Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
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In der Nacht zum Donnerstag verstarb nach langer, schwerer Krankheit unser Kollege Walter Rempe. Walter Rempe gehörte dem Deutschen Bundestag seit 1990 an und vertrat den Wahlkreis Köln I. Er wurde am 19. März 1934 in Düsseldorf geboren und erhielt zunächst eine Ausbildung zum Dreher, bevor er 1958 in einem Abendgymnasium das Abitur nachholte. Anschließend begann er an der Universität Köln mit dem Studium der Anglistik und der Geschichte, das er mit dem ersten und zweiten Staatsexamen abschloß.
1962 trat Walter Rempe in die SPD ein und wurde 1968 Vorstandsmitglied des Unterbezirks Köln. Zwischen 1969 und 1989 war er für seine Partei Mitglied des Rates der Stadt Köln; seit 1980 bekleidete er dort das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden.
Besonders engagierte sich Walter Rempe in der Erwachsenenbildung. 15 Jahre lang, zwischen 1975 und 1990, war er Leiter des Köln-Kollegs, eines Instituts zur Erlangung der Hochschulreife.
Im Deutschen Bundestag gehörte Walter Rempe als ordentliches Mitglied dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und als stellvertretendes Mitglied dem Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung an.
Wir alle sind betroffen über seinen frühen Tod. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen.
Der Deutsche Bundestag wird Walter Rempe ein ehrendes Andenken bewahren.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung zu erweitern um:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft
- Drucksache 12/4762 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewichen werden. Es ist vereinbart, diesen Gesetzentwurf ohne Aussprache zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das entsprechend beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 a bis c der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - §§ 175, 182 StGB ({1})
- Drucksache 12/4584 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2}) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts ({3})
- Drucksache 12/4232 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4}) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Christina Schenk und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der psychosexuellen Entwicklung von Jugendlichen - Streichung der §§ 175 und 182 StGB, § 149 StGB/ DDR
- Drucksache 12/1899 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({5}) Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste spricht die Bundesministerin Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mit der Bekämpfung des sogenannten Kindersextourismus und der Neuregelung des strafrechtlichen Jugendschutzes werden mit den heute zur Beratung stehenden Gesetzentwürfen zwei wichtige Anliegen aus dem Bereich des Kinder- und Jugendschutzes aufgegriffen, die mir besonders am Herzen liegen.
Beim Kindersextourismus haben wir es mit einer besonders abscheulichen Form der sexuellen Ausbeutung wehrloser Kinder zu tun. Deutsche Touristen reisen in ferne exotische Länder, um sich dort an einheimischen Kindern sexuell zu vergehen. Nach geltendem Recht kann ein solches Verhalten in Deutschland nur bestraft werden, wenn die Tat auch durch das am Tatort geltende Recht mit Strafe bedroht ist. Oft sind aber die Schutzaltersgrenzen der ausländischen Rechtsordnung deutlich niedriger als die deutsche Schutzaltersgrenze von 14 Jahren, so daß Taten Deutscher im Ausland bisher häufig straflos bleiben.
Diesen deutlich geringeren Schutz ausländischer Kinder können wir nicht länger hinnehmen. Zur Verstärkung des internationalen Schutzes von Kindern ist deshalb auch das deutsche Strafrecht zu ergänzen. Einen entsprechenden Beschluß hat am Mittwoch dieser Woche der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages im Rahmen der abschließenden Beratungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie gefaßt. Ich begrüße diese Entscheidung als einen ganz wichtigen Beitrag zur innerstaatlichen Umsetzung der UN-Kinderkonvention, der in Aussicht stellt, daß diese notwendige Ergänzung des internationalen Schutzes von Jugendlichen bald in Kraft treten kann.
Mit dem zweiten Anliegen, der Neuregelung des strafrechtlichen Jugendschutzes, befassen sich alle drei vorliegenden Gesetzentwürfe. Es geht dabei um einen weiteren bedeutsamen Schritt auf dem Weg zur innerdeutschen Rechtseinheit. Zur Zeit gilt im Bereich des sensiblen strafrechtlichen Jugendschutzes noch ein unterschiedlicher Rechtszustand, der auch im Hinblick auf Art. 3 unseres Grundgesetzes nur für eine Übergangszeit hingenommen werden kann.
Der Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte die innerdeutsche Rechtseinheit herstellen, indem er sich für eine ersatzlose Streichung des historisch belasteten § 175 des Strafgesetzbuches sowie für eine gleichzeitige Aufhebung von § 182 des Strafgesetzbuches und der in den neuen Ländern derzeit noch fortgeltenden Jugendschutzvorschriften des alten DDR-Rechts ausspricht.
Dies alles ist nicht neu und im Hinblick auf die Strafrechtsbestimmungen in den alten Ländern - §§ 175, 182 - seit 1985 verschiedentlich Gegenstand parlamentarischer Beratungen gewesen, das letzte Mal 1991 bei der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs der Gruppe PDS/Linke Liste. Schon damals hat mein Amtsvorgänger Dr. Kinkel deutlich gemacht, daß es eine solche Lösung - ersatzlose Aufhebung dieser Bestimmungen - mit der Bundesregierung nicht geben wird. Dies hat auch heute nach wie vor Gültigkeit.
Der ersatzlose Wegfall der genannten Vorschriften hätte zu Lasten einer ungestörten sexuellen Entwicklung von Jugendlichen Strafbarkeitslücken zur Folge, die so nicht hingenommen werden können. Dies hat gerade auch eine Sachverständigenanhörung bestätigt, die im März des vergangenen Jahres vor dem Bundesratsausschuß für Frauen und Jugend durchgeführt worden ist. Wir müssen nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis davon ausgehen, daß bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren unabhängig von ihrem Geschlecht der noch nicht abgeschlossene Reifeprozeß und die noch fehlende sexuelle Autonomie dazu führen können, daß ein sexueller Mißbrauch durch Erwachsene mit nachteiligen Folgen für die sexuelle Entwicklung des jugendlichen Opfers möglich ist.
Kinder- und Jugendschutz hat Verfassungsrang. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit und bedürfen unseres Schutzes und unserer Hilfe, damit sie sich zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln können. Der Staat ist deshalb berechtigt und, wie ich meine, auch verpflichtet, Kinder und Jugendliche vor schädlichen sexuellen Übergriffen zu bewahren.
Die Bundesregierung hat sich daher wie auch der Bundesrat für die Einführung einer einheitlichen Jugendschutzvorschrift entschieden. Dies entspricht einer liberalen Forderung. Dabei berücksichtigt der Entwurf bei seiner Ausgestaltung die Kritik, die an den noch geltenden strafrechtlichen Bestimmungen geübt worden ist. Er beseitigt deshalb die strafrechtliche Ungleichbehandlung von Homosexualität und Heterosexualität und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und gesellschaftlichen Diskriminierungen gegenüber Homosexuellen. Er gewährleistet außerdem - und dies ist ganz besonders wichtig -, daß sexuelle Beziehungen, wie sie für Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren typisch sind, nicht kriminalisiert werden.
Auch der Entwurf des Bundesrates entspricht im wesentlichen diesem von der Bundesregierung verfolgten Anliegen. Er greift allerdings im Hinblick auf den notwendigen Schutz von Jugendlichen in zwei Punkten zu kurz. Bei der Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Jugendlichen, die unter Ausnutzung einer Zwangslage des Opfers oder gegen Entgelt vorgenommen werden, muß nach dem Vorschlag des Bundesrates der Täter eine Person über 21 Jahren sein. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bezieht dagegen auch die 18- bis 21jährigen in den Kreis möglicher Täter ein. Daß in diesen Fällen auch Heranwachsende Täter sein können, erscheint zum Schutz der Opfer notwendig.
Hier besteht nicht die Gefahr, daß allgemein akzeptierte und altersentsprechende Beziehungen JugendBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger licher kriminalisiert werden. Es geht vielmehr darum, das Ausnutzen von Schwäche und Notsituationen Jugendlicher zu sexuellen Handlungen zu verhindern und sie vor einem Abgleiten in die Prostitution zu bewahren. Das Verhalten des Täters erscheint dabei nicht weniger strafwürdig, wenn er zwischen 18 und 21 Jahren alt ist.
Weitergehend als der Bundesrat sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, auch sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen, die unter Ausnutzung der Unreife des jugendlichen Opfers vorgenommen weiden.
Ich meine, daß die Sachverständigenanhörung im letzten Jahr auch hier gezeigt hat, daß mit den beiden Fallgruppen - Ausnutzung einer Zwangslage und Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt - die strafwürdigen Verhaltensweisen zum Nachteil der sexuellen Selbstbestimmung Jugendlicher nicht hinreichend erfaßt werden. Jugendliche sollten - abweichend vom Bundesratsentwurf - auch davor geschützt werden, daß sich ältere und lebenserfahrenere Personen eine entwicklungsbedingt noch fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung zunutze machen, um sexuelle Handlungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen.
Erwägenswert erscheint mir dagegen ein Vorschlag des Bundesrates, auch sexuelle Handlungen des Opfers an einer dritten Person oder an dem Opfer durch eine dritte Person ausdrücklich in der neuen Jugendschutzvorschrift unter Strafe zu stellen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollte sorgfältig geprüft werden, ob dadurch ein noch besserer Schutz Jugendlicher erreicht werden kann.
Ein möglichst lückenloser und umfassender Schutz Jugendlicher vor schädigenden sexuellen Übergriffen sollte die Zielsetzung bei den bevorstehenden Beratungen sein, die im Interesse einer die Rechtseinheit herstellenden Entscheidung zügig fortgesetzt und zum Abschluß gebracht werden sollten.
Vielen Dank.
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Als nächster spricht unser Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Reformbedürftigkeit des geltenden Sexualstrafrechts steht für uns Sozialdemokraten außer Frage. Das gilt nicht nur für den heute im Mittelpunkt stehenden § 175 des Strafgesetzbuches, das gilt auch für die endlich unter Strafe zu stellende Vergewaltigung in der Ehe und für die wesentlich entschiedener zu verfolgende Kinderpornographie.
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Zu beiden Problemkreisen hat die SPD-Fraktion eigene Gesetzentwürfe vorgelegt.
Was den § 175 angeht, muß der Grundsatz des liberalen Rechtsstaates, daß gewaltfreie und einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen den Staat nichts angehen, deutlicher als bisher zur Geltung kommen. Bei der von uns seit langem geforderten Streichung des § 175 geht es nicht zuletzt um die Beseitigung der Diskriminierung homosexueller Männer. Dieser Paragraph ist vor allem durch die Verbrechen der Nazis mit der Massenverschleppung Homosexueller und ihrer Ermordung in Konzentrationslagern und mit 24 447 grausamen Strafurteilen allein in den drei Jahren von 1937 bis 1939 zu einem Symbol der Unmenschlichkeit geworden. Er sollte endlich verschwinden.
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Wer aber heute noch dazu neigt, homosexuelle Handlungen unter Berufung auf Justinian oder die mittelalterlichen Gesetzgeber als sündhaft anzusehen, sollte sich wenigstens die immerhin auch schon mehr als 200 Jahre alte Erkenntnis der Aufklärung, z. B. Beccarias, zu eigen machen, daß dies keine Sache des weltlichen Richters ist und ein Strafbedürfnis nicht besteht.
Der geltende Straftatbestand, der sexuelle Handlungen eines Mannes über 18 Jahre an einem Mann unter 18 Jahren mit Strafe bedroht, beruht bekanntlich - und das hat die Frau Justizministerin soeben noch einmal ausgeführt - auf wissenschaftlich heute nicht mehr haltbaren Annahmen. Dazu gehört die Annahme, Ursache homosexueller Neigungen sei eher die Verführung in jugendlichem Alter und weniger eine entsprechende Veranlagung oder frühkindliche Entwicklung. Diese ist nämlich, wie wir heute wissen, in aller Regel weit vor Vollendung des 14. Lebensjahres abgeschlossen.
Die Bundesregierung hat vor knapp zwei Jahren auf eine von mir eingereichte Schriftliche Anfrage zutreffend festgestellt - ich zitiere -:
Bei Sachverständigenanhörungen der Fraktionen der SPD und der F.D.P. im Deutschen Bundestag in den Jahren 1981 und 1982/83 vertraten Sexualwissenschaftler die Auffassung, die Disposition zur Homosexualität liege vor dem 14. Lebensjahr fest.
Und sie hat hinzugefügt:
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die eine andere Beurteilung rechtfertigen können.
Die vorliegenden Gesetzentwürfe - von diesen vor allem der Gesetzentwurf des Bundesrates - berechtigen zu der Hoffnung, daß es noch in diesem Jahr gelingen wird, den Auftrag des Einigungsvertrages zu erfüllen und eine Neuregelung zu verabschieden, die modernen Erkenntnissen Rechnung trägt.
Immerhin geht auch die Bundesregierung davon aus, daß der erforderliche Schutz von Jugendlichen vor sexuellem Mißbrauch durch Erwachsene unabhängig davon vorzusehen ist - ich zitiere aus der erwähnten Antwort auf meine Anfrage -, „ob Täter oder Opfer männlichen oder weiblichen Geschlechts sind".
Damit steht auch der völlig veraltete § 182 des Strafgesetzbuches auf dem Prüfstand, der die Verführung eines noch nicht 16jährigen Mädchens zum ersten Beischlaf mit Strafe bedroht. Diese Norm schützt bekanntlich, entgegen der Überschrift des betreffenden Gesetzesabschnitts, nicht in erster Linie
Dr. Jürgen Meyer ({2})
die sexuelle Selbstbestimmung des Mädchens. Vielmehr soll ein nach der alten Gesetzessprache noch „unbescholtenes" Mädchen vor dem Verlust der Heiratschancen geschützt werden. Das ergibt sich daraus, daß die Verfolgung der Tat nach geltendem Recht ausgeschlossen ist, „wenn der Täter die Verführte geheiratet hat".
Soweit es daneben um die Vermeidung unerwünschter Schwangerschaften geht, ist jedenfalls die Mehrheit dieses Parlaments ausweislich des Familien-und Schwangerenhilfegesetzes der Auffassung, daß dies eine Aufgabe des Erziehungssystems und der gesellschaftlichen Aufklärung und Hilfe, nicht aber eine Aufgabe des Strafrechts ist.
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Das Problem, mit dem wir uns in den bevorstehenden Ausschußberatungen eingehend befassen werden müssen, ist die von der Bundesregierung und in deutlich abgeschwächter Form auch vom Bundesrat vorgesehene geschlechtsneutrale neue Schutzaltersbestimmung.
Der Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verzichtet ebenso wie der einige Zeit früher eingebrachte Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg ganz auf eine derartige Bestimmung und schlägt die ersatzlose Streichung der §§ 175 und 182 ebenso wie des noch geltenden § 149 der früheren DDR vor. Schaut man die Begründung näher an, erweist sich der Entwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN aber keineswegs als so liberal oder strafrechtsskeptisch, wie es zunächst scheinen könnte. Denn dort wird ausdrücklich beklagt, daß das sexuelle Selbstbestimmungsrecht nicht nur von Frauen, sondern auch von Mädchen und Jungen strafrechtlich nicht ausreichend geschützt werde.
Es wird eine ganze Palette von strafrechtlichen Defiziten aufgezählt, vom zu engen Gewaltbegriff bei der Vergewaltigung über die Einräumung von minder schweren Fällen bis hin zu den sehr allgemein gerügten Lücken und Unzulänglichkeiten der §§ 174 ff. des Strafgesetzbuches. Klare Konsequenzen werden daraus zwar nicht gezogen.
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Möglicherweise, Frau Kollegin, können wir uns aber darauf verständigen, daß nicht zuletzt Jugendliche gegen Pressionen und strukturelle Gewalt, wie sie von wesentlich älteren Menschen ausgehen und die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht Jugendlicher beseitigen oder zu einer nur noch theoretisch vorhandenen Größe machen können, künftig besser geschützt werden sollten als bisher.
Diese Einsicht hat wohl auch dazu geführt, daß die Freie und Hansestadt Hamburg ihren Gesetzesantrag nicht weiter verfolgt und sich dem Entwurf des Bundesrates angeschlossen hat.
Dabei ist ohne weiteres einzuräumen, daß das in der Koalitionsvereinbarung der Regierungskoalition genannte und vom Regierungsentwurf übernommene Schutzalter von 16 Jahren noch wenig fundiert
erscheint. Im Regierungsentwurf findet sich der Hinweis, es gebe vergleichbare Regelungen anderer europäischer Staaten, z. B. Belgiens, der Schweiz, Portugals. Mit seriöser Rechtsvergleichung hat das nichts zu tun. Tatsächlich gibt es in Europa eine enorme Spannbreite, die sich zwischen einem Schutzalter von zwölf Jahren, z. B. in Spanien und Malta, und 21 Jahren in Großbritannien - dort für homosexuelle Handlungen - bewegt. Hier wird in den Ausschußberatungen noch nachzuarbeiten sein, und die vom Rechtsausschuß durchzuführende Sachverständigenanhörung wird sich schwerpunktmäßig mit der Frage des Schutzalters zu befassen haben.
Aber wenn man der Auffassung ist, daß die sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen, deren Reifeprozeß noch nicht abgeschlossen ist und die noch keine volle sexuelle Autonomie haben, gegen strukturelle Gewalt Erwachsener besser geschützt werden sollte als bisher, wird man aus Gründen der Gesetzesbestimmtheit und zur Vermeidung endloser und wenig opferfreundlicher Gutachterprozesse um die Festlegung eines bestimmten Schutzalters nicht herumkommen. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen sind die bereits im Strafgesetzbuch, beispielsweise in § 174 - sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen - und § 180 - Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger - enthaltenen Schutzaltersbestimmungen mit zu berücksichtigen.
Normenklarheit und Gesetzesbestimmtheit sind unerläßliche Eigenschaften von Straftatbeständen. Sonst sind sie verfassungswidrig und nichtig. In der wesentlich klareren und genauer eingegrenzten Regelung liegt die Stärke des Bundesratsentwurfes und die Schwäche des Regierungsentwurfes, soweit er sich vom Bundesratsentwurf unterscheidet.
Der Bundesrat beschränkt die neue Regelung, ausgehend vom Schutzalter 16, auf zwei genau beschriebene Fallgruppen, nämlich einmal auf die Pression durch das Versprechen oder Gewähren von nicht unerheblichen Vermögensvorteilen und zum anderen auf die Ausnutzung oder Schaffung von Zwangslagen, wie sie etwa bei wohnungslosen oder drogenabhängigen Jugendlichen bestehen können. Durch den Begriff des Mißbrauchs sollen z. B. Geschenke im Rahmen einer echten Liebesbeziehung ausgeschlossen werden.
Die Voraussetzung, daß der Täter über 21 Jahre alt sein muß, entspricht dem Grundgedanken, daß es sich um eine Jugendschutzbestimmung, genauer: den Schutz von Jugendlichen vor sexuellem Mißbrauch durch Erwachsene handeln soll. Das kommt auch durch die Einordnung des Tatbestandes als § 176 a unmittelbar nach § 176 zum Ausdruck, der den sexuellen Mißbrauch von Kindern betrifft.
Der Regierungsentwurf, Frau Justizministerin, ist demgegenüber bereits handwerklich mangelhaft. Wieso der auch dort so genannte sexuelle Mißbrauch von Jugendlichen als neuer § 182 zwischen Menschenhandel, Zuhälterei und Exhibitionsmus eingeordnet werden soll, ist unklar. Möglicherweise wird das nur deshalb vorgeschlagen, weil durch die StreiDr. Jürgen Meyer ({5})
chung des alten § 182 ein Platz im Strafgesetzbuch freigeworden ist.
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Daß die Täter der beiden Fallgruppen des Bundesratsentwurfes nach dem Vorschlag der Bundesregierung lediglich 18 Jahre alt zu sein brauchen, beruht möglicherweise auf der Fehlvorstellung, daß die von 18- bis 21jährigen Tätern ausgehenden Pressionen andernfalls straffrei blieben, was durch einen Blick beispielsweise auf § 178 - sexuelle Nötigung - widerlegt wird.
Der Hauptschwachpunkt des Regierungsentwurfes aber ist die in ihren Konturen unklare dritte Fallgruppe, wonach eine Person bestraft werden soll, die - ich zitiere - „eine Person unter sechzehn Jahren mißbraucht, indem sie diese unter Ausnutzung ihrer Unreife" zu sexuellen Handlungen bestimmt. Die Nähe zu dem fortgeltenden und von der Literatur als unbestimmt und uferlos kritisierten DDR-Tatbestand, der von der „Ausnutzung der moralischen Unreife" spricht, ist unverkennbar. Die Unreife soll sich nach der Begründung des Regierungsentwurfes aus der „mangelnden Fähigkeit" des Jugendlichen ergeben, „auf Grund seiner sittlichen und geistigen Entwicklung Bedeutung und Tragweite sexueller Handlungen zu erfassen und sein Handeln danach einzurichten" - ein weites Feld für Gutachter, Gegengutachter und Obergutachter.
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Das „Ausnutzen" der Unreife soll darin bestehen, daß der Täter „sich die Unreife des jugendlichen Opfers bewußt zunutze" macht. Was bedeutet das als zusätzliches Erfordernis neben dem ohnehin festzustellenden „Mißbrauch", und wie soll der entsprechende Vorsatz je nachgewiesen werden, vor allem dann, wenn der Jugendliche bereits über sexuelle Erfahrungen verfügt? Die Unklarheit des Tatbestandes könnte ihn geradezu zu einem geeigneten Instrument für Erpressungen machen.
Seine Uferlosigkeit verstärkt die ohnehin gegen eine neue Strafnorm auch zu Lasten weiblicher Täter bereits erhobenen Bedenken, und sie berechtigt zu der Frage: Welche kriminologische Erfahrung rechtfertigt es eigentlich, in Zukunft auch Frauen wegen homosexueller und heterosexueller Kontakte mit Partnern zwischen 14 und 16 Jahren zu bestrafen, und das auf Grund eines außerordentlich weiten neuen Straftatbestandes? Diese Frage muß die Bundesregierung noch beantworten.
Wie wenig die Bundesregierung selbst von ihrer Idee überzeugt ist, zeigt der Vorschlag, diese Fallgruppe im Unterschied zu den beiden ersten Fallgruppen, die auch im Bundesratsentwurf vorgesehen sind, zu einem Antragsdelikt zu machen.
Zustimmung verdient aber die vorgesehene Ausweitung des deutschen Strafrechts - von der Sie, Frau Justizministerin, am Anfang Ihrer Rede gesprochen haben - auf Auslandstaten von Deutschen zu Lasten ausländischer Kinder, z. B. in Südostasien. Damit wird einer berechtigten Forderung der Enquete-Kommission dieses Parlaments zum Thema „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung" entsprochen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach Auffassung der SPD-Fraktion sollte also der Bundesratsentwurf Grundlage der weiteren Gesetzesberatung sein. Aber auch dieser Entwurf bedarf einer Ergänzung, und wir werden diese durch einen entsprechenden Antrag in die Ausschußberatungen einführen.
Wer mit dem Verfassungsrang des Jugendschutzes ernst machen will, darf nämlich nicht übersehen, daß Jugendliche nicht selten im Rahmen von Abhängigkeits- und Autoritätsverhältnissen struktureller Gewalt und sexuellem Mißbrauch ausgesetzt sind. Der insoweit durch § 174 des Strafgesetzbuches vorgesehene Schutz ist bekanntlich höchst unzureichend. Er sollte deshalb im Zusammenhang mit der Streichung der §§ 175 und 182 verstärkt werden.
Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise einen Berufsschullehrer, der sich an einer Schülerin der Berufsschule heranmachte, freigesprochen, weil er die Schülerin nicht mehr unterrichtete, so daß kein Obhutsverhältnis mehr bestand. Dasselbe geschah bei einem Beichtvater, der an zwei Mädchen sexuelle Handlungen vornahm. Begründung: Die Beichte sei kein Betreuungsverhältnis. Ähnliches soll für den Fahrlehrer im Verhältnis zur jugendlichen Fahrschülerin gelten sowie für den Direktor oder Meister eines Industriebetriebes gegenüber einem oder einer Auszubildenden im selben Betrieb, wenn die Ausbildung in der Verantwortung eines anderen Ausbilders stattfindet. - Das Gemeinsame dieser Fälle ist der Mißbrauch struktureller Macht oder Überlegenheit.
Bei der Anhörung des Bundesrates im März 1992 hat deshalb die Mehrheit der Sachverständigen gefordert, den Schutz Jugendlicher vor sexuellen Übergriffen im Rahmen von Autoritätsverhältnissen zu verbessern. Wir werden einen entsprechenden Antrag stellen. Wir schließen uns dem Votum der Sachverständigen an und erhoffen Unterstützung für unsere Initiative zum besseren Schutz Jugendlicher im Rahmen von Autoritätsverhältnissen bei der bevorstehenden Gesetzesberatung.
