Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Vor 50 Jahren begann in den Morgenstunden des 19. April 1943 der Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto. Erst nachdem die SS das Ghetto Haus für Haus niedergebrannt hatte, brach am 17. Mai 1943 der Aufstand zusammen.
Wir erinnern an den kämpferischen Widerstand, an den unvorstellbaren Mut, mit dem sich die Verteidiger im Ghetto, unter ihnen viele junge Frauen, Jugendliche und Kinder, jenen widersetzten, die sie vernichten wollten. Wir erinnern an das unermeßliche Leid der Menschen, an ihre Verzweiflung und an das Gefühl, von der Welt im Stich gelassen zu sein.
Die im Ghetto Eingeschlossenen wußten, daß sie nicht entrinnen würden, daß ihr Kampf letztlich aussichtslos sein würde. Nicht ihr Leben konnten sie retten, aber ihre Würde. Das verleiht ihrem Widerstand seine unvergleichliche, einmalige Bedeutung, seine existentielle Dimension.
Was war vorausgegangen? Deportationen, Hunger- und Seuchentod, denen im überfüllten Ghetto Hunderttausende zum Opfer fielen.
Die Menschen hatten deshalb alle Illusionen verloren. Sie waren zum äußersten entschlossen und bereit, notfalls auch mit bloßen Fäusten Widerstand zu leisten und sich durch den brutalen nationalsozialistischen Terror nicht schrecken zu lassen.
Nur wenige haben den Aufstand im Warschauer Ghetto überlebt. Sie nahmen am Gedenken des 50. Jahrestages teil, jenem Tag, der dem jüdischen und dem polnischen Volk gemeinsam gehört. Von den Überlebenden ging mehr aus als die Mahnung von Karl Jaspers: „Vergessen ist Schuld."
Die Botschaften des Überlebenden Marek Edelman, die ich an diesem 19. April 1993 in einem persönlichen Gespräch in Warschau erfahren durfte und mitgenommen habe, lauten: Kämpft unentwegt gegen jede Form von Menschenhaß. Sagt nie, wir können nichts tun gegen Unrecht und Gewalt. Wir sind zu wenige oder zu schwach. Denkt an uns im Warschauer Ghetto: Wir waren nur wenige.
Und er fügte hinzu: Mit ganz wenigen haben wir Solidarnosc begonnen.
Weiter sagte er: Wir haben damals um Hilfe gerufen, nein, geschrien. Umsonst? Laßt heute jene nicht allein, die im mörderischen Kampf brutaler Gewalt, Verfolgung, Hunger und Tod ausgesetzt sind - in unserer unmittelbaren Nachbarschaft und weiter entfernt.
Es gibt Hoffnung, wenn wir wie die Überlebenden handeln. Das heißt: Gedenken im Geist der Verantwortung vor Vergangenheit und Zukunft.
Lassen Sie mich heute morgen auch an den Tod von Turgut Ozal erinnern. Am 17. April 1993 verstarb der türkische Staatspräsident Turgut Özal im Alter von 65 Jahren.
Für mehr als ein Jahrzehnt hat er die türkische Politik entscheidend geprägt. Er trat Ende der siebziger Jahre dem Kabinett Demirel als Wirtschaftsfachmann bei, behielt diese Position während der Militärherrschaft und wurde nach den freien Wahlen 1983 Ministerpräsident. Er behielt dieses Amt bis 1989 und übernahm danach das höchste Staatsamt.
Sein Name ist eng verbunden mit dem Übergang von der Militärherrschaft zur Demokratie, mit der Hinwendung seines Landes zum Westen, insbesondere zur Europäischen Gemeinschaft, und mit eindrucksvollen wirtschaftlichen Erfolgen.
In den letzten Jahren sah er sich als Mittler zwischen den selbständig gewordenen Turk-Republiken der ehemaligen Sowjetunion und dem Westen. Sein Land repräsentierte für ihn die erfolgreiche Synthese von einem eher traditionsorientierten Islam und modernem europäischen, demokratischen Denken. Erst zwei Tage vor seinem Tod war er von einer längeren, anstrengenden Reise durch fünf Turk-Republiken im Kaukasus und Mittelasien zurückgekehrt.
In der besonders belasteten Situation nach dem verbrecherischen Brandanschlag von Mölln im November letzten Jahres hat sich Präsident Özal immer wieder auf die historische Freundschaft zwischen dem türkischen und dem deutschen Volk berufen. Özal sagte damals: „Man darf niemals zulassen, daß diese Bindungen zerrissen werden."
Für diese Haltung und für die Freundschaft, die er uns immer entgegengebracht hat, verdient der VerPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
storbene unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ({1}) - Drucksache 12/4748 ({2}) 7. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs - Drucksache 12/4750 ({3}) 8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Fonds „Deutsche Einheit" - Drucksache 12/4751
({4}) 9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den neuen Ländern ({5}) - Drucksache 12/4752 ({6}) 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Egon Susset, Dr. Norbert Rieder, Peter Harry Carstensen ({7}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, Johann Paintner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P.
Zum Walfang
- Drucksache 12/4761 ({8}) 11. Aktuelle Stunde: Verhalten der Bundesregierung und der Treuhandanstalt in bezug auf den Verkauf der Abfalldeponie Schönberg an das Land Mecklenburg-Vorpommern
12. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dienstrechtliche Regelungen für besondere Verwendungen im Ausland ({9}) - Drucksache 12/4749 ({10}) Zugleich soll bei Zusatzpunkt 12 von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden.
Außerdem ist interfraktionell vereinbart worden, Punkt 12 der Tagesordnung - Beratung der Großen Anfrage zur Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik - erst am Freitag als letzten Tagesordnungspunkt aufzurufen.
Des weiteren mache ich auf nachträgliche Ausschußüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
1. Der in der 150. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. März 1993 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich auch dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Abgeordneten Dirk Fischer ({11}), Dr. Dionys Jobst, Horst Gibtner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ekkehard Gries, Horst Friedrich, Roland Kohn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. zur Neuordnung des Eisenbahnwesens ({12}) - Drucksache 12/4609 ({13}) Überweisung:
Ausschuß für Verkehr ({14})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
2. Der in der 149. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. März 1993 überwiesene Gesetzentwurf soll nachträglich auch dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P.
Elftes Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 12/4616 Überweisung:
Innenausschuß ({15})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuß
3. Der in der 147. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. März 1993 überwiesene Entschließungsantrag soll nachträglich auch dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden:
Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Dr. Liesel Hartenstein, Dr. Klaus Kübler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umsetzung der Empfehlung der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" durch die Bundesregierung - Drucksache 12/4527 Überweisung:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({16})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Sind Sie mit den Ergänzungen bzw. der Änderung der Tagesordnung und den nachträglichen Ausschußüberweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 und die Zusatzpunkte 6 bis 9 auf:
Beratungen ohne Aussprache Überweisungen im vereinfachten Verfahren
3. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Juli 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen
- Drucksache 12/4566 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({17}) Auswärtiger Ausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. Juli 1992 zur Änderung des Abkommens vom 4. Oktober 1954 zwischen der Bundesrepublik
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern
- Drucksache 12/4567 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({18}) Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen rechtswidrige Handlungen bei der Währungsumstellung von Mark der Deutschen Demokratischen Republik in Deutsche Mark
- Drucksache 12/4585 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({19})
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Dominikanischen Republik über den Luftverkehr
- Drucksache 12/4571 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({20}) Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes
- Drucksache 12/4636 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({21})
Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste
Senkung der Promille-Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille
- Drucksache 12/3864 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({22}) Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
ZP6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte ({23})
- Drucksache 12/4748 ({24}) - Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({25}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren Ausschuß für Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft EG -Ausschuß
Ausschuß Treuhandanstalt
ZP7. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs
- Drucksache 12/4750 ({26}) Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung des Fonds „Deutsche Einheit"
- Drucksache 12/4751 ({27}) Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den neuen Ländern
({28})
- Drucksache 12/4752 ({29}) -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen mit der Dominikanischen Republik über den Luftverkehr auf Drucksache 12/4571 soll zusätzlich dem Finanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({30}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({31}) des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für Kartoffeln
- Drucksachen 12/4191 Nr. 2.17, 12/4495 Berichterstattung:
Abgeordneter Rudolf Müller ({32})
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({33}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Dreiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 12/4087, 12/4538 -
Berichterstattung: Abgeordneter Peter Kittelmann
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({34}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertzwanzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -
- Drucksachen 12/4078, 12/4539 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Beckmann
Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu einem Verordnungsvorschlag der EG zu einer gemeinsamen Marktorganisation für Kartoffeln auf Drucksache 12/4495 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung bei einer Enthaltung angenommen.
Nunmehr stimmen wir über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft zur Änderung der Aus- und Einfuhrliste auf den Drucksachen 12/4538 und 12/4539 ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlungen sind bei zwei Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Juni 1992 über die biologische Vielfalt
- Drucksache 12/4473 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({35})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen vom 12. Juni 1992 über Klimaänderungen
- Drucksache 12/4489 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({36})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Klaus Kübler, Monika Ganseforth, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Follow-up der UNCED-Konferenz Umwelt und Entwicklung
- Drucksache 12/3739 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({37})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist also so beschlossen.
Als erster in der Aussprache nimmt der Abgeordnete Ulrich Klinkert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 20. Mai vergangenen Jahres tagte der Deutsche Bundestag im Reichstag zur Vorbereitung der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio. In einer Regierungserklärung betonte Bundeskanzler Helmut Kohl den Willen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, in Rio meßbare Erfolge zu erreichen.
Der von den Koalitionsfraktionen in diese Debatte eingebrachte Antrag „Durch globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft die Schöpfung bewahren" forderte die Bundesregierung auf, in Rio u. a. folgende Schwerpunkte zu verfolgen: Zeichnung einer Klimakonvention und Zeichnung eines Übereinkommens zum Schutz der biologischen Vielfalt. Beide Konventionen sind in Rio von mehr als 150 Staaten gezeichnet worden.
({0})
Herr Klinkert, darf ich einen Augenblick um Unterbrechung bitten, Ich höre die Stimmen aus dem Saal fast besser als den Redner. Darf ich darum bitten, daß Sie zuhören.
Danke. - Dies ist ein Beweis dafür, daß weltweit die Verantwortung für die bedrohte Umwelt gewachsen ist und daß sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer zum Schutz des Klimas und der Umwelt vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen.
Mit der heutigen ersten parlamentarischen Behandlung der beiden Vertragsgesetze wird der in Rio begonnene Prozeß, in globaler Partnerschaft gemeinsame Lebensgrundlagen zu schützen, durch das deutsche Parlament fortgeführt. Bereits 16 Staaten wie die USA, Kanada, Australien und China haben die Konvention zum Klimaschutz ratifiziert. 20 weitere Staaten haben das Verfahren dazu eingeleitet. Ähnliches gilt für die Konvention über die biologische Vielfalt.
Ulrich Klinken
Bei der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio stellte die Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderung das herausragende Ergebnis der Konferenz dar. Damit ist zum erstenmal der Schutz des globalen Klimas völkerrechtlich auf eine verbindliche Grundlage gestellt und der Grundstein für die weltweite Bekämpfung des Treibhauseffektes gelegt worden.
Wäre es aber nach_ der SPD gegangen, meine Damen und Herren, hätte die Bundesregierung gar nicht erst an der UN-Konferenz teilnehmen dürfen; denn wie erklärte 1992 in der erwähnten Bundestagssitzung im Reichstag in einer zu Protokoll gegebenen Rede der heutige umweltpolitische Sprecher der SPD, Kollege Müller, mit seinem feinem Gespür für Katastrophen - ich zitiere -:
Doch so beispiellos aufwendig, wie die Konferenz vorbereitet wird, so groß scheint auch das Fiasko zu werden. Die Rio-Konferenz droht zu einem Gipfel der Heuchelei und Verantwortungslosigkeit zu werden.
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Soweit Originalton Müller.
Aber Heuchelei und Verantwortungslosigkeit, meine Damen und Herren, steckten auch in der Behauptung des damaligen umweltpolitischen Sprechers der SPD, Harald B. Schäfer, am 20. Mai 1992 vor dem Deutschen Bundestag. Er sagte:
Wenn UNCED scheitert - leider deuten alle Vorzeichen und alle vorbereitenden Verhandlungen darauf hin -, dann nicht wegen der Haltung der Entwicklungsländer, sondern vor allem wegen der Haltung der Industrieländer, auch der Bundesrepublik Deutschland.
Im Protokoll des Deutschen Bundestages ist an dieser Stelle „Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste" verzeichnet.
Allen Katastrophenszenarien zum Trotz war es, international anerkannt, vor allem der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer, der der Konferenz von Rio zum Durchbruch verholfen hat. Es wurden Übereinkommen erzielt, die für Generationen richtungsweisend sind und erstmals zu einer weltweiten ökologischen Partnerschaft führen werden.
Die Bundesrepublik hat bereits vor der Konferenz von Rio mit der Umsetzung ihrer Verpflichtungen begonnen. Der Beschluß, bis zum Jahr 2005 25 bis 30 % CO2 einzusparen, hat nach wie vor Gültigkeit und wird weiterverfolgt. Das Stromeinspeisungsgesetz, das Windenergieprogramm, das 1 000-DächerFotovoltaik-Programm, das Fernwärmeprogramm sind nur einige Beispiele von bereits Erreichtem. Weitere Maßnahmen wie die Wärmeschutz- oder die Wärmenutzungsverordnung werden folgen.
Der zunehmende Treibhauseffekt kann nur durch globale Strategien in internationaler Abstimmung eingedämmt werden. Nationale Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, z. B. im Bereich der Energieeinsparung, sind aber wegen ihres positiven
Beispielcharakters und der Auslösung von Innovationen sinnvoll und notwendig.
Unterstreichen möchte ich aber auch, daß, wer im Zusammenhang mit dem Treibhauseffekt CO2 sagt, auch immer die anderen Klimagase mit meinen muß, damit am Ende nicht der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben wird. Internationale Lösungen dazu sind ökologisch sinnvoll und ökonomisch notwendig. Die letzte EG-Ratstagung hat dazu entscheidende Schritte eingeleitet und die Entscheidung zur Ratifizierung der Klimakonvention angenommen.
Die fortschreitende Vernichtung der tropischen Regenwälder, meine Damen und Herren, ist wohl das traurigste und gleichzeitig eindrucksvollste Beispiel dafür, wie wir Menschen mit unseren eigenen Lebensgrundlagen umgehen. Dies gilt nicht nur für den klimapolitischen Aspekt, durch den Erhalt der Wälder den CO2-Gehalt zu senken, sondern vielmehr auch für eine weitere weltweite bedrohliche Entwicklung, den zunehmenden Rückgang der biologischen Vielfalt. Vor allem durch Roden, Versiegeln und Zerschneiden von Flächen werden die Lebensräume wildlebender Tiere und Pflanzen entwertet und zerstört. Der Verlust und die Beeinträchtigung von Arten und deren Lebensräumen führen aber nicht nur zu einer irreparablen Verarmung der Natur, sondern stellen immer mehr auch eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit dar.
Unter diesem Aspekt ist die Frage von Entwicklungshilfe zur Erhaltung der Artenvielfalt und deren Lebensräumen nicht nur eine finanzielle Frage. Es ist eine Frage des Weltklimas, ja es ist eine Frage des Überlebens der Menschheit überhaupt.
Dies sei vor allem denen in Deutschland ins Stammbuch geschrieben, die versuchen, mit einer billigen Neidpolitik gegen Entwicklungshilfe Wählerpotential zu mobilisieren.
({1})
- Meine Damen und Herren von der SPD, Sie machen zwar viele Fehler; aber diesmal sind Sie nicht gemeint.
({2})
Die weltweite Klimakastastrophe, bedingt durch den Raubbau an der Natur durch die Ärmsten der Armen, wird immer wahrscheinlicher. Dagegen ist es unwahrscheinlich, daß die Bevölkerung der reichsten Länder der Erde durch einen höheren Einsatz für Entwicklungshilfe und Klimaschutz spürbar etwas von ihrem Wohlstand abgeben muß.
Die Konvention über die biologische Vielfalt kann ein wesentlicher Beitrag sein, eine dramatische Entwicklung zu stoppen und umzukehren.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, dafür zu sorgen, daß beide Gesetze möglichst schnell ratifiziert werden können.
Vielen Dank.
({3})
Als nächster spricht der Abgeordnete Kübler.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Klinkert, Herr Müller und ich und viele andere sind sehr froh, daß der Gipfel - insgesamt gesehen - noch zu wesentlich mehr geworden ist, als sich jetzt nachher in der Bundesrepublik tut. Insofern möchte ich für Herrn Müller hier eindeutig sagen, daß seine Befürchtungen im Vorfeld dazu beigetragen haben, die Bundesregierung in besonderer Weise zu motivieren, ihren Beitrag zu leisten, Herr Umweltminister, und ich gehe davon aus, daß dies ja auch kooperativ erfolgt ist.
Ich habe hier in meinem Manuskript tatsächlich geschrieben - Herr Töpfer, damit Sie beruhigt sind -: „Der Bundesumweltminister hatte daran einen großen Anteil." Dann habe ich sogar noch den Satz gewählt: „Der Deutsche Töpfer spielte eine gewichtige Rolle. " Sind Sie damit zufrieden?
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, knapp ein Jahr danach - der entscheidende Punkt ist ja, was national folgte - ist die nationale Bilanz dieser Regierung kümmerlich. Ich habe mir überlegt, ob ich das Wort „kümmerlich" oder den Begriff „gleich null" wähle. Ich will zu Beginn der Diskussion nur das Wort „kümmerlich" gebrauchen, um unsere Bereitschaft zur Weiterarbeit zu dokumentieren. Außer der - im Grunde selbstverständlichen - Einleitung des Ratifizierungsverfahrens, Herr Klinkert, sind praktisch keine nationalen, EG-weiten oder internationalen Entscheidungen getroffen worden - ich bitte Sie, mir nachher irgendwelche aufzuzählen -, um die Ziele von Rio zu erreichen. Jetzt muß ich doch ein sehr deutliches unfreundliches Wort sagen: Dies kommt einem klimapolitischen Offenbarungseid dieser Bundesregierung gleich.
Dabei sind die Ergebnisse der internationalen Klimaforschung - ich unterstreiche das noch einmal, da heute Gott sei Dank Abgeordnete noch in größerer Zahl anwesend sind - ganz eindeutig. Völlig unstrittig ist, daß selbst die vorsichtigsten Studien und Prognosen von langfristig dramatischen Konsequenzen des Klimawandels ausgehen. Man kann davon ausgehen, daß es zu einer globalen Erhöhung der Oberflächentemperatur kommt und daß wir mit großer Wahrscheinlichkeit - dies ist auch für unsere Öffentlichkeit wichtig - ebenfalls mit dem Eintreten kontinentaler Sommertrockenheit in mittleren Breiten, also in Europa und auch in Deutschland, rechnen müssen. Die Kosten für ein Aufschieben von Maßnahmen gegen den Klimawandel werden überproportional ansteigen. Wenn wir heute nicht handeln, wird uns das morgen teuer zu stehen kommen.
Die Industrieländer - unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland an vorderer Stelle - haben eine Verursacherrolle bei den CO2-Emissionen inne und müssen deshalb bei Maßnahmen zum Klimaschutz eine Vorreiterrolle übernehmen.
Jetzt frage ich: Was hat die Bundesregierung - ich lasse im Augenblick einmal den Bundesumweltminister bewußt heraus - getan?
({1})
- Vielen Dank, Herr Weng. - Da gibt es einen Wirtschaftsminister, der immer nur betont, daß die Ziele von Rio nicht erreichbar sind; dasselbe sagt sein Parlamentarischer Staatssekretär.
({2})
Da gibt es einen Forschungsminister - ich beschimpfe ihn ja gar nicht -, der mit der Eröffnung von Klimainstituten und Klimakonferenzen eine unverbindliche Klimapolitik betreibt.
Da gibt es die Wohnungsbauministerin, die mit der Wärmeschutzverordnung nicht überkommt.
({3})
- Sie ist bis heute nicht damit übergekommen, Herr Baum.
Da gibt es einen Entwicklungsminister, der möglicherweise guten Willens ist, aber da nichts durchsetzen kann.
Da gibt es - erlauben Sie mir, das hinzuzufügen - einen relativ neuen Landwirtschaftsminister, dem die Klimafragen offensichtlich wenig vertraut sind.
Ich kann nicht vermeiden, auch Herrn Krause zu nennen. Da gibt es also noch einen Verkehrsminister, für den Klimapolitik ein rotes Tuch ist.
({4})
Das ist eine verheerende Bilanz, wirklich eine verheerende Bilanz für diese Bundesregierung, was die Klimapolitik angeht.
Ich habe noch etwas Hoffnung, Herr Lippold - das sage ich, weil Sie sich bis jetzt so zurückgehalten haben -, was unsere gemeinsame Enquete-Kommission zum Klimaschutz angeht. Aber das betrifft nicht die Bundesregierung.
Was macht also diese Bundesregierung in der Zeit nach Rio? - Sie macht in der Tat vor allem - ich kann das nicht anders bezeichnen - Verbal-Umweltpolitik. Ich wäre dankbar, wenn mir dies widerlegt werden könnte; ich habe überhaupt nichts dagegen, eine wirklich effektive gemeinsame Klimapolitik zu machen, weil dies ein so gravierendes Problem ist. Worte und Taten dieser Bundesregierung in der Klimapolitik
- dies ist auch wichtig im Hinblick auf Öffentlichkeit - klaffen also in einem Maße auseinander, daß man von einer Täuschung der Öffentlichkeit in dieser Frage sprechen muß.
({5})
Dies gilt auch für das endlich eingeleitete Ratifikationsverfahren zur Klimakonvention. Der Öffentlichkeit muß klar und eindeutig gesagt werden, daß das
CO2-Reduktionsziel von dieser Bundesregierung nicht mehr - wie ursprünglich beschlossen - ernsthaft verfolgt wird.
({6})
Lassen Sie mich einen Aspekt zur Standortdiskussion ansprechen. Es wird ja immer gesagt, daß Umweltmaßnahmen, vor allem im Klimaschutz, arbeitsplatzvernichtend sein könnten, sich wirtschaftlich negativ auswirken könnten.
({7})
Ich habe Schwierigkeiten, bei technischen Maßnahmen, die zur Reduktion von CO2-Emissionen dienen, zu leugnen, daß es sich dabei um massiv investitionsintensive Maßnahmen handelt. Ich kann mir im Moment keine Maßnahmen im technischen Bereich vorstellen, die zur Reduzierung von CO2-Emissionen dient, die nicht gleichzeitig massiv investitionsfördernd wäre.
({8})
Deshalb ist insbesondere bei der Klimapolitik ein Widerspruch zwischen Umwelt und Arbeit absolut nicht gegeben. Ich wäre deshalb sehr, sehr dankbar, wenn die Industrie im Bereich der Klimapolitik maßgeblich mitwirken würde.
Der ökologische Umbau unserer Gesellschaft und die ökologische Modernisierung unserer Volkswirtschaft sind in der Tat aus diesem Grunde wichtige Forderungen, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie jetzt.
Wir brauchen einen Öko-Deal hier bei uns in Deutschland und international zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern.
Die neue US-Regierung eröffnet neue Chancen für eine gemeinsame internationale Strategie. Es läge an der Bundesregierung und an Herrn Töpfer, hier gegenüber dem amerikanischen Vizepräsidenten
- da gibt es, glaube ich, keinen formalen Unterschied - initiativ zu werden. Herr Töpfer, ich begrüße Ihre Reisen nach Ignalina und wohin auch immer sehr
- ich sage das ausdrücklich -; jede Reise von Ihnen war überaus wichtig. Wir würden uns freuen, wenn Sie bald mit dem wichtigsten Mann in den USA in Sachen Umweltschutz, mit dem Vizepräsidenten Al Gore, in persönlichen Kontakt treten würden. Ein solches Klimaschutz- Spitzentreffen wäre sicherlich von großem Wert. Vor allem könnten Sie ausloten, in welchem Umfang hier eine gemeinsame Politik betrieben werden kann.
Lassen Sie mich eine weitere Frage stellen. Ich habe vorhin von diesem „Negativ-Klimakabinett", vom Verkehrsminister bis zum Landwirtschaftsminister, gesprochen. Ich möchte Sie an eine alte Forderung erinnern und fragen, ob man nicht, wenn man wirklich wirksam Klimapolitik betreiben will, ein „Klimakabinett" schaffen sollte.
Vielleicht wäre es möglich - lassen Sie mich auch dies sagen -, noch mehr dafür zu werben. Ich habe mit Interesse die Anzeige gesehen, mit der gestern für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATOGebiets geworben worden ist. Wenn man für die Klimaforschung in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit in ähnlicher Weise Werbung machte, wäre das für die Wirtschaft und für die Bevölkerung von großem Vorteil.
({9})
Lassen Sie mich schließen, indem ich sage, daß nur durch ein breites Bündnis für einen ökologischen Generationenvertrag die Grundlagen der menschlichen Existenz hier bei uns und auf unserer einen Welt dauerhaft zu sichern sind. Es geht bei unserer heutigen Debatte über das Follow-up von Rio auch um eine Grundsatzentscheidung über die Frage, welchen Stellenwert wir der Klimapolitik heute national und international geben wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der F.D.P., der Ihnen vorliegende Antrag der SPD ist deshalb ein Angebot zur umwelt- und klimapolitischen Zusammenarbeit, ein erneutes Angebot an Sie. Ich appelliere an Sie: Nutzen Sie dieses Angebot für eine Umwelt- und Klimapolitik, die diesen Namen in Zukunft verdient.
Herzlichen Dank.
({10})
Als nächster spricht nun der Abgeordnete Gerhart Baum.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kübler, Sie haben die Vorreiterrolle von Herrn Töpfer genannt und gelobt, aber Sie haben vergessen zu sagen, daß die Bundesrepublik auf diesem Feld im Vergleich zu der von Ihnen erwähnten amerikanischen Politik, aber auch im Vergleich zur Europäischen Gemeinschaft in einer Vorreiterrolle ist. Mit unseren klimapolitischen Zielen stehen wir weit vorn.
({0})
Herrn Gore zu zitieren ist ja sehr schön, aber es ist doch zu fragen: Was ist bisher geschehen? Was ist vereinbart worden?
({1})
Das ist Rhetorik in einem Land, nämlich den USA, das jahrzehntelang klimapolitisch zurückgefallen ist, während wir treibende Kraft auf allen internationalen Konferenzen sind.
({2})
Ich gebe Ihnen gern zu, daß bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen Defizite bestehen. Aber auch das ändert nichts daran, daß die Linie stimmt und daß die Kraft zur Umsetzung bei uns besonders stark entwickelt ist. Nennen Sie mir ein europäisches Land, in dem es ähnlich ist. Das gilt übrigens auch für FCKW.
({3})
- Über Herrn Krause wird ja noch geredet werden müssen. Seine Idee von der Plakette ist, hoffe ich, tot. Wir müssen bei ganz anderen Dingen ansetzen. Er macht auch vernünftige Vorschläge. Sie können die Bundesregierung hier nicht generell abqualifizieren.
Ich bin der Meinung, die Klimaschutzpolitik folgt dem Verhalten, das der Bundesumweltminister in Rio an den Tag gelegt hat. Dort ist ein urumkehrbarer Prozeß eingeleitet worden.
Wir werden erhebliche Rückschläge haben; denn die Klimapolitik hängt in sehr engem Maße mit der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Welt zusammen. Wie will die frühere Sowjetunion in der jetzigen Situation überhaupt eine Klimapolitik machen? Wie will sie sich jetzt den Verpflichtungen von Rio stellen? - Es hängt also alles sehr eng mit Umwelt und Entwicklung zusammen, etwa mit Grundsätzen, die die UNCTAD-Konferenz in Cartagena entwickelt hat.
Nichtsdestotrotz ist hier ein Prozeß auch innerhalb der UNO eingeleitet worden. Umweltschutz wird jetzt auch organisatorisch, instrumental in der UNO stärker. Auch hier ist dieser Prozeß urumkehrbar. Wir werden die Vertragsgesetze hier zügig beraten und für ihre Verabschiedung sorgen.
Wir haben in Sachen Übereinkommen über die biologische Vielfalt die Anmerkung zu machen, daß sorgfältig zu prüfen ist, ob einige Regelungen, die sich auf eine angemessene Weitergabe einschlägiger Technologien beziehen, durch die sogenannten Ursprungsländer nicht zu einseitig ausgelegt werden können. Das werden wir prüfen.
Herr Kübler, Sie haben über die umweltpolitischen Konsequenzen für unser Land gesprochen. Sie haben auch über das Ziel gesprochen. In der Tat: Das Ziel ist, bis zum Jahre 2005 - beim Basisjahr 1987 - die Emissionen um 25 % bis 30 % zu mindern. Dieses Ziel wird auch vom Bundeswirtschaftsminister nicht aufgegeben. Er stellt nur die Frage, ob es erreichbar ist, und das wird man ja wohl tun dürfen; denn das Ziel ist sehr ehrgeizig. Es bedeutet nämlich, rund 150 % der heute produzierten Güter und Dienstleistungen mit nur 70 % bis 75 % der CO2-Emissionen von 1987 zu produzieren.
Die Prognos-Studie steht dem auch nicht entgegen. Voraussetzung ist natürlich, daß das Minderungsprogramm, das wir uns selbst vorgegeben haben, zügig umgesetzt wird. Hier ist eine ganze Reihe von Maßnahmen in Kraft. Der Kollege Klinkert hat darauf hingewiesen.
Ich meine, daß es entscheidend ist, nicht nur über einzelne Maßnahmen zu sprechen. Herr Kollege Kübler, Ihr Antrag enthält eine Summierung einzelner Maßnahmen, Verordnungen, einzelner Schritte bis hin zum Tempolimit. Ich meine, dem Antrag fehlt die Grundkonzeption. Grundkonzeption heißt, daß wir die Rahmenbedingungen in Richtung ökologische Marktwirtschaft verändern müssen, und zwar nicht durch Kommando und Befehl, sondern etwa durch Veränderung des Steuerrechts in ökologischer Hinsicht, damit sich der einzelne aufs effizienteste auf die Situation einstellen kann in einer Zeit, in der die Mittel zur Verteilung sowohl beim Staat wie bei der Wirtschaft äußerst knapp geworden sind.
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Ich bemängele also die Philosophie. Wir brauchen einen anderen Approach, eine andere Annäherung an das Problem. Das geht nicht allein mit dem alten Gewerberecht; das ist zu teuer und ineffizient. Wir müssen in der Umweltpolitik auf die Leistungsfähigkeit der Märkte und auf die Lenkungswirkung der Preise setzen. Das heißt, wir müssen die Stärken unserer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zur Verwirklichung ökologischer Ziele nutzen, also die soziale Marktwirtschaft ökologisch umgestalten.
Das bedarf eben dieser Instrumente. Das PrognosGutachten ist hier ganz wichtig, wenn es sagt: Energieproduktion und Energieverbrauch verursachen in großem Umfang ökonomische und ökologische Kosten, die in das Preissystem der Marktwirtschaft bisher nicht eingehen. Diese Kosten werden nicht internalisiert.
Deshalb sind wir beispielsweise der Meinung, daß eine Konsequenz des Gutachtens gerade auch zur Erreichung des Ziels einer effektiven Klimaschutzpolitik der langfristige ökologische Umbau des Steuersystems ist. Dabei darf nicht das Steuersystem als fiskalischer Packesel benutzt werden, um irgendwelche Haushaltslöcher zu stopfen, sondern das muß wirklich mit Lenkungswirkung, mit Einfluß auf diejenigen, die Energie verbrauchen und nutzen, geschehen. Ziel muß es schließlich sein, diese Einnahmen zu verringern, weil sich die einzelnen dann nämlich so verhalten, wie wir das wollen.
Dazu, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, finde ich bei Ihnen nichts. Sie hängen an der Philosophie von gestern und haben sich diesen neuen Überlegungen nicht geöffnet.
Einzelmaßnahmen wären eine stufenweise Anhebung der Mineralölsteuer, der Einsatz des ökologischen Steuersystems für ein Ziel, wobei ich sagen muß: Nicht draufsatteln, sondern umschichten! Das muß kostenneutral geschehen. Es müssen Entlastungen an anderer Stelle erfolgen.
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Die realen Tankstellenpreise sind heute im Vergleich zum Einkommen der einzelnen auf dem Stand der 60er Jahre; externe Kosten des Straßenverkehrs müssen also internalisiert werden. Wir müssen zu einer Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer kommen; sie ist bürokratieintensiv, sie muß weg. Ich plädiere für
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Einführung einer EG-weiten Energiesteuer, die dann auch Einfluß auf die Investitionen der einzelnen Wirtschaftssubjekte nimmt.
Von entscheidender Bedeutung zur Erreichung dieser und anderer Ziele ist der Energiekonsens, sind die Energiekonsensgespräche. Wir dürfen uns den Blick nicht verstellen lassen durch eine Atomdiskussion. Es
geht nicht nur um die Zukunft der Atomenergie, sondern auch um die Effizienz der Energienutzung, um Energieeinsparung, um Umweltverträglichkeit und um Ressourcenschonung. Diese Gespräche dürfen nicht scheitern. Ich bin der Meinung, keiner der Beteiligten kann sich ohne Schaden aus diesen Konsensgesprächen verabschieden. Selbst wenn diese Gespräche nicht zu einem umfassenden Konsens führen, werden doch Teile übrigbleiben müssen. Das zeichnet sich jetzt schon ab.
Ich halte es für wirklich unerträglich, daß ein großer Industriestaat inmitten Europas, wie wir es sind, keinen Konsens zwischen Bund und Ländern und zwischen Wirtschaft und Regierung in der Frage der Energiepolitik hat. Wir sind eingebunden in die Europäische Gemeinschaft, die eine gemeinsame Energiepolitik formuliert; wir müssen uns gemeinsam gegenüber Osteuropa in einen energiepolitischen Dialog und in eine energiepolitische Zusammenarbeit begeben. Aber wir wissen in unserem eigenen Land nicht, was wir gemeinsam tun. Das müssen wir beenden. Hier hat jeder eine Verantwortung.
Schließlich noch ein Gedanke zur Umweltpolitik im Hinblick auf Standort und Wettbewerb unseres Landes. Auf dem Weltmarkt für Umwelttechnologien mit einem Umsatzvolumen von etwa 200 Milliarden DM haben wir - das hat Herr Rexrodt vor einigen Tagen auf der Hannover-Messe gesagt - mit einem Anteil von 20 % einen Spitzenplatz. Es hat sich also ausgezahlt, daß wir gedrückt haben, daß wir jahrzehntelang in allen Regierungen - ich war ja auch eine Zeitlang daran beteiligt - der Wirtschaft, und zwar den Verbrauchern und den Produzenten, etwas abverlangt haben. Manches war falsch; aber im großen und ganzen, in der großen Masse aller Maßnahmen haben wir die Wettbewerbssituation, die Standortsituation nicht verschlechtert, sondern verbessert.
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Es wäre völlig falsch, an den umweltpolitischen Zielen jetzt Abstriche zu machen.
Herr Rexrodt wie übrigens auch sein Vorgänger hat sich diesem Thema sehr offen und aufgeschlossen gestellt und geht davon aus, daß - Sie, Herr Töpfer, bestätigen das - Ökonomie und Ökologie aufs engste zusammen gehören und daß beide Minister zusammenarbeiten müssen. Er hat vor einigen Tagen gesagt: Umweltverschmutzung verursacht enorme Schäden. Die Vertagung macht die Sache nur teuer. Es kann keinen Umweltschutz zum Nulltarif geben. Wer den Standort Deutschland langfristig sichern will, muß sich der ökologischen Problematik stellen. Weil die Verteilungsspielräume geringer geworden sind, sind hohe Anforderungen an Dialogfähigkeit und Kompromißbereitschaft zu stellen. Beispielsweise aufkommensneutrale Lenkungsinstrumente gehören dazu.
Von dieser Grundeinstellung gehen wir also aus. Ich gebe gern zu, daß in dieser politisch und ökonomisch veränderten Lage, die wir alle ja auf allen Feldern spüren, nicht alles mehr so ist wie es früher war, daß wir auch Teile unserer Koalitionsvereinbarung, der Regierungserklärung so nicht verwirklichen können. Wir haben dazugelernt. Wir als Liberale
gehen von der Verzahnung ökonomischer und ökologischer Ziele aus und unterstützen nachdrücklich die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung und des Bundesumweltministers.
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Es hat nun das Wort die Abgeordnete Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche bin ich auf einer Veranstaltung in Fürstenwalde im Land Brandenburg gefragt worden, was die Konferenz von Rio denn nun letztlich gebracht habe. Es wurde gefragt: War diese Konferenz nicht eher Feigenblatt der Industrieländer für verantwortungslose Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik
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- gut, ich entschuldige mich bei Ihnen -, ein Mammutspektakel mit nichts dahinter, Repräsentation guten Willens?
Dieser Eindruck drängt sich auch mir mehr und mehr auf. Vollmundige Versprechungen von Kohl und Töpfer dort: Es leben die größten Umweltschützer der Bundesrepublik. - Praktische Politik aber gleich null. Ziele allein, Herr Kollege Baum, und mögen diese noch so vorbildlich sein, werden die drohende Klimakatastrophe nicht verhindern können.
Fast ein Jahr nach Rio fallen der Bundesregierung nun wieder die verabschiedeten Dokumente in die Hände. Endlich dürfen das Übereinkommen über biologische Vielfalt und das Klimarahmenübereinkommen den Bundestag passieren.
Dazu sind aber noch Hürden zu nehmen. Die größte wird dabei zweifellos der Haushalt sein, wird doch z. B. im Abkommen über Artenvielfalt angedroht, daß auf den Bund Kosten bei der finanziellen Unterstützung von Entwicklungsländern zukommen. Damit bei der Lobby nicht gleich ein Aufschrei kommt, wird allerdings sofort versichert, daß sich für die inländische Wirtschaft keine unmittelbaren zusätzlichen Belastungen ergeben.
Dabei war die Bundesregierung in ihrem nationalen Bericht zu Rio an den Ursachen für weltweiten Raubbau an der Natur und der Klimakatastrophe doch schon so nahe dran. Dort heißt es nämlich: Die Industrieländer haben den Planeten jedoch nicht nur in besonderer Weise belastet, sondern auch seine Ressourcen in einem Maße in Anspruch genommen, das es den anderen Ländern schwermacht, die bei ihnen noch notwendigen Entwicklungen zu realisieren. - Soweit aus dem Bericht der Bundesregierung.
Eine Wirtschaftspolitik, die einzig auf Maximalprofit abzielt, geht immer zu Lasten der Umwelt. Sie verhindert eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die dem Raubbau an natürlichen Ressourcen sowie der Unterentwicklung in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ein Ende setzen könnte.
Oft genug wird gesagt: In dieser Gesellschaft sind wir an der Umweltzerstörung alle gleich schuldig. Ist dies wirklich so, oder stellt sich nicht vielmehr die Frage nach der Macht und nach dem, der die Macht hat, Umweltzerstörung zu verhindern? Ein differenziertes Bild von Gesellschaft tut hier not. Die Ursachen von Naturzerstörung und sozialem Elend sind dieselben, und ohne Lösung der sozialen Frage wird es keine Rettung der Natur geben.
Wer Umweltzerstörung verhindern will, muß die Menschen in die Lage versetzen, überhaupt zwischen Alternativen des Lebens zu entscheiden. Dies gilt für die Menschen in der Sahelzone und im tropischen Regenwald ebenso wie in den Metropolen der Industriestaaten, also auch bei uns.
Welche Rentnerin mit kleinem Einkommen, welche Sozialhilfeempfängerin und welche Arbeitslose, welche BAföG-Studentin hat ernsthaften Einfluß auf die Veränderung ihrer Situation? Energiesparappelle mit erhobenem Zeigefinger stoßen bei Leuten in ihrer zugigen Altbauwohnung, in denen die Elektrospeicherheizung im Mietvertrag fixiert ist, bestenfalls auf Unverständnis. Dasselbe gilt auch in bezug auf die gerade den einkommensschwachen Schichten der Bevölkerung attestierte Wegwerfmentalität.
Wer sich aus dem bekannten Warenkorb des Sozialamts ernähren soll und zur Mehrwegflasche greift oder gar den Bioladen aufsucht, wird nur das Kopfschütteln der Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter ernten, wenn die Sozialhilfe dann nur noch den halben Monat reicht. Umweltzerstörung als rein individuelles Problem zu deklarieren ist daher meines Erachtens nicht zulässig.
Insofern ist auf der Konferenz in Rio ein durchaus richtiger Ansatzpunkt gewählt worden - die weltweiten Probleme der Umwelt, den Raubbau an der Natur in einen Kontext mit sozialer und wirtschaftlicher Unterentwicklung in der Welt zu stellen. Das hätte tatsächlich zu den tieferen Ursachen dieser Probleme führen können. Ich sage bewußt „können", denn man ist auch in Rio nur an der Oberfläche geblieben.
Eine Verurteilung bestimmter Länder, z. B. von Brasilien, wegen der Abholzung des tropischen Regenwaldes führt zu keinem Ergebnis, wenn nicht gleichzeitig Bedingungen geschaffen werden bzw. Hilfe dafür gewährt wird, daß sich in Brasilien eine eigenständige Wirtschaft entwickeln kann, die nicht auf den Verkauf des in den entwickelten Industrieländern ach so begehrten Tropenholzes angewiesen ist. Ein Importverbot löst das Problem allerdings ebensowenig.
Eine Umverteilung des Einkommens aus den Industrieländern zugunsten der ärmeren Lander ist dringend notwendig. Wir müssen unsere Vorstellungen von Lebenswerten einer kritischen Überprüfung unterziehen.
Meine Damen und Herren, in Treibhauseffekt und Zerstörung der Ozonschicht - beide Vorgänge werden ja teilweise von identischen Stoffen, allen voran dem FCKW, das in die Atmosphäre eingebracht wird, verursacht - bündeln sich sämtliche ökologische Fehlentwicklungen moderner Industriegesellschaften. Gerade für die Ozonzerstörung ist eine Chemiesierung nahezu sämtlicher Lebensbereiche der Menschen in den Industriestaaten - allen voran Nordamerika, EG-Europa und Japan - verantwortlich.
Dies betrifft nicht nur Reinigungs- und Lösungsmittel sowie FCKW in Kühl- und Klimaanlagen. Alle stufenweisen Reduzierungspläne werden angesichts der neuesten Meßergebnisse auch über der Nordhalbkugel der Erde zu Makulatur, und selbst konservative Zeitgenossen reden seitdem vom sofortigen Ausstieg - ein Wort, das die Regierung gar nicht so gern hört - aus der Produktion und Anwendung der Ozonkiller.
Da reicht es eben nicht, bestimmte vollhalogenierte FCKW durch teilhalogenierte zu ersetzen, wodurch das Problem nur verlangsamt, aber nicht gelöst wird. Es ist z. B. nicht einzusehen, warum Reinigungsmittel aus Methylchloroform, wie von der Bundesregierung vorgesehen, erst im Jahr 2000 aus dem Verkehr gezogen werden sollen. Ich denke, die wichtigste und politische Konsequenz, die aus der aktuellen Situation gezogen werden sollte, ist die, daß die Gewinne der Chemieindustrie kein Tabu mehr sein dürfen. Wir müssen heraus aus der Chlorchemie, und zwar so schnell wie möglich, und das kostet natürlich einiges.
Wenn es jedoch heißt, zwischen hohen UV-Konzentrationen am Boden, den Folgen für Mensch und Natur und hohen Chemiegewinnen zu wählen, sollte uns die Wahl nicht schwerfallen.
Die PDS/Linke Liste fordert daher eine Überarbeitung der FCKW-Halon-Verbotsverordnung mit erheblich kürzeren Ausstiegszielen und eine Politik, die sich auch zur ersatzlosen Streichung von bestimmten Produkten durchringen kann, wenn diese einfach nicht umweltverträglich herzustellen sind.
Die Bundesregierung sollte sich darüber hinaus im Rahmen des Montrealer Protokolls für einen früheren Ausstieg aus der Produktion und Anwendung von FCKW weltweit einsetzen. Die Zeichen stehen auf Sturm und sind unübersehbar.
Die PDS/Linke Liste fordert, Sofortmaßnahmen zur Reduzierung des Treibhauseffekts endlich in Angriff zu nehmen. Wir fordern den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Die Mittel, die für den Ausbau und insbesondere für Forschung im Atomenergiebereich ausgegeben werden, könnten so für Energieeinsparung, effiziente Energienutzung und die Nutzung regenerativer Energiequellen eingesetzt werden. Die Bundesrepublik als Industrieland muß sofort durch rationelle Energienutzung mit der Reduzierung der CO2-Emissionen um mindestens 2 % pro Jahr beginnen.
Wir fordern ein Sofortprogramm zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und eine grundlegende Neuorientierung in der Verkehrspolitik, die wirksame Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes beinhaltet. Fiskalische Momente reichen hier bei weitem nicht aus, Herr Kollege Baum.
All das ist hier in vielen Debatten immer wieder gefordert worden. Worauf es ankommt, ist, daß die vollmundigen Erklärungen von Rio mit konkreten Schritten hier im eigenen Land untersetzt werden
müssen, statt daß immer mit dem moralisierenden Zeigefinger weit nach außerhalb gewiesen wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster Redner spricht der Abgeordnete Klaus-Dieter Feige.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr eins nach der Konferenz von Rio und im Jahr drei nach dem ersten gloriosen CO2Reduktionsbeschluß der Bundesregierung herrscht in der Klimaschutzpolitik auf Bundesebene lähmende Untätigkeit. Dabei tut sich ein zunehmend absurder Widerspruch auf; denn in die Welt schickt die Bundesregierung ihren ökologischen Musterknaben Töpfer - das geht herunter wie Öl vielleicht -, der aber zu Hause bei den Kabinettssitzungen nur am Katzentisch sitzen darf und sich von völlig sachfremden Ministern die Vorlagen vom Tisch wischen lassen muß.
In keinem Land der Welt klafft deshalb die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Klimaschutzpolitik so weit auseinander wie in der Bundesrepublik.
Vielleicht hat es aber auch etwas Gutes, daß Deutschland zur ersten Rio-Nachfolgekonferenz eingeladen hat. Ursprünglich von der Bundesregierung wahrscheinlich als Wahlkampfgag auf Kosten der Steuerzahler gedacht, wird diese Veranstaltung der restlichen Staatengemeinschaft wohl die Gelegenheit bieten, exemplarisch das Versagen einer hochentwikkelten Industrienation bei der Erfüllung ihres CO2- Reduktionsziels zu studieren.
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Ich verstehe nur noch nicht, warum die Bundesregierung auf dieser Peinlichkeit besteht. Alle Rückzieher der Bundesregierung haben übrigens, Herr Baum, einmal mit einer Frage des Wirtschaftsministers angefangen;
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denn über eines können auch die gebetsmühlenartig vorgetragenen Beteuerungen nicht hinwegtäuschen: Auf Bundesebene haben wir derzeit ein faktisches Moratorium in der Umwelt- und Klimapolitik.
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Das ist wohl eine rezessionsbedingte, beinahe schon klassisch zu nennende Panikreaktion, die zuletzt auch in der Administration von George Bush zu beoboachten war.
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Nicht daß uns dies von dem schon vor längerem versumpften pfälzischen Gesamtkunstwerk erstaunen würde - es hätte nur verhängnisvolle Folgen -, sondern Umwelt und Klima müßten noch bis zur Ablösung der konservativen Regierung auf Unterstützung warten. Die auf der Konferenz in Rio geweckten Hoffnungen einer qualifizierten Veränderung der Nord-Süd-Beziehungen sind nicht eingetreten. Auch hier wird lediglich in Sonntagsreden die Notwendigkeit eines gerechten Umbaus anerkannt.
In der Praxis dagegen werden ökologische und entwicklungspolitische Folgeschäden für kurzfristige wirtschaftliche Erfolge akzeptiert.
Die jüngsten Entwicklungen in den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sind gekennzeichnet von protektionistischen Maßnahmen der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern. Nach dem Recht des Stärkeren setzen sie ihre Interessen durch und beschränken in hohem Maße die Möglichkeiten der Entwicklungsländer auf eine selbständige und dauerhafte Entwicklung.
Die Finanzierung der Agenda 21 ist noch vollkommen ungewiß. Weltweit geht die Entwicklungshilfe zurück. Die Bundesregierung bleibt weit hinter dem 0,7 %-Ziel zurück und kündigte auch schon für die folgenden Jahre eine negative Tendenz an.
Die Diskussion und das Ergebnis der letzten IDA- Auffüllung machen deutlich, daß der Süden nichts zu erwarten hat. Auch hier bleibt man hinter den Erwartungen der UNCED zurück. Eine Lösung des Schuldenproblems ist nicht in Sicht.
Die Bilanz, die ein Jahr nach der UNCED zu ziehen ist, ist erbärmlich. Die Zusammenhänge zwischen Umwelt- und Armutsentwicklung sind allgemein bekannt, werden allerdings von der Bundesregierung bei ihrer Entscheidungsfindung anscheinend erfolgreich verdrängt.
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Sie setzt weiter auf einseitige wirtschaftliche Entwicklung. Obwohl das wirtschaftliche Modell der Industriegesellschaften die Grenze der Belastbarkeit offensichtlich überschritten hat, gilt dieses Modell als Zwangsmuster für die Entwicklung der Welt.
Doch zumindest in einer Beziehung ist die Bundesregierung nicht untätig. Das Schlüsselwort heißt -wir haben es heute schon gehört - Konsens. Muster sind schon vorhanden: die sogenannten Asyl- und Solidarpaktkompromisse zwischen CDU und SPD.
Ziel der Bundesregierung war es dabei vor allem, von ihrer verfehlten Innen- und Wirtschaftspolitik abzulenken. Nun soll die Opposition wiederum in einen Konsens und damit gleich in die Haftung für eine katastrophale Industrie- und Klimapolitik eingebunden werden.
Wir haben nichts gegen einvernehmliche Lösungen. Nichts wäre sogar notwendiger, um z. B. die ehrgeizigen Vorgaben eines richtig verstandenen Klimarahmenübereinkommens einzulösen oder das Übereinkommen über die biologische Vielfalt wirklich mit Leben zu erfüllen. Doch führen Verhandlungen nur dann zu einem Ergebnis, wenn auch der Wille zum Kompromiß vorhanden ist. Wenn man in eine Verhandlung hineingeht, darf man das Ziel nicht schon vorgeben.
Für einen Kompromiß sehe ich so lange keine Bereitschaft, wie die monopolisierte Energiewirtschaft und die sie in Vasallentreue unterstützende Bundesregierung versuchen, die Bedingungen für einen Konsens zu diktieren, und das inklusive einer 40jährigen Bestandsgarantie für die maroden Atomreaktoren und die fortgesetzte Energieverschwendung in großen Kondensationskraftwerken auf Kohlebasis. Und neue werden gebaut.
Was wir dagegen wirklich brauchen, ist - um es in die Worte des amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore zu fassen -, die Rettung der Umwelt zum zentralen Organisationsprinzip der Zivilisation zu machen. Man muß ihm die Chance geben, in einer solchen Situation, wie sie in den USA vorzufinden war, diese Ziele überhaupt umzusetzen.
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Die Bundesregierung dagegen versucht es mit gleichbleibendem Mißerfolg mit zögerlichen Nachbesserungen, marginalen Korrekturen laufender Programme, begrenzten Verbesserungen von Gesetzen und Verordnungen und Lippenbekenntnissen an Stelle wirklicher Veränderungen. Dahinter steht die Hoffnung, daß es ohne Opfer, Anstrengungen und schmerzhaften gesellschaftlichen Wandel abgehen möge. Doch hier betrügt sie sich und die Bevölkerung.
Der überfällige Paradigmenwechsel hin zum nachhaltigen, umweltverträglichen Wirtschaften ist nicht kostenlos zu haben. Wir müssen endlich zu einer Form des Fortschritts finden, die die Bedürfnisse der Gegenwart deckt, ohne zukünftigen Generationen die Grundlage für deren Bedürfnisbefriedigung zu nehmen.
Einer der wirksamsten Ansätze dafür wäre die fiskalische Belastung des Energie- und Rohstoffverbrauchs. Denn nur so läßt sich der notwendige Strukturwandel hin zu verringertem Energieverbrauch und reduzierten Emissionen von treibhausrelevanten Gasen vollziehen.
Die Belastung der Erdatmosphäre findet nach wie vor zu Null- und Billigpreisen statt. Ich warne und sage noch einmal: Gerade im Verkehrsbereich findet das ununterbrochen statt. Wenn hier erwähnt wird, Herr Baum, daß wir die Mineralölsteuer erhöhen müssen, dann erinnere ich daran, daß dieser Antrag, den Sie selbst im Konsens mit der Regierung vorbereitet hatten, auch von Ihrer Fraktion abgelehnt wurde.
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Es nutzt nichts, irgendwelche Austauschmaßnahmen anzubieten und zu erhöhen, aber hintenherum wieder auszuzahlen. Dann wird sich in diesem Land nichts bewegen. Darm wird nicht ein einziges Kilogramm CO2 weniger in die Atmosphäre geblasen werden.
In krassem Gegensatz dazu steht jedoch die geplante EG-Energiesteuer. Hierbei sollen ausgerechnet energieintensive Industrien ausgespart bleiben und mittels gesplitteter Hebesätze weiterhin die ebenso umwelt- wie klimaschädliche Atomenergie
subventioniert werden. Eine besondere Spitzfindigkeit stellt jedoch die sogenannte Konditionalität dar, die die Einführung dieser Steuer exakt auf den SanktNimmerleins-Tag festlegt. Sollte es nicht gelingen, bei den Verhandlungen auf Europaebene bis Mitte dieses Jahres diese Klimaschutz -Verhinderungsmechanismen aus dem Weg zu räumen, ist die Zeit für einen nationalen Alleingang gekommen.
Will die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit auch nur ein wenig zurückgewinnen, ist sie darüber hinaus gut beraten, nicht weiter daran zu denken, das Aufkommen einer Klimasteuer für die Steinkohlesubventionierung zu verwenden. Unter solchen Bedingungen wäre der Klima-Enquetekommission die Selbstauflösung zu empfehlen. Denn dann würde das Ziel der Enquetekommission konterkariert werden.
Ich glaube, daß es nicht ausreicht, die Konventionen zu unterzeichnen. Es ist zwar dringend notwendig, das schnell zu tun; aber es kommt auch darauf an, daß die Verantwortungsträger endlich begreifen, daß man dafür auch etwas tun muß.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Als nächster spricht Minister Klaus Töpfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den angelsächsischen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten, ist heute „Earthday", Tag der Erde, der Umwelttag, wie wir ihn im Juni haben. Es ist vielleicht gut, darauf hinzuweisen. Denn die heutige Tagesordnung knüpft hier unmittelbar an. Wir behandeln im ersten Tagesordnungspunkt den globalen Umweltschutz. Wir werden uns danach mit dem kontinentalen, mit dem europäischen Umweltschutz beschäftigen und hinterher Fragen des Naturschutzes und der Umwelt im nationalen Bereich erörtern. Das zeigt den Spannungsrahmen. Ich finde, man sollte einen solchen guten Zusammenhang in der Tagesordnung einmal ansprechen.
Global, kontinental, national, bis zum einzelnen: Das ist der Rahmen, in dem wir Umweltpolitik gestalten müssen. Ich glaube, daß wir das in ganz besonderer Weise auch bezüglich der Gesetze tun können, die wir heute in erster Lesung beraten: die Klimakonvention und die Konvention über biologische Vielfalt.
Lassen Sie mich zu dem Antrag der SPD-Fraktion einen Satz sagen. Es ist etwas enttäuschend, daß er sich fast ausschließlich mit der Klimafrage beschäftigt. Unser „follow-up" ist wesentlich umfangreicher. Unser „follow-up" - das ist gerade gesagt worden - hat etwas mit Entwicklungs- und Umweltfragen und deswegen mit der Agenda 21 zu tun, mit der Frage, wie wir Armut überwinden können, ohne die Umwelt zu überfordern. Deswegen sollten wir uns darüber klar sein, daß wir mehr tun müssen, als uns mit dem Klima zu beschäftigen,
({0}) so wichtig das ohne jeden Zweifel ist.
Ich möchte nun die Konvention fiber die biologische Vielfalt in den Mittelpunkt stellen. Das ist eine Konvention, die meiner Ansicht nach in der öffentlichen Diskussion fast untergegangen ist und die doch so außerordentlich wichtig ist. Sie ist so wichtig, weil sie den ersten Schritt eines globalen Naturschutzes darstellt, nicht allein als Artenschutz, sondern als einen Schutz von Lebensräumen. Sie soll dazu beitragen, daß wir die Vielfalt im Potential der Gene erhalten, die wir heute und in der Zukunft brauchen.
Es ist eine außerordentlich anspruchsvolle, eine schwierige Konvention. Denn es ist der Gegensatz auszutragen, daß die wirtschaftlich armen Länder reich sind, was die Genvielfalt betrifft. Sie befinden sich in einer Spannungssituation, weil sie diesen Reichtum für die Welt insgesamt bewahren sollen und gerade die reichen Länder diesen Reichtum ausnutzen wollen. Deswegen sind Fragen des Technologietransfers so intensiv angesprochen. Wie können wir sicherstellen, daß das, was aus dieser Genvielfalt heraus an Kenntnissen zur Erhaltung der Menschheit erarbeitet wird, gerade auch diesen armen Ländern zur Verfügung gestellt wird?
Nebenbei: Das ist einer der entscheidenden Punkte, warum die Konvention über die Artenvielfalt in Rio von den Vereinigten Staaten noch nicht unterzeichnet worden ist. Denn man fragte sich: Wie sieht es mit der Erhaltung geistigen Eigentums aus? Ich bin außerordentlich dankbar, daß Präsident Clinton gestern abend anläßlich des Earthday in einer sehr bemerkenswerten Darstellung klargemacht hat, daß jetzt auch die Vereinigten Staaten die „Biokonvention" unterzeichnen werden. Er hat einige Erläuterungen dazu abgegeben, von denen ich glaube, daß wir sie nicht abgeben sollten. Aber der wichtige Schritt ist, daß jetzt die „bio-diversity", die Artenvielfalt, von einem der führenden Staaten, nämlich den Vereinigten Staaten, akzeptiert wird,
Dieser Aufgabe müssen wir uns auch bei der Finanzierung stellen. Natürlich kann man sehr leicht sagen: Mit den 0,7 % tun die noch nicht genug. Kollege Repnik wird darauf zurückkommen. Nur, meine Damen und Herren, müssen wir hier genauso ehrlich sein, wie wir es in Rio gewesen sind. Wir haben natürlich in Rio darauf hingewiesen, daß wir gegenwärtig unsere Aufgabe auch und gerade in der Stabilisierung der Entwicklung in Mittel- und Osteuropa sehen müssen. Wenn man nur einen Teil davon als Entwicklungsleistung heranzieht, dann brauchen wir auch im internationalen Maßstab wirklich keinen Vergleich zu scheuen.
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Dies ist die Aufgabe, die, wie ich meine, mit einer ganz erheblichen Anforderung und Herausforderung für jeden in unserer Gesellschaft verbunden ist. Ja, diese Hilfe ist notwendig.
Ich war am letzten Wochenende auf Einladung meines kanadischen Kollegen in Kanada, der vierzehn der Umweltminister zusammengeholt hat, die in Rio in besonderer Weise dazu beigetragen haben, daß wir ein Stück vorangekommen sind. Mein indischer Kollege Kamal Nath hat gesagt: Zehn Monate nach Rio ist die Gefahr gegeben, „that the emissions increase and the funds decrease", daß die Emissionen weiter zunehmen und die Hilfsmittel zurückgehen. Die Gefahr ist gegeben. Wir können heute sagen, sie ist bei uns, was „the increase of emissions" angeht, nicht gegeben. Wir haben einen Rückgang von Emissionen in der wiedervereinigten Bundesrepublik Deutschland.
Damit komme ich natürlich auf die Konvention über Klima zu sprechen. - Natürlich hat das auch etwas mit Wirtschaft zu tun. Aber wir haben uns doch gerade unstrittig und sachlich einigen können, daß wirtschaftliche Entwicklung, Umweltschutz und Umweltvorsorge sehr eng miteinander verbunden bewältigt werden müssen. - Wir ratifizieren diese KlimaRahmenkonvention nicht irgendwann. Bisher ist sie von 16 Staaten ratifiziert worden. Wenn Sie sich einmal ansehen, wer ratifiziert hat, erkennen Sie, daß das neben den Vereinigten Staaten, neben Kanada, neben Mexiko, neben Australien vornehmlich kleinere Inselstaaten sind, die eine ganz unmittelbare Besorgnis, fast eine existentielle Besorgnis im Zusammenhang mit der Entwicklung unseres Klimas und der Veränderung etwa des Meeresspiegels haben. Also, wir haben hier einen Prozeß, den wir sicherlich als „prompt start", als einen sofortigen Anfang bezeichnen können.
Ich hoffe sehr, daß dieses Hohe Haus mit großer Sachlichkeit, aber auch mit großem zeitlichen Nachdruck beide Konventionen in nationales Recht umsetzen wird, damit auch wir dazu beitragen, daß möglichst bald 50 Staaten gezeichnet haben; denn die Unterzeichnung von 50 Staaten ist die Voraussetzung, daß wir die erste Folgekonferenz durchführen können.
Herr Kollege Feige, an vieles haben wir bei der Nachfolgekonferenz gedacht, an Wahlkampf nicht. Allein das nüchterne Abstecken der Zeitachse hätte Sie davor bewahrt, das zu unterstellen. Ein solches Zeitwunder, daß die erste Vertragsstaatenkonferenz noch vor dem Ende des Jahres 1994 begonnen werden kann, bekommt keiner zustande. Zunächst müssen nämlich 50 Staaten ratifiziert haben. Dann gibt es die dreimonatige Umsetzungsphase und anschließend die sechsmonatige Berichtsphase. Wenn Sie das alles zusammenzählen, wird Ihnen klar, daß die erste Vertragsstaatenkonferenz in Deutschland frühestens im Frühjahr 1995 stattfindet. Ich danke Ihnen aber herzlich dafür, daß Sie die Prognose geäußert haben, daß ich auch dann noch diese Konferenz durchführe.
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Das würde ich jederzeit sehr gerne aufnehmen wollen, damit wir da in keiner Diskussion verbleiben. - Also, wir werden das tun.
Wir wissen dabei, daß in der Zusammenarbeit immer der Dreiklang gilt: „aid, trade, debts", also Hilfe, Handel und Schuldenabbau. Dieser Dreiklang ist zusammenzusehen.
Deswegen sind von uns die Initiativen ausgegangen, etwa die GATT-Verhandlungen durch eine Umweltkomponente zu ergänzen, weil die Besorgnis besteht, wir würden sehr schnell durch Umweltanforderungen im Handel so etwas wie nichttarifäre Han13016
delshemmnisse aufbauen und den Welthandel dadurch indirekt behindern. Viele kritische, besorgte Fragen aus den Ländern der Dritten Welt hat es dazu ganz ohne jeden Zweifel gegeben.
Noch einmal zur Konvention über Klima: Es wird gesagt, wir seien nicht dabei, sie umzusetzen. Wir haben am 12. März an dieser Stelle in aller Breite darüber gesprochen. Aber wenn es gewünscht ist, will ich weitere Argumente hinzufügen.
Ich bin dem Herrn Kollegen Baum herzlich dankbar, daß er gesagt hat: Wir führen Energiekonsensgespräche. Das ist richtig und vernünftig. Wir führen nicht Kernenergiekonsensgespräche allein, sondern Energiekonsensgespräche.
Der Herr Kollege Müller weiß - er sitzt doch mit dabei -, daß wir uns darauf verständigt haben: Es kann nur einen Konsens geben, wenn wir gerade in der Frage des Energiesparens, des effizienten Einsatzes fossiler Energieträger - Kohle, Mineralöl und Gas - und bei der Frage der Entwicklung erneuerbarer Energien vorankommen. Darin sind wir uns einig. Deswegen halten wir das auf der Habenseite fest, wenn es darum geht, in Deutschland eine Klimakonvention umzusetzen. Wir müssen Energiepolitik über Legislaturperioden hinaus konsequent fortführen.
Lassen Sie mich mit großem Nachdruck, mit großem Respekt und mit großer Sorge sagen: Das hat auch etwas mit der Weiterentwicklung der Primärenergie in Deutschland zu tun. Das hat z. B. mit Braunkohle etwas zu tun. Deswegen möchte ich mit großem Nachdruck sagen: Wir müssen bei den Menschen Verständnis finden, die über viele Jahre, über ganze Generationen hinweg im Braunkohlebergbau als Kumpel tätig gewesen sind. Wir müssen ihnen jetzt andere Aufgaben zuteilen, wenn wir unsere Energieversorgung mit weniger Braunkohle schaffen - aber auch noch mit Braunkohle; dazu steht der Bundesumweltminister. In den neuen Ländern , bei der LAUBAG und bei der MIBRAG, muß die Braunkohle in hochqualifizierten modernen Kraftwerken in Strom umgesetzt werden. Das gehört dazu.
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Dazu gehört auch, daß wir uns über Kompensationen unterhalten. Wir haben intensiv mit der deutschen Gaswirtschaft gesprochen. Es ist eine gute Sache, wenn wir dazu kommen können, etwa die Gasverluste im russischen Gasverteilungsnetz, die von den Fachleuten gegenwärtig auf 40 bis 50 Milliarden m3 pro Jahr geschätzt werden, mit deutschem Geld zu vermeiden, diese 40 Milliarden m3 zu uns zu liefern und hier dann sinnvoll einzusetzen. Das ist ein Kompensationsgeschäft, und es soll sich rechnen; aber es rechnet sich vornehmlich auch für die Umwelt.
Wenn man das Gas, das man als sogenanntes assoziiertes Gas bezeichnet, also Gas, das bei der Erdölförderung zwangsläufig mit anfällt, dort nicht nutzlos abfackelt und damit CO2 oder Methan emittiert, sondern wenn man das mit deutschem Geld und deutscher Technik dort auffängt, um es zu uns zu transportieren und hier sinnvoll einzusetzen, dann erspart das der Erde CO2, Klimaspurengase. Deswegen ist das nicht ein Ablenken von unseren Aufgaben
hier, sondern die beste Nutzung unserer materiellen Ressourcen, um der Umwelt auch ökologisch zu helfen. Darum geht es mir.
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Lassen Sie uns die Frage nach dem besten Einsatz der Mittel nicht nur auf unseren Rahmen beschränken, sondern etwas weiter ziehen. Dies ist im Kontext der Klimakonvention natürlich enthalten.
Sie zitieren Art. 2 der Konvention in Ihrem Antrag. Ich zitiere gern Art. 4 der Klimakonvention. Darin steht, daß wir Rechenmethoden festzulegen haben, wie man international kompensierend tätig werden kann, um die Ziele zu erreichen. Daran arbeiten wir international. Es würde sehr schnell das Klima, das Zusammenarbeiten atmosphärisch belasten, wenn sich jeder irgendeine Kompensationsleistung gutschreiben wollte, ohne daß das international abgestimmt ist. Wir möchten das bei der ersten Vertragsstaatenkonferenz erreichen, damit wir wirklich einen internationalen Klimapakt machen können und die verfügbaren Mittel dort einsetzen, wo sie die Umwelt am besten entlasten.
Also, Earth Day in den Vereinigten Staaten, Weiterentwicklung eines mit vielen Schwierigkeiten, aber auch mit Hoffnung gebenden Ergebnissen in Gang gesetzten Prozesses von Rio de Janeiro. Der Prozeß ist so breit, daß jeder, der nur einen Teil herausnimmt, wahrscheinlich enttäuscht sein wird. Er wird uns aber in der Breite so fordern, daß wir und die kommende Generation daran weiterarbeiten müssen, hoffentlich - wo immer möglich - in Gemeinsamkeit.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
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Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Enquete-Kommission Klima hat ihren letzten Bericht unter das Motto gestellt: Zeit zum Handeln. Ich glaube, das ist unstrittig. Unstrittig ist am heutigen Tage aber auch, daß wir auf einem richtigen, auf einem guten Wege sind.
Die Bundesregierung und insbesondere dieses Parlament haben ganz entscheidende Anstöße gegeben, daß der globale, daß der internationale Klimaschutz auf den Weg kommt, daß UNCED, daß Rio überhaupt stattfinden konnte. Ohne diese Initiativen wäre es nicht gelaufen.
Jetzt haben wir einen nächsten, einen notwendigen Schritt, nämlich die Ratifikation des Abkommens auch in der Bundesrepublik Deutschland. Ich glaube, wir sind uns einig darüber, daß dies wichtig, unabweisbar notwendig ist. Aber ich glaube auch, in diesem Hause wird sicherlich ein Konsens dahin gehend bestehen, daß dies nicht ausreichend ist. Wir werden in der Weltgemeinschaft weiter dafür werben müssen, daß die 50 Ratifikationen zustande kommen. Deshalb ist es notwendig, daß wir deutlich machen, daß wir seinerzeit nicht nur initiativ waren, sondern daß wir selbst jetzt diesen Schritt vollziehen. Ich wäre dankbar, wenn wir es über alle Fraktionsgrenzen
Dr. Klaus W. Lippold ({0})
hinweg erreichen könnten, die Beratungen noch vor der Sommerpause abzuschließen und das Abkommen noch vor der Sommerpause endgültig zu ratifizieren, um deutlich zu machen, daß wir weiterhin Impulse geben wollen.
Lassen Sie mich noch einen kurzen Satz zur Konferenz Umwelt und Entwicklung in Rio sagen. Ich glaube, vielen ist gar nicht aufgegangen, wie weitreichend die Beschlüsse dort waren. Sie sind nicht zuletzt auf der Basis dessen wissenschaftlich abgesichert, was wir an Vorarbeit in der Enquete-Kommission geleistet haben. Dort findet sich die Passage, daß wir weltweit eine Entwicklung wollen, die weiterhin Fauna und Flora existent bleiben läßt. Wenn ich diesen allgemeinen Satz unter Berücksichtigung dessen, was wir klimapolitisch noch dürfen, umsetze, dann heißt das nach den Erfahrungen aller Wissenschaftler, daß die Temperatur nicht um mehr als 0,1 Grad pro Jahrzehnt steigen darf. Wenn ich diesen Satz weiter übersetze, dann heißt dies, daß wir eine ganz drastische Reduktion des Verbrauchs der fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas vornehmen müssen. Ich glaube kaum, daß sich vor Rio jemand gedacht hätte, daß wir eine solche Passage in dieses Abkommen hineinbringen können. Deshalb würdige ich dies noch einmal als einen Erfolg, den man sehen muß. Ich glaube, man darf nicht immer nur die negativen Dinge sehen, sondern man muß auch sehen, was wir erreicht haben.
Lassen Sie mich allerdings auch deutlich machen, daß wir diesen Weg national konsequent weitergehen wollen und weitergehen werden. Das heißt: Wir brauchen eine Wärmeschutzverordnung, und zwar in einer abgestuften Form, damit das völlig klar ist.
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Wir brauchen eine Heizungsanlagenverordnung, eine Kleinfeuerungsanlagenverordnung.
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- Herr Lennartz, ich hoffe, daß Sie mir gleich auch noch so vehement zustimmen werden. - Wir brauchen weiter eine Wärmenutzungsverordnung in einer praktikablen Form. Sie muß auf die steuerlichen Erfordernisse abgestimmt sein, die wir in Brüssel zu regeln gedenken. Wir müssen natürlich die Zusammenhänge sehen, die zwischen der Brüsseler Steuerpolitik - ich nenne das Stichwort „CO2/EnergieSteuer", Herr Kübler, nicht nur das Stichwort „Energiesteuer" - und der Wärmenutzungsverordnung bestehen, damit es sich hinterher um ein in sich stimmiges System handelt. Wir dürfen nicht auf der einen Seite Dinge beschließen, die uns auf der anderen Seite hemmen, nur weil wir sie nicht konsequent durchdacht haben.
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Wir brauchen den verstärkten Einsatz von KraftWärme-Kopplung. Wir müssen, damit wir die Ziele in bezug auf die Braunkohle erreichen, so wie sie der Umweltminister gerade dargestellt hat, nach meinem Dafürhalten auch deutlich sehen, daß eine weitere Verminderung des Einsatzes von Steinkohle erforderlich ist. Ich sage das einmal so deutlich, Herr Lennartz. Dann wird bei Ihnen - wie sicherlich auch bei uns - die Diskussion schon ganz anders geführt werden, als es gegenwärtig der Fall ist. Aber wenn wir offen und ehrlich miteinander umgehen, dann muß das sein.
