Wahlrecht für alle hier länger lebenden Ausländer und Ausländerinnen ist ebenfalls überfällig.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, bisher haben Sie, die CDU und insbesondere die CSU, die objektive Unmöglichkeit, das Problem der Zuwanderung gänzlich zu lösen, der SPD in die Schuhe schieben können. Das werden Sie nach dem heutigen Tag nicht mehr schaffen.
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Wir werden, meine Damen und Herren von der Union, wie in anderen demokratischen Ländern auch gemeinsam versuchen müssen, das Lösbare zu lösen und das nicht Lösbare zu lindern und zu erklären, und wir werden lernen müssen, damit zu leben. Es muß Schluß sein, mit der Not und den Ängsten von Menschen Politik gegen den politischen Gegner machen zu wollen und zu machen.
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Wenn wir dazu imstande sind, ist dieser Asylkompromiß mehr als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Zuwanderungspolitik und kann zu einem Ausgangspunkt auf dem Weg zu einer neuen politischen Streitkultur werden. Dies würde unserem Land, seinen Bürgerinnen und Bürgern, unserer Demokratie nur nützen.
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Meine Damen und Herren, zunächst darf ich sagen, daß alle Redner, die noch auf der Liste stehen, selbstverständlich ihre Reden auch zu Protokoll geben können.
Zweitens kann ich sagen, daß diese Debatte einen völlig normalen Verlauf nimmt - ganz im Gegenteil zu dem, was sich diejenigen, die sie verhindern wollten, gewünscht haben.
Drittens. Zu dem normalen Verlauf gehört auch, daß es gelegentlich Schärfen gibt. Eine solche Schärfe gab es heute, als Kollege Gysi formulierte:
Wer Mauern an den Grenzen errichtet, egal, ob sie aus Infrarotstrahlen oder aus Beton bestehen, der wird auch die Bereitschaft zum Schießen aufbringen müssen, damit solche Mauern einen Sinn machen, und Sie werden es noch erleben: Wer heute der faktischen Abschaffung des Asylrechts zustimmt, muß wissen, daß er Mitverantwortung trägt, wenn eines Tages an den Grenzen auf Flüchtlinge geschossen wird.
Auf diese beiden Feststellungen hat Herr Kollege Marschewski den Zwischenruf „Mauerschütze" gemacht. Nun sind die Feststellungen von großer Schärfe gewesen; der Zwischenruf, Herr Kollege Marschewski, zielte dann aber auf eine Person. Sie kennen meine Abneigung gegen Ordnungsrufe. Ich habe in meiner Amtszeit erst einen einzigen erteilt, und das auch nur, weil der Kollege unbedingt darauf bestand, diese Beleidigung geäußert zu haben.
({0})
Herr Kollege Marschewski - vorausgesetzt, daß Kollege Gysi das annimmt -, ich frage Sie: Sind Sie bereit, das zurückzunehmen, sich zu entschuldigen, ein entsprechendes Wort zu dem Kollegen Gysi zu sagen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Gysi, ich habe das, was ich da gesagt habe, nicht in bezug auf Sie persönlich gemeint. Ich habe dies allgemein auf das DDR-Regime bezogen, und diese Damen und Herren waren nun wirklich Mauerschützen.
({0})
({1})
Verzeihung, Herr Kollege Gysi, bitte jetzt keinen Debattenbeitrag, sondern nur eine Reaktion!
Es war eine persönliche Ansprache dabei, irgend etwas mit „Du Mauerschütze". Insofern mußte ich das auf mich beziehen. Wenn Sie das jetzt richtigstellen und sagen, daß Sie mich nicht gemeint haben, nehme ich das zur Kenntnis, und damit ist das für mich erledigt. Was den Rest betrifft, so können wir später mal darüber streiten.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Irmer das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! Daß ausgerechnet die Kollegen Marschewski und
Gysi sich duzen sollten, würde mich äußerst verblüffen.
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Herr Kollege Irmer, ich glaube, da hat sich Kollege Gysi verlesen. Es steht „Sie" drin, wenn ich das richtig sehe.
({0})
Wie dem auch sei, wir haben eben erlebt: Der bayerische Wahlkampf wirft seine Schatten voraus. Damit wollte ich nicht die Kollegin Schmidt oder auch den Kollegen Stoiber als Schatten bezeichnen. Dazu sind beide viel zu putzmunter.
Meine Damen und Herren, die Kollegin Schmidt hat in vielem recht. Sie hat vor allem darin recht, daß wir jetzt nach der sehr sachlichen Debatte hier im Hause, von Ausnahmen abgesehen, von der hochemotionalen Art von Auseinandersetzungen, wie wir sie in den letzten Jahren in Parteiversammlungen und an Stammtischen erlebt haben, wegkommen sollten. Es ist an der Zeit - und ich glaube, der heutige Tag mit der Verabschiedung der neuen Gesetzgebung gibt dazu eine gute Chance -, endlich zu einem sachlichen Ton zurückzukehren und mit Vorurteilen und Legenden, die sich eingeschlichen haben, aufzuräumen.
Ein Vorurteil: Alle Wirtschaftsflüchtlinge seien Schmarotzer. Ich nehme es niemandem übel, der seine Familie zu Hause nicht mehr ernähren kann, wenn er in ein anderes Land geht, wo er sich eher eine wirtschaftliche Zukunft verspricht als zu Hause. Millionen Deutsche haben das im Laufe von Jahrhunderten getan. Wir sollten nicht diese Leute verächtlich machen, sollten aber klar sagen, daß wir nicht alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt aufnehmen können.
({0})
Zweite Legende: Unser bisheriges Asylrecht sei das großherzigste und großzügigste, das es auf der weiten Welt gebe. Das kann schon deshalb nicht richtig sein, weil die Zahl der anerkannten Asylbewerber immer wesentlich niedriger gewesen ist als die Zahl derjenigen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention hierbleiben durften, ohne politisch anerkannt zu werden. Insofern trifft die Behauptung, unser Asylrecht in der Ausprägung durch die Verfahrensgesetze und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei das beste und großherzigste der Welt gewesen, nicht zu.
Ich möchte jetzt auch etwas sagen, was manchen schmerzt. Ich halte es nicht für gut, jetzt zu sagen, die späte Lösung, die wir jetzt finden, sei darauf zurückzuführen, daß sich die Parteien hier und meine eigene vernünftigen Lösungen bisher versagt hätten. Es wäre mindestens bis 1990 ohne Grundgesetzänderung
möglich gewesen, durch Beschleunigung der Verfahren zu vernünftigen Lösungen zu kommen.
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Ich bitte darum, auch hier keine neuen Legenden in die Welt zu setzen, sondern damit aufzuhören.
Ein weiteres Mißverständnis, eine weitere Legende: Die Bürger bei uns in Deutschland, die die bisherigen Mißverhältnisse und Mißstände nicht länger zu akzeptieren bereit sind, seien samt und sonders ausländerfeindlich. Auch dies ist nicht wahr. Die Millionen Menschen, die mit Lichtern in den Händen auf die Straße gegangen sind, um für die Ausländer und für die Toleranz zu demonstrieren, haben dies, glaube ich, sehr eindrucksvoll gezeigt.
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Eine weitere Legende: Wir drohten einer Überfremdung anheimzufallen. Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat im Laufe seiner Geschichte derart viel ausländische, fremdländische Einflüsse absorbiert, verarbeitet, verkraftet - meistens nicht zu seinem Nachteil -, daß ich weit und breit keine Gefahr der Überfremdung sehe. Manchmal wundert es mich, daß dies Leute sagen, die sich sonst soviel auf die Kraft und die Stärke der eigenen Kultur und der Eigenart zugute halten. Ich meine, wer soviel Angst vor Überfremdung hat, hat kein Vertrauen in seine eigene Kultur und die eigene Kraft seiner Wesensart und der Wesensart des eigenen Volks. Auch damit sollten wir Schluß machen.
Eine weitere Legende: Wir würden das Asylrecht abschaffen. Dies stimmt nicht. Ich stimme dem Kollegen Hirsch hier ausdrücklich nicht zu.
Zum Schluß: Wir sollten der Legende entgegentreten, als ob diejenigen, die sich gegen die vorgeschlagene Gesetzesänderungen aussprechen, die einzig wahren Menschenfreunde seien, diejenigen aber, die für diese Gesetze sind, die herzlosen Opportunisten seien. So ist es doch nicht.
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Jeder hier im Haus wird sich seine Entscheidung nicht leichtgemacht haben oder noch in der Zukunft nicht leichtmachen. Ich gestehe jedem zu, der gegen diese Gesetze stimmt, daß er eine sehr ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen hat. Ich nehme aber auch für mich und die anderen, die zustimmen, in Anspruch, daß wir in Sorge um die Flüchtlinge, aber auch in Sorge um den Frieden in unserem Land eine Gewissensentscheidung getroffen haben.
Ich danke Ihnen.
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Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß sehr wohl, daß ich hier im Hohen Hause und nicht auf einem Tribunal bin. Dennoch: Ich klage die Bundesregierung an, Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Ich klage die Bundesregierung der
geistigen Vergewaltigung vor allem junger Menschen an.
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Um von sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, fehlenden Lehrstellen und Perspektivlosigkeit abzulenken, werden Ausländerinnen und Ausländer zu Sündenböcken der Nation abgestempelt. Gebetsmühlenartig werden immer wieder die gleichen Vorurteile bemüht: Ausländer nehmen Deutschen die Arbeit weg, sie belegen den ohnehin knappen Wohnraum, Ausländer klauen, vergewaltigen deutsche Mädchen usw., usf. Von hier ist es dann nicht weit bis zur Behauptung, daß Deutsche etwas Besonderes, eben die Auserwählten seien, wogegen Ausländer als minderwertig verachtet werden - Herrenmenschenideologie aus längst bewältigt geglaubten Zeiten.
Ich spreche nicht von organisierten Rechtsradikalen, ich spreche nicht von den Herren Geis und Dregger, die hier ein Lehrstück für Fremdenfeindlichkeit geliefert haben,
({1})
sondern ich spreche von meinen Erlebnissen u. a. mit ganz normalen Schülerinnen und Schülern normaler zehnter Klassen ganz normaler Schulen im Land Brandenburg. Ich verurteile nicht die Schüler. Sie geben nur das wieder, was sie von verantwortungslosen Politikerinnen und Politikern,
({2})
„Bild"-Zeitung, „Super-Illu" tagtäglich lesen und hören können. Besonders erschreckend ist für mich aber die Tatsache, daß bei vielen Jugendlichen die Vorurteile bereits so tief sitzen und sie für dem entgegenstehende Tatsachen kaum zugänglich sind. Genau das meine ich mit geistiger Vergewaltigung Jugendlicher. Die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung. Die Realität nämlich - das wissen Sie sehr genau - ist anders.
Arbeitslosigkeit gab es im Osten bereits, als noch nicht ein Asylbewerber dort war. Im Kreis Bernau, Land Brandenburg, z. B. wurde bisher kein einziger Arbeitsplatz vom Arbeitsamt an Asylberechtigte vergeben. Hier werden die äußerst restriktiven Vorgaben - zuerst müssen Deutsche und andere EG-Angehörige ein Angebot abgelehnt haben - auch künftig angesichts der katastrophalen Lage auf dem Arbeitsmarkt die Vermittlung von Asylberechtigten stark beschränken. Ausländerinnen und Ausländer erledigen außerdem die Drecksarbeit, zu denen kaum ein Deutscher bereit ist.
Sieht man sich wirklich einmal an, unter welchen Bedingungen Asylbewerberinnen und -bewerber in manchen Kommunen leben müssen, zusammengepfercht in Turnhallen und überfüllten Massenunterkünften oder in Zeltlagern ohne ausreichende sanitäre Voraussetzungen, dann möchte wohl kaum einer von uns mit ihnen tauschen. Vielerorts verdienen sich gar private Betreiber von Unterkünften eine goldene
Nase, während die Kommunen nicht wissen, wie sie die Kosten aufbringen sollen.
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Die real vorhandenen, im Osten drastisch zunehmenden Probleme mit Obdachlosigkeit und Wohnungsnot aber sind hausgemacht und Folge einer verfehlten Wohnungspolitik der Bundesregierung, die die Kommunen auszubaden haben.
Entgegen landläufigen Vermutungen liegt die Kriminalitätsrate bei Ausländerinnen und Ausländern nicht höher als bei Deutschen.
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Dort, wo man sich tiefgründiger mit den gängigen Vorurteilen gegen Flüchtlinge auseinandersetzt, erlebt man überall Oberflächlichkeit und Hilflosigkeit. Viel zu wenig wird aber von seiten der Bundesregierung getan, um die Bedingungen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von deutschen und ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu schaffen. Und genau das ist der Knackpunkt, daß die Kommunen von der Bundesregierung im Stich gelassen werden. Genau hier erwarten die Bürgerinnen und Bürger ein deutliches Zeichen und deutliche Hilfe.
Das Gegenteil passiert. Eindeutig erschwerend wirken sich hier z. B. Massenunterkünfte in kleinen Gemeinden oder die Tatsache aus, daß viele Heime nur Zwischenstationen sind. Die restriktive Kontingentierung auf der Länderebene verhindert teilweise die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien und wirkt sich nachteilig auf deren soziale Integration aus.
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- Ich habe mich in der Kommune umgesehen. Das würde ich auch Ihnen raten.
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Drastisch verschärft werden die Probleme in den nächsten Monaten auch durch das Auslaufen zahlreicher ABM-Projekte, deren Arbeitsaufgabe in der sozialen Betreuung und Integration von Flüchtlingen bestand. Im Aussiedlerheim in Ahrensfelde, Land Brandenburg, z. B. sollen u. a. die Stellen von drei Sozialpädagogen mit Sprachkenntnissen, einer Krankenschwester und zwei Kindergärtnerinnen wegfallen. Damit können 260 sogenannte Kontingentflüchtlinge nicht mehr wie bisher betreut werden.
Nein, meine Damen und Herren, was heute not tut, ist nicht eine Gesetzesänderung mit der heißen Nadel, die ohnehin die Zuwanderung nicht einschränken wird. So jedenfalls war es gestern in „West 3" vom Kollegen Zeitlmann und vom Kollegen Wiefelspütz von der SPD einmütig bestätigt worden. Die Kommunen, die zweifelsohne vor Problemen stehen, brauchen wirksame finanzielle und personelle Hilfe für eine tatsächliche soziale Integration von Flüchtlingen. Die Bundesregierung muß endlich, statt über Pressezensur zu debattieren, ihrer Pflicht zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Information der Menschen über Gründe für weltweite Migration, über die
Lebensbedingungen von Flüchtlingen in deren Heimatländern und über ihr Leben in der Bundesrepublik nachkommen.
Ich danke Ihnen.
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Als nächste hat das Wort die Kollegin Vera Wollenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte zählt keineswegs zu den Sternstunden dieses Parlaments. Das hat nicht nur mit den Belagerungsbedingungen zu tun, unter denen wir heute beraten, und das hat nicht nur mit den Tönen zu tun, die streckenweise in diesem Plenum angeschlagen wurden. Nein, wir führen eine verfehlte Debatte zur falschen Zeit.
Nach der Vereinigung hätte sich das deutsche Volk, wie es die Mütter und Väter des Grundgesetzes vorgeschlagen hatten, eine neue Verfassung geben sollen. Es hätte, wie bei der Erarbeitung des Grundgesetzes, nach den Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur die Lehre aus dem Zusammenbruch der Ost-WestKonfrontation in einer Erweiterung und Fortentwicklung demokratischer Grundrechte verarbeitet werden müssen. Statt dessen wird immer neue Flickarbeit am Grundgesetz geleistet, die einer Zerstückelung näherkommt als einer Erneuerung.
Merkwürdigerweise gehen die fortgesetzten Grundgesetzänderungsanträge von der Regierungskoalition aus, die noch vor drei Jahren erklärt hat, am Grundgesetz gebe es nichts zu rütteln. Die Befürworter einer neuen Verfassung verteidigen heute das Grundgesetz gegen seine Aushöhlung. Allein diese Tatsache beweist, daß sich das Land nicht in einer guten Verfassung befindet. Das ist die Wahrheit, die Herr Schäuble heute beschworen hat.
Wahr ist, daß niemand weiß, ob der sogenannte Asylkompromiß nur ein einziges Problem lösen wird. Deshalb hätte es zum verantwortungsvollen Umgang mit der Wahrheit, der heute beschworen wurde, gehört, in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, der Asylkompromiß könnte das Flüchtlingsproblem auch nur in einigermaßen erträgliche Bahnen lenken. Was heute beschlossen werden soll, kann niemals wirklich umgesetzt werden. Dazu fehlt es schon an den elementarsten Voraussetzungen der Exekutive. Es hat bestenfalls - oder besser gesagt: schlimmstenfalls - eine abschreckende Wirkung.
Herr Klose hat vorhin richtig betont, daß uns das Zuwanderungsproblem in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Das ist wahr. Herr Klose irrt aber, wenn er hinzufügt, daß die wirksamste Bekämpfung der Fluchtursachen darin bestünde, daß der arme Süden Anschluß an den reichen Norden finden müßte. Meiner Kollegin Köppe wurde heute Naivität vorgeworfen, als sie den Vorschlag machte, zur Minderung der Spannung zwischen den Demonstranten und dem Parlament die Bannmeile aufzuheben.
Was soll man aber von einem Politiker sagen, der angesichts der ökologischen und sozialen Verwüstungen in der Welt, die vor allem durch das ungehemmte Wohlstandswachstum in den Industriegesellschaften hervorgerufen wurden, ausgerechnet den Anschluß an ein gesellschaftliches Auslaufmodell fordert? Zum verantwortlichen Umgang mit der Wahrheit gehört es, endlich zu sagen, daß nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus auch die unkittbaren Risse in der Marktwirtschaftsgesellschaft sichtbar geworden sind.
40 Jahre lang hatte der Westen Angst, daß die Osteuropäer mit ihren Panzern kommen. Jetzt drohen sie, Westeuropa mit ihren Koffern zu erobern. Deutschland, das mit wenigen hunderttausend Flüchtlingen schon sichtbar überfordert ist, wird den Ansturm von Millionen nicht verkraften können, es sei denn, die Deutschen und die Westeuropäer lernten es, ihr Besitzstandsdenken aufzugeben, und sie wagten es, sich einzugestehen, daß ihre scheinbar erfolgreiche, im Ost-West-Vergleich sogar siegreiche Gesellschaft nicht in der Lage ist, die auf uns zuwandernden Probleme zu lösen. Dies könnte nur geschehen, wenn man eine grundlegende Neustrukturierung der Gesellschaft wagte. Leider läßt die heutige Debatte wenig Hoffnung auf den notwendigen Umdenkungsprozeß zu.
Ich lehne deshalb und aus den Gründen, die meine Kollegen schon angeführt haben, diesen Asylkompromiß ab.
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Das Wort hat der Kollege Klaus-Heiner Lehne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute in zweiter und dritter Lesung mit der Novellierung des Asylrechtes und einer damit verbundenen Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes, der bisher ein absolutes Grundrecht auf Asyl statuiert hat. Wir tun dies vor dem Hintergrund der Tatsache, daß die Entwicklung der Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren in einem dramatischen Umfang zugenommen hat, der geeignet gewesen ist, den sozialen Frieden in unserem Land zu bedrohen.
Noch im Jahre 1982 gab es ca. 37 000 Asylbewerber, im Jahre 1989 bereits ca. 121 000, im Jahre 1990 ca. 198 000, im Jahre 1991 ca. 256 000 und im Jahre 1992 ca. 440 000. Die dramatische Entwicklung in diesem Jahr läßt befürchten, daß die Zahl der Asylbewerber dann, wenn unsererseits nichts getan wird, in diesem Jahr noch bis auf 600 000 steigen könnte. In unseren Städten und Gemeinden führt dies zu unerträglichen Zuständen. Containerlager entstehen, Schulhöfe werden zweckentfremdet, Turnhallen belegt, und eine gewaltige Antragslawine rollt über unsere völlig überforderte Bürokratie und die Gerichte hinweg.
Das Ergebnis sind zunehmende Fremdenfeindlichkeit, Wahlerfolge für rechtsradikale Parteien wie die Republikaner, Partei- und Politikverdrossenheit und immense Kosten, zuletzt geschätzt auf ca. 14 Milliarden DM per annum. Diese eskalierende Entwicklung hat die Bundesrepublik Deutschland über viele Jahre
hingenommen, obwohl nachweislich nur ein minimaler Prozentsatz der Asylbewerberanträge gerechtfertigt gewesen ist und es sich bei der Masse der Asylbewerber um reine Wirtschaftsflüchtlinge handelt. Mit Fug und Recht muß deshalb festgestellt werden, daß der massenhafte Mißbrauch des Asylrechtes über lange Zeit von diesem Staat trotz einer damit einhergehenden erheblichen Schädigung hingenommen wurde. Verbunden damit war auch eine inhaltliche Abwertung des eigentlichen Asylrechtes für wirklich politisch Verfolgte, was mit gutem Grund von den Vätern unserer Verfassung in das Grundgesetz aufgenommen wurde.
Die wirklich politisch Verfolgten sind heute zwangsläufig in einer Situation, in der sie von unserer Gesellschaft zunächst einmal als Wirtschaftsflüchtlinge angesehen werden. Die Situation ist inzwischen so dramatisch geworden, daß eigentlich niemand mehr, der Verantwortung trägt, die Augen vor den Realitäten weiterhin verschließen kann und Handeln unbedingt erforderlich ist.
Aus diesem Grunde begrüße ich den hier vorgeschlagenen Asylkompromiß. Er gibt die Möglichkeit, endlich wirksam zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterscheiden
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und den Mißbrauch des Asylrechts als Einwanderungsrecht zu beenden.
Ich begrüße es außerordentlich, daß auch die SPD - zumindest zu großen Teilen - und deren politische Führung endlich zu dem Ergebnis gekommen sind, das heute hier auf dem Tisch liegt, und einer Lösung dieses Problems nicht länger im Wege stehen.
Es gibt jedoch einen großen Wermutstropfen. Wir hätten das ganze Problem unter Vermeidung eines großen Teils der Probleme, die später entstanden sind, viel früher lösen können. Bereits auf dem Bundesparteitag 1989 in Bremen hat meine Partei, die CDU, die Notwendigkeit einer Änderung des Grundgesetzes zur Vermeidung des Asylrechtsmißbrauchs und zur Sicherung des Rechts auf politisches Asyl festgestellt. Entsprechende politische Initiativen meiner Fraktion sind seitdem von der politischen Opposition, deren Zustimmung für eine Änderung des Grundgesetzes bekanntermaßen erforderlich ist, abgeblockt worden.
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Nachdem die Situation im Laufe der Zeit - die Zahlen habe ich genannt - immer unerträglicher wurde und mit einer weiteren Verschärfung der Entwicklung zu rechnen war, sah sich meine Fraktion deshalb genötigt, Anfang 1992 im Alleingang mit einem eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes im Parlament vorstellig zu werden. Auch dieser Gesetzentwurf ist trotz der dramatischen Entwicklung von der Opposition zunächst einmal pauschal verworfen worden. Es bedurfte noch vieler weiterer Monate, einer weiteren Verschärfung der Situation, mehrerer SPD-Bundesparteitage, zähester Verhandlungen und - ich sage auch dies ganz deutlich - des Drucks
zahlreicher SPD-Bürgermeister, die die praktischen Probleme vor Ort zu ertragen hatten, um ein Umdenken der Opposition zu bewirken.
Ich begrüße dies ausdrücklich, muß jedoch an dieser Stelle noch einmal sagen: Wir hätten dies alles, wenn man uns gefolgt wäre, sehr viel früher haben können und damit einen großen Teil der problematischen Entwicklung, die unser Land in den letzten Jahren belastet hat, vermeiden können.
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Es hätte nicht so weit kommen müssen, wie es jetzt gekommen ist. Wenn man nicht lange Zeit die Augen vor den Realitäten verschlossen hätte und Vernunft statt Ideologie hätte walten lassen, wäre unserem Land nicht nur eine übergroße Zuwanderung, sondern auch manche Zerreißprobe erspart geblieben.
Ich denke bei diesem neuen Asylrecht gerade auch an das Schicksal vieler, die als Wirtschaftsflüchtlinge zu uns kommen. Ihre Illusion ist von Schleppern, Kriminellen mißbraucht worden. Sie sind die eigentlichen Opfer dieser Entwicklung, die wir über Jahre hinweg geduldet haben. Im Glauben an ein besseres Leben in unserem Lande sind sie von mafiaähnlichen Schlepperorganisationen dazu verführt worden, die ungewisse Reise in unser Land anzutreten. Hier kommen sie in eine Situation, die weder für sie noch für die Bürger unseres Landes als besonders angenehm betrachtet werden kann.
Dabei ist für den größten Teil von ihnen der Aufenthalt in der Bundesrepublik nur vorübergehend. Sie werden unser Land nach Ablehnung ihres Asylantrags in der Regel wieder verlassen müssen. Gewonnen haben sie damit nichts, aber verloren alles. Ich begrüße es deshalb auch, daß insbesondere diesen verbrecherischen Schlepperorganisationen das Handwerk gelegt werden soll.
Es hat in den letzten Tagen und Wochen noch einzelne Diskussionen über bestimmte Teile des Asylkompromisses gegeben. So wurde von Teilen der SPD verlangt, die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes für Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten wieder aufzunehmen. Ich glaube, es wäre ein schwerwiegender Fehler, wenn wir dies täten. Dieser Asylkompromiß ist, so wie er gefunden wurde, ein taugliches Instrument, um die Flüchtlingsströme nach Deutschland wirksam zu kontrollieren. Es könnte uns nichts Schlimmeres passieren, als einen Asylkompromiß zu verabschieden, von dem unsere Bevölkerung glaubt, er könne das Problem lösen, der es im Ergebnis aber nicht tut.
Würden wir in dieser wesentlichen Frage des einstweiligen Rechtsschutzes eine Öffnungsklausel einbauen, so hätte dies zur Konsequenz, daß wir nicht nur eine Hintertür, sondern regelrecht ein Scheunentor schaffen würden, durch das der Mißbrauch schlagartig wieder möglich würde.
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So würde der Konsens zum Nonsens und die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit der Politik in unserem Lande weiter substantiell getroffen. Deshalb muß auf solche Regelungsinstrumente verzichtet und das
in sich schlüssige System dieses Asylkompromisses durchgehalten werden.
Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen.
Danke schön.
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Als nächstem erteile ich unserem Kollegen Dieter Wiefelspütz das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte mit den heutigen Entscheidungen versucht der Bundestag, eine langerwartete Antwort auf drängende Fragen im Bereich von Asyl und Zuwanderung zu geben.
Ich will an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, daß ich mich über das Selbstbewußtsein - oder soll ich sagen: die Selbstherrlichkeit? - mancher Kollegen und Diskussionsteilnehmer wundere, die schon immer gewußt haben, wie man das zu machen hat.
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Wir wissen doch im Grunde alle: Wir haben ein säkulares Ereignis, ein Jahrhundertereignis, mit dem Niedergang des realen Sozialismus in Osteuropa, mit der Aufhebung der Teilung Europas, mit der Aufhebung der Teilung Deutschlands.
Die großen sozialen, politischen, kulturellen und ethnischen Widersprüche in den Regionen Osteuropas und Südosteuropas haben zu Wanderungsbewegungen geführt, seitdem die eiserne Klammer, der eiserne Deckel des realen Sozialismus nicht mehr auf diesen Regionen lastet. Diese Wanderungsbewegungen kennen wir seit zwei, drei Jahren. Sie werden möglicherweise weiter anwachsen. Wir werden die Probleme weiterhin haben.
Nun, wer glaubt, schon in den 80er Jahren Grund für Verfassungsänderungen gehabt zu haben, weiß meines Erachtens nicht, wovon er redet.
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Alle Fachleute - da will ich Herrn Irmer ausdrücklich recht geben, der das hier betont hat - wissen, daß dies alles mit einer konsequenten Beschleunigung bis zum Jahre 1989 zu machen gewesen wäre.
Wir haben heute eine andere Lage; das sollten wir ehrlich bekennen. Wir müssen allerdings dieser gewandelten Lage Rechnung tragen und versuchen, auf diese durchgreifend gewandelte Lage auch Antworten zu finden.
Wir ändern heute ein Grundrecht, indem wir es spürbar einschränken. Auch hier gebietet es die Ehrlichkeit, daß wir das deutlich sagen und nicht so tun, als würde die Welt nach diesem Tag die gleiche sein.
Die Kompromißstruktur des Gesetzespaketes, das wir heute beschließen wollen, ist leicht zu erkennen. Die Widersprüche und Unvollkommenheiten, auch das Halbherzige sind unschwer auszumachen. Gleichwohl ist nach meiner Überzeugung dieses Gesetzeswerk ein unverzichtbarer, ein dringend notwendiger Schritt, um ein Handlungsinstrumentarium zu schaffen, mit dem die Zuwanderung nach Deutschland besser gesteuert, ich will hier auch deutlich sagen: mit dem die Zuwanderung spürbar verringert werden kann.
Das Grundgesetz hat in unserem Land mit Recht einen besonderen Rang. Ein Grundrecht zu ändern darf niemanden gleichgültig lassen. Ich will hier deutlich sagen: Ich bin stolz darauf, Mitglied einer Fraktion, Mitglied einer Partei zu sein, die sich das verdammt schwermacht.
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Dies ist Ausdruck einer Rechtsgesinnung, die die Grundlage unserer Bundesrepublik ist. Ich frage mich, welches Rechtsbewußtsein diejenigen haben, die lokker vom Hocker bereit sind, ein Grundrecht beiseite zu räumen.
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Ich denke, es ehrt jeden, der sich die Entscheidung schwermacht, und es ehrt jeden, dem sie Gewissensqualen bereitet.
Ich habe einen großen Respekt vor dem, der nach langer Diskussion sagt: Ich kann einer Grundgesetzänderung im Bereich des Art. 16 meine Stimme nicht geben. Das ist nicht meine Auffassung, aber der Respekt gebührt den Kollegen und Kolleginnen, die das so sehen.
Wegen tiefgreifend veränderter Verhältnisse muß nach meiner Überzeugung unser Asyl- und Flüchtlingsrecht geändert werden.
Ich will hier allerdings nochmals darauf hinweisen - ich habe das mehrfach getan -, daß nicht die 25 000 Menschen, die jährlich als nachweislich politisch Verfolgte anerkannt werden, ein Problem in Deutschland darstellen könnten. Wir könnten in unserem Lande eher mehr politisch Verfolgten Schutz und Zuflucht gewähren.
Nein, nicht die politisch Verfolgten sind das Problem, sondern es ist die urgesteuerte, gegenwärtig zahlenmäßig zu große Zuwanderung nach Deutschland. Das Grundrecht auf Asyl wird inzwischen hunderttausendfach als Einwanderungsrecht oder Einreiserecht nach Deutschland genutzt. Dies wird auf Dauer nicht zu halten sein.
Über den Inhalt und die Wirkungsweise des Grundrechts auf Asyl herrscht vielfach Unkenntnis. Die Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit man in Deutschland als politisch Verfolgter anerkannt werden kann, sind durchaus streng, sehr streng. Sie sind so streng wie in Frankreich, in den Niederlanden oder in Dänemark. Wir anerkennen nur 20 000 oder 25 000 politisch Verfolgte im Jahr, obwohl fast 500 000 Menschen kommen.
Unser Grundrecht auf Asyl verspricht aber einen völlig schrankenlosen Zutritt zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Allein und nicht mehr als das Stichwort Asyl genügt, um den Zutritt, ein Bleiberecht bis zur ersten Gerichtsentscheidung und eine notwendige Alimentation beanspruchen zu können.
Im Klartext und mit schonungsloser Ehrlichkeit: Dieses gutgemeinte Versprechen der Verfassung könDieter Wiefelspütz
nen und wollen wir nicht einlösen angesichts fundamental veränderter Verhältnisse in Europa und in der Welt. Vor allem, weil unsere Verfassung nicht mehr versprechen darf, als wir halten können oder halten wollen, weil insbesondere das Grundgesetz glaubwürdig bleiben muß, muß das Grundrecht auf Asyl verändert werden. Der Feind des Guten ist das lediglich Gutgemeinte.
Ich will hier darauf aufmerksam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir den Stellenwert der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht geringschätzen sollten. Auch dies ist gelegentlich hier heute schon erwähnt worden. Diese beiden Konventionen schützen mehr Menschen als das Grundrecht auf Asyl. Das wird vielfach verkannt. Diese beiden Konventionen sind nach meiner festen Überzeugung der Kern des europäischen Flüchtlingsrechts der Gegenwart und der Zukunft.
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Dies ist ausbaufähig und muß ausgebaut werden. Wir müssen die Bundesregierung auffordern, dazu beizutragen, daß daraus mehr Inhalt wird, mehr Verfahrensgarantie. Wir brauchen eine Stärkung der europäischen Gerichtsbarkeit, damit solche Dinge wie in Italien nicht sanktionslos geschehen können, damit wir Sicherheit in der Rechtsanwendung haben. Da gibt es einiges zu tun. Bitte lassen Sie uns diese Konventionen nicht unterschätzen. Sie bleiben unverändert, sie sind das Rückgrat unseres europäischen Flüchtlingsrechts.
Ich denke, der Asylkompromiß in seiner nicht zu übersehenden Widersprüchlichkeit eröffnet durchaus Perspektiven. Seitdem wir diesen Asylkompromiß in Deutschland diskutieren, sind unsere Nachbarn im Osten bereit, mit uns über das zu reden, was heute, morgen und in der Zukunft geschehen könnte. Die ersten Schritte sind eingeleitet. Wir sollten nicht klüger sein als die polnische Regierung, wenn es um die Bewertung des deutsch-polnischen Vertrages geht. Ich denke, das ist ein fairer Vertrag. Er ist ausgewogen, er ist ein Modell für weitere Verabredungen, die getroffen werden müssen. Er ist ein wichtiger Anfang.
Wir stecken - und das ist das Widersprüchliche unserer Politik - immer noch in der Phase, die sich folgendermaßen kennzeichnen läßt: Wir versuchen, auf eine große internationale Herausforderung - denn das ist diese Wanderungsbewegung - immer noch mit völlig unvollkommenen nationalen Mitteln zu reagieren. Das wird bestenfalls zu Teilerfolgen führen. Deswegen müssen wir die europäische Karte viel, viel stärker in den Vordergrund spielen.
Es wird nicht möglich sein, zu erträglichen Bedingungen mit dieser Wanderungsbewegung human, vernünftig und zukunftsweisend umzugehen, wenn es nicht gelingt, die Europäische Gemeinschaft dazu zu bringen, daß endlich mehr Solidarität, mehr gemeinsame Konzeption im Zusammenhang mit den Wanderungsbewegungen in Europa Geltung und Anwendung finden. Es gibt da eine Reihe von Möglichkeiten: Wir brauchen eine europäische Flüchtlingskonvention. Wir brauchen eine verbesserte europäische Gerichtsbarkeit in diesem Bereich. Wir brauchen dringend Zuwanderungsquoten, damit eine gerechte, faire Lastenverteilung im reichen europäischen Westen sichergestellt werden kann.
Lassen Sie mich hier einmal einen Gedanken anführen. Wenn es richtig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß die Roma vielleicht gar nicht in Rumänien oder in Jugoslawien, sondern in ganz Europa zu Hause sind, müßten wir uns dann nicht einmal überlegen - ich habe da noch keine perfekten Antworten, wie könnte ich -, einen europäischen Status für diese Menschen zu schaffen?
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Wäre es nicht einen Versuch wert, einmal darüber nachzudenken, ob das gelingen kann?
Ich will deutlich sagen, daß wir, die SPD-Fraktion, uns in dem Kompromiß nur zu einem Teil wiedererkennen. Ich denke, es ist ein besonders großer Mangel, daß wir zuwenig für die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer tun.
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Da gibt es viele, viele Möglichkeiten. Wir sind nicht auf der Höhe unserer Möglichkeiten. Eines der Stichworte heißt: Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit. Sogar der Bundeskanzler scheint inzwischen ja in eine vernünftige Richtung auf die Reise gegangen zu sein. Wir begrüßen das. Das sollte man durchaus prüfen. Wir haben Gesetzentwürfe dazu vorgelegt. Dazu gehört auch das kommunale Ausländerwahlrecht für alle Ausländer, nicht nur für die EG-Ausländer.
Herr Kollege Wiefelspütz, Sie sind schon ein gutes Stück über Ihre Redezeit.
Ja, ich komme zum Schluß, obwohl uns alle das Thema sehr bewegt.
Ja, aber das wird dem Kollegen Waltemathe von der Redezeit abgezogen.
Ich will dem Kollegen Waltemathe keine Redezeit wegnehmen, weil er eine wichtige Rede zu halten hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam den Versuch unternehmen, mit dem uns alle sehr bewegenden Problem der Zuwanderung und des Asyls verantwortungsbewußt umzugehen,
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und zwar verantwortungsbewußter, als es in der Vergangenheit der Fall war. Der Asylkompromiß ist, wie ich finde, eine geeignete und durchaus solide Grundlage; er ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ringen um einen Weg, unseren humanitären Vorstellungen, politisch Verfolgten, Menschen in Hunger und Not zu helfen, nachzukommen. Wir tun dies auch in der heutigen Debatte, und zwar sehr sachlich und, so meine ich, auch verantwortungsbewußt.
Wir sollten die Gelegenheit nutzen, mögliche Ängste und Unsicherheiten der Bürgerinnen und Bürger mit dieser Debatte abbauen zu helfen. Dazu gehört auch ein verantwortungsbewußter Umgang mit unserer Sprache, mit Begriffen wie - sie sind heute auch schon gefallen - „Wirtschaftsschmarotzer", „Mißbrauchsasylanten". Es wird das drohende Bild einer Überfremdung in Deutschland, das ja nicht zutrifft, gemalt. Wir sind eine pluralistische Gesellschaft in einer repräsentativen Demokratie, und wir sind stolz darauf.
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Wir waren uns bei den langen Beratungen über den Kompromiß trotz unterschiedlicher Ausgangsvorstellungen darüber einig, daß angesichts der ständig wachsenden Zahl der Asylbewerber eine Änderung des bisherigen Asylrechts notwendig ist. An dieser Situation hat sich auch nach dem 6. Dezember letzten Jahres nichts geändert. Dies zeigt ein Blick auf die monatliche Asylstatistik. Aber ein Versagen deutscher Politik in den letzten 15 Jahren liegt nicht vor. Ich glaube, auch gegenseitige Schuldzuweisungen führen nicht zu mehr Akzeptanz hinsichtlich der Regelungen, über die wir jetzt beraten.
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Ich stehe zu dem am 6. Dezember geschlossenen Kompromiß, auch wenn mir - ich habe nie ein Hehl daraus gemacht - die Zustimmung zu einzelnen Punkten der Gesetzentwürfe nicht leichtgefallen ist. Aber es liegt im Wesen eines Kompromisses, daß jede Seite Zugeständnisse macht und auch Abstriche von ihren bisherigen Positionen hinnehmen muß. Ich sage dies im Hinblick auf die Regelung über die sicheren Drittstaaten und den damit verbundenen Ausschluß des vorläufigen Rechtsschutzes im Inland.
Ich habe Verständnis für diejenigen, die sich mit der Zustimmung schwertun, und ich respektiere ihr Ringen um eine faire, tragbare Regelung. Dennoch: Der Kompromiß verdient in seiner Gesamtheit Zustimmung. Ich bitte die Andersdenkenden, dies auch zu respektieren.
Der Bürger erwartet vom Parlament zu Recht Entscheidungen und Regelungen, die eine schnellere und effektivere Durchführung der Asylverfahren gewährleisten. Es wäre deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht vertretbar, den Kompromiß als Gesamtpaket an Bedenken gegen einzelne Punkte scheitern zu lassen, um so mehr, als dann auch wieder das gefährdet würde, was aus meiner Sicht und auch nach Auffassung der meisten Beteiligten des Parteienkompromisses bewahrt werden muß, nämlich das Grundrecht des politisch Verfolgten auf Asyl, das wir aus
tiefster Überzeugung wollen - auch in Erinnerung an unsere Geschichte - und dessen Einschränkungen wir nun mittragen. Wir reden hier aber nicht über eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl für politisch Verfolgte.
Die Forderung, Verfahren schnell abzuschließen, gilt in besonderer Weise bei Asylbewerbern, deren Antrag offensichtlich unbegründet ist. Eine gesteigerte Mitwirkungspflicht des Asylsuchenden ist nicht nur zumutbar, sondern auch gerecht, geht es doch darum, daß der Ausländer ein Recht in Anspruch nehmen will. Dem entspricht die Pflicht, die Voraussetzungen dieses Anspruches darzulegen und im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten am Verfahren mitzuwirken.