Ich danke Ihnen.
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Als nächster spricht der Kollege Horst Eylmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Umstand, daß wir noch immer einen § 175 im Strafgesetzbuch haben, wird von manchen homosexuellen Gruppierungen dazu benutzt, den Eindruck zu verbreiten, in der Bundesrepublik würden immer noch homosexuelle Handlungen schlechthin unter Strafe gestellt. In Wahrheit ist das seit mehr als 20 Jahren schon nicht mehr der Fall. § 175 erfaßt nur homosexuelle Handlungen eines über 18 Jahre alten Mannes mit einem Jugendlichen unter 18 Jahren. Es handelt sich somit urn eine Vorschrift, die Jugendliche schützen soll.
Auch im Bereich heterosexueller Beziehungen haben wir eine solche, allerdings inhaltlich anders ausgestaltete Schutzvorschrift. Auf Antrag strafbar ist die Verführung eines Mädchens unter 16 Jahren zum Beischlaf.
Ob diese Vorschriften in ihrer konkreten Ausgestaltung heute noch sinnvoll und effktiv sind, ist sehr zweifelhaft geworden. Deshalb sind wir ja auch im Begriff, eine Reform zu machen. Festzuhalten ist aber, daß sie nach ihrer Intention Jugendliche vor dem sexuellen Zugriff Älterer schützen sollen. Diesem Ziel, dem Jugendschutz, fühlen wir uns weiterhin verpflichtet. Er soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht schwächer, sondern im Gegenteil wirksamer ausgestaltet werden.
Eben weil homosexuelle Handlungen in der Bundesrepublik schon seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr strafbar sind, besteht auch kein Anlaß, in eine Grundsatzdebatte über die Homosexualität einzutreten. Wir sollten uns hüten, uns in den jahrtausendalten Streit darüber einzumischen, was Homosexualität ist: eine psychische Störung, eine Krankheit, ein abartiger Trieb oder eine gleichwertige oder gleichrangige Form menschlicher Sexualität.
Eines sollten wir bei dieser Gelegenheit allerdings deutlich aussprechen: Nach allem was wir wissen, entwickeln sich homosexuelle Haltungen schon in den ersten Lebensjahren. Erbliche Dispositionen scheinen dabei ebenso eine Rolle zu spielen wie Umwelteinflüsse. Wie diese Faktoren zusammenspielen, hat die Wissenschaft immer noch nicht befriedigend geklärt.
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Da der Betroffene auf diese Faktoren keinen Einfluß hat, ist jeglicher moralische Hochmut fehl am Platze. Keinem ist vorzuwerfen, daß er homosexuell orientiert ist, und keiner darf deshalb in irgendeiner Hinsicht diskriminiert werden.
Eine völlig andere Frage, meine Damen und Herren, ist, wie ein Homosexueller mit seiner sexuellen Orientierung umgeht,
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was er anderen dabei zumutet und ob er schutzwürdige Interessen anderer respektiert. Diese Frage richtet sich allerdings gleichermaßen auch an Heterosexuelle.
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Damit bin ich wieder bei diesem Gesetzentwurf. Er entscheidet sich für eine einheitliche, für Heteroebenso wie für Homosexuelle geltende Jugendschutzvorschrift. Mädchen und Jungen unter 16 Jahren sollen unabhängig vom Geschlecht des Täters oder Opfers gegen sexuellen Mißbrauch geschützt werden.
Damit wird zugleich ein Stück dringend notwendige Rechtsgleichheit in der Bundesrepublik erreicht. In den neuen Ländern gilt nämlich auf Grund des Einigungsvertrages zur Zeit immer noch der § 149 des Strafgesetzbuches der DDR, der einen Erwachsenen unter Strafe stellt, der einen Jugendlichen zwischen
14 und 16 Jahren zum Geschlechtsverkehr oder zu geschlechtsverkehrähnlichen Handlungen mißbraucht. Im Bereich homosexueller Handlungen eine unterschiedliche Schutzaltersgrenze - hier 18 Jahre, dort 16 Jahre - noch länger bestehenzulassen würde das gesellschaftliche und politische Zusammenwachsen der Deutschen in Ost und West stören und wäre auf Dauer unerträglich.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist schon im Vorfeld von den Interessenvertretungen der Homosexuellen heftig kritisiert worden. Man sieht in dem neuen § 182 StGB einen Verstoß gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Jugendlichen. Es wird gesagt, auch 14- und 15jährige müßten das Recht haben, sich mit älteren Partnern sexuell auszuleben.
Meine Damen und Herren, wenn homo- oder heterosexuelle erwachsene Männer sexuelle Kontakte mit 14jährigen Jungen oder Mädchen haben, wollen sich in aller Regel nicht die Mädchen oder die Jungen, sondern die älteren Herrschaften sexuell ausleben. Es provoziert geradezu den Vorwurf der Heuchelei, wenn in diesem Zusammenhang das Interesse der kaum dem Kindesalter entwachsenen Jugendlichen an ungehinderter Sexualität in den Vordergrund geschoben wird.
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Einen besonderen Tiefpunkt erreicht diese Argumentation dort, wo sie sich gegen die in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck gekommene Absicht der Bundesregierung wendet, Männer wegen Mißbrauchs von Kindern im Ausland auch dann zur Verantwortung zu ziehen, wenn die beklagenswerten Opfer keine deutschen Kinder sind. Der sogenannte Sextourismus europäischer Männer - die deutschen sind darunter zahlenmäßig stark vertreten - nach Südostasien, der dort zu einem massenhaften sexuellen Mißbrauch von Kindern führt, ist eine der widerlichsten Erscheinungen der an Unmenschlichkeiten gewiß nicht armen europäischen Gesellschaftsgeschichte.
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Wir wissen, daß die Regierungen der betroffenen Länder angesichts der übergroßen Nachfrage und der sozialen Verhältnisse dieser Kinderprostitution weitgehend machtlos gegenüberstehen. Ich kann es daher nur als blanken Zynismus werten, wenn z. B. der Bundesverband Homosexualität in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf feststellt, es sei nicht die Aufgabe deutscher Strafgerichte, gegen diese physische und psychische Vergewaltigung ausländischer Kinder vorzugehen.
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Eine solche Argumentation richtet sich in ihrer Verantwortungslosigkeit selbst.
Im übrigen - die Frau Justitzministerin hat das berichtet - hat der Rechtsausschuß schon vorgestern beschlossen, die Beratung dieses Teils des Gesetzentwurfs vorzuziehen und ihn mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie zu verabschieden.
I 182 StGB in der neuen Fassung, meine Damen und
Herren, stellt nicht jede Sexualbeziehung mit einem Jungen oder Mädchen unter 16 Jahren unter Strafe. Zum einen muß der Täter älter sein, nämlich mindestens 18 Jahre bzw. bei Ausnutzung der Unreife des Opfers 21 Jahre. Der in Abs. 1 statuierte Tatbestand verlangt die Ausnutzung einer Zwangslage oder das Versprechen oder das Gewähren eines Vorteils oder vergleichbaren Entgelts. - Diese Begriffe sind teilweise weit gefaßt, aber hinreichend objektivierbar. Die Rechtsprechung wird mit ihnen arbeiten können.
Schwieriger - da ist Herrn Professor Meyer recht zu geben - könnte es mit dem Tatbestand in Abs. 2 werden. Danach macht sich ein über 21jähriger strafbar, der einen Jungen oder ein Mädchen unter 16 Jahren durch Ausnutzung seiner Unreife zu sexuellen Handlungen mißbraucht. Aber auch hier wird die Rechtsprechung in der Lage sein, meine ich, Kriterien zu entwickeln für die Abgrenzung einer echten Liebesbeziehung von einem Verhältnis, in dem der Mißbrauch jugendlicher Unerfahrenheit und Unreife im Interesse einer möglichst ungehemmten Erfüllung sexueller Bedürfnisse des Älteren im Vordergrund steht.
Gegenüber dem geltenden § 175 StGB bringt der Gesetzentwurf eine Liberalisierung. Homosexuelle Kontakte mit Jugendlichen über 16 Jahren sind straffrei, mit Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren strafbar unter den gerade geschilderten Voraussetzungen. Gegenüber dem bisherigen § 182 StGB dehnt der Gesetzentwurf dagegen die Strafbarkeit aus. War bisher nur die Verführung von Mädchen unter 16 Jahren zum Beischlaf strafbar, erstreckt sich die Strafbarkeit nunmehr auch auf sexuelle Handlungen, die an oder von einem Mädchen unter 16 Jahren vorgenommen werden.
Der Entwurf bringt - darüber müssen wir uns im klaren sein - mehr Freiraum für homosexuelle Beziehungen zu Jugendlichen und weniger Freiraum für heterosexuelle Beziehungen zu Jugendlichen. Das mag angesichts der insbesondere bei Mädchen zu beobachtenden Akzeleration des sexuellen Reifeprozesses kritische Fragen hervorrufen. Andererseits werden aber in letzter Zeit die Gefahren einer von ethischen Bindungen und Rücksichten weitgehend freien sexuellen Selbstverwirklichung immer deutlicher. Die männliche Gier nach immer jüngeren Sexualpartnerinnen tobt sich im Sextourismus aus, befördert das Geschäft mit der Kinderpornographie, treibt Schulmädchen auf den Strich und macht zum Teil vor den eigenen Töchtern nicht halt. Das Strafrecht, so meine ich, muß gerade in einer solchen Zeit das ethische Minimum gewährleisten, indem es die jungen Mädchen in einem Stadium ihres Lebens, in dem ihre soziale und psychologische Reife noch keineswegs der körperlichen Reife entspricht, vor der sexuellen Korrumpierung und Manipulation durch erwachsene Männer mit seinen Mitteln, nämlich mit den Mitteln der Strafandrohung und der Strafverfolgung, schützt.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal hervorheben: Ziel dieses Gesetzes ist Jugendschutz, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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Was nach unseren Erkenntnissen, die wir auch im Rechtsausschuß sicherlich noch einmal überprüfen werden, nicht mehr dem Jugendschutz dient - das Verbot homosexueller Kontakte zu Jugendlichen über 16 Jahren -, wird aufgehoben. Wo im Schutz der 14-bis 16jährigen Lücken vorhanden sind, werden sie geschlossen.
Da mir ein breiter Konsens in diesem Hause darüber zu herrschen scheint, die Schutzaltersgrenze bei 16 Jahren anzusetzen, stehen die Chancen günstig, zu einer von einer breiten Mehrheit getragenen Neuregelung zu kommen. Der Rechtsausschuß wird sich Mühe gehen, mit seiner Arbeit die Voraussetzungen für eine solche breite Zustimmung zu schaffen.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die revolutionären Zeiten in Deutschland sind wohl leider endgültig vorbei. Wieder einmal, in dieser Wahlperiode bereits zum drittenmal, diskutieren wir im Plenum über eine mögliche Streichung des § 175. Seit mehr als 120 Jahren dient dieser Paragraph der strafrechtlich sanktionierten Diskriminierung von Homosexuellen. Dabei gab es bereits 1847 zwei Entwürfe zum 1851 verabschiedeten preußischen Strafgesetzbuch, deren Abschnitt über Sittlichkeit nur sieben bzw. acht Vorschriften enthielt und in denen eine Strafvorschrift für Homosexuelle gänzlich fehlte. Selbst die Kategorien „gleichgeschlechtlich" und „widernatürlich" fehlten.
Die gesellschaftliche Realität in Deutschland war und ist jedoch leider eine andere. Insbesondere der § 175 diente und dient unter dem Deckmantel des Schutzes von Jugendlichen der Diskriminierung bis Kriminalisierung von Homosexuellen. Diese generalpräventive Wirkung ist im Verständnis einiger oder vieler Menschen notwendig, um die „Infektion" von Homosexualität abzuwehren oder etwa zu verhindern. Ich zitiere aus einer Sachverständigenanhörigung im März Herrn Professor Tröndle: „... daß die etablierte Schwulenszene eben alle Jugendliche für ihre Zwecke rekrutieren kann."
Obwohl es nur noch relativ wenige Verurteilungen nach § 175 und § 182 pro Jahr gibt, wurde bisher krampfhaft an diesen Paragraphen festgehalten. Mit diesen Strafbestimmungen werden Vorbehalte und Vorurteile untermauert und befördert, die eine bestimmte sexuelle Normalität vorgeben und zur Diskriminierung jeglichen davon abweichenden Verhaltens und Empfindens führen.
In der Zeit des deutschen Faschismus wurden Tausende Schwule mit dem rosa Winkel in Konzentrationslagern zu Tode gequält. Sie wurden bis heute nicht rehabilitiert und entschädigt. In der Diskussion zum 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts im Jahre
Dr. Barbara 11611
1973 wurde nicht mehr die dauerhafte sexuelle Umprägung Jugendlicher befürchtet, wohl aber der Gesichtspunkt hervorgehoben, „daß homosexuelle Kontakte männliche Jugendliche in eine Außenseiterrolle drängen und in der Folge ihre Gesamtentwicklung aufgrund damit verbundener psychischer Belastungen in erheblichem Maße stören könnten". Wie wenig hat sich doch da in den letzten 20 Jahren geändert.
Die PDS/Linke Liste hat deshalb im September 1991 einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung des § 175 und des § 182 StGB/BRD und des § 149 StGB/DDR vorgelegt. Sowohl der Entwurf der Bundesregierung als auch der des Bundesrates folgen letztendlich jedoch der politischen Intention der bisher geltenden Paragraphen, die sie nur bereit sind zu streichen, wenn dafür der Jugendschutz verbessert würde, aber eben nur „würde".
Sowenig die bisher geltenden Paragraphen dem Jugendschutz, sondern der Diskriminierung der Homosexualität dienten, genausowenig sind die vorgelegten Neuformulierungen der tatsächlichen sexuellen Selbstbestimmung von Jugendlichen förderlich. Stichpunktartig möchte ich nur auf einige Widersprüche verweisen:
Es werden unberechtigterweise vier verschiedene Fallgruppen vermischt: Mann/Junge, Mann/Mädchen, Frau/Mädchen, Frau/Junge. Die allgemeine Heraufsetzung der Altersschutzgrenze auf 16 Jahre geht an der realen Entwicklung des Sexualverhaltens Jugendlicher vorbei; sie ist schlicht anachronistisch. Erstmals werden in dieser Form lesbische Sexualkontakte unter Strafe gestellt. Statt des Schutzes der positiven sexuellen Selbstbestimmung der Jugendlichen werden diese durch Strafandrohung in dem Prozeß ihrer sexuellen Selbstfindung massiv eingeschränkt; die Tatbestandsmerkmale wie „Unreife", „Vorteile" usw. sind nicht hinlänglich justitiabel.
Die Gewährleistung der sexuellen Selbstbestimmung der Jugendlichen, ihre freie Entwicklung zu ihrer sexuellen Identität erfordert unseres Erachtens vorrangig ihre Anerkennung und die dementsprechende Behandlung als eigenständige Subjekte. Dies ist eine Frage von Verfassungsrang und erschöpft sich nicht in dem Aspekt des Schutzes.
Ich möchte jetzt Herrn Dr. Bosinski aus der Sachverständigenanhörung zitieren:
Ein mündiger, seiner auch sexuellen Integrität bewußter Jugendlicher läßt sich nicht ausnutzen. Ein Kind, das gelernt hat, daß es eine eigene Person mit eigenen Rechten ist, das „Nein" zu sagen gelernt hat, läßt sich nicht über Jahre mißbrauchen.
Das geltende Sexualstrafrecht dient eher der Ausgrenzung und Tabuisierung dieser spezifischen Form menschlichen Lebens.
({0})
Es dient zur Diskriminierung bestimmter „normabweichender" Formen sexuellen Empfindens und Handelns und mischt sich damit in die Intimsphäre von Menschen. Solange sexuelle Beziehungen einvernehmlich, unter Wahrung der Würde der bzw. des anderen erfolgen, sollte sich der Staat heraushalten. Andererseits sollte der Staat vor Mißbrauch und Gewalt, ob in sexueller oder nichtsexueller Beziehung, z. B. bei der Vergewaltigung in der Ehe, die bis heute straffrei ist, wesentlich besser schützen. Es ist an der Zeit zu diskutieren, das Sexualstrafrecht als solches in Frage zu stellen und die Strafrechtsnormen, die der Wahrung der Würde des Menschen und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen in allen Bereichen dienen, wesentlich auszubauen.
Herr Dr. Bosinski betonte hierbei, daß das, was jetzt vorgelegt worden ist, wohl eher ein Treppenwitz der Geschichte ist, wenn ein auf tatsächlicher Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenwürde und Menschenrechte gründendes Staatswesen wie die Bundesrepublik Deutschland hinter das zurückfällt, was es selbst in der DDR gab.
Ohne abzuschweifen, wäre in diesem Fall wohl auch historisches Traditionsbewußtsein angesagt. Ich möchte hier nur auf folgendes verweisen: 1810 verzichtete das neue französische Strafrecht auf jegliche Sonderregelung für homosexuelle Handlungen. Das Schutzalter für Jugendliche wurde damals auf 15 Jahre festgelegt. 1813 vollzog das mit Frankreich verbündete Königreich Bayern ebenfalls diesen Schritt.
({1})
Andere Mittelstaaten, Braunschweig und Hannover, folgten dem in ähnlicher Weise in den Jahren 1838 und 1840. Das änderte sich dann mit der Reichsgründung. - Gehen wir doch mindestens auf den Stand von 1813 zurück!
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile nun dem Abgeordneten Jörg van Essen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat lange, viel zu lange gedauert, bis eine weitere notwendige Reform im Bereich des Sexualstrafrechts möglich war. Es ist kein Geheimnis: Nur in wenigen anderen Politikbereichen wird der Kopf so gern ausgeschaltet und dem Gefühl so freien Lauf gelassen wie hier.
Dabei ist bei jeder Anhörung aus berufenem Munde zu hören, daß gleichgeschlechtlich empfindende Menschen genauso normal wie andere sind. Sie sind, um nur dies anzuführen, genauso oft christ- oder sozialdemokratisch, genauso oft liberal oder ökologisch orientiert wie ihre heterosexuellen Mitbürger und stehen in allen Berufen ihre Frau/ihren Mann. Es gibt auch keine Beweise dafür, daß sie Kinder und Jugendliche gegen deren Willen häufiger als heterosexuell empfindende Menschen mißbrauchen.
Damit bestand und besteht keinerlei Anlaß, die männliche Homosexualität strafrechtlich anders, schärfer zu beurteilen. Machen wir uns nichts vor: Wir haben hier eines der letzten Erbstücke des Nationalsozialismus zu beerdigen; traurig, daß es erst jetzt geschieht.
Die F.D.P. hat sich seit langem gegen die strafrechtliche Diskriminierung homosexueller Manner gewandt. Die strafrechtliche Sonderbehandlung war im übrigen ein gern genutzter Anknüpfungspunkt für Schlechterstellungen auch in anderen Bereichen. Auch dort gibt es noch Handlungsbedarf.
Aber es gibt Hoffnungsschimmer. Die Gesellschaft hat sich in vielen Bereichen erfreulich weiterentwikkelt. Das belegen nicht nur die Ergebnisse einer vor kurzem veröffentlichten Umfrage der Zeitschrift „Wirtschaftswoche".
Durch die ebenfalls von meiner Partei initiierten ersten Reformschritte Ende der 60er Jahre/Anfang der 70er Jahre
({0})
gibt es nun zunehmend stabile Beziehungen unter homosexuellen Männern und natürlich auch unter homosexuellen Frauen, die nach den berichteten Erfahrungen in ihrer Wohnumgebung akzeptiert werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der natürlich ein Kompromiß ist, weist daher ebenso wie der Entwurf des Bundesrates, dem ich persönlich näherstehe, den Weg in die richtige Richtung. Der mit viel Leid, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus - der Kollege Professor Meyer hat das ja näher ausgeführt -, verbundene § 175 StGB fällt. Er wird durch eine geschlechtsneutrale Jugendschutzvorschrift ersetzt, die die Strafbarkeit auf die Fälle beschränkt, die tatsächlich strafwürdig sind. Sie erfaßt auch Frauen, weil es auch Frauen gibt, die tatbestandsmäßig handeln. Es ist doch ein überholtes Frauenbild, wenn so getan wird, daß im Bereich der Sexualität Frauen ausschließlich passiv sind.
Das Entscheidende des Gesetzentwurfs der Bundesregierung findet sich in einem Satz: Echte, d. h. auf gegenseitiger Zuneigung beruhende Liebesbeziehungen werden von dem Tatbestand nicht erfaßt. Nicht mehr Liebe wird bestraft, sondern Fehlverhalten gegenüber dem Schwächeren. Jedem werden sofort Beispiele dafür einfallen, daß es trotz des zu beobachtenden früheren Einsetzens der sexuellen Entwicklung im Bereich der Vierzehn- bis Sechzehnjährigen Jungen und Mädchen gibt, die hinter der Entwicklung der Altersgenossen zurückstehen. Sie sind schutzbedürftig gegen die Handlungen, die die Gesetzentwürfe sowohl der Bundesregierung als auch des Bundesrates als strafwürdig vorsehen. Ich kann daher dem Gesetzentwurf des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN meine Zustimmung nicht geben.
Unsicher bin ich - und dies habe ich bereits bei einer anderen Debatte gesagt -, ob dies auch für den Bereich der Jugendprostitution gilt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß durch das Zahlen eines Entgeltes ein Jugendlicher zu einer Handlung gebracht wird, die er oder sie aus freien Stücken nie vornehmen würde. Von daher wird der Körper eines noch sehr jungen Menschen ohne Zweifel mißbraucht. Dies spricht eindeutig für die Strafbarkeit. Auf der anderen Seite sehe ich auch die Argumente, daß diese Strafbarkeit Ausgangspunkt für weitere strafbare Handlungen wie Erpressung mit allen ihren kriminologischen und kriminellen Folgen sein kann.
Keinen Zweifel habe ich - wie meine Vorredner - bei einem anderen Anliegen des Entwurfs. Der sexuelle Mißbrauch ausländischer Kinder durch Deutsche im Ausland - hier ist insbesondere an Thailand und an die Philippinen zu denken - ist bei uns bisher nicht nach § 176 StGB strafbar. Dieser Sextourismus, der die Not in der Dritten Welt in besonderer Weise ausnutzt, muß auch mit strafrechtlichen Mitteln gestoppt werden. Ich freue mich, daß wir auf Antrag der Koalitionsfraktionen am Mittwoch im Rechtsausschuß beschlossen haben, diese Regelung bereits in dem Gesetz zur besseren Bekämpfung der Kinderpornographie vorzusehen und damit schneller in Kraft zu setzen.
Die zu beratenden Gesetzentwürfe sind ein Schritt in die richtige Richtung. Sie beseitigen die strafrechtliche Grundlage für die Diskriminierung homosexueller Männer. Sie beseitigen nicht die Diskriminierung homosexueller Männer und Frauen selbst. Viel Überzeugungsarbeit noch für die Betroffenen und ihre Verbände, aber auch für uns in der Politik! Die F.D.P. wird weitere sachliche Anstöße für Schritte in die richtige Richtung geben, ohne den notwendigen Jugendschutz dabei zu vernachlässigen.
Ich bin kein Professor wie unser Kollege Meyer und verteile keine Noten für die Gesetzentwürfe.
({1})
Beide Entwürfe, Bundesregierungs- wie Bundesratsentwurf, sind gute Grundlagen für die notwendigen Entscheidungen.
({2})
- Herr Kollege Meyer hat einen Entwurf als mangelhaft bezeichnet. Ich tue das nicht. Ich meine, beide sind gute Grundlagen für die notwendigen Entscheidungen.
({3})
Es besteht angesichts der Anhörung des Bundesrates im vergangenen Jahr kein Anlaß, die abschließende Beratung im Rechtsausschuß hinauszuzögern. Wir sollten den Jugendschutz schnell verbessern.
Vielen Dank.
({4})
Es spricht jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegenstand des § 175 ist einzig und allein die Unterdrückung einer bestimmten Variante menschlicher Sexualität, die deswegen verpönt war, weil sie dem patriarchalischen Männlichkeitsbild widerspricht und weil - wie die Nazis es ausdrückten - durch männliche Homosexualität Zeugungskraft vergeudet wird. Insofern gibt es im übrigen durchaus Zusammenhänge zwischen der Verfolgung homosexueller Män13124
ner und dem Gebärzwang für Frauen, der durch den § 218 manifestiert wird.