Wir brauchen ein Förderkonzept für erneuerbare Energien. Wir brauchen z. B. ein steuerliches Förderkonzept für den Wärmeschutz in Altbauten.
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- Ich sage ja, wir sind dabei. Nur, Herr Lennartz, ich will Ihnen jetzt einmal eines ganz deutlich sagen: Wenn wir durch eine konsequente Einsparpolitik die Voraussetzungen für die Realisierung eines derartigen Vorhabens schaffen wollen, dann sind Sie, wenn es ums Einsparen geht, natürlich nicht dabei.
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Wenn wir hinterher die Konzepte schaffen wollen, dann wollen Sie auf einmal auf den fahrenden Zug aufspringen. Aber auch wir in der Bundesrepublik Deutschland können die Mark nur einmal ausgeben. Das wissen die Menschen draußen manchmal besser als die Politiker. Deshalb müssen Sie auch beim Einsparen und nicht nur beim Ausgeben hinterher dabeisein.
Wir brauchen - ich hoffe, es bleibt bei Ihrer Zustimmung, die Sie gerade signalisiert haben -, wenn wir einen Klimaschutz realisieren wollen, auch zukünftig Kernenergie. Wir werden nicht nur über den Erhalt der Kernenergie, sondern auch über den Ausbau der Kernenergie, und zwar weiterhin in gesicherter Form, nachdenken müssen, wenn wir Klimaschutz erreichen wollen. Auch dies ist ein wichtiger Punkt. Ich kann heute nicht sagen: Ich steige aus,
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wenn ich die zusätzlichen Emissionen, die unvermeidbar sind, auf der einen Seite hinzunehmen bereit bin, auf der anderen Seite jedoch von der Reduktion ebendieser Emissionen auf Grund der Verbrennung fossiler Brennstoffe spreche. Auch da müssen Sie konsequent sein.
Ich meine, wir müssen auch beim Pkw dazu kommen, daß wir eine stetige lineare Verminderung des Kraftstoffverbrauchs erreichen, und zwar um 30 %. Aber auch hier werden wir den Weg mitgehen müssen, diese Verminderung flankierend durch eine Veränderung der Mineralölsteuer zu begleiten, die stets sozialverträglich und vernünftig eingebunden sein muß, damit dieses Ziel auch realisiert werden kann.
Wir brauchen darüber hinaus aber nicht nur die nationalen Maßnahmen. Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Ohne daß wir in der EG parallel Fortschritte machen, ohne daß wir weltweit Fortschritte machen, wird eine solche Politik nicht zu realisieren sein.
Herr Abgeordneter Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ganseforth?
Als Schlußfrage, denn ich würde diesen Gedanken zunächst gerne zu Ende führen.
Deshalb brauchen wir eine europäische Vorgehensweise, in die eingebettet wir arbeiten müssen.
Ich bin völlig der Meinung, Herr Feige, daß Konditionierungen entfallen müssen. Wenn wir eine europäische Vorgehensweise haben, dann muß ich das nicht an die Energiekostenentwicklung Japans koppeln, zumal die Energiekosten Japans eh höher sind als die der Bundesrepublik Deutschland. Ich brauche es auch nicht an die Energiekostenentwicklung der USA zu koppeln, wo sich hoffentlich etwas bewegt, wenngleich ich mit einer gewissen Enttäuschung zur Kenntnis genommen habe, daß der Vorstoß Clinton/ Gore ganz offensichtlich leicht zu bröckeln beginnt. Ich hoffe, daß dies letztlich nicht der Fall sein wird. Es wäre schon hilfreich, wenn das, was Gore in Rio zugesagt hat, auch eintreten wird.
Lassen Sie mich noch einmal deutlich sagen: Wir brauchen Europa nicht nur als EG-Europa, sondern wir brauchen auch die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten und den GUS-Nachfolgestaaten. Nun ein offenes Wort zur Entwicklungshilfepolitik: Wenn wir das, was wir diesen Ländern, die wir in weitesten Bereichen zu den Entwicklungsländern zählen müssen, geben, aufsummieren und ins Verhältnis zu dem setzen, was wir ansonsten leisten, dann liegen wir bei 1,35 %. Damit können wir uns weltweit wie kein anderes Land sehen lassen. Wenn wir diese Leistungen zusammenrechnen, dann haben wir Waffenlieferungen nicht - wie bei anderen - mitgezählt, sondern das ist wirklich reine Entwicklungshilfe in einer Form, wie wir sie brauchen, um Umweltschutz und die wirtschaftliche Entwicklung zu realisieren.
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Da Ihre Redezeit gleich zu Ende ist, darf ich noch einmal fragen, ob Sie die Zwischenfrage noch gestatten oder nicht. Frau Ganseforth kann ja nicht noch länger stehen bleiben.
Ein Satz noch, und dann lasse ich die Zwischenfrage zu.
In einem gebe ich natürlich sowohl Herrn Kübler als auch Herrn Feige recht: Wir müssen den NordSüd-Konflikt sicherlich lösen. Wir müssen den Ländern dort vermehrt Wohlstand einräumen, denn wir können nicht zwei Lebensstile haben, wie Indira Gandhi gesagt hat, und zwar den der nördlichen Hemisphäre und den der südlichen Hemisphäre. Das geht nicht. Dies müssen wir mit Umweltschutz verbinden.
Frau Ganseforth.
Ich kenne ja Herrn Lippold: Er sagt nicht ja, er sagt nicht nein; er läßt einen warten. Das ist sein Stil.
Herr Lippold, ist Ihnen als Vorsitzenden der Enquete-Kommission bekannt, daß die Enquete-Kommission nachweisen ließ, daß das Ziel der Reduktion von CO2 mit dem Ausstieg aus der Kernenergie erreichbar ist?
Frau Kollegin Ganseforth, Sie müssen der Ehrlichkeit halber hinzufügen, daß das Ziel dann erreichbar ist, wenn wir Einschnitte vornehmen, die in Ihrer Fraktion niemand will und die die Bevölkerung erst recht nicht will. Wenn wir deutlich sagen würden, daß wir dann de facto auf jede Form von Mobilität und auf viele andere Annehmlichkeiten verzichten müßten, dann wissen Sie, daß das in diesen Zeiten überhaupt nicht realisierbar wäre. Das wollen Sie ja auch gar nicht. Sie sagen ja nur, das sei erreichbar. Aber Sie sagen nie, mit welchen Einschnitten es erreichbar ist und daß der Konsens dann aufhört. Ich gehe einen Weg des Konsenses, bei dem ich weiß, daß ich Klimaschutz realisieren kann. Aber er muß so beschaffen sein, daß er auch noch Akzeptanz findet, denn ohne diese Akzeptanz ist uns nicht geholfen. Diese Akzeptanz wird schwinden, wenn wir allein in Deutschland etwas erreichen wollen und wenn wir den Leuten nicht deutlich machen, daß die anderen Staaten diesen Weg mitgehen.
Auf einer kürzlich gemachten Reise hat der Berater eines sehr mächtigen Mannes gesagt, als ich ihn auf Klimaschutz ansprach -
Darf ich fragen: Gehört das noch zur Antwort oder nicht?
Das ist der Schluß der Antwort.
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Als ich ihn auf diese Frage ansprach, sagte er: Wir haben zur Zeit ganz andere Probleme als die Klimakonvention. - Das ist der Punkt.
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- Nun werdet doch nicht gleich so unruhig, wenn man euch ein paar Wahrheiten sagt.
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- Beides.
Gestatten Sie noch eine abschließende Frage des Abgeordneten Feige?
Sehr gern.
Sehr geehrter Herr Kollege Lippold, können Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß der Ausgleich zwischen der Ersten und der Dritten Welt hin zu einem einheitlichen Lebensniveau nicht auf dem Niveau der Ersten Welt stattfinden kann, weil das
sofort eine ökologische Katastrophe auf der Erde provozieren würde?
Herr Kollege Feige, ich versuche, Nachdenklichkeit für ebendiesen Satz zu erwecken, der von Gewerkschaften, von Kirchen und von anderen gesagt wird. Aber als wir in der Töpfer-Runde beisammensaßen, mit Herrn Meyer an der Spitze, habe ich gefragt, ob wir denn Rückendeckung erhalten, wenn wir solchen Gedanken nachgehen würden, was ja nicht nur Stillstand von Forderungen bedeutet, sondern auch Abstriche am Lebensstandard zur Folge hat. Sagen Sie das doch einmal in einer Situation, in der wir die SteinkühlerRunde erleben, in der wir erleben, daß die Kirchen die sozialethische Verpflichtung darin sehen, daß sie sagen: An unser Niveau in Deutschland darf keiner heran. Und in Europa wird gesagt: Aber bitte nicht den geringsten Abstrich am europäischen Niveau!
Und wenn da, Herr Kollege Feige, von Ihnen mal ein offenes, klares Wort käme - nicht immer nur diese abstrakten Sätze -, was der Verzicht tatsächlich bedeutet, wann wären wir wirklich ehrlich miteinander,
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dann könnten wir diesen Weg auch zusammen gehen.
Vielen Dank.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Monika Ganseforth.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben soeben den Vorsitzenden der Klima-Enquete-Kommission erlebt, wie er leibt und lebt. Vielleicht wird damit auch deutlich, warum sich die Klima-Enquete-Kommission in müßigen Diskussionen verfängt und nicht zur Sache kommt.
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Als der Club of Rome 1972 von den „Grenzen des Wachstums" sprach, war das eine radikale, provozierende Feststellung. Seitdem ist das Thema auf der Tagesordnung. Wir wissen inzwischen, daß wir, die Menschen in den Industrieländern, die Ressourcen unseres Planeten weit übernutzen. Auch ohne Bevölkerungswachstum, wenn man also nur von der Zahl der jetzt lebenden Menschen ausgeht, gilt: Die Erde wäre in kürzester Zeit ruiniert, wenn alle so lebten wie wir, wenn alle soviel Energie verbrauchten, Müll produzierten, Auto führen, fliegen würden, Wasser und Rohstoffe verbrauchten.
Es ist also nicht so sehr die Frage: „Wieviel Chinesen und Inder verträgt unser Planet?", sondern mehr die Frage: „Wieviel Amerikaner und Deutsche können hier noch leben, wieviel Menschen, die diesen Lebensstandard für sich fordern?" Diese Zusammenhänge kann man ganz einfach mit Dreisatzrechnungen oder naturwissenschaftlich nachvollziehen. Das heißt nicht, daß die Verteilung innerhalb unserer
Gesellschaften nicht auch sehr ungerecht ist und anders gemacht werden muß.
Es geht also in der Klimaproblematik und beim Thema Umwelt und Entwicklung urn nicht mehr und nicht weniger als darum, unseren Lebensstil zu ändern und die Industriegesellschaft ökologisch und sozial zu modernisieren und umzustrukturieren, damit alle noch eine gute Zukunft haben.
Das ist nicht einfach, weil wir lange glaubten, Fortschritt und Lebensqualität heiße größere Wohnungen, schnellere Autos, mehr Komfort, mehr Konsum, mehr Energie. Gerade wer Mangel und Entbehrung kennt wie viele Menschen unserer Generation, die noch Krieg und Vertreibung erlebt haben, hat es nicht leicht, Abschied zu nehmen von diesem zerstörerischen Wohlstandsmodell. Aber wenn wir kritisch sind, stellen wir fest: Wir bewegen uns schneller vorwärts, um Zeit zu gewinnen, und haben weniger Zeit. Wir können uns viel leisten, wir sind reicher an Gütern, ohne daß Menschlichkeit und Solidarität zugenommen haben.
Es geht also nicht um Verzicht, wenn wir von unserem Wohlstandsmodell Abschied nehmen, sondern es geht darum, eine andere Qualität in den Vordergrund zu stellen: Nähe statt Entfernung, weniger Güter, mehr Menschlichkeit, Muße statt Streß.
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Oder, wie es ein Experte in der Klima-EnqueteKommission gesagt hat: Lob der Faulheit.
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- Es ist auch ein Stückchen Abschied von der Leistungsgesellschaft.
Auf der Umweltkonferenz in Rio ging es jedenfalls auch darum, die Grenzen des Wachstums zu akzeptieren und die notwendige Richtungsänderung der Politik und der Gesellschaft hin zu einer dauerhaften Entwicklung einzuleiten. Bereits im Vorfeld zeigte sich, daß es nicht gelingen würde, die Fehlentwicklung zu stoppen. Es gibt zuviel Egoismus. Jeder guckt auf den anderen. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen für die folgenden Generationen schreitet fort.
Daß die Umweltkonferenz aber dann doch ein eigenes Gewicht entwickelte, hängt sicher damit zusammen, daß die Dramatik der Bedrohung unseres Planeten und die Gefährdung der Zukunft der Menschheit allen bewußt geworden und nicht zu übersehen sind. Seitdem versuchen allerdings die Bundesregierung, ihr Umweltminister und die Abgeordneten der Koalition, mit griffigen Vokabeln wie „follow-up" und „prompt start" den Eindruck zu erwecken, als wenn der Impuls von Rio aufgegriffen, fortentwickelt und umgesetzt wird. Was heute hier als Leistung geschildet worden ist, sind alles noch Maßnahmen aus der alten Legislaturperiode, z. B. das Einspeisegesetz oder die FCKW-Halon-Verbotsverordnungen. Das reicht bei weitem nicht aus, um das zu machen, was wir brauchen, nämlich einen sofortigen Ausstieg aus den ozonzerstörenden Chemikalien und ein Verstopfen der Schlupflöcher, die es allenthalben noch gibt.
Alle Maßnahmen, die zur Umsetzung des Zieles führen, befinden sich in einer Hängepartie. Wir haben hier ein Roll back zu verzeichnen, und die Lobbyisten feiern Urständ.
Das Ziel der Treibhausgasreduktion, insbesondere CO2, ist erreichbar. Die Enquete-Kommission hat das in über 150 Einzelstudien ermittelt und aufgezeigt. Das Energiesparpotential ist groß, z. B. im Gebäudebestand - dort sind es 70 bis 90 % - und auch bei den Neubauten.
Wir bräuchten also eine Wärmeschutzverordnung, die diesen Ansprüchen gerecht wird. Aber selbst die, die dem Kabinett vorgelegen hat, wird nicht verabschiedet. Sie sieht den Standard vor, den Schweden 1980, also vor über zehn Jahren, hatte. Ich fordere Sie auf: Sorgen Sie dafür, daß die Wärmeschutzverordnung endlich verabschiedet und nicht den Lobbyisten, den Architekten und den Firmen der Ziegelelindustrie, geopfert wird!
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Wir haben ermittelt, daß das Einsparpotential zwischen 35 und 44 % beträgt.
Und wir brauchen eine Umstrukturierung, Herr Lippold, auch bei Beibehaltung der Kernenergie; das haben die Studien ergeben. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wir können wählen, entweder Umstrukturierung der Energieversorgung mit Ausstieg aus der Kernenergie oder Beibehaltung der Strukturen ohne Ausstieg, also bei Fortbestand der Kernenergie, so sind das nicht die Alternativen. So oder so brauchen wir eine generelle Umstrukturierung, und die Kernenergiefrage ist eine ganz rudimentäre, die man ganz am Ende behandeln muß. Aber es geht ohne Kernenergie.
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Das Einsparpotential muß jedoch aktiviert werden. Wir haben in unserem Antrag die Instrumente genannt.
Und, Herr Baum: Diese „Instrumentendebatte" - ob es die marktwirtschaftlichen Instrumente sind oder die Verordnungen, ob es Subventionen oder ob es Auflagen und Abgaben gibt - ist eine falsche Diskussion. Wir brauchen alles. Wir brauchen einen Instrumentenmix von marktwirtschaftlichen und ordnungsrechtlichen Instrumenten. Man kann nicht das eine gegen das andere ausspielen, was die ganze Zeit immer wieder gemacht wird.
Frau Ganseforth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schnittler?
Ja.
Sehr geehrte Frau Kollegin, würden Sie wenigstens der heute in dieser Debatte so geschmähten Bundesregierung zubilligen, daß sie sehr wohl recht gut in der Lage wäre, die notwendigen Einsparungen bei den CO2-Emissionen zu erreichen, wenn wir in Deutschland einen breiten
Konsens über die weitere Nutzung der Kernenergie hätten?
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Das ist falsch. Sie haben nicht zugehört. Die Kernenergie verhindert geradezu die notwendige Umstrukturierung, um Energie effizienter zu nutzen und den Zugang zum Markt für regenerative Energien und Energiesparpotentiale zu öffnen. Kernenergie ist eine angebotsorientierte, fix-kostenorientierte Energieform, die verhindert, den Energiemix zu ändern. Jede Mark, die Sie in die Kernenergie investieren, fehlt beim Wärmeschutz und bei den regenerativen Energien.
({0})
Wir brauchen andere Instrumente, die wir in unserem Antrag nennen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte.
Sie haben zwar meine erste Frage nicht beantwortet, aber ich will eine zweite Frage stellen.
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- Die war nur mit Ja oder Nein zu beantworten.
Ich will eine zweite Frage stellen: Wenn Sie meinen, daß wir die von Ihnen für notwendig erachteten Einsparungen bei den CO2-Emissionen ohne Kernenergie erreichen können, sind Sie dann auch bereit, Sie persönlich und Ihre Partei, Ihren Wählern klar zu machen, daß das erhebliche Abstriche am materiellen Lebensniveau in Deutschland bringen wird? Und sind Sie auch bereit, das im nächsten Jahr im Wahlkampf Ihren Wählern vorzutragen?
Ich habe vorhin gerade etwas über das Wohlstandsmodell und die Lebensqualität gesagt und betont, daß das nicht Verzicht bedeutet. Aber es ist ein anderes Wohlstandsmodell. Wir sind durchaus bereit, das den Wählerinnen und Wählern zu sagen. Sie fragen uns sogar, wann wir endlich damit anfangen. Ich würde mich freuen, wenn es darin auch auf Ihrer Seite Konsens gäbe.
Frau Ganseforth, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Frau Kollegin Ganseforth, würden Sie mir bestätigen, daß der Staatssekretär in Berlin, Professor Wicke, jüngst nachgewiesen hat, daß das heutige Energiemodell bereits volkswirtschaftliche Kosten von etwa 200 Milliarden DM aufwirft und eine Umstrukturierung des Energiemodells natürlich volkswirtschaftliche Kosten spart?
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Das bestätige ich. Ich beziehe mich auch auf die Rede von Herrn Kübler, der diesen Zusammenhang angedeutet hat.
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Wir nennen die Instrumente, die zur Umstrukturierung nötig sind. Das ist ein Instrumentenmix. Die Debatte darüber, was dabei im Vordergrund steht, bringt nicht weiter. Wir brauchen sie alle: Änderung der Stromtarife, Aufstellung eines Programms zur Förderung erneuerbarer Energieträger - ich habe mich gefreut, Herr Lippold, daß Sie unseren Vorschlag akzeptieren -, ein Programm zur Energieeinsparung, rationellen Energienutzung und Kraft-Wärme-Kopplung. Es ist nötig, die Höchstgrenzen, Effizienzstandards und eine Kennzeichnungspflicht beim Stromverbrauch von Massenprodukten vorzusehen. Die Verbesserung der Einspeisbedingungen für regenerative Energien und Kraft-Wärme-Kopplung ist dringend erforderlich. Die Einführung einer Pflicht zur Erstellung betrieblicher Energiekonzepte für mittlere und größere Unternehmen ist notwendig.
Ach ja, wo bleibt eigentlich die seit Monaten oder seit Jahren überfällige Wärmenutzungsverordnung? Wann wird es endlich soweit sein? Sie haben sie hier zum x-ten Mal angekündigt. Ganz besonders groß ist der Handlungsbedarf im Verkehrssektor. Der Verkehrswegeplan leitet nicht die Verkehrswende ein, die wir brauchen. Wir haben in unserem Antrag die Instrumente Tempolimit, Reduzierung von Kurz- und Mittelstreckenflügen, die Einführung einer Flottenverbrauchsregelung und die stufenweise Anrechnung der vollen Wegekosten genannt. Wenn das keine marktwirtschaftlichen Instrumente sind, wie sie Herr Baum vorhin gefordert hat, weiß ich nicht, was er darunter versteht.
Rio darf kein Strohfeuer bleiben. Beenden Sie die Sonntagsreden, und wiederholen Sie nicht von Mal zu Mal - auch wenn wir heute wieder viel Richtiges gehört haben -: Wir brauchen, wir müssen, wir sollten, wir werden! Hören Sie auf zu reden! Handeln Sie endlich!
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Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Christian Ruck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu den wichtigsten positiven Ergebnissen von Rio gehören die verabschiedeten Konventionen zur Erhaltung der Artenvielfalt und zu Maßnahmen gegen die Zerstörung des globalen Klimas. Auch ich begrüße deshalb nachdrücklich die vorliegenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung, die das Ratifizierungsverfahren bei uns in Deutschland in Gang setzen.
Beide Konventionen haben erhebliche Konsequenzen für die Entwicklungspolitik: Beim Schutz der Erdatmosphäre und unseres Klimas sind zwar tatsächlich in erster Linie die reichen Industrieländer gefordert; aber wir alle wissen, daß die fortschreitende Zerstörung der Tropenwälder, wichtige CO2-Senken, ebenso verheerende Auswirkungen zur Folge haben
wird wie das Nachahmen des derzeitigen energiefressenden Lebens- und Wirtschaftsstils des reichen Nordens durch die Entwicklungsländer.
Was die Vielfalt der Schöpfung anbelangt, so gibt es z. B. auf einem einzigen der verbliebenen Urwaldriesen in Westafrika mehr verschiedene Tier- und Pflanzenarten als auf einem ganzen Hektar unseres ordentlichen deutschen Monokulturwaldes.
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Folgerichtig sind mit der Ratifizierung der Konventionen auch neue entwicklungspolitische Anstrengungen verbunden. Unsere Entwicklungspolitiker, unsere Fachbeamten, unsere Entwicklungshelfer haben im Laufe der letzten Jahre gerade im Umweltbereich Schrittmacherdienste geleistet - ich nenne nur einiges -: mit großflächigen Aufforstungsmaßnahmen und dem gelungenen Versuch, Wüste wieder zum Leben zu erwecken, mit Lehmöfen, beispielsweise in Tansania, die 50 % Brennholz sparen und 60 % der Rauchentwicklung reduzieren, mit Nationalparkmodellen, die Naturschätze bewahren und damit gleichzeitig der umliegenden Bevölkerung umweltverträgliche Einkommensquellen eröffnen.
Die Modelle sind da. Liebe Frau Ganseforth, lieber Herr Feige, gerade in der Entwicklungspolitik bitte ich über den Tellerrand des eigenen Ausschusses hinauszusehen.
Die Impulse von Rio, die Sie angemahnt haben, Frau Ganseforth, sind da. Ein Blick in den Haushalt genügt, um festzustellen: Wir haben, wie versprochen, dreistellige Millionenbeträge für die GEF und für die IDA im Haushalt eingestellt. Wir haben die Beschlüsse von Rio in dieser Hinsicht sehr schnell und konsequent umgesetzt.
Angesichts dieser großartigen Denkansätze und Entwicklungsprojekte im Bereich des BMZ ist die entscheidende Frage, ob es beim Follow-up-Prozeß von Rio gelingt, zu erreichen, daß alle Geberländer und Institutionen willens sind, ihre Kräfte in der Entwicklungspolitik zu bündeln und zu koordinieren, damit diese Modelle auch flächendeckend in Afrika, Asien und Südamerika zum Durchbruch kommen. Das gilt für die Weltbank, das gilt für die EG, aber auch für die Japaner und Amerikaner.
Um diese gewaltigen Summen auf unserer Seite, auf der Seite der Industrieländer, aufzubringen, sollten wir durchaus auch für neue, unkonventionelle Finanzierungsmöglichkeiten offen sein.
Herr Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Ja, bitte.
Herr Kollege, Sie sprechen von Prioritäten in der Entwicklungshilfe. Ist Ihnen in Erinnerung, was Generalsekretär Boutros-Ghali zur Eröffnung der Rio-Konferenz über die Entwicklung der Weltbevölkerung gesagt hat? Welche Konzepte könnte uns eigentlich eine konservative Partei empfehlen?
Meinen Sie den Papst, oder können Sie das konkretisieren?
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Ich habe eher an Ihre politische Zugehörigkeit gedacht.
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Mein Bischof ist Benediktiner und insofern ein fortschrittlicher Mensch. Wir schlagen in der Entwicklungspolitik ja Konzepte vor, die Sie auch kennen und die darauf zielen, daß in allen Bereichen der entwicklungspolitischen Ebene die Eindämmung des Bevölkerungswachstums Priorität hat:
({0}) - Mit den bewährten Konzepten des BMZ.
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Ich möchte das nicht weiter ausführen.
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Lassen Sie mich den Faden wieder aufnehmen, denn, Herr Grünbeck, Sie haben mich mit Ihrer Frage gerade beim Doppelpunkt unterbrochen. Ich fordere uns z. B. auf, auch über Kompensationsmodelle der westlichen Wirtschaft bei der CO2-Problematik nachzudenken. Wenn z. B. klar ist, daß eine Milliarde DM, investiert in CO2-Einsparung oder Energieeinsparung in Afrika oder China, erheblich mehr bringt als eine Milliarde DM Investitionen in hochmoderne deutsche Kraftwerke, dann ist nach meiner Ansicht vom globalen Energiekonzept her eine solche Kompensation durchaus überlegenswert.
Die zweite entscheidende Aufgabe von Rio geht jedoch weit über das Feld der eigentlichen Umweltpolitik hinaus. Es ist die Bekämpfung der Massenarmut in weiten Teilen der Bevölkerung der Dritten Welt. Armut konserviert nicht, Armut vernichtet. Die Armut in den Entwicklungsländern bedroht auch unsere Umwelt.
Wer deshalb für die Ratifizierung der beiden vorliegenden Gesetzentwürfe eintritt, muß wissen, daß er damit konsequenterweise auch zum Abbau des Protektionismus gegenüber den Entwicklungsländern, zu qualitiativer und quantitativer Stärkung der Entwicklungshilfe und zur entschlosseneren Einflußnahme auf die internen sozialen und politischen Rahmenbedingungen in vielen Ländern der Dritten Welt ja sagen muß.
Nicht ohne Grund trägt die Rio-Konferenz der Vereinten Nationen die Bezeichnung „Umwelt und Entwicklung". Daher ist mir unverständlich - übrigens auch meinen SPD-Kollegen im Entwicklungsausschuß -, mit welcher Ignoranz der vorliegende SPD-Antrag zum Follow-up von Rio gerade die entwicklungspolitische Komponente der globalen Umweltfragen hat unter den Tisch fallen lassen. Nicht zuletzt als Entwicklungspolitiker lehne ich deshalb diesen Antrag ab. Er enthält übrigens auch keine einzige Aussage zum Problemkreis der Vielfalt der Schöpfung im eigenen Land. Ich kann nur hoffen, daß
Ihre Kollegen SPD-Minister in den Ländern hier einen anderen Schwerpunkt setzen, als Sie es in Ihrem Antrag tun.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es gelingen, mit Hilfe unserer Entwicklungspolitik die natürlichen Ressourcen und die Vielfalt der Schöpfung auch in der Dritten Welt zu retten, zumindest so lange, bis unsere Mitmenschen in den Entwicklungsländern willens und in der Lage sind, ihre Umwelt selber zu schützen?
Dies ist ein Wettlauf mit der Zeit. Mit Blick auf die Welt, die wir zukünftigen Generationen hinterlassen wollen, haben wir, glaube ich, gar keine andere Wahl, als ohne Wenn und Aber in diesen Wettlauf einzusteigen.
Vielen Dank.
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Als nächste hat die Abgeordnete Ulrike Mehl das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, Herr Töpfer, daß Sie die Konvention zur biologischen Vielfalt so herausgehoben haben. Das ist ein Thema, das häufig untergeht und ins Hintertreffen kommt.
Es gibt schätzungsweise 30 Millionen Arten auf der Welt. Von diesen 30 Millionen sind ungefähr 1,5 Millionen bekannt, d. h. sie sind beschrieben und haben einen Namen. Wir kennen also gerade knapp 5 % der auf der Welt vorkommenden Arten. Über die Lebensräume dieser Arten und ihre Population sowie die Beziehungen untereinander wissen wir vergleichsweise sehr wenig, um nicht zu sagen: fast nichts.
Das Wort Ökologie ist zwar inzwischen allgegenwärtig, aber die eigentliche Bedeutung des Wortes, nämlich Lehre über die Beziehungen der Organismen untereinander und zu ihrer unbelebten Umwelt, vermögen wir heute so gut wie nicht auszufüllen. Unser Verhalten ist jedoch so, als wüßten wir, was passiert, wenn wir weiterhin, noch dazu in dieser Geschwindigkeit, Tier- und Pflanzenarten ausrotten oder in die Nähe der Ausrottung rücken.
Man schätzt, daß täglich 20 bis 75 Arten ausgerottet werden. Am Ende dieser Debatte werden wieder einige Arten unwiderbringlich verschwunden sein. 50 % der Arten - das wurde soeben auch schon von Herrn Ruck erwähnt - leben in Tropenwäldern und damit in sehr sensiblen und hochkomplizierten Ökosystemen. Deshalb sind Eingriffe in solche Lebensräume schon aus der Sicht des Artenschutzes eine Katastrophe, zumal da diese empfindlichen Lebensräume globale Funktionen haben, aber unwiederbringlich verschwunden sind, wenn sie zerstört wurden.
Der weltweite Artenrückgang findet aber durchaus nicht nur in fernen Urwäldern statt, sondern in heftigem Maße auch bei uns.
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Von den rund 50 000 bei uns vorkommenden Arten ist
ein erheblicher Teil in irgendeiner Weise gefährdet.
Zum Beispiel sind von 273 Brutvogelarten 166 als
gefährdet eingestuft. Das heißt, es gibt überhaupt keinen Anlaß, daß wir den Entwicklungsländern mit Arroganz begegnen.
({1})
Auch wenn die 50 % in den Tropenwäldern lebenden Arten bei uns leben würden, hätten sie sicher nichts zu lachen.
({2})
Weil dies so ist, ist das Engagement der Bundesregierung auch für diese Konvention im Rahmen der Rio-Konferenz ausdrücklich zu begrüßen.
Aber, meine Damen und Herren - es wird Sie sicherlich nicht überraschen -, ich kann Ihnen Kritik auch zu diesem Thema nicht ersparen. Sie schreiben unter Punkt D „Kosten" in Absatz c:
Im übrigen werden durch die Umsetzung der Maßnahmen des Übereinkommens in der Bundesrepublik Deutschland Bund, Länder und Gemeinden nicht mit weiteren Kosten belastet, weil diese Maßnahmen bereits umgesetzt sind oder im Rahmen der laufenden nationalen Naturschutzpolitik und der dortigen spezifischen Regelungen ohnehin umgesetzt werden.
Da staune ich aber. Wenn Sie nämlich das ernst nehmen, was in der Konvention steht, dann halte ich es für ausgeschlossen, daß dies nicht zusätzliches Geld kostet, geschweige denn weniger.
({3})
Wenn ich mich nicht irre, sind gerade im Bereich des BMU auf dem Gebiet Naturschutz besondere Kürzungen vorgenommen worden.
({4})
Sie wissen genausogut wie ich, daß wir einen weiterhin anhaltenden Artenrückgang zu beklagen haben und daß dieser Schwund sogar in den am schärfsten geschützten Gebieten, nämlich in den Naturschutzgebieten, stattfindet. Sie müßten auch wissen, daß dies in erster Linie auf der Zerstörung und Verschlechterung der betreffenden Lebensräume beruht und daß das durchaus nicht nur, wenngleich wesentlich, die Landwirtschaft betrifft, sondern vom Tourismus bis zum Verkehr, von der Luftverschmutzung bis zur Wasserbelastung reicht.
Mit 1,8 % Naturschutzfläche in Deutschland, noch dazu in überwiegend relativ kleinen Gebieten, werden Sie diese Konvention nur auf dem Papier beschließen. Ein wesentlicher Teil der Konvention beschäftigt sich mit In-situ-Erhaltung. Das heißt, erste Priorität muß die Erhaltung von Lebensräumen haben. Ich kann leider nicht erkennen, daß dies in besonderer Weise geschieht. Sie sind ja noch nicht einmal in der Lage, das Bundesnaturschutzgesetz zu novellieren, was ja wenigstens eine kleine Verbesserung der unbefriedigenden Situation sein könnte.
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Statt dessen ruhen Sie sich auf der Position aus, für Naturschutz seien ja die Länder zuständig. Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen.
Erstens. Wenn Sie in Politikbereichen, für die Sie unstrittig zuständig sind, z. B. Verkehrspolitik oder Landwirtschaftspolitik, durch Ihre Politik eine dauerhafte Entwicklung verhindern, können Sie, zumindest moralisch betrachtet, die umweltbelastenden Folgen aus Ihrer Politik nicht einfach den Ländern auflasten.
({6})
Diese Bundesregierung sorgt nicht für eine flächendeckende umweltverträgliche Landwirtschaft, und die erdrückenden naturschützerischen Folgen daraus sollen die Länder tragen.
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Diese Lasten wären aber nicht so groß, wenn die Bundesregierung in voller Breite umweltverträgliche Politik abliefern würde.
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Zweitens. Dies ist eine internationale Konvention. Hier sind Sie Vertrags- und Ansprechpartner auf dem internationalen Parkett. Sie haben sich in Art. 10 vertraglich verpflichtet, Gesichtspunkte der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Ressourcen in den innerstaatlichen Entscheidungsprozeß einzubeziehen. Sie haben sich in Art. 6 verpflichtet, nationale Strategien, Pläne und Programme zur Erhaltung oder nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt zu entwickeln oder zu diesem Zweck Ihre bestehenden Strategien, Pläne und Programme anzupassen.
Ja, bitte schön, wo sind denn die Strategien und die nationalen Programme? Ich kann sie nicht finden. Der Bundesverkehrswegeplan kann damit ja wohl nicht gemeint sein.
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Deutschland spielt nach innen und nach außen sehr gern den naturschutzpolitischen Saubermann. Aber wenn man unter dem Teppich guckt, findet man sehr schnell die dicken Kehrichthaufen.
Das Thema Natur, besonders der Artenschutz, wird überhaupt sehr gern unter finanziellen Aspekten betrachtet. Ich bin davon überzeugt, daß dies weltweit das Hauptmotiv zum Handeln ist. Ich werfe das nicht allein Ihnen vor, sondern das ist weltweit so.
Zumindest ist begriffen worden, daß Pflanzengene von besonderer Bedeutung sind. Die OECD hat den Wert der aus dem Süden kommenden Weizengene für die amerikanische Landwirtschaft auf jährlich 500 Millionen Dollar geschätzt. Die amerikanische Saatgutindustrie geht davon aus, daß ein potentiell brauchbares Gen aus der Dritten Welt bis zu einer Milliarde Dollar bringen kann. Der kommerzielle Wert von Arzneien, die aus wildlebenden Pflanzen gewonnen werden, wird auf mehr als 40 Milliarden Dollar geschätzt. Das sind ansehnliche Sümmchen. Es lohnt sich, dafür ein bißchen Entwicklungshilfe zu
investieren. Deutschland ist mit stolzen 0,34 % seines Bruttosozialprodukts dabei.
Um so wichtiger ist natürlich, daß auch der internationale Teil der Vertragsverpflichtungen für die biologische Vielfalt schnellstmöglich von uns und natürlich auch von den anderen Industriestaaten mit Interesse am Naturschutz und nicht am Geldverdienen umgesetzt wird. Ich unterstelle, daß das bei Ihnen der Fall ist. Dann müssen Sie sich aber doch die Frage gefallen lassen, warum Sie sich nicht bei uns und in Europa ebenso dafür stark machen, daß der Handel mit Arten nicht in erster Linie unter dem Aspekt der Verhinderung von Handelshemmnissen - Stichwort Positivlisten - betrachtet wird.
In dem Zusammenhang sehe ich auch die beschriebenen Ex-situ-Maßnahmen als sehr kritisch an. Es geht hier nämlich nicht in erster Linie um Naturschutz, sondern um den Zugriff auf lukrativ nutzbare Arten. Im übrigen gaukeln wir uns vor, wir könnten in Zoos, botanischen Gärten oder Labors den Abstieg der Natur aufhalten. Ich sage Ihnen, das ist ein Irrglaube.
({10})
Wenn wir durch unser Wirtschaften Arten ausrotten oder sie auf den Weg dorthin bringen, wird das kein Zoo, kein botanischer Garten oder Labor aufhalten, sondern dies wird nur durch Erhaltung der Lebensräume und durch eine durchgängig umweltorientierte Politik erreicht.
Im übrigen sagt William Conway, Direktor der Zoologischen Gesellschaft in New York, daß selbst die Hälfte der Gesamtfläche aller existierenden Zoos, würde sie ausschließlich zur Zucht und Erhaltung lebensfähiger Bestände genutzt, nicht mehr als 900 Arten langfristig erhalten könnte, von den immensen Kosten abgesehen.
Ich habe eingangs gesagt, daß wir sehr, sehr wenig über die Ökologie der Arten wissen. Deshalb sind wir in absehbarer Zeit nicht in der Lage, das komplizierte Gewebe der Lebensräume nachzubauen. Ich will einen Vergleich bringen. Wenn ich einen Handmixer, ein Rührgerät, vor mit habe, aus dem ich gern einen Bohrer machen würde, ich zwar weiß, wie man die Maschine auseinandernehmen kann, um auszuprobieren, ob ich einen Bohrer daraus machen kann, ich aber nicht weiß, wie ich sie wieder zusammenkriegen soll, dann lasse ich die Finger davon, weil ich sonst Gefahr laufe, daß ich nur noch einen Haufen Schrott vor mir liegen habe.
({11})
Deshalb sage ich : Es muß erhalten bleiben, was noch da ist, und dieser klägliche Rest darf nicht noch Experimenten ausgesetzt werden.
Ich möchte Sie abschließend ermutigen, den Text der Konvention auch innenpolitisch sehr ernst zu nehmen und die Verantwortung für die Umsetzung mit zu übernehmen. Setzen Sie z. B. personell und finanziell Zeichen bei der Ausstattung des neuen Bundesamtes für Naturschutz, geben Sie dem Amt die Kompetenz zur Beratung der Bundesregierung und
nicht nur des BMU, geben Sie den Weg frei für die Verankerung des Natur- und Umweltschutzes im Grundgesetz, kommen Sie der Aufforderung zur Schaffung einer bundesweiten Naturschutzkonzeption nach, helfen Sie den Ländern, vor allem den neuen Ländern, einen wirksamen Naturschutz zu betreiben!
({12})
Als letzter spricht in dieser Debatte der Staatssekretär Hans-Peter Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann es anscheinend nicht oft genug wiederholen - Kollege Klinkert und Kollege Ruck haben dies getan -: UNCED war die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung. Die SPD scheint dies auch nach der Präsentation von heute nach wie vor nicht verinnerlicht zu haben. Jeder, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, der Ihren Antrag liest, muß vermuten, Rio habe sich auf Klimafragen beschränkt.
({0}) - Genau das ist Inhalt Ihres Antrags.
({1})
UNCED hatte doch eine ganz andere, eine größere Dimension; Minister Töpfer hat den Bogen heute früh geschlagen.
Ein Antrag, der - ich frage mich, auf welcher Grundlage eigentlich - die Klima-Konvention als „wichtigste Vereinbarung von Rio" bezeichnet und das Follow-up von Rio auf die Klima-Konvention reduziert, greift einfach zu kurz. Deshalb bin ich dankbar, daß Kollege Ruck einige entwicklungspolitische Akzente gesetzt hat. Entwicklungspolitik und Umweltpolitik müssen in einem ganzheitlichen Ansatz die Herausforderungen annehmen. Dies ist der Inhalt der Beschlüsse von Rio und unsere historische Aufgabe in dieser einen Welt.
Ich gestehe offen - ich habe dies kürzlich auch im AWZ in einer Auseinandersetzung über diesen Antrag getan -, daß ich über die SPD-Präsentation in diesem Zusammenhang enttäuscht bin. Wir haben in Rio, auch im Vorfeld von Rio, über weite Strecken hervorragend zusammengearbeitet. Offensichtlich haben Sie den einen - genauso wichtigen - Teil gänzlich gekippt.
Herr Feige, da Sie gesagt haben, daß sich in der Nord-Süd-Kooperation nichts an konkreten Ergebnissen gezeigt habe, bitte ich Sie, ganz einfach mit Ihren Kolleginnen und Kollegen Ihrer eigenen Fraktion aus dem AWZ darüber zu sprechen. Wir haben ein Bündel von Maßnahmen verabschiedet und umgesetzt. Die Tatsache, daß heute kein Mitglied des AWZ aus der SPD-Fraktion anwesend ist, gibt mir erneut Anlaß, über die Ernsthaftigkeit, mit der Sie dieses Thema vorantreiben, nachzudenken.
Aus gutem Grund hat die Rio-Konferenz die gesamte Bandbreite der Entwicklungs- und der Umweltpolitik behandelt. Längst hat sich bei den Experten die Erkenntnis durchgesetzt: Entwicklung ist in vielen Teilen der Welt, gerade im Süden, die Voraussetzung dafür, daß die Umwelt bewahrt werden kann. Dies heißt für uns nicht, daß Entwicklung um jeden Preis unser Ziel wäre. Uns geht es um eine ,,nachhaltige Entwicklung". Deshalb setzen wir die Beschlüsse von Rio konsequent um.
Es ist wichtig, die Entwicklungsländer über das hinaus, was Herr Töpfer gesagt hat, an den weltweiten Bemühungen um die Bewahrung der Schöpfung so schnell wie möglich zu beteiligen. Rio hat - dies möchte ich nachdrücklich und lobend einbringen - hierfür die Voraussetzungen geschaffen. Die Agenda 21 ist ein entwicklungspolitisches Aktionsprogramm; dies gilt übrigens für alle Kapitel. Ich möchte hinzufügen: Die Agenda 21 bestätigt die entwicklungspolitische Konzeption des BMZ. Sie stellt die Armutsbekämpfung, den Umweltschutz und die Bevölkerungspolitik in einen originären Ursachenzusammenhang. Diese Bereiche waren bereits vor UNCED Schwerpunkt unserer Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist daher außerhalb dessen, was in der Bundesrepublik getan werden muß - Herr Töpfer hat dies überzeugend dargelegt -, das Instrument, mit dem wir die Rio-Beschlüsse am wirkungsvollsten und gezieltesten umsetzen können.
Ich würde gern eine Anmerkung aus der Erfahrung in dem knappen Jahr nach Rio machen. Wir haben es im Politikdialog mit unsern Partnern des Südens heute wesentlich einfacher, diese Themen umzusetzen, weil wir uns immer und überall auf die Rio-Deklaration und die Agenda 21 berufen können. Wir haben sie heute als Arbeitsgrundlage und haben es deshalb leichter, unsere Kolleginnen und Kollegen im Süden zu überzeugen.
Frau Ganseforth, Sie haben vorhin bemängelt, daß all das, was im Zusammenhang mit dem Klimaschutz heute auf dem Tisch liegt, aus der letzten Legislaturperiode stammt. Dazu kann ich nur sagen: Wir wären froh - gerade das hat sich doch in Rio gezeigt -, wenn die anderen Partner, die Industrie- wie Entwicklungsländer, bereits so weit wären, wie wir mit unseren Vorschlägen in der letzten Legislaturperiode waren. Wir müssen doch mithelfen, sie nach vorn zu bringen.
({2})
Kollege Kübler, Sie haben nachdrücklich bemängelt, daß bei Klimafragen der Entwicklungsminister hier außen vor bleibe.
({3})
- Ja, ja. Deshalb beschränke ich mich in diesem Zusammenhang auf das Klima, worüber Sie ja gesprochen haben. - Wir haben ein erhebliches Potential an erneuerbaren Energien eingebracht. Wir haben vor dem Hintergrund des Klimaschutzes ein riesiges Programm, 3 Milliarden DM, allein für den Bereich der erneuerbaren Energien eingebracht: in 25 Ländern photovoltaische Kleinanlagen, in 12 Ländern Kleinwasserkraftwerke, in 14 Ländern Biogasanlagen. Dies alles sind Fragen, die ausschließlich dem Themenbereich Klima zuzuordnen sind.
Ich denke auch an den Tropenwaldschutz. Vor dem Hintergrund Klima- und Artenschutz haben wir ein jährliches Tropenwaldprogramm von 300 Millionen DM aufgelegt, das kein Land der Welt vergleichbar aufgelegt hat; das ist eine gewaltige Leistung.
({4})
Wir haben es nach Rio fortgesetzt und gesteigert.
Ich möchte noch auf folgendes hinweisen dürfen. Wenn wir schon heute - gelegentlich wurde danach gefragt - eine Bilanz ziehen, dann möchte ich Sie auf allen Seiten des Hauses - wir sind uns in dieser überlebenswichtigen Frage Gott sei Dank weitgehend einig - einladen, eine realistische Erwartung an den Tag zu legen. Wegen der komplexen Situation in den Entwicklungsländern können wir von isolierten Einzelvorhaben, die man nur isoliert kontrollieren kann, nur begrenzte Erfolge erwarten. Alle unsere Maßnahmen müssen vielmehr Teil eines integrierten abgestimmten Konzepts für nachhaltige Entwicklung sein.
Dabei ist der zentrale Ansatzpunkt für uns die Bekämpfung der Armut. Wir wissen, die Armut der Bevölkerung ist in vielen Partnerländern des Südens die entscheidende Ursache für die Umweltgefährdung. Armut ist in vielen unserer Partnerländer das Umweltgift Nummer eins. Sie ist zudem Ursache und Folge des Bevölkerungswachstums, das in vielen Regionen den Druck auf die natürlichen Ressourcen gefährlich verstärkt.
Herr Kollege Grünbeck, könnten Sie noch eine Sekunde hierbleiben? - Frau Präsidentin, Herr Kollege Grünbeck hat an den Kollegen Ruck eine Frage gestellt; er hat mir die Frage zugespielt. Wenn es mir auf die Zeit nicht angerechnet wird, würde ich auf die Frage des Kollegen Grünbeck jetzt gern eine Antwort geben.
({5})
- Die Frage steht noch im Raum. Es ist nur unklar, ob ich sie beantworten darf.
({6})
Dann darf ich zunächst den Kollegen Grünbeck bitten, die Frage zu stellen.
({0})
Herr Staatssekretär, ich entspreche der Bitte der Frau Präsidentin gern. - Da Sie von derselben Fakultät sind, frage ich Sie: Ist Ihnen die Eröffnungsrede des Herrn Generalsekretärs Boutros-Ghali in Erinnerung, der als eine der ersten Prioritäten die Entwicklung der Bevölkerungsvermehrung auf dieser Welt aufgezeigt hat? Was würden Sie dagegen machen?
Jawohl, Herr Kollege Grünbeck, dies ist mir in Erinnerung, weil ich selbst präsent war. Wir haben uns alle darüber gefreut, daß ein so prominenter Vertreter, in diesem Fall der Generalsekretär der Vereinten Nationen, dieses so außerordentlich sensible Thema in solch einen prominenten Zusammenhang gestellt hat. Die Bundesregierung und das BMZ sind von der Analyse her schon längst der Meinung, daß in der Bevölkerungspolitik einer der Schlüssel zu sehen ist, um Entwicklung voranzutreiben und Umwelt auf Dauer gerade auch im Süden zu sichern. Ich füge aber hinzu: Wir hatten lange Zeit außerordentlich große Probleme, dieses Thema bei unseren Partnern in einen seriösen Beratungszusammenhang zu stellen. Wir haben heute das Mandat dafür in verstärktem Maß.
({0}) Was machen wir?
Wer glaubt, daß das Thema Bevölkerungsentwicklung ausschließlich vor dem Hintergrund von Empfängnisverhütungsmaßnahmen zu klären ist, der täuscht sich. Wenn man weiß - dazu gibt es ja entsprechende Untersuchungen -, daß es einen ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen Armut und Bevölkerungswachstum, zwischen Bildung und Bevölkerungswachstum, zwischen der sozialen Stellung der Frau und Bevölkerungswachstum, muß man hier, an den Ursachen ansetzen. Deshalb haben wir ein entsprechendes Programm für rein bevölkerungspolitische Beratungsmaßnahmen entwickelt. Für dieses Programm und dergleichen mehr haben wir in diesem Jahr ungefähr 100 Millionen DM eingesetzt.
Für den anderen Bereich, ländliche Entwicklung, Bildung und Familien - nur als Beispiele - -({1})
- Wir sind uns doch einig, daß das Thema Bildung eine herausragende Rolle spielt. Sie haben dem zugestimmt. Deshalb ist das Thema Bildung ein neuer Schwerpunkt. Wir haben in diesem Jahr allein 400 Millionen DM für Bildung, nicht zuletzt für die Bildung der Frauen, vorgesehen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine letzte Anmerkung sei mir im Hinblick auf den Einwurf des Kollegen Feige - 0,7 % - gestattet. Herr Kollege Feige, der Bundeskanzler hat sich auch in Rio erneut eindeutig zum 0,7 %-Ziel bekannt. Aber er hat - dies scheint mir wichtig zu sein - in Rio genauso gesagt: Es geht um die eine Welt. Es geht nicht nur um die Solidarität des Nordens mit dem Süden. Angesichts der Herausforderungen in Osteuropa und Südosteuropa, in der früheren Sowjetunion, können wir diesen Teil der Welt nicht aus der Solidarität ausklammern. Also müssen wir auch diese Herausforderungen annehmen.
Dafür, daß uns diese 80 Milliarden DM, die wir alles in allem in diesem Bereich eingebracht haben, natürlich im Moment die Hände im Hinblick darauf binden, dem Süden gegenüber riesige Steigerungsraten zuwachsen zu lassen, bitte ich um Verständnis. Wir können dies nur im Rahmen unserer Möglichkeiten leisten. Wir können dies übrigens auch nur im Rahmen dessen leisten, wie uns die Bevölkerung dabei insgesamt unterstützt.
({3})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bin beim letzten Satz.
Wenn wir den Osten, Osteuropa und die frühere Sowjetunion hier ausklammern, wenn wir an die internationale Migration denken, an die Völkerwanderungen, die von Ost nach West und von Süd nach Nord stattfinden, kann ich nur sagen, daß auf uns auch innenpolitisch solche großen Probleme zukommen werden, daß wir nicht mehr in der Lage sein werden, die Solidarität dem Süden gegenüber zu gewähren. Deshalb bitte ich, die Leistungen für Osteuropa und die früheren Völker der Sowjetunion in diesem Zusammenhang zu akzeptieren und zu respektieren.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage - Drucksachen 12/4473, 12/4489 und 12/3739 - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 5. Juni 1992 über die biologische Vielfalt - Drucksache 12/4473 - soll zusätzlich dem Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 a und b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Lieselott Blunck, Heidemarie Wieczorek-Zeul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf Umwelt- und Verbraucherschutz
- Drucksachen 12/2802, 12/4036 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Liesel Hartenstein, Michael Müller ({0}), Dietmar Schütz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Fünftes Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik weiterentwickeln und umsetzen
- Drucksache 12/4001 Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor.
Vizepräsident Hans Klein
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. - Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Liesel Hartenstein.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vollendung des Binnenmarktes hat Europa zweifellos einen großen Schritt nach vorn gemacht. Gleichzeitig hat eine neue Phase begonnen, die gewaltige Veränderungen mit sich bringen wird. Leider hat darüber bisher noch keine öffentliche Debatte stattgefunden. Ich bedauere das. Die Bürgerinnen und Bürger erfahren nur scheibchenweise, wie tief die Brüsseler Beschlüsse in ihren Alltag eingreifen. Das muß sich ändern.
Wer will, daß die Menschen wieder neues Vertrauen in Europa gewinnen und daß die weitverbreitete Europaverdrossenheit nicht noch weiter zunimmt, der muß diese Diskussion jetzt führen. Wir brauchen einen offenen und öffentlichen Dialog; denn jetzt wird die Europäische Union gebaut. Jetzt müssen die Weichen richtig gestellt werden.
Gerade in der Bundesrepublik muß man immer wieder daran erinnern, daß unsere wirtschaftliche Entwicklung, unser Lebensstandard und die Sicherheit unserer Arbeitsplätze in hohem Maße von der EG abhängig sind. Für Deutschland gibt es daher eine erstrebenswerte Zukunft nur mit und in der Europäischen Gemeinschaft. Dies möchte ich klar und deutlich betonen.
({0})
Es wäre allerdings auch unverantwortlich, die beträchtlichen Defizite nicht sehen zu wollen, die derzeit die Gemeinschaft der Zwölf belasten. Das Gravierendste ist sicherlich das Demokratiedefizit, das auch durch den Maastrichter Vertrag nicht ausgeräumt worden ist.
Nicht weniger folgenschwer sind diejenigen Defizite, die den Europäischen Binnenmarkt kennzeichnen, nämlich das soziale Defizit und das ökologische Defizit. Europa kann nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft sein. Es muß mehr sein. Man kann sogar sagen: Auch eine Wirtschaftsunion wird auf Dauer nur dann lebensfähig sein, wenn sie gleichzeitig eine Sozial- und eine Umweltunion ist. Davon sind wir noch weit entfernt.
({1})
Wer die sozialen und ökologischen Aspekte ausklammert, der tut auch dem Wirtschaftsraum Europa keinen Gefallen. Das Binnenmarktkonzept der EG aber, so wie es 1985 konzipiert wurde, ist auf rein quantitatives Wirtschaftswachstum fixiert und insofern heute eigentlich schon ein Anachronismus.
({2})
Eindeutiges Ziel müßte demgegenüber eine nachhaltige oder dauerhafte Entwicklung im Sinne des Brundtland-Berichts sein.
1985 sah alles noch uneingeschränkt positiv aus: offene Grenzen von Kopenhagen bis Lissabon, ein großer gemeinsamer Markt für 340 Millionen Verbraucher, Schaffung neuer Arbeitsplätze. Was Wunder, daß das Prinzip Hoffnung dominierte! Der dynamische Kommissionspräisdent Jacques Delors hat das Seinige dazu getan, um den schwerfälligen europäischen Zug wieder in Bewegung zu bringen.
Der schon legendär gewordene Cecchini-Bericht prophezeite jährliche Wachstumsraten von 4,5 bis 7 %. Er veranschlagte die Kosten der Nichtverwirklichung des Binnenmarktes auf über 400 Milliarden DM im Jahr. Diese enorme Summe könne eingespart werden durch Wegfall der Grenzkontrollen, durch Beseitigung vieler technischer Handelshemmnisse und durch Harmonisierung Hunderter von Vorschriften. Eine Chance für den Fortschritt also.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute die Konzeption des Binnenmarktes hinterfragen, geht es nicht um das Ob, wohl aber um das Wie des Binnenmarktes. Es geht darum, daß wir heute eine andere Vorstellung von Fortschritt gewonnen haben und daß wir der Meinung sind, daß das Verhältnis von Wachstum und Umwelt neu durchdacht werden muß, auch in der EG.
({3})
Daß mehr Produktion, mehr Umsatz, mehr Absatz auch höhere Gewinnchancen bedeuten, wird niemand bestreiten; auch nicht, daß diese Erwartung von seiten der Wirtschaft völlig legitim ist. Daß aber die Kehrseite der Medaille sein könnte: mehr Abfall, mehr Verkehr, mehr Umweltverschmutzung und mehr Landschaftsverbrauch, das haben die europäischen Umweltminister erst mit großem Zeitverzug bemerkt.
Es ist aufschlußreich, daß in den beiden konstituierenden Dokumenten der EG, nämlich im Weißbuch der Kommission und im Cecchini-Bericht, ausschließlich ökonomisch argumentiert wird. Das Wort Ökologie kommt dort nicht ein einziges Mal vor.
({4})
Als im Februar 1990 der Task-Force-Bericht über Umwelt und Binnenmarkt öffentlich bekannt wurde, kam ein vernichtendes Ergebnis zum Vorschein. Ich zitiere: „Ohne starken politischen Willen und ohne ein Umdenken in den bisher gültigen Wirtschaftsmechanismen wird der schrankenlose Binnenmarkt mit einem schmutzigen Wachstum verbunden sein." Die Experten fügen hinzu: „Es muß befürchtet werden, daß die Chance, die ökologischen Belange in die Regelungen des schrankenlosen Binnenmarktes einzubeziehen, vertan wird."
Warum - so frage ich die Regierungen, auch unsere Bundesregierung - hat man eigentlich aus diesen massiven Warnungen keinerlei Schlußfolgerungen gezogen? Warum hat man übrigens sogar versucht, den Task-Force-Bericht totzuschweigen?
Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion macht offenbar, daß sie - schade ist es - auch heute nicht bereit ist, sich diesem zentralen Thema zu stellen. Schon die Sprache
ist verräterisch. Der Ruf nach einer „ökologischen Flankierung des Binnenmarktes" zeigt doch, daß die Ökologie immer noch als Zutat begriffen wird, als Dekorationsstück gewissermaßen, das man nachträglich der Ökonomie anhängen kann. Das ist falsch. Wir meinen, daß Umweltunion und Wirtschaftsunion wirklich zwei Seiten derselben Münze sein müssen. Beides läßt sich nicht voneinander trennen.
Auch wortreiche Bekenntnisse zur Notwendigkeit einer Umweltgemeinschaft können eben nicht über die Tatsache einer falschen, einseitig auf Deregulierung und Liberalisierung gerichteten Weichenstellung in wichtigen umweltrelevanten Bereichen des Binnenmarktes hinwegtäuschen, so z. B. in der Verkehrspolitik, in der Abfallpolitik, in der Energiepolitik. Keiner der Konstrukteure und Förderer des Binnenmarktes hat sich vermutlich je gefragt, was denn die zerstörte Umwelt kostet und ob diese Kosten nicht vielleicht um ein Vielfaches höher liegen als die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile von 400 Milliarden DM im Jahr.
Hier ist eine Korrektur überfällig. Mit den Instrumenten und Denkweisen der 50er Jahre lassen sich die Probleme der 90er Jahre eben nicht lösen. Der Bundesregierung kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie in Brüssel für fundamentale Fehlentscheidungen, die bisher auch nicht korrigiert worden sind, mitverantwortlich ist.
Die Liberalisierungsphilosophie führt in vielen Bereichen zu neuen zusätzlichen Umweltgefährdungen größten Ausmaßes, insbesondere im Verkehrssektor. Wir wissen, daß wir vor einer gewaltigen Verkehrsexplosion stehen. Die Prognosen besagen: Verdoppelung des Luftverkehrs bis zum Jahre 2000, Verdoppelung des grenzüberschreitenden Schwerlastverkehrs bis zum Jahre 2010. Das heißt, doppelt so viele Lkw wie heute werden unsere Straßen verstopfen und unsere Dörfer und Städte mit Lärm und Abgasen überfluten, gar nicht zu reden von dem enormen Flächenverbrauch, vom fortschreitenden Artenverlust, von dem durch Kfz-Emissionen mitverursachten Waldsterben und Treibhauseffekt.
Die Bundesregierung gibt keine Antwort auf die Frage nach der Anrechnung der ökologischen Folgekosten. Das stünde nämlich jetzt auf der Tagesordnung. Es war aus unserer Sicht ein schwerer Fehler, der Deregulierung des Transportwesens 1985 zuzustimmen, ohne gleichzeitig sicherzustellen, daß die EG in der Lage ist, bis zu Beginn des Binnenmarktes ein verbindliches, ökologisch verträgliches, integriertes Gesamtverkehrskonzept auf die Beine zu stellen.
({5})
Es müßte den umweltfreundlichen Verkehrsträgern Schiene und ÖPNV, auch Wasserstraße, absolute Priorität geben.
Zweites Beispiel: Energiepolitik. Dazu wird mein Kollege Klaus Lennartz Stellung nehmen.
Drittes Beispiel: Abfall. Zu unser aller Kummer blüht der internationale Tourismus heute schon innerhalb und außerhalb der EG. Nach Wegfall der Grenzkontrollen können Sonderabfälle, sofern sie als Wirtschaftsgut deklariert sind, ziemlich ungeniert durch ganz Europa kutschiert werden. Denn es gibt bislang im EG-Recht keine klare Unterscheidung zwischen Abfällen, Wirtschaftsgütern und Reststoffen. Das bedauert auch die Bundesregierung, wenn ich richtig gelesen habe, Herr Minister.
Ob die EG-Abfallverbringungsverordnung hier Änderungen bringt, bleibt anzuwarten. Jedenfalls sind die Kontrollen in den Empfängerländern äußerst unterschiedlich, ebenso die Sicherheitsvorschriften und die Kosten für die Deponierung. Es läßt sich unschwer voraussagen, daß künftig der Müll Europas dort abgekippt oder verbrannt wird, wo die Sicherheitsstandards am laschesten und die Kosten am niedrigsten sind. Das ist nicht verantwortbar.
Meine Damen und Herren, die Reihe von Beispielen ließe sich beliebig verlängern. So ist es niemandem verständlich zu machen, daß bei uns verbotene Pestizide bzw. deren Rückstände in importierten Waren wieder auftauchen können, nur weil die Binnenmarktregelungen dies zulassen.
Erhebliche Risiken gibt es auch beim Verbraucherschutz. Darauf wird Frau Blunck näher eingehen. Hier nur soviel: Die Menschen sind tief beunruhigt über die Aussicht, daß bestrahlte und gentechnisch veränderte Lebensmittel in die Regale unserer Geschäfte kommen können,
({6})
möglicherweise ohne daß sie klar gekennzeichnet sein müssen. Sie wollen Verbesserungen im Verbraucherschutz und nicht Verschlechterungen.
({7})
Art. 100a des EWG-Vertrages postuliert ein hohes Schutzniveau für die Bereiche Umwelt, Gesundheits- und Verbraucherschutz. Ich denke, dieser Anspruch muß ernst genommen und eingelöst werden. Wo es nicht anders geht, müssen eben nationale Verschärfungen möglich sein, und diese Maßnahmen müssen dann auch national ergriffen werden. Das ist unsere Forderung.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der gemeinsame europäische Markt könnte ein Modell für eine tragfähige Wirtschafts- und Lebensform einer Industriegesellschaft der Zukunft werden. Darin liegt eine ungeheure Chance. Sie wird aber nur dann Wirklichkeit, wenn wir den Mut haben, unsere bisherige ressourcenfressende, energieverschwendende, umweltzerstörende Wirtschafts- und Konsumweise zu beenden und ein Signal für eine wirklich dauerhafte Entwicklung zu setzen. Nur dann werden wir auch das schaffen, woran uns allen gelegen sein muß, nämlich ein Europa der Bürger, ein Europa der Arbeitnehmer und der Verbraucher und nicht ein Europa der Konzerne und der Bürokratien. Das Ziel lohnt sich.
Ich danke Ihnen.
({9})
Herr Kollege Dr. Klaus Lippold, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muß ja wirklich nicht Prophet sein, um zu wissen, wie unverträglich Äußerungen von Parteien sind. Da spricht der eine zum internationalen, globalen Umweltproblem und sagt: Wir müssen dafür sorgen, daß unser Lebensstandard nicht der Standard der Welt wird.
({0})
Markige Zustimmung auf der linken Seite. Und dann kommt die nächste, die eigentlich auch dem globalen Umweltproblem verpflichtet ist, aber jetzt die Aufgabe hat, zur EG zu sprechen. Dann heißt es auf einmal genau in dem Sinne, wie ich es gerade schon deutlich gemacht habe: die sozialen Defizite der EG.
({1})
Jetzt übersetze ich Ihnen einmal, was die sozialen Defizite der EG heißt. Soziale Defizite der EG heißt, daß alle anderen, die das deutsche Wohlstandsniveau nicht haben, dieses deutsche Wohlstandsniveau ebenfalls haben sollten, bei der Freizeit, beim Lohn, beim Konsum, in allen Bereichen. Aber wenn sie dieses Wohlstandsniveau bekommen, heißt das natürlich mehr Verbrauch an Ressourcen, mehr Mobilität, Einschränkungen im Umweltbereich.
Das ist das, was ich vor knapp einer Stunde gesagt habe. Da fordern Sie uneingeschränkt mehr Umweltschutz und Beschränkung des Wohlstands, und eine Stunde später sagen Sie: Dieser Wohlstand muß auf allen Ebenen, in allen Segmenten ausgeweitet werden. Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe.
({2})
Keine Stunde hält Ihre Argumentation.
Herr Kollege Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Urbaniak?
Gern.
Herr Kollege, können Sie mir zustimmen, daß wir ein gewaltiges soziales Defizit haben, insbesondere bei den Arbeitnehmerrechten? Es gibt keine Mitbestimmung. Es gibt nur Mindestbedingungen, die in Europa geregelt sind. Die Konzentration der Unternehmen nimmt riesige Formen an, es gibt kein Gegengewicht in Mitbestimmungsfragen. All das führt doch dazu, daß sich ein ökonomischer Prozeß vollzieht an Kräften und Belegschaften vorbei, die bei einer sinnvollen Gestaltung auch der ökologischen Fragen mitwirken könnten. Können Sie mir zustimmen, daß es eine Schande ist, in der Europäischen Gemeinschaft immer nur von steigenden Arbeitslosenzahlen zu reden, statt ein Aktionsprogramm zu haben, wie man die Arbeitslosigkeit entscheidend bekämpft?
Darf ich, verehrter Herr Kollege, Ihnen ein Kompliment für Ihre Geschicklichkeit vorweg machen, nämlich die, daß Sie auf meine Ausführungen hin einen Bereich aufgegriffen haben, in dem ich Änderungen vornehmen und auch Defizite beseitigen kann, die aber mit den anderen Positionen nichts zu tun haben? Darf ich Ihnen aber auch, Herr Kollege, in gleicher Deutlichkeit sagen, daß Sie damit nur ein Segment dessen, was die Sozialdemokratische Partei auf ihren internationalen Kongressen in Europa fordert, berühren, daß die anderen Segmente genau das berühren, was ich gesagt habe, und daß ich, wenn ich die internationalen Gewerkschaftskongresse verfolge, mit meinen Ausführungen recht habe, weil dort diese Beschränkung nicht stattfindet.
Ganz im Gegenteil: Die internationale Sozialdemokratie - nicht Sie - fordert verstärkt, daß materieller Wohlstand umgesetzt wird. Für die ist der Vorrang der Mitbestimmung übrigens gar nicht so hoch wie in der deutschen Politik. Sie haben Schwierigkeiten, diese Forderung international durchzusetzen. Die Forderungen der internationalen Sozialdemokratie - diesen haben Sie sich nie verschlossen - sind mehr Wohlstand, d. h. mehr Autos, mehr Straßen und mehr anderes. Das müssen Sie sich schon vorhalten lassen. Bei allem Kompliment für ihre Geschicklichkeit, Ihre Frage deckte nicht den Gesamthorizont dessen ab, was dabei erwähnt werden muß. Wenn schon, dann sind wir für komplette Darstellungen und nicht für Details, die lückenhaft sind.
Herr Kollege Lippold, es möchte auch noch der Kollege Dr. Schily eine Zwischenfrage stellen. Aber ich möchte davor die Berner-kung machen, daß natürlich bei Zwischenfragen nie der gesamte Horizont abgedeckt werden kann.
Wenn Sie zustimmen, bitte, Herr Kollege Schily.
Einverstanden, Herr Schily. Aber dann würde ich gerne noch ein paar Gedanken selbst ausführen wollen, ohne nur auf Ihre Fragestellung einzugehen.
Einverstanden, Herr Dr. Lippold.
Herr Vizepräsident, damit ich nicht mit meinem Bruder verwechselt werde und mich nicht unbefugter Titelführung schuldig mache: ohne den „Doktor" bitte. Sie haben mich hier eben als Herr Dr. Schily vorgestellt. Ich heiße Otto Schily.
Herr Kollege Lippold, Sie haben hier von Freizeit gesprochen. Meine Frage lautet: Könnten Sie mir einmal erklären, inwiefern der Zugewinn an Freizeit als Wohlstandsmehrung zwangsläufig zu mehr Ressourcenverbrauch führt?
({0})
Herr Kollege Schily, zunächst kann ich mir, nachdem Sie den Herrn Präsidenten darauf aufmerksam gemacht haben, daß er Sie verwechselt, natürlich nicht verkneifen, zu sagen: Wenn Sie mangelnde Sorgfaltspflicht dort sehen, würde ich Sie bitten, mich nicht mit
Dr. Klaus W. Lippold ({0})
dem Namen Ihres früheren Kollegen Lippelt anzusprechen, sondern beim Namen Lippold zu bleiben.
({1})
Ich sage das nur einmal so; das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.
({2})
Zur Sache selbst, Herr Schily: Wir müssen doch deutlich erkennen - wir werden das in der EnqueteKommission in den kommenden 14 Tagen sehr intensiv aufarbeiten -, daß die Zunahme der Freizeit
- gleichzeitig allerdings auch vor dem Hintergrund der Zunahme des allgemeinen Wohlstands - mit einer ganz erheblichen Mobilitätszunahme einhergeht. Diese ganz erhebliche Mobilitätszunahme
- jetzt bitte ich Sie einmal, in Ihre eigene Anfrage hineinzuschauen - führt natürlich zu Tourismus. Sie sagen z. B., daß der Tourismus, der auf das, was ich gerade gesagt habe, zurückzuführen ist, völlig umweltunverträglich ist. Das ist Ressourcenverzehr an Landschaft, an Wasser, an Seen, an Stränden und an Brutplätzen. Ich könnte das unendlich fortsetzen. Es entsteht aber auch dadurch Ressourcenverzehr, daß ich mehr Sprit verbrauche und daß ich mehr Energie der anderen Energieträger einsetze.
Alles das, Herr Schily, was ich sage, ist zutreffend. Wenn Sie sich damit intensiv vertraut machen, werden Sie zu dem gleichen Ergebnis kommen wie ich, weil ich den Kolleginnen und Kollegen aus der anderen Fraktion nie abgesprochen habe, daß sie durchaus intelligente Lösungen bieten können, wenn sie sie denn wollen und ihre Ideologie sie zuläßt.
({3})
Das Bedauerliche ist ja: Sie werden bei Ihrer intelligenten Grundanlage manchmal durch Ihre eigene Ideologie gehemmt. Das ist schade, aber nicht von mir zu vertreten.
({4})
Darf ich, Herr Präsident, mit Verlaub, auf EG und Umwelt zurückkommen? Denn ich halte das schon für wichtig. Aber da ich gerade auf Verkehrsfragen einging, werde ich einen Teilaspekt aus dem Bereich Verkehr vorziehen.
Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD- Fraktion, wenn Sie schon die Zunahme von Verkehr beklagen, wenn Sie schon beklagen, daß insbesondere Schiene und Wasserweg nicht ausreichend berücksichtigt sind, dann frage ich natürlich: Wie stimmt das mit Ihrer Kommunalpolitik vor Ort überein, bei der Sie z. B. in Verantwortung in Frankfurt - da muß ich die GRÜNEN einbeziehen - das Hafengelände und damit die Hafenkapazitäten verkleinern? Das heißt, die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf den Wasserweg wird für die Zukunft eingeschränkt, während wir uns in der EnqueteKommission darum bemühen, zu verdeutlichen, daß eine solche Verlagerung notwendig ist, weil der
Wasserweg eine ökologisch vernünftige Lösung ist, insbesondere für den Transport von Massengütern.
({5})
Jetzt wieder zur Grundlage EG und Umwelt zurück. Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß es überall Defizite gibt. Aber man sollte auch in diesem Punkt anerkennen, daß, wenn ich die fünf EG-Programme in Folge betrachte, ein eindeutiger qualitativer Fortschritt festzustellen ist. Die ersten Programme haben sich nahezu ausschließlich mit der Beseitigung von Schäden und die nachfolgenden Programme mit der Analyse befaßt. Die EG entdeckt jetzt - das sollte man doch begrüßen -, daß wir auch auf EG-Ebene dringlich mit einer Vorsorgepolitik beginnen müssen. Das heißt, hier gibt es eine Änderung im Denken, die ich ausdrücklich begrüße.
