Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Wahl der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
- Drucksachen 12/244, 12/250 und 12/251 - zu ergänzen. Der Zusatzpunkt soll nach den Haushaltsberatungen um ca. 15.30 Uhr aufgerufen werden.
Des weiteren haben die Fraktionen vereinbart, die Beratung des Tagesordnungspunktes 3 a und b anstelle des Tagesordnungspunktes 7 auf Freitag zu verschieben.
Die erste Beratung des Gesetzentwurfs der CDU/ CSU und FDP zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialer Vorschriften soll heute als letzter Debattenpunkt aufgerufen werden.
Die Tagesordnungspunkte 6 h - Sammelübersicht 7 zu Petitionen - und Tagesordnungspunkt 7
- Außenwirtschaftsgesetz - sollen abgesetzt werden.
Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Herr Kollege Kastning legt das Amt als Schriftführer nieder. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger den Kollegen Seidenthal vor.
({0})
- Es trifft sich gut, daß er neben uns als Schriftführer schon in Funktion ist.
({1})
Ich frage trotzdem: Sind Sie mit dem Vorschlag einverstanden? - Damit ist Herr Seidenthal als Schriftführer gewählt.
Wir setzen die Aussprache über den Tagesordnungspunkt 2, das Haushaltsgesetz 1991 und den Finanzplan 1990 bis 1994, fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Haushaltsjahr 1991 ({2})
- Drucksache 12/100 -Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1990 bis 1994
- Drucksache 12/101 -Überweisung: Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache sechs Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster Herr Abgeordneter Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Der ökologische Umbau bleibt eine Hauptaufgabe der Politik nicht nur in der Bundesrepublik, nicht nur in den neuen Ländern, sondern auch in den alten Ländern, auch in Europa und weltweit.
Dem Ziel eines umweltverträglichen, ökologischen Wirtschaftens sind wir in den letzten Jahren nicht entscheidend näher gekommen. Die OECD hat es in ihrem „Bericht zur Lage der Umwelt" vom Januar 1991 so formuliert - ich zitiere -:
Die Herausforderung der 90er Jahre wird nicht nur sein, die Umweltpolitik anzupassen und zu verstärken, sondern auch Veränderungen in der Wirtschaft der OECD-Länder voranzubringen, die nachhaltige Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts national und international zu einer Realität zu machen.
Soweit die OECD.
Dieser Zielsetzung tragen weder die bisherige Politik der Bundesregierung noch die Ankündigungen in der Regierungserklärung noch der vorgelegte Haushalt Rechnung. Im Gegenteil: Die Politik für die neuen Bundesländer ist geradezu von dem Eifer geprägt, beim Ausbau der Verkehrswege wie auch in der Energiepolitik die alten Fehler möglichst schnell zu wie888
Harald B. Schäfer ({0})
derholen. Auch Ihre aktuellen Programme sind von traditionell ökonomistischem Denken geprägt, in dem Ökologie nur eine Randgröße ist.
({1})
Neben den ungelösten Eigentumsfragen, neben der fehlenden Infrastruktur sind es vor allem die verheerenden Umweltbelastungen, die den Aufschwung in den neuen Ländern behindern. Wir wissen seit langem, daß der Zustand von Natur und Umwelt ein wichtiger Standortfaktor für Investitionsentscheidungen ist. Ökologische Probleme, fehlende Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen, militärische und industrielle Altlasten - all diese Faktoren halten Investoren fern. Unterlassener Umweltschutz ist ein Investitionshemmnis erster Ordnung.
({2})
Die Annahme, man könne erst auf einen wirtschaftlichen Aufschwung setzen und danach mit der Sanierung der Umwelt beginnen, ist eine Fehlspekulation. Wer so denkt, hat nicht verstanden, daß es ohne ökologische Erneuerung keinen ökonomischen Fortschritt gibt. Ökologie und Ökonomie bedingen einander.
Wirtschaftliche Zukunftschancen sind nur zu gewinnen, wenn die Umwelt zuvor gründlich saniert wird.
({3})
Dies geht nicht mit einzelnen Pilotprojekten, Herr Töpfer. Dies geht nur flächendeckend und umfassend. Die neuen Länder dürfen jedenfalls nicht schmutziger Hinterhof eines geeinten Deutschlands sein. Das ist eine der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen.
({4})
Wir Sozialdemokraten haben deshalb seit Frühjahr 1990 immer darauf hingewiesen, daß es dazu öffentlicher Vorleistungen in großem Umfang bedarf.
({5})
Eine verrottete Wirtschaft kann sich nun einmal auch ökologisch nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.
Aber immer wieder, wenn wir höhere öffentliche Investitionen für den Umweltschutz gefordert haben, wenn wir die lächerlichen Beträge im Haushalt des Bundesministers für Umwelt dafür kritisiert haben, hat der Bundesumweltminister dies zurückgewiesen. Er hat sogar mit Stolz darauf verwiesen - bei mehr als einer Haushaltsdebatte in diesem Hause - , daß fehlende Mittel für den Umweltschutz im Haushalt geradezu Ausdruck eines konsequent angewandten Verursacherprinzips seien. Je weniger Mittel der Bundesumweltminister im Haushalt zur Verfügung habe, desto besser sei seine Umweltpolitik. Das war Ihre Botschaft, Herr Töpfer.
({6})
Die katastrophale Situation der Umwelt in den neuen Ländern wurde frühzeitig richtig beschrieben - auch von Ihnen, Herr Bundesminister -, ausreichende Finanzmittel haben Sie vom Finanzminister bislang allerdings nicht bekommen. Aber auch Sie, Herr Bundesumweltminister, haben inzwischen einsehen müssen, daß mit dem Verursacherprinzip allein den Menschen und der Wirtschaft in den neuen Bundesländern nicht zu helfen ist. Wenn es um die Sanierung von Altlasten in den neuen Ländern geht, ist mit dem Verursacherprinzip wenig zu holen.
({7})
Kostendeckende Gebühren für Abfall- und Abwasserentsorgung helfen nicht, wenn es darum geht, zunächst einmal die nötigen Mittel für den Bau von Kläranlagen und Abfallentsorgungseinrichtungen zu beschaffen. In solchen Fällen kann und muß das Gemeinlastprinzip, kann und muß die Solidarität der Steuerzahler an die Stelle des Verursacherprinzips treten.
({8})
Wir Sozialdemokraten haben deshalb schon vor der Bundestagswahl ein Programm „Arbeit und Umwelt" für die neuen Länder verlangt. Ein solches auf fünf Jahre angelegtes Programm könnte bereits heute wirksam sein. Ausgestattet mit einem Volumen von etwa 5 Milliarden DM pro Jahr hätten damit nach Modellrechnungen für die neuen Bundesländer jährlich direkt und indirekt rund 100 000 Arbeitsplätze geschaffen bzw. gesichert werden können. In einem Zeitraum von fünf Jahren hätten eine halbe Million Menschen Arbeit gefunden, und die Umwelt wäre zusätzlich noch entlastet worden. Wir werfen Ihnen vor, daß Sie genau diese Politik bislang unterlassen haben.
Für die Sanierung von Altlasten, für die Rekultivierung von Braunkohletageabbaugebieten, für Naturschutz und Flurbereicherungsmaßnahmen - nicht Flurbereinigungsmaßnahmen - hätten mit diesem Programm viele Menschen aus Landwirtschaft und Bergbau in Sanierungs- und Beschäftigungsgesellschaften sinnvolle Arbeit finden können, Menschen, die heute arbeitslos sind und deren Arbeitslosigkeit ebenfalls Milliardenbeträge erfordert, ohne daß dafür gesellschaftliche Werte geschaffen werden.
Statt zu handeln, haben Sie sich bislang auf Ankündigungen und Pilotprojekte beschränkt. Sie haben lieber Arbeitslosigkeit als Arbeit finanziert. Das halten wir Ihnen vor. Darüber sind viele Menschen in den neuen Bundesländern zu Recht verbittert.
Mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost gehen Sie jetzt einen Schritt in die richtige Richtung. Grundsätzlich begrüßen wir das. Aber wieviel konkretes Leid vieler Menschen hätte vermieden werden können, wenn Sie die Souveränität besessen hätten, unseren Ratschlägen früher zu folgen?
({9})
Dieses Versäumnis der Bundesregierung hat weitere fatale Folgen: Für viele Menschen in den neuen Ländern verbindet sich mit dem Umweltschutz wieder
Harald B. Schäfer ({10})
das Gespenst vom Job-Killer. Sie sehen, daß Betriebe
ich füge hinzu: zu Recht - auch aus Umweltgründen dichtmachen müssen. Aber sie haben noch nicht erfahren können, daß Umweltschutz auch neue, zukunftssichere Arbeitsplätze schafft.
Das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost könnte dies, zumindest teilweise, ändern. Dies anerkennen wir. Aber es wird den Anforderungen nicht gerecht. Dies betrifft zunächst die Dauer des Programms. Die Verbesserung der Infrastruktur und die Sanierung der Umwelt sind keine Aufgaben, die in zwei Jahren zu erledigen wären. Ein zeitlich so knapp limitiertes Programm kann nach allen Erfahrungen, die wir mit solchen Programmen gemacht haben, bestenfalls wie ein Strohfeuer wirken.
Gegen jede ökologische - und übrigens auch ökonomische - Vernunft haben Sie diese enge zeitliche Grenze von zwei Jahren gezogen. Offenkundig, um bei der zeitlichen Begrenzung der Ergänzungsabgabe glaubwürdig zu wirken. Hilflose Taktiererei tritt wieder einmal an die Stelle sachbezogener Politik, als ob wir in diesem Hause - ich füge hinzu: wir alle in diesem Hause - durch diese Art von Politik nicht schon genügend Vertrauensverlust ständig erfahren müssen.
({11})
Darüber hinaus fehlen im Gemeinschaftswerk wichtige ökologische Akzente. Vielleicht liegt das ja auch daran, daß der Bundesumweltminister damit beschäftigt war, als bewährter Katastrophentourist in der Golfregion als Feuerwehrhauptmann aufzutreten.
({12})
- Ich verstehe Ihre Erregung ja. Das ist immerhin eine Steigerung: Früher hat er nur den Rhein durchschwommen, heute fährt er an den Golf.
({13})
- Herr Blüm macht den Zwischenruf „Schwimmen muß man können! " Daß diese Regierung schwimmen kann, ist eine der Ursachen für die Probleme, die wir haben.
({14})
Noch im Februar hatte der Umweltminister erklärt, ihm lägen Anträge für dringend notwendige Investitionen von Gemeinden und Kreisen für den Umweltbereich in Höhe von 2 Milliarden DM vor. Gemessen daran wirken die 700 Millionen DM, die Sie für zwei Jahre ausgeben wollen, mehr als bescheiden. Die Finanzmittel für den Umweltschutz, die Sie im Gemeinschaftswerk zur Verfügung stellen, machen gerade 3,3 % des Gesamtvolumens von 24 Milliarden DM aus. Auch in diesem Programm geht Ökonomie wieder einmal vor Ökologie.
Wir kritisieren nicht - um das auch zu sagen - , daß in Ihrem Umweltschutzprogramm Maßnahmen zum Gewässerschutz, zur Deponiesicherung und zur Sanierung gesundheitsgefährdender Industrieanlagen vorgesehen sind. Im Gegenteil: Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Was wir freilich kritisieren müssen, ist die Beschränkung auf diese Maßnahmen. Eine ökologisch-ökonomische Perspektive für die neuen Länder kann nicht allein in der nachsorgenden Umweltsanierung gesucht werden.
Untertagemülldeponien und Sondermüllverbrennungsanlagen sind in den neuen Ländern sicher notwendig. Die neuen Länder dürfen aber nicht die Müllkippe der Republik werden. Neben der Umweltsanierung muß von Anfang an die Umweltvorsorge stehen.
({15})
Unverzichtbar ist, meine Damen und Herren, daß auch in den neuen Ländern der ökologische Umbau zu modernen, umweltverträglichen, rohstoffschonenden Produktionsverfahren und Produktionsstrukturen sofort eingeleitet wird. Ein zentraler Bereich, nachgerade ein Schlüsselbereich, ist dabei die Energiepolitik. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie liegt in den neuen Bundesländern um 30 Prozent höher als in Westdeutschland. Die CO2-Belastung, die Kohlendioxidbelastung, ist doppelt so hoch wie im Westen. Einem Programm zur Förderung der rationellen Energieverwendung und Energieeinsparung kommt daher vordringliche Bedeutung zu.
Die von Ihnen vorgesehenen Mittel für die Gebäudesanierung einschließlich der Sanierung von Heizanlagen sind dabei ein wesentliches Element. Zusätzlich jedoch wäre eine Sanierung des vorhandenen Fernwärmenetzes einschließlich des Baus neuer Heizkraftwerke notwendig. Bei einem Anteil von 23 Prozent der Wohnungen, die in den neuen Bundesländern mit Fernwärme versorgt werden, wäre eine systematische Sanierung der Leitungen und der Erzeugungsanlagen ein schnell wirksamer Beitrag zur Energieeinsparung und zum Umweltschutz.
Wir könnten zweierlei mit einem Schlag erreichen: die Umwelt sanieren und Energie schonen, aber auch den Menschen Arbeit geben. Dafür wären öffentliche Mittel in Höhe von rund 750 Millionen DM für etwa fünf Jahre notwendig. Leider ist in Ihrem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost in diesem Bereich Fehlanzeige.
Statt einer zukunftsorientierten Energiepolitik ohne Atomkraft will die Bundesregierung neue Atomkraftwerke in Ostdeutschland. Wirtschaftsminister und Umweltminister schreiten dabei weiter Seite an Seite in den Atomstaat. Unfallrisiken und fehlende Entsorgung kümmern sie nicht.
Vor der Wahl haben Sie, Herr Töpfer, in der Fernsehsendung „Parteien vor der Wahl" aus Greifswald gesagt - ich zitiere Sie - : „Es gibt kein Weiter-So in der Kernenergie". Jetzt, nach der Wahl, verfahren Sie nach dem Motto: Es gilt das gebrochene Wort.
({16})
Wenn Sie, Herr Töpfer, oder Herr Möllemann behaupten, der Bau neuer Kernkraftwerke sei notwendig, um die klimaschädlichen CO2-Emissionen zu reduzieren, grenzt dies an Volksverdummung. Von der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erd890
Harald B. Schäfer ({17})
atmosphäre" müßten Sie doch gelernt haben, daß eine Ausweitung der Kernenergie die falsche Antwort auf das Klimaproblem darstellt. Wenn Sie das noch nicht begriffen haben, Herr Töpfer und Herr Möllemann, dann sollten Sie sich in dieser Frage von Herrn Staatssekretär Schmidbauer Nachhilfeunterricht erteilen lassen, damit die dummen Reden in diesem Zusammenhang endlich aufhören.
({18})
Im übrigen, meine Damen und Herren: Mit den 10 Milliarden DM, die etwa notwendig sind, um den Bau zweier Kernkraftwerke in den neuen Ländern zu finanzieren, ließe sich mehr Energie einsparen, als diese Kraftwerke zusammen erzeugen. Ich prophezeie Ihnen, die Sie Kernkraftwerke in den neuen Ländern durchsetzen wollen: Sie werden in Stendal und in Greifswald das gleiche erleben wie in Wyhl und in Wackersdorf. Ihre Annahme, Sie könnten den Menschen in den neuen Ländern in einer Art Probelauf die gefährliche Atomtechnik überstülpen, wird nicht zutreffen. Sie werden am Widerstand der Menschen und am Widerstand der Sozialdemokraten scheitern, wie Sie es in Wackersdorf haben erfahren müssen.
({19})
Auch der Versuch, das Atomgesetz so maßzuschneidern, daß es die geplante Atomenergieausweitung fördert, wird scheitern. Spätestens im Bundesrat wird Ihnen die Mehrheit fehlen.
In Ihre Politik der Kernenergierenaissance fügt sich auch die geplante CO2-Abgabe nahtlos ein. Eine Darlegung der umweltpolitischen Lenkungswirkung dieser Abgabe wie auch der angekündigten Müllabgabe sind Sie uns bisher schuldig geblieben. Sie haben offenbar nur das Ziel, Geld aus den Taschen der Bürger in Ihre Kassen zu lenken.
Wie wenig Ihnen tatsächlich an der Ökologie liegt, Herr Töpfer, oder wie durchsetzungsschwach und konfliktscheu Sie sind, zeigt sich schon daran, daß diese Regierung nicht bereit ist, Radfahrer und die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel den Autofahrern durch die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine allgemeine Entfernungspauschale gleichzustellen. Dies wäre ein wichtiger ökologischer Schritt. Dies wäre ein wichtiges ökologisches Signal, um dem öffentlichen Personennahverkehr über ökonomische Anreize Zukunft zu geben. Statt dessen bleibt es bei der stupiden Kilometerpauschale.
({20})
Auf die tatsächliche Gestaltung Ihrer Politik haben ökologische Kriterien ganz offensichtlich wenig Auswirkungen. Die CO2-Abgabe wird übrigens einen weiteren Nebeneffekt haben. Sie wird Kohlestrom teurer machen und Kernenergie unberührt lassen. Dieser Vorschlag zeigt, was Sie, Herr Töpfer, wirklich wollen: als Atomminister die Atomenergie wieder hoffähig machen. Das ist die Absicht, die sich dahinter verbirgt.
Der letzte energiepolitische Sündenfall der Regierung war die aktive Geburtshilfe bei den Stromverträgen vom August letzten Jahres. Der Wirtschaftsminister hat den bruchlosen Übergang vom Staatsmonopol zu privaten Oligopolen zu organisieren versucht. Dezentrale Versorgungsstrukturen mit starken kommunalen Stadtwerken als Schwerpunkten, mit der Förderung erneuerbarer Energien und von Energiespartechniken, eine Modernisierung der Fernwärme - das alles ist nicht beabsichtigt. Dazu gibt es kein Konzept der Bundesregierung. Die Wahrheit ist: Die Bundesregierung hat wissentlich und absichtlich die Energiepolitik in den neuen Bundesländern an die großen Stromkonzerne abgetreten, und zwar zu Lasten der Menschen, zu Lasten der Kommunen, zu Lasten einer ökologischen und zukunftsorientierten Energiepolitik. Das ist die Wirklichkeit.
({21})
Die Oberbürgermeister der ostdeutschen Städte - ({22})
- Ich will den Dialog zwischen den beiden Großen jetzt nicht stören, Herr Graf.
({23})
Die Oberbürgermeister der ostdeutschen Großstädte haben in einem Brief an den Bundeskanzler zu Recht den offenbar geltenden Grundsatz kritisiert: Was Geld bringt, erhält die Privatwirtschaft, was Geld kostet, erhält die Kommune. Dieser Brief ist exakt im Kontext, im Zusammenhang mit der Energieversorgungspolitik der Bundesregierung und der großen Stromkonzerne geschrieben worden.
Bei aller Sorge um die Entwicklung in den neuen Ländern, bei aller Notwendigkeit, jetzt in den neuen Ländern mit Priorität auch ökologische Schwerpunkte zu setzen, dürfen wir nicht vergessen, daß wir auch in den alten Bundesländern einer umweltverträglichen Wirtschaft noch nicht näher gekommen sind. Auch in den alten Ländern leben wir ökologisch über unsere Verhältnisse. Deshalb darf es auch für die alten Länder keine ökologische Veränderungssperre geben. Deshalb darf es nicht zu einem Reformstau kommen. Auch bei uns in den alten Ländern muß der ökologische Umbau, müssen ökologisch-ökonomische Reformen an erster Stelle auf die Tagesordnung der Politik, damit wir unserer Verantwortung gerecht werden, nicht nur in den neuen Bundesländern ökonomische und ökologische Perspektiven zu schaffen, sondern den nach uns kommenden Generationen in der Bundesrepublik insgesamt eine verantwortbare Zukunftschance zu geben.
Ich bedanke mich bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Laufs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, Kontinuität ist zwar sehr gut. Ihre Einlassungen zur Umweltpolitik sind wie immer von einem frustrierenden Defätismus.
({0})
Da ist sehr wenig, was anregend, hilfreich oder auch nur interessant wäre. Da ist vor allem Schmähkritik und Lust am Niedermachen und viel angestaubte linke Ideologie.
({1})
Sie sitzen gut auf den Oppositionsbänken.
({2})
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht die Umweltpolitik der kommenden Jahre im Zeichen des ökologischen Aufbaus in den neuen Ländern.
({3})
Wir messen dieser Aufgabe absolute Priorität zu.
({4})
- Herr Lennartz, die Ökoschäden durch den irakischen Umweltterror sind furchtbar. Das ist wahr. Aber unsere Aufmerksamkeit gehört doch zuallererst und vordringlich der Sanierung und dem Schutz von Umwelt und Natur in den neuen Bundesländern.