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Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Vorschriften über das gerichtliche Verfahren sagen, die heute hier noch nicht besonders im Mittelpunkt der Debatte standen: Die ursprünglichen Vorschläge sind teilweise auf massive Ablehnung - insbesondere in der Expertenanhörung - gestoßen. Wir haben die Kritik sehr ernst genommen und die Entwürfe während des Gesetzgebungsverfahrens in einer Reihe von Punkten geändert. Aber bei allem Verständnis für die besonders auch von Richtern vorgetragene Kritik an den Änderungen der prozessualen Vorschriften: Bei rein kosmetischen Korrekturen im Prozeßrecht konnte es nicht bleiben. 4,2 Monate durchschnittliche Verfahrensdauer für die Erledigung von Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes sind nicht akzeptabel. Unverzichtbar ist deshalb vor allem der verstärkte Einzelrichtereinsatz, der nach unseren Erkenntnissen in aller Regel auch zu einer schnelleren Erledigung von Verfahren beiträgt. In Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes soll die Kammerentscheidung der Ausnahmefall werden.
Weiter werden die gerichtsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß gerichtliche Asylverfahren ortsnah durchgeführt und von Richtern entschieden werden, die zumindest überwiegend mit diesen Sachen befaßt sind. Auch der Asylbewerber wird stärker in die Pflicht genommen. Die sehr hohen Prüfungsanforderungen an das Gericht sollen auf der Grundlage des hier zur Beratung stehenden Art. 16 a GG auf ein vernünftiges Maß reduziert werden.
Mit dem Rechtsbehelf gewonnene zusätzliche vier Monate Bleiberecht sind ein verständlicher - allerdings nicht schützenswerter - Anreiz, von ihm auch in offensichtlich unbegründeten Fällen Gebrauch zu machen. Wenn es gelingt, diese Zeit erheblich zu verkürzen, was ich hoffe, verlieren auch die entsprechenden Anträge an Attraktivität, und dann kann die Zahl der Verfahren und die Belastung der Gerichte spürbar vermindert werden.
Die Durchführung der neuen Gesetze wird erhebliche Anstrengungen von Bund und Ländern, gerade was das gerichtliche Verfahren angeht, erfordern. Es kann nicht richtig sein, im Verfahrensrecht immer wieder die Frage zu stellen: Wie weit kann der Gesetzgeber bei dem durch die Verfassung vorgegebenen Rahmen noch gehen, wenn sich bei Gericht - aus welchen Gründen auch immer - die Akten
stapeln? Hier müssen gerade von den Ländern die organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Besonders gefordert - ich sage das hier ganz bewußt - sind auch die Richterinnen und Richter, die die neuen Bestimmungen anwenden müssen, auch wenn sie derzeit mit ihnen nicht in vollem Umfang einverstanden sind; denn sie tragen eine ganz besondere Verantwortung. Ich glaube, wir haben eine gute Chance, damit zu einer Verkürzung und Vereinfachung der Asylverfahren zu gelangen und dahin zu kommen, daß den politisch Verfolgten auch tatsächlich Asyl in Deutschland gewährt werden kann.
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: Eine Neuregelung des Asylrechts allein wird die generelle Zuwanderungsproblematik nicht beseitigen. Das ist hier schon mehrmals angesprochen worden.
Die vielfältigen Probleme im Zusammenhang mit der weltweiten Flüchtlingsbewegung - ca. 17 Millionen Menschen sind auf der Wanderung von ihrem Heimatland in ein anderes, und zusätzlich sind über 20 Millionen Menschen in ihrem Heimatland auf der Flucht - lassen sich nicht allein mit den Mitteln des Asylrechts lösen. Deshalb nützt es auf Dauer wenig, wenn wir die tatsächlich vorhandene Zuwanderungsproblematik auf die Frage des Asylrechts reduzieren und uns durch immer neue Gesetzesänderungen in diesem Bereich zu schützen versuchen.
Wir brauchen vielmehr ein umfassendes Konzept der Zuwanderungssteuerung und -begrenzung. Ich teile die Auffassung des Herrn Wiefelspütz voll, daß das in eine gemeinsame europäische Regelung eingebunden sein muß. Dazu gehört auch die Bekämpfung der Fluchtursachen durch gezielte Hilfen in den Herkunftsländern. All das können wir allein nicht leisten.
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Die Parteienvereinbarung vom 6. Dezember des vergangenen Jahres erwähnt auch diesen Punkt und weist in diese Richtung. Es gilt nun, nach Beratung und Verabschiedung des Asylpakets auch diese Dinge zügig in Angriff zu nehmen und nicht auf die lange Bank zu schieben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat unser Kollege Ernst Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ist Deutschland inzwischen wirklich schon in so schlechter Verfassung, daß wir dieselbe in ihren Grundrechten abändern oder gar abschaffen müssen? Haben uns die Frauen und Männer des Parlamentarischen Rates 1949 in Zeiten größter Not wirklich ein Grundgesetz vorgeschlagen, das in seinen wesentlichen Festlegungen nicht mehr haltbar ist?
Das, meine Damen und Herren, sind weder rhetorische noch gar polemisch gemeinte Fragestellungen, sondern das ist mein Ausdruck der Besorgnis, daß wir
versucht sein könnten, einem dubiosen Zeitgeist zu folgen und aus angeblich zwingenden sachlichen Gründen verfassungsrechtlich garantierte Grundregeln über Bord zu werfen:
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heute das individuelle Schutzrecht für politisch Verfolgte, morgen das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Wer weiß, was danach kommt. In der alten Bundesrepublik, also im westlichen Teil unseres Landes, wurden diejenigen als Verfassungsfeinde tituliert, die nicht zu den Werten unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung standen, zu der ja wohl in erster Linie die in den Art. 1 bis 20 des Grundgesetzes festgeschriebenen Grundrechte gehören.
Im damaligen innenpolitischen Kampf um Mehrheiten wurde beschworen, die Bundesrepublik Deutschland habe die beste Verfassung, die es jemals auf deutschem Boden gegeben habe.
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Heute aber wird suggeriert: Wer die Verfassung nicht ändern will, der gefährdet Konsens und Mehrheiten.
Vielleicht müssen wir ja die Worte vom alten Kaiser Wilhelm neu interpretieren:
Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.
Für die gilt dann: Die Würde der Menschen ist unantastbar, für andere nur noch ein ganz kleines bißchen. Wer in der Asyldebatte dem Zeitgeist folgt, der will in Wahrheit eine andere Republik, und das ist eine schlechtere.
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Es muß wohl so gewesen sein, daß die Frauen und Männer des Parlamentarischen Rates noch in der frischen Erinnerung an den Mißbrauch von Idealen, an Unterdrückung, Verfolgung, Entrechtung, staatlichen Mord und Krieg standen und daraus die Konsequenz zogen, Vorsorge für ein starkes, demokratisches und grundwertorientiertes Grundgesetz zu treffen. Dieses Grundgesetz war nicht nur für Schönwetterlagen gedacht. Seine Bewährungsprobe hat es jetzt zu bestehen, in einer Zeit des Umbruchs der Welt - und auch der Werteordnung. Probleme, die wir heute haben, müssen deshalb im Geiste der freiheitlichen Demokratie und unter Wahrung des Grundgesetzes gelöst werden.
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Meine Damen und Herren, im Herbst vergangenen Jahres hat hier in diesem Saal eine Debatte des Bundestages über das Schicksal von Walter Benjamin stattgefunden, der sich am 26. September 1940 im französisch-spanischen Grenzort Port Bou das Leben genommen hatte, als es für ihn keine Aussicht gab, aus dem unsicher gewordenen Drittland eine sichere Zuflucht vor der Naziverfolgung zu finden. Für andere Verfolgte konnte es manchmal lebensrettend sein, gefälschte Papiere zu haben, um aus dem Land herauszukommen und in ein anderes hineinzukom13578
men. Es mag ja sein - und das ist kein Vorwurf, weil es auch kein Vorzug derjenigen ist, bei denen es anders ist -, daß es nur noch wenige Abgeordnete gibt, die persönlich wissen, was Verfolgung wirklich bedeutet. Jedenfalls hätten in den 40er Jahren mehr Menschen in Europa gerettet werden können, wenn europäische und außereuropäische Staaten nicht bürokratisch und hartherzig gewesen wären.
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Und, meine Damen und Herren: Die, die entkommen konnten, sind wie auch ich nach wie vor dankbar dafür, daß es in sehr vielen Zufluchtsländern namenlose Heldinnen und Helden gab, die unter Eingehung eigener Gefahr fremdes Menschenleben vor dem Zugriff staatlich befohlener Folterer und Mörder gerettet haben.
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Menschlichkeit verlangt nach Zivilcourage und nicht nach feigem Egoismus.
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Vor diesen Hintergründen ist unser Asylrecht zu sehen. Die vier schlichten Worte „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" bedeuten auch, daß politisch nicht Verfolgte keinen individuellen Anspruch auf Asylgewährung haben. Das heißt, wir haben die politische Pflicht, Gesetze für diejenigen zu machen, die nicht politisch Verfolgte im Sinne des Asylrechts sind.
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Da es an solchen Gesetzen mangelt oder gemangelt hat, ist den Zuwanderern doch nicht der Vorwurf zu machen, daß sie „Asyl" rufen, um vorläufig aufgenommen zu werden. Der Vorwurf richtet sich gegen uns, wenn ein Grundrecht massenhaft mißbraucht werden kann. Die Konsequenz von Mißbrauch kann aber gerade nicht heißen, dann das ganze Grundrecht abzuschaffen.
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Dabei, meine Damen und Herren, bezweifelt niemand, daß wir zu hohe Zuwandererzahlen haben und daß davon viele Menschen sich eben nicht auf politische Verfolgung berufen können.
Die Parteien sollen an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. In Wahrheit haben sie mehr zur Vernebelung der Begriffe beigetragen als zur Problemlösung.
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So wird betont, die wirklich politisch Verfolgten sollen nach wie vor einen individuellen Anspruch auf Asylrecht behalten. Lediglich die CSU hat von einer sogenannten institutionellen Garantie gesprochen. Wie aber haben die anderen Parteien in den letzten anderthalb Jahren reagiert?
Erstens. Der seinerzeitige Bundesminister des Innern, Schäuble, forderte 1991, an Art. 16 Abs. 2 Satz 2 einen Satz 3 anzuhängen: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz." oder: „Das Nähere regeln die Bundesgesetze." Die SPD lehnte das ab. Aber statt dessen wurde am 10. Oktober 1991 eine Novelle zum Asylverfahrensgesetz vereinbart, die im Juni 1992 fast einmütig verabschiedet wurde, deren Inkrafttreten aber gar nicht erst abgewartet worden ist.
Zweitens. Schon im Anschluß an den Kompromiß vom 10. Oktober 1991 forderte die CDU/CSU, es sollten Länderlisten sogenannter sicherer Drittstaaten eingeführt werden. „Undenkbar", sagte u. a. auch die SPD. Ich habe allerdings heute morgen im Deutschlandfunk auch Herrn Kinkel als damaligen Justizminister im O-Ton gehört.
Drittens. Die SPD bot an, das Staatsangehörigkeitsrecht neu zu regeln, für deutschstämmige Aussiedler eine Gesetzesregelung mit Zuzugsbeschränkung zu vereinbaren und ein Kriegsflüchtlingsrecht zu schaffen. Mit diesen Vorstellungen hat sie sich aber nur teilweise durchgesetzt. Alle, die die jetzige Grundgesetzänderung mittragen wollen, sind verpflichtet, darzulegen, was sich eigentlich an den Zuwanderungszahlen konkret ändern wird und welche Ausrede sie bringen werden, wenn das zahlenmäßig nicht allzuviel ist. Denn noch einmal kann man ja das Grundgesetz in diesem Punkt nicht ändern, wenn man die Regelungen heute praktisch abschafft.
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Diejenigen aber, die - wie ich - diese Grundgesetzänderung nicht mittragen, sondern hoffen, daß sie hier keine Zweidrittelmehrheit bekommt, sind nicht etwa Boykotteure, die die Probleme nicht sehen wollen. Wenn das zusammenwachsende EG-Europa - das sage ich nun wirklich für mich - mit einem Grundrecht auf Gewährung von Asyl für Verfolgte zusammenhängende Regelungen als übergeordnetes Recht schafft, mag der bisherige Art. 16 Abs. 2 Satz 2 um einen entsprechenden Passus ergänzt werden. Auch ich bin nicht dafür, daß jemand einen Anspruch geltend machen kann, für den rechtskräftig in einem Schengen-Dublin-Staat festgestellt wurde, er sei gar kein Verfolgter. Dies läßt sich regeln, ohne gleich das Grundgesetz in diesem Teil abzuschaffen.
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Ich hätte auch keine Probleme damit, Asylbewerbern für den kurzen Zeitraum der Prüfung, der behördlichen Bescheidung und der richterlichen Überprüfung Brot, Bett und Bad, also Naturalleistungen, zu gewähren - wie dies die Niederländer mit einem härteren Zuwanderungsrecht tun, die aber trotzdem einen Zuwanderungssaldo von 60 000 haben -, allerdings mit einer Frist für die Verwaltungsentscheidung von bis zu zwei Monaten und einem weiteren Monat für die richterliche Überprüfung.
Es ist für mich aber unerträglich, wenn nach dem Mehrheitswillen künftig erst gar nicht geprüft wird, ob jemand Verfolgter ist, sondern nur, von wo er eingereist ist oder aus welchem sicheren Herkunftsland er
stammt. Daß Deutschland sich anmaßt, sozusagen von Verfassungs wegen festzulegen, welche Staaten dieser Erde sicher und verfolgungsfrei sind, ist etwas Abenteuerliches. Im Falle Chile hätte die deutsche Diplomatie bereits 1973/74 behauptet, Deutschland brauche keine Verfolgten von dort aufzunehmen, da sie entweder nicht verfolgt seien oder durch Flucht in eine Botschaft bereits ein sicheres Drittland gefunden hätten. Allerdings blieb die deutsche Botschaft zunächst geschlossen.
Herr Kollege Waltemathe - Ernst Waltemathe ({0}): Ich komme zu meinem letzten Satz.
Aber vor dem letzten Satz würde der Herr Kollege Köhler Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich beantworte ich die Zwischenfrage.
Herr Kollege Waltemathe, nur im Interesse der historischen Wahrheit - Sie wissen, wie sehr ich sonst Ihre Auffassungen schätze -: Sie können sich doch noch erinnern, daß im Januar und im Februar 1974 die deutsche Residenz in Santiago de Chile bis unter das Dach mit Asilados gefüllt war?
Herr Köhler, schönen Dank. - Ich habe gesagt: Zunächst einmal war die deutsche Botschaft geschlossen. Die schwedische und die niederländische Botschaft und auch andere Botschaften waren geöffnet. Alle, die sich dort aufhielten, befanden sich völkerrechtlich gesehen in einem sicheren Drittland. Wir hätten gar keinen aufzunehmen brauchen. Nur darauf wollte ich hinweisen.
Ich bin ein Mensch, der keiner Religionsgemeinschaft angehört, aber Respekt vor dem Glauben anderer hat. Als Nichtreligiöser kann ich nicht beurteilen, ob diejenigen, die Verfolgung leiden, selig sind. Was ich aber definitiv weiß, ist, daß Verfolgte unseres Schutzes und unseres Beistands bedürfen.
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Die hier zur Abstimmung gestellte Grundgesetzänderung ist ein Rückschritt in eine gewisse Rechtlosigkeit wirklich politisch verfolgter Menschen. Dafür ist meine Stimme allerdings nicht zu haben.
Vielen Dank.
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Frau Kollegin Erika Steinbach-Hermann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute haben wir eine Entscheidung zu treffen, die für die Zukunft unseres demokratischen Vaterlandes von schicksalhafter Bedeutung ist; denn mit dem heutigen Tage müssen wir beweisen, daß sich unsere Demokratie in Krisensituationen bewähren kann. Wir Abgeordneten sind gefordert, durch Entscheidungswillen und durch Entscheidungsfähigkeit die unerträglichen Zustände im Schatten des Asylrechts zu begrenzen und den Mißbrauch dieses Grundrechts einzudämmen. Schaffen wir das nicht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dann gnade diesem Lande Gott. Und ich wähle mit Bedacht diese Worte; denn ich bin davon überzeugt, dann wird es schrecklich werden.
Am vergangenen Sonntag hatte das Grundgesetz seinen 44. Geburtstag. Ein Blick zurück in die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzeswerkes muß auch diejenigen nachdenklich machen, die sich bisher immer noch nicht dazu entschließen können, einer Verdeutlichung des Art. 16 zuzustimmen.
Wie sah es denn im Mai 1949 in diesem Lande tatsächlich aus? Die sozialen und die wirtschaftlichen Bedingungen waren düster, und die Zukunftsperspektiven waren ausgesprochen ungewiß. Ganze Städte lagen zu diesem Zeitpunkt noch in Schutt und Asche, und nur Unkraut hat in diesem Frühlingsmonat 1949 die Narben des Krieges gnädig verdeckt. Not, meine Damen und Herren, gab es landauf, landab in Deutschland in Hülle und Fülle. Die Menschen im Lande waren ausgemergelt von Kriegs- und von Hungerjahren.
All das müssen wir uns heute in Erinnerung rufen, wenn wir über diesen Artikel entscheiden; denn genau unter diesen Rahmenbedingungen formulierten und manifestierten die Schöpfer des Verfassungswerkes ethische und juristische Normen als Grundlage für einen menschlicheren Staat als den, der zuvor bestanden hatte.
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - so heißt es in Art. 16 Abs. 2. Und die bittere Erfahrung, daß Menschen, die unter der nationalsozialistischen Diktatur hier im Lande um Leib und Leben gebracht wurden, weil sie woanders häufig keine Zuflucht finden konnten, schlug sich in diesem Grundrecht nieder. An Armutswanderer und an Wirtschaftsflüchtlinge war mit Sicherheit damals nicht gedacht, ja, daran konnte überhaupt nicht gedacht sein, denn Armut und Elend gab es in Deutschland von Nord bis Süd, von Ost bis West.
Mit dem wachsenden Wohlstand Deutschlands stieg die Zahl derer, die sich unter dem Vorwand der Asylbedürftigkeit den Weg hierher erschlichen haben, von Jahr zu Jahr dramatischer an. Und all diejenigen, die trotz der erschreckenden Entwicklung auch heute immer noch Zweifel daran haben, ob das Grundgesetz in dieser Frage geändert werden dürfe, mögen sich doch selbst einmal folgende Fragen vorlegen:
Erstens. Ist denn die Verfassungsinterpretation des Art. 16 von den Verfassungsvätern und -müttern so überhaupt vorausgesehen und auch gewollt gewesen?
Zweitens. Würde der Parlamentarische Rat vor dem Hintergrund der heutigen Situation eine Formulierung wie die vorliegende so - genau so und nicht
anders - wieder beschließen und in die Verfassung aufnehmen?
Als dritte Frage legen Sie sich bitte vor: Hätten die Väter und Mütter des Grundgesetzes gewollt, daß Art. 16 GG als Umgehungstor für unsere gesetzlichen Zuwanderungsbeschränkungen mißbraucht wird?
Ich sage Ihnen, alle drei Fragen sind mit Nein zu beantworten. Die dramatisch wachsenden Wanderungsströme nach Deutschland unter dem Vorwand der Asylbedürftigkeit bringen unseren Landfrieden mehr und mehr in Gefahr. Die Ängste und die Aggressionen nehmen zu, und unser friedliches Zusammenleben mit Ausländern wird Stück um Stück unterhöhlt.
Wir als Volksvertreter tragen eine ganz besondere Verantwortung dafür, die Ursachen zu beseitigen.
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80 % aller in Europa Asyl Suchenden kommen nach Deutschland. Das hat wirtschaftliche Gründe. Unsere Leistungen sind einfach die üppigsten, und das entfaltet magnetische Anziehungskraft. Deshalb ist es folgerichtig, auch hier einzuschneiden.
Glücklicherweise sind wir nicht das einzige Land auf dieser Erde, das sich Menschenrechtsnormen verpflichtet fühlt und sich durch Verträge entsprechend gebunden hat. Auch in anderen Ländern werden Asylbewerber menschenwürdig behandelt, und deshalb ist mir die Diskussion um sichere Drittstaaten - irgend jemand nannte Belgien - oder sichere Herkunftsstaaten - Indien z. B. wird in Zweifel gestellt - völlig unverständlich. Sie ist schlicht überheblich - anders kann ich es nicht empfinden-, oder sie ist ein Vorwand für die Entscheidungsverweigerung.
Meine Damen und Herren, keiner, dem die Zukunft und das Wohl Deutschlands am Herzen liegen, kann es verantworten, unser Land und unsere Bürger in dieser Frage noch länger völlig unzumutbar zu überfordern. Wir dürfen auch nicht länger machtlos zusehen, wie kriminelle Schlepper und Schlepperbanden an wirtschaftlicher Not anderer fürstlich verdienen.
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Dem ist nur mit einer Gesetzesänderung der Nährboden zu entziehen. CDU und CSU wollen das seit langem.
Wir müssen unser Asylrecht wieder handhabbar machen;
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denn nur so ist es in seiner Substanz überhaupt zu erhalten. Seien Sie sich, meine Damen und Herren, bitte dessen ganz genau und sorgfältig bewußt.
Ich begrüße ausdrücklich, daß die SPD-Fraktion in ihrer Mehrheit endlich - endlich - bereit ist, den Schritt in die richtige Richtung mit uns zu gehen. Allerdings - und das ist ein Gebot der Wahrhaftigkeit, das muß ich leider hinzufügen -: Hätten Sie sich schon früher dazu entschließen können, unserem Land - ({3})
Frau Kollegin, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen. - Meine Damen und Herren, es gibt eine Form der Unruhe - ich habe das schon oft gesagt -, die den Redner unter Umständen sogar beflügelt. Aber es gibt auch eine Form der Unruhe, die Desinteresse zeigt und aus unzähligen kleinen Gesprächen besteht; der drohen wir im Augenblick zum Opfer zu fallen. Ich bitte Sie, der Rednerin Aufmerksamkeit zu schenken.
Bitte, fahren Sie fort.
Hätten Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, schon früher dazu entschließen können, unserem Lande wäre manches Bittere erspart geblieben.
Und eines ist für mich wie auch für viele Bürger bedrückend, zu sehen: Nicht wenige Kollegen des Hauses kümmern sich sehr engagiert und ganz rührend um das Wohlergehen anderer Länder und Menschen anderer Länder im Zusammenhang mit der Asylfrage. Das Wohl des eigenen Landes, das Wohl der eigenen Bürger aber wird von ihnen kalten Herzens ignoriert.
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Ich sage Ihnen: Das wird ungute Früchte tragen! Wer so denkt und wer so handelt, der vergißt, daß nur ein im Inneren stabiles Deutschland auch Hilfe nach außen leisten kann.
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Wer Deutschland vor politischen Verwerfungen ungeahnten Ausmaßes bewahren will, der muß bereit sein, sich in dieser Frage unabdingbar erforderlichen Lösungen nicht zu verschließen.
Ich appelliere an alle, die sich noch nicht entscheiden konnten - nein, ich appelliere nicht, ich beschwöre alle -: Stimmen Sie dem Asylkompromiß zu! Wir stehen an einem dramatischen Scheideweg für unser demokratisches Deutschland.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es nicht gut für die Atmosphäre dieses Hauses, die heute mehrfach beschworen wurde, daß meine Vorrednerin ihre Rede mit den Worten begonnen hat: Gnade uns Gott, wenn eine andere Ansicht hier heute durchkommt als die meine. - Das, finde ich, ist keine demokratische Position.
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Ebenfalls finde ich nicht gut, daß sie am Schluß gesagt
hat, diejenigen, die anderer Ansicht sind als sie,
seien kalten Herzens und nicht bereit, deutsche
Interessen zu vertreten. Ich finde es schlimm, wenn hier so mit der Minderheit umgegangen wird.
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- Ich habe genau zugehört. Sie aber machen Zwischenrufe, ohne genau zuzuhören.
Ich möchte an das anknüpfen, was die Frau Justizministerin zum verantwortungsbewußten Umgang mit der Sprache gesagt hat. Ich finde folgendes nicht gut. Heute früh ist mehrmals von der „Straße" die Rede gewesen. Herr Dregger hat gesagt, das „Volk" denke so und so. Es ist die Straße auf der einen der Polizei auf der anderen Seite gegenübergestellt worden. Ich meine, auch die friedlichen Demonstranten von heute früh gehören zum Volk, genauso wie das Publikum von Herrn Dregger.
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Wir sollten den friedlichen Demonstranten, die für das Grundgesetz demonstriert haben, und den friedlichen Polizisten danken. Das wäre nach meiner Meinung eine richtige Position.
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- Ich trage meine Meinung vor; Sie schreien Ihre Meinung. Sie haben viel Redezeit; lassen Sie auch mich ein bißchen reden!
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Zur Frage der Verfassung und der Haltung zum Recht. Hier ist heute gesagt worden, es gehe nicht in erster Linie um juristische Fragen. Herr Kleinert hat in seiner unnachahmlichen Art gesagt, es sei sehr gut, wenn alle Menschen gastfrei seien, denn dann brauchten wir keine rechtlichen Regeln. Das war vielleicht doch nicht ganz ernst gemeint oder nicht ganz ernst zu nehmen. Wir brauchen schon rechtliche Regeln und müssen uns über unsere Verfassung Gedanken machen.
Es ist eine ernste Frage, ob man das Grundgesetz in einer so prinzipiellen Frage heute ändert. Hier ist schon mehrmals gesagt worden, daß das Asylrecht des Art. 16 die Konkretisierung der Achtung der Menschenwürde war. Es war die Entscheidung eines relativ armen, vom Kriege ausgebluteten Landes gegen das egoistische Interesse. Wenn die Mehrheit heute für den neuen Art. 16a stimmt, wäre dies die Entscheidung eines reichen Landes far Egoismus und gegen solidarische Hilfe für die Verfolgten in der Welt.
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Ich glaube, die meisten hier wissen, daß das Grundrecht auf Asyl heute in seiner Substanz aufgehoben wird. Das ist von einigen gesagt worden, und alle wissen es. Manche sagen ja auch, sie seien sowieso
immer dafür gewesen. Es ist etwas sehr Ernstes, wenn ein Grundrecht in dieser Weise beseitigt wird.
Hier ist viel über die „sicheren Drittstaaten" gesprochen worden. Es ist gesagt worden, wir beleidigen gleichsam ein Land, wenn dieses Problem aufgeworfen wird. Herr Hintze hat gesagt, das sei eine Beleidigung für unsere Nachbarstaaten. Andere haben gesagt, das seien doch alles Rechtsstaaten, und man kränke sie.
Dann wurde auf den hervorragenden Vertrag mit Polen hingewiesen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", von der man durchaus sagen kann, daß sie irgendwo im rechten Spektrum beheimatet ist, hieß es am 10. Mai 1993 über dieses Abkommen unter der Überschrift, es sei gut für Deutschland, schlecht für Polen:
Viele Polen fürchten jedoch, ihr Land könne von einem Transitland in nicht allzu ferner Zukunft zum Zielland für Flüchtlinge aus aller Welt werden. Für diesen Fall ist Polen völlig unzureichend gerüstet.
Es wird also etwas vorgespiegelt. Polen kommt in eine schwierige Situation und das hat mit der Charakterisierung als Rechtsstaat nichts zu tun. Ich meine, von seiten der Bundesregierung ist auf Polen Druck ausgeübt worden. Das wird hinter vorgehaltener Hand von sehr vielen gesagt. Es ist also kein fairer Vertrag. Es ist ein Vertrag, in dem ein Land zu etwas gebracht wurde, was seinen Interessen widerspricht; aber es mußte sich dem beugen. Man sollte das ehrlicherweise zugeben.
In der Anhörung des Rechtsausschusses und des Innenausschusses sind sehr harte Worte über die mangelnde juristische Qualität dieses Asylkompromisses gefallen. Herr Badura sagte, der Kompromiß sei jetzt endgültig zum Gegenstand der Verfassungstheorie geworden. Nach Heilbronner handelt es sich nicht um Verfassungsrecht, sondern um Gesetzesrecht. Herr Schlinck sprach sogar von Verordnungsrecht, Schmidt-Jortzig von einer rechtlichen Tageskladde.
Was wir hier machen, ist im Grund die Beseitigung eines Grundrechts. Es wäre ehrlicher gewesen, das zu sagen. Es ist nicht gesagt worden.
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Ich glaube, das sagen zu können. Wir sollten innehalten und noch einmal überlegen. Hier ist sehr vieles gesagt worden, was alles noch danach geschehen soll, welche Maßnahmen im folgenden ergriffen werden müssen, um die wirklichen Probleme dieser Welt zu lösen.
Ich finde es schlimm, daß keine einzige dieser Maßnahmen hier vorher zur Diskussion gestellt worden ist. Ich wiederhole: keine einzige dieser Maßnahmen. Es kommt nur dieser Schritt. Das halte ich für das eigentlich schwerwiegende Problem unserer Debatte.
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Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Ich erteile dem Abgeordneten Joachim Clemens das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Helier, Sie haben sich soeben beschwert, die PDS sei zu schlecht mit der Redezeit weggekommen. Ich habe mich gerade informiert. Sie hatten schon um zwölf Minuten überzogen. Addiert man Ihre fünf Minuten, so ergibt sich eine Überziehung von 17 Minuten.
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Wir sind also ausgesprochen minderheitenfreundlich - um Ihnen das einmal vorweg zu sagen.
In der heutigen Asylrechtsdebatte ist von einer Vielzahl von Rednern sehr facettenreich die dringende Notwendigkeit einer Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes herausgestellt worden. Ich kann das nur wiederholen und darf erneut auf zwei Zahlen hinweisen, weil immer wieder gesagt worden ist, wir würden das Asylrecht abschaffen.
Wir haben im Jahr 1992 die Rekordzahl von knapp 450 000 Asylbewerbern bei einer Anerkennungsquote von 4,3 % gehabt. Wir haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres allein schon über 160 000 Asylbewerber bei einer Anerkennungsquote von 1,9%.
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Wie kann man sich denn nun hinstellen und sagen, hier werde das Asylrecht abgeschafft? Ich kann nur feststellen, daß das Asylrecht massenhaft - auch wenn vielen dieser Ausdruck mißfällt - mißbraucht worden ist. An dieser Situation kommen wir nicht vorbei.
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Auch in einem reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland - ich bin jetzt ein bißchen vorsichtiger, weil ich weiß, daß wir den Wiederaufbau Ost bewältigen müssen und damit einige Probleme haben; das wissen wir alle; aber diese Probleme haben wir im übrigen gemeinsam - ist die Aufnahmekapazität natürlich beschränkt. Insofern kann man die Augen nicht davor verschließen, daß hier eine große, breite Mehrheit - 90 % unserer Bevölkerung - eine erhebliche Eindämmung der Asylbewerberzahlen will.
Eines verstehe ich bei der PDS und auch bei Frau Köppe nicht. Frau Köppe hat hier heute mehrfach beschworen, wir wichen dem Druck der Straße. Wenn aber 90 % der Bevölkerung für eine Änderung sind, dann kann man wirklich nicht davon reden, daß man dem Druck der Straße gewichen sei. Das ist für mich ein eigenartiges Demokratieverständnis. Den Druck der Straße haben wir heute morgen erlebt.
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Ich empfinde es für mich wirklich nicht als sehr gut, daß ich mich durch fremde Gärten und über Böschungen hinauf in die Bannmeilenzone hereinstehlen mußte. Ich muß Ihnen ganz offen sagen; ich empfand das als meiner nicht unbedingt würdig. Aber wir haben es geschafft, und dann waren wir glücklich.
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- Nein, das hat mit dem Spruch „Wer zu spät kommt ... " nichts zu tun. Ich war sehr früh unterwegs. Das erwähne ich nur nebenbei.
Herr Weiß, ich würde jetzt ganz gern noch einmal Frau Köppe ansprechen, weil sie heute so sehr dafür eingetreten ist, die Bannmeile aufzuheben. Wissen Sie: Wenn man den Druck der Straße auf der anderen Seite beschwört, dann muß ich Ihrer Kollegin folgendes vorhalten. Sie ist vorhin aus dem Bundestag zu einer Podiumsdiskussion gegangen. Dort hat sie gesagt, sie komme aus dem Bundestag. Dann hat sie erklärt, der Bundestag nehme diese ganze Demonstration nicht zur Kenntnis. Weiter hat sie gesagt: Das dürft ihr euch nicht gefallen lassen.
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Wenn das eine Abgeordnete tut, dann frage ich mich erneut: Wo bleibt das Demokratieverständnis? Ich finde das unmöglich.
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Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Ja.
Herr Abgeordneter Weiß, Sie haben die Möglichkeit zu fragen.
Vielen Dank. Herr Kollege, haben Sie aber auch die Worte von Frau Köppe wahrgenommen, als sie gesagt hat, daß sie ganz eindeutig - ebenso wie das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN insgesamt - die Gewalt verurteilt
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und ausschließlich für gewaltfreie Aktionen einsteht?
Herr Weiß, wissen Sie, ich kann über diese Frage nur lachen.
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Erst heizt man die Demonstranten an, und dann sagt man: Wir sind aber gegen Gewalt. Das paßt doch nicht. Das ist genau das, was wir nicht wollen.
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Herr Abgeordneter Weiß möchte noch eine Zusatzfrage stellen. ich glaube, wir nehmen die zuerst; danach kommt der Herr Abgeordnete Peter. Ich habe die Uhr angehalten, Herr Abgeordneter Clemens. Sie brauchen keine Sorge zu haben. - Herr Abgeordneter Weiß.
Herr Kollege, sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß von den vielen tausend Demonstranten, die heute hier rund um die Bannmeile ihrer Meinung Ausdruck geben, so wie es ihr Grundrecht ist, dies nur wenige hundert, vielleicht 300 oder 400, mit Gewalt getan haben?
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Herr Weiß, ich muß Ihnen sagen: Ich habe ganz bestimmt nichts gegen Demonstrationen; ich befürworte sie. Aber wenn die Zugangsstraßen hermetisch abgeriegelt werden, wenn Demonstranten hinter den Abgeordneten hergelaufen sind, um Löcher zu finden, durch die sie noch hätten durchschlüpfen können, dann werden Sie mir, bitte, nicht sagen wollen: Das war eine ganz friedliche Demonstration! Ich glaube, darauf können wir uns einigen.
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Nun spricht der Abgeordnete Peter ({0}).
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Herr Kollege Clemens, sind Sie bereit, meine Erfahrung von heute vormittag zur Kenntnis zu nehmen, daß unter denjenigen, die das Gespräch mit Abgeordneten gesucht haben, keine gewaltbereiten Teilnehmer waren
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und daß im Ergebnis - damit hier im Saal auch etwas Positives gesagt wird - auf den Hinweis der Demonstranten, sie seien friedlich,
Herr Abgeordneter, bitte verwechseln Sie die Frage nicht mit einer Kurzintervention.
- die dort stationierte Polizei ihre Helme abgelegt und danebengelegt hat und die Situation völlig spannungsfrei war?
Herr Peter, ich nehme das zur Kenntnis; aber Sie waschen damit die Handlungsweise von Frau Köppe nicht rein.
Ich lasse jetzt noch die Frage des Abgeordneten Krey - Herr Clemens, wenn Sie sie beantworten wollen -, dann aber keine Fragen mehr zu, damit nicht am Schluß die Zeit für die Beantwortung länger ist als Ihre Gesamtredezeit. - Herr Abgeordneter Krey.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vielfache Versuche - nicht nur von Abgeordneten, sondern auch von friedlichen Passanten, die des Weges kamen - mit dem Ziel, in einen vernünftigen Dialog mit den Demonstranten zu kommen, gescheitert sind und daß im Gegenteil beim Auftauchen eines Menschen, der so aussah, wie ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete aussehen könnte, der Ruf erscholl: „Ein Abgeordneter! " , und daß es dann drauf oder hinterher ging?
Ich nehme das alles zur Kenntnis. Das bestätigt nur meine Meinung dazu. Ich habe heute noch einiges mehr erlebt; das war wirklich alles andere als fein, und es war unser aller nicht würdig.
Nun lassen Sie mich in dieser Diskussion fortfahren. Es ist etwas schwierig; die meisten Argumente sind ausgetauscht, aber eines will ich dennoch sagen, auch zu Frau Schmidt. Liebe Frau Schmidt, bei allem Wohlwollen: Sie haben sich vorhin bei der für meine Begriffe ausgezeichneten Rede von Alfred Dregger, der hier einiges aufgearbeitet hat - und das muß gestattet sein; auch wenn das sicherlich nicht Ihren Zuspruch findet - beschwert und haben dargelegt, die SPD habe nie gefehlt.
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Ich will Ihnen sagen: Ich sitze seit vielen Jahren im Innenausschuß, und ich möchte behaupten, daß wir seit etwa vier Jahren, wenn es nach den Kollegen der CDU/CSU im Innenausschuß und der großen Zahl der Kollegen in der Fraktion gegangen wäre, eine Änderung des Grundrechtes hätten. Wir haben es nicht bekommen können. Warum? Weil Sie nicht mitgespielt haben.
Wir wollen uns doch bitte nichts vormachen: Die letzte Regelung des Asylverfahrensrechts, bei der Sie zugesagt haben, Sie wollten in den Ländern genügend Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, haben die Länder nicht eingehalten. Das war der eine Punkt.
Der zweite Punkt: Sie haben behauptet, innerhalb von sechs Wochen könnten Asylbewerberverfahren durchgeführt werden. Auch das war nicht möglich, und das wußte man vorher. Es war eigentlich ein Entgegenkommen der CDU/CSU an Sie, daß man solange gewartet hat.
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Das mag uns jetzt als Fehler angelastet werden; aber Sie waren es, die es verzögert haben.
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Der Wahrheit die Ehre! Das muß man einmal deutlich sagen.
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Ich wollte - ich habe nur noch zwei Minuten - ein Argument vorbringen, bei dem Sie mir zustimmen werden - da bin ich ziemlich sicher -: Wir müssen dafür sorgen, daß die Grundgesetzänderung jetzt beschlossen wird, und dann müssen wir dafür sorgen,
daß der gefundene Kompromiß letzten Endes das bewirkt, was wir erwarten, nämlich in der Tat die Asylbewerberzahlen herunterzufahren. Dazu ist es logischerweise notwendig, daß wir uns auch um die Durchsetzung kümmern. Ich erinnere an die Grenze im Osten und Südosten; das ist zu Polen und der Tschechischen Volksrepublik.
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- Der Tschechischen Volksrepublik. Ich sage das so. - Wir haben in diesem Bereich große Probleme, die Grenze zu sichern. Wir haben so große Probleme, weil, gestützt durch Schlepperunwesen, hier eine Unmenge von illegal Einreisenden in das Landesinnere kommen. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir können die Drittstaatenregelung letzten Endes nur dann zu dem bringen, was sie sein soll, wenn es uns gelingt, diese illegal die Grenze Übertretenden beim Grenzübertritt aufzugreifen, um sie dann zurückzuüberstellen. Wenn wir das nicht machen und sie schon im Landesinnern sind, ist es problematisch; dann ist der Nachweis nicht mehr zu führen. Sie alle wissen, da gibt es erheblichen Mißbrauch. Oft hat man dann keine Pässe mehr. Das bedeutet letzten Endes, daß man die Drittstaatenregelung nicht durchsetzen kann.
Der letzte Satz. Deswegen möchte ich dafür werben
- der Finanzminister ist nicht da -, den Bundesgrenzschutz erheblich besser zu besolden.
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Wir brauchen weitaus mehr Personalverstärkung. Mit Blick auf den Bundesinnenminister muß ich sagen: Er hat hier schon einiges getan. Wir müssen aber noch viel mehr tun. Sonst ist unser Asylbeschluß heute leider nicht das, was wir uns von ihm erhoffen.
Danke schön.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau Renate Schmidt das Wort.
Kollege Clemens, ich weiß, es ist bei stundenlangen Diskussionen manchmal ein bißchen schwierig, immer konzentriert zuzuhören. Ich könnte jetzt nicht referieren, was Sie eigentlich gesagt haben.
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- Ich bin bereits Großmutter, Kollege Marschewski, und so jung nicht mehr. - Insoweit würde ich Ihnen, Kollege Clemens, zugestehen, daß Sie nicht gehört haben, was ich gesagt habe.
Ich habe vorhin gesagt, daß es zu lange gedauert hat und daß das auch an uns in der SPD lag, daß es aber nicht 15 Jahre zu lange gedauert hat, sondern daß seit 1990 andere Verhältnisse eingekehrt sind.
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Ich habe weiterhin gesagt, daß das, was lange gedauert hat, nicht nur ein Teil unseres Verschuldens ist, sondern auch ein Teil des Verschuldens dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien.