Daß wir jetzt - das will ich noch einmal ganz deutlich sagen - nicht die Konsequenz auf allen Verkehrsgebieten haben - wenn Sie sich das Weißbuch „Verkehr" ansehen, werden Sie sehen, was ich meine -, hängt natürlich damit zusammen - auch das muß einmal gesagt werden -, daß ich nicht abstrakt „die EG" sagen kann. Hinter der EG stehen vielmehr zwölf Länder mit völlig unterschiedlichen Strukturen, mit völlig unterschiedlichen Interessen und mit völlig unterschiedlichen Meinungen. Deshalb kann man diese Bundesregierung nicht dafür verantwortlich machen, daß die EG nicht komplett das umsetzt, was in der Bundesrepublik umgesetzt wird; denn wir sind ein Land von zwölf. Bedauerlicherweise haben wir in der EG keinen 51 %-Anteil an den Stimmrechten, sondern wir müssen die anderen überzeugen.
({6})
Wir haben uns - ich sage das ganz deutlich -verschiedentlich für Ausnahmelösungen eingesetzt, auch dafür, die Vorreiterrolle einzunehmen. Aber was ist denn zum Teil aus dieser Vorreiterrolle geworden? Ich erwähne PCP, bei dem wir national eine hervorragende Regelung haben, die die EG aber nicht übernommen hat, weil die anderen Länder die Gefahren so, wie wir sie einschätzen, nicht sehen.
Ich kann natürlich sagen: Hier haben wir richtig gehandelt. Aber in vielen anderen Punkten werden wir darüber nachdenken müssen, ob wir wirklich immer nur glauben können, daß die Vorstellungen, die hier entwickelt werden, von anderen komplett übernommen werden. Die anderen werden von uns verlangen, daß auch sie in ihren Forderungen und Vorstellungen berücksichtigt werden.
Grundtendenz ist also: Der eingeschlagene Weg ist richtig. Wir werden bei unseren Kolleginnen und Kollegen in den anderen EG-Ländern noch werben müssen, daß sie diesen Weg mitgehen.
Übrigens, Frau Kollegin Blunck, ich tue das im Bereich der konservativen Parteien Europas, weil wir natürlich auch dort einen Beitrag zur Problemlösung leisten müssen. Ich wäre froh, wenn Sie von sich aus sagen könnten, daß Sie das gleiche in den sozialdeDr. Klaus W. Lippold ({7})
mokratischen oder sozialistischen Parteien Europas tun, damit wir hier eine gleichgerichtete Entwicklung bekommen, die auf dieses Ziel hinausläuft. Es ist ja nicht nur so, daß wir predigen müssen, sondern wir müssen uns mit den Leuten auseinandersetzen, wir müssen sie argumentativ überzeugen. Die internationale Parteiarbeit ist ein guter, ein möglicher Weg, um hier entscheidend voranzukommen. Ich möchte Sie einladen: Gehen Sie diesen Weg mit, damit wir schneller zu dem gemeinschaftlichen Ziel kommen, auch in der EG eine vernünftige Lösung zu erreichen.
({8})
Das können Sie übrigens auch in der Frage der Zielvorstellung der anderen sozialistischen Parteien in Europa tun.
Ich habe, wenn Sie mit Ihren portugiesischen, spanischen und griechischen Kollegen aus den jeweiligen sozialistischen Parteien reden, manchmal das Gefühl, daß Sie es mit ihnen nicht ganz so einfach haben, wie Sie es hier versuchen darzustellen. Ich will das nur einmal skizzieren, weil ich da etwas offener bin und die Situation, wie sie hier ist, nicht so einfach auf den europäischen Rahmen übertrage. Das darf nicht sein.
Die Umweltprogramme sind also eine Verbesserung. In den Teilbereichen werden wir uns - da sehe ich mich durchaus an der Seite mit Ihnen - für Verbesserungen einsetzen, die wir brauchen, ob das nun produktbezogener Umweltschutz oder ob das aglagenbezogener Umweltschutz ist oder ob das im Bereich der Energie die Frage der Einsparung ist. Sie sagen auf der einen Seite, daß man den Schwächeren immer etwas zubilligen muß. Wenn Sie hier dann den EG-Kompromiß in der Frage Stabilisierung der CO2- Emissionen bis 2000 angreifen, verschweigen Sie auf der anderen Seite, daß das vor dem Hintergrund geschieht, daß die EG gerade die Schwächeren schützen wollte und gesagt hat: Die Schwachen - Griechenland, Spanien, Portugal usw. - brauchen noch Entwicklungsmöglichkeiten und mehr Energie. Deshalb müssen die übrigen Staaten, also die Bundesrepublik und andere, mehr einsparen. Sie können dies nicht auf der einen Seite fordern und es auf der anderen Seite hier vergessen. Wenn wir uns also in den Ausschußsitzungen darauf verständigen - ({9})
- Frau Kollegin, die Formel von der Gewinnmaximierung kommt aus Denkkategorien, die ich selbst bei Ihnen seit Godesberg für überwunden gehalten habe. Lassen Sie uns doch ganz vernünftig über wirtschaftliche Probleme gemeinschaftlich mit ökologischen diskutieren.
({10})
Nutzen Sie doch mit uns gemeinsam die Kräfte des Marktes für Umweltschutz, nicht gegen Umweltschutz! Dann kommen wir zu besseren Ergebnissen. Wenn Sie zwischendurch einmal den Kollegen Lennartz fragen, der in seinem Wahlkreis, praktisch vor Ort, immer diesen Symbioseweg gehen muß, werden Sie zu ganz anderen Ergebnissen kommen.
({11})
Ich bedanke mich.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Eberhard Urbaniak das Wort.
Herr Kollege, es geht uns im wesentlichen darum, daß da, wo gewirtschaftet wird, die ökologischen Fragen hinreichend mit beantwortet und auch die sozialen Strukturen hinreichend beachtet werden. Das muß ganz selbstverständlich sein; denn sonst würde es zu einem Übergewicht wirtschaftlichen Einflusses und wirtschaftlicher Macht kommen. Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben seit Jahren ein ausgewogenes Verhältnis, um letztlich zu einem Konsens zu kommen, von dem wir seit mehr als 40 Jahren profitieren. Dieses Gestaltungsziel, angewandt auf die Europäische Gemeinschaft, ist eine gute Sache.
Sie haben von den Verkehrsproblemen in Frankfurt gesprochen. Dazu kann ich Ihnen sagen: Es gibt in vielen Bereichen der Kommunen mit großen Häfen Kombinationen, die geschaffen werden, um den Verkehr von der Straße auf die Bundesbahn und in die Kanal- und Seeschiffahrt zu bringen. Hier laufen eine ganze Reihe von vorzüglichen Maßnahmen, so daß Ihr Einzelbeispiel, das ich nicht kenne, für mich etwas absurd ist.
Uns geht es im wesentlichen darum, daß es nicht dazu kommt, daß die einseitig ausgeprägte wirtschaftliche Macht kein entsprechendes Gegengewicht hat. Das führt nämlich zu großen sozialen Verzerrungen und fördert den europäischen Gedanken überhaupt nicht - zumal, wenn sich dazu noch eine Einstellung breitmacht, die ökologische Fragen als sekundär betrachtet.
Herr Kollege Lippold zur kurzen Erwiderung.
Eine Intervention, Herr Präsident, in einem Satz: Ich möchte noch einmal ausdrücklich festhalten, daß nicht ich, sondern mein Kollege von der SPD-Fraktion die Hafenpolitik in Frankfurt unter der rot-grünen Koalition aus SPD und GRÜNEN „absurd" genannt hat; nur damit keine Verwechslungen vorkommen.
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Fritz Schumann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Regelungen zur Gestaltung des Europäischen Binnenmarktes wird der Umwelt- und Verbraucherschutz unzureichend berücksichtigt. Die Verbände beklagen meines Erachtens zu Recht einen Abbau des Verbraucherschutzes. Viele Bürgerinnen und Bürger möchten eine europäische Integration, fühlen sich aber zunehmend ausgegrenzt und überfordert.
Die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben bei den Fragen des Binnenmarktes weitestgehend außen vor. Bestimmte Verbesserungen wie Regelungen der EG zur Produkthaftung und Produktsicherheit, zum Verbraucherkredit sowie zur Lebensmittelkennzeichnung sind zwar erreicht worden; es stehen diesen Verbesserungen jedoch eine Fülle von Maßnahmen gegenüber, die die Positionen der Anbieter in ungleich größerem Maße ausbauen.
Besondere Gefahren für die Einschränkung eines bisher vorhandenen Verbraucherschutzes gehen von der Liberalisierung des Versicherungsmarktes, der drohenden Lebensmittelbestrahlung und der vorgesehenen Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel - sogar ohne ausreichende Gesundheitsprüfungen - sowie von einer weiteren Verwässerung der bisher schon so unzureichenden Umweltregelungen aus. Dazu kommen die wiederholten Versuche der Bundesregierung, die Mittel für die Maßnahmen des Verbraucherschutzes drastisch zu kürzen und die Aufgaben auf die Länder abzuschieben, ohne daß diese Mittel dafür hätten.
Was im besonderen den Umweltschutz anbelangt, so bedeutet die herrschende EG-Politik leider Nivellierung der Standards nach unten, weil jeweils der geringste Standard Norm wird. Als Beispiel nenne ich hier Dänemark. Dieses Land hat bekanntlich eine gesetzliche Fixierung der Mehrwegverpackungen für Getränke. Einwegverpackungen dürfen nicht angeboten und gewerblich importiert werden. Maastricht würde die Invasion der grünen Punkte in dänische Landschaften und Abfalleimer ermöglichen und alle positiven Bemühungen zur Müllvermeidung konterkarieren, weil die restriktiven dänischen Gesetze nach EG-Recht eine Behinderung des freien Warenaustausches darstellen. Grundsätzlich sollten alle EG-Staaten das Recht erhalten, zum Schutz der Umwelt strengere Vorschriften als die Gemeinschaft zu erlassen, und zwar auch, wenn dies den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen einschränkt.
Die Gesetzgebungsprozesse sind nach Ansicht des Deutschen Naturschutzrings durch die Zentralisierung auf die EG-Ebene so kompliziert geworden, daß ein Stillstand in der Umweltgesetzgebung zu befürchten ist. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland stellt fest, daß wesentliche Teile der nationalen Souveränität auf die EG übertragen werden, ohne daß ein entsprechender Ausbau der demokratischen Grundlagen erfolgt. Die Mitspracherechte des EG-Parlaments bleiben minimal. Dies ist für die Durchsetzung von Umweltanliegen ein entscheidendes Hindernis, da diese in erster Linie solche der
Bevölkerung sind. Diese nun wird weniger von den Regierungen als vielmehr von den Parlamenten repräsentiert.
Besonders nachteilig für die Umwelt wirkt sich die EG-Energiepolitik aus. Für die EG-Kommission ist nur der Preis, nicht aber die Art und Weise, wie Energie erzeugt wird, von Bedeutung. Lediglich dem Faktor Versorgungssicherheit wird noch Stellenwert eingeräumt. Dies hat zwangsläufig Energieverschwendung und erhebliche Umweltbelastungen zur Folge. Zwar gibt es pauschale Bekenntnisse der Kommission und des Ministerrats zu Energieeinsparung, Umweltschutz und CO2-Reduzierung. EG-Förderprogramme für rationelle Energienutzung und Nutzung regenerativer Energiequellen haben allerdings nur Alibifunktion und sind von der Mittelzuweisung her schon viel zu knapp bemessen.
Dagegen werden Millionen von ECU für Atomforschung, insbesondere Atomfusionsforschung ausgegeben. Auf den Durchbruch für effiziente Energienutzung und regenerative Energieträger durch Marktkräfte in der EG zu hoffen wäre hier völlig verfehlt. Ein freier Markt im Energiebereich existiert in den EG- Mitgliedsländern nur sektoral. Er ist wegen der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und der hohen Investitionskosten im Energiesektor, insbesondere bei den leitungsgebundenen Energieträgern, auch kaum zu realisieren. Strukturell ist die EG- Energiepolitik auf weitere Zentralisierung angelegt.
Nötig ist eine Änderung in der Energiepolitik der EG-Mitgliedsländer und darüber hinaus. Dies wird auch im Report der Generaldirektion Energie der EG-Kommission von 1990 eindrucksvoll dargestellt. Die dort beschriebene „konventionelle Sichtweise" ist herrschende EG-Energiepolitik und führt geradewegs ins Treibhaus, wie die EG-Kommission sich selbst attestiert.
Ein Wechsel der Politik ist auch in der EG- Verkehrspolitik erforderlich. Um dem drohenden ökologischen Kollaps und dem Zusammenbruch der Verkehrssysteme zu begegnen, ist neben der Verkehrsvermeidung eine Vorrangpolitik für öffentlichen Personenverkehr und Güterverkehr auf der Schiene notwendig. Hierzu gilt es, die Erhebung einer Schwerverkehrsabgabe zu fordern. Notwendig ist auch eine Besteuerung von Pkw und Lkw nach Kraftstoffverbrauch. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer ist notwendig, deren Aufkommen zweckgebunden für die Finanzierung öffentlicher Verkehrsmittel eingesetzt werden muß.
Eine CO2-Steuer zu fordern, wie die EG-Kommission dies tut, ist im Zusammenhang mit der notwendigen Reduzierung der CO2-Emissionen kontraproduktiv. Sie würde einseitig die Atomenergie und den relativ knappen Energieträger Erdgas begünstigen. Eine Reduzierung des Energieverbrauchs ist statt dessen notwendig. Ein hierfür geeignetes Instrument wäre eine Energiesteuer oder Energieabgabe, deren Aufkommen für Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und die Nutzung regenerativer Energiequellen verwendet wird.
Der Einfluß des EG-Binnenmarktes auf die steigenden Anforderungen im Umweltbereich, insbesondere
Dr. Fritz Schumann ({0})
durch die Land- und Nahrungsgüterwirtschaft, bietet ein sehr differenziertes Bild. Richtig ist - wie in der Antwort zur Großen Anfrage vermerkt wird -, daß die notwendigen Produktionsbeschränkungen auch umweltrelevante Folgen im positiven Sinne haben. Trotzdem ist ein gemeinsamer Weg aller EG-Staaten in eine umweltorientierte, allgemein extensive Landwirtschaft nicht zu erkennen. Da nützen auch die Flächenstillegungsprogramme, die nunmehr einheitlich für alle EG-Länder gelten, nicht viel. Neben großen Differenzen in der Umsetzung der Stillegungsprogramme in den einzelnen Ländern ist nach wie vor die Tatsache gültig, daß neben stillgelegten Flächen hochintensive Produktion betrieben wird.
Es ist zwar richtig, daß die Effektivitätsschwelle auf Grund fallender Preise und flächengebundener Preisstützungen auf niedrigem Ertragsniveau erreicht wird. Das Volumen der Erlöse ist aber so gering, daß nach wie vor viele Bauern versuchen, durch Intensivierung einen Ausgleich zu schaffen. Das trifft auch und insbesondere auf die Veredelungswirtschaft zu.
Völlig unverständlich ist mir die Antwort auf Frage 66, in der festgestellt wird, daß regionale Gegebenheiten nur in sehr engen Grenzen berücksichtigt werden können, wenn die Vorteile des gemeinsamen Agrarmarktes nicht in Frage gestellt werden sollen. Für uns besteht Verbraucherschutz gerade im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft in Verbrauchernähe und in der Nutzung regionaler Ressourcen sowie in der Gestaltung regionaler Kreisläufe. Die begründeten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher erfordern eine gesetzliche Verankerung eines vorsorgenden Verbraucher-und Umweltschutzes und die Bereitstellung der erforderlichen Mittel zu dessen Verwirklichung. Sie erfordern weiter eine Verpflichtung der Anbieter auf das Vorsorgeprinzip und eine umfassende Verantwortung für Produkte und Umwelt.
Vordringlich ist eine Ausweitung bestehender Vorschriften auf den Dienstleistungsbereich, beispielsweise auf Banken und Versicherungen, und auf alle relevanten Umweltwirkungen.
Der übergroße bürokratische Apparat der EG, den die Steuerzahler finanzieren, sollte nicht nur den Weg für die Produkte über die nationalen Grenzen hinweg ebnen, sondern in gleichem Maße mithelfen, die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Produkte zu informieren und sie davor zu schützen, daß ihnen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen das Geld aus der Tasche gezogen wird.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marita Sehn.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich wäre gern zuerst auf den Beitrag von Frau Dr. Hartenstein eingegangen, aber sie ist leider nicht mehr anwesend.
({0})
Ich werde das vielleicht auf verschiedenen Wegen einmal nachholen.
Lassen Sie mich dann zuerst auf die Anfrage der SPD eingehen. Sie schreiben in der Einleitung, die Bundesrepublik Deutschland habe bisher keine Vorreiterrolle für einen ökologischen Strukturwandel eingenommen.
({1})
Allein diese Aussage, meine Damen und Herren, veranlaßt mich zu fragen: Wer hat denn Ihrer Meinung nach bisher diese Vorreiterrolle inne? Wer, wenn nicht Deutschland, die Niederlande und Dänemark, streitet denn für ein hohes Niveau in der EG beim Umwelt- und Verbraucherschutz? Wir sollten der Bundesregierung hierfür ausdrücklich danken und sie ermuntern, daß sie dies auch weiter tut.
({2})
Die 66 Fragen der SPD führen eigentlich nur zu einer uns schon lange bekannten Erkenntnis: Die mit dem EG-Binnenmarkt verbundene Harmonisierung bringt nicht nur Vorteile, sondern auch das Risiko, daß unser hoher Standard beim Schutz von Umwelt und Verbrauchern nicht in jedem Fall gehalten werden kann.
Fatal an dieser Frageaktion ist, daß wiederum nur die negativen Auswirkungen des europäischen Zusammenwachsens in den Vordergrund gestellt werden. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß unsere Bevölkerung Vorbehalte gegenüber der EG aufbaut. Natürlich wird der EG-Binnenmarkt ein enormes Verkehrswachstum zur Folge haben. Natürlich müssen wir versuchen, Zusatzstoffe in Lebensmitteln, die wir aus gutem Grunde verboten haben, von unserem Markt fernzuhalten. Natürlich wird es mühsam sein, alle von uns verbotenen Pestizide im gesamten Bereich der EG vom Markt zu nehmen.
Aber reden wir doch auch einmal von den positiven Entwicklungen. Bei der Begrenzung der Schadstoffe von PKWs haben wir in der EG enorme Fortschritte erzielt. Auf Initiative der Bundesregierung gelten ab diesem Jahr in der ganzen Europäischen Gemeinschaft Standards, die den derzeit in den USA gestellten Anforderungen entsprechen. Die zweite Stufe ab 1996 wird die Kohlenwasserstoff- und Stickoxidemissionen um 56 % senken. Über die Ziele für die dritte Stufe ab 1999 wird derzeit - das wissen auch Sie - auf der Grundlage eines deutschen Vorschlags verhandelt.
({3}) - Ab 1999, dritte Stufe.
Über eine Flottenverbrauchsregelung wird auf Expertenebene verhandelt. Die Senkung des Kraftstoffverbrauchs ist unabdingbar für die Senkung der CO2-Emissionen.
Bei den Chemikalien wird eine Altstoffverordnung, die im wesentlichen auf deutschen Vorschlägen beruht, in Kürze unmittelbar geltendes Recht in allen EG-Mitgliedsstaaten.
Bei der Schadstoffbegrenzung aus Großfeuerungsanlagen schlägt die Kommission den bereits in der 17. BImschVO in Deutschland festgelegten Grenzwert von 0,1 ng für Dioxine und Furane vor.
Auf deutsches Drängen wurde der Ausstieg aus der Produktion und Verwendung von FCKW in der gesamten EG auf das Jahr 1996 vorgezogen.
Ja, meine Damen und Herren, diese Beispiele sind auch Ihnen nicht unbekannt. Auch Sie wissen, daß es noch weitere positive Entwicklungen im Bereich des Umweltschutzes, nicht zuletzt auch auf Drängen der Bundesregierung, in der EG gibt.
In diesem Zusammenhang muß die Sprache auf einen für uns Parlamentarier wichtigen Punkt kommen: Die Einbeziehung des Parlaments in diese wichtigen Entscheidungsprozesse muß verbessert werden.
({4})
EG-Politik ist nicht mehr nur Außenpolitik, sondern auch Innenpolitik.
({5})
Die Bundesregierung muß sich daher für eine stärkere Beteiligung des Bundestages öffnen.
({6})
Wir brauchen ein Frühwarnsystem für Vorhaben und Verhandlungen der EG-Kommission. Die Bundesregierung muß das Parlament früher informieren; parlamentarische Einflußnahme darf nicht als lästiger Störfaktor bei Regierungsverhandlungen in Brüssel angesehen werden.
({7})
Etwas ist falsch, wenn die Abgeordneten von Verbänden Informationen über Vorhaben der EG-Kommission und entsprechende Verhandlungen erhalten, die Bundesregierung sich aber darüber ausschweigt.
Letztlich müssen die Rechte des Europäischen Parlaments ausgebaut werden.
({8})
Mit dem Vertrag von Maastricht werden diese Beteiligungsrechte ausgebaut. Ziel ist aber die volle Entscheidungsbefugnis des Europäischen Parlamentes. Dies muß ein Schwerpunkt bei den zukünftigen Revisionsverhandlungen werden.
({9})
Das Subsidiaritätsprinzip ist wichtig gegen zentralistische Überreglementierungen. Es darf aber nicht zum Vorwand genommen werden, um Umweltrichtlinien und Verordnungen, die für einige Mitgliedsstaaten unliebsam sind, zurückzunehmen.
({10})
Wenn Großbritannien z. B. unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip die Rücknahme der Kläranlagenrichtlinie fordert, so ist dies angesichts der extremen Unterschiede allein in der EG unerträglich. Die Grade des Anschlusses an die biologische Abwasserbehandlung liegen zwischen 1,5 % und 92 % bei uns. Die Bundesregierung muß diese Entwicklung sehr sorgfältig beobachten und dem Parlament frühzeitig berichten.
Das Fünfte EG-Umwelt-Aktionsprogramm wird von der F.D.P. grundsätzlich positiv bewertet. Ein ganz wichtiges und neues Element sind die Bemühungen, den Vollzug des EG-Rechts zu verbessern. Es ist Augenwischerei, sich auf Umweltregeln zu berufen, wenn diese wenigstens teilweise nur unzureichend umgesetzt werden. Dadurch werden Wettbewerbsbedingungen in Europa verfälscht. Als Beispiel möchte ich hier nur die unterschiedliche Anwendung des EG-Gentechnikrechts anführen. In Belgien wurden 60 Freilandversuche genehmigt; dem stehen etwa drei Freilandversuche in der Bundesrepublik gegenüber.
({11})
Um so erstaunlicher ist es, daß die EG-Kommission gerade gegen die Bundesrepublik ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Umsetzung der Gentechnikrichtlinie eingeleitet hat.
Das EG-Recht muß vollzugsfreundlicher werden. Dies können wir nur erreichen erstens durch eine größere Zahl von ökonomischen Instrumenten, um umweltgerechtes Verhalten zum Eigeninteresse zu machen, zweitens durch den Verzicht auf faule Kompromisse bei der Ausformulierung von Richtlinien und Verordnungen, die eine unterschiedliche Rechtsanwendung erlauben, und drittens durch die Überprüfung von Richtlinien und Verordnungsentwürfen durch die neu eingerichteten Dialoggruppen vor Verabschiedung.
Es ist gut, daß mit den Dialoggruppen aus Vertretern von Politik, Wirtschaft, Umweltverbänden und Verwaltungen endlich Mechanismen eingebaut werden, um das EG-Recht vor Verabschiedung auf seine Auswirkungen, seine Praktikabilität und Vollzugsfreundlichkeit zu überprüfen. Dem Netz aus Vertretern der nationalen Behörden und der EG-Kommission kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie müssen unterschiedliche Rechtsanwendungen ermitteln und für Angleichung sorgen. Warum werden solche Institutionen erst jetzt geschaffen? Wegen der unterschiedlichen Staats-, Verwaltungs- und Rechtsstrukturen der EG-Mitgliedstaaten hätten die Dialoggruppen schon von Anbeginn installiert sein müssen.
({12})
Ein trauriges Kapitel darf nicht unerwähnt bleiben. Es ist ein Skandal, daß wegen der immer noch ausstehenden Standortentscheidung die Europäische Umweltagentur mehr als zwei Jahre nach ihrer Gründung die Arbeit noch nicht aufnehmen kann.
({13})
Nach Lösung der Frage des Sitzes des Europäischen Parlamentes durch die Regierungschefs in Edinburgh wäre der Weg frei gewesen, auch in den übrigen Sitzfragen zu entscheiden. Die Bundesregierung ist aufgefordert, endlich für eine Entscheidung einzutreten.
({14})
Dabei muß auch über eine Erweiterung der Kompetenz der Umweltagentur geredet werden.
Die drängendste Entscheidung der EG-Umweltpolitik ist aus meiner Sicht das Konzept über die Verringerung der CO2-Emissionen.
({15})
Dabei ist zentraler Punkt die Einführung einer kombinierten CO2/Energie-Steuer, und zwar EG-weit.
({16})
Die Bedingung des Mitziehens von USA und Japan darf nicht länger - es tut mir leid, Herr Feige, daß Sie nicht klatschen können, aber vielleicht nachher - ein Hinderungsgrund sein.
({17})
Nachdem sich die USA unter der neuen Administration von Clinton und Gore einer aktiven Klimaschutzpolitik zuwenden und dabei auch eine Energiesteuer einführen wollen, darf Europa nicht zurückbleiben.
({18})
- Wir wollen ja die CO2-Emissionen begrenzen, Herr Müller. Wir wissen schon, was wir wollen.
({19})
- Ich weiß, daß Sie gern die Kohle ausnehmen wollen; das ist gar keine Frage.
({20})
- Es ist ja gut! Wir sollten uns vielleicht am Rande des Plenums noch einmal darüber unterhalten.
({21})
Zu dem Konzept zur Verringerung der CO2-Emissionen gehört auch die Anhebung der Mindestsätze für die Mineralölsteuer. Dies ist notwendig, um Preissignale für die Entwicklung verbrauchsärmerer Fahrzeuge und zur Änderung des Verkehrsverhaltens zu setzen.
({22})
Dies wäre auch ein Beitrag, die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen etwas auszugleichen.
Lassen Sie mich zum Schluß meiner Rede noch kurz auf Ihren Antrag zum Fünften Umwelt-Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft eingehen. Ich kann dazu nur sagen: im wesentlichen nichts Neues!
Daß Sie auch dieses Programm zum Anlaß nehmen, den Ausstieg aus der Kernenergie zu fordern,
({23})
verwundert nicht. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf - Herr Feige, es war falsch, daß Sie applaudiert haben; Sie haben nicht abgewartet -, daß die Energiekonsensgespräche doch noch bei dem einen oder anderen Ihrer Partei zu der Einsicht führen, daß dies bei gleichzeitiger Reduktion der CO2-Emissionen auch bei Ausschöpfung aller Energiesparpotentiale der Quadratur des Kreises gleichkommt.
Erlauben Sie mir noch eine Anmerkung zu Ihrer Forderung, den Individualverkehr zu einem großen Teil auf den ÖPNV und die Schiene zu verlagern. Dies ist natürlich eine unterstützenswerte Forderung. Aber warum beginnen denn nicht alle, die dies fordern, zuerst einmal bei sich selber?
({24})
Ich denke schon, daß es besonders wichtig ist, Handlungen, die man von anderen fordert, zunächst auch einmal selber zu leben.
({25})
- Nur so, Frau Blunck, kann Überzeugungsarbeit, die so dringend notwendig ist, geleistet werden.
Frau Dr. Hartenstein, ich möchte noch kurz auf das eingehen, was Sie gesagt haben, nämlich daß das Verhältnis zwischen Wachstum und Umwelt neu überdacht werden muß. Ich denke das auch. Aber ich glaube, wir, gerade wir in der Bundesrepublik, können da relativ gut reden, und wir haben auch gut reden. Ich denke, man kann Umweltpolitik nur dann betreiben, wenn auch ein gewisses Kapital dahintersteckt.
({26})
Leider gibt es sehr viele Länder, die andere Probleme haben. Als wir letztes Jahr in Rio waren - Frau Ganseforth war dabei -, haben wir mit Leuten aus der Sowjetunion geredet, auch mit Leuten aus Indien und Malaysia. Diese Menschen haben andere Sorgen als wir. Sie hätten gern unsere Sorgen, und ich glaube, das dürfen wir nicht außer acht lassen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({27})
Meine Damen und Herren, zwar ist alles, was hier stattfindet, geschäftsordnungsmäßig ganz korrekt. Nur habe ich wieder einmal den Eindruck, daß wir uns sehr ernsthaft überlegen müssen, ob wir in dieser Form gehobener Ausschußsitzung, bei der noch nicht einmal halbsoviel Kollegen im Plenarsaal sind, wie der Ausschuß Mitglieder hat, von den stellvertretenden Mitgliedern ganz zu schweigen, unsere Plenararbeit weiter bestreiten wollen.
({0})
Vizepräsident Hans Klein
Diese Anmerkung richtet sich nicht gegen Inhalt und Form der Darlegungen der einzelnen Kolleginnen und Kollegen. Nur, sind das wirklich Fragen, die wir im Plenum in dieser Art von Besetzung behandeln müssen?
({1})
Aber das nur am Rande.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie sehen, die Quadratur des Kreises geht bei gutem Willen manchmal doch; ein bißchen schummeln kann man schon.
({0})
- Nein, bei gutem Willen ist alles möglich.
({1})
Frau Sehn, was mich bei Ihrer wirklich engagierten umweltpolitischen Rede noch interessieren würde, ist, ob die älteren Herren in Ihrer Partei wirklich schon wissen, was jetzt die neue Linie sein soll. Ich glaube, da gibt es zwischen den Reden von Herrn Baum und von Ihnen erstaunliche Diskrepanzen.
({2})
Trotzdem möchte ich auf das Fünfte UmweltAktionsprogramm eingehen. Dieses unterscheidet sich von allen bisherigen Umweltprogrammen der EG durch ein völlig neues Herangehen; das ist schon gesagt worden. Mit diesem Konzept wird eine EG- Umweltpolitik angestrebt, die angesichts des zu erwartenden Wirtschaftswachstums bei Vollendung des Binnenmarktes dem Schutz der natürlichen Umwelt und der Bekämpfung des Raubbaues an Ressourcen neue Impulse verleihen soll. Unter dem Motto „Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung" wird eine Strategie skizziert, die mit den Stichworten Integration, Vorsorgemaßnahmen und gemeinsame Verantwortung mit dem Ziel einer langfristigen Orientierung der Politik der Gemeinschaft in bezug auf die Umwelt gekennzeichnet ist.
Vom Grundsatz her hat die Kommission ein funktionsfähiges Konzept vorgelegt. Allerdings bleiben noch viele Fragen offen, die sich vor allem auf den viel strapazierten Begriff „sustainability" und dessen Interpretation beziehen. Offen bleibt auch, wie dieses Programm, das nur einen Rahmen vorgibt, der mit Leben erfüllt werden muß, tatsächlich umgesetzt werden soll.
Der heute zur Abstimmung stehende Antrag der SPD ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Wir werden diesem Antrag zustimmen, um die Bundesregierung zu bewegen, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Apropos Bundesregierung: von wegen Vorreiterrolle im Umweltschutz! Man betrachte nur einmal den Umweltteil des neunten Jahresberichts über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts der EG-Kommission. Da wird deutlich, daß eine erhebliche Zahl von Vorschriften im nationalen Bereich nicht mit den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts im Einklang steht, sei es das Jagdrecht oder der Tierschutz sowie insbesondere die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Überhaupt nicht absehbar ist, wie und warm die Umsetzung der EG-Trinkwasserrichtlinie in den neuen Bundesländern praktisch erfolgen soll. Wegen Verstößen gegen die Abfallvorschriften der EG wurde kürzlich eine Klage der Kommission gegen die Bundesregierung beim Europäischen Gerichtshof eingeleitet.
Allein diese wenigen Beispiele belegen, daß der Bundesregierung der ernsthafte Wille fehlt, eine gemeinsame und zukunftsgerichtete Umweltpolitik in Europa voranzutreiben.
Solange die Bundesregierung nicht bereit ist, ein allgemeines Tempolimit auf Bundesautobahnen einzuführen, braucht man sich auch nicht zu wundern, daß andere in der EG dies ausnutzen, um uns unter Druck zu setzen.
({4})
Weil ich vorhin darauf angesprochen wurde, will ich vielleicht noch einmal auf das Beispiel Frankfurt zurückkommen. Es ist natürlich sehr leicht, in solch einem Fall immer von der Verlagerung von Verkehr auf andere Träger zu sprechen, die ich so allein nicht unterstütze. Aber wir haben nur eine Chance, das Verkehrsproblem zu lösen, wenn wir gleichzeitig beginnen, das Wort Vermeidung wirklich ernsthaft einzubringen. Wenn man langfristig denkt, ist die Dimension mancher Verkehrsbauten, die wir jetzt vorhaben - und ich denke auch an den gesamten Bundesverkehrswegeplan -, nichts weiter als eine Karikatur von Umweltpolitik.
Auch die fehlende Antwort, Herr Lippold, auf meine Frage von vorhin, dieses Ausweichen, das Sie so wunderbar und fantastisch beherrschen, fand dann tatsächlich mit der Gegenfrage seine Krönung, ich solle sagen, was Verzicht ist und wo er stattfinden könne. Das haben wir oft genug getan! Besser als wir hat das keiner getan. Deshalb haben wir vielleicht auch eine Wahl verloren, weil wir die Wahrheit gesagt haben. Aber wenn hier wirklich ein Bemühen um Konsens da sein soll, dann müssen wir das interfraktionell gemeinsam tun, nämlich sagen, wo wir in der Bundesrepublik verzichten sollten. Das geht nicht, wenn eine Minderheit allein es einführen will.
({5})
Ich glaube aber, daß es - von der europäischen Politikseite jedenfalls - auch nicht so gehen kann, daß dann, wenn die Bundesregierung keine Lust hat, bessere umweltpolitische Maßnahmen einzuführen, die EG sozusagen als Hemmnis aufgerufen wird. Wenn dagegen die EG bessere Vorschriften hat, erfolgt die nationale Umsetzung oft nicht einmal
formal, geschweige denn inhaltlich. Ich denke, dieses kann nicht Strategie sein.
({6})
Meine Damen und Herren, zurück zum Fünften Umwelt-Aktionsprogramm: Nach wie vor orientiert sich die Wirtschaftspolitik der EG nicht an einer nachhaltigen und dauerhaften Entwicklung, sondern setzt auf ungebremste Wachstumsideologie.
({7})
Dies ist jedoch eine rückwärtsgewandte Konzeption, weil nur die Volkswirtschaften, die ökologisch ausgerichtet sind, zukunftstauglich sind. Dies ist die beste Strategie für die Zukunft.
Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen muß zum Gemeinschaftsziel erklärt und zumindest gleichrangig neben die Verwirklichung des gemeinsamen Marktes gestellt werden. Ich denke nur daran, wie schwer wir uns tun, den Umweltschutz als Grundziel in unsere Verfassung hineinzubringen. Wie wollen wir es dann auf europäischer Ebene durchsetzen?
Während die Verträge von Maastricht in dieser Hinsicht kaum substantielle Fortschritte bringen, scheint das Fünfte Umwelt-Aktionsprogramm zumindest die Elemente einer Wende zu enthalten. Tragfähigkeit wird ausdrücklich als langfristiges Ziel ausgewiesen. Die Betonung liegt dabei auf einem dauerhaften Gleichgewicht.
Zu bemängeln ist allerdings, daß eine Konkretisierung dieser Zielvorgabe nirgends zu entdecken ist und daß damit die genauen Absichten im dunkeln bleiben. Dies hat letztlich die Folge, daß bei zahlreichen sektoralen Vorschlägen und Maßnahmen dieses Prinzip nicht nur nicht berücksichtigt, sondern ins Gegenteil verkehrt wird. Es ist offensichtlich, daß ökologische Tragfähigkeit und urgebremstes Wirtschaftswachstum im traditionellen Sinne unvereinbar sind. Folgerichtig wird im Umwelt-Aktionsprogramm auch anerkannt, daß eine Neudefinition des Wachstumsbegriffs und die Anwendung neuer wirtschaftlicher Indikatoren in Wirtschaft und Industrie notwendig sind.
Vom Ansatz her bietet das Umwelt-Aktionsprogramm durchaus Chancen, weil es nicht als Programm im herkömmlichen Sinne konzipiert ist, sondern vor allem einen institutionellen und politischen Rahmen setzt. Dies gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, flexibel voranzugehen.
Nun wird gesagt - auch ich habe das schon ein paarmal getan -, die Bundesregierung tue gar nichts. Dazu muß ich sagen: Sie ist schon flexibel; aber eine Flexibilität im Sinne eines Brummkreisels heißt doch nichts weiter, als daß man trotzdem auf der Stelle stehenbleibt, und in dieser Hinsicht kann ich von mir aus von den vielen kleinen Aktionen nur sagen, daß sie uns nicht voranbringen werden.
({8})
Lassen Sie mich auf wenige Einzelpunkte eingehen.
Erstens. Es ist längst überfällig, daß auf der Ebene der Mitgliedstaaten bzw. der Gemeinschaft eine Energiesteuer, und zwar auf die Primärenergie orientiert, eingeführt wird. Seit der Konferenz in Rio, spätestens aber seit der entsprechenden Ankündigung des US- Präsidenten Clinton gibt es keinen Grund mehr, weiter zu zögern. Halbseidene Kompromisse, die demnächst in Brüssel beschlossen werden sollen, nutzen weder der Wirtschaft noch der Umwelt, noch der Gemeinschaft.
Daher fordern wir, daß umgehend eine EG-weite Energiesteuer auf fossile Energieträger und auf die Atomenergie einzuführen ist und daß die Steuersätze weit über den bislang vorgesehenen Sätzen liegen müssen, um überhaupt etwas voranzubringen.
({9})
Das Umwelt-Aktionsprogramm legt großen Wert auf eine frühzeitige umfassende effiziente Information und Beteiligung der Öffentlichkeit. Diese Forderung hat sich die Gemeinschaft als Ganzes durch die Umweltinformationsrichtlinie zu eigen gemacht. Bis Januar 1993 war diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Bitte, wo ist das passiert? - Nichts ist passiert! Auch alles andere, was zeigen soll, daß wir dies bei uns schon haben, sind nur Suggestionen. Das ist ein Fakt, und den müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen.
In dieser Hinsicht muß ich einfach fragen: Welche Gesetze haben denn gerade in der letzten Zeit diese Umweltinformation für die Öffentlichkeit eingeschränkt? - Ich sage: Diese Gesetze sind von Ihnen gemacht worden, und sie sind mit dem Namen Krause, Krause, Krause und noch einmal Krause verbunden. In dieser Hinsicht kann das keine Politik sein, die glaubwürdig ist.
Herr Feige, werfen Sie doch einmal einen Blick auf das rote Licht! Das blinkt schon eine ganze Weile.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, daß wir auf EG-Ebene wirklich zu einer Umweltpolitik kommen, die über das hinausgeht, was die Bundesregierung gegenwärtig leistet.
({0})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Professor Dr. Klaus Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Schaffung eines vereinten, eines grenzenlosen Europas ist sicherlich die großartige Perspektive unserer Generation. Es ist die große Antwort auf das kriegerische Geschehen, das diesen Kontinent so lange geprägt hat.
Jemand, der - wie ich -, mit seiner Familie 2 km von der deutsch-französischen Grenze entfernt in Saarbrücken wohnt, weiß, wie großartig es ist, daß die Kinder eigentlich gar nicht mehr wissen, wo sie
Deutschland verlassen und Frankreich betreten, daß wir Einheitlichkeit an so vielen Stellen haben, daß wir uns eigentlich schon etwas überfordert sehen, wenn wir noch ganz besondere Identitäten herausarbeiten sollen. Das ist die großartige, verbindende und friedensstiftende Perspektive.
Damit verbunden ist auch, daß sie diesen Kontinent durch die Integration wirtschaftlich wieder stärkt, in dem großen globalen Wettbewerb zwischen Amerika, dem pazifischen Raum und dem alten Kontinent hier wieder Perspektiven für sichere, gutbezahlte Arbeitsplätze schafft. Deswegen war es gut und richtig, daß diese Gemeinschaft zunächst als eine Wirtschaftsgemeinschaft gedacht und entwickelt worden ist und daß man dann im Cecchini-Report, wie Frau Kollegin Hartenstein gesagt hat, nachgerechnet hat: Was bringt denn eigentlich dieses Wegfallen von Grenzen für den wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Europa? - Es ist eine großartige Sache, daß dadurch mindestens 1,8 und, durch eine entsprechende Politik unterstützt, fast bis zu 5 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist doch eine großartige und, wie wir alle wissen, heute auch notwendige Entwicklung. Es ist doch nicht zu beklagen, daß dadurch z. B. das Bruttosozialprodukt nach diesen Schätzungen um mehr als 200 Milliarden ECU ansteigen soll.
Alles dies ist natürlich nur verantwortbar, wenn man die damit verbundenen anderen Konsequenzen bedenkt. Richtig: Dieses Wachstum darf nicht auf Kosten der Arbeitnehmer und der sozialen Verhältnisse gehen. Ein Sozialdumping darf damit genausowenig verbunden sein wie ein Umweltdumping.
Deswegen war es richtig und gut, daß die Umweltminister eine task force eingesetzt haben, eine Sachverständigengruppe, die nachgerechnet hat: Was bringt uns denn ein solches Wachstum an ökologischen Lasten, wenn es unbeeinflußt abläuft? - Nebenbei bemerkt: Deutsches Mitglied dieser task force war Horst Siebert, Präsident des Weltwirtschaftsinstituts in Kiel, also sicherlich nicht jemand, der die Verbindungen zwischen beiden Bereichen nicht vernünftig herstellen könnte.
Die haben uns gezeigt, daß dieses Wachstum schnell über zunehmenden Energieverbrauch, über veränderte Mobilität erhöhte Transport- und Verkehrsleistungen bringt, daß dieses Wachstum mehr Rohstoffe in Anspruch nimmt, daß dieses Wachstum auch Umweltbelastungen mit sich bringt, daß wir also aufgerufen sind, hier entgegenzuarbeiten.
Deswegen ist diese Wirtschaftsgemeinschaft Europa zunehmend auch in eine Umweltgemeinschaft Europa umgestaltet worden. Die Weiterentwicklung der Römischen Verträge hatte ja gerade auch das Ziel, Umwelt als ein eigenständiges Ziel in das Vertragswerk zu integrieren. Wir wollen dabei also nicht übersehen, daß wir durch weitere Änderung des Vertragswerks mit Art. 100a in die Lage gekommen sind, Mehrheitsentscheidungen auch dort zu treffen, wo es um Umwelt geht, nämlich um produktbezogenen Umweltschutz. Heute ist überhaupt noch nicht darauf hingewiesen worden, daß diese Möglichkeit besteht.
({0})
- Das machen wir an so vielen Stellen! Eine der spannendsten Fragen in jeder Sitzung des Umweltministerrats in Brüssel, Herr Kollege Lennartz, ist die Frage: Was ist die Rechtsgrundlage? Ist es Art. 100a, oder ist es Art. 130s? Ist also mehrheitlich oder einvernehmlich zu entscheiden und dann in dem Rahmen durch den einzelnen Staat auch weiterzuentwickeln? - Ich weiß gar nicht, an wie vielen Stellen ich nachhaltig und erfolgreich dafür eingetreten bin, daß wir solche Dinge nach Art. 130s einstimmig verabschieden, aber dann hinterher dem einzelnen Staat die Möglichkeit belassen, mehr zu tun, daß wir also Mindestgrößen festlegen, aber dann die einzelnen den jeweiligen Belastungen entsprechend mehr tun können.
Es ist doch gar keine Frage, daß wir das in Europa immer wieder machen müssen, gerade für Deutschland. Ich werbe mit großem Nachdruck dafür. Es gibt eben keinen anderen Staat als Deutschland, der im Verkehr durch seine zentrale Lage so in die Austauschprozesse eines sich einigenden Europas eingebunden ist.
Es kann ja sein, Herr Kollege Feige, daß Sie ein Trauma haben. Aber selbst traumatische Zustände sollten einen nicht dazu führen, an irgendeiner Stelle mit dem Nachdenken aufzuhören. Wenn Sie den Verkehrswegeplan immer wieder mit geradezu wachsendem Stakkato hier vortragen, dann bitte ich Sie doch, erst einmal davon Kenntnis zu nehmen, daß es in der Nachkriegszeit keinen Verkehrsminister gegeben hat, der es gewagt hat, die Bahnreform zu seinem Ziel zu machen und sie in dieser Situation durchzusetzen.
({1})
Das steht zentral im Bundesverkehrswegeplan.
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- Wir haben zum ersten Mal, Herr Kollege Feige
- das sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen der SPD mit aller Ruhe, mit aller Sachlichkeit -, wieder einen Bundesverkehrswegeplan, in dem mehr Geld für den Ausbau der Bahn als für den Ausbau der Straße zur Verfügung steht.
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Das ist ein Faktum. Das können wir dort nachlesen. Dann können wir uns ja immer noch darüber einigen, daß es noch mehr sein sollte, daß Sie diese Prioritäten noch deutlicher umsetzen könnten.
Aber der Meinung, dies alles habe mit Ökologie gar nichts zu tun, muß man, nicht nur wegen des selbstverständlichen kollegialen Umgangs, sondern auch wegen der Sache, ein klares Wort entgegensetzen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hartenstein?
Sehr gern.
Herr Minister, ich darf Sie fragen: Wollen Sie wirklich bei dieser Aussage bleiben?
Deutscher Bundestag - ].2. Wahlperiode Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Das hatte ich vor, ja.
Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, dann ist im Bundesverkehrswegeplan, bezogen auf den Zeitraum bis zum Jahre 2012, ein Betrag von 193,7 Milliarden DM oder so etwas für den Straßenbau und ein Betrag von 194,8 Milliarden DM oder so etwas für die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn zusammen vorgesehen. Dabei wird aber immer unterschlagen - Sie als Umweltminister muß das doch außerordentlich interessieren -, daß für den Straßenbau noch die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und die Landesbaumittel von 16 Bundesländern hinzugerechnet werden müssen und daß selbst dann, wenn dies nicht der Fall wäre, das Ungleichgewicht zwischen Straße und Schiene, das zugegebenermaßen über Jahrzehnte hinweg alle Regierungen herbeigeführt haben, so nicht behoben werden kann.
Frau Kollegin Hartenstein, für die Frage bin ich Ihnen nun wirklich sehr herzlich dankbar.
Zum ersten kritisieren Sie hier den Bundesverkehrswegeplan, kritisieren Sie den Bundesverkehrsminister. - Ich habe gesagt, daß sich im Bundesverkehrswegeplan genau diese Priorität jetzt verändert hat. Sie haben das bestätigt. Ich danke Ihnen dafür.
({0})
Zum zweiten kann ich Ihnen sagen: Der Kollege Krause hat alle Hände voll zu tun gehabt - ich weiß das; ich habe dabeigesessen, als wir uns mit allen Länderministern in Schloß Krickenberg in Nordrhein-Westfalen getroffen haben -, um den Herren Länderkollegen zu erklären, warum er bei Ihnen nicht mehr Autobahnen bauen kann.
({1})
Ich könnte Ihnen aus dem Stegreif für jedes Bundesland, das die Kollegen, die hier sitzen, vertreten, einige Straßenbauprojekte nennen, die von dem jeweiligen Landesminister eingebracht worden sind und zu denen der Kollege Krause gesagt hat: Nein, das können wir nicht mehr finanzieren. Wir machen nur etwas für die Bahn. - Das ist der zweite Punkt.
Ich füge einen dritten Punkt hinzu. Frau Kollegin Hartenstein, Sie gehen doch überall, landauf, landab, hin und sagen: Es ist uns gelungen, im Vermittlungsausschuß die Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu erhöhen.
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Ich bin Ihnen auch ganz dankbar dafür, daß wir da mehr Geld haben; denn das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ist doch nun wirklich nicht ein Straßenausbaufinanzierungsgesetz, sondern es ist ein Gesetz, das den öffentlichen Personennahverkehr fördern soll, und das sollte es mit Nachdruck tun.
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Manchmal, Frau Kollegin Hartenstein, kann man sich also, wenn man eine ganz große Freude haben will, nur wünschen, daß man eine solche Zwischenfrage bekommt. Deswegen möchte ich mich abschließend noch einmal herzlich dafür bedanken. Dies ist ganz ohne jeden Zweifel richtig.
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- Hochverehrte Frau Kollegin, wir sind ja schon einige Jahre hier zusammen. Die Frage war wirklich so schön, daß ich ihr nicht ausweichen wollte und auch gar nicht ausweichen konnte.
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- Deswegen bleibe ich gern bei dieser Feststellung.
Meine Damen und Herren, gehen wir jetzt zum Energiebereich. Von den fünf Sektoren, die in dem Handlungsprogramm der Gemeinschaft stehen, ist einer der der Energie. Das ist sicherlich richtig. Die integrationsbedingten Energieverbrauchszuwächse sind für uns in hohem Maße bedeutsam, weil sie von CO2 bis zu Ressourcen und zu Rohstoffen erhebliche Probleme mit sich bringen.
Nun sind wir wirklich mit sehr großem Nachdruck darangegangen, eine EG-Strategie dafür zu entwikkeln. Die Kommission, die man ja an vielen Stellen schilt, hat dies auch getan. Wir haben eine gemeinsame Klimastrategie auf dem Tisch. Ich würde jedem empfehlen, dies durchzulesen, weil er dann wieder beruhigt wird; denn er wird dort dieselben Bausteine wiederfinden, die wir auch in der Bundesrepublik Deutschland in unserer CO2-Konzeption haben. Auch darin steht eine CO2-/Energiesteuer.
Nun ist mir der Kollege Feige abhanden gekommen.
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- Er steht hinter mir?
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- Da die Gefahr gering ist, daß ich zurücktrete, konnte er ruhig hinter mir stehen.
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Von daher war das ganz gut durchführbar.
Auch wir halten eine kombinierte CO2-/Energiesteuer, 50 % CO2, 50 % Energie, für einen richtigen Ansatz.
Nun wird viel darüber gerätselt, ob das das Richtige sei, und darüber, ob die Steuer hoch genug ist oder nicht. Wir haben damals kritisiert, aber nicht verhindern können, daß die Kommission gesagt hat: Wir binden die Umsetzung daran, daß auch die Amerika13040
ner und die Japaner etwas tun. - Jetzt wird gesagt: Nun sind die Amerikaner mit Gore und Clinton rangegangen und machen diese Steuer.
Ich empfehle wirklich jedem, gerade auch denen, die hier gesagt haben „Weil die das machen, müssen wir es noch erhöhen'' , sich einmal diese Steuer anzusehen. Das ist die sogenannte BTU-Steuer, wobei „BTU" für „British Thermal Unit" steht. Diese Steuer soll innerhalb von fünf Jahren in Amerika 70 Milliarden Dollar bringen.
Dann wird so getan, als hätten wir so etwas wie eine Energiesteuer noch gar nicht. Ich kann Ihnen nur sagen: Pro Jahr zahlen unsere Bundesbürgerinnen und Bundesbürger knapp 80 Milliarden DM an Energiesteuern.
({9})
- Gegenwärtig. Knapp 80 Milliarden DM in Deutschland bei 80 Millionen Einwohnern. Vergleichen Sie das einmal mit der Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten!
Ich kritisiere das gar nicht. Ich bin ja froh und dankbar dafür, daß Clinton und Gore überhaupt einmal die Tür dafür aufgemacht haben. Aber dann zu sagen „Jetzt sind diese Europäer und insbesondere natürlich, weil wir hier Opposition sind, die Deutschen diejenigen, die zurückbleiben" , das ist in Kenntnis der Fakten schlechterdings nicht umsetzbar.
Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich ja nun wirklich darum bemüht. Ich habe eben schon einmal erwähnt, daß ich am letzten Wochenende mit den anderen Umweltministern zusammen war. Dabei habe ich auch meine amerikanische Kollegin kennengelernt. Ich habe mich auch mit der amerikanischen Energieministerin, mit Frau O'Leary, getroffen. Natürlich werden wir das auch noch mit Herrn Gore besprechen. Ich bin ja vorhin schon dazu aufgefordert worden, auch Herrn Gore noch entsprechend zu motivieren.
Wir sind nicht dorthin gefahren und haben gesagt „Wehe, ihr macht das!", sondern wir sind dorthin gefahren und haben gesagt: Könnt ihr nicht noch ein bißchen weiter gehen? Könnt Ihr die Tür nicht noch etwas weiter aufmachen?
Die Aussage, Deutschland sei hier nicht die treibende Kraft, ist also eine durch nichts belegte Behauptung. Das Gegenteil ist der Fall.
Nehmen wir den nächsten Bereich, Industrie und Abfall. Meine Damen und Herren, das ist für mich eine ganz besonders faszinierende Sache. Wenn wir in der deutschen Umweltpolitik in den letzten Jahren etwas gemacht haben, was weltweit zu einem erkennbaren Markenzeichen geworden ist, dann ist es die Abfallpolitik; das muß ich Ihnen sagen.
({10})
- Es ist immer gut, wenn man eine Sekunde ruhig bleibt. Dann geht der Atem aus, und man kann ruhig weitersprechen.
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Meine Damen und Herren, wir haben vor wenigen Tagen im Bundeskabinett den Entwurf eines Kreislaufwirtschaftsgesetzes verabschiedet. Zum erstenmal bringen wir eine neue Produktverantwortung durch im Gesetz, indem derjenige, der etwas herstellt, für sein Produkt von dessen Wiege bis zu dessen Bahre verantwortlich bleibt. Andere - mir fallen einige ein - haben immer über die ökologische Ergänzung der Marktwirtschaft gesprochen, Programme gemacht. Entschieden hat dazu niemand etwas. Jetzt machen wir es. Jetzt machen wir eine neue Produktverantwortung. Jetzt schließen wir den Kreislauf. Jetzt kommen wir zum erstenmal dazu, das, was Ernst Ulrich von Weizsäcker so großartig sagt, nämlich ökologisch ehrliche Preise auch in der Praxis wirklich durchzusetzen.
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- In Deutschland.
Ich habe mich darüber gefreut - ich kann Ihnen das nur als Lektüre empfehlen -, als ich vor wenigen Tagen einen Drahtbericht unserer Botschaft in Stockholm bekommen habe. Unsere Botschaft teilt da mit, daß das schwedische Kabinett gerade den Entwurf eines Gesetzes zum Kreislauf in der Wirtschaft beschlossen hat. Daraus berichtet unsere Botschaft. Ich habe ihr jetzt erst einmal unseren Entwurf geschickt; denn in dem schwedischen Entwurf steht fast genau das, was wir vorher gemacht haben. Ich finde das nicht etwa gut, um uns zu loben, sondern ich empfinde das als eine Bestätigung dafür, daß das Denken in Kreisläufen die Antwort der Marktwirtschaft auf die ökologische Herausforderung ist. Das machen wir.
Sie können sich über die Verpackungsverordnung ja aufregen, wie immer Sie wollen. Am meisten regen sich die auf, die davon am meisten betroffen sind. Das ist die Verpackungsindustrie, die auf einmal weniger Verpackungsmittel absetzt.
({13})
- Wenn Sie meinen, das stimmt nicht, dann gebe ich Ihnen gern einmal einige Zuschriften von Verpakkungsmittelherstellern, die mir das ganz deutlich gemacht haben.
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Frau Kollegin Blunck. Sie sind ja bald dran mit Ihrer Rede.
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Herr Vizepräsident, ich habe das nicht als Drohung aufgefaßt.
({0})
Also: Wenn Sie mir das nicht glauben und wenn Sie es einmal ganz konkret sehen wollen, dann empfehle ich Ihnen, sich einmal mit ganz offenen Augen Werbesendungen in unserem Fernsehen anzuschauen.
Schauen Sie nur einmal, an wie vielen Stellen jetzt urplötzlich mit verminderter Verpackung geworben wird! Ich will jetzt keine Schleichwerbung für irgend jemanden machen; deswegen nenne ich sie nicht. Ich will auch gar nicht sagen, daß zwei, drei, vier, fünf Beispiele in irgendeiner Werbefernsehsendung meine Konzeption bestätigen. Ich will nur sagen, daß diese Verpackungsverordnung genau das erreicht, was sie erreichen sollte: Sie vermeidet Abfall, und das, was sie nicht vermeidet, verwertet sie.
Daß es bei dem jetzt aufgezwungenen Verwertungsprozeß ächzt und knirscht und daß das Probleme macht, das ist wohl zuzugestehen. Aber wir sind 40 Jahre in einer Wegwerfgesellschaft gewesen, in der niemand an Kreisläufe gedacht hat und in der deswegen nirgends irgendwelche Abfallverwertungsanlagen gebaut worden sind. Die machen wir jetzt.
({1})
Meine Damen und Herren, deswegen ärgere ich mich wie jeder andere, wenn da irgendwas falsch läuft. Aber ich gehe nicht hin und sage „Die haben das nicht richtig gemacht, also war die Sache falsch", sondern ich sage: Die haben was falsch gemacht; sorgen wir dafür, daß sie es demnächst richtig machen.
Wenn es stimmt, daß wir Kreisläufe schließen müssen, weil wir in dieser Marktwirtschaft nur in einer Linie denken können, dann lassen Sie uns das auch durch Gesetze durchsetzen.
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Der Kollege Feige hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte, Herr Kollege Feige, Sie haben das Wort.
Herr Bundesminister, Sie haben mich in die Situation gebracht, als Traumatiker dazustehen, und zwar traumatisch hinsichtlich Herrn Krause bzw. des Bundesverkehrswegeplans. Ich will aus persönlicher Betroffenheit dazu sagen, daß man die sogenannte Traumatik vielleicht auch Sensibilität nennen kann, die ich mir doch in einem Land erworben habe, in dem ich mich als Umweltengagierter, als in Verbänden Tätiger nicht demokratisch gegen das zur Wehr setzen konnte, was dort passiert ist.
Wenn ich heute also gerade durch diese Erfahrung eine erhöhte Sensibilität für Umwelteingriffe und - ganz im Gegenteil - für diese Bereiche bekommen habe, in denen nichts getan wird, und wenn das dann als Trauma gegen Herrn Krause genommen wird, dann ist das inkorrekt. Es ist einfach nichts weiter als Engagement für die Umwelt. Und mit diesem Engagement merke ich sehr deutlich, wenn etwas im Verkehrswegeplan nicht stimmt.
({0})
Herr Bundesminister, wenn Sie wünschen, können Sie noch einmal kurz darauf reagieren. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich bedanke mich.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Klaus Lennartz das Wort.
({0})
Heute geht es ein bißchen humaner zu, Herr Kollege.
({0})
- Sie können mich ja nachher daran erinnern. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es um Umweltschutz und Energiethemen im neugeschaffenen europäischen Binnenmarkt geht, gibt sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage sehr salbungsvoll. Sie formuliert, postuliert und projektiert ökologische Ziele für den Binnenmarkt. Der Binnenmarkt, so die Bundesregierung, dürfe nicht zur Steigerung der Umweltbelastung in Europa führen. Die Bundesregierung will, so steht geschrieben, die Umweltgemeinschaft in der EG.
Die Bundesregierung sieht Defizite in der Kontrolle und Umsetzung umweltpolitischer Ziele in der Europäischen Gemeinschaft, und die Bundesrepublik soll Vorbild und Vorreiter in der EG sein, wenn es um die Umweltpolitik geht.
Hehre Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir heute auf den Prüfstand des Handelns, der praktischen Politik stellen wollen.
In der europäischen Energiepolitik sieht sich die Bundesregierung mit sich und der EG-Kommission im reinen. Mehr Wettbewerb, eine - wie es heißt effiziente Energieversorgung, mehr Klimaschutz, mehr Energiesparmaßnahmen und eine kombinierte CO2-Energiesteuer heißen die Begriffe, mit denen Bundesregierung und EG-Kommission ihre weitgehend umweltpolitisch identischen Ziele umreißen.
Wie schön, sollte man meinen, daß im wirtschaftlich vereinten Europa von Bonn und Brüssel an einem ökologischen Strang und sogar noch am gleichen Ende gezogen wird.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: In der Bundesrepublik Deutschland wird tatsächlich ungehemmt Energie verbraucht. Ein ökologischer Strukturwandel findet nicht statt und ist auch nicht in Sicht. Wir Deutsche verbrauchen heute dreimal soviel Energie wie 1950. Das vereinte Deutschland steht beim Energieverbrauch, Herr Kollege Töpfer, an fünfter Stelle in der Welt und weit an der Spitze der EG - trotz der Einbrüche im Osten Deutschlands.
Alle Gebete vom verbesserten Klimaschutz, von der CO2-Reduzierung und von besserer Energieeffizienz werden zur Farce. Das Ende 1990 von der Bundesregierung formulierte Ziel, die CO2-Emissionen um mindestens 25 % bis zum Jahr 2005 zu verringern, kann nicht erreicht werden. Das ist sehr höflich formuliert. Einige der Damen und Herren waren ja bei der Vorstellung der Shell-Studie anwesend und mußten die Zahlen dort entgegennehmen. Herr Kollege Töpfer, dann zogen Sie die Verbindung zu den Mosaiksteinen, in denen auch die CO2-Bausteine
enthalten wären. Dann aber schaffen Sie Ihre eigene Zielvorgabe noch nicht einmal in dieser Republik.
({1})
Die Gründe liegen klar auf der Hand. Während die Bundesregierung in Sonntagsreden eine modernere Energiepolitik formuliert, muß für den politischen Alltag Fehlanzeige gemeldet werden. Bis auf die Großfeuerungsanlagenverordnung, die butterweich genug war, Herr Töpfer, um durch Emissionsminderungspläne der Länder deutlich unterschritten zu werden, ist seit fast zehn Jahren kein einziges Gesetz zum Klimaschutz bzw. zum Energiesparen reformiert oder neu erlassen worden.
Jede strukturelle Reform der Energieversorgung ist von dieser Bundesregierung strikt abgelehnt worden.
({2})
Bestehende Instrumente, die die Energie besser hätten ausnutzen und Emissionen senken können, sind abgeschafft worden: 1991 die Sonderabschreibungen für Energiesparmaßnahmen bei Eigenheimen, Ende der 80er Jahre die Förderung des Fernwärmeausbaus und Sonderabschreibungen für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen lin Energiesparbereich.
Ein neues Energiegesetz, die Verschärfung der Wärmeschutzverordnung, das Tempolimit und die steuerliche Förderung des Energiesparens und der erneuerbaren Energien wurden permanent vertagt. Jedesmal gab es eine Ankündigung, aber es liegt noch nichts vor.
({3})
Untätigkeit, meine Damen und Herren, ist deshalb das falsche Wort, wenn man die Energiepolitik dieser Bundesregierung beschreiben will. Eine Anti-Energiesparpolitik - das ist der treffendere Ausdruck. Statt dessen wird hier unisono von Kommission und Bundesregierung das Zauberwort der Deregulierung als Allheilmittel verkauft. In der Energiepolitik sollen europaweit nur noch die Kräfte des Marktes wirken - ohne staatliche Aufsicht, wie die Bundesregierung ausdrücklich fordert, ohne staatliche Vorsorge in puncto Versorgungssicherheit.
Der Verzicht auf aktive, gestaltende Energiepolitik, der Verzicht auf eine energiepolitische Wende hin zu einem ökologischen Umgang mit unwiederbringlichen Ressourcen, ist besonders für die Europäische Gemeinschaft, die mit 6 % der Weltbevölkerung 10 % der Energie verbraucht und 13 % der weltweiten CO2-Emissionen verursacht, besonders verantwortungslos. Wie wollen wir uns als Schulmeister für die Dritte und die Vierte Welt hinstellen, wenn wir selber mit unseren eigenen Ressourcen, mit unseren technischen Möglichkeiten nicht das schaffen, was wir normalerweise schaffen könnten? Das ist eine moralische, ethische Verantwortung, der Sie nicht gerecht werden.
({4})
Wie die Bundesregierung, so hat zwar auch die Kommission seit Mitte der 80er Jahre zahlreiche
energiepolitische Zielsetzungen formuliert, aber keine praktische ökologische Wende in der Energiepolitik einleiten können. Im Gegenteil: Die Deregulierungspolitik, der Rückzug des Staates aus der ökologischen Verantwortung, wird zum Programmersatz der Politik erhoben; und das, obwohl jeder weiß, daß die Kräfte des Marktes die ökologische Krise nicht meistern können, sondern eher dazu neigen, diese Krise zu verschärfen.
({5})
Die Deregulierungsstrategie der europäischen Energiemärkte wird eher zu einem Mehrverbrauch an Energie, als zur dringend erforderlichen Verbrauchsabsenkung führen. Wohl wissend hat der europäische Ministerrat sich denn auch nur zu einer Stabilisierung der CO2-Belastung auf heutigem Niveau verständigen können, statt sich für eine deutliche Wende in der Energiepolitik einzusetzen, wie sie von der Weltklimakonferenz mit einer CO2-Absenkung von fast 30 % bis zur Jahrtausendwende verlangt wird. Die EG-Kommission setzt weiterhin auf die ökologisch gefährliche Atomenergie, die nur von der Hälfte der zwölf Mitgliedstaaten betrieben wird.
({6})
Die aus unserer Sicht dringend notwendige Änderung des Euratomvertrags zugunsten des Ausstiegs aus der Kernenergie steht weder auf der Tagesordnung der Bundesregierung noch auf der Tagesordnung der EG-Kommission.
({7}) - Das verrät Ihr falsches Denken, Herr Kollege.
Die EG hat nichts getan, um ihre Importabhängigkeit in den letzten Jahren abzusenken. Sie liegt bei 50 % und macht die Wirtschaft der EG von Öl- und Gasimporten in extremer Weise abhängig. Wenn einmal die Selbstversorgung Englands und Hollands schwindet, wenn einmal die Lieferungen aus den GUS-Staaten sinken sollten, werden wir schnell in eine neue Versorgungskrise hineinschlittern.
Deshalb haben wir kein Verständnis für die Antikohlepolitik der EG, gegen die sich unsere Bundesregierung weniger als halbherzig wehrt.
Der einzig erkennbare richtige Schritt ist die Erhöhung der Energiesteuern, der allerdings in der Ausformung einer kombinierten CO2- und Energiesteuer besonders die nuklearen Gefahren und Risiken völlig ausblendet und fossile Brennstoffe einseitig benachteiligt, selbst wenn sie mit den neuesten Techniken sehr emissionsarm eingesetzt werden. Mit dieser Energiepolitik von Bundesregierung und EG-Kommission läßt sich bei Gott kein Staat machen.
Diese Politik wird die europäischen Staaten spätestens um die Jahrtausendwende in eine schwere ökologische und wirtschaftliche Krise treiben, wenn nämlich andere Wirtschaftsregionen in der Welt uns in Politik und Technologie auf diesem Sektor weit voraus sein werden.
Herr Kollege Töpfer, hier kann ich es Ihnen nicht ersparen, Ihnen zu sagen, daß Sie das persönlich treffen wird.
({8})
Sie wissen, daß ich Sie sehr schätze. Aber die Frage ist einfach, wie Sie die richtige Umweltpolitik, die Sie teilweise hier verbal richtig vortragen, im Kabinett, hier auf bundesdeutschem Boden und auch auf europäischer Ebene nicht nur vortragen, sondern auch durchsetzen.
({9})
Sie sind doch wirklich der wandelnde Widerspruch zwischen intellektueller Einsicht und praktischer Durchsetzungsfähigkeit.
({10})
Wenn Sie das durchsetzen, was Sie verkünden, wären wir in manchem ein paar Schritte weiter.
({11})
Wir Sozialdemokraten haben ein ökologisches Energiesteuermodell vorgelegt, das unsere Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten beibehält und gleichzeitig ein Umsteuern in Richtung auf mehr Umweltschutz ermöglicht. Mit unseren Energiesteuern sollen Energiesparen angereizt und finanziert werden, rationelle Energietechniken entwickelt, die Kraft-Wärme-Koppelung weiter vorangetrieben und die Nah- und Fernwärme ausgebaut werden. Wir wollen die Förderung erneuerbarer Energien, den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und eine Entfernungspauschale als Ausgleich für höhere steuerliche Belastungen von Berufspendlern.
({12})
Wir wollen die Atomenergie zurückdrängen und mit dem intelligenten Einsatz klassischer Energieträger
({13})
die Versorgungssicherheit Europas wieder auf breitere Füße stellen.
Ähnlich konzeptionslos wie in der Energiepolitik stehen Kommission und Bundesregierung in Verkehrsfragen da. Sie wollen auch hier das Gute: weniger Verkehr auf unseren Straßen, mehr Güter auf die Schiene, weniger Kurzstreckenflüge und geringere Kfz-Emissionen. Aber wo ist das Handeln, das nach dem gesprochenen oder geschriebenen Wort kommen muß, meine Damen und Herren?
({14})
Der Lkw-Verkehr wird sich im Zuge des Binnenmarkts verdoppeln. Das gesteht auch die Bundesregierung zu. Aber wo sind die Alternativen? Wo sind die Infrastrukturmaßnahmen, die durchgeführt werden müssen? Wo sind die Geldmittel für derartige Infrastrukturmaßnahmen? Es ist nicht erkennbar, wie die Bundesregierung den Kurzstreckenflugverkehr unter 500 Kilometern auf die Schiene bekommen will.
Das ist in den Antworten auf unsere Große Anfrage nicht enthalten.
Für einen großen europäischen Gleichschritt durch ein Tempolimit will unsere Bundesregierung keine heilige Kuh schlachten. Bei den Kfz-Emissionen tröstet man sich damit, daß die derzeitigen Standards angeblich den scharfen US-Abgasnormen entsprechen. Sie müssen wissen, meine Damen und Herren, daß diese US-Grenzwerte - Herr Kollege Kampeter, hier darf ich an unser gemeinsames Gespräch erinnern, das wir mit den Amerikanern geführt haben - demnächst so drastisch gesenkt werden, daß noch Mitte der 90er Jahre bestimmte deutsche Nobelmarken in den Vereinigten Staaten nur noch gasbetrieben fahren können. Sonst funktioniert nichts mehr. Deshalb ist Ihre Ankündigung, daß man sich auch weiterhin an den US-Grenzwerten orientieren will, nicht nur vollmundig, sondern schlichtweg unzutreffend.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert seit langem ein integriertes Gesamtverkehrskonzept für Europa. Es ist zur Zeit noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Wir wollen mit ökonomischen Instrumenten die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Verkehrsträgern beseitigen. Wir wollen Infrastrukturinvestitionen mit Vorrang für die jahrzehntelang vernachlässigte Schiene. Wir wollen ordnungsrechtliche Maßnahmen wie z. B. ein Tempolimit, langfristig berechenbare sicherheits- und emissionsbezogene Vorgaben für die Automobilindustrie, Vorfahrtregelungen für den ÖPNV und vieles mehr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren: „Enttäuschend" lautet unsere Kurzformel für die gemeinsame Energie- und Verkehrspolitik von Bundesregierung und EG-Kommission. Die vielen Unterlassungssünden werden sich in wenigen Jahren bitter rächen, wenn deutlich wird, daß die europäischen Reaganomics, die zur Zeit in Brüssel und in Bonn das Sagen haben, Europa ins ökologische, ökonomische und strukturelle Hintertreffen gebracht haben.
Herr Kollege Dr. Lippold, wir sind uns im Ausschuß darüber einig, daß diese Industrienation eine vernünftige, ökologisch orientierte Energiepolitik haben muß. Von dieser Bundesregierung wird das in dieser Form nicht vertreten.
({15})
Die Energiepolitik dieser Bundesregierung gefährdet den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland.
Ich danke Ihnen.
({16})
Ich erteile der Kollegin Editha Limbach das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe jetzt die undank13044
bare Aufgabe, nach diesem verpuffenden Feuerwerk nicht sehr konkreter Redewendungen
({0})
zu einem sehr konkreten Thema etwas sagen zu müssen, nämlich zu dem, was die Verbraucherinnen und Verbraucher - sprich: die Menschen in unserem Land - unmittelbar berührt.
Ich bringe ein Beispiel, ohne daß ich Fachmann für Umweltfragen bin.
({1})
Herr Lennartz, Sie sagen beispielsweise: Infrastrukturmaßnahmen müssen her. Gleichzeitig kritisiert Ihre Fraktion, wie der Bundesverkehrswegeplan beschaffen ist. Ich darf Sie daran erinnern, daß ÖPNV zwar höchst wichtig ist, aber natürlich nicht den internationalen Verkehr regelt.