({0})
Es geht in beiden Gesetzen nicht um den Schutz von Menschen, schon gar nicht um Freiheit und das Recht auf persönliche Entfaltung, sondern um die Festschreibung patriarchalischer Macht- und Ordnungsprinzipien.
({1})
Die Abschaffung des § 175 StGB ist ein Gebot der Demokratie und des Gleichheitsgrundsatzes und somit längst überfällig. Statt nun dieses unselige Relikt, das sehr viel Leid über die Betroffenen gebracht hat, ersatzlos zu streichen, wie es die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorschlägt, stellt insbesondere der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine merkwürdige Verknüpfung zwischen der Aufhebung des § 175 und anderen notwendigen Reformen des Sexualstrafrechts, die ihrerseits keinerlei Bezug zum Gegenstand des § 175 haben, her.
({2})
Das, meine Damen und Herren, gibt Anlaß zu dem Verdacht, daß etwas von dem repressiven Gehalt des § 175 erhalten bleiben soll und daß die Diskussion um die Bestrafung deutscher Männer für die Inanspruchnahme der Prostitution von Kindern im Ausland und um den sogenannten Jugendschutz nur der Vernebelung dieser Absicht dient.
Eine genauere Betrachtung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung erhärtet diesen Verdacht. Der darin vorgeschlagene neue § 182 birgt in sich zumindest die Möglichkeit, Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen, schwule Beziehungen weiterhin, lesbische neuerdings, auf Antrag der Erziehungsberechtigten oder im sogenannten öffentlichen Interesse - wie es so schön heißt - zu verfolgen. Die neue Vorschrift mildert zwar die Verfolgung schwuler Sexualität, verschärft jedoch gleichzeitig die Verfolgung von heterosexueller und lesbischer Sexualität durch eine Ausweitung des Straftatbestandes und durch eine Erweiterung des Strafrahmens.
Daß die Bundesregierung eine reichlich nebulös definierte Unreife des Opfers zum Kriterium für das Vorliegen eines Straftatbestandes machen will, ist gefährlich. In welchem Maße, das wird davon abhängen, wie die Strafverfolgungsbehörden, die Gerichte und die antragsberechtigten Erziehungsberechtigten damit umgehen. Der neue § 182 kann dazu benutzt werden, unliebsame Beziehungen zu kriminalisieren, Anzeigen zu erstatten oder dem Betroffenen zumindest damit zu drohen. Dies kann nicht nur eine sehr enterotisierende Wirkung haben, sondern ist auch geeignet, bei Vorhandensein bestimmter Umstände die psychosexuelle Entwicklung von Jugendlichen nachhaltig zu stören.
Offenbar ist den Autoren des Entwurfs selbst nicht ganz wohl bei der Sache; denn sie betonen in der Begründung zu ihrem Werk mehrfach, daß es auf keinen Fall um die Bestrafung echter Liebesbeziehungen, sondern nur um die Verhinderung der Ausnutzung einer Unreife ginge. Dabei jedoch anzunehmen, daß die Reife von Jugendlichen mit genau sechzehn Jahren beginnt und unter sechszehn Jahren quasi per se nicht gegeben ist, ist schlichtweg lächerlich.
Ginge es der Bundesregierung tatsächlich um die Verhinderung der Ausnutzung einer Zwangslage zur Erwirkung sexueller Handlungen, wie es im Abs. 1 Nr. 1 des neuen Paragraphen heißt, dann dürfte der Straftatbestand nicht an das Alter des Opfers gebunden werden. Denn auch wesentlich ältere Jungendliche und erwachsene Frauen befinden sich in Zwangslagen oder werden in solche gebracht, in denen sie gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen werden. Für die Bestrafung dieses Verbrechens darf es unseres Erachtens keine Altersgrenze geben. Diese Anmerkung trifft im übrigen auch auf den Entwurf des Bundesrates zu.
Wer die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung wirklich will, muß die §§ 174, 176 und 177 bis 179 reformieren. Wir haben dazu bereits Vorschläge eingebracht, zumindest zur Frage der Verjährungsfristen und zur Reform der §§ 177 bis 179. Der § 182 hingegen sollte gemeinsam mit dem § 175 und dem § 149 StGB/DDR abgeschafft werden, wie unser Gesetzentwurf es vorsieht.
Meine Damen und Herren, ich meine, die Regierung hat es wieder einmal fertiggebracht, sich in Aktivitäten zu verausgaben, die zum einen unnötig und zum anderen schädlich sind, bei gleichzeitiger und fortgesetzter Vernachlässigung der Bereiche, in denen dringender Handlungsbedarf besteht. Allerdings ist das Sexualstrafrecht nicht der einzige Bereich, in dem das so ist.
Fragwürdig ist sowohl im Gesetzentwurf der Bundesregierung als auch in dem des Bundesrates der Passus, der sich gegen die Jugendprostitution richtet. Wir sind der Auffassung, daß die Kriminalisierung der Freier die Bedingungen für eine sich an die betreffenden Jugendlichen richtende Sozialarbeit, für gruppenspezifische Aufklärung und auch für die Aids-Prävention in dieser Gruppe drastisch verschlechtert. Jugendprostitution ist ein soziales Problem, und soziale Probleme können nicht mit dem Strafrecht gelöst werden.
Der Unabhängige Frauenverband, den ich hier vertrete, und die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN insgesamt lehnen den Entwurf der Bundesregierung zur Ersetzung des § 175 durch eine Neuformulierung des § 182 entschieden ab. Eine Lösung der Probleme kann nur in der Streichung des § 175 und in einer konsequenten Reform des Sexualstrafrechts bestehen, die die psychosexuelle Entwicklung von Jugendlichen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung tatsächlich schützt und nicht noch gefährdet.
({3})
Als nächster spricht unser Kollege Ronald Pofalla.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Betrachtung der drei
zur Beratung anstehenden Gesetzentwürfe fällt auf, daß Einigkeit hinsichtlich der Abschaffung der §§ 149 StGB/DDR und 175 StGB besteht. Auch der § 182 StGB soll aufgehoben bzw. neu formuliert werden. Das ist gut so.
Die seinerzeit den Paragraphen zugrundeliegenden Moralvorstellungen entsprechen heute nicht mehr der Realität. Durch den Einigungsvertrag war festgelegt worden, den § 149 StGB/DDR im Beitrittsgebiet zunächst beizubehalten. Die daraus entstandene Rechtsungleichheit zwischen den alten und den neuen Bundesländern bedarf dringend einer Beseitigung. Auch das ist ein Stück Verwirklichung der inneren Einheit Deutschlands.
Die Befürchtungen, die § 175 StGB ursprünglich zugrunde lagen, daß männliche Jugendliche unter 18 Jahren durch homosexuelle Kontakte in ihrer sexuellen Entwicklung gefährdet werden könnten, lassen sich nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand - darauf ist verschiedentlich heute bereits hingewiesen worden - nicht mehr aufrechterhalten.
Ich möchte hier auch anmerken, daß ich die durch die Formulierung des § 175 StGB hervorgerufene Ungleichheit in der Behandlung homosexueller Kontakte für seit langem abschaffungsbedürftig halte. Ich bin froh, daß wir uns einig sind, den § 175 StGB abzuschaffen.
Auch der § 182 StGB in seiner aktuellen Form geht an der Realität vorbei. Wir wissen doch alle, daß viele junge Frauen heute ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit ihren fast gleichaltrigen oder wenige Jahre älteren Partnern sammeln, wenn sie noch jünger als 16 Jahre sind. Der sexuelle Reifeprozeß setzt heute eher ein als noch vor zehn oder 20 Jahren.
Ebenso wie der § 175 StGB beinhaltet auch der § 182 StGB eine geschlechtsspezifische Ungleichheit. Diesmal sind allerdings die jungen Frauen die Betroffenen. Der § 182 StGB kann schließlich nur greifen, wenn das Opfer ein Mädchen ist. Das Ziel, das mit dem Paragraphen verfolgt werden sollte, der Schutz vor einer verfrühten Schwangerschaft, ist heute auf anderem und ich glaube auch auf weit besserem Wege zu erreichen.
Die inhaltliche Festsetzung, beispielsweise in § 182 Abs. 2 StGB „Die Verfolgung der Tat ist ausgeschlossen, wenn der Täter die Verführte geheiratet hat", ist eine Regelung, die nicht mehr in unsere Zeit paßt und die längst hätte gestrichen werden müssen. Hier hat der Gesetzgeber seinerzeit bewußt oder unbewußt eine Art Zweiklassenrecht geschaffen, das den heutigen moralischen Werten der großen Mehrheit unserer Bevölkerung nicht mehr entspricht.
Es ist Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen: Die §§ 175 und 182 StGB entsprechen nicht mehr den heutigen moralischen Vorstellungen unserer Gesellschaft. Sie müssen in der jetzigen Form ihre Gültigkeit verlieren. Belegt wird dies auch durch die Tatsache, daß die kriminologische Bedeutung dieser Paragraphen marginal ist. Nur in wenigen Einzelfällen ist es in den letzten Jahren auf Grund dieser Paragraphen zu Verurteilungen gekommen. Zudem würden wir bei der Abschaffung der genannten Paragraphen den
Aufforderungen verschiedener europäischer Institutionen, wie dem Europäischen Parlament, nachkommen, die unterschiedlichen Altersgrenzen für hetero- und homosexuelle Kontakte zu beseitigen.
Über die Abschaffung der §§ 175 und 182 StGB herrscht allgemein Einigkeit. Es ist nur konsequent, wenn in diesem Zusammenhang auch der § 149 StGB/DDR aufgehoben wird.
Bis zu diesem Punkt sind wir uns auch von seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Gesetzentwurf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einig. Doch daß es das BÜNDNIS 90 hierbei belassen und keine Schutzvorschrift für Jugendliche unter 16 Jahren vorsehen will, ist uns dann doch des Guten zu wenig.
Wir plädieren für die Beibehaltung einer Schutzvorschrift für Jugendliche unter 16 Jahren. Wir haben es hier vielfach noch mit Kindern zu tun. Das darf bei der Gesetzesberatung durchaus nicht außer acht geraten.
Meine Damen und Herren, bis zum 14. Lebensjahr ist zwar die körperliche Reife der Kinder häufig abgeschlossen, doch die in den wenigsten Fällen vollendete psychologische und auch soziale Entwicklungsphase gebietet es uns als Gesetzgeber, die Schutzpflicht des Staates gegenüber den Jugendlichen zu gewährleisten. Wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen und ehrlich sind, wissen wir doch nur zu gut, daß Kinder unter 16 Jahren durch Erwachsene schnell zu manipulieren sind - sei es durch Versprechungen oder durch Drohungen. Ich würde mich auch schwer damit tun, die Beziehung eines oder einer 22jährigen mit einem oder einer 15jährigen als jugendtypisch zu bezeichnen.
Die Regelung als Antragsdelikt im Entwurf der Bundesregierung in § 182 Abs. 2 StGB ist aber dennoch richtig. Die Einstufung als Offizialdelikt lehnen wir ab, damit unter anderem unnötige und ungewollte psychologische Belastungen der Opfer vermieden werden können.
Daß sexuelle Handlungen von Erwachsenen mit Jugendlichen unter 16 Jahren unter Strafe gestellt werden müssen, wenn dabei eine Zwangslage ausgenutzt wird bzw. die Handlung mittels eines Versprechens oder ähnlichem erreicht wird, liegt auf der Hand.
Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt aus der Gesetzesvorlage der Bundesregierung hinweisen, der für mich besonders wichtig ist. Die vorgesehene Ergänzung in § 5 Nr. 8 StGB, um auch Taten Deutscher im Ausland an ausländischen Kindern verfolgen zu können, ist in die Reihe der zahlreichen Vorhaben der Regierung einzuordnen, den sogenannten Sextourismus zu bekämpfen. Diese Regelung ist sinnvoll und notwendig zugleich.
Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung ist eine gute Grundlage, auf deren Basis wir sicher rasch zu einer Einigung kommen können, um die Änderung der betroffenen Paragraphen vorzunehmen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/4584, 12/4232 und 12/1899 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes fiber dienstrechtliche Regelungen für besondere Verwendungen im Ausland ({0})
- Drucksache 12/4749
Ûberweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({1}) Auswärtiger Ausschuß
Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Interfraktionell ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe und höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Herrn Kollegen Johannes Ganz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frei nach dem Motto „Was lange währt, wird endlich gut" bringen die Fraktionen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD heute einen Gesetzentwurf ein, der belastende und/oder gefahrvolle Verwendungen von Soldaten, Beamten und THW-Helfern bei humanitären und unterstützenden Maßnahmen im Ausland sowohl besoldungs- als auch versorgungsrechtlich regelt.
Daß dies zwei Tage nach dem Beschluß der Bundesregierung geschieht, Bundeswehrsoldaten an den Hilfsaktionen der UNO in Somalia zu beteiligen, ist rein zufällig; zufällig deswegen, weil sowohl die Bundesregierung als auch die Fraktionen den Handlungsbedarf seit mindestens einem Jahr erkannt, für dringlich eingestuft und sich seit dieser Zeit bemüht haben, eine entsprechende Regelung herbeizuführen.
Warum wir bis heute gebraucht haben, das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, will ich hier nicht darstellen. Die Verzögerung hat jedenfalls den Vorteil, daß die Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Materie befaßt haben, schon im Vorfeld eine Reihe von Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf initiiert haben, die uns die Arbeit in den Ausschüssen erleichtern werden.
So sind wir abgekommen von den zuerst vorgesehenen phantasievollen und teils irreführenden Kurztiteln wie „Auslandsverwendungsunterstützungsgesetz" - so hieß der erste Entwurf - oder „ Auslandsverwendungsvorsorgegesetz " , wie man diesen später geprägt hatte; beides Kurztitel, die den Verdacht hätten aufkommen lassen können, es handele sich dabei um den Versuch, noch vorzunehmende klarstellende Ergänzungen im Grundgesetz zu präjudizieren,
was zum einen nicht möglich ist und zum anderen von niemandem beabsichtigt war.
Ein Punkt, der uns in den Ausschußberatungen wegen der notwendigen Ressortabstimmungen sicher lange aufgehalten hätte, war die im ersten Entwurf vorgesehene Regelung, den einmaligen Entschädigungsbetrag nach § 43 Beamtenversorgungsgesetz bzw. § 63 a Soldatenversorgungsgesetz der Höhe nach je nach Gefährdungsgrad zu staffeln. Der vorliegende Entwurf sieht nunmehr eine einheitliche Regelung vor. Letzten Endes hat die Verzögerung auch bewirkt, daß die ebenso notwendige, aber ursprünglich nicht vorgesehene Änderung des THW-Helferrechtsgesetzes aufgenommen worden ist.
Einige Sätze zur Notwendigkeit des Gesetzes. Wie uns allen bekannt ist, befinden oder befanden sich Angehörige der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes, der Zollverwaltung und des THW zur Erfüllung humanitärer und anderer Hilfeleistungen im Ausland. Sie sind diejenigen, die vor Ort in Krisenregionen die politische Entscheidung, sich an internationalen Hilfeleistungen und Maßnahmen zu beteiligen, in die Tat umsetzen und dabei oft Gesundheit oder gar ihr Leben riskieren, wie die schwere Verletzung beweist, die der Lademeister einer Transall der Bundeswehr durch Beschuß während eines Versorgungsfluges nach Sarajevo erlitten hat.
Wenn wir Soldaten, Beamten und den Angehörigen der Hilfsorganisationen diese Einsatzbereitschaft abverlangen, gebietet es unsere Fürsorgepflicht, daß ihnen dieser außergewöhnliche Dienst finanziell aufgewertet und ihr Risiko an Leib und Leben auch abgesichert wird.
Daraus darf nicht, wie gelegentlich vorwurfsvoll zu hören ist, abgeleitet werden, daß Staatsdiener, besonders die Soldaten der Bundeswehr, nur mit Geld zu motivieren seien. Wäre dies der Fall, fänden sich in der freien Wirtschaft bessere Möglichkeiten. Auch sollte man uns nicht unterstellen, wir würden damit einer Söldner- oder Landsknechtmentalität der Soldaten Vorschub leisten.
Der derzeitige Rechtszustand ist vollkommen unbefriedigend. In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung erhält zur Zeit unser Sanitätspersonal in Kambodscha als Übergangsregelung eine steuerfreie Aufwandsentschädigung, die im Irak eingesetzten Soldaten Aufwandsentschädigungen der UNO als „Experts on Mission". Die zur Überwachung des gegen Serbien verhängten Embargos nach Rumänien entsandten Zollbeamten erhalten als Ausnahmeregelung Auslandsbezüge wie bei Versetzung ins Ausland. Die an den Hilfsflügen nach Sarajevo und Somalia beteiligten Soldaten erhalten oder erhielten bisher dagegen lediglich Abfindungen nach dem Reisekostenrecht. Diese Ungleichbehandlung und auch Rechtsunsicherheit, insbesondere was die Versorgungsleistungen bei Unfall oder gar bei Tod anbelangen, zwingen zu einer gesetzlichen Regelung.
Der Gesetzentwurf ist nach meinem Empfinden ausgewogen. Er trägt den betroffenen Beamten, Soldaten und THW-Helfern Rechnung und vernachlässigt dabei nicht das Gebot, mit den Mitteln des Bundes haushälterisch umzugehen.
Johannes Ganz ({0})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Entwurf in erster Lesung anzunehmen, damit wir das Gesetz in den Ausschüssen zügig beraten können. Auch bitte ich jetzt schon darum, die von uns vorgesehene rückwirkende Inkraftsetzung des Gesetzes ab 1. Juli 1992 mitzutragen.
Den im Auslandseinsatz sich befindenden Beamten, Soldaten und Helfern der Hilfsorganisationen und deren Angehörigen möchte ich an dieser Stelle besonderen Dank der CDU/CSU-Fraktion für ihren aufopfernden Dienst aussprechen.
Ich bedanke mich.
({1})
Als nächster spricht der Kollege Heinz-Alfred Steiner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich einige Bemerkungen machen, die mir für die richtige Einordnung der heutigen Beratung wichtig erscheinen.
Der Deutsche Bundestag hat sich vorgestern mit Mehrheit hinter den Somalia-Einsatz der Bundeswehr gestellt, wenn auch ohne die nach unserer Auffassung zuvor notwendige Grundgesetzänderung, wenn auch entgegen unserer Forderung mit Wehrpflichtigen. Trotz dieses Streites, der noch nicht ausgestanden ist, sollten wir uns auf folgende Aussage einigen: Der Rechtsstreit hier im Parlament darf nicht auf dem Rücken unserer Soldaten und ihrer Familien ausgetragen werden.
({0})
Es muß an dieser Stelle aber festgehalten werden, wer für die möglichen Folgen die Verantwortung trägt, nämlich die Bundesregierung, so wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß gegen die einstweilige Anordnung bezüglich des AWACS-Einsatzes klargestellt hat: Der Soldat trägt kein rechtliches Risiko, wenn sich später die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes ergeben sollte.
Die im Rahmen von AWACS eingesetzten Soldaten dürfen deshalb - wie alle anderen auch - der Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion bei der Erfüllung ihres von der Regierung angeordneten Auftrags und der solidarischen Begleitung sicher sein.
({1})
Die erste Lesung des Auslandsverwendungsgesetzes steht deshalb im engen Kontext mit den Debatten, die wir in den zurückliegenden Monaten und zuletzt am Mittwoch dieser Woche über besondere Einsätze von Soldaten der Bundeswehr „out of area" geführt haben.
Seit geraumer Zeit beteiligen sich Angehörige der Bundeswehr sowohl an humanitären als auch an anderen Einsätzen im Ausland, ohne daß für die Betroffenen bisher die notwendigen gesetzlichen
Regelungen für einen angemessenen Versorgungsschutz beschlossen wurden.
({2})
Trotz wiederholter nachdrücklicher Forderungen aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages ist es der Bundesregierung erst Anfang April gelungen, dem Bundesrat einen ressortabgestimmten Gesetzentwurf zur Stellungnahme zuzuleiten. Wir können davon ausgehen, daß dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung das Parlament nicht vor Ende Mai erreichen wird.
Wir beraten deshalb heute über den von den Bundestagsfraktionen bereits Anfang März gemeinsam auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf für ein Auslandsverwendungsgesetz. Diese gemeinsame Parlamentsinitiative war aus Sorge gegenüber den bereits ohne ausreichenden Versorgungsschutz eingesetzten Angehörigen der Bundeswehr und gegenüber deren Familien dringend notwendig geworden.
Ungeachtet der großen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes außerhalb der Landes- und der Bündnisverteidigung muß zumindest im versorgungsrechtlichen Bereich ganz schnell für Rechtssicherheit gesorgt werden. Das scheint mir jetzt auf der Basis des gemeinsam vorgelegten Gesetzentwurfes möglich zu sein.
Zugegeben: Es ist in unserer Parlamentsgeschichte wohl ein einmaliger Vorgang, daß wir die versorgungsrechtlichen Folgen von Einsätzen regeln, ehe wir uns über deren rechtliche Zulässigkeit verständigt haben.
({3})
Dabei ist uns die Problematik eines solchen Vorgehens durchaus bewußt, die sich u. a. im Zusammenhang mit der Festlegung der Kriterien für die Anwendbarkeit dieses Gesetzes ergibt. Insbesondere die in § 58 a Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes genannten Voraussetzungen, die einer sogenannten „besonderen Verwendung" zugrunde liegen müssen, machen deutlich, welche politischen Zumutungen wir als Sozialdemokraten bereit sind vorübergehend hinzunehmen, um denen nicht zu schaden, die auf Beschluß der Bundesregierung für besondere Verwendungen befohlen werden. Derzeit ist ja gerade nicht geklärt, ob der Beschluß zur Durchführung derartiger Einsätze in die Zuständigkeit des Parlaments oder der Bundesregierung gehört. Dennoch wird sich die SPD-Fraktion nicht dem durch Fakten geschaffenen Sachzwang entziehen, den bereits im Einsatz befindlichen Soldaten und ihren Familien die Versorgungssicherheit zu geben, die ihnen bisher vorenthalten werden mußte.
Uns geht es keineswegs darum - das muß ich an dieser Stelle besonders hervorheben -, den für solche Einsätze benötigten Soldaten und Beamten einen finanziellen Anreiz zur Teilnahme zu bieten. Die im allgemeinen Teil der Begründung zu diesem Gesetzentwurf enthaltenen Formulierungen entsprechen unserer Zielsetzung. Uns Sozialdemokraten geht es
ausschließlich darum, die mit der Teilnahme an Einsätzen im Rahmen der „besonderen Verwendungen” verbundenen Belastungen und Gefahren angemessen abzugelten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nun spricht der Kollege Dr. Burkhard Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben vorgestern Einsätze der Bundeswehr gebilligt oder begrüßt, die einem militärischen Einsatz nahekommen. Der Verteidigungsminister hat dazu gesagt, man könne nicht ausschließen, daß das Opfer kosten werde. Diese Formulierung ist mir zu passiv geraten. Die Entscheidung des Bundestages kann dazu führen, daß deutsche Soldaten Gesundheit oder Leben verlieren.
Darum sind wir verpflichtet, ihnen völlige Klarheit darüber zu geben, mit welchen Leistungen der Gemeinschaft sie dann für sich und ihre Angehörigen rechnen können. Darum ist das Gesetz eilbedürftig. Darum haben wir es parallel zu den Beratungen im Bundestag eingebracht. Ich appelliere an den Bundesrat und seine Ausschüsse, dort so zügig zu beraten, daß wir in diesem Hause die Ergebnisse der Verhandlungen des Bundesrates berücksichtigen können.
Wir wollen also Klarheit schaffen. In dieser Beziehung bleibt der Gesetzentwurf allerdings hinter unseren Erwartungen zurück. Die entscheidenden Regelungen finden sich für Beamte und Soldaten unter den Überschriften: Schadensausgleich in besonderen Fällen. Dort wird formuliert:
Schäden, die einem Soldaten während einer besonderen Verwendung infolge von besonderen vom Inland wesentlich abweichenden Verhältnissen, insbesondere infolge von Kriegshandlungen, kriegerischen Ereignissen, Aufruhr, Unruhen oder Naturkatastrophen entstehen, können ihm ersetzt werden. Gleiches gilt für Schäden der Soldaten durch einen Gewaltakt gegen staatliche Amtsträgereinrichtungen oder Maßnahmen, wenn der Soldat von dem Gewaltakt in Ausübung des Dienstes oder wegen seiner Eigenschaft als Soldat betroffen ist.
Mir geht es nicht um die juristisch mehr oder weniger elegante Umschreibung des Sachverhalts, daß es sich um einen Soldaten handelt, der getötet oder verwundet wird. Es geht mir darum, daß das Gesetz für ihn und seine Hinterbliebenen nur vorsieht, daß ihm der Schaden ersetzt werden könne. Das heißt auf deutsch: Kann sein, wird in der Regel wohl auch so sein, muß aber nicht sein. Das reicht uns nicht aus.