({5})
Konzentrieren wir unsere Kräfte auf die Beseitigung der elendigen Hinterlassenschaft eines Systems, das nicht nur die Grundrechte der Menschen, sondern auch ihre natürlichen Lebensgrundlagen in beispielloser Weise mißachtet hat.
({6})
Mit den Aufräumarbeiten haben wir schon vor dem Tag der Einheit angefangen.
Das sei alles nur eine Randgröße, sagen Sie, Herr Kollege Schäfer. Das sei alles nichts als heiße Luft; so Herr Lennartz von der SPD. Über 40 Pilotprojekte mit einem Investitionsvolumen von mehr als 3 Milliarden DM werden nunmehr aus Umweltmitteln gefördert. Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie diese gewaltigen Investitionen so geringachten können.
({7})
- 40 Pilotprojekte mit einem Volumen von mehr als 3 Milliarden DM.
({8})
Gut 500 Millionen DM werden in den neuen Ländern bei der Trinkwasserversorgung und bei der Abwasserreinigung zur Gefahrenabwehr eingesetzt. Als wichtiger Eckwert des Gemeinschaftswerkes Aufschwung-Ost sind 400 Millionen DM für Soforthilfen im Umweltschutzbereich für das Jahr 1991 und weitere 400 Millionen DM für das Jahr 1992 vorgesehen.
Damit sollen kurzfristig Abwasserentsorgungs- und Wasserversorgungsanlagen, dringende Maßnahmen zur Deponiesicherung sowie Sicherungsmaßnahmen bei gesundheitsgefährdenden Industrieanlagen gefördert und auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist keine heiße Luft. Das ist konkrete Umweltpolitik vor Ort zum Schutz von Leben und Gesundheit unserer Mitbürger in den neuen Ländern.
({9})
Darüber hinaus haben wir ein Aktionsprogramm „Ökologischer Aufbau" beschlossen, an dem sich auch die Wirtschaft beteiligen wird. Die für die Altlastensanierung in den neuen Ländern erforderlichen Mittel von mehreren Milliarden DM wird die Wirtschaft nicht freiwillig aufbringen. Wir haben daher beschlossen, einen Teil der zu erhebenden Abfallabgabe zur Altlastensanierung in den neuen Ländern zu verwenden. Der Bundesumweltminister hat den Gesetzentwurf bereits für März 1991 angekündigt. Wir begrüßen, daß der Entwurf in so kurzer Zeit vorgelegt werden soll, und fordern die Wirtschaft auf, nunmehr ihrerseits zum Gelingen der Solidaritätsaktion beizutragen.
Hilfe für die neuen Länder muß nicht nur einfach und praktikabel sein, sondern auch rasch erfolgen. Die Wirtschaft sollte daher eine Vorschaltgesellschaft gründen, die die Arbeiten unverzüglich aufnimmt. Als Gesellschafter sollten neben der Treuhand auch die neuen Länder beteiligt sein.
Daneben schaffen wir - hier, Herr Kollege Schäfer, komme ich zu den flächendeckenden Maßnahmen - die Voraussetzungen dafür, daß unter dem Dach des jeweiligen Investors Sanierungsgesellschaften auf Betriebsgrundstücken vor Ort tätig werden können, die, mit ABM-Mitteln ausgestattet, sofort mit der Altlastensanierung beginnen, z. B. in Projekten zum Dekontaminieren von Gewerbeflächen.
Der ehemalige Vizepräsident des Umweltbundesamtes hat sich dankenswerterweise als Koordinator zur Verfügung gestellt. Er sorgt für eine enge Abstimmung zwischen den Ressorts und der Treuhand, die solche Betriebsgrundstücke hält.
Hier geht es nicht um neue Rechtsvorschriften, die die Rechtslage weiter verkomplizieren, sondern um Hilfen im Vollzug, um Hemmnisse bei der Privatisierung von Unternehmen zu beseitigen und Investitionen zu fördern. Wir begrüßen daher den Vorschlag der Bundesregierung, Eigentümer, Besitzer und Erwerber von Industrieanlagen und Grundstücken auf Antrag auch von privatrechtlichen Schadenersatzansprüchen freizustellen.
({10})
Zumutbare Umweltschutzmaßnahmen zur Vermeidung neuer Schäden können auferlegt werden.
Eine vordringliche Frage dabei ist immer: Können die von uns fortwährend neu geschaffenen Rechtsnormen in den neuen Ländern auch umgesetzt und vollzogen werden? Am Vollzug des Rechts entscheidet sich die Zukunft der östlichen Bundesländer. Wir hören z. B. aus Sachsen-Anhalt, Freistellungsanträge seien bei den staatlichen Umweltinspektionen eingereicht worden und seit deren Auflösung Ende 1990
verschollen; Entscheidungen seien nicht bekannt geworden. Es muß uns klar sein, daß wir auf absehbare Zeit mit einer Administration in den neuen Ländern leben müssen, die der Perfektionierung unseres rechtlichen Systems nicht gewachsen ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zum Thema Verkehr und Umwelt sagen. Die für den Straßenbau geltenden Rechtsmaterien setzen umfangreiche Verfahren voraus, in deren Verlauf sämtliche Träger öffentlicher Belange gehört werden müssen und die Öffentlichkeit beteiligt werden muß. Alle Auswirkungen des Projekts auch und vor allem auf die Umwelt sind zu ermitteln. Solche Verfahren können Jahrzehnte dauern. Möglichkeiten zur Beschleunigung solcher Verfahren wurden in diesen Wochen erneut interministeriell geprüft. Es sind punktuelle Verbesserungen und Straffungen möglich, die aber nicht geeignet sind, die Probleme in den neuen Bundesländern mit der dringend erforderlichen Zügigkeit zu lösen.
Der Ausweg heißt: Der Gesetzgeber muß selbst die für Bauvorhaben im Verkehrswesen erforderlichen Planfeststellungen und Enteignungen der dafür benötigten Grundstücke vornehmen.
({11})
Danach kann beispielsweise durch Bundesgesetz geregelt werden, daß eine Autobahn in den neuen Bundesländern gebaut wird. In einem solchen Bundesgesetz muß jede Einzelheit bis zur letzten Parzelle der neuen Trasse festgelegt werden.
Mit solchen Gesetzgebungsvorhaben darf sich der Bund allerdings nicht über die Beachtung materieller Rechtsvorschriften hinwegsetzen. Es wird deshalb erforderlich sein, im Gesetzgebungsverfahren sowohl öffentliche Anhörungen durchzuführen als auch sämtliche Auswirkungen des Vorhabens zu prüfen. Ein solches Gesetz wird die sonst geforderten Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren ersetzen und kann nach seiner Verabschiedung unmittelbar in der Praxis vollzogen werden. Wir rechnen allerdings damit, daß das Gesetzgebungsverfahren für eine Autobahn etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen wird. Dies ist angesichts des brennenden Bedarfs eine lange Zeit; aber es wäre im Vergleich zu den alten Verfahren ein sagenhafter Rekord.
({12})
Wir halten es für unumgänglich, daß die Bundesregierung solche Maßnahmegesetze schon in der Vorbereitungsphase etwa durch ressortübergreifende Projektgruppen begleitet, damit die Vorarbeiten der beteiligten Landesbehörden rechtzeitig koordiniert und auf die Bedingungen der auf Straßen- und Schienenverbindungen bezogenen Bundesgesetzgebung abgestimmt werden können.
Meine Damen und Herren, unsere Umweltpolitik steht unter dem Motto: Das eine mit Vorrang tun, aber das andere nicht vergessen. Wir werden den ökologischen Aufbau in den neuen Ländern zielbewußt vorantreiben, aber auch neue Umweltaufgaben anpakken.
Die Bekämpfung der Verpackungsflut steht dabei ganz obenan. Die Bundesregierung hat den Entwurf einer Verpackungsverordnung vorgelegt, mit der wir die Wiederverwertung von Verpackungsabfällen durchsetzen werden. Gleichzeitig entfaltet die betroffene Wirtschaft ihre Initiative, um aus eigener Kraft das duale System auf die Beine zu stellen, das die verordnungsrechtlichen Pflichten obsolet machen soll. Die Verordnung selbst eröffnet den Weg zu ihrer Ablösung.
Eine Befreiung von ordnungsrechtlichen Pflichten können wir aber nur gutheißen, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß das eigeninitiierte wirtschaftliche System auch reibungslos funktioniert. Zur Zeit kann ich dies noch nicht vollständig erkennen; jedenfalls gibt es noch eine Fülle ungeklärter Fragen.
Das duale System funktioniert nur, wenn die Hersteller bereit sind, ihre Produkte mit einem grünen Punkt zu kennzeichnen, wenn sie bereit sind, einen beträchtlichen finanziellen Beitrag für das duale System zu leisten, wenn der Handel diese Produkte abnimmt, wenn der Käufer die Produkte mit grünen Punkten bevorzugt kauft und diese nach Gebrauch auch getrennt zu den Sammelstellen bringt und wenn die getrennt gesammelten Materialien aus Pappe, Papier, Glas, Weißblech, Aluminium, Kunststoffen aller Art und Tetrapak von den Herstellern zurückgenommen und so weit wie irgend möglich einer Wiederverwertung zugeführt werden können.
({13})
Diese Prämissen sind noch mit Unsicherheiten behaftet. Anreize, sich diesem System entsprechend zu verhalten, müssen erst noch geschaffen werden.
Von der betroffenen Wirtschaft wird uns entgegengehalten, die Fristen für die Einführung des von der Wirtschaft zu organisierenden dualen Systems seien zu kurz bzw. die vorgegebenen Mehrweganteile zu hoch. Im Bundesrat wird demgegenüber vorgeschlagen, duale Systeme auf seiten der Wirtschaft weitgehend staatlicher Organisation zu unterstellen. Art und Weise der Einrichtung dualer Systeme sollen danach von der Zustimmung der nach Landesrecht zuständigen Körperschaft abhängig sein.
({14})
Die entsorgungspflichtigen Körperschaften sollen unter Umständen sogar ein duales System ganz oder teilweise selbst betreiben
({15})
und die Kosten bei den Herstellern und dem Handel eintreiben.
Dies entspricht nicht unserer Vorstellung in der CDU/CSU. Das neuartige Konzept der Verpackungsverordnung besteht darin, der Wirtschaft Verwertungsspielräume zu eröffnen und sie von verordnungsrechtlichen Pflichten zu befreien, sobald und
soweit sie zur Verwertung aus eigener Kraft in der Lage ist. Das sind wichtige Fragen.
({16})
- Draußen wird eine Diskussion über die Müllentsorgung geführt, und zwar in aller Heftigkeit. Von daher verstehe ich nicht, warum Sie diese Ausführungen so leicht nehmen.
({17})
Die Bereitschaft der Wirtschaft, ein solch umfassendes System wie das duale System aufzubauen, und die Zusagen des Handels verdienen unseren Respekt. Allerdings müssen wir auch darauf drängen, daß die Wirtschaft so bald wie möglich mit dem dualen System erfolgreich operiert. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion halten es deshalb für unabdingbar, daß die Verpackungsverordnung zwar sorgfältig abgestimmt, aber der Wirtschaft als ein klarer ordnungsrechtlicher Rahmen für ihre eigenen weitergehenden Aktivitäten nunmehr vorgegeben wird, ohne daß der Wirtschaft beliebige Spielräume für zeitliche Verzögerungen eröffnet werden.
Meine Damen und Herren, künftige Strategien im Bereich der Abfallwirtschaft müssen stärker auf die Abfallvermeidung ausgerichtet sein.
({18})
Das duale System hat Vermeidungseffekte,
({19})
so z. B. in Form des finanziellen Beitrags, der nach Verpackungsvolumen festgesetzt werden soll. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
({20})
Bei der Novellierung des Abfallgesetzes, die wir uns in dieser Wahlperiode vorgenommen haben, wird zu überlegen sein, wie die Vermeidungsanreize noch stärker in das geltende Abfallordnungsrecht integriert werden können.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsvereinbarung enthält ein ehrgeiziges Umweltprogramm. Wir werden es umsetzen. Der Umweltminister kann unserer Unterstützung gewiß sein.
({21})
In der Kürze der Zeit konnte ich nur wenige Punkte ansprechen. Ich bitte um Ihr Verständnis und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Feige.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Wochen hatten wir hier im Wasserwerk nach der Regierungserklärung schon einmal die Möglichkeit, über das zu sprechen, was die Politik der Regierung betrifft. Wir haben uns zu verschiedenen
Problembereichen der Volkswirtschaft und zu ihrem sozialen Umfeld mehr oder weniger temperamentvoll ausgetauscht.
Nun liegt wenige Tage danach der komplette Haushaltsplan 1991 vor mir, der einen Gesamtumfang von 3 840 eng bedruckten Seiten hat. Als gelernter Ex-DDR-Bürger und Neuabgeordneter im Deutschen Bundestag standen mir mit meinem Mitarbeiter zusammen vier Tage harte Arbeit zur Verfügung, um diesen Planberg durchwühlen zu können. Vielleicht mag diese Zeit für einen erfahrenen Abgeordneten aus den Altbundesländern zur Beurteilung der Sachlage ausreichen. Für mich und bestimmt für noch ein paar Kollegen aus den neuen Bundesländern war dies ohne schon hinreichend vertiefte Strukturkenntnisse der bundesdeutschen Wirtschaft fast nicht möglich.
Was blieb uns also weiter übrig, als zunächst einmal mit der Betrachtung der Kennziffern nur eines Haushaltsteiles zu beginnen? Im Einzelplan 16 erwartete ich, von der Qualität der Vorbereitung solcher Dokumente - deutsche Wertarbeit - überzeugt, genaue Auskunft über alle Fragen der Finanzierung z. B. von kerntechnischen Anlagen zu erhalten.
Viel erwartet hatte ich an geplanten Ausgaben hierzu ja nicht. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage - Sie können das in der Drucksache 12/179 nachlesen - hat mir die Bundesregierung auf die Frage nach der materiellen Förderung von Atomkraftwerken und sonstigen kerntechnischen Einrichtungen geantwortet:
Der Bau und Betrieb von Kernkraftwerken liegt in der Bundesrepublik Deutschland allein in der unternehmerischen Verantwortung der Energieversorgungsunternehmen. Dies gilt grundsätzlich auch für die neuen Bundesländer. Insofern hat die Bundesregierung keine Zuwendungen oder Subventionen hierfür vorgesehen.
Sie können sich sicherlich mein Erstaunen vorstellen, als ich dann doch eine Ausweisung von 500 Millionen DM für den Strahlenschutz und die Sicherheit von Kerntechnik vorfand, davon allein 395 Millionen DM für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wie soll ich das also nun verstehen? Was soll ich glauben? Endlagerstätten wie z. B. in Morsleben sind doch wohl kerntechnische Betriebe, oder nicht?
Mißtrauisch geworden, warfen wir einen Blick in den Haushaltsplan 30, Forschung und Technologie. Siehe da: 1 300 Millionen DM für mittelbare und unmittelbare Atomforschungsmittel. Daneben nehmen sich die 288 Millionen DM für die Erforschung erneuerbarer Energiequellen bescheiden aus.
({0})
Die Mittel für fossile Energie sind sogar noch niedriger.
Vielleicht noch ein Blick in den Haushalt 31, Bildung und Wissenschaft: Dort werden noch einmal 12,5 Millionen DM für die Planung und Konzipierung der Entsorgung radioaktiver Abfälle aufgeführt. Ich freue mich zwar, der Pressemitteilung des Bundesforschungsministers vom 1. März 1991 entnehmen zu können, daß die Windenergienutzung weiter im Aufwind ist, doch von einem genießbaren Energiemix
angesichts einer derartigen Verteilung der Mittel kann doch wohl nicht gesprochen werden. Ich möchte die Regierung und die Damen und Herren von der Koalition trotzdem um ihre Aufmerksamkeit für ein paar bürgerbewegt-grüne Gedanken dazu bitten.
Die Erkenntnis, daß vor allem der riesige Energieverbrauch der Industrienationen unseren bisherigen Wohlstand und Konsum sichert, dieser aber gleichzeitig die Ursache für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist, führt oft zu politischer Handlungsunfähigkeit bei der Eindämmung der Klimakatastrophe. Ich denke, wir brauchen eine Wende zu globalem, ökologisch-behutsamen wirtschaftlichen Handeln. Es geht um eine radikale Neuordnung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Industrienationen und den Ländern der sogenannten Dritten Welt - inklusive Schuldenerlasse und Technologietransfers. Es geht um eine globale Effizienzrevolution der Energieversorgung. Vielleicht als Wichtigstes: Keine Energiequelle ist so wichtig und so billig wie das Energiesparen.
({1})
Dazu brauchen wir vor allem in den Industriestaaten neue Verkehrssysteme, die Mobilitätsbedürfnisse und -notwendigkeiten mit ökologischer Behutsamkeit verbinden. Wir brauchen wirtschaftliche Konzepte, die das Schrumpfen ökologisch schädlicher Wirtschaftszweige möglich machen und gleichzeitig das Wachstum umweltfreundlicher Industrien fördern.
Die Bundesrepublik Deutschland kann und muß eine positive Kraft im internationalen Gefüge entwikkeln, um die notwendigen globalen Veränderungen voranzutreiben und anzustoßen. Dies wird uns nur dann gelingen, wenn im eigenen Land nicht nur geredet wird, sondern den vielen Ankündigungen auch Taten folgen.
({2})
Ich mag nicht als unersättlicher Forderer und Bittsteller aus dem armen Osten erscheinen, aber bieten nicht im nationalen Bereich gerade die neuen Bundesländer nach wie vor eine einmalige Gelegenheit, eine neue Denk- und Wirtschaftsweise voranzutreiben und zu erproben? Die katastrophale Lage der Wirtschaft zwischen Elbe und Oder ist nur mit einer grundlegenden Neuorientierung beim wirtschaftlichen Aufbau und mit umfassenden Hilfsprogrammen so schnell wie möglich zu verbessern. Nur ein umfassendes ökologisches Modernisierungs- und Umbauprogramm, das wirtschaftliche, ökologische und soziale Notwendigkeiten verbindet, kann die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die ostdeutschen Bundesländer nicht nur zögernd den Anschluß an den westlichen Standard finden, sondern darüber hinaus erwiesene Fehlentwicklungen überspringen und eine zukunftstaugliche moderne Wirtschaftskraft entwickeln.
Für mich und viele Bürgerinnen und Bürger bleiben jetzt noch die zwischen der Atomenergie-Antwort der Regierung und dem Haushaltsplan bestehenden Unklarheiten, aber auch die Sorgen vor dem nächsten Atomunfall irgendwo auf der Erde, vielleicht beim nächstenmal wieder in Deutschland. Denkt man an die Opfer, an die Kinder von Tschernobyl, so wird man auch ganz schnell wieder daran erinnert, daß Umweltkatastrophen und Umweltgefahren nicht an irgendwelchen Grenzen stehenbleiben. Es besteht kein Zweifel mehr, daß die kommenden Jahre zunehmend unter dem Vorzeichen der globalen Umweltprobleme stehen werden. Das Bewußtsein, daß Umweltverschmutzung nicht an nationale Grenzen gebunden ist, wird die nationale und internationale Politik insgesamt verändern müssen.
Der Golfkrieg zeigt dies in dramatischer Art und Weise. Selbst wenn die Horrorszenarien brennender Ölfelder mit den prognostizierten Auswirkungen auf das Weltklima nicht eintreffen, sind die bereits jetzt eingetretenen Schäden am Golf beträchtlich. Das sogenannte flüssige Gold ist zur mächtigen Bedrohung des Lebens auf unserem Planeten geworden. In der Golfregion tut deshalb Hilfe besonders not, und dies nicht nur, weil die brennenden Ölfelder einen schnellen Einfluß auf unsere Region haben könnten oder das Ozonloch weiter wächst, sondern Hilfe ist auch notwendig, damit nicht noch mehr Menschen an den lokalen Folgen eines sinnlosen Krieges sterben müssen.
Dieser Krieg darf keine weiteren Opfer kosten. Ich bin fest davon überzeugt, daß die dafür von Deutschland bereitgestellten Mittel auch das Verständnis der Menschen in den neuen Bundesländern finden werden. Es findet jedoch wohl bei den meisten Menschen unseres Landes kein Verständnis, wenn die deutschen Firmen, die in die Krisenregion Waffen oder anderes Kriegsmaterial geliefert haben, ungeschoren bei dieser Wiedergutmachung davonkommen.