Ich habe dann - ich habe dies zum ersten Kompromiß wörtlich gesagt; das können Sie im Protokoll nachlesen - darauf hingewiesen, daß das wiederum nicht nur an der Bundesregierung lag, sondern auch an dieser Bank - auf der niemand saß -, und habe eine Handbewegung zu Herrn Weiß gemacht. Für diese Äußerung habe ich, Herr Kollege Clemens, sogar noch von Teilen Ihrer Fraktion Beifall bekommen. Vielleicht sollte man ein bißchen zuhören.
Etwas ist mir bei Ihrer Rede allerdings aufgefallen, Herr Kollege Clemens. Dies betrifft genau das, was wir versuchen sollten künftig zu vermeiden. Wir sollten, auch wenn wir wichtige Inhalte wählen, vielleicht ein bißchen auf unsere Sprache achten. Ein Ausdruck wie der Ihre, daß es darum gehe, „Asylbewerberzahlen herunterzufahren", wird dem Thema, bei dem es sich nämlich um Menschen handelt, nicht gerecht.
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Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Freimut Duve.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich glaube, wir sollten heute abend in zwei Punkten wirklich einig bleiben.
Der erste ist: Bonn muß auch weiterhin ein Ort für Demonstrationen sein können. Wir werden es immer begrüßen, wenn viele Menschen nach Bonn kommen, um uns ihre Meinung kundzutun.
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Der zweite Punkt ist: Niemals mehr in Deutschland dürfen Abgeordnete am Betreten eines Parlaments in irgendeiner Form gehindert werden.
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Wir müssen auch bitten, daß die Organisatoren der Demonstrationen diese Frage untereinander noch einmal sehr, sehr ernsthaft diskutieren. In Deutschland müssen Abgeordnete und ihre Mitarbeiter zu ihrer Arbeit gehen können, ohne daß irgendeine Gruppe, auch nicht der Staat, sie daran hindert.
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Das ist die Voraussetzung. Unsere ungehinderte Arbeit ist das Zentrum unseres verfassungsrechtlichen Auftrags.
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Liebe Kollegen, es gibt wohl kein Thema, bei dem es leichter ist, auf die Ungerechtigkeit der Verhältnisse und zugleich auf die Hilflosigkeit der Handelnden
hinzuweisen, wie bei dem Thema Einwanderung und Weltwanderung. Es gibt nur wenige Themen, bei denen es leichter fällt, die Eindeutigkeit der eigenen Haltung und die Zweideutigkeit der Handelnden herauszustellen; denn die wirkliche Tragödie unserer Welt ist die Täuschung, es gebe dabei einen Weg, der von globaler Vernunft bestimmt sein wird. Daneben gibt es dann die bittere Erkenntnis, es gibt - Wartenberg hat das heute sehr trefflich gesagt - keine wirkliche Lösung, die mit dem globalen Anspruch unserer Humanität in Einklang steht, wenn Millionen Menschen auf Dauer ihre Heimat verlassen wollen oder müssen.
Die Bilder von der Armut der Welt und die Bilder vom Reichtum bei uns stecken uns im Kopf, auch uns allen, die wir hier sitzen. Kein Asylrecht der Welt kann diese tiefe Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit verwandeln. Wir haben auch hier im Haus oft über ein Wort von Günter Gaus - ich muß daran erinnern, daß es von Günter Gaus ist und nicht vom Bundeskanzler - diskutiert, über das Wort von „der Gnade der späten Geburt" . Auch die Menschen, die heute demonstrieren, auch uns selbst ist schmerzlich bewußt, daß wir alle jetzt in dieser Weltlage in der Gnade des besseren Geburtsorts leben. Das konnte und kann der Art. 16 in unserer Verfassung nie und nimmer ausgleichen. Das kann überhaupt kein Rechtssystem ausgleichen. Wenn jemand daran leidet, dann muß man es, glaube ich, sehr ernst nehmen.
Die Deutschen haben nach Terrordiktatur und Krieg zum erstenmal - ähnlich wie die Franzosen nach ihrer Revolution und die Amerikaner - einen visionären Auftrag der Aufklärung in ihr Grundgesetz übernommen: die Chance für alle Bürger der Welt, einen Rechtsanspruch anzumelden, in das Land zu kommen und in das Asylverfahren.
Es ist von der Leuchtkraft dieses Artikels als der Freiheitsstatue, Herr Hirsch, unserer Verfassung gesprochen worden. Vielleicht haben wir es alle in den 40 Jahren zu wenig beachtet. Wir sollten heute daran erinnern: Das Leuchtzeichen stand in diesen 40 Jahren nie am offenen Meer, sondern am geschlossenen Vorhang aus Eisen. In Wahrheit war der Art. 16 vierzig Jahre lang ein so stark leuchtendes Zeichen, weil wir alle - ich meine auch mich - oft zornig, oft verzweifelt wußten: Stalin und seine Nachfolger werden schon dafür sorgen, daß als politischer Flüchtling kaum jemand die kahlen Landschaften zwischen Wandlitz und Wladiwostok verlassen konnte. Welche Sensation, als Solschenizyn sein erstes Asylobdach bei Heinrich Böll in der Eifel gefunden hatte! Ich erinnere mich noch sehr genau.
Die universale Ethik des Art. 16 war immer schon der geographischen und politischen Wirklichkeit unseres Landes unterworfen; immer schon, all die 40 Jahre. Und wir hatten oft nur allzu gern diese Wahrheit weggeguckt. Die Mauer hatte Deutschland künstlich zur geopolitischen Halbinsel gemacht. Wer sich zum moralischen Richter unserer asylrechtlichen Zukunft macht, der muß auch unsere eigene Vergangenheit genau betrachten.
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Es war richtig, langfristig auf die Erfolge der Ostpolitik und des Helsinki-Prozesses zu bauen. Es wäre falsch gewesen, den Art. 16, d. h. die Asylgewährung, zum obersten Prinzip, damals etwa bei dem Austausch von Botschaften in Osteuropa, zu machen. Das haben wir nicht getan. Wir haben an diesen Botschaften Dinge akzeptiert, die mit dem Art. 16 nicht in Einklang zu bringen sind - in Moskau, in Budapest und in Warschau -, nämlich den Polizisten unmittelbar an der Tür. Aber es war richtig. Genau darum gibt es eine wirkliche Zäsur mit dem Fall der Mauer. Darum ist es falsch, was Dregger und Schäuble heute gesagt haben: „Wir haben schon seit 15 Jahren ...". Nein, diese neue Lage ist mit dem Fall der Mauer, dem Fall des Eisernen Vorhangs, entstanden.
Es war davor, nicht nur, was die Zahlen anbelangt, sondern auch, was die Nutzung des Artikels als Einwanderungschance anbelangt, eine in der Qualität andere Situation. Ich warne Sie davor, diese 15 Jahre sozusagen zu einem neuen Mythos zu machen. Das haben ja nicht alle Redner der Union gemacht, aber einige. Tun Sie das nicht; lassen Sie das!
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Wir wollen nie wieder erleben, daß eine der Parteien mit dem Asylrecht und den vermeintlichen Versäumnissen der jeweils anderen Wahlkampf macht. Das wollen wir nicht noch einmal erleben.
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Das hat Lothar Späth - ich muß das hier sagen -im Jahre 1978 in Baden-Württemberg getan. Das war falsch. Damals ging es um die Eritreer in Baden-Württemberg. Es handelte sich um eine bestimmte Zahl. Die meisten sind jetzt nach Eritrea zurückgegangen; sie haben ein unabhängiges Land. Sie sind nicht mehr in Baden-Württemberg. Aber damals waren diese Eritreer der Anlaß für Lothar Späth, sie im Wahlkampf als Thema zu benutzen. Wir wollen es in diesem Land nicht mehr haben, Menschen, die nicht selber wählen können, für Wahlkampfvorteile zu benutzen. Ich hoffe sehr, daß der heutige Tag wenigstens dieses Signal in die Bundesrepublik Deutschland sendet, vor allem für das nächste Wahljahr.
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Für demokratische Parteien dürfen die Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, nie wieder Material für Wahlkämpfe sein.
Jeder hier im Saal weiß tief im Innern - das wissen auch die Demonstranten; das wissen auch die Kommentatoren -: Der Art. 16 ohne Ergänzung ließe unserem Land nur die Chance - ich glaube, daß sie besteht; ich halte sie nur für falsch -, nach streng rechtsstaatlichen Regeln ein immer härter werdender Abschiebestaat zu werden. Auch wenn wir sozusagen den Anlockcharakter des Art. 16 unverändert behalten, kann man mit einem rechtsstaatlichen Verfahren sehr viel machen, sehr viel beschleunigen. Aber wir werden ein Abschiebestaat. Unsere Gesellschaft hält das massenhafte Abschieben nicht aus. Das ist der Grund, warum ich mich für diese Ergänzung einsetze.
Jetzt wird der Versuch unternommen, eine Abweisevereinbarung mit Osteuropa zustande zu bringen, die uns in dem Zwang zur Begrenzung weiterhilft, ein Versuch, der mich wie viele meiner Kollegen frösteln macht - ich sage das ganz deutlich -, so wie mich aber auch die in diesem Jahr entstandene Lage Europas frösteln macht. Dieses Europa hat gerade den Versuch des Völkermords in Bosnien an der einzigen europäischen muslimischen Minderheit geschehen lassen. Aus dieser Situation heraus werden sicher noch sehr viele sogenannte Bürgerkriegseinwanderer kommen.
Ich stimme also mit großem Trennungsschmerz zu; aber ich bin zutiefst überzeugt, daß wir auf den Orkan des Wandels, in dem sich Europa nach dem Fall der Mauer befindet, reagieren müssen. Osteuropa hat nur eine Chance, wenn Westeuropa in diesem Orkan Anker bleibt und nicht selber zum Treibsand wird.
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Diese Gefahr ist bei der Rezession, in der wir sind, und bei den vielen anderen Grundfragen nicht von der Hand zu weisen.
Die Väter des Grundgesetzes haben mit diesem Art. 16 eine aus dem Leid und dem Terror geborene Vision in die Verfassung geschrieben. Sie war auf gerechte Weise so wohl nie einlösbar.
Die Entscheidung heute wird keine neue Vision schaffen. Aber meine Partei und ich könnten an ihr nicht mitwirken, wenn von hier nicht neue Perspektiven, vielleicht auch visionäre Perspektiven, für unsere eigene zivile und liberale Zukunft ausgingen. Die einzelnen Punkte solcher Perspektiven hat mein Kollege Wiefelspütz hier genannt. Darum kann ich es mir schenken, sie noch einmal aufzunehmen.
Ich möchte mich darauf konzentrieren: Wir müssen für Bürgerkriegsflüchtlinge offen bleiben.
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Das ist in diesem Kompromiß angelegt; denn der Vertreibungsterror wird eines der Mittel der Politik in manchen Regionen Osteuropas werden.
Ich stimme also der Änderung des Artikels aus sehr grundsätzlichen Überlegungen zu. Ich habe es mir wahrlich nicht leicht gemacht und habe darüber - viele meiner Freunde wissen das - sehr lange nachgedacht und mich dazu geäußert.
Ich werde den Kompromiß zur Rechtsschutzgarantie nicht mittragen können. In der Einzelabstimmung werde ich die gesetzliche Fixierung sicherer Herkunftsländer aus außenpolitischen Gründen ablehnen. Ich denke, es muß für diese Feststellung andere Formen geben können als eine gesetzliche Fixierung.
Mein wichtigstes Motiv, mein eigener Kompromiß dabei ist: Die Furcht vor den Millionen, die angeblich morgen kommen - beide Seiten arbeiten manchmal mit dieser Millionenzahl -, darf den Frieden mit jenen, die hier sind, die zum Teil seit Jahrzehnten bei uns sind, nicht beschädigen, nicht zerstören. Das ist mein oberstes Motiv.
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Die Angst der Menschen nichtdeutscher Herkunft in unserem Lande vor dem rechten Terror muß von uns allen sehr, sehr ernst genommen werden. Diese Angst hat inzwischen viele der 6 Millionen Menschen, die bei uns leben, erfaßt. Deutschland kann nicht leben, wenn in Deutschland keine Ausländer leben können. Die Demokratie der Deutschen kann nicht leben, wenn in ihr und mit ihr keine Ausländer mehr leben können. Das ist das Motiv, warum ich für die Ergänzung stimme.
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Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Lüder.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Fraktionsvorsitzender hat heute morgen dargelegt, daß es in unserer Fraktion einige Kollegen gibt, die den Verfassungsänderungen nicht zustimmen werden.
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Ich begründe für einige dieser Kollegen diese Position.
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. " - Dieser schlichte Satz der Verfassung wird hier tangiert. Dieser Satz wird historisch in einer Weise in Frage gestellt, die ich nicht verifizieren kann. Es wird gesagt, die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten nicht daran gedacht, daß es Massen von Flüchtlingen, Massen von Asylbewerbern geben könnte. Wer nachliest, was im Parlamentarischen Rat gesagt worden ist, wird das Gegenteil feststellen.
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Wir haben heute die Sorge - ich nehme die Zahlen des Innenministeriums -, daß bis zu 20 Millionen Europäer möglicherweise bereit sind, auf die Flucht in den Westen Europas zu gehen. Als das Grundgesetz geschaffen wurde, hatte man noch in Erinnerung, daß bis 1943 30 Millionen Europäer auf der Flucht vor Verfolgung, auf der Suche nach Asyl, nach einem neuen Unterkommen, nach einer neuen Heimat waren. Das waren nicht alles politisch Verfolgte, aber diese 30 Millionen Flüchtlinge haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes veranlaßt, den schlichten Satz zu schreiben: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. "
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Heute wie damals gab es die große Sorge vor diesem Problem.
Mein zweiter Gedanke. Ich bin als Liberaler großgeworden mit dem Gedanken, den mir Thomas Dehler und andere gesagt haben: Eher lasse ich 99 Schuldige laufen, als das ich einen Unschuldigen inhaftiere. Auf das Asylrecht angewendet heißt dies: Eher prüfe
ich 99 unberechtigte Asylanträge, als daß ich einen ohne Prüfung zurücklaufen lasse.
({3})
Ich weiß um die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, und ich respektiere die Kolleginnen und Kollegen, die in SPD, CDU/CSU und F.D.P. den Kompromiß gesucht haben. Ich sehe jedoch die Gefahr, daß die Freiheitsfackel des Grundgesetzes, zu der wir Art. 16 erklärt haben, zwar nicht erlöschen, aber so eingemauert wird, daß sie niemandem mehr Wegweisung geben kann. Wir legen einen „Cordon asylaire" um die Bundesrepublik, und niemand mehr kann dieses Recht in Anspruch nehmen, wenn er legal zu uns kommen will. Wir zwingen Asylbewerber in die Illegalität, wenn wir ihre Gründe rechtlich prüfen wollen. Dieses Verfahren vermag ich nicht mitzumachen.
({4})
Walter Koisser, der Vertreter des UN-Flüchtlingskommissars in Deutschland, hat nachdrücklich auf die Probleme, Sorgen und Aufgaben der Vereinten Nationen aufmerksam gemacht. Er hat morgen zu seinem Abschiedsempfang eingeladen und wird Abschied von Deutschland nehmen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um Walter Koisser für sein vorbildliches Engagement bis zum heutigen Interview in der „Süddeutschen Zeitung " herzlich zu danken.
({5})
Wenn alle Vertreter der Vereinten Nationen ihr Engagement für die Vereinten Nationen mit so viel Herzblut für verfolgte Menschen erfüllen würden wie dieser Vertreter der Vereinten Nationen, dann stünde es besser um die Welt.
({6})
Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke: Ich kann nicht verschweigen, daß ich die Asylrechtsdebatte heute auch unter dem Gesichtspunkt sehe, daß demnächst ein weiteres Grundrecht zur Debatte stehen wird, nämlich das auf Privatheit in der Wohnung. Wir sind auf dem Wege, Grundrechte zu hinterfragen - ich will das ganz vorsichtig sagen -, d. h. zu fragen, ob wir sie einhalten können, wenn es eine Gefahr gibt. Nein, Grundrechte müssen der Gefahr widerstehen.
({7})
Deswegen widerstehe ich der Verfassungsänderung hier.
({8})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Michael Stübgen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lüder, ich achte Sie als Kollegen im Innenausschuß, und ich achte auch Ihr Wort, weil es für meine Meinungsbildung wichtig ist. Aber gerade deshalb erlaube ich mir, meine Haltung darzustellen.
Ich glaube, Ihre Argumentation bezüglich des neuen Art. 16a des Grundgesetzes ist falsch. Es wird auch zukünftig in Art. 16 a stehen: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. "
({0})
Alles, was in den nachfolgenden Sätzen steht, ist lediglich eine Konkretisierung der Definition: Was ist eigentlich Asylrecht, und was ist ein politisch, rassisch und religiös Verfolgter? An keiner einzigen Stelle der darauffolgenden Sätze gibt es eine materielle Einschränkung des Asylrechtes, sondern es gibt lediglich eine verfahrensrechtliche Konkretisierung.
({1})
Das ist für mich sehr wichtig. Sonst würde ich nicht zustimmen. Ich glaube, Sie haben da einen falschen Ansatz.
({2})
Ich möchte auch zu diesem späten Zeitpunkt der Debatte noch einmal versuchen, Sinn und Zweck dieser Änderungen, die wir heute beschließen wollen, deutlich hervorzuheben. Die zur Debatte stehenden Rechtsänderungen verfolgen dem Grunde nach einen einzigen Zweck: die Wiedereinrichtung des am Verfolgerstatus orientierten materiellen Asylrechts, den umfassenden Schutz der tatsächlich Verfolgten in der Bundesrepublik Deutschland. Denn wenn, wie wir es schon häufig gehört haben, eine Anerkennungsquote von lediglich 4 % vorhanden ist, dann kann doch niemand mehr sagen, daß die Verfahrensweise unserer Asylrechtsbestimmung richtig ist.
Die ungeheuren Zuwanderungsströme hauptsächlich aus dem osteuropäischen Teil der Erde stellen uns vor große Probleme, deren Ursachen vielfältig und keineswegs leicht zu beheben sind. Der Einwanderungsdruck auf Europa, der derzeit schon bei 1 Million legaler Einwanderer und nochmals geschätzt 1 Million illegaler Einwanderer jährlich liegt - möglicherweise sind es 2 Millionen, weil man sich bei den Schätzungen nicht auf feste Daten berufen kann -, steigt weiter.
Zum allergrößten Teil handelt es sich bei diesen Einwanderern - dies wurde von den Gegnern der Asylrechtsänderung nicht ausreichend auseinandergehalten - eben nicht um Asylbewerber, nicht um politisch, rassisch und religiös Verfolgte, sondern um Einwanderer.
Ein wirklicher Schutz der Verfolgten dieser Erde umfaßt nicht nur deren Unterbringung und Verpflegung, sondern auch deren Integration in unserer Gesellschaft. Da haben wir doch zur Zeit die allergröß13588
ten Probleme. Diese Integration der wirklich Verfolgten kann derzeit von den damit betrauten Kommunen auf Grund der hohen Anzahl der Wirtschaftsflüchtlinge - der Einwanderer, sage ich besser - nicht mehr geleistet werden. Bürger und Kommunalpolitiker, gleich welcher Partei sie angehören, haben keinerlei Verständnis dafür, daß in den letzten Jahren einerseits die Zahl der Asylbewerber ständig gestiegen ist, andererseits die Anerkennungsquote ständig gesunken ist und wir in Bonn bisher nicht in der Lage waren, die Belastungen, die durch die große Zahl von Asylbewerbern mit offensichtlich unbegründeten Anträgen entstehen, wirksam einzuschränken.
({3})
Ich meine, wir müssen als Bundespolitiker auch selbstkritisch feststellen, daß die in Deutschland entbrannte Diskussion zum Asylrecht in der Bevölkerung zu einer diffusen Vermischung der verschiedenen Begrifflichkeiten dieses Problemkreises geführt hat und wir bis heute nicht in der Lage waren, die Vermischung dieser verschiedenen Begrifflichkeiten deutlich zu machen. In einigen Redebeiträgen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste ist wieder massiv versucht worden, mit der Vernebelung der differenzierten Begrifflichkeit in diesem Bereich eigentlich Demagogik zu betreiben.
({4})
Es ist gesagt worden, es gehe heute um die Defacto-Abschaffung des Asylrechtes. Dazu muß ich sagen: Entweder sind die, die das gesagt haben, strohdumm, oder sie wollen wirklich bloß Demagogik betreiben.
({5})
Wenn Sie sich wirklich durchgelesen haben, was wir heute beschließen wollen, können Sie deutlich sehen, daß wir uns mit den Änderungen peinlich genau einerseits an die Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention und andererseits an die der Europäischen Menschenrechtskonvention halten und daß wir in einigen Teilen einen höheren Rechtsschutz für Asylbewerber gewähren, als es die Genfer Flüchtlingskonvention eigentlich vorschreibt. Ich finde das auch richtig, und wir wollen es so beschließen.
Wenn Sie aber Ihre Behauptung aufrechterhalten, wir würden mit diesen Regelungen, die sich an den internationalen Kriterien orientieren, das Asylrecht abschaffen, müssen Sie gleichzeitig auch sagen, daß nach Ihrer Überzeugung der UNHCR, die gesamte UNO und alle Rechtsstaaten dieser Welt außer Deutschland kein materielles Asylrecht gewähren. Das sollten Sie dann auch deutlich tun, damit andere Leute mitbekommen, wie Sie eigentlich denken. Das ist auch eine Art von Nationalismus; ich würde sagen: linksgestrickter Nationalismus. Nationalismus hat Deutschland noch nie etwas gebracht.
Im Gegenteil meine ich, daß die unerträglich lange Verschleppung eines Lösungsansatzes, der seit Jahren nötig ist und wie wir ihn heute beschließen werden, die Reihen der Rechtsradikalen prächtig
gefüllt hat. Dies hat bei vielen Bürgern den Eindruck erweckt, die Staatsmacht sei unfähig, Probleme zu lösen. Wie wir alle wissen, führt eine echte oder vermeintliche Ohnmacht des Staates zu erhöhter Bereitschaft, Selbstjustiz zu üben, wie wir es in den letzten Monaten im Bereich der Kriminalität von Deutschen, meistens jugendlichen, gegenüber Ausländer erleben mußten.
Herr Abgeordneter Stübgen, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weiß zuzulassen?
Ja, wenn Sie die Uhr anhalten.
Das habe ich schon getan.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß außer dem BÜNDNIS 90 und der von Ihnen zitierten PDS zahlreiche Verfassungsrechtler und Rechtspraktiker bei den Anhörungen, die wir zu diesen Gesetzentwürfen im Deutschen Bundestag durchgeführt haben, genau mit denselben Argumenten, wie wir sie heute vorgetragen haben, argumentiert haben und das sich unsere Argumentation durchaus auf verfassungsrechtlichem Boden bewegt und nicht nur etwas mit Dummheit zu tun hat, wie Sie unterstellt haben?
Ich habe das durchaus in der Anhörung zur Kenntnis genommen, Herr Kollege Weiß. Aber bitte verfolgen Sie meine Argumentation. Ich habe gesagt und begründet: Alles , was wir heute an Grundgesetzergänzungen beschließen wollen, orientiert sich peinlich genau an den internationalen Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention.
({0})
Wenn Sie sagen, daß wir mit dieser Orientierung und Annäherung an diese beiden Konventionen das Asylrecht faktisch aufheben würden, unterstellen Sie, daß alle Rechtsstaaten auf dieser Welt, die sich dieser Genfer Konvention angeschlossen haben, eben kein Asylrecht gewähren. Gegen diese Unterstellung werde ich mich entschieden zur Wehr setzen.
({1})
Sind Sie auch bereit, eine Frage des Abgeordneten Reuschenbach zu beantworten?
Ja.
Herr Kollege, wenn das alles so toll ist und voll den Flüchtlingskonventionen der verschiedenen Art entspricht, können Sie mir dann erklären, wieso der deutsche Vertreter des UNO-Flüchtlingssekretariats ein vernichtendes Urteil über das, was heute beschlossen wird, abgegeben und hinzugefügt hat: „Das ist der Anfang des Zusammenbruchs der europäischen Flüchtlingskonvention"?
Ich muß Ihnen gestehen, daß ich diese Stellungnahme nicht kenne. Ich habe mich an den Text der Genfer Flüchtlingskonvention, an dem Heftchen, das vom Bundesanzeiger herausgegeben worden ist, und an Kommentaren dazu orientiert. Wenn ich diese Stellungnahme gelesen hätte, könnte ich Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage geben.
Ich möchte allerdings weiterreden. Dann werden Sie merken, daß ich keineswegs alles so toll und fein finde, was wir heute machen. Ganz im Gegenteil: Es geht auch uns Unionschristen so, daß wir nicht locker vom Hocker irgend etwas beschließen und sagen: Das alles ist richtig. Auch wir haben wirklich unsere Probleme damit. Aber ich will Ihnen sagen, warum wir glauben, daß wir so vorgehen müssen.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe orientieren sich peinlich genau an international anerkannten Richtlinien, u. a. an dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und an der Konvention zum Schutz der Menschenrechte. Dies sind auch die Grundlagen des Asylrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft.
Einige meiner Vorredner haben auf die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Asyllösung hingewiesen. Dies möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Kein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist in der Lage, die durch den großen Zuwanderungsstrom entstehenden Probleme alleine zu lösen. Daher ist die Harmonisierung des europäischen Asylrechts unabdingbar. Dies wiederum bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit einer Angleichung an internationale Standards.
Die hierzu vorgetragenen Bedenken sind grundlos. Niemand in diesem Hause wird unseren europäischen Nachbarn wirklich unterstellen, daß sie tatsächlich Verfolgten keinen Schutz gewähren. Ich meine die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft, die EFTA-Länder und auch - das Vertrauen habe ich allerdings - die Länder des ehemaligen Ostblocks Polen und die Tschechische Republik.
Bisher war es der Bundesrepublik nicht möglich, internationale Vereinbarungen zum Asylrecht uneingeschränkt umzusetzen. Erinnert sei hier nur an das Schengener Abkommen, wonach Asylbewerber, die über ein sicheres Drittland einreisen, in dieses zurückgeschickt werden können. Der bisherige Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes verhinderte eine solche Vorgehensweise in Deutschland. Dies behindert eine gerechte Verteilung der Asylbewerber auf alle westeuropäischen Staaten. Ich sehe gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention keinen Grund, warum ein Asylbewerber, der sich bereits in einem verfolgungssicheren Staat befindet, nicht auch in diesem um Asyl bitten soll, solange gewährleistet ist, daß in diesem Staat die Grundlagen der Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannt sind.
Art. 33 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention besagt, daß
keiner der vertragschließenden Staaten einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen wird, in denen sein Leben oder seine Freiheit
wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
Genau dieses Gebot wird in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, wie wir ihn heute beschließen, beachtet.
Ausdrücklich ist nochmals darauf hinzuweisen, daß als Drittstaaten nur solche Länder in Frage kommen, die als absolut verfolgungssicher gelten. Ich möchte darüber hinaus daran erinnern, daß das Ziel eines Asylantrages immer die Sicherheit vor der Verfolgung im Heimatland ist und nicht dem Grunde nach die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beinhaltet.
Darüber hinaus begrüße ich die Verkürzung der Verfahren für diejenigen Asylbewerber, die aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen und keine Tatsachen oder Beweismittel vortragen, die eine Verfolgung wahrscheinlich erscheinen lassen. An der Verfolgungssicherheit der Staaten, die in Anlage II zu § 29 a des Asylverfahrensgesetzes genannt sind, bestehen keine Zweifel. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine materiell-rechtliche Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl, sondern lediglich um eine verfahrensrechtliche, bloß antizipierte Tatsachenwürdigung.
Selbstverständlich - das ist wichtig in Zukunft - gilt es, die Situation in diesen von uns als verfolgungsfreie Herkunftsländer eingestuften Staaten aufmerksam zu beobachten, um schnell reagieren zu können, wenn dort Situationen auftreten, die es eben nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen, sie als verfolgungsfrei zu klassifizieren. Ich möchte darauf hinweisen, daß auch hier eine gesamteuropäische Lösung anzustreben ist.
Um die vorliegenden gesetzlichen Grundlagen in die Tat umzusetzen, werden insbesondere die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die Außengrenzen haben, einen hohen personellen und finanziellen Aufwand betreiben müssen. Hierbei denke ich nicht nur an Maßnahmen innerhalb der EG, sondern auch an die sicheren Drittstaaten, insbesondere die ehemaligen Ostblockstaaten, die ohne unsere Hilfe eine Rücknahme der durch ihr Land gereisten Flüchtlinge nicht garantieren können. Dies haben die erst kürzlich erfolgten Verhandlungen mit der Volksrepublik Polen gezeigt.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie an die Bedeutung des roten Lichtes erinnern.
Ja, ich sehe das schon die ganze Zeit. Ich bin gleich fertig.
({0})
Folgende Gedanken möchte ich noch formulieren, weil das heute noch nicht ausgeführt worden ist: Die in den Maastrichter Verträgen vorgegebene Asylrechtsharmonisierung kommt einer Verpflichtung der gesamten EG-Staaten gleich, die Nachbarländer, die als Nichtverfolgerstaaten eingestuft werden, finanziell zu unterstützen. Wir haben heute schon einige
Male gehört, daß in der Osteuropahilfe Deutschland allein 70 % der Gesamthilfe ausgibt. Wenn sich hier in Zukunft nichts ändert - denn die Herausforderung der Immigration ist eine europäische Herausforderung -, wird natürlich nichts zu erreichen sein.
Es wird Aufgabe der Bundesregierung und auch unseres Parlamentes sein, die EG-Mitgliedstaaten in diesem Bereich an ihre Pflicht zu erinnern. Nur wenn wir in den Ländern, aus denen jetzt die Flüchtlingsströme kommen, die politische und wirtschaftliche Situation mit unserer Hilfe stabilisieren können, werden wir den Flüchtlingsstrom eindämmen könne. Nur das kann eine Lösung der jetzigen Problematik sein.
Ich bedanke mich für die Geduld des Präsidenten und für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat nunmehr die Frau Abgeordnete Ulla Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich nach fast neunstündiger Debatte einen Punkt ansprechen, der nicht nur heute, sondern leider auch in den Beratungen über den Asylkompromiß und die Gesetze, die wir heute beschließen, zu kurz gekommen ist.
Wir alle wissen, daß in allen Regionen der Erde schwere Menschenrechtsverletzungen an Frauen begangen werden. Frauen erleben politische Verfolgung vielfach anders, zum Teil auch schwerer als Männer. Oft sind sie Opfer von Vergewaltigungen und sexuell gefärbten Foltermethoden. Für sie gelten vielfach andere Normen, nur weil sie Frauen sind. So werden, wie Sie wissen, in islamischen Ländern angebliche Ehebrecherinnen nicht nur ausgepeitscht und gesteinigt, sondern auch mit Todesstrafe bedroht.
Frauen gelten immer als menschliche Kriegsbeute. Das jüngste und widerlichste Beispiel, über das auch oft in diesem Parlament diskutiert wurde, ist die systematische Vergewaltigung moslemischer Frauen im ehemaligen Jugoslawien, die wir alle nur hilflos zur Kenntnis nehmen.
Um so bedauerlicher ist es, daß im jetzigen Asylverfahrensgesetz die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 31. Oktober 1990 nicht umgesetzt wurde. Damals wurde in diesem Parlament einstimmig beschlossen, daß in das Asylverfahrensgesetz eine ausdrückliche Klarstellung aufgenommen werden soll, wonach auch wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Frauen Asyl genießen.
In zahlreichen Eingaben von Frauenorganisationen, Verbänden, Gewerkschaften, der Humanistischen Union und Amnesty International sowie Kirchen - sie alle haben sie auch erhalten - ist gefordert worden, geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe in die Gesetzgebung aufzunehmen. Dies ist nicht geschehen, obwohl diese Forderung in diesem Parlament eine breite Unterstützung hat. Sie hat die Unterstützung von Frauen aller Bundestagsfraktionen.
Der Staatssekretär des Bundesinnenministeriums hat hierzu im Innenausschuß lediglich folgende Erklärung abgegeben - ich zitiere -:
Der Bundesminister des Innern erklärt, daß nach seiner Auffassung geschlechtsspezifische Verfolgungen dann Ausdruck von politischer Verfolgung sind, wenn sie vom Staat veranlaßt werden oder in dem Staat zurechenbarerweise als Mittel politischer Unterdrückung erfolgen, etwa im Rahmen einer auf das äußerste zu verurteilenden völkerrechtswidrigen, absolut inhumanen sogenannten ethnischen Säuberung. Der Bundesminister des Innern hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über seine Rechtsauffassung unterrichtet.
Ich begrüße diese Protokollnotiz als einen ersten Schritt. Damit läßt sich immerhin eine Sensibilisierung derjenigen erreichen, die über Asylanträge zu entscheiden haben. Aber Rechtssicherheit für alle betroffenen Frauen läßt sich auf diesem Wege nicht herstellen.
({0})
Meine Fraktion wird daher nach Abschluß des hier zur Debatte stehenden Asylverfahrensgesetzes in Kürze dieses Anliegen in einem neuen Gesetzgebungsverfahren wieder aufgreifen. Ich hoffe dabei auf Ihre Zustimmung und auf die breite Unterstützung, die wir zumindest in den Diskussionen vorher hatten, aber auch auf die Einhaltung eines Beschlusses, den dieser Deutsche Bundestag schon einmal gefaßt hat.
Vielen Dank.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Grafen von Schönburg-Glauchau das Wort.
Pane President! Kohanie Kolege! Moja matka, moja ukohana matka, biela polka. Ich darf auf deutsch fortfahren: Meine Mutter war Polin, meine Großmütter haben die urdeutschen Namen Kotek und Kurinski gehabt. Folglich bin ich der Ausländerfeindlichkeit nicht nur deswegen nicht verdächtig, sondern auch deshalb, weil ich die meiste Zeit meines Lebens selber Fremder oder Ausländer war.
Ich bin darüber hinaus von Kindesbeinen an notgedrungen Spezialist für Aufenthaltsgenehmigungen, Dauervisa und Arbeitsgenehmigungen geworden, für alles, was in diesem Bereich stattfindet. Ich möchte - wenn auch ohne Mandat - mit dem Gefühl der Verantwortung für diesen Menschenkreis sagen: Wir müssen das Asylrecht retten. Wir werden es nur retten, wenn wir es ergänzen.
({0})
Liebe Kollegen, wir können lange darüber debattieren. Aber glauben Sie mir meine Erfahrung: Die Fehlasylanten, die Scheinasylanten dürfen nicht die Amtsstuben und die Herzen unserer Mitbürger verstopfen, die die ganzen Jahre über rührend bereit waren, Flüchtlinge, DPs, Vertriebene und Verfolgte aufzunehmen. Ich sehe die Gefahr, daß die unechten Asylanten die Herzen für die echten verstopfen. Ich bitte Sie daher, den Kompromiß, auch wenn er Menschenwerk ist, auch wenn er seine Schwäche haben wird, als einen richtigen Schritt auf dem richtigen Weg zu unterstützen.
Danke schön.
({1})
Ich erteile nunmehr der Bundesministerin für Familie und Senioren, Frau Hannelore Rönsch, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute über die Fragen der Grundrechte auf Zuwanderung, auf Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. Wir berühren damit einen zentralen Nerv unseres politischen Selbstverständnisses und unserer demokratischen Grundordnung.
Ich denke, das gilt auch für die Art und Weise der Behandlung der zu uns kommenden Menschen und ihrer Versorgung. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz haben wir hierauf eine angemessene und, wie ich glaube, auch eine gerechte Antwort gefunden. Sie unterscheidet sich in ihrem gedanklichen Ansatz wie in der Form ihrer Leistungsgewährung deutlich von der Sozialhilfe. Sozialhilfe ist - lassen Sie mich die Begründung aus dem Jahre 1961 zitieren - „Ausfallbürge für die Fälle sozialer Notlage".
Sozialhilfe knüpft also grundsätzlich an einen vorher erreichten, den hiesigen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Lebensstandard an. Ebenso eindeutig besteht das maßgebende Ziel der Sozialhilfe in der Eingliederung des Hilfeempfängers in die Gemeinschaft. Das gilt bei allem Wandel für die Sozialhilfe auch heute noch, ja ich möchte sagen: gerade heute ganz besonders.
Das trifft jedoch nicht auf die Menschen zu, die aus ganz anderen Lebensverhältnissen kommen und die aus öffentlichen Mitteln versorgt werden, damit sie überhaupt und nur für eine kurze Zeit hierbleiben können. Lassen Sie es mich etwas grundsätzlicher sagen. Der Versuch, Menschen, die aus ganz anderen Lebensumständen kommen und in aller Regel in Kürze auch wieder dorthin zurückkehren werden, zu einer gesellschaftlichen Eingliederung hier zu motivieren, würde ihnen nur zum Nachteil gereichen. Denn nach der Rückkehr in ihre Heimat fiele ihnen eine Reintegration in ihr kulturelles und ihr soziales Umfeld sicher viel schwerer. Ich glaube, daß wir ihnen damit keinen Gefallen tun würden.
Ich halte es darüber hinaus für ausgesprochen inhuman, Leistungen in einer Höhe und in einer Form zu erbringen, die es erlauben, die Forderungen von Schlepperorganisationen abzustottern. Mit falschen
Versprechungen und hohem Gewinn bringen Schlepper weit mehr als die Hälfte aller illegal Einreisenden in die Bundesrepublik Deutschland. Auf Grund der bisher gezahlten Sozialleistungen gelten dann die eingeschleusten Menschen sehr oft als kreditwürdig. Wir wollen jetzt mit der Neuregelung auch - aber nicht allein aus diesem Grunde haben wir die Änderung vorgenommen - den üblen Praktiken dieses international organisierten Verbrechertums so weit wie möglich einen Riegel vorschieben.
Eine weitere in den vergangenen Wochen diskutierte Frage ist die nach dem Respekt vor der Würde auch der Menschen, die zu Unrecht unter Berufung auf das Asylrecht nach Deutschland kommen. Entgegen manchem Gerede sehe ich in den vorgesehenen Maßnahmen und Leistungen eindeutig keinen Verstoß gegen die Menschenwürde.
({0})
Menschenwürde hat meiner Auffassung nach erstens zum Inhalt, daß Ausländer in der Zeit, in der sie sich hier aufhalten können, eine ausreichende Existenzgrundlage haben, zweitens, daß eine solche Existenzsicherung in gerechter Weise zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Ausländern differenziert, und drittens, daß die Leistungen in einem einfachen, aber auch in einem durchaus durchschaubaren Verfahren gewährt werden.
Dem entsprechen die Lösungen, die im Entwurf des Asylbewerberleistungsgesetzes enthalten sind. Das Leistungsrecht für Asylbewerber und geduldete Ausländer wird förmlich aus dem Bundessozialhilfegesetz herausgelöst. Die jeweilige Leistungsberechtigung knüpft an dem jeweiligen eindeutigen ausländerrechtlichen Status an.
Das vorrangige Leistungsprinzip im Asylbewerberleistungsgesetz ist - anders, als wir es in der Sozialhilfe geregelt haben - die unmittelbare Sachleistung. Hierzu erfolgt eine pauschalierte und generelle Bemessung der Bedarfe zur Deckung des Grundbedürfnisses. Auch hierin hebt sich dieses Gesetz von dem viel differenzierteren und dem Individualprinzip verpflichteten Leistungsgesetz der Sozialhilfe ab. Für die Bezahlung notwendiger Dinge des täglichen Lebens wird den Asylbewerbern ein Barbetrag zur Verfügung gestellt. Ich sage, es ist ein bescheidener Barbetrag. Nur in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen kann von dem Sachleistungsprinzip abgewichen werden. Auch wenn dies nicht im Ermessen der zuständigen Behörde steht, kann damit dennoch den notwendigen Erfordernissen vor Ort Rechnung getragen werden.
Selbstverständlich werden alle medizinischen Hilfen geleistet: bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei Geburten. Niemand soll im Fall einer akuten Erkrankung oder bei Schmerzen ärztliche Versorgung vermissen müssen.
Schließlich sind Asylbewerber verpflichtet, während der Dauer des Verfahrens ihre Arbeitskraft für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen. Eine Aufwandsentschädigung von 2 DM je Stunde soll dann gewährt werden.
Verfügen Asylbewerber über ein Einkommen und Vermögen, so ist dieses zuerst aufzubrauchen. Das war bisher auch nicht klar; wir haben es jetzt geregelt. Die Kosten für die Sachleistungen in den Einrichtungen sind durch feste Pauschalsätze oder Pauschalrahmensätze vom Asylbewerber, der dazu in der Lage ist, zu erstatten.