Wir verlangen von den Soldaten und den eingesetzten Beamten und Helfern, daß sie Gesundheit und Leben riskieren. Wir verpflichten sie dazu. Dann müssen wir aber für uns selber auch die Rechtspflicht akzeptieren, daß die Schäden von derselben Gemeinschaft ersetzt werden, die diesen Einsatz verlangt und in deren Interesse dieser Einsatz erfolgt.
({0})
Wir sind der Meinung, daß klare und eindeutige Rechtsansprüche eingeräumt werden müssen.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die THW-Helfer. Es ist völlig richtig, daß die Helfer des THW in solche Regelungen einbezogen werden. Wir müssen aber die Frage klären, ob sich diese Regelung nur auf THW-Helfer beziehen kann.
Bei humanitären Einsätzen z. B. für kurdische Flüchtlinge aus dem Irak im südöstlichen Anatolien waren neben Helfern des THW das Rote Kreuz, Johanniter, Malteser und andere Katastrophenschutzorganisationen beteiligt. Sie sind dort nicht als Privatpersonen hingefahren, sondern auf Grund von Anforderungen. Sie haben die gleichen Leistungen vollbracht und die gleichen Risiken auf sich genommen wie die anderen auch.
Können wir nun wirklich diese Helfer, die auf Anforderung hin eingesetzt werden, anders behandeln als die Helfer des THW? Können wir dem einen und seinen Hinterbliebenen bestimmte Ansprüche einräumen, sie dem anderen aber versagen, der bei demselben Einsatz zu Schaden oder gar ums Leben gekommen ist? Da habe ich ernsthafte Zweifel.
Wir wollen es bei diesen wenigen Bemerkungen bewenden lassen. Ich hoffe, daß die Ausschüsse des Bundesrates auch auf diese Fragen bei ihren Beratungen eingehen, damit wir erkennen können, welche Haltungen die Länder dazu einnehmen. Wir sind daran interessiert und bereit, diesen Gesetzentwurf so schnell als irgend möglich zu beraten und zu verabschieden. Dementsprechend stimmen wir der Oberweisung an die Ausschüsse zu.
({1})
Nun spricht die Kollegin Andrea Lederer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mit dankenswerter Offenheit hier deutlich geworden, welcher Zusammenhang zwischen der jetzt zu beratenden Gesetzesvorlage und der Debatte besteht, die wir am Mittwoch um die Frage weltweiter Einsätze der Bundeswehr in kriegerischen Konflikten hatten.
Dieses Gesetz, das hier vorgelegt worden ist, ist ein weiteres Mosaiksteinchen, um das umzusetzen, was die Bundesregierung intendiert, nämlich die Bundeswehr künftig weltweit einsetzen zu können.
Mich erinnert der ganze Vorgang an die Diskussion um die Änderung des Art. 16 und die eingereichten Asylfolgegesetze, weil sozusagen bereits vor der Entscheidung über die Frage der künftigen Gestaltung dieses verfassungsrechtlichen Problems ausführende Gesetze hier eingereicht werden, die im Grunde genommen etwas vorwegnehmen, worüber hier im Parlament überhaupt noch nicht entschieden worden ist, geschweige denn, daß sich auch nur annähernd ein Kompromiß abzeichnet, an dem wir uns ohnehin nicht beteiligen, weil wir internationale Einsätze der Bundeswehr ablehnen.
Mir scheint bei der Gesetzesvorlage ein Widerspruch deutlich zu werden - ich glaube, das ist nicht
nur ein Nebenpunkt, den Sie angesprochen haben -: Dort wird behauptet, man wolle für Soldaten und Beamte finanzielle Anreize schaffen, sich an internationalen Einsätzen zu beteiligen. Genau das ist, glaube ich, die Intention.
Allerdings steht das ganz klar im Widerspruch zu den Behauptungen gerade am letzten Mittwoch, daß angeblich so wahnsinnig viele Männer danach drängen, in internationalen Einsätzen aktiv werden zu können. Was stimmt jetzt eigentlich? Gibt es eine große Nachfrage, oder müssen Sie sich tatsächlich das Mitmachen durch weitere Sonderzulagen, durch einen weiteren finanziellen Anreiz erkaufen?
Mich erinnert das, was man dazu hört - wir haben die endgültigen Vorlagen noch nicht hier -, an die Idee, Richtern, die vorwiegend Asylanträge bearbeiten sollen, finanzielle Anreize für diese erschwerende Tätigkeit zu geben.
Mich erinnert das ganz fatal auch an die Idee - das wird heute noch praktiziert -, westdeutschen Beamten, die erschwerenderweise ihren Arbeitsplatz im Ostteil dieser Republik einnehmen müssen, Sonderzulagen, gelegentlich „Buschprämien" genannt, zu gewähren.
Ich halte dieses ganze Herangehen wirklich für fatal. Wenn dann Vorwürfe kommen, daß hierdurch geradezu eine Art Söldnermentalität hervorgerufen wird, wundert mich das, ehrlich gesagt, überhaupt nicht.
In der Tat macht dieser kleine Gesetzentwurf, der so nebensächlich ist, dessen Titel man kaum aussprechen kann, deutlich, daß hier wiederum mit finanziellen Anreizen die Politik der Bundesregierung unterstützt und erkauft werden soll, die wir auf jeden Fall ablehnen und wo Sie hoffentlich auf großen Widerspruch stoßen werden.
Ich glaube, es wird noch einmal deutlich - das hat der Kollege Hirsch dankenswerterweise angesprochen -, daß die Absicht, die hier immer wieder betont wird, nämlich zivile Organisationen ebenfalls mit stärker heranzuziehen, überhaupt nicht besteht. Sie wollen alles im Rahmen von militärischen Strukturen belassen. Sie wollen es dabei belassen, eventuell Beamte zu solchen Einsätzen abzukommandieren.
Aber Sie haben nicht einmal das politische Signal für notwendig gehalten, zivile Organisationen, die wirklich, denke ich, in einem ganz großen Maße humanitäre Arbeit leisten, in ihrer Arbeit weiter zu unterstützen. Das haben Sie versäumt. Das macht die gesamte Absicht dieses Entwurfs deutlich, wie dies auch die Debatte deutlich macht.
Wir werden diese Gesetzesvorlage in den Ausschüssen beraten können. Ich kann nur eins sagen: Wenn damit nur beabsichtigt ist, daß im Grunde genommen das weiter ausgestaltet wird, was die Bundesregierung sicherheitspolitisch derzeit verfolgt, werden wir die Zustimmung nicht erteilen. Das hat nichts damit zu tun, daß man nicht eine angemessene Entschädigung für Arbeitsleistungen etc. verlangt, sondern es hat etwas damit zu tun, daß hier die Zustimmung zu einer fatalen Politik erkauft werden soll.
Ich danke.
({0})
Als nächstes hat das Wort der Kollege Professor Dr. Wolfgang Ullmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich unterstelle zunächst einmal, daß alles stimmt, was hier über Regelungslücken und Anwendbarkeitsgrenzen im Bundesbesoldungsgesetz, Wehrsoldgesetz , Beamtenversorgungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz, THW-Helferrecht usw. gesagt worden ist. Ich nehme an, daß die Beamten hier ordentlich vorgearbeitet haben. Ich schließe mich ausdrücklich der Anerkennung und dem Dank für diejenigen an, die jetzt schon zum Teil in nicht ungefährlicher Weise humanitäre Hilfe leisten.
Sie gehen aber, meine Damen und Herren, mit diesem Entwurf nun ganz schön in die vollen. Da wird die Sache gleich ganz anders. Wir sollen Ihnen hier eine Verordnungsermächtigung für das Innenministerium erteilen. Das ist um so gewichtiger, als wegen Bundeszuständigkeit kein Zustimmungsbedürfnis des Bundesrates besteht. Wenn ich da meine Zustimmung geben soll, muß ich erst einmal drei Fragen beantwortet bekommen.
Erste Frage: Auf welcher Rechtsgrundlage geschieht das alles? Sie reden ganz locker im Art. 1 davon, daß Soldaten und Bundesbeamte, die im Ausland im Rahmen von humanitären und unterstützenden Maßnahmen verwendet werden, alle diese Leistungen bekommen sollen.
Ich bin ja für die Leistung, aber ich will doch wissen, welche Maßnahmen das sind, über die wir hier reden. Was ist der Unterschied zwischen humanitär und unterstützend? Sind humanitäre Leistungen nicht unterstützend, oder gibt es gar unterstützende, die nicht humanitär sind?
Das alles ist doch erst geklärt, wenn die Rechtsgrundlage für das geschaffen ist, was wir hier tun wollen.
Daß man dieser Regierung, die bisher noch keinen einzigen Schritt getan hat, diese Rechtsgrundlage zu schaffen, eine solche Blankovollmacht geben darf, das müssen Sie mir erst einmal deutlich machen. Ich halte es für evident, daß man so etwas nicht tun kann. Denn was haben wir schon seit Monaten - genau wie am letzten Mittwoch - vor Augen: Herr Schäuble und Herr Lamers beschwören, bitten, bedrohen die Opposition, sich am Schlingerkurs der Regierung so weit zu beteiligen, daß die Große Koalition, der Problemverwalter und Lösungsverhinderer, von keiner Opposition mehr gestört wird. Und die SPD fühlt sich auch noch geschmeichelt.
Das ist für mich keine Aussicht, daß es zu einer klaren Antwort auf die Frage nach der Rechtsgrundlage kommen kann.
Ich komme zu der zweiten Frage, die natürlich sofort damit verbunden ist: Welche Direktiven hat die Bundesregierung denn für die im Ausland einzusetzenden Soldaten und Beamten? Das wäre die erste Frage, die
ich als Soldat und Beamter stellen würde, denn was mußten diese Beamten und Soldaten in letzter Zeit miterleben? Der Weltsicherheitsrat beschließt: Der AWACS-Einsatz kommt. Es herrscht größte Betretenheit im Bundeskabinett, bis sich die F.D.P.-Minister zur vollen Größe aufrichten und sagen: Das dürft ihr nicht. Die Folge ist eine sofortige Aufheiterung bei CDU und CSU, denn jetzt können sie sagen: Dürft ihr von der F.D.P. das sagen? Ihr dürft nicht. - Sie wissen, wie es weiterging: sofortiger Zusammenbruch der F.D.P.-Minister, und es beginnt der berühmte Wettlauf zwischen Achill und mehreren Schildkröten Richtung Karlsruhe.
Was erlebt die Bundeswehr in Karlsruhe? Die Verfassungsrichter sagen: Verfassungsmäßig ist alles noch offen, liebe Soldaten. Aber keine Sorge, die Regierung, die ich soeben beschrieben habe, übernimmt ja die Verantwortung. Noch etwas ganz Beruhigendes wird ihnen gesagt: Die AWACS-Einsätze sind im übrigen ja völlig ungefährlich. - Heute lautete es natürlich schon wieder ganz anders. Wie dieser Entwurf zeigt, hören wir nun: Die Bundeswehr bekommt zwar keine klaren Direktiven, aber sie bekommt Geld. Ich kann die Kollegen von der Union nun überhaupt nicht verstehen, wenn sie sich gegen Söldnermentalität wehren.
({0})
- Warum schreiben Sie dann schon in die Problembeschreibung hinein, daß es Anreize geben soll? An hervorragender Stelle der Begründung wird noch zweimal gesagt: Es geht um finanzielle Anreize. Wenn Sie es ernst meinen mit Ihrer Gegnerschaft zur Söldnermentalität, was ich natürlich begrüße, dann dürfen Sie sich aber so nicht ausdrücken.
Die letzte Frage ist: Woher kommt denn das Geld? Nun sagen Sie mir bitte nicht - da wir ja dauernd über Finanzierungslücken von 18 Milliarden DM reden -: Zirka 75 Millionen DM sind nicht viel. - Nun gut, wenn Sie mir das entgegenhalten, dann werde ich mir das sehr gut merken. Wenn es das nächste Mal um Opferentschädigung geht, dann werde ich sagen: Es sind ja nur 75 Millionen DM. Sie können sie mir genausogut bewilligen.
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Ich werde mich darum nicht mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen, aber sehr wohl mit den Fragen, die ich hier gestellt habe. Ich bin sehr gespannt, wer sie mir beantworten kann. Heute früh haben Sie sie nicht beantwortet.
Schönen Dank.
({2})
Nun hat der Kollege Ilja Seifert das Wort zu einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank für die Möglichkeit einer Kurzintervention.
Ich wollte Herrn Dr. Ullmann eigentlich eine Zwischenfrage stellen, weil er sagte, daß er diese Vorlage im Prinzip begrüße. Ich bin der Meinung, daß es - nicht nur wegen der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit der ganzen Situation doch bedenkenswert wäre, wenn die Frage in diesem Hohen Hause, aber vor allem auch außerhalb dieses Hauses einmal andersherum gestellt würde, nämlich ob es dem nunmehr großen Deutschland nicht wesentlich besser zu Gesicht stünde, die Kraft aufzubringen, nicht kriegerisch irgendwo in der Welt aufzutreten, sondern ausschließlich friedliche Konfliktlösungen zu betreiben und in diesem Zusammenhang zivile Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, die entsprechenden Möglichkeiten einzuräumen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/4749 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dies scheint der Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes ({0})
- Drucksache 12/4635 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({1})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Auch dazu gibt es wieder einmal keinen Widerspruch. Dann ist auch dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Im Rahmen ihres Gesamtkonzepts zur Privatisierung hat die Bundesregierung beschlossen, die sich zu 100 % im Eigentum des Bundes befindliche Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln und 49 % der Aktien zu verkaufen, zu privatisieren und 51 % der Aktien zumindest vorerst zu behalten.
Angestrebtes Ziel ist es, das Nebenbetriebssystem an den Bundesautobahnen wirtschaftlich attraktiver zu gestalten, also mehr Wettbewerb und größere Kundennähe bei gleichzeitig weniger Staat zu erreichen.
Dieses Ziel läßt sich aber nur erreichen, wenn es Privaten ermöglicht wird, Bundesautobahnnebenbetriebe zu bauen und zu betreiben. Dies bedingt eine Änderung des geltenden Bundesfernstraßengesetzes, die ja nun auf den Weg gebracht werden soll, wonach
I bisher nur der Bund Nebenbetriebe an den Bundesautobahnen bauen darf, die anschließend verpachtet werden müssen.
Künftig sollen - das ist der Zweck dieser von der Bundesregierung eingebrachten Novelle - Nebenbetriebe auch von Privaten - hier besonders von der Gesellschaft für Nebenbetriebe - auf vom Bund und den Ländern ausgewählten Standorten geplant, gebaut und finanziert werden. Künftig sollen diejenigen, die das Recht zum Betrieb erhalten haben, eine Konzessionsabgabe zahlen, die absatzbezogen - beim Verkauf von Kraftstoffen - bzw. umsatzbezogen ist. Ferner sollen gaststättenrechtliche Vorschriften den besonderen Erfordernissen der Nebenbetriebe angepaßt werden.
Die Novelle wurde eingehend mit den Bundesländern besprochen; Einvernehmen wurde grundsätzlich erzielt. Dennoch wurden im Bundesrat neue, den Kern der Novelle nicht berührende Vorschläge eingebracht, zu denen sich die Bundesregierung geäußert hat, wie sich aus der Drucksache ersehen läßt.
Zum Stand der Privatisierung bemerke ich noch folgendes: Das wirtschaftliche Eigentum an den Nebenbetrieben wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1992 auf die GfN übertragen. Sobald die Grundstücksvermessungen abgeschlossen sind, erfolgt auch die dingliche Eigentumsübertragung.
Die Vorbereitungen für die Umwandlung der GfN in eine Aktiengesellschaft sind eingeleitet. Nach Erfüllung aller handelsrechtlichen Voraussetzungen ist der günstigste Zeitpunkt für den Gang an die Börse abzuwarten.
Gemäß dem Kabinettsbeschluß vom 7. November 1990 sind auch die Nebenbetriebe in den neuen Bundesländern in die Arbeiten zur Neuordnung des Nebenbetriebssystems einzubeziehen: Die MinolAutobahntankstellen wurden vom TED-Konsortium abgespalten und in die neu gegründete Ostdeutsche Autobahntankstellen GmbH übergeführt. Eine Übernahme durch die GfN ist vorgesehen.
Die Verwaltung der Mitropa-Raststätten wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1992 auf die GfN übertragen. Neue GfN-übliche Pachtverträge wurden zwischen GfN und Mitropa abgeschlossen.
Die Neuverhandlungen der sogenannten 41 Verträge über Bau und Betrieb von Nebenbetrieben in den neuen Bundesländern wird von der GfN zügig betrieben. Mit einer Anzahl von Investoren wurden inzwischen Verträge bzw. vorläufige Vereinbarungen abgeschlossen. Die vereinbarten Entgelte werden gezahlt.
Die Bundesregierung hofft, daß dieser wichtige Gesetzentwurf schon sehr bald zum Gesetz wird.
Danke schön.
({0})
Als nächste hat Frau Kollegin Dagmar Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
Behandlung des vorliegenden Gesetzes wird sich zeigen, wie ernst es diese Koalition tatsächlich mit mittelstandsfreundlicher Politik meint.
({0})
Diese Forderung - ausgerechnet von der PDS/Linke Liste - wird Sie sicher verwundern. Erstens habe ich bereits in einer Kleinen Anfrage vom 16. Januar 1992 an die Bundesregierung nach deren „Mittelstandsfreundlichkeit bei der Vergabe von Pachtverträgen an Bundesautobahnen" gefragt und eine mehr als dürftige Antwort erhalten, die alles offenläßt. Zweitens bin ich gerne bereit zu ausführlichen Gesprächen über das Verhältnis von PDS zu privatwirtschaftlichen Unternehmen. Jetzt habe ich nur drei Minuten Zeit.
Wo liegen meines Erachtens die Knackpunkte des vorliegenden Gesetzes? Um es auf einen Nenner zu bringen: Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes werden die Voraussetzungen für das Ende vieler traditioneller Familienunternehmen bzw. mittelständischer Unternehmen an den Autobahnen geschaffen. Sie werden in eine Konkurrenz mit - wie es im Gesetz heißt - „privaten Dritten" getrieben, denen der Weg für den Bau und den Betrieb von Anlagen geöffnet wird.
({1})
- Wir sprechen uns wieder, Herr Kollege Jung.
Wer werden nun diese ominösen Dritten sein? Da hierzulande alles danach geht, wer am kapitalkräftigsten ist, werden das vor allem die großen Konzerne sein, McDonald's, Rosenberger, van der Falk, Hertie usw. Sie können sich die attraktivsten Standorte und damit ihre Gewinne sichern. Sie unterliegen weder den Vergabegesichtspunkten noch dem Grundversorgungsprinzip, das zwischen Bund und GfN vereinbart wurde. Damit entstehen ungleiche, unfaire Wettbewerbsbedingungen zuungunsten der traditionellen Unternehmen.
In Anbetracht der Kürze meiner Redezeit möchte ich für die Ausschußberatung stichpunktartig auf weitere Probleme aufmerksam machen.
Erstens: Es sollte eindeutig definiert werden, was Nebenbetriebe sind, die an Autobahnen von Dritten übernommen werden können.
Zweitens: Wenn der Bau von Nebenbetrieben auf Dritte übertragen werden kann, wird meines Erachtens der GfN eher Verantwortung entzogen, die ihr eigentlich aber im Rahmen der Teilprivatisierung neu gegeben werden sollte.
Drittens: Im Zusammenhang mit der Übertragung bundeseigener Nebenbetriebe auf die GfN ist offen, ob es sich hierbei auch um die gesamte Grundstücksthematik handelt.
Viertens: Die Bemessung der Konzessionsabgabe muß wesentlich differenzierter erfolgen. Selbst wenn die Rechtsverordnung dazu noch aussteht, sollten bereits Grundsätze wie die Berücksichtigung des Standortes oder der Baulichkeiten hier formuliert werden. Dazu gehört auch die Frage nach der Kon13132
zessionsabgabe von Betrieben in Ostdeutschland. Ich erinnere nur an die Problematik der 41 Verträge.
Fünftens: Gründlicher müßten meines Erachtens die Auswirkungen auf das Verbraucherpreisniveau geprüft werden. Die Erwartungen, die im Gesetzentwurf geäußert werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Es ist durchaus denkbar, daß der forcierte Wettbewerb zu einem Verdrängungswettbewerb wird mit allen Folgen: Verlust von Arbeitsplätzen, aber auch Anhebung des Preisniveaus.
Wir werden in den Ausschüssen weiter intensiv beraten müssen, und ich hoffe sehr, daß ich nicht die einzige bleibe, die sich für den Erhalt des Mittelstandes an den Autobahnen einsetzt.
({2})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als nächster spricht der Kollege Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon einigermaßen erschütternd, liebe Kollegin Dr. Enkelmann, wenn Sie hier mit einer Behauptungswelle, die voll am Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes vorbeigeht, Ängste schüren, die auch eine Gaststättenzeitschrift geschürt hat. Diese Behauptungen sind schlicht und ergreifend falsch.
({0})
Was soll denn mit diesem Gesetzentwurf, der ja nur ein Teil einer ganzen Kette von Entscheidungen mit der Überschrift „Verbesserung des Services an der Autobahn" ist und Schutz des Mittelstands beinhaltet, wirklich erreicht werden? Die Nebenbetriebe sind erschöpfend definiert im Fernstraßengesetz.
({1})
Da steht alles drin, was unter Nebenbetrieben zu verstehen ist. Auch nach der Gesetzesänderung gibt der Bund keine hoheitlichen Rechte ab. Das heißt z. B., der Bund legt fest, wo Standorte sind. Bei den Ländern verbleiben die ihnen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung übertragenen Rechte betreffend Definierung und Ausführung der Autobahn und Situation der Betriebe.
Was hier im Prinzip erreicht wird, ist lediglich - ich betone: lediglich -, daß der Bund sein ihm jetzt nach dem Fernstraßengesetz zustehendes „hoheitliches" Recht des Baus von Nebenbetrieben auch auf Dritte übertragen kann.
({2})
Und niemand kann mir in der heutigen Zeit erklären, daß der Bau einer Tankstelle - und das ist ein Nebenbetrieb - eine hoheitliche staatliche Aufgabe ist. Das kann niemand mehr erklären. Das ist auch nicht so.
Damit die Arbeit im Verkehrsausschuß entsprechend gewürdigt werden kann: Wir haben ja im Vorfeld dieses Ganzen festgelegt, welche neuen Modelle wir zur Verbesserung des Service an der Autobahn einrichten wollen.
({3})
Wir haben ein Rohlingspachtmodell, wir haben ein Rahmenpachtmodell, und wir haben ein Erbbaurechtmodell. In allen Fällen bleibt die Vergabe in den Händen der GfN, auch wenn sie dann privatisiert ist. In allen Fällen gibt es einheitliche Verträge, und in allen Fällen ist es ausgeschlossen, daß sich irgendein Großkonzern irgendwo mit irgendetwas an der Autobahn niederläßt. Das sind die Fakten, und die kann man hier nicht zerreden, auch nicht durch Schüren von Ängsten. Ich gebe allerdings zu: Der entscheidende Schritt, um das wirklich noch umzusetzen, ist der Gang an die Börse, nämlich die tatsächliche Vollziehung der Umwandlung der GfN in die Aktiengesellschaft. Ich muß sagen, ich habe kein Verständnis für Einwände in der Richtung, die 41 Verträge wären noch zu klären oder aber das, was sich jetzt aus der OATG ergibt, die Sache mit Minol, würde hinderlich sein. Es ist alles hinreichend geklärt. Die Grundaussagen für diese Änderung sind 1985 getroffen worden. Sie sind vom Bundeskabinett im November 1990 präzisiert worden. Wir haben es durch „unheimlich schnelle" Arbeit nun endlich geschafft, im Frühjahr 1993 die erste Lesung dieses Gesetzes durchzuziehen. Ich hoffe, daß wir zum 1. Juli 1993 endlich auch den Gang an die Börse abgeschlossen haben werden. Dann wird uns auch das gelingen, was wir eigentlich wollen: die Verbesserung des Services an der Autobahn in den neuen Bundesländern möglichst schnell in die Gänge zu bringen; denn dann haben wir die Chance, zwei- und dreistellige Millionenbeträge an investivem Kapital, die dort jetzt brachliegen und warten, endlich zum Umsetzen zu bringen, Arbeitsplätze zu schaffen, Aufträge zu vergeben und alles das zu machen, was Sie auch immer wieder fordern.