({2})
Gerade deshalb soll beispielsweise Schienenverkehr vorrangig vor Straßenverkehr gefördert werden. Jedoch werden Sie bei den Infrastrukturmaßnahmen, die Sie fordern, nicht ganz ohne Straßen auskommen.
({3})
- Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich die Reden Ihrer Kolleginnen und Kollegen gehört habe.
({4})
Ich komme jetzt zu dem Thema, zu dem ich hauptsächlich etwas sagen wollte, nämlich zum Verbraucherschutz. Das paßt sehr gut in eine Umweltschutzdebatte. Denn Umweltschutz und Verbraucherschutz sind ganz eng miteinander verbunden und können eigentlich gar nicht getrennt werden.
({5})
Dennoch will ich gezielt den Verbraucherteil ins Auge fassen. Man darf nicht vergessen, daß wir auf Grund von Initiativen und mit kräftiger Unterstützung des Bundeskanzlers und der Bundesregierung sehr weit gekommen sind. Wenn in dem Vertrag von Maastricht der Art. 129a eingeführt wurde, der einen hohen Gesundheits- und Verbraucherschutz für die Gemeinschaft fordert, so ist das nicht etwa gegen den Willen der Bundesregierung, sondern ganz im Gegenteil mit ihrem Willen und nicht zuletzt auf Anregung eines gemeinsamen Briefes von Präsident Mitterrand und unserem Bundeskanzler Helmut Kohl zustande gekommen. Das muß man sehen.
Deshalb gebührt der Bundesregierung Dank, daß sie den notwendigen Einfluß in Europa zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher geltend macht.
Nun muß ich noch etwas sagen. Die Opposition hat es immer viel leichter. Sie malt das Idealbild an die Wand: Was müßte eigentlich sein, wenn alles so wäre,
wie auch wir es wollen? Die Regierung und die Mehrheit im Parlament sind allerdings gehalten, jeweils das Machbare zu tun, natürlich immer mit weiteren Schritten in die richtige Richtung.
({6})
- Das tut sie auch, Herr Kollege Lennartz. Das Problem ist nur, daß wir nicht der Nabel der Welt sind, nicht alles alleine machen können. Wir müssen uns gelegentlich mit denjenigen einigen, die in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft das Sagen haben. Das wird nicht immer zu unseren Bedingungen erfolgen, sondern gelegentlich auch nach den Vorstellungen, die dort herrschen. Die sind manchmal anders als bei uns.
({7})
Bei der Verbraucherpolitik gibt es zwischen der Opposition und uns teilweise auch grundsätzliche Unterschiede. Für uns - ich spreche jetzt für die CDU/CSU-Fraktion - ist Verbraucherpolitik das Schaffen von Rahmenbedingungen, unter denen der einzelne Verbraucher selbstbewußter Partner am Markt ist und deshalb auch selbstbewußt, kritisch und selbstverantwortlich seine Entscheidungen treffen kann und treffen soll.
({8})
Das ist meiner Ansicht nach das Entscheidende. Ich weiß, daß Sie manchmal ein bißchen darüber hinausgehen wollen. Aber für uns ist das die Grundlage dessen, was wir für Verbraucher machen wollen.
Darin ist eingeschlossen, daß sich Verbraucherinnen und Verbraucher auch falsch entscheiden können. Dieses Risiko können wir ihnen leider nicht immer nehmen. Wir müssen es ihnen dort nehmen - das kommt in dem hohen Verbraucherschutzniveau zum Ausruck -, wo man aus übergeordneten Gründen z. B. Rechtsschutz gewähren muß, weil es die einzelne Verbraucherin oder der einzelne Verbraucher nicht übersieht. Deshalb haben wir auch bestimmte Gesetze zum Schutz der Verbraucher gemacht. Dem wird möglicherweise das eine oder andere noch folgen müssen.
Im Fragenkatalog der SPD ist z. B. das Thema Bestrahlungsrichtlinie aufgegriffen worden. Das ist einerseits ein Beispiel für einen großen Konsens zwischen uns. Denn wir haben im Gesundheitsausschuß einen gemeinsamen Antrag dazu beschlossen, der im Grunde davon ausgeht, daß die Bestrahlung von Lebensmitteln bei uns bei den Hygienemöglichkeiten, die wir sonst haben, überhaupt nicht erforderlich ist. Wir haben gesagt: Wenn aber ein totales Verbot in der EG nicht durchsetzbar ist, weil andere das anders sehen - wir wissen, daß es so ist -, sollten bestimmte Lebensmittel ausgenommen werden. Wenn es ganz unvermeidbar ist, muß es eine solche Kennzeichnung geben, daß sich die Verbraucher entscheiden können, ob sie solche Lebensmittel kaufen oder nicht. Damit haben wir genau das gemacht, was unserer Grundauffassung entspricht.
Es gibt aber bei dem, was Sie in Ihrem Fragenkatalog haben, zwischen uns auch eine MeinungsverEditha Limbach
schiedenheit. Ich denke, daß da unter Umständen eine gewisse Verkennung von Einflußmöglichkeiten und Tatsachen mit im Spiel ist: Die Bundesregierung kann nicht dafür sorgen, daß es auf jeden Fall keine Bestrahlung von Lebensmitteln in Europa gibt, selbst wenn sie es, wie sie gesagt hat, eigentlich möchte. Wenn es in den anderen Mitgliedstaaten andere Vorstellungen gibt und nicht eine Einstimmigkeit nötig ist, wird am Ende nur ein Kompromiß zustande kommen. Ich sage einmal ausdrücklich: Kompromisse sind in der Politik nicht immer das schlechteste.
({9})
- Herr Lennartz, Sie sagen hier, daß man sich stärker einsetzen müßte. Nun kann man natürlich nicht ständig so tun wie jemand, der vor Kraft nicht laufen kann. Das Zusammenleben in einer Gemeinschaft - das gilt für die persönliche Gemeinschaft, das gilt auch für die Staatengemeinschaft - wird immer darauf beruhen, daß man gibt und nimmt und daß man darauf achtet - das hat meiner Ansicht nach die Bundesregierung bisher in ausreichendem und zufriedenstellendem Maße getan -, daß beim Geben nicht sozusagen das Kernstück weggegeben wird und daß beim Nehmen nur das genommen wird, was für den anderen nicht das Kernstück ist. Sonst kann man nicht friedlich und positiv miteinander weiterkommen.
({10})
Ein anderer wichtiger Punkt ist meiner Ansicht nach die Mitwirkung der Verbraucherverbände. Erfreulicherweise hat die Regierung in der Antwort auf die Anfrage zu diesem Punkt gesagt, daß sie eine Mitwirkung grundsätzlich für wünschenswert hält. Ich sage ausdrücklich: Wir haben in der Bundesrepublik mit der Beteiligung von Verbraucherverbänden sehr gute Erfahrungen gemacht.
Ich hätte allerdings gerne ein noch engagierteres Eintreten der Bundesregierung, als aus der Antwort deutlich wird. Da gibt es den Hinweis, daß die Kommission selbst entscheidet. Dieser Hinweis ist zwar richtig, aber auch, wenn das so ist, kann ich natürlich trotzdem versuchen, die Bundesregierung dazu zu bringen, noch ausführlicher und ausgiebiger für das Anliegen einzutreten, als das bisher der Fall ist.
Dabei bin ich allerdings auch der Meinung: Die Beteiligung muß in etwa der Art von Beteiligung entsprechen, wie wir sie haben. Das darf nicht dazu führen, daß zum Schluß vor lauter Beteiligung nichts mehr passiert. Auch das würde ich nicht für wünschenswert halten.
({11})
Es gibt noch weitere Punkte. Hier ist schon etwas über die hohen Umweltstandards zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher gesagt worden, über Verpackungen, CO2, Pestizide usw. Es muß angestrebt werden, daß sich möglichst viele Mitgliedstaaten in Europa diesen Zielen verschreiben. Vielleicht kommt dann gelegentlich auch einmals aus
einem unserer Partnerländer eine Zielvorstellung, der wir uns anschließen können.
Was die nationalen Regelungen angeht, denke ich, müssen wir dafür kämpfen, daß sie möglichst europaweit gelten. Wo das nicht geht, müssen uns eigene Standards erlaubt sein, die möglicherweise höher sind als die europäischen Standards.
Nun werden wir dabei leicht Wettbewerbsprobleme bekommen, und zwar in doppelter Hinsicht: einmal, weil nach unseren gemeinsamen Vereinbarungen in Europa der freie Warentransport und -verkauf möglich sein muß. Zum anderen dürfen wir nicht solche Standards entwickeln, die zwar ideal sind, aber zum Schluß unsere Wirtschaft so knebeln, daß sie nicht mehr funktioniert.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Je mehr die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft beachtet werden, um so mehr Vorteile bringt der Binnenmarkt insgesamt für die Verbraucher und für die Wirtschaft. Ein gut funktionierender Markt, der natürlich notwendige Regelungen zum Schutz vor Täuschung und unlauterem Geschäftsgebaren, auch Maßnahmen zu Information und Aufklärung braucht, entspricht den Verbraucherinteressen und den Marktinteressen in hervorragender Weise.
Ich wünsche uns auf diesem Weg weiter gemeinsam viel Erfolg.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Lilo Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Töpfer, ich muß Ihnen recht geben - das geschieht ja ausgesprochen selten -: Der Grüne Punkt ist tatsächlich weltweit bekannt. Sie haben mit Ihrer Verpackungsverordnung dafür Sorge getragen, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher den Joghurtbecher gut spülen, und anschließend finden sie ihn in Indonesien oder sonstwo wieder. Insofern ist das wirklich eine weltweite Tat, die Sie begangen haben.
Im übrigen ist noch ein Rechtsstreit anhängig, Herr Töpfer, wie Sie wohl wissen, wo es ein sehr gutes Miteinander von Herrn Gauweiler, Herrn Schäfer und Frau Griefahn gibt, weil die Verwertungsgarantien der Industrie nicht eingehalten werden.
Insofern muß ich sagen: Ob Sie darauf stolz sein können, wage ich zu bestenfeln. Aber ich finde, daß das schon weltweit bekannt ist und daß man Ihn n, wo Sie recht haben, auch recht geben muß.
({0})
- Nein.
Der Verbraucherschutz und die Verbraucherpolitik haben durch die Europäische Gemeinschaft tatsächlich wesentliche Impulse bekommen.
Frau Kollegin Blunck, ich glaube, der Kollege von Geldern möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit?
Wenn Sie erlauben, eine ganz kurze Frage: Ist Ihnen bewußt, Frau Kollegin Blunck, daß Sie eben den Rechtsstreit zwischen dem Dualen System und einigen Bundesländern falsch dargestellt haben? Es geht hier um Auflagen, die mit der Freistellungserklärung verbunden waren, aber nicht um den Kern der Sache, wie Sie es eben dargestellt haben.
Es geht darum, Herr von Geldern, daß das Duale System aufgefordert worden ist, die Verwertung klar- und offenzulegen, damit der Griff in die Tasche der Verbraucher zu Recht erfolgt.
({0})
Dieses ist aber nicht passiert. Daraufhin haben Herr Schäfer, Umweltminister von Baden-Württemberg, die Umweltministerin in Niedersachsen, wie Sie wohl wissen, Frau Griefahn, und Herr Gauweiler gesagt, daß dies nicht in Ordnung ist.
({1})
- Wenn es der Herr Präsident mir nicht anrechnet.
Ich rechne Ihnen nie so etwas an.
Frau Kollegin Blunck, kommt es nicht auch Ihnen eigenartig vor, wenn die Länder, die zur Kontrolle selbst berufen sind, sich darüber beklagen, daß die Kontrolle nicht funktioniert?
Nein, lieber Herr von Geldern. Sie wissen, daß diese Länder - ich sage es noch einmal: Schleswig-Holstein, Bayern, Baden- Württemberg und Niedersachsen - das Duale System aufgefordert haben, nachprüfbar offenzulegen, wo es mit seinem Zeug bleibt und welche Verwertung es vornimmt. Aber genau dieses möchte das Duale System aus gutem Grunde nicht.
({0})
Jetzt möchte noch der Herr Kollege Kampeter Ihre Redezeit verlängern, Frau Kollegin.
Ich würde jetzt ganz gerne fortfahren; denn ich denke - da gehe ich mit Frau Sehn einig -, wir können uns am Rande des Plenums über dieses unsinnige und wirklich betrügerische Duale System unterhalten.
Ich möchte jetzt wirklich gerne über die europäischen Impulse für den deutschen Verbraucherschutz reden und nicht weiter über dieses Duale System, weil es mich wirklich ärgert und jeden Verbraucher und jede Verbraucherin in diesem Lande umtreibt.
({0})
Die Europäische Gemeinschaft hat sich für den Verbraucher- und Gesundheitsschutz wirklich ganz vielfältig positiv ausgewirkt. Wir sollten nicht vergessen, daß z. B. die Angabe des Mindesthaltbarkeitsdatums, die Kennzeichnung der Zusatzstoffe, die Zutatenliste, die Verordnung über ökologisch angebaute Lebensmittel und die Richtlinie zur Lebensmittelüberwachung letztendlich von der Europäischen Gemeinschaft initiiert worden sind und daß die Bundesregierung - auch das muß ich dazu noch anmerken - das nicht in jedem einzelnen Fall umgesetzt hat, insbesondere nicht das letzte, nämlich die Richtlinie zur Lebensmittelüberwachung.
Ich finde auch - da stimme ich Frau Limbach ausdrücklich zu -, daß die Verankerung des Verbraucherschutzes im europäischen Vertrag in Maastricht eine der hervorragenden und herausragenden Maßnahmen ist. Ich lobe da wirklich den gemeinsamen Brief von Herrn Kohl und von Herrn Mitterrand, die das mit initiiert haben.
Allerdings muß ich sagen: Mich hätte mehr gefreut, wenn auf Grund des Briefes die Bundesregierung darauf geachtet hätte, daß die Gelder für diese europäische Verbraucherpolitik nicht klammheimlich halbiert wurden. Auf eine Frage, die ich dem Wirtschaftsministerium dazu gestellt habe, war die Antwort, das hätten sie leider nicht gemerkt. Wenn Verbraucherpolitik einen so hohen Stellenwert in dieser Bundesregierung hätte, dann würde so etwas nicht vorkommen. Ich finde, das ist kennzeichnend.
({1})
Ich will das nicht nur der Freien Demokratischen Partei anlasten, weil ich denke, auch hier wäre es angebracht gewesen, daß die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit darauf geachtet hätte.
Bezüglich des Themas Lebensmittelbestrahlung, um noch einmal einen dieser Bereiche aufzugreifen, wünsche ich mir ein ähnlich engagiertes Verhalten, wie es Bundesminister Seehofer angesichts des Reinheitsgebotes des deutschen Bieres an den Tag legt. Auch beim Thema Lebensmittelbestrahlung wäre es angebracht, wenn die Bundesregierung sagen würde: Wir sagen nein; wir sind auch bereit, uns in dieser Frage verklagen zu lassen.
Wir sollten auch von der Vorstellung Abschied nehmen, daß Deutschland in bezug auf das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, bei der Haftung und bei der Kontrolle der Musterknabe ist. Wir sollten endlich dafür Sorge tragen, daß die Mitwirkung der Verbraucherverbände und der Umweltverbände nicht immer wieder nur dazu benutzt wird, daß sich die Bundesregierung dahinter verstecken kann. Vielmehr sollten für die Verbraucherverbände und für die Umweltverbände finanzielle Mittel bereitgestellt werden, damit sie auch in der Lage sind, positive Arbeit zu leisten.
({2})
Ich wünsche mir, daß sich die Europäische Gemeinschaft von einer Wirtschaftsunion zu einer Verbraucher-, Umwelt- und Sozialunion fortentwickelt. Prinzip muß dabei auch vorsorgende Verbraucherpolitik sein.
Lieselott Blunck ({3})
Vielen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Steffen Kampeter das Wort.
Herr Präsident! Die Kollegin Blunck hat sich in sehr abfälliger Weise über die Verwertungsbemühungen des Dualen Systems auf der Rechtsgrundlage der Verpackungsverordnung, die im Bundesrat verabschiedet worden ist, geäußert. Sie hat das Duale System als betrügerisch charakterisiert, aber sie konnte uns gleichzeitig keine befriedigende Auskunft darüber geben, warum beispielsweise das vollziehende Land Nordrhein-Westfalen - mit gutem Grund, wie ich finde - diese bürokratischen Auflagen gegenüber dem Dualen System nicht durchzusetzen versucht.
Sie hat ferner keinerlei Belege angeführt,
({0})
aus denen hervorgeht, warum sie ein Unternehmen öffentlich, vor dem Forum des Deutschen Bundestages, als betrügerisch charakterisiert. Sie hat offensichtlich ihre kognitiven Dissonanzen hinsichtlich der Verwertungsbemühungen im Rahmen der Verpakkungsverordnung zum Anlaß genommen, vollkommen inakzeptabel die Kreislaufwirtschaftspolitik dieser Bundesregierung, die vom Bundesrat mit großer Mehrheit unterstützt worden ist, zu diffamieren.
({1})
Die Geschäftsordnung sieht eine kurze Antwort vor.
Ich möchte Ihnen in meiner kurzen Antwort sehr gern eine Frage stellen: Können Sie mir sagen, wo ich z. B. als Verbraucher oder Verbraucherin dieses Zeug verwerten lassen kann? Es trägt einen Grünen Punkt und ist damit vom Dualen System gekennzeichnet. Damit sind entsprechende finanzielle Auflagen verbunden, und damit ist auch die Verpflichtung verbunden, daß das Duale System die Stoffe wiederverwertet.
Können Sie mir sagen, wieso ich beim Einkauf von Lebensmitteln neuerdings nur noch Dosen anstatt Mehrwegflaschen kaufen kann? Können Sie mir sagen, wo es die Verwertung durch das Duale System gibt, das mir dafür Geld aus der Tasche zieht?
Herr Bundesminister, eine Kurzintervention auf eine Kurzintervention ist nicht vorgesehen.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang von Geldern das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte der Versuchung widerstehen, diesen Disput über das
Duale System und den Grünen Punkt jetzt fortzusetzen. Sie haben Gelegenheit, heute abend in der Sendung „Einspruch" in SAT 1 meine Meinung dazu zu hören.
({0})
Ich möchte jetzt eine Chance wahrnehmen, die ich darin sehe, daß ich als letzter Redner in dieser Debatte eines tun kann, nämlich eine kleine Bilanz zu ziehen und auch zum Ausgangspunkt der Debatte zurückzukommen. Ich glaube, daß die Unterschiede in der Beurteilung der Situation nach Schaffung des Europäischen Binnenmarktes, die hier teilweise deutlich geworden sind, in der Umweltpolitik viel geringer sind, als es hier manchmal den Anschein hatte. Vor allen Dingen in der Zielsetzung besteht eine große Übereinstimmung. Ich bin überzeugt, daß es gut war, diese Große Anfrage zu stellen, daß die Antwort sehr fundiert ist und daß wir über weite Strecken eine gute und sachliche Debatte geführt haben.
Es gab natürlich auch gewisse Ausfälle. Ich rechne das, was sich hier zuletzt ereignet hat, dazu, aber z. B. auch - das hat mich noch viel mehr gestört - die typisch deutsche Argumentation, wie sie bei Ihnen, Herr Kollege Lennartz, deutlich wurde, am deutschen Wesen müsse die Welt genesen; es müsse jetzt alles nach unseren Vorstellungen gehen, und zwar sofort, und die anderen werden nicht lange gefragt. - So kann das doch nicht funktionieren.
Ich finde es wichtig, daß z. B. Herr Bundesminister Töpfer den Hinweis darauf gegeben hat, daß die Römischen Verträge eine Verankerung der Umweltpolitik überhaupt nicht kannten, daß wir erst viel später und in einem allmählichen Prozeß der Bewußtseinsbildung in Phasen gekommen sind, in denen es überhaupt realistisch war, eine europäisch abgestimmte, harmonisierte Umweltpolitik zu betreiben. Machen wir uns doch nichts vor! Wir mußten es in unserem eigenen Lande zunächst doch auch durchmachen und erleben, bevor wir soweit waren, daß der Umweltpolitik der Stellenwert eingeräumt werden konnte, den sie heute bei uns hat. Wir konnten ein Gesamtkonzept entwickeln, und Umweltpolitik ist ein zentraler Bestandteil unserer Politik.
Es ist doch etwas sehr optimistisch Stimmendes in der Europäischen Gemeinschaft geschehen. Beginnend mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 und -- daran anschließend - mit dem bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung - dem Maastrichter Gipfel - ist die Umweltpolitik ein fest verankerter Bestandteil der europäischen Politik. Wir haben, glaube ich, auch darauf zu achten, daß die Instrumentarien jetzt genutzt werden. Ich erwähne, daß es heute in sehr vielen Fällen Mehrheitsentscheidungen des Rates gibt und wir nicht mehr auf das Einstimmigkeitsprinzip angewiesen sind.
Ich erwähne auch, daß die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments im Bereich der Umweltpolitik kräftig gestärkt worden sind. Ich glaube, das tut ihr gut; das erweist jedenfalls die Vergangenheit. Heute wird der Ministerrat in den meisten Fragen keine Einstimmigkeit mehr brauchen, und er kann gegen das Europäische Parlament gar nicht und ohne
es in der Umweltpolitik nur noch sehr eingeschränkt handeln.
Darüber hinaus erwähne ich - das ist neu - die Einrichtung eines Umweltfonds - auch das ist noch gar nicht erwähnt worden -, der in den strukturschwachen Bereichen der Europäischen Gemeinschaft die Umsetzung einer fortschrittlichen Umweltpolitik erst ermöglichen wird.
Die Europäische Gemeinschaft ist jetzt endlich handlungsfähig zugunsten gemeinsamer Umweltregeln. Das heißt inhaltlich, daß die Grenzen der Mitgliedsländer überschreitende Umweltprobleme bei der Luftreinhaltung, im Gewässerschutz u. a. auch gemeinsam bewältigt werden können, daß die jeweiligen nationalen Bestimmungen aus Gründen des Wettbewerbs im Binnenmarkt und zur Vermeidung von Handelshemmnissen harmonisiert werden können und harmonisiert werden müssen und daß die Gemeinschaft viel besser als zuvor in der Lage ist, ihren globalen Verpflichtungen nachzukommen, untereinander abgestimmt und im gleichen Tempo.
Ich glaube, daß die Europäische Gemeinschaft - wie auch in anderen Politikbereichen - zur Verwirklichung ihrer Umweltpolitik weiterhin beide Instrumente nutzen sollte: das Instrument der eher weicheren Richtlinie, die jeweils in nationales Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden muß und bei der auch gewisse Abweichungen - aus deutscher Sicht in aller Regel nach oben - möglich sind, und das Instrument der eher härteren Verordnung, die unmittelbar bindend ist und die schon dem Augenblick nationales Recht ist, in dem sie in Brüssel verabschiedet wird.
({1})
Wir dürfen uns bei der Betrachtung auch nicht auf den Ministerrat und das Europäische Parlament beschränken. Eine Hauptrolle spielt natürlich die EG-Kommission durch ihre im EWG-Vertrag verankerte und später noch deutlich gestärkte Organstellung. Ohne Vorlage eines Vorschlags durch die Kommission - das widerspricht eben unseren heute manchmal aufkeimenden deutschen Illusionen - ist der Ministerrat überhaupt nicht handlungsfähig, es sei denn, er ginge von Anfang an einstimmig und einmütig zu Werke, was bekanntlich selten der Fall ist.
Auch der Europäische Gerichtshof darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Gerade bei der Harmonisierung des Rechts spielt er eine entscheidende Rolle. Ich fand den sehr sachlichen und wohltuenden Beitrag von Ihnen, Frau Kollegin Limbach, auch in diesem Zusammenhang realistisch. Wir müssen sehen, daß wir auch in der Verbraucherpolitik damit zu leben haben, daß unterschiedliche Vorstellungen vorhanden sind, daß uns der Europäische Gerichtshof aus Gründen der Binnenmarktpolitik auch manches zugemutet hat, nicht nur uns, sondern auch anderen, was wir hinzunehmen hatten, auch wenn unsere Vorstellungen vielleicht im einzelnen davon abgewichen sind.
Mit der Vollendung des Binnenmarkts tritt die Umweltpolitik der EG in ihre entscheidende Phase ein. Wir haben es mit einem steigenden Energieverbrauch, mit noch mehr Abfall und insbesondere, wenn
wir zugleich die Beseitigung des Eisernen Vorhangs in Europa mit in Betracht ziehen, mit explosionsartig wachsenden Transportleistungen zu tim. Das heißt, daß die Weiterentwicklung der Umweltpolitik der EG von entscheidender Bedeutung ist. Ich widerspreche denen, die daraufhin gleich in Kassandrarufe ausbrechen, was den Umweltschutz im Binnenmarkt betrifft. Gerade weil die zusätzlichen Herausforderungen klar erkennbar sind, ist auch klar, daß der Binnenmarkt als Chance verstanden werden muß, um den Umweltschutz entscheidend voranzubringen.
Bei der Weiterentwicklung des europäischen Regelwerkes zur Sanierung der bestehenden Industrieanlagen, bei der weiteren drastischen Herabsetzung von Schadstoffeinleitungen in die Gewässer, bei der weiteren Einschränkung des Umgangs mit Gefahrstoffen und bei der Umsetzung der ganz unverzichtbaren, in Deutschland entwickelten neuen Abfallpolitik auch auf EG-Ebene im Sinne von Vermeidung, Verminderung und stofflicher Wiederverwertung, bei der Lösung also der vielfältigen Probleme gerade auch im Energiesektor, im Bereich des Straßenverkehrs, bei der Schaffung marktwirtschaftlicher Instrumente des Umweltschutzes wie z. B. von Lenkungsabgaben, bei der Schaffung umweltfreundlicher Steuersysteme und auch im Bereich der Offenlegung wichtiger Umweltdaten, der Kontrolle und Information gilt es, einheitlich entschlossen in Europa vorzugehen.
Ich bin überzeugt, daß die deutsche Wirtschaft und der immer umwelt- und gesundheitsbewußter werdende Verbraucher von diesen zusätzlichen Möglichkeiten profitieren werden, die uns gemeinsame Umweltschutzregeln im europäischen Binnenmarkt durch die Harmonisierung - und das ist hier ausdrücklich verankert - auf hohem Niveau bieten. Nur so kann die Gemeinschaft über ihren eigenen Bereich hinaus in Europa und in der Welt einen ihrer Leistungsfähigkeit angemessenen und überzeugenden Beitrag auch zur Bewältigung der globalen Herausforderung leisten.
Ich bedanke mich.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4769 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den EG- Ausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung. Der Antrag der Fraktion der SPD zum Fünften Aktionsprogramm der EG für Umweltpolitik auf Drucksache 12/4001 soll überwiesen werden: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den EG-Ausschuß.
Gibt es dazu irgendwelche anderweitigen Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann wird so verfahren; die Überweisungen sind so beschlossen.
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatzpunkt 10 auf:
7. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz und zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Artenschutzes
- Drucksache 12/4326 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften
- Drucksache 12/3769 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Verteidigungsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar Schütz, Michael Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbot des Walfangs international und in der EG absichern
- Drucksache 12/4510 ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Egon Susset, Dr. Norbert Rieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Günther Bredehorn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Zum Walfang
- Drucksache 12/4761 Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang gern darauf hinweisen, daß mir in Vertretung des Präsidiums eben vom Deutschen Tierschutzbund 60 000 Unterschriften zum Verbot des Walfanges überreicht worden sind und ein Kunstwerk der Organisation Greenpeace, das der Bundestag zum Geschenk bekommen hat.
Wir haben vereinbart, daß für diese Aussprache eine Stunde vorgesehen ist. Gibt es dazu anderweitige Vorstellungen? - Das ist nicht der Fall; dann ist das so beschlossen.
Als erster hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Wieczorek das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Neuordnung der Aufgaben des Bundes im Bereich des Naturschutzes einschließlich des Vollzugs im Bereich des Artenschutzes - soweit hier Bundeszuständigkeiten gegeben sind - soll ein Bundesamt für Naturschutz als selbständige Bundesoberbehörde errichtet werden. Die Aufgaben im Bereich des Vollzugs des Artenschutzes, die derzeit noch vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft und vom Bundesamt für Wirtschaft erfüllt werden, sollen künftig vom Bundesamt für Naturschutz wahrgenommen werden.
Damit werden Dienst- und Fachaufsicht in der Hand des Bundesumweltministers zusammengeführt. Hierdurch wird auch der Entschließung des Bundesrates vom 28. November 1986, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages vom 4. November 1986 sowie dem Beschluß der Umweltminister und -senatoren der Lander auf der 33. Umweltministerkonferenz im November 1989 entsprochen.
Meine Damen und Herren, das Bundesamt für Naturschutz soll folgende Aufgaben wahrnehmen: zum einen die wissenschaftliche Unterstützung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf dem Gebiet des Naturschutzes, insbesondere der Pflanzen- und Tierökologie, des Biotopschutzes, der Landschaftsökologie, der Erholungsvorsorge sowie der Schutz- und Planungsinstrumente im nationalen und internationalen Bereich; des weiteren die Durchführung des Artenschutzes im Zuständigkeitsbereich des Bundes, insbesondere im Bereich der Ein- und Ausfuhr, und die administrative Unterstützung des Bundesministers auf den Gebieten des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Neben den erforderlichen zuständigkeits- und organisationsrechtlichen Regelungen im Bundesnaturschutzgesetz - ich verweise hier auf Art. 2 Nr. 2 - und Folgeänderungen im Bundesbesoldungsgesetz
- Art. 7 - enthält der Entwurf Folgeänderungen in weiteren Gesetzen, die der Umsetzung internationaler Übereinkommen auf dem Gebiet des Artenschutzes dienen.
Ferner wird für das Gesetz zu dem Übereinkommen zur Erhaltung der antarktischen Robben die Ressortzuständigkeit des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit begründet.
Schließlich sieht der Entwurf die wegen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 17. September 1987 notwendige Änderung der Land- und Forstwirtschaftsklausel - ich verweise hier auf § 20f Abs. 3 Satz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes - vor. Diese Änderung war, wie Sie alle wissen, ursprünglich Gegenstand der Novellierungsüberlegung zum Bundesnaturschutzgesetz. Die Probleme der Verzögerung dieser Novellierung haben wir hier am 4. Februar 1993 im Plenum aufgearbeitet, so daß ich nicht weiter darauf einzugehen brauche.
Die Bundesregierung hat sich daher dazu entschlossen, dem Urteil im Rahmen des Errichtungsgesetzes zu genügen. Diese Änderung des § 20f Abs. 3 ist nunmehr besonders dringlich, da - ({0})
- Herr Feige, Sie wissen doch, daß der Bundesumweltminister nicht das entscheidende Hindernis für die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes darstellt und daß die Probleme nicht einmal auf seiten des
Bundes, sondern auf seiten der Bundesländer liegen. Ich denke, wir brauchen das hier nicht weiter zu diskutieren, wir haben das ausführlich getan.
Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom 23. März 1993 festgestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland wegen der bisherigen Nichtbefolgung des Urteils vom September 1987 den EG- Vertrag verletzt hat.
Die Gesetzesform ist erforderlich, da bisher gesetzlich anderen Bundesbehörden zugewiesene Aufgaben nunmehr dem neuen Bundesamt zugewiesen werden sollen.
Die Errichtung des Bundesamtes für Naturschutz ist bis auf die Neuschaffung der Präsidentenstelle kostenneutral, weil es sich um die Zusammenführung von Organisationseinheiten handelt, für die bereits Stellen und Ausgaben im Bundeshaushalt veranschlagt sind.
({1})
- Die Änderung ist übrigens marginal, Herr Kollege.
({2})
- Sie müssen schon richtig zuhören. Ich sprach eben von den Personalkosten und nicht von den Sachkosten bei diesem Bundesamt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme nun zum Antrag der Fraktion der SPD „Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften". Ich glaube, der vorliegende Antrag greift ein wichtiges und aktuelles Thema auf. Die veränderte sicherheitspolitische Situation in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland hat die Voraussetzung für die verstärkte Berücksichtigung von Natur- und Umweltschutzbelangen auf militärischen Übungsplätzen geschaffen. In der dichtbesiedelten und vielfältig genutzten Bundesrepublik Deutschland haben Truppen- und Standortübungsplätze nicht nur trotz, sondern oft gerade wegen ihrer militärischen Nutzung einen besonderen Wert für den Naturschutz.
Seit geraumer Zeit ist es ein besonderes Anliegen der Bundesregierung, den Natur- und Umweltschutz auf militärischen Flächen zu verbessern. Zwischen unseren Bemühungen und entsprechenden Forderungen des Antrags besteht daher durchaus Übereinstimmung.
({3})
Im November vergangenen Jahres wurde beispielsweise die Richtlinie zur umweltverträglichen Nutzung von Übungsplätzen der Bundeswehr erlassen, die u. a. die Ausweisung von Pufferzonen, die Abgrenzung und Kennzeichnung empfindlicher Biotope, die Bereitstellung von Flächen für die Regenerierung und gegebenenfalls für die natürliche Sukzession vorsieht.
Bestandteil dieser Richtlinie ist auch die Fortführung und Verfeinerung der ersten Erfassung der Naturausstattung der Übungsplätze sowie eine entsprechende kartenmäßige Dokumentation.
Auch die Bemühungen um Verzicht bzw. Verringerung des Einsatzes von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln sollen fortgesetzt werden.
Dieses kurze Beispiel, meine Damen und Herren, soll nur als Illustration dessen dienen, was für die Verbesserung des Natur- und Umweltschutzes auf militärischen Übungsplätzen in jüngster Zeit erreicht werden konnte.
Ich gehe im übrigen davon aus, daß über den Antrag der SPD-Fraktion im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages eingehend beraten werden wird, um Details ausdiskutieren zu können.
({4})
Meine Damen und Herren, zum Walfang will ich nur einige grundsätzliche Bemerkungen machen, da Kollege Rieder detaillierter darauf eingehen wird. Herr Kollege Baum hat bereits in der 131. Sitzung am 14. Januar 1993 den Wunsch geäußert, in diesem Parlament eine gemeinsame Entschließung herbeizuführen, um der Bundesregierung bei der Verbesserung des weltweiten Schutzes der Wale den Rücken zu stärken. Diesem Wunsch schließe ich mich ausdrücklich an. Ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, daß die 45. Sitzung der Internationalen Walfangkommission im Mai in Kioto in Japan stattfindet. Die Facharbeitsgruppen tagen sogar schon vorher.
Damit der Wille des Deutschen Bundestages hinreichend berücksichtigt werden kann, bräuchte die Bundesregierung also schon innerhalb der nächsten 14 Tage klare Zeichen aus diesem Hohen Hause.
Zum Antrag selbst möchte ich feststellen, daß seine Ziffer 1 eine Kurzfassung der Generallinie widerspiegelt, die ich breits im Juni letzten Jahres im Umweltausschuß dargelegt habe. Am 24. Juni 1992 billigten die Bundestagsausschüsse für Ernährung und Umwelt auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eine Beschlußempfehlung, die der Deutsche Bundestag in seiner 110. Sitzung am 8. Oktober 1992 angenommen hat. Inhaltlich sind die Ziffern 1 des damaligen und des jetzigen Antrages identisch. Die Bundesregierung kann die Auffassung, die hier dargelegt wurde, voll unterstützen.
Die Forderung nach Unterstützung des französischen Antrags macht aus meiner Sicht schon Probleme und bedarf bereits an dieser Stelle einer differenzierten Betrachtung. Nach Art. 5 des Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfanges können solche Schutzgebiete nur eingerichtet werden, damit sich die Bestände im Hinblick auf eine spätere Nutzung erholen. In der Antarktis befinden sich jedoch die gesündesten und stabilsten sowie am besten erforschten Zwergwalbestände - wir rechnen mit ca. 760 000 Exemplaren -, so daß ein Schutzgebiet in dem von Frankreich vorgeschlagenen Umfang nicht erforderlich erscheint. Der französische Antrag wird gegenwärtig durch den Wissenschaftsausschuß der Internationalen Walfangkommission geprüft. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.
Unabhängig von einem Walschutzgebiet im Rahmen der Walfangkommission kann im Rahmen des Antarktisvertrages der Vorschlag „Weltpark Antarktis" weiterverfolgt werden.
Ziffer 2 des vorliegenden Antrags trägt den soeben von mir vorgetragenen Bedenken Rechnung und enthält die notwendige Flexibilität im Hinblick auf eine sachgerechte Lösung. Die Bundesregierung kann auch diese Auffassung vollinhaltlich mittragen.
Ziffer 3 enthält aus der Sicht der Bundesregierung keine Probleme. Eine Mitgliedschaft Norwegens in der EG würde nach meiner Auffassung eine bessere Möglichkeit schaffen, auf eine Einhaltung der Beschlüsse der internationalen Walfangkommission hinzuwirken.
Meine Damen und Herren, eine Entschließung dieses Hauses in der vorliegenden Form
({5})
- in der Form des CDU/CSU-F.D.P.-Antrags, das hatte ich ausgeführt, Herr Schütz; zu Ihrem Antrag komme ich noch - wird sicherlich die Position der Verhandlungsführer bei der 45. Tagung der Internationalen Walfangkommission wesentlich stärken. Sie würde außerdem klarstellen, daß es bei der Frage der Aufhebung des Moratoriums nicht um alles oder nichts geht, sondern daß auf absehbare Zeit sehr begrenzte Walfänge nur für bestimmte Populationen einer einzigen Walart in Frage kommen können, bei der hinreichende biologische Erkenntnisse vorliegen. Die Walfangkommission würde außerdem beweisen, daß hier eine bestehende Konvention effektiv und schutzgerichtet angewandt werden kann und somit der drohende Zerfall - ich meine damit den Austritt aller Fangnationen - verhindert werden könnte.
Nun zum Antrag der SPD, Herr Kollege Schütz. In Konsequenz aus meinen vorherigen Darlegungen kann ich den SPD-Antrag nicht befürworten, da er aus meiner Sicht nicht geeignet scheint, die aufgezeigten Probleme differenziert zu lösen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als nächste hat die Kollegin Susanne Kastner das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz. Herr Staatssekretär, diese neuzuschaffende Einrichtung wird von der SPD ebenfalls nachdrücklich begrüßt. Es ist eine seit langem überfällige Entscheidung, weil sie eine Zusammenführung der Aufgaben des Artenschutzes bedeutet. Wir erhoffen uns davon eine Stärkung des Natur- und Artenschutzes auf Bundesebene, wie das, wenigstens teilweise, durch das Umweltbundesamt im Umweltschutzbereich gelungen ist.
Aufgabe des Bundesamtes für Naturschutz soll die wissenschaftliche Unterstützung der gesamten Bundesregierung - ich betone: der gesamten Bundesregierung -, aber natürlich auch dieses Hauses auf dem Gebiet des Naturschutzes sein, insbesondere im Bereich der Pflanzen- und Tierökologie, des Biotopschutzes, der Landschaftsökologie, der Erholungsvorsorge sowie der Schutz- und Planungsinstrumente im nationalen und internationalen Bereich. Außerdem bekommt das Amt die Aufgabe, bei der Durchführung des Artenschutzes im Zuständigkeitsbereich des Bundes, also z. B. bei der Durchführung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens, dem Bundesumweltministerium zuzuarbeiten.
Als Aufgabe des Amtes fehlt bisher allerdings die durchaus notwendige Information der Bevölkerung, also die Öffentlichkeitsarbeit.
Das Bundesamt soll, wie Kollege Wieczorek bereits gesagt hat, aus der bestehenden Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie in Bonn-Bad Godesberg und aus zwei mit Artenschutz befaßten Referaten des Bundesamtes für Ernährung und Forstwirtschaft in Frankfurt gebildet werden. Es soll außerdem ohne zusätzliche Stellen die Artenschutzaufgabe des Bundesamtes für Wirtschaft in Eschborn übernehmen.
Genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt ein Knackpunkt. Neue und größere Aufgaben im Natur- und Artenschutz sollen mit weniger Personal erfüllt werden. Fünf Planstellen des Bundesamtes für Wirtschaft gehen nicht in das neue Bundesamt über. Da stellt sich für uns die Frage, ob dieses Amt nicht von Beginn an überlastet sein wird. In den Ausschußberatungen werden wir deshalb prüfen müssen, ob hier nicht eine notwendige selbständige Bundesoberbehörde errichtet wird, ohne daß für eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung gesorgt wird.
Ich denke, wenn wir solche Einrichtungen schaffen, haben wir auch die Pflicht und Schuldigkeit, sie so auszustatten, daß z. B. dieses Amt zum einen produktiv arbeiten kann und zum anderen die dort arbeitenden Menschen nicht von vornherein maßlos überfordert werden. Das heißt für mich: Bei aller gebotenen Sparsamkeit müssen wir die von der Bundesregierung propagierte Kostenneutralität einfach noch einmal überdenken.
Wir alle wissen, welch hohe Priorität der Umwelt- und Naturschutz in den Köpfen und Herzen der Bevölkerung hat. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen muß auch bei knapper werdenden Finanzmitteln im Naturschutz sichergestellt werden. Das gilt nicht nur für Wasser, Boden und Luft, sondern auch für die geschützten und schützenswerten Tiere und Pflanzen.
Durch Art. 2 des Gesetzes soll das Bundesnaturschutzgesetz geändert werden. Leider aber, Herr Kollege Wieczorek, hat es diese Bundesregierung immer noch nicht geschafft, die seit Jahren angekündigte grundlegende Weiterentwicklung des Bundesnaturschutzgesetzes vorzulegen.
({0})
Jetzt soll nur die vom Europäischen Gerichtshof als Verstoß gegen die EG-Vogelschutzrichtlinie Bewerte Landwirtschaftsklausel in § 20 Abs. 3 geändert werden. Damit soll klargstellt werden, daß absichtliche und gezielte Beeinträchtigungen von Tieren und Pflanzen der besonders geschützten Art von der Aus13052
nahmebestimmung zugunsten der Landwirtschaft nicht erfaßt sind.
Ich denke, daß solche Ausnahmegenehmigungen für die Landwirtschaft, aber auch die Ausnahmegenehmigungen für die Bundeswehr, wie wir sie in vielen Umweltgesetzen haben, zunehmend überflüssig und auch unsinnig sind.
({1})
Es ist nicht länger einzusehen, warum sich der größte Teil der Bevölkerung an strenge, aber auch sinnvolle Umweltregeln und -gesetze zu halten hat, während für einzelne Gruppen und leider meistens für diejenigen, die besonders stark in unseren Naturhaushalt eingreifen, Ausnahmebestimmungen erlassen werden.
({2})
In der letzten Ausgabe des „Spiegel" konnten wir lesen, daß in einer gesamtdeutschen Ökobilanz die Gesamtschadenslast bei 203 Milliarden DM liegt. Dabei sind allein in Westdeutschland die Schäden durch gefährliche Altlasten, Überdüngung, Erosion und Versiegelung der Böden mit 50,5 Milliarden DM beziffert. Jeder Bürger in den neuen Ländern hat heute eine Schadenshypothek von 4 300 DM zu tragen. Bei den Bürgern in den alten Ländern beläuft sich der Schaden auf 2 122 DM pro Kopf.
Dies sind Kosten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die wir alle zu bezahlen haben, ob wir zu den Schäden beigetragen haben oder nicht. Ausnahmeregelungen für einzelne, aber Schadensregulierung durch die Allgemeinheit - das kann doch wirklich nicht in unserem Sinne sein.
Auch deshalb wäre es besser, wenn alle anderen Landwirtschaftsklauseln im Bundesnaturschutzgesetz ebenfalls gestrichen und Regeln für eine ordnungsgemäße naturschützende Landwirtschaft aufgestellt würden.
({3})
Wir werden uns schon aus diesem Grund weiter mit Nachdruck für unseren im Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes einsetzen. Herr Kollege Wieczorek, die Ausrede, daß es allein an den Ländern liegt, werden wir auch in Zukunft nicht gelten lassen. Es liegt natürlich im Ermessen des Bundesumweltministers, darauf Einfluß auszuüben. Es bleibt abzuwarten, ob die Koalitionsfraktionen den Worten des Bundeskanzlers endlich folgen und das Notwendige tun - ich zitiere den Herrn Bundeskanzler -, nämlich die Schöpfung zu bewahren. Eben diese Zielsetzung hat auch unser Antrag „Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften''. Der französische Dichter und Diplomat Paul Claudel sagte einmal:
Bevor man die Welt verändert, wäre es vielleicht doch wichtiger, sie nicht zugrunde zu richten.
({4})
Das ist eine weise Erkenntnis, die seit einigen Jahren Gott sei Dank - da haben Sie recht - auch bei den für Umweltschutz Verantwortlichen in der Bundeswehr Einzug hält. Wir wollen diese Verantwortlichen mit unserem Antrag „Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften" nachhaltig unterstützen.
In der Tat, die Bundeswehr hat in Sachen Umweltschutz viel dazugelernt. Aber dies ist noch nicht so gut, daß es nicht noch verbessert werden müßte. Deshalb ist es unseres Erachtens unabdingbar, daß die Bundeswehr ein Naturschutzkonzept für ihre Liegenschaften erarbeitet. Dazu bedarf es nach unserer Meinung einer flächendeckenden Kartierung, damit für die Entscheidungen auch bei einer anderweitigen Verwendung der Liegenschaften qualifizierte Daten vorliegen und diese Flächen unverzüglich in ein Naturschutzkonzept der Lander eingebunden werden können.
Weiterhin halten wir es für sinnvoll, daß eine flächendeckende Biotopkartierung erstellt wird. Diese befindet sich ja erst in den Anfängen. Das muß auch mit einer ökologischen Bewertung dieser Flächen einhergehen. Es bedarf unseres Erachtens einer konzertierten Aktion des Verteidigungsministeriums, der Bundesforstverwaltung und der zuständigen Naturschutzbehörde, damit erforderliche Schutzmaßnahmen schnellstmöglich umgesetzt werden können. Wir brauchen die Einstellung von für diese Aufgaben qualifiziertem Personal auch in den zuständigen Standortverwaltungen.
Liegenschaften, die aus der militärischen Nutzung genommen werden und für die der Finanzminister Verantwortung trägt, müssen in Absprache mit den zuständigen Landesbehörden einer neuen, im Naturschutzinteresse gelegenen Nutzung zugeführt werden. Wir wollen die Bundeswehr mit unserem Antrag auch dahin gehend unterstützen, daß die guten Ansätze in Sachen Umweltschutz dort verstärkt werden. Das heißt für uns: Die gestiegenen Anforderungen eines wirksamen Naturschutzes müssen in den Dienstvorschriften verankert werden. Es ist uns ein Anliegen, daß die Ziele des Natur- und Umweltschutzes in die gesamte militärische Ausbildung einfließen, und zwar als Ausbildungspflicht und nicht als Sollbestimmung. Das ist nach meinem Informationsstand für die Verantwortlichen der Bundeswehr überhaupt kein Problem, aber es muß eben von seiten der Politik verbindlich festgeschrieben werden.
Einige der von mir erwähnten Punkte sind in Ansätzen bereits vorhanden. Doch ich sage auch, daß es an der Zeit ist, daß die Bundeswehr den Natur- und Umweltschutz in ihrer Prioritätenliste deutlich weiter nach oben schiebt. Unser Antrag soll dazu ein Beitrag sein. Große Teile der Bundeswehr - das weiß ich aus vielen Gesprächen - haben dies erkannt. Deshalb hoffe ich auf die Beratungen im Ausschuß, und ich appelliere an Sie liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- und von der F.D.P.-Fraktion: Helfen Sie mit, mit uns gemeinsam diese guten Ansätze in der Bundeswehr weiter auszubauen.
Danke schön.
({5})
Als nächste hat die Kollegin Birgit Homburger das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir beraten unter diesem Tagesordnungspunkt inhaltlich unterschiedliche Anträge, deren Klammer der Naturschutz ist. Ich gehe in der Reihenfolge der Tagesordnung vor und komme damit zunächst zu einigen Bemerkungen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz.
Mit diesem Gesetz sollen vor allem die Aufgaben des Bundes im Bereich des Naturschutzes einschließlich des Vollzugs im Bereich des Artenschutzes neu geordnet werden. So wurde die Einhaltung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens bislang vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft überwacht. Das soll zukünftig Aufgabe des neuen Bundesamtes sein.
Bei jeder Einrichtung eines neuen Amtes, hier also dieser selbständigen Bundesoberbehörde, stellt sich für mich zunächst einmal die Frage: Ist das denn überhaupt notwendig? Die F.D.P. bejaht in diesem Fall die Notwendigkeit und unterstützt die Einrichtung, da wir uns davor in Zukunft - dazu habe ich auch in den Ausführungen der Kollegin Kastner eine große Übereinstimmung festgestellt - eine bessere Überwachung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens und damit in der Folge natürlich auch eine Verringerung der Verstöße gegen dieses Übereinkommen erhoffen. Es macht also Sinn, zu diesem Zweck die verschiedenen Organisationseinheiten zu einem Bundesamt zusammenzuführen.
Weiterhin spielt für mich natürlich auch die Frage der Kosten eine Rolle. Dazu hat sich der Herr Staatssekretär schon geäußert; dazu will ich nichts weiter sagen. Da jedoch überwiegend keine weiteren Kosten anfallen, kann ich für meine Fraktion die nachhaltige Unterstützung für diesen Gesetzentwurf feststellen.
({0})
Ich komme damit zum Antrag der SPD „Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften" . Bei aller Notwendigkeit, gerade auch durch die Bundeswehr auf umweltpolitische Aspekte Rücksicht zu nehmen, schießt dieser Antrag der SPD für mich weit über das Ziel der Berücksichtigung von Naturschutzinteressen bei der Bundeswehr hinaus. Da wird z. B. eine flächendeckende Kartierung von Biotopen auf Bundeswehrliegenschaften beantragt. Das mag für Sie ein hehres Ziel sein, für mich ist es in bezug auf die Bundeswehr eher irrational.
({1})
Der ganze Antrag hat für mich eine Diktion, die den Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften zur vorrangigen Aufgabe machen würde. Es gibt die Liegenschaften der Bundeswehr, insbesondere die Truppenübungsplätze, aus gutem Grund, und zwar u. a. auch deshalb, um Übungen im freien Gelände zu verhindern. Insofern sind Truppenübungsplätze von ihrer Bestimmung her eben vorrangig militärisch genutzte Übungsplätze und keine Naturschutzreservate. Entsprechend adäquat muß aus meiner Sicht dann auch die Wertigkeit der Nutzung sein. Ich finde es utopisch,
an eine Organisation wie die Bundeswehr Anforderungen wie im vorliegenden Antrag zu stellen, wohlwissend, daß dieser Standard im zivilen Bereich bei weitem nicht erreicht ist. Ich appelliere an die SPD, in den Ländern, in denen sie Verantwortung hat, im zivilen Bereich mit der Durchsetzung dieser Anforderungen anzufangen.
({2})
Frau Kollegin Homburger, würden Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mehl gestatten?
Ich würde gern den Gedanken zu Ende führen, weil sich die Frage dann vielleicht erledigt.
Und dann ja? Birgit Homburger ({0}): Danach gern.
Gut.
In diesem Zusammenhang ist mir vor allen Dingen wichtig, daß der Umweltausschuß dieses Hauses immer wieder feststellen konnte, daß die Bundeswehr schon heute viel für den Umweltschutz tut und sich um die Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Naturschutzes auf ihren Liegenschaften bemüht. So konnten wir immer wieder feststellen, daß gerade auch auf Truppenübungsplätzen auf Grund entsprechend extensiver Nutzung Biotope und Ruhezonen, also wertvolle Nischen für den Naturschutz, entstanden sind. Den Bestand dieser Biotope könnten wir bei ziviler Nutzung oft nicht garantieren. Das liegt allein z. B. an der Tatsache der Einzäunung von Truppenübungsplätzen und der Unmöglichkeit, das Gelände zu betreten.
Die Bundeswehr mißt dem Gewässer- und Bodenschutz und eben auch dem Naturschutz große Bedeutung bei.
({0})
So wird z. B. bei Übungen so oft wie möglich keine scharfe Munition mehr verwendet. Der Herr Staatssekretär hat ja vorhin auch schon einige weitere Maßnahmen der Bundeswehr in dieser Richtung genannt.
Diese Bemühungen der Bundeswehr drücken sich u. a. in einer im letzten November in Kraft gesetzten Richtlinie zur umweltverträglichen Nutzung von Übungsplätzen aus. Es bleibt also für mich festzuhalten, daß die Bundeswehr schön heute viel für Umwelt- und Naturschutz tut. Sicherlich gibt es auch hier Verbesserungsmöglichkeiten. Darüber werden wir auch beraten.
({1})
Die Erfahrungen zeigen, daß sich die Bundeswehr im Vergleich zu anderen Armeen sehr vorbildlich verhält.
Ich bin der Auffassung, daß Naturschutzaufgaben in die Planung der Bundeswehr mit aufgenommen werden müssen und daß diese sicherlich auch noch stärkere Berücksichtigung finden können. Aber ich lehne die Umwandlung der Bundeswehr - ich will es einmal so drastisch sagen - in eine Naturschutzbehörde ab.
({2})
Frau Kollegin, so lange kann ich die Frau Kollegin Mehl nicht stehen lassen. Ist jetzt die Zwischenfrage zulässig?
Ja.
Frau Kollegin.
Frau Homburger, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Bundeswehr genauso Gesetzen unterliegt wie andere Einrichtungen dieses Staates, daß die Bundeswehr und der Bund als Besitzer dieser Flächen genauso dem Natuschutzrecht unterliegen wie auch andere, daß sie solche Flächen genauso zu untersuchen haben wie andere, was auch flächendeckend geschieht - es werden solche Kartierungen durchgeführt, und die Flächen, wo sie durchgeführt werden, sind wesentlich größer als die Flächen, die der Bundeswehr gehören -, und daß der Bund eine besondere Verpflichtung hat, seinen eigenen Gesetzen zu folgen?
Sicherlich hat der Bund eine besondere Verpflichtung, seinen eigenen Gesetzen zu folgen. Das tut er auch. Ich habe gerade ausgeführt, daß die Bundeswehr in erheblichem Ausmaß Anstrengungen zur Berücksichtigung umweltpolitischer und naturschutzrechtlicher Aspekte unternimmt. Ich bin einfach der Meinung, man muß eine gewisse Wertigkeit halten. Man muß die Aufgaben der Bundeswehr und die Funktion der Truppenübungsplätze und die Interessen des Naturschutzes in Einklang bringen. Ich bin schlicht und ergreifend der Auffassung, daß Ihr Antrag da zu weit geht.
({0})
Ich komme dann zum dritten Punkt, dem Verbot des Walfangs. Die Internationale Walfangkommission hat zwei sehr gegensätzliche Aufgaben. Sie ist sowohl für die Erhaltung als auch die Nutzung der Walbestände zuständig. Das heißt - dies möchte ich an den Anfang meiner Ausführungen stellen, weil es für den Hauptunterschied zwischen den beiden vorliegenden Anträgen von besonderer Bedeutung ist -, daß die IWC sowohl eine Artenschutz- als auch eine Fangkonvention ist. Im Rahmen der IWC wurde auf Grund der Kenntnisse über den gefährdeten Bestand der Wale in den Weltmeeren 1982 ein Moratorium beschlossen, das 1986 in Kraft trat und ein weltweites Verbot des kommerziellen Walfangs bedeutet hat.
Wir diskutieren jetzt im Vorfeld der Jahrestagung der IWC über unsere Position, weil eben auf der Jahrestagung ein Antrag Norwegens und Japans über die Aufhebung des Moratoriums und die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs bei Zwergwalbeständen entschieden werden wird. Ziel des Walfangmoratoriums ist, den Walpopulationen die Möglichkeit zu geben, sich zu erholen, da sie in der Vergangenheit durch die ausgedehnte Nutzung z. B. durch Japan, aber auch Finnland stark gefährdet waren. Alle Staaten, die der IWC angehören, sind an dieses Moratorium gebunden,
({1})
sofern sie keinen Einspruch eingelegt haben. Das heißt, sie dürfen Wale nur zu wissenschaftlichen Zwecken fangen. Eine Folge war, daß z. B. Island im vergangenen Jahr die IWC verlassen hat, auch wenn es zur Zeit keinen Walfang betreibt. Aber dies war der Auslöser. Außerdem wurde bereits eine regionale Organisation zum Schutz und zur Nutzung der Walbestände im Nordatlantik getrennt gegründet.
Die F.D.P. tritt für den Schutz und die Erhaltung der Walpopulation ein.
({2})
Der Schutz der Walbestände ist ein wichtiges umweltpolitisches Ziel auch der Koalition. Der Unterschied zwischen den Anträgen der SPD und der Koalition besteht insbesondere darin, daß die SPD eben ein generelles internationales Walfangverbot anstrebt; wir halten dies im Hinblick auf die gemeinsame Zielsetzung der Erhaltung der Walbestände für kontraproduktiv.
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- Doch, Herr Kollege Feige. Ich will es kurz begründen.
Die Beschlüsse der IWC sind nur für ihre Mitglieder bindend. Wenn wir also einen effektiven Walschutz wollen, an dem die Bundesrepublik ja interessiert ist, dann schaffen wir das nur, wenn wir die Länder, die am Walfang Interesse haben, auf Dauer in die IWC einbinden; sonst schaffen wir das nicht.
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Ansonsten wird die IWC zum nutzlosen Papiertiger. Nachdem Norwegen und Japan in der Vergangenheit angedroht haben, die IWC zu verlassen, wenn das Moratorium unbefristet und bedingungslos aufrechterhalten wird, ist es jetzt wichtig, in der IWC eine neue tragfähige Politik zu finden, die die Wale dauerhaft schützt. Da folge ich nicht, wie es vielleicht aussieht, der Argumentation von Norwegen und Japan. Auch wenn sich Bestände einiger Walarten in den vergangenen Jahren dank des Moratoriums etwas erholen konnten und sich vermehrt haben, rechtfertigt das noch lange nicht die generelle Aufgabe des Moratoriums. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch, sich für die Fortsetzung des von der IWC beschlossenen Walfangmoratoriums einzusetzen,
({5})
bis eindeutig nachgewiesen ist, daß durch den Walfang keine in ihrem Bestand bedrohte Art in Gefahr kommt. Dem liegt das gerade im letzten Jahr auf der Konferenz in Rio nochmals international festgelegte Prinzip des „wise and sustainable use" zu Grunde.
Dies ist der Hauptunterschied, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das bedeutet, daß wir Walfang grundsätzlich für zulässig halten,
({6})
aber der Auffassung sind, daß nur Überschüsse der jeweiligen Population entnommen werden dürfen,
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so daß das natürliche Wiederausbreitungspotential der Art nicht eingeschränkt wird. Insofern können wir Ihrem Antrag auch im Hinblick auf die Erreichung des Ziels nicht zustimmen.
Danke.
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Herr Kollege, die Frau Kollegin ist fertig. Sie reden aber noch. Dann sagen Sie Ihr Anliegen in Ihrer Rede, oder Sie machen eine Kurzintervention.
({0})
- Das geht nicht mehr.
Nun hat der Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Wieczorek, Sie machen es mir nicht leicht. Ich hatte heute wirklich vor, diesen Gesetzentwurf einmal richtig zu loben, damit ich auch einmal eine gute Tat tue. Wenn ich also mehr Finanzen, mehr Personal für dieses Ressort fordere, dann sagen Sie: Nein, um Gottes willen, und die F.D.P. unterstützt das gerade noch, weil das so schön kostenneutral ist. Genau daran hapert es bei uns. Wir haben für den Umweltbereich einfach zuwenig eingesetzt.
Darm gibt es etwas weiteres, was ziemlich problematisch ist. Wenn ich daran denke, was für Maßnahmen wir z. B. im Verkehrsausschuß gestern bis um Mitternacht festgelegt haben, dann frage ich mich wirklich, warum wir heute zusammensitzen. Krasser kann ein Widerspruch zwischen Absicht und Realität doch nicht sein. Auf der einen Seite legen wir fest, wie der Naturschutz mit strukturellen Änderungen im Bereich des Töpfer-Ministeriums verbessert werden kann, andererseits werden per Maßnahmegesetz bei minimierter Öffentlichkeitsbeteiligung Verkehrsprojekte ohne die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung durch das Parlament gejagt, bei denen die Naturschutzprobleme eine ganz besondere Rolle spielten.
Die Einrichtung des Bundesamtes für Naturschutz wird folglich, so gut sie auch gemeint ist, den Naturschutz nur dann aus den Klauen der intensiven chemisierten Landwirtschaft herausholen können, wenn es der Bundesregierung gelingt, endlich ein Wirtschafts- und Verkehrskonzept vorzulegen, das den grundsätzlichen Strukturwandel auch bestätigt. Ich glaube, das Problem liegt nicht in den guten Absichten, sondern ganz einfach in den von Ihnen selbst genannten anderen Ministerien, die, wie gesagt - ich wiederhole das - dem voranreitenden Herrn Töpfer das Pferd unter dem Hintern wegschießen. Genauso wird es sein. Was nutzt, um symbolisch zu sprechen, das beste Fahrrad, wenn es bloß auf das Auto gespannt wird und als Symbol dient? Allein die Erfahrung mit der Umweltpolitik der Bundesregierung der letzten drei Jahre läßt bei mir für ein Bundesamt für Naturschutz eine gewisse Skepsis aufkommen. Angesichts des Wahljahrs 1994 ist es aber vielleicht doch nicht ganz so hoffnungslos.
Nahezu Tränen der Rührung hatte ich im Auge, als ich in Art. 6 des Gesetzentwurfs gelesen habe, daß die Bundesregierung beabsichtigt, in einem Gesetzentwurf zu den Kleinwalen, den wir noch verabschieden wollen, genau die Passage zu ändern, deren Änderung ich in meiner Rede in der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf gefordert habe. Eine wichtige Erkenntnis: Ein bißchen lernfähig ist die Bundesregierung ja doch.
Damit sind wir schon bei den Walen, dem zweiten Antrag dieses Sammeltagesordnungspunktes. Ich erkenne im Antrag der SPD-Fraktion tatsächlich eine notwendige Ergänzung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Kleinwalschutz. Als Naturfreund stelle ich mich ausdrücklich hinter diesen Vorschlag. Leider hat es der angeblich so weitsichtige Mensch geschafft, im Laufe dieses Jahrhunderts bereits viele Arten verschiedener biologischer Bereiche auszurotten. Die Saurier sind irgendwann einmal durch eine kosmische Katastrophe ausgestorben. Für die Wale könnte der Mensch selbst zu einer kosmischen Katastrophe werden. Ich glaube, dies steht uns nicht an.
In dieser Hinsicht ist der SPD-Antrag viel konsequenter als der der Koalition. Wir wollen nicht darum herumreden. Die jeweiligen dritten Punkte in den Anträgen konzentrieren sich ganz konkret auf den Fall Norwegen; wir haben gestern darüber gemeinsam diskutiert. Die norwegische Position lautet: Es geht gar nicht um die 500 Familien, deren Arbeitsplätze dort gerettet werden sollen, sondern bloß um das Prinzip. Dann kann ich sagen: Natürlich, aber wir haben in unserem Land, bitte schön, ein anderes Prinzip, das heißt: keine Art auf dieser Welt weiterhin auszurotten oder zu gefährden, wenn es nicht irgendwo einen katastrophalen Notstand gibt.
Angesichts des Lebensstandards in Norwegen kann ich wirklich nicht von einem Notstand sprechen, der dies notwendig machen würde. In dieser Hinsicht bietet der Koalitionsantrag Norwegen weiterhin die Möglichkeit, die Tür zu einem tatsächlich für die Ernährung betriebenen Walfang offenzuhalten. Hier ist der Antrag der SPD viel deutlicher.
Zum Abschluß ein paar Worte zum Antrag der SPD zur Frage des Naturschutzes im militärischen
Bereich. Ich habe ein bißchen das Gefühl, Sie sind auch mit diesem Antrag einer psychologischen Strategie des Rühe-Ministeriums aufgesessen. Ich erinnere mich noch an unsere Debatte im Umweltausschuß, wo wir diese Fragen schon einmal andiskutiert haben.
Hier stellt sich für mich ganz deutlich die Frage: Wozu müssen wir Naturschutzgebiete in militärischen Gebieten ausweisen? Ich bin der Meinung, die schätzenswerten Biotope sollten wir aus den militärischen Zonen ausgliedern. Sonst könnten wir gleich Herrn Töpfer einen Stahlhelm aufsetzen, von mir aus schwarz mit einigen grünen Tupfen, und Minister Rühe unterordnen. Seinen winzigen Etat nehmen wir mit hinein; der fällt im Verteidigungsressort gar nicht groß auf. Dann haben wir auch nicht mehr das Problem mit den Wehrdienstverweigerern. Diese müßten dann, wenn sie tatsächlich irgendwann einmal Naturschutz betreiben wollten, zur Bundeswehr gehen, damit sie überhaupt noch mit Naturschutz in Verbindung kommen.
Ich glaube, diese Strategie haut nicht hin. Wir sollten wegen der Entspannung zwischen Ost und West weiterhin deutlich an der Reduzierung von militärischen Gebieten arbeiten und die Naturschutzgebiete ausgliedern und den Kommunen zur Verfügung stellen. Dies könnte der richtige Weg sein. Ich hoffe, daß wir dies vielleicht noch in der gemeinsamen Ausschußsitzung diskutieren können.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Als nächste hat die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Es ist schon höchst verwunderlich, welche Drucksachen hier zu einem Tagesordnungspunkt zusammengefaßt worden sind. Ich kann mir schon vorstellen, daß Wale und Bundeswehr irgendwie zusammenpassen. Es handelt sich bei beiden um vom Aussterben bedrohte Arten. Aber Wale auf Bundeswehrliegenschaften - das ist schon etwas merkwürdig. In Anbetracht meiner Redezeit von fünf Minuten möchte ich mich auf die Anträge zum Walfang konzentrieren.
Meine Damen und Herren, Japan und Norwegen wollen den Walfang wieder aufnehmen und berufen sich auf den Grundsatz des Rechts der Völker auf verantwortungsvolle und tragfähige Nutzung von Ressourcen. Wir stellen jedoch eindeutig fest: Der kommerzielle Walfang ist mit den Grundsätzen von UNCED und der Konvention über Artenvielfalt unvereinbar und steht im Widerspruch zum Grundsatz der Ressourcennutzung. Ressourcennutzung heißt eben nicht unwiderbringliche Vernichtung einer Tierpopulation.
Wir stellen des weiteren fest: Japan und Norwegen sind durch die Agenda 21, Kapitel 17 des UNCED- Abkommens an die Bestimmungen der Internationalen Walfangkommission gebunden, ob sie nun Mitglied der IWC bleiben oder nicht. Japans Premierminister hat inzwischen versichert, daß Japan die IWC nicht verlassen will. Aber hier geht es eben nicht nur um internationales Recht und Gesetz.
Es muß an dieser Stelle noch einmal unmißverständlich darauf hingewiesen werden, daß die Tötungsmethoden beim Walfang grausam sind - das belegen Filmdokumente u. a. von Greenpeace - und gegen die Tierschutzgesetze verschiedener Länder verstoßen. Weltweit ist gegenwärtig nur ein einziger Großwalbestand durch den Walfang nicht gefährdet, man ist versucht, zu sagen: noch nicht.
Die Walfangsituation hat sich seit der Gründung der IWC massiv verändert. So sind in der Antarktis, dem einst walreichsten Gebiet der Erde, nur noch rund 5 % der vor Beginn der kommerziellen Bejagung vorhandenen Bartenwale vorhanden. Der Walfang dient heute nur noch der Belieferung von gut zahlenden Feinschmeckerinnen und Feinschmeckern und ist weder durch wirtschaftliche noch durch soziale oder traditionelle Bedürfnisse gerechtfertigt.
Wir halten die Schaffung eines antarktischen Walschutzgebietes, wie von der französischen Regierung beantragt, für richtig. Wissenschaftliche Gründe für diesen Antrag sind ausreichend vorhanden. Bisher konnten weder Japan noch Norwegen, noch andere IWC-Länder wissenschaftliche Argumente gegen dieses Walschutzgebiet vorlegen. Der französische Antrag für ein Walschutzgebiet ist sachlich sehr gut begründet. Im Hinblick auf die Unzulänglichkeit des überarbeiteten IWC-Bewirtschaftungssystems ist die Bundesregierung geradezu verpflichtet, derartige Vorsorgemaßnahmen nicht nur zu unterstützen, sondern auch einzufordern.
Die Voraussetzungen, unter denen die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs für denkbar hält - dies ist im Antrag von CDU/CSU und F.D.P. vom 24. 6. 1992 fixiert -, sind in keiner Weise erfüllt. Es ist uns auch unverständlich, daß sich die Bundesregierung durch die Beibehaltung ihrer jetzigen Taktik ohne Not in eine Situation drängen läßt, an deren Ende sie damit konfrontiert wird, der Wiederaufnahme des Walfangs durch Norwegen und Japan zuzustimmen.
Die PDS/Linke Liste fordert die Bundesregierung auf, kompromißlos gegen die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs einzutreten, wie dies Neuseeland, Irland und die USA kürzlich getan haben.
Eine Bemerkung zum Abschluß. Vor wenigen Monaten gab es eine Beratung von Abgeordneten aller Fraktionen und Gruppen dieses Hauses, einem Vertreter des Landwirtschaftministeriums und Vertreterinnen und Vertretern von Greenpeace. Unter anderem war Herr von Geldern dabei.
({0})
- Um so schlimmer, Herr von Geldern, in Anbetracht Ihres Antrags! Oder stimmen Sie gegen ihn? - Das werden wir nachher sehen.
Deren Informationen und der Austausch der Auffassungen führten damals zu einer übereinstimmenden Position der Anwesenden gegen den Walfang. Dies ließ die Hoffnung auf eine fraktionsübergreifende
Initiative offen, die zumindest nach außen dokumentiert hätte, daß gemeinsame fruchtbringende Sacharbeit auch in diesem Bundestag möglich ist.
Leider gab es in der Folge dann einen Rückzieher der Koalition - das haben wir heute gesehen - mit dem Antrag, der alles nach allen Seiten hin offenläßt.
Wir haben heute zu Beginn der Tagesordnung über die Konventionen zur Artenvielfalt gesprochen. Hier legen Sie die Basis für die grausame Vernichtung einer Art. Nehmen Sie Ihre Erklärungen endlich ernst.
Ich schlage übrigens vor, das Kunstwerk von Greenpeace, das draußen steht, im Plenarsaal an Stelle des Bundesadlers anzubringen. Möge es uns immer an unsere Verantwortung gegenüber allen bedrohten Lebewesen in dieser Welt erinnern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Als nächster hat der Kollege Prof. Dr. Norbert Rieder das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben schon klargemacht, daß wir uns hier über drei völlig verschiedene Punkte unterhalten müssen, die eine gewisse Regie aneinandergekoppelt hat. Es ist nicht ganz leicht, diese Punkte auseinanderzuhalten. Der eine oder andere hat sogar noch einen vierten Punkt mit hineingenommen, nämlich die Frage mit den Kleinwalen, die nun wahrlich mit dem, was wir hier über Walfang diskutieren, nichts zu tun hat. Ich möchte deshalb versuchen, diese drei Punkte so deutlich wie möglich auseinanderzuhalten.
({0})
- Es ist sicher schwer, aber die Regie hat es uns nun einmal so eingebrockt.
Der erste Punkt ist die erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Naturschutz und zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Artenschutzes. Mit diesem Gesetz wird im wesentlichen eine alte Forderung wohl aller im Bundestag vertretenen Parlamentarier erfüllt, nämlich die nach einer Zusammenführung der Aufgaben des Bundes auf den Gebieten des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Schritte in dieser Richtung sind schon seit längerem gemacht worden. Jetzt endlich sind wir so weit, daß wir den endgültigen Schritt machen können. Dies ist sicher zu loben, verspricht doch die Gründung eines Bundesamtes eine wesentlich bessere Erfüllung der zunehmenden Aufgaben in diesem Bereich.