({3})
Ich möchte aber zum Schluß meines Beitrages noch einmal auf den Entwurf des Haushaltsplanes zurückkommen. Bei seiner Auslieferung war dieser Plan durch die neuen Steuerprojekte und das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost bereits überholt. So weit okay. Schade vielleicht um so viel umsonst bedruckten Papieres. Dafür haben sicherlich eine Menge Bäume sterben müssen, und die brauchen wir ja vielleicht noch zum Stopfen des Ozonloches. Aber als lernbegieriger Abgeordneter werde ich mich in der nächsten Lesung des neuen Haushaltsplans daran heranwagen. Ich werde vermutlich auch die im Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost vorgesehenen Gelder dort wiederfinden. Wie man leicht nachlesen kann, sind hier zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur für 1991 in den neuen Ländern noch 1,4 Milliarden DM und 1992 sogar 4,2 Milliarden DM für den Bundesfernstraßenbau, für kommunale Straßen, für den öffentlichen Personennahverkehr der Kommunen und der Reichsbahn vorgesehen und - so die Aussage in diesem Dokument - davon ein wesentlicher Teil für die Reichsbahn. Doch die von den 1,4 Milliarden DM Soforthilfe im Jahre 1991 für die Investitionsvorhaben der Deutschen Reichsbahn mit null D-Mark ausgewiesene Position ist wohl ein bißchen mager ausgefallen.
({4})
Daran ändert auch das Verhältnis von 5,6 Milliarden DM Bahninvestitionen zu 6,6 Milliarden DM Straßenbauinvestitionen im Verkehrshaushalt nichts. Das Plus für die „umweltfreundlichen" Straßentransporte bleibt - und damit auch der negative Gesamteindruck des von der Regierung vorgelegten Haushaltsplans. Dabei haben Ihnen meine Parteifreunde in der letzten Legislaturperiode in diesem Hause doch schon alles einmal sehr deutlich aufgezeigt, und Sie hätten nur aufmerksam zuhören müssen, Herr Töpfer.
- Schönen Dank.
({5})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Feige, eine Bemerkung vorab. Sie haben eben in Ihrer Rede gesagt: Ich bin nicht als Bittsteller hier. So sollten Sie sich auch nicht fühlen. Wir alle hier in diesem Hause sind gleichberechtigte Partner. Es ist mir ein persönliches Anliegen, Ihnen das zu sagen.
({0})
Der Stellenwert der Umwelt hat in der Bevölkerung höchste Priorität. Jede Meinungsumfrage bestätigt diese Feststellung und fordert uns alle ständig. Die FDP stellt sich dieser Herausforderung und hat in ihren programmatischen Aussagen zur Bundestagswahl 1990 sowie im ökologischen Programm für die 90er Jahre Wege aufgezeigt, wie wir die vielfältigen Probleme in den nächsten Jahren in den Griff bekommen und wie sie zu bewältigen sind.
({1})
Diese Probleme, denen wir uns seit der Vereinigung Deutschlands in einem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß gegenübersehen, können nur mit mutigen Schritten gelöst werden. Deshalb haben wir in den Koalitionsverhandlungen vereinbart, daß auch im Umweltschutz die Marktkräfte eindeutig mehr Raum bekommen müssen. Marktwirtschaftliche Anreize sind notwendig, um genügend Kapital und Ideen zu aktivieren; denn die öffentliche Hand allein ist mit dieser Mammutaufgabe überfordert. Deshalb müssen rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, um das private Engagement zu fördern.
Die knappen Güter Luft, Wasser und Boden müssen zukünftig zu wirklich marktwirtschaftlichen Kostenfaktoren werden.
({2})
Wird eine dieser Lebensgrundlagen in Anspruch genommen, muß ein entsprechender Preis gezahlt werden.
Eine wichtige Aufgabe ist in dieser Legislaturperiode die Novellierung des Abfallgesetzes. Dabei müssen die Grundsätze Vermeidung, Reduzierung, stoffliche Trennung und Wiederverwertung absoluten Vorrang vor allem anderen haben.
({3})
Jede Produktionsentscheidung muß in Zukunft alle Auswirkungen des Produkts auf die Umwelt berücksichtigen. Sowohl Produzenten als auch Konsumenten müssen Verantwortung für den gesamten Lebenszyklus der Produkte tragen.
({4})
- Ich freue mich, daß wir uns einig sind, Herr Schäfer.
({5})
Die Politik muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich das Stoff- und Produktangebot der Zukunft an den ökologischen Notwendigkeiten orientiert.
Ich bin mir auf Grund meiner langjährigen Erfahrung als Kommunalpolitikerin sicher, daß die Bürger dieses Angebot auch annehmen werden.
({6})
- Hören Sie zu; warten Sie den nächsten Satz ab, Herr Kollege. - Dabei stelle ich häufig fest, daß die Menschen im Land in ihrer Bereitschaft, der Umwelt zu helfen, oft wesentlich weiter sind als die Politik.
({7})
- Sehr schön, daß wir uns darin einig sind.
({8})
- Ich denke, der Bundesminister hört zu.
({9})
Jetzt aber sind Bund, Länder und Kommunen gefordert, die notwendigen Vorarbeiten zu leisten.
Die Sanierung der Umwelt in den fünf neuen Bundesländern, wie die Solidaritätsaktion „Ökologischer Aufbau" sie vorsieht, muß in den nächsten Jahren allerhöchste Priorität haben.
({10})
Das Ziel, einheitliche Lebensbedingungen zu schaffen, gilt auch für den Umweltbereich. Damit der Sog an Arbeitskräften in die alten Bundesländer durch die Umweltproblematik nicht verstärkt wird, muß rasch gehandelt werden.
({11})
Deshalb sind in dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost, das unter Federführung von Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann entstand, für die nächsten beiden Jahre 800 Millionen DM an Soforthilfen für den Umweltschutz enthalten. Gefördert werden vorrangig Anlagen zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Maßnahmen zur Sanierung von Deponien und gesundheitsgefährdender Industrieanlagen. Dies sind Investitionen, die nicht nur Arbeitsplätze schaffen, sondern auch in den Bereichen wirken, in denen die umweltverachtende Politik der ehemaligen DDR-Führung den Menschen besonders viel aufgebürdet hat.
({12})
Zu begrüßen ist auch die Absicht der Bundesregierung, das Umweltrahmengesetz der DDR vom 29. Juni 1990 zu ergänzen. Die Haushälter wissen zwar, daß mit dieser Änderung ein weiteres fiskalisches Problem auf sie zukommt; aber ökologisch besteht die zwingende Verpflichtung, die Umweltlasten möglichst zügig zu erfassen, um sie aktiv zu beseitigen.
({13})
Hierin liegt Herausforderung und Chance zugleich für das, was man Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie nennt, nämlich die aktive Beseitigung der Umweltaltlasten. Sie schafft Arbeitsplätze, fördert den Auf- und Ausbau des Umweltsektors in der gesamten Bundesrepublik - vor allem aber in den neuen Bundesländern, Herr Kollege -, und sie schützt die Umwelt.
({14})
Eines der gravierendsten Probleme im vereinten Deutschland ist die Entwicklung im Straßenverkehr. Nach den jetzigen Prognosen wird der verkehrsbedingte Ausstoß von Kohlendioxid in ganz Deutschland bis zur Jahrtausendwende um etwa ein Viertel zunehmen, und das, obwohl der Ausstoß pro Auto voraussichtlich um etwa 15 % sinken wird. Deshalb helfen hier nicht nur Maßnahmen, die den Schadstoffausstoß verringern; es geht auch vorrangig darum, durch verkehrslenkende Maßnahmen mehr Umweltorientierung und -entlastung zu erreichen. Hier sind wiederum Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen gefordert.
Deshalb ist auch die Einlassung des Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz, Hubert Weinzierl, in der Sache, aber auch im Ton völlig unangemessen.
({15})
- Ich denke, Sie haben wirklich gelesen, was er alles gesagt hat. Manches davon möchte ich hier in diesem Hause nicht wiederhören.
Bei der beabsichtigten rechtlichen Vereinfachung von Planungsverfahren, vor allem bei Großprojekten im Straßenbau, geht es nicht um die Beschneidung von Bürgerrechten, sondern aus ökologischen und aus wirtschaftlichen Gründen um die dringend notwendige Beschleunigung, die sich aus der Notsituation in den Beitrittsländern ergibt.
({16})
- Verehrter Herr Kollege, wenn Sie als ehemaliger, vielleicht auch erfahrener Kommunaler wissen, wie lange heute Straßenbau dauert - bis zu 20 und 25 Jahren - , werden Sie das wohl verstehen. Der Kollege Lennartz weiß, wovon ich rede.
Aber auch der Schienenverkehr darf gegenüber anderen Verkehrsträgern nicht benachteiligt werden. Der Bund - und warum eigentlich nicht auch Länder und Gebietskörperschaften? - müßte genauso das Schienennetz der Bahn unterhalten, wie er die Verkehrswege Straße und Luft bereitstellt. Damit würden wir ein erhebliches Mehr an Attraktivität in den ÖPNV und in die Fläche bringen.
Angesichts der Fülle und der Schwere umweltpolitischer Aufgaben in den kommenden Jahren nimmt sich mit 1,3 Milliarden DM der Umwelthaushalt vergleichsweise bescheiden aus. Daneben sind aber - ich bitte, das zu beachten - weitere 6,9 Milliarden DM an Umweltschutzausgaben in anderen Einzelplänen enthalten. Umweltschutz ist eben eine klassische Querschnittsaufgabe.
({17})
- Soll ich Ihnen beim Nachlesen helfen?
({18})
Ich helfe Ihnen, Frau Matthäus, ich schicke Ihnen eine Synopse.
Die meisten umweltpolitischen Entscheidungen auf Bundesebene schlagen sich nicht auf Heller und Pfennig im Haushalt nieder. Wenn privatwirtschaftliche Umweltschutzinvestitionen wie die Entschwefelung von Kraftwerken oder die Entwicklung eines schadstoffarmen Kraftfahrzeugs auf Grund unserer Entscheidungen notwendig werden, bleibt der Haushalt des BMU unverändert. Dies sollte jeder bedenken, der den Ansatz insgesamt als zu niedrig empfindet.
({19})
Es darf ohnehin nicht vergessen werden, daß grundsätzlich die Länder für die Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen zuständig sind. Der Bund ist bereit, in diesem Bereich jederzeit zu helfen bzw. Signale zu setzen und Initiativfinanzierungen zu leisten. Doch das befreit die Länder nicht davon, erst einmal ihre Hausaufgaben zu machen.
({20})
Bei allen nationalen Problemen darf die internationale Dimension des Umweltschutzes nie hintangestellt werden. Eine Insel der gesunden Umwelt wird es auf unserer Erde nicht mehr geben. Deshalb muß eine schlüssige länderübergreifende Umweltpolitik konzipiert und vereinbart werden, die weder die tropischen Regenwälder noch die drohende Versteppung vieler Regionen dieser Welt oder die Gefährdung der Ozonschicht außer acht läßt.
({21})
Hierfür liegt in unserer Hand eine besondere Verantwortung, der wir uns als eine der wohlhabenden Nationen dieser Erde nicht entziehen können. Dies gilt besonders auch für die Beseitigung der katastrophalen Umweltschäden am Golf.
Meine Damen und Herren, wir sind uns des Stellenwertes der Umwelt bewußt, und wir handeln auch danach. - Ich danke Ihnen.
({22})
Der Glückwunsch zur Jungfernrede ist erfolgt.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Braband.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Haushaltsentwurf bestätigt die durch die Regierungserklärung - wie sich nun zeigt, zu Recht - entstandenen Befürchtungen der Opposition. Ja, mehr noch: Da, wo wir wenigstens mit wohltönenden Ankündigungen verwöhnt wurden, wird auf Grund der dafür einzusetzenden Mittel, sofern sie überhaupt berücksichtigt wurden, klar: Es handelt sich wieder einmal um Versprechungen.
In den vergangenen Tagen wurde das an vielen Beispielen, die vor allem den Osten Deutschlands betreffen, deutlich. Ich finde übrigens in diesem Zusammenhang das Ansinnen an den Bundeskanzler, einen Irrtum einzugestehen, geradezu indiskutabel. Denn ich sehe nicht, daß es sich um einen Irrtum handelt. Ich verstehe sehr wohl, daß er das abgelehnt hat. Denn es handelt sich hier eben nicht um einen Irrtum, es handelt sich um die Folgen des Anschlusses. Ich denke, diese wurden bewußt in Kauf genommen und zum Teil auch ganz bewußt initiiert.
In diesem Hause wurde nicht nur in den letzten Tagen, sondern auch schon in den letzten Wochen sowohl von der Opposition als auch von den Landesregierungen eindringlich dargestellt, wie die Lage vor allem in den Beute-Bundesländern ist
({0})
und welche Schritte nötig sind, um diesen ans Gefährliche grenzende Zustand zu verändern. Für das nun wirklich jede und jeden nicht nur angehende, sondern auch betreffende umfangreiche Gebiet des Umweltschutzes und der Reaktorsicherheit hat außer dem nun vorgelegten Haushaltsplan in den letzten Wochen der von der Koalition vorgelegte Plan mit dem phantastischen Namen „Nationale Solidaritätsaktion ökologischer Aufbau" bei mir und vielen andern Menschen eine Signallampe angehen lassen, nicht nur wegen des Namens, der mir als ehemaliger DDR-Bürgerin so bekannt vorkommt. Natürlich habe ich gelesen, daß das ein Programm insbesondere zur Bewältigung des Altlastenproblems in Ostdeutschland sein soll. Ich finde, es hört sich gut an, könnte doch jeder glauben, daß die ehemalige DDR nicht nur menschlich, sondern auch ökologisch unverträglich war und dieses Programm die Voraussetzung für eine zukünftige ökologisch verträgliche Produktion darstellt.
Konfrontiert mit dem Haushaltsplan wird aber klar, daß es gerade darum nicht geht. Die tägliche Politik nicht nur der vorigen, sondern auch der jetzigen Bundesregierung ergänzt diese Erkenntnisse auf sehr drastische Weise. Die skandalöseste Nachricht der letzten Tage, in der ehemaligen DDR das wieder hereinzuholen, was Atomkraftgegner und -gegnerinnen hier in Westdeutschland erfolgreich bekämpft haben, zeigt, daß die Politik dieser Regierung darauf abzielt, die Gunst der Stunde zu nutzen, die eine marode geredete Wirtschaft in der ehemaligen DDR, die Technikanbetung vieler Bürgerinnen und Bürger meiner Heimat
({1})
- ich nicht; ich war nicht in der Regierung -,
({2})
ihr mangelndes Umweltbewußtsein sowie ihre berechtigte Sorge um ihr tägliches Auskommen der Regierung bieten. Sie versuchen in der ehemaligen DDR alles das durchzusetzen, was Ihnen hier schon lange nicht mehr so leicht oder gar nicht gelingt, und gleichzeitig Fortschritte, die „Bürgerinneninitiativen" und die GRÜNEN hier erkämpft haben, zunichte zu machen. Das ist am Beispiel des Stromvertrages hier schon mehrfach gezeigt worden und ganz aktuell an der Absicht, zwei Atomkraftwerke auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu bauen, erneut zu belegen. Die Investitionsruine AKW Stendal bietet sich in dieser Hinsicht mehrfach an, weil hier der Zusammenhang zwischen Monopol - und nicht Marktinteressen, wie hier immer gesagt wird - , drohender Arbeitslosigkeit, Infrastruktur und Umweltschutz besonders deutlich wird. Das im Bau befindliche AKW Stendal, dessen Betonbauten bereits 10 Milliarden Mark der DDR gekostet haben, beschäftigt gegenwärtig etwa 1200 Menschen. Da für dieses AKW keine Betriebsgenehmigung vorliegt, droht den meisten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Arbeitslosigkeit. Die „Bürgerinneninitiative Stendal" , die sich gegen den weiteren Ausbau des AKW ausgesprochen hat und weiterhin ausspricht, hat darüber nachgedacht, was mit dieser Investruine anzufangen ist, und schlägt eine Ausschreibung für einen umfangreichen Industriestandort für verschiedene Produzenten vor, durch die der bereits errichtete Gebäudebestand genutzt werden kann. Da die Fläche von 10 000 Quadratmetern Anschluß an Schiene und Wasserweg hat, wäre die Infrastruktur bereits erschlossen. Außerdem hat die „Bürgerinneninitiative" eingeräumt, daß auch ein Umbau auf ein kombiniertes Gas-Kohle-Kraftwerk möglich wäre.
Unabhängig von der Arbeit dieser „Bürgerinneninitiative" sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des AKW ebenso zu dem Schluß gelangt, daß auf Grund der Arbeitskräftesituation und der finanziellen Lage der GmbH eine Möglichkeit des Erhalts vieler Arbeitsplätze darin besteht, das Ganze zu einem kombinierten Gas-Steinkohle-Kraftwerk umzubauen. Dabei werden nicht nur die jetzt vorhandenen Arbeitsplätze erhalten, sondern sogar neue geschaffen. Denn sowohl für den Umbau als auch für den Betrieb eines Gas-Kohle-Kraftwerks werden doppelt so viele Arbeitskräfte gebraucht wie für ein Atomkraftwerk.
Hier treffen sich also die Interessen der Menschen, die sagen, daß der sofortige Ausstieg aus der Anwendung der Atomenergie nötig ist, weil es keine sichere Anwendung gibt, die mit den Interessen des Betriebes und seiner Belegschaft, die einen Produktionsstandort und damit Arbeitsplätze erhalten wollen, im Einklang steht. Überregional würde sich die Verwirklichung dieses Projektes auch auf eine weltweit anerkannte Firma, nämlich Bergmann-Borsig, die die Technologie für den erforderlichen Umbau in der Schublade hat, auswirken, wodurch dort wiederum geplante Entlassungen nicht nötig wären.
({3})
Angesichts dieser Möglichkeiten und der Tatsache, daß weder in Westdeutschland, wo auch schon ohne die AKW ausreichend Strom produziert wird, mehr Strom benötigt wird noch in Ostdeutschland, wo durch den Rückgang der Produktion, Produktionsstillegungen, zukünftige Umstrukturierungen und Energieeinsparungen in Haushalten auf Grund der enorm gestiegenen Kosten auch kein Mehrbedarf entsteht, fordern wir, daß endlich eine Chance zu Umwelt- und sozialverträglicher Umstrukturierung wahrgenommen wird.
Die Zusage, die Herr Möllemann vorgestern den Stromkonzernen signalisiert hat, muß genau wie der Stromvertrag zurückgenommen werden. Wenn also gar nicht so viele Atomkraftwerke gebraucht werden, weil Atomkraftwerke kapitalintensiv, aber nicht personalintensiv sind und außerdem Atomstrom teuer und gefährlich ist - ich betone noch einmal: es gibt keine sichere Atomenergieanwendung - , dann ist ja wohl die Frage nach dem Sinn des Ganzen erlaubt. Ich finde, die Antwort liegt auf der Hand: Nutzen haben wieder die Konzerne aus Westdeutschland wie auch bei der Steuerreform die Kleinen zur Kasse gebeten und die Großen geschont werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich gleich darauf hinweisen, daß die Tatsache, daß durch die Reprivatisierung in der ehemaligen DDR die Betriebsgenehmigung für das Atommüllendlager Morsieben einfach so verlorenging, jetzt durch die Bundesregierung mit dem Vorschlag unterlaufen werden soll, die radioaktive Endlagerung generell zu privatisieren. Das ist ein ungeheuerlicher Vorschlag. Statt Genehmigungsverfahren zu demokratisieren, durch umfangreichere Teilhabe und Mitspracherechte der betroffenen Menschen zu erweitern, wird hier der Versuch unternommen, bereits erreichte Rechte - wie im Atomgesetz - wieder rückgängig zu machen.
So wie hier in der AKW-Frage dargestellt, könnte ich Beispiele aus allen Teilbereichen des Umweltschutzes anführen, um nachzuweisen, daß es vom Anfang bis zum Ende nicht um wirklichen Schutz der Umwelt, sondern immer nur um Schadensbehebung und maximal Schadensbegrenzung geht.
Mir fällt ebenso auf, daß die nötigen Maßnahmen, die die Industrie empfindlich treffen würden, wie z. B. Poduktionsverbote, auf jeden Fall vermieden werden, denn statt Müll durch umfangreiche, entsprechende Ver- und Gebote und Belohnungen, wie beispielsweise eine Subventionierung von Pfandsystemen, zu vermeiden, wird das einzige europaweit anerkannte Sekundärrohstofferfassungssystem SERO aus der ehemaligen DDR kaputtgemacht.
Statt Müllverbrennung generell zu untersagen, wird die Möglichkeit geschaffen, unkontrolliert Müll in Kraftwerken, Zementwerken, Hochöfen usw. zu verbrennen. Für die Abfallpolitik fordert die PDS/ Linke Liste deshalb vor allem eine gesetzliche Verankerung des Vermeidungsgebotes als oberste Priorität und den Vorrang der stofflichen Verwertung vor der sogenannten thermischen Verwertung, die schließlich nichts anderes als Müllverbrennung ist, außerdem ein Verbot von nicht schadlos zu beseitigenden Stoffen und Produkten.