Ich hoffe, Sie sind dann bei der Gesetzesberatung im Ausschuß auch so initiativ.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und erkläre für die F.D.P. selbstverständlich die aktive Mithilfe.
({4})
Nun hat der Kollege Carl Ewen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes schaffen wir die Voraussetzungen für die Privatisierung der GfN. Das ist heute mehrfach betont worden. Wir sagen zu diesem Vorhaben ja. Wir glauben, daß wir auf diese Weise die Leistungsfähigkeit der Servicebetriebe an den Autobahnen erhöhen können, und wir glauben auch, daß auf diese Weise privates Kapital mobilisiert werden kann, so daß wir schneller den erwünschten Erfolg herbeiführen könCarl Ewen
nen, als wir es allein mit öffentlichen Mitteln schaffen könnten.
Wir wären sicherlich schon weiter gewesen, wenn nicht durch die etwas - ich will das vorsichtig ausdrücken - ominösen Vorgänge bei der Vergabe der Autobahntankstellen und Raststättenplätze in der alten DDR Dinge bekanngeworden wären, die uns Sorge bereiten, zumal sie bis heute nicht abgeschlossen werden konnten. Es gibt möglicherweise Rückerstattungsansprüche, es gibt möglicherweise unangenehme Rechtsstreitereien, die uns daran hindern werden, auch auf diesem Gebiet so schnell, wie es wünschenswert wäre, zu vernünftigen Regelungen zu kommen.
Es sind ja im wesentlichen drei Modelle vorgestellt worden, das Rahmenpachtmodell, das Rohlingspachtmodell und das Erbbaurechtmodell. Diesen drei Modellen stimmen wir zu, dem Initiativmodell stimmen wir nicht zu. An dieser Stelle kommt es wohl darauf an, daß wir tatsächlich das, was der Ausschuß gemeinsam will, nämlich die Mittelstandsfreundlichkeit, erhalten.
({0})
Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Grundsatz unserer Arbeit.
Wenn wir aus dem Gutachten von 1990 noch einmal herausheben, daß es um das Erscheinungsbild der Raststätten geht, dann darf ich heute sagen, wir haben, glaube ich, durch die Arbeit der letzten vier, fünf Jahre, durch die Debatte dieses Themas erreichen können, daß heute die Servicebetriebe in unseren Raststätten deutlich besser sind als noch damals. Wir haben heute sehr individuelle Lösungen. Es kommt darauf an, daß jede Raststätte ihr unverwechselbares Profil hat. Ich denke, wir sollten im Ausschuß noch einmal darüber nachdenken, ob der Ausdruck „Nebenbetriebe" richtig ist, ob es nicht tatsächlich besser ist, „Servicebetriebe" zu sagen. Denn es wird auf jeden Fall Service für den Autofahrer geleistet, ein Service, der auch zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beiträgt.
Nun ist vorgebracht worden, daß möglicherweise befürchtet werden müßte, daß durch die Übertragung auf Dritte Großkonzerne auch auf die Auswahl der Standorte Einfluß nehmen könnten. Das ist zweifelsfrei nicht der Fall. Es geht hier darum, daß die Standorte von der Bundesregierung festgelegt werden, und ich gehe davon aus, daß das wie bisher in der bewährten Zusammenarbeit mit dem Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages geschieht, so daß wir auch politisch Einfluß auf die Auswahl der Standorte nehmen und hier Mißbrauch durch Großinvestoren mit Sicherheit werden verhindern können.
({1})
Ob es dann nicht doch zweckmäßig ist, in § 15 Abs. 2 von vornherein zu klären, daß die GfN beim Bau von Nebenbetrieben grundsätzlich zu beteiligen ist und sie sich erst der Durchführung Dritter bedienen kann, bedarf der Fachüberlegung. Hier könnte ich mir
durchaus noch Verbesserungen des Gesetzentwurfes vorstellen.
Ich denke, daß wir hier eine Aufgabe vor uns haben, die insgesamt dem Autofahrer zugute kommen soll, die gerade auch beim steigenden internationalen Verkehr dazu beiträgt, daß wir auch den internationalen Gästen der Bundesrepublik eine Visitenkarte zur Verfügung stellen, die von Anfang an deutlich macht, daß sie gern gesehene Gäste in Deutschland sind.
({2})
Auf diese Weise tragen gerade die Servicebetriebe an Autobahnen, seien es Raststätten, Tankstellen oder Motels, dazu bei, an diesem Bild mitzuwirken.
Ich hoffe und wünsche, daß es uns gelingt, in den Ausschußberatungen schnell die Grundlage für die Privatisierung der GfN zu schaffen, um auf diese Weise dann auch möglichst schnell und intensiv den Raststättenpächtem und -pächterinnen eine Möglichkeit zu geben, ihre Vorstellungen über den Bau der Raststätten an deutschen Autobahnen weiter zu verwirklichen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nun spricht der Kollege Michael Jung ({0}).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Es ist mit Recht schon darauf hingewiesen worden: Wir beschäftigen uns heute mit der Neuordnung der Betriebe an den Autobahnen. Kollege Ewen, Sie haben vollkommen recht: Uns hat im Unterausschuß schon immer die Formulierung „Nebenbetriebe" gestört. Nomen est omen - Nebenbetriebe klingt nach Nebensache. Aber es sind Hauptsachen. Der Servicegedanke muß in den Vordergrund treten. Das sollte auch bei der Bezeichnung in Zukunft berücksichtigt werden.
Es geht um Autobahnraststätten und -tankstellen, und das ist sehr wichtig. Das Ziel ist - das möchte ich noch einmal eindeutig kundtun - eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit, eine Steigerung der Attraktivität und der Effizienz. Wir wollen für den Kunden an den Autobahnen Verbesserungen. Das ist es, was wir mit diesen Änderungen beabsichtigen. Das ist auch notwendig, weil der Verkehr auf unseren Autobahnen in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird. Deutschland ist das größte Transitland in Europa. Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, daß diese Betriebe eine Art Visitenkarte darstellen. Auch von daher besteht eine besondere Notwendigkeit, die Versorgung ordnungsgemäß sicherzustellen und die Attraktivität zu steigern.
Wie können wir diese Ziele erreichen? Die erste Überlegung, für die heute die rechtlichen Grundlagen in Bewegung gesetzt werden, ist die Gründung einer Dachgesellschaft, einer Aktiengesellschaft, die mit 51 % im Bundesbesitz bleiben soll, so daß es sich im Grunde genommen um eine Teilprivatisierung hin13134
Michael Jung ({0})
sichtlich der 49 % handelt. Wir haben schon im damaligen Beschluß des Verkehrsausschusses, der vor knapp drei Jahren einmütig verabschiedet worden ist, festgestellt, daß die zeitliche Abfolge und die inhaltliche Ausgestaltung des Gangs an die Börse wichtig sind, um auch die Mittelstandskomponente zu realisieren. Darauf werde ich später noch zurückkommen.
Wichtig ist für uns, daß wir eine ökonomisch handelnde und marktorientierte neue Verwaltungsebene schaffen, eine neue GfN in Form einer Aktiengesellschaft.
Das zweite, was wichtig ist, ist die Pächterebene. Hier war es unser gemeinsames Ansinnen, dafür zu sorgen, daß wir mehr unternehmerische Freiheiten bekommen, mehr Initiativmöglichkeiten, mehr Beteiligung der Pächter auch schon im Stadium des Baus und daß wir vor allen Dingen eine Möglichkeit eröffnen, daß die Pächter in der Lage sind, eigene Investitionen vornehmen zu können. Das bedeutet auf der einen Seite, daß wir hinsichtlich der Investitionen entlastet werden, und es bedeutet auf der anderen Seite, daß das Interesse der einzelnen Pächter an ihrem Betrieb gesteigert wird, wenn sie sich mit eigenen Geldern beteiligen. Dafür muß es eine Verlängerung der Vertragsdauer und eine Ausgestaltung der Pachtverträge in Richtung geringerer Pacht bei eigenen Investitionen geben. Vor allem müssen die eigenen unternehmerischen Interessen gewährleistet sein.
Es ist vorhin bereits darauf hingewiesen worden, daß wir hierfür verschiedene Modelle entwickelt haben. Ich will darauf im einzelnen nicht mehr eingehen. Wir haben aber auch klar und deutlich gemacht: Wir wollen Möglichkeiten schaffen, daß z. B. die Übergabe des Betriebes von der einen tüchtigen Pächtergeneration auf die nächste tüchtige Pächtergeneration stattfinden kann. Auch dies dient der Motivation der Pächter und damit einer Steigerung der Leistungsfähigkeit in den Autobahnbetrieben.
Meine Damen und Herren, hier ist schon viel vom Mittelstand gesprochen worden. Frau Kollegin Dr. Enkelmann, wenn die Partei, für die Sie Verantwortung tragen, früher nur einen Bruchteil dessen, was Sie hier für den Mittelstand gesagt haben, umgesetzt hätte, hätten wir es heute in vielen Bereichen der neuen Bundesländer leichter.
({1})
Deswegen war ich etwas erstaunt und überrascht, vor allem auch deswegen, weil wir im Ausschuß bisher überhaupt keinen Dissens in diesen Fragen hatten, sondern alle Fragen einmütig entschieden haben.
Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. Enkelmann?
Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, gerne.
Herr Kollege Jung, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß ich gerade, weil ich diese Erkenntnis habe, daß es nicht gemacht worden ist, jetzt mit meinen Erfahrungen an diese Arbeit herangehe und deswegen vor allen Dingen die Forderungen für den Mittelstand stelle?
Wir freuen uns über Ihre persönliche Lernfähigkeit, Frau Kollegin, und wir sind gern bereit, in diesem Sinne zusammen für den Mittelstand zu arbeiten.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bedeutung des Mittelstandes gerade in diesem Feld ist für uns vollkommen unumstritten, und die Berücksichtigung der Pächterinteressen ist bisher von uns auch vorgenommen worden. Wir haben bereits früher, vor über drei Jahren, im Grundsatzbeschluß des Verkehrsausschusses deutlich gemacht, daß wir dieses bewährte System der Pächter auch für die neuen Bundesländer, die damalige DDR, haben wollen, weil die Überlegenheit des Systems für uns schon damals erkennbar war. Wir freuen uns über jeden neuen Mitstreiter in diesem Bereich. Wir wollen den Mittelstand stärken. Wir halten ihn für notwendig. Als Politiker, der der Regierungskoalition angehört, bekenne ich durchaus, daß wir den Mittelstand mit unserer Politik nicht überall so gestärkt haben, wie ich es persönlich gerne hätte. Auch das muß man einräumen. Was die Autobahnnebenbetriebe anbetrifft, gibt es bisher überhaupt keinen Dissens. Wir haben im Ausschuß die notwendigen Ziele bisher einmütig angesteuert.
({1})
Die Ängste, die teilweise geäußert worden sind - Kollege Friedrich ist am Anfang darauf eingegangen -, sind unbegründet. Die Entscheidung ist bereits viel früher gefallen, nämlich damit, daß wir zwei wichtige Punkte gemeinsam verabschiedet haben. Der erste Punkt war: Wir schaffen eine neue Dachgesellschaft in Form der neuen GfN. Hätten wir nämlich Einzelbetriebe ohne rechtliche Steuerung und ohne Auswahl der Standorte durch uns an die Autobahn lassen wollen, dann hätten wir eine Dachgesellschaft überhaupt nicht benötigt. Das war die eine notwendige Entscheidung, die wir getroffen haben.
Die zweite und genauso wesentliche Entscheidung betraf folgendes. Die Befürchtung, daß große Ketten mit ihrer Macht im finanziellen Bereich in der Lage wären, sich an einzelnen Standorten festzusetzen und dann mit Kampfpreisen den Mittelstand daneben zu unterbieten, ist deswegen nicht realistisch, weil die Standortauswahl weiterhin vom Bund und von den Ländern getroffen wird.
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Im übrigen haben wir die bisherige Standortkonzeption im Ausschuß einvernehmlich festgelegt, einvernehmlich auch mit den Pächtern, die bei diesen Beratungen zugange waren.
Hier möchte ich hinzufügen: Ich kenne keinen anderen Ausschuß des Bundestages, in dessen Arbeit Betroffene - die auch heute hier sind - so intensiv einbezogen sind und mit Informationen versorgt werMichael Jung ({3})
den wie in unserem Unterausschuß Privatisierung der Autobahnnebenbetriebe. Das ist ein Modell, das es sonst hier nicht gibt. Das zeigt, daß wir die Interessen, die dort artikuliert werden, ernst nehmen und für unsere Arbeit aufnehmen.
Wir haben dem Initiativmodell damals eine klare Absage erteilt, weil wir die mittelständischen Interessen an der Autobahn weiterhin gewahrt sehen möchten, wobei wir natürlich - das füge ich hinzu - auch mehr Wettbewerb wollen. Wettbewerb ist ein belebendes Element. Ich habe auch auf den Jahrestagungen der Pächter immer deutlich gemacht, daß wir selbstverständlich in Zukunft verstärkt auch Ketten, Fast food und anderes an der Autobahn unter gleichen Konditionen bekommen werden, damit der Wettbewerb unter gleichen Bedingungen stattfindet. Dann wird der Verbraucher durch seine Nachfrage entscheiden, wen er für leistungsfähiger und besser in seinem Angebot hält. Dies ist auch wichtig. Das ist es, was wir wollen.
Meine Damen und Herren, ich möchte gern noch ein Wort zu den Tankstellen sagen, weil wir hier die Entwicklung haben, daß auf den Autobahnen weitaus mehr Benzin verfahren wird, als dort getankt wird. Das liegt eindeutig an der Preisgestaltung. Der Unterausschuß hat sich schon lange Monate, ja Jahre damit beschäftigt, wie wir zu einem kundenfreundlicheren Angebot kommen können. Die rechtliche Situation des Dreiecksverhältnisses Pächter-Belieferer-Gesellschaft für Nebenbetriebe ist nicht ganz einfach. Hier hat es Diskussionen auch mit dem Bundeskartellamt gegeben. Wir werden dieser Frage weiterhin nachgehen, weil wir auch im Bereich der Tankstellen für mehr Kundenfreundlichkeit, d. h. niedrigere Preise und bessere Angebote, sorgen wollen.
Meine Damen und Herren, der einzige Unterausschuß des Verkehrsausschusses hat sich sehr intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und, wie ich meine, bisher die Ziele gemeinsam in breiter Einmütigkeit verfochten. Das gilt für alle Fraktionen, aber auch für alle Gruppen.
Wir haben in unserem damaligen Grundsatzpapier klar und eindeutig festgelegt, daß die Stärkung des Mittelstands eines unserer Ziele ist. Daran werden wir unbeschadet von Irritationen, die es gegeben hat, gemeinsam festhalten. Dazu dient auch der vorliegende Gesetzentwurf, den wir gemeinsam an die Ausschüsse überweisen. Ich bin sicher, daß wir in dieser Frage auf einem richtigen Weg sind.
Vielen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/4635 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenbar nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Andreas von Bülow, Angelika Barbe, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Belohnung für Rückholung veruntreuten DDR-Vermögens
- Drucksache 12/4102 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß Treuhandanstalt ({0}) Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Volker Neumann das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Antrag auf Aussetzung einer Belohnung für die Rückführung veruntreuten DDR-Vermögens. Für die Annahme des Antrags sprechen im wesentlichen zwei Gründe, nämlich das Interesse der Bürger am Verbleib des DDR-Geldes und die Schwierigkeiten staatlicher Ermittlungen.
Tatsächlich ist es so, daß zu den häufigsten Fragen, die an uns, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses „Kommerzielle Koordinierung", gestellt werden, die Frage nach dem Geld gehört.
Die Beträge, mit dem das Imperium Schalck-Golodkowski jonglierte, und insbesondere die Art und Weise, wie es getan wurde, haben nicht nur die Phantasie von Journalisten beflügelt und die Kriminalpolizei auf den Plan gerufen, sondern beschäftigen uns fast jede Woche im Untersuchungsausschuß.
Durch die Art seines Umganges mit den Devisen ist der gesamte Bereich von Schalck so undurchsichtig geworden. Da wurden, wie die Schalck-Sekretärin Brachhaus aussagte, von irgendwelchen Firmen Millionenbeträge in bar bei Schalck in der Berliner Wallstraße abgegeben. Es wurden ständig Millionenbeträge im Tresor bei Herrn Schalck vorgehalten - nie unter einer Million, wie die Sekretärin aussagte. Einmal sollen im November 1989 600 000 US-Dollar in einem Koffer abgegeben worden sein. Der angebliche Inhaber der Stasi-Firma F. C. Gerlach, Wischnewski, lieferte regelmäßig Millionenbeträge in bar ab. Wenn einmal Geld gebraucht wurde, z. B. weil Herr Cebulla es für die DKP brauchte, wurde eben mal 1 Million Mark in bar ausgezahlt.
Aber auch der unbare Zahlungsverkehr hat zu allerlei Spekulationen Anlaß gegeben. Die Vorgehensweise bei der Geldanlage macht die Nachforschungen so schwierig. Da wurden Gelder unter falschem Namen angelegt, z. B. unter dem Mädchennamen von Frau Schalck, Gutmann, obwohl jemand ganz anderes Inhaber des Kontos war. Es wurden Decknamen benutzt oder Treuhänder eingeschaltet, und es wurden anonyme Nummernkonten in der Schweiz eingerichtet. Nachforschungen erweisen sich
Volker Neumann ({0})
deshalb als äußert problematisch und sind noch nicht abgeschlossen. Das gilt auch für die inzwischen berühmt gewordenen Konten mit den Namen „Silvia" und „Calvados" in der Schweiz.
Bankverbindungen in aller Welt, insbesondere in solchen Ländern, die uns die Nachforschungen kaum zugänglich machen, lassen die Aufklärung des Verbleibs der Millionen nahezu unmöglich erscheinen. Dabei geht es nicht nur um das Geld, das von der DDR verschoben worden ist, als sie noch an eine Zukunft glaubte, sondern gerade um die Summen der KoKoFirmen, Stasi-Firmen und Parteifirmen, die schon im Wissen um den bevorstehenden Zusammenbruch des Systems beiseite geschafft wurden.
Da hi fast allen Bereichen des Herrn Schalck mit Geheimdienstmethoden, also konspirativ, gearbeitet wurde, waren und sind die Geldtransfers nahezu undurchsichtig. Belege gab es kaum oder nie oder wurden vernichtet. Wer will schon nachweisen, daß in der Bank A oder B in Salzburg oder Zürich in Depots Wertpapiere gebunkert sind, die eigentlich dem deutschen Staat gehören? Wie sollen Treuhandkonten etwa in der Dominikanischen Republik oder auf den Virgin Islands daraufhin überprüft werden, ob dort Geld aus dem Bereich Koko oder aus dem MfSBereich - wenn das nicht deckungsgleich ist - oder aus dem Parteibereich lagert? Wie soll nach Konten in Warschau oder Wien gefahndet werden, wenn man weder den Inhaber noch dessen Verbindung zum Bereich KoKo nachweisen kann? All diese eben genannten Beispiele stammen aus anonymen und offenen Hinweisen, bei denen wir zur Zeit nicht weiterkommen.
Meiner Meinung sind die Ermittlungsbehörden nicht ausreichend ausgestattet worden, um Nachforschungen nach den verschwundenen Geldern gründlich anstellen zu können. Es ist versäumt worden, sofort nach der deutschen Einheit bei der Treuhand oder beim Finanzministerium eine entsprechende Spezialabteilung einzurichten, deren einzige Aufgabe es gewesen wäre, diese Gelder zu sichern. Gehen dem Steuerzahler nicht Millionen-, wenn nicht gar Milliardenbeträge verloren, weil man den Spuren so zögerlich nachgeht?
Uns allen sind noch die Klagen der zuständigen Ermittlungsbehörden über die mangelnde Personalausstattung und über die Unmöglichkeit, in dieser Situation auch nur die Fälle sachgerecht zu verfolgen, bei denen strafrechtliches Verhalten erkennbar ist, in den Ohren. Wie ist es dann wohl erst bei den Geldern, bei denen der Täter entweder noch nicht erkennbar oder die Zuständigkeit der Polizei wegen rechtlicher Verfolgungshindernisse nicht mehr gegeben ist?
Der Bürger fragt doch: Woher kamen denn die Mittel, die es dem früheren Rechtsanwalt Wetzenstein-Ollenschläger ermöglichten zu fliehen, und was hat er an Geld eigentlich mitgenommen? Wer finanziert eigentlich die Koordination der Verteidigung der Führungsschicht um Schalck-Golodkowski durch all jene, die ihm durch ihre Aussage gefährlich sein könnten? Erst vorgestern haben wir wieder einen Zeugen gehört, der kostenlos von einem Rechtsanwalt beraten worden ist. Wer bezahlt das alles? Welche Gelder sind das und woher kommen sie eigentlich?
Ein Beispiel: Die Bundesrepublik klagt gegen den formalen Inhaber der MfS-Firma F. C. Gerlach, einen Herrn Wischnewski, auf Herausgabe des Vermögens der Firma. Die Bundesrepublik gibt den Streitwert mit 201 Millionen DM an. Es geht also nach Auffassung der Bundesrepublik um ein Fünftel der Summe, die der Bundesfinanzminister zur Zeit bei der Arbeitsverwaltung durch Aufdeckung von Mißbrauchstatbeständen einsparen will.
Ein Teil der Gelder liegt verstreut auf verschiedenen Banken, zum Teil im Ausland. Mehr durch Zufall wird sich ergeben, welches Vermögen der Inhaber unter dem Schutz der Stasi hat ansammeln können und wo es zur Zeit ist.
Daß diese Stasi-Firma durch das Rechtsanwaltsbüro vertreten wird, das auch Alexander Schalck-Golodkowski und so manch andere aus seiner Umgebung vertritt, ist ihr Recht. Das Büro vertritt auch - welch ein Zufall! - noch eine weitere Stasi-Firma, nämlich die Firma Günther Forgber. Da klagt die Treuhand Summen in der Größenordnung von 30 bis 40 Millionen DM ein.
Ich frage mich, ob die Bundesrepublik oder die Treuhand und damit letztlich der Bürger als Steuerzahler wirklich alles Geld von diesen ehrenwerten Geschäftsmännem zurückbekommen wird oder ob ein Teil schon längst auf die von Schalck-Golodkowski praktizierte konspirative Weise verschwunden ist.
Ich habe diese Beispiele nur gewählt, um einmal die Größenordnung deutlich zu machen, um die es auch bei unserem Antrag geht.
Noch ein anderes Beispiel für eine kleinere Summe: Der deutsche Waffenhändler Schulz bekommt von der DDR-Waffenhandelsfirma IMES 50 000 US-Dollar für die Beschaffung eines End-user-Zertifikats aus Kolumbien, damit er legal Originalwaffen der Firma Heckler und Koch kaufen kann, die in Wahrheit für die DDR bestimmt sind. Das beschaffte Zertifikat ist falsch, stellt sich 1988 heraus, wie uns gestern ein Zeuge im Untersuchungsausschuß bestätigte. Nachdem vorher zweimal ein ähnliches Geschäft zustande kam, platzt dieses Geschäft. Die IMES fordert im Sommer die 50 000 US-Dollar von Herrn Schulz zurück, und der Händler verspricht zurückzuzahlen.
Die Treuhand als Liquidator der IMES hat bis heute von diesem Herrn Schulz die 50 000 US-Dollar noch nicht zurückgefordert. Dafür hat aber eine bundeseigene Verwertungsgesellschaft an diesen Waffenhändler ein paar ehemalige NVA-Schiffe verkauft. Es ist schon merkwürdig, daß ein Bundesunternehmen Handel mit einer Person betreibt, die schon mit der DDR schmutzige Geschäfte gemacht hat.
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Durch Zufall sind wir im Untersuchungsausschuß auf diesen Fall gestoßen. Mit herkömmlichen Mitteln werden wir an andere Konten im In- und Ausland nur kommen, wenn wir Zusammenhänge von Geldverschiebereien und mafiosen Verbindungen aufdecken, wenn wir andere Maßnahmen treffen.
Wir wollen deshalb, wie es auch sonst üblich ist, für den Fall der Mithilfe der Bürger eine Belohnung für
Volker Neumann ({2})
die Wiederaufspürung und Rückholung der Gelder aussetzen.