Da der Gesetzentwurf im wesentlichen redaktionelle Änderungen bestehender Gesetze enthält, sehe ich keine besondere Schwierigkeit. Bei den weiteren Beratungen in den Ausschüssen werden wir uns deshalb vor allem darauf konzentrieren müssen und können, zu überprüfen, ob bei der Zusammenführung der Aufgaben und den dazu gehörenden Personen aus den bisher verschiedenen Tätigkeitsbereichen, die drei verschiedenen Ministerien angehört haben, das
denkbare Optimum erreicht wurde oder ob in Anbetracht der Aufgaben eventuelle Nachbesserungen notwendig sind. Ich glaube, darüber müssen wir uns im Ausschuß ausführlichst unterhalten.
Etwas komplizierter wird es beim zweiten Punkt, über den wir diskutieren müssen, nämlich den Antrag der SPD zum Naturschutz auf Bundeswehrliegenschaften. Hier gibt es sicher einen ganz erheblichen Diskussionsbedarf, allerdings nicht - da sollten keine Mißverständnisse entstehen - grundsätzlicher Art. Dies wurde nach meinem Dafürhalten auch schon in der bisherigen Debatte klar.
Die Nutzung von Bundeswehrliegenschaften für Naturschutzzwecke ist eine der großen Hoffnungen für die Zukunft. Ich möchte dabei nicht nur von solchen Liegenschaften sprechen, die zukünftig zivil genutzt werden. Sie wissen, daß speziell in den neuen Bundesländern gewisse Planungen vorliegen, ehemalige Bundeswehrliegenschaften unmittelbar in Naturschutzgebiete umzuwandeln.
({1})
Vielmehr möchte ich auch von den Liegenschaften sprechen, die weiterhin von der Bundeswehr genutzt werden sollen. Es ist wohl allgemein bekannt, daß viele Truppenübungsplätze von einer ökologischen Qualität sind, die ihresgleichen sucht. Dies gilt vor allem für solche Gebiete., die nicht übernutzt werden. Die Nutzung der bisher zu intensiv genutzten Gebiete sollte extensiviert werden, denn durch den Abbau der Truppen haben wir dazu inzwischen Chancen, die wir in der Vergangenheit nicht gehabt haben. Die weniger intensiv genutzten Gebiete sollten dagegen durch differenzierte Nutzungskonzepte noch an Qualität gewinnen.
Die Bundesregierung hat in dieser Richtung bisher - das hat der Parlamentarische Staatssekretär Wieczorek in aller Deutlichkeit gesagt - schon sehr gute Ansätze gemacht, die ohne Zweifel verbessert werden können. Aber in der Regel ist eine extensive Nutzung, eine Nutzung überhaupt für viele Arten der beste Schutz. Ich denke hier etwa an die Arten der offenen Sandflächen. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, daß sich gerade auf Militärgelände in vielen Gebieten der Bundesrepublik - von Brandenburg bis hin zur Oberrheinischen Tiefebene - die Zahl der auf der Roten Liste stehenden Arten ganz erheblich massiert. Das heißt also: Wir haben hier ökologische Rückzugsgebiete gerade für jene Arten, die auf offenen Sandflächen leben. In anderen Bereichen gilt genau dasselbe. Das heißt also: Wir brauchen in diesen Gebieten, um dieses Potential zu erhalten, auch in Zukunft eine extensive Nutzung. Zumindest ist sie die billigste Lösung, um das entsprechende Ziel zu erreichen.
Wie erreichen wir nun dieses Ziel, das wohl alle Parteien im Bundestag vertreten, nämlich bessere Ökologisierung - nennen wir es einmal so - dieser militärischen Flächen? Da ist sicherlich ein Dissens mit dem Antrag der SPD vorhanden. Diesen Dissens werden wir in den folgenden Beratungen in den Ausschüssen sehr ausführlich diskutieren müssen. Ich möchte einige Punkte des Dissenses hier schon ein wenig anreißen.
Zum Beispiel ist da die Frage, ob der Bund als Grundbesitzer ein Konzept zu erarbeiten hat oder nicht vielmehr die Länder eigentlich zuständig sind und im Prinzip das auch auf Grund der Man- bzw. Wifepower, über die sie ja verfügen, während der Bund darüber nicht verfügt, machen sollten. Der Grundbesitzer ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet. Das ist nun einmal in unserer Bundesrepublik so. Das heißt, daß wir hier tatsächlich die Länder sehr viel kräftiger einbinden müssen.
Wir werden auch darüber hinaus diskutieren müssen, wie genau etwa die Erfassung der Biotope sein muß. Ich persönlich halte nichts davon, vor den notwendigen Entscheidungen, die ich ohne Zweifel sehe, erst einmal alle Biotope bis ins letzte zu kartieren. Eine Feinkartierung im Maßstab 1: 5 000, und das flächendeckend, würde mindestens zehn Jahre Verzögerung vor den notwendigen Entscheidungen bedeuten. So sympathisch mir als gelernten Wissenschaftler natürlich immer die Idee ist, erst einmal alles so genau wie möglich zu untersuchen, so sehr weiß ich als Praktiker, daß das speziell im Naturschutzbereich dazu führt - das habe ich persönlich oft genug erlebt -, daß zwar Teilflächen erhalten bleiben, die Masse der Biotope aber schon nicht mehr vorhanden ist, wenn wir mit der Kartierung endlich zu Ende sind.
({2})
- Wir müssen beides tun, Herr Feige. Aber ich denke, daß wir eine gute Chance haben, in dieser Sache bei den Beratungen in den Ausschüssen einen guten gemeinsamen Weg zu finden.
Nun zum dritten Punkt, zum Walfang. Wir haben hier zwei Anträge vor uns liegen, die in wesentlichen Punkten - zumindest ist das mein Eindruck - übereinstimmen. Denn in beiden Anträgen wird deutlich, daß der weltweite Schutz der Wale eines von den Dingen ist, die wir in der Bundesrepublik mit gewaltiger Mehrheit wollen und mit den bestgeeigneten Mitteln vorantreiben wollen.
In der Vergangenheit - das wissen wir alle - war es sicherlich eine der großen Sünden der Menschheit, die Waljagd in einer Art und Weise zu betreiben, die man nur als Massaker bezeichnen kann. Letzten Endes kann man es auch als eine der großen Dummheiten der Menschheit bezeichnen. Denn die Waljäger haben in der Vergangenheit den Ast, auf dem sie saßen, selbst abgesägt.
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Es besteht deswegen die Hoffnung und auch die Notwendigkeit, daß durch konsequenten Schutz in buchstäblich letzter Minute oder Sekunde viele Walarten gerettet werden. Zweifel bestehen etwa beim Blauwal, dem größten Säugetier, das jemals auf dieser Erde gelebt hat. Denn dessen weltweite Population ist möglicherweise schon so drastisch abgesunken, daß alle Schutzbestrebungen vielleicht zu spät kommen.
Wir haben im Bereich der Walarten in der Vergangenheit Sünden begangen, deren Folgen wir so gut wie möglich beseitigen müssen. Doch im politischen Geschäft - auch das wissen alle, die hier in diesem Saal sind - und vor allem bei internationalen Vereinbarungen ist es häufig nicht leicht, den entsprechenden Konsens zu erreichen. Das gilt in diesem Fall speziell für uns Deutsche, aber nicht nur in diesem Fall. Wir Deutsche, die wir mit einer ganz kurzen Ausnahme kurz vor dem Zweiten Weltkrieg niemals kommerziellen Walfang auf der Hochsee betrieben haben, die wir also keinerlei Walfangtradition haben, tun uns in dieser Frage entsetzlich leicht. Denn wir Deutsche sind nun einmal in einer sehr großen Mehrheit für eine generelle Ablehnung des Walfangs. Aber auch an diesem Punkt neigen wir Deutsche wie bei vielen anderen Dingen dazu, unsere Ansicht als die alleinseligmachende anzusehen, der alle anderen zu folgen haben, und übersehen dabei, daß in anderen Ländern der Meinungsbildungsprozeß anders verlaufen und zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Und wenn man seine Ansicht zu apodiktisch vertritt, führt das häufig dazu, daß man das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen möchte.
Sehen wir uns deshalb einmal an, wie es überhaupt zu diesen Anträgen - dem der SPD und dem der Koalitionsfraktionen - kam. Einige Länder - zumindest auch ein europäisches Land, das vorhat, der EG beizutreten - sind gerade dabei, den Walfang auf den Zwergwal - also nur auf eine Art - in begrenztem Maßstab wieder aufzunehmen. Die Begründung dafür ist zumindest bei dem europäischen Land durchaus anhörens- und überlegenswert, auch wenn ich - und das will ich in aller Deutlichkeit sagen - diese Argumentation nicht teile. Die Begründung lautet nämlich in diesem Fall:
Erstens. Die Population der Zwergwale ist inzwischen wieder so gesichert, daß eine begrenzte Jagd - wohlgemerkt: eine begrenzte Jagd - möglich ist.
Zweitens. Diese Jagd ist für die ortsansässige Bevölkerung sowohl Teil ihrer traditionellen Kultur als auch für viele Siedlungen am Rande der besiedelten Welt - also ganz oben im Norden - ein wichtiger Faktor zum Überleben dieser Siedlungen. Dies sind sicherlich Argumente, die ernsthaft in die Überlegungen einbezogen werden müssen, obwohl ich sie nicht voll teile.
Um diese Argumente zu überprüfen, ist die internationale Walfangkonferenz, die im Mai in Kioto stattfinden wird, ein guter Platz, um die vorliegenden Argumente auszutauschen. Herr Kollege Schütz und ich haben uns abgesprochen, daß wir uns die Ergebnisse, die in Kioto erarbeitet bzw. auf den Tisch gelegt werden sollen, sehr ausführlich anschauen und versuchen werden, sie nach allen Regeln der Kunst zu überprüfen. Ich bin überzeugt, daß sich Kollegen aus den anderen Parteien dieser Überprüfung anschließen werden.
Was wir aber hier und heute im Plenum machen sollten und könnten, ist, unserer deutschen Delegation nach Japan den Auftrag mitzugeben, äußerst kritisch die dort vorgelegten Argumente zu hinterfragen, um die Meinungsbildung in unser aller Sinne zu beeinflussen. Wir sollten unserer Delegation aber
auch den Auftrag mitgeben, nach allen Kräften dazu beizutragen, daß das geplante Walschutzgebiet in der Antarktis möglichst bald in optimaler Form zustande kommt. Ob es nun unbedingt dem französischen Vorschlag - 40. Breitengrad - entsprechen oder in einigen Bereichen darüber hinausgehen muß oder unterschreiten kann, sollten wir wirklich den Fachleuten überlassen. Denn nach meiner Erfahrung sitzt hier im Bundestag niemand, der das echt beurteilen kann.
Wir sollten darüber hinaus - als drittes - unserer Bundesregierung bzw. unserer Verhandlungsdelegation den Auftrag mitgeben, bei EG-Beitrittsverhandlungen deutlich darauf hinzuweisen, daß die EG-Staaten dem Washingtoner Artenschutzabkommen beigetreten sind. Dieses Abkommen ist in der EG geltendes Recht.
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Nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen aber ist die Waljagd auf Zwergwale nur in Westgrönland und dort nur für dort lebende Eskimos erlaubt. Wir haben da also ganz klar geltendes EG-Recht, das innerhalb der EG auch die Jagd auf Zwergwale ausschließt.
Genau diese drei wesentlichen Punkte, die ich gerade angeführt habe, enthält der Antrag der Regierungskoalition. Ich bitte auch die Kollegen von den anderen Parteien, diesem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.
({5})
Nun spricht der Kollege Dietmar Schütz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben j a am Anfang versucht, einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Wenn es schon nicht zu diesem gemeinsamen Antrag gekommen ist, so sollten wir vielleicht wenigstens das Geschenk annehmen, das uns Greenpeace draußen vor der Tür gemacht hat. Man hat uns nämlich einen großen Wal dahingestellt, den wir zu schützen haben. Ich weiß nicht, wie Sie mit Greenpeace verhandelt haben, Frau Präsidentin.
Wir wissen, daß das Ergebnis des Umgangs mit den Walen - Herr Rieder hat darauf auch hingewiesen - für viele auch eine Metapher für die Gesamteinstellung zur Natur und zu ihren Geschöpfen ist. Eine Walart nach der anderen haben wir Menschen ausgerottet oder bis an die Grenze der Ausrottung getrieben. Nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen gelten derzeit alle Walarten - ich betone: alle Walarten - als gefährdet oder gar als vom Aussterben bedroht. Deswegen gelten sie alle - ich betone: alle - als geschützt. Die Diskussion um eine Verlängerung des Walfangmoratoriums würde diesen Schutz gar nicht berühren. Er bliebe zusätzlich erhalten. Das ist die erste Nachricht, die wir klar erfassen müssen.
Ursache für die starke Gefährdung dieser Tiere ist der über Jahrzehnte hinweg betriebene intensive Walfang. Allein in der Zeit von 1948, als der Fabrikwalfang anfing, bis zum Beginn des IWC-Moratoriums
1986 starben nach offiziellen Angaben der Walfänger mehr als 1,7 Millionen Großwale. Das waren annähernd doppelt soviel wie in den 60 Jahren zuvor. Zahlreiche Arten wie Blauwale, Grönlandwale, Nordkaper und Buckelwale entgingen ihrer kurz bevorstehenden Ausrottung nur durch das Inkrafttreten des unbefristeten Walfangverbotes 1986.
Zugleich sichert das Moratorium das Überleben auch jener Walarten, bei denen eine völlige Vernichtung zwar nicht unmittelbar droht, deren Überleben bei fortdauerndem Walfang jedoch ebenfalls gefährdet wäre oder wenigstens im Streite ist. Ich meine jetzt aktuell die Minkewale. Eine Aufweichung des bestehenden IWC-Moratoriums hinsichtlich dieser Zwergwalart, wie sie derzeit insbesondere von Norwegen und Japan betrieben wird, darf es deswegen meines Erachtens nicht geben.
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Ich will das begründen: Sollte der kommerzielle Walfang auf Minkewale in diesem Jahr trotz fortbestehenden IWC-Moratoriums wieder aufgenommen werden, würde dies die Schutzbemühungen ebenfalls in erheblichem Maße unterlaufen.
Meine Fraktion hat deshalb einen Antrag eingebracht, dessen Ziel es ist, eindeutig das geltende Walfangverbot als Moratorium - Sie haben das durcheinandergebracht, Frau Homburger; Sie haben nämlich Moratorium und Verbot verwechselt - international und auch in der EG künftig abzusichern. Wir wollen künftig drei Forderungen weiterhin durchgesetzt wissen, nämlich:
Erstens, Die Bundesregierung soll bei allen zukünftigen Verhandlungen, die den Walfang betreffen, die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfanges sowie den Walfang zu wissenschaftlichen Zwecken ablehnen und sich für eine Aufrechterhaltung des IWC-Moratoriums einsetzen.
Zweitens. Sie soll dem französischen Antrag, die Meere um die Antarktis bis zum 40. Grad südlicher Breite zum Walschutzgebiet zu erklären, ihre Unterstützung gewären, im Gegensatz zu dem, was Herr Wieczorek gesagt hat.
Drittens. Im Rahmen der EG soll die Bundesregierung eine Initiative mit dem Ziel starten, jeglichen Walfang in EG-Gewässern durch EG-Bürger oder EG-Schiffe zu verbieten. Darüber hinaus muß die Bundesregierung klarmachen, daß sie die Einhaltung des bestehenden IWC-Moratoriums auch als geltendes Recht innerhalb der EG durchsetzen will.
Das sind die Positionen in unserem Antrag. Die Forderungen unseres Antrages finden sich wortgleich in einer entsprechenden Erklärung verschiedener nationaler Umwelt- und Naturschutzverbände zur Walfangproblematik. Die Tatsache, daß mittlerweile bereits 28 Verbände und Vereine aus dem Umweltbereich, u. a. Greenpeace und der Deutsche Tierschutzbund, dies alles unterschrieben haben, beweist, wie groß der gesellschaftliche Konsens in dieser Frage ist. Diesen sollten wir gemeinsam in diesem Parlament auf greif en.
Um so mehr bedaure ich es, daß es nicht gelungen ist, den vorliegenden Antrag interfraktionell einzubringen. Da der Antrag in enger Abstimmung mit den Umweltverbänden, die ich genannt habe, insbesondere Greenpeace, entstanden ist und somit allen Fraktionen vorlag, hätte eine gemeinsame Grundlage bestanden, die Sie eingefordert haben, Herr Wieczorek. Die Koalitionsfraktionen waren jedoch trotz intensiver Bemühungen nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen beim Schutz der Wale bereit. Dies ist um so bedauerlicher, als einige Kollegen aus eben jenen Fraktionen in der Öffentlichkeit bereits mehrfach ihre ablehnende Haltung gegenüber jeglichem Walfang zum Ausdruck gebracht haben.
Es muß nach draußen, insbesondere Japan und Norwegen gegenüber, unmißverständlich klar sein, daß in absehbarer Zeit kein Walfang stattfinden kann. Die Fischer müssen sich also nach einer anderen Zusatzerwerbsquelle umsehen. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen. Die Formulierung der Koalitionsparteien, daß die Jagd nach dem Prinzip des „wise and sustainable use" zuzulassen ist, sofern „eindeutig nachgewiesen ist, daß durch den Walfang keine in ihrem Bestand bedrohte Art in Gefahr kommt", deutet allerdings eine baldige Nutzung insbesondere der Minkewale, die Sie wollen, an.
Außer der Jagd durch indigene Völker, etwa der Eskimos - vielleicht kann man auch über andere nachdenken -, muß aber das Moratorium für eine längere Zeit aufrechterhalten bleiben. Außer Frage steht für alle, insbesondere auch für Norwegen, die Jagd mit Fabrikschiffen und die Jagd auf Großwale. Es geht also nur um die Minkewale. Ich kann aus der Fülle von Argumenten nur einige Gründe nennen, warum wir der Meinung sind, daß dieses Moratorium längerfristig beibehalten werden soll.
Erstens. Nach wie vor haben sich die Populationen noch nicht auf einen Bestand erholt, der es erlauben würde, sie wieder zu bejagen. Der gegenwärtig gültige Bewirtschaftungsplan der IWC sieht vor, daß Bestände, die auf weniger als 54 % ihrer ursprünglichen Größe dezimiert wurden, vor kommerziellem Walfang geschützt werden. Zwar behaupten Norwegen und einige Wissenschaftler aus Walfangländern, daß der jetzige Bestand mehr als die Hälfte des Bestandes von 1937 betrage. Wissenschaftler der IWC analysieren aber die Ergebnisse der CPUE-Analyse, also die Analyse der Fangergebnisse, so, daß der strittige Bestand im Nordost-Atlantik auf ein Drittel seiner Größe aus dem Jahre 1937 dezimiert sei. Die jetzige Bestandsgröße wird von Norwegen, großzügig gerechnet, mit 86 700 Minkewalen angegeben. Diese Größe wird von mir und auch von anderen nicht bestritten. Aber die Annahme, dies sei schon mehr als die Hälfte, wird bestritten. Es gibt viele Wissenschaftler, die sagen: Das ist noch immer nur ein Drittel. Das steht im Streit, und das muß geklärt werden.
Zweitens. Ich bin kein Biologe - im Gegensatz zu Ihnen -, ich bin Jurist. Mir leuchtet aber ein, wenn einige Experten sagen, daß ein siebenjähriges Moratorium - so lange gilt das IWC-Moratorium ja erst - wohl Zeit genug für eine Schätzung des Bestandes läßt, nicht aber verläßliche Daten darüber gibt, welche Auswirkungen das Moratorium auf die Entwicklung
der Populationen und auf ihre Reproduktionsfähigkeit hat. Die Minkewale werden 70 Jahre alt. Wenn wir, die wir auch so alt werden - wenn alles gut geht, werden wir 70 Jahre alt -, hinsichtlich unserer Regenerationsfähigkeit analysiert werden sollten, brauchten wir, glaube ich, Generationen, um solche Aussagen treffen zu können. Das Moratorium muß deshalb diese Abschätzungen ermöglichen und muß deswegen länger dauern.
Drittens. Leider war bisher trotz geltenden Moratoriums nicht zu verhindern, daß 2 742 Wale unter wissenschaftlichem Vorwand getötet wurden. Insgesamt wurden während der Zeit des Moratoriums 14 000 Wale erlegt. Was, muß man sich fragen, wird hier überhaupt erforscht, um solche Tötungsraten zu rechtfertigen? Es ist schon mehr als seltsam, daß alle „Forschungsgegenstände" auf dem Tisch der Feinschmecker in Japan landeten. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist schließlich auch, daß nicht eines der sogenannten Forschungsprogramme von der IWC genehmigt worden ist, wie mir gesagt wurde, sondern die IWC per Resolution sogar zur sofortigen Einstellung der Programme aufgefordert hat.
Um den offensichtlichen Mißbrauch in Zukunft auszuschließen, sollten alle instrumentellen Möglichkeiten, fabrikmäßig Walfang zu betreiben, beseitigt werden. Ich glaube, auch darüber muß Klarheit zwischen uns sein. Die Aufrechterhaltung einer Flotte von Fabrikschiffen unter dem Vorwand wissenschaftlichen Walfangs - wie es im Falle Japans, wie ich glaube, noch passiert -, darf nicht länger hingenommen werden. Umweltverbände haben in den letzten Jahren immer wieder zahlreiche Verstöße dargelegt, die während der Geltung des Moratoriums unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit begangen wurden. Wenn schon ein Moratorium derart schlecht überwacht wird, dürften die Aussichten auf eine korrekte Einhaltung von Quoten gleich null sein, wenn sie denn einmal gestattet werden. Dieses „Wenn, dann erst recht"-Argument überzeugt mich sehr.
Ich will noch auf ein grundsätzliches Argument eingehen, das gegen den Walfang insgesamt angeführt wird. Es wird von den Tierschutzverbänden zu Recht massiv auf folgendes hingewiesen. Die sogenannte Kaltharpune werde nicht mehr angewendet. Mit ihr, nämlich einer normalen Stahlharpune, wurde ein Wal bisher erlegt. Aber die jetzt verwendeten sogenannten Heißharpunen mit Sprengwirkung töten nicht immer sofort, so daß es nach wie vor zu einem langen Todeskampf kommt. Auch darüber müssen wir nachdenken.
Ein unverzichtbarer Bestandteil in unserem Antrag ist auch, daß wir die Schutzbereiche in der Antarktis - das ist die Geburtskammer fast aller Walarten - bis zum 40. Breitengrad ausdehnen. Ich glaube, auch da sind wir auseinander. Wir müssen Frankreich unterstützen, unserem EG-Partner an die Seite treten und sagen: Wir wollen diesen Schutz. Auch darüber lassen Sie uns noch einmal im Ausschuß reden, weil wir hier wirklich Großbestände retten müssen.
Wenn wir uns über diese drei Punkte einig werden könnten, wäre viel gewonnen. Ich befürchte leider, daß wir das heute nicht schaffen.
Ich will zum Schluß kommen und eine klare Position aus Ihren Reihen zitieren:
CDU/CSU und Greenpeace haben ... eine gemeinsame große Tradition zu vertreten: Schluß mit dem Walfang weltweit, kein wissenschaftlicher Walfang, kein kommerzieller Walfang, Ende des Schlachtens und Mordens für Profit! Solange Island und Norwegen hierzu keine eindeutige Position bezogen haben, sollten sie auch keinen Platz in der Europäischen Gemeinschaft finden. Diese Frage gehört in die Beitrittsverhandlungen.
Das hat Herr von Geldern vor etwa einem halben Jahr im „Fisch-Magazin" geschrieben.
Ich will die mit uns befreundeten Länder ganz ernsthaft daran erinnern, daß sie sich selbst keinen großen Gefallen tun, wenn sie ihre Maximalposition der sofortigen Wiederaufnahme des Walfanges durchsetzen wollen.
Herr Kollege Schütz, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn von Geldern zulassen?
Ich möchte den Gedanken eben zu Ende führen. - Nur wenn wir unser gemeinsames Erbe an den Naturschätzen des Meeres annehmen und verteidigen und die Wale schützen - dies wird, glaube ich auch von Norwegen so gesehen -, übernehmen wir die Verantwortung, die für eine zukünftige sustainable Nutzung durch die Nachkommen erforderlich ist.
Ich bin jetzt quasi am Ende mit meiner Rede, aber die Zwischenfrage würde ich noch zulassen.
Bitte, Herr von Geldern, Ihre Zwischenfrage.
Frau Präsidentin, Herr Kollege Schütz hat gerade gesagt, daß er am Ende seiner Ausführungen ist. Würden Sie mir gestatten, nachdem ich von ihm und auch von der Frau Kollegin Enkelmann persönlich angesprochen worden bin, daß ich mich in Form einer Kurzintervention äußere?
Herr von Geldern, das ist nach unserer Geschäftsordnung möglich. Es trifft sich gut, daß der Kollege Schütz gleich am Ende ist. - Kollege Schütz, Sie können weiterfahren.
Meine Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag ist in der Tat vielleicht undifferenzierter, Herr Staatssekretär Wieczorek, als Ihrer, weil er nämlich eindeutiger und klarer ist und dieses „einerseits" und „andererseits" nicht kennt. Seien Sie für einen eindeutigen und klaren Auftrag an die Bundesregierung zur Fortsetzung des Moratoriums in Kioto! Klarheit ist es, die wir brauchen.
Ich danke Ihnen.
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Nun zu einer Kurzintervention der Kollege von Geldern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Beiträge der beiden Hauptredner von Koalition und Opposition, also des Kollegen Rieder und des Kollegen Schütz, in der Frage des Walfangs viel näher beieinanderliegen, als es soeben verbal zu sein schien. Das Ziel ist dasselbe. Ich bekenne mich trotz der von mir als etwas denunziatorisch empfundenen Darstellung der Frau Kollegin Enkelmann - obwohl wir sonst fair miteinander umgehen - dazu, daß ich Gastgeber einer Initiative gewesen bin, die genau die Absicht verfolgt hat, eine gemeinsame Basis herzustellen. Vertreter aller Fraktionen und Gruppen des Parlaments und von Greenpeace waren bei mir im Büro, um diesen Versuch zu unternehmen.
Ich bin froh darüber, daß sich die beiden Anträge im Kern, in der Zielsetzung nicht unterscheiden und daß es jetzt, 14 Tage vor der IWC-Konferenz in Kioto, mehr oder weniger eine Frage des opportunen taktischen Vorgehens ist, wie hier in den Entschließungsanträgen votiert werden soll.
Das Entscheidende ist, daß wir eine gemeinsame Linie haben, daß wir uns in der Zielsetzung nicht unterscheiden, daß wir das, was die Bundesregierung in Kioto tun wird, sehr kritisch und sehr genau beobachten werden - das ist auch ein Signal, das von hier ausgeht - und daß wir uns nach der Konferenz - darum bitte ich alle Kollegen, die an den Entschließungsanträgen mitgewirkt haben - erneut zusammensetzen, sichten, was dort beschlossen worden ist, und ein weiteres gemeinsames Vorgehen besprechen.
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Das Wort zu einer Erwiderung auf die Kurzintervention hat die Kollegin Enkelmann, weil sie angesprochen worden ist.
Es besteht im Grunde eine gute Zusammenarbeit mit dem Kollegen von Geldern im Ausschuß und auch in anderen Gremien, in denen wir zu tun haben. Ich verwahre mich trotzdem gegen den Begriff der Denunziation. Meine Ausführungen waren lediglich dazu gedacht, Sie an dieses Gespräch zu erinnern und an Sie zu appellieren, sich so zu verhalten, wie Sie es in dem Gespräch gegenüber Greenpeace getan haben.
Kollege von Geldern, nur als Hinweis: Es wäre gut gewesen, wenn Sie gleich nach der Rede der Kollegin Enkelmann Ihre Kurzintervention angemeldet hätten. Dann wäre alles klar gewesen.
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Nun kommen wir zur Abstimmung. Abweichend von dem in der Tagesordnung ausgedruckten Vorschlag wird interfraktionell vorgeschlagen, daß Überweisung beschlossen werden soll; strittig ist dabei, an welche Ausschüsse.
Die Koalitionsfraktionen schlagen vor, die Vorlagen zur federführenden Beratung an den Landwirtschaftsausschuß und zur Mitberatung an den Umweltaus13062
Vizepräsidentin Renate Schmidt
Schuß zu überweisen. Der Vorschlag der SPD ist, die Vorlagen zur federführenden Beratung an den Umweltausschuß und zur Mitberatung an den Landwirtschaftsausschuß zu überweisen. Damit ist also die Geschäftslage klar.
Ich darf dann fragen, ob Sie damit einverstanden sind, daß generell Überweisung beschlossen werden soll. Die Frage, an welche Ausschüsse, klären wir dann im Anschluß. Gibt es ein Einverständnis, daß überwiesen werden soll? - Darüber besteht Einverständnis.
Dann kommen wir zur Abstimmung, an welche Ausschüsse überwiesen werden soll. Zuerst lasse ich über den Vorschlag abstimmen, zur federführenden Beratung an den Landwirtschaftsausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung der Vorlagen zur federführenden Beratung an den Landwirtschaftsausschuß abgelehnt.
Dann darf ich darüber abstimmen lassen, wer zustimmt, daß die Federführung an den Umweltausschuß geht. Ich bitte um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag hat die Mehrheit gefunden. Damit ist impliziert, daß der Landwirtschaftsausschuß mitberatend tätig ist.
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Darf ich Sie noch um ein bißchen Ruhe für eine weitere Abstimmung bitten. Ich weiß, daß das ein ganz unerwartetes Stimmergebnis ist.
Außerdem wird interfraktionell vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 12/4326 und 12/3769 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 8:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Eckart Kuhlwein, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umweltbildung und Umweltwissenschaften - Drucksache 12/3768 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({2}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe dagegen keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Als erster hat das Wort zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Eckart Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben mit diesem Antrag interdisziplinär gearbeitet, auch in der
Hoffnung, daß die Umweltpolitiker noch da sind, wenn er beraten wird, und die Bildungspolitiker schon da sind, wenn er beraten wird. Ich sehe, daß das Plenum im Augenblick noch sehr ordentlich besetzt ist. Ich hoffe, daß wir niemanden mit dieser Debatte langweilen.
Die SPD-Fraktion will mit ihrem Antrag „Umweltbildung und Umweltwissenschaften" einen politischen Anstoß geben, die globalen ökologischen Herausforderungen stärker als bisher zum Gegenstand von Forschung und Lehre zu machen, die bereits vorhandenen Initiativen besser zu koordinieren und zu vernetzen und weiße Flecken zu erkennen und zu bearbeiten.
Dieser Bundestag hat sich mit zwei Enquete-Kommissionen zu ökologischen Problemen, nämlich mit der Klima-Enquete und der neuen Enquete-Kommission zu den Stoffkreisläufen, um die Gewinnung neuer Erkenntnisse und die Entwicklung von politischen Handlungskonzepten verdient gemacht, auch wenn, wie wir heute morgen seitens unserer Fraktion eindringlich darstellen konnten, längst nicht alle abgesicherten und gemeinsamen Erkenntnisse dieser Enquete-Kommissionen in die politische Praxis umgesetzt worden sind. Der Bundestag hat sich indes noch wenig mit der Frage beschäftigt, welchen Beitrag Wissenschafts- und Bildungspolitik leisten müssen, um national und international eine dauerhafte Entwicklung zu ermöglichen. Unser Antrag, meine Damen und Herren, versucht, diese Lücke zu füllen.
Einen ersten Schritt dazu hatte bereits die EnqueteKommission „Bildung 2000" in ihrem Abschlußbericht 1990 unternommen. Dort heißt es:
Steigende Umweltbelastungen und -gefährdungen, aber auch das in der Gesellschaft gestiegene Umweltbewußtsein sind Herausforderungen auch für die Bildungspolitik. Alle beruflichen Qualifizierungen müssen die Bereitschaft zu umweltgerechtem beruflichen Handeln in allen Berufsbereichen wecken und die hierfür erforderlichen Befähigungen integriert vermitteln.
Klarer noch als diese Formulierung ist das, was die Minderheit von SPD und GRÜNEN in ihrem Votum dazu aufgeschrieben hat, wo es heißt, daß angesichts der Dringlichkeit, unsere Wirtschaftsweise, unser Leben und unser Arbeiten umweltgerecht umzugestalten, ein darauf gerichteter Beitrag im Bildungssystem von überragender Bedeutung sei. Dort müßten die subjektiven Voraussetzungen für ökologisch bewußtes Leben und Arbeiten geschaffen werden.
Wir machen in unserem Antrag deutlich, daß wir die vielen kleinen und großen Initiativen, die es zur Umweltbildung gibt - in den Bildungsministerien, von Lehrerinnen und Lehrern in Schulen, Hochschulen und in der Weiterbildung, von Ausbildern und Ausbilderinnen, von Gewerkschaften und Arbeitgebern, von Umwelt- und Naturschutzverbänden, Verbraucherorganisationen, aber auch von Trägern der politischen Bildung -, durchaus zu würdigen wissen. - Dort gibt es sehr viel Engagement, das nicht erst von oben angestoßen werden muß und das sich flächendeckend positiv auswirkt. - Sie alle sollten sich nicht kritisiert, sondern ermutigt fühlen durch
unseren Antrag, ihre Arbeit im Bereich der Umweltbildung zu verstärken und neue Wege auszuprobieren.
Aber, meine Damen und Herren, wir liegen, glaube ich, richtig mit der These, daß Umweltbildung im Sinne eines ganzheitlichen Lernens, in dem technisch-fachliche Qualifikation mit Umweltbewußtsein, Übernahme von Verantwortung und Schulung der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit verbunden wird, noch immer ein Schattendasein führt.
Das gilt übrigens auch für die notwendige Verknüpfung zwischen Umweltwissenschaften und Umweltbildung. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht schon dann Allgemeingut, wenn sie in gelehrten Publikationen stehen. Sie müssen auch stetig in Bildungsprozessen an diejenigen vermittelt werden, deren Handeln davon beeinflußt werden soll. Um ein Beispiel zu nennen: Es ist sicherlich begrüßenswert, wenn der Bundesforschungsminister in einem Beirat „Global Change" eine Forschungskonzeption erarbeiten läßt, aber wir sollten erwarten dürfen, daß dabei auch die Umsetzung in Bildungsmaßnahmen eine Rolle spielt.
Im Bereich von Allgemeinbildung und Berufsbildung hat die Umweltbildung Eingang in viele Lehrpläne und Ausbildungsordnungen gefunden. Die Ausbildungsordnungen sehen auch die Befähigung zum umweltverträglichen Handeln vor. Was allerdings fehlt, ist ein Konzept zum Lernen von Konfliktfähigkeit, das sich aus diesem Handeln ergibt. Umweltbildung muß stärker als bisher umweltpolitische Bildung werden, die auch widerstreitende Interessen einbezieht und neue Formen der Verträglichkeit von Ökonomie und Ökologie sucht und entwikkelt.
In den Hochschulen fehlt es häufig an einer kritischen Selbstreflexion, auch bei Forschung in unverbunden nebeneinanderstehenden Einzelwissenschaften, im Hinblick auf die Folgen des Forschens für die Umwelt. Lehrangebote in diesem Bereich sind immer noch Ausnahmen und längst nicht integraler Bestandteil einer mit Priorität für die Umwelt geförderten Wissenschaftspolitik. Umweltforschung, Umweltlehre und Umweltpraxis sind nicht systematisch miteinander verknüpft.
Die Aufzählung der ökologischen Defizite in unserer Bildungslandschaft ließe sich fortsetzen. Sie sind jedenfalls groß genug, um eine neue Initiative von Bund, Ländern, Sozialparteien und Umweltverbänden zu rechtfertigen. Wir zeigen dem Bundestag mit unserem Vorschlag auf, wie eine solche Initiative aussehen könnte, und sind natürlich für weitere Anregungen dankbar, Graf Waldburg-Zeil.
Wir wollen erreichen, daß die Bundesregierung mit Ländern und Verbänden ein Programm entwickelt, das deutlich macht, wie die Umweltbildung in allen Bildungsbereichen verankert werden kann. Dazu gehört als erster Schritt die Verabschiedung des „Gesamtkonzepts Umweltbildung" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Dieses Gesamtkonzept darf nicht auf allgemeine politische Absichtserklärungen reduziert werden, es muß auch etwas über konkrete
Umsetzungen sagen. Wenn die Bundesregierung dafür, weil die Länder in starkem Maße betroffen sind, die Hilfe der SPD braucht, dann sind wir gern bereit, auch in den A-Ländern, wo das noch notwendig sein sollte, die Diskussion darüber anzuschieben. Wir meinen allerdings, es ist auch eine gesamtstaatliche Aufgabe, und die Initiative dafür dürfte auch aus diesem Hohen Hause kommen.
Wir wollen erreichen, daß Umweltbildung in die umweltpolitische Arbeit aller Ressorts der Bundesregierung integriert wird. Wir wollen erreichen, daß Modellversuche, Ressortforschung und Weiterbildungsprojekte des Bundes um pädagogische Fragestellungen wie interdisziplinäres und partizipatorisches Lernen ergänzt werden.
Wir wollen einen Koordinierungsrat Umweltbildung für die Hochschulen, der Anreizsysteme für die Hochschulen entwickelt und die Umsetzung von Umweltforschung in Bildungsmaßnahmen sicherstellt. Wenn jemand Angst vor einer neuen Institutionalisierung haben sollte, dann könnte man j a zunächst einmal einen Versuch mit einem dieser berühmten Runden Tische machen.
Wir wollen erreichen, daß in allen Hochschulen Umweltbeauftragte eingesetzt werden. Wir wollen erreichen, daß Umweltbildung integrierter Bestandteil der beruflichen Bildung in allen Lernorten wird. Wir wollen sicherstellen, daß alle Änderungen in der Umweltgesetzgebung durch entsprechende. Bildungsmaßnahmen begleitet werden. Wir wollen schließlich nicht. zuletzt die Umweltbildungsarbeit von Verbänden und Trägern der Jugend- und Erwachsenenbildung stärker fördern als bisher.
Die ökologische Herausforderung erweist sich mehr und mehr als entscheidender Prüfstein für die Glaubwürdigkeit demokratisch verfaßter Gesellschaften und ihrer Institutionen. Je größer die Kluft zwischen Erkenntnissen und politischem Handeln wird, desto dramatischer wird der Vertrauensschwund in die Politik. Umweltbildung und Umweltwissenschaft können diese Kluft verkleinern helfen. Sie können in der Politik konsequenteres ökologisches Handeln bewirken und bei den Bürgerinnen und Bürgern über zunehmende Mitwirkung größeres Interesse an der Beteiligung in Staat und Gesellschaft wecken.
Ein Dilemma - das will ich allerdings am Schluß nicht verschweigen - wird auch Umweltbildung nicht auflösen können: Wenn Umweltbildung nämlich die vorhandenen Erkenntnisse über die Gefährdung des Globus in wissenschaftlicher Wahrhaftigkeit ernst nimmt, dann wird sie junge und erwachsene Menschen gegen den Strich einer Gesellschaft und eines Wirtschaftssystems bilden und erziehen müssen, die noch immer die Machbarkeit aller Dinge und unbegrenztes Wachstum propagieren. Es geht um ein neues Werteparadigma des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Diese Neubewertung ist noch nicht gesellschaftlicher Konsens, wie ich auch der Debatte heute morgen entnehmen konnte.
Ich bin dafür, daß die Bildungspolitik in diesem Grundsatzstreit Partei ergreift. Wenn junge Menschen nicht spätestens heute auf eine dauerhafte und nach13064
haltige Entwicklung orientiert und vorbereitet werden, dann dürfte unserem Globus kaum noch zu helfen sein.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Als nächster hat der Kollege Werner Ringkamp das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ehrt sicherlich die alte Arbeiterpartei SPD, die ja immer gleichzeitig auch eine Arbeiterbildungs- und Volksbildungspartei gewesen ist, daß sie heute einen Antrag zu Umweltbildung und Umweltwissenschaften einbringt. Die SPD legt einen Antrag vor, der ein Gesamtkonzept Umweltbildung erhält. Der Antrag will politische Handlungskonzepte, der Antrag will Initiativen für die Umwelt entwickeln, er will die Fort- und Weiterbildung stärken und die Bildungsarbeit von Vereinen und Verbänden fördern. Es handelt sich - das ist schon aus den Ausführungen des Kollegen Kuhlwein hervorgegangen - um ein Konglomerat von Feststellungen und Forderungen. Im derzeitigen Stadium der Beratung vermeide ich das Wort „Sammelsurium" .
Wir werden uns im Laufe der Beratungen sehr intensiv mit dem diesem Antrag zugrunde liegenden Wissenschaftsbegriff auseinandersetzen müssen. Welche Art von Wissenschaft, Herr Kuhlwein, ist eigentlich gemeint, wenn Sie, wie Sie am Schluß Ihrer Ausführungen gesagt haben, ein „neues Werteparadigma des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur" wissenschaftlich fundieren wollen? Wird hier Soziologie zur Grundlage einer neuen Ethik, oder sollte Ihr Antrag gar - entgegen meinen Erwartungen - Philosophie und Theologie als Hilfswissenschaften mit einbeziehen?
({0})
Wie schon so häufig in der Vergangenheit setzt die SPD auch mit dieser Initiative die Hoffnung darauf, daß staatliches Handeln schon alles zum Guten wenden werde. Es geht - so schreiben Sie ausdrücklich -„nicht um den eigenen Garten",
({1})
sondern um „verantwortungsvolles und wirksames Handeln im globalen Kontext" - dolle Formulierung! Nach meinem Menschen- und Gesellschaftsbild allerdings wird genau andersherum ein Schuh daraus: Wenn sich jeder in seinem Garten, an seinem Arbeitsplatz, in seinem Haus umweltgerecht verhält, dann wird sich ein übergreifender Effekt schon einstellen.
({2})
Noch ein Weiteres: Das völlige Fehlen einer systematischen Verknüpfung von Umweltforschung, Umweltlehre und Umweltpraxis wird in Ihrem Antrag beklagt. Herr Kuhlwein, Husum ist nicht sehr weit von Ihrem Wahlkreis entfernt. Gleichwohl konstatiere ich
hier ein offensichtliches Informationsdefizit bei Ihnen.
({3})
Der Umweltassistent, ausgebildet nach Rechtsvorschrift der Industrie- und Handelskammer zu Flensburg in Husum - an meiner ehemaligen Volkshochschule - und heute auch in vielen Orten der neuen Bundesländer, hat genau diese Verknüpfung der drei Handlungsfelder als zentralen Ansatz und fundamentalen Aspekt.
Ein Weiteres wird uns in den Beratungen beschäftigen: die Ziele des Umweltlernens. Der Antrag der SPD erstrebt - wie Sie sagen - wirkliche Problemlösungskompetenz, Lernen von Konfliktfähigkeit, Umgang mit unterschiedlichen Interessenkonstellationen. Und dann bricht doch wieder das alte Harmoniebedürfnis durch, und Sie fordern neue Formen der Verträglichkeit von Ökologie und Ökonomie; hessische Rahmenrichtlinien lassen fröhlich grüßen.
({4})
Auf der einen Seite konstatieren Sie in Ihrem Antrag Konflikte und Interessengegensätze, die durch Bildung harmonisiert werden sollen. Auf der anderen Seite fordern Sie aber, daß Umweltbildung - auch das ist eine schicke Formulierung - ein „Fundament für die Neudefinition des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur legen" muß. Wird hier Bildung nicht ein bißchen überfordert?
Der Antrag schlägt weiter vor, Forschung und Lehre und Unterricht auf den Erhalt der Umwelt zu konzentrieren. Alles, was Ihnen, den Antragstellern, hierzu einfällt, ist jedoch, Bundesregierung, Bundesbildungsministerium, Bund-Länder-Kommission zu mehr Initiativen aufzufordern.
Das gleiche Spielchen findet sich bei der Forderung, den Umweltschutzgedanken in der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu stärken. Auch hier wird die ganze Hoffnung darauf gesetzt, daß der Bundesminister für Bildung, und Wissenschaft neue Gesetze und Verordnungen vorschlägt und auf den Weg bringt.
In einem Punkt allerdings erwarten Sie vom Einzelmenschen ein konsequentes Eintreten für den Umweltschutz. Sie fordern, das Arbeitsrecht so auszugestalten, daß der einzelne Mitarbeiter aus ökologischen Gründen ein Arbeitsverweigerungsrecht erhält.
({5})
Mich dünkt, daß hier nicht nur der einzelne Mitarbeiter alleingelassen wird; ich habe die Befürchtung, daß die alte Arbeiterpartei SPD hier Geschütze gegen Tarifautonomie und kollektive Arbeitsverträge in Stellung bringt.
({6})
Der Antrag der SPD-Fraktion enthält manches Nachdenkenswerte - zugegeben -, viel Unausgegorenes und einiges Widersprüchliches.
({7})
Ich freue mich auf die fruchtbare Diskussion in den kommenden Ausschußsitzungen auf klarstellende Debatten und auf ein hoffentlich der Sache dienendes Ergebnis.
({8})
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Maria Böhmer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Umwelt zeigen die Bürgerinnen und Bürger mittlerweile ein hohes Maß an Sensibilität. Aber wir wissen auch sehr wohl, wie es mit der Diskrepanz zwischen Sensibilität bei dem einzelnen und konkretem Handeln bestellt ist. Uns allen kann es Tag für Tag vor Augen geführt werden, wenn wir morgens unterwegs sind: Ein Mensch - ein Auto! Auf der anderen Seite wird sehr heftig die ständige Zunahme von CO2-Ausstoß beklagt. Wir sehen die Diskrepanz: Müllberge werden beklagt; aber wer die Mülltonne beim einzelnen Haushalt aufklappt, sieht: Auch dort häuft sich immer mehr Müll.
Hier muß sich etwas ändern. Da stimme ich meinem Kollegen sehr deutlich zu: Wir werden beim Schutz der Umwelt und bei der Bewahrung der Schöpfung nur dann zum Erfolg kommen, wenn jeder einzelne sein Handeln ganz konkret ändert.
Unter diesem Gesichtspunkt habe ich den Antrag der SPD mit großer Spannung und großer Neugierde gelesen. Was will dieser Antrag, und was bringt er? Ich kann dem generellen Ziel, Umweltbildung und Umweltwissenschaft zu stärken, ganz klar zustimmen. Das ist der richtige Weg, und diesen Weg müssen wir gemeinsam beschreiten.
Aber ich habe ebenfalls erhebliche Probleme, wenn die Rede von Konfliktlernen ist. Das wird im Antrag nicht nur an einer Stelle erwähnt. Das zieht sich fast wie ein roter Faden durch die Konkretisierung des Antrags.
({0})
Das erinnert mich auch sehr an die bildungspolitische Diskussion der 70er Jahre, als versucht wurde, Sprengstoff über die Schulen in die Gesellschaft zu tragen.
({1})
Ich frage mich, ob wir hier den Versuch sehen, daß das umweltpolitische Anliegen benutzt wird, um sozusagen den alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen. Da sage ich: Wir sollten uns sehr dezidiert und konkret unterhalten, wie wir dem Anliegen wirklich Rechnung tragen können.
({2})
Dazu will ich sagen: Unser Ziel muß es sein, zu einem anderen Verständnis im Bereich Wohlstand, im
Bereich Wachstum und auch im Bereich des technischen Fortschritts zu kommen. Das heißt, wir müssen Umweltbildung in breitem Maß in allen Bereichen Eingang finden lassen.
Hier wurde von seiten der Bundesregierung schon sehr viel getan. Die Vorschläge, die gemacht worden sind, und die Modellvorhaben gilt es jetzt in der Breite umzusetzen. Und die gilt es vor allen Dingen von seiten der Länder umzusetzen; denn dort sehe ich noch erhebliche Defizite, was die Umsetzung anbelangt.
Ich sehe in den Betrieben sehr positive Ansätze. Ich habe mich bei der BASF erkundigt: Über 1 000 Mitarbeiter sind dort mit Umweltfragen befaßt. Das ist eine ganz stolze Zahl, denke ich.
Aber auf der anderen Seite sehe ich auch das Problem, daß wir nicht nur den Spezialisten haben wollen, sondern daß wir die Integration von Umweltwissen und Umweltkenntnissen in allen Ausbildungsbereichen und Berufen brauchen. Dieser Ansatz hat mittlerweile Eingang in die Ausbildungsordnungen gefunden, und das muß weiter umgesetzt werden.
Ich meine, wir brauchen Motivation - viel stärker als bisher -, um den Schritt von der Umweltsensibilität hin zu einem konkreten Handeln für die Bewahrung der Schöpfung zu verkürzen.
Wir müssen alles daransetzen, damit sich bei der Lehrerfortbildung und der Qualifizierung von Ausbildern dieser Bereich deutlicher niederschlägt als bisher. Da würde ich gern mit Ihnen gemeinsam konkrete Vorschläge diskutieren und sie auch durchbringen. Ich möchte auch, daß im Bereich der Hochschulen vieles viel stärker verankert wird als bisher.
Aber ich sehe auch, daß es nicht so ist, wie Sie es darstellen, sondern daß eine Hochschullandschaft besteht, in der sehr wohl viele Ansätze vorhanden sind. Es ist nicht so, daß das arme Pflänzchen Umweltwissenschaft in einer Ecke grünt. So klingt es aber an manchen Stellen des Antrages durch.
Wenn wir in der Beratung nach der Überweisung in die Ausschüsse hier zu einer Annäherung kämen, würde das der gemeinsamen Sache sehr dienen.
({3})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD „Umweltbildung und Umweltwissenschaften" fordert, daß wir ein neues Werteparadigma des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur wissenschaftlich fundieren und in den Bildungseinrichtungen vermitteln müssen. Diese Grundthese - Herr Kuhlwein, wenn wir das gleiche meinen - stimmt mit den Aussagen der Enquete-Kommission „Bildung 2000" überein und gewinnt auch durch bedeutende jüngere Veröffentlichungen aus Wissenschaft und Politikberatung politisch zusätzlich an Gewicht.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Buch „Wege zum Gleichgewicht" von dem neuen US13066
Vizepräsidenten Gore. In seiner Schrift fordert Gore ein radikales Umdenken in unserer Beziehung zur Natur, um die Erde für kommende Generationen erhalten zu können.
Eine weitere Entwicklung der Umweltbildung muß die stärkere Berücksichtigung folgender Zusammenhänge enthalten:
Zukünftige ökonomische, wissenschaftliche, technologische und soziale Entwicklungen müssen ökologisch verträglich gestaltet werden. - Dieser Aussage können wir sicherlich alle folgen.
Die Entwicklung eines neuen Wohlstandsmodells in den Entwicklungsländern bedarf einer integrierten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft. - Zu dieser Ihrer These haben wir sicherlich ein etwas gründlicheres Gespräch im Ausschuß zu führen.
Der Umfang der ökologischen Inhalte fordert eine umfassende fächer- und problemübergreifende Bildungspolitik. - Auch dem kann man wohl folgen.
Eine demokratische Gesellschaft braucht heute ökologisch gebildete Bürger, damit diese die ökologischen Probleme in ihren Wechselbeziehungen zu anderen Problemen erkennen und Entscheidungsprozesse angemessen beeinflussen. - Das ist sicherlich Auffassung aller Fraktionen.
In diesem Zusammenhang gelang es der Bundesregierung bereits 1990 in enger Zusammenarbeit mit der Bundestags-Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre", ein umfangreiches Konzept für die Bildungsbereiche zur Verknüpfung von Umweltforschung, -lehre und -praxis vorzulegen. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Schutz der Erdatmosphäre, eine Herausforderung an die Bildung" veröffentlicht.
Eine zentrale Rolle bei der Verknüpfung von Umweltforschung, -lehre und -praxis spielt der von der Bundesregierung 1992 berufene wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen". Der Forschungsrahmenkonzeption „Globale Umweltveränderungen" ist zu entnehmen, daß die Umsetzung von Forschungsergebnissen entscheidende Bedeutung für die soziale Akzeptanz umweltpolitischer Maßnahmen hat.
Die DFG fördert ferner Forschungsvorhaben aus allen Wissenschaftsgebieten und damit auch den interdisziplinären Bereich der Umweltforschung. Erinnert sei an das Waldschadens-Forschungsprogramm, mit dem im Umweltbereich erstmals in großem Stil Ansätze der verschiedenen Disziplinen auf die Erforschung eines Problems konzentriert wurden.
Dies hat ergeben, daß auch die anderen Umweltprobleme wie die Fragen der Klimaveränderung, des Abbaus der stratosphären Ozonschicht, der Verschmutzung der Troposphäre, insbesondere aber die Frage nach wirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen nur mit solchen umfassenden Ansätzen angegangen werden können.
Weit mehr als 160 Forschungs- und Entwicklungsprojekte, Modellversuche und Weiterbildungsvorhaben wurden inzwischen auf den Weg gebracht. Regelmäßige Fachtagungen dienen der Umsetzung der
Ergebnisse von Modellversuchen in Unterricht, in Lehrpläne, aber auch in Organisation der Umweltbildung.
Da wir die Dokumente, Richtlinien, Ergebnisse der Fachtagungen und Modellversuche sehr schnell in die Praxis umsetzen wollen, sind wir alle natürlich angehalten, schnell nach Lösungen zu suchen, um dies wirksam tun zu können. In dieser Beziehung gibt der Antrag der SPD sehr wertvolle Hinweise, wenngleich - Sie haben darauf hingewiesen, Herr Kuhlwein - viele Maßnahmen eher die Zuständigkeit der Länder als die des Bundes betreffen.
Dennoch muß es Gegenstand der gemeinsamen Bildungsplanung des Bundes und der Länder in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung sein, die Umweltbildung und die Umweltwissenschaft als festen Bestandteil in Lehre und Forschung aufzunehmen. In dieser Frage sind wir uns wohl in allen Fraktionen einig.
Daher wird es zu dem vorliegenden Antrag sicherlich eine sehr interessante Diskussion im Ausschuß geben.
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Als nächster spricht der Kollege Steffen Kampeter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über Umwelt und Bildung sprechen, sind wir uns sicherlich alle dessen bewußt, daß das Objekt dieser Bildung, nämlich Ausmaß und globale Dimension der Zerstörung unserer Schöpfung und die Bemühungen, diese Schöpfung zu bewahren, eines der vorrangigen Ziele nationaler und internationaler Politik ist.
Im Mittelpunkt unserer Politik steht ein Verständnis von Schöpfung, das den Menschen, die Natur und die Umwelt gleichermaßen erfaßt. Die Natur ist für mich nicht nur Nutzgut und Werkzeug für die Menschen; ihr kommt auch gewisse Eigenbedeutung zu. Menschliches Handeln und Wirtschaften müssen daher immer auch auf die Natur hin ausgerichtet werden.
Hierzu ist es sicherlich notwendig, daß wir zu den bisherigen Strukturprinzipien Solidarität und Subsidiarität eines hinzutreten lassen: den Kreislaufgedanken. Wir müssen gerade in bezug auf Umweltpolitik stärker in Kreisläufen denken und handeln und das menschliche Handeln in diese Netzwerke der Natur, in die Kreisläufe einbinden.
In Kreisläufen denken heißt heute auch, bei den Entscheidungen die Interessen der nachfolgenden Generationen mit zu berücksichtigen und sie in einem ökologischen Generationenvertrag einzubinden. Es ist die besondere Aufgabe des Staates und der Politik, diese Funktionsfähigkeit zu sichern.
Dabei geht es um ordnungsrechtliche Ge- und Verbote, aber vor allem um die Möglichkeiten, in der Umweltpolitik marktwirtschaftliche Instrumente anzuwenden und damit die dynamischen Marktprozesse in den Dienst der Umwelt zu stellen.
Grundlagen jedes umweltpolitischen Handelns sind zum einen Werthaltungen und zum anderen Informationen. Hier setzen natürlich zentral alle Bemühungen der Umweltbildung ein, weil sie sowohl Werthaltungen über umweltpolitische Entscheidungsprozesse prägt als auch Informationen über die Basis der Umweltpolitik liefert.
Als Vorsitzender des Kuratoriums der Bundeszentrale für politische Bildung - Herr Kuhlwein, auch Sie sind Mitglied dieses Gremiums -, weiß ich, welch hohen Stellenwert die Informationsvermittlung im Umweltbereich und bei Umweltbildungsmaßnahmen hat.
Das Bundesumweltministerium beispielsweise fördert mit 4,3 Millionen DM auch die Bildungsarbeit der Umweltverbände. Wir alle haben wahrgenommen, daß es kaum ein Thema gibt, bei dem Bildungsarbeit zu einem solchen Mehr an Sensibilität geführt hat.
Herr Kollege Kuhlwein, Sie haben vorhin gesagt, Umweltbildung sei auch umweltpolitische Bildung. Deshalb sage ich: Kern dieser Umweltbildung muß es sein, die Funktionszusammenhänge in einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft, also Markt und Paragraphen, darzustellen.
Es wurde auch viel von Konfliktmöglichkeiten gesprochen. Man muß dann natürlich auch die Kompromiß- und Konsensmöglichkeiten zu den Inhalten von Umweltbildung machen.
Im Geist des SPD-Antrags schwebt etwas mit, was offensichtlich nicht gehen soll, nämlich die Konflikte zwischen Ökologie und Ökonomie irgendwie in Einklang zu bringen. Ich halte dies für falsch. Es trifft nicht zu, daß ökologisch verantwortliches Handeln und ökonomisch erfolgreiches Handeln ein Gegensatz sein müssen. Im internationalen Wettbewerb werden sich nur diejenigen Unternehmen behaupten können, die auf zunehmende Knappheiten der Umweltfaktoren mit umweltentlastenden Innovationen antworten.
Wenn der SPD-Antrag kritisiert, daß das Bildungssystem vorrangig den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen genüge, wird unterschlagen, daß gerade dies die Voraussetzung für das ist, was die Sozialdemokraten gern die ökologische Kompetenz nennen. Die angebliche ökologische Kompetenz, die die ökonomischen Kompetenzen ignoriert, wird im Ergebnis sowohl ökologisch als auch ökonomisch nicht erfolgreich sein. Eine Umweltbildung, die diesen Grundzusammenhang negiert, wird niemals hierfür fortschrittlich tätig sein.
Eine Gesellschaft, die den technischen Fortschritt geringschätzt, wird niemals - wie es in dem Antrag heißt - nachhaltig wirtschaften können. Ein Konzept für Umweltbildung muß sich auch den Herausforderungen der ökologischen und sozialen Marktwirtschaft stellen, d. h. den umwelt- und wirtschaftspolitischen Erfordernissen stellen. Umweltbildung darf sie nicht verniedlichen; sie muß sie sachgerecht darstellen.
Wir werden im mitberatenden Umweltausschuß den Antrag der Sozialdemokraten gerade vor diesem Hintergrund sehr, sehr kritisch prüfen.
Herzlichen Dank.
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Nun spricht die Frau Kollegin Ulrike Mehl.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist erstaunlich, aber Tatsache: Die Erkenntnis, daß wir Menschen Teil der Natur und nicht ihr Vorgesetzter sind, hat sich erst in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit und damit auch in der Politik herumgesprochen. Dies hat sicherlich auch mit der starken Prägung unserer Kultur durch die christliche Religion zu tun.
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Danach sollten wir uns nämlich die Erde untertan machen.
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Es gab aber auch Kulturen, die großen Wert auf das möglichst harmonische Zusammenwirken von Menschen und Natur gelegt haben. Diese Kulturen hatten damit auch größtes Interesse daran, möglichst viel von den natürlichen Zusammenhängen zu wissen und dieses Wissen weiterzugeben, damit diese weitgehende Harmonie erhalten bleibt.
Wir dagegen haben uns darauf konzentriert, möglichst raffinierte Techniken zu entwickeln, um die natürlichen Ressourcen möglichst intensiv ausbeuten zu können, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Die Wissenser- und -vermittlung war und ist leider weitgehend immer noch auf intensive Nutzung, um nicht zu sagen: auf Ausbeutung, der Natur ausgerichtet. Heute wird dies um technische Reparaturversuche erweitert.
Unser Wirtschaftssystem und damit unser Wohlstand sind auf Naturzerstörung gegründet. Weil wir uns nicht um ökologische Zusammenhänge gekümmert haben, sondern unsere Umwelt immer nur in Abschnitte, in Fachbereiche unterteilt haben, ist diese fatale Entwicklung nicht aufgefallen. Ein wachsender Technikglaube tut ein übriges. Wir haben lange geglaubt, und viele glauben das auch immer noch, daß mit Technik jedes Problem zu lösen ist. Ich bin sicher, daß das ein Trugschluß ist.
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Wir stehen heute vor dem Problem, die vielfachen Folgen unseres Wohlstandswirtschaftens handhaben zu müssen und gleichzeitig unsere Wirtschaft in der Weise völlig neu zu strukturieren, daß eine dauerhafte Entwicklung überhaupt möglich ist. Das hat uns heute morgen ja auch Herr Töpfer bestätigt.
Die Probleme sind inzwischen so groß geworden, daß man sie nicht mehr verstecken kann und das Thema Umweltschutz in der öffentlichen Diskussion dadurch weit nach vorne gerutscht ist. Wer heute eine Zeitung aufschlägt, wird mit dem Thema konfrontiert. Das war vor zehn bis fünfzehn Jahren nicht so.
Während in den siebziger Jahren und Anfang der achtziger Jahre Umweltverbände begannen, den Wert einer intakten Natur zu vermitteln, beschränkte man sich im Biologieunterricht noch darauf, daß die Kinder Zellteilung abmalten. Erst die intensive Arbeit der Umweltverbände, in denen übrigens auch viele Lehrer engagiert waren und sind
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- ich bin keine Lehrerin -, die von sich aus versucht haben, anderes Wissen zu vermitteln, hat eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst.
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Nicht in den Schulen, nicht in den Betrieben, sondern zunächst durch die Umweltverbände wurde vernetztes Denken propagiert. Das Entscheidende dabei war, daß damit Akzeptanz für dieses Thema in der öffentlichen Diskussion geschaffen wurde.
Noch vor gut einem Jahrzehnt wurde man als armer Idiot milde belächelt, wenn man den Neubau einer Straße deshalb ablehnte, weil sie durch ein Naturschutzgebiet führen sollte. Ich habe selber einige Jahre sowohl als Behördenmitarbeiterin als auch als Verbandsvertreterin reichlich Erfahrungen dieser Art sammeln können.
Die Tatsache, daß im Umweltschutz engagierte Bürgerinnen und Bürger nicht mehr belächelt werden, sondern als Unterstützer oder auch Gegner ernst genommen werden, ist leider nicht dem frühzeitigen Einsetzen einer breit angelegten Umweltbildung zu verdanken, sondern der intensiven, meist ehrenamtlichen Arbeit von Menschen in Umweltverbänden und Bürgerinitiativen.
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Es wird also Zeit, daß auch der Staat seine Pflichten wahrnimmt und die Umweltbildung in allen Bildungsbereichen verankert. Darum fordern wir ein entsprechendes Programm und ein Gesamtkonzept „Umweltbildung" auch vom Bund ein. Ich bin mir auch darüber im klaren - das widerspricht dem gar nicht -, daß der Staat nicht alle solche Aufgaben übernehmen kann, sondern daß die Umweltverbände solche Bildungsaufgaben weiterhin mittragen. Deswegen ist es auch sehr wichtig, daß diese Verbände unterstützt werden. Anders wäre das gar nicht zu finanzieren.
Zur Umweltbildung gehört die Förderung von Sensibilität - auch dieses Wort ist schon gefallen - und Bewußtsein gegenüber ökologischen Zusammenhängen ebenso wie die Motivation und die Stärkung sozialer Handlungskompetenz in Ausbildung und Beruf. Die Sensibilität für Umweltfragen hat deutlich zugenommen. Einschneidende politische Maßnahmen etwa beim Abfall würden von großen Mehrheiten durchaus akzeptiert.
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Die Handlungsfähigkeit der Politik läßt demgegenüber häufig zu wünschen übrig.
Problembewußtsein ist Voraussetzung für politisches Handeln. Sensationen, Halb- oder Falschinformationen sind da eher kontraproduktiv.
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Zum Bewußtsein gehört deshalb auch Wissen, zumindest Grundwissen. Eine Politik, die Informationen vorenthält, braucht sich über Hysterie auf der einen oder Resignation auf der anderen Seite nicht zu wundern. Umweltbildung als öffentlich organisierte Umsetzung von Umwelterkenntnissen kann dazu beitragen, beides zu vermeiden und damit Staatsverdrossenheit abzubauen.
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Es muß in der Umweltbildung also darum gehen, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Staates möglichst viel über ökologische Zusammenhänge wissen - denn das wird nicht vom Heiligen Geist eingegeben -, sich entsprechend verhalten, aber auch Entscheidungen anderer, z. B. Ihre Entscheidungen, beurteilen können und befähigt werden, selber politisch zu handeln.
Am nächsten liegt das in der Kommunalpolitik, wo die vielen kleinen Entscheidungen, z. B. über das Zubetonieren von Flächen, getroffen werden. Gerade weil viele glauben, daß ihre einzelne kleine Entscheidung nicht so relevant sei, wird sie leichter getroffen. Aber dies wird unter Umständen in weiteren 1 000 Gemeinden beschlossen, und dann hat es eben deutliche Folgen. Beim Abwasser z. B. ist das sehr gut sichtbar geworden. Es ist eben nicht nur eine Gemeinde, sondern es sind sehr, sehr viele. Der Naturschutz dagegen wird sehr stiefväterlich behandelt.
Nebenbei bemerkt: Jeder weiß, wie wichtig in Sachen Bildung und Erziehung das Vormachen des Richtigen ist. Wenn also die Bundesregierung den Naturschutz nicht ernst nimmt oder das nicht nach außen transportieren kann, dann muß man sich nicht wundern, wenn das auch andere nicht tun. Eigentlich hätten wir deshalb ein Umweltbildungsprogramm für die Mitglieder der Bundesregierung an die erste Stelle unseres Antrags setzen müssen;
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denn Umweltbildung soll das eigene Verhalten auf der Grundlage von Wissen und Erkenntnis verändern.
Ich muß wissen, daß es keine unerschöpflichen Energiequellen gibt, daß der Verbrauch von Energie dramatische Folgen für unser Klima hat und daß hier nur massives Energieeinsparen die erste und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verwirklichende Antwort wäre.
Hohe Energiepreise würden natürlich das Energiesparen kräftig voranbringen. Nur setzt eine solche politische Entscheidung eine entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung voraus; und die bekommt man unter anderem durch Umweltbildung. Wenn der Mehrheit klar ist, daß wir kräftig an unserem eigenen Ast sägen, und wenn wirklich nachvollziehbare
Lösungen angeboten werden, ist diese Mehrheit auch bereit, das zu tragen. Das ist meine eigene Erfahrung bei Diskussionen vor Ort.
Es kann allerdings nicht nur um die private Verhaltensänderung jedes einzelnen Bürgers dieses Landes gehen, sondern das Wissen um ökologische Zusammenhänge muß auch Grundlage in Forschung und Lehre sein, gehört in jede Aus- und Fortbildung und muß Grundlage des Handelns auf allen Ebenen sein.
Hier kommt den Unternehmen eine besondere Bedeutung zu. Nicht der Verbraucher weiß, inwieweit er Produktumweltbelastungen erzeugt hat oder noch erzeugen wird, sondern der Hersteller. Insoweit hat das umweltbewußte Verbraucherverhalten durchaus Grenzen. Hersteller und Verteiler von Gütern wissen bzw. müßten wissen, was sie tun. Sowohl Produkte als auch der Herstellungsweg müssen im Betrieb auf Umweltverträglichkeit durchleuchtet werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß das geschieht, steigt natürlich mit dem umweltbezogenen Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das gilt also nicht nur für Unfälle, sondern auch für die ganz normale Produktion.
In dem Zusammenhang muß ich noch einmal ganz deutlich sagen, daß das Gerede - das ist hier zum Teil auch gesagt worden -, zu hohe Umweltauflagen würden den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, endlich aufhören muß.
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Wer soll denn bitte damit anfangen, wenn nicht wir?
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Rumänien oder andere Staaten sind wohl sicherlich noch schlechter in der Lage, damit anzufangen. Es würde ja auch niemand vernünftig finden, wenn dem Kapitän eines Schiffes, das Gold geladen hat und leckgeschlagen ist, der Rat gegeben würde, seine Fahrt fortzusetzen, weil es sein könnte, daß er andernfalls wegen Verlusts der Zuverlässigkeit keinen Auftrag mehr bekommt. Genau dies tun wir aber. Wir wissen, daß das Schiff untergehen wird, wenn wir nicht erst das Loch stopfen; wir fahren aber lieber weiter, weil angeblich das Geld zum Stopfen fehlt.
Daß dieser Irrsinn möglich ist, beruht unter anderem darauf, daß der großen Mehrheit der Menschen das Wissen um ökologische Zusammenhänge weitgehend fehlt. Wenn es anders wäre, würden die Menschen auf die Barrikaden gehen, weil wir immer noch dabei sind, mit einem leckgeschlagenen Schiff auf Reisen zu gehen. Diese Wissenslücken müssen durch Bildung und Ausbildung gestopft werden. Das ist eine öffentliche Aufgabe.
Ich möchte zum Schluß auch aus dem Minderheitsvotum der Enquete-Kommission „Bildung 2000" zitieren. Da steht geschrieben:
Eine noch so gelungene persönliche Entfaltung wird für den einzelnen wertlos, wenn Luft nicht mehr geatmet, Nahrung nicht mehr verzehrt und Wasser nicht mehr getrunken werden kann. Ein vortrefflich sozial organisiertes Gemeinwesen wird letztlich zerbrechen, wenn es auf Kosten anderer Teile der Welt und zu Lasten kommender Generationen besteht. Eine blühende Ökonomie wird wertlos, wenn ihr Wachstum auf die Zerstörung ihrer natürlichen Fundamente gegründet ist.
Ich hoffe, daß sich die Ausschüsse des Bundestages in ihren Beratungen von diesen unbestreitbaren Erkenntnissen tragen lassen.
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Nun spricht der Kollege Josef Hollerith.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Müllflut und Bodenvergiftung, Regenwaldzerstörung und Meeresverseuchung, Ozonloch und Treibhauseffekt - diese wenigen Stichworte bezeichnen die uns alle bedrohende Umweltkrise. Diese Bedrohung hat unser Bewußtsein verändert. In der öffentlichen Meinung ist der Umweltschutz deshalb das Problem Nummer eins geworden. Er ist neben der Wiedergewinnung der deutschen Einheit die drängendste politische Aufgabe, die in den nächsten Jahren konsequent gelöst werden muß. Umweltbildung ist daher ein unverzichtbarer Bestandteil einer vorsorgenden Umweltpolitik.
Außerordentlich erfreulich ist deshalb, daß eine lange Reihe von Umweltaspekten bereits Bestandteil von Lehrplänen ist. An vielen Schulen gibt es wertvolle Initiativen, die sogar eine beachtliche Außenwirkung haben, z. B. die Einrichtung von Schulgärten und Biotopen, die Artenschutzmaßnahmen, Reinigungsaktionen und Abfallkonzepte, aber auch denkmalpflegerische Aktivitäten und die Mitwirkung an der Lösung umweltpolitischer Fragen in der Gemeinde.
So hat auch die Kultusministerkonferenz im September 1992 folgende Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der schulischen Umwelterziehung in Deutschland beschlossen:
Koordinierung der umweltbezogenen Fächerbeiträge, Angebote handlungsorientierter Umwelterziehung in der Schule, Stärkung - darauf lege ich besonderen Wert - erlebnisorientierter Ansätze, außerunterrichtliche Veranstaltungen wie beispielsweise Lehrwanderungen und Schullandheimaufenthalte, Zusammenarbeit zwischen Schulen insbesondere bei außerunterrichtlichen Veranstaltungen, z. B. Austauschprojekten, Zusammenarbeit der Schulen mit Institutionen des schulischen Umfelds, z. B. Herausgabe von Informationsmaterial, Angebote der Lehrerfortbildung zur Umwelterziehung unter besonderer Berücksichtigung eines fächerübergreifenden didaktischen Ansatzes, Berücksichtigung von Umweltthemen in Wettbewerben. Das ist eine lange Reihe beschlossener und sinnvoller Maßnahmen.
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Umwelterziehung ist heute ein Anliegen aller europäischen Staaten und letztlich von internationalem Interesse und globaler Bedeutung. Die Länder in der Bundesrepublik Deutschland haben sich deshalb seit
Jahren an internationalen Programmen der Umwelterziehung beteiligt, sei es im Rahmen der Kultusministerkonferenz, einzelner Schulverwaltungen oder auch auf der Ebene einzelner Schulen. Der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf diesem Gebiet kommt nach Auffassung der Kultusministerkonferenz in Zukunft erhöhte Bedeutung zu.