Ich möchte an dieser Stelle noch etwas zum Verkehr sagen, weil sich hier ganz ähnliche Dinge abzeichnen. Der Abgeordnete Feige hat in seiner gestrigen Rede als Antwort auf die Zwischenfrage von Verkehrsminister Krause bereits deutlich gemacht, daß die Anzahl der Maßnahmen für Straße und Schiene völlig unerheblich ist, denn es kommt auf die Inhalte und damit auf die Zielsetzung dieser Maßnahmen an. Ich füge hinzu: Wenn Sie, Herr Krause, wirklich den Schienenverkehr fördern wollen, dann geht das nur, indem einerseits die Mittel für den Neubau von Autobahnen und Flughäfen gekürzt und andererseits Mittel für die Subventionierung von Eisenbahnverkehr und für die Investitionen bereitgestellt werden.
({4})
Um die Innenstädte frei von Autoverkehr und durchlässiger zu machen, müssen eben nicht breitere Straßen und Parkhäuser gebaut werden, sondern der innerstädtische Nahverkehr muß so gut ausgebaut und so billig sein, d. h. subventioniert sein - damit ist es eine bundesweite Aufgabe - , daß es sich lohnt, das Auto stehen zu lassen.
Es hat sich in der Vergangenheit nicht nur in Verkehrsfragen gezeigt, daß Appelle an das Verständnis des und der einzelnen zwar keinesfalls falsch sind, Appelle allein nützen jedoch nicht. In bestimmten Angelegenheiten von nationalem, ja sogar internationalem Belang wie der Verringerung der Treibstoffemissionen ist der Staat gefordert, solche Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, dem Übel abzuhelfen. Er hat wiederum die Pflicht, die Mitwirkungsrechte der Betroffenen zu erweitern.
Das gleiche könnte man für den Flughafen Berlin-Schönefeld im Vergleich zu Berlin-Tegel sagen. Es ist nicht einzusehen, daß Schönefeld als Standort nicht in Frage kommt, statt dessen aber ein Großflughafen in Brandenburg geplant werden soll.
({5})
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe das Gefühl, daß hier immer sehr viel über die Wende in der ehemaligen DDR gesprochen wird. Gerade auf seiten der Koalitionsfraktionen wird dieser Wende immer noch sehr zugejubelt. Ich finde: Machen Sie doch selbst mal eine in der Energie- und in der Verkehrspolitik.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Herr Professor Dr. Töpfer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
({0})
Die Aussprache zum Bundeshaushalt 1991 findet zu
einem Zeitpunkt statt, in dem sich am Golf Umweltkatastrophen mit heute noch gar nicht absehbaren
Folgen ereignet haben und weiter ereignen; Katastrophen, die nicht durch einen Unfall oder menschliches Versagen ausgelöst wurden, sondern als taktisches Kampfmittel und als Politik der verbrannten Erde gezielt inszeniert wurden.
In erschreckender Weise hat uns dieser Krieg am Golf gezeigt, daß es in unserer technologisch kochentwickelten und ökologisch äußerst empfindlichen, eng vernetzten Welt kaum noch isolierte Umweltgefahren und darum kaum isolierte Problemlösungen geben kann. Wir leben weltweit in einer Risikogemeinschaft der modernen Industriegesellschaft. Dies erfordert zwingend eine globale Umwelt- und Sicherheitspartnerschaft.
Diese aktive Umweltpartnerschaft war der Grund für meine Gespräche, die ich mit vier Regierungen der Golf-Anrainerstaaten in den letzten Tagen geführt habe. Ich glaube, daß diese Gespräche allgemein außenpolitisch und umweltpolitisch außerordentlich hilfreich gewesen sind, um zu belegen, daß wir uns nicht nur mit Worten, sondern auch dann, wenn Taten gefragt werden, dieser Umweltpartnerschaft erinnern.
({1})
Ich glaube auch, daß diese Initiative von der Europäischen Gemeinschaft gut aufgenommen wird, daß wir hier also einen Vorstoß unternommen haben, der in der Region gut und richtig verstanden wurde, der nichts damit zu tun hat, daß wir Geld anbieten. Wir bieten technologischen Sachverstand und entsprechende Einrichtungen an, die dort wirklich Entlastungen ermöglichen.
National vordringlich ist ganz sicherlich die Aufgabe einer ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern. Dies muß mit Nachdruck verfolgt werden und wird mit Nachdruck vorangetrieben. Ziel ist und bleibt, meine Damen und Herren, die Schaffung gleicher ökologischer Lebensbedingungen auch in den neuen Bundesländern, also in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Dafür habe ich in Ausführung dessen, was in der Koalitionsvereinbarung festgelegt und vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung mitgeteilt wurde, ein Solidaritätsprogramm „Ökologischer Aufbau" vorgelegt.
Dieser Haushalt, den wir hier erörtern, belegt, daß dieses Aufbauprogramm finanziell voll und ganz abgesichert ist. Es baut auf einer klaren Analyse der Schwerpunkte, der Prioritäten auf. Diese Prioritäten müssen anknüpfen an die gesundheitliche Belastung der Menschen und an die Möglichkeiten, Investitionen für eine wirtschaftliche Erholung, für einen wirtschaftlichen Aufschwung durchzuführen.
Dabei sind wir auf insgesamt vier Finanzierungsebenen tätig. Diejenigen, die immer wieder zu Recht einfordern, daß wir umweltpolitische Aufgaben in alle Ressorts mit integrieren müssen, daß wir also nicht eine Politik betreiben, die „at the end of the pipe" ansetzt, sollten zur Kenntnis nehmen, daß dies ein Ausdruck der Qualität und nicht einer Schwäche dieser Politik ist.
({2})
Es ist für dieses Jahr jedem klar, daß im Vordergrund die Sicherung von Arbeitsplätzen stehen muß und daß dies mit der Sanierung verbunden werden kann und wird. Das kann nur über kurzfristige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geschehen. Deswegen ist die Erhöhung des Ansatzes für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Haushalt des Kollegen Blüm in großem Maß eine entsprechende Maßnahme für die Umweltsanierung. Sanierungsgesellschaften zu machen - wovon der Abgeordnete Laufs gesprochen hat - bedeutet nichts anderes, als mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die auch Sachkosten übernehmen, dafür zu sorgen, daß Menschen in ihren Betrieben bleiben und dort die Umwelt sanieren, die durch eine unverantwortliche Politik dieser Unternehmen kaputtgemacht worden ist.
({3})
Für diesen Zusammenhang haben wir nicht nur Geld im Haushalt, und darüber reden wir nicht nur, sondern wir sind am Ort und tragen dafür Sorge, daß dies umgesetzt wird. Das ist wichtig. Deswegen gibt es diese Sanierungsgesellschaften. Norbert Blüm hat in Riesa damit begonnen. Wir machen es weiter in Espenhain, in Zwickau und in anderen Regionen, um die Menschen in ihren Betrieben zu halten und damit Umweltsanierung zu ermöglichen. Mit dem Ansatz von fast 6 Milliarden DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbindet sich ökologischer Aufbau in den fünf neuen Bundesländern. Es ist richtig, daß es so gemacht wird.
({4})
Ein weiterer Haushaltstitel ist zu erwähnen. Herr Abgeordneter Schäfer, es handelt sich dabei nicht um 700 Millionen DM, sondern um 800 Millionen DM. Aber auf 100 Millionen DM achten wir nicht so genau.
({5})
Ich unterstreiche das nur der Haushaltsehrlichkeit wegen.
Diese 800 Millionen DM sind für Sofortmaßnahmen vorgesehen. Das hat einen guten Grund. Wir haben 1990 ja 500 Millionen DM für Sofortmaßnahmen ausgegeben. Wir haben sie nicht angekündigt, sondern ausgegeben. Ich habe damals entschieden, diese 500 Millionen DM in etwas über 600 Einzelprojekten anzulegen. Wir haben die Bewilligungsbescheide sehr unbürokratisch an die Bürgermeister und die Landräte ausgehändigt.
({6})
Dies hat in bestimmten Regionen unmittelbare gesundheitliche Gefahren vermindert, die aus fehlender Umweltvorsorge vorhanden waren, und dies hat unmittelbar Arbeitsplätze bei kleinen und mittleren Unternehmen erhalten oder geschaffen. Das ist genau das, was wir mit diesem Programm wollen. Weil es erfolgreich war, wird es fortgesetzt. Das ist klar. 800 Millionen DM!
({7})
Drittens. Wir haben im kommunalen Kreditprogramm, im Programm zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, im ERP-Programm und in anderen insgesamt etwa 17 Milliarden DM, die auch für
kommunale Infrastrukturinvestitionen eingesetzt werden können. Wir haben genaue Investitionsberechnungen für Städte und Gemeinden durchgeführt, z. B. für die Kläranlage in Bitterfeld, die nicht da ist, eine unglaubliche Tatsache, die sich jeder, der Bitterfeld kennt, immer wieder ins Gedächtnis rufen muß. Wenn jemand von der PDS sich hier hinstellt und dies kritisiert, ist das schwer erträglich.
({8})
Wenn wir nur diese Kreditprogramme, die im Haushalt stehen, dafür anwenden - was jede Kommune im Westen Deutschlands tut, freilich nicht mit dieser Förderqualität tun kann -, dann wird nach dem Bau dieser Kläranlage in Bitterfeld der Kubikmeter Abwasser mit rund 2,42 DM belastet sein. Ich muß allerdings sagen: Wenn diese Kläranlage fertig ist - was erst in drei Jahren sein wird, weil sie geplant und gebaut werden muß - , ist es richtig, daß auch für Abwasser eine Gebühr bezahlt wird, damit ein Anreiz besteht, mit Wasser und somit auch mit Abwasser sparsamer umzugehen.
({9})
Soviel zum dritten Punkt der Finanzierung dieses Programms.
Der vierte Punkt dieses Programms ist der Einsatz privater Mittel. Es liegen für konkrete Investitionsmöglichkeiten 10 bis 15 Milliarden DM privater Mittel vor.
({10})
Es muß uns endlich gelingen, eine Rekommunalisierung des Eigentums an den wirklich ärgerlichen sogenannten WABs, den Wasser- und Abwasserbetrieben, zu erreichen, damit die Kommunen in den neuen Bundesländern wieder über ihr Eigentum verfügen und dort bauen können. Das ist genauso wichtig.
({11})
- Das hat mit der Treuhand in diesem Fall überhaupt nichts zu tun, Herr Abgeordneter Schäfer.
({12})
Ökologischer Aufbau ist also nicht eine Ankündigung, sondern eine entsprechende Maßnahme. Sie wird - auch das muß deutlich gemacht werden - ständig fortgeführt. Die ehemalige DDR war in vielen Teilbereichen eine Sondermülldeponie. Eines muß ich Ihnen ganz deutlich sagen: Es wäre schon absurd, wenn jetzt Widerstand gegen solche Maßnahmen aufgebaut wird, die zur Gesundung der schlimmen Hinterlassenschaft an Umweltschäden getroffen werden müssen, also zur Lösung von Umweltproblemen, gegen deren Entstehung ein solcher Widerstand seinerzeit nicht möglich war.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesem Hohen Haus wirklich einig sein: Eine Sanierung der
Altlasten in den neuen Bundesländern wird ohne den Aufbau einer entsprechenden Entsorgungsinfrastruktur nicht möglich sein.
({13})
Das ist unumgänglich notwendig. Deswegen brauchen wir thermische Bodenbehandlungseinrichtungen.
({14})
- Ich habe es gerade von vielen bestritten gehört, von sehr vielen.
({15})
- Ich finde es außerordentlich freundlich, daß man in dem Moment, meine Damen und Herren - das muß man ja auch als neuer Abgeordneter lernen -, in dem das, was hier vorgetragen wird, den Erwartungen derer, die es anhören müssen, nicht entspricht, durch eine nicht mehr kontrollierte Zwischenruflawine gestört werden soll. Ich finde das eigentlich ganz prima.
({16})
Aber zu einem geordneten Zwischenruf reicht es nicht mehr. Das wäre dann an dieser Stelle etwas problematisch.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Ich freue mich darauf, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Töpfer, wollen Sie von jemandem, der hier häufig spricht und schon massivste Zwischenrufe erlebt hat, zur Kenntnis nehmen, daß es sich allenfalls um eine Mini-Minilawine gehandelt hat?
({0})
Hochverehrte Frau Abgeordnete, erfahrene Kollegin,
({0})
ich bin natürlich bereit, all dies zur Kenntnis zu nehmen,
({1})
und werde mich bemühen, hinterher über die kleine und die große Lawine fachmännisch urteilen zu können.
({2})
Es wird mir ganz sicherlich gelingen; denn man ist ja lernfähig.
({3})
Meine Damen und Herren, ich habe das deswegen gesagt, weil es schon bemerkenswert ist, wie man sich heute gegen Entscheidungen zur Wehr setzt, die eigentlich nichts anderes als eine Möglichkeit zur Sanierung von Umweltbelastungen darstellen. Ich möchte doch in Erinnerung rufen: Ohne die deutsche Einheit liefe noch Greifswald 1 bis 4, ohne die deutsche Einheit liefe noch Reinsberg, ohne die deutsche Einheit wäre noch Espenhain da, ohne die deutsche Einheit gäbe es diese Diskussion in Bitterfeld nicht.
({4})
Das ist der Punkt. Deswegen, meine Damen und Herren, unterstreiche ich mit aller Nachdrücklichkeit: Es ist ökologisch gelungen, klarzumachen, daß es allen Bürgern in Deutschland durch die deutsche Einheit besser geht, daß sicherer gelebt werden kann, als das ohne die deutsche Einheit möglich gewesen wäre. Das ist der entscheidende Punkt für den ökologischen Aufbau, meine Damen und Herren.
({5})
Deswegen erheben wir Abgaben auf Abfälle, deswegen erheben wir Abgaben auf Luftbelastungsstoffe. Es ist schon bemerkenswert, daß diejenigen, die uns über lange Zeit kritisiert haben, daß wir das Instrument der Abgabe nicht als Anreiz zur Vermeidung nutzen, heute sagen: Dies tut ihr nur, um Geld in die Taschen zu bekommen.
({6})
Nein, meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall: Wir erheben eine Abfallabgabe, damit eine Lenkungswirkung damit verbunden ist. Aber das, was in dieser Zeit noch an Aufkommen vorhanden ist, setzen wir bewußt ein, um die Umweltlasten in den neuen Bundesländern zu beseitigen, und das ist gut angelegtes Geld.
({7})
Deswegen werden wir den ökologischen Aufbau voranbringen. Und wir werden dies nicht als Alibi benutzen. Unsere engagierte Umweltpolitik in den elf alten Bundesländern, also im Bereich der hochentwickelten Industriegesellschaft, werden wir ebenfalls voranbringen.
Wir haben für diese Legislaturperiode ein engagiertes Programm, das sich auf Abfallvermeidung konzentriert, das sich auf Energieeffizienzerhöhung konzentriert, das sich auf die Erhaltung von Vielfalt in Natur und Landschaft konzentriert und das sich auf die Gewährleistung einer Sicherheitskultur in der Industriegesellschaft konzentriert. Deswegen legen wir ein neues Atomgesetz vor, das nicht mehr fördert.
Herr Kollege Feige, nur damit es klar ist: Die 396 Millionen DM, die Sie für die Endlagerung in meinem Haushalt finden, sind - wie wir so schön sagen - ein durchlaufender Posten. Dieses Geld wird über die sogenannte Endlagervorausleistungsverordnung von der Wirtschaft aufgebracht, wird aber über die öffentliche Hand verausgabt. Deswegen finden Sie das darin. Die Antwort, die man Ihnen gegeben hat, war 100prozentig richtig. Aber es ist auch richtig, daß sich das Geld, das die Wirtschaft für die Endlagerung zahlt, dann bei uns niederschlägt, damit wir es kontrolliert ausgeben können. - Das ist der Hintergrund. Ich wollte das nur der Vollständigkeit halber gesagt haben.
Wir wollen keine Förderungstatbestände für Kernenergie,
({8})
wir wollen Sicherheit bei der Kernenergie. Ich bin weiterhin ganz interessiert, diesen Punkt aufzugreifen, meine Damen und Herren; denn in der letzten Presseerklärung des Herrn Abgeordneten Schäfer habe ich mit großem Interesse gelesen, daß man zusammen mit Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, dann einen Entsorgungskonsens finden kann, wenn kein Neubau erfolgt oder eine zeitliche Befristung vorgenommen wird. Heißt das, daß dieses „oder" wirklich wechselseitig ergänzend ist? Dann lassen Sie uns auf dieser Ebene weiterdiskutieren, was ich sehr begrüßen würde - was ich sehr begrüßen würde! - , und dann werden wir ganz sicherlich endlich einen Schritt weiterkommen in der Entwicklung hin zu einem Energiekonsens, der angesichts der dringenden Notwendigkeit im geeinten Deutschland und im sich einigenden Europa unumgänglich notwendig ist. Wir brauchen diesen Energiekonsens, in dem das Energiesparen und die Entwicklung von entsprechend effizienten Energietechnologien einen genausogroßen Stellenwert hat wie die Nutzung fossiler Energieträger, die Entwicklung neuer Energieträger und die sichere Verwendung von Kernenergie. Das ist unsere Überzeugung. Wir sind alle aufgerufen, daran mitzuarbeiten.
Insgesamt, meine Damen und Herren, hat dieser Bundeshaushalt in hohem Maße gezeigt, daß wir uns der Solidarität bewußt sind, der Solidarität, die wir weltweit zu erfüllen haben, die wir in Europa zu erfüllen haben und die wir in ganz besonderer Weise mit den neuen fünf Bundesländern zeigen müssen. Ich glaube, wir werden gemeinsam daran zu arbeiten haben, damit die Menschen in den neuen fünf Bundesländern auch diese neue Qualität umweltpolitischer Vorsorge erfahren.
Ich danke herzlich.
({9})
Das Wort hat der Kollege Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Töpfer, noch soviel Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bundesregierung in einer tiefen umweltpolitischen Krise steckt. Diese Krise ist nicht neu. Die Ursachen liegen auch nicht in den Folgeproblemen der Wiedervereinigung begründet. Die Ursachen dieser Krise liegen tiefer. Die beiden Hauptfaktoren, besser gesagt: die beiden Hauptirrtümer, will ich kurz beleuchten.
Zum einen gibt es keine echte Priorität für den Umweltschutz. Weder die Bundesregierung noch die Koalitionsfraktionen messen dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen eine Bedeutung zu, die ihr auch nur annähernd angemessen wäre. Dies wird überall deutlich. An allen Ecken und Kanten der Politik, nicht nur am Bundeshaushalt, zeigen sich die Defizite konservativer Umweltpolitik.
Die Unfähigkeit, Umwelt, und Naturschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen; das Versäumnis, die Müllberge unserer Wohlstandsgesellschaft kleiner zu machen; die Weigerung, das Automobil als letzten bisher ungeschorenen Luftverschmutzer wirksam und spürbar zu entgiften; der Offenbarungseid zum Gewässerschutz - dabei haben Sie sich, Herr Töpfer, von der Europäischen Gemeinschaft peinlicherweise zum Schutz des Trinkwassers nach Stand der Technik zwingen lassen müssen -; die Kapitulation vor den fatalen Folgen der industriellen landwirtschaftlichen Produktion, die auf Dauer nicht wiedergutzumachende Schäden an unseren Böden und unserem Wasser anrichtet;
({0})
das Achselzucken angesichts der nach wie vor ungeklärten Endlagerung von Atommüll - Stichworte, meine Damen und Herren, die schlaglichtartig die Handlungsunfähigkeit und zum Teil auch den fehlenden Handlungswillen der Bundesregierung beleuchten.
({1})
Meine Damen und Herren, wo so viele Defizite offen zutage treten, wo so viele konkrete Ergebnisse fehlen, hat es der Umweltminister - dies gebe ich zu - nicht leicht.
Damit sind wir beim zweiten Hauptfaktor der Krise: konservative Umweltpolitik. Es ist offenkundig, daß der Bundesumweltminister aus der Not eine Untugend macht und sich seit seiner Amtsübernahme mehr und mehr auf das Bereisen, Beobachten, Beschreiben und Beklagen von Umweltproblemen beschränken muß, statt konkretes Handeln und den Vollzug des Handelns vermelden zu können.
Derart in die Enge getrieben - denn das fällt mit der Zeit auf - , tut Herr Töpfer einen zweiten Kunstgriff, mit dem man ebenfalls Umtriebhaftigkeit nach außen vermitteln kann. Indem er Maßnahmen ankündigt, erweckt er den Eindruck, als würde nach der Ankündigung bereits gehandelt. Kaum ein Tag vergeht, meine Damen und Herren, an dem die Medien nicht eine neue Aktion des Umweltministers vermelden.