Nachdem die CDU/CSU nicht die Einsicht hat, diesen Antrag sofort zu unterstützen, habe ich die Bitte an die Bundesregierung, unseren Vorschlag schnell aufzugreifen. Eine weitere Beratung in den Ausschüssen würde sich dann erledigen.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Joachim Gres.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der schlagzeilenträchtige Antrag der SPD, Belohnung für die Rückholung veruntreuten DDR-Vermögens auszuloben, erscheint, wenn auch unkonventionell, so doch auf den ersten Blick gar nicht so abwegig zu sein. Eine intensivere Beschäftigung, Herr Neumann, mit dem SPD-Antrag und vor allem mit seiner Vorgeschichte hat bei mir jedoch zunehmende Skepsis hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten und seiner Sinnhaftigkeit ausgelöst. Die SPD-Fraktion will für Hinweise auf die verschwundenen Millionensummen aus veruntreuten DDR-Vermögen attraktive Belohnungen aussetzen. Die vermutete Überweisung hoher Beträge aus dem ehemaligen SED-Bereich an den früheren SED-Chef Honecker war wohl ein Grund für diese Überlegungen.
Herr Kollege von Bülow, der heute leider nicht hier ist, hat im Zusammenhang mit seinem Finderlohnvorschlag am 8. Februar 1993 in der „Neuen Osnabrücker Zeitung" geäußert, Indizien deuteten darauf hin, Hunderte von Millionen, ja, Milliarden DM seien von KoKo in jahrelanger Arbeit ins Ausland geschafft und bisher nicht gefunden worden. Er hat im „heutejournal" am gleichen Tag nochmals behauptet, er gehe sicher von der Anlage von Hunderten von Millionen, ja, Milliarden DM im Ausland aus.
Nach Ankündigung dieses Antrags Anfang Februar 1993 hatte Herr Kollege von Bülow zwei Monate Zeit, irgendwelche Belege für seine Erklärung dem Untersuchungsausschuß „Kommerzielle Koordinierung" vorzulegen. Herr Kollege von Bülow hat dem Ausschuß bisher jedoch keinerlei Unterlagen zukommen lassen können, die für den Untersuchungsauftrag in dieser Richtung irgendwelche Hinweise ergeben hätten. Ein solches Verhalten wirft ein bezeichnendes Licht auf die Seriosität öffentlicher Ankündigungen und Erklärungen des Obmanns der SPD im Untersuchungsausschuß. Was wir bei der schwierigen Aufklärungsarbeit, Herr Neumann, in diesem Ausschuß am allerwenigsten brauchen können, sind Effekthascherei und kriminalistische Spekulation einzelner Politiker.
Nach der öffentlichen Diskussion über den Finderlohnantrag der SPD befürchte ich, daß der Antrag zunächst einmal geeignet ist, irgendwelche wirklichen Hinweisgeber davon abzuhalten, den Stellen jetzt die Informationen zu geben, die für die Wiederbeschaffung veruntreuten DDR-Vermögens hilfreich sein könnten. Denn wer wird heute z. B. dem Untersuchungsausschuß oder der Staatsanwaltschaft Inf ormationen zukommen lassen, wenn er darauf spekuliert und hofft, daß er demnächst vielleicht eine hohe Belohnung dafür bekommen kann? Es bestehen aus meiner Sicht auch Zweifel, Herr Neumann, ob ein entsprechender Beschluß des Bundestages in der Zukunft überhaupt zum Erfolg führen wird. Ausweislich der Erklärung von Herrn von Bülow denkt er vor allem an Mitarbeiter von Notaren in Liechtenstein und in Hongkong als Adressaten dieses Beschlusses. Die Notare in Liechtenstein und Hongkong sowie ihre Mitarbeiter dürften jedoch im wesentlichen ähnlichen Schweigepflichten unterliegen wie die entsprechenden Berufsgruppen in Deutschland und schon aus diesem Grunde kaum gewillt und bereit sein, Auskünfte zu erteilen. Zudem sind diese Berufsgruppen nach unserer Erfahrung, soweit sie an der Geschäftsabwicklung überhaupt beteiligt waren, in die tatsächlichen Zusammenhänge in der Regel so weit wie möglich nicht eingeweiht worden, weil, wie Sie selbst sagen, diese Vorgänge konspirativ gefahren worden sind und vor den Rechtsanwälten und Notaren meist verschleiert worden sind.
Es widerspräche auch den bisherigen Erkenntnissen, wenn von Dritten Hinweise kämen, die, so wie Sie ausgeführt haben, die finanziellen Transaktionen lediglich beobachtet, davon jedoch nicht profitiert haben.
Die ausländischen Firmen des Bereichs Kommerzielle Koordinierung waren - das wissen wir heute - durch konspirative Arbeitsweise und Verdeckung ihrer Bezüge zur DDR gekennzeichnet. Wesentlicher Grund war die Umgehung gesetzlicher Genehmigungspflichten für DDR-Firmen des Bereichs Kommerzielle Koordinierung im Zusammenhang mit geheimdienstlichen oder geheimzuhaltenden Aktivitäten.
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- Lassen Sie mich diesen Gedanken noch zu Ende führen. - Dennoch ist es dem Untersuchungsausschuß in mühevoller Kleinarbeit gelungen, den Aufbau des von Schalck-Golodkowski geleiteten Bereichs KoKo zu beschreiben und ein umfassendes KoKo-Organigramm zu erstellen. Der Bericht, den wir mittlerweile vorgelegt haben, informiert über Entwicklung, Struktur und Arbeitsschwerpunkte des Bereichs Kommerzielle Koordinierung. Er enthält eine detaillierte Beschreibung der diesem Bereich zuzurechnenden Unternehmen im In- und Ausland sowie deren Beteiligungsverhältnisse. Diese vom Ausschuß geleistete intensive Aufklärungsarbeit ist ein realistischer Beitrag, finanzielle Transaktionen nachzuvollziehen bzw. von der dafür zuständigen Justiz aufklären zu lassen.
Bitte schön, Herr Neumann.
Bitte, Herr Kollege Neumann.
Herr Kollege Gres, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß dieser Antrag nichts mit den angeblichen Honecker-Millionen zu tun hat, vielmehr uns ein konkreter
Volker Neumann ({0})
Hinweis auf einen Betrag in dreistelliger Millionenhöhe gegeben worden ist, der nur konkretisiert wird, wenn eine entsprechende Belohnung ausgelobt wird?
Herr Neumann, es wäre uns im Untersuchungsausschuß angenehm gewesen, wenn Sie die zwei Monate Zeit seit der Ankündigung Ihres Obmanns, Herrn von Bülow, bis heute dazu genutzt hätten, uns hier - auch in nichtöffentlicher Sitzung - ein wenig konkreter zu sagen, worum es wirklich geht. Ich meine, daß es nicht angeht, daß hier mit Spekulationen kriminalistische Zusammenhänge dargestellt werden, die wir überhaupt nicht nachvollziehen können. Sie können einen solchen Antrag nicht stellen - er ist mittlerweile einige Wochen alt -, ohne uns dies vorher wenigstens konkret mitzuteilen, sei es auch in nichtöffentlicher Sitzung, damit wir es nachvollziehen können. Nach unserem gegenwärtigen Erkenntnisstand liegt kein Anhaltspunkt vor, irgendwelche konkreten Geldverschiebungen in dem Maße, wie Sie sie darstellen, anzunehmen.
Lassen Sie mich noch etwas sagen, Herr Neumann. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ist schließlich für die Vermögenswerte des Bereichs KoKo und deren Verbleib die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität eingerichtet worden. Die Ermittlungen dieser Arbeitsgruppe haben nach den Ausführungen von Frau Limbach, der Senatorin für Justiz, ergeben, daß Schalck-Golodkowski über Vermögenswerte des Bereichs KoKo nach seiner Flucht nicht weiter verfügt hat. Der Vorwurf, Schalck-Golodkowski habe insoweit Beträge in Millionenhöhe veruntreut, habe sich in dem bisher geführten Ermittlungsbereich nicht bestätigt. Die Staatsanwaltschaft gehe weiteren Hinweisen auf Barverschiebungen nach, aber bislang auch ohne jedes Ergebnis.
Die Sprecherin der Berliner Justizverwaltung hat in einem Rundfunkinterview unmittelbar in Antwort auf Herrn von Bülow zur Frage möglicherweise noch vorhandenen DDR-Vermögens auf Konten im Ausland Stellung genommen. Danach gibt es bei den von der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität geführten Verfahren keine Anhaltspunkte dafür, daß noch Konten oder Geldanlagen vorhanden sind, auf denen sich Gelder der ehemaligen DDR befinden. Auf Nachfrage hat sie nochmals erklärt, daß es bei der Staatsanwaltschaft Berlin keine entsprechenden Erkenntnisse über Gelder gebe, die tatsächlich noch auf irgendwelchen Konten vorhanden seien. Immerhin hat die Berliner Justiz nach eigener Aussage Hunderte von KoKoKonten und ebenso viele Auslandsanlagen geprüft. Auch außerhalb des Schalck-Golodkowski-Verfahrens laufen Ermittlungen. Es gibt in Berlin im Zuge dieser Ermittlungsverfahren keine entsprechenden Anhaltspunkte.
Die vor allem von seiten der SPD genährte Spekulation, wie sie Herr Neumann hier ja, ohne Roß und Reiter zu nennen, eben im Grunde genommen wieder angedeutet hat, waren für die Justizsenatorin Limbach jedenfalls bislang keinerlei Anlaß, Belohnungen für die Aufdeckung möglicher weiterer Straftaten auszusetzen, schon gar nicht in dem Umfang, wie sie jetzt in dem Antrag der SPD angedeutet werden.
Es sollte daher wirklich zunächst geprüft werden, welche Überlegungen die Berliner Justiz in Richtung dieses SPD-Antrags angestellt hat und von welchen Gründen sie sich bei ihrer Entscheidung hat leiten lassen. Aus der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität sind keine Anregungen an den Bund bekannt, auf diesem Wege Anreize für die Wiederbeschaffung veruntreuten DDR-Vermögens zu schaffen.
Die bisherigen Ermittlungen und Erkenntnisse sollten aber auch Anlaß sein, die Finderlohnidee der SPD an den Realitäten zu messen. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß sich der Antrag der SPD zeitlich unbegrenzt an alle Personen richtet, die ursächlich zur Wiederaufspürung und Wiederbeschaffung veruntreuten Vermögens beitragen. Nach diesem Antrag sollen offenbar auch diejenigen begünstigt werden, die sich mit kriminellen Methoden an DDR-Vermögen bereichert haben. Ihnen würde dann, wenn man den Antrag wirklich wörtlich nähme, ein Teil ihres Vermögens verbleiben, das sie gerade veruntreut haben, wenn sie den anderen Teil der Bundesrepublik Deutschland zurückgeben. Es versteht sich von selbst, Herr Neumann, daß dieser Personenkreis seinen Beitrag zur Rückführung veruntreuten Vermögens erst nach Ablauf der entsprechenden strafrechtlichen Verjährungsfristen leisten wird. Sie müßten daher der Finderlohnidee noch eine Kronzeugenregelung hinzufügen, um die Dinge wesentlich voranzubringen. Über eine geeignete Kronzeugenregelung für die Aufdeckung von Finanzmanipulationen im DDRKoKo-Bereich können wir allerdings gerne reden; das wäre ein interessanter Ansatz, weil er über die Finderlohnidee weit hinausgeht und vielleicht auch erheblich sinnvoller wäre.
({0})
Bemerkenswert erscheint mir auch, daß sich nach dem SPD-Antrag die Belohnung ohne jede Kappungsgrenze nach dem Wert des wiederaufgefundenen Vermögens richten soll. Welche Höhe soll denn nach den Vorstellungen der SPD die Belohnung haben, wenn ein Hinweisgeber, wie Herr von Bülow behauptet, dazu beiträgt, daß ein Milliardenbetrag wiederaufgespürt werden soll? Vielleicht 10 % des Betrages? 1 %?
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Wie verträgt sich die Höhe der nach SPD-Vorstellungen auszuzahlenden Summe mit den Auslobungen der Justizbehörden, die üblicherweise z. B. für das Ergreifen eines Mörders ausgesetzt werden? 50 000 DM, 100 000 DM sind da schon eine absolute Obergrenze. Hier soll möglicherweise 1 % von 1 Milliarde ausgesetzt werden? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
Zusammenfassend stelle ich fest: Der Ausschuß Kommerzielle Koordinierung hat nach langer und intensiver Arbeit keine Anhaltspunkte dafür, daß Gelder, die offiziell durch die Bücher gelaufen sind, beiseite geschafft worden sind. Wir wissen jedoch nicht, was mit der Bewegung von Bargeld passiert ist. Mögliches konspiratives, kriminelles Verhalten einzelner KoKo-Eingeweihter wird nachträglich mit dem von der SPD vorgeschlagenen Weg kaum aufgedeckt
werden können. Die auf den ersten Blick hilfreich wirkende Idee der Aussetzung einer Belohnung stellt sich bei näherer Betrachtung doch als eher problematisch heraus.
Durch einen voreiligen Beschluß des Deutschen Bundestages dürfen jedenfalls nicht grundlos Erwartungshaltungen geweckt oder Spekulationen über mögliche Vermögensverschiebungen genährt werden. Der Beschluß sollte nur gefaßt werden, wenn er nach Auffassung der Strafverfolgungsbehörden, der Treuhandanstalt und des Bundesfinanzministers nach allen bisherigen Erfahrungen ein wirklich geeigneter und erfolgversprechender Weg ist. Der Antrag sollte daher mit diesem Petitum zunächst an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden.
Ich danke Ihnen.
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Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dr. Jürgen Schmieder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag „Belohnung für Rückholung veruntreuten DDR-Vermögens" berührt ein ebenso wichtiges wie delikates und aller Wahrscheinlichkeit nach einträgliches Anliegen. Gelegentlich liest man in Magazinen und Boulevardblättern von gigantischen Summen, die hier und da veruntreut worden sind. Der Kollege Volker Neumann hat vorhin einige Beispiele dafür genannt.
Die Aussichten auf Erfolge beim Aufspüren bzw. - was aus meiner Sicht noch wichtiger wäre - beim Wiederbeschaffen der insgesamt vermuteten und in der Praxis die Vermutung mit Sicherheit noch übersteigenden Summen sind sehr bescheiden. Die Vermutung, daß es sich um Riesenbeträge handelt, wird auch noch dadurch genährt, daß man auf die Vorgänge in der Übergangszeit der ehemaligen DDR verweist.
Sowohl in der Regierungszeit von Modrow als auch in der Regierungszeit von de Maizière hat es Bedingungen und Gelegenheiten gegeben, die dem zuträglich waren. Unter Modrow war man intensiv damit beschäftigt, die Spuren der Diktatur, so gut es auf die Schnelle ging, zu beseitigen. Einige Strukturen wurden pro forma aufgelöst und in den Untergrund verlagert. Es begann damit ein Bäumchen-wechseldich-Spiel.
Vor der ersten frei und demokratisch gewählten Regierung standen Fragen der Umgestaltung und Demokratisierung sowie der zügigen Ausgestaltung der Übergangsbedingungen bis hin zur deutschen Einheit im Vordergrund, so daß man sich nicht vorrangig um die Machenschaften der alten Genossen kümmern konnte, sich vielleicht gar nicht kümmern wollte. Ich hatte jedenfalls bei einigen Mitgliedern - vorwiegend Herren - der damaligen DDR-Regierung den Eindruck. Ihr Ehrgeiz, in diesem Bereich tätig zu werden, war jedenfalls nicht von großem Engagement gekennzeichnet. Wie sonst sind die Probleme bei der Einsetzung einer Kommission zu erklären, die sich mit dem Vermögen der Parteien beschäftigen sollte?
Zur personellen Besetzung dieser Kommission hat man damals über zwei Monate gebraucht, so daß den geschäftigten Leuten auf der anderen Seite genügend Zeit blieb, aktiv zu sein. Wenn es denn um solch hohe Summen geht, sollte das Interesse des Staates daran, möglichst viel davon wiederzubeschaffen, natürlich groß sein. Für Leute, die behilflich sein wollen oder können, einen Anreiz zu schaffen, halte ich diesen Antrag für einen nennenswerten Vorschlag. Das Mittel ist auf alle Fälle legitim. Es ist heute schon häufig Praxis, daß zur Aufklärung von Straftaten Prämien ausgesetzt werden, um die Strafverfolgungsorgane entsprechend zu unterstützen.
Nur bin ich eben der Meinung, daß diese Aufgabe im konkreten Fall nicht von der Bundesregierung übernommen werden kann. Vielmehr gehört die Aufgabe nach meiner Ansicht in den Aufgabenkatalog der Treuhandanstalt. Die Treuhand könnte im Rahmen der Abwicklungsaufgabe hier tätig werden. Der Antrag ist gut. Die Vorschläge, die der Kollege Gres eingebracht hat, sollten nicht zwischen Tür und Angel beraten werden. Ich denke, der Antrag kann in den nachfolgenden Ausschußberatungen entsprechend qualifiziert werden.
Danke.
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Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Normalerweise beschweren wir uns über kurze Redezeiten. Aber bei diesem Antrag bin ich geradezu froh, daß wir nur eine dreiminütige Redezeit haben.
Natürlich hat der Untersuchungsausschuß u. a. die Aufgabe gehabt, den Verbleib veruntreuten Vermögens zu klären bzw. Hinweisen nachzugehen und diese möglicherweise den zuständigen Behörden zu vermitteln. Ich halte aber das Mittel, das in diesem Antrag vorgeschlagen wird, für denkbar ungeeignet.
Der Kollege Gres - wobei ich glaube, daß dies auch etwas mit dem nachlassenden Interesse der CDU/ CSU-Fraktion an diesem Ausschuß zu tun hat - hat deutlich gemacht, daß bis jetzt selbst von seiten der AG Regierungskriminalität keine Anhaltspunkte vorliegen bzw. keine gefunden werden konnten. Im Grunde wird in diesem Antrag mit Summen, mit Beträgen, die in den Medien genannt werden, spekuliert. Hier gibt es aber offenkundig Probleme, dies tatsächlich zu belegen. Von Mitteln, die entweder dem Bundesfinanzministerium zustünden oder eine gemeinnützige Verwendung in den neuen Bundesländern fänden, eine Belohnung auszusetzen und diese am Vermögen zu orientieren - wobei auch noch die Bundesregierung aufgefordert wird, Haushalts13140
mittel zur Verfügung zu stellen -, halte ich für unzulässig, ungeeignet und absolut unpraktikabel.
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Wir kommen auch in anderen Bereichen - nehmen wir das Thema Rüstungsexporte - nicht auf die Idee, irgendwelchen Skandalen dadurch nachzugehen, daß wir die Bundesregierung auffordern, Belohnungen auszusetzen, obwohl dort vermutlich mehr zu holen und mehr aufzuklären wäre. Dies ist einfach nicht der richtige Ort. Wenn es zuständige Behörden und Beamte gibt - die gibt es en masse in Berlin, z. B. die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität und verschiedene andere Organe -, ist es deren Aufgabe, zu überlegen und zu erwägen, ob konkrete Anhaltspunkte vorliegen, es etwas zu erforschen gibt und möglicherweise eine solche Belohnung auszusetzen wäre.
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Das sollte man denen überlassen und meiner Ansicht nach nicht das Parlament damit beschäftigen. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Mittel in dieser Richtung zu verwenden. Ich halte den Antrag in diesem Fall für absolut ungeeignet.
Danke.
Vizepräsident Helmuth Becker Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist abweichend von dem in der Tagesordnung abgedruckten Überweisungsvorschlag vereinbart worden, die Vorlage - Drucksache 12/4102 - an den Ausschuß Treuhandanstalt - federführend - und an den Finanzausschuß und den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den letzten Punkt der Tagesordnung, Punkt 12, auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Andrea Lederer, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Hans
Modrow und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Zur Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik der Bundesregierung
- Drucksachen 12/2972, 12/4265 Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Zehnminutenrunde vereinbart worden. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort wiederum unserer Kollegin Andrea Lederer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt muß man sich zunächst einmal inhaltlich umstellen. Wir gehen nun sozusagen ein Stück zurück zum Thema Sicherheitspolitik und hier zum Komplex Abrüstung.
Die Bundesregierung ließ mehr als ein halbes Jahr verstreichen, ehe sie ihre Antworten auf unsere Große Anfrage vorlegte, und zwar eine Mischung von nebulösen Erklärungen, gezierten Auslassungen und euphorischem Wortgeprassel. Viel schlimmer aber ist, daß die Bundesregierung aus den grundlegenden Veränderungen in Europa völlig kontraproduktive Schlußfolgerungen zieht und, wie bereits die Debatte am Mittwoch zu den Bundeswehreinsätzen zeigte, ungeachtet der verfassungsrechtlichen Lage ohne Zustimmung des Bundestages auch durchzusetzen versucht.
Sogenannte deutsche Verantwortung wird von der Bundesregierung in erster Linie als weltweite Marschbefehle an deutsche Soldaten verstanden. Sie ist geradezu besessen von dem Gedanken, den Krieg als Mittel der Politik wieder salon- und kabinettsfähig zu machen.
Die Hauptelemente der von Minister Rühe neulich in London dargelegten neuen Strategie sprechen für sich. Die Strategie der präventiven Diplomatie bedeutet: keinerlei Beschränkung auf bisheriges NATO-Gebiet, Aufnahme osteuropäischer Staaten in die NATO außer Rußland, Aufstellung eines NATO-Interventionskorps. Es ist dabei zweitrangig, ob ein solches Auftreten im Ausland als wilhelminische Großmannssucht charakterisiert wird. Entscheidend ist, daß hier permanent gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Der Bundeskanzler unternimmt auch nichts, um dies zu unterbinden. Er will diese Politik.
Gewiß kann und soll man sich über die bisher erreichten substantiellen Abrüstungsverträge freuen. Die von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang verbreitete Euphorie ist allerdings ebenso fehl am Platze wie das penetrante Eigenlob. Beides entbehrt einer soliden Grundlage.
Abrüstung und Rüstungskontrolle standen bekanntlich über Jahrzehnte im Zusammenhang mit der Ost-West-Konfrontation. Die erreichten Ergebnisse können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wesentliche Ziele nicht erreicht wurden. Den noch zu realisierenden Ergebnissen des SALT/START-Prozesses steht eine Vervierfachung der Zahl der strategischen Kernsprengköpfe gegenüber. Das Regime der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen wird mehr und mehr untergraben. Konventionelle Abrüstung findet in erster Linie im Osten statt. Im Westen bedeutet sie in erster Linie Umrüstung und Modernisierung für eine neue NATO-Strategie.
Die NATO ist inzwischen doppelt so stark wie die einstigen Gegner in Osteuropa einschließlich Rußlands. Die Bundesregierung hat an den Reduzierungen nur deshalb einen höheren Anteil, weil ihr die Waffen der ehemaligen NVA zugeschlagen worden sind. Diese Beispielkette ließe sich ohne Probleme fortsetzen. Die bisherigen Ergebnisse der Abrüstung sind kein Produkt einer Stabilisierung der Weltsituation, sondern in erster Linie Ergebnis des Zerfalls einer Supermacht und damit des Endes des Ost-West-Konflikts. Sie bedeuten schon gar nicht, wie man weiszumachen versucht, den Beginn einer neuen Weltordnung der Zusammenarbeit.
Die Bundesregierung denkt nicht daran, den qualitativen Zuwachs militärischer Macht einzuschränken.
Sie betreibt eine Umrüstung im großen Stil. Muß eine Modernisierung der Panzerkampftruppe sein, obwohl es nach Aussagen selbst namhafter Militärs keine militärische Begründung dafür gibt? Es bleibt weiterhin bei der atomaren Abschreckung, auch wenn sie künftig mit der Charakterisierung „minimal" schönfärberisch als weniger schrecklich ausgegeben wird. Es wird verborgen, daß die Bundesregierung die Aufrüstung jedenfalls nicht im nennenswerten Umfang gestoppt hat, eine Aufrüstung, die zu Zeiten eines intakten Warschauer Paktes und des ungebrochenen Feindbildes einer hochgerüsteten Sowjetunion beschlossen wurde.
Es bleibt eine Tatsache: Die Bundesregierung setzt gegenüber dem Osten wie dem Süden nach wie vor auf Abschreckungs- und Interventionsfähigkeit, nennt es aber scheinheilig Bündnis- und Europafähigkeit. Es rundet dieses Bild nur ab, wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr das Wieder-Vertrautmachen der Soldaten mit dem Tod zu einem Führungsschwerpunkt erhebt und wenn Abgeordnete dieses Bundestages die Teilnahme der Bundeswehr an künftigen Landoperationen im ehemaligen Jugoslawien fordern. Damit sind die Probleme nicht zu lösen, da das nicht zu den Ursachen der Kriege im Süden und im Osten vorstößt. Damit können weder das Entstehen neuer Konflikte noch ihre befürchteten Auswirkungen verhindert werden.