Zuständig für die Durchführung des Gesetzes sind die Lander. Auch tragen sie wie bisher weitgehend die Kosten dafür. Sie können in einem vereinfachten Verfahren die zuständigen Behörden und die Kostenträger im Lande bestimmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe noch einmal die Kernpunkte dieses neuen Gesetzes aufgelistet, und ich bin überzeugt, daß sich dieses Gesetz als ein praktikables Instrument erweisen wird. Es enthält - ich glaube, das ist ebenso wichtig - Lösungen, die von den Betroffenen, aber auch von unserer Bevölkerung akzeptiert werden können.
({1})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir mußten allerdings auf Wunsch der Opposition noch einen § 1 a einfügen und haben einen Kompromiß gefunden, der mir - das gestehe ich offen ein - heute noch etwas Kopfzerbrechen bereitet. Danach sollen Asylbewerber, wenn das Verfahren nach zwölf Monaten noch nicht unanfechtbar entschieden ist, und geduldete Ausländer, die den Grund der Duldung nicht selbst zu vertreten haben, zwar leistungsberechtigt nach dem Gesetz bleiben; Höhe und Form der Leistung sowie das weitere Verfahren sollen sich dann jedoch aus entsprechenden Anwendungen des Bundessozialhilfegesetzes ergeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden hier ganz genau verfolgen müssen, wie das Gesetz insgesamt durchgeführt wird und wie sich die jetzt vorgeschlagenen Lösungen entwickeln und sich dann auch für die Betroffenen auswirken.
Selbstverständlich ist die Regelung nach § 1 a in diese kritische Überprüfung mit eingeschlossen. Ich denke, daß wir gerade an dieser Stelle besonders aufpassen müssen, daß sich nachher keine Fehlentwicklungen einstellen. Ich wünsche es nicht, halte es aber durchaus für möglich, daß wir uns gerade bei dieser Regelung in absehbarer Zeit noch einmal treffen und darüber neu verhandeln müssen.
Viel wird davon abhängen, daß das Ausländer- und Asylrecht in der neuen Fassung wie auch das Asylbewerberleistungsgesetz strikt angewandt werden. Ich fordere auch von dieser Stelle alle, die nachher für die Umsetzung zuständig sind, auf, dieses Gesetz, wie es in der Praxis jetzt schon möglich wäre, dann, wenn es beschlossen ist, umgehend umzusetzen, damit wir zu den Möglichkeiten und Ergebnissen kommen, die wir uns von diesem Gesetz versprechen.
({2})
Hier stehen die Länder und die Kommunen in der Verantwortung, damit die bisher von Deutschland ausgehende Sogwirkung auf Asylbewerber ohne politische, rassische oder religiöse Verfolgung vermindert wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich von dieser Stelle aus auch noch einmal an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages appellieren, dem interfraktionellen Kompromiß zu Asyl und Zuwanderung, aber auch dem Asylbewerberleistungsgesetz zuzustimmen. Ein Scheitern dieses Kompromisses wäre sicherlich nicht zu verantworten; es wäre nicht zu verantworten für die unmittelbar Betroffenen, und es wäre nicht zu verantworten für die Bürger unseres Landes.
({3})
Nunmehr spricht die Abgeordnete Frau Christel Hanewinckel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Flüchtllinge, Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, müssen etwas zum Leben haben. In Deutschland gilt der Grundsatz, daß das nach dem Bundessozialhilfegesetz zu geschehen hat. In § 1 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes ist formuliert: „Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht."
Im November 1992 hatte die Koalition einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine Kürzung des Regelsatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz um 25 % vorsah. Meine Kollegin Brigitte Lange hat schon damals auf die grundsätzliche Problematik hingewiesen, daß eine generelle Kürzung des Regelsatzes für Asylbewerber dem Individualisierungsgebot des Bundessozialhilfegesetzes widerspricht.
Das Parlament ist heute dabei, eine Neuregelung zu verabschieden, die außerhalb des Bundessozialhilfegesetzes in einem eigenständigen Gesetz Leistungen für Asylbewerber regeln soll. Das ist im Parteienkompromiß vom 6. Dezember 1992 so vorgesehen. Außerdem ist in diesem Kompromiß festgeschrieben, daß eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen erfolgt, daß bei Aufenthalten in zentralen Anlaufstellen oder Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich Sachleistungen zu gewähren sind und daß bei Aufenthalten in zentralen Anlaufstellen - sprich: Gemeinschaftsunterkünften - ein Vorrang für Sachleistungen gilt. Nach einer positiven Entscheidung im Verwaltungsverfahren oder einer positiven Entscheidung über ein Bleiberecht werden Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährt.
Der Gesetzentwurf, der von der Koalition vorgelegt wurde, ging an vielen Stellen über den soeben zitierten Kompromiß hinaus. Verhandlungen waren nötig. Sie waren schwierig und problematisch; problematisch deshalb, weil die Koalition weder von sozialpolitischen Aspekten noch von den Art. 3 und Art. 1 des Grundgesetzes ausging. Sie wollte das Leistungsgesetz als Instrument einer Politik der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung durch Abschreckung benutzen. Sie hatte außerdem die Absicht, dem Mißbrauch entgegenzusteuern, und hat dabei übersehen, daß sie die Flüchtlinge bestrafen wollte, statt die zu strafen bzw. zu stellen, die für den Mißbrauch verantwortlich sind, nämlich die Schlepperorganisationen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion war es nach drei Verhandlungsrunden nicht möglich, den GesetzentChristel Hanewinckel
wurf in erster Lesung am 3. März 1993 mit einzubringen. Die SPD war der Meinung, daß Menschen in diesem Land unter unseren Bedingungen das zum Leben Unerläßliche benötigen, unabhängig davon, welcher Hautfarbe oder welchen Geschlechts sie sind, welcher Nationalität oder welcher Gesellschaft sie angehören.
Die Beschränkung auf deutlich abgesenkte Leistungssätze ist sozialpolitisch nur dann vertretbar, wenn der Zeitraum des Leistungsbezuges begrenzt ist und die generelle Gewährung von Sachleistungen nur für zentrale Aufnahmestellen gilt.
Inzwischen haben die Verhandlungen erhebliche Verbesserungen dieses Gesetzes gebracht. Die SPD hat erreicht, daß der Zeitraum, in dem Asylbewerber abgesenkte Leistungen erhalten, auf zwölf Monate begrenzt ist. Die Koalition wollte die gekürzten Leistungen unbegrenzt lassen und alle schon jetzt in der Bundesrepublik lebenden Asylbewerber auf die abgesenkten Sätze verweisen. Durch die Begrenzung des Leistungszeitraums auf zwölf Monate ist auch eine Altfallregelung getroffen, die vorher nicht vorgesehen war.
Außerdem hatte die Koalition vor, Asylbewerber, deren Verfahren nach über zwölf Monaten negativ entschieden wird und die danach Rechtsmittel einlegen, ab diesem Zeitpunkt mit abgesenkten Leistungen zu bestrafen. Es war einige Mühe notwendig, der Koalition klarzumachen, daß das Beschreiten des Rechtsweges in diesem Lande noch Gültigkeit hat und nicht mit geminderten Leistungen bestraft werden kann.
Wir haben weiterhin erreicht, daß Geduldete nach Abschluß ihres Verfahrens nicht weitere sechs Monate abgesenkte Leistungen bekommen, sondern sofort in den Geltungsbereich des BSHG gelangen, daß Geld- und Sachleistungen nicht unter das zum Leben Unerläßliche gekürzt werden - der Trend in der CDU war, auf 50 % des Regelsatzes zu kürzen - und daß der Leistungszeitraum auf 12 Monate begrenzt worden ist.
Es ist weiterhin die Beibehaltung der sogenannten Härtefallklausel, eine teilweise Öffnung des Sachleistungsprinzips für dezentrale Unterkünfte und eine Sollvorschrift für persönliche Auszahlung der Geldbeträge erreicht worden. Die beiden zuletzt genannten Punkte sind Vorschriften, die vor allen Dingen für die Praktikabilität dieses Gesetzes sprechen.
Die Veränderung und damit die deutliche Verbesserung dieses Gesetzes hat es für die Mehrheit der SPD-Fraktion zustimmungsfähig gemacht. Für den anderen Teil der SPD-Fraktion ist dieses Gesetz nicht zustimmungsfähig, und zwar zum einen deshalb, weil andere notwendige Nachbesserungen von der Koalitaion abgelehnt wurden.
Zum Beispiel können in § 3 die Leistungen im Krankheitsfall so nicht akzeptiert werden. Asylbewerber können nach dem jetztigen Text von bestimmten Behandlungen ausgenommen sein.
In § 4 ist nicht akzeptabel, daß Asylbewerber zu Arbeiten verpflichtet werden und, wenn sie ablehnen,
Sanktionen im Bereich der Barleistungen erdulden müssen.
Es ist auch nicht hinzunehmen, daß es in § 10 keine Regelung gibt - ein neuer Abs. 1 wäre da notwendig gewesen -, die sicherstellt, daß Beratung für Asylbewerber und Ausländer finanziert wird. Die Inanspruchnahme entsprechender Hilfen setzt eben nicht nur eine Information z. B. über Weiterwanderungsprogramme, sondern auch Beratung zur Entscheidungshilfe voraus. Mit diesem Gesetz wird diese Beratung nicht mehr finanziert.
Zu allen vier Punkten gab es Änderungsvorschläge der SPD, die die Koalition abgelehnt hat.
Für einen Teil meiner Kolleginnen und Kollegen gilt zum anderen die grundsätzliche Ablehnung dieses Leistungsgesetzes, und zwar deshalb, weil sie sich an Art. 1 des Grundgesetzes gebunden fühlen, der uns an die Unantastbarkeit der Würde des Menschen bindet, und weil mit der Ausgliederung des Leistungsgesetzes für Asylbewerber aus dem BSHG dieses Gesetz dem Obersatz des Sozialhilferechts nicht mehr verpflichtet ist.
({0})
Ich zitiere diesen Satz noch einmal. Er lautet:
Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.
Die Sorge dieses Teils der SPD-Fraktion ist, daß der in Teilen der Bevölkerung herrschende Eindruck, Asylbewerber kämen nur wegen unseres Geldes, durch diese Gesetzesvorlage bestätigt wird.
Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz wird erstmals ein Leistungsniveau zur Sicherung des Lebensunterhalts unterhalb des BSHG festgeschrieben. Damit werden erstmals seit der Einführung des BSHG ordnungs- und polizeirechtliche Überlegungen wieder zu bestimmenden Elementen sozialrechtlichen Handelns. Es ist nicht gerechtfertigt, die soziale Grundsicherung des BSHG zu einem Instrument der Ausländer- und Asylpolitik zu machen und sie damit faktisch auszuhöhlen.
Aus all diesen zuletzt genannten Gründen wird es einem großen Teil der SPD-Fraktion nicht möglich sein, diesem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich gehöre auch zu diesem Teil der Bundestagsfraktion, der dem Asylkompromiß und auch diesem Gesetz nicht zustimmen kann.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Herbert Werner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser humaner, auf Menschlichkeit und Menschenrecht ausgerichteter Rechtsstaat hat unter anderem zum Inhalt, daß jeder Mensch, der sich vorübergehend oder dauernd auf seinem Territorium befindet, sein Existenzminimum,
Herbert Werner ({0})
also das, was er absolut notwendig zum Überleben braucht, vom Staat gewährleistet erhält.
Dieser Grundsatz gilt selbstverständlich auch für Asylbewerber. Nach annähernd 440 000 Neubewerbern im vergangenen Jahr werden es in diesem Jahr voraussichtlich ebenso viele sein, und für diesen Personenkreis haben Länder und Gemeinden 1992 annähernd 9 Milliarden DM ausgegeben.
Dieser Kostendruck und die Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Bewerber haben ja die Gemeinden dazu gebracht, von uns, dem Gesetzgeber, energisch die Reduzierung der Kosten und die Verbesserung der Möglichkeiten der Unterbringung zu verlangen.
Es nimmt eigentlich nicht wunder, daß in den letzten Monaten vermehrt SPD-Kommunalpolitiker im Gegensatz zu ihrer Parteiführung, meine Damen und Herren, gefordert haben, daß wir auch in diesem Bereich Veränderungen durchführen.
Mit diesem Asylbewerberleistungsgesetz, das heute vorliegt, wird in der Tat der Kreis der Asylbewerber im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Leistungen aus dem Bereich des BSHG herausgenommen. Dies ist meines Erachtens aber auch richtig so und vertretbar.
Wenn wir soeben gehört haben, Frau Hanewinckel, daß damit angeblich der Asylbewerber unter das vergleichbare Lebensniveau des BSHG-Beziehers abfalle, wenn wir soeben von Ihnen gehört haben, daß damit die Würde des Menschen tangiert würde, dann muß ich Ihnen sagen, da kann ich Ihnen in diesen beiden Punkten absolut nicht zustimmen.
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Denn es ist zweifelsohne so, meine Damen und Herren, daß der deutsche Sozialhilfeempfänger eine Fülle von Leistungen zunächst einmal nicht automatisch erhält, die der Asylbewerber als gleichsam selbstverständlich vom ersten Tag seines Aufenthaltes an hier zur Verfügung gestellt bekommt.
Es ist andererseits auch, glaube ich, wohl einsichtig: Wenn wir davon ausgehen können, daß in Anbetracht der Beschleunigung der Verfahren die Asylbewerber durchschnittlich einen insgesamt kürzeren Zeitraum hier verweilen werden, daß die große Mehrzahl der Asylbewerber zunächst einmal hierherkommt und nachher einen ablehnenden Bescheid erhält, daß diese also in Anbetracht dieses kurzen Zeitraums hier am sozio-kulturellen Leben auch gar nicht teilnehmen, gar nicht teilnehmen können - wegen der Sprachbarrieren und anderen Hindernissen -, dann läßt sich auch eine geringfügige Absenkung der Leistungssätze durchaus rechtfertigen.
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Deswegen ist diese Absenkung, verehrte Kollegin Hanewinckel, nichts, was zu Lasten der Menschenwürde dieser betroffenen Asylbewerber geht.
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Wir haben in allen Diskussionen und Ausschußberatungen eine sachbezogene Behandlung des Gegenstandes in den Mittelpunkt gestellt, eben gerade weil wir wissen, daß hinter einem jeden einzelnen Antrag ein menschliches Schicksal mit all seinem Elend, mit aller Hilflosigkeit, Ohnmacht und Entwürdigung stehen kann.
Aber wir wissen eben auch, daß in Anbetracht der zahlreichen mißbräuchlichen Antragstellungen ein hohes Maß an mißbräuchlicher Inanspruchnahme und Erlangung von Leistungen nach dem bisherigen BSHG-Recht durch Asylbewerber stattgefunden hat. Ich mache dies nicht den Bewerbern persönlich zum Vorwurf, sondern richte an uns, den Gesetzgeber, einfach die Frage, ob dies denn so automatisch auch in Zukunft sein muß.
Wir haben gehört, daß wir in den Ausschußberatungen den Zeitraum der Leistungsgewährung auf zwölf Monate ausgeweitet haben. Es ist richtig, Frau Hanewinckel, daß Sie darauf hingewiesen haben, dies sei absolut notwendig. Wir sind hier entgegengekommen, weil wir sagten: Wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, bis innerhalb wenigstens der ersten zwölf Monate unanfechtbar entschieden ist, wollen wir mitgehen, aber nicht darüber hinaus.
Ich gebe zu, es wäre uns das liebste gewesen, wenn für den ganzen Prüfungszeitraum, für die ganze Verfahrensdauer dieses Asylbewerberleistungsgesetz Geltung bekommen hätte. Aber wir haben mitgemacht, weil wir davon ausgehen müssen, daß jetzt endlich auch die Länder aktiv mitwirken, so daß innerhalb von zwölf Monaten dem Asylbewerber ein unanfechtbarer Bescheid zugestellt werden kann.
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Wir wissen auch, daß wir, wenn wir vorrangig auf das Sachleistungsprinzip umstellen, dem Asylbewerber natürlich manche Belastung zumuten müssen. Aber wir glauben, wenn man einmal die Situation mit der im Herkunftsland der Mehrzahl der Bewerber vergleicht, ist es zumutbar, zu Beginn in einem Aufnahmelager und danach in einer Sammelunterkunft untergebracht zu werden. Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, Frau Hanewinckel, daß wir Rückführungs- und Weiterwanderungsprogramme anbieten wollen. Ich füge hinzu: Wir sind uns auch der Tatsache bewußt, daß der nächste Schritt eigentlich auf EG-Ebene folgen muß, nämlich EG-weit den Herkunftsländern dieser Asylbewerber in größerem Umfang Infrastrukturförderungsprogramme anzubieten.
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Meine Damen und Herren, wenn wir die Situation in den Gemeinden betrachten, müssen wir durchaus auch auf die Frage eingehen: Können wir in jedem Fall das Sachleistungsprinzip durchstehen? Wir sehen die vielfältigen Schwierigkeiten in den Gemeinden, und wir haben deswegen gesagt: Jawohl, dort, wo notwendig, werden Wertgutscheine ausgestellt, und zwar beim Haushaltsvorstand bis zu einer Größenordnung von 360 DM. Dieser Wertgutschein sollte aber zunächst einmal die Ausnahme sein. Wir gingen, nicht zuletzt auf Grund der gründlichen Darstellung seitens unserer Regierung, sogar so weit zu sagen, daß dort, wo es in einer kleinen Ortschaft absolut nicht möglich
Herbert Werner ({6})
ist, Wertgutscheine umzusetzen, an den Mann - an den Kaufmann, an die Kauffrau - zu bringen, im Ausnahmefall sogar eine geldliche Leistung daraus werden kann. Wenn Sie den Wert der Wertgutscheine und der von Frau Minister bereits angesprochenen Bargeldleistung dazunehmen, werden Sie feststellen, daß wir im Vergleich zum BSHG-Satz von 510 DM in diesem fahr die Summe beim Haushaltsvorstand um 18 % und bei einem Kind um 14 % absenken. Da macht mir niemand vor, daß diese Menschen damit unter das Existenzminimum fallen; denn sie bekommen alle zusätzlich zu diesen Leistungen Wohnung, Heizung und Hausrat zur Verfügung gestellt.
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Es komme mir also bitte niemand und sage, daß sie deswegen hier darben und untergehen müssen, meine Damen und Herren.
Wir haben im Gesetz sogar zusätzlich die Möglichkeit vorgesehen, daß Erwerbstätigkeit aufgenommen werden kann. Allerdings - das ist doch auch nur recht und billig - sehen wir für diesen Fall vor, daß nach Abzug eines geringfügigen Betrages für den Eigenbehalt in entsprechender Weise die in der Sammelunterkunft anfallenden Kosten, angefangen beim Nahrungsanteil bis hin zu den Sachleistungen, eben vom Verdienst bezahlt werden müssen. Denn es kann natürlich nicht so sein, daß der Asylbewerber nebenher eine Arbeitstätigkeit aufnimmt und daneben die Sachleistungen - Unterkunft und Heizung usw. - gratis gestellt bekommt.
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Weil dies so ist, meine Damen und Herren, brauchen wir uns den Schuh nicht anzuziehen, den Sie uns immer anziehen möchten, indem Sie sagen, wir gingen mit den Asylbewerbern unbarmherzig und herzlos um. Auch wenn dieser Vorwurf aus kirchlichen Kreisen kommen sollte, ist er genauso falsch, wie wenn Sie ihn erheben.
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Meine Damen und Herren, wir wissen natürlich, daß wir diese acht bis neun Milliarden DM jetzt nicht plötzlich den Gemeinden abnehmen können. Wir wissen, daß die Einsparungen in einer Größenordnung von 2 bis maximal 2,5 Milliarden DM, die sich für die Länder und die Gemeinden ergeben werden, vergleichsweise gering sind und hinter den Erwartungen, die auch viele von uns ursprünglich hatten, zurückzubleiben. Aber es ist dies ein wichtiger erster Anfang. Es ist wichtig, daß die Gemeinden erkennen, daß wir ihre Nöte sehen. Allerdings ist es genauso wichtig, daß die Gemeinden jetzt aktiv und zielstrebig dieses Gesetz anwenden und umsetzen, damit die teilweise schwierigen Unterbringungssituationen beseitigt werden.
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Ich komme zum Schluß. Das, was wir soeben aus den Worten der verehrten Kollegin Hanewinckel gehört haben, stimmt mich eigentlich traurig;
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denn wir hatten in den Ausschußberatungen eine recht offene, eine recht faire, wenn auch harte Diskussion. In den Ausschußberatungen haben wir seitens der Unionsparteien und seitens der F.D.P. wiederholt Ihnen, meine Damen und Herren, nachgegeben und sind Ihnen entgegengekommen, um eine möglichst breite Basis zu finden.
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Leider haben Sie gerade dort, wo wir Ihnen vor dem Hintergrund der Allparteienabsprache vom Dezember entgegengekommen waren, fast Punkt für Punkt für den Rückzug angetreten.
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Dies meine Damen und Herren, stimmt uns traurig.
Ganz unverständlich ist das, was Sie, verehrte Kollegin, zum Schluß anführten. Sie wiesen nämlich darauf hin, daß die große Mehrzahl von Ihnen im zuständigen Fachausschuß nur mit dem Hinweis zugestimmt hat, hier im Plenum ablehnen zu wollen. Dies ist eine Schizophrenie, die ich nicht mehr verstehen kann.
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Meine Damen und Herren, dieses Ihr Verhalten ist ein erneuter Beitrag Ihrerseits zur Parteienverdrossenheit in diesem Staat. Deswegen appelliere ich an Sie: Stimmen Sie uns doch noch in letzter Stunde zu!
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Nunmehr hat der Abgeordnete Norbert Eimer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Abgeordneter der F.D.P. empfindet das, was wir heute tun müssen, als sehr angenehm, und den Kollegen von den anderen Parteien geht es ja ganz offensichtlich nicht anders. Aber angesichts von ca. 17 Millionen Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und ca. 500 Millionen Hungerflüchtlingen auf der Welt muß man erkennen, daß selbst alle reichen Staaten des Westens nicht die Kapazität haben, nicht in der Lage sind, alle Flüchtlinge aufzunehmen.
Auch wir sind dazu nicht in der Lage, nehmen wir doch jetzt bereits 70 % der Flüchtlinge in der Europäischen Gemeinschaft bei uns auf. Wir sind auch gar nicht in der Lage, für 400 000 bis 500 000 Personen pro Jahr allein die Wohnungen zu bauen; und es werden täglich mehr Bewerber.
Meine Kollegen, der Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, wie er von Max Weber formuliert wurde, läßt sich am Beispiel Asyl sehr gut darstellen. Sich für Verfolgte und für Hungerflüchtlinge einzusetzen ist die eine Seite. Wer könnte dagegen sein?
Norbert Eimer ({0})
Die Verantwortung für die Eingliederung zu übernehmen und von den Bürgern dafür Opfer zu verlangen, das ist die andere Seite. Wir reden vom Teilen unseres Reichtums, von mehr Entwicklungshilfe, von Auslandsinvestitionen und vom Schuldenerlaß. Wenn es ernst wird, wenn uns z. B. Arbeitsplätze in der Dritten Welt Konkurrenz machen - etwa im Stahlbereich oder in der Textilindustrie -, dann wird ebenso heftig demonstriert und debattiert wie heute.
Moral ist nicht etwas Abstraktes. Die Folgen von moralischen Entscheidungen müssen auch in ihrer moralischen Tragweite gesehen werden.
Die heute von uns zu beschließenden Maßnahmen gliedern sich in zwei Bereiche: zum einen in den administrativen Teil und zum zweiten in den Leistungsteil, über den ich vor allem sprechen möchte.
Faktum ist, daß die Mehrzahl derer, die zu uns kommen, nicht asylberechtigt sind. 1992 lag die Anerkennungsquote bei 4,3 %. Die Einreise erfolgt über Schlepperorganisationen, obwohl die Asylbewerber mit Abschiebung rechnen müssen. Bei uns sind die Leistungen nach dem Sozialhilfegesetz für die meisten Asylbewerber so hoch, daß auch ein begrenzter Aufenthalt in Deutschland lukrativ ist, und zwar so lukrativ, daß sogar zusätzlich Zahlungen an Schlepperorganisationen möglich sind. Alle administrativen Maßnahmen, meine Kollegen, werden nicht helfen, also auch nicht die Grundgesetzänderung und das Verfahrensrecht nicht, wenn nicht der materielle Anreiz für nicht Berechtigte abgebaut wird, und dazu soll dieses Gesetz dienen.
So ist - erstens - vorgesehen, an Asylbewerber nicht Sozialhilfe zu zahlen, sondern einen niedrigeren Betrag nach diesem Gesetz. Der Sozialhilfesatz enthält einen sogenannten soziokulturellen Anteil, der an Asylbewerber nicht gezahlt werden muß. Die soziale Eingliederung soll nämlich erst dann erfolgen, wenn die betreffenen Personen auch in Deutschland eine Bleibeberechtigung haben.
Zweitens. Wir wollen in erster Linie Sachleistungen an Asylbewerber geben, also nicht mehr Geldleistungen, weil damit das verfügbare Geld in den Händen der Asylbewerber geringer und das Geschäft für Schlepperorganisationen unattraktiver wird.
Dieses Gesetz - drittens - vor, daß die niedrigen Leistungen nur solange gewährt werden, bis die erste positive Anerkennung vorliegt. Das heißt, jeder Asylbewerber wird ein Interesse daran haben, daß dieses Verfahren möglichst zügig abläuft und nicht durch Verfahrenstricks verlängert wird. Wenn die Bundesregierung gegen einen positiven Entscheid klagt, so geht das nicht zum Schaden und Nachteil des Asylbewerbers.
Leider hat die SPD im Rahmen der Beratungen einen Änderungsantrag eingebracht und auch durchgesetzt, den wir für kontraproduktiv und schlecht halten. So soll die Leistung nach diesem Gesetz in der Höhe maximal auf ein Jahr begrenzt werden. Das bedeutet, daß derjenige, der den ersten negativen Entscheid bekommt, ein Interesse hat, das Verfahren so lange hinauszuzögern, bis er nach diesem Gesetz
auf die Höhe der Sozialhilfe kommt, und das halten wir für kontraproduktiv.
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Wir hätten weniger Probleme mit diesem Gesetz gehabt, wenn auch hier eine Mißbrauchsregelung vorgesehen wäre. Das hat die SPD nicht mitgemacht.
Bei den Verhandlungen sind am ursprünglichen Gesetzentwurf eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen worden, die sich zum Teil auch mit der SPD ergeben haben.
Unerfreulich ist für mich aber, daß sich die SPD in unserem Ausschuß nicht an die Abmachungen gehalten hat.
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In mühsamen Beratungen zu diesem Gesetz sind wir Kompromisse eingegangen, die in dieser Form dann von der Koalition eingebracht worden sind. Die SPD brachte entgegen den Absprachen weitere Änderungsanträge ein, und ich frage mich: Was wäre passiert, wenn wir uns auch so verhalten hätten?
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Das ist das Ende von Kompromissen im Parlament. Ich hoffe - und die Reden der Mehrzahl der SPD-Abgeordneten haben es mir gezeigt -, daß man wohl wieder zu dem üblichen Verfahren zurückkommen wird und daß in Zukunft solche Absprachen wohl besser halten können als in der Vergangenheit.
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Es spricht nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Grundgesetzänderung schaffen Sie praktisch das Grundrecht auf Asyl ab und lassen den Flüchtling wieder zum Objekt des Staates werden.
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Was bleibt, ist nur ein restriktives Gnadenrecht für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge.
({1}): Entweder sind
Sie böse, oder Sie können nicht lesen, und
beides ist für das Parlament ungeeignet!)
Bei der Aufstellung dieses neuen Feindbildes geht es wie immer darum, den Feind zu entmenschlichen und zu entrechtlichen.
Regierung, Koalition und leider auch die Mehrheit der SPD benutzen die Not von Frauen, Männern und Kindern, die aus verschiedensten Gründen aus ihrer Heimat flüchten müssen, um Rechts- und Sozialstaatlichkeit in Deutschland abzubauen, ob bewußt oder unbewußt. Sie haben Unwissenheit und insbesondere soziale Ängste eines Teils der deutschen Bevölkerung gegen den angeblichen Feind Asylbewerber kanalisiert und mißbraucht, um von den Fehlern Ihrer Politik und der bewußten massiven Umverteilung des gesellDr. Barbara Höll
schaftlichen Reichtums von unten nach oben abzulenken. Sie scheuen sich auch nicht, trotz Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention gegen fast alle ihre Artikel zu verstoßen.
Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz soll eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen erfolgen. Es geht um eine fragliche Einsparung von 2 Milliarden DM pro Jahr. Morgen wird dann mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm u. a. über die Senkung der Spitzensteuersätze beschlossen werden, den gut Betuchten dieses Landes ab 1994 ein Steuergeschenk von über 7,8 Milliarden DM pro Jahr zu machen. Für die angebliche Ersparnis von 2 Milliarden DM, die selbst nach Einschätzung von u. a. kommunalen Vertretern und der Bundeskonferenz der Ausländerbeauftragten von Bund, Ländern und Gemeinden durch Sachleistungsprinzip und Wertgutscheine einen hohen Verwaltungs- und Kostenaufwand verursacht, sind Sie, meine Damen und Herren, bereit, grundgesetzwidrig zu handeln.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.", Art. 1 des Grundgesetzes, „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.", Art. 3 des Grundgesetzes.
Art. 1, 2 und 3 können oder trauen Sie sich noch nicht zu ändern. Wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, müssen Sie also verschiedene Gesetze für verschiedene Menschen machen. Entgegen Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes unterteilen Sie die Menschen nach Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft. Das ist Rassismus.
Das Asylbewerberleistungsgesetz grenzt eine Gruppe von Menschen aus der allgemeinen sozialrechtlichen Versorgung des Bundessozialhilfegesetzes, das geschaffen wurde, um entehrende Armut zu verhindern und allen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, aus; im übrigen jetzt eine Gruppe, andere werden folgen, und dann trifft es Deutsche. Die Leistungen werden wesentlich gemindert und nur als Sachleistungen ausgegeben, die medizinische Versorgung wird gesundheitsgefährdend unterboten, jegliche minimale Besitzstandswahrung z. B. an ererbten Schmuckstücken und Mindestgeldbeträgen wie bei deutschen Sozialhilfeempfängern werden aufgehoben. Das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft der Asylbewerberinnen ist trotz Nachfrage ausdrücklich nicht geregelt. Die besondere Situation von Flüchtlingen, die Verarbeitung der Flucht, werden einfach ignoriert.
Mögen auch Politikerinnen und Politiker dieses Hauses am 8. November 1992 in Berlin unter dem Thema „Die Würde des Menschen ist unantastbar" demonstriert haben, mit Ihrer heutigen Ja-Stimme überführen Sie sich selbst der Heuchelei.
Das Asylbewerberleistungsgesetz soll die wirtschaftlichen Anreize, nach Deutschland zu kommen, mindern und verlagert nur ein Problem - das der Schlepper - auf die Gutscheinwäscherei, so die Einschätzung der Bundeskonferenz der Ausländerbeauftragten.
Über internationale Organisationen wie Weltbank und IWF zwingen Sie ganze Länderregionen der Welt
zu Sozialabbau und ökonomischem Ausverkauf und werfen den verarmten Menschen vor, daß sie Elend, Hunger und Tod zu entfliehen versuchen. Das deutsche Kapital ist an der beispiellosen Ausplünderung der Länder der Dritten Welt beteiligt, und Politiker kriminalisieren dann in treuer Gefolgschaft die betroffenen Menschen, die einen individuellen Ausweg suchen, als Wirtschaftsflüchtlinge oder Scheinasylanten.
In Ihrer Liste der sicheren „Herkunftsländer", in denen es also a priori keine politische Verfolgung gibt, haben Sie z. B. Polen und Rumänien aufgenommen. Doch haben Sie sich jemals Gedanken darüber gemacht, was eine Abschiebung auch in sogenannte sichere Drittländer für Menschen bedeutet, die in ihren Heimatländern verfolgt werden, weil sie lesbisch oder schwul sind? Auch und gerade in den „sicheren" Herkunftsstaaten, wie Polen oder Rumänien, werden Lesben und Schwule gesetzlich verfolgt und ins Gefängnis geworfen.
Dazu ein Beispiel: In einer kleinen rumänischen Stadt in der Nähe von Timisoara wurden Ende Januar dieses Jahres zwei Männer verhaftet, weil sie in einer homosexuellen Beziehung zusammenlebten. Die offizielle Zeitung der rumänischen Polizei „Tim-Polis" bezeichnete dies als „Gefahr für die Gesellschaft". Beiden droht eine Haftstrafe von fünf bis sieben Jahren. Amnesty International berichtete, daß beide in der Polizeihaft mißhandelt und gefoltert wurden. Dies nur ein Beispiel aus Europa.
Zu der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren heißt es dann:
Das Recht auf Asyl müsse aber für diejenigen voll wirksam bleiben, die verfolgt würden und deshalb des Schutzes bedürften.
Das ist menschenverachtender Zynismus.
Ich möchte mit einem Zitat eines Verfolgten schließen:
Das Asylrecht verwandelte sich zuerst in ein Aufenthaltsrecht unter einem Ausnahmezustand, dann in das Recht auf eine ärztliche Behandlung und schließlich in das Recht auf den Friedhof. Das bedeutete aber, daß ich erst als Leiche die Vorzüge der Demokratie in vollem Umfang schätzen gelernt haben würde.
So Leo Trotzki nach seinem vergeblichen Versuch, 1929 in Deutschland unter der sozialdemokratischen Regierung Asyl zu erhalten.
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Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Vera Wollenberger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Kürzung von Sozialhilfeleistungen an Flüchtlinge soll Abschreckungspolitik gemacht werden. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, haben die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P. im März 1993 einen Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber in den Bundestag eingebracht, mit dem Leistungen der Sozialhilfe für Asylsu13598
chende geändert werden sollen. Während bisher die Sozialhilfe für Asylsuchende durch das Bundessozialhilfegesetz geregelt war, wird nun für diesen Personenkreis ein eigenes Gesetz geschaffen. Darin ist eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen für Asylsuchende vorgesehen.
„Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht", so § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes. Dieser Auftrag wird jedoch durch die Sozialhilfepraxis tagtäglich in Frage gestellt. So reicht beispielsweise die Höhe der Regelsätze nicht aus, um die materielle und die kulturelle Existenzsicherung zu gewährleisten. Auch das unerträgliche Verfahren der Bedürftigkeitsprüfung ist mit dem Anspruch, die Würde der Betroffenen zu schützen, unvereinbar.
Ausgehend von diesem völlig unzureichenden Status quo sollen nun weitere Abstriche bei den Leistungen der Sozialhilfe gemacht werden. Nicht zufällig wird gerade bei den Asylsuchenden massiv der Rotstift angesetzt.
Durch die stufenweise Rücknahme von Sozialleistungen, so auch mit der von der Bundesregierung vorgelegten Novellierung des Gesetzes über Leistungen der Sozialhilfe an Flüchtlinge und Asylsuchende, wird die angestrebte Gleichstellung der Flüchtlinge gefährdet. Den Asylsuchenden soll u. a. die Sozialhilfe um den Betrag pauschal gekürzt werden, der die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll. Auf diese Weise werden Asylsuchende noch mehr ghettoisiert und den Augen der Öffentlichkeit entzogen.
Sozialhilfe ist eine staatliche Leistung, auf die Menschen in Not einen Anspruch haben, Menschen, die sich nicht aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln helfen können. Sozialhilfe soll dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.
Ich finde es sehr bezeichnend, daß die Regierungskoalition, wenn von solchen Sachen die Rede ist, nicht zuhört. Damit demonstrieren Sie, was Sie von der Würde der Asylsuchenden halten.
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Mit dem Sinn der Sozialhilfe wird in Art. 1 des Grundgesetzes angeknüpft. Er ist Orientierungsmaßstab für die Sozialhilfe. Der Standard des Menschenwürdigen darf nicht unterschritten werden. Bei der Gewährung von Sozialhilfe ist jeweils vom aktuellen Bedarf auszugehen, unabhängig von den Gründen, die zu diesem geführt haben.
In der Begründung des Gesetzentwurfes tauchen Argumente auf, die in ähnlicher Form seit Jahren angeführt werden: Zum Beispiel sollen durch die Leistungskürzung Kosten in Höhe von etwa 2 Milliarden DM eingespart werden können. Mit der Neustrukturierung der Sozialhilfe entfalle ein Anreiz für andere Ausländer, nach Deutschland zu kommen, weil die Attraktivität der Geldleistungen entfalle. Solche Kürzungen seien angemessen, weil der Aufenthalt von Asylbewerbern nur übergangsweise sei.
Integrative Leistungen, die der Regelsatz für Deutsche enthalte, seien für Asylsuchende nicht erforderlich. So gebe es etwa keinen Bedarf an Bildung.
Schon heute wird die Sozialhilfe für Asylsuchende oftmals bis zu 20 % gekürzt, weil ein sogenannter geringerer Ernährungsbedarf angenommen wird oder weil die Regelsätze der Sozialhilfe um den Anteil für kulturelle und kommunikative Zwecke herabgesetzt werden ganz nach dem Motto: Ausländer brauchen nicht so viel wie Deutsche. Darüber hinaus kursieren Vorschläge, die Sozialhilfe an Asylbewerber prinzipiell nur noch in Form von Sachleistungen auszugeben; dies ist besonders demütigend.
Die Regierungskoalition und Teile der SPD scheinen der fatalen Ansicht zu sein, die Menschenwürde von Asylbewerbern sei weniger schutzwürdig als die der deutschen Bürger. Dies steht im offenen Widerspruch zum Grundgesetz, der Unantastbarkeit und folglich der Unteilbarkeit der Menschenwürde.
Nach Auffassung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läßt sich dieser Grundsatz mit den in der Novellierung vorgesehenen Maßnahmen nicht vereinbaren. Die Bundesregierung beabsichtigt darin erhebliche Kürzungen der Sozialleistungen und gravierende Einschränkungen der medizinischen Versorgung. Das Asylbewerberleistungsgesetz stellt eine eklatante Verschlechterung der medizinischen Versorgung einer großen Gruppe von Asylsuchenden innerhalb des ersten Halbjahres ihres Aufenthaltes in Deutschland dar.
In bezug auf die medizinische Versorgung gibt es viele kritische Punkte der Ärzte. Hier einige Beispiele von der Gruppe „Asyl" der Pax Christi: Die medizinische Leistungslegende im Asylbewerberleistungsgesetz orientiert sich nicht an der gebotenen Notwendigkeit, Kranken im Einzelfall die wie den Deutschen zugestandene Hilfe zur Gesundung zu gewähren. Sie macht diese Hilfe vielmehr von der vermuteten Aufenthaltsdauer des Kranken in Deutschland und von dem Ziel abhängig, den Kommunen soviel wie möglich Kosten zu ersparen. Asylsuchenden wird eine medizinische Versorgung auf niedrigstem Niveau zugemutet, möglicherweise in der Nähe des Leistungsstandards ihrer Herkunftsländer.
Die medizinischen Leistungen erstrecken sich in diesem Zeitraum nur noch auf akute Erkrankungen und akute Schmerzzustände. Die bei weitem größere Anzahl nichtakuter, jedoch die Lebensqualität stark einschränkender Erkrankungen bleibt unversorgt. Die freie Arztwahl ist für Asylsuchende im ersten Halbjahr abgeschafft. Damit wird die freie Berufsausübung eingeschränkt. Ärzte werden durch das Gesetz in den Konflikt gebracht, ihr Wissen und Können selektiv einzusetzen und ihrem Gelöbnis untreu zu werden, bei der Ausübung ihres Berufes keinen Unterschied zu machen, weder nach Religion, Nationalität oder Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung. Das Gesetz hat diskriminierenden Charakter, verletzt die Würde von Menschen und ihren im Grundgesetz verankerten Anspruch auf körperliche Unversehrtheit.
Darüber hinaus gibt es viele Kritikpunkte von DGB, Pro Asyl und von vielen anderen sozialen OrganisaVera Wollenberger
tionen und Wohlfahrtsverbänden. Dazu einige von diesen Kritikpunkten:
Erstens. Die Herausnahme des Bereichs der Sozialleistungen für Asylbewerber aus dem Bundessozialhilfegesetz zerstört die Einheit des Sozialhilferechts, das eine der großen Errungenschaften unseres sozialen Staates ist.
Zweitens. Er eröffnet die Möglichkeit, weitere Gruppen der Bevölkerung aus der einheitlichen Grundsicherung und menschlichen Existenz auszuschließen.
Drittens. Er schafft verschiedene Klassen von Menschen, obwohl die Würde des Menschen unteilbar ist.
Viertens. Asylbewerber haben das gleiche Recht auf ein Existenzminimum, das sich an den Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik und nicht an denen in den Herkunftsländern mißt.
Fünftens. Art. 5 des Grundgesetzes garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Der generelle Vorrang von Sachleistungen und Wertgutscheinen verträgt sich nicht mit einem Mindestmaß einer selbständigen und eigenverantwortlichen Lebensgestaltung.