Töpfer zeigt in Magdeburg, wie man Kläranlagen privat finanziert - monopolisiert, versteht sich; da freuen sich demnächst die Gebührenzahler - , gründet zuvor einen deutsch-polnischen Umweltrat, kündigt Donau- und Oder-Schutzkommissionen an, will gleichzeitig die Preise ökologisch ehrlicher machen - einer in der Regierung muß ja ehrlich sein - , legt in einem Atemzug einen 10-Punkte-Katalog zu dem Thema vor, wie man das Auto umweltverträglich macht, fordert tags zuvor 500 Millionen DM für Sofortmaßnahmen zur Altlastensanierung in der Ex-DDR, dreht im Hubschrauber eine Runde über dem Persischen Golf, plant eine Hausmüllabgabe für die West-Bürger zur Sanierung der Ost-Umwelt - einen Vorteil sollen die Bürger aus den wachsenden Müllbergen schließlich haben - , kündigt nebenbei eine Weltausstellung in Halle/Leipzig an
({2})
- selbstverständlich in Zeitungsinterviews - , bietet eine Große Koalition in Sachen Geschwindigkeitsbegrenzung an usw. usw.
({3})
Und damit es hier keine Mißverständnisse gibt, meine Damen und Herren: dies alles in den letzten zwei, drei Wochen.
({4})
- Ich gebe Ihnen recht.
({5})
Es ist ein aktiver Mann, wenn es um das verbale Herausstellen bestimmter Ursachen geht.
({6})
Er ist ein „Öko-Genscher".
({7})
Er ist ein Themenspringer, der den Kollegen Möllemann mit seinem gesamten Pressestab vor Neid einfach erblassen läßt.
({8})
Aber ist er auch ein Mann mit Erfolgen, einer, der Ergebnisse vorweisen kann?
({9})
Ein Beispiel: Ende Februar kündigt Herr Töpfer ein Aktionsprogramm „Ökologischer Aufbau" für Ostdeutschland an,
({10})
finanziert durch 17 Milliarden DM Förder- und Kreditmittel.
({11})
Daß bei diesen ERP- und Kommunalmitteln das Windhundverfahren gilt und die ostdeutschen Kommunen mit ihrer unzureichenden Verwaltungsausstattung dieses Rennen nur verlieren können, verschweigt der Umweltminister sehr sorgsam.
Meine Damen und Herren, er legt uns hier ein Papier über 17 Milliarden DM vor. Selber formuliert er, daß er bei sich im Hause Maßnahmen in der Größenordnung von 2 Milliarden DM vorliegen hat, die unbedingt finanziert werden müssen. Was kommt dabei heraus? - Nichts. Keine einzige müde Mark wird in den Haushalt unmittelbar eingestellt.
Heute rufen Umweltminister an und fragen bei ihren Finanzministern, ob sie nicht Geld haben könnten.
({12})
Diese Finanzminister erklären ihren Kollegen in Ostdeutschland, sie bräuchten im Haushalt nichts einzusetzen, der Bundesumweltminister hätte doch 17 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Davon ist nichts wahr. Das sind reine verbale Wolken, die hier über den Ätherwald gegangen sind
({13})
Herr Abgeordneter Lennartz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dehnel?
Wenn die Zeit nicht angerechnet wird, gerne.
({0})
Herr Abgeordneter Lennartz, können Sie sich vorstellen, daß ich aus einem Wahlkreis komme, wo Herr Bundesminister Töpfer gerade erst war, und daß er dort nicht bloß geredet hat, sondern 5,9 Millionen DM für die Sanierung radongeschädigter Häuser überreicht hat? Das ist ein ganz praktisches Beispiel, wie dort auch wieder Arbeitskräfte gebunden werden.
({0})
Herr Kollege, die Sprache allein ist verräterisch. Sie formulieren: Er hat 5,9 Millionen DM überreicht. - Das erinnert mich an alte Zeiten, wo man strammstehen mußte, wenn der Minister persönlich kam und den Scheck übergab.
({0})
- Sie haben mich etwas gefragt, und ich antworte; ich bin noch nicht fertig.
Meine Damen und Herren, genau dies ist der Punkt: Man versucht, mit einem Minimalbetrag, der für die ökologische Erneuerung absolut nicht ausreichend ist, Erwartungen zu wecken, denen die Politik einfach nicht gerecht werden kann, weil sie dazu nicht bereit ist. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({1})
Ich bedaure Sie wirklich, weil Sie sich von derartigen rhetorischen Schenkern täuschen lassen. Im Interesse der Menschen drüben müssen Sie darauf drängen, daß er sein Wort hält. Das ist das Entscheidende.
({2})
Meine Damen und Herren, auch die Tatsache, daß im sogenannten Gemeinschaftswerk AufschwungOst der Umweltschutz mit nur 400 Millionen DM vorgemerkt ist und somit nur 2 To von diesen 17 Milliarden DM, von diesem Kuchen, bekommt, ist dem sonst so mitteilungsfreudigen Aktionskünstler Töpfer noch nicht einmal eine kleine Meldung wert. So ist das bombastisch vorgestellte Aktionsprogramm „ökologischer Aufbau" in aller Stille zum Blinddarm des Gemeinschaftswerkes Aufschwung-Ost verkümmert. Der Herr Minister nimmt es zur Kenntnis, schüttelt sich und wendet sich den nächsten Ankündigungen zu.
Noch wird er allenthalben verschont; niemand spricht zur Zeit von der Förderlüge. Besserung ist nicht zu erwarten. Während andere Minister ihre Hausaufgaben machen und ihre Pflöcke in den Haushaltsentwurf schlagen, düst der Umweltminister durch die Weltgeschichte,
({3})
als sei er der Hohe UN-Ökokommissar persönlich. Gestern am Golf, nächste Woche in Brasilien - der Umweltminister ist oft dort zu finden, wo er am wenigsten gebraucht wird.
({4})
Zu Hause aber türmen sich die Probleme. Dies ist keine Art, Probleme zu lösen, deren Lösung keinen Aufschub duldet.
({5})
Wann wird endlich ein Umweltkabinett gegründet, in dem der Umweltminister zumindest mit dem Wirtschafts-, Verkehrs- und Landwirtschaftsminister vernetzte , ressortübergreifende Themen angeht?
({6})
- Nein, Herr Kollege. Ich bin dankbar für Ihren Zwischenruf. Herr Minister Töpfer hat gestern eine Presseeklärung herausgegeben: Töpfer fordert Runden Tisch für das Saarland, fordert Strukturkommission. Warum tut er dies nicht hier, wo er es tun kann? Er ist doch hier gefordert.
({7})
Hier, Herr Kollege ist das Metier, wo sie handeln müssen, nicht in Form einer Presseerklärung.
Heute ist es so, daß die Damen und Herren des Kabinetts nebeneinander hergehen und sich konterkarieren.
Nachdem sich die Koalition und auch Herr Töpfer persönlich eine Reihe von sozialdemokratischen programmatischen Punkten angeeignet haben - wir verurteilen das nicht, Herr Kollege; es ist eine leicht nachweisbare Tatsache; schauen Sie sich nur einmal unser 10-Punkte-Programm für das Auto an -, ist es an der Zeit, zusammenzuarbeiten. Wir Sozialdemokraten haben Ihnen diese Zusammenarbeit bereits des öfteren angeboten, zuletzt im Ausschuß. Aber Herr Töpfer räsoniert in „Zeit"-Interviews über Allparteienkoalitionen in einzelnen Sachfragen.
Deshalb, Herr Töpfer: Tun wir's endlich! Hören Sie mit der Wurstelei und der Verpackungskunst auf, und lösen Sie gemeinsam mit uns die wichtigsten Umweltprobleme. Wir können uns sehr gut vorstellen in einzelnen Sachthemen wie beim umweltverträglichen
Automobilverkehr, dem Trinkwasserschutz oder in abfallwirtschaftlichen Fragen zusammenzuarbeiten. Wir bieten Ihnen dies als einen Auszug aus den Möglichkeiten, die es gibt, an. Dann könnten bei allem Streit um die Ursachen das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost, aber auch wichtige Eckpunkte für den Schutz der Umwelt, für die Menschen in der gesamten Bundesrepublik zu einer echten Gemeinschaftsaufgabe mit gemeinschaftlicher Verantwortung werden. Dies ist unser Ziel. Wir nehmen Sie mit in die Verantwortung. Seien Sie dazu bereit.
Ich danke Ihnen.
({8})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Herrn Schäfer ({0}) das Wort.
Herr Umweltminister Töpfer hat sich zum Schluß seiner Ausführungen unseren energiepolitischen Kopf zerbrochen. Deswegen will ich zur Klarstellung und um ihn vor weiteren Irrtümern zu bewahren, folgendes feststellen: Es wird in der Energiepolitik nur dann einen Konsens mit den Sozialdemokraten geben können, wenn erstens definitiv auf den Neubau von Atomkraftwerken verzichtet wird, wenn zweitens klar wird, daß für die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen die Nutzung der Kernenergie zeitlich befristet wird und wenn drittens endlich mit einer Politik begonnen wird, die tatsächlich rationelle Energieerzeugung und rationelle Energieverwendung als Kernstück einer ökologischen Energiepolitik begreift.
({0})
Herr Bundesminister, möchten Sie erwidern?
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf nur folgendes festhalten. Mit dem, was der Abgeordnete Schäfer gerade gesagt hat, korrigiert er offenbar seine Presseerklärung vom 8. März dieses Jahres. Dort steht wörtlich:
Wir werden einem Entsorgungskonsens nur zustimmen, wenn der Ausbau oder die zeitlich unlimitierte Kernenergienutzung von der Koalition aufgegeben und mit Energie- und Stromsparen sofort begonnen wird.
Hier steht nicht „und", sondern „oder", Herr Abgeordneter Schäfer. Damit kann ich nur feststellen, daß Sie offenbar in Ihrer Presseerklärung nicht das gesagt haben, was Sie meinen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Verkehr, Dr. Krause.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Begrüßung aus Ihren Reihen, von der SPD: Es ist ein Ossi - wenn Sie das noch nicht mitbekommen haben.
Ich möchte, wenn wir über die Verkehrspolitik sprechen, deutlich machen, daß es der Bundesregierung darauf ankommt, in zwei wesentlichen Bereichen die Probleme lösbar zu gestalten, erstens in dem Schwerpunkt, die Einheit Deutschlands zu verwirklichen und auch die Teilung im Verkehr zu überwinden; zweitens geht es darum, den Wirtschaftsstandort Deutschland, eingefügt in den EG-Binnenmarkt, von der Verkehrsinfrastruktur her vorzubereiten.
Die Aufgabe des EG-Binnenmarkts wäre auch eine Aufgabe gewesen, die die Bundesrepublik Deutschland ohne die deutsche Einheit mit besonderer Priorität zu realisieren gehabt hätte. Deshalb möchte ich nur auf Probleme hinweisen, die seit Jahren - nicht nur in den letzten acht Jahren, sondern seit rund 20 Jahren - zur Diskussion stehen und nicht gelöst sind. Das ist beispielsweise das Verhältnis zur Bahn. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Bereich der Bahn, um marktwirtschaftlich wirksamere Konzepte für eine umweltfreundliche Bahn gerade auch mit Ihnen als Kollegen der SPD zu erarbeiten, Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Vorschlägen des Vorstandsvorsitzenden Dürr stehen, die ja gegebenenfalls Grundgesetzänderungen mit sich bringen könnten. Umweltfreundlich, wie die SPD-Fraktion sich zur Bahn stellt, wird es, so denke ich, auch Möglichkeiten geben, diesen Weg gemeinsam zu gestalten.
Ich möchte deshalb darauf hinweisen, daß wir den werkehrlichen Problemen im Osten und im Westen mit unterschiedlichen Instrumenten und Methoden begegnen müssen. Im Osten ist ein grundsätzlicher Ausbau der Verkehrsträger erforderlich, weil in allen Bereichen die Verkehrsträger in einer Notstandssituation sind, sowohl in der Binnenschiffahrt als auch im Bereich der Schiene und natürlich auch im Bereich des Straßenverkehrs. Wenn schon so gegen eine Sanierung und gegen den Ausbau im Bereich der Straße im Osten polemisiert wird, dann möchte ich den Betreffenden klar und deutlich sagen: Eine Ursache für die verheerende Unfallentwicklung ist auch der Straßenzustand. Ich trage auch die Verantwortung dafür, daß sich die Verkehrssicherheit verbessert und daß wir endlich das an Straßenreparaturen nachholen, was 50 Jahre lang versäumt worden ist, um die Verkehrssicherheit zu verbessern und um Menschenleben zu retten.
Wir müssen weiter davon ausgehen, daß eine moderne Wirtschaftspolitik eine bestimmte Verkehrsinfrastrukturpolitik nach der Konzeption „Just in time", die für alle Verkehrsträger aktuell ist, voraussetzt.
({0})
- Sie können das ja in einer Zwischenfrage formulieren, dann können wir uns besser darüber unterhalten.
Ich möchte mit der Bestandsaufnahme im Osten beginnen und dann an Hand von Zahlen nachweisen, was sich nach der deutschen Einheit - auch nachweisbar durch den Bundeshaushalt - im Bereich der Investitionen, die es seinerzeit in der DDR gab, verändert hat.
({1})
- Herr Gysi, ich denke, die Grundlage muß das sein, wofür Sie maßgeblich Mitverantwortung tragen. Wichtig ist, daß wir nachweisen, wo der Fortschritt liegt. Ich denke, wir sollten weniger zum Demonstrieren aufrufen, als vielmehr Projekte vor Ort gemeinsam mit den Bürgern demonstrieren, damit wir die Vorhaben gemeinsam realisieren können. Hier unterscheiden wir uns maßgeblich.
({2})
1989 wurden beispielsweise an Investitionen im ehemaligen DDR-Haushalt für die Deutsche Reichsbahn 1,239 Milliarden Mark der DDR ausgegeben. Der Bundeshaushalt sieht 3,79 Milliarden DM vor. - Ja, da sind Sie sprachlos. Das habe ich erwartet.
({3})
Das ist eine Steigerung auf das Dreifache.
({4})
Ich denke, wenn wir versuchen, ein Verhetzungspotential aufzubauen - und das versuchen Sie ja -, dann sollten wir auch den Bürgern ganz fair und ehrlich sagen,
({5})
welchen Zuwachs es im Bereich der Schiene gibt. Eine Verdreifachung der Investitionen für die Deutsche Reichsbahn hat es gegeben.
({6})
- Sie haben doch die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. Ich bin hier zwar neu, aber Sie haben doch die Erfahrung.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Struck?
Natürlich, wenn das auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.
Nein, das wird nicht angerechnet.
Herr Minister Krause, haben Sie eben von einem Verhetzungs- oder Vernetzungspotential gesprochen? Sollte das erstere der Fall gewesen sein, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dieser Ausdruck hier im Parlament - jedenfalls für die SPD-Fraktion - absolut unzumutbar ist.
Ich habe von Verhetzungspotential deshalb gesprochen, weil permanent darauf hingewiesen wird, daß die Bundesregierung viel zuwenig Geld investiert.
({0})
Ich habe darauf hingewiesen, daß wir doch die Plattform wählen sollten: Was wurde im letzten Jahr oder vor zwei Jahren an Investitionen im Osten realisiert,
({1})
und was können wir, nachdem wir die deutsche Einheit hergestellt haben, den Bürgern an Fortschrittsraten nachweisen?
({2})
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Struck?
Aber natürlich!
Herr Minister Krause, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Kritik in einem Parlament und auch die Kritik der SPD-Fraktion als Oppositionsfraktion hier im Deutschen Bundestag keine Verhetzung ist, sondern die Wahrnehmung eines parlamentarischen Rechts in der Demokratie.
({0})
Ich bitte Sie, ich habe eben mit keinem Ton den Namen auch nur einer Fraktion erwähnt.
({0})
Ich habe darauf hingewiesen, daß es ein Verhetzungspotential gibt, wenn wir immer vergessen, wo der Ursprungs- und der Ausgangspunkt ist. Das ist die Situation, in der der ehemalige DDR-Bürger noch vor zwei Jahren war.
({1})
Da Sie darauf hinweisen, daß das eine Kritik ist, die für die SPD zutrifft, dann ist das ein großer Unterschied. Ich bitte, das zu unterscheiden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Meyer ({0})?
Bitte!
Herr Minister Krause, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Begriff Verhetzung dem Strafgesetzbuch der ehemaligen DDR entnommen ist
({0})
und einen bestimmten Hintergrund hat, und sind Sie
bereit, auch zur Kenntnis zu nehmen, daß die Wort906
Dr. Jürgen Meyer ({1})
wahl eines Redners auch etwas über das Menschenbild sagt, das er vertritt?
({2})
Ich bedanke mich für den Hinweis. Ich habe weder die SPD-Fraktion noch die Gruppe der PDS vom Namen her erwähnt. Ich bitte, daß das bitte korrekt nachgelesen wird.
({0})
Ich habe nur darauf hingewiesen, daß wir, wenn wir über einen Investitionsschub sprechen, nachweisen sollten, wo seinerzeit der Ausgangspunkt in der DDR war und wie weit wir in den sechs Monaten nach der deutschen Einheit schon gekommen sind. Ich denke, das ist korrekt und richtig.
({1})
- Gewiß, wir müssen hier ganz starke Stücke gemeinsam vertreten.
Als zweites ein Hinweis zu den Autobahnen, weil diese ja jetzt permanent in der Diskussion sind. Es gab im ehemaligen DDR-Haushalt für Autobahnen Investitionen in einer Größenordnung zwischen 30 und 50 Millionen Ostmark pro Jahr. Es ist korrekt, daß wir vom Haushaltsansatz her über 2 Milliarden DM auch in den Ausbau der Bundesfernstraßen in den neuen Bundesländern investieren werden. Wir investieren aber für die Schiene noch unverhältnismäßig mehr. Wenn ich einmal zum Vergleich die Investitionsgewichtungen in der Entwicklungszeit der Bundesrepublik Deutschland-West nehmen darf, dann kann ich feststellen, daß die Bundesregierung viel dazugelernt hat. Denn wir investieren jetzt punktuell für die Schiene wesentlich mehr, nämlich fast doppelt soviel wie für die Straße. Das war in Westdeutschland in den 50er und 60er Jahren anders. Das ist in den entsprechenden Haushalten, von denen Sie mehr verstehen als ich, nachlesbar.
({2})
- Das ist nicht falsch; das ist korrekt.
Ich denke, daß die Darstellung, die in der Öffentlichkeit teilweise gegeben wird und die den Eindruck erweckt, als würden wir mit den 17 Maßnahmen für die deutsche Einheit ausschließlich den Ausbau der Straße fördern, völlig falsch ist. Vorgesehen sind neun Maßnahmen für die Schiene, die dringend erforderlich sind, eine Maßnahme für die Binnenschiffahrt, um den Anteil der Binnenschiffahrt an den Verkehrsleistungen von 3 % im Osten Deutschlands auf die in Deutschland-West übliche Größenordnung von ca. 20 % in den nächsten Jahren zu erhöhen, und genau sieben Maßnahmen im Bereich der Straße.
Dr. Feige hat darauf hingewiesen, daß im Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost der Anteil der Eisenbahn von den Investitionen her nicht berücksichtigt worden sei. Ich meine, es gehört einfach fairer- und korrekterweise dazu, daß man die Summen aus dem Haushaltsansatz und dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost zu diesem Bereich addiert. Dies sollte ein Gebot der Fairneß sein.
Konkret zur Umsetzung: Wir sind bemüht und bestrebt, die Auftragsverwaltung nach einer unkonventionellen Art und Weise zu entwickeln. Denn wir müssen die Investitionen in Gang bringen. Ich meine, daß eine bloße Kritik an dem Vorhaben einer Maßnahmengesetzgebung für die Beseitigung des offensichtlichen Notstandes nicht gerechtfertigt ist. Wir müssen uns gemeinsam vor Augen führen, daß zu Beginn dieser Bundesrepublik auf der Basis des Grundgesetzes das Wirtschaftswunder auch durch die Beseitigung des Investitionsnotstandes behoben worden ist. Es ist richtig und notwendig, die umweltfreundlichen Verkehrsträger mit entsprechenden Finanzmitteln auszustatten.
Ich bitte auch darum, daß wir dann, wenn wir von der Maßnahmengesetzgebung reden, die Sachverhalte doch richtigstellen. Einerseits wird der Bundesregierung vorgeworfen, zu langsam zu sein. Andererseits wird es, will die Bundesregierung schnell investieren und damit den Motor für den Konjunkturbeginn anwerfen und die Investitionen in die Infrastruktur und damit die Wirtschaft fördern, wiederum als zu schnell bezeichnet. Wollen Sie nun verlangen, daß wir die Quadratur des Kreises verwirklichen? Ist das Ihre Zielsetzung? Ich denke, hier sollten wir ehrlicher und fair miteinander umgehen.