Besonders wichtig ist, den jetzt eingeleiteten nuklearen Abrüstungsprozeß zu vertiefen und zu beschleunigen sowie durch energische Kontrollmaßahmen zur Verhinderung der Weiterverbreitung dieser Waffen und durch ein Verbot der Entwicklung neuartiger Waffen zu ergänzen.
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Hier ist zu fragen, ob und wie die Bundesrepublik als einer der bedeutendsten Nichtkernwaffenstaaten ihren Einfluß geltend machen wird und vor allem, wie sie auch innenpolitisch eine solche Absicht tatsächlich zum Ausdruck bringen will. Ich fordere hier nochmals auf, endgültig in Betracht zu ziehen und auch in die Wege zu leiten, ein solches Verbot verfassungsrechtlich zu verankern.
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Aus unserer Sicht sind die gegebenen Antworten völlig unzureichend. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in der NATO für einen Beschluß über den Nichtersteinsatz von Kernwaffen einzusetzen und bei der Stärkung des Regimes der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen voranzugehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Chance, die sich mit dem bevorstehenden Abschluß des Abzuges der ehemaligen Sowjetarmee im Jahre 1994 bietet, zu nutzen und die Initiative zu einem kernwaffenfreien Gesamtdeutschland zu ergreifen, als erster Schritt hin zu einem kernwaffenfreien Europa. Die immer noch vorhandenen 700 amerikanischen Kernwaffen auf deutschem Boden sind durch keinerlei aktuelle oder absehbare Bedrohungs- oder Risikoanalysen zu rechtfertigen.
Warum tritt die Bundesregierung nicht immer wieder auftauchenden Behauptungen entgegen, der
Bundeskanzler habe gegenüber dem amerikanischen Präsidenten signalisiert, sein Land werde sich an jenem geplanten hochmobilen, angeblich totalen Raketenabwehrsystem beteiligen, das auch Expeditionskorps überall in der Welt unangreifbar machen soll? Wird die Bundesregierung der drohenden Aushebelung des ABM-Vertrages weiter tatenlos zusehen? Gerade im nuklearen Bereich scheut die Bundesregierung jede öffentliche Debatte wie der Teufel das Weihwasser.
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Wenn sie denn Stellung nimmt, wird eher der Verdacht erhärtet, daß sie sich in dieser oder jener Form die nukleare Option offenhält.
Wir wiederholen deshalb unsere Forderung, den ausdrücklichen Atomwaffenverzicht in das Grundgesetz aufzunehmen. Wenn Sie hier „Falsch! Falsch!" brüllen, dann könnten Sie diesem Vorschlag einmal folgen und beispielsweise selbst eine solche Initiative ergreifen.
Ebenso deutlich wird das an dem Bemühen der Bundesregierung um eine gewisse Autarkie im Bereich der Aufklärung. Ich erinnere an das Stoppen des Lapas-Projektes. Ich muß zu meinem Bedauern mitteilen, daß die Antwort auf eine Kleine Anfrage von mir zum Bereich der militärischen Aufklärung als VS-vertraulich eingestuft wurde, obwohl ich der Meinung bin, daß die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, was die Bundesregierung weiterhin in diesem Bereich plant, nachdem das Projekt Lapas gestoppt ist. Ich denke, wir werden uns in den Ausschüssen damit zu beschäftigen haben.
Die Antworten der Bundesregierung zum Thema Rüstungsexport lesen sich allerdings wie die Beurteilung eines Musterschülers, der leider keiner ist. Mit keinem Wort wird erwähnt, wie es geschehen konnte, daß deutsche Firmen entscheidenden Anteil an der Aufrüstung des Irak - und nicht nur dieses Staates - auf dem Gebiet der konventionellen Waffen und der Massenvernichtungswaffen hatten. Ebenso unerwähnt bleibt der maßgebliche Anteil deutscher Firmen an der Aufrüstung des Balkans. In 186 Fällen des Embargoverstoßes wird derzeit ermittelt.
Die Bundesregierung begründet ihre Absicht, deutsche Soldaten auf Kriegsschauplätze überall in der Welt zu entsenden, mit einer gewachsenen weltpolitischen Verantwortung. Sie muß sich aber fragen lassen, warum gerade diese Verantwortung nicht dazu führt, deutsche Waffenexporte in alle Teile der Welt zu drosseln.
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Deutschland ist inzwischen nach offiziellen SIPRIAngaben innerhalb kürzester Zeit zum Waffenexpor13142
teur Nummer drei aufgestiegen. Die Entwicklungshilfe dagegen hat mit 0,37 % des Bruttosozialproduktes einen Rekordtiefstand erreicht, obwohl der Bundeskanzler auf der UN-Umweltkonferenz in Rio ganz andere Versprechungen abgegeben hat.
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- Können Sie eigentlich auch zuhören oder nur brüllen?
Auch die Erreichung des von der Bundesregierung erklärten Zieles, den deutschen CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2005 um ein Viertel zu senken, ist in weite Ferne gerückt. Deutschland ist heute der fünftgrößte Verursacher von Kohlendioxidemissionen.
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Hier liegen Bereiche, in denen die Bundesrepublik endlich auf humanitärem und nichtmilitärischem Gebiet eine gewachsene Verantwortung wahrnehmen kann. Das genau hat es mit dem Thema Waffenexport und Atomwaffen zu tun. Wenn man eine derartige weltweite Verantwortung wahrnehmen würde, könnte ich sagen: Dadurch würde das Ansehen unseres Landes wachsen. Das wird aber nicht praktiziert. Es ist klar: Sie wollen es politisch nicht.
Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß der Ausweg aus der heutigen friedensbedrohlichen Situation nur mit nichtmilitärischen Mitteln erreichbar ist, so z. B. durch den Aufbau stabiler Kooperationsbeziehungen nicht nur mit dem Osten, sondern auch mit dem Süden, mit dem es bisher so gut wie überhaupt keine gemeinsamen Strukturen gibt. Nötig sind Zusammenarbeit und Entmilitarisierung. Nötig ist ein Instrumentarium vorausschauender Konfliktverhinderung und friedlicher Streitschlichtung. Nötig ist vor allem eine gerechtere Weltwirtschaftsordung. Nötig sind humanitäre Aktivitäten nichtmilitärischer Art.
Wir haben unsere Überlegungen in einem Entschließungsentwurf vorgelegt, der heute zur Abstimmung steht und für den wir vermutlich vergeblich um Zustimmung bitten. Deshalb ist das Wichtigste ein Abrüstungsdruck von unten, nicht nur in Richtung Osten - wie hier immer behauptet wird -, sondern vor allem gegen die hochgerüsteten NATO-Staaten und zuallererst hier im Lande gegen eine Militarisierung der Außenpolitik, die diesen fatalen Kurs fortsetzt.
Ich danke.
({6})
Frau Kollegin Lederer, Zwischenrufe sind natürlich gestattet, soweit sie nicht überhandnehmen.
({0})
Nun hat als nächster das Wort unser Kollege Dr. Harald Schreiber.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es kommt nicht immer allein darauf an, wonach man fragt, sondern auch, wie man es tut.
({0})
- Auch. - Eine Zusammenfassung der insgesamt 25 Fragen der Gruppe PDS/Linke Liste, die von der Bundesregierung in der Drucksache 12/4265 beantwortet wurden, scheint mir insgesamt folgendes zu ergeben: Zunächst wird versucht, die KSZE gegen die NATO auszuspielen und eine Schwächung der NATO zu fordern. Danach geht es um Zweifel an der Abrüstungspolitik der Bundesrepublik, wie wir sie eben hier auch von der Kollegin Lederer gehört haben.
Man möchte Abrüstung um jeden Preis. Dabei ist es recht interessant festzustellen - ich will es bei der Feststellung bewenden lassen und auf jeden Kommentar verzichten -, daß oft gerade diejenigen, die sich einerseits für die Erhaltung aller Arbeitsplätze und sämtlicher Standorte der Stahlindustrie einsetzen, gleichzeitig diejenigen sind, die am liebsten alle alten Waffen und Waffensysteme verschrotten und keinerlei neue anschaffen möchten. Es wäre lohnend, über den Zusammenhang dieser Dinge einmal separat und ernsthaft nachzudenken.
({1})
Nun aber zum eigentlichen Problem.
Erstens. Die vielfältigen Informationsveranstaltungen, die fast ständig von sehr unterschiedlichen Gremien angeboten wurden und werden, zeigen, was die Bundesregierung auch expressiv verbis sagt: Niemand denkt daran - wie es in den Fragen unterstellt wird -, die Bedeutung der KSZE und ihrer Organe einzuschränken. Im Gegenteil: Die Bundesrepublik hat wesentlich dazu beigetragen, die politische Handlungsfähigkeit der KSZE zu stärken und sie als „Schlüsselelement der europäischen Architektur" - so die Bundesregierung - zu betrachten. Das bedeutet auch, die KSZE von einem Dialogforum, das sie 1975 war, weiterzuentwickeln zu einem Element zur Schaffung eines „einheitlichen Rechts- und Demokratieraumes". Das ist in der vorliegenden Drucksache ausführlich nachgewiesen.
Zweitens. Diese Entwicklung kann aber nicht bedeuten, die NATO überflüssig zu machen oder auch nur zu schwächen. Wenn unter Nr. 5 gefragt wird, ob „der bisherige militärische Charakter der NATO aufgegeben" werde, so verbirgt sich hinter dieser Frage eine gefährliche Tendenz. Die NATO hat in der Vergangenheit ihre Aufgaben, auch die der Abschreckung, bestens erfüllt. Gerade deswegen hat man ja zur Zeit des Warschauer Paktes von dort aus versucht, sie zu verteufeln.
Ober solche Versuche sollten wir heute endgültig hinaus sein: Die NATO bleibt notwendig, solange in der politischen Entwicklung Europas und der Welt noch Unsicherheiten bestehen, und das ist nach wie vor der Fall. Sie bleibt auch notwendig als Brücke zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, auf die wir nicht verzichten können. Deshalb wird in der Tat der militärische Aspekt des Bündnisses auch in Zukunft seine Bedeutung zur
Gewährleistung der Sicherheit seiner Mitglieder behalten.
Ich gehöre selbst zu denjenigen, die schon zu Beginn des Auseinanderbrechen des Warschauer Paktes, also 1990, auch im Gespräch mit Parlamentariern aus den Staaten Mittel- und Osteuropas betont haben, daß die NATO von Anfang an neben ihrem militärischen auch einen wichtigen politischen Aspekt besaß und daß es darauf ankommt, ihn unter den heute gegebenen politischen Bedingungen zu stärken als ein nicht zu unterschätzendes zusätzliches Element des Nordatlantischen Bündnisses, aber nicht auf Kosten seiner sicherheitspolitischen Kompetenz.
Die Kooperation mit Staaten, auch unterhalb der Schwelle einer Mitgliedschaft, findet großes Interesse gerade in den Staaten Mittel- und Osteuropas und ist als Aufbau einer Sicherheitsarchitektur auch innerhalb des europäischen Einigungsprozesses allgemein von großer Bedeutung.
Was nun drittens die Abrüstung betrifft, so ist auch die CDU/CSU-Fraktion davon überzeugt, daß sie notwendig ist und so weit gehen sollte, wie es Sicherheitsinteressen nur zulassen. Diesen Standpunkt hat auch der Verteidigungsminister immer wieder in aller Deutlichkeit betont.
In diesem Zusammenhang ist zunächst die Kontrolle der Rüstung wichtig. Der START-I-Vertrag behält seine Bedeutung auch nach der am 3. Januar 1993 erfolgten Unterzeichnung des START-II-Vertrages zwischen den USA und Rußland über die Reduzierung der Gesamtzahl der strategischen Nuklearwaffen auf beiden Seiten auf etwa ein Drittel des heutigen Bestandes uneingeschränkt bei. Es sind positive Zeichen, daß erstens bisher auch drei nichtrussische Republiken, nämlich die Ukraine, Kasachstan und Belarus, die Verpflichtungen von START I übernommen und damit die Denuklearisierung dieser Republiken eingeleitet haben und daß zweitens der START-Vertrag insgesamt auch Teile der Seestreitkräfte mit einbezieht.
Unter das Stichwort Abrüstung gehört aber auch all das, was die Bundesregierung zur Reduzierungsverpflichtung sagt und was auch von der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich begrüßt wird.
Dazu noch zwei Gesichtspunkte: Die begrüßenswerte und vertragsgemäße Reduzierung der Anzahl von Waffen und Waffensystemen darf selbstverständlich nicht über die Notwendigkeit hinwegtäuschen, den verbleibenden Bestand ständig auch auf moralischen Verschleiß zu überprüfen und zu modernisieren. Wie immer ein neues Jagdfiugzeug heißen wird, welche neuen technischen Systeme die Bundeswehr übernehmen oder einführen wird - sie müssen dem neuesten Stand der Entwicklung entsprechen. Wie sonst könnten wir von Wehrpflichtigen, von Angehörigen der Bundeswehr überhaupt verlangen, die Verteidigungsaufgaben zu übernehmen, die ihrem Status und ihrer Verantwortung entsprechen? Wie könnten wir den Einsatz der Bundeswehr wie und wo auch. immer den Eltern und Angehörigen der Soldaten gegenüber rechtfertigen, wenn wir den Soldaten eine veraltete Ausrüstung mit allen Risiken, auch dem der
möglichen technischen Überlegenheit eines eventuellen Gegners, zumuten wollten?
Bei der Aufrechnung der Waffenreduzierungen durch die Bundesrepublik würde ich allerdings eine Ergänzung begrüßen. Ich zitiere aus der eingangs genannten Drucksache, Seite 8:
Diese Reduzierungsverpflichtung kann vertragsgemäß durch den Transfer von Geräten an NATO-Staaten verringert werden. Erfüllt werden kann sie durch Zerstörung oder weitere Verfahren, von denen die Verbringung in ortsfeste Ausstellungen sowie die Verwendung als Hartziele genutzt werden sollen.
Ich bedauere es, daß an dieser Stelle von der Möglichkeit der Konversion nicht die Rede ist. Nichtregierungsorganisationen - ich nenne nur FOCOM - haben auch in der Bundesrepublik hierfür nicht allein Vorschläge unterbreitet, sondern auch praktische Beispiele vorgestellt. Wenn die Bundesregierung selbst Konversionsmöglichkeiten prüfen und als „weitere Verfahren" nutzen würde, käme gewiß die Erkenntnis heraus, daß die sinnvolle Konversion unter Umständen billiger, mit Sicherheit aber nicht wesentlich teurer wäre als die Zerstörung von Waffen und Waffensystemen mit dem hohen Anfall nicht wiederverwendbarer und schwer zu entsorgender Stoffe.
Ich fasse zusammen: Die Abrüstung wird in der Bundesrepublik vertragsgemäß weitergeführt. Die Bundesregierung leistet wirksame Beiträge zur Weiterführung des Systems der KSZE. Die NATO muß erhalten und ihrer Bedeutung entsprechend weiter gefestigt werden, weil sie für die Sicherheit in Europa und der Welt unverzichtbar ist. Darüber sollten auch die Fragesteller wohl einmal grundsätzlich nachdenken, statt sich darauf zu beschränken, alte und längst überholte Vorurteile lediglich neu zu ordnen.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die CDU/ CSU-Fraktion den vorliegenden Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste ablehnt, weil er weitgehend von falschen Behauptungen ausgeht und den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik und unseres Bündnisses nicht gerecht wird.
Danke schön.
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Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Katrin Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schreiber, Ihr Bezug auf das berühmt-berüchtigte Jagdflugzeug hat doch eher damit zu tun, daß die Politik hier dem militärischen und industriellen Druck unterliegt, als mit der Notwendigkeit, Sicherheit für unsere jungen Wehrpflichtigen zu schaffen. Überlegen Sie sich da bitte ein paar stichhaltigere Argumente. Das zieht nun überhaupt nicht.
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS/Linke Liste enthält nach meinem Ermessen keine neuen Erkenntnisse. Wir haben alle
Katrin Fuchs ({0})
Themen im Unterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle intensiv und mehrfach diskutiert. Wir Sozialdemokraten haben auch eine Reihe von ausführlichen Anträgen zur nuklearen Abrüstung, zur Einstellung von Atomtests, zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und auch sehr präzise und umfängliche Anträge zur Fortsetzung der konventionellen Abrüstung im Rahmen der KSZE vorgelegt. Leider sind alle unsere Anträge von den Regierungsfraktionen mit schlechten Begründungen abgelehnt worden.
({1})
Wir messen Ihre Abrüstungspolitik natürlich an unseren Vorstellungen, und da sieht es bei Ihnen nicht so gut aus.
Wir wollen eine Reduzierung der konventionellen Waffen, die erheblich unter die Obergrenze des KSE-Vertrages geht. Die Personalstärke der Bundeswehr muß mittelfristig weit unter die Zahl von 370 000 abgesenkt werden. Wir wollen die Streitkräfte so umstrukturieren, daß sie ausschließlich auf die Defensive ausgerichtet sind. Dazu liegen von uns massenweise Anträge vor.
({2})
- Herr Feldmann, mit dem zur Zeit stattfindenden Aufbau schneller Eingreiftruppen bei NATO und WEU wird genau das Gegenteil gemacht. Unsere Streitkräfte werden offensiv ausgerichtet.
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Dann, Herr Feldmann, bleibt es auch nur eine Floskel, wenn die Bundesregierung schreibt: Es bleibt auch notwendig, offensiv einsetzbare militärische Macht einzugrenzen. - Das zu sagen und das andere zu tun ist das Gegenteil von Wahrhaftigkeit.
Der Auftrag der Streitkräfte der NATO wird gegenwärtig grundlegend geändert. Daß mit diesem Riesenkontingent an sogenannten Krisenreaktionsstreitkräften, welches die elegantere Formulierung ist, die Südflanke der NATO geschützt werden soll, ist doch nur Augenwischerei. Die NATO ist ihren Anrainerstaaten drückend überlegen. Volker Rühe ist da ganz deutlich geworden. Er sagt, die Allianz müsse Krisenmanagement ohne geographische Beschränkungen betreiben. Wenn in diesem Zusammenhang auch von der Sicherung der Rohstoff- und Energieversorgung der Industrieländer die Rede ist, drängt sich mir der Schluß auf - und das ist eine wirklich ernste Sache -, daß offensichtlich ein Signal an die Länder des Südens gesetzt werden soll, daß sich die reichen Industrienationen die nötigen Interventionsinstrumente zulegen, um gegebenenfalls unbotmäßiges Verhalten abstrafen zu können.
({4})
Das halte ich für einen Riesenskandal und eine wirklich schlimme politische Tendenz, die auch bei uns in der Bundesrepublik bereits vorhanden ist.
({5})
Auch der Auftrag der Bundeswehr wird gegenwärtig neu bestimmt. Bei der Marine ist das besonders augenfällig.
({6})
- Beschäftigen Sie sich einmal mit diesen Sachen!
({7})
Statt küstennaher Verteidigung zum Schutz des Heimatterritoriums wird die Fähigkeit zur weltweiten Intervention geplant, um die Handelswege für die Exportnation Deutschland zu sichern.
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- Herr Würzbach, lesen Sie doch einmal die Dokumente durch, die von Ihren Leuten auf der Hardthöhe und von woanders gekommen sind.
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-Wir verkleinern die Marine, aber statten sie auf eine andere Weise aus, mit hochseefähigen Schiffen, mit Versorgern, die weltweite Verbindungen sicherstellen sollen. Das ist eine total neue Ausrichtung der Marine. Beschäftigen Sie sich einmal damit, und dann reden wir wieder darüber.
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- Sie haben offensichtlich keine Anhnung. Dann hat es keinen Sinn.
In der Debatte am Mittwoch klang auf Regierungsseite immer wieder an, die NATO als intaktes Militärbündnis habe die Aufgabe, für Stabilität und Ordnung zu sorgen, und zwar, wenn es sein müsse, auch weltweit. Nicht nur, daß das nicht der Auftrag der NATO ist, sondern dies hat auch mit den Realitäten, wie wir sie heute vorfinden, überhaupt nichts zu tun.
Langfristig stabile Verhältnisse, Herr Staatsminister, sind nicht mit Waffengewalt zu erreichen - in Angola nicht, auch nicht in Kambodscha, nicht in Südafrika, auch nicht in Jugoslawien. Auf Militärinterventionen läßt sich nach unserer festen Überzeugung kein dauerhafter Frieden gründen. Oder glauben Sie wirklich, daß man Frieden herbeibomben kann?
({11})
Die NATO verfügt über Soldaten und Waffen. Wir brauchen heute im wesentlichen ganz andere Instrumente zur Wahrung und Herstellung stabiler VerhältKatrin Fuchs ({12})
nisse. Dafür müssen die Einrichtungen zur vorbeugenden Konfliktverhütung gestärkt werden, was ja Ihre Regierung auch will, wenn Sie die Dokumente lesen. Zum Beispiel muß die Institution der KSZE gestärkt werden, und es müssen neue Institutionen hinzukommen. Wir setzen auf Kooperation, wirtschaftlichen Ausgleich, wirtschaftliche Integration und wollen uns vor allem den Konfliktursachen zuwenden, praktisch und nicht nur rhetorisch.
Auch die Bundesregierung spricht ja ständig davon, daß die Risiken der heutigen Entwicklung überwiegend nichtmilitärischer Natur seien, denen man vor allem mit zivilen Mitteln zu Leibe rücken müsse. In der Praxis wird diese Einsicht leider ins Gegenteil verkehrt. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind inzwischen deutsche Soldaten an militärischen Einsätzen außerhalb des NATO-Territoriums, außerhalb des NATO-Auftrages tätig. Ich halte das für einen absoluten Skandal, eine absolute Zäsur in der sich sehr begrenzenden und sehr beschränkenden Haltung und Rolle der Bundeswehr.
Der Aufbau der Krisenreaktionskräfte wird im übrigen - das muß man auch beachten - ungeheuer teuer werden. Allein das Rapid-Reaction-Corps der NATO soll über 150 000 Mann umfassen. Neue Waffen sollen und müssen offensichtlich beschafft werden. Auf diese Weise wird natürlich die Friedensdividende verspielt, die wir für die Lösung der wirklichen Probleme, der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen, so dringend brauchen würden.
Weil die Bundesregierung die interventionistische Kehrtwende der NATO mitmacht, wirkt sie auch bei der konventionellen Abrüstung nicht als Motor. Die Verhandlungen innerhalb der KSZE über den Abbau der konventionellen Streitkräfte treten leider auf der Stelle. Die Reduzierung der Streitkräfte und der Großwaffensysteme ist zu einer nachrangigen Frage geworden.
({13})
- Herr Würzbach, wir haben darüber im Unterausschuß gesprochen. Im Entwurf der NATO-Staaten für das Verhandlungsmandat steht: Zum gegebenen Zeitpunkt könnten, soweit erforderlich, weitere Abrüstungsschritte verhandelt werden. Als ob es an einem Erfordernis überhaupt irgendeinen Zweifel geben könnte!
Die Bundesregierung sollte sich auch nicht hinter abrüstungswilligen anderen verschanzen. Ein Blick auf die hiesige Bundeswehrplanung genügt ja: Weil das Geld knapp geworden ist, aber nur deswegen, werden weitergehende Abrüstungsschritte erwogen.
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Was ist die Reaktion, was passiert? Bereits jetzt lamentieren Vertreter der Koalition, mit 370 000 Soldaten sei die gerade noch vertretbare Untergrenze erreicht.
Es ist auch pure Augenwischerei, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort schreibt, daß sich die Allianz an das sicherheitspolitische Umfeld angepaßt und damit verdeutlicht habe, daß sie in Zeiten des Wandels auf neue Herausforderungen die richtigen Antworten zu geben vermag.
Die deutsche Politik sollte nicht besserwisserisch den Partnern in der Allianz sagen, wo es langgeht. Aber wenn gesehen wird, daß es eine falsche Entwicklung ist, zum Teil unheilvoll, dann muß die Regierung auch in der Lage sein, nein zu sagen.
Wenige Bemerkungen zur Frage der Atomwaffen. Die NATO hält an der nuklearen Abschreckung fest. Atomwaffen werden für die vorhersehbare Zukunft eine entscheidende Rolle behalten, heißt es in fast allen Kommuniqués. Welche Rolle sie spielen sollten, ist mir total unklar. Während des Kalten Krieges sollten sie im Ost-West-Verhältnis Kriege verhindern. Der hochgerüstete Gegner ist zusammengebrochen, die Kontrahenten aus der Zeit des Kalten Krieges sind heute Partner. Dieser Punkt entfällt also.
Wenn wir einen Blick auf die Nachfolgestaaten der Sowjetunion werfen, bleibt nur eine Konsequenz: Kernwaffen sind mehr denn je ein extrem gefährlicher Unsicherheitsfaktor in der internationalen Politik. Auch ihre Funktion, die konventionelle Überlegenheit des früheren Warschauer Paktes auszugleichen, ist ja abhanden gekommen. Also: Je eher sie vollständig abgerüstet werden, desto besser.