Die Zukunft, meine Damen und Herren, wartet nicht. Die entscheidenden Weichen für eine effektive Verwirklichung des Umweltschutzes werden im Bildungsbereich gestellt. Der Bundesbildungsminister sprach von einer Aufgabe, die an den nationalen Grenzen nicht haltmache, die eine eminent politische Dimension habe und die vor allem die Lebenschancen der nachwachsenden Generationen betreffe.
Die Zukunft wartet nicht. Auch hier gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dies gilt für unsere europäischen Nachbarn, und dies gilt in besonderer Weise für den überflüssigen SPD-Antrag.
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Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Umwelt ist heute wieder einmal Thema Nummer eins in diesem Bundestag - scheinbar von gewaltiger politischer Bedeutung. Warum scheinbar? Geredet und versprochen wurde heute viel. Aber was passiert praktisch?
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- Das haben wir gestern im Verkehrsausschuß gemerkt, und darüber wird abschließend noch zu beraten sein.
Scheinbar aber auch, weil - und auf diese Lücke macht der SPD-Antrag mit Nachdruck aufmerksam - Umwelterziehung und -bildung in der Bundesrepublik noch immer stark unterbelichtet sind. Da helfen auch die besten Beispiele, Frau Kollegin Böhmer, nicht weiter.
Wenn in den vorangegangenen Debatten immer wieder der durchaus gerechtfertigte Einwurf kam, Umweltschutz fange bei jedem einzelnen an, dann müssen wir uns auch mehr Gedanken machen, wie die Bürgerinnen und Bürger und vor allem junge Menschen stärker zu eigenem umweltbewußten Handeln sensibiliert werden können. Hier ist sehr wohl, Kollege Ringkamp, der Staat in der Verantwortung. Stimmen Sie endlich zu, daß der Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen wird! Das ist der erste Schritt.
Im SPD-Antrag werden umfangreiche und konkrete Vorschläge unterbreitet. Ich hoffe nur, daß Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ihn nicht nur mit dem Verweis auf die angespannte Haushaltslage ablehnen. Es ist doch eine altbekannte Erfahrung: Heute am falschen Ende gespart, kostet morgen das Doppelte und Dreifache.
Meines Erachtens müssen wir in unseren Überlegungen aber wesentlich weitergehen. Umweltbildung und etwas für die Umwelt tun zu wollen, ist das eine. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht stimmen, kann sich großes Engagement schnell totlaufen.
Wenn also beispielsweise Jugendgruppen, die sich in den neuen Bundesländern für ihre unmittelbare Umwelt engagieren, immer wieder erfahren, daß sie mit nichtsagenden Versprechungen, mit Luftblasen abgespeist werden, ja, daß ihnen sogar Steine in den Weg gelegt werden, dann werden auch sie schnell müde. Genau das darf nicht passieren.
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Wir sollten deshalb in den Ausschüssen darüber beraten, wie wir die Bundesregierung auffordern können, auch die umweltpolitische Arbeit von regionalen Jugendprojekten auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu fördern. Dann hätten vielleicht z. B. die sehr engagierten Jugendlichen des Projekts „FinowKanal" in Eberswalde - einige befinden sich gerade auf der Tribüne - bessere Möglichkeiten für ihre Arbeit.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Dr. Norbert Lammert.
Dr. Norbert Lammert, Parl Staatssekretär beim Bundesminister für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat schon kontroversere bildungspolitische Debatten im Deutschen Bundestag gegeben als diese heute mittag zum Stellenwert von Umweltbildung und Umweltwissenschaft. Tatsächlich ist eine erfolgreiche Umweltpolitik ohne eine umfassende, früh einsetzende Umweltbildung vielleicht denkbar, aber nicht sehr erfolgversprechend.
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Deswegen hat es schon seine innere Logik, daß die mehrstündige Aussprache des Deutschen Bundestages zu materiellen und operativen Fragen der Umweltpolitik mit dieser Diskussion über Funktion und Bedeutung der Umweltbildung abgeschlossen wird.
Jeder Bürger sollte in der Lage sein, mit den entsprechenden rechtlichen und technischen Normen, mit Meßwerten und Umweltverträglichkeitsprüfungen, mit Produktanalysen und Ökobilanzen sowie vielen anderen Aufgaben und Fragestellungen wenn schon nicht sachverständig, so doch möglichst verständig umzugehen.
Von diesem Ansatz ausgehend fördert der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft seit 1986 mit Mitteln von inzwischen insgesamt immerhin 50 Millionen DM gemeinsam mit den Ländern, den Sozialpartnern und verschiedenen freien Trägern die inhaltliche und organisatorische Entwicklung von Umweltbildung und Umweltwissenschaften in Deutschland.
Die Maßnahmen des Bildungsministeriums reichen von der Projektförderung im Rahmen der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung und Wirtschaftsmodellversuchen gemeinsam mit den Betrieben bis hin zur Integration der Umweltbildung in Ausbildungsordnungen und Hochschulstudiengängen. Auf BMBW-Initiative sind die unter der deutschen Präsidentschaft im Mai 1988 verabschiedete Entschließung des EG-Ministerrates und der im Rat vereinigten Bildungsminister zur Umweltbildung sowie ein Beschluß des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung vom Februar 1988 sowie eine ergänzende Empfehlung vom Februar 1992 auf den Weg gebracht worden.
Dies alles ist in dieser Debatte ja auch dankenswerterweise gewürdigt worden und läßt den Schluß zu, daß das im SPD-Antrag beförderte Anliegen sicher nicht abschließend verwirklicht, aber ganz sicher seit langem auf dem Wege ist.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf von Waldburg-Zeil?
Bitte schön.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich eine Frage stellen, die mir sowohl nach Ihrer Aufzählung der guten Aktivitäten im Ministerium als auch in der Erinnerung an den ehemaligen Vorsitzenden der Enquete-Kommission „Bildung 2000" in den Sinn kommt? Es entsteht so ein bißchen der Eindruck, als ob Umweltbildung sozusagen erst aus jüngster Zeit resultiere. Ist es nicht vielmehr so, daß seit vielen Jahrzehnten Biologielehrerinnen und -lehrer eigentlich die Vorkämpfer dieses Gedankens waren und daß man auch ihrer in dieser Stunde gedenken sollte?
Das ist ganz ohne Zweifel so, wenngleich auch wiederum niemand ernsthaft wird bestreiten wollen, daß das Auf-den-Punkt-Bringen dieser Bemühungen unter der Überschrift Umweltbildung als selbstverständlicher Bestandteil auch moderner, realitätsbezogener Verhaltensorientierungen im Vergleich dazu ein jüngeres Produkt ist,
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das sich insofern sicher auch nicht auf ein einzelnes Fach wie beispielsweise Biologie beschränken darf.
Aber wahr ist, daß etwa das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre verstärkt solche Initiativen wegen unserer gemeinsamen Einsicht in die zentrale Bedeutung dieser Aufgabenstellung fördert. Ich erinnere an das Arbeitsprogramm Umweltbildung, dem im November 1989. ein umfangreicher Entwurf eines Gesamtkonzeptes zur Umweltbildung folgte, das in die BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung eingebracht worden ist. Wir stimmen offensichtlich ja darin überein, daß dies nun
möglichst schnell auch zu einem verbindlichen gemeinsamen Ergebnis gebracht werden muß.
Nicht zuletzt setzten die von rund 30 Experten des Bildungswesens erarbeiteten Empfehlungen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zur Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" vom September 1990 vielbeachtete Marksteine zur weiteren inhaltlichen Entwicklung des Themas unter dem Gesichtspunkt eines unbestritten globalen und zugleich zentralen Umweltproblems.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich darf Sie um eine kurze Unterbrechung bitten. Ich möchte gern über das Mikrofon sagen, daß wir in wenigen Minuten mit der Fragestunde beginnen werden. Da noch mindestens einer der Antwortgeber fehlt und eine Reihe der Fragesteller fehlen, möchte ich das einfach jetzt schnell gesagt haben, damit sich die Kolleginnen und Kollegen darauf einstellen können.
Bitte fahren Sie fort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! All diese Positionen, die ich und viele andere in dieser Diskussion ja auch noch einmal in Erinnerung gerufen haben, um deutlich zu machen, daß diese Bemühungen nicht heute beginnen, sondern gemeinsam fortgesetzt werden sollen, sind nicht zuletzt in wichtige politische Initiativen und Konferenzen umgesetzt worden, ganz besonders auffällig und prominent in die deutsche Position zur Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro.
Aber hier sind in den vergangenen Jahren eben nicht nur Grundsatzpapiere formuliert und ausgetauscht worden, sondern es sind konkrete Maßnahmen ergriffen worden, die sich auf solche formulierten Grundsatzpositionen beziehen. Allein das BMBW hat über 50 Vorhaben - zum Teil allein, zum Teil mit den Ländern und anderen Partnern - finanziell gefördert.
Insofern, denke ich, kann man ohne jede Selbstgefälligkeit, aber doch mit einer gewissen Genugtuung sagen: Umweltbildung ist in Deutschland inzwischen durchaus etabliert. Wenn wir nur selber etwas aufmerksam die gelegentlich kritischen Rückfragen und das manchmal auffällig demonstrative Verhalten der eigenen Kinder in diesem Zusammenhang beobachten und mit dem vergleichen, wie wir uns selber in gleichem Alter - teilweise auch heute noch - bei gleichen Sachverhalten verhalten haben, dann läßt sich ein insoweit erfreulicher und ganz handfester Fortschritt beim besten oder auch beim schlechtesten Willen nicht übersehen. Insoweit begrüßt die Bundesregierung ausdrücklich den SPD-Antrag „Umweltbildung und Umweltwissenschaften".
Der aufmerksame Leser stellt fest, daß der Antrag der SPD in Begründung und Forderungen mehrfach ausdrücklich die Bedeutung der Initiativen und Vorhaben des BMBW hervorhebt. Daher bin ich zuversichtlich, daß wir - unbeschadet mancher kontrovers zu diskutierender Punkte, die auch in dieser Diskus13072
sion deutlich geworden sind - gemeinsam konstruktiv im Deutschen Bundestag die Sache von Umweltbildung und Umweltwissenschaften weiter voranbringen können.
Wenn wir uns - was gelegentlich nützlich und möglich ist - über das unvermeidliche Rollenverständnis hinwegheben, dann wird eine Lektüre des Protokolls dieser Debatte sicher deutlich machen, daß der mit Abstand größte Teil dessen, was hier jeweils vorgetragen worden ist, wechselseitig zustimmungsfähig wäre.
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Wenn der Kollege Wolfgramm heute noch gesprochen hätte, hätte man - dessen bin ich sicher - auch dem, was er vorgetragen hätte, ausdrücklich zustimmen können. Das will ich der Vollständigkeit halber hinzufügen.
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Eine konjunktivische Debatte.
Meine Damen und Herren, der Antrag der SPD ist allerdings sehr umfassend angelegt. Einige Punkte werden wir mit Mitteln der Bundesregierung auf den Weg bringen können. Bei anderen werden wir berücksichtigen müssen, daß eine Gesamtkonzeption zur Umweltbildung letztlich nicht ohne eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern, den Sozialpartnern und den freien Trägern der Weiterbildung und der außerschulischen Jugendbildung möglich ist. Das wird im Antrag auch ausdrücklich eingeräumt. Insbesondere in Schule und Hochschule, aber auch im schulischen Teil der Berufsbildung bedarf es einer intensiven Abstimmung mit den Ländern.
Ich will aus meiner Einschätzung keinen Hehl machen: Die Reichweite der Forderungen und Ansprüche dieses Antrags, so wie er jetzt formuliert ist, erscheint mir nicht unter dem Gesichtspunkt des vorgesehenen Terminplans, nämlich Abschluß dieser Operation bis Mitte 1993, nicht realistisch. Aber das schließt eine sorgfältige, auf den Punkt bezogene Beratung der einzelnen Vorstellungen nicht nur nicht aus, sondern macht sie um so notwendiger.
Auf einen den Antragstellern unterlaufenen Widerspruch erlaube ich mir in diesem Zusammenhang allerdings hinzuweisen. Es ist nicht ohne weiteres plausibel, daß die Mehrheit der SPD-Fraktion auf der einen Seite bei den Beratungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission fordert, die Kompetenzen des Bundes in Bildungsfragen, insbesondere was die Hochschulrahmenkompetenz betrifft, erheblich zu beschneiden, auf der anderen Seite aber einen Beschluß des Deutschen Bundestages herbeiführen will, beispielsweise das Institut des Umweltbeauftragten in das Hochschulrahmengesetz aufzunehmen,
weil man insoweit offensichtlich den Initiativen von 16 einzelnen Ländern nicht hinreichend traut.
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- Das fällt wahrscheinlich eher in die Kategorie der politischen Bildung, wie der Kollege Meckelburg gerade durch Zwischenruf deutlich macht.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein?
Mit Vergnügen.
Herr Staatssekretär, auf Ihre letzte Bemerkung hin die Frage: Ist Ihnen verborgen geblieben, daß sich die Bildungspolitiker auch der SPD im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft engagiert dafür eingesetzt haben, daß die Zuständigkeit des Bundes, so, wie sie heute im Grundgesetz steht, als Rahmengesetzgebungskompetenz im Hochschulbereich erhalten bleibt, und daß durch dieses Hohe Haus noch nicht entschieden ist, ob und inwieweit eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes Platz greifen wird?
Herr Kollege Kuhlwein, der Bundesregierung bleibt wenig verborgen. Deswegen ist ihr auch das aufgefallen. Aber Ihnen ist offensichtlich verborgen geblieben, daß ich aus genau diesem Grunde formuliert habe, daß ich unverständlich finde, daß die Mehrheit der SPD eine solche Initiative betreibt, während gleichzeitig die Bildungspolitiker - was ich ausdrücklich mit Respekt anerkennen will - eine Erweiterung von Bundesaufgaben beispielsweise in diesem Bereich anstreben.
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- Das gehört wiederum zu den wechselseitig zustimmungsfähigen Bemerkungen dieser Debatte, auf die ich eingangs, sozusagen im Vorgriff auf diesen Zwischenruf, hingewiesen habe.
Meine Damen und Herren, Umweltbildung und Umweltwissenschaften sind ein unverzichtbarer Teil einer modernen vorsorgenden Umweltpolitik. Die Integration der Umweltbildung in umweltpolitische Initiativen erleichtert deren Vermittlung an Bürgerinnen und Bürger sowie deren konkrete Umsetzung in den jeweiligen gesellschaftlichen Handlungsfeldern.
Die Komplexität der ökologischen Inhalte wiederum fordert eine umfassende, fächer- und problemübergreifende Bildungspolitik, die den Lernenden hilft, die schwierigen Zusammenhänge zwischen ökonomischen, ökologischen, technischen, sozialen und kulturellen Fragen zu verstehen und in verantwortliches Handeln in Haushalt, Beruf und Freizeit umzusetzen. Ich unterstreiche gerne die nachdenklichen Bemerkungen, die verschiedene Kollegen in der Debatte vorhin gemacht haben, was die gelegentliche
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert Eindimensionalität von Zuordnungen in diesem komplizierten Geflecht von Aufgabenstellungen betrifft.
Die Bundesregierung freut sich, daß diese Grundsätze offensichtlich von allen Fraktionen des Bundestages geteilt werden und damit eine konstruktive Zusammenarbeit in diesem für eine moderne Umweltpolitik wesentlichen Handlungsfeld in den diesen Debatten folgenden Beratungen in den Fachausschüssen und - was noch wichtiger wäre - darüber hinaus gesichert erscheint.
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Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/3768 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 12/4734 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 auf, die der Kollege Bernd Reuter gestellt hat:
Treffen Presseberichte zu, die besagen, daß beim Bau des Bonner Abgeordnetenhochhauses bautechnische Mängel durch die Beschäftigung von Schwarzarbeitern und Asylbewerbern entstanden sind?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte um die Beantwortung.
Herr Kollege Reuter, die Presseberichte vom 8. und 10. April 1993 über angebliche Baumängel bei der Neubaumaßnahme des Deutschen Bundestages in der Kurt-Schumacher-Straße in Bonn treffen nicht
zu.
Die von der Bundesbaudirektion sofort, nachdem ihr die Vorwürfe bekanntgeworden sind, eingeleitete bautechnische Untersuchung, hat ergeben, daß der Verdacht auf unkorrekte Bauausführungen jeder Grundlage entbehrt.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln wegen des Verdachts illegaler Beschäftigung gegen einen Auftragnehmer der Bundesbaudirektion sind noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Reuter.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Werkverträge, die mit Arbeitnehmern aus osteuropäischen Ländern abgeschlossen werden, ein Einfallstor für solche illegalen Beschäftigungen sind, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das zukünftig zu verhindern?
Sie wissen, daß die Anzahl der Werkarbeitsverträge schrittweise zurückgeführt wird. Von seiten des Bundes drängen wir darauf, daß eine konkrete Kontrolle vor Ort erfolgt.
Herr Kollege Reuter, Sie sind ein erfahrener Abgeordneter. Sie wissen, daß diese Frage in einem so unendlich weiten Zusammenhang mit der Ursprungsfrage stand, daß sie eigentlich keine rechte Zusatzfrage war. Sie haben jetzt trotzdem eine zweite Zusatzfrage.
Ich erlaube mir die Bemerkung, Herr Präsident - obwohl es unüblich ist -, daß durch diese illegale Tätigkeit Schäden entstanden sind und daß die Werkverträge ein Einfallstor bilden. Deshalb hatte ich mir erlaubt, den Verbindungsbogen zu den Werkverträgen zu schlagen.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, welche volkswirtschaftliche Schäden durch illegale Tätigkeit am Bau entstehen?
Diese Zahlen liegen konkret nicht vor. Ich versuche, sie Ihnen nachzureichen.
Ich rufe die Frage 2 auf, die ebenfalls der Kollege Bernd Reuter gestellt hat:
Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung diese Vorgänge?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege Reuter, diese Frage hängt mit der ersten eng zusammen. Ich kann darauf nur antworten, daß die Bundesregierung jede illegale Beschäftigung von Arbeitskräften verurteilt.
Strebt die Bundesregierung Regelungen an, daß bei zukünftigen Vertragsabschlüssen expressis verbis darauf abgehoben wird, daß solche illegalen Beschäftigungen von vornherein nicht möglich werden?
Auf Bundesbaustellen ist schon eingeführt, daß der Sozialversicherungsausweis vorzuweisen ist und daß Baustellenausweise ausgegeben werden. Ich glaube, das ist ein breites Feld, das dieser Absicherung dient.
Keine weitere Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bedanke mich für die Beantwortung. Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Für die Frage 19 ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Vizepräsident Hans Klein
Ich rufe die Frage 20 auf, die der Kollege Gernot Erler gestellt hat:
Welche Auswirkungen hat die „Operation Deny Flight" bisher auf die Versorgung der Zivilbevölkerung von Bosnien-Herzegowina mit humanitären Hilfsgütern gehabt?
Ich bitte um Beantwortung.
Herr Kollege, die „Operation Deny Flight" hat bisher keine Auswirkungen auf die Versorgung der Zivilbevölkerung von Bosnien-Herzegowina mit humanitären Hilfsgütern gehabt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Erler.
Herr Staatsminister, mir sind Berichte bekannt, daß unmittelbar nach der Verkündung der „Operation Deny Flight" die Hilfslieferungen in drei bosnische Städte eingestellt worden sind. Wollen Sie damit sagen, daß Ihnen diese Berichte nicht bekannt sind?
Ich will nicht sagen, daß mir Berichte nicht bekannt sind, die Ihnen bekannt sind. Ich wollte nur feststellen, daß wir Ihre Frage, ob die Operation selber zu Schwierigkeiten bei der Versorgung geführt hat, so nicht mit Ja beantworten können. Das heißt, es wird sehr schwer sein, Herr Kollege, festzustellen, ob ein Zusammenhang zwischen den dauernden Störungen der Hilfslieferungen und dieser Operation besteht. Jedenfalls kann das Auswärtige Amt Ihre Frage nicht bejahen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie mit mir übereinstimmen, daß auch heute noch mehrere Hunderttausend Menschen in Bosnien-Herzegowina von humanitären Hilfsleistungen abhängig sind, die jeweils der Zustimmung der verschiedenen Konfliktpartner, darunter auch der serbischen Seite, bedürfen, meinen Sie dann nicht auch, daß man deswegen bei der „Operation Deny Flight" durchaus von einer Gefährdung der Versorgung dieser Bevölkerung im Sinne einer Verschlechterung über das bisherige Maß hinaus ausgehen kann?
Sie fragen mich jetzt nach einer Hypothese - „ausgehen kann" -, Herr Kollege; Sie haben nicht gesagt: ausgeht. Ich kann nur feststellen, daß ein Zusammenhang zwischen der Durchführung der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängten Operation, nämlich die Flugverbotszone zu sichern, und der Lieferung von Hilfsgütern an die notleidende Bevölkerung in dem von Ihnen nachgefragten Sinn nicht erkennbar ist.
Wünscht noch einer der anderen Kolleginnen oder Kollegen eine Zusatzfrage zu dieser Frage zu stellen? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 21 auf, ebenfalls gestellt vom Kollegen Erler:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für die Zukunft, trotz der „Operation Deny Flight" mit den serbischbosnischen Vertretungen zum Konsens über die Fortführung humanitärer Hilfsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung in Bosnien-Herzegowina zu kommen?
Herr Kollege, zunächst wird darauf hingewiesen, daß nach geltendem humanitären Völkerrecht, insbesondere dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II von 1977, die Zivilbevölkerung einen weitgehenden Anspruch auf Gewährung von humanitären Hilfsmaßnahmen hat. Es bedarf daher rechtlich nicht des Konsenses der bosnischen Serben, da sie grundsätzlich bereits verpflichtet sind, Hilfsgüter durchzulassen.
Darüber hinaus rufen einschlägige Resolutionen des Weltsicherheitsrates - ich denke z. B. an die Resolution 764 - alle Parteien dazu auf, humanitäre Hilfe tatsächlich zu erleichtern.
Die Bundesregierung hat wie auch der für die humanitäre Hilfe international zuständige UNHCR bisher keine Veränderung in der von serbischer Seite offiziell vertretenen, verbal positiven Haltung festgestellt. Dieses steht allerdings im Gegensatz zu den Schikanen durch serbische Bewaffnete vor Ort, die kaum eine Gelegenheit auslassen, humanitäre Hilfe zu behindern. Hieran wird die „Operation Deny Flight" aller Voraussicht nach nichts ändern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie berufen sich auf juristische Grundlagen und auch auf Resolutionen, die Appellcharater haben. Kann ich davon ausgehen, daß Sie mit mir darüber übereinstimmen, daß die Sache in der Praxis etwas anders aussieht, nämlich daß Hilfslieferungen, Hilfskonvois, die nicht von Blauhelmen begleitet werden, praktisch nicht durchgeführt werden können, daß aber für diese Begleitung von Blauhelmen sehr wohl eine Zustimmung der jeweiligen örtlichen Befehlshaber der verschiedenen Konfliktparteien notwendig ist und daß die bisherige Versorgung der Zivilbevölkerung von Bosnien-Herzegowina zu einem nicht unerheblichen Teil gerade auf der Bereitschaft auch der serbischen Seite beruht, von Fall zu Fall mit bestimmten Ausnahmen solche Lieferungen zuzulassen?
({0})
Herr Kollege, ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß in BosnienHerzegowina seit langem Hilfslieferungen des UNHCR und anderer Organisationen, auch die Durchsetzung dieser Transporte in die notleidenden Gemeinden und Städte immer wieder behindert worden sind und daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der jetzt vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen und auch durchgeführten Operation, die Serben davon abzuhalten, Angriffe aus der Luft auf Bosnien-Herzegowina zu führen, und solchen Schikanen nicht gegeben ist. Das wäre eine Konstruktion.
Sie müssen davon ausgehen, daß, bevor diese Operation eingeleitet worden ist, solche Störungen schon ununterbrochen geschehen sind. Es liegt die verbale Zusage der bosnischen serbischen Seite vor, was natürlich an der Praxis der immer wieder auftretenden Behinderungen leider nichts geändert hat.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, meine Fragen beziehen sich in der Tat auf die Praxis. Wir sind uns ja darüber einig, daß die serbische Seite im Grunde genommen ständig gegen die Verpflichtungen, denen sie völkerrechtlich und auch sonst im menschlichen Bereich unterliegt, verstößt.
Aber ich frage Sie noch einmal: Was wird denn die Bundesregierung tun, wenn sich entgegen der rechtlichen Verpflichtung, entgegen den allgemeinen verbalen Zusagen die serbische Seite in Zukunft noch mehr in das Unrecht flüchtet, Hilfstransporte auf Grund von „Deny Flight" zu behindern?
Ich sage noch einmal: Erstens. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen „Deny Flight" und solchen Behinderungen können wir nicht feststellen.
Zweitens. Die Bundesregierung ist nicht allein dafür zuständig, ob die Durchsetzung dieser Transporte erfolgt oder nicht, sondern das ist eine Sache der internationalen Staatengemeinschaft, der Vereinten Nationen, des UNHCR und anderer mehr.
Wir werden mit den Staaten, die sich bemühen, die notleidende Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina zu unterstützen, alle nur denkbaren Möglichkeiten, die uns gegeben sind, zur Durchführung dieser Transporte ausschöpfen. Aber Sie wissen, wie schwierig das ist, solange es keine anderen Mittel gibt als die derzeit verfügbaren.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Freimut Duve.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die serbische oder besser die Tschetnik-Seite beim Verhungern-Lassen eines Teils der Bevölkerung von Srebrenica jedes Argument - aber auch jedes - genutzt hat, um diese genozidhaften Handlungen des Verhungern-Lassens und Grasessen-Lassens durchzuführen, so daß die Frage, welches zusätzliche Argument man jetzt noch benennt, sekundär ist? Ist der Bundesregierung bekannt, daß der sogenannte Präsident Karadžić in erpresserischen Briefen an das Rote Kreuz in Genf - einen davon habe ich in Tuzla sehen können - davon gesprochen hat, daß er für die Sicherheit von Rotes-Kreuz-Mitarbeitern, die sich nach Srebrenica begeben wollten, nicht garantieren könne - was auf deutsch heißt, wir werden sie erschießen -, daß er in dieser Weise erpresserisch da tätig ist, wo die Geiselnahme ganzer Bevölkerungen bereits stattgefunden hat?
Herr Kollege Duve, Sie sprechen die schlimmen Tatbestände an. Sie selbst haben die Bundesregierung durch Ihren eigenen Besuch auf die Vorgänge, die Sie ansprechen, aufmerksam gemacht. Ich teile mit Ihnen die Auffassung, daß alle solche Versuche, auch die Briefe an das Rote Kreuz, aufs schärfste zu verurteilen sind. Aber es stehen uns derzeit leider keine anderen Mittel zur Verfügung - das haben Sie nicht gefragt; das war schon aus der Antwort auf die Frage des Kollegen Erler ersichtlich, die ich gegeben habe -, um uns durchzusetzen, um den Menschen zu helfen.
Sie können gleich stehen bleiben, Herr Kollege Duve.
Die nächste Frage, die Frage 22, ist vom Kollegen Freimut Duve gestellt:
Ich frage die Bundesregierung, aus welchen Gründen die mit Antrag der Fraktion der SPD ({0}) geforderten 20 Mio. DM für Humanitäre Soforthilfe für die Menschen in Bosnien-Herzegowina - trotz der zustimmenden Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses ({1}), die im Deutschen Bundestag am 15. Oktober 1992 einstimmig angenommen wurde - nicht bereitgestellt worden sind?
Ich bitte um Beantwortung, Herr Staatsminister.
Die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, Herr Kollege Duve, stand, wie aus der Drucksache hervorgeht, ausdrücklich unter dem Vorbehalt eines zustimmenden Votums des Haushaltsausschusses.
Der Antrag der SPD-Fraktion ist am 14. Oktober 1992 im Haushaltsausschuß beraten worden. Der Ausschuß war mehrheitlich der Auffassung, daß das Auswärtige Amt im Rahmen der humanitären Hilfe die Situation in Bosnien-Herzegowina ausreichend berücksichtigt hatte und daß durch die bereits erfolgten Leistungen der Antrag der SPD-Fraktion großenteils gegenstandslos geworden war.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
War es auch die Meinung der Bundesregierung - weil die Regierungsfraktionen so entschieden hatten -, daß die spezifische, auf Bosnien orientierte Hilfe in dieser Situation vor dem Winter nicht noch aufgestockt werden müsse, da die Gesamthilfe ausreichte? Steht nicht die Meinung der Mehrheit des Haushaltsausschusses im krassen Gegensatz zu den notwendig gewordenen Aufstokkungen für den Winter, die später auch die bosnischen Gebiete betrafen, und dann auch vollzogen worden sind?
Herr Kollege, Sie werden mir sicher verzeihen, wenn ich als Vertreter der Regierung nicht Kritik an der Mehrheit eines Ausschusses des Deutschen Bundestages übe, der, wie wir beide wissen, zudem noch eine ziemlich große Bedeutung hat. Ich möchte von mir aus dazu nur sagen, daß wir unsere Hilfe - unabhängig von dem Antrag, den Sie seinerzeit eingebracht haben - ja fortlaufend erhöht haben.
Ich darf in dem Zusammenhang, obwohl Sie nicht danach gefragt haben, vielleicht doch noch einmal folgendes sagen: 1992 betrug die gesamte bilaterale Hilfe von Deutschland für Bosnien-Herzegowina bzw. für den Gesamtraum 100,9 Millionen DM. Darüber hinaus beträgt der deutsche Anteil an der EG- Hilfe im gleichen Jahr 161,9 Millionen DM. Es gibt inzwischen nach dem Notruf von Frau Ogata, der UNHCR, eine zusätzliche Zusage in Höhe von 5 Millionen DM, die wir jetzt zur Verfügung stellen. Es gibt außerdem Verhandlungen über weitere 15 Millionen DM, die aus dem Haushalt des BMZ für dringend notwendige Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden sollen.
Ich will jetzt keine Verbindung zwischen den 20 Millionen DM, die Sie nachträglich einklagen, und der Bereitschaft der Bundesregierung, zusätzlich etwas zu zahlen - das macht etwa die gleiche Summe aus -, herstellen, aber ich möchte doch klarmachen, daß wir nicht aufhören, mit zusätzlichen Mitteln die dringend notwendigen Bemühungen sowohl des UNHCR als auch anderer Organisationen zu unterstützen und alles zu tun, um die Not zu lindern.
Zweite Zusatzfrage.
Angesichts der Ereignisse der letzten Tage, bei denen auch kroatische Soldaten in Bosnien Angriffe auf die muslimische Zivilbevölkerung unternommen haben, stelle ich die Frage: Kann die Bundesregierung nunmehr sicherstellen, daß unsere von Zagreb aus organisierte humanitäre Hilfe gezielt bosnische Bedürftige erreicht und daß dies auch mit Nachdruck gegenüber der kroatischen Regierung und der Regierung von Bosnien-Herzegowina durchgesetzt werden kann, so daß die Raubüberfälle auf deutsche Hilfslieferungen durch diese kroatischen Checkpoints aufhören?
Herr Kollege, ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen jetzt eine Zusage dahin gehend machen kann, daß es der Bundesregierung gelingt, die Kroaten, von denen jetzt die Rede ist, daran zu hindern, sich Hilfsgüter, die aus Kroatien nach Bosnien gehen sollen, anzueignen. Aber ich finde den Aspekt, den Sie jetzt in die Debatte bringen, außerordentlich wichtig.
Ich selbst bin der Auffassung, daß wir auch dieser Frage nachgehen müssen, was ja nicht heißt, daß wir die unsäglichen Grausamkeiten der serbischen Seite verwässern wollen. Ich halte es aber für falsch, wenn Vorgänge, die sich daneben abspielen und die wiederum die Menschen in Bosnien - vor allem die Muslime - betreffen, völlig übersehen werden und man sich ausschließlich auf die serbische Seite konzentriert.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Erler.
Herr Staatsminister, die Frage des Kollegen Duve nach einer gewissen Zögerlichkeit des Deutschen Bundestages, eines Ausschusses und auch der Bundesregierung, die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung Bosnien-Herzegowinas vom Umfang her zu erhöhen, kann ja sehr leicht in einen Zusammenhang mit der jetzigen Bereitschaft der Bundesregierung gestellt werden, eine militärische Durchsetzung des Flugverbots durchzuführen. Können Sie, nachdem Sie soeben die Zahlen in bezug darauf genannt haben, was die Bundesregierung 1992 im Rahmen von nationalen und europäischen Programmen für die Zivilbevölkerung Bosnien-Herzegowinas aufgebracht hat, sagen, wie hoch die Kosten für die AWACS-Einsätze sein werden?
Herr Kollege, das wäre eigentlich eine Frage für das Verteidigungsministerium. Ich kann sie Ihnen nicht beantworten. Aber ich glaube kaum, daß die AWACS-Einsätze, nachdem es dabei ja nicht darum geht, daß sie in anderer Weise
als zuvor durchgeführt werden, sondern lediglich darum, daß sie noch andere Zielsetzungen haben, teurer sind als vorher.
Im übrigen ereigneten sich die Vorgänge, auf die Herr Duve verwiesen hat, ja im Oktober vergangenen Jahres. Zu dem Zeitpunkt war überhaupt noch nicht die Rede von einem AWACS-Einsatz. Ich glaube nicht, daß der Haushaltsausschuß im Oktober vergangenen Jahres im Hinblick auf eine Entwicklung im April dieses Jahres gesagt hat: Wir können die Mittel nicht erhöhen. Es ging vielmehr um die Gesamtsumme, und es ging - das muß ich hinzufügen - natürlich darum, daß wir nicht nur in Bosnien-Herzegowina in Form von humanitären Operationen tätig sind. Zum damaligen Zeitpunkt mußte auch noch die Operation in Somalia - Abwurf von Hilfsgütern - verlängert werden, die erheblich mehr Mittel erfordert hat.
Danke sehr, Herr Staatsminister.
Die Frage 23, die der Kollege Hans Wallow gestellt hat, soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit schließe ich die Fragestunde. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. Mai 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässern
- Drucksache 12/4471 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Gesundheit
({1})
Für diesen Tagesordnungspunkt besteht ausweislich der Besetzung des Plenums ganz offensichtlich ein „dringendes Diskussionsbedürfnis". Meine verehrten Damen und Herren, ich stelle die Frage, ob wir diesen Tagesordnungspunkt nicht ohne Aussprache erledigen sollten. Ich halte es für ausgesprochen sinnlos, über ihn im Kreise von sechs Kollegen zu diskutieren.
({2})
- Wenn Sie mit einer Überweisung ohne Aussprache einverstanden sind, wogegen sich kein Widerspruch erhebt, dann haben wir das so beschlossen. Der Gesetzentwurf wird an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen.
({3})
Vizepräsident Hans Klein
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Roth, Gerd Andres, Hermann Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital
- Drucksache 12/2839 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Rechtsausschuß
Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
({5})
Ich darf die Parlamentarische Geschäftsführerin der antragstellenden Fraktion fragen, in welcher Zeit die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt nicht darauf eingerichtet waren, ihrer Meinung nach herbeigerufen werden können.
({6}) - Ich unterbreche die Sitzung für 10 Minuten.
({7})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 10 eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Jens das Wort.
Herr Präsident! Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren, nach der Unterbrechung dieser Sitzung.
Mit dem Untergang des Kommunismus bekennen sich fast alle Nationen zu Demokratie und Marktwirtschaft. Allerdings werden die Grundprinzipien der Marktwirtschaft in den einzelnen Ländern unterschiedlich interpretiert. Es sind verschiedene Varianten der Marktwirtschaft entstanden, zwischen denen zum Teil sogar ein Wettbewerb stattfindet.
In der kapitalistischen Marktwirtschaft amerikanischer Prägung geht es um kurzfristige Gewinnmaximierung in den Unternehmen und mehr um eine quantitative Konsumorientierung der Verbraucher. In dieser Wirtschaftsordnung ist die Entlassung von Mitarbeitern zur Rationalisierung und zur Kostensenkung nur konsequent.
Den Gegenpol bildet - auch nach Ansicht von Lester Thurow - die japanische Produzentenökonomie. Sie geht davon aus, daß der Mensch ein soziales Wesen ist und danach trachtet, einem starken Verband anzugehören. Hierzu gehört, daß Arbeitnehmer und Unternehmer am gleichen Strang ziehen, daß sie versuchen, Marktanteile für ihr Unternehmen zu gewinnen, daß sie versuchen, neue Märkte zu erobern.
Mir scheint, in diese Richtung müssen auch wir unsere sogenannte Soziale Marktwirtschaft weiterentwickeln.
({0})
Ein entscheidender Schritt in diese Richtung wäre eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, wie sie mit unserem Antrag, über den wir heute diskutieren, verlangt wird. Dies steigert das Interesse der einzelnen Mitarbeiter an den Unternehmen. Dies wäre ein Beitrag, um die Produktionsbedingungen in unserer Marktwirtschaft zu verbessern.
Dieser Beitrag wäre aus meiner Sicht auf alle Fälle wirksamer als die etwas ominöse Standortsicherungsbemühung der Bundesregierung durch das sogenannte Standortsicherungsgesetz.
({1})
Auch die immer größer gewordene Kluft in der Verteilung rechtfertigt, glaube ich, eine neue Initiative im Bereich der Beteiligung am Produktivvermögen. Von 1982 bis 1992 hat sich der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen um 7 % verringert. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Unternehmereinkommen um 6,5 % gestiegen.
({2})
Im Zeitraum von 1982 bis 1992, also in elf Jahren, sind die Einkommen netto und real lediglich um 7 % gestiegen. Bei aller Vorsicht beim Umgang mit diesen Daten wurden damit immerhin 150 Milliarden DM von den Arbeitnehmern auf die Unternehmer umverteilt. In diesen elf Jahren gab es allein sechs Jahre, in denen das Nettorealeinkommen sank, und nur vier Jahre, in denen es stieg.
Ich kann jedem, der das nicht glaubt, immer nur das Statistische Taschenbuch des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung 1992 empfehlen. Es ist geradezu ein Lexikon der verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik dieser Bundesregierung.
({3})
Produktion und Verteilung sind in einer Marktwirtschaft, wie wir sie verstehen, keine Gegensätze, meine Damen und Herren. Sie stehen vielmehr in einem Wechselverhältnis. Selbstverständlich - das ist eine Binsenwahrheit - kann man erst etwas verteilen, was vorher produziert worden ist. Zur effizienten Produktion und zum Absatz der Produkte gehört in einer marktwirtschaftlichen Ordnung aber auch eine faire und angemessene Verteilung. Schon der alte Henry Ford wußte genau, daß er den Arbeitnehmern soviel Einkommen zukommen lassen mußte, daß sie in der Lage sind, die produzierten Autos selbst zu kaufen.
Durch die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen könnte langfristig die Ungleichheit der Verteilung ein wenig ausgeglichen werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Nach zwölf Jahren einseitiger, angebotsorientierter Wirtschaftspolitik liegen die wirtschaftlichen Probleme in diesem Jahr vor allem auch auf der Absatzseite. Die Leute können das, was sie produzieren, nicht mehr verkaufen, weil
nicht genug Absatz vorhanden ist. Die in der deutschen Wirtschaft vorhandenen Kapazitäten waren noch nie so schlecht ausgelastet wie jetzt. Der Aufbau neuer Produktionskapazitäten in den neuen Bundesländern wird von allen Großunternehmen zurückgestellt, weil sie keine neuen Kapazitäten gebrauchen können. Die Verteilungsproblematik, die damit zusammenhängt, ist von dieser Regierung sträflich vernachlässigt worden.
({4})
Die durch die Gewerkschaften praktizierte Lohnpolitik stößt aber zweifellos an eine verteilungspolitische Grenze. Solange die Arbeitnehmer die Lohneinkommen vorwiegend in den Konsum fließen lassen, werden dadurch automatisch die Voraussetzungen geschaffen, Kostensteigerungen durch Preiserhöhungen auszugleichen. Deshalb ist ein Umdenken auch in der Tarifpolitik erforderlich. Die meisten Gewerkschaften sind dazu bereit. Die IG Bau-Steine-Erden hat vor einigen Monaten ein Tarifmodell einer leistungs- und erfolgsorientierten Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand der Öffenlichkeit vorgestellt. Die IG Chemie hat entsprechende Vorschläge unterbreitet. Die Angebote liegen auf dem Tisch. Sie müssen jetzt nur von den Arbeitgebervereinigungen endlich angenommen werden.
Mit unserem Antrag in Drucksache 12/2839, Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen, fordern wir zunächst generell gesetzliche Rahmenbedingungen für tarifvertragliche Vereinbarungen zum Investivlohn. Dazu gehören: erstens eine insolvenzrechtliche Absicherung gegen das Doppelrisiko von Arbeitsplatz- und Kapitalverlust - da muß etwas passieren - und zweitens die Einbeziehung auch von Tariffonds, Anlagegenossenschaften und Investitivlohnbestandteilen in das 936-DM-Gesetz und in den § 19 a Einkommensteuergesetz.
Ergänzend halten wir für die neuen Länder für erforderlich: erstens die Beteiligung der Arbeitnehmer am Bestandsvermögen sanierungsfähiger Betriebe im Zusammenhang mit Sanierungskonzepten der öffentlichen Hand und zweitens die Absicherung einzelbetrieblicher Modelle für den Konkursfall einschließlich staatlicher Garantien bei Betrieben mit öffentlicher Beteiligung.
Die Tarifparteien müssen also im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit sowohl betriebliche als auch überbetriebliche Lösungsmöglichkeiten besitzen. Das Land Sachsen-Anhalt hat jetzt gerade eine 80%ige Garantie für Mitarbeiterbeteiligungen bis zu einer Million DM pro Unternehmen ausgesprochen. Das ist lobenswert; aber warum kann die Bundesregierung das nicht ähnlich bundesweit regeln? Das wäre aus unserer Sicht dringend erforderlich.
({5})
Im Hinblick auf die Entwicklung der neuen Bundesländer kann Vermögenspolitik außerdem mit strukturpolitischen Zielsetzungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Bereitstellung zusätzlichen Kapitals für die Sanierung von Betrieben verbunden werden. Neben einer staatlichen Sanierungskonzeption erfordert dies eine Absicherung der Anteile, wie von mir schon angedeutet. Außerdem muß die Förderung für die neuen Bundesländer spürbar verbessert werden. Der Förderrahmen soll auf 1 872 DM erhöht, also gegenüber der jetzigen Regelung verdoppelt werden. Der Freibetrag nach § 19a Einkommensteuergesetz wäre für die neuen Bundesländer aus unserer Sicht auf 2 000 DM aufzustocken. Damit wollen wir erreichen, daß die Förderung der Produktivkapitalbeteiligung in den neuen Bundesländern an die Konditionen für die Förderung von Investitionskapital in etwa angenähert wird. Das halte ich für dringend erforderlich. Wenn wir diese Regelungen schon hätten, meine Damen und Herren, wäre es leichter - das glaube ich wenigstens -, den möglichen Streik in der ostdeutschen Metallindustrie zu verhindern.
Die Forderung des stellvertretenden CDU/CSU- Fraktionsvorsitzenden Geißler, einen Teil der geplanten Lohnerhöhungen als Bar- und einen Teil als Investivlohn auszuzahlen, setzt aber voraus, daß mindestens eine gesetzliche Absicherung des Investivlohns möglich ist. Sonst läuft das natürlich überhaupt nicht. Aber von dieser Regierung - das hatte ich schon angedeutet - ist auf diesem Felde leider nichts zu erwarten.
({6})
Die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt verlorengegangenen Streiktage ist bedauerlicherweise seit 1990 ständig gestiegen. Wenn es jetzt wieder zum Streik kommt, leidet darunter erneut der Standort Bundesrepublik Deutschland und diesmal insbesondere die neuen Bundesländer. Ein Streik muß mit allen Mitteln verhindert werden. Herr Strauß hätte zur Situation deutlich gesagt: Pacta sunt servanda. Ich glaube, daß nur der Bundeskanzler noch in der Lage ist, diese verfahrene Situation zu retten, und ich meine, er sollte sich hier persönlich engagieren.
({7})
Wir fordern den Bundeskanzler auf, alles Denkbare zu unternehmen, um den Streik in den neuen Bundesländern zu verhindern.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jens, uns hat in gemeinsamer Arbeit viel verbunden. Aber das kann mich natürlich nicht hindern, zunächst einmal zu sagen, daß die SPD mit dem vorliegenden Antrag „Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital" wieder einmal den Mund arg vollgenommen hat. Sie tun nämlich so, als habe die SPD vermögenspolitisch schon einmal die Welt bewegt und würde sie in der Zukunft weiter bewegen.
({0})
In Wahrheit haben Sie gar nichts bewegt. Sie haben immer den Mund gespitzt. Dabei ist es geblieben.
({1})
Wolfgang Vogt ({2})
Alle vermögenspolitisch relevanten Gesetze sind in den 50er und 60er Jahren und nach 1982 mit der Handschrift der CDU/CSU gezeichnet.
({3})
Die Regierungszeiten der CDU/CSU waren vermögenspolitisch gute Zeiten. Und dabei wird es bleiben.
({4})
Herr Kollege Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jens?
Aber natürlich.
Herr Vogt, ich weiß, daß Sie ganz gut informiert sind. Aber kennen Sie auch die Steigerungsrate von vermögenspolitischen Abschlüssen in Tarifverträgen in den Jahren 1974 und 1975? Nach meinen Kenntnissen ist damals der Sprung auf 1,5 Millionen abgeschlossene Verträge für einzelne Arbeitnehmer gewesen. Das war eine gewaltige Steigerungsrate.
Herr Kollege Jens, ich komme auf diesen Tatbestand des Gesetzes von 1970, von dem Sie wissen, daß es in der Großen Koalition vereinbart worden war, gleich zurück.
Von meinem Urteil, nämlich der Bewertung der vermögenspolitischen Aktivitäten der SPD, nehme ich einen Sozialdemokraten ganz persönlich aus: Georg Leber, den ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft Bau-Steine-Erden. Ihm ist es zu verdanken, daß erstmals vermögenswirksame Leistungen tarifvertraglich vereinbart worden sind. Das war damals tatsächlich ein Durchbruch. Sein Werk hat Schule gemacht. Wir können Georg Leber nur dankbar sein.
({0})
Dem Georg Leber stelle ich den Philipp Rosenthal gegenüber, ebenfalls vermögenspolitisch engagiert, ebenfalls ein Sozialdemokrat. Aber vermögenspolitisch ist er, wie Sie wissen, die tragische Gestalt der SPD geworden; denn aus seiner Vision einer „Großen Lösung" der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer ist ja nichts geworden. Das war ein bunter Luftballon. Dem ist die Luft ausgegangen. Die große Vision liegt in der Ablage. Philipp Rosenthal ist nicht aus eigener Schuld gescheitert. Er ist gescheitert, weil es keine „Große Lösung" gibt und weil die Sozialdemokraten zur damaligen Zeit die Arbeitnehmer als persönliche Kapitaleigner nicht wollten.
Herr Kollege Jens, angesichts dieser Fehlleistungen der SPD nimmt sich Ihre Kritik an der Politik dieser Bundesregierung nicht überzeugend aus.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den 50er und den 60er Jahren war es durchaus vernünftig, die private Geldvermögensbildung und das Wohnungseigentum für Bezieher mitt- lerer und unterer Einkommen zu fördern. Aber es war unvernünftig, daß die SPD 1970 das Versicherungssparen in das Vermögensbildungsgesetz einbezogen
hat. Sie sind damals vor der Versicherungswirtschaft in die Knie gegangen.
({1})
Schon damals zeichnete sich ab, daß die private Geldvermögensbildung überhaupt kein gesamtgesellschaftliches Problem mehr war. Die Sparquote hatte sich auf einem hohen Niveau stabilisiert. Aber gleichzeitig zeichneten sich zwei Problemfelder ab, nämlich die Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital und die völlig unbefriedigende Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.
Deshalb wäre es eigentlich in den 70er Jahren ein Gebot der Stunde gewesen, vermögenspolitisch umzusteuern, weg vom Konten- und Versicherungssparen hin zum Beteiligungssparen. Diese Umsteuerung haben Sie nicht vorgenommen. Sie ist in den Gesetzen erst 1982, 1984, 1986 und 1990 vorgenommen worden. Dieses Umsteuern hatte Erfolg. Aber ich sage: Der ersehnte Durchbruch zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ist nicht erreicht worden.
({2})
Dies ist unbefriedigend, da gibt es gar keinen Streit.
({3})
Denn eine Gesellschaft, die auf dem Recht auf Privateigentum gründet, muß allen ihren Mitgliedern auch die Chance geben, sich am Produktivkapital der Wirtschaft zu beteiligen. Das ist weiterhin Ziel der Politik der CDU/CSU.
Meine Damen und Herren, in dem Antrag der SPD steht ein wahrer Satz. Ich zitiere ihn:
({4})
- Ein wahrer Satz. Es ist schon etwas, daß ein wahrer Satz darinsteckt. Die Tarifpartner und die Unternehmer und die Arbeitnehmer verwirklichen die Vermögensbildung durch Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Einzelverträge.
Dann steht ein zweiter Satz darin, der richtig ist:
({5})
- Ja, ich bin ja heute versöhnlich, wie Sie sehen. - „Dabei soll der Staat nur den Förderrahmen setzen. "
Lieber Kollege Jens, wenn wir gemeinsam diese Sätze ernst nehmen, dann heißt das, daß es in erster Linie in der Verantwortung der Tarif- wie der Betriebspartner liegt, ob die Arbeitnehmer am Produktivkapital der Wirtschaft beteiligt sind. Es liegt nicht in erster Linie am Gesetzgeber. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, Barrieren abzubauen, die der Kapitalbeteiligung im Wege stehen. Aufgabe des Gesetzgebers ist es, die Initiativen der Betriebs- und der Tarifpartner zu fördern. Aber der Staat kann weder an die Stelle der Tarifpartner noch der Betriebs13080
Wolfgang Vogt ({6})
partner treten. Er kann ihnen ihre Verantwortung nicht abnehmen. Es gibt keine staatlich verordnete Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer.
({7})
Die einzig vernünftige Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist: Wir müssen miteinander über die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer reden. Wir müssen fragen: Wo sind Barrieren? Wir müssen fragen: Wo und wie kann gefördert werden? In diesen Gesprächen steht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Wir haben zu fragen, wie es mit dem Verbot der Lohnverwendungsabrede steht - ein Problem, das aus meiner Sicht schnell lösbar ist. Wir haben zu fragen, ob die Tariffonds in der Form der Kapitalanlagegesellschaften gegründet werden können und ob die gesetzlichen Bestimmungen ausreichen. Wir haben zu fragen, ob die Anteilscheine an dem Beteiligungssondervermögen in den Förderungskatalog des Vermögensbildungsgesetzes und in den Katalog des § 19a des Einkommensteuergesetzes einbezogen werden können - aus meiner Sicht ebenfalls eine lösbare Aufgabe. Und wir haben zu fragen - das wird dann etwas schwieriger -, ob und wie solche Beteiligungen zusätzlich gefördert werden können. Aber - ich sage das noch einmal - es gibt hier nur maßgeschneiderte Lösungen, und das Maß wird an Hand der Initiativen genommen, die die Tarifpartner entwickelt haben. Es gibt keine große über den Kamm gezogene Lösung.
Auf der Seite der Gewerkschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen, bewegt sich etwas. Ich nenne die Bauarbeitergewerkschaft und die DAG, die gemeinsame Initiative der IG Chemie und der Bergarbeiter. Auch die IG Metall hat sich in Darmstadt vor einiger Zeit mit diesem Thema beschäftigt. Nur hat sie aus meiner Sicht die Vermögensbildung unglückseligerweise mit Industriepolitik- verknüpft und damit die Behandlung dieses Problems ungemein erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Aber ich anerkenne die Bewegungen auf der Seite der Gerwerkschaften.
Ich muß um so mehr bedauern, daß die Arbeitgeberverbände ein enttäuschendes Bild liefern.
({8})
- Lieber Herr Kollege, wir bemühen uns, von diesem Pult immer die Wahrheit zu sagen, und zwar die Wahrheit in drei Richtungen dieses Hauses und in Richtung der Arbeitgeber wie auch in Richtung der Gewerkschaften. Das kennen Sie von uns. - Die Arbeitgeber bieten ein enttäuschendes Bild. Von ihnen sind konstruktive Beiträge nicht zu hören. Ich bedaure ganz ausdrücklich, daß Harms-Martin Schleyer in den deutschen Arbeitgeberverbänden bisher noch keinen kompetenten Nachfolger gefunden hat. Ich bedaure das deshalb, weil es eben ohne den konstruktiven Beitrag der Arbeitgeber keine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer geben wird.
Dabei spricht alles für die Kapitalbeteiligung. Die Kapitalbeteiligung würde die Kapitalbasis der Unternehmen stärken, den Tarifpartnern neue Handlungsspielräume eröffnen, die Verteilungskämpfe entschärfen; denn die Arbeitnehmer hätten dann Einkommen nicht nur aus der Einkommensgröße „Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit", sondern eben auch aus der Einkommensgröße „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen". Dann wären Verteilungskonflikte entschärft. Aber solange die Kapitalbeteiligung nicht vorangebracht wird, werden wir mit diesen Ungleichgewichten zu kämpfen haben. Es liegt also nicht an der jeweiligen Regierung, sondern es liegt an den Tarifpartnern, inwieweit hier Ungleichgewichtigkeiten beseitigt werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den jungen Bundesländern wird derzeit ein moderner Produktionsapparat aufgebaut, und zwar mit Hilfe öffentlicher Gelder, die auch von den Arbeitnehmern kommen. Wenn jetzt die Tarif- und die Betriebspartner die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer nicht vereinbaren, die der Staat in den neuen Bundesländern natürlich besonders flankieren und unterstützen müßte, werden einmalige Chancen verpaßt. Die Kritik der Sozialkritiker in 20 Jahren ist vorprogrammiert. Aber die Kritik wird dann an dem, was heute an Tatsachen geschaffen wird, nichts mehr ändern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind dabei, mit den Tarifpartnern neue Wege maßgeschneiderter Lösungen anzustreben. Die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer erfordert aber nicht nur neue Gesetze, sie erfordert vor allem auch Veränderung in den Köpfen aller Beteiligten.
({9})
- Beider Seiten, aller Seiten, der Gewerkschaften, bei uns wie auch den anderen Tarifpartnern. - Zu diesem neuen Denken rufe ich an Hand der ersten Lesung Ihres Antrags auf.
Vielen Dank.
({10})
Herr Kollege Josef Grünbeck, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An sich ist der Antrag der SPD zu begrüßen, weil hier, wie schon erwähnt, etwas Bewegung in Ihre Partei und auch in die Gewerkschaften hineinkommt. Ich habe meine Teilnahme, Herr Rappe, an Ihrem parlamentarischen Gespräch zugesagt und mich angemeldet, weil ich glaube, wir müssen aufeinander zugehen.
Allerdings, Herr Kollege Jens, kommen Sie mit den genannten Weisheiten nicht weiter, wenn Sie schon bei der Diskriminierung der Verteilungsstrukturen in unserer Bundesrepublik beginnen. Suchen Sie einmal ein Land auf dieser Welt, in dem die Abstände zwischen Reich und Arm so gering geworden sind wie in unserer Bundesrepublik Deutschland,
({0})
dann werden Sie keines finden. Warum denn? Es war doch Ihr eigenes Verdienst. Die Gewerkschaften und die SPD haben einschließlich der Kirchen und aller Organisationen mitgewirkt, daß bei uns eine mittelständische Struktur entstanden ist, die ihresgleichen
in der ganzen Welt sucht. Machen Sie doch die Früchte Ihrer eigenen Arbeit nicht kaputt! Und machen Sie einen Fehler nicht: Diskriminieren Sie nicht Einkommensstrukturen, die Sie selber nicht glaubhaft vertreten können! Einkommen ist nicht Einkommen, und Vermögen ist nicht Vermögen. Einkommen ist verfügbar, und unternehmerisches Einkommen ist nicht unbegrenzt verfügbar. Produktivkapital, über das wir hier reden, ist Risikokapital.
({1})
- Entschuldigen Sie bitte. Wenn Sie reden, höre ich Ihnen immer mit einer nahezu religiösen Andacht zu. Dann würde ich Sie einmal bitten, daß Sie das gleiche bei mir machen.
({2})
- Ich richte das einmal an alle.
Über Beteiligung am Produktivkapital zu reden
- deshalb bitte ich Sie da um etwas Aufmerksamkeit - ist leicht. Aber ich habe die Beteiligung am Produktivkapital zu meinem Lebensinhalt gemacht. Deshalb bitte ich Sie auch um etwas Respekt. Wenn Sie den nicht haben, dann fragen Sie Ihren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Vogel, der im vergangenen Jahr einmal einen langen Besuch bei uns gemacht hat und viele Gespräche mit unserer Belegschaft geführt hat. Fragen Sie ihn, was er für einen Eindruck mit nach Hause genommen hat.
In Ihrem Antrag sprechen Sie über Vermögensverteilung. Es kann doch nicht wahr sein, daß Sie das Vermögen verteilen. Zwei Worte kommen in Ihrem Antrag dagegen nicht vor. Es ist weder von der Leistung noch von der Verantwortung die Rede. Wenn Sie mitbestimmen wollen und wenn Sie mitverantworten wollen, dann müssen Sie doch erkennen, daß beide Begriffe nicht voneinander zu trennen sind. Wer mitbestimmen will, muß auch mitverantworten, und nur wer mitbestimmen will und mitverantwortet, kann dann sagen: Ich möchte auch mitverdienen. Wenn Sie das nicht glauben, dann empfehle ich Ihnen, einmal das Programm der Freien Demokratischen Partei von Freiburg 1971 nachzulesen. Schon dort haben wir das beschlossen und strukturiert und auch umgesetzt. Es ist keine Idee allein der Union, Herr Kollege Vogt, sondern wir haben dabei schon mitgeholfen.
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- Nein, nein, wir sind schon auf dem richtigen Weg. Aber wir finden die richtigen Partner nicht.
Ich sage Ihnen nur: Ohne Verantwortungsbewußtsein und ohne Leistung können Sie keine unternehmerische Gestaltung vornehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Kollege, ich habe die Frage an Sie: Tragen die Arbeitnehmer die Verantwortung nicht in dem Sinne mit, daß sie sogar mit
dem Verlust des Arbeitsplatzes zahlen müssen, beispielsweise, wenn die Betriebe falsch geführt und Investitionen falsch vorgenommen worden sind?
Ich komme darauf noch zurück. Es gehört zwar nicht zum Thema Produktivkapitalbeteiligung, aber ich habe dieses Thema in meiner Rede ausdrücklich vorgesehen. Lassen Sie mir noch ein wenig Zeit, damit die Chronologie meiner Rede nicht verlorengeht. Ich danke Ihnen sehr.
Dabei kommen wir nämlich auf einen Punkt, und das ist die Frage der kollektiven und der individuellen Verantwortung. Ich glaube, daß dies ernster behandelt werden muß, als es in unserer Gesellschaft bisher geschehen ist. Aus dem Zusammenbruch aller kommunistischen und sozialistischen Wirtschaft müßten wir doch wenigstens eines erkannt haben: daß die kollektive Verantwortung nicht greift, daß wir stärker wieder die individuelle Verantwortung des einzelnen Menschen brauchen. Wer das nicht glaubt, wer das nicht beachtet, wird die Herausforderungen unserer Weltwirtschaft - sie neigt nicht zum kommunistischen System; die Entwicklungen in der Weltwirtschaft gehen immer mehr in Richtung auf marktwirtschaftliche Orientierung - nicht bestehen.
Ich begrüße den Vorschlag der SPD, beispielsweise die Vergünstigungen beim Einkommensteuergesetz noch einmal zu überlegen. Die Freibeträge müssen noch einmal zur Diskussion gestellt werden. Ich unterwerfe mich aber auch der augenblicklichen Disziplin gegenüber den Sparmaßnahmen; man kann sie nicht heute beschließen und übermorgen vergessen. Ich bin auch bereit, mit Ihnen darüber zu reden, daß wir in den neuen Bundesländern das Instrumentarium der Produktivkapitalbeteiligung möglicherweise stärker anwenden sollten, als das bisher geschehen ist; da räume ich Ihnen gern volle Unterstützung ein.
Aber ich bin nicht bereit, Herr Kollege Jens, etwa eindeutig für einen Fonds im Tarifvertrag zu stimmen. Was machen Sie denn mit dem Fonds? Alle Berechnungen, die bei uns in jahrelangen Diskussionen mit Gewerkschaftsspitzen entstanden sind, lauten doch: Ein gewisser Teil des Unternehmensgewinnes wird abgeschöpft und fließt in einen Fonds. Dort wird er durch die Verwaltung von Gewerkschaftsunternehmen und anderen Beratern soweit abgeschöpft, daß für den einzelnen Mitarbeiter selbst nicht mehr viel in der Tüte bleibt.
({0})
Ich bin eher der Meinung, daß wir die individuelle Förderung - Sie sagen es begrüßenswerterweise selbst in Ihrem Antrag -, die individuelle Beteiligung des Arbeitnehmers am Ertrag und am Vermögen - und zwar am Produktivvermögen, nicht am wachsenden Vermögen - fortschreiben und erhöhen sollten als alles andere. Dies setzt voraus, daß wir die Freiwilligkeit postulieren.
Es jemandem in dieser schwierigen Frage aufzuzwingen - damit komme ich auch zur Abdeckung des Risikos - ist sehr schwierig. Wenn Sie keine Akzeptanz bei den Unternehmern und bei den Mitarbeitern haben, können Sie machen, was Sie wollen. Dann werden Sie keinen Erfolg haben. Aber ich bin dafür,
daß wir beispielsweise das Risiko der Arbeitnehmer absichern. Dies ist möglich. Dafür gibt es ein Instrumentarium. Bloß geht dies nicht zu Lasten des Staates, sondern zu Lasten des Ertrages des Unternehmens. Darüber muß man sich im klaren sein. Das Risiko eindeutig den Staat tragen zu lassen und dann ein pleitegegangenes Unternehmen vielleicht dem Staat zu verehren und ihn die Folgekosten übernehmen zu lassen, wäre nicht das Richtige.
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Ich bin schon dafür, die Versicherungschancen zu nutzen, die hier möglich sind.
Es kann nicht mehr darum gehen, nur Vermögen zu verteilen. Es kann nur darum gehen, gemeinsam etwas zu erarbeiten und dann auch gemeinsam etwas zu verteilen. Wenn wir diese Ziele klar vor Augen haben, glaube ich, ist unsere Vorstellung von einer Produktivkapitalbeteiligung der richtige Weg.
Unser Ziel heißt: Das Klima in den Betrieben kann durch eine soziale Partnerschaft wesentlich verbessert werden. Ich habe selbst eine ungeheuer positive Erfahrung damit gemacht, was mich tief bewegt als Unternehmer, der sich dem sozialen Klima verpflichtet fühlt. In einem guten Klima wächst die Bereitschaft zur Motivation, und die Motivation ist notwendig zur Innovation, die wir im Augenblick dringender brauchen als vieles andere.
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Ein Unternehmen, das keine Innovationen betreibt, gerät in Rückstand und stellt sich dem Strukturwandel und der Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr.
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Die Liquidität des Unternehmens kann wesentlich verbessert werden. Es kann eine dritte Säule der Altersversorgung auch für Arbeitnehmer aufgebaut werden. Die Leistungsfähigkeit der Unternehmen kann durch mehr Leistungsbereitschaft wesentlich verstärkt und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wesentlich verbessert werden.
Ich fordere alle Beteiligten auf, Politik, Wirtschaft, Arbeitgeber und Gewerkschaften, eine neue Epoche der sozialen Partnerschaft einzuleiten. Dazu ist die Beteiligung der Arbeitnehmer ein gutes Instrument und der richtige Weg.
Meine Damen und Herren, Vorurteile in dieser Zeit abzubauen wird eine drinende Bitte an alle sein, aber auch ein Appell an alle. Die Zeiten eines neu auflebenden Klassenkampfes sind vorbei. Ich unterstelle dies niemandem mehr. Was wir brauchen, ist: Gehen Sie aufeinander zu, und gehen Sie nicht aufeinander los! Lassen Sie die Faust in der Tasche, und nehmen und geben Sie die ausgestreckte Hand! Das ist die soziale Partnerschaft.
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Frau Kollegin, der Kollege Grünbeck hat in der Tat ein Unternehmen mit einer eindrucksvollen und beispielhaften Arbeitnehmerbeteiligung.
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Als nächster hat das Wort der Kollege Werner Schulz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital ist in der alten Bundesrepublik wie auch in den neuen Bundesländern bei weitem nicht so weit vorangekommen, wie dies möglich, wünschenswert und notwendig wäre. Gerade diese Aufgabe war ein besonderes Anliegen der Bürgerbewegungen. Die bitteren Erfahrungen mit dem Volkseigentum in der DDR, das eben kein Volkseigentum war, sondern in der Verfügungsgewalt weniger Funktionäre stand, habe uns für diese Fragen besonders sensibilisiert.
Sie wissen sicher, daß der Vorschlag für die Bildung einer Treuhandanstalt auf uns zurückgeht und daß damit die Erwartung verknüpft war, das Volkseigentum, das Volksvermögen seinen eigentlichen Eigentümern in der Bevölkerung der DDR zurückzuerstatten, die aber längst das Eigentümerbewußtsein verloren hatte. Das ist vielleicht das tragische Kapitel dieser deutschen Geschichte.
Die Chancen für diesen Plan sind heute weitgehend vertan. Man muß sich deshalb deutlich machen, daß zum heutigen Zeitpunkt die kostenlose Ausgabe von Beteiligungen der Arbeitnehmer an Treuhandunternehmen vollständig durch die Steuerzahler finanziert werden müßte. Dies würde aber nur dann einen Sinn machen, wenn damit gleichzeitig ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept für das entsprechende Unternehmen verbunden ist, etwa im Zusammenhang eines Belegschafts-Buy-out.
Von der Seite der Treuhandanstalt ist der Durchbruch bei der Arbeitnehmerbeteiligung leider nicht mehr zu erwarten. Wenn wir damit weiter vorankommen wollen, müssen wir deshalb andere Wege beschreiten. In der alten Bundesrepublik ist trotz einer schon lange währenden Diskussion - die Beiträge haben es hier deutlich gemacht - über dieses Thema und mancher Ansätze die Beteiligung der Arbeitnehmer nicht sehr weit gediehen. Dafür sind wohl Vorbehalte und hinderliche Verhaltensweisen auf verschiedenen Seiten verantwortlich. In den Gewerkschaften hat die Abneigung gegen Investivlohnkonzepte jeder Art erst in letzter Zeit einer flexibleren und aufgeschlosseneren Haltung Platz gemacht. Lange Zeit galten solche Konzepte als Instrument zur Schwächung der Arbeitnehmerseite.
Werner Schulz ({0})
Bei den Arbeitgebern bestand auf der anderen Seite die Sorge, daß über die Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer doch noch die bei der Mitbestimmung nicht erlangte Parität erzielt werden könnte und daß zudem Investivlöhne letztlich nur zu neuen Belastungen der Unternehmen führen würden.
Die Arbeitnehmer selbst zeigen sich vielfach nur sehr mäßig interessiert, dauerhaft eine Beteiligung an ihren Unternehmen zu erhalten. Die Erfahrungen mit der Ausgabe von Belegschaftsaktien und anderen Formen der Vermögensbildung geben jedenfalls keinen Anlaß zur Euphorie.
Die verschiedenen Bundesregierungen waren verbal immer für die Fördeurng der Arbeitnehmerbeteiligung. Faktisch, vor allem wenn es mit Ausgaben verbunden war, geschah und geschieht jedoch relativ wenig. Heute werden - so zuletzt von Heiner Geißler - Investivlohnkonzepte als Ausweg aus den Tarifkonflikten in Ostdeutschland vorgeschlagen, ein Ausweg, der eine der Produktivitätsentwicklung vorauseilende Lohnangleichung für die Unternehmen verkraftbar macht. Dieser Gedanke hat einiges für sich, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sich ohne Druck von außen darauf einigen können, und wenn die betroffenen Arbeitnehmer überhaupt in der Lage sind, einen nennenswerten Teil ihres Lohnes zu sparen und in ihren eigenen Arbeitsplatz zu investieren. Daran habe ich jedoch erhebliche Zweifel.
Die Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital ist sicherlich keine Patentlösung für die Probleme der deutschen Einheit. Aber sie kann, intelligent eingesetzt, zur Lösung dieser Probleme beitragen. Insofern ist es auch nützlich, daß sich der Deutsche Bundestag nun auf Antrag der SPD wieder mit diesem Thema befaßt.
Bei der weiteren Beratung des vorliegenden Antrags sollte es darauf ankommen, zügig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß in einem ersten Schritt die rechtlichen Hindernisse für die tarifvertragliche Vereinbarung von Investivlöhnen beseitigt werden und die Rahmenbedingungen für eine zufriedenstellende Absicherung der Insolvenzrisiken geschaffen werden.
Ein zweiter Schritt betrifft die haushaltswirksamen Verbesserungen der Förderung solcher Beteiligungen. Auch hier besteht Handlungsbedarf. Die Möglichkeit zu handeln und der nötige finanzielle Spielraum müssen jedoch erst durch sinnvolle Gegenfinanzierungsvorschläge geschaffen werden. Die verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital wird unsere Gesellschaft verändern. Sie kann die Eigenkapitalbasis vieler Unternehmen verbessern helfen. Sie wird zur sozialen Stabilität beitragen. Vernünftig gestaltet kann sie zu mehr Demokratie in der Wirtschaft beitragen, ohne daß dies die Behinderung von Handlungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung zur Folge haben müßte. Sie wird den Einfluß, die Motivation und die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken. Wir sollten diesen Chancen einen Weg bauen.
({1})
Der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Kollege Vogt und Kollege Grünbeck bestätigt haben, dieser Antrag sei sehr gut, und es sei vernünftig, ihn zu behandeln, man müsse in dieser Frage weiterkommen, haben wir große Hoffnung: Wenn sich die Bundesregierung anschließt, können wir es so machen, wie es die Sozialdemokraten eingebracht haben.
({0}) Sie haben das ja wohl bestätigt.
({1})
Der Kollege Grünbeck hat dann ein Wort zur Mitverantwortung, zur Mitbestimmung und dem sogenannten Verantwortungsbewußtsein der Arbeitnehmer gesagt. Ein so klar ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein und eine solche Identifikation unserer Arbeitnehmer mit ihren Betrieben und Unternehmen wie in unseren Bereichen kenne ich sonst nicht. Die einen nennen sich die Kruppianer, die anderen die Hoeschianer, die anderen die Mannesmänner. Das ist alles Mitverantwortung für das Unternehmen. Seien Sie doch froh, daß wir solch eine ausgeprägte Einstellung unserer Arbeitnehmer haben. Alle kritischen Situationen - ob im mittelständischen, kleinen oder großen Bereich und Betrieb - sind ja von den Arbeitnehmern verstanden worden, und überall wird versucht, die wirtschaftlichen Probleme so zu lösen, daß bei Freisetzungen von Arbeitnehmern eine soziale Flankierung erfolgt. Dies ist seit 40 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland in einem Konsens Praxis. Deshalb kann man nicht sagen, wie das von der F.D.P. geschieht, hier müsse das Verantwortungsbewußtsein der Arbeitnehmer besonders angestachelt werden. Dies ist unrichtig und auch historisch völlig verfehlt.
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Ich erwähne noch einen Punkt, den man bei der F.D.P. nachlesen und sich merken sollte. Wenn Sie das Biedenkopf-Gutachten über die Bewertung der Mitbestimmung zu Rate ziehen, werden Sie feststellen, daß die Arbeitnehmer diejenigen sind, die im Gegensatz zu den Unternehmern besonders drastisch auf Investitionen drängen. Warum? Weil sie die Modernität ihrer Betriebe haben wollen, weil sie wissen, daß nur so der Konkurrenzkampf bestanden werden kann und weil damit die Betriebe und Unternehmen erhalten bleiben. Dies ist schon zur Zeit der Großen Koalition von den Gutachtern unter Federführung von Herrn Biedenkopf geäußert und klargestellt worden. Dazu gibt es auch eine Bundestagsdrucksache, die das ausdrücklich feststellt.