({3})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
({4})
- Ich habe keine Partei und keine Fraktion angesprochen. Warum ziehen Sie sich diesen Schuh an?
Darf ich Sie unterbrechen. - Wir werden den Sachverhalt nachher an Hand des Protokolls klären. Solange werden Sie sich gedulden.
({0})
Ich möchte noch auf einen weiteren wichtigen Sachverhalt hinweisen. Es ist zu erwarten, daß etwa 10 Milliarden DM von den insgesamt rund 50 Milliarden DM, die für 17 Projekte im Rahmen der deutschen Einheit veranschlagt worden sind, in den alten Bundesländern für den Ausbau der West-Ost-Verbindungen, und zwar sowohl für den Ausbau der Schienenwege als auch für den Ausbau der Binnenwasserstraßen und natürlich auch für den Ausbau der Straßen, investiert werden. Wir sollten zum einen ein Interesse daran haben, die Notstandssituation im Osten zu beBundesminister Dr. Günther Krause
seitigen. Wir sollten zum anderen aber auch ein gemeinsames politisches Interesse daran haben, in dem ehemaligen Zonenrandgebiet der westdeutschen Länder keine neue Grenze aufzubauen, indem wir den schnellen Ausbau der erforderlichen Verkehrsverbindungen behindern.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Daubertshäuser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie sieht die verkehrspolitische Lage aus?
({0})
- Sie sieht sehr gut aus; das werden Sie gleich merken. - Bis zum Jahre 2000 wird sich das Aufkommen des innerdeutschen Güterverkehrs verzehnfachen. Der gesamte Ost-West-Verkehr soll um 600 bis 700 wachsen. Der Transitverkehr zwischen Westeuropa und den fünf neuen Bundesländern durch die alte Bundesrepublik wird sich verfünfzigfachen. Ihr Kommentar: gut!
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich diese Zahlen einmal vor Augen führen, dann werden Sie feststellen, daß dies nun kein Szenario für einen Horrorfilm ist, sondern daß es die auf uns zukommende verkehrspolitische Wirklichkeit ist. Wer den Veikehr als entscheidendes Kreislaufsystem unserer Wirtschaft funktionsfähig erhalten will, wie dies vorhin zum Ausdruck gebracht wurde, der hätte eigentlich schon vor sehr langer Zeit handeln müssen. Was von Ihnen kommt - das hat Minister Krause soeben noch einmal bestätigt -, ist doch hilfloser Aktionismus. Es ist doch kein lebensfähiges Konzept, was hier dargestellt wird.
({1})
Herr Kollege Hinsken, der Aufbau der fünf neuen Bundesländer ist doch d i e Chance für einen verkehrspolitischen Neubeginn.
({2})
- Ach Gott, wie reagiert er denn? Ich will Ihnen sagen,
wie er reagiert: Er verzichtet auf ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept. Davon habe ich nichts gehört.
({3})
Es fehlen klare verkehrspolitische Zielvorstellungen. Die Bundesregierung setzt ihre Investitionsschwerpunkte bei überholten Verkehrsstrukturen. Damit straft man doch die eigenen verbalen Aussagen hier Lügen. Die Investitionsplanung der Bundesregierung ist eine Absage an ein zukunftsgerichtetes Verkehrssystem.
({4})
Die Bundesregierung wird mit dem Einsatz der vorgesehenen Investitionsmittel den heutigen Anforderungen ganz einfach nicht gerecht. Herr Kollege Pfeffermann, man wird den heutigen Anforderungen nicht nur nicht gerecht, sondern es wird auch getarnt und getäuscht. Der Bundeskanzler Kohl versprach in seiner Regierungserklärung eine Renaissance der Bahn, aber der Bundesfinanzminister geht hin und kürzt die Investitionsmittel für die Bundesbahn dramatisch,
({5})
nämlich von 4 Milliarden DM auf 2 Milliarden DM im Jahre 1991. Das ist ein Kürzung - in einem Jahr! - um 50 %.
Die Finanzzuweisungen des Bundes für die Bundesbahn sind nun wahrhaftig nicht ausreichend. Herr Pfeffermann, führen Sie sich das doch bitte einmal vor Augen. 1982 betrugen sie 13,7 Milliarden DM; jetzt sind nominal 11,7 Milliarden DM vorgesehen. Das heißt: Dieser Betrag ist innerhalb der letzten neun Jahre real, inflationsbereinigt, um 6 Milliarden DM gesunken. Das ist die reale Lage. So geht man mit der Bundesbahn um.
({6})
Diese Benachteiligungen im investiven Bereich, die jahrelangen Versäumnisse der Verkehrspolitik und - das gebe ich zu - auch das sektorale Denken und Handeln der Verkehrsträger haben die notwendige Neuordnung des Verkehrssystems zu einem intelligenten und optimierten Gesamtsystem verhindert; diese Entwicklung wurde verschlafen. Gerade die Investitionsentscheidungen des Bundes haben die isolierte Entwicklung der einzelnen Verkehrsträger nicht nur begünstigt, sondern sie haben sie förmlich erzwungen, denn man hat falsche Investitionsschwerpunkte gesetzt.
({7})
Nötig sind nun einmal gleiche Wettbewerbsbedingungen, und zwar für alle Verkehrsträger. Grundvoraussetzung hierfür ist eine verkehrsübergreifende Politik, eine Infrastrukturpolitik der öffentlichen Hände, die alle Verkehrsträger nach ihren spezifischen Leistungsfähigkeiten berücksichtigt. Infrastrukturentscheidungen von heute sind eben die Marktanteile von morgen der Verkehrsträger. Die Infrastruktur ist das A und O der Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb müssen Infrastrukturentscheidungen - über diese reden wir heute - ein klarer Ausdruck verkehrspolitischer Zielbestimmungen sein; denn sie sind nach einheitlichen, gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Kriterien zu treffen. Exakt dies haben wir bei Minister Krause vermißt.
({8})
({9})
Ich habe eingangs die Prognosezahlen genannt. Wer von diesen prognostizierten Wachstumszahlen nicht überrollt werden will, der muß dieses ungezügelte Wachstum doch beenden oder muß endlich mit einer gestaltenden Verkehrspolitik beginnen.
Das sage ich Ihnen: Die Bahn ist bisher das Opfer dieses einseitigen Wachstumsdenkens gewesen. Sie haben in all den Jahren die Deutsche Bundesbahn
zum Stiefkind der Verkehrspolitik gemacht. Das geht ganz einfach nach dem Motto: Über dem Tisch wird sie in Sonntagsreden gelobt, aber unter dem Tisch tritt man ihr das Schienbein ein.
({10})
- Herr Kollege Fischer, Sie müssen nicht in die 70er Jahre gehen. Sie brauchen doch nur einmal die Situation der beiden deutschen Bahnen betrachten.
({11})
Sie wollen die Fusion der Reichsbahn und der Bundesbahn auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Vernünftigerweise aber kann es für die beiden Schienenunternehmen nur eine Investitions- und nur eine entsprechende Unternehmenspolitik geben.
({12})
Weil das so ist, wäre es schon lange überfällig, endlich beide Bahnen von einem Vorstand führen zu lassen. Auch dazu haben wir bisher nichts - weder im Ausschuß noch hier - gehört.
Meine Damen und Herren, wir streiten für eine Strukturreform der Bahn, nicht weil wir das Verkehrssystem Straße oder Luft verteufeln, sondern weil wir wissen, daß eine engagierte Bahnpolitik und damit eine gesunde Bahn zum Rettungsanker unseres gesamten Verkehrssystems werden kann. Hierzu gibt es eben keine realistische Alternative.
({13})
Eine Strukturreform für die Bahn, die diesen Namen wirklich verdient, muß dafür Sorge tragen, daß die Bahn endlich wieder aus eigener Kraft schwarze Zahlen schreiben kann. Deshalb ist es unabdingbar, daß der Fahrweg - so wie beim Verkehrssystem Straße - vom Staat übernommen wird und daß das Unternehmen Bahn entsprechend dem Veranlasserprinzip die von ihm abgeforderten Leistungen bezahlt bekommt.
({14})
Sie werden ja bisher nicht bezahlt. Das ist ungerecht; denn keiner der Bahnwettbewerber muß seinen Fahrweg selbst erwirtschaften.
Wie es wirklich um die Bundesbahn bestellt ist, das haben wir vorgestern in einer Pressekonferenz von Herrn Dürr gehört. Die Schlagzeilen, die zu lesen waren, unterstreichen das. Die Bundesbahn hat 1990 ein Rekorddefizit eingefahren. 1991 beschleunigt sich die Talfahrt in die roten Zahlen. Das ist die reale Lage.
Diese bilanzierten Geschäftsergebnisse, meine Damen und Herren, sind die Folgen der völlig verfehlten Bahnleitlinien der Bundesregierung aus dem Jahre 1983. Ihre Bahnleitlinien sind auch deshalb ein Flop, weil die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Sie haben 1983 zugesagt, daß Sie politische Flankierungsmaßnahmen ergreifen werden. Die entscheidende politische Flankierung ist nicht diese Gesetzesänderung. Das wissen Sie, die sich damit seit längerem beschäftigen, sehr wohl. Hier müssen die Defizite aufgearbeitet werden, die ich soeben gekennzeichnet habe.
Ich sage Ihnen: Die Zukunft läßt weiter Schlimmeres befürchten. Dieses Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bundesregierung und Bundesbahn läuft doch wie gehabt. Der Bundeskanzler lobt Heinz Dürr als den Mann, der die nötige Strukturreform der Bahn in Angriff nimmt, und Dürr fordert umgekehrt die Bundesregierung auf, die entsprechenden Gesetzesänderungen vorzunehmen. Das Fazit ist also: Jeder wartet hier auf den anderen.
Meine Damen und Herren, solche verkehrspolitischen Nullsummenspiele schaden der gesamten Volkswirtschaft und fesseln die Bahn weiter an den Schuldenturm.
({15})
Noch schlimmer - ich will auf das eingehen, was Herr Krause als Verhetzung bezeichnet hat - :
({16})
Es ist doch eine Tatsache, daß die Bundesregierung die Reichsbahn jetzt auf eine ähnliche Verschuldensreise wie die Bundesbahn schickt; denn die Gesamtverschuldung der Reichsbahn wird am Ende dieses Jahres bei 4 Milliarden DM stehen, ausweislich des Wirtschaftsplanes. Wenn das Nennen dieser Zahlen Verhetzung ist, dann soll Herr Krause zu jedem Wirtschaftsplan, zu jeder Bilanz künftig sagen, dies sei Verhetzung. Dies sind die realen, nüchternen Zahlen, und diese Zahlen lügen nicht.
({17})
Anspruch und Wirklichkeit, meine Damen und Herren, klaffen auch in bezug auf die Koalitionsvereinbarungen auseinander. Hier wurde gefordert, die Investitionen für den weiteren Ausbau der Schiene erheblich zu verstärken. Das ist löblich. Aber dieser Teil der Koalitionsvereinbarungen ist doch heute schon Makulatur. Die Folge ist, daß die Bundesbahn alle großen Neu- und Ausbauvorhaben auf Eis legt. Das trifft die Schienenbauprojekte Dortmund-PaderbornKassel, das trifft Karlsruhe-Basel, Fulda-FrankfurtMannheim, Köln-Frankfurt. Die Strecke MünchenFreilassing wird sogar auf unbestimmte Zeit verschoben, und das war die Bahnstrecke, von der man gesagt hat, sie solle den Alpentransitverkehr übernehmen. Das hat die Bundesregierung öffentlich gesagt. Nun wird die Maßnahme auch auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Das ist die reale Lage.
Durch die Kürzung der Investitionen wird auch die Beschaffung neuer Fahrzeuge verzögert. Das trifft natürlich dann auch die Attraktivität und die Nachfrage der Bahnen ganz negativ.
Der öffentliche Personennahverkehr, der die einzige Alternative ist, um die durch die Blechlawine gerade in den Ballungsräumen entstandene Lage zu entschärfen, wird von der Bundesregierung auch entsprechend vernachlässigt.
Herr Kollege Daubertshäuser, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir zugestehen, daß es unter diesen Fakten, die Sie jetzt geschildert haben, verständlich ist, daß der Bundesverkehrsminister unter seinen beiden Hauptzielen - ehrlicherweise, muß man sagen - das Ziel umweltgerechte Verkehrspolitik nicht aufgeführt hat?
({0})
Herr Kollege Müller, ich kann Ihnen da sicherlich zustimmen. - Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie der Kollege Hinsken dazwischenruft. Nur wenn man eine Verkehrspolitik so einseitig konzipiert, wenn man hier das Wort „konzipieren" überhaupt verwenden darf, dann findet natürlich Ökologie dort nicht oder nur als Randgröße statt. Das ist allerdings nicht sozialdemokratische Verkehrspolitik.
({0})
Man kann diese Aussage auch unterstreichen durch den ÖPNV-Bereich. Gerade in den neuen Bundesländern hätte der ÖPNV das besondere Engagement der Bundesregierung erfordert; denn dort bestehen ja grundsätzliche, existentielle Probleme. Die meisten Verkehrsbetriebe stehen vor der Pleite. Daß die Treuhandanstalt diesen Betrieben nun Geld geliehen hat, damit sie nicht in die Zahlungsunfähigkeit fahren, das ist keine Lösung; denn das Geld muß ja zurückgezahlt werden, muß mit horrenden 8 Prozent letztlich auch verzinst werden. Das heißt, am Ende des ganzen Prozesses sind die Betriebe noch stärker verschuldet. Darunter wird dann die Qualität des ÖPNV leiden, und damit wird auch die Straße als Individualverkehrsmittel wieder stärker nach vorne kommen.
Wir, meine Damen und Herren, plädieren für eine Verkehrsreform, die die heutigen Strukturen an Haupt und Gliedern reformiert. Dazu bedarf es einer Koalition der ökonomischen und der ökologischen Vernunft. Eine tragfähige Verkehrspolitik muß das Funktionieren der Wirtschaft, aber auch den Schutz und Erhalt der Umwelt, die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer und den rationellen Einsatz von Energie gewährleisten. Deshalb ist dieser drohende Verkehrsinfarkt und sind diese schlimmen Zahlen nur mit einem integrierten Gesamtverkehrskonzept abzuwenden.
Herr Daubertshäuser, Ihre Redezeit ist weit überschritten.
Ich bedauere - das soll mein letzter Satz sein, Herr Präsident - , daß die Bundesregierung eines der wichtigsten innenpolitischen Themen der 90er Jahre so sträflich vernachlässigt. Damit fahren Sie die Verkehrspolitik noch tiefer in die Sackgasse hinein.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bohlsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sehen auch an den Ausführungen des Kollegen Daubertshäuser, daß wir vor einer großen politischen Herausforderung stehen, vielleicht vor der größten der Nachkriegszeit. Wenn ich die Zahlen an mir vorüberziehen lasse, Herr Daubertshäuser, die Sie genannt haben, dann will ich doch auch einen Blick darauf werfen, wie sich die Güterverkehrsentwicklung gerade im Jahre 1990 vollzogen hat, und deutlich machen, daß dort positive Ansätze zu sehen sind. Allein im Huckepackverkehr hat sich eine Steigerung von 16 Prozent ergeben. Gerade dieses Instrument befürworten wir sehr. Oder bei der Deutschen Bundesbahn hat der Containerverkehr ein Plus von 6,7 Prozent aufzuweisen. Oder ich verweise einmal auf die Binnenschiffahrt in den westdeutschen Kanalnetzen mit einem Plus von immerhin 10,1 Prozent.
Aber auch Ihre Forderung, daß wir stärker im Straßenverkehrsbau vorankommen müssen, läßt bei mir natürlich die Frage aufkommen: Wie verhält sich Ihr Bundesland Hessen, wo die neue Landesregierung gerade signalisiert hat, daß ein großer Nachholbedarf nicht gedeckt wird? Auch diesen Widerspruch müßten wir hier mit einbinden.
({0})
Ich will noch einmal deutlich machen, daß mit der Einbringung des Verkehrsetats im Deutschen Bundestag ein Haushaltsbereich zur Beratung ansteht, dem eine ganz entscheidende Schlüsselrolle für das Zusammenwachsen der westlichen und östlichen Bundesländer zukommt. Nur wenn es uns gelingt, so rasch wie möglich den enormen Nachholbedarf der neuen Bundesländer beim Verkehrswegebau zu befriedigen, können wir auch dort ein Wirtschaftwachstum erwarten.
In einer Zeit arbeitsteiliger Produktionsprozesse und eines regen Warenaustausches sind gut ausgebaute Verkehrswege die entscheidenden Lebensadern für eine sich entwickelnde Wirtschaft.
Wenn wir das Investitionsvolumen von 35,3 Milliarden DM für den Gesamtetat des Verkehrshaushalts und dabei die Investitionssumme betrachten, die immerhin einen Anteil von 48,4 % ausmacht, wird deutlich, in welchem Maße in diesen Bereich investiert wird. Das ist für uns wichtig, und das bringt Wachstumsimpulse, die wir unbedingt brauchen.
Ich will auch auf die vorhandenen Mittelumschichtungen hinweisen; denn sie beziehen sich auch auf die Bereiche der Altbundesländer. Die Mittelumschichtungen aus den Altbundesländern, die jeweils immerhin rund 1 Milliarde DM im Bundesfernstraßenbau und im Schienenbereich ausmachen - wozu noch 200 Millionen DM aus dem Bereich des kommunalen Straßenbaus kommen - , können im Haushalt 1991 in den neuen Bundesländern zu einem kräftigen Wachstumsschub führen.
Damit die Herstellung gleicher Lebensbedingungen zügig voranschreitet, ist es allerdings erforderlich - dieser Hinweis sei gestattet - , daß die bereitgestellten Mittel auch tatsächlich in Anspruch genom910
men werden. Dazu vermag das parallel laufende Bemühen, den Planungszeitraum für größere Verkehrsinvestitionen deutlich zu verringern, gegebenenfalls Maßnahmen bzw. Beschleunigungsgesetze zu erlassen und eine fachliche Unterstützung sowie Verwaltungshilfe aus den Altbundesländern zu gewähren, in diesem Bereich eine bedeutende Rolle spielen.
Wir wollen die Herstellung gleicher Lebensbedingungen. Wir wollen, daß die Mittel zügig in Anspruch genommen werden. Wir wollen den Planungszeitraum verkürzen. Wir wollen versuchen, dieses über Beschleunigungsgesetze zu erreichen. Wichtig ist die rasche Umsetzung.
Als deutliche Aufforderung an die neuen Bundesländer, auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die rasche Umsetzung notwendiger Verkehrsinvestitionsmaßnahmen zu drängen, sei der Hinweis verstanden, daß durch einen Vermerk im Verkehrshaushalt zwar das Vorrecht der ausschließlichen Verwendung dieser Finanzmittel für die neuen Bundesländer festgeschrieben wurde, allerdings bei Verzögerungen im Bauablauf von diesen Mitteln Beträge auch in den westlichen Bundesländern eingesetzt werden können. Daß auch in den Altbundesländern die Gelder knapp und die Verkehrsräume stark beansprucht sind, ist eine Tatsache, der sich die Finanzgewährung des Verkehrsetats sicherlich nicht verschließen darf.
Durch den gezielten Ausbau besonders umweltverträglicher Verkehrswege, wie dem Schienen- und dem Wasserstraßennetz, werden im vorgelegten Regierungsentwurf des Haushalts 1991 zukunftsweisende Schritte zur Bewältigung des großen Verkehrsaufkommens in den Altbundesländern gemacht.
Wir als Kern- und Transitland im Herzen Europas haben enorme Verkehrsströme aus allen Himmelsrichtungen zu bewältigen. Die Schaffung des EG-einheitlichen Binnenmarktes wird sicherlich ein zusätzliches wachstumssteigerndes Element mit sich bringen.
Wichtig ist für uns die umweltgerechte Bewältigung eines anschwellenden Verkehrsaufkommens. Dies ist die Herausforderung der Verkehrspolitik unserer Zeit.
({1})
Der Kollege Daubertshäuser hat sich auch mit der Übernahme der Altschulden der Deutschen Bundesbahn befaßt. Ich möchte darauf verweisen, daß die Ankündigung zu dieser Maßnahme schon zu Regierungszeiten der SPD geschehen ist. Ich möchte auch darauf verweisen, daß sie durch uns vollzogen wurde.
Die Bedeutung der Verkehrswege - wir sprechen jetzt über umweltschonende Maßnahmen - wird in gewisser Weise verkannt. Ich weise auf die unterschiedlichen Verhältnisse innerhalb der neuen und der alten Bundesländer hin, insbesondere im Binnenschiffahrtsbereich. Während bei uns im Güterverkehr dieser Binnenschiffahrtsbereich immerhin einen Anteil von 23 bis 24 % hat, liegt er in den neuen Bundesländern bei 2 bis 4 %. Wir sehen die vielen freien Kapazitäten, die dort ungenutzt sind, und müßten bemüht sein, gerade auf diesen Verkehrsweg besondere
Obacht zu geben, denn wir alle wissen: Dieser Verkehrsweg Binnenschiffahrt ist umweltschonend, geräuscharm, und er ist energiesparend. Dieses sollten wir in diesen Bereich mit einbinden.