Ich habe neulich etwas Interessantes gelesen. Ihr Kollege Alfred Dregger hat recht, finde ich, wenn er zu der Auffassung gelangt, militärische Strategie dürfe nie mehr den Einsatz von Atomwaffen vorsehen, auch nicht als Ultima ratio; gegen sogenannte Desperados soll ein Minimalbestand da sein, allerdings - das finde ich ganz interessant und wesentlich - unter der Kontrolle der Vereinten Nationen.
Wir wollen die Atomwaffen gänzlich abschaffen. Aber dieser neue Gedanke, der von Herrn Dregger formuliert worden ist, ist immerhin eine Idee, mit der man sich beschäftigen sollte.
({15})
- Ich bitte Sie, ich akzeptiere doch alle neuen Erkenntnisse und freue mich über neue Einsichten. Herr Dregger formuliert hier immerhin eine Idee, wie der drohenden Weiterverbreitung von Atomwaffen begegnet werden könnte.
Ich würde gerne wissen, wie die Bundesregierung dazu steht. Ich hoffe, daß ich nicht sagen muß: Viel Konstruktives ist nicht zu erwarten. Aber das wäre doch wirklich einmal ein Ansatzpunkt.
({16})
Ein anderer absurder Aspekt, finde ich, ist, daß die Bundesregierung den in Europa stationierten Nuklearwaffen eine wesentliche Rolle bei der Friedenserhaltung zubilligt und dann einen geradezu aberwitzigen Satz schreibt:
Katrin Fuchs ({17})
Die substrategischen Nuklearsysteme sind weiterhin das notwendige politische und militärische Bindeglied ... zwischen den europäischen und den nordamerikanischen Verbündeten.
({18})
- Das steht in allen Ihren Papieren. Das hat die Bundesregierung geschrieben, auch im Abrüstungsbericht. Ich kann Sie nur auffordern, das zu lesen. Ich zitiere hier korrekt.
Wenn dieses Bündnis Atomwaffen braucht, um Freundschaften aufrecht zu erhalten, finde ich das schon ziemlich skandalös.
Ein ganz kurzer letzter Punkt. Wenn erklärt wird, die Rüstungsexportpolitik sei restriktiv - so die Bundesregierung -, dann stimmt das nur zum Teil. Es ist schon gesagt worden, daß wir 1991 auf Platz drei der „Rüstungsexport-Hitliste" gelangt sind.
Ich will einen Gedanken vortragen, der mir große Sorge bereitet, Herr Staatsminister. Es ist seit kurzem der Verdacht im Raum, daß deutsche Firmen wieder Komponenten für Großwaffensysteme an den Iran liefern. Ich habe mich vielfältig erkundigt, nicht nur in der Bundesrepublik, und der Verdacht scheint sich zu erhärten. Ich würde gerne wissen, welche Aufschlüsse Sie uns hier geben können und was Sie zu tun gedenken.
Für mich ist es eine ganz unerträgliche Vorstellung, daß wir in eine ähnliche Situation geraten könnten wie im Golfkrieg, als das Land Israel mit Waffen bedroht wurde, die mit Hilfe deutscher Firmen hergestellt wurden. Dies ist nicht auszuschließen. Wir wissen, wie sich die Entwicklung im Iran darstellt. Ich mache hierauf aufmerksam und bitte sehr damm, bei passender Gelegenheit Auskunft zu geben und das Richtige zu tun.
Wir haben eigentlich keine Alternative dazu, nicht nur den Waffenhändlern das Handwerk zu legen, sondern auch dafür zu sorgen, daß staatliche Politik dazu beiträgt, den internationalen Rüstungshandel auszutrocknen. Fangen wir damit an, Rüstungsexporte nur noch im Rahmen der NATO-Mitglieder zuzulassen und Endverbleibsklauseln bei internationalen Rüstungskooperationen einzuführen, die wir zigmal gefordert haben, die Sie aber immer abgelehnt haben.
Mein letzter Satz: Die Bundesregierung spricht ständig von der radikal veränderten Sicherheitslage. Aber sie hat kein Konzept für eine dieser Lage angemessene Abrüstungspolitik. Das ist bedauerlich.
Dem Antrag der PDS werden wir nicht zustimmen, weil wir, wie Sie am Mittwoch gehört haben, durchaus dafür sind, daß deutsche Soldaten sich an BlauhelmAktionen der Vereinten Nationen beteiligen, und weil die übrigen Punkte, denen wir in weiten Teilen zustimmen, in unseren Anträgen mindestens so ausführlich - ich denke: noch ausführlicher - behandelt worden sind.
Ich danke Ihnen.
({19})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Dr. Olaf Feldmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die F.D.P. stelle ich fest: Die Ergebnisse der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik der Bundesregierung können sich sehen lassen. Das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung ist durchaus eine Erfolgsstory.
({0})
Die Abrüstung erfolgt schneller, als sie in den Jahresabrüstungsberichten nachvollzogen werden kann. Mittlerweile ist auch der START-II-Vertrag unterzeichnet warden. Es wird in Zukunft keine landgestützten Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen mehr geben. Die Gesamtzahl der Nuklearsprengköpfe der ehemaligen Sowjetunion sowie der USA wird von derzeit jeweils ca. 10 000 auf in Zukunft ca. 3 000 weiter reduziert werden. - Ist dies alles nichts, Frau Lederer? Darüber gehen Sie einfach mit links hinweg.
Auch Ihre skeptische Frage bezüglich der Chemiewaffen ist erfreulicherweise durch die politische Entwicklung längst beantwortet. Mit dem Abschluß der Chemiewaffenkonvention wird diese Kategorie von Massenvernichtungswaffen komplett geachtet. In Deutschland gibt es schon lange keine Chemiewaffen mehr. Das ist doch wohl mehr als ein nur bescheidenes Ergebnis.
Ich möchte festhalten: Unsere Abrüstungsbilanz kann sich sehen lassen. Die F.D.P. ist stolz auf das Erreichte.
({1})
Wir werden diese Abrüstungspolitik Schritt für Schritt fortsetzen und ausbauen.
Allerdings ist es mit dem politischen Willen zur Abrüstung und vielen Verträgen allein nicht getan. Die USA und die GUS-Staaten stehen jetzt vor der gewaltigen Aufgabe, ihre beispielhaften Abrüstungsverpflichtungen in die Praxis umzusetzen. Dabei sind die Nachfolgestaaten der Sowjetunion überfordert, sowohl in finanzieller als auch in technischer Hinsicht. Sie sind auf unsere Unterstützung, auf die Unterstützung des Westens angewiesen.
Dies liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Wir müssen Know-how und auch finanzielle Mittel dafür bereitstellen.
({2})
- Ich freue mich, daß auch die Haushälter in der ersten Reihe klatschen. - Diese Hilfe liegt in unserem eigenen Interesse.
Ein besonders sensibler Bereich ist die nukleare Proliferation. Sie stellt eine erhebliche Friedensgefährdung dar. Mit der nuklearen Abrüstung ist die Gefahr der Weiterverbreitung sowohl von spaltbarem Material wie auch von Know-how deutlich gestiegen. Darüber hinaus bemühen sich mehr und mehr Staaten, vor allem aus der Dritten Welt, darum, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen. Dem muß entschieden entgegengewirkt werden.
Der Nichtverbreitungsvertrag muß gestärkt werden, und die Bereitschaft zum Beitritt muß erhöht werden: erstens durch nukleare Sicherheitsgarantien der Atommächte für Staaten der früheren Sowjetunion und der Dritten Welt, zweitens durch Erhöhung der Überprüfbarkeit, drittens durch bessere personelle und materielle Ausstattung der IAEO, viertens durch eine Reform ihrer Inspektionskriterien - ich glaube, die ist schon lange überfällig; wir haben uns im Ausschuß darüber ja schon unterhalten -, fünftens durch konsequente Anwendung harter Sanktionen bei Verstößen bis hin zu einer Sicherheitsratsentschließung auf der Basis des Art. 34 der UN-Charta.
({3})
- Das ist ein besonders krasser Fall, Herr Kollege Würzbach.
Besondere Aufmerksamkeit verdient ein weiteres Kapitel, nämlich das der Rüstungsexportkontrolle. Aber wer wie die Fragesteller hier mit Unterstellungen, fast mit Falschaussagen arbeitet, erweist der Sache, Frau Lederer, einen schlechten Dienst. Sie haben ein groteskes Zerrbild deutscher Außen- und Sicherheitspolitik in schwarzen, düsteren Farben gemalt. So ist die Wirklichkeit nicht! Die deutschen Waffenexportbestimmungen sind sehr restriktiv und gehören zu den schärfsten in der Welt.
Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft führt natürlich bei Dual-use-Gütern zu Problemen, das sehen wir auch. Aber aus den Erfahrungen mit der irakischen Aufrüstung wurden die richtigen Konsequenzen gezogen und eine Vielfalt weiterer Beschränkungen gerade hier im Deutschen Bundestag verabschiedet. Aber auf nationaler Ebene kann Rüstungsexportkontrolle längst nicht mehr erfolgreich praktiziert werden. Erst recht nicht im gemeinsamen Binnenmarkt.
Auch die bündnispolitisch gewollte multinationale Rüstungskooperation darf unsere restriktive Rüstungsexportpolitik nicht unterlaufen. Rüstungskooperation erfordert auch gemeinsame Endverbleibsregelungen.
({4})
- Bei der Rüstungskooperation, insbesondere bei Endverbleibsklauseln, Frau Kollegin, haben wir keine wesentlichen Unterschiede. Für die Kontrolle von Rüstungsexporten - vielleicht stimmen Sie mir jetzt zu - muß die EG zuständig sein. Dazu wäre eine Streichung des Art. 223 des EWG-Vertrages erforderlich. - Es freut mich, daß Sie zumindest nicken. - Leider sind viele unserer Partner in der EG dazu nicht bereit.
({5})
Die Bundesregierung muß ihre diesbezüglichen Bemühungen verstärken, und sie hat dabei die volle Unterstützung der F.D.P.
({6})
Ziel bleibt eine gemeinsame europäische restriktive Rüstungsexportpolitik.
Die Fragesteller liegen auch schief, wenn sie unterstellen, die KSZE sei ein „Auslaufmodell". Das ist sie wahrlich nicht. Gerade wir Deutschen haben auf Grund unserer geographischen Lage ein vitales Interesse an Abrüstung und kooperativer Sicherheitspolitik. Deshalb treibt die Bundesregierung die Entwicklung der KSZE zu einer gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution mit Nachdruck voran. Die KSZE muß von einem Konsultations- zu einem Entscheidungsgremium ausgebaut werden.,
Es ist allerdings illusionär, die KSZE zu einem Instrument supranationaler Integration machen und sie gegen die NATO ausspielen zu wollen. Nur bei Konzentration auf ihre spezifischen Aufgaben, die NATO als militärische Sicherheitsvorsorge und die KSZE zur zivilen Konfliktbearbeitung, können NATO und KSZE gemeinsam zur Stabilisierung Europas beitragen.
Herr Kollege Feldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Frau Kollegin Lederer.
Herr Kollege, würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß wir hier in den letzten Wochen mehrfach über militärische Einsätze im Rahmen der NATO, der UNO, der WEU usw. debattiert haben, daß wir aber im Vergleich dazu beispielsweise Themen wie Abrüstung, wie zivile Konfliktvorbeugung, beispielsweise die Rolle der KSZE für das künftige Gesamteuropa so gut wie nicht diskutieren und daß gerade das Ausdruck einer Schwerpunktsetzung in der Politik der Bundesregierung ist, die das Bild, das ich von der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung entworfen habe - was Sie Zerrbild genannt haben -, durchaus rechtfertigt?
Nein, da stimme ich nicht zu, Frau Kollegin. Wir wollen selbstverständlich in erster Linie zivile Konfliktvermeidung; militärische Mittel sind die Ultima ratio, sind die letzten Mittel. Da stimmen wir voll überein. Aber wir sagen ja zur internationalen Solidarität, und wir lehnen linkssektiererische, weltabgewandte Gartenlaubenidyllen ab.
({0})
Frau Kollegin Lederer, Sie haben das vorhin angesprochen, und Sie haben es auch in Ihrer Begründung ausgeführt. Auf die militärischen Möglichkeiten der NATO zu verzichten, wie Sie es fordern und es soeben wieder angesprochen haben, ist einfach weltfremd. Ich war des öfteren der NATO gegenüber kritisch eingestellt; das wissen die einen oder anderen hier im Saale. Aber wir müssen anerkennen, daß sich die NATO im sicherheitspolitischen Umbruch der letzten Zeit als sehr flexibel erwiesen hat und durchaus friedensstabilisierend gewirkt hat.
Aber es macht auch keinen Sinn, die NATO um die östlichen Nachbarstaaten zu erweitern und damit
faktisch die anderen osteuropäischen Staaten auszugrenzen. Vielmehr muß die KSZE - vielleicht stimmen Sie mir bei dieser Aussage zu - als Institution zur nichtmilitärischen Konfliktvorbeugung und -lösung ausgebaut werden. Die KSZE muß zu einem Hauptpfeiler unserer europäischen Sicherheitsarchitektur werden. - Es freut mich, daß ich Sie bezüglich dieser Aussage auf meiner Seite habe.
Ich darf mit der Feststellung schließen, Frau Lederer, daß die PDS trotz dieser vielen bösartigen Unterstellungen und irreführenden Formulierungen der Regierung ungewollt die Möglichkeit gegeben hat, ihre Erfolge in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik darzustellen.
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Die Bundesregierung hat diese Chance gut genutzt.
Wir lehnen Ihren Entschließungsantrag ab. Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bleibt Friedenspolitik.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile jetzt das Wort Herrn Staatsminister Helmut Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu Frau Lederer: Ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie Ihre verständliche und aus der Geschichte der DDR begreifliche internationale Ahnungslosigkeit vielleicht dadurch überwinden, daß Sie sich in den Vereinten Nationen zu dem, was Sie hier vertreten, einmal umhören.
({0})
- Ach, die Dame stammt aus Hamburg? Bedauerlicherweise gehört sie dann zu einer Minderheit in Hamburg; denn Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Aber ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, Frau Lederer, daß Sie sich mit Ihren Thesen vielleicht einmal vor den Staaten der Dritten Welt in den Vereinten Nationen äußern. Ich will Ihnen gar nicht die Antworten geben, die Sie dort bekommen würden; ich kann es Ihnen nur dringend empfehlen.
Wenn Sie Einsätze der Vereinten Nationen zur Herstellung des Friedens oder zur Stabilisierung des Friedens als Einsatz auf Kriegsschauplätzen diffamieren oder wenn Sie gar davon reden, daß das Krieg als Mittel der Politik sei, dann ist Ihnen das System der Vereinten Nationen bis heute nicht klargeworden.
Wir sind der Auffassung, daß sich Deutschland - das war ja Gegenstand unserer großen Debatte vor zwei Tagen - nicht permanent mit wachsweichen und zum Teil heuchlerischen Argumenten Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen, an denen sich gerade neutrale Staaten - auch sozialdemokratisch geführte europäische neutrale Staaten, Frau Kollegin Fuchs - beteiligen, entziehen sollte. Das können Sie doch nicht permanent als Militarisierung diffamieren. Das ist unerträglich, auch im Interesse unserer Nachbarstaaten.
Frau Kollegin Fuchs, wir sind uns in dem, was Sie hier kritisch vermerkt haben, einig, daß nämlich in bezug auf Abrüstung sicherlich noch sehr viel zu tun ist und daß wir nicht am Ende einer Entwicklung stehen. Aber Sie müssen doch zugeben, daß all das, was erreicht wurde, letzten Endes auch das Ziel Ihrer Partei war. Ich erinnere mich an die Verzweiflung, mit der Kollege Bahr und Vorgänger von Ihnen, die etwas länger im Deutschen Bundestag saßen, gesagt haben: Wenn wir nur endlich bestimmte Dinge, z. B. das Abkommen über das Chemiewaffenverbot, erreichen könnten!
Wir können doch nicht dauernd so tun, als sei all das, was erreicht worden ist, nicht ausreichend, nicht befriedigend, als sei im Grunde genommen nichts erreicht worden. - Es tut mir leid; wenn die PDS uns hier herausfordert, muß ich das sagen. Die Bundesregierung kann heute einen Erfolgsbericht vorlegen, der sich nicht einmal nur auf die Ergebnisse der Erfolge der vergangenen Jahre, sondern nur auf die der letzten Monate bezieht. Ich darf zusammenfassend das vortragen, was allein in den letzten Monaten im Bereich der Rüstungskontrolle und Abrüstung erreicht worden ist:
Da ist es erstens gelungen, den Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa trotz des Zerfalls des Warschauer Pakts und der Auflösung der Sowjetunion in Kraft zu setzen und an neue sicherheitspolitische Anforderungen anzupassen. Seit Sommer 1992 werden bereits Tausende von Panzern und andere schwere Waffen der Vertragsstaaten unter internationaler Kontrolle vernichtet. - Das ist doch was!
Zweitens. Die beiden nuklearen Großmächte haben in einer eindrucksvollen Serie von Vereinbarungen und einseitig übernommenen Verpflichtungen den Rüstungswettlauf gestoppt und umgekehrt. Der Unterzeichnung des START-I-Vertrages, der eine Reduzierung der nuklearstrategischen Arsenale beider Seiten um ungefähr ein Drittel vorsah, ist zu Beginn dieses Jahres mit START II eine weitere Vereinbarung gefolgt, die noch wesentlich weitergehende Reduzierungen vorsieht. - Auch das war in unserem Sinne.
Drittens. In den globalen Abrüstungsbemühungen ist mit dem Übereinkommen über ein weltweites Verbot chemischer Waffen Anfang dieses Jahres ein Durchbruch erzielt worden, auf den wir ja nun wirklich jahrelang in vielen Bemühungen hingewirkt haben.
({1})
Das Vertragswerk steht. Es sieht die Eliminierung einer ganzen Kategorie von grausamen Massenvernichtungswaffen unter strikter internationaler Kontrolle vor. Es ist bereits von 143 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gezeichnet worden. - Das ist doch ein Vorgang, den man nicht einfach so wegwischen kann!
Der Durchbruch in den jahrzehntelangen Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung hängt - wir wissen das - mit den historischen Veränderungen des politischen Umfeldes in Europa zusammen. Der Abbau der ideologischen, der machtpolitiStaatsminister Helmut Schäfer
schen Konfrontation hat den Weg für den Abbau der militärischen Konfrontation freigemacht.
Aber auch die Ergebnisse in diesem Bereich sind uns nicht in den Schoß gefallen. Dazu hat diese Bundesregierung, dazu haben aber auch schon frühere Bundesregierungen, Frau Kollegin Fuchs, wichtige Beiträge geleistet.
({2})
Allerdings - das möchte ich hier nochmals sagen; das ist auch bei dieser Debatte deutlich geworden - ist vor einer kurzsichtigen These zu warnen, die da heißt, Abrüstung werde erst dann möglich, wenn niemand sie mehr brauche. Das Ende des Kalten Krieges - das war uns auch vorher klar - ist nicht der Beginn des ewigen Friedens geworden.
({3})
Auch in Europa wird den Versuchungen, militärische Macht für politische Zwecke einzusetzen, heute leichter nachgegeben als in den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation. Leider!
Weltweit verbinden sich ungelöste Regionalkonflikte und bislang nicht dagewesene Gefahren der Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu einer den Weltfrieden bedrohenden Dimension. - In dem Zusammenhang sollten wir durchaus Ihren Hinweisen auf den Iran nachgehen;
({4})
nur, Frau Kollegin Fuchs, es ist ja nicht so, daß die Bundesregierung Waffenexporte in den Iran genehmigt. Wir haben die Gesetze verschärft. Wir werden illegalen Waffenexporten, egal, wohin sie gehen, mit aller Schärfe nachgehen, und dazu haben wir das Instrumentarium erheblich verschärft.
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Wir können uns darüber unterhalten. Das Thema Iran stand aber heute nicht zur Debatte. Wir sind allerdings bereit, darauf schon in der nächsten Sitzung des Auswärtigen Ausschusses einzugehen. - Unkontrollierte Anhäufung konventioneller Waffen trägt insbesondere in Spannungsgebieten erheblich zu den Gefahren für Stabilität und Sicherheit bei.
Aus der Sicht der Bundesregierung sind kooperative Bemühungen um Kontrolle militärischer Macht - wenn wir darin den Sinn der Rüstungskontrolle zusammenfassen - nicht weniger dringlich geworden, wohl aber schwieriger. Die Tagesordnung der Rüstungskontrolle muß überdacht und an neue Erfordernisse angepaßt werden. Dabei werden wir folgende Schwerpunkte zu setzen haben:
Erstens. Die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung werden sich schon wegen der Vielzahl der bereits abgeschlossenen Verträge vom Verhandlungstisch auf die Implementierung vereinbarter Reduzierungen verlagern. Der Zusammenarbeit der Vertragspartner bei der überprüfbaren Erfüllung eingegangener Verpflichtungen wird ein neuer sicherheits- und vertrauensbildender Stellenwert zukommen. Wichtig ist, daß vertraglich eingegangene Verpflichtungen tatsächlich auch erfüllt werden. Politische Hindernisse müssen rasch abgebaut werden.
Ich muß Ihnen in dem Zusammenhang sagen, daß gerade in dieser Hinsicht der zügigen Ratifizierung des START-Vertrages durch die Ukraine und ihrem Beitritt als Kernwaffenstaat zum Nichtverbreitungsvertrag besondere Bedeutung zukommen. Wir werden nicht ablassen, die Regierung in Kiew zu mahnen,
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daß sie den Verpflichtungen nachkommt und nicht Auswege sucht, die zu einer Verschärfung der Situation im gesamten osteuropäischen Raum führen würden.
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Meine Damen und Herren, herausragende Bedeutung kommt der Unterstützung derjenigen Staaten zu, die mit der Erfüllung ihrer Abrüstungsverpflichtungen überfordert sind. In dieser Hinsicht stellen die mehr als 25 000 nuklearen Gefechtsköpfe, die allein Rußland in den nächsten Jahren beseitigen muß, eine besondere Herausforderung dar.
Abrüstungshilfe ist zu einer rüstungskontrollpolitischen Aufgabe geworden, an der sich die Bundesrepublik Deutschland mit noch stärkerem finanziellen Engagement als den in diesem Haushaltsjahr vorgesehenen 10 Millionen DM beteiligen muß.
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Hierzu haben wir mit der russischen Seite bereits ein konkretes Projektabkommen über Zusammenarbeit zur Gewährleistung der Sicherheit bei der Beseitigung von Nuklearwaffen fest vereinbart. Wir sind bereit, die Abrüstungshilfe auch auf andere Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion auszudehnen. In diesem Sinne hat der Bundesaußenminister der Ukraine anläßlich seines Besuchs im Februar zugesagt, daß wir Möglichkeiten der Unterstützung bei der Vernichtung von strategischen Raketen prüfen. Schon wegen der davon ausgehenden Proliferationsgefahren muß uns an der zuverlässigen, raschen Sicherung und Beseitigung ehemaliger sowjetischer Massenvernichtungswaffen liegen.
Zur wichtigsten Frage auf der globalen Abrüstungstagesordnung ist die Unterbindung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen geworden. Wie Außenminister Kinkel vor der letzten Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt hat, sieht sich die Bundesregierung dabei in einer Vorreiterrolle. Sie beteiligt sich aktiv an allen Maßnahmen, die zur Eindämmung der Gefahren der Verbreitung von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen und der ihrem Einsatz dienenden Trägersysteme erforderlich sind. Die Bundesregierung tritt dafür ein, bei der 1995 anstehenden Überprüfungskonferenz die Geltungsdauer des Vertrages zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen für unbegrenzte Zeit zu verlängern.
Eine besonders dringende sicherheitspolitische Aufgabe sieht die Bundesregierung darin, die Handlungsfähigkeit derjenigen Institutionen zu festigen und die Einsetzbarkeit derjenigen Instrumente zu
sichern, mit denen die Mitglieder der Staatengemeinschaft die Gefahren und Risiken der Zukunft miteinander, statt gegeneinander meistern können. Es geht vor allem darum, gemeinsam eine wirksame Strategie der Friedenserhaltung durch Konfliktverhütung und Krisenbewältigung zu erarbeiten. Dazu werden wir unseren Beitrag zu leisten haben. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Rüstungskontrolle sein.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/4774. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Nach Stimmenthaltungen brauche ich nicht mehr zu fragen. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. April 1993, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.