Sechstens. Eine Gemeinschaftsverpflegung, die nicht auf die kulturellen Essensgewohnheiten von Menschen Rücksicht nimmt und nehmen kann, oder auch die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln birgt gesundheitliche und psychische Gefahren. Für Frauen und Mütter bedeutet sie überdies einen Aufgabenverlust, was zu seelischen Schäden führen kann und ihre Isolation erhöht.
Frau Wollenberger, es tut mir schrecklich leid: Ich muß Sie daran erinnern, daß Sie Ihre Zeit überschritten haben. Ich habe bis jetzt ganz großzügig darüber hinweggesehen.
Wenn die PDS die ihr zugeteilte Redezeit um zwölf Minuten überschreitet, dann darf ich meine Rede vielleicht noch zu Ende bringen. Ich brauche noch eine halbe Minute.
Siebentens. Auch Wertgutscheine schränken die persönliche Dispositionsfähigkeit übermäßig ein. Sie nehmen den Flüchtlingen die Möglichkeit, preisvergleichend und preiswert einzukaufen. Sie diskriminieren Menschen und machen sie über die Hautfarbe hinaus zu Objekten der Fremdenfeindlichkeit, wenn die umständliche Einlösung an der Kasse Warteschlangen auslöst, so daß der Unmut von Kassiererinnen und Kunden geweckt wird.
Insgesamt wird durch dieses Gesetz der Asylsuchende als Mensch zweiter Klasse definiert, der hauptsächlich des Geldes wegen in die Bundesrepublik kommt, den Sozialstaat ausnimmt und die Bundesrepublik wirtschaftlich überfordert. Einer Kürzung der Leistung für Asylsuchende wird die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zustimmen. Mit großer Skepsis beurteilen wir auch die Bestrebungen, Sachleistungen den Vorrang vor Finanzleistungen zu
geben. Deshalb fordere ich im besonderen die Sozialdemokraten auf, diesem Gesetz nicht zuzustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Ortwin Lowack das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag! Meine Damen und Herren! Ich werde im Endergebnis dem hier vorgelegten Kompromiß in der Unionsfassung zustimmen, obwohl er schwerwiegende Mängel aufweist und neue Probleme schaffen wird, denen gegenüber Wackersdorf möglicherweise nur ein Kinderspiel war. Eine Kostprobe hat der Deutsche Bundestag heute früh erlebt.
Auch ich habe das Problem gehabt, sowohl als nicht erkannter Abgeordneter als auch erst recht als erkannter in den Deutschen Bundestag zu kommen. Dabei war für mich bemerkenswert, daß meine Identifizierung durch einen Chinesen und nicht durch einen Deutschen erfolgte. Es gibt also hier eine internationale Zusammenarbeit.
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dieser Grundsatz in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes ist und bleibt richtig. Es wäre fatal, wenn der Eindruck erweckt würde, daß sich dies ändern sollte. Die Versäumnisse der Vergangenheit mögen diesen Eindruck fördern. Aber das Problem ist, daß sich die alte Politik als unfähig erwiesen hat, den Asylmißbrauch zu stoppen, d. h. diejenigen herauszulösen und zu bestrafen, die aus dieser Regelung ein mieses Geschäft und eine Ausbeutung der öffentlichen Kassen gemacht haben, zum Nachteil des Standorts Deutschland, über den wir dann morgen debattieren wollen.
Auch die nunmehr nach langem Parteienstreit - und zwar nicht nur, wie hier suggeriert wurde, zwischen Koalition und Opposition, sondern lange Zeit ja auch innerhalb der Koalition - vorgelegte Regelung ist in vielen Punkten nur Kosmetik. Mit der Drittstaaten-Regelung ist sie im übrigen nicht ohne Zynismus und vor allem nicht ohne Unmenschlichkeit gegenüber den wirklichen Asylanten, was vor dem Hintergrund der Balkanpolitik der Bundesregierung und der Europäischen Gemeinschaft leider nichts anderes als Verachtung, Entsetzen und schon Sarkasmus verdient. Das Problem ist, daß Sie hier keine koordinierte Politik, auch nicht der deutschen Außenpolitik und der deutschen Innenpolitik, betreiben.
Der ganze Zynismus, die menschliche Unfähigkeit dieser Politik zeigen sich daran - meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können das nicht aussparen in dieser Zeit -, daß die Verfolgten, die Gefolterten, die Vergewaltigten, die Vertriebenen, die Beraubten, diejenigen in Bosnien, deren Habe man zerschossen, verbrannt, ausgeplündert hat, jetzt sogar beschimpft werden, wenn sie sich auf ihr Recht zu leben, ihr Recht, Geraubtes zurückzuverlangen, ihr Recht, nicht bestialisch behandelt zu werden, ihre Hoffnung auf Europa und seine Grundwerte berufen.
Sie sollen die Perspektive von Reservaten oder Konzentrationslagern haben, wie es Senator Biden vor 14 Tagen in einem Antrag an den amerikanischen Außenminister dargestellt hat.
Der Feige neigt zur Grausamkeit, weil er seine Feigheit nicht eingestehen und den starken Mann spielen will. Dies ist die Haltung der Bundesregierung heute.
Auch die bisherige Haltung gegenüber den 95 %, 96 % Asylbetrügern oder Asylverführten erinnert an das Billigen von Straftaten, ihr Herunterspielen und manchmal sogar ihre Verteidigung, weil man selbst unfähig ist, die Probleme in den Griff zu bekommen. Wenn die Bevölkerung dann zu Recht verärgert ist, was ja nun mit ideologischer Fremdenfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun hat, reagiert die Politik zunächst mit zynischer Selbstgerechtigkeit, indem sie auf den Büttel einer hochstilisierten angeblichen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland einschlägt. Erst muß die Angst um den Machtverlust kommen, bevor Bewegung in das Verfahren gerät.
Es ist in meinen Augen natürlich lächerlich, wenn Wolfgang Schäuble hier Geschichtsklitterung betreibt, indem er sagt, man habe in der Vergangenheit alles versucht, die Probleme ohne Grundgesetzänderung zu lösen.
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Er weiß ganz genau, daß das nicht geschehen ist. Die Tatsache, daß er das zweimal wiederholt hat, ist bei ihm ein klassischer Hinweis darauf.
Da hat der Kollege Detlef Kleinert, der gesagt hat, es gehe um Probleme, denen wir zu entkommen versuchten, schon eher recht. Aber spiegelt das nicht gerade das Drama der alten Politik in Deutschland wider, daß man statt aktiv, rechtzeitig und glaubwürdig zu handeln, nur noch aus der Reaktion, auf Druck hin und dann auch noch unzureichend und unglaubwürdig handelt?
Ich bleibe dabei: Ohne die Schaffung eines Straftatbestandes des Asylbetrugs wird es uns nicht gelingen, Menschen davon abzuhalten, ihr Land unsinnigerweise zu verlassen, sich und ihre Familie ungeheuren Strapazen auszusetzen und andere mit hineinzureißen, oft genug ihre wirtschaftliche und mentale Existenz völlig aufs Spiel zu setzen, um hier auf Kosten der Leistungskraft und der Wirtschaftskraft anderer zu leben. Es wird nicht gelingen, völlig falsche Hoffnungen rechtzeitig zu bekämpfen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor allem müßten wir uns alle eigentlich darüber einig sein, daß das Schlepperunwesen bekämpft werden muß, und zwar mit allen Mitteln des Rechtsstaates. Für mich sind das Verbrecher, die falsch begründete Hoffnungen in schändlichster Weise ausnutzen, menschliche Existenzen zerstören und das Elend oft lebenslanger Entwurzelung billigend hinnehmen. Gerade dies könnte aber nur im Rahmen einer Regelung des Asylbetrugs mit einem besonderen Strafrahmen als Verbrechen geahndet werden. Warum soll die Mindeststrafe nicht bei fünf Jahren liegen, damit deutlich ist, daß wir diesen Banden von Staats wegen nicht auch noch in irgendeiner Weise zutragen? Der vorliegende Entwurf enthält hierzu sträflicherweise nichts.
Darüber hinaus ist ein Mangel des vorliegenden Regelungskonglomerats, daß auch in Zukunft Asylbewerber völlig unzureichend einer sozialen Kontrolle, Erfassung und Arbeitsbetreuung unterworfen sind. Das Ergebnis kennen wir. Es zeigt sich in der uns gerade vorgelegten Kriminalstatistik. Vor allem der Anteil junger erwachsener Asylbewerber an Straftaten in Deutschland ist erschreckend hoch. Bitte lesen Sie sich die letzte Statistik durch: Bei Jugendlichen und jungen Heranwachsenden liegt der Anteil der Straftaten von Ausländern heute bei 43 %; einen großen Anteil daran haben die Asylbewerber.
Hier zeigt sich, daß das Einbauen einer sozialen Kontrolle im Augenblick tatsächlich noch nicht stattgefunden hat. Ein Staat, der hiervor die Augen verschließt, versündigt sich nicht nur an den Betroffenen, er stellt auch den Rechtsstaat in Frage. Er wird selber Verursacher von Straffälligkeit und Verwahrlosung.
Die Sorge in unserer Bevölkerung wird bleiben. Sie glaubt, es geht heute hier nur um Augenwischerei. Es fehlt das Vertrauen. Es fehlen glaubhafte Vorbilder. Es fehlt der glaubhafte Appell, gemeinsam Probleme in Deutschland als eine große gemeinschaftliche Aufgabe zu lösen.
Die heutige Debatte kann deshalb nur Anfang einer weit umfassenderen Regelung sein. Sonst heißt es in Zukunft nicht, wir hätten italienische Zustände - Italien ist auf dem besten Weg, in einer unglaublichen Kraftanstrengung seine internen Probleme zu lösen -, sondern es würde in Zukunft von deutschen Zuständen gesprochen werden, wenn es um das Versagen des Rechtsstaats, Prinzipienlosigkeit und politische Unfähigkeit geht.
Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs das Wort.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden, wenn Sie auch jetzt mit der nötigen Ruhe, ich sage nicht: dies ertragen, sondern zuhören würden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag ist fürwahr kein Ruhmestag dieses Parlaments. Ein Grundrecht, das Recht auf Asyl als persönliches, individuelles Menschenrecht, wird in der wiedervereinigten Bundesrepublik heute beseitigt.
Es wird beseitigt trotz der ungeheuren historischen Schuld Deutschlands, trotz der Tatsache, daß ein Großteil der politischen Klasse Deutschlands und der beginnenden Bundesrepublik nur überleben konnte, weil NS-Verfolgte in Ost und West, in Nord und Süd Asyl erhalten haben.
Es wird beseitigt, obwohl die Bundesrepublik als führendes westliches Industrieland maßgeblich an der
offenen und verdeckten Ausplünderung vieler armer Länder, aus denen immer mehr Flüchtlinge und Asylbewerber zu uns kommen, beteiligt ist.
Es wird beseitigt, obwohl dieses Land durchaus in der Lage ist, Flüchtlinge in großer Zahl aus dem Süden und aus dem Osten aufzunehmen.
Die viel kleineren und dichter besiedelten Niederlande jedenfalls sind bereit, in einem Zeitraum von weiteren 30 Jahren fünf Millionen zusätzlicher Menschen, vor allem Flüchtlinge und Emigranten, aufzunehmen. Auf die wiedervereinigte Bundesrepublik übertragen, hieße das, wir könnten und müßten noch über 20 Millionen Flüchtlinge und Einwanderer aufnehmen.
Gerade gegenüber Flüchtlingen aus Jugoslawien stehen wir in der Pflicht. Schließlich haben Deutschland und die Deutschen im Zweiten Weltkrieg den kroatischen Faschisten die Blaupausen auch für ihre heutigen Verbrechen geliefert. Auch die furchtbaren ethnischen Säuberungen der Serben stehen irgendwie in der Tradition des Ungeistes deutschnationalen Völkermordes.
Aber nicht nur die moralische Qualität dieses Staates und dieser Gesellschaft steht auf dem Spiel. Mit der Beseitigung des Asylrechts soll vielmehr auch die über fast vier Jahrzehnte im Westen Deutschlands praktizierte Öffnung zu einer westeuropäisch liberalen zivilgesellschaftlichen Praxis und Tradition beseitigt werden.
Die Asylrechtsbeseitigung sät neue Gewalt. Sie wird zur Illegalisierung und Kriminalisierung von Einwanderern und Asylflüchtlingen führen. Der Staat wird inmitten der Gesellschaft einen bisher nicht gekannten Verfolgungs- und Repressionsapparat aufbauen müssen. Das ist aber nur ein Teil der Gefahren.
({0})
- Ich, weiß, das paßt Ihnen auf der rechten Seite nicht in den Kram.
({1})
- Sie hören sehr genau zu, Herr von Stetten. Das zeigen Ihre unqualifizierten Zwischenrufe.
({2})
Hinzu kommt: Deutschland und der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung kennt nicht jene Einstellung des Leben-und-Lebenlassens, die z. B. in den Niederlanden und Frankreich gegenüber illegalen Einwanderern praktiziert wird.
Mit der Asylrechtsbeseitigung werden die Weichen für neue Pogrome gestellt. Deutsche Spießer, Gesetzes- und Ordnungsfanatiker und leider auch die Behörden werden Jagd auf illegale Einwanderer machen, wie jüngst in Köln im Falle der Roma Nidar Pampurova geschehen. Wie in Rostock, Hoyerswerda, Quedlinburg und an vielen anderen Orten, vor allem im Osten, werden deutsche Bürgerinnen und Bürger Beifall klatschen, wenn Kinder, Frauen und Männer, die aus Not in dieses Land geflüchtet sind, angegriffen, verstümmelt, verletzt, getötet werden.
Die phantasielosen Bürokraten, die meinen, mit der Grundrechtsbeseitigung und den Asylbegleitgesetzen das Problem der Zuwanderung zu lösen, sind offensichtlich unfähig zu sehen, daß sie womöglich eine Lawine lostreten, die letzten Endes auch sie unter einer neuen mächtigen Welle von Nationalismus, Rassismus und Faschismus begraben wird. Die Chaoten, die wirklichen Chaoten,
({3})
diejenigen, die die Stabilität dieser Gesellschaft - was immer das sein mag - beseitigen wollen, die Inhumanität in jede Pore des gesellschaftlichen Lebens bringen wollen, sitzen hier auf der rechten Seite des Hauses. Es sind die aktiven, engagierten Betreiber des sogenannten Asylkompromisses.
({4})
Hoffnungen muß man angesichts dieser Gefahren insbesondere auf die Kirchen und auf das Kirchenasyl setzen, auf diejenigen, die Fluchtburgen und Schutz für illegale Flüchtlinge zu organisieren bereit sind, auf den bürger- und zivilrechtlichen aktiven und tätigen Widerstand in der Zukunft. Dazu gehört - das sage ich in aller Klarheit und Offenheit - auch der weitaus überwiegende Teil der Demonstranten, die hier heute gegen die Asylrechtsbeseitigung demonstrieren.
Noch einmal: Diese Grundrechtsbeseitigung bedeutet den Anfang vom Ende der bei weitem noch nicht vollendeten Entwicklung hin zu einer offenen, liberalen, von sozialem Verständnis für die Not der Mitmenschen geprägten Gesellschaft. Sie ist ein bewußter Schlag rechter Kräfte, die zunehmend, wie der Fall Krause ({5}) - er wird nach mir sprechen - zeigt,
({6})
nach rechtsaußen ausfransen.
({7})
Sie ist ein Schlag gegen die multikulturelle Gesellschaft, gegen das Einwanderungsland Deutschland, und das, obwohl wir längst in einer multikulturellen Gesellschaft und in einem Einwanderungsland leben und auch in Zukunft leben werden. Es ist vor diesem Hintergrund außerordentlich zu bedauern, daß die SPD, die politisch nur im Exil und gestützt auf das in zahlreichen Ländern gewährte Asyl überleben konnte, an diesem Punkt nicht entschieden und geschlossen Widerstand geleistet hat. Ohne sie würde es diese Grundrechtsbeseitigung mit ihren absehbaren chaotischen Folgen nicht geben. Sie hätte statt dessen die Vision einer offenen Gesellschaft, die z. B. mindestens in dem Maße für Flüchtlinge offen ist wie etwa Schweden, entwickeln sollen. Sie hätte ein Paket aus potenzierter Hilfe für die armen Länder der Dritten Welt - die geringe deutsche Entwicklungshilfe ist ein Skandal -, sie hätte ein Paket aus konsequenter
Menschenrechtspolitik, z. B. gegenüber der Türkei, aus der viele politisch Verfolgte zu uns fliehen, sie hätte ein Paket aus umfangreicher humanitärer Hilfe in internationalen Konfliktfällen und insbesondere ein Paket aus der Gewährleistung eines druckfreien, würdigen, sozial abgesicherten Lebens für Flüchtlinge und eines entsprechenden Zusammenlebens mit den Flüchtlingen in diesem Land schnüren und dafür politisch werben sollen.
Ich denke, die SPD ist in ihrer Mehrheit dabei, eine große Chance zu vergeben. Das Stammtischgemurre deutscher Spießer hätte sie getrost in Kauf nehmen sollen. Die Stimmen des umfangreichen rechten Sumpfes in diesem Lande erhält die Sozialdemokratie eh nie. Wer solchen Stimmen und Stimmungen nachgeht und nachgibt, verzichtet auf eine vorwärtsweisende politische Führungs- und Prägungsrolle.
Die Auseinandersetzungen in der Fraktion und in der Partei und die starke Gegenfraktion in der SPD-Fraktion lassen mich jedoch hoffen --das sage ich ganz offen -, daß es in Zukunft gelingt, die beängstigende Rechtsentwicklung in diesem Land aufzuhalten und zu stoppen.
Gegen eine hinreichende Minderheit - auch wenn sie lange eine Minderheit bleibt - können solch einschneidende Veränderungen, wie sie die Rechte und die extreme Rechte in diesem Hause demnächst offenbar systematisch gewährleisten wollen, nicht durchgesetzt werden. Das ist u. a. die Lehre aus der Anti-AKW-Bewegung und aus dem sogenannten Energiekonsens. Ich denke, insofern haben wir in dieser Debatte sehr viele, sehr klare und sehr begründete Befürchtungen zu äußern, aber es gibt auch Punkte, bei denen wir für den weiteren Widerstand und für die weitere Entwicklung durchaus Hoffnung haben können.
Herr Präsident, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie herzlich bitten, den Geräuschpegel ein wenig zu senken, damit wenigstens diejenigen, die zuhören wollen, die Möglichkeit dazu haben.
({0})
Der Abgeordnete Dr. Rudolf Krause hat das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich an das halten, was Herr Schäuble hier gesagt hat: verantwortlicher Umgang mit der Wahrheit.
({0})
- Hören Sie mich erst einmal an, bevor Sie Vorverurteilungen aussprechen!
Diejenigen, die sich im letzten halben Jahr an mich gewandt haben, haben im Prinzip das ausgesprochen, was - ich muß das um der Wahrheit willen sagen - Herr Dr. Dregger, Herr Dr. Schäuble und auch der Herr Innenminister hier gesagt haben. Ich bleibe bei der Wahrheit. Soweit mir bekannt ist, denkt die überwiegende Mehrheit unseres deutschen Volkes so.
Es ist heute sehr viel von Rechten gesprochen worden. Ich möchte deshalb, obwohl das zum Teil auch schon gesagt worden ist, von Pflichten sprechen. Ein einklagbares Recht ist für einen anderen immer eine einklagbare Pflicht. Wenn sich ein Leistungsberechtigter aussuchen darf, wer für ihn zahlungspflichtig ist, dann kann das doch wohl nicht wahr sein. Das kann doch wohl nicht Recht bleiben.
Ich freue mich auch über die ehrlichen Zahlen, die Sie, Herr Klose, genannt haben. Ich weiß, daß das sehr mutig ist und daß Sie deswegen auch diffamiert werden.
Wenn ich in einem Satz zusammenfassen darf, was heute an Positivem gesagt wurde, dann ist es dies: gleiche Rechte und gleiche Pflichten auch in der Asylfrage in ganz Europa. Da ich bisher weniger die Menschen in der Partei der Republikaner als vielmehr das Programm dieser Partei kenne, muß ich sagen: Hier besteht eine Übereinstimmung zwischen gleichen Rechten und gleichen Pflichten in Europa.
Ich möchte noch weitergehen: Wenn wir einen Leistungskatalog mit absolut gleichen Sachleistungen - egal in welchem Land Europas - hätten, dann wäre der Drang, nach Deutschland zu kommen, nicht so groß. Viele, die französisch sprechen, würden dann lieber in Frankreich sein. Diejenigen, die aus englischsprachigen Ländern kommen, wären lieber in England. Man darf natürlich nicht klatschen, wenn es ein politisch Gleichgesinnter ist, der das falsche Parteibuch hat. Ich habe Verständnis dafür, obwohl auch das zum verantwortlichen Umgang mit der Wahrheit gehört.
Herr Gysi ist nicht anwesend. Er hat eine Tatsachenbehauptung aufgestellt. Er hat gesagt, daß das, was im Asylbewerberleistungsgesetz stehe, mit dem Programm der Republikaner übereinstimme. Wer sich davon überzeugen will, ob diese seine Behauptung stimmt, der muß es lesen. Aber ich muß ihm bescheinigen: Er hat es sehr genau gelesen, es stimmt.
Ich habe mich auch über das gefreut, was der Kollege de With gesagt hat: Die Welt hat sich verändert. Die Regelungen müssen dem angepaßt werden. - Ja, ich gebe als freier Abgeordneter dem recht, der Rechtes gesagt hat, egal wo er sitzt. Ich zitiere: wenn schon Maastricht, dann Zusammenarbeit nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf humanitärem Gebiet. - Wir brauchen eine Gleichbehandlung auch hinsichtlich der Pflichten. Welcher Maßstab gewählt wird - ob das Bruttosozialprodukt oder die Einwohnerzahl -, ist im einzelnen verhandelbar. Aber es kommt darauf an, daß gleiche Rechte und Pflichten bestehen. Dann wird die Politik auch wieder so glaubwürdig, daß wir eine Wahlbeteiligung von 80 oder 90 % haben.
Lassen Sie mich bitte mit drei Sätzen von Herrn Dr. Dregger, dem ich voll zustimme - das werden Sie ja nicht anders erwartet haben -, schließen: Nicht das deutsche Volk, sondern die deutsche Politik hat in der Asylfrage versagt. - Ich bekräftige, daß nach allen meßbaren Ergebnissen das deutsche Volk eines der
Dr. Rudolf Karl Krause ({1})
ausländerfreundlichsten Völker der Welt ist, denn sonst würde es nicht soviel spenden, sonst würde es nicht so viele Opfer bringen, und sonst hätte auch nicht eine so breite Zustimmung in dieser Frage bestanden. Wieviel Auswanderung und Einwanderung kann man verkraften? - Als Naturwissenschaftler möchte ich mich auf eine Zahl festlegen. Ich glaube, daß innerhalb einer Generation eine Emigration und Immigration von 5 % assimilierbar, verkraftbar ist. Dazu werde ich auch stehen: 5 % in einer Generation - nicht in einem Jahr - sind verkraftbar.
Der Volksvertreter, wie ich ihn verstehe, ist nicht der Schulmeister seiner Wähler, sondern ihr Vertreter. Chef und Souverän ist das Volk. Wir haben nur das zu machen, was unsere Wähler von uns verlangen.
Noch eine letzte Bemerkung, wobei ich wieder zitiere:
Die Wahrheit zu sagen und für unsere Mitbürger einzutreten ist unsere vornehmste Pflicht.
({2})
Meine Damen und Herren, ich werde mich als Einzelkämpfer daran halten. Sie werden mir verzeihen,
wenn ich sage: Ich hoffe, daß sich ab 1994 eine hier
sitzende Fraktion auch an diesen Satz halten wird.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3}) - Das war unpassend.
Als nächste hat unsere Kollegin Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast das Wort.
Ich will meinem Vorredner nicht zuviel Beachtung schenken, aber ich finde es traurig und beschämend, daß in dieses Parlament der Bazillus der Republikaner hineingetragen worden ist.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Beitrag richtet sich vor allem an die Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und an die vielen, die mit hohem persönlichen Engagement jegliche Änderung unseres Asylrechts ablehnen. Seit ich Mitglied des Bundestages bin, habe ich mit vielen von ihnen diskutiert und mich lange mit ihnen einig gewußt in der historisch begründeten Überzeugung, daß unser Art. 16 die allein gültige Anwort auf die großen Wanderungsbewegungen auf dieser Welt sei.
Ich habe Abschied nehmen müssen von einer Illusion. Die neue Migration ist verständlich, sie ist legitim, sie ist Ausdruck der großen Ungerechtigkeiten im Gefälle zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie ist eben nicht mehr allein mit dem Begriff der politischen Verfolgung zu fassen. Wer sich das nicht eingesteht, wird bei dem Versuch, den Menschen heute eine schlüssige Lösung des Problems anzubieten, alsbald scheitern.
Ich habe im zurückliegenden Jahr erleben müssen, wie mir in Gesprächen etwa mit Anwohnern der überfüllten zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber in Schleswig-Holstein meine eigenen, bislang als richtig empfundenen Argumente schal im Mund wurden.
Ich habe auch heute noch großes Verständnis für alle, die von ihrer alten Position keinen Deut abrükken, aber mir fehlt da die echte und schlüssige Alternative, die Antwort auf die Frage, wie wir sonst die Zuwanderung steuern sollen. Nein sagen mag eine Haltung sein, es ist aber keine Gestaltung von Politik.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Union, haben keinen Anlaß zur Genugtuung über die langen und zermürbenden Diskussionen, die vor allem in meiner Partei vorausgegangen sind. Sie haben schon gar keinen Grund zur Selbstgerechtigkeit.
Sie haben ein sehr vielschichtiges Problem, nämlich die gegenwärtige Migration unzulässig lange auf das Pro und Kontra zum Art. 16 verengt. Sie haben durch eine sozial ungerechte Politik und sträfliche Vernachlässigung des Wohnungsbaus gesellschaftlichen Sprengsatz gelegt.
({1})
Viele von Ihnen haben Emotionen geschürt. Ich
bedauere sehr, daß etwa der Kollege Dregger heute
diese unselige Tradition wieder hat aufleben lassen.
({2})
- Das hat er getan.
Ich sage dennoch, sowie die Dinge liegen: Es reicht heute nicht, die Bekämpfung der Fluchtursachen anzumahnen, und es reicht leider auch nicht, die Wohnungsnot anzuprangern. Das ist richtig und wichtig, aber die Mißstände sind heute da. Selbst bei einer sofortigen gründlichen Kehrtwende in der Wohnungs- wie in der Entwicklungspolitik, die ich absolut für dringend halte, werden wir den Wettlauf mit der Zeit nicht bestehen können.
Deswegen richte ich auch einen Appell an die Gegner der Gesetzesänderungen: Nehmen Sie und nehmen wir Abschied von der Vorstellung, wir Deutsche allein könnten in Europa ein humanes Asylverfahren gewährleisten. Es ist ein Zeichen von Hochmut. Niemand und nichts gibt uns das Recht auf den Alleinvertretungsanspruch bei der Wahrung von Menschenrechten. Hören Sie bitte auf, den Befürwortern der Grundgesetzänderung vorzuhalten, sie hätten sich dem Geschrei der Rechtsextremen gebeugt.
({3})
Die vielen Bürgermeister, die Kommunalpolitiker, die Sozialdezernenten, die die jetzige Lage für untragbar hielten, sind keine rechtsgerichteten Schreihälse.
({4})
Sie verdienen unser Verständnis, und sie verdienen auch unsere Solidarität.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir heute beschließen, ist nicht das Ende. Es ist nur das Ende einer Etappe. Wir werden uns sehr bald daranmachen müssen, mehr für ein fortschrittliches und humanes Gesamtkonzept der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik, für europäisch einheitliche Standards, für wirklich wirksame Hilfen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, für konsequente Menschenrechtspolitik, für die erleichterte Einbürgerung und für die doppelte Staatsbürgerschaft zu tun.
In all diesen Bereichen, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen Sie gehörig umdenken und sehr viel nachholen.
({5})
Tun Sie es bitte bald!
({6})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Wolfgang von Stetten.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das schreibt Art. 1 des Grundgesetzes fest. Damit schützt das deutsche Grundgesetz nicht nur die Würde der Deutschen, sondern aller in Deutschland Lebenden; auch der Asylbewerber. Weil aber durch den massenhaften Mißbrauch die Gefahr bestand, daß die Würde sowohl der Asylsuchenden als auch der Bürger unseres Landes nicht mehr gewährleistet wird, mußte dringend Abhilfe geschaffen werden. Wir tun das heute.
Wir hätten uns bei rechtzeitiger Einsicht der Mehrheit dieses Hauses viel Unheil ersparen können. Der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit wäre vermieden worden. Dieser Vorwurf ist übrigens absurd.
In kein Land der Erde sind in den letzten Jahren so viele Menschen freiwillig hineingeströmt wie zu uns nach Deutschland - doch wohl kaum wegen der angeblichen Ausländerfeindlichkeit. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Millionen sind gekommen, weil sie nirgends auf der Welt so großzügig empfangen und versorgt werden wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Tatsache, unabhängig von einzelnen Auswüchsen einiger irrer und wirrer Jugendlicher und Verblendeter.
({0})
Es ist nicht unwürdig und erst recht nicht unchristlich, mit Naturalien statt mit Geld versorgt zu werden. Wer aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen verfolgt wird, ist dankbar, das rettende Ufer der Bundesrepublik Deutschland erreicht zu haben, und wird auch für ein warmes und trockenes Dach, großzügiges Essen und Trinken und dazu ein Taschengeld in einer Größenordnung dankbar sein, von dem in seinem Herkunftsland eine ganze Familie leben muß.
Wer das als unwürdig bezeichnet, verhöhnt Millionen und Abermillionen in Armut und Hunger lebender Menschen auf der ganzen Welt. Zusätzlich wird er,
wenn er anerkannt ist oder arbeitet, alle Rechte in Deutschland erhalten.
Ich warne auch davor, daß sogenannte selbsternannte Asylexperten mit solchen Parolen in die Asylantenheime gehen. Sie sind dann für Unruhen bei der Einführung von Naturalverpflegung mit all den daraus resultierenden Folgen verantwortlich. Gerade nämlich die Naturalverpflegung ist ein wirksames Mittel gegen Asylmißbrauch, weil mit Würstchen und Brot keine kriminellen Schlepperbanden bezahlt werden können.
({1})
Wenn der Geist des alten Art. 16 Abs. 2 Satz 2 beschworen wird, muß auch an die Zeit von 1948/49 gedacht werden. Damals war nicht im entferntesten an Mißbrauch zu denken. Wer hätte schon den Weg in das zerbombte, von 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen übervölkerte Deutschland gewählt, wenn nicht aus dringenden Gründen politischer Verfolgung?
Die Zeiten haben sich geändert, Gott sei Dank. Aus dem Trümmerhaufen wurde ein blühendes Land mit der gesteigerten Begehrlichkeit als Aufenthalts- und Wohnort. Was früher, in den fünfziger Jahren, das Zauberwort California war, wurde durch das Wort Schlaraffia-Deutschland abgelöst. Dem Mißbrauch war Tür und Tor geöffnet, mit all den begleitenden Auswirkungen.
Die notwendige Änderung des Grundgesetzes kommt spät, aber nicht zu spät. Damit wird der Mißbrauch zum Teil unterbunden, um weiterhin wirklich politisches Asyl gewähren zu können.
({2})
- Wir werden sehen, was wir damit machen können. Sie werden auch sehen, daß wir damit Erfolg haben. Wenn wir das heute so verabschieden, hat sich die Demokratie trotz erheblicher Schwierigkeiten, ich möchte sagen: mehr links von mir und trotz Sand im Getriebe bewährt, und die Abgeordneten haben sich verantwortungsvoll verhalten und ihre Pflicht getan.
Danke schön.
({3})
Nun spricht der Kollege Dieter Maaß.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um sein Ja oder Nein zum vorliegenden Antrag auf Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes zu begründen, hat jeder Abgeordnete seine guten und wichtigen Argumente. Die eingenommenen Positionen entsprechen den unterschiedlichen Wahrnehmungen und Beziehungen zum Problem ungeregelter Zuwanderung in unser Land. Dieses Problem sieht der Verfassungsjurist und Völkerrechtler sicher anders als der Außen- oder Innenpolitiker. Doch es gibt auch die Erkenntnisse und Erfahrungen derer, die auf kommunaler Ebene mit den sozialen Auswirkungen der Zuwanderung zu tun haben.
Dieter Maaß ({0})
Ich habe leider nicht die Redezeit, um die Verhältnisse in meiner Heimatstadt Herne näher zu beschreiben, die auch für andere Städte in unseren Bundesländern zutreffen. In einer finanzschwachen Ruhrgebietsstadt mit fast 180 000 Einwohnern, etwa 3 300 auf jedem Quadratkilometer, mit einer Arbeitslosenquote von 13,9 %, einem Ausländeranteil von über 11 % werden die Probleme immer größer. Die Asylbewerber sind in zwei, bald drei großen Containerdörfern, drei Wohnschiffen auf dem Rhein-Herne-Kanal und vielen kleinen Asylbewerberunterkünften sowie einer in der Innenstadt gelegenen Abschiebehaftanstalt untergebracht.
Die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen jegliche Art von Zuwanderung nehmen ständig zu, vor allem bei denen, die durch ihre Arbeitsleistung die Kosten hierfür zu tragen haben.
({1})
Darunter befinden sich viele lange bei uns lebende und arbeitende Ausländer. Schon deshalb hat dies in der Regel nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.
Als Betriebsratsvorsitzender eines metallverarbeitenden Betriebes kenne ich ein wenig die Stimmung von Industriearbeitern. Viele von ihnen müssen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze fürchten. Sie erwarten von mir, daß ich dem vorliegenden Kompromiß zustimme, was ich auch tun werde.
Die Grundgesetzänderung ist eine notwendige Voraussetzung, um die Zuwanderung in unser Land sozial verträglich zu regeln, damit die Toleranz der Menschen hier erhalten bleibt. Wer glaubt, daß in unserem Land alljährlich eine Million Menschen Aufnahme finden können bei steigender Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, wer meint, unser soziales Netz hielte das aus, der irrt. Jetzt sollen sogar die Kranken die Pflegeversicherung finanzieren. Schon jetzt wird dieses Netz von der amtierenden Bundesregierung immer grober geknüpft, immer mehr Bürgerinnen und Bürger fallen durch seine Maschen, die Armut nimmt zu.
Vor diesem Hintergrund kann es keine Perspektive für Menschen sein, die ihr Land überwiegend aus Not und Armut verlassen, bei uns in Containern untergebracht zu werden. Die meist jungen Frauen und Männer sind jahrelang arbeitslos oder sind in ungesicherten Arbeitsverhältnissen zu Niedriglohnbedingungen beschäftigt. Wie können sie unter solchen Verhältnissen unseren Staat, seine demokratischen Strukturen, seine Rechts- und Sozialordnung begreifen und akzeptieren? Auch aus dieser Sicht müssen wir die Zuwanderung steuern.
Wir müssen darüber hinaus endlich Maßnahmen einleiten, um die Fluchtursachen zu beseitigen. Die Projekte, die das Land Nordrhein-Westfalen mit mehreren Ländern, z. B. Rumänien, Nordirak, Belorußland, begonnen hat, könnten beispielgebend sein.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stimmen heute nicht einheitlich ab. Die ernsthaften Gründe hierfür wurden bereits genannt bzw. werden noch genannt. Ich stimme den vorliegenden Anträgen zur Änderung von Art. 16 des Grundgesetzes zu. In seinem Inhalt besteht er alle Vergleiche mit den Bestimmungen anderer Staaten mit langen demokratischen Traditionen. Auch nach der Zustimmung zum vorliegenden Kompromiß genießen politisch Verfolgte uneingeschränktes Recht auf Asyl.
({2})
Als nächster hat der Kollege Hans-Joachim Fuchtel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nicht wenigen geht der gefundene Kompromiß eigentlich nicht weit genug. Trotzdem werden wir von der Union heute zustimmen, und zwar geschlossen zustimmen. Dies unterscheidet uns eben von der SPD: Während Sie weiterhin streiten, sind wir uns einig. Da zeigt sich, wer regierungsfähig ist und wer auch weiterhin in die Opposition gehört.
({0})
Mein zweiter Punkt betrifft die amtierende Frau Präsidentin, die sich im Augenblick leider nicht wehren kann; aber ich habe sie nicht da oben hingesetzt. Wenn heute gesagt wird, seit 1990 habe sich die Situation geändert, möchte ich dem entgegenhalten: Wenn Herbert Wehner dies hören würde, würde er sich im Grabe umdrehen, denn er hat schon 1972 gesagt, daß etwas geschehen muß. Nur: Sie wollen das nicht wahrhaben, weil Sie im Bummelzug gefahren sind, anstatt mit uns in den Schnellzug einzusteigen.
({1})
Ich möchte mich jetzt an diejenigen wenden, die sich mit einer Zustimmung so schwertun, und nochmals an sie appellieren, doch zuzustimmen. Nicht wenige, die sich hier zu Wort gemeldet haben, sind ansonsten diejenigen, die es ganz besonders mit dem kleinen Mann haben. Ich frage Sie ganz einfach: Wie erklären Sie es eigentlich diesem sogenannten kleinen Mann, daß, während dieser ein Leben lang hart gearbeitet hat und mit seiner Rente gerade über die Runden kommt, andere hierherkommen und soviel erhalten, daß sie davon sogar Schlepperorganisationen bezahlen können?
({2})
- Das muß Ihnen gesagt werden. Ich weise alle Wortmeldungen zurück, die sich gegen unseren Kollegen Dregger wenden. Er hat den Finger in die Wunde gelegt, die Ihnen weh tut, aber er hat die Wahrheit gesagt.
({3})
Wie wollen Sie einer Kriegerwitwe in die Augen sehen, die sich scheut, zum Sozialamt zu gehen, während andere nicht einmal ihre Wohnung sauberhalten? Was sagen Sie den Alleinerziehenden, die keine Wohnungen bekommen, weil die Zahl der
Asylbewerber so hoch ist und die Verfahren zu lange dauern?
({4})
Solche Dinge berühren das Gerechtigkeitsempfinden unserer Menschen aufs tiefste. Sie berühren unsere Menschen nicht zu Unrecht, denn sie fühlen sich vom Staat alleingelassen. Dies müssen wir ändern. Das muß heute auf die richtige Bahn gebracht werden.
({5})
Wenn ein beachtlicher Teil der SPD-Fraktion auch heute nicht zustimmen will, so zeigt dies, daß Sie das überhaupt noch nicht verstanden haben.
({6})
Es zeigt, wie wenig Sie noch im Volk verankert sind, denn es geht nicht um die Stammtischparolen, die Sie hier dauernd hochhalten, sondern um die Frage, ob das Gerechtigkeitsempfinden von uns Politikern richtig aufgenommen und in eine politische Linie umgesetzt wird, die wieder Zukunft zeigt.
Müssen erst eine Million Asylbewerber kommen, bevor auch Sie klug werden? Oder müssen erst 20 % rechtsradikale Stimmen kommen, bevor Sie aufwachen?
({7})
Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt noch die Chance, Ihre Meinung entsprechend einzubringen.
({8})
-Herr Conradi, Sie haben jetzt gerade keine Chance, Sie haben Sendepause. Sie haben schon viel zuviel Unsinn hier in diesem Parlament geredet.
({9})
Ich möchte hier ganz klar sagen: Bitte stimmen Sie diesem Kompromiß zu. Wir, die wir uns mit dem Kompromiß schwertun, stimmen auch zu. Wir können von Ihnen erwarten, daß Sie hier mitstimmen.
Schönen Dank.
({10})
Kollege Fuchtel, hätten Sie eine Zwischenfrage zugelassen?
({0}) Nein.
({1})
Als Nächster hat der Kollege Ludwig Stiegler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist typisch für die Union, während des ganzen Tages die Solidarität der Demokraten zu beschwören und hier dann die Stammtischrunde loszulassen.
({0})
Das ist diese berühmte Gemeinsamkeit. Wir wissen, was wir davon zu halten haben.
Meine Damen und Herren, es hätte dieser Debatte besser angestanden, und es hätte ihr mehr Glaubwürdigkeit gegeben, wenn wir am Vormittag darüber beraten hätten, wie wir mit einem Marshallplan Ost die Fluchtursachen wirklich bekämpfen, statt hier nur über Absperrungen zu reden.
({1})
Es hätte uns gutgetan, darüber nachzudenken, wie wir gemeinsam die Grenze nach Osten aufgemacht haben. Ich war mit dabei, als der Bundesaußenminister Genscher mit Herrn Dienstbier an der tschechischen Grenze den Grenzzaun abgezwickt hat. Heute müssen wir befürchten, daß er demnächst an der Grenze zur Slowakei wiederverwendet wird.