({2})
Lassen Sie mich einige wenige Bemerkungen zum öffentlichen Personennahverkehr machen; er ist immerhin eine besondere soziale Verpflichtung. Zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Verkehrsangebots im städtischen Bereich wie auch in der Fläche sind erhebliche staatliche Fördermittel nötig. 1991 sollen über 1,6 Milliarden DM zur Kostendeckung in den öffentlichen Personennahverkehr gehen. Damit wird die Mobilität einer einkommenschwächeren Bevölkerungsschicht ebenso gewährleistet wie die Umwelt entlastet. Auch das ist für uns wichtig.
Unser Bundesverkehrsminister hat noch einmal die Verkehrssicherheit angesprochen. Lassen Sie mich auch darauf hinweisen, daß die jüngsten Verkehrsopferzahlen aus den neuen Bundesländern, aber auch aus den Altbundesländern zeigen, daß wir in unserem Bemühen um Verkehrsaufklärung nicht nachlassen dürfen. Während in den Altbundesländern die Straßen auch auf Grund bautechnischer Maßnahmen sicherer geworden sind, besteht in den neuen Bundesländern noch ein erheblicher Nachholbedarf. Sosehr wir uns bemühen, sichere Verkehrsnetze zu schaffen, so darf doch nicht darin nachgelassen werden, durch begleitende Aufklärung und Erziehungsmaßnahmen das Risiko menschlichen Fehlverhaltens weiter zu reduzieren. Daher auch die Einbringung von Mitteln im Bereich der Verkehrserziehung. Im Bundeshaushalt 1991 sind jährlich 14 Millionen DM für die Aufklärungs- und Erziehungsarbeit eingeplant, zu denen weitere 20 Millionen DM bereitgestellt wurden, um Sondermaßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zu verwirklichen.
Wie in den anderen Haushaltsjahren wird es gegenüber der ersten Beratung sicherlich noch zu einigen Abänderungen kommen. Ich darf darauf verweisen, daß wir Haushälter gestern das erste Berichterstattergespräch im Verkehrsministerium geführt haben. Dennoch meine ich, daß uns ein Entwurf vorgelegt wurde, der den verkehrspolitischen Herausforderungen wie auch den finanz- und haushaltspolitischen Erfordernissen gleichermaßen gerecht zu werden versucht.
Unter der grundsätzlichen Beibehaltung des Vorrangs staatlicher Infrastrukturvorsorge sollte zur kurzfristigen Deckung des enormen Finanzierungsbedarfs im Bundesverkehrswegebau auch darüber nachgedacht werden, zur Entlastung des Staatshaushalts gegebenenfalls Privatunternehmen in die Finanzierung einzubeziehen. Ungewöhnliche Zeiten vermögen auch hier ungewöhnliche Lösungen zu schaffen. Ich kann Ihnen zumindest sagen, daß das Interesse auf der Privatwirtschaftseite vorhanden ist. Der Bundesminister hat ja auch hier entsprechende Anmerkungen gemacht.
Bevor ich zum Schluß komme, möchte ich eine Anmerkung nicht zuletzt als Abgeordneter von der Küste tun. Was uns mit Sorge erfüllt, ist natürlich die absolute Streichung der Finanzhilfen für die Seeschiffahrt,
und hier müßten wir versuchen, einen Keil einzuschlagen. Wir haben Verständnis für einen Subventionsabbau, wie er dann geschieht. Nur, die Ankündigung an das Gewerbe, das für dieses Jahr noch aufrechtzuerhalten, mit der Inaussichtstellung steuerlicher Maßnahmen hat natürlich Hoffnungen und Erwartungen geweckt. Hier müßten wir versuchen, in Zusammenarbeit mit den Gruppierungen Mittel gegebenenfalls zu strecken, zu verlängern. Wir sehen die Sorge, die sich gerade in dem Bereich auftut. Hierauf möchte ich hingewiesen haben. Wir arbeiten gerade daran.
({3})
Die Bundesregierung hat mit der deutlichen Erhöhung des Verkehrsetats ein politisch positives Zeichen gesetzt. Wir Parlamentarier müssen nunmehr dazu beitragen, daß dieses schnell umgesetzt wird. Dort, wo Objekte stoppen, müssen wir dazu beitragen, daß sie gegebenenfalls umgeschichtet werden. Es gilt, einen zügigen Verkehrsausbau umzusetzen. Eine gute Grundlage dazu ist mit diesem Verkehrsetat geschaffen.
Lassen Sie uns die Weichen stellen für ein schnelles Zusammenwachsen der neuen und der alten Bundesländer!
Vielen Dank.
({4})
Herr Kollege Zywietz, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Verkehrsetat spiegelt mit seinem Volumen von rund 35 Milliarden DM die große Aufgabe nach der Wiedervereinigung Deutschlands wider. Ich füge hinzu: zu Recht. Der letzte Verkehrsetat, der in diesem Hause diskutiert worden ist, lag in der Größenordnung von 24, 25 Milliarden DM. Der erste Haushalt des wiedervereinigten Deutschlands steigt deutlich: auf etwa 35 Milliarden DM. Darüber hinaus gibt es noch einige zusätzliche verkehrspolitische Maßnahmen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe.
Sie, Herr Kollege Daubertshäuser, wenn auch gerade vermutlich mit der Presse telefonierend
({0})
- man hat immer noch ein Ohr frei, wenn man telefoniert; das will ich gerne akzeptieren -, scheinen allerdings den Haushalt, der durch die Wiedervereinigung geprägt ist und der darauf die richtigen Antworten gibt, nach meinem Verständnis überhaupt nicht richtig zu würdigen. Ich habe mir das Vergnügen gemacht - in Teilen war es eines -, Ihre letzte Rede zu diesem Thema in der Etatberatung 1989 nachzulesen. Bereits damals haben Sie sich gänzlich einseitig auf die Probleme der Deutschen Bundesbahn fixiert, und auch damals haben Sie ausschließlich ein Horrorgemälde gezeichnet, wie Sie es eben wieder skizziert haben.
({1})
Der Vorwurf des hilflosen Aktionismus an die Regierung geht im Bereich des Verkehrsetats wirklich total ins Leere. Sie haben bestenfalls starken Verbalismus gebracht, aber keine ausgeformte Verkehrspolitik der Opposition.
({2})
Denn natürlich - das spiegelt dieser Etat auch wider - ist die Bundesbahn, die Schiene ein bedeutender Teil. Von 35 Milliarden DM Aufwand gehen ungefähr 20 Milliarden DM an die Schiene, noch unterteilt in Reichsbahn und Bundesbahn. Ich gebe Ihnen recht: Sie haben festgestellt, bei der Deutschen Bundesbahn ist der Anteil der Investitionen etwas zurückgefahren.
({3})
Aber Sie haben verschwiegen - so macht das die Opposition eben - , daß der Investitionsanteil bei der Reichsbahn - und das ist die Herausforderung der Wiedervereinigung - erheblich gestiegen ist. Dort gibt es von einem Jahr zum anderen den starken Anstieg von 300 000 DM auf fast 4 Milliarden DM. Das paßt nicht in Ihr Weltbild. Deshalb lassen Sie es weg. Es paßt aber genau in die Notwendigkeiten hinein. Denn die verkehrspolitische Hauptaufgabe - nicht die alleinige - liegt in den fünf neuen Bundesländern. Darin liegen auch der Reiz und die Bedeutung dieses Etats. Er liegt vom Volumen her unter allen Einzelplänen auf Rang 5. Was aber wichtiger ist: 50 dieses Etats sind investiv. Diese 50 % sorgen unmittelbar für Beschäftigung. In diesen richtig investierten 50 % kommt ein besseres Angebot für viele Mitbürger zum Ausdruck, und vor allem ist das die richtige Plattform zur Unterstützung des wirtschaftlichen Aufschwungs in den fünf neuen Bundesländern und damit die Verwirklichung unseres Zieles Nummer 1 dieser Legislaturperiode, nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse in Ostdeutschland und Westdeutschland zu sorgen. Genau dafür schafft dieser Etat eine ganz entscheidende Voraussetzung.
Natürlich - da gebe ich Ihnen recht - werden wir bei der Schwerpunktbildung Ost gemeinsam darauf zu achten haben, daß es nicht zum Stillstand notwendiger Maßnahmen sowohl im Bereich der Straße als auch im Bereich der Schiene in Westdeutschland kommt. Hier wird es auch auf die genaue Beobachtung des Vollzugs der Maßnahmen und des Abfließens der bereitgestellten Finanzmittel ankommen, neben den Haushaltstechniken der Deckungsfähigkeit.
Das „Prä" liegt im Osten, aber man muß bei allem unserem guten Willen und der Bereitschaft, Gesetze zu verändern, d. h. Hemmschwellen bei den Investitionen durch Beschleunigungsverfahren wegzunehmen, die hier schon angesprochen worden sind - dafür sind Gesetze eingebracht - , immer klar im Auge behalten, daß das, was in dem einen Bereich nicht
sinnvoll und rechtzeitig investiert werden kann, einer sinnvollen Verwendung an anderer Stelle zugeführt wird. Das wird unsere Hauptaufgabe bleiben.
Wir haben hier auch Aufgaben besonderer Art. Ich will den Bereich der Straße nur kurz streifen. Bei uns bedarf es in diesem Bereich mehr der Pflege, der Modernisierung und Sicherheitsinvestitionen, aber in Ostdeutschland - ich glaube, das weiß jeder, ohne daß er auf die Landkarte schaut oder sich an eigene Erfahrung erinnert - gibt es auch noch einen stärkeren Neubaubedarf. Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß beispielsweise eine Autobahnverbindung im Bereich der Ostseeküste, beispielsweise zwischen der Oder und Lübeck, ein unbedingtes Muß ist. Wichtige Autobahnen sind vorhanden: Hannover-Berlin, aus dem Kassel/Göttinger-Raum nach Berlin, MünchenNürnberg-Berlin. Aber an der genannten Stelle fehlt wirklich eine Neuverbindung. Dies sei nur einmal exemplarisch genannt.
Was den Schienenbereich anbelangt, ist festzustellen, daß es auch bei uns noch Nachholbedarf in Elektrifizierung beispielsweise gibt, daß es auch bei uns, insbesondere zur Verknüpfung von Ost- und Westdeutschland, Ferntrassenbaubedarf gibt. Man muß sich auch - auch das gehört in eine Verkehrsdebatte, nachdem wir 1 Milliarde DM für das Projekt Transrapid ausgegeben haben; auch dieses Stichwort mußte noch einmal genannt werden - damit auseinandersetzen - und der Appell an die Regierung ist: jedes Ressort, was damit befaßt ist, möge sich das anziehen -, daß diese Milliarde DM nicht eine Vergangenheitsinvestition bleibt, sondern daß hier eines Tages ein realer Nutzen herausspringt. Dieses muß unbedingt von der Regierung weiterverfolgt werden.
({4})
Zur Schiene möchte ich noch hinzufügen - Herr Daubertshäuser, weil Sie das so in den Mittelpunkt gestellt haben - : Wir sind für eine Fusion, wir sind für ein Zusammenführen von Reichsbahn und von Bundesbahn. Das liegt in der Natur der Sache. Wir sind aber keine Zaubergesellschaft, das wissen doch auch Sie. Wir sprechen von Riesenunternehmen. Hier müssen erst einmal Bestände aufgenommen werden, hier muß gesichtet und sortiert werden und das richtige Modell entwickelt werden. Also, nur schnell allein reicht nicht aus. Es muß auch halbwegs richtig, vernünftig und zukunftsgerecht sein.
({5})
- Das war das Kennzeichen der SPD-Schienenpolitik, lieber Kollege Schäfer. Die SPD hatte in der Regierungsverantwortung lange genug Zeit, all das im Bereich der Schiene zu verwirklichen oder an Problemen abzubauen, was Herr Daubertshäuser hier in der Haushaltsdebatte 1991 immer noch vorträgt.
({6})
Hinsichtlich der eigenen Versäumnisse sollten Sie sich einmal an die eigene Nase fassen.
({7})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird munterer. Das ist auch gut so.
({8})
- Ich habe hier noch zwei Minuten. Man kann sich hier weder mit jedem richtigen noch mit jedem unrichtigen Zwischenruf beschäftigen. Das ist schade.
Als Vertreter der Küste - da bin ich in Übereinstimmung mit meinem Vorredner - möchte ich noch zu zwei Punkten kurze Anmerkungen machen:
Wir unterstützen den Minister in seiner Betonung des Ausbaus der Binnenwasserstraßen. Hier kann in der Tat Fracht relativ schnell und ökologisch angenehm, sage ich einmal, bewältigt werden, wenn der Investitionsanteil, wie es dieser Etat vorsieht, verbessert wird. Aber der Blick ist nicht nur auf die Binnenwasserstraßen gerichtet, sondern auch auf den Seeverkehr. Bei allem liberalen Verständnis, aller Sympathie und Bereitschaft zu Subventionen: Sie sollen degressiv gestaltet sein. Das unterstreiche ich doppelt und dreifach. Wir sind für einen Abbau im Bereich der Reederhilfe, aber wir sind gegen jedwede Kahlschlagpolitik, an dieser Stelle und anderswo. Deswegen muß dieses Thema, wie der Sache gerecht und dennoch dem Ziele entsprechend Subventionen schrittweise abgebaut werden können, noch einmal im parlamentarischen Raum behandelt werden.
({9})
Von einer Summe von 120 oder 140 Millionen DM von einem Jahr aufs andere auf null zu gehen, kann nicht die richtige Politik sein. Der können wir nicht zustimmen.
({10})
Als letztes zur Flugsicherung - das betrifft die Luftfahrt als einen Verkehrsträger - : Wir haben, wenn ich mich recht erinnere, auch in der letzten Verkehrsdebatte noch einmal betont, daß die Flugsicherung in den privaten Bereich überführt werden muß. Und wenn ich mich weiter recht erinnere, haben alle wesentlichen Fraktionen des Deutschen Bundestages dieser Änderung zugestimmt. Ich meine mich an 90 %ige Zustimmung dieses Hauses zu erinnern. Angesichts dessen, daß dieses Gesetz vom Bundespräsidenten nicht unterzeichnet wurde und damit nicht in Kraft treten konnte, möchte ich an den oppositionellen Teil hier im Hause appellieren, daß wir die Konsequenz daraus ziehen, die Grundgesetzänderung, die vonnöten ist, um das Ziel zu erreichen, wenn auch nicht auf direktem Wege, wie zunächst angestrebt, sondern mit einem kleinen Umweg, zu vollziehen, damit wir in der Zukunft zu einer effizienteren Flugsicherung kommen.
Wir sind mit der Struktur und der Tendenz dieses Etats zufrieden. Er ist vom Volumen her gut dotiert, und er ist auch gut strukturiert.
Wir unterstützen die Absicht des Ministers und der Regierung, durch private Finanzierungsmodelle im Verkehrsbereich zusätzliche Mittel und Möglichkeiten zu erschließen, die dann der Verkehrsbedienung
in der Fläche, insbesondere im Osten Deutschlands, zur Verfügung stehen.
Ich bedanke mich.
({11})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn jeder Redner eine Dreiviertelminute, eine Minute, anderthalb Minuten seine Redezeit überzieht, dann kommt bei so vielen Rednern im Laufe eines Vormittags der Zeitplan durcheinander. Es ist für den Präsidenten nicht so angenehm, bei jedem sagen zu müssen: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen, Sie sind schon soundso viel Minuten über der Redezeit.
Ich wäre dankbar, wenn sich die Redner an die vereinbarte Redezeit hielten; alles andere ist unfair gegenüber denjenigen Kollegen, die sich ihrerseits an die Zeitbegrenzung halten.
Als nächster hat der Abgeordnete Börnsen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel bieten sich zur Zeit genügend Anlässe, die Bundesregierung zu kritisieren, ihr Unwahrheiten und Mißerfolge ihrer Politik vorzuwerfen und ihr dies symbolisch um die Ohren zu hauen, insbesondere wenn es um die neuen Bundesländer geht. Gerade deshalb will ich einleitend zum Thema Bundespost und zum Ausbau der Telekommunikation in der ehemaligen DDR sehr wohl zugestehen, daß die Telekom unter der politischen Verantwortung dieses Bundespostministers und auch des Kollegen Emil Schnell, SPD, ihrer Verantwortung für die DDR bis heute durchaus gerecht geworden ist.
({0})
Nach meiner Kenntnis wird im zweiten Halbjahr 1991 eine spürbare Verbesserung der Telefonversorgung zu erwarten sein, was nur auf Grund rechtzeitiger Planungsarbeiten und Investitionen möglich ist. Dafür setzt die Telekom erhebliche Mittel ein; 1991 allein 7 Milliarden DM. Das Unternehmen wird also auch der finanziellen Verantwortung gerecht, und zwar bis an die Schmerzgrenze und manchmal darüber hinaus.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Situation kann es nur als Verzweiflungstat eines überforderten Finanzministers verstanden werden, dem Unternehmen Telekom zusätzlich 2 Milliarden DM pro Jahr zu entziehen, um einen über den Wahltag hinübergelogenen Bundeshaushalt zu stopfen.
({1})
Einzelne Vertreter der Regierungsfraktionen sind darüber derart irritiert - verständlicherweise - , daß sie die Abkassierung bei der Telekom glatt ins Gegenteil verkehren und behaupten, die Belastung der Telefonkunden sei erforderlich, weil der Kommunikationsausbau in der ehemaligen DDR so teuer werde. Die Schandtat wird also geleugnet durch Umkehrung der Begründung, durch einen scheinheiligen Appell an die Opferbereitschaft der Bürger, die sich schließlich des Mißstands der Telefonverbindungen sehr wohl bewußt sind.
Aber nicht nur der Weg der Wahrheit wird hier verlassen, sondern auch der Weg der Grundsatztreue. Selten ist die Philosophie eines erst vor anderthalb Jahren beschlossenen Gesetzes so schnell verdrängt worden wie in diesem Fall. Die Trennung von hoheitlichen und betrieblichen Funktionen bei der Deutschen Bundespost, die durch das Poststrukturgesetz herbeigeführt wurde, wird mit der willkürlichen Erhöhung der Abgabe um 2 Milliarden DM ad absurdum geführt.
Somit stellt sich schon die Frage an den leider abwesenden Herrn Bundespostminister, wie er mit der Konterkarierung des von ihm persönlich so sehr forcierten Gesetzes eigentlich leben kann.
({2})
Möglicherweise kann er das dadurch, daß er selbst die Praxis des Hineinredens der Politik in die Unternehmensentscheidungen eifrig fortsetzt, nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's völlig ungeniert.
In dieser Haushaltsdebatte drängt sich geradezu ein Zitat gebrochener Wahlaussagen nach dem anderen auf, mit denen die Prinzipienlosigkeit dieser Bundesregierung dokumentiert werden kann.
Ich will dieser Versuchung widerstehen, obwohl sogar die offizielle Begründung des Poststrukturgesetzes reichlich Belege für den Glaubwürdigkeitsverlust dieser Regierung bietet.
Statt dessen möchte ich Sie auf eine ganz andere Postparodie hinweisen. Am 1. April - das ist ein zufälliges Datum - werden die Telefongebühren für die Ferngespräche gesenkt. Damit soll u. a. die Attraktivität des Industriestandorts Bundesrepublik Deutschland verbessert werden, - um dies aus den offiziellen Begründungen herauszunehmen. Voraussichtlich am 1. Juli jedoch werden die Telefongebühren für Ortsgespräche angehoben.
Ich bitte um Nachsicht: Auf diesem konzeptionslosen Hin- und Her-Wursteln eine ernsthafte Auseinandersetzung aufzubauen ist fast unmöglich.
({3})
Darf vielleicht angenommen werden, daß in der Zeit zwischen dem 1. April und dem 1. Juli, wohlgemerkt: desselben Jahres, der Standort so sehr an Attraktivität gewonnen hat, insbesondere in den fünf neuen Bundesländern, daß man sich eine solche irrwitzige Politik leisten kann?
Es ist eine mehrfache Pervertierung der regierungsamtlichen Zusagen über die notwendige Verbesserung der Infrastruktur der ehemaligen DDR, wenn einerseits dem Hauptleistungsträger, der Telekom, 2 Milliarden DM pro Jahr aus der Tasche gezogen werden und andererseits die Telefongebühren erhöht und damit die Standortbedingungen weiter verschlechtert werden.