Kollege Vogt, was das Anmahnen der Gewerkschaften in der Frage der Vermögensbildung angeht, so brauchen wir erst die Rahmenbedingungen des Staates. Denn das, was wir jetzt in Form von Tarifverträgen nach den Vermögensbildungsgesetzen machen, ist im Grunde genommen Sparförderung. Schorsch Leber ist allerdings einen Schritt weiterge13084
Bangen. Wir brauchen durch Entscheidungen der Bundesregierung und des Parlaments die Rahmenbedingungen für die Frage, wie wir das Risiko begrenzen. Da haben wir im Pensionssicherungsverein nach dem Betriebsrentengesetz ein Vorbild. Wenn wir das hier machen könnten, wäre das eine sehr gute Sache. Wir müßten ferner den § 19 a des Einkommensteuergesetzes anpacken, was bisher immer wieder abgelehnt worden ist.
({3})
Wenn diese beiden Punkte in Rahmenbedingungen eingingen, dann kämen wir auf dem Felde des Produktivkapitals einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn. Darüber müssen wir uns klar sein.
Kollege Vogt, Sie haben gesagt, die Sozialdemokraten wollten keine Arbeitnehmer als Kapitaleigner. Dies ist unrichtig. Unsere Entscheidung auf dem Parteitag in Hannover, bei dem Herbert Wehner die Fondslösung für die Vermögensbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland vorangetrieben hat, hat ja gerade diesen Anspruch für die Vermögensbeteiligung und für die Partnerschaft und Verantwortung der Arbeitnehmerschaft herausgestellt. Ich würde Sie sehr bitten, nicht solche Behauptungen aufzustellen. Wir sind sehr dafür, daß auch Arbeitnehmer Kapitaleigner werden können, allerdings unter Bedingungen, die sie in ihrer sozialen Schichtung auch ertragen können. Sie dürfen nicht durch Risiken, die sie nicht zu verantworten haben, nur verlieren.
({4})
Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß seit 1990 allein in den alten Bundesländern 2,9 Millionen Menschen Sozialhilfeempfänger sind und daß etwa 25 % der Bevölkerung von Armut bedroht sind. Eine solche Dramatik hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben.
Ich weise darauf hin, daß die Bundesregierung seit 1983 die Förderung der Vermögensbeteiligung von 3 Milliarden DM auf 1 Milliarde DM reduziert hat. Darin kann ich keine Aktivitäten von Ihrer Seite sehen.
Die Vorschläge der Gewerkschaften - IG Bau, IG Chemie, IG Textil und IG Bergbau - zielen alle darauf ab, eine tarifliche Fondslösung zu bekommen, und zwar nicht - wie von der F.D.P.-Seite gesagt wird -mit einer großen Verwaltung. Das könnten ja Sparkassen und Banken übernehmen. Wir lehnen selbstverständlich eine Bürokratie ab; sie kommt für uns nicht in Frage.
Kollege Jens hat schon auf die Einzelfragen aufmerksam gemacht. Bei der jetzigen Vermögensverteilung in den neuen Ländern - die geht ja an den Arbeitnehmern vollständig vorbei - zielt unser Entwurf genau darauf ab, die Arbeitnehmer im Rahmen der Treuhand in die Überlegungen zum „Produktivkapital" einzubeziehen. Sonst wird ja die Vermögensumschichtung noch viel schlimmer werden. Kollege Jens hat auch erwähnt, wie sich die Vermögensumschichtung in der Bundesrepublik Deutschland seit
1982 entwickelt hat. Dazu sage ich Ihnen: Dies ist in der Tat ein Skandal.
({5})
Diesen haben Sie zu verantworten, weil Sie hier überhaupt nichts getan haben.
Ich erwähne am Schluß folgendes. Ich war vor einigen Jahren sehr angenehm berührt, als ich bei Alfons Müller ({6}) an einem sehr umfassenden Seminar der KAB teilnehmen konnte. Diese hat ja ein ganz interessantes Vermögensbildungsmodell entwickelt und vorgeschlagen, das in der Konsequenz die Anteile am Eigentum in Arbeitnehmerhand bringt und eine breite Streuung von Vermögen sichert. Aber auch er ist in dieser Frage nicht weitergekommen.
Ich hoffe, daß uns die Steuerpolitiker bei unserem Antrag entgegenkommen und sich nicht wie in der Vergangenheit verhalten, wo sie große Probleme gesehen haben und uns keine Möglichkeit gegeben haben, voranzukommen.
Ich halte es mit den Dominikanern, die da sagen: Man darf nicht den großen Misthaufen haben, sondern muß das schön fein verteilen, damit sich überall etwas entwickelt und reift, so daß alle die Ernte machen können. Und die Ernte müssen nun einmal die Arbeitnehmer machen. Denn sie schaffen ja die Werte in den Unternehmungen, und sie müssen entscheidend beteiligt werden. Wenn wir das nicht schaffen, sehe ich in der Tat, daß der gesellschaftliche Konsens, den wir uns erarbeitet haben und der in unserer Gesellschaft selbstverständlich geworden ist, stark strapaziert oder gar zerstört werden könnte. Dies darf nicht geschehen. Um diesen sozialen, gesellschaftlichen Konsens muß man bemüht sein, und man muß dafür kämpfen, daß er bei allen Auseinandersetzungen auf jeden Fall erhalten bleibt.
({7})
Frau Kollegin Elke Wülfing, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, mein Vorredner hat in einem recht.
({0})
- Nein, nicht in allem; längst nicht in allem. - Arbeitnehmer haben tatsächlich Interesse an ihrem Betrieb, Arbeitnehmer identifizieren sich mit ihren Betrieben, und Arbeitnehmer sind auch für Investitionen in ihren Betrieben. Deswegen darf ich Sie und viele andere - vor allen Dingen einige Funktionäre; Arbeitnehmer verstehen deren Verhalten nicht - doch sehr herzlich bitten, nicht ständig von Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen zu reden. Ich darf auf diese Diskrepanz hinweisen. Arbeitnehmer sehen das anders; da haben Sie vollkommen recht.
Die SPD hat ihren Antrag „Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivkapital" genannt. Unter diesem Stichwort möchte ich einmal Vermögensbildung und Vermögensverteilung der Barger aufzeigen, und zwar, wie sie 1990 ausgesehen haben. Ein Privathaushalt hat 1990 ein durchschnittliches Nettovermögen von 262 000 DM gehabt. Pro Kopf der Bevölkerung
waren dies 120 000 DM. Das Nettovermögen setzt sich zu gut 43 % aus Haus- und Grundvermögen, zu reichlich 36 % aus Geldvermögen, zu einem Zehntel aus Sachvermögen und zu einem weiteren Zehntel aus Betriebsvermögen zusammen. Bei der Prioritätensetzung der Bürger haben also ganz offensichtlich das Haus- und Grundvermögen wie auch das Geldvermögen im Vordergrund gestanden, während andere Vermögensbildungsformen weniger Bedeutung hatten.
Daß die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital für die Vermögensbildung und für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wichtig ist, darüber, glaube ich, sind wir uns auf allen Seiten dieses Hauses einig, und das wird von uns auch seit langem betont. Deswegen wurde die staatliche Förderung auf den Erwerb von Beteiligungskapital konzentriert - das zuletzt noch 1990 im Steuerreformgesetz.
Bei der Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivkapital sind tatsächlich Fortschritte erzielt worden. In Westdeutschland gibt es ca. 1 700 Unternehmen mit Mitarbeiterkapitalbeteiligungen. An ihnen sind ca. 1,5 Millionen Arbeitnehmer beteiligt. 1976 waren dies nur 800 000. In den neuen Bundesländern haben wir ebenfalls Arbeitnehmer, die am Firmenkapital beteiligt sind. Die Treuhand hat inzwischen 1 986 Management-Buy-outs realisiert. Diese positive Entwicklung sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß noch immer ein nur sehr kleiner Teil von Unternehmen Mitarbeiterkapitalbeteiligung praktiziert.
Obwohl die Bundesregierung mit dem Vierten Vermögensbildungsgesetz 1984 und dem Fünften Vermögensbildungsgesetz 1986 den Katalog der Anlagemöglichkeiten erheblich erweitert, den Begünstigungsrahmen ausgeweitet und die lohnsteuerfreien Unternehmenszuwendungen auf 500 DM erhöht hat und obwohl das Steuerreformgesetz die Einkommensgrenzen bei der Arbeitnehmersparzulage noch einmal heraufgesetzt hat, haben die Tarifparteien diesen gesetzlichen Rahmen bisher nicht genutzt. Dabei besteht angesichts der gewaltigen Investitionsvorhaben in den neuen Bundesländern - da stimme ich meinen Vorrednern ausdrücklich zu - wirklich eine historische Chance, auf dem Weg der Eigentumsbildung in den breiten Bevölkerungsschichten voranzukommen.
Deswegen verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht, warum denn die Gewerkschaften immerhin als Vertreter der Arbeitnehmerschaft nicht deutlicher, früher und gezielter darauf hingewiesen haben, daß staatliche Förderung von Untemehmensinvestitionen schließlich auch aus Steuermitteln von Arbeitnehmern bezahlt wird und daß es daher selbstverständlich sein sollte, daß diese einen Eigentumsanteil an Investitionen erhalten.
Es gibt zwar, wie schon vorhin aufgezählt, einige Modelle, z. B. das der IG Bau-Steine-Erden oder das Investivlohnmodell der IG Chemie und IG Bergbau. Ich glaube, diese haben durchaus nachdenkenswerte Ansätze. Bisher wurde nur noch nie der Versuch
gemacht, dies in Tarifverhandlungen auch wirklich einzubringen.
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- Ich glaube, das geht durchaus. Wir hätten, wenn dies in Tarifverhandlungen tatsächlich eingebracht worden wäre, z. B. jetzt gerade bei dem MetallerStreik, sicherlich einmal überlegt, was die eine oder andere Möglichkeit wäre. Wenn dem tatsächlich so viel entgegensteht, wie Sie behaupten, hätten wir überlegt, ob wir unsere Position nicht durchaus ändern könnten.
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Es ist zwar, glaube ich, richtig, daß ein Investivlohn kein Ersatz für eine Lohnpolitik mit Augenmaß ist, die die Betriebe nicht überfordert. Aber Lohnbestandteile, die nicht zu Konsumzwecken ausgegeben werden, sondern investiv verwendet werden können, haben den Vorteil, daß sie nicht nur zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand beitragen, sondern auch den Finanzierungsspielraum zur Schaffung von Arbeitsplätzen erhöhen. Ich glaube, daß ein solcher Tarifvertrag in den neuen Bundesländern durchaus Vorbildfunktion für Abschlüsse in den alten Bundesländern haben könnte. Spezielle Gesetzgebung, die ausschließlich für die neuen Bundesländer gilt, halte ich allerdings nicht für erforderlich, es sei denn, sie wäre auch für die alten Bundesländer gut.
Ich meine, daß es wichtig ist, noch einmal darauf hinzuweisen - ein gewisses Gesprächsangebot will auch ich wie mein Kollege Vogt hier machen -, daß wir in gewisser Weise Mitarbeit ankündigen. Der Jahreswirtschaftsbericht 1992 hat schon eine Berner-kung dazu gemacht. Die Bundesregierung wird sich einer konstruktiven Mitarbeit bei einer aktiven Vermögenspolitik der Tarifpartner nicht verschließen. So steht es dort. Ich glaube, daß wir uns als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion diesem durchaus anschließen können. Wir sind zur Zeit in Gesprächen.
Frau Kollegin, Sie sind weit über Ihre Redezeit.
Ich weiß, ich sehe es blinken. Deswegen kürze ich schon ab.
Ich glaube, daß wir bei den Beratungen in den Ausschüssen über das eine oder andere reden könnten.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({0})
Es ist immer ein Problem: Auch Herr Urbaniak ist ein Stück über seine Redezeit hinausgegangen. Ich habe ihn nicht unterbrochen, weil ich gesehen habe, daß er zum Ende kam. Wenn man einen Kollegen nicht unterbricht, dann denkt er: Ich kann noch unbegrenzt weiterreden. Deshalb muß
Vizepräsident Hans Klein
man immer, wenn das rote Licht leuchet, dieser Tatsache ein bißchen Aufmerksamkeit schenken.
({0})
Ich bin ja kein Ersatzlicht.
({1})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, unserem Kollegen Rudolf Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beteiligung möglichst vieler Menschen am Produktivkapital der Wirtschaft ist eine gesellschafts- und wirtschaftspolitisch bedeutende Aufgabe, der sich auch die Bundesregierung seit geraumer Zeit mit besonderer Aufmerksamkeit widmet. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre haben wir eine tiefgreifende Neuorientierung der Vermögenspolitik eingeleitet. Die Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wurde konsequent auf eine stärkere Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmerschaft ausgerichtet. Wichtigste Meilensteine auf diesem Weg waren die Vermögensbeteiligungsgesetze von 1983 und 1986 sowie die vermögenspolitischen Neuregelungen des Steuerreformgesetzes von 1990.
Mit der neu gestalteten Förderung haben wir deutliche Erfolge erzielt. So erhöhte sich der jährlich für westdeutsche Arbeitnehmer angelegte Geldbetrag für vermögenswirksame Leistungen von rund 13 Milliarden DM im Jahr 1983 auf immerhin rund 18 Milliarden DM im Jahr 1991. Besonders erfreulich ist: Der Anteil vermögenswirksamer Leistungen, der in Vermögensbeteiligungen angelegt wurde, erhöhte sich von rund 2 % in 1983 auf rund 10 % in 1991. Außerdem erwerben jährlich rund eine Million Arbeitnehmer steuer- und beitragsbegünstigte betriebliche Beteiligungen vom Arbeitgeber im Gesamtwert von 1 Milliarde DM.
Die Einführung der Förderinstrumente in den neuen Bundesländern 1991 bewirkte, daß bereits Ende letzten Jahres für 55 % der tariflich erfaßten ostdeutschen Arbeitnehmer Tarifverträge über vermögenswirksame Leistungen galten. Zum gleichen Zeitpunkt waren für rund 95 % der durch Tarifverträge erfaßten westdeutschen Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen tarifvertraglich vereinbart.
Um einer Vermögenskonzentration in den neuen Bundesländern entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung bereits 1990 entsprechende Schritte unternommen. Im Gesamtkonzept für die Privatisierungs-
und Beteiligungspolitik des Bundes wurde verankert, daß bei Veräußerung von Treuhandvermögen geprüft werden muß, ob die Unternehmen in breiter Streuung von Anteilsrechten an den Kapitalmarkt gebracht werden können.
Die Bundesregierung hat nachdrücklich darauf hingewirkt, daß Management-Buy-outs mit potentieller
Mitarbeiterbeteiligung ein Element der Privatisierungspolitik der Treuhand wurden und hat hierzu ein breites Förderinstrumentarium eingerichtet. Grundsätzlich werden Projekte mit Mitarbeiter- bzw. Belegschaftsbeteiligung bei Gleichwertigkeit mit anderen Kaufangeboten bevorzugt.
Dank dieser Politik können wir mittlerweile auf eine beachtliche Zahl von Management-Buy-outs mit Mitarbeiterbeteiligungen in den neuen Bundesländern verweisen. Das ist sicher eine gute und richtige Entwicklung, von der wir hoffen, daß sie sich durch das Engagement aller Beteiligten in gleicher Dynamik fortsetzt.
Nur auf den Gesetzgeber zu verweisen ist eine Strategie, die ihr Ziel verfehlen muß. Das wissen alle, die sich seit langem um Fortschritte in der Vermögensbildung bemühen. Für die Schaffung tarifvertraglicher Investivlohnvereinbarungen oder gemeinsamer Einrichtungen zur Arbeitnehmerbeteiligung bedarf es nicht primär des Gesetzgebers, sondern in erster Linie der Initiative der Tarifpartner.
Die Geschichte der Vermögenspolitik hat gezeigt, daß die notwendige Breite in der Vermögensbildung ohne das Engagement der Tarifpartner nicht zu erzielen ist. Auch heute bedarf es der Pioniere, wie sie die IG Bau und die Bauwirtschaft in den 60er Jahren waren - Pioniere, die nicht auf das paßgenaue Gesetz oder den Geldsegen des Staates warten, sondern konkret vor Ort, im Betrieb und am Verhandlungstisch das für richtig Erkannte voranbringen.
Der Gesetzgeber hat die Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Nach geltendem Recht steht es im Ermessen der Tarifvertragsparteien, die Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung eigenverantwortlich zu regeln.
Entschuldigung, Herr Kollege Kraus, ich darf Sie eine Sekunde unterbrechen. - Je kleiner die Zahl der Anwesenden, desto störender die kleinen Privatgespräche. Ich bitte, dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär noch etwas Aufmerksamkeit zu schenken.
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Woher weißt du das? - Du vermutest das.
Es gibt keine gesetzlichen Hindernisse, die Verabredungen über Investivlohn grundsätzlich im Wege stünden. Im Gegenteil: Der Gesetzgeber hat insgesamt dafür Sorge getragen, daß Tarifverträge über Investivlohn je nach ihrer Ausgestaltung nach dem Vermögensbildungsgesetz oder steuerlich gefördert werden können.
Auch sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Schaffung gemeinsamer Einrichtungen der Tarifpartner für Arbeitnehmerbeteiligungen gegeben. Deshalb machen immer neue Rufe nach dem Gesetzgeber keinen Sinn. Viel wichtiger wäre es vielmehr, mit den bereits vorhandenen Möglichkeiten neue Formen der Arbeitnehmerbeteiligung zu realisieren.
Es geht jetzt mehr und mehr um die Frage, welchen Beitrag die Tarifpartner zur Vermögenspolitik leisten können. Die Arbeitsteilung, vom Staat Vorgaben und Mehrausgaben zu fordern, ohne daß sich die Sozialpartner wirklich bewegen, kann nicht funktionieren. Es nützt auch relativ wenig, wenn eine der beiden Tarifparteien Vorschläge macht, die letztlich keine Chance haben, von der anderen Seite angenommen zu werden. Unter dem Vorzeichen - das muß man auch sagen - knapper Kassen sind die Möglichkeiten des Staates natürlich sehr begrenzt.
Die Tarifparteien und nicht der Gesetzgeber müssen die Zugpferde einer partnerschaftlichen, Arbeitgebern wie Arbeitnehmern nutzenden und mehr Verteilungsgerechtigkeit schaffenden Vermögenspolitik sein.
Schließlich ist die Tarifautonomie kein starres Gebilde. Der Schlüssel zu ihrer Weiterentwicklung liegt in der Hand der Tarifpartner.
Ich bedanke mich.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/2839 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist ganz offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Edith Niehuis, Hanna Wolf, Angelika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Frauenförderung innerhalb der Europäischen Strukturförderung
- Drucksache 12/4164 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Ausschuß für Wirtschaft EG-Ausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Dr. Edith Niehuis das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schon fast traditionell haben wir uns daran gewöhnt zu sagen, in frauenpolitischen Fragen und hinsichtlich der Chancengleichheit spiele Europa gegenüber seinen Mitgliedstaaten eine Vorreiterrolle.
In der Tat gibt es so manchen Ratsbeschluß, so manche EG-Richtlinie und viele Beschlüsse des Europäischen Parlamentes, die Europa zum Motor des Fortschritts für mehr Gleichberechtigung in der EG machten. Das ist eine Situation, die allerdings auch Gefahren in sich birgt. Zuviel Selbstgerechtigkeit
führt leicht zu Mangel an notwendiger Kritik und auch zu Stillstand. Was Europa anbetrifft, denke ich, sind beide Gefahren aktuell vorhanden.
Dafür, daß die Frauenpolitik in Europa eher zum Stillstand gekommen ist, ist Maastricht ein beredtes Beispiel, denn das Ergebnis der Regierungskonferenzen enthält keine Verbesserungen der Frauenrechte in der EG. Wer erwartet hat, im Vertrag von Maastricht würde im Sinne der guten frauenpolitischen Tradition Frauenförderung als Teil z. B. wichtiger Arbeitnehmerrechte vereinbart, sieht sich enttäuscht. Lediglich in einer Protokollnotiz wird zur Erreichung der Lohngleichheit eine vorübergehende positive Diskriminierung erlaubt.
Maastricht steht damit symbolisch für die Tatsache, daß Europa seine Frauen-Power verloren hat. Wer dieses nicht will, muß versuchen, Europa frauenpolitisch wieder zu aktivieren. Dieses wäre eine hervorragende Aufgabe für die Bundesregierung. Aber man traut es natürlich nur bestimmten Bundesregierungen zu; der gegenwärtigen Bundesregierung traut man es eben weniger zu. Wer im eigenen Land ein wirksames Gleichstellungsgesetz verhindert, wer sich verweigert, das Grundgesetz in seinem Gleichberechtigungsartikel 3 so zu ergänzen, daß Frauen nicht mehr länger unter einer ungerechten Bevorzugung der Männer leiden müssen, wer all dieses tut, wird kein Vertrauen von Frauen haben, einen frauenpolitischen Vorstoß in Europa zu machen.
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Mit dem vorliegenden Antrag will die SPD-Bundestagsfraktion vom Parlament aus die Bundesregierung auffordern, auf europäischer Ebene im Sinne der Frauen Europas tätig zu werden. Es ist höchste Zeit, und es ist auch gerade die richtige Zeit.
Europa befindet sich an einer wichtigen Nahtstelle. Seit Anfang des Jahres gibt es den EG-Binnenmarkt, der Vertrag von Maastricht wurde vereinbart, und ein wichtiges Instrument europäischer Politik - die Strukturförderung - wird gerade in diesen Monaten mit neuen Richtlinien versehen.
Wer in dieser Situation nicht aufpaßt, könnte die Zukunft der Frauen Europas auf Jahre verspielen. Dieses möchten wir verhindern.
Der EG-Binnenmarkt, der mehr Freizügigkeit und Wettbewerb verspricht, bedeutet für die Frauen nicht nur Chancen, sondern auch mehr Risiken, denn Frauen haben eine schlechte Ausgangsposition, um ihre Chancen wahrnehmen zu können: Sie haben eine geringe Beschäftigungsquote, sie sind überproportional hoch arbeitslos und werden im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt durch ihr geringeres Qualifikationsniveau, eine geringere Mobilität und insbesondere auch fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen behindert.
Was die Kinderbetreuungseinrichtungen anbetrifft, spielt Deutschland eine besonders unrühmliche Rolle. Insofern gehört der von diesem Parlament beschlossene Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch zum Thema „Faire Chancen für Frauen".
13088 Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 152. Sitzung. Borm, Donnerstag, den 22. April 1993
Es sind immer wieder die Familienpflichten, die Frauen auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil gereichen. Insofern muß die Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen, d. h. eine besondere Frauenförderung, ein vorrangiges Thema auf EG-Ebene bleiben. Hierzu diente u. a. der Europäische Sozialfonds. Leitlinien regelten, daß bei den Zielen 3 und 4 - also Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und Erleichterung der Eingliederung der Jugendlichen in das Erwerbsleben - immer auch Frauen als prioritäre Personengruppe gefördert werden.
Das war ein sinnvoller Anfang, obwohl auch die Bilanz des Europäischen Sozialfonds, was den Anteil der Frauen betrifft, keinen Anlaß zum Jubeln gibt. Mit einem geschätzten Anteil von 42 % an den ESF- geförderten Maßnahmen sind die Frauen insgesamt unterrepräsentiert. Wenn man zudem betrachtet, wieviel Geld für frauenspezifische Maßnahmen ausgegeben wird, dann stellt man fest, daß das in Deutschland gerade nur 5,9 %, in Dänemark 17 % und in den Niederlanden 15 % sind. Die Bundesrepublik Deutschland ist somit ein Schlußlicht in Europa, was die frauenspezifischen Maßnahmen aus dem Europäischen Sozialfonds betrifft. Das heißt, wenn wir über Frauenförderung auf EG-Ebene reden, haben wir Anlaß genug, auch der Bundesregierung Beine zu machen.
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Seitens der EG wurde darum zu Recht die Gemeinschaftsinitiative NOW - New Opportunities for Women - aufgelegt, die die nationalen Regierungen zwingt, die Maßnahmen des ESF für Frauen zu stärken. Das Bild allerdings, daß die Bundesrepublik Deutschland abgibt, insbesondere was die notwendige Kofinanzierung betrifft, ist enttäuschend. Institutionen und Organisationen, ob freie oder staatliche, verzetteln sich dermaßen, daß es zwei Jahre nach dem Start von NOW bisher nur ein bewilligtes Projekt gibt. Dies könnte man mit bürokratischen Hindernissen in der Anfangsphase abtun. Man könnte es sich damit aber wirklich zu leicht machen. Wenn sich ein Staat erlaubt, bei einer Gemeinschaftsinitiative wie NOW, die nur auf drei bis vier Jahre angelegt ist, ein bürokratisches Hürdenrennen zu veranstalten, dann muß dieser Staat sich den Vorwurf gefallen lassen, kein Interesse an einer wirksamen Durchsetzung der Gemeinschaftsinitiative zu haben.
({2})
Dieses Desinteresse dokumentiert die Bundesregierung auch im 51. Bericht über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Gemeinschaft, in dem die Gemeinschaftsinitiative NOW ebensowenig erwähnt wird, wie die Frauen als besondere Zielgruppe des Europäischen Sozialfonds erwähnt werden. Wer zudem ein wichtiges Kofinanzierungsinstrument für europäische Frauenfördermaßnahmen zerstört, wie die Bundesregierung es mit ihrer Novellierung und Kürzung beim AFG getan hat,
dokumentiert auf anschauliche Weise sein Desinteresse an berufsorientierten Maßnahmen für Frauen.
({3})
Die Bundesregierung zerstört die Anwendung von NOW in Deutschland, bevor dieses Programm überhaupt ausprobiert werden konnte.
Wir als SPD im Parlament wollen, daß die Frauenförderung bei uns in der nationalen Politik, aber auch in der EG-Politik ernster genommen wird.
({4})
Das heißt, so etwas wie NOW muß über 1994 hinaus weitergeführt und mit mehr Mitteln ausgestattet werden. Doch NOW muß auch von unsinnigen, für Träger nicht leistbaren Auflagen entrümpelt werden. Das gilt z. B. für die transnationale Komponente, aber auch für das notwendige Element des Fernunterrichts. Unter den gegebenen Bedingungen kann NOW nur von den größeren Trägern in Anspruch genommen werden, und es ist zu sehr auf höher qualifizierte Frauen ausgerichtet.
Wir fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß die jetzt geplanten NOW-Projekte gerettet werden, und dann für eine Weiterführung von NOW auf EG-Ebene einzutreten, aber zugleich mit einer besseren Praktikabilität.
Was die Änderung der Sturkturfondsrichtlinien anbetrifft, insbesondere auch die Ziele 3 und 4, so fordern wir, daß Frauen als prioritäre Zielgruppe explizit erwähnt werden. Eine industrie- und strukturpolitische Ausrichtung des Fonds, wie geplant, ohne besondere Erwähnung der Zielgruppe Frauen würde zu Lasten der Frauen Europas im sich bildenden Binnenmarkt führen, und das können wir nicht akzeptieren.
({5})
Aber unsere Forderungen richten sich nicht nur an die Ausgestaltung des EG-Sozialfonds. Wir denken auch an die anderen Fonds der EG-Strukturförderung. Ein paar Motivationskurse für Frauen, aber aufwendige Qualifikationskurse für Männer, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, stellen nicht die Politik dar, die wir wollen.
Wenn es um neue Technologien, urn Zukunftsbereiche geht, dann wollen wir, daß Frauen für diese Bereiche gleichermaßen qualifiziert werden. Darum gehören Frauenförderrichtlinien in alle Wirtschaftsförderungsprogramme der EG. Wir meinen, wer hier zögert, hat die wesentlichen Aufgaben der Zukunft nicht erkannt. Der Wirtschaftsstandort Europa wird wesentlich davon abhängen, wie wir in Zukunft das Fachkräftepotential der Frauen nutzen können. Wer hier schläft, verschläft die Zukunft.
({6})
Mit unserem Antrag befinden wir uns in guter Gesellschaft. Ich erinnere an die entsprechenden
Beschlüsse des Ausschusses für die Rechte der Frau im Europäischen Parlament, aber insbesondere an das Schreiben des Beratenden Ausschusses der Europäischen Kommission für Chancengleichheit von Frauen und Männern vom 27. Januar dieses Jahres an die Kommission.
Wie dieser Beratende Ausschuß sind wir der Meinung, daß die Maßnahmen innerhalb der EG-Strukturfonds in Zukunft sorgfältiger überwacht werden müssen. Nicht zuletzt die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage „Europäische Strukturförderung" hat uns in dieser Ansicht bestärkt. Darum fordern wir, daß die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle zwei Jahre einen Bericht vorlegt, aus dem die Berücksichtigung der Frauen bei der Vergabe der EG-Mittel hervorgeht.
Die Vorsitzende des Beratenden Ausschusses warnte Delors in ihrem Brief mit den Worten - ich zitiere -:
Ergreift die Gemeinschaft jetzt nicht geeignete Maßnahmen . . ., werden weiterhin nicht nur die Begabungen und Fähigkeiten von Frauen nicht ausgeschöpft werden, sondern ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt wird sich noch verschlechtern.
Ich schließe mich diesen Worte an und fordere die Bundesregierung auf, im Sinne unseres Antrags tätig zu werden.
({7})
Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Sissy Geiger ({0}) das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich engagiert und sich stark macht für eine bestimmte Zielgruppe, wie hier Frau Niehuis und die SPD-Fraktion, und wenn man noch dazu in der Opposition ist, dann ist es aus dieser Sicht sicherlich richtig, Maximalforderungen zu stellen, wie Sie dies hier mit Ihrem Antrag „Frauenförderung innerhalb der Europäischen Strukturförderung" tun.
Außerdem ist der Zeitpunkt aktuell. Mit dem 1. Januar 1993 begann ein neues, das EG-Zeitalter. Der europäische Binnenmarkt, Keimzelle der Europäischen Union, bringt wirtschaftliche und soziale Veränderungen mit sich, auch für die Frauen.
Der Zeitpunkt der Einbringung dieses Antrags ist noch unter einem weiteren Gesichtspunkt aktuell: Da die EG-Kommission mit Blick auf die Jahre 1993 bis 1996 an neuen Richtlinien für den Europäischen Strukturfonds arbeitet, kommt der Berücksichtigung der arbeitsmarktpolitischen Belange von Frauen besondere Bedeutung zu. In der durch den EG- Binnenmarkt veränderten Situation gilt es sicherzustellen, daß dieser sich nicht negativ auf die Beschäftigungssituation von Frauen auswirkt, sondern die berufliche Situation von Frauen verbessert.
({0})
Deshalb wurde auf Initiative der Bundesregierung in Maastricht nicht nur Art. 119 des EWG-Vertrages - gleiches Entgelt für gleiche Arbeit bei Frauen und Männern- gesichert, sondern gleichzeitig wurde den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, Frauen gegenüber Männern zu bevorteilen, wenn sie Erleichterungen in ihrer Berufstätigkeit oder einen Ausgleich für Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn benötigen.
Die EG-Kommission in Brüssel hat nun für die Jahre 1981 bis 1995 drei Aktionsprogramme eingerichtet, von denen das dritte ganz speziell zur Verwirklichung der Rechte der Frauen dient. Die Finanzierung dazu erfolgt aus dem ESF, dem Europäischen Sozialfonds.
Dazu kann festgestellt werden - das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor -, daß Frauen durch die ESF-Förderung in der Bundesrepublik Deutschland in größerem Maße als Männer begünstigt worden sind. Das mag auch damit zusammenhängen - ich zitiere -, „daß die Palette der Fördermöglichkeiten nach dem ESF sehr flexibel ist und somit die Konzeption gezielter Maßnahmen erleichtert wird". So halten etwa die Leitlinien für die Beteiligung des ESF an Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit und zur Eingliederung Jugendlicher ins Erwerbsleben fest, daß Frauen, die nach längerer Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt anstreben, Langzeitarbeitslosen gleichgestellt werden.
Eine weitere, auf die Bundesregierung zurückgehende Erleichterung besteht darin, daß bei der Förderung der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen die Kosten für die Betreuung sowohl von Kindern als auch von pflegebedürftigen Familienangehörigen im Rahmen von geförderten Projekten als zuschußfähige Kosten anerkannt werden.
({1})
Es gibt noch weitere Erleichterungen, auf die ich aber aus Zeitgründen nicht weiter eingehen möchte.
Es gibt noch erhebliche Unterschiede zwischen den EG-Mitgliedstaaten, und es ist auch festgestellt worden, daß EG-weit die Arbeitslosigkeit der Frauen tendenziell stärker zurückgeht als die der Männer. So hat sich in den letzten vier Jahren die Arbeitslosenquote der Männer von 7,9 % auf 8 % erhöht, die der Frauen ist dagegen von 12,6 % auf 11,6 % gesunken.
Gegen diese meist strukturell bedingten Benachteiligungen hat sich die EG nun NOW einfallen lassen. „New Opportunities for Women" heißt eine Initiative, die im erweiterten Rahmen des Binnenmarktes die Schaffung kleiner Unternehmen und Genossenschaften durch Frauen finanziell und ideell fördert und aktive Unterstützung bei Beratung und Ausbildung sowie bei der Suche nach einem Arbeitsplatz anbietet. Dieses Hilfeprogramm der EG ist ein Schwerpunkt des dritten Aktionsprogramms. Es fördert auch die Weiterbildung und die Beschäftigungsmöglichkeiten von Frauen.
Dr. Sissy Geiger ({2})
Hinzugekommen ist noch IRIS, ein Programmnetz zur beruflichen Bildung der Frauen. Wegen der erhöhten Flexibilität, die für die Bewährung auf dem Binnenmarkt gefordert wird, ist die berufliche Qualifikation eine wichtige Voraussetzung. 47 Projekte wurden in der Bundesrepublik bereits durchgeführt. Für die Frauen in den neuen Bundesländern übernehmen die ABM-Maßnahmen bis zur Schaffung ausreichender Arbeitsplätze eine Brückenfunktion.
Childcare mit dem Netzwerk für Kinderbetreuung will die Situation der Kinder in der Gemeinschaft erfassen, auf die Beschaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen einwirken usw. Natürlich gibt es noch Verbesserungswürdiges bei allen Bemühungen um die Umsetzung dieser Programme.
Aus der Dokumentation der Fachkonferenz „Drittes EG-Aktionsprogramm zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern - Neue Chancen für Frauenprojekte durch die EG-Strukturförderung", die im Auftrag des Bundesministeriums für Frauen und Jugend im September 1992 in Berlin durchgeführt wurde, geht auf Grund der Stellungnahmen der mit der Umsetzung dieses Programms befaßten Fachleute hervor, daß nicht alles so läuft, wie es sein sollte.
Zum Beispiel reichen bei NOW bisher Koordinierung und Informationsaustausch nicht aus. Die Gleichstellungsstellen der Länder sind bei Konzeption und Entwicklung der operationellen Programme nicht involviert. Es wurde auf der erwähnten Fachkonferenz auch erklärt, die Laufzeit von NOW sei zu kurz, um sinnvolle berufliche Umschulungsmaßnahmen, die drei Jahre dauern, durchzuführen. NOW sei zu anspruchsvoll, das Prozedere viel zu kompliziert; NOW sei eine zu schwache Säule der Frauenpolitik.
Die SPD fordert darüber hinaus, daß Frauen in allen Programmen der drei Strukturfonds die bevorzugte Zielgruppe sein sollen, daß die EG in relevanten Statistiken auch die Frauen berücksichtigen soll, daß die Fördervoraussetzungen vereinfacht werden sollen, daß im Rahmen des AFG die Strukturen zur Förderung innovativer Frauenprojekte mit den Strukturen der Fonds der europäischen Strukturförderung in Übereinstimmung gebracht werden sollen. Schließlich fordert sie umfangreiche Berichte über die Erfolge oder Mißerfolge der Maßnahmen.
Sicherlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind einige der genannten Forderungen in dem SPD-Antrag übertrieben. Man sollte aber im Zuge der parlamentarischen Beratungen einige Punkte bedenken, vor allem jene, die die Vereinfachung der Richtlinien betreffen, die die Verlängerung von Programmen betreffen, die Angleichung von Voraussetzungen in den einzelnen Ländern oder schlicht und einfach das Sich-Zusammensetzen mit kompetenten Personen wie z. B. den Frauenbeauftragten.
({3})
Zwar scheint die EG in Brüssel noch zähleibiger zu sein als vermutet. Aber man sollte nicht übersehen, daß es auf Vorschlag der Bundesregierung gelungen ist, durchzusetzen, daß in die neue Verordnung zum ESF und damit in einen EG-Text die Förderung der
Chancengleichheit von Männern und Frauen aufgenommen worden ist.
({4})
Damit, meine Damen und Herren, sind wir auf einem guten Weg. Aber wir dürfen in unseren Anstrengungen, benachteiligte Frauen stärker zu fördern, nicht nachlassen, und vor allem muß Frauenförderung mehr sein als nur Randgruppenförderung.
({5})
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. FunkeSchmitt-Rink.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Der Arbeitsmarkt im europäischen Ausland wie in Deutschland ist geschlechtsspezifisch gespalten: Frauen verdienen nach wie vor 20 bis 30 % weniger als Männer, ihre Arbeitslosenquote liegt bei 11,1 % - bei Männern beträgt sie 6,5 % -, sie machen 55 % der Langzeitarbeitslosen in der EG aus. Arbeitsplätze für Frauen finden sich vor allem am Ende der Betriebs- und Institutionenhierarchie, und in allen Mitgliedstaaten sind 90 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen.
Demgegenüber schreiben die Römischen Verträge von 1957 die Lohngleichheit von Frauen und Männern bei gleicher Arbeit fest. Der Hintergrund dieses Artikels von 1957 bestand zynischerweise darin, Wettbewerbsverzerrungen auf Grund auffallend niedriger Frauenlöhne in einigen Mitgliedstaaten zu vermeiden.
Die EG erließ in den siebziger Jahren fünf Richtlinien, die für die Frauen hinsichtlich der Lohngleichheit, der Berufsausbildung und des beruflichen Aufstiegs Bedeutung hatten. Darüber hinaus bewirkten dies eine Gleichbehandlung in der Sozialversicherung, bei den betrieblichen Systemen sozialer Sicherheit und bei der selbständigen Erwerbsarbeit.
Neben diesen EG-Richtlinien, die für die Mitgliedstaaten keinen rechtsbindenden Charakter haben, gibt es Aktionsprogramme wie „IRIS-Netzwerk", „ILE", „Childcare" und „Frauen in den Medien", die zur Chancengleichheit von Frauen beitragen sollen.
Es ist bezeichnend, daß das dritte, bisher letzte Aktionsprogramm für die Zeit zwischen 1991 und 1995 dieselben Forderungen enthält, wie sie bereits 1957 aufgestellt wurden, nämlich: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Sicherstellung von Anwendung und Weiterentwicklung der vorhandenen Rechtsvorschriften, Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt.
Bewertend kann man feststellen, daß die EG-Richtlinien, die Aktionsprogramme und die EuGH-Urteile die wirklichen Motoren für die Gleichstellung von Frauen in allen Mitgliedstaaten waren.
Eine Frauenkommissarin sollte zur Verstärkung der Interessen der Hälfte aller Einwohner der EG- Mitgliedstaaten berufen werden.
Die hier vorliegende Gemeinschaftsinitiative NOW hat sich zum Ziel gesetzt, Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt in natioDr. Margret Funke-Schmitt-Rink
nales Recht zu überführen. Wir haben das schon von den beiden Vorrednerinnen gehört. So sollen durch die Mittel des Europäischen Sozialfonds Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen, Hilfe zur Gründung von Klein- und Mittelbetrieben oder Kooperativen und Einstellungsbeihilfen gefördert und darüber hinaus auch Maßnahmen für Kinderbetreuung im Rahmen der Qualifizierungsprojekte ergriffen werden.
Durch die gerade verabschiedete zehnte AFG- Novelle sind Fördermittel der Bundesanstalt für Arbeit für konkrete Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung von Frauen im Beruf gestrichen worden. Dadurch entfällt, was ich sehr bedauere, der EG-Anteil, dessen Voraussetzung die nationale KoFinanzierung ist. NOW sollte aber innerstaatlich umgesetzt werden. Daher wünsche ich mir mittelfristig, Frau Niehuis, eine Rücknahme dieser Änderungen im AFG.
Wie schwierig die Umsetzung der vorhandenen EG-Richtlinien auf nationaler Ebene ist, wissen wir Frauenpolitikerinnen hinreichend; Stichwort: Antidiskriminierungsgesetz. Keine deutsche Bundesregierung seit 1949 ist dem Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Grundgesetz in der Wirklichkeit annähernd nachgekommen. In allen wichtigen Bereichen - Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst - dominieren männlich geprägte Strukturen. Überall existiert eine quantitative und qualitative Unterrepräsentanz von Frauen, z. B. geschlechtsspezifisch unterschiedliche Berufsausbildung, Männer bevorzugende Einstellungspraxis trotz gleicher Qualifikation, geringere Entlohnung bei gleicher Tätigkeit, geringere innerbetriebliche Qualifizierungsangebote für Frauen, schlechtere Entlohnung der innerbetrieblichen Qualifizierung und geringere Förderungsmöglichkeiten.
Zum SPD-Antrag möchte ich heute für die F.D.P. feststellen, daß gewisse rechtliche Grundlagen einiger Forderungen zur Verbindlichkeit bisher leider noch nicht geklärt sind. Das Bundesverfassungsgericht wird hoffentlich im Zusammenhang mit der Klage gegen das NRW-Gleichstellungsgesetz im Herbst darüber entscheiden, ob das Grundgesetz eine befristete Bevorzugung von Frauen bei gleicher Leistung zuläßt.
({0})
Ich persönlich wünsche mir ein solches Urteil, kann das aber für die F.D.P. in toto natürlich nicht feststellen.
({1})
- Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Darüber hinaus bleibt die berechtigte Frage: Wie wird derzeit in der Bundesrepublik Frauenförderung vorangetrieben? Der gestern vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Bundesgleichberechtigungsgesetzes hat zum Ziel, die Benachteiligung von Frauen beim beruflichen Einstieg in den öffentlichen Dienst abzubauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung zu erleichtern.
({2})
- Ich werde jetzt schneller sprechen.
Hebel und Grundlage für ein wirksames Gleichberechtigungsgesetz ist vor allem die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, in dem der Staat aufgerufen wird, aktiv die Bedingungen für die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern durchzusetzen, verknüpft mit einer Kompensationsklausel.
Fazit: Frauen und Männer müssen gleichberechtigt und gleichgestellt Familie und Beruf verbinden können. Es bleibt daher Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestages, endlich die Hausaufgaben zu machen, d. h. eine auf Gleichstellung ausgerichtete Frauenförderung im Grundgesetz zu verankern und durch ein Gleichstellungsgesetz zu verstärken. Wir wissen, daß es hier ans Eingemachte geht; denn die Frauenförderung ist in Wirklichkeit der Hebel, um die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend zu verändern.
Ich danke Ihnen. - Ich danke auch Ihnen, Herr Präsident.
({3})
Frau Abgeordnete, ich wollte Ihren Redefluß nicht unterbrechen, sondern lediglich der Vermutung der SPD-Fraktion, ich sei nicht Ihrer Meinung, widersprechen. Das war alles.
Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Petra Bläss das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen in der Bundesrepublik haben trotz Gleichbehandlungsgebot der EG, auf das die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in der Erwerbswelt noch immer nicht die gleichen Chancen wie Männer. Sie werden auf vielfältige Weise benachteiligt und diskriminiert. Das wohl größte Drama ist, daß Millionen Frauen in diesem Lande verweigert wird, erwerbstätig zu sein.
In den neuen Bundesländern ist die Arbeitslosenquote der Frauen mit 19,6 % inzwischen fast doppelt so hoch wie die der Männer. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen liegt bei 62,2 %. In Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es Arbeitsamtsbezirke, in denen der Frauenanteil an den registrierten Arbeitslosen 70 % und mehr beträgt - und das alles in der Ex-DDR, wo für nahezu alle Frauen Erwerbstätigkeit selbstverständlich und unverzichtbar war.
Auch unter den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen wollen die Frauen im Osten nicht in Küche und Heim verbannt werden, wie erst kürzlich das Bundesfrauenministerium in dem Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe feststellte. Lediglich 1 % der Frauen könnte sich ein Leben ohne Berufsarbeit - so das Ergebnis einer Infas-Befragung - gut vorstellen.
Um so unverständlicher ist mir, daß die Bundesregierung nur so geringe Anstrengungen unternimmt,
mit Hilfe der Strukturförderung der EG die Massenarbeitslosigkeit von Frauen zurückzudrängen.
({0})
Wie werden denn die rund 6,15 Milliarden DM aus den Strukturfonds der Europäischen Gemeinschaft in den neuen Bundesländern genutzt, um Frauen tatsächlich spürbar und effektiv Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben? Beweise für meine Feststellung, daß die Bundesregierung zu geringe Anstrengungen unternimmt, die Situation der Frauen zu verbessern, gibt es nicht zuletzt in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von SPD-Abgeordneten zur europäischen Strukturförderung.
({1})
- Herr Präsident, könnten Sie vielleicht einmal für ein bißchen Ruhe sorgen?
Frau Abgeordnete, das ist ein berechtigtes Anliegen.
({0})
Das wäre nicht schlecht. Mir sind gestern drei Weisheitszähne gezogen worden, und ich kann nicht so laut sprechen.
Ich habe sehr viel Verständnis dafür und wäre wirklich dankbar, wenn der Geräuschpegel ein wenig abgesenkt würde.
So heißt es dort auf die Frage nach den Frauenfördermaßnahmen aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung - Zitat -:
Das Geschlecht der Endbegünstigten ist bei der Durchführung der EFRE-Interventionen kein maßgebliches Kriterium.
Auch bei den Maßnahmen, die aus dem Agrarfonds für die ländlichen Gebiete finanziert werden, gibt es keine Förderung speziell für Frauen, obwohl dieses Programm eine Reihe von Zielen und Schwerpunkten hat, die sich geradezu für die Förderung von Frauen auf dem Lande anbieten.
Deshalb kann ich die Aufforderung der SPD-Kolleginnen und -Kollegen an die Bundesregierung in dem vorliegenden Antrag nur unterstützen, sich bei der EG-Kommission für verbindliche Frauenförderrichtlinien in allen drei Strukturförderungsfonds einzusetzen.
Auch mit den anderen Punkten des Antrages stimme ich generell überein. Allerdings würde ich in einigen Forderungen sogar weitergehen.
So halte ich es für unerläßlich, daß mindestens die Hälfte aller drei EG-Strukturfonds den Frauen zur Verfügung steht, und zwar sowohl was die Höhe der Mittel als auch was die Zahl der Geförderten betrifft.
Wo und wie die Förderung am wirksamsten werden kann, können die Gleichstellungsstrukturen vor Ort tatsächlich am besten beurteilen. Dazu gehören für
mich unbedingt auch die nichtstaatlichen und nichtkommunalen Fachfrauen, die Vertreterinnen von Frauenprojekten und Frauenverbänden. Ohne ihr entscheidendes Wort dürfte überhaupt kein Frauenförderungsprogramm aufgestellt werden.
Ebenso dringlich ist es, die Prozedur der Beantragung von EG-Mitteln zu entbürokratisieren. Die Verfahren müssen schnell und ohne Zusatzstudium zu bewältigen sein. Daß ein Dickicht zu durchdringen ist, bevor eine EG-Quelle irgendwann fließt - oder auch nicht -, hat nicht das geringste mit einer bürger- und bürgerinnenfreundlichen Gemeinschaft zu tun, wie sie ja wohl auch von der Bundesregierung gewünscht wird.
Ich danke.
({0})
Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär Rudolf Kraus.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat im Oktober 1992 in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur europäischen Strukturförderung ausführlich dargelegt, welch große Bedeutung sie frauenspezifischen Maßnahmen beim Einsatz des Europäischen Sozialfonds in Deutschland beimißt, um den besonderen Erfordernissen bei der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen.
Bereits heute werden auf Grund der flexiblen Ausgestaltung und der Anpassung des Föderinstrumentariums des Europäischen Sozialfonds mehr Frauen als Männer gefördert, nämlich in Westdeutschland ca. 52 % und in Ostdeutschland ca. 57 %. Zu diesem hohen Prozentsatz hat auch beigetragen, daß die Bundesregierung gegenüber der EG-Kommission durchsetzen konnte, sowohl Kinderbetreuungskosten als auch die Kosten für die Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme für Frauen als zuschußfähige Kosten anzuerkennen.
Die Bundesregierung hält den Einsatz frauenspezifischer Förderbedingungen für erforderlich, da Frauen in allen EG-Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Ausbildungs- und Berufschancen sowie ihrer Stellung im Erwerbsleben nach wie vor benachteiligt sind und auch in der europaweiten Arbeitslosenstatistik die Frauenquote erheblich höher liegt als die der Männer.
Nicht verhehlen möchte ich jedoch, daß sich die Durchführung frauenspezifischer Maßnahmen schwieriger gestaltet als die allgemeiner Fördermaßnahmen. Akzeptanzprobleme und die Weigerung, in eine vermeintliche Sonderrolle hineingedrängt zu werden, sind hierfür die häufigsten Ursachen.
Dennoch werden wir trotz mancher Schwierigkeiten im Rahmen des Europäischen Sozialfonds weiterhin an frauenspezifischen Fördermaßnahmen festhalten. Im Gegensatz zum vorliegenden Antrag halten wir es aber nicht für vertretbar, in alle drei EG- Strukturfonds und in alle Wirtschaftsförderprogramme der EG verbindliche Frauenförderrichtlinien aufzunehmen.
So hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zur europäischen Strukturförderung dargelegt, daß sich z. B. sowohl der Europäische Fonds für regionale Entwicklung als auch der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft für die Verfolgung frauenspezifischer Anliegen nicht eignen. Deren Ziele sind z. B. die Förderung produktiver Investitionen und die Errichtung und Modernisierung der Infrastruktur.
({0})
- Es ist offensichtlich: Man wartet hier auf die Abstimmung. Ich werde mich bemühen, ganz schnell zu sein, um den Kollegen ein bißchen entgegenzukommen.
Weitere Ziele sind die Förderung der Entwicklung des endogenen Wirtschaftspotentials der Regionen und der Anpassung der Agrarstrukturen sowie der Entwicklung des ländlichen Raumes.
Außerdem müssen wir bei der Umsetzung der Förderung des Europäischen Sozialfonds in Deutschland auch andere, nicht geschlechtsspezifische Ziele wie die arbeitsmarktpolitische Flankierung industrieller Anpassungsprozesse oder des Strukturwandels in der Landwirtschaft beachten.
Angesichts der hohen Partizipationsrate von Frauen an den Förderprogrammen des Europäischen Sozialfonds und der im Vergleich zur nationalen Arbeitsmarktpolitik doch recht bescheidenen Mittelausstattung stellt sich die Frage, ob zusätzliche Anstrengungen erforderlich sind. Frau Niehuis, eines ist allerdings nicht richtig, nämlich daß die Bundesregierung die Programme nicht ausschöpft. Es ist vielmehr so, daß in diesem Programm NOW etwa 50 % der Mittel bereits gebunden sind. Hier ist also doch mehr getan worden, als Sie vorhin vorgetragen haben.
Wenn auch die Bundesregierung weiterhin den berechtigten Anliegen der Frauen Rechnung tragen will, so darf sie darüber die sicherlich ebenso berechtigten Anliegen der anderen Zielgruppen nicht vernachlässigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat in nicht immer leichten Verhandlungen mit der EG-Kommission verwaltungsmäßige Vereinfachungen bei der Umsetzung der Förderung im Rahmen des Europäischen Sozialfonds durchsetzen können. Diese Vereinfachungen dürfen wir jetzt nicht durch zusätzliche Datenerfassungs- und Berichtspflichten auf nationaler Ebene unterlaufen. Die Bundesregierung ist aber bereit, die für die EG-Kommission zu erstellenden Berichte, die auch Angaben über die Zusammensetzung der geförderten Personenkreise enthalten, auf Anfrage auch Ihnen, den interessierten Abgeordneten, zur Verfügung zu stellen.
Ich bedanke mich.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aussprache.
Ich höre gerade, daß der Überweisungsvorschlag einvernehmlich entsprechend den Wünschen der SPD-Fraktion lautet. Das heißt: Die Federführung soll beim Ausschuß für Frauen und Jugend liegen, und mitberatende Ausschüsse sollen die anderen in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sein. Da ich dem Hause nun eine kontroverse Abstimmung ersparen konnte, kann ich feststellen, daß der Überweisungsvorschlag einstimmig - so nehme ich an - angenommen worden ist.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Mühen und rufe nunmehr den nächsten Tagesordnungspunkt, nämlich den Punkt 13, auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Regelung von Sicherheitsüberprüfungen sowie künftiger beruflicher Einsatzmöglichkeiten von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit
- Drucksachen 12/284, 12/811 ({1}), 12/1942 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Büttner ({2}) Rolf Schwanitz
Ingrid Köppe
Ich erteile zunächst einmal - aber nicht eher, bis die Ruhe im Saal hergestellt ist - der Abgeordneten Frau Ingrid Köppe das Wort. - Diejenigen, die an der Debatte nicht teilnehmen wollen, bitte ich, ihre Gespräche in der Lobby fortzusetzen. Herr Abgeordneter Weng, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie der Abgeordneten Köppe die Möglichkeit gäben, mit ihrem Redebeitrag zu beginnen. Danke schön.
Frau Abgeordnete Köppe, Sie haben das Wort.
Danke. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema auf der heutigen Tagesordnung gesehen habe, mußte ich, ehrlich gesagt, erst einmal überlegen, worum es bei unserem eigenen Antrag überhaupt ging; denn es ist immerhin schon zwei Jahre her, daß wir diesen Antrag eingebracht haben. Die letzte Ausschußberatung zu unserem Antrag fand im November 1991 statt. Trotzdem sind das zugrunde liegende Problem und unser Anliegen - leider, muß ich heute sagen - noch so aktuell wie damals.
Worum ging es? Zunächst um eine lange überfällige gesetzliche Regelung zur Überprüfung von Beschäftigten in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Den auch vom Innenausschuß geforderten Gesetzentwurf hat die Bundesregierung im Februar endlich vorgelegt. Der Bundesrat hat hierzu vor etwa vier Wochen
zahlreiche Änderungsvorschläge eingebracht. Darüber werden wir bei den Beratungen noch intensiv zu reden haben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch nicht weiter auf diesen Bereich eingehen.
Des weiteren enthielt unser Antrag - das soll auch der Schwerpunkt in meiner Rede sein - hinsichtlich ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit die Forderung, deren künftige berufliche Verwendungsmöglichkeit im öffentlichen Dienst präziser zu regeln, als dies im Einigungsvertrag geschehen ist. Darin ist bekanntlich nur allgemein die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung vorgesehen für den Fall, daß die betreffenden Bediensteten gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben und deshalb ein Verbleiben am Arbeitsplatz unzumutbar erscheint.
Diese Formel ist im Bund und in den einzelnen Ländern, aber jeweils auch in den einzelnen Ressorts der Bundesregierung derart unterschiedlich angewendet worden, daß man von Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit heute nicht mehr sprechen kann. Wir wollten, daß einheitliche Regelungen gefunden werden, nach denen entschieden werden kann, wo welcher ehemalige MfS-Mitarbeiter tätig werden kann. Es sollte eine Differenzierung nach Arbeitsgebieten und Anforderungen der jeweiligen Tätigkeit vorgenommen werden, und das alles mit dem Ziel, einerseits zu verhindern, daß ehemalige MfS-Mitarbeiter erneut in führende Positionen gelangen, und um ihnen andererseits eine Perspektive zur Reintegration in die Gesellschaft zu bieten.
Diese Anliegen sind leider weder in diesem Hause noch an anderer Stelle in ausreichendem Maße aufgegriffen worden. Statt dessen wurden Planstellen, Funktionen und Ämter je nach Opportunität besetzt. Da wurden Angehörige des Personen- und Objektschutzes der DDR in das Bundeskriminalamt und Beschäftigte der Paßkontrolleinheiten in den Bundesgrenzschutz übernommen. In beiden Fällen sah die Bundesregierung erst nach Protesten aus der Bevölkerung und nach kritischen Medienberichten darin ein Problem, über das dem Bundestag zu berichten wäre.
Unter den Bundesländern geht es ähnlich ungereimt zu. Der sächsische Innenminister z. B. hat zahlreiche Stasi-Mitarbeiter in seine Polizei übernommen, während solche Personen in Berlin nicht einmal Müllfahrer oder Koch im Altersheim hätten werden dürfen.
In Brandenburg ließ der Ministerpräsident reihenweise Lehrer entlassen, und zwar nach Kriterien, nach denen er selbst längst hätte abdanken müssen.
Vor 14 Tagen mußten wir ein besonders skurriles Detail zur Kenntnis nehmen. In der Berliner Oberfinanzdirketion, einer Mischbehörde von Bund und Land, ließ Herr Waigel knapp 500 ehemalige DDR- Zöllner ohne ausreichende vorherige Stasi-Überprüfung zu Beamten auf Lebenszeit ernennen, während deren 2 000 Kollegen in einer anderen, dem Land Berlin unterstehenden Abteilung mit umfassenden Überprüfungen rechnen müssen.
Das zugrunde liegende Problem ist der Bundesregierung und offenbar auch allen Fraktionen bewußt;
denn bereits eine Woche nach der Ablehnung unseres Antrags im November 1991 durch den Innenausschuß wurden die Berichterstatter zu weiteren Beratungen des Themas eingeladen.
Von allen Seiten wird Unzufriedenheit signalisiert nach dem Motto: Ja, man müßte eigentlich mal. - Faktisch aber wird das Problem ausgesessen, möglicherweise in der Hoffnung, es werde langsam Gras über diese Frage wachsen.
Wenn mich dieser Eindruck täuschen sollte, meine Damen und Herren, dann können Sie mir dies verdeutlichen, indem Sie die Beschlußempfehlung ablehnen und der Nr. II. 1 unseres Antrags in der Ursprungsfassung zustimmen.
({0})
Das Wort erteile ich nun dem Abgeordneten Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, zu dessen Beschlußempfehlung wir heute reden, ist vor fast genau zwei Jahren hier eingebracht worden und damals zusammen mit der ersten Lesung des StasiUnterlagen-Gesetzes debattiert worden.
Die Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben es sich - trotz der kritischen Anmerkungen von Frau Köppe, denen ich in großen Teilen zustimmen kann -bei der Bearbeitung des Antrags nicht leichtgemacht. Das Papier wurde im Rechtsausschuß und im Innenausschuß beraten, der Unterausschuß für Stasi-Angelegenheiten hat mehrfach dazu getagt, dies alles wohlwissend, daß Mängel und Ungleichheiten bei der Überprüfung und Beurteilung von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit vorhanden sind.
Den Vorschlägen, die die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihrem Antrag unterbreitet hat, vermochten wir jedoch nur partiell zu folgen. Meine Damen und Herren, es gibt keinen anderen Weg als den der politischen Thematisierung der Vorgehensweise vor Ort. Dort, wo die Personalhoheit liegt und ein hoffentlich intensiv kontrollierendes Parlament vorhanden ist, müssen die Bewertungsverfahren hinterfragt und gegebenenfalls geändert werden. Es gibt keinen anderen Weg als den der Einzelfallprüfung. Alles andere würden uns die Gerichte zu Recht um die Ohren schlagen. Die Rechtsprechung ist an diesem Punkt eindeutig.
Dabei hat sich die Grundsituation gegenüber dem Zustand von vor zwei Jahren nicht entscheidend geändert. Die Ergebnisse der Überprüfung der Personen auf kommunaler Ebene gehen den Kommunen zum Teil erst jetzt zu. Über die Flut der Anträge, die nach wie vor bei der sogenannten Gauck-Behörde liegen, brauche ich an dieser Stelle nichts zu sagen.
Immer noch gibt es erhebliche Unterschiede in der Vorgehensweise, im Umgang mit den Überprüfungsergebnissen zwischen der Gemeinde X und der Gemeinde Z. Aber - das muß man sich dann heute hier schon eingestehen - wer eine zentrale Regelung nicht will - und das war bei uns in den Ausschüssen
der Fall -, muß regionale Unterschiede beim Umgang und bei der Vorgehensweise mit Überprüfungsergebnissen in Kauf nehmen.
Schließlich wird in nicht allzuferner Zeit, nämlich dann, wenn die Kandidatensuche, die Nominierung zu den Kommunal-, Landtags- oder auch Bundestagswahlen 1994, beginnt, mancherorts auch von der Möglichkeit der Überprüfung von Kandidaten, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz an dieser Stelle vorsieht, Gebrauch gemacht werden. Nicht nur dieser Umstand ist ein Beleg dafür, daß auch weiterhin ein Bedürfnis nach Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit besteht.
Meine Damen und Herren, nach einer „ddp"Meldung vom heutigen Tag wurde in der DDR für den Spannungsfall das systematische Liquidieren von DDR-Oppositionellen geplant. Während einer Übung mit dem Namen „Ausfuhrverbot 78" hat die Bezirkseinsatzleitung Dresden von der Volkspolizei Zittau dem Vernehmen nach die Bereitstellung von Liquidationsräumen verlangt.
Meine Damen und Herren, wir werden bei der Offenlegung des Repressionsmechanismus in der ehemaligen DDR noch zahlreiche Überraschungen erleben. Solange dies so ist, bleibt die Überprüfungs-
und Kündigungsmöglichkeit gegenüber diesen Personen erforderlich. Sie haben im öffentlichen Dienst und in den Parlamenten nichts zu suchen.
({0})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Martin Göttsching.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann diesem Antrag durchaus Verständnis entgegenbringen, insbesondere dann, wenn ich an das Datum der Einbringung denke; denn auch in meinem Thüringer Wahlkreis kommen immer wieder Unverständnis und Wut hoch, wenn bekannt wird, daß dieser oder jener Mitarbeiter beim MfS oder auch eine andere ortsbekannte Rote Socke im öffentlichen Dienst auftaucht.
Der politische Schaden, der in der Öffentlichkeit und bei den betroffenen Bürgern entsteht, ist groß und durch die Politik vor Ort kaum zu beheben.
Als ich vor einigen Tagen aus der Presse erfuhr, daß Ex-Stasi-Offiziere unsere Politiker schützen, bekam ich, ehrlich gesagt, eine Gänsehaut. Sollen etwa dieselben Leute einen Politiker schützen, die zuvor auf die Vernichtung dieser Demokratie gedrillt worden sind? Der sächsische Umweltminister hat dies in einem Interview so gesagt: „Ohne zu zögern, greifen sie wieder zur Macht. " Manchmal bekomme ich den Eindruck, daß das vergangene Regime der DDR längst zur Gegenoffensive übergegangen ist.
Aber können wir dieses Problem mit einem Gesetz lösen, das einen Verhaltens- und Merkmalskatalog für die Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme im öffentlichen Dienst vorgibt? Das kann man nicht per Gesetz regeln, schon gar nicht, wenn es sich um moralische Kategorien handelt. Das würde bedeuten, daß wir die Auswahl einem Computer überlassen könnten. Diese Methode würde dem Problem absolut nicht gerecht werden.
Das Bundesarbeitsgericht hat - so wie dies auch der Kollege Schwanitz erwähnte - auf Grund eines Gerichtsurteils die Einzelfallprüfung gefordert.
Worauf kommt es eigentlich an? Wie sichern die Innenminister der Länder eine abgestimmte Vorgehensweise, nach der die Entscheidungen gefällt werden, und wie sichern die einzelnen Länder einen minimalen Konsens bei der Beurteilung dessen, was noch zumutbar gelten kann? Auf der Innenministerkonferenz ging die Palette von „alle überprüfen" bis „wenn wenige Anhaltspunkte vorliegen" .
Von besonderer Bedeutung ist auch, daß die politisch Verantwortlichen einen sauberen öffentlichen Dienst wollen. Wenn sich z. B. ein Innenminister - bezeichnenderweise kommt er ja aus Brandenburg - in einem Schreiben an den Unterausschuß zur Bewältigung der Stasi-Vergangenheit äußert, „es wurde empfohlen, Funktionäre mit herausgehobenen Tätigkeiten nicht in leitender," - und jetzt kommt es - „der Öffentlichkeit deutlich sichtbarer Stelle einzusetzen", dann nutzen meines Erachtens alle Richtlinien nichts. Das Zitat sagt doch im Klartext, den betreffenden Mitarbeiter aus der Schußlinie zu nehmen, um ihn dann, wenn Gras darüber gewachsen ist, wieder zu präsentieren.
Der Einigungsvertrag, meine Damen und Herren, gibt die grundsätzliche Handhabe, Leute, die im öffentlichen Dienst sind, zu entfernen. Man muß es nur wollen. Man muß mit Sachverstand und Sensibilität an die Sache gehen.
Ich fasse zusammen: Die Richtlinien, die aus dem Bundesinnenministerium gekommen sind, sind gut geeignet, als Beurteilungsleitlinie zu dienen. Ich erkläre seitens meiner Fraktion die Ablehnung der Drucksache 12/284, und gleichzeitig folgt die Fraktion der Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/1942.
Danke.
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Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Jürgen Schmieder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr veehrten Damen und Herren! Die Aufarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit des zusammengebrochenen SED-Regimes ist zwar nicht die wichtigste, aber eine der vorrangigen Aufgaben der Politik. Mit den dunklen Kapiteln der Vergangenheit eng verbunden ist das MfS, denn es diente der SED-Führung als Instrument der Unterdrückung der Bürger.
Daraus ergibt sich von selbst, daß ehemalige Mitarbeiter des MfS für den öffentlichen Dienst grundsätzlich nicht geeignet sind. Dies gilt sowohl für offizielle als auch für inoffizielle Mitarbeiter.
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Nach den leidvollen Erfahrungen von 40 Jahren Diktatur muß in der ehemaligen DDR - und die Bürger haben ein Recht darauf - eine Verwaltung
aufgebaut werden, die das uneingeschränkte Vertrauen der Bevölkerung genießt.
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Daß hier noch ein breites Arbeitsfeld vorliegt, beweisen einige Anfragen, mit denen wir als Abgeordnete immer wieder konfrontiert werden. Die Bürger verweisen mit Recht darauf, daß es einigen Dienern des ehemaligen Systems sogar gelungen ist, bis in hohe Bereiche der öffentlichen Verwaltung, ja sogar bis in ministerielle Bereiche auf Landesebene aufzusteigen. Nicht zuletzt wird der Prozeß des Aufbaus demokratischer Verwaltungsstrukturen dadurch behindert.
Dies ruft insbesondere deshalb Frust und emotional geladene Reaktionen der Bevölkerung hervor, weil diese Bürger in der sozial angespannten Situation sowohl arbeitsmäßig als auch sozial offensichtlich abgesichert sind, während andere, die 1989 die Umwälzung mitgetragen haben, jetzt um ihren Arbeitsplatz ringen.
Doch neben der Abwägung all dieser Fragen steht die Verpflichtung nach der Verhältnismäßigkeit, die im Grundgesetz verbrieft ist, und es steht der Gedanke der Wiedereingliederung des gewaltigen Personenreservoirs ins gesellschaftliche Leben.
So gesehen hat diese Revolution, wenn man die Umwälzung von 1989 als Revolution bezeichnen will, durchaus neben dem friedlichen Verlauf noch einige andere Phänomene aufzuweisen; denn diese Revolution dürfte die einzige in der Geschichte sein, in der sich die Kinder und Erben der Revolution um die Leute kümmern, die man eben durch die gesellschaftliche Umwälzung entmachtet hat.
In den Regelungen des Einigungsvertrages hat die Abwägung gleichfalls ihren Eingang gefunden. Danach schließt nicht jede Tätigkeit für das MfS eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst aus. Eine weitere Voraussetzung ist, daß wegen dieser Tätigkeit eine Beschäftigung unzumutbar erscheint. Die Regelung ist so ausgestaltet, daß eine Einzelfallprüfung in jedem Fall erfolgen muß. An Hand der konkreten Umstände ist abzuwägen, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis zumutbar erscheint oder nicht.
Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine sachgerechte Handhabung Sorge zu tragen. Die Übernahme ehemaliger Mitarbeiter des MfS kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht kommt, da ihnen in der Regel die Eignung im Sinne von Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes fehlt.
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Bei der Frage, ob ehemalige Mitarbeiter des MfS auch mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten, sprich Zu- und Umgang mit Verschlußsachen, in der öffentlichen Verwaltung bzw. in der Wirtschaft betraut werden können, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen.
An dieser Stelle werden - und hier möchte ich mit Recht darauf verweisen - auch die Kompetenzen und Möglichkeiten, die das Stasi-Unterlagen-Gesetz bietet, bei weitem überschritten. Dieses Gesetz regelt bekanntlich nur den Umgang mit den Akten, und nach erfolgreicher Einsicht in diese besagten Unterlagen liegt also bestenfalls eine Entscheidungsgrundlage vor. Die jeweilige Entscheidung muß allerdings von den jeweils Verantwortlichen in den entsprechenden Bereichen getroffen werden. Dabei geht es vorrangig um die Vereinheitlichung der angewandten Kriterien.
Spätestens hier wird deutlich: Es gilt nicht, vorrangig die Regelung der Einsatzmöglichkeiten ehemaliger Mitarbeiter der Stasi zu klären, sondern - das beinhaltet auch die Beschlußempfehlung des Innenausschusses, die ich nachhaltig unterstütze - es muß primär eine gesetzliche Regelung erarbeitet werden, die das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen vorsieht.
Die Untersuchung der Sicherheitskriterien muß auf drei Bereiche beschränkt werden: Zuverlässigkeit, Verfassungstreue sowie Erpreßbarkeit und Anwerbungsmöglichkeit für nachrichtendienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland.
Danke.
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Meine Damen und Herren, da die noch vorliegende Wortmeldung zurückgezogen worden ist, können wir zur Abstimmung kommen. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/1942, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/284 abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung - also für die Ablehnung - ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wert stimmt dagegen? - Diese Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der beiden Gruppen angenommen worden.
Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Innenausschuß, die Bundesregierung aufzufordern, bald einen Gesetzentwurf zur Regelung von Sicherheitsüberprüfungen vorzulegen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei Enthaltung der PDS/Linke Liste hat das übrige Haus dieser Beschlußempfehlung zugestimmt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: Aktuelle Stunde
Verhalten der Bundesregierung und der Treuhandanstalt in bezug auf den Verkauf der Abfalldeponie Schönberg an das Land Mecklenburg-Vorpommern
Meine Damen und Herren, die Gruppe PDS/Linke Liste hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich erteile zunächst der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hangelt sich von einem Skandal zum nächsten. AbsahnungsmenDr. Dagmar Enkelmann
talität und Nach-mir-die-Sintflut-Denken beherrscht das Handeln dieser Landesregierung im Niedergang. Jüngst mußten nun die Umweltministerin und ihr Staatssekretär ihre Sessel räumen, nachdem der Skandal um den Erwerb der Deponie Schönberg vom Landesrechnungshof moniert wurde.
Nun ist die Deponie Schönberg seit langem im Westen kritisches Objekt der Umweltbewegung. Die Brisanz der selbst nach den laschen westdeutschen Maßstäben schlecht gesicherten Deponie war auch den Landesregierungen und der Bundesregierung bekannt. Sie diente der DDR-Regierung als Devisenquelle, und der Westen bediente sich in vollem Wissen um die katastrophalen Zustände dort der billigen Entsorgungsmöglichkeit. Müllexporte - auch heute nichts Ungewöhnliches - ermöglichten der bundesdeutschen Industrie, ihre verschwenderische Produktionsweise beizubehalten. Der Landesrechnungshof in Schwerin hat hierzu in seinem Bericht festgestellt: Der Standort der Deponie war „auf Grund politischgeographischer Überlegungen vorgegeben", wobei „die geologischen Verhältnisse seines Untergrunds weitgehend unbekannt" waren.
Auch heute noch profitieren westliche Bundesländer von Schönberg. Fragen wir doch einmal den Hamburger Umweltsenator Vahrenholt, wo er den Hamburger Hausmüll läßt. Natürlich liegt die Errichtung der Deponie in der Verantwortung der ehemaligen DDR-Regierung. Doch wie auch in anderen Bereichen hat der Westen von der Misere im Osten kräftig profitiert und tut dies heute noch. Er schiebt den nun zum Wirtschaftsgut umdeklarierten Müll z. B. in die Ukraine und in die Tschechische Republik ab, von der Dritten Welt ganz zu schweigen.