Es hätte uns gut angestanden, wirklich über die Fluchtursachen nachzudenken und nicht zu glauben, wir könnten die Rolläden herunterziehen, und alle Probleme wären gelöst. Wir müssen auch wieder eine Stunde der Wahrheit gegenüber der Bevölkerung haben und ihr sagen, daß wir hier in Westeuropa keine Ruhe finden werden, wenn nicht andere Menschen Hoffnung zum Bleiben daheim bekommen. Das ist die eigentliche Alternative, vor der wir stehen.
({2})
Frau Vizepräsidentin Schmidt hat in ihrer Rede die Situation junger Menschen sehr deutlich gemacht. Alle, die hier sitzen, würden sich, wenn sie in den 20er, 30er Jahren wären und in Osteuropa leben müßten, auf den Weg machen. Solange wir es mit unseren Partnern nicht schaffen, diesen Menschen Hoffnung zum Bleiben zu geben, werden wir hier mit Sperrmauern allein keine Ruhe bekommen, meine Damen und Herren.
({3})
Wir waren am Montag bei der Europäischen Kommission in Brüssel: Dort hat man uns dasselbe für den Süden gesagt. Man hat uns deutlich gemacht, wie wichtig es ist, daß die Lebensumstände für die Menschen besser werden, damit es keine neue Völkerwanderung gibt. Ich erinnere manche an den Film „Der Marsch", der vielleicht dem einen oder anderen noch in Erinnerung ist, damit er sieht, was auf uns zukommt, wenn wir hier nicht anderswo Hoffnung zum Bleiben schaffen.
Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der verfehlte rechtspolitische Weg. Meine Damen und Herren, es ist das erste Gesetz, das sich anmaßt, die Wirklichkeit zu bestimmen. Normalerweise schafft der Gesetzgeber Tatbestände, und der Richter oder der Verwaltungsbeamte prüft, ob die entsprechenden Tatsachen vorliegen. Wir maßen uns im Wiederaufgreifen alter, unseliger rechtspositivistischer TraditioLudwig Stiegler
nen an, als Gesetzgeber zu bestimmen, was die Wirklichkeit ist. Welche Verhöhnung der Wirklichkeit! Die Konzeption der Länderlisten und die Konzeption der „sicheren Herkunftsstaaten" ist mit unserem Rechtsstaatsverständnis nicht zu vereinbaren.
({4})
Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, ob Tatsachen vorliegen. Das muß täglich entschieden werden. Sie werden es erleben, daß jeder Richter, dem man vorträgt, daß die Lage, die der Gesetzgeber unterstellt, nicht zutrifft, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen muß, weil er sonst sehenden Auges ein nichtiges Gesetz anwendet.
Meine Damen und Herren, ich empfehle gerade den Kollegen der Union, wieder einmal Hans Welzels Aufsatz „Naturrecht und Rechtspositivismus" nachzulesen. Da werden Sie feststellen, wie weit Sie in die Weimarer Tradition zurückgelaufen sind. Sie meinen, der Gesetzgeber könne alles. Demnächst werden Sie auch noch durch das Gesetz bestimmen, wer Frau und wer Marin ist, meine Damen und Herren.
({5})
Ich sage deshalb nein zu diesem Gesetz, weil es die wahren Probleme nicht löst, weil es den Menschen nicht die Wahrheit sagt und die Illusion erweckt, als würden wir die Sorgen, die wir alle haben, los. Ich sage nein, weil diese Verfassungsänderung unserer rechtsstaatlichen Tradition nicht entspricht, und ich sage nein, weil die Überschrift „Politisch Verfolgte haben Asylrecht" durch das Kleingedruckte wieder zurückgenommen wird. Das würde, wenn wir Verbraucherschutzmaßstäbe anlegen würden, unter den Begriff „Mogelpackung" fallen.
({6})
Meine Damen und Herren, so können wir das Problem nicht lösen. Lassen Sie uns deshalb wirklich intensiv die Fluchtursachen angehen, lassen Sie uns den Menschen im bedrängten Osteuropa, von denen wir immer wollten, daß sie wandern können, gemeinsam Hoffnung zum Bleiben geben und nicht glauben, wir könnten sie aussperren!
({7})
Als nächster hat der Kollege Adolf Ostertag das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Entscheidungen zur Asylrechtsänderung sind für mich die schwierigsten in den zweieinhalb Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit. Es wird sicherlich vielen so gehen.
Ich weiß, in der Frage der Zuwanderung muß gehandelt werden. Mir ist bewußt, mit den steigenden Zuwanderungszahlen sind die Sorgen vor Ort erheblich angewachsen. Die Probleme der Kommunen bei der Unterbringung der Menschen, die Belastung der öffentlichen Haushalte sind inzwischen für manche Kommune besorgniserregend, auch bei mir.
Wir im Ruhrgebiet sind seit Generationen ein Schmelztiegel der verschiedensten Menschen, der verschiedenen Rassen, der verschiedenen Völker. Wenn man in die Betriebe des Bergbaues geht, wenn man in die Stahlindustrie schaut, wenn man in alte Gießereien geht und bestimmte Betriebe besichtigt, dann trifft man dort 80 bis 90 % ausländische Arbeitnehmer an, seit Generationen.
In Gefahr gerät die seit Jahrzehnten gewachsene gute Zusammenarbeit in Hunderttausenden von Betrieben durch die Zuwanderung nicht; denn die Ursachen liegen am wenigsten bei der Zuwanderung. Sie sind in der wirtschaftlichen Krisensituation mit Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, zunehmenden Arbeits- und sozialen Ängsten, sozialen Zukunftsängsten begründet. In diesen Bereichen müßte von der Bundesregierung endlich die politische Verantwortung übernommen werden, für Problemlösungen gesorgt und ein wirklich echter Solidarpakt geschlossen werden, statt weitere Demontagen anzukündigen.
({0})
Der Ausländerhaß und der zunehmende Rechtsextremismus haben dort ihren schrecklichsten Nährboden.
Mit der heutigen Entscheidung wird das Asylrecht faktisch umgekehrt zum Recht auf Abschiebung und Abschottung.
Meine Damen und Herren, niemals dürfen wir vergessen, daß dieses Grundrecht als Konsequenz der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft formuliert und festgeschrieben wurde. Tausende unserer Vorfahren, Zehntausende, Großeltern, Eltern, Juden, Künstler, Christen, Gewerkschafter, Antifaschisten, Demokraten, deren Leben durch die faschistische Diktatur bedroht wurde, konnten sich nur retten, weil Nachbarländer ihnen Zuflucht und auch Asyl gewährt haben.
Sie sind es auch heute, die mahnen und uns auffordern, nicht für eine Grundgesetzänderung zu stimmen. Der Zentralrat der Juden, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Betriebsräte und viele Personalräte haben das in Tausenden von Resolutionen und Versammlungen bekundet und eine eindeutige Position bezogen, mit der Mahnung: Ändert das Grundrecht auf Asyl nicht!
Dennoch, ich weiß, weite Bevölkerungskreise erwarten, wir Politiker müssen das Zuwanderungsproblem lösen. Dabei ist nicht das Grundrecht auf politisches Asyl das Kernproblem, sondern die überlange Verfahrensdauer, die unbegründete Asylanträge geradezu prämiert und eine Sogwirkung hat.
Diese Bundesregierung ist seit über zehn Jahren an der Macht, der politischen Macht, und trägt mit ihren Koalitionsparteien die politische Verantwortung. Sie hat diese Zeit nicht genutzt, sogar im Gegenteil; ihre Hinhalte- und Verzögerungspolitik hat die Probleme letztlich verschärft.
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Hunderttausende von Anträgen wurden in Zirndorf nicht bearbeitet. Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist nocht nicht richtig in Kraft und schon wieder überholt. Es wurde ganz, ganz zögerlich umgesetzt. Die Frage der sogenannten Scheinasylanten, der vielen Personen, die aus ganz anderen Gründen als wegen politischer Verfolgung zu uns kommen, ist nicht mit einer Scheinlösung zu regeln. Auch nach einer Grundgesetzänderung werden die Armutsflüchtlinge und die Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen. Das sollten wir unseren Bürgerinnen und Bürgern ehrlicherweise sagen. Das gehört zur politischen Glaubwürdigkeit.
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Politische Versäumnisse bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot sowie der Wirtschaftskrise und Zurückweichen vor einem drohenden Rechtsruck in der Bevölkerung sind keine hinreichenden Gründe für eine Verfassungsänderung. Deswegen kann ich aus grundsätzlichen Überlegungen und aus persönlicher Überzeugung diesem Asylkompromiß nicht zustimmen.
Die vorgeschlagene Drittstaatenregelung setzt das individuelle Asylrecht außer Kraft. Mit ihr ist das Hauptkriterium zur Asylaufnahme der Fluchtweg und nicht der Fluchtgrund.
Darüber hinaus brauchen wir ein System von Hilfen, um die Fluchtursachen bekämpfen zu können, um den Menschen ein Verbleiben in ihrer Heimat zu ermöglichen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das differenziert auf die verschiedenen Fluchtgründe antwortet, nach meiner Meinung am sinnvollsten mit einem Zuwanderungsgesetz.
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Genausowenig brauchen wir ein Asylbewerberleistungsgesetz, das die Asylbewerber sozialpolitisch degradiert. Jeder Mensch in Deutschland soll ein Leben in Würde führen können. Wenn für Flüchtlinge ein geringerer Bedarf zur Führung eines menschenwürdigen Lebens festgesetzt wird, greift dies tief in die Grundwerte unserer Verfassung ein. Es würde bedeuten, daß die Würde des Menschen teilbar ist.
Schließlich sieht der Asylkompromiß die politische Integration der bei uns dauerhaft lebenden Ausländer nicht vor. Nötig ist aber die Erleichterung der Einbürgerung, die doppelte Staatsbürgerschaft und das Kommunalwahlrecht für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die lange hier leben.
Diese Schritte, meine Damen und Herren, würden zu Stabilität und Demokratie, zu gutnachbarlichen Beziehungen und zur Steuerung der Wanderungsbewegung mehr beitragen als diese Grundgesetzänderung.
Vielen Dank.
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Nun spricht der Kollege Wolfgang Ehlers.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Asylrechtsdebatte ist aus meiner Sicht eine längst überfällige Reaktion auf die berechtigten Wünsche und Forderungen der Bürgerinnen und Bürger. Sie ist aus meiner Sicht demzufolge kein Ergebnis der schlimmen Fälle von Ausländerhaß und Ausschreitungen gegen Asylbewerber, leider auch in MecklenburgVorpommern.
In zahlreichen Gesprächen in meinem Wahlkreis Schwerin-Hagenow, insbesondere in Städten mit sehr viel Asylbewerbern, wurde ich immer wieder dringend gebeten, für Änderungen im Asylrecht Sorge zu tragen.
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Die Menschen, die mit mir sprachen, waren keine gewaltbereiten Bürger, sondern ganz normale Menschen wie Sie und ich. Mit den heutigen Beschlüssen folgt also der Gesetzgeber - wenn wir die Mehrheit erhalten - dem Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.
Bevor ich zur Beantwortung der Frage komme, weshalb die Stimmungslage in der Bevölkerung so ist, möchte ich zwei Grundauffassungen nennen, die ich zu Hause immer wieder höre.
Erstens: Die Deutschen, auch unsere Bürgerinnen und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern, sind nicht ausländerfeindlich. Sind sind für ein freundschaftliches Miteinander von Deutschen und Ausländern.
Zweitens. Die Bürgerinnen und Bürger sind dafür, daß auch in Zukunft wirklich politisch Verfolgten ein gesetzlich garantiertes Recht auf Asyl gewährt wird. Die Menschen sind logischerweise aber gegen den derzeitigen ungezügelten Mißbrauch unseres großzügiges Asylrechts. Dieser Mißbrauch führt meiner Meinung nach leider dazu, daß die Ausländer zunehmend undifferenziert betrachtet werden und schließlich zu verurteilende Übergriffe nicht ausbleiben.
Gerade in den neuen Bundesländern, meine Damen und Herren, ist der Umgang mit dem massenhaften Zustrom von Asylbewerbern vollkommen ungewohnt. Allein in Mecklenburg-Vorpommern waren es im vergangenen Jahr über 13 000 zugewiesene Personen. Aber nicht nur diese ungeheure Anzahl von Asylbewerbern bewegt die Menschen. Hinzu kommt, daß sich viele Asylbewerber nicht so verhalten, wie es in Deutschland üblich ist; auch Recht und Gesetz werden mitunter nicht beachtet.
Aus diesen Gründen wächst bei vielen Bürgern die Angst vor Überfällen und Diebstählen, und diese Angst ist, wie zahlreiche Beispiele leider belegen, nicht unbegründet. Darunter leidet natürlich die Akzeptanz der Asylbewerber unter der Bevölkerung, auch derjenigen, die wirklich, auch in Zukunft, Aufnahme finden müssen.
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Wenn ein Gast - das sagen mir meine Wähler zu Hause - schon ungebeten kommt, dann kann man als Gastgeber doch mindestens erwarten, daß er sich ordentlich, entsprechend den Gesetzen, die in Deutschland bestehen, verhält.
Hierbei taucht für mich die Frage auf, weshalb der Asylbewerber nach Deutschland gekommen ist. Ich vertrete auch in Gesprächen im Wahlkreis die feste Überzeugung, daß sich Menschen, die in ihrem Heimatland tatsächlich verfolgt werden, in Deutschland vernünftig verhalten. Sie sind nämlich froh, endlich in einem freien Land leben zu können, und sie werden hier wie alle anderen Mitbürger wohnen und arbeiten wollen. Ich kann mir in solchen Fällen ein genauso ungestörtes Zusammenleben wie mit den zahlreichen ausländischen Mitbürgern, die schon seit Jahren hier leben und arbeiten, vorstellen.
Ein weiterer Fakt, der die Bürgerinnen und Bürger verärgert, besteht in dem Ausnutzen der großzügigen Sozialleistungen unseres Staates. Daß manch ein Asylbewerber nur dieses Ziel verfolgt, wurde in letzter Zeit auch in Mecklenburg-Vorpommern sehr deutlich. Die Entscheidung unseres Landesinnenministers, Sozialhilfe mit Ausnahme des Taschengelds in Sachleistungen zu gewähren, führte bei einer Reihe von Asylbewerbern zum Zurückziehen ihres Asylantrags.
Ich stelle mir die Frage: Würden sich so wirklich Verfolgte verhalten? Meiner Meinung nach waren es auch keine Verfolgten, die in meinem Bundesland in den letzten Monaten mehrfach Sozialhilfe abkassiert haben.
Mit der Änderung des Grundgesetzes und mit der Verabschiedung von begleitenden Gesetzen werden wir den Asylbewerberstrom stark reduzieren können. Wenn dann nur noch eine ganz geringe Anzahl von wirklich Verfolgten nach Deutschland kommen wird, sehe auch ich persönlich keinerlei Probleme mehr hinsichtlich eines geordneten Zusammenlebens zwischen Deutschen und diesen Asylbewerbern. Ich bin mir ebenso sicher, daß dann auch die Gewalt ganz entscheidend abnehmen und eines Tages hoffentlich wieder ganz verschwinden wird.
Schönen Dank.
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Als nächstes hat die Kollegin Brigitte Schulte das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte des Deutschen Bundestages hat eine besondere Bedeutung, denn die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl ist nach unserer Geschichte, nach dem Terror der Nationalsozialisten, für viele Kolleginnen und Kollegen eine Gewissensfrage - auch für mich, zumal viele von uns noch Freunde haben, die dieses Land verlassen mußten, und andere, von denen wir wissen, daß sie nicht mehr rechtzeitig das Land verlassen konnten und dafür eben dann in Gefängnissen dem Terror des Nationalsozialismus ausgesetzt waren.
Ich hätte mir deshalb gewünscht, daß eine ganze Reihe von CDU/CSU-Kollegen nicht verführt gewesen wären, die Gründe derjenigen, die glauben, heute nicht zustimmen zu können, so abzutun.
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Dennoch, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen sich alle Parlamentarier fragen, ob unser 1949 in Kraft getretenes Grundgesetz mit dem bisherigen Art. 16 Abs. 2 noch eine zeitgemäße Antwort auf das Phänomen der Zuwanderung, der weltweiten Bevölkerungsentwicklung und der Asylbewerber darstellt.
Es ist richtig, was hier mehrfach gesagt wurde, daß bereits vor dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa die Zahl der Ausreisewilligen, der Aussiedler und der Asylsuchenden kontinuierlich angestiegen ist. Es ist auch richtig, daß schon vor 1989 die Städte und Landkreise, da sie die Pflicht zur Unterbringung, Betreuung und Finanzausstattung der Hilfesuchenden in unserem Sozialstaat nun einmal tragen, gemahnt haben - jene Landkreise und Städte, deren Sozialämter seit Mitte der 80er Jahre durch eine falsche Politik der Bundesregierung ständig mit Oberproportionalen Sozialausgaben zu kämpfen hatten; denn zu den Zuwanderern kamen die Pflegekosten für ältere und behinderte Menschen sowie die wachsende Zahl der Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Ich darf gerade Kollegen aus Niedersachsen erinnern, daß der Ministerpräsident Albrecht dieses Phänomen der wachsenden Kosten mehrfach angesprochen hat.
Schon 1988 mußten gerade Städte feststellen, daß sie keinen ausreichenden Wohnraum mehr zur Verfügung hatten, daß ihnen Kindergartenplätze fehlten und daß auch soziale Einrichtungen der Altenbetreuung nicht vorhanden waren. Sie hatten auch nicht mehr das Geld, Abhilfe zu schaffen, weil eine verfehlte Wohnungspolitik behauptete, wir hätten genügend Wohnraum in Westdeutschland.
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Aber, meine Damen und Herren - und das möchte ich jetzt auch an meine Kollegen sagen -, auch wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß es 1982 37 430 Asylsuchende waren und daß es zehn Jahre später eben 438 191 sind. Auch wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich nach der Öffnung der Mauer die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland exorbitant erhöhte, daß - ich will wegen der Zeit nicht im einzelnen darauf hinweisen -, wenn man die Abwanderer, diejenigen, die fortziehen, abzieht, de facto sowohl 1989 wie 1990 wie 1991 wie 1992 in den alten Bundesländern jeweils eine Million Menschen mehr bei uns blieben. Das heißt, für 4 Millionen Menschen mußten mehr Wohnungen, mußten mehr Arbeitsplätze, mußten mehr Vorsorgeeinrichtungen geschaffen werden.
Das war der Grund, warum die kommunalen Spitzenverbände gefordert haben, das Asylrecht zu ändern. Ich will ehrlicherweise darauf hinweisen: Die meisten der Oberbürgermeister waren sozialdemokratische Oberbürgermeister; das liegt an den Wahlergebnissen. Sie wollten nicht, das Asylsuchende einfach in andere Länder gehen mußten, aber sie sahen, daß sie mit den Problemen, den Folgen nicht fertigwurden.
Eines, meine Damen und Herren, muß hier festgestellt werden: Auch viele der Menschen, die heute aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, wären eine Bereicherung für unser Land, kämen sie nicht alle
Brigitte Schulte ({2})
gleichzeitig und kämen sie nicht in einer Zeit sozialer Schwierigkeiten.
Aber es muß auch erwähnt werden, daß die Sozialämter und Ausländerbehörden mit den Problemen nicht mehr fertigwunden und daß sie es waren, die uns baten, eine Änderung vorzunehmen. Die traurigen Höhepunkte der gewalttätigen Ausschreitungen bleiben uns ja wohl allen in Erinnerung und haben dazu geführt, daß wir handeln müssen.
Ich bin nur der Meinung, daß die CDU/CSU, die es sich z. B. als niedersächsische CDU im Kommunalwahlkampf 1991 nicht verkneifen konnte, mit einem miesen Wahlkampf gegen die Asylsuchenden und gegen die Sozialdemokraten anzutreten,
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eine sehr unangenehme Rolle gespielt hat. Gott sei Dank hat der Bürger in Niedersachsen Ihnen damals die Quittung dafür gegeben.
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Lassen Sie mich mit dem Hinweis abschließen, daß ich glaube, daß auch der heutige Asylkompromiß nur ein Schritt ist, um ein friedliches Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern zu gewährleisten. Um die innere Stabilität unseres Staates zu sichern, kann ich dieser Gesetzesänderung und der Grundgesetzänderung zustimmen.
Wer aber in Europa offene Grenze erhalten will, der muß mit unseren Nachbarn gemeinsame Spielregeln vereinbaren, und eben dies hat Deutschland noch nicht erreicht. Ein unkontrollierter Zuzug von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten würde auch die Staaten der EG destabilisieren und am Ende unsere Demokratien gefährden.
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Nun hat die Kollegin Dr. Elke Leonhard-Schmid das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Sympathie gehört an diesem Tage zahlreichen Gläubigen der Kirchen, der jüdischen Gemeinden, den Schriftstellern, die aufklärten, und den vielen jungen Menschen, deren gewaltloses - ich wiederhole: gewaltloses - Engagement in dieser Frage Anlaß zur Hoffnung gibt.
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Mein Respekt gilt auch jenen meiner Partei und auch auf dieser Seite, die ernsthaft an der Lösung des Zuwanderungsproblems zu arbeiten versucht haben.
Die Masse, meine Damen und Herren, will eine Lösung; aber machen wir uns nichts vor: Hier ist eine gefährliche Energie am Werk, und hier sind Instrumentarien gefragt, die von Gesetzesänderung und Bürokratie weit entfernt sein sollten.
Sigmund Freud analysierte während der Zeit des nationalsozialistischen Massenterrors treffend, der sogenannte gesunde Menschenverstand der Masse
habe schon oft geirrt. Die leidvolle Geschichte unseres Landes gab ihm recht. Aus Jubel wurden Tränen. 60 % der Bevölkerung wollen, angestachelt von pathologischen Verführern, auf Biegen und Brechen jetzt eine Lösung. Es kommt darauf an - lassen Sie mich dies hinzufügen -jener Hysterie klar und unmißverständlich entgegenzusetzen: So nicht!
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Ich sage zu Ihnen, Herr Fuchtel als kleinem Dregger und zu dem andern Herrn Dregger: So nicht! Die Zeit der Volksverdummung ist vorbei.
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Frau Kollegin Leonhard, würden Sie eine Zwischenfrage gestatten?
Nein, nicht. - Richtig ist: Die Verhältnisse sind unhaltbar, nicht selten unerträglich. Eine Lösung ist notwendig. Gerade deshalb sind Tragweite und Erfolgsaussicht der anstehenden Entscheidung genau zu untersuchen.
Meine Damen und Herren, machen wir uns bewußt, auch wenn es eine Binsenweisheit zu sein scheint: Zur Diskussion steht nicht die Novellierung einer beliebigen Regelung, sondern die einschneidende Änderung eines Grundrechts, das seinen Ursprung in den bitteren Erfahrungen der deutschen Geschichte hat.
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Zahllose Menschen, die im Deutschland des nationalsozialistischen Terrors erniedrigt wurden, um Leib und Leben bangen mußten, fanden dankenswerterweise in vielen Ländern der Erde Zuflucht, nicht selten eine Heimat. Diese Möglichkeit auch jenen zu gewähren, die heute in den zahlreichen Krisenregionen der Erde Verfolgung und Unterdrückung ausgesetzt sind, ist Sinn des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Auch dies ist Realität: Wir sind nicht Frankreich. Wir sind auch nicht Großbritannien. Nein, wir sind ein Land, das die eigene Geschichte weder vergessen noch verdrängen darf.
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Aus diesem Bewußtsein und in dieser Haltung erwuchs die Stärke der vergangenen 40 Jahre.
Neben jenem historischen und moralischen Aspekt ist es der außenpolitische und außenwirtschaftliche Aspekt der Entscheidung, der mich in seiner Konsequenz nachdenklich und besorgt macht. Ohne die Drittstaatendebatte wiederholen zu wollen - alle Argumente sind auf dem Tisch -: Es grenzt an Großmannssucht, zu glauben, die globalen Probleme lösen zu können, indem wir die Lasten der gigantischen Völkerbewegung auf unsere schwachen Nachbarn abwälzen. Es ist mehr als fahrlässig, die jungen
Demokratien des Ostens mit diesen Problemen zu konfrontieren und sie damit tief zu erschüttern.
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Nach zähem Kampf um Demokratie und ersten Stabilisierungserfolgen wäre dies ein Sargnagel, den wir verantworten müssen - ich wiederhole: den wir mit der heutigen Entscheidung verantworten müssen.
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Bei allem Respekt vor den Verhandlungspartnern des vorliegenden Kompromisses kann und darf nicht übersehen werden, daß das von Innenpolitikern für Innenpolitik gemachte Konzepte weder außenpolitisch noch außenwirtschaftlich konsequent durchdacht ist. Bleibt die Frage: Kann angesichts der elenden Lage in weiten Teilen der Welt unsere Antwort auf die Zuwanderung tatsächlich eine Festung Deutschland sein? Eine Komödie, wenn nicht die Tragik des Schicksals Tausender dahinterstünde, Tausender, die, von Not und Hunger getrieben, so lange kommen werden, wie Armut unvorstellbaren Ausmaßes in der Mehrzahl der Länder dieser Erde herrscht!
John F. Kennedy brachte die Konsequenz dieses Mechanismus treffend auf den Punkt:
Wenn jene Gesellschaft nicht den vielen helfen kann, die arm sind, dann kann sie niemals jene wenigen retten, die reich sind.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, abschließend die Worte John F. Kennedys in abgewandelter Form zu einem Appell umformulieren: Wenn die Weltwirtschaft nicht endlich Instrumentarien schafft, die den vielen Ländern auf die Beine hilft, die arm sind, dann wird sie auch nicht jene wenigen retten können, die reich sind.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Günther Müller.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade nach dem, was meine Vorrednerin gesagt hat, möchte ich bitte wieder etwas auf die Realität zurückführen und aufzeigen, um was es eigentlich geht.
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Ich habe vor wenigen Wochen einen Besuch in Bulgarien gemacht. Der dortige Staatspräsident und der Innenminister hatten eine Delegation der WEU empfangen. Sie hatten die deutschen Kollegen dringend gebeten, etwas zu tun, damit der Tatbestand, daß mit die meisten der Asylsuchenden in der Bundesrepublik aus Bulgarien kommen, etwas eingeschränkt wird. Der Grund dafür ist, daß das soziale und medizinische Versorgungssystem in Bulgarien zusammenbricht, weil vor allem Krankenpfleger und
Ärzte unter dem Vorwand, politisch verfolgt zu sein, in der Bundesrepublik Asyl suchen.
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Wer dies unterstützt, schadet den armen Völkern. Es ist eine völlig falsche Schlachtordnung, so zu tun, als wollten diejenigen, die das verhindern wollen, jenen schaden. Ganz im Gegenteil, wir wollen jenen Menschen helfen, die notwendig Hilfe brauchen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben im vergangenen Jahr 30 000 Akademiker aus Brasilien aufgenommen. Dieser „brain-drain" führt dazu, daß die Entwicklung in Brasilien zurückgefahren wird. Wir, die Industriestaaten, sollten dies nicht unterstützen. Wir sollten im Gegenteil eine Politik betreiben, die den Menschen vor Ort hilft und sie nicht hierher, in die Bundesrepublik, lockt.
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Lassen Sie mich hier eine letzte Bemerkung machen: In meinem eigenen Wahlkreis hat eine achtköpfige Asylbewerberfamilie aus Rumänien in 14 Monaten - so lange dauerte das Verfahren -74 800 DM aus öffentlichen Kassen empfangen. Zur selben Zeit wurde im gleichen Ort ein Betrieb einer großen deutschen Schuhfirma geschlossen, weil die Betriebsanlagen genau in das Land verlegt wurden, aus dem die Asylbewerber kamen. Die deutschen Arbeitslosen bekamen nur ein Drittel dessen, was die asylsuchende Familie bekommen hat.
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Das können Sie der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr klarmachen.
Herr Kollege Müller, zur Geschäftsordnung: Eine Kurzintervention sollte sich - ich will kein Zwiegespräch, sondern Ihnen nur einen Hinweis geben - im Regelfall auf konkrete Aussagen des Vorredners, in der ersten Runde meinetwegen auch auf die des Vorvorredners beziehen. Diesen Bezug habe ich nicht ganz erkennen können.
Außerdem sollte sie maximal zwei Minuten dauern, nicht zweieinhalb Minuten.
Als nächster hat nun der Kollege Otto Schily das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein juristisches Gesamtkunstwerk ist dieser verzwickte und vielfach verschraubte Asylkompromiß wahrlich nicht. Zur Kritik allerdings sind am wenigsten jene legitimiert, denen bisher nichts Besseres eingefallen ist, als reichlich realitätsfern offene Grenzen zu propagieren.
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Der Asylkompromiß ist der mühsame Versuch, ethische und rechtsstaatliche Prinzipien den Notwendigkeiten der alltäglichen Praxis anzunähern. Dabei darf jedoch der jahrzehntelange Konsens, den wir gemeinsam gepflegt haben, daß politisch Verfolgte
bei uns Zuflucht erhalten müssen, auf keinen Fall verlorengehen. Deshalb sollte diese Debatte niemand als moralischen Wettbewerb mißdeuten.
Bei vorurteilsfreier Betrachtung kann nicht bestritten werden, daß die gegenwärtige Verfassung und Rechtslage Zuwanderern, die nicht politisch verfolgt sind, sondern aus verständlichen sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Gründen nach Deutschland kommen, die Möglichkeit bietet, unter Vorwand von Asylgründen einen länger dauernden Aufenthalt, die Zuweisung einer Unterkunft und die Gewährung von Sozialhilfe zu erzwingen.
Angesichts dieses Sachverhalts erweist sich die ursprüngliche Fassung des Art. 16 des Grundgesetzes als unglückliche Fehlkonstruktion, die für die Lebenswirklichkeit unserer Zeit nicht mehr tauglich ist. Die Schwierigkeit mit dem individuellen Grundrecht auf Asyl, das in Art. 16 verbürgt ist, liegt nicht in seinem materiellen Gehalt, sondern in seinen verfahrensrechtlichen Auswirkungen.
Wer das individuelle Grundrecht auf Asyl beibehalten will, gleichzeitig aber prozedurale Beschränkungen vornimmt, um die Überfüllung der Asylverfahren zu verhindern, sollte sich nicht wundern, wenn am Ende nur noch die Fassade des individuellen Grundrechts übrigbleibt.
Dabei sollte vor allem nicht übersehen werden, daß die zahlreichen Beschleunigungsgesetze, die dem Asylkompromiß vorausgegangen sind, das individuelle Grundrecht längst beträchtlich ausgehöhlt haben. Die Verfechter eines Individualgrundrechts können daher für sich nicht in Anspruch nehmen, daß ihre Auffassung in größtmöglichem Umfang die uneingeschränkte Gewährleistung des Asyls für politisch Verfolgte sicherstellt. Im Gegenteil: Paradoxerweise führt die Schrankenlosigkeit des individuellen Grundrechts nach Art. 16 zu einer Minderung des Asylschutzes.
Die Gewährleistung des Asyls in Form eines individuellen Grundrechts gehört nicht zu den elementaren Bestandteilen der Verfassungsstruktur des Grundgesetzes.
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Dem Verfassungsgesetzgeber steht es frei, auch eine andere Form zu wählen, die das Asyl sicherstellt. Nach meiner Überzeugung ist die institutionelle Garantie des Asyls ehrlicher und dem individuellen Grundrecht vorzuziehen. Allerdings müßte in einer institutionellen Garantie der besondere hohe moralische Rang der verfassungsmäßigen Pflicht des Staates zur Aufnahme politischer Flüchtlinge deutlich zum Ausdruck kommen.
Mit einem solchen Verfassungsartikel würde sich der Staat eine Selbstverpflichtung auferlegen, die für das gesamte staatliche Handeln bindend wäre. Grundsätzlich ist in einem Rechtsstaat nicht in jedem Fall eine staatliche Verpflichtung mit einem subjektiven Recht verkoppelt. Von seinem Ursprung her ist das Asyl sowieso ähnlich der Gastfreundschaft ein
Gebot der Moral, des Anstands und der Nächstenliebe.
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Bei nüchterner Prüfung der psychologisch-soziologischen Hintergründe ist die Akzeptanz für Asylgewährung deutlich höher, wenn sie als Erfüllung einer moralischen und verfassungsrechtlichen, freiwillig übernommenen Pflicht der Gesellschaft verstanden wird und nicht als einklagbares Recht des Asylsuchenden. Jedoch hieße die Ersetzung des individuellen Grundrechts auf Asyl durch eine institutionelle Garantie nicht, staatliches Wohlverhalten von jeder Kontrolle freizustellen und die Asylgewährung administrativer Willkür zu überlassen.
Bei Ersetzung des individuellen Grundrechts durch eine institutionelle Garantie müßten innerhalb des Staats- und Gesellschaftsgefüges zusätzliche Kontrollinstanzen geschaffen werden, die darauf achten, daß die Selbstbindung des Staates eingehalten wird. Aufgaben und Befugnisse solcher Kontrollinstanzen müßten verfassungsrechtlich abgesichert werden. Das könnte beispielsweise dadurch geschehen, daß eine unabhängige Bundesbeauftragte für Flüchtlingsfragen eingesetzt und mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet wird. Diese neue Institution sollte Flüchtlingsorganisationen wie Amnesty International und Pro Asyl ein umfassendes Mitspracherecht einräumen.
Ich weiß, daß dafür im Moment wenig Verständnis zu erlangen ist. Das ist nämlich ein grundlegend anderer Ansatz, um die Richtigkeitsgewähr für Asylentscheidungen zu verbessern und das Verfahren flexibler, aber auch zugleich plausibler zu gestalten. Vielleicht wäre es ein Einstieg in diese neue Denkweise, die natürlich einem sehr verrechtlichen Denken fremd sein muß, wenn wir beispielsweise den christlichen Kirchen das autonome Recht zusprechen würden, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, die nach ihrer Einschätzung als Asylsuchende schutzbedürftig sind.
Ich werde schweren Herzens der Verfassungsänderung zustimmen, allerdings einer verfassungswidrigen Regelung in § 34 a Abs. 2 meine Zustimmung nicht geben.
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Als nächste hat die Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Vor knapp 30 Jahren erhielt eine Schülerin in der Reifeprüfung einen Dialog des Philosophen Platon zur Übersetzung und Interpretation. Der Text schilderte eine Geschichte aus dem Leben des Athener Bürgers Sokrates während der Zeit der Tyrannei der Dreißig. Sokrates, so erzählt der Dialog, wurde neben einigen anderen in das Rathaus bestellt. Dort wurden sie angewiesen, auf eine Nachbarinsel zu gehen, um geflohene Anhänger der athenischen Demokratie zu töten, die dort Asyl gefunden hatten. Der Schlußsatz des Dialogs ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben: Die anderen gingen nach Salamis, ich aber ging nach Haus. - Im Jahre 399 vor Christus wurde Sokrates wegen GottloDr. Sigrid Skarpelis-Sperk
sigkeit zum Tode verurteilt. Er floh nicht. Er wollte nicht als alter Mann in einem anderen Land um Asyl bitten und wurde hingerichtet.
Zur Zeit der griechischen Militärjunta sammelte ich als Frau eines politisch Verfolgten persönliche Erfahrungen, und heute noch werden schreckliche Bilder in mir wach: das im Polizeiverhör gräßlich zerschlagene Gesicht eines Mannes, der eines Nachts übermüdet, abgerissen, mittellos und ohne Papiere verzweifelt vor der Tür stand; der Unterarm eines anderen Mannes mit kaum verheilten Brandwunden, Male durch ausgedrückte Zigaretten, Folge von Verhören durch die griechische Geheimpolizei, sein angstvolles Zusammenzucken bei jedem Anzünden einer Zigarette; schließlich das Wehelächeln meiner Freundin Katja, als sie Jahre später meine Tochter auf meinem Arm sah. Sie selbst war als Schwangere so bestialisch gefoltert worden, daß sie ihr Kind verlor und nie wieder ein Kind empfangen konnte.
Aber es gab in dieser Zeit auch viel Positives, die überwältigende Solidarität mit dem Freiheitskampf im Geburtsland der Demokratie, Freundschaften über Parteien hinweg, die sich in diesen Zeiten unter den Verfolgten auf deutschem Boden und mit uns Deutschen bildeten. Der größte Teil der politischen Führung aller Parteien Griechenlands suchte und fand Asyl in Deutschland, in Europa und in den USA.
Wir sollten bei unserer Debatte also nicht vergessen, daß die Gewährung von Zuflucht für Verfolgte nicht nur eine Last für das Gastland ist, sondern auch und nicht zuletzt eine Chance für mehr Freiheit und Demokratie,
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eine Chance für mehr Freiheit und Demokratie in der Welt, aber auch für ein positives Deutschlandbild.
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Heute entscheiden wir als Gesetzgeber darüber, ob das Recht auf Asyl für politisch, religiös und rassisch Verfolgte in Deutschland faktisch noch in Anspruch genommen werden kann oder nur mehr als ein bedeutungsloser Merksatz in Art. 16 des Grundgesetzes verbleibt. Wir entscheiden, ob wir ein uraltes Recht - in primitiven Völkern war es ein religiöses Tabu, und in zivilisierten Völkern, Otto Schily, hieß es Gastrecht und nicht Gastgnade -,
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ein Recht, das in zivilisierten Völkern lange vor der Antike selbstverständlich war, jetzt noch gewährleisten wollen. Es geht darum, ob wir die ethischen Grundlagen unserer Zivilisation, den Zusammenklang von christlichen, liberalen und sozialistischen Grundwerten, die den breitgetragenen gesellschaftlichen Konsens des Staatswesens Bundesrepublik Deutschland ausmachen, den ersten größeren wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten der Nachkriegsgeschichte opfern wollen,
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und dies in einer Zeit zunehmender Barbarei und Verfolgung weltweit und vor unserer europäischen Haustür.
Drei Dinge sind es, die mich im Laufe unseres Entscheidungsprozesses besonders bestürzen: Wir schaffen ein Grundrecht ab, ohne die Ursachen der Armutswanderung zu beseitigen oder die Immigration in der Realität auch nur zu begrenzen.
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Wir produzieren eine Scheinlösung, wie bald sichtbar werden wird. Dadurch, daß wir die Zuwanderung auf dem Gesetzespapier abschaffen, verschieben wir die Probleme nur in die Illegalität mit der unausweichlichen Folge steigender Kriminalität.
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Wir wissen das aus anderen Ländern, die kein Asylrecht in unserem Sinne, keine Sozialhilfe kennen. Wozu die Zuwanderung Illegaler in den USA, aber auch in Griechenland führt, können wir sehen: zu mehr Kriminalität und zu nichts anderem.
Ein drittes ist uns im Entscheidungsprozeß um das politische Asyl verlorengegangen: das gemeinsame Suchen und Finden von praktischen und politischen Lösungen für die neuen Probleme, Herausforderungen aller Institutionen und politischen Ebenen.
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Frau Kollegin, darf ich Sie bitte an die Zeit erinnern? Die Redezeit ist schon mehr als eine Minute überschritten.
Im Grunde wissen alle, daß wir auch deswegen vor so großen Problemen stehen, weil in einer unverantwortlichen Mischung aus stets zu geringem Organisationsaufwand, stets zu spät bewilligtem Personal, schlecht geregelten Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden und Finanzierungstricks bei den Bürgerkriegsflüchtlingen ein Verwaltungs- und Rechtsprechungsnotstand entstanden ist, über den sich alle zu Recht erregen.
Frau Kollegin, ich hatte das ernst gemeint.
Diesen Notstand abzuschaffen wäre unsere Aufgabe als Gesetzgeber, nicht, Grundrechte zu ändern.
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Als nächster spricht der Kollege Dr. Walter Hitschler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte um die Erhaltung des Grundrechts auf politisches Asyl und die Abwehr eines ungehinderten Zustroms von Scheinasylanten muß darauf hingewiesen werden, daß die praktischen Folgen eines solchen
ungehemmten Zuzugs letztlich den echten Asylbewerbern die Asylgrundlage entziehen.
Keine Volkswirtschaft ist in der Lage, monatlich die Zuwanderung einer mittleren Kreisstadt mit 40 000 Einwohnern zu verkraften. In dieser Situation befinden wir uns heute, und das ist der falsche Weg.
Die Wohnraumversorgung bereitet den Kommunen immer größere Schwierigkeiten, weil natürlich die Nachfrage in dem Segment preiswerter Wohnungen im Altbestand so außerordentlich stark gestiegen ist, daß ein eklatanter Wohnraummangel insbesondere in den Ballungsgebieten entstanden ist.
Viele Bürgermeister wissen sich nicht mehr zu helfen. Leider sind bisher auch die evangelischen Pfarrhäuser den Asylbewerbern verschlossen geblieben, wo man noch am ehesten eine mitbrüderliche Aufnahme hätte erwarten können.
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Ein weiterer unkontrollierter Massenzuzug ist daher von der Kapazität unserer Wohnungsmärkte her nicht mehr zu bewältigen.
In vielen Fällen führt die Situation dazu, daß deutsche Wohnungssuchende beispielsweise deshalb keine Wohnung mehr finden, weil Asylbewerber, die auf Grund ihrer Einkommenssituation einen Dringlichkeitsschein für den Sozialwohnungsbezug erhalten, bevorzugte Berücksichtigung finden. Die Probleme der Obdachlosigkeit unserer eigenen Mitbürger werden erheblich verstärkt.
All dies dient sicherlich nicht dem sozialen Frieden und der Akzeptanz von Ausländern allgemein, auf die wir in vielen Bereichen dringend angewiesen sind.
Wir brauchen deshalb eine praktikable Regelung, die den Zuzug von Scheinasylanten hemmt und die geordnete Zuwanderung ermöglicht. Wer die Augen vor diesen praktischen Problemen der Lebenswirklichkeit verschließt und sich auf den Standpunkt zurückzieht: „fiat iustitia, pereat mundus", der übersieht, daß wir in unserer volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit überfordert werden. Es ist objektiv unmöglich, alle Armutsflüchtlinge aufzunehmen. Er übersieht vor allem, daß unsere parlamentarische Demokratie Schaden nimmt, weil sich die Bürger von den demokratischen Parteien zu den radikalen Kräften hinwenden, die ihnen Gewaltlösungen anbieten.
Unsere Demokratie muß sich daher wirksam vor dem Mißbrauch des Asylrechts schützen. Wir müssen unsere Bürger vor unzumutbaren Belastungen schützen und eine Zuwanderungsregelung finden, wie es sie auch in anderen Ländern gibt, die es ermöglicht, die ausländerfreundliche Grundhaltung unserer Mitbürger zu bewahren.
Vielen Dank.
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Als nächster spricht der Kollege Gunter Weißgerber.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Welt ist seit 1989 für einen großen Teil der Menschheit freier, jedoch nicht sicherer geworden. Da der industrielle Norden es bisher nicht verstand, die Probleme des Südens lösen zu helfen, ist anzunehmen, daß ihm dies mit der gegenwärtigen wirtschaftlichen Talfahrt noch viel weniger gelingt. Der Druck der Einwanderung nach Europa und Deutschland wird also zunehmen. Die Einwanderungswilligen treffen aber gerade in Ostdeutschland - ich spreche hier als Ostdeutscher - auf Menschen, die durch den Zusammenbruch ihrer bisherigen scheinsicheren Welt verängstigt sind, die ihre neue Umwelt erst lernen müssen. Dies sind Menschen, denen wir Zeit geben müssen, Zeit, die andere in Europa reichlich zur Verfügung hatten.
Die in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns Politikern Taten, welche ihre eigene Lage sicherer machen. Angst um Arbeitsplätze, Angst um geringer werdende Sozialleistungen und die Realität von knappem und oft unbezahlbarem Wohnraum schaffen kein Vertrauen Fremden gegenüber. Dies ist bedrückend, trotzdem aber real.
Im Osten Deutschlands ist Massenarbeitslosigkeit die beklemmende Normalität. In Sachsen, meiner engeren Heimat, bleibt vom industriellen Schaffen allenfalls der frühere Ruf. Dies erzeugt kein Klima von Weltoffenheit. Weltoffenheit hat etwas mit Selbstsicherheit, nichts aber mit ungelösten Problemen zu tun. Wir müssen den Menschen Gelegenheit zum SichZurechtfinden in ungewohnten Verhältnissen geben. Diesem Zweck dient aus meiner Sicht der sogenannte Asylkompromiß.
An einer Überforderung der hier lebenden Bürger kann uns nicht gelegen sein. Wir verschaffen uns aber lediglich Luft zum Handeln im eigenen Land. Wehe, wir lassen diese Chance verstreichen!
Allerdings - dies sage ich ganz deutlich - löst die Grundgesetzänderung die eigentlichen Probleme nicht. Solange Armut und Unterdrückung auf dieser Erde eine Heimstatt haben, werden Menschen plausible Gründe für Auswanderung finden. Die Deutschen werden mit gesteuerter Einwanderung leben müssen, und dies mit Sicherheit nicht zu ihrem Schaden.
Es ist ehrenhaft, das Schicksal sämtlicher Notleidender in der Welt zu bedenken, doch werden wir Verbesserungen in anderen Weltteilen nur gemeinsam mit unserer Bevölkerung, nicht gegen diese erreichen.
Die Zukunft dieses Gemeinwesens steht auf dem Spiel. Im Osten spüren wir dies möglicherweise stärker als im Westen unseres Landes. Ich werde für den Asylkompromiß stimmen und hoffe, damit dem Gemeinwesen tatsächlich zu dienen.
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Eine abgewählte Demokratie in diesem Land vermag niemandem mehr zu helfen. In diesem Sinn bitte
ich alle Kolleginnen und Kollegen, der Grundgesetzänderung zuzustimmen.
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Den vom differenzierten Verhalten meiner Partei Enttäuschten sage ich: Der Streit ging um die bestmögliche Erhaltung von Menschenrechten. Dieser Streit für Menschlichkeit ist ein sehr ehrenvoller Disput. Dafür müssen wir Sozialdemokraten uns weder schämen noch entschuldigen.
Danke.
({2})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Gerhard Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Vorredner herzlich für seine sachliche Rede danken, aber ihn um Verständnis dafür bitten, daß ich mich jetzt nicht mit ihm, sondern mit den Neinsagern in seiner Fraktion beschäftigen möchte.
({0})
Ich beginne mit Frau Skarpelis-Sperk, die hier in einer sehr beeindruckenden Weise persönliche Schicksale geschildert hat. Dann kam eine Aussage zur Bedeutung des Asylrechts in der Geschichte, und die war völlig falsch. Ich werde Ihnen Unterlagen zuschicken, in denen Sie nachlesen können, daß Asylrecht historisch immer ein Recht des asylgewährenden Staates und keine Pflicht dieses Staates und kein Anspruch des Flüchtlings war.
Ansonsten haben Sie gesagt, wir schafften das Asylrecht faktisch ab. Damit haben Sie einen Denkfehler gemacht. Sie lesen in Abs. 2 z. B., wen wir abschieben können. Sie übersehen, daß wir nicht jeden abschieben wollen, den wir nach Abs. 2 abschieben können. Lesen Sie den Vertrag mit Polen!
Sie übersehen weiter, daß wir manche abschieben können, daß wir aber niemanden finden, der sie uns abnimmt. Deshalb wird das Asylrecht eine viel größere Bedeutung haben, als Sie glauben.
({1})
- Ich möchte noch kurz auf zwei Redner eingehen. Dann, Herr Kollege Ullmann, bin ich gerne bereit, Fragen zu beantworten.
Ich halte es nämlich für unbedingt notwendig, auf das einzugehen, was die Frau Leonhard-Schmid gesagt hat. Es war für mich schon interessant, zu hören, wie arrogant eine Sozialistin über die Massen redet. Das war eine unerträgliche Arroganz einer Vertreterin einer Volkspartei.
({2})
Der Kollege Stiegler hat nicht verächtlich von den Massen, sondern von den Stammtischparolen geredet. Dabei hat er zunächst einmal geschickt verschwiegen, daß er sich an den Stammtischen sehr wohlfühlt; ich kenne ihn nämlich.
({3})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, auch ich halte manches, was dort geredet wird, für sehr dumm, aber ich warne den Kollegen Stiegler, das Pauschalurteil einiger Bildungsbürger - bezogen auf die Stammtischleute - zu übernehmen. Das sind Bildungsbürger, die in tollen Villenvierteln wohnen. Sie laufen natürlich überhaupt kein Risiko, daß in ihrer Straße ein Asylantenheim eingerichtet wird. Der Herr Psychologieprofessor hat natürlich überhaupt keine Angst, daß ihm ein Asylant nach zwei Jahren den Arbeitsplatz abnimmt. Darum versteht er die Stammtischleute überhaupt nicht, und er ist nicht in der Lage, das Vernünftige an den Stammtischparolen zu erkennen.
({4})
Noch eine letzte Anmerkung zu meinen Vorrednern. Das ist relativ einfach; ich kann es nicht im Detail begründen. Es ist gesagt worden, der Parlamentarische Rat habe Art. 16 des Grundgesetzes unter dem Eindruck von Millionen von Flüchtlingen beschlossen. Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat, aber er hat keine Ahnung vom Asylrecht. Diese Vertriebenen und Kriegsflüchtlinge sind doch keine politisch Verfolgten.
({5})
Derjenige, der das gesagt hat, sollte wirklich einmal nachlesen, worum es bei Art. 16 des Grundgesetzes geht.
Kollege Friedrich, wie steht es denn nun mit der Zwischenfrage?
Ich bin jetzt bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen, Herr Kollege Ullmann.
Ich bin vielleicht ein Bildungsbürger, obwohl ich nicht in einer Villa wohne, aber ich erlaube mir, eine kleine Frage zu Ihrem historischen Exkurs zu stellen.
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Lieber Herr Kollege Friedrich, halten Sie die Bischöfe zur Zeit der Kaiser Theodosius, Valentinian III. und Justinian, die das Asylrecht wahrnahmen, für Staatsbeamte?
Historisch bin ich nicht so bewandert.
({0})
Herr Kollege Ullmann, ich lese einiges nach, und dann lade ich Sie zum Abendessen ein.
({1})
Ich mache jetzt noch einen kurzen Versuch, aufzuzeigen, warum der Asylkompromiß aus meiner Sicht gar nicht so toll ist. Ich danke dem Kollegen Schily - er wird es jetzt als Bösartigkeit auslegen -, daß er lupenrein das Stoiber-Konzept vorgetragen hat.
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- Lupenrein! - Herr Schily, ich weiß, das bringt Sie in Schwierigkeiten. Das ist aus meiner Sicht ein Lob; denn Stoiber schätze ich fast so hoch wie meinen Parteivorsitzenden ein. Das war ein Lob.
({3})
- Es war ein Lob, Herr Schily.
({4})
Ich sage Ihnen jetzt ganz kurz, weshalb der Kollege Schily recht hatte, als er auf die Mängel des Kompromisses hingewiesen hat. Lesen Sie die Ausführungen der Sachverständigen nach.
Erstens. Die Verfassungsregelung ist viel zu kompliziert. Wir werden bestimmte Lücken nicht erkennen und von so mancher Auslegung überrascht sein. Wir werden es tief bereuen, daß die Korrektur nur durch den Verfassungsgesetzgeber erfolgen kann und nicht durch den einfachen Gesetzgeber.
Zweitens. In Abs. 5 fehlt die Möglichkeit, daß wir uns einem materiellen europäischen Asylrecht anschließen. Wir können nur harmonisieren, wenn wir die Verfassung nochmals ändern.
Dritter Mangel: In Abs. 2 nehmen wir Bezug auf zwei internationale Verträge. Diese sind fürchterlich kompliziert. Jeder in der Welt wendet sie anders an, und fast jeder in der Welt legt sie anders aus. Diese Auslegungsprobleme werden jetzt zu Auslegungsproblemen unserer Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht wird sich damit quälen. Es ist überfordert, den Weltgerichtshof zu spielen.
Vielen Dank.
({5})
Nun erhält der Kollege Otto Schily das Wort zu einer Kurzintervention von maximal zwei Minuten.
Herr Kollege Friedrich, es ist in der Tat richtig, daß auch Herr Stoiber für eine institutionelle Garantie eintritt. Das hat er hier auch schon im Bundestag erklärt. Ich würde mich mit Herrn Stoiber auch ohne weiteres einigen können, wenn er die zweite Komponente einer solchen institutionellen Garantie akzeptieren würde, nämlich daß es, einen unabhängigen Bundesbeauftragten gibt, der Entscheidungen unter Einbeziehung des Rates von Pro Asyl und von amnesty international souverän treffen
kann. Ich bin nämlich der Überzeugung, gerade in einer solchen Institution wird viel schneller evident, wer politisch Verfolgter ist und wer aus anderen Gründen kommt. Eine solche Differenzierung kann dort viel schneller vorgenommen werden. Wenn wir uns so einigen könnten, bin ich zu Gesprächen in dieser Richtung selbstverständlich bereit.
Zu einer kurzen Erwiderung hat der Kollege Friedrich das Wort.
Es langt ein Satz. Der Kollege Schily hat jetzt das Stoiber-Konzept etwas ausführlicher dargestellt. Ich schicke Ihnen das zu.
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Als nächste hat die Kollegin Margitta Terborg das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diesen Tag empfinde ich nicht als eine Sternstunde des Parlaments.
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Und vor dieser Rede fürchte ich mich auch ein bißchen. Ich werde vermutlich nicht die Kraft haben, die Mehrheit in diesem Hause umzustimmen. Es wird mir nicht einmal gelingen, einen Teil der Mitglieder meiner Fraktion von meiner Haltung zu überzeugen.
Darauf allerdings kann ich keine Rücksicht nehmen, wenn ein Grundrecht unserer Verfassung faktisch zu Grabe getragen wird. Ich kann nicht taktische Überlegungen walten lassen, wenn ich davon überzeugt bin, daß Sie mit der faktischen Aushebelung der Rechtswegegarantie ein weiteres Grundrecht verstümmeln.
Und ich kann mich schon gar nicht an der kollektiven Schwindelei beteiligen, mit einer Verfassungsänderung ließen sich die Armutsströme der Welt an unseren Grenzen stoppen.
Ich kann meine Stimme nicht dazu hergeben, daß Sie die Asylproblematik über unsere östlichen Grenzen exportieren, und ich kann die kollektive Heuchelei von den angeblich sicheren Drittstaaten, die man sicher - „leider" jetzt noch nicht, aber künftig nach Belieben - aussuchen wird, nicht mitmachen.
Es schmerzt mich wirklich, das in dieser Deutlichkeit sagen zu müssen und dennoch zu wissen, daß keines meiner Worte Ihr Ohr, schon gar nicht Ihr Herz erreicht. Ich werde daher die „Ergänzung" des Art. 16a des Grundgesetzes nicht mittragen.
Ich werde den Entwurf des Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher Vorschriften wegen einzelner gravierender Bestimmungen ablehnen. Denn Sie wollen beispielsweise in § 34a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz Asylbewerbern ein weiteres Grundrecht, das Recht auf richterliches Gehör und auf die aufschiebende Wirkung richterlicher Entscheidungen, verweigern. Schon vorher ist das ganze Verfahren ziemlich „wackelig" geworden. Das ist nach meinem
Verständnis schlicht verfassungswidrig. Dazu gebe ich mich nicht her.
Was Sie heute beschließen wollen - nicht mit meiner Stimme -, treibt künftige Asylbewerber von vornherein in die Illegalität, befördert das Geschäft der Schlepperbanden und ist die zweitmiserabelste Antwort auf die Frage, wie Sie denn die Armutswanderung an unseren Grenzen wirklich stoppen wollen.
Die miserabelste Antwort - aber vermutlich auch die wirksamste - wäre, eine neue Mauer, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten. Sie sind nicht mehr so weit von diesem Gedanken entfernt.
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Sie nutzen schon jetzt die Grenzsperrtechniken der weiland DDR. Sie werden sie mit deutscher Gründlichkeit verfeinern, bis irgendwann jemand den ersten Schritt wagt und erklärt, ein Eiserner Vorhang sei zur Rettung unserer Verfassung vonnöten. Auch diese reale Vision erschreckt mich am heutigen Tage, macht mich betroffen und zwingt mich, den ersten Schritt zum Unmenschlichen nicht mitzutun. Deshalb - vor allem deshalb - werde ich mich verweigern.
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Als nächster spricht der Kollege Horst Peter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Debatte hinter uns, in der wir viele beachtenswerte Beiträge sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern des Asylkompromisses gehört haben. Ich bin dennoch mit der Debatte und mit dem Verfahren, das zu dieser Debatte geführt hat, zutiefst unzufrieden. Ich glaube, Verfahren und Debatte haben darunter gelitten, daß ein Teil der Menschen, die es angeht, außerhalb des Parlaments geblieben sind, obwohl ständig über sie geredet wurde. Das heißt, bei dieser Debatte hat sich gezeigt, daß wir im Deutschen Bundestag in wichtigen, an den Kern, an die Substanz der Gesellschaft gehenden Fragen nicht den richtigen Weg kennen und nicht wissen, wie wir miteinander diskutieren sollen.
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An dieser Stelle - ich habe es auch in meinem Redemanuskript stehen - pflegt der Abgeordnete Pfeffermann - er ist heute nicht da - dazwischenzurufen: Oberlehrer. Diesmal hat das der Kollege Kalb gemacht. Ich kann damit leben.
Die vielen Menschen, die uns mit ihren Argumenten, mit ihren Ängsten, mit ihren Überforderungen und mit ihren Wünschen angesprochen haben, um sich demokratisch einzumischen, sind politisch „verwertet" und nicht als Subjekte einbezogen worden. Es wurde von der „Straße", es wurde vom „Volk" geredet. Viele der Experten, die im Verfahren gesagt haben: So wie es vorgesehen ist, geht das nicht, sind in dem, was heute zur Abstimmung steht, nicht wieder
aufgetaucht. Dabei tut es uns gut, daran zu denken, daß es in der Tat Menschen sind, die von uns etwas erwarten, und zwar Unterschiedliches.
Wir stehen vor der Schwierigkeit, daß die Menschen bei unserer heutigen Entscheidung mit ihren unterschiedlichen Erwartungen mit uns leben müssen. Das gilt im Prinzip für Gegner wie für Befürworter der Änderung des Art. 16 des Grundgesetzes. Ausnahmen sind diejenigen, die versucht haben, uns mit Gewaltandrohungen unter Zwang zu setzen. Ich möchte hier meine persönliche Erfahrung nennen: Ich fand es nicht gut, daß ich Morddrohungen von rechts erhalten habe. Ich finde es allerdings noch schlimmer, daß in den Medien nur von Morddrohungen und Gewaltandrohungen von links geredet worden ist und nicht von rechts, obwohl dort der Kern der Gewalt in dieser Gesellschaft sitzt.
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Ich möchte ein Beispiel nennen: Ich bin heute morgen zwar in den Saal gegangen, aber ich bin dann auch wieder hinausgegangen, weil ich gedacht habe: Es kann doch nicht sein, daß wir von Einzelinformationen über das, was vor dem Bundestag außerhalb der Bannmeile passiert, leben müssen, die natürlich den Charakter von Polizeiberichten haben. Ich habe anderthalb Stunden lang dort mit Demonstranten geredet und festgestellt: Viele, die mit Asylbewerbern und Asylbewerberinnen, Ausländern und Ausländerinnen arbeiten, sind dort gewesen und haben auf Gespräche mit dem Parlament gehofft. Sie haben diese Gespräche nicht erhalten, sondern sind in vielen Beiträgen hier mit denjenigen in einen Topf geworfen worden, die mit Provokationen auch Gewalt erzeugt haben; sie sind da mit untergemischt worden. Wenn das im Parlament, im Deutschen Bundestag geschieht, ist das nicht richtig, sondern falsch und führt zur Entfremdung von Politik. Ich meine, das sollte man nicht mitmachen.
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Für uns stellt sich die Frage, wie wir bei dieser Unterschiedlichkeit mit Problemen umgehen. Ich meine, die einzige mögliche Antwort ist, daß wir den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, daß wir Abwägungen treffen. Ich habe viele Abwägungen mit unterschiedlichem Ergebnis gehört. Für mich ist die entscheidende Abwägung: Welche Richtung schlägt die deutsche Demokratie mit diesen Entscheidungen mittelfristig ein?
Ich glaube, eine Entscheidung, die Abschreckung und Abschottung zum Prinzip erhoben hat, wird im Ergebnis, wenn sie nicht erfolgreich ist, weitere Abschottung und weitere Abschreckung zur Folge haben. Und das gefährdet die Demokratie in diesem Lande.
Die zweite Abwägung, die ich treffe, ist: Wenn man die Überforderung der Gesellschaft in die schwächeren Länder und Staaten, nach Osteuropa exportiert, dann ist das nicht der Beginn einer Europäisierung, sondern eine Osteuropäisierung mit gleichzeitig damit verbundenem Wiedererwecken von Nationalismus in den westlichen, starken Industriestaaten. Das ist die falsche Richtung. Wir brauchen die umgekehrte
Horst Peter ({3})
Richtung: Nach Westen brauchen wir dieses, wie es auf neudeutsch heißt, burden-sharing.
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Leider hat die Bundesregierung versäumt, das bei den Verhandlungen von Maastricht einzubringen.
Meine Damen und Herren, wenn wir an die Zukunft denken, dann sollten wir die heutige Auseinandersetzung nicht in den kommenden Bundestagswahlkampf hinein verlängern. Herr Kollege Schäuble und Herr Kollege Hintze, was ich heute von Ihnen gehört habe, klang mir sehr stark danach, als ob Sie dabei seien, die Startposition für den kommenden Bundestagswahlkampf zu graben. Das wäre dann der unredliche Ton. Das haben weder die Asylbewerber noch die Bürger dieses Landes verdient. Da werden wir nicht mitmachen.
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Herr Kollege Peter, Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen. Ich würde bitten, daß Sie jetzt wirklich den letzten Satz sagen.
Der letzte Satz lautet: Ich begrüße, daß diese Abwägungen zu unterschiedlichen Entscheidungen bei der Sozialdemokratischen Partei und bei der Freien Demokratischen Partei geführt haben. Ich bedauere, daß bisher nicht erkennbar war, daß in den Reihen der Union auch abgewogen worden ist. Da wußte man offensichtlich alles vorher schon besser.
Danke schön.
({0})
Nun erhält das Wort die Kollegin Frau Professor Dr. Rita Süssmuth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich kurz das Wort ergreife, dann möchte ich hier doch noch einmal klarstellen: Wir alle hätten uns heute eine Parlamentsdebatte gewünscht, ohne daß wir die Polizei hätten einsetzen müssen.
({0})
Ich glaube, für die allermeisten hier im Hause sagen zu können, daß wir sehr wohl unterscheiden zwischen friedlichen Demonstranten und denjenigen, die sie durch ihre Gewalttätigkeit in Mißkredit bringen.
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Ich füge hinzu - ob es sich nun um Polizeiberichte, Berichte von Abgeordneten, Mitarbeitern oder Bürgern und Bürgerinnen handelt -, an einer Wahrheit geht kein Weg vorbei: Es ist heute zu üblen Gewalttätigkeiten gegen Personen und zu Sachbeschädigungen gekommen. Ich sage dies, weil es an diesem
Abend gilt - es war ein schwieriger Tag -, der Polizei zu danken.
({2})
Es gab auf seiten der Polizei 14 Verletzte.
Es gibt vier oder fünf Leichtverletzte bei den Demonstranten; das war vorhin noch nicht ganz genau bekannt.
Ich denke, wir hätten heute ohne den Polizeieinsatz nicht ungestört debattieren können; das gleiche gilt für unsere unmittelbar bevorstehende Entscheidung.
({3})
Ich hätte mir für den heutigen Tag auch gewünscht, daß nicht erneut Bilder um die Welt gehen, die im Zusammenhang mit dieser Asyldebatte gewalttätige Auseinandersetzungen im Umfeld des Deutschen Bundestages mit einer Blockade des Regierungsviertels zeigen.
({4})
Das hat unsere Demokratie nicht verdient; auch das füge ich hinzu.
({5})
Lassen Sie mich weiter sagen: Ich glaube nicht, daß es irgend jemandem von uns dient, wenn jetzt die einen sagen, die CDU/CSU hat es sich leichtgemacht, während die anderen für sich in Anspruch nehmen, es sich schwergemacht zu haben. Nehmen Sie allen Abgeordneten ab - jeder sicherlich in unterschiedlicher Sichtweise -, daß sich niemand die Entscheidung leichtgemacht hat, daß eine Grundgesetzänderung überhaupt keine leichte Sache ist, sondern sehr verantwortlich vorgenommen werden muß.
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Eines möchte ich weder in die Bundesrepublik noch ins Ausland verbreitet wissen: Da fragen die einen, schiebt ihr jetzt nach Verabschiedung des Gesetzes gleich 600 000 ab, werdet ihr eine totale Festung sein? Andererseits hört man, daß ebenso hohe Zahlen über zukünftige Einwanderungen - auch illegale - genannt werden. Ich glaube, wir alle erweisen uns keinen Dienst, wenn wir die jetzt notwendige Steuerung der Zuwanderung als „Festung Bundesrepublik" ausgeben und erklären: Es gibt zwar noch politisches Asyl, aber nicht mehr in Deutschland.
({7})
Deswegen möchte ich hier klar sagen: Meine Zustimmung gilt einer notwendigen Änderung des Grundgesetzes, mit allen Schwierigkeiten, die darin stecken, weil wir anders nicht verantwortlich handeln können - so sehe ich es; andere sehen es anders -; denn ich habe mich in der heutigen Debatte beim Zuhören immer wieder gefragt: Was ist die Alternative? Hier sind zwar Alternativen entwickelt worden,
aber bei vielen mache ich ein großes Fragezeichen, ob wir damit das Grundrecht auf politisches Asyl noch lange werden halten können.
Ich wehre mich auch noch einmal dagegen, daß wir von „der Straße" sprechen. Gewiß gibt es Stammtischgespräche, aber wir haben die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Sorgen und Ängsten mindestens so ernst zu nehmen wie unsere eigenen Sorgen und Ängste.
({8})
Viele haben zu Recht gesagt: Dort, wo die Wohnungen nicht vorhanden sind, wo die schulischen Verhältnisse Spannungen hervorbringen, wo die Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stehen, wo Unruhe in der Umgebung entsteht, können Bürgermeister, Kirchengemeinden und viele, die für Asylsuchende eine Menge getan haben, ihr Bestes tun, aber auch sie stoßen an Grenzen.
Ich füge hier hinzu: Wir haben unsere Bürgerinnen und Bürger zu einem erheblichen Teil nicht unterfordert, sondern überfordert. - Damit meine ich überhaupt nicht jene Stammtischgespräche, denen wir entgegenzuwirken haben. - Ich glaube, die Überforderung müssen wir ebenfalls sehen und sie ernst nehmen.
Deswegen meine Bitte: Heute abend wird entschieden. Tragen wir gemeinsam dafür Sorge, daß unser Land ein gutes Miteinander mit den hier seit langem lebenden Ausländern, mit den Fremden beibehält!
Viele haben heute von den Bürgerkriegsflüchtlingen gesprochen. Ich sage abschließend noch einmal: Ich habe kein schlechtes Gefühl, wenn ich daran denke, was dieses Land - nicht nur die Regierungen auf Bundes- und Länderebene, sondern auch die Bürger und Bürgerinnen - für Menschen in Bedrängnis tut.
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Dabei ist der Appell wichtig: Wir brauchen eine gemeinsame europäische Lösung, die gerade die jungen Demokratien mit einbindet. Sie dürfen sich von uns nicht ausgegrenzt fühlen, sie dürfen uns nicht als Festung sehen.
Wenn wir daran gemeinsam arbeiten, dann, glaube ich, können wir uns in unseren Beschlüssen heute abend respektieren. Ich persönlich möchte sagen: Ich halte diese Entscheidung für eine Änderung des Grundgesetzes für notwendig und werde auch entsprechend stimmen.
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Nun hat der Kollege Dr. Heiner Geißler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bekenne, daß ich mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD zu denjenigen gehöre, die - wie er gesagt hat - nicht ungeteilt glücklich sind über die heute zu treffende Entscheidung und die mit Zweifeln kämpfen, aber nicht deswegen, weil das Kompromisse eben so an sich haben. Das Gewissen ist berührt, die Gesinnung, die Moral, und betroffen sind die Schicksale von Hunderttausenden von Menschen.
Die Drittstaatenregelung ist rechtsstaatlich unter der Voraussetzung, daß wir in das Gesetz die richtigen Staaten hineinschreiben. Das Problem besteht ja zusätzlich darin, daß wir eben aus unserem Herzen heraus, aus unserer Gesinnung, aus den Gründen der Nächstenliebe im Grunde genommen nicht nur diejenigen schützen wollen, die politisch oder religiös verfolgt sind, sondern auch diejenigen, die wegen der Kriegsgefahr, wegen der Bürgerkriege, wegen allgemeiner schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte, wegen schwerwiegender Diskriminierung, z. B. weil sie Frauen sind, weil sie einem bestimmten Volk angehören, oder aus ökologischen Gründen in ihrer Existenz bedroht werden.
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Dazu kommen diejenigen, die hungern. Wir führen diese Diskussion auf dem Hintergrund der Tatsache, daß Rumänien, das derzeitige Hauptherkunftsland der Asylbewerber, gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf, 31mal ärmer ist als die Bundesrepublik Deutschland.
Ersparen Sie mir, heute abend noch einmal das globale Elend zu schildern. Ein Viertel der Weltbevölkerung lebt ohne festes Obdach oder wohnt in Elendsquartieren, um nur diese eine Zahl zu nennen.
Aber es liegt auf der Hand - und das braucht man nicht weiter zu begründen -, daß wir dieses Elend und diese globale Not nicht auf den Sozialämtern in Bonn oder in Lübeck oder in Dresden lösen können. Aber die Vorboten dieser aufziehenden globalen sozialen und ökologischen Revolution klopfen an die Türen unserer Sozialämter und unserer Flüchtlingsämter. Wir haben heute noch nicht einmal die Möglichkeit, dort nach der Schwere der Not zu entscheiden, sondern die Zuwanderung vollzieht sich ungesteuert und willkürlich, und zwar über Artikel 16 des Grundgesetzes. Das ist die Situation.
Was wir heute machen, das ist kein Gesamtkonzept zur Beantwortung dieser Herausforderungen, son-dem lediglich die rechtliche Neuordnung eines kleinen Teils dieses Problems, nämlich des Asylrechts für politisch und religiös Verfolgte, damit wenigstens diese Verfolgten rechtsstaatlich einwandfrei zu ihrem Recht kommen können, was wir glauben und hoffen.
Wer aber den Eindruck erweckt, das damit das globale Flüchtlingsproblem gelöst wäre, der würde unser Volk täuschen. Wir brauchen eine Gesamtkonzeption, innerhalb derer die Asylrechtsfrage ein Teil ist. Ihre Lösung allerdings ist die Voraussetzung dafür, daß wir die moralische und politische Kraft und auch die Zeit bekommen, um die Bekämpfung der Migrationsursachen, die Regelungen für eine gesteuerte und sachlich richtige Zuwanderung und die Änderungen und Verbesserung unseres Einbürgerungsrechts zu erreichen. Wer diesen Asylkompromiß scheitern läßt, verhindert diese Gesamtkonzeption und verlän13620
gert das politische Elend, in dem wir uns alle miteinander in der Ausländerfrage befinden.
({1})
Der Parteitagsbeschluß der Sozialdemokraten vom Oktober 1992 kam spät, aber nicht zu spät. Es war eine Entscheidung für eine sinnvolle Verständigung mit den anderen Parteien. Und die Entscheidung der Union für die Beibehaltung des Asylrechts als Individualrecht war die Basis für eine große Verfassungskoalition der Verantwortung und der Vernunft zur Regelung des Asylrechts.
Wenn es nach den Zweifeln, von denen ich vorhin geredet habe, und nach den Gesinnungen vieler in allen drei Parteien gegangen wäre, dann wäre nicht die Verfassungskoalition, sondern eine Verfassungsblockade das Ergebnis gewesen.
Es ist nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein, daß wir in unserer Verantwortung als Abgeordnete nicht in erster Linie nach unserer Gesinnung und nach dem entscheiden dürfen, was wir mit unserem Herzen möchten, sondern nach dem, was uns die Verantwortung für das Gemeinwohl und die Güterabwägung hinsichtlich der Folgen unserer Entscheidungen auferlegen.
Auch meine Fraktion hat solche Zerreißproben schon bestehen müssen. Am 17. Mai 1972 hat sich die Unionsfraktion bei der Verabschiedung der Ostverträge der Stimme enthalten. 238 Enthaltungen und 10 Nein-Stimmen standen gegen 248 Ja-Stimmen. Hätte die Unionsfraktion mit Nein gestimmt, wären die Ostverträge damals gescheitert. Kurt Georg Kiesinger sagte damals, daß diese Haltung der Fraktion der Union das Ziel habe, ein Scheitern der Ostverträge zu vermeiden und eine möglichst große Zustimmung für eine gemeinsame Entschließung aller Parteien zu ermöglichen.
Was wäre denn passiert, wenn die Union 1972 ihren Gefühlen, ihrer Gesinnung, ihren Emotionen und ihrem Rechtsempfinden allein und nicht auch ihrer politischen Gesamtverantwortung gefolgt wäre? - Willy Brandt sagte damals: Die Weltgeschichte ist kein Amtsgericht. - Die seinerzeitige Entscheidung der Union hat uns jahrelang belastet und für einen Streit gesorgt, der eigentlich erst mit der Einheit Deutschlands zu seinem Ende kam.
Heute stehen Sie, die Sozialdemokraten, in einer ähnlichen Auseinandersetzung zwischen Verantwortung und Gesinnung, Realpolitik und Wunschdenken, Vernunft und Gefühl.
So wie die Union damals muß die SPD heute die Folgen abwägen und werten, wenn dieser Kompromiß scheiterte. Und das Ergebnis ist für mich eindeutig: Unionsparteien, SPD und F.D.P. stehen vor einer der größten Bewährungsproben der letzten Jahrzehnte.
({2})
Ich greife jetzt nicht zu hoch: Ein Scheitern würde zu einer Staatskrise führen. Auf dem Spiel steht die Fähigkeit der politischen Parteien, in einer zentralen Frage ihre Entscheidungsfähigkeit zu beweisen und damit auch das Vorurteil von Inkompetenz und Konzeptlosigkeit zu widerlegen.
Wer diesen Asylkompromiß heute scheitern läßt, der nimmt auch in Kauf, daß der unselige Streit zwischen den Parteien, vor allem zwischen der Union und der SPD, weitergeht, und er schafft geradezu die Voraussetzungen dafür, daß die Ausländerpolitik, die Asylpolitik - was die Rechtsradikalen ja wollen - zum Gegenstand der Wahlkämpfe des Jahres 1994 gemacht wird. Er lenkte reißende Ströme auf die Mühlen der Rechtsradikalen.
({3})
Man kann nur mit Schrecken etwa an den August und an den September 1991 denken. Das Asylproblem wurde zum erstenmal in der Wahlkampfgeschichte zu einem Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht. Massenblätter erschienen mit handbreiten Schlagzeilen.
Herr Dr. Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Freimut Duve?
Jetzt lieber nicht.
Hier in Bonn - ich schäme mich heute noch, daß wir das unwidersprochen haben durchgehen lassen - ist das Asylproblem in mannshohen Leuchtreklamen an den Omnibushaltestellen dramatisiert worden. Wochenblätter haben mehrmals mit solchen Titelgeschichten aufgemacht. Das Ergebnis war verheerend. Am 17. September begannen die Krawalle in Hoyerswerda. Danach stieg die Zahl der Brand- und Mordanschläge sprunghaft. Die Zahl der Brand- und Mordanschläge war in den letzten drei Monaten des Jahres um ein Vielfaches höher als in den Monaten zuvor. Was im Jahre 1992 geschah, weiß jedermann.
Seit Mölln hat sich das Klima allerdings verändert; das ist richtig. Aber wie ist es eigentlich um die Bewußtseinslage einer Gesellschaft bestellt, die drei Morde braucht, um aufzuwachen?
({0})
Müssen drei Türkinnen verbrennen, damit es Lichterketten gibt?
Für das Klima in einem Land, auch Ausländern gegenüber, Asylbewerbern gegenüber, sind nicht in erster Linie die Ausländer und Asylbewerber selber, sondern diejenigen verantwortlich, die über die Macht der Entscheidung und die Macht des Wortes verfügen.
Manche sagen, dieser Asylkompromiß sei lediglich die angsterfüllte Reaktion auf dumpfe Stammtischparolen und rechtsradikale Aggressionen. Das haben wir auch heute gehört. In Wirklichkeit beendet dieser Asylkompromiß die unselige Eskalation der Auseinandersetzung zwischen den großen demokratischen Parteien. Ich hoffe es sehr. Die Bürgerinnen und Bürger jedenfalls erwarten dies von uns.
Es gab heute und in den vergangenen Monaten Anmerkungen und Töne, z. B. derart, daß man sich angesichts der großen Zahl von Asylbewerbern nicht
wundern dürfe, wenn das Volk reagiere. Es gab schlimme Äußerungen.
({1})
Ich will dazu folgendes feststellen. Wenn im letzten Jahr statt 400 000 Asylbewerbern 500 000 oder 600 000 zu uns gekommen wären, dann könnte auch dies in einer zivilisierten Kulturnation niemals in irgendeiner Form begründen und rechtfertigen, daß andere Menschen, nur weil sie eine andere Hautfarbe, Herkunft oder Muttersprache haben, abgefackelt und ihnen die Dächer über dem Kopf angezündet werden.
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Nur darf diese richtige moralische Position von uns allen nicht dazu führen, alles so zu lassen, wie es ist. Den rechtsradikalen Sumpf können wir nur dadurch austrocknen, daß wir, die überwiegende Mehrheit dieses Parlaments, durch unsere Entscheidungsfähigkeit und den Nachweis kompetenter Lösungen ein politisches und gesellschaftliches Klima schaffen, in dem die Menschen wieder Vertrauen in die Politik und das Parlament gewinnen können.
Eine verantwortungsethische Abwägung der Folgen unserer heutigen Entscheidung zwingt uns aber auch, fair miteinander umzugehen, d. h. den ganzen Kompromiß zu bejahen. Das ist für mich eine wichtige Voraussetzung dafür, der Änderung des Grundgesetzes zuzustimmen.
Wenn dieser Kompromiß scheitert, dann scheitert mehr als die Änderung des Grundgesetzes. Dann scheitern die grundsätzliche Herausnahme der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Asylverfahren, die einvernehmliche Erleichterung der Einbürgerung und die Ablösung des aus dem wilhelminischen Kaiserreich stammenden Staatsangehörigkeitsrechts.
Glaubt denn jemand im Ernst, daß bei einem Scheitern des Kompromisses und der Fortführung der unseligen Auseinandersetzungen über dieses Thema wir alle miteinander noch die politische Kraft besäßen, uns auf unsere Hauptaufgabe zu besinnen, nämlich die Ursachen der Migrationsbewegung zu bekämpfen, wenn nicht gar zu beseitigen? Wie sollen wir denn die Zeit und die politische Kraft behalten, die gewaltigen Anstrengungen zu machen, die Kräfte zu mobilisieren, um diese neue internationale soziale Frage zu lösen und daran mitzuwirken, die Bürgerkriege zu beenden?
Wird bei einem Scheitern des Asylkompromisses das friedliche Zusammenleben von 74 Millionen Deutschen und 6,5 Millionen Ausländern erschwert oder erleichtert? Sind wir dann noch in der Lage, mehr für die Integration der hier lebenden ausländischen Mitbürger zu tun?
Wir haben die Äußerung des Bundeskanzlers zur doppelten Staatsangehörigkeit gehört.
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Wir sollten sie zum Anlaß nehmen, auch in dieser Frage über die Parteigrenzen hinweg aufeinander zuzugehen.
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Aber diese Möglichkeiten können wir, wenn dieser Kompromiß scheitert, ebenso abschreiben, wie eine vernünftige Aufgabenteilung innerhalb der europäischen Lander. „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun", hat Molière einmal gesagt, „sondern auch für das, was wir unterlassen."
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Als nächster hat der Kollege Hans Gottfried Bernrath das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Liebe Kollegen! Niemand hier im Raum, glaube ich, gibt sich der Illusion hin, die Zuwanderung nach Deutschland wäre mit den heute zu verabschiedenden Gesetzen schon gemeistert. Eine Begrenzung der Zuwanderung - insonderheit die Eindämmung der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Asylrechts - ist allerdings zum allerwenigsten ein rechtspolitisches Problem. Alle Bemühungen der vergangenen 15 Jahre beweisen das eindeutig. Sämtliche acht Initiativen des Bundes seit 1978 haben Symptome korrigiert, nicht aber den Kern des Problems getroffen.
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Dafür brauchen wir ohnehin ein in sich geschlossenes Einwanderungs-, Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht.
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Flüchtlinge aus Asien und Afrika, dem Mittleren und dem Fernen Osten, neuerdings und zunehmend aus Ost- und Südosteuropa machen sich auch heute in wachsender Zahl auf den Weg in die reichen Industriestaaten, weil es sie in ihren Ländern nicht mehr hält. Sie haben meist triftige Gründe, ihre Heimat, ihre gewohnte Umgebung, ihren Kulturkreis zu verlassen. Politische Gründe aber sind es überwiegend nicht.