Der betriebsführende VEB Deponie Schönberg wurde am 1. Juni 1990 in die Ihlenberger Abfallentsorgungs GmbH umgewandelt. Die Umwandlung erfolgte auf der Grundlage der von der de-MaizièreRegierung erlassenen „Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften" vom 1. März 1990. Der Geschäftsanteil wurde von der Treuhandanstalt vollständig übernommen. Das geschah ebenfalls mit der INTRAC. Vertragspartner der INTRAC auf westdeutscher Seite war das „Hanseatische Baustoffkontor", dessen alleiniger Gesellschafter Rudolf Hilmer ist. Dieser Gesellschaft war vertraglich das Exklusivrecht eingeräumt worden, mit den einzelnen westdeutschen Kommunen und Unternehmen Verträge fiber die Anlieferung und Ablagerung von Haus- und Industriemüll auf der Deponie abzuschließen.
Am 19. Februar 1991 berichtete das Umweltministerium im Kabinett über die Absicht zum Erwerb der Deponie. Bemerkenswert ist, daß das Finanzministerium dem Geschäft anfangs ablehnend gegenüberstand.
Am 13. März 1992 forderte der Landtag die Regierung auf, die begonnenen Verhandlungen mit der Treuhand voranzutreiben, um die Übernahme durch das Land zu erreichen. Die Linke Liste/PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern hat der Übernahme der Deponie durch das Land zugestimmt. Sie wollte verhindern, daß die Deponie privatisiert wird,
womit sie weitgehend der öffentlichen Kontrolle entzogen gewesen wäre. Die Linke Liste/PDS beantragte auch, die Landesregierung solle über bestehende Verträge zur Entsorgung auf Schönberg berichten.
Nachdem sich die Verkaufsverhandlungen mit der Treuhandanstalt in die Länge zogen, beantragte der Umweltausschuß eine Unterrichtung zu Schönberg, die am 17. September 1992 stattfand. Dabei stellte sich heraus, daß praktisch alle Verhandlungen zu Schöberg von der Landesregierung am Parlament vorbei geführt worden sind.
Gemäß Senatsbeschluß vom 24. September 1992 hat der Landesrechnungshof eine Prüfung zum Erwerb der Deponie Schönberg von der Treuhandanstalt durch das Land einschließlich der eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen für das Land sowie der hieraus resultierenden haushaltsrechtlichen Konsequenzen durchgeführt.
Bei der Vorstellung des Abschlußberichts des Landesrechnungshofs stellte dessen Präsident Tanneberg fest, die Verträge seien „schlichtweg schlecht und miserabel" ausgehandelt. Die Abkommen, so Tanneberg, seien „für jeden kundigen Juristen und Wirtschaftler eine Katastrophe". Der Umweltstaatssekretär Conrad und der von ihm bestellte Rechtsberater Wolfgang Kubicki, seines Zeichens F.D.P.-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, der mal eben 858 815,69 DM in Rechnung stellte, hätten so dürftig verhandelt, daß dem Land Mecklenburg-Vorpommern jährlich bis zu 100 Millionen DM verlorengingen. Ziel der Verträge sei offenbar gewesen, „daß die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden". Bemerkenswerterweise profitieren heute noch dieselben westlichen Abfallverschiebungsunternehmen an Schönberg, die sich schon zu DDR-Zeiten eine goldene Nase daran verdienten.
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- Ich gehörte zu denen mit der goldenen Nase garantiert nicht.
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Obendrein hat sich das Land ohne Not die volle Haftung für eine nicht kalkulierbare Giftmüllaltlast von der Treuhand aufbürden lassen.
Die PDS/Linke Liste fordert umgehende Aufklärung über die merkwürdigen Praktiken bei den Verkaufsverhandlungen zwischen Treuhandanstalt und Landesregierung. Das ist wieder ein Beispiel, wo ein Untersuchungsausschuß Treuhand unbedingt notwendig wäre. Wir fordern die sofortige Einstellung der Müllexporte aus westlichen Bundesländern nach Schönberg. Die Sanierung der Deponie betrachten wir als gesamtdeutsches Problem. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht. Der Bundesrechnungshof muß tätig werden. Die Finanzierung eines Sicherheits- und Sanierungsgutachtens muß vom Bund übernommen werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald das Wort.
Das Thema Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft, kurz IAG, als Betreiberin der Mülldeponie Schönberg ist in den letzten Wochen häufig durch die Presse gegeistert. Soweit ich die Presselage kenne - ich kenne natürlich nicht alles -, werden im wesentlichen folgende Kritikpunkte erhoben.
Erstens. Es existierten Verträge mit einem Müllmakler, welche bei Abschluß des Kaufvertrages angeblich zwar dem Landesumweltminister, nicht aber der Landesregierung bekannt gewesen seien.
Zweitens. Die Einnahmen aus der Deponieverpachtung sollen nicht direkt an den Landeshaushalt, sondern an eine landeseigene Gesellschaft gehen.
Drittens. Die Treuhandanstalt sei nicht in die Altlastrisiken einbezogen.
Außerdem - das klang gerade auch an - werden Vermutungen über die Verbindungen von einzelnen Personen angestellt. Auf den Vorwurf - der auch soeben erhoben wurde -, die Treuhandanstalt sei nicht in die Altlastrisiken einbezogen, komme ich gleich noch zurück.
Im übrigen kann die Bundesregierung die Vorwürfe nicht bewerten. Sie werden Verständnis dafür haben, daß auch ich mich an irgendwelchen Spekulationen nicht beteiligen kann. Deswegen gebe ich nur eine nüchterne Sachverhaltsdarstellung.
Mit Vertrag vom 1. Juli 1992 hat die Treuhandanstalt als Alleineigentümerin die IAG mit Sitz in Selmsdorf/Ihlenberg veräußert. Erwerber war die Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Altlasten Mecklenburg-Vorpommern, damals noch in Gründung, deren alleiniger Gesellschafter das Land Mecklenburg-Vorpommern ist. Unternehmensgegenstand dieser Gesellschaft sind die Mitwirkung beim Aufbau einer Infrastruktur für die Entsorgung in den Kreisen und Gemeinden, zum anderen die Erkundung, Bewertung, Sicherung und Beteiligung an der Finanzierung der Sanierung von Altlasten, z. B. Altdeponien, sowie schließlich die Beratung von Betrieben, Gebietskörperschaften und Ämtern über Vermeidungs- und Verwertungsmaßnahmen und die Möglichkeit einer gesicherten Entsorgung.
Die Treuhandanstalt hat die Bemühungen Mecklenburg-Vorpommerns, Entsorgungsprobleme über die genannte Gesellschaft zu lösen, mit dem Verkauf der IAG unterstützt. Sie hat damit dem ausdrücklichen Wunsch des Landes entsprochen und deswegen, wie in solchen Fällen üblich, auf eine Ausschreibung verzichtet.
Nach intensiven Verhandlungen wurde der Verkauf vom Vorstand der Treuhandanstalt am 23. Juni 1992 genehmigt. Der Verwaltungsrat wurde wenige Tage später unterrichtet.
Der Vertrag selbst - darauf legen wir Wert - mußte dem Bundesministerium der Finanzen nicht zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Grundlinien des Vertrages, insbesondere der Verkauf der IAG an eine
landeseigene Gesellschaft, die Übernahme der Altlastenrisiken durch eben diese Gesellschaft sowie die Höhe des Kaufpreises, waren jedoch im Vorfeld der Verhandlungen mit dem BMF abgestimmt.
Als Kaufpreis für die IAG hat die Treuhandanstalt den Nennbetrag des Stammkapitals der Gesellschaft vereinbart. Dieser Kaufpreis liegt zwar unter dem von einem renommierten Wirtschaftsprüfungsunternehmen ermittelten Ertragswert. Er wurde von der Treuhandanstalt dennoch akzeptiert.
Die Käuferin war außerdem damit einverstanden, daß die IAG die Ausgleichsverbindlichkeit in ihrer DM-Eröffnungsbilanz durch Zahlung an die Treuhandanstalt schon vorher getilgt hat.
Beim Kaufpreis wurde berücksichtigt, daß mit dem Deponiebetrieb der Gesellschaft insbesondere aus der Zeit vor dem Beitritt ganz erhebliche Risiken und Umweltgefahren verbunden sein können, die einen hohen Sanierungs-, Rekultivierungs- und Nachsorgebedarf zur Folge haben könnten.
Ich weise darauf hin, daß nicht jeder Aufwand kommender Jahre automatisch zu einem Rückstellungsbedarf führt und den Wert des Unternehmens mindert, wie das für die IAG in der Presse oft unterstellt wird. Außerdem stehen den Ausgaben auch Einnahmen gegenüber. Der Wert eines Unternehmens ergibt sich - vereinfachend ausgedrückt - aus dem Saldo von Einnahmen und Ausgaben. Das genannte berühmte Wirtschaftsprüfungsunternehmen ist, wie schon dargestellt, zu dem Ergebnis gelangt, daß hier ein positiver Wert für die IAG zu verzeichnen sei.
Die Höhe der Rückstellung für Sanierung, Rekultivierung und Nachsorge in der testierten Bilanz zum 31. Dezember 1991 war vom Käufer und Verkäufer akzeptiert. Eine Haftung der Treuhandanstalt und damit der Bundesrepublik Deutschland für alle wie auch immer gearteten Risiken und etwaigen Schäden im Zusammenhang mit Einlagerungen, Ablagerungen und mit dem Deponiebetrieb ist sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft vertraglich ausgeschlossen.
Die im Vertrag zur Veräußerung der IAG getroffene Regelung im Hinblick auf die ökologischen Altlasten weicht von den sonst üblichen Regelungen in Privatisierungsverträgen ab. Das liegt aber in der Natur der Sache; denn schließlich handelt es sich hier um eine Deponie, für welche das Land die umweltspezifischen Auflagen sehr gezielt bestimmen kann. Das spätere Verwaltungsabkommen über die Regelung der Finanzierung der ökologischen Altlasten vom 1. Dezember 1992 findet auf diesen Vertrag keine Anwendung.
Die hier getroffenen vertraglichen Regelungen waren wesentlich für Treuhandanstalt und Bund beim Abschluß des Vertrages. Sie wurden vom Land - wohl auch wegen der langfristigen Ertragsaussichten der Deponie - akzeptiert. So wurde zum Zeitpunkt der Veräußerung z. B. von einem Ergebnis vor Steuern für das Jahr 1992 von fast 16 Millionen DM ausgegangen.
Die Käuferin hatte vor Abschluß des Vertrages Gelegenheit, sich mit den Geschäfts- und auch mit den Vermögensverhältnissen der Gesellschaft vertraut zu machen. Der Zustand des Unternehmens war der Käuferin bekannt, insbesondere auch bezüglich der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die sich aus dem Umgang mit der Abfallentsorgung durch die Organe der ehemaligen DDR ergeben haben.
Der Vertrag ist also wirksam. Die Treuhandanstalt ist an die Regelungen dieses Vertrages gebunden. Auch hier gilt der altlateinische Grundsatz: Pacta sunt servanda.
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Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Joachim Hacker das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, was Sie soeben ausgeführt haben, hört sich alles sehr gut an. Bloß, die Wirklichkeit sieht natürlich etwas anders aus, weil ganz andere handelnde Personen oder Institutionen mit im Felde waren. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Wir behandeln an dieser Stelle nicht zum erstenmal das Thema Mülldeponie Schönberg. Ich habe diese Problematik bereits in der Plenardebatte zum ersten und zweiten Untersuchungsbericht des Untersuchungsausschusses unseres Parlamentes angesprochen. Ich habe damals gefragt: Welches waren die Umstände und Bedingungen der Veränderung der Geschäftsanteile an der Mülldeponie Schönberg und der Mecklenburgischen Abfallbeseitigungsgesellschaft?
Hintergrund meiner Frage ist die Tatsache, daß im Zusammenwirken zwischen dem Hanseatischen Baustoffkontor in Bad Schwartau und dem Geschäftsführer der Deponie, Ihlenberg, die Geschäftsanteile des HBK an der Mecklenburgischen Abfallbeseitigungsgesellschaft von 33,3 % auf 80 % erhöht wurden. Die Konsequenzen daraus sind wohl jedem klar. Anscheinend waren jedoch diese Konsequenzen der Treuhandanstalt und dem zuständigen Bundesministerium nicht klar; denn wegen der Pflichtverletzung des Geschäftsführers und wegen der unzulässigen Vertragsänderung wurde nichts unternommen.
Ich finde es richtig und notwendig, daß wir uns heute dieses Themas noch einmal annehmen, daß wir heute darüber sprechen, welche Pflichten die Treuhandanstalt und die Bundesregierung gehabt hätten.
Ich meine aber, wir müßten auch zwei weitere Fragen stellen: Unter welchen Umständen wurde die Deponie zu DDR-Zeiten angelegt, und wie sind die Sicherheitsstandards eingehalten oder nicht eingehalten worden? Welche politischen Fehler - das ist meines Erachtens der Kernpunkt der Auseinandersetzungen der letzten Monate - haben die Verantwortlichen in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern zu vertreten, und wo liegt schuldhaftes Handeln vor? Erst wenn diese Fragen beantwortet werden, wird tatsächlich Licht in das Dunkel gebracht, wird das reale Bild sichtbar.
Nach mehr als einem Jahr der öffentlichen Diskussion zur Arbeit des Umweltministeriums in Mecklenburg-Vorpommern hat der Ministerpräsident Seite den Staatssekretär Conrad am 31. März 1993 entlassen.
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Die Ministerin, die von Conrad als Marionette geführt wurde, hat selber den Rücktritt eingereicht. Das alles ist um so verwunderlicher, als die CDU-F.D.P.-Koalition in Schwerin am laufenden Band Persilscheine für die Sicherheit der Deponie und die Arbeit des Teams Dr. Uhlmann/Conrad ausgestellt hat.
({1})
Der Bericht des Landesrechnungshofes von Mecklenburg-Vorpommern liest sich allerdings ganz anders. Im Bericht vom 2. April 1993 werden der ganze Skandal um den Verkauf der Deponie und die Folgen für das Land Mecklenburg-Vorpommern deutlich.
Ich beschränke mich auf wenige Fakten: Trotz Vorliegens erheblicher erkennbarer Risiken hat die von Conrad geführte landeseigene Gesellschaft - und damit am Ende das Land Mecklenburg-Vorpommern - die gesamten Altlastenrisiken aufgebürdet bekommen. Damit sind die Risiken, die am Ende auch von der Treuhand hätten mitgetragen werden müssen, auf das Land abgewälzt worden.
Es sind auch Rückstellungsbeträge, die planmäßig gebildet worden sind, speziell für Sanierungsmaßnahmen und für mögliche Havariefälle, in Anspruch genommen worden. Finanzielle Mittel wurden in Höhe von insgesamt 75 Millionen DM für die Rekultivierung und in Höhe von 59 Millionen DM für Nachsorgemaßnahmen gebildet. Das hat die Treuhandanstalt im Umfang von 76,5 Millionen DM abgeräumt.
Ich frage hier auch: Warum war es notwendig, daß ein Kieler Rechtsanwalt beauftragt wurde? Sein Name ist Kubicki. Das Parteibuch stimmt mit dem des Müllmillionärs Hilmer und des Schweriner Wirtschaftsministers Lehment überein, der bis zuletzt die schützende Hand über die inkompetente Ministerin im Umweltministerium gehalten hat.
Ich zitiere aus der Presseerklärung des Landesrechnungshofes von Mecklenburg-Vorpommern:
Dadurch sind der Ihlenberger Abfallgesellschaft und dem Umweltministerium Kosten in Höhe von etwa 860 000 DM entstanden. Diese Ausgabe hätte durch den Einsatz von Mitarbeitern des Landes, insbesondere solchen des Finanzministeriums, in vollem Umfang eingespart werden können.
Das ist ein Skandal in einer Zeit, in der wir um Einsparungen kämpfen, ein Skandal, der die Affären des Bundesministers Krause aus Mecklenburg-Vorpommern in den Schatten stellt.
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Dazu kommt, daß dem Land durch Knebelverträge, die ihm aufgezwungen wurden, jährlich 100 bis 200 Millionen DM Erlöse verlorengehen. - Da muß
ich auf Sie, Herr Staatssekretär, zurückkommen: Das geht am Ende nicht auf, weil die Gelder, über die Sie gesprochen haben, nicht dem Land verbleiben. Sie fließen durch vorgeschaltete Abschöpfungsmaßnahmen dem Müllmonopolisten Hilmer in Bad Schwartau zu.
Man kann dazu auch Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten sagen. Die Verluste tragen die Bürgerinnen und Bürger von Mecklenburg-Vorpommern, die für die enormen Sanierungsmaßnahmen später in Anspruch genommen werden. Vorab werden die Bürger, die den Müll zu bezahlen haben, am Ende auch Bürger in Hamburg, in einem erheblichen Maße geschröpft.
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In die Kette von Pannen und groben Versäumnissen gehört auch, daß in Vorbereitung auf den Verkauf der Deponie die Treuhandanstalt die gutachterliche Stellungnahme einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Auftrag gab, tatsächlich aber ohne deren sachkundigen Rat die Deponie dem Land übertrug, Herr Staatssekretär.
Ich komme zum Ende: In einem Schreiben der Treuhandanstalt vom 4. November 1992 an das Bundesministerium der Finanzen heißt es dazu lapidar:
Die IAG Selmsdorf wurde am 1. Juli 1992 privatisiert. Die Untersuchungen zu den Beziehungen der JAG zu Anlieferern und Lieferanten aus den alten Bundesländern haben in der Schlußphase der Privatisierung keine Rolle gespielt, da diese Verträge in vollem Umfang übernommen wurden. Die Untersuchungen wurden daher nicht fortgesetzt.
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen wegen der deutlichen Zeitüberschreitung dankbar, wenn Sie Ihre Ankündigung wahr machten.
Ich mache sie wahr. Ich komme zum Ende und sage: Das alles ist unverständlich. Es läßt sich auf einen Nenner bringen: KoKo läßt grüßen!
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jürgen Koppelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, bei diesem Thema gibt es wirklich sehr viele Fragen, und ich weiß nicht, ob eine Aktuelle Stunde das richtige parlamentarische Instrument ist. Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten diese Thematik sehr intensiv im Treuhandausschuß, meinetwegen auch im Wirtschaftsausschuß und im Umweltausschuß behandelt. Das halte ich auch nach wie vor für richtig.
Aber eins muß doch klargestellt werden: Alle Parteien des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, auch die PDS, haben sich für die Übernahme der Deponie Schönberg ausgesprochen. Das war auch
richtig; denn dadurch sind die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Deponie bedeutend größer geworden, vor allem für die Landesregierung.
Die Deponie Schönberg ist eine Erblast. Sie diente der DDR allein zur Beschaffung von Devisen.
({0})
- Ich darf jetzt einmal folgendes sagen: Ich habe allen ruhig zugehört. Vielleicht geben Sie mir jetzt auch die Gelegenheit, meine Rede vorzutragen. - Dafür trägt die PDS als Nachfolgeorganisation der SED, so meine ich, erhebliche Verantwortung. Daran geht kein Weg vorbeit.
Der Landesrechnungshof von Mecklenburg-Vorpommern hat Vorwürfe gegen die Treuhandanstalt und auch gegen das Bundesfinanzministerium erhoben. Der Landesrechnungshof hat u. a. erklärt, die Treuhandanstalt habe beim Verkauf der IAG - das ist die Gesellschaft, der die Deponie Schönberg gehört - Bilanzmanipulationen begangen, die einer Bilanzfälschung gleichkämen, und sie habe diese Bilanzfälschung
({1})
- darauf komme ich gleich zu sprechen, Kollege Jungmann - durch ein „gekauftes" Gutachten einer Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft absegnen lassen.
Weiter wird behauptet, dies alles sei nicht nur unter den Augen und mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums, sondern auf dessen ausdrückliche Weisung geschehen. Ich mache mir bzw. auch die F.D.P. macht sich diese Behauptung nicht zu eigen. Nur, wir meinen, die Vorwürfe müssen geklärt werden, weil durchaus strafbare Tatbestände erfüllt sein können.
({2})
Wir sind für eine eindeutige Klärung, und wir hoffen, daß der Untersuchungsausschuß des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern hier Klarheiten schafft und daß auch das Bundesfinanzministerium Antworten gibt; denn ich meine, der Vorwurf ist so gravierend, daß es vielleicht sogar auch einer Prüfung des Bundesrechnungshofes bedarf. Wir jedenfalls sagen ja dazu.
Aber es ist mir auch wichtig, zu betonen, daß man sich bei Fragen der Sicherheit der Deponie auf die Auskünfte von Sachverständigen verlassen muß. Wer die Sicherheit der Deponie anzweifelt, ohne eindeutige Beweise zu erbringen, der schürt nach meiner Auffassung in unverantwortlicher Weise Ängste bei den Menschen in unserem Lande. Die F.D.P. in Mecklenburg-Vorpommern hat zu Recht gesagt: Wenn es Zweifel an der Sicherheit der Deponie gibt, dann muß die Deponie geschlossen werden. Aber die Beweise liegen bis heute nicht auf dem Tisch.
Ich finde es richtig, daß Ministerpräsident Seite im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in aller Offenheit Fehler der Landesregierung in bezug auf die Deponie Schönberg eingestanden und weiter erklärt hat, daß die Landesregierung diese Fehler zu verantworten hat und daß offene Fragen beantwortet werden sollen.
Jürgen Koppeln
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern und die sie tragenden Parteien CDU und F.D.P. haben zu keiner Zeit Vorgänge um den Verkauf der Abfalldeponie Schönberg beschönigt oder heruntergespielt. Die Kritik des Landesrechnungshofes wird sehr ernst genommen. Daher bitte ich auch die Bundesregierung und vor allem das Bundesfinanzministerium, zusammen mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern alle Vorwürfe, die aufgetreten sind, umfassend und schnell zu prüfen und, wenn nötig, Korrekturen vorzunehmen, denn wir meinen, daß diese Vorwürfe des Landesrechnungshofes nicht so im Raume stehenbleiben können.
Dazu muß auch die Klärung der Frage gehören, warum eigentlich die überwiegend in Treuhandbesitz befindliche Maklerfirma AWUS nicht an das Land Mecklenburg-Vorpommern veräußert oder übertragen wird, damit wieder Freiraum bei der Preisgestaltung für eingelagerten Müll geschaffen wird. Es muß weiter geklärt werden, ob Verträge, die zwischen der Treuhandfirma IAG und der Treuhandfirma AWUS vor der deutschen Einheit geschlossen wurden nicht aufgehoben werden können.
Nun sind hier Namen genannt worden. Ich beginne einmal mit dem Landesvorsitzenden der F.D.P. in Schleswig-Holstein, Herrn Kubicki, der als Rechtsanwalt tätig gewesen ist. Frau Kollegin von der PDS, Sie haben etwas unterschlagen; insofern fand ich Ihren Vorwurf doch schon sehr bedeutend. Sie haben etwas Bedeutendes unterschlagen, nämlich das, was der Präsident des Landesrechnungshofes von Mecklenburg-Vorpommern in einer Presseerklärung vom 5. April gesagt hat. Sie haben recht: Er hat gesagt, die Verträge seien schlecht und miserabel ausgehandelt worden. Aber - nun kommt es - daß dies auf eine miserable Beratungstätigkeit durch den Rechtsanwalt Kubicki zurückzuführen ist, sollte nicht behauptet werden; so die Presseerklärung des Präsidenten des Landesrechnungshofes.
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- Herr Kollege von den Sozialdemokraten, jetzt komme ich zu Ihnen. Wenn Sie von dem Herrn Hilmer sprechen, dann sage ich Ihnen: Er ist Mitglied der F.D.P. Dieses Schicksal teilt er mit vielen anderen in unserem Lande.
({4})
Wenn Sie der Auffassung sind, daß der Herr Hilmer etwas falsch gemacht hat, warum sprechen Sie dann nicht von dem Anwalt Gerd Weiland? Er ist immerhin Haushaltsexperte der Sozialdemokraten in der Hamburger Bürgerschaft. Das ist nämlich sein Rechtsanwalt. Dann wollen wir den Namen dieses Herren auch nennen. Bitte argumentieren Sie hier nicht so einseitig!
Ich meine, es wäre wünschenswert, wenn die Bundesregierung klare Auskünfte über ihre Erkenntnisse auch zur Deponiesicherheit gäbe - um noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen -, verbunden mit einer Antwort auf die Frage, wie hoch das Altlastenrisiko im Bereich der Deponie Schönberg ist.
Ich komme zum Schluß. Der PDS, die heute die Aktuelle Stunde beantragt hat, möchte ich doch sagen: Sie kann erheblich zur Aufklärung - vor allem
im Zusammenhang mit der Errichtung der Deponie Schönberg - beitragen, indem sie einfach einmal in ihre Archive schaut.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Paul Krüger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag auf eine Aktuelle Stunde befremdet mich in mehrfacher Hinsicht. Es geht um Angelegenheiten, die schwerpunktmäßig in die Kompetenz des Landes Mecklenburg-Vorpommern gehören. Es geht um Vorgänge, die zeitlich weit zurückliegen, also keine aktuellen Geschehnisse, wie es bei einem Antrag auf eine Aktuelle Stunde eigentlich notwendig wäre.
({0})
Es handelt sich um ein sehr komplexes und kompliziertes Geschehen. Es würde deshalb meiner Meinung nach den Rahmen dieser Aktuellen Stunde sprengen, wenn wir uns heute zu sehr in Einzelheiten zeitlich weit zurückliegender oder außerhalb der Bundeszuständigkeiten liegender Geschehnisse verlieren würden.
({1})
- Moment! Es geht um die Rolle der Bundesregierung und um die Treuhandanstalt, meine Damen und Herren.
Wichtiger erscheint es mir, die Gelegenheit zu nutzen, um noch einmal auf einige grundsätzliche Dinge deutlich hinzuweisen.
Erstens liegt die Ursache der Problematik doch darin, daß es sich um eine Erblast aus der deutschen Teilung handelt. Westliche Bundesländer, auch von der SPD regierte Bundesländer,
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haben ihre Müllprobleme auf die DDR verlagert und dadurch erhebliche Entsorgungskosten gespart.
({3})
Möglich wurde dies durch die Devisennot des verfehlten DDR-Wirtschaftssystems.
({4})
Insofern hätte ich es begrüßt, wenn die PDS, die gerade wieder laut wird, in die Begründung ihres Antrages etwas mehr an kritischer Analyse über die Rolle ihrer Vorgängerpartei hätte einfließen lassen. Ebenso wünsche ich mir, daß sich auch die größte Oppositionspartei in diesem Hause zu ihrem Teil an der Verantwortung klar bekennt, denn vieles, was wir heute hier diskutieren, ist letztlich Aufarbeitung des damaligen Geschehens.
({5})
Zweitens erscheint mir wichtig, daß die von der Treuhandanstalt verfolgte Grundlinie einer zügigen Übertragung der Deponie in die Trägerschaft des Landes politisch ohne Alternative war. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Deponie Schönberg nicht ausgesucht, aber es muß jetzt mit ihr leben. Die Deponie Schönberg ist ein wesentlicher Bestandteil der Umweltpolitik des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
({6})
Durch die Rechtsposition als Inhaber der Deponie erhielt das Land umfassende Gestaltungsrechte. Hätte die Treuhandanstalt die Deponie dagegen an einen privaten Betreiber übergeben, dann wäre das Land auf seine hoheitlichen Aufsichtsrechte beschränkt gewesen. Auch zeigt die Erfahrung leider, daß private Deponiebetreiber bei notwendigen Sanierungen in einem hohen Maße Konkursrisiken ausgesetzt sind, so daß letzten Endes doch wieder der Staat für die Risiken einstehen müßte. Deshalb war es richtig, dem Land diese Deponie zu übertragen und ihm damit die Möglichkeit zu verschaffen, diesen Teil seiner Umweltpolitik eigenverantwortlich zu gestalten.
Nach meinen Informationen haben übrigens alle Fraktionen des Landtages in Mecklenburg-Vorpommern diese Position mitgetragen.
({7})
Es steht uns jedenfalls nicht an, im Bundestag - sozusagen von einer höheren Warte aus - die Umweltpolitik des Landes Mecklenburg-Vorpommern benoten zu wollen. Die Diskussion muß im Lande selber geführt werden, und wir wissen, sie wird es auch.
Lassen Sie mich jetzt noch kurz zu den konkret angesprochenen Punkten Stellung nehmen.
Im Vordergrund stehen dabei die Vorgänge im Zusammenhang mit der Korrektur der D-Mark-Eröffnungsbilanz. Hier stellt sich die Sachlage nach meinen Informationen so dar, daß diese Korrektur durch neue Erkenntnisse über den Zeithorizont von Rekultivierungsmaßnahmen notwendig wurde. Dadurch konnten Rückstellungen aufgelöst und die Kaufpreisforderung der Treuhand an das Land entsprechend niedriger bemessen werden. Das, meine Damen und Herren von der SPD, führen Sie sich bitte vor Augen.
Dabei ist davon auszugehen, daß der künftige Betrieb der Deponie mit den aus den Gebühren zu erwartenden Einnahmen lukrativ gestaltet werden kann, so daß der Betrieb auch nach Finanzierung der notwendigen Rekultivierungsarbeiten Gewinne abwirft, wie Herr Staatssekretär Grünewald es hier auch schon ausgeführt hat.
Den Transaktionen lagen offenbar jeweils ordnungsgemäße wirtschaftliche Prüfungen zugrunde. Insgesamt handelt es sich hier nach meinem Eindruck um Vorgänge, die sich im Rahmen der normalen Aufgabenerledigung der Treuhandanstalt bewegen.
({8})
Aufklärungsbedarf sehe ich allerdings im Hinblick auf das im Einflußbereich der Treuhand liegende Treuhandunternehmen IAG. Die zum Komplex Hilmer gehörenden Firmen haben ihre Mehrheitsrechte doch erheblich „aufgeblasen". Hieraus ergibt sich eine Reihe von Problemen für die Landesregierung, die meiner Meinung nach einer klaren Wertung bedürfen.
Bei der Einschätzung dieses Komplexes darf allerdings nicht außer acht gelassen werden, daß es sich um Vorgänge aus der Anfangszeit der Treuhandanstalt handelt, in der neben einer Fülle von neuartigen Problemen überhaupt erst die notwendigen Erfahrungen erarbeitet werden mußten. Überhaupt ist die gesamte Problematik äußerst komplex und kompliziert, wie ich schon sagte. Eine differenzierte, sachorientierte Bewertung kann daher im Rahmen einer Aktuellen Stunde kaum geleistet werden. Dies ist mit Sicherheit auch der PDS von vornherein klar gewesen.
Ein Beitrag zum Aufbau in den neuen Bundesländern wird auf diese Art und Weise in jedem Falle nicht geleistet. Geleistet wird jedoch Enormes. Denken Sie nur an die umfangreichen Leistungen, die der Bund jährlich für die neuen Bundesländer übernimmt. Ein wesentlicher Teil dieser Leistungen bezieht sich auf die Altlastensanierung in den neuen Bundesländern. Und der PDS wird es nicht gelingen, dies durch ihren Antrag zu vernebeln.
Danke.
({9})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist leider nicht das erste Mal, daß wir uns im Bundestag mit den Problemen im Zusammenhang mit der deutsch-deutschen Mülldeponie in Schönberg im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern beschäftigen müssen.
Die Geschichte der Deponie Schönberg, einschließlich des Berichtes des Landesrechnungshofes, erinnert tatsächlich an das Protokoll eines Kriminalfalles. Sie ist der Beleg für ein noch längst nicht aufgearbeitetes Kapitel Wirtschafts- und Regierungszusammenarbeit zwischen der Führung der damaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Und damit ist das nicht mehr einfach nur eine Angelegenheit des Landes Mecklenburg-Vorpommern, sondern Bundesangelegenheit, weil damit etwas Gesamtdeutsches in Rede steht.
({0})
Und wer sich mit der Geschichte des größten Müllhaufens Europas auseinandersetzt, wird nicht im geringsten darüber verwundert sein, daß es zu besagtem skandalösen Vertrag zwischen dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und dem Firmenimperium des Herrn Hilmer gekommen ist.
Zu diesem Skandal gehört übrigens auch die Tatsache, daß der Fraktionschef der schleswig-holsteiniDr. Klaus-Dieter Feige
schen F.D.P., Herr Kubicki, für das Gefälligkeitsgutachten zum Vertrag, der dem Land MecklenburgVorpommern Verluste von 250 Millionen DM eingebracht hatte, schließlich auch noch fast 1 Million Mark Honorar kassiert hat.
({1})
Und was die Beweisführung betrifft, muß ich einfach noch einmal deutlich sagen: Es heißt nicht: „Haltet den Dieb! " Herr Conrad wußte schon damals, auf was für ein Gutachten er sich einließ, als er die Genehmigung für den Müllexport aus den alten Ländern in die damalige DDR gab. Denn es ist ganz klar, dies war das Gutachten, das die DDR vorbereitet hatte, um an die D-Mark heranzukommen. Und wer heute sagt, dies ist das entscheidende Gutachten, auf dem können wir aufbauen, und das Gegenteil sei erst einmal zu beweisen, der bringt sich in eine sehr verhängnisvolle Situation, wenn er das Gutachten, das fingiert und vorbereitet wurde, heute als Beweismittel heranziehen will.
({2})
Und dann nehme man sich einfach nur einmal die Hauptdarsteller dieses Unternehmens aus der alten Bundesrepublik. Da sehe ich als ersten den entlassenen Staatssekretär Herrn Conrad, der schon vor 1989 für Genehmigungsverfahren für den lukrativen Müllexport in das Entwicklungsland DDR verantwortlich war.
({3})
Und ich glaube, es war Herr Kampeter selbst, der hier einmal gesagt hat, daß es wichtig und notwendig ist, daß in einem solchen Fall eine deutliche Kontrolle im Müllbereich stattfindet. Wie kann das der Herr Conrad, der sich als Staatssekretär selbst überprüfen mußte, in einem solchen Fall übernehmen? Ich glaube, dort ist ganz bewußt - ganz bewußt! - ein Bock zum Gärtner gemacht worden.
({4})
Betrachten wir einmal das Unternehmen, das vor der Wende am Müllexport in die DDR am besten verdient hat, so stoßen wir wieder auf den Namen Hilmer. Sehen wir uns an, wer den Reibach in dem Katastrophenvertrag mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern gemacht hat, dann steht da wieder der Name Hilmer.
Doch die Seilschaft ist übrigens noch nicht komplett. Da ist noch der ehemalige Deponiedirektor namens Kenner. - Das ist jetzt einer aus dem Osten. - Er vertrat auf Ostseite das andere Ende der Müllbeseitigungsseilschaft. Ihm oblag aber auch später als Direktor der volkseigenen DDR-Firma der ordnungsgemäße Betrieb der Deponie. Das hat sich auch nicht geändert, als die Treuhand für Schönberg aufkommen mußte, und es änderte sich auch nach dem Verkauf an das Land nicht. Es darf uns schon wundern, daß sich Leute wie Kenner wegen ihrer Beziehungen zur Staatssicherheit keinen neuen Job suchen mußten, während im Gegensatz dazu jedem Hausmeister einer Schule, der als IM tätig war, sofort gekündigt wurde.
Diese offensichtliche Sonder- und Vorzugsbehandlung hat sich Kenner allein für sein Schweigen in Sachen des kriminellen Betriebes der Deponie erkauft. Und so wird es weiter sicher wieder niemanden wundern, daß Herr Kenner inzwischen Technischer Direktor im Hilmer-Imperium geworden ist.
Wer heute von gefährlichen alten Seilschaften aus der ehemaligen DDR-Führung spricht, der sollte bei der Bewertung der innerdeutschen, zweistaatlichen Geschichte nicht vergessen, daß die deutsch-deutschen Wirtschaftsseilschaften mindestens ebenso gefährlich, wenn nicht gar gefährlicher sind. Sie sind es um so mehr, weil sie ungebrochen weiterexistieren.
Jetzt gilt es, auch durch den Bundestag - und damit ist das Bundesangelegenheit - zu verhindern, daß Beweise für begangene Straftaten vernichtet werden. Das, was in Schönberg wirklich eingelagert wurde, soll nach dem Willen der Koalition aus verschiedenen Landesregierungen, der diversen Gauner, die an Schönberg unermeßlich verdient haben, und derer, die möchten, daß sie ihren Müll weiter nach Schönberg bringen können, für immer ein Geheimnis bleiben. Das dürfen und werden wir nicht zulassen.
({5})
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die letzten Beweise für das Verbringen des Seveso-Giftes, radioaktiven Abfalls und anderer gefährlicher Stoffe auf diese Deponie auf dem Tisch liegen. Dann wissen wir auch, an wen wir uns in Sachen Finanzierung wenden werden, was die Sanierung betrifft.
Es wird höchste Zeit, daß der Schalck-Ausschuß wirklich mal etwas untersucht und auf den Tisch legt.
({6})
Das Geschehen um Schönberg zu durchleuchten wäre sicherlich auch ein Meilenstein für das Verständnis, warum sich die DDR trotz wirtschaftlichen Niedergangs noch so lange halten konnte.
Aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mancher von den Abgeordneten Angst hat, daß da plötzlich Namen auftauchen, die - wie in Italien - das Ausmaß der Kollaboration von Politikern und mafiösen Unternehmern auch in der Bundesrepublik Deutschland belegen. Und davor möge man uns behüten!
({7})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Steffen Kampeter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist meine Aufgabe, zu einigen umweltpolitischen Aspekten von Schönberg hier und heute Stellung zu nehmen.
Das zentrale abfallwirtschaftliche Problem in der Bundesrepublik Deutschland - neu wie alt - ist, daß dem enorm hohen Abfallaufkommen kein ausreichendes qualitatives und quantitatives Angebot an
Deponieraum gegenübersteht. Dies hat seine Ursache darin, daß sich die entsorgungspflichtigen Körperschaften, Länder wie Gemeinden, in der Vergangenheit auch politisch außerstande sahen, für diesen entsprechenden Entsorgungsraum, Deponieraum, Sorge zu tragen.
Um so drängender ist es, in dieser Debatte noch einmal darauf hinzuweisen, daß der von der Bundesregierung entschlossen vorangetriebene Wandel von der Wegwerfgesellschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft dringend notwendig ist, weil wir nicht davon ausgehen können, daß Deponieraum entsprechend dem Abfallaufkommen wird ausgeweitet werden können.
({0})
Es geht im Kern darum, daß die Abfallwirtschaft in wesentlichen Elementen umweltverträglicher und vor allen Dingen abfallärmer auszugestalten ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich lasse die heutige Debatte einmal Revue passieren und gucke, mit welchen Attacken die Sozialdemokraten heute morgen gerade gegen die Verpackungsverordnung zu Felde gezogen sind. Wir haben diese Probleme mit der Knappheit bei Deponieraum deswegen, weil Sie u. a. versuchen, Verwertungsbemühungen, etwa im Rahmen des Dualen Systems, Tag für Tag politisch zu zerreden.
({1})
Alles, was wir im Rahmen von Verwertungsbemühungen leisten, jede dort verwertete Tonne ist eine Tonne, für die wir keinen Deponieraum mehr brauchen.
Eine zweite Anmerkung: Ich verstehe als Umweltpolitiker nur eingeschränkt, warum wir über die Deponie Schönberg zuvörderst reden. Schönberg ist nach allen vorliegenden Informationen diejenige Deponie und Ablagerungsstätte für Abfälle in der ehemaligen DDR, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung oder ihrer Erweiterung am ehesten von allen Ablagerungsstätten nach den in der Bundesrepublik geltenden Qualitätsstandards genehmigungsfähig gewesen wäre. Jede andere Ablagerungsstätte - und es sind einige tausend, wie die Altlastenerhebung gezeigt hat -, deren Gefährdungspotential nur teilweise abschätzbar ist, ist nicht nach solchen hohen Sicherheitsstandards genehmigt worden wie die Deponie Schönberg.
Also, wenn umweltpolitisch an Schönberg etwas interessant ist, dann die Frage: Warum blenden wir alle anderen Ablagerungsstätten für Abfälle in der ehemaligen DDR aus? Hier scheint es nur um ein vordergründiges, publizistisch gegen die Landesregierung gerichtetes Interesse zu gehen, aber sicherlich nicht urn ein umweltpolitisches, abfallwirtschaftliches Vorgehen.
Eine dritte Anmerkung, die ich hier und heute machen wollte, betrifft das private Engagement generell im Abfallwirtschaftsbereich. Es wundert mich nicht, daß gerade die PDS diese Aktuelle Stunde beantragt hat, die ja eher ein gestörtes Verhältnis zu privatwirtschaftlichem Engagement hat. Und ich freue mich, daß wir in vielen Bereichen der Abfallwirtschaft sehr viel stärker auf private Initiative setzen können und auch setzen müssen.
Angefangen hat es beim Sammeln und Sortieren, bei den Verwertungsanlagen für Kunststoffe und für andere Sekundärrohstoffe. Wir brauchen hier private Unternehmen. Das ist nichts, wo der Staat etwas zu suchen hat. Wir brauchen z. B. auch bei Genehmigungen von Verwertungsanlagen diese Bürokratisierung nicht; denn mit jedem Jahr, in dem wir Verwertungsanlagen verhindern, verknappen wir den Deponieraum künstlich. Das gilt auch mit Blick auf Müllverbrennungsanlagen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in der Bundesrepublik auf Grund der Technischen Anleitung Siedlungsabfall ungefähr 70 neue Müllverbrennungsanlagen benötigen - das sind Berechnungen des Bundesumweltamtes -, und diese 70 Müllverbrennungsanlagen können durchaus auch privat betrieben werden. Es ist prinzipell überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn sich das Land Mecklenburg-Vorpommern eines privaten Deponiebetreibers bedient. Der Kern unseres Wohlstands ist durch privates Wirtschaften erzeugt. Wir können doch in der Abfallwirtschaft keine Sonderstellung haben
({2})
und sagen: Pfui, das geht nicht, da dürfen wir gar nichts machen.
({3})
Es ist doppelbödig, auf der einen Seite die Erträge des privaten Wohlstandes verteilen zu wollen, auf der anderen Seite das private Engagement in der Abfallwirtschaft zu kritisieren.
Lassen Sie mich daher abschließend feststellen: Die eigentlich umweltpolitische Kernfrage ist der Wandel von der Wegwerfgesellschaft in eine Kreislaufwirtschaft. Vor wenigen Tagen hat das Kabinett das dafür notwendige Gesetz verabschiedet. Der Platz auf der Deponie Schönberg und auf allen anderen Deponien wird besser genutzt werden, wenn wir diese kreislaufwirtschaftlichen Elemente haben. Ich sage zum Schluß noch einmal deutlich: Dabei werden wir uns in Zukunft auch privater Initiative bedienen müssen. Dies ist auch politisch richtig und sollte durch das, was hier an Schönberg kritisiert worden ist, keinesfalls in Frage gestellt werden.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Reinhold Hiller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von DDR-Bürgern stammt das Wort: Die DDR wird zur größten Müllkippe Europas. - Das war 1988.
Die größte Sondermülldeponie Europas ist aufs engste verknüpft mit den Affären rund um das Devisenbeschaffungsimperium von Schalck-Golodkowski. 1988 erklärte ich von dieser Stelle: „Mittelbar arbeitet die Bundesregierung mit der DDR-Führung gegen die Interessen der Menschen Hand in Hand
Reinhold Hiller ({0})
zusammen. " Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Damals gab es einen Zwischenruf von den GRÜNEN: Das wird 1992 noch viel schlimmer! - Als Optimist hielt ich das damals nicht für möglich, obwohl ich damals nicht wußte, daß die Einheit kommen werde.
Noch bis vor kurzem existierte die Zusammenarbeit zwischen der CDU-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern und dem Müllhändler Hilmer, einen bereits zu DDR-Zeiten bewährten Vertragspartner des SED-Imperiums von Schalck-Golodkowski, und dem ehemaligen CDU-Staatssekretär Conrad aus Schleswig-Holstein, der damals für alle Transportgenehmigungen zuständig war, die überhaupt zu Schönberg führten. Das darf man nicht vergessen; denn jeder weitere Minister, der eine Transportgenehmigung erteilt hat, hat sich auf diese Transportgenehmigung berufen, und damals wie heute sieht die Bundesregierung keinerlei Handlungsbedarf.
Die ersten Reden der SPD gegen Schönberg wurden hier 1983, auch von mir, gehalten.
({1})
Damals wurde vertuscht und verniedlicht, nicht anders, als man es damals von der SED gewohnt war.
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Außer der Privatisierung hat sich in Schönberg nichts geändert. Mein Wahlkreis liegt an der Grenze. Der Müllberg ist zum höchsten Berg der Region geworden. Seit über zehn Jahren lehnt die Bundesregierung jede Forderung nach Bekanntgabe von Umweltdaten in trautem Gleichklang mit der damaligen DDR unter Berufung auf wissenschaftlich zweifelhafte Gutachten aus interessierten ostdeutschen Quellen ab.
Dieser Skandal besteht heute noch. Wir haben bis heute nicht alle Gutachten und alle Daten auf dem Tisch. Da, Herr Grünewald, sollten insbesondere Sie sich nach der Wende und nach der Vereinigung einsetzen. Dies ist ein einmaliger Skandal von Vertuschungen von wichtigen Umweltdaten.
({3})
Zu den entsprechenden Geschäftsbeziehungen ist ja schon etwas gesagt worden.
Wenn Sie meinen, dies sei ein Müllproblem von vielen, dann kann ich Ihnen sagen, daß die Bürgerinnen und Bürger Mecklenburg-Vorpommerns, aber auch in Lübeck darüber besorgt sind, daß es inzwischen ein Gutachten gibt, in dem von einer erheblichen Gefährdung des Trinkwassers gesprochen wird. Sie müssen sich irgendwann Gedanken darüber machen, wie man dem Land Mecklenburg-Vorpommern aus der Patsche hilft, um dieses Trinkwasser zu sanieren und diese Verunreinigung des Trinkwassers für Hunderttausende von Menschen zu beseitigen. Das ist die Verantwortung, die wir seit vielen Jahren der Bundesregierung vorhalten, ohne daß sie nach der Vereinigung auch nur irgendeinen Schritt getan hat, um diesen Skandal zu entschärfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren. Vieles ist hier angesprochen worden. Ich will die Forderungen hier ganz klar nennen. Die SPD fordert erstens die Veröffentlichung sämtlicher Daten, Untersuchungen und Gutachten aus der DDR, aus Mecklenburg-Vorpommern und aus Schleswig-Holstein seit Ende der siebziger Jahre. Da hätte ich gern von der Bundesregierung gehört, daß sie an dieser Aufgabe mitwirkt; denn von dieser Stelle ist schon vor fünf Jahren Glasnost in Sachen Schönberg gefordert worden, was der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern jetzt Gott sei Dank aufgegriffen hat. Ich hoffe, daß den Worten Taten folgen und sämtliche Akten auf den Tisch des Hauses kommen.
Es ist zweitens höchste Zeit, daß mit aller Kraft alle möglichen Gefährdungspotentiale der Deponie untersucht und die technisch möglichen Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Die SPD fordert eine schonungslose Überprüfung der Sicherheit der Deponie durch einen Gutachter, der das Vertrauen aller Beteiligten genießt, sowie die sofortige Einleitung von Sicherungsmaßnahmen.
Die Bundesregierung will ich zum Schluß auffordern, sich Gedanken darüber zu machen, wer letztlich den finanziellen Milliardenschaden, den ich Ihnen voraussagen kann, bezahlen wird.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Josef Hollerith das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute auf Antrag der PDS in einer Aktuellen Stunde die Vorgänge um die Deponie Schönberg zu behandeln. Es ist ein besonderer Akt der Scheinheiligkeit, daß gerade die Nachfolgepartei der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, welche die Verantwortung für die Existenz der Deponie Schönberg und für 90 % der Materialien, die dort liegen, zu tragen hat, eine solche Aktuelle Stunde fordert.
({0})
- Tatsache ist doch, daß die allermeisten Mitglieder der PDS früher Mitglieder der SED waren.
({1})
Das sind doch Tatsachen, die aus dem Bundestagshandbuch und aus den Lebensläufen der Mitglieder der PDS zu entnehmen sind.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Unterhaltung später woanders fortsetzen würden, wäre ich sehr dankbar. - Bitte sehr, fahren Sie fort.
Nach den mir vorliegenden Fakten hat die Treuhandanstalt korrekt gehandelt. Versuche seitens der PDS oder anderer
interessierter Kreise, der Treuhandanstalt oder gar dem Bund hier ein Fehlverhalten anzudichten, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als plumpe Polemik.
Im Juli 1992 verkaufte die Treuhandanstalt die Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH, IAG, in Selmsdorf an eine landeseigene Gesellschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Verhandlungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern durch seine Umweltministerin Frau Dr. Monika Uhlmann wurden offensichtlich mit der Treuhandanstalt ab Januar 1992 sehr intensiv geführt.
({0})
Dabei scheint es so, daß das Land nicht nur ein starkes Interesse gegenüber der Treuhandanstalt bekundete, die Deponie zu erwerben, sondern sogar mit der Schließung der Deponie für den Fall drohte, daß das Land nicht hätte Käufer sein können.
({1})
Bei einem so heftig bekundeten Interesse eines Landes kann man der Treuhandanstalt meines Erachtens nicht vorwerfen, daß sie die Deponie zu einem gerechten Preis im Juli 1992 an das werbende Land verkauft hat.
Die Bilanz 191 der Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft wurde von der Task-Force-Rückstellung der Treuhandanstalt untersucht. Die Problematik der Ansätze in den Rückstellungen für Altlasten bei Treuhandanstalt-Unternehmen war bekanntlich Gegenstand eines sehr heftigen Monitums des Bundesrechnungshofs. Rückstellungen für Altlasten, die offensichtlich überhöht ausgewiesen waren, wurden nach unten korrigiert. Entsprechend wurde die D-MarkEröffnungsbilanz nach § 36 D-Markbilanzgesetz verändert und eine Ausgleichsverbindlichkeit gebildet.
Bezüglich des Unternehmenswerts liegt ein Gutachten einer renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vor, die das Unternehmen mit über 80 Millionen DM bewertet hatte. Dem Land war der Zustand der Deponie bekannt; das Land hatte auch Gelegenheit, Einsicht in die bestehenden Geschäftsverhältnisse zu nehmen. Die Umsatzerwartungen für das Jahr 1992 mit ca. 100 Millionen DM und ein erwarteter Gewinn von rund 10 Millionen DM ließen die IAG als nicht unattraktives Kaufobjekt erscheinen. Die Erträge der Zukunft aus steigenden Gebühren erschienen dem Land offensichtlich geeignet, auch höhere Anforderungen an Rekultivierung und damit verbundene höhere Kosten zu tragen.
Schließlich stellt sich der Verkauf an eine landeseigene Gesellschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern zum Preis von 10 Millionen DM unter Ausschluß jeglicher Gewährleistung für Umweltschäden seitens der Treuhandanstalt als gerechter Preis heraus.
Die Treuhandanstalt hat jedenfalls nach den mir bekannten Gesichtspunkten korrekt gehandelt. Jegliche Vorwürfe gegenüber dem Bund sind unberechtigt und in aller Schärfe zurückzuweisen.
({2})
Ich erteile der Abgeordneten Frau Jutta Müller ({0}) das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Ich werde zum Thema kommen. - Während ich mir die Debatte anhöre, fällt mir immer wieder das nette Wort von den blühenden Landschaften ein.
({0})
Ich habe das Gefühl, es klappt mit den blühenden Landschaften nicht so richtig. Die Wirtschaft stockt,
({1})
und die Bundesregierung läßt die neuen Bundesländer zur größten Müllkippe Europas verkommen.
Greenpeace hat errechnet, daß im Jahr 1992 mindestens 3 Millionen t Westmüll legal oder illegal auf ostdeutschen Deponien gelandet sind.
({2})
Heute müssen wir uns hier mit einer dieser ostdeutschen Deponien beschäftigen: Schönberg, seit Jahren auch im Westen bekannt und bei vielen in den alten Bundesländern sehr beliebt. Konnte man hier doch Dreck, Gift, Chemikalien, verseuchte Erde, ja alle unangenehmen Dinge loswerden, gegen Entgelt sozusagen vor eine fremde Haustür kippen, nicht ahnend, daß sie eines Tages die eigene Haustür werden würde.
Schönberg war der bequeme Weg. Man wollte lieber zahlen als den unbequemen Weg gehen, Entsorgungskapazitäten im eigenen Bundesland auszuweisen. Da nehme ich kein Bundesland aus. Das gute Geschäft kann man ja offenbar auch damit machen. Die Deponie Schönberg ist ja zur Zeit nicht als Umweltskandal in den Schlagzeilen, sondern als Finanzskandal. Ich bin allerdings sicher, daß der Umweltskandal noch kommen wird.
({3})
Deutschen Müll mit dem Gütesiegel des Grünen Punktes finden wir ja inzwischen auf dem ganzen Globus wieder.
({4})
Für diesen für Deutschland beschämenden Export auch von Sondermüll ist die Bundesregierung direkt mitverantwortlich.
({5})
Noch immer gibt es keine klare Definition der Begriffe Müll, Wertstoffe, Reststoffe, Recyclingprodukt. Es gibt auch keine präzise Erfassung des Giftstoffaufkommens oder eine Registrierung der Unternehmen, bei denen Giftmüll entsteht.
Jutta Müller ({6})
Natürlich sind es die illegalen Müllschieber und die skrupellosen Geschäftemacher, die unseren Entsorgungsnotstand ausnutzen. Aber es ist auch die Abfallpolitik der Bundesregierung, die diesen Markt erst ermöglicht.
({7})
Müllhandel ist ein Mordsgeschäft. Neben Menschen-, Drogen- und Waffenhandel ist er eine der Möglichkeiten, mit wenig Aufwand hohe Profite zu erzielen. Im Handumdrehen verwandeln die Händler noch den giftigsten Abfall in eine Handelsware: Filterstäube, Klärschlamm, Autoschredder, Lösungsmittelrückstände usw. benennen Sie flugs um in Baumaterial, Putzmittel oder Brennstoffe und exportieren sie mit hohen oder, man kann schon sagen, enormen Gewinnspannen.
Seit Beginn der Industrialisierung häufen sich in der sogenannten entwickelten Welt die Müllberge. Bei uns ist es nicht mehr so einfach möglich, Giftstoffe abzufackeln oder wegzukippen. Aufwendige Hightech-Einrichtungen sollen helfen, Batterien, Plastik oder Sondermüll zu entsorgen. Nur, solche Prozeduren haben natürlich auch ihren Preis. Da ist es oft billiger, im Ausland, vor allen Dingen in der verschuldeten Dritten Welt, in Osteuropa, zu entsorgen. Das hat man jahrelang in Schönberg getan. Ich denke, hier müssen wir einen Riegel vorschieben.
Im März 1989 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland die Baseler Konvention zur Kontrolle der grenzüberschreitenden Transporte gefährlicher Abfälle und ihrer Beseitigung;
({8})
doch bis heute ist das notwendige Ratifizierungsgesetz nicht vorgelegt.
Wir brauchen eine vorausschauende Rahmengesetzgebung. Die Bereitschaft der Menschen, an Müllvermeidungs- und Recyclingkonzepten mitzuwirken, wird leider auch im groß angekündigten Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht aufgegriffen. Das bereits vom Kabinett verabschiedete Gesetz wird im „Spiegel" treffend als Wortmüll bezeichnet. - Das auch zu Ihrer Rede. ({9})
Es ist allgemein und unverbindlich und setzt auf Freiwilligkeit dort, wo klare Vorschriften notwendig wären. Stoffliche Wiederverwertung erhält zwar Vorrang, aber wer Abfall verbrennt und als Energiegewinnung ausgibt, braucht nicht zu recyceln. Dafür wird ja der Bau von Müllverbrennungsanlagen beschleunigt. Ich denke, dies ist der falsche Weg.
Auch das Kreislaufwirtschaftsgesetz wird ein Flop werden, weil es einen Kreislauf propagiert, den es gar nicht gibt. Ein Großteil von Elektronikschrott, Bauchemikalien, Kfz-Schredder usw. wird wie bisher auf Deponien und in Verbrennungsöfen landen.
Was wir brauchen, ist zunächst Müllvermeidung, auch durch eine ökologische Stoffpolitik, die, wenn nötig, auch giftige Stoffe verbietet. Unser Ziel muß es sein, unseren Müll selbst zu entsorgen. Wenn das
Geschäft mit dem Müll nämlich kein Geschäft mehr ist, dann wird es auch keine so krummen Geschäfte wie in Schönberg mehr geben.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Lamp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon Jahre vor der Wende und vor der Einigung hatte ich viele freundschaftliche Beziehungen nach Mecklenburg und nach Brandenburg. Aus allernächster Nähe konnte ich als Westdeutscher die Invasion der westlichen Glücksritter und Geschäftemacher 1989 und 1990 in der DDR, die damals in den letzten Zügen lag, beobachten.
Diese Geschäftemacher und Glücksritter trafen häufig auf naive, vom Sozialismus fast weltfremd verformte Geschäftspartner oder aber auch auf gerissene Schlitzohren, die im fast rechtsfreien und verunsicherten Raum vor allem sich selber an der sozialistischen Konkursmasse bereichern wollten. So viel wie möglich, so schnell wie möglich mußte Bargeld fließen oder wurden Möglichkeiten geschaffen, sich Immobilien einzuverleiben. So wurden massenhaft im kleinen wie im großen schwer durchschaubare, oft dubiose, zumindest aber eigenartige Verträge geschlossen, Werte verschleudert, Fakten geschaffen.
({0})
Mir - ich bin Bauer - wurde dort eine Schafherde zum Stückpreis von 1 D-Mark angeboten.
Diese Zustände muß man sich vor Augen halten, wenn man versucht, den nur mühsam nachvollziehbaren Wirrwarr der Verhandlungen über die ehemalige VEB-Deponie Schönberg zu entzerren.
Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern fand im Oktober 1990 folgende Situation vor: Eine Abfallgesellschaft, die der Treuhand gehört, bewirtschaftete die damals volkseigene Deponie. Zwei weitere Gesellschaften im Besitz der Treuhand, eine französische Großbank und das Hanseatische Baustoffkontor aus Lübeck hatten sich Lieferverträge oder erhebliche Deponieflächen angeeignet.
({1})
Nach langwierigen Verhandlungen, Gesellschaftsgründung usw. usf. mit dem Ziel der Übernahme der Deponie durch das Land, was ja sinnvoll ist, ergibt sich heute folgendes Bild: Man konnte sich endlich mit der Treuhand auf einen günstigen Kaufpreis einigen. Ich habe hier vorhin von mehr als 80 Millionen DM gehört. Ich kenne ein seriöses Gutachten, das von 154 bis 250 Millionen DM spricht, je nachdem, ob man 100 oder 150 DM pro Tonne abgelieferten Mülls einsetzt.
Schwieriger waren die Verhandlungen mit der Mecklenburger Abfallgesellschaft. Letzten Endes mußte akzeptiert werden, daß auch ein Bewirtschaftungsvertrag mit einer sogenannten Deponiemanagementgesellschaft geschlossen wurde, die je zur
Hälfte der VEBA und dem Hanseatischen Baustoffkontor gehört.
({2})
Zwei Gesellschaften haben nach wie vor die Hand auf den Lieferverträgen und kassieren für jede angelieferte Tonne Müll eine Maklercourtage.
({3})
- Unter anderem. - ({4})
Ich habe mich bemüht, die Situation vereinfachend darzustellen. Bis in die Einzelheiten hinein sind die Verträge nur sehr sehr schwer durchschaubar.
({5})
Das Land zieht übrigens mehr Geld aus der Deponie, als häufig öffentlich dargestellt wird.
({6})
- Das will ich Ihnen jetzt genau sagen: 30 DM je Tonne zweckgebundene Gebühr für spätere Rekultivierungsmaßnahmen einschließlich der Zinsen. Dazu kommen jährlich 24 % des Gesamtumsatzes. Sie reden immer von 6 DM und 10 DM pro Tonne. Das sind die 6 DM für die ersten 200 000 t.
({7})
- Das weiß ich nicht, wer die falschen Angaben macht.
({8})
- Ich kann Ihnen diese 24 % folgendermaßen aufschlüsseln: Für die ersten 200 000 t 6 DM, für die nächsten 200 000 t 10 DM. Und wenn Sie bei 1,2 Millionen angelangt sind, dann müssen die Betreiber 53 % des Umsatzes vom eingebrachten Müll an das Land abführen. Hintergrund ist, daß die Deponie nicht innerhalb von drei Jahren vollgefüllt wird und man das Geld einsackt.
({9})
Ich meine, daß diese Regelung absolut besser ist, als sie öffentlich dargestellt wird, und daß das Land Mecklenburg-Vorpommern im Grunde damit leben könnte. Auch die Risikoübernahme des Landes ist unter den gegebenen Umständen keineswegs abenteuerlich. Wir müssen daran denken, daß seit 1979 bereits Müllgebirge gewachsen sind, für die sonst niemand das Risiko übernehmen will.
({10})
- Ja, ja.
Wenn die Risikoannahme des Landes diskutiert wird, vermengt oder verwechselt man aber häufig die zivilrechtliche und die öffentlich-rechtliche Seite der Dinge. Das Land hat bewußt das Risiko für die Einbringung zugelassener Stoffe bei entsprechender Kontrolle übernommen und kassiert hierfür auch die zweckgebundenen Gelder für Rekultivierungs- und eventuelle Sanierungsmaßnahmen - ob das reicht, ist eine andere Frage - bis zum Jahr 2005.
({11})
Wird jedoch vom Betreiber nachweislich gegen Auflage und Gesetz verstoßen, hat er natürlich für die Folgen geradezustehen.
Grundsätzlich ist gegen diese Regelung, meine ich, unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen Müllberge aus der DDR-Zeit nichts einzuwenden.
Wenn ich mir diese und andere Entwicklungen in den neuen Ländern ansehe, dann bedaure ich, daß die noch zu DDR-Zeiten unmittelbar vor der Wende geschlossenen Verträge zunächst immer als rechtens anerkannt werden, und daß nicht unter den Vertragsparteien grundsätzlich die rechtliche und sittliche Unbedenklichkeit unter strengen Maßstäben im nachhinein nachgewiesen werden muß und gegebenenfalls Vertragsabschlüsse wieder aufgehoben werden.
({12})
Ich unterstütze das Bemühen der mecklenburgischvorpommerischen Landesregierung, das Abkassieren der Maklercourtage auf Lieferverträge - 6 bis 12 % - zu unterbinden oder zu mindern. Das betrifft zwei Gesellschaften.
(Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Wer
kassiert das denn?
Ich muß Sie auf die Bedeutung des roten Lichts aufmerksam machen.
Ich sehe das schon immer; ja, ja.
({0})
Einen Satz noch. Im übrigen sollte die Landesregierung prüfen, ob die Auflagen und Kontrollen gegenüber den Deponiebetreibern genügen und inwieweit die Betreibergesellschaft bereit ist, mit der Landesregierung kooperativ und entgegenkommend zusammenzuarbeiten und eventuell Verträge nachzubessern.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hinrich Kuessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schlampereien der Treuhandanstalt werden jetzt hochgespült. Gestern war dies mit anderen Beispielen im Treuhandausschuß Hauptthema.
Meine Grundfrage ist: Unter welchen Voraussetzungen betreibt die Treuhandanstalt die Umstrukturierung der Wirtschaft in Ostdeutschland? Daß das, was die Treuhandanstalt betreibt, ein schwieriges Geschäft ist, wissen auch wir von der Opposition. Daß schnell Entscheidungen gefordert sind, das wollen auch wir von der Opposition. Daß dabei Fehler gemacht werden, das gestehen auch wir zu. Mit bürokratischer Genauigkeit würde man mehr zerstören als aufbauen, denn fehlende Entscheidungen kosten Geld und minimieren in der Regel unternehmerische Chancen.
Aber es kommt durchaus drauf an, mit welchen Vorgaben des BMF die Treuhandanstalt das Geschäft der Privatisierung betreibt.
({0})
Es kommt darauf an, mit welcher Motivation die Treuhandmitarbeiter diese Vorgaben realisieren.
({1})
Hier setzen die Fragen an. Hat die Treuhandanstalt bei ihren Verhandlungen mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern beim Verkauf der Deponie Schönberg die Unerfahrenheit und Unkenntnis der Vertreter der Landesregierung ausgenutzt? Im Treuhandausschuß wird uns immer wieder versichert: Verkäufe erfolgen an erster Stelle auf Grund eines vorgelegten Konzepts für die wirtschaftliche Weiterführung. Der Landesrechnungshof in Schwerin hat zu Schönberg festgestellt, daß das Land Mecklenburg-Vorpommern das Altlastenrisiko in vollem Umfang übernommen hat,
ohne die Treuhandanstalt in angemessenem Umfang in die Haftung einzubinden. Bis zur Aufklärung des Risikos hätte die Treuhandanstalt auf jeden Fall vertraglich in die Haftung eingebunden werden können und müssen.
Nach Darstellung dieses Landesrechnungshofs entzog die Treuhandanstalt der Ihienberger Abfallentsorgungsgesellschaft eine Rückstellung für Rekultivierungs- und Nachsorgungsmaßnahmen in Höhe von 76,5 Millionen DM. Die Notwendigkeit dieser Rückstellung ist durch ein Gutachten belegt. Welches ist der Grund für dieses Vorgehen? Wie wurde der Vertrag überprüft? Im Treuhandausschuß war gestern allen anwesenden Mitgliedern aller Fraktionen klar, daß das Controlling bei der Treuhandanstalt auch heute noch nicht voll funktioniert. Wie sollte es damals funktionieren? Der Bericht des Landesrechnungshofs fordert die Überprüfung dieses Vertrags.
Unsere Forderung ist darum, daß die Bundesregierung, die für die Treuhandanstalt zuständig ist, die Tür zu Nachverhandlungen öffnet. Nur so werden sich ökologische Schäden für die Menschen in der Region vermeiden lassen.
Die Schönberg-Affäre zeigt auch, daß Vereinbarkeit und Nichtvereinbarkeit von politischer Funktion und wirtschaftlichen Interessen von Mandatsträgern neu bedacht werden müssen.
({2})
Meine Auffassung ist: Wer schnell viel Geld für sich will, taugt nicht für ein politisches Amt.
({3})
- Das gilt für Krause. Das gilt ebenso für Kubicki.
({4})
Der Kieler Rechtsanwalt und Politiker Kubicki hat mit seiner Beratung des Umweltministeriums in Schwerin für meine Begriffe die Grenze überschritten.
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- Dies gilt ganz besonders, da der Landesrechnungshof erklärt hat ({6})
wieder ein wörtliches Zitat des Landesrechnungshofs ({7})
- hören Sie einmal zu! -: Die Ausgabe
- gemeint sind Kosten in Höhe von etwa 860 000 DM hätte durch den Einsatz von Mitarbeitern des Landes, insbesondere solchen des Finanzministeriums, vollen Umfangs eingespart werden können.
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Politiker müssen bei der Einnahme öffentlicher Gelder sensibler werden. Von einem Politiker, der die innere Einheit Deutschlands aktiv mitgestalten will, erwarte ich, daß er dabei nicht eigene Taschen füllt. Geschäft ist Geschäft. Politik muß etwas anderes sein. Politiker scheinen nicht mehr beides gleichzeitig sein zu können, Geschäftsmann und Politiker.
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Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Klinkert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns in diesem Haus sicherlich einig, daß jede Deponie von heute eine Altlast von morgen ist. Als Umweltpolitiker ist es für mich nicht entscheidend, welche finanziellen Bedingungen zu eine Errichtung und zu einer Vergabe zum Betreiben von Deponien geführt haben.
Deswegen halte ich persönlich den Aufhänger für diese Aktuelle Stunde für falsch. Es wäre allenfalls Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, und danach, wenn konkrete Ergebnisse vorliegen, könnte man sich mit diesem Thema in einer Aktuellen Stunde befassen.
Ministerpräsident Seite hat den zuständigen Staatssekretär seines Umweltministeriums entlassen. Die Ministerin hat, obwohl für sie keinerlei rechtliche Mitverantwortung bestand, aus politischer Verantwortung für sich die Konsequenzen gezogen und hat ebenfalls ihren Rücktritt eingeleitet. Dies bedaure ich persönlich zutiefst, weil ich sie für eine der profiliertesten Politikerinnen und Politiker aus den neuen Bundesländern halte.
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Bei der Großdeponie Schönberg handelt es sich um eine Deponie, die schon zu DDR-Zeiten auf geschlossen wurde. Die Dimension dieser einzigen Deponie in dieser Region ist ein Ergebnis einerseits des chronischen Devisenmangels der DDR und der Skrupellosigkeit, alles zu versilbern, andererseits resultiert sie aus der Verweigerungshaltung der umliegenden Länder und dem Sankt-Florians-Prinzip, nur nicht im eigenen Land Mülldeponien oder Verwertungsanlagen zu errichten.
SPD-Politiker beklagen hier heute mit tränenerstickter Stimme, welche furchtbaren Umweltschäden dem Land Mecklenburg-Vorpommern entstehen. Von diesen SPD-Kollegen höre ich aber kein Wort, wie sie ihre Länder einbeziehen wollen, um, falls dies notwendig ist, sich an der Beseitigung von Schäden in Mecklenburg-Vorpommern, die durch diese Deponie entstanden sein könnten, zu beteiligen.
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Ich habe aus Hamburg und Schleswig-Holstein kein einziges konkretes Angebot dazu gehört, wissend, daß Hamburg zu den größten Nettolieferanten dieser Deponie gehört.
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Überhaupt kommt die gespaltene Zunge der SPD hier heute ganz besonders klar zum Ausdruck. Einerseits müßte man, wenn man Ihnen aufmerksam zuhört, die Deponie Schönberg sofort schließen; andererseits verweigern Sie sich selbst logischen Alternativen, so der, den Müll aus den umliegenden SPD- regierten Ländern wegen fehlender Alternativen woanders zu verbringen.
Auch verweigern Sie sich einer sinnvollen Müllverwertung. Kollege Kampeter hat zu Recht auf die
Debatte von heute morgen hingewiesen, in der Sie eine äußerst unsachliche Kritik an Erfassung und Verwertung von Reststoffen
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geübt haben, die entsprechend der Verpackungsverordnung durch das Duale System durchgeführt werden und die eben in einer Übergangszeit stecken.
Andererseits sind Sie in Ihren Ländern eifrig Verweigerer jeder thermischen Behandlung. Es wird langsam zu einem Sport von SPD-Politikern, ihren Wählern zu beweisen, wie sehr man gegen thermische Müllbehandlungsanlagen ist.
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Die PDS hat diese Debatte beantragt,
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wissend, daß diese Deponie als Ergebnis des Betreibens einer Deponie entstanden ist, in deren Folge ein Wirrwarr von Gutachten und Verträgen vom SED- Staat übernommen werden mußte, weil die DDR wie die Dritte Welt interessiert war, sogar Müll gegen Bares im Land aufzunehmen und zu deponieren.
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- Ich meine, man sollte sich gerade an Ihrer Stelle nicht immer hinstellen nach dem Motto: Haltet den Dieb! Sie sollten sich schon einmal ab und zu eine sachliche Kritik gefallen lassen.
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Alle nacheinander und nicht auf einmal!
Andererseits sind durch diese Verträge Strukturen entstanden, die zunächst einmal weitergeführt werden müssen.
Ich erwarte deshalb gerade aus den SPD-regierten Ländern beschleunigte Anträge für Müllverbrennungsanlagen, für Deponien in ihren eigenen Ländern, speziell in Hamburg und Schleswig-Holstein.
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Vor allem aber, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarte ich eine konstruktive Mitarbeit, wenn es jetzt darum geht, daß das Stoffkreislaufgesetz sehr eng an dem orientiert wird, was uns durch die Verpackungsverordnung vorliegt.
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Wie gesagt, erwarte ich in diesem Fall eine sehr enge konstruktive Mitarbeit von Ihnen. Das wäre die logische Konsequenz aus dem, was Sie hier heute gesagt haben.
Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der
Aktuellen Stunde, am Schluß der Tagesordnung und am Ende der heutigen Sitzung.
Mir bleibt nur übrig, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 23. April 1993, 9 Uhr einzuberufen.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen und erholsamen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.