Nach wie vor gibt es Zehntausende, ja Hunderttausende unerledigte Anträge auf Gewährung von Asyl. Behörden sind mit der gebotenen Einzelfallprüfung überfordert. Die Verwaltungsgerichte für alle Streitigkeiten mit öffentlich-rechtlichem Streitstoff, zuständig mit insgesamt nur 1 800 Richtern, sind ohnehin überfordert.
Wie schon früher verschiedentlich geht es darum immer wieder um Billigkeitsregelungen für diese vielen einstweilen ungeklärten Einzelschicksale von Personen, die seit Jahren im ungewissen darüber sind, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Die Bürokratie und ihr folgend die Politik sprechen dann von Altfallregelungen, mit denen wir uns zunächst sehr schwertun, die aber doch irgendwie gelöst werden müssen. Wie bisher, trotz der in der Zwischenzeit vorgenommenen zahlreichen Rechtsänderungen, werden Städte und Gemeinden die ganz besondere Last der Zuwande13622
rung zu tragen haben, und sie werden immer mehr und immer häufiger auf die Rechtslage, die geändert werden müsse - ({2})
Herr Bernrath, darf ich kurz unterbrechen. Ich finde, Sie haben es verdient, daß Ihnen zugehört wird.
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Die Gemeinden werden immer wieder auf ihre Lasten hinweisen. Dabei werden die einen mehr auf die Rechtslage, die geändert werden müsse, verweisen, die anderen werden mehr den ungeliebten Bund oder die politisch mißliebige Landesregierung im Visier haben, je nach politischem Standort.
Wie früher schon, aber verstärkt in den letzten Jahren, werden, wenn wir nicht handeln, jene sich des Themas annehmen, die schon den Holocaust nicht wahrhaben wollen, ihn insgeheim für von den Opfern selbst verschuldet erklären, für die Heldentum und Krieg nur einander bedingende Größen sind, die „Deutsch" wieder ganz groß oder doch jedenfalls wesentlich größer schreiben wollen, die Sauberkeit, Anstand und Ordnung mystifizieren, ohne sich selber daran zu halten, die Ausländern gegenüber in ihren billigen Vorurteilen verharren. Dürfen wir dem durch Untätigkeit Vorschub leisten? Wie sehen das unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger?
Die Kirchen beispielsweise, so meinen viele, sind auch hier zuständig für guten Rat, auch für die Moral. Sie haben sich auch beim Asyl nachhaltig zu Wort gemeldet; aber sie haben Gedanken darüber vermissen lassen, daß Zuwanderung in diesem Umfang auch ausgehalten werden muß und daß die Lasten von denen getragen werden müssen, die ohnehin nicht zu den Starken in unserer Gesellschaft gehören. Übrigens - das darf ich am Rande sagen - im neuen Katechismus, doch wohl einer Lebenshilfe und Orientierung für Katholiken, gibt es kein Stichwort zu Asyl, zu Flucht, zu Flüchtlingen oder zu Verfolgung. Dort finden wir keinen Rat.
Die Bürger beurteilen uns. Sie sehen die christlichen Parteien, etwa die CDU/CSU, anders, eher konservativ, ohne daß sie sich auch in diesen Fragen von den Fesseln bisheriger Symbolpolitik erkennbar befreien könnte, und ohne in der Lage zu sein, die offene Flanke rechts befriedigend zu schließen, ständig in der Gefahr, von rechts infiziert und okkupiert zu werden. Daraus ergibt sich die in diesem Sinne oft verständlich starre Haltung in den Verhandlungen.
Die SPD verkörpert beides, so meinen die Leute: den Willen zu praktischen Lösungen, die nie vollkommen sein können, und das Beharren auf Prinzipien mit bisweilen missionarischen Zügen, ständig in der Gefahr, dem zu erliegen, aber auch in der Gefahr, ohne befreienden politischen Ausweg zu bleiben. Das enttäuscht unsere Mitbürger.
Die F.D.P. bewertet die Fragen der Migration aus der Sicht ihrer einseitigen Klientel und nicht aus der ihres Kollegen Hirsch und weniger seiner engeren Freunde. Ihre Haltung ist darum widersprüchlich.
Die GRÜNEN, auch in der Vergangenheit häufig in weltenfernem Schwarm kompetent, möchten am liebsten die ganze Menschheit, so sie es wollte, in Deutschland aufnehmen, möglichst rückwirkend, wenn es ginge.
({0})
In Gesprächen mit Andersdenkenden aber sind sie
- auch und besonders in den Kommunen - selten
präsent und werden sie in der Bürgerschaft vermißt.
Wie bisher schon wird von der einen Seite sozusagen als Positivum hervorgehoben werden, wie wichtig der Beitrag der fremden Gäste für unser Gemeinwesen sei, beispielsweise für den Arbeitsmarkt, beispielsweise für die Sicherung der Renten, beispielsweise für die kulturelle Entwicklung und natürlich der demographischen Unebenheiten wegen. Alles Egoismen!
Herr Dr. Bernrath, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Konrad Weiß?
Ja. Einen Moment! - Die andere Folge der unkontrollierten Einwanderung aber wird wie bisher verschwiegen, zumindest nicht bedacht. Die Beschwernisse des Integrierens, Angelegenheiten des grauen Alltags, werden meist denen zugemutet, die es ohnehin schwerer im Leben haben als andere; denn, um im Beispiel zu bleiben, in den Arbeiterwohnvierteln werden meist die Unterkünfte für Fremde eingerichtet.
({0})
Dies gilt auch für die kleineren Gemeinden und die Dörfer. Das hat Folgen für die Kindergartenplätze, für den Unterricht an Grundschulen beispielsweise, für Wohnraum - nicht zu vergessen - und, dem folgend, für die Mieten.
Die dort lebenden Einheimischen wollen endlich entlastet werden, können und wollen nicht allein diese Lasten tragen, haben auch alles andere verdient, als mit ihren Besorgnissen allein gelassen zu werden und auch noch gewissermaßen zum Ausgleich mit Schmähvokabeln wie „ausländerfeindlich" bedacht zu werden,
({1})
Menschen im übrigen, die überwiegend schon gefühlsmäßig von sich aus Menschen in Not in bewundernswürdiger Weise helfen.
({2})
Herr Weiß.
Herr Kollege Bernrath, darf ich Sie daran erinnern, daß wir - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - nicht die ganze Welt nach Deutschland einladen wollen, sondern daß wir ein Einwanderungsgesetz vorgelegt haben, über das Sie und alle anderen Abgeordneten dieses Hohen Hauses heute abend auch entscheiden werden, in dem es Quoten für eine Begrenzung der Einwanderung gibt?
Eine löbliche Forderung! Aber sie ist unrealistisch, weil dieser Antrag auf Ihrem Parteitag abgelehnt worden ist.
(Werner Schulz ({0}) ({1}): Stimmt ja nicht!)
Es hilft diesen Menschen bei den Tatsachen, denen wir gegenüberstehen, wenig, wenn sich manche öffentlich unserer Asylpolitik wegen besorgt zeigen, aber ebenso nachhaltig protestieren oder gar fehlen, wenn es um die Einrichtung von Fremdenunterkünften ganz in ihrer Nähe geht und wenn wir sie bräuchten, um diese Notwendigkeit unseren Mitbürgern gegenüber zu vertreten.
Eben wurden in diesem Zusammenhang - ich möchte das unterstreichen - auch die leerstehenden Pfarrhäuser erwähnt. In jeder Gemeinde ein großes Ärgernis: Sie kommen zum Bürgermeister, zu den Pfarrgemeinderäten und verlangen Sorge um die aufzunehmenden Flüchtlinge, aber ihrerseits sind sie, jedenfalls überwiegend, nicht bereit, diese Menschen in ihre Liegenschaften aufzunehmen.
({2})
Das ist im übrigen kommunaler Alltag. Die Arbeitsteilung, daß die einen die Moral predigen und die anderen sie zu exekutieren haben, kann nicht aufgehen,
({3})
auch dann nicht, wenn sich beide Seiten darüber einig sein dürften, daß an allem die Politiker schuld seien. Das ist, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein brüchiger Steg. Den Flüchtlingen kann beim Gehen über diesen Steg nicht geholfen werden.
Was ist zu tun? Wir müssen mehr als bisher den Sinn für politische Realitäten wecken. Das heißt, daß sich Deutschland als größter Staat Zentraleuropas mit über 4 500 km Landgrenzen nicht von der Flüchtlingsbewegung freihalten kann. Daraus folgt umgekehrt aber auch, daß Deutschland nicht stellvertretend für Europa das Flüchtlingsproblem allein lösen kann.
({4})
Da unsere Partnerländer dies überwiegend anders sehen möchten und wir durch Beharren auf innerstaatlichen Rechtsprinzipien dazu beitragen, müssen wir über die Schaffung eines gesamteuropäischen Flüchtlingsraums daran gehen, Verteilungsverfahren für die europäischen Mitgliedstaaten etwa nach dem Vorbild unserer innerstaatlichen Regelungen durchzusetzen.
Es muß auch durchgesetzt werden - das gehört zum Asylrecht unverbrüchlich -, daß diejenigen, die auf Dauer nicht bleiben dürfen, zurückkehren müssen. Gewiß, dabei können starre Verfahrensregelungen helfen. Viel entscheidender aber wird es sein, daß die Rückführung tatsächlich stattfindet. Sonst wird es so kommen wie bisher: Die Zahl der Abschiebungen entspricht nicht annähernd der Zahl aussichtsloser Asylbegehren. Diese unbestrittenen Schwächen der Exekutive der Länder können nicht durch noch so
lautstarkes Rufen nach Rechtsänderungen weggeredet werden.
({5})
Eine so praktizierte politische und administrative Konsequenz darf allerdings nicht den Blick dafür verstellen, daß damit die Ursachen der Flucht nicht behoben werden und daß wir gemeinsam mit den anderen Ländern auch im eigenen Interesse die Behebung der Fluchtursachen als vorrangige eigene Aufgabe begreifen und praktizieren müssen. Denn kein Abwehrrecht der Welt wird halten, wenn sich Millionen, von Not, Panik und Hunger getrieben, nach Westen auf den Weg machen und hier vor der Tür stehen. Die einzige Antwort darauf wären ein Grenzsicherungssystem, Mauer und Stacheldraht an der Ost- und Südostgrenze, wo wir entgegen unseren politischen Zielsetzungen heute schon nicht mehr auf Grenzkontrollen verzichten können. Das können wir ernstlich nicht wollen. Das dürfen wir auch nicht zulassen.
({6})
Ich bin der Überzeugung, daß ein Wert der heute zu verabschiedenden Vorlage auch darin besteht, daß die Parteien in zentralen Fragen überwiegend noch gemeinsam handlungsfähig sind. Aber die eigentliche Bewährung einer solchen Zusammenarbeit wird erst kommen, wenn wir Geld, Sachmittel, personelle Hilfe für die Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, hier ebenfalls beschließen müssen.
({7})
Ich bin der Überzeugung, daß wir es schaffen. Ich bin mir aber auch bewußt, daß mit dem heute vorliegenden Ergebnis nur ein Teilaspekt der zugrunde liegenden Anlässe berührt wird. Ich weiß, daß manche Regeln sehr kompliziert und - wenn wir die Randbedingungen nicht verbessern - auf ein in der Sache untaugliches Arbeitsbeschaffungsprogramm für Anwälte, Richter und Verwaltungsbeamte hinauslaufen könnten.
Mir ist durchaus geläufig, daß einige Vorschriften verfassungsrechtliche Diskussionen ausgelöst haben, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Sie sind allerdings um so ernster zu nehmen, je weniger sie auf eine Verknüpfung mit der unveränderbaren Fassung des Art. 1 unserer Verfassung aus sind. Ich akzeptiere auch, daß das Zuwanderungsproblem politisch demnächst wieder auf der Tagesordnung stehen kann.
Es wäre nicht schmählich für die heute zu verabschiedenden Gesetze, wenn sie nur einige Zeit hülfen. Andere Länder haben bereits ähnliche Erfahrungen gemacht, beispielsweise die Niederlande, Dänemark, auch Schweden, nicht zu vergessen Frankreich, die im übrigen allesamt ungleich selbstsicherer mit dieser politischen Frage umgehen als wir, was nicht zu schaden braucht und sich im übrigen immer innerhalb der Genfer Flüchtlingskonvention vollzogen hat.
So richtig es ist, daß gerade bei der Zuwanderung verantwortungsbewußtes Handeln geboten ist, so unabweisbar muß die Einsicht sein, daß es die mathematische Lösung für diese Frage nicht gibt. Wir haben die Pflicht, und wir sind es unseren Mitbürgerinnen
und Mitbürgern und auch den mit uns lebenden Ausländern schuldig, sorgsam mit diesen Fragen umzugehen, nicht zuletzt weil es um menschliche Schicksale und auch um den Sinn für das Asylrecht bei uns allgemein und damit um gegenseitiges Vertrauen geht.
Gegen die Sucht nach nationaler Verengung müssen wir eine Brandmauer errichten. Deshalb darf der Dialog besonders mit den Partnerstaaten in Europa nie abreißen; er muß eher verstärkt werden.
({8})
Denn eines ist gewiß: National hätte auf Dauer kein Staat in Europa eine Chance, mit der Migration allein fertig zu werden.
({9})
Darum ist es richtig, das individuelle Recht auf Asyl zu erhalten, die Verfahrensregeln aber so zu ändern, daß wir nicht zuletzt auf diese Weise zu einer engeren europäischen Zusammenarbeit kommen.
Deutschland wird auch nach einem Beschluß dieser Gesetze noch die liberalsten Asylgesetze und das nobelste Asylangebot in Europa haben.
Danke schön.
({10})
Als nächste spricht die Abgeordnete Andrea Lederer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Helmut Kohl ist 1982 mit dem Versprechen einer geistig-moralischen Wende in diesem Land angetreten. Er hat sie spätestens heute mit der Entscheidung - wenn sie so fällt, wie es beabsichtigt ist - durchgesetzt, und er wird sie weiter mit einer Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Kampfeinsätzen zu zementieren versuchen.
Das ist eine Wende zutiefst reaktionärer Art - in humanistischer, in demokratischer und in liberaler Hinsicht. Diese Wende wird heute übrigens - zumindest in einem Abstimmungsbündnis - erstmals mit einem Abgeordneten, der den Republikanern angehört, durchgeführt.
({0})
Wir haben von dieser Bundesregierung allerdings nichts anderes erwartet, wenngleich wir auch weiterhin dagegen angehen werden, gemeinsam mit anderen, die diese Wende verhindern bzw. zurückschrauben wollen.
Viel schlimmer ist aber folgendes: Dieser Schritt hätte heute tatsächlich verhindert werden können, und zwar durch die Stimmen der SPD. Ich drücke an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich unseren Respekt vor denjenigen aus, die aus guten Gründen bei ihrem „Nein" geblieben sind; das geht sowohl an die Kollegen in der SPD-Fraktion als auch an die Kollegen in der F.D.P.-Fraktion. Aber das ist an diesem heutigen Tag die historische Verantwortung
der SPD-Führung und der Mehrheit der SPD-Fraktion.
Ich glaube durchaus, daß es ihr schwergefallen ist, ja zu sagen. Ich glaube durchaus, daß Sie versucht haben, abzuwägen. Aber gleichzeitig erschreckt mich und meine Gruppe zutiefst, mit welcher Argumentation über die Zweifel hinweggegangen wird und wie im Grunde genommen einer Staatsräson das Wort geredet wird, ohne letztlich die Zweifel, die immerhin die Schicksale von Menschen betreffen, wirklich zur Grundlage einer Gewissensentscheidung zu machen.
({1})
Es war heute die Rede vom Frösteln; ich glaube, der Kollege Duve sprach davon. Es war bei vielen Rednerinnen und Rednern, die ihr Ja begründet haben, die Rede von größten verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wird ständig geäußert - soeben schon wieder -, daß die bestehenden Probleme, was Migration anbelangt, was die Frage des inneren Friedens auch in diesem Lande anbelangt, mit diesen Maßnahmen nicht gelöst werden können. Um welchen Preis um Himmels willen und aus welcher Räson können Sie einen dermaßen tiefen Einschnitt in diese Gesellschaft, einen solchen Demokratieabbau und die Abschaffung von Rechtsschutz für Menschen bestimmter Nationalität in Kauf nehmen? Was nützen den Flüchtlingen diese Bedenken, wenn sie an den Grenzen zurückgehalten und in den Flughäfen festgehalten werden, um dann wieder abgeschoben zu werden?
({2})
Wie lautet da Ihre Argumentation? Sie bauen doch Luftschlösser auf, indem Sie suggerieren: Wir schieben nur in sichere Staaten ab. Abgesehen davon, daß das nicht stimmt, ist es so, daß Sie die Last - heute war oft von Last die Rede, was schrecklich genug ist - in andere Länder abschieben, bis durch den ökonomischen Druck in diesen Ländern die Menschen letztlich vermutlich wieder in ihren Herkunftsländern landen.
Wo sind die von Ihnen versprochenen Paketleistungen? Sie haben versprochen: Eine Änderung der Verfassung gibt es nur, wenn es im Gegenzug weitaus liberalere Regelungen bei der Staatsbürgerschaft, hinsichtlich der doppelten Staatsbürgerschaft, hinsichtlich der Rechtswegegarantie und hinsichtlich des Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge gibt. Wo sind all diese Regelungen? Übriggeblieben ist ein überaus mickriger Änderungsantrag zu § 34 a, wozu uns selbst die Enthaltung schwerfällt, weil an Rechtsschutz für diese Menschen wirklich fast nichts übriggeblieben ist.
({3})
Am allerschlimmsten finde ich, wenn in Interviews auch noch durchsickert, daß die Zustimmung zu diesem sogenannten Kompromiß, der keiner ist, zur Wiederherstellung der Politik- und Handlungsfähigkeit der SPD führen soll. Das ist makaber. Das kann keinem Menschen irgend etwas nützen.
Warum bringt die SPD in einer Zeit, in der die allgemeine Rechtsentwicklung auch ihr den Boden unter den Füßen wegzieht, nicht wenigstens das Rückgrat auf, in diesen Kardinalfragen der Politik der Bundesregierung wirklich Einhalt zu gebieten? Was haben wir angesichts dieses Opportunismus künftig zu erwarten, wenn es noch drastischer als heute um die Frage von Krieg und Frieden geht?
Ich appelliere noch einmal an Sie, Ihre berechtigten Zweifel an dieser Verfassungsänderung inklusive all dieser Folgen voranzustellen und sie zur Grundlage Ihrer Entscheidung zu machen. Die Folgen der heutigen Entscheidung sind so gravierend, daß sie keinerlei taktisches Kalkül zulassen. Sie sind prinzipieller Natur. Vor allem sind sie irreversibel für die Menschen, die von diesen Regelungen betroffen sein werden. Deswegen kann es heute nur eine Antwort geben: die rote Karte, ein Nein.
({4})
Als nächster spricht der Abgeordnete Hans-Joachim Otto.
Frau Kollegin Lederer, wenn ich mir Ihre Reden anhöre, dann frage ich mich wirklich, in welcher Welt Sie leben.
({0})
Sie hätten sich wenigstens einmal an dem Kollegen Bernrath ein Beispiel nehmen können. Bei seiner Rede konnte man nämlich die Wirkung der vernunfttreibenden Realitätskontakte eines Kommunalpolitikers merken. Meine Damen und Herren, Sie sehen, daß die PDS den tatsächlichen Problemen, vor denen wir in Deutschland stehen, sehr weit entrückt ist.
Wir haben heute hier eine engagierte, kontroverse und - bis auf die Beiträge der PDS - auch sachliche und sensible Debatte geführt.
({1})
Die Behandlung des Asylthemas hier im Hause wurde der vielschichtigen Problematik weit besser gerecht als der chaotische Mummenschanz, den einige der sogenannten Demonstranten rund ums Parlamentsviertel abgezogen haben.
({2})
Mit ihrer gewaltsamen Blockadeaktion, mit ihren Angriffen auf Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten und Polizeibeamte haben sie auch dem von ihnen selbst verfolgten Anliegen mit Sicherheit geschadet. Mich beschleicht das ungute Gefühl, daß manche das Asylrecht für völlig andere Zwecke instrumentalisieren.
({3})
Bei den heutigen gewalttätigen Aktionen sind leider auch einige Polizeibeamte leicht verletzt worden. Wir wünschen ihnen von hier aus gute Besserung. Wir danken allen Beamten dafür, daß sie unter schwierigen Bedingungen unsere freie Willensbetätigung heute geschützt haben.
({4})
Natürlich - darüber gibt es keinen Zweifel - sind bei weitem nicht alle Demonstranten gewaltbereit. Ich respektiere viele Argumente der Kritiker des Asylkompromisses innerhalb und außerhalb dieses Hauses. Ich respektiere auch alle Kolleginnen und Kollegen, die nachher aus Gewissensgründen mit Nein stimmen werden. Aber auch diejenigen, die nach sorgfältiger Gewissensprüfung für die Annahme des Asylpaketes entscheiden werden, haben Anspruch darauf, geachtet und nicht verunglimpft zu werden. Jeder von uns macht von seinem individuellen Gewissen Gebrauch.
({5})
Wir beugen uns mitnichten dem Druck der Straße, sondern wir halten angesichts der dramatischen Entwicklung bei den Asylbewerberzahlen und bei den Unterbringungsproblemen das vorgesehene Maßnahmenpaket für ethisch vertretbar und für politisch geboten.
Für diese unsere Auffassung sehen wir uns heute leider zum wiederholten Male seitens einiger Kollegen von der linken Seite des Raumes und von vielen Demonstranten dem Vorwurf des Rassismus und des Populismus ausgesetzt. Diese Vorwürfe möchte ich zum Ende der heutigen Debatte nochmals mit allem Nachdruck, ja sogar mit Leidenschaft zurückweisen. Sie sind ehrabschneidend, und sie sind objektiv unbegründet.
({6})
Der Verlauf der heutigen Debatte beweist doch, daß sich keiner seine Entscheidung leichtgemacht hat.
Ich möchte aber im übrigen davor warnen, an den heute zu treffenden Asylbeschluß zu hohe Erwartungen - seien es Hoffnungen, seien es Befürchtungen - zu knüpfen. Mit der heutigen Entscheidung wird weder das Grundrecht abgeschafft, noch wird Deutschland total abgeschottet oder gar die demokratische Substanz unseres Landes verändert, wie dies einige Vorredner behauptet haben. Es ist z. B. total unsinnig zu behaupten, daß Deutschland jetzt zu einer Festung ausgebaut werde und nur noch mit dem Paddelboot oder dem Fallschirm von Flüchtlingen zu erreichen sei. Ich prophezeie Ihnen: Auch in Zukunft wird es mit Sicherheit nicht zu wenige, sondern immer noch zu viele Asylbewerber geben.
Die beabsichtigten Auswirkungen des Asylkompromisses lassen sich auf zwei zentrale Punkte konzentrieren. Erstens. Es soll endlich eine faire und ausgewogene Verteilung der Flüchtlingsströme, also ein burden sharing, in Europa stattfinden. Es war doch bisher ein untragbarer Zustand, daß die Bundesrepublik Deutschland doppelt so viele Asylbewerber unterzubringen hatte wie alle übrigen elf EG-Partner zusammen.
({7})
Mit der Drittstaatenregelung übernehmen wir den Grundgedanken des Schengener Abkommens. Auch in Zukunft werden wir Deutschen selbstverständlich tatsächlich Verfolgten Asyl gewähren. Aber wir können nicht - darauf haben viele Vorredner, insbesondere auch Herr Dr. Geißler, hingewiesen - die Ar13626
mutsproblmee in Osteuropa und in der Dritten Welt allein schultern.
Zweitens. Gerade den offenkundigen Mißbrauchsfällen kann mit dem Asylkompromiß in Zukunft wirkungsvoller begegnet werden. Es kann doch z. B. wirklich nicht angehen, daß auf Anweisung skrupelloser Schlepperbanden bisher über 90 % aller auf dem Luftwege einreisenden Asylbewerber ihre Pässe vernichtet oder verfälscht haben und wir ihnen dennoch die Einreise genehmigen mußten mit der häufigen Folge, sie später nie wieder abschieben zu können. Solche zunehmenden Mißbrauchsfälle haben das Asylrecht und die wenigen tatsächlich politisch Verfolgten diskreditiert.
Wenn es uns jetzt gelingt, zumindest den Anreiz für die schlimmsten Mißbrauchsversuche zu beseitigen und damit die Gesamtzahl der Asylbewerber zu senken, so dient dies nicht zuletzt gerade den wirklich Asylberechtigten. Das beschleunigte Verfahren dient ja nicht nur dazu, unberechtigte Anträge schneller ablehnen zu können, sondern auch dazu, berechtigte Anträge schneller anerkennen zu können. Wenn somit für Hunderttausende von Flüchtlingen und ihre Familien die Zeitspanne quälender Ungewißheit und häufig auch menschenunwürdiger Unterbringung spürbar verkürzt werden kann, so ist das keinesfalls ein Akt der Unmenschlichkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Gebot der Humanität.
({8})
Geben wir uns dennoch keiner Selbsttäuschung hin. Ebenso wie Herr Klose und auch Herr Geißler eben empfinden wir Liberalen kein Glücksgefühl bei der Verabschiedung dieses allzu komplizierten und, wie Herr Schily gesagt hat, verschraubten Gesetzeswerkes. Es besteht beileibe kein Anlaß zu satter Selbstzufriedenheit. Wir sind uns der Schwächen und wir sind uns auch der Probleme dieses Gesetzeswerkes voll bewußt.
Ich möchte auch nicht bestreiten, daß ich z. B. ein verfassungsrechtliches Restrisiko sehe, soweit Bewerbern aus sicheren Drittstaaten nach § 34 a der Rechtsweg abgeschnitten wird. Da wir aber die politische Notwendigkeit dieser Drittstaatenregelung sehen und anerkennen, hätten wir uns eine entsprechende Klarstellung in Art. 16a des Grundgesetzes gewünscht. Dies war leider wegen der fehlenden Zustimmung der SPD-Fraktion nicht möglich.
Wir sind uns auch dessen bewußt, daß die Drittstaatenregelung in gewissem Umfang die illegale Zuwanderung prämiert, weil sie den Illegalen zumindest ein verkürztes Verfahren einräumt. Dies ist aber nicht etwa, wie manche Vorredner behauptet haben, eine Unsinnigkeit dieses Gesetzeswerkes, sondern das ist die notwendige Folge der Genfer Flüchtlingskonvention, die - was die Kritiker häufig verschweigen - unverändert ebenso fortgilt wie die Europäische Menschenrechtskonvention.
Viele Vorredner haben es bereits unterstrichen: Mit dem neuen Asylrecht können nicht die Ursachen der weltweiten Armutswanderung bekämpft werden. Dies hat aber auch niemand behauptet. Die heutige Entscheidung bildet deshalb nur eine notwendige
Zwischenstation, keinesfalls aber den Zielpunkt. Sie bedeutet - wie Johannes Rau es gestern formuliert hat - einen schweren Schritt auf einem richtigen Weg.
Unser langfristiges Ziel als Liberale ist es, die bisher ungeregelte Zuwanderung unter Mißbrauch des Asylrechts durch ein umfassendes europäisches Einwanderungs- und Integrationskonzept zu ersetzen. Alle Experten bestätigen uns: Deutschland bleibt auf den Zuzug von Menschen dauerhaft angewiesen. Wir wollen jedoch, daß dies in einem geordneten Verfahren und unter konkreten Auswahlkriterien geschieht.
Ich möchte deshalb die Forderung des Fraktionsvorsitzenden Dr. Solms nach einem Einwanderungsgesetz, aber auch nach einer grundlegenden Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes unterstreichen. Wir Liberalen wollen dazu beitragen, daß hier die notwendigen Entscheidungen kurzfristig getroffen werden können.
Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt, wie ich hoffe, das Gesetzespaket mit der erforderlichen Mehrheit annehmen und in Kraft setzen, so beweist dies die Handlungs- und Konsensfähigkeit der demokratischen Parteien Deutschlands.
({9})
Ich bin nicht bereit, die letzten Redner vor so einem lärmenden Haus reden zu lassen. Ich finde, diese paar Minuten - es ist spät am Abend - sollten wir jetzt noch durchhalten. Es muß noch der Redner lauter sein als das Haus selbst.
Danke, Frau Präsidentin.
Im Interesse unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger ist es gelungen, über Fraktionsgrenzen hinweg einen umfassenden Kompromiß zu erzielen. Die Kompromißsuche war lang, streckenweise quälend. Aber wir haben uns letztlich zu einem gemeinsamen Ergebnis durchringen können.
Wir wissen, daß dies insbesondere für Ulrich Klose und manche aus der SPD-Fraktion besonders schwierig war. Diese Leistung verdient Respekt, denn die fraktionsübergreifende Entscheidungsfähigkeit ist ein hoffnungserweckendes Signal für weitere wichtige Entscheidungen von nationaler Bedeutung, die jetzt anstehen.
Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten von uns Abgeordneten jetzt eine Entscheidung. Mit der heutigen Verabschiedung der Asylrechtsänderung wird der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung gerecht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als letzter Redner in dieser Debatte spricht der Abgeordnete Werner Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Werner Schulz ({0})
Ich bitte Sie nur noch um fünf Minuten Aufmerksamkeit.
({1})
- Wenn Sie mich ausreden lassen, mache ich es auch in drei Minuten.
Wir haben heute viel davon gehört, daß die vorliegende Grundgesetzänderung die Garantie für den inneren Frieden bedeute, als wäre der innere Frieden schon ein Wert an sich und würde alles besagen. Herr Schäuble und Herr Seiters, ich muß Ihnen sagen: Ich habe einen inneren Frieden erlebt, der fürchterlich war.
({2})
Wir haben in diesem Parlamentsviertel heute einen Frieden, der, glaube ich, viel mehr Symbolkraft hat, als uns wahrscheinlich lieb und Ihnen, uns allen wünschenswert ist. Ich befürchte, daß wir momentan auf einen komfortablen Frieden zugehen, den wir uns durch Abschottung erkaufen, der aber überhaupt nichts mit der Realität auf diesem Kontinent, mit der Realität auf dieser Welt zu tun hat.
({3})
Wir haben heute viel davon gehört, daß der eine oder andere die Wahrheit verbreitet haben möchte, die heute aus diesem Haus herausgehen soll. Wir wissen alle, daß es nicht die Wahrheit gibt. Sie haben sie nicht, ich habe sie nicht, sie ist nicht absolut.
({4})
- Wir können sicher auch über Unwahrheiten streiten. Darin sind Sie Meister, Herr Schäuble.
({5})
- Nein. Ich glaube, hier geht es um politische Ansichten. Sie haben die politische Ansicht, hier werde eine Grundgesetzänderung verabschiedet, die eine vernünftige Regelung der Zuwanderung biete. Ich sage: Das glatte Gegenteil ist der Fall.
Es ist Ihnen gelungen, den einfachen Satz „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" stehenzulassen, aber er ist ein Placebo geworden. Er ist sinnentleert und wirkungslos. Es ist ein Wortgebirge davorgestellt worden, das normalerweise nur in Kommentaren und Erläuterungsteilen zur Verfassung vorkommt, was dort überhaupt nichts zu suchen hat. Aber auch das ist symbolisch.
Wir sind sicherlich das Land, das die großzügigste Regelung im Asylrecht hat. Dafür gibt es aber auch einen Grund. Lieber Kollege Otto, denn wir haben nicht die Last der Dritten Welt auf unsere Schultern geladen, sondern wir haben die Schuld des Dritten Reiches abzutragen. Das ist ein Schuldanerkenntnis und eine Wiedergutmachung. Ich habe die Sorge, daß das drei Jahre nach der deutschen Vereinigung verlorengeht. Das halte ich wirklich für eine Katastrophe.
({6})
Natürlich brauchen wir eine europäische Asylregelung; das ist überhaupt keine Frage. Der polnische Präsident Walesa, mit dem wir übrigens auch im Gespräch sind und den wir schon sehr lange kennen, glaubt, daß man sich damit eine Ruhe vor dem Sturm erkauft. Er hält es für eine sehr fragile Lösung. Glauben Sie nicht, daß der so lange den Grenzwächter für unsere Probleme spielen wird. Da täuschen Sie sich.
Ich habe wie Sie auch, Herr Seiters, auf dem Balkon der Prager Botschaft erlebt, wie ein System zusammenbricht, das vermeintlich fest ist. Im Grunde genommen sind nur die Leute auf die Straße gegangen und haben dieses System erschüttert. Ich habe im Moment den Eindruck, daß die Völker auf der Straße sind und dieses schöne Schengen-Land, was konstruiert wurde, auch erschüttern, und zwar relativ rasant.
Ich stimme Ihnen in einem Punkt zu: Wir brauchen eine Grundgesetzergänzung - das ist überhaupt keine Frage -, weil man natürlich der Zuwanderung nach Deutschland mit der gegenwärtigen Regelung nicht gerecht wird. Aber warum kann denn dort nicht dieser einfache Satz stehen: Die Einwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen wird durch Gesetz geregelt? Das hat mir in dieser Debatte keiner verständlich machen können.
({7})
- Daß Sie sich da empören, ist mir klar. - Aber ich glaube, aus Ihnen spricht die Unsicherheit, daß Sie vor einer ziemlich radikalen Forderung des Jesus von Nazareth stehen, die Sie erfüllen müssen.
Eines macht mich allerdings betroffen. Herr Klose - Sie winken ab, aber Sie haben heute Ihre Unsicherheit zum Ausdruck gebracht -, Sie sagten, die innere Stimmung in der SPD ist anders als das, was heute zum Ausdruck gebracht wird. Ich frage Sie: Warum gehorchen Sie denn nicht Ihrer inneren Stimme? Warum sagen Sie denn nicht, daß das überhaupt kein Kompromiß ist?
({8})
Was haben Sie denn erreicht? Sie haben kein Einwanderungsgesetz, kein Flüchtlingsgesetz, kein Staatsbürgerschaftsgesetz, kein kommunales Wahlrecht für Ausländer erreicht. Jetzt rennen Sie diesen Sachen durch Zeitungsartikel hinterher. Sie werden sie nicht bekommen. Die Schlacht im Wahlkampf werden Sie bekommen. Das ist Ihnen heute doch schon angedeutet worden. Das ist der Lohn für Ihr Zugeständnis.
({9})
Werner Schulz ({10})
Ich sage Ihnen eines: Wenn dieses Asylpaket heute durchgeht, verliert das erste gesamtdeutsche Parlament für meine Begriffe seine politische Unschuld.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Es ist folgende Reihenfolge vorgesehen. Wir beginnen mit der Änderung des Grundgesetzes. Es folgen die einfachen Gesetze, nämlich das Verfahrensgesetz und das Leistungsgesetz, sodann die weiteren in der Tagesordnung genannten Vorlagen.
Wir werden vier namentliche Abstimmungen durchführen.
Wir stimmen zunächst über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zur Änderung der Art. 16 und 18 des Grundgesetzes auf den Drucksachen 12/4152 und 12/4984 Nr. 1 ab.
Die Fraktion der SPD wünscht zu einem Absatz von Art. 16a Grundgesetz getrennte Abstimmung.
Ich rufe zunächst Art. 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 des Gesetzentwurfs - hier Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes - auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. -Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Ich rufe Art. 16a Abs. 2 des Grundgesetzes auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch Art. 16a Abs. 2 ist bei Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 16a Abs. 3 bis 5 Grundgesetz in der Ausschußfassung sowie Nr. 3 und Art. 2, Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.
Damit ist der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Beratung insgesamt angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Hierzu ist interfraktionell namentliche Abstimmung verlangt.
Ich weise darauf hin, daß zur Annahme des Gesetzentwurfs nach Art. 79 Abs. 2 des Grundgesetzes die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages - das sind 442 Stimmen - erforderlich ist.
Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und unterbreche die Sitzung für etwa 10 Minuten.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung der Art. 16 und 18 des Grundgesetzes auf den Drucksachen 12/4152 und 12/4984 bekannt. Abgegebene Stimmen: 654, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja gestimmt haben 521,
({0})
mit Nein 132. Enthaltungen: eine.
Damit ist der Gesetzentwurf mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
({1})
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksachen 12/4450 und 12/4984 Nr. 2. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5019 vor, über den später namentlich abgestimmt werden soll.
Außerdem wird von der Fraktion der SPD für eine Reihe von Vorschriften getrennte Abstimmung gewünscht.
Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 14 a in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 15, hier: § 26 a Abs. 1 Asylverfahrensgesetz, auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 26 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz mit der in Bezug genommenen Anlage I in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 26 a Abs. 3 Asylverfahrensgesetz auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -§ 26 a Abs. 3 ist bei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 16 und 17 des Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Art. 1 Nr. 16 und 17 sind bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 18, hier: § 29a Abs. 1 Asylverfahrensgesetz, in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 29 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz mit der in Bezug genommenen Anlage II in der AusschußfasPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
sung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufene Vorschrift ist bei Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe § 29a Abs. 3 Asylverfahrensgesetz auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? -Enthaltungen? - § 29 a Abs. 3 ist bei Gegenstimmen und drei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 19 bis 22 des Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 23, hier: § 34 a Asylverfahrensgesetz, auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/5019 vor, mit dem zugleich ein Art. 2 b eingefügt werden soll. Wir stimmen zunächst über diesen Änderungsantrag ab. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung. Hat jeder seine Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung, und wir unterbrechen kurz die Sitzung, bis das Ergebnis bekannt ist.
({2})
Meine Damen und Herren, das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung asylverfahrens-, ausländer- und staatsangehörigkeitsrechtlicher Vorschriften liegt vor.
Abgegebene Stimmen: 655, ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 233, mit Nein haben gestimmt: 391, Enthaltungen: 31. Der Antrag ist somit abgelehnt.
({0}) Ich setze die Abstimmung fort:
Wer stimmt für Art. 1 Nr. 23, § 34 a Asylverfahrensgesetz, in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 34 a ist in der Ausschußfassung bei einer Enthaltung und vielen Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe Art. 1 Nr. 24 bis 46 des Gesetzentwurfs sowie Art. 2 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung, auf. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei zahlreichen Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung insgesamt angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Hier ist interfraktionell namentliche Abstimmung verlangt.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Ihre Stimmzettel abgegeben? - Dann schließe ich die Abstimmung und unterbreche kurz, bis wir das Ergebnis haben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführer ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: 656, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 497, mit Nein haben gestimmt: 158, Enthaltungen: 1. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber auf den Drucksachen 12/4451 und 12/5008 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei zahlreichen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Auch hier ist namentliche Abstimmung verlangt.
Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle ihre Stimmen abgegeben?
({1}))
Wir setzen die Abstimmungen fort. Das Ergebnis wird erst später bekanntgegeben.
Haben alle ihre Stimme abgegeben? - Ich schließe die namentliche Abstimmung.
Ich setze unter Nr. 3 der Beschlußempfehlung fort. Auf Drucksache 12/4984 empfiehlt der Innenausschuß, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 12/2112 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Der Ausschuß für Familie und Senioren empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/5008, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 12/3686 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Regelung der Rechte von niederlassungsberechtigten Einwanderinnen und Einwanderern auf Drucksache 12/1714. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4984 unter Nr. 4, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1714 abstimmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei einigen Enthaltungen und den Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über die Rechtsstellung von Flüchtlingen auf Drucksache 12/2089. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4984 unter Nr. 5, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/2089 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei einigen Enthaltungen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4984 unter Nr. 6 weiterhin, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Unverzichtbarkeit des Asylrechtes abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.
Unter Nr. 7 seiner Beschlußempfehlung schließlich empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1216 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.
Damit komme ich zum Schluß der Abstimmung. Ich stelle fest, daß weit über 100 Erklärungen nach § 31
unserer Geschäftsordnung abgegeben worden sind und daß diese Erklärungen zu Protokoll gegeben werden. * )
Jetzt warten wir noch auf das Abstimmungsergebnis, und dann sind wir fertig.
Da ich sehe, daß nicht alle auf das Abstimmungsergebnis warten wollen, möchte ich Ihnen sagen: Sie können jetzt, wie gewohnt, die Wagen bestellen. Die Polizei hat uns mitgeteilt, daß die Ausfahrtwege frei sind.
Liebe noch anwesende Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der letzten namentlichen Abstimmung bekannt. Es handelt sich um die Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber auf Drucksache 12/4451 und die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie und Senioren auf Drucksache 12/5008: Abgegebene Stimmen: 651, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt: 540 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt: 98 Abgeordnete, Enthaltungen: 13. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Ich danke bei dieser Gelegenheit den Schriftführern für das schnelle Auszählen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung,
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und ich danke allen, die mitgeholfen haben, daß die heutige Sitzung so abgehalten werden konnte.
Ich schließe unsere heutige Tagesordnung und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 27. Mai 1993, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche noch einen guten Restabend. Die Sitzung ist geschlossen.