({4})
Arne Börnsen ({5})
Angesichts dieser wählerverachtenden Politik der Bundesregierung kann es auch nicht verwundern, daß nicht einmal der gebührende Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht aufgebracht wird. Eine Gebührenveränderung setzt laut Urteil dieses Gerichts von 1984 eine entsprechende Veränderung des Leistungsangebots voraus. Dies ist nicht der Fall. Insofern mißachtet die Bundesregierung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
({6})
- Ich stelle das in aller Unschuld hier fest, Herr Pfeffermann, in Erwartung der parlamentarischen Beratung, die wir gemeinsam durchführen werden, in Erwartung auch der Anhörung, die wir selbstverständlich beantragen werden; dabei werden wir uns auch mit dem juristischen Sachverstand über dieses Argument auseinandersetzen können. Ich bitte um Geduld bis dahin. Sie werden es noch erleben.
Herr Kollege Börnsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pfeffermann?
Sicher.
Herr Kollege Börnsen, sind Sie bereit, einzuräumen, daß trotz der soeben erwähnten Passage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die damals von der SPD vorgenommene Erhöhung der Abgaben von 62/3 auf 10 Punkte insgesamt für rechtsgültig erklärt worden ist, daß also Ihr Hinweis darauf im Urteil selber Beschränkungen dergestalt erfuhr, daß unter bestimmten Bedingungen solche Erhöhungen durchaus zulässig sind?
({0})
Ame Börnsen ({1}): Herr Kollege Pfeffermann, ich darf Sie in diesem Zusammenhang an die Begründung des Poststrukturgesetzes erinnern, wo festgestellt wurde, daß die damalige Erhöhung, die Sie soeben erwähnt haben, falsch war und die Wettbewerbsfähigkeit der Bundespost auch international beeinträchtigt. Angesichts der von Ihnen selber angeführten Begründung ist es aberwitzig, wenn Sie die Abgabe um weitere 2 Milliarden DM erhöhen.
({2})
Wenn allerdings hinsichtlich der Veränderung des Leistungsangebots - dessen Verbesserung freilich angesichts der Erhöhung der Gebühren nicht festgestellt werden kann - dieselbe Argumentationskette wie hinsichtlich der von mir eingangs behandelten Telefonsteuer in Anspruch genommen wird, nämlich der Ausbau in der Alt-DDR sei nun einmal so teuer, dann müssen wir damit rechnen, daß die Gebührenanhebung vielleicht mit der gleichzeitigen Senkung des Zeittakts begründet wird.
Sie werden sich vielleicht gewundert haben, daß ich zu Beginn meiner Rede den Bundespostminister für die Ausbauleistungen in den neuen Bundesländern durchaus lobte. Dies hat neben der wahrheitsgemäßen Bewertung der Fakten eine zweite Ursache. Da er meine Würdigung der Telefonsteuer und der beschämenden Begleitumstände ohne Zweifel diesem Hohen Hause gern selber so vortragen würde, aber die Umstände ihn daran leider hindern, möchte ich dies vollziehen und seine Leiden durch dieses Lob etwas lindern.
Haben Sie schönen Dank!
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbe.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat gezeigt: In kaum einem anderen Bereich ist die Teilung Deutschlands, die getrennte Entwicklung unseres Landes seit 1945 äußerlich so deutlich zu sehen wie im Infrastrukturbereich.
Lassen Sie mich das heute wichtigste Kommunikationsmittel, das Telefon, exemplarisch herausgreifen. Während 92 % aller Haushalte im Westen 1990 ein Telefon besaßen, waren es in der DDR nur 17 %. Schlußlicht war der ehemalige Bezirk Dresden - Herr Modrow ist leider nicht da - mit 14 %.
({0})
- Ja, er hatte sicher eines.
DDR-Bürger warteten auf ein Telefon länger als auf ein Auto, und darauf wartete man schon bis zu 16 Jahren. In Greifswald wurde kürzlich ein Telefon nach 30 Jahren Wartezeit angeschlossen. 2 000 kleinere Ortschaften hatten nicht einmal eine Telefonzelle.
({1})
Besonders beschränkt wurde der Telefonverkehr zwischen beiden Teilen Deutschlands. Die Menschen sollten nicht miteinander sprechen, und wenn schon, dann überwacht. Von Ost- nach Westdeutschland - man höre und staune - gab es daher ganze 111 Te-lef onleitungen.
({2})
Keine Frage: In einer modernen und auf rasche Kommunikation angelegten Wirtschaftsordnung sind derart miserable Telefonverbindungen ein Investitionshemmnis erster Ordnung.
({3})
Besonders behindert sind Freiberufler und Mittelständler. Wichtige Geschäftskontakte müssen oftmals teuer per Telegramm abgewickelt werden, da auch die Brieflaufzeiten noch bei durchschnittlich „E + 4 " liegen.
Auch die heutzutage vielbeklagten Schwierigkeiten der öffentlichen Verwaltungen beruhen zu einem großen Teil auf den schlechten Telefonverbindungen.
({4})
Letzten Sommer konnte ich - als Landesstrukturbeauftragter für Finanzen in Dresden - den ganzen Tag
ungestört arbeiten. Niemand kam durch und konnte mich mit finanziellen Forderungen behelligen. ({5})
Herr Staatssekretär Carstens, das ist vielleicht auch ein Vorschlag für Haushaltseinsparungen. - Umgekehrt konnte aber auch ich niemanden erreichen. Auch heute noch dauert das Anbahnen von Telefongesprächen mitunter mehrere Stunden, wie mir ein Kollege erst kürzlich berichtete,
({6})
und das, meine Damen und Herren, ohne Tastentelefon, ohne Repetiertaste, noch mit der guten alten Wählscheibe. Die ostdeutschen Verwaltungen verdienen daher manchmal wirklich etwas mehr Verständnis.
({7})
Wie kommen wir aus dieser Misere heraus? Zunächst ist ganz eindeutig klarzustellen: Die Bundesregierung hat diese Misere vor fünf Monaten vorgefunden und trägt dafür wirklich nicht die geringste Verantwortung. Vielmehr gebührt der Bundesregierung Anerkennung, daß sie dem Aufbau der Kommunikation in Ostdeutschland oberste Priorität einräumt.
Nach dem 3. Oktober 1990 wurde von der Telekom ein Sofortprogramm eingeleitet. Noch 1990 wurden über 160 000 Anschlüsse neu geschaltet. Die Anzahl der Leitungen zwischen Ost und West wurde bis zum 15. Januar 1991 deutlich erhöht. Allein von der ExDDR nach Westdeutschland wurde sie von 111 auf 2 045 Leitungen verzwanzigfacht. Insgesamt bestehen jetzt 6 000 Leitungen zwischen Ost- und Westdeutschland.
Mittelfristig plant die Telekom: Bis zum Ende dieses Jahres sollen alle angeschlossenen Teilnehmer relativ problemlos telefonieren können. Zwischen Ost- und Westdeutschland sollen Ende 1991 30 000 Leitungen geschaltet sein.
Allein 1991 werden ca. 500 000 neue Telefonanschlüsse bereitgestellt. Die Zahl wird Ihnen deutlich, wenn ich Ihnen zwei Vergleichszahlen nenne: In der gesamten ehemaligen DDR gab es zum Zeitpunkt ihres Endes 1,8 Millionen Telefonanschlüsse. Jetzt werden allein 500 000 in einem einzigen Jahr neu geschaltet. In der ehemaligen DDR war es nur ein Zehntel, rund 50 000. Wir haben also eine Verzehnfachung der Neuanschlüsse zu verzeichnen.
Insgesamt sieht das Programm Telekom 2000 bis 1997 rund 55 Milliarden DM Investitionen allein in den neuen Bundesländern vor. Davon fließen 20 Milliarden DM in Montage- und Bauleistungen und schaffen bereits in diesem Jahr rund 50 000 Arbeitsplätze. Diese Zahlen sind beeindruckend. Gleichwohl müssen alle Verantwortlichen weiter nach Lösungen suchen, die Telefonmisere im Osten so schnell wie möglich zu beheben.
({8})
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu den Post- und Telefongebühren sagen, auch wenn dies nicht unmittelbar zum Bundeshaushalt gehört. - Zum 1. April 1991 wird das Porto in Ostdeutschland auf westdeutsches Niveau angehoben, sicherlich für viele Menschen im Osten angesichts der dortigen Einkommensverhältnisse nicht leicht zu verkraften. Erforderlich ist diese rasche Angleichung auf Grund der Praxis vieler westdeutscher Unternehmen, ihre Post im Osten aufzugeben. Insbesondere wenn man hört, daß sich an diesem sogenannten ReMailing auch öffentliche Institutionen beteiligt haben, bleibt ein ziemlich bitterer Nachgeschmack.
({9})
Dagegen soll der unerträgliche Zustand, daß die Telefongebühren im Osten trotz schlechterer Leistung derzeit zum Teil höher liegen als im Westen, erst zum 1. Juli 1991 behoben werden. So kostet derzeit beispielsweise ein Zweieranschluß in der ehemaligen DDR genauso viel wie ein normaler Anschluß im Westen.
Ich appelliere daher an die Telekom: Beenden Sie diese Ungerechtigkeit bitte so bald wie möglich, möglichst noch vor dem 1. Juli!
({10})
Weiter appelliere ich an die Telekom: Berücksichtigen Sie bei der Festsetzung der Telefonentgelte die noch bestehenden unterschiedlichen Einkommensverhältnisse in Ost und West!
Lassen Sie mich zuallerletzt sagen: Nicht nur bei der Festsetzung der Telefongebühren, sondern überall brauchen wir in Ost und West für die Herstellung der inneren Einheit unseres Landes sehr viel Verständnis füreinander. An manchen Stammtischen im Westen kursiert derzeit der Spruch: Die sollen endlich mal arbeiten! - An manchen Stammtischen im Osten kursiert der Spruch: Wir sind schon wieder betrogen worden. - Beides ist falsch und darf sich nicht durchsetzen. Vielmehr müssen wir erstens aufeinander zugehen, zweitens einander zuhören, drittens einander verstehen und viertens gemeinsam handeln, um die innere Einheit Deutschlands herzustellen.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Briefs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, nach längerer Zeit einmal wieder etwas zum Postbereich sagen zu können.
({0})
Solidarität, Solidarität als erstes! Unser Ausdruck der Solidarität mit den Tarifkämpfen der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst in dieser Zeit!
Die Beratung des Etats des Bundesministers für Post und Telekommunikation gibt Gelegenheit, die
Infrastrukturpolitik der Bundesregierung auf- und anzugreifen.
({1})
Nach der Abwicklung der unsozialen Postreform der letzten Legislaturperiode - in Wirklichkeit war das die Zerschlagung der Bundespost; in Wirklichkeit war das der Einstieg in die Privatisierung des Post- und Telekommunikationswesens - stehen aus der Sicht der Bürger und Bürgerinnen jetzt zwei Probleme im Vordergrund, nämlich erstens der Aufbau einer leistungsfähigen Post- und Telekommunikationsinfrastruktur im Osten - das wurde schon mehrfach angesprochen - und zweitens die weitere Informatisierung der Gesellschaft, für die die Post die Infrastruktur liefern soll.
Der Aufbau einer leistungsfähigen Post- und Telekommunikationsinfrastruktur im Osten geht nach unserer Einschätzung nach wie vor zu langsam. Eine Beschleunigung könnte insbesondere auch zusätzliche Arbeitsplätze im Osten schaffen. Notwendig wäre hierzu allerdings auch die Umstellung der nachrichtentechnischen Fertigung in der früheren DDR auf die jetzigen Bedingungen. Dazu hat weder die Bundesregierung noch die Treuhand ein Konzept entwickelt.
({2})
Die Heranziehung der hochprofitablen Telekom für die Finanzierung des Anschlusses der DDR ist finanztechnisch verständlich; es fragt sich aber, ob damit nicht andererseits wieder Mittel für den Aufbau in der DDR entzogen werden. Die Gebührenerhöhung einerseits und die Dienstleistungsverschlechterungen andererseits treffen die früheren DDR-Bürger wegen der geringeren Einkommen besonders stark.
({3})
Die Erhöhung der Postbeförderungsgebühren in der DDR auf den Stand der BRD ist eine besonders unsoziale Maßnahme in einem Land, in dem gerade die geringerverdienenden Bewohner stärker als die in der BRD auf Postdienstleistungen angewiesen sind.
Das Geschenk von 10 DM in Briefmarken für jeden Bewohner der ehemaligen DDR
({4})
mutet fast wie die berühmten Glasperlen an, die europäische Eroberer den Schwarzen im afrikanischen Busch mitbrachten.
({5})
Das üble, unsoziale Spiel des DDR-Anschlusses findet - wen wundert es - seine Fortsetzung auch auf diesem Gebiet. Die Post stellt vor allem aber auch die Infrastruktur für die Informatisierung oder Computerisierung der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zur Verfügung.
({6})
Für die Wirtschaft bedeutet das Märkte und Profite. Für die Menschen in den Betrieben bedeutet das verschärfte Rationalisierung, Abbau von Arbeitsplätzen, Kontrolle und Überwachung - die gläserne Arbeit.
Es stellen sich zunehmend Datenschutzprobleme, insbesondere im Zusammenhang mit dem ISDN-System. Aids- und Drogenberatungsstellen fürchten z. B. um die Anonymität von Drogenabhängigen und Aidsgefährdeten, die sich telefonisch an sie wenden.
Ohne Frage: Der Ausbau der Telekommunikation durch die Post macht nicht weniger, sondern mehr öffentliche Transparenz, Kontrolle und Datenschutzvorkehrungen notwendig. Das Problem ist nur: Wir beraten hier nicht über den Postetat, nach dem jährlich zirka 20 Milliarden DM - vorwiegend in die Telekommunikationsinfrastruktur - investiert werden.
({7})
Der Postetat ist der Beratung durch dieses Parlament
entzogen. Das ist seit der Kaiserzeit so, und dies ragt
insofern in die zweite oder dritte deutsche Republik.
Ein zunehmend bedeutsamer werdender Teil der staatlichen Politik ist, so der parlamentarischen und der öffentlichen Transparenz und Kontrolle entzogen. Diesem undemokratischen Zustand müssen wir in der Zukunft ein Ende setzen.
Danke schön.
({8})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Kollege Briefs hat sicherlich in einem Punkt recht, nämlich daß das, was wir hier diskutieren, nicht unbedingt mit dem Einzelplan 13 zusammenhängt. Aber, Herr Kollege Briefs, was Sie nun zu den dringend notwendigen Aufgaben in den neuen deutschen Ländern gesagt haben - ich glaube, das haben Sie auch an der Reaktion des Hohen Hauses gemerkt - , das gehörte nun absolut nicht hierher.
({0})
Sie dürfen sich hier gerne über Datenschutz und alles mögliche unterhalten. Aber wenn man sich bei der Haushaltslesung darüber unterhält, was jetzt notwendig ist, dann - ich denke, das haben die Vorredner deutlich gemacht - muß es darum gehen, jetzt einen schnellen und sicheren Aufbau eines vernünftigen Kommunikationssystems zu schaffen.
({1})
- Ja, wissen Sie, dann sollten Sie sich bei denen, zu denen Sie übergelaufen sind und bei denen Sie jetzt sitzen, einmal erkundigen, wer eigentlich die Zustände angerichtet hat, die wir vorgefunden haben.
({2})
Dann hätten wir es alle viel leichter, miteinander zu diskutieren.
Herr Kolbe hat Ihnen doch so eindringlich vorgeführt: Früher wurden dort ganze 30 000 Anschlüsse im Jahr gebaut. Insgesamt haben sie in all der langen Zeit bis zum letzten Jahr 1,8 Millionen Anschlüsse zusammengebracht. Nun werden jährlich zunächst 500 000 Anschlüsse steigend bis auf etwa 800 000 bis 1,2 Millionen Anschlüsse in 5 Jahren gebaut. Was das bedeutet, sollten Sie aus Ihrer früheren Tätigkeit im Postausschuß noch wissen. Das waren die Zahlen, die beim Aufbau für die gesamte alte Bundesrepublik jährlich zugrunde lagen. Jetzt erreichen wir diese Zahlen allein in den neuen Ländern.
Ich bin auch dem Kollegen Börnsen dankbar, daß er mit herausgestellt hat, daß wir zu einem so frühen Zeitpunkt in der Lage waren, wenigstens mit einem Teil der DDR-Regierung - nämlich mit dem Postminister ({3})
schon das zu übertragen, was wir im Poststrukturgesetz vorgesehen hatten, nämlich die Unternehmen in die Lage zu versetzen, sehr schnell zu einem vernünftigen Aufbau von Telekommunikationsnetzen zu kommen. Das war dringend notwendig.
({4})
- Nun weinen Sie doch nicht die ganze Zeit darüber, daß der Postminister nicht da ist!
({5})
- Lieber Herr Schäfer, ich erkläre es Ihnen. Keine Aufregung! - Ich habe Ihrer Geschäftsführung ausdrücklich mitgeteilt, daß der Postminister dringende Termine auf der CeBIT wahrzunehmen hat. Wir sollten uns darüber wirklich nicht unnütz aufregen.
Im übrigen: Wenn Sie meinen, noch das eine oder andere an Kritik anbringen zu müssen, dürfen Sie es ruhig an mich herantragen. Sie können sicher sein: Ich werde sie berücksichtigen.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, der Kollege Schäfer versucht dies gerade. Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?
Aber gern.
Würden Sie so freundlich sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir den Herrn Bundespostminister überhaupt nicht vermissen, sondern im Gegenteil froh sind, Sie statt seiner hier sprechen zu hören? Das war der Gegenstand unserer Intervention.
({0})
Diese Art von netten Ermunterungen sollten Sie ruhig unterlassen; denn Sie werden es mit Sicherheit nicht fertigbringen, zwischen dem Postminister und mir auch nur den geringsten Gegensatz hervorzurufen. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich, gemeinsam mit Teilen der Opposition - sie denken in der Frage genauso wie ich -, insbesondere aber mit der Regierungskoalition, halte ihn für den besten Postminister, den wir je gehabt haben.
({0})
Nun, denke ich, sollten wir in der Debatte fortfahren. Ich habe sehr viel Verständnis für den Kollegen Börnsen, wenn er bemerkt, daß ihn die Ablieferung der 2 Milliarden DM, die nun zusätzlich, wohlgemerkt aber auf eine begrenzte Zeit, erfolgen soll, ein wenig ärgert. Lieber Herr Kollege Börnsen, Sie haben auch uns geärgert. Wir leben aber in außergewöhnlichen Zeiten. Da muß es gestattet sein, daß ein Unternehmen, das sich im Bundeseigentum befindet und über gute Finanzen verfügt, auch einmal in dieser Form herangezogen wird. Ich denke, Sie werden wenigstens zu würdigen wissen, daß der von Ihnen vorhin ein bißchen kritisierte Minister die zunächst an ihn gerichteten Forderungen ganz erheblich zurückgeschraubt hat. Das wissen Sie aber aus der Diskussion viel besser als ich.
Nur, als Opposition würde ich, lieber Herr Kollege Börnsen, außerordentlich zurückhaltend sein, wenn es darum geht, die Verfassungsmäßigkeit zu strapazieren. Sie haben doch in den Jahren 1979 und 1980 von diesem Unternehmen zunächst Sonderablieferungen von 1,1 Milliarden DM, dann von 1,5 Milliarden DM gefordert. Dann haben Sie das getan, was Herr Kollege Pfeffermann vorhin schon kritisch eingeworfen hat: Sie haben die Gesamtablieferung - das baut sich von Jahr zu Jahr weiter auf - um glatt 50 Prozent erhöht.
Vor diesem Hintergrund sollten Sie mit Ihrer Kritik außerordentlich zurückhaltend sein.
({1})
Sie würden dann ja nur sagen: Wir haben eine Sünde begangen, und ihr macht die nach. Wir machen die aber nicht nach. Wissen Sie, warum nicht? Sie haben das Verfassungsgericht falsch zitiert. Das Verf assungsgericht hat an dieser Stelle gesagt: Wichtig ist nur, daß eine angemessene Gegenleistung entgegensteht.
Nun wissen wir beide noch nicht, wie die Gebührenerhöhungen aussehen werden. Ich denke aber, wir werden uns beide sicherlich darin einig sein, daß wir auf den Vorstand des Unternehmens Deutsche Bundespost Telekom einwirken werden und ihn bitten werden, die notwendigen Erhöhungen, die den Betrag ausmachen oder darüber hinausgehen, so auszurichten, daß sie einerseits sozialverträglich sind und andererseits die notwendigen strukturellen Anpassungen zur Veränderung der Telefongebühren, von denen Sie auch schon gesprochen haben, für die Zukunft nicht tangieren, sondern erst recht gewährleisten. Wenn wir uns in diesem Punkt einig sind, bin ich ganz sicher, daß wir auch weiterhin zu einer guten
Zusammenarbeit kommen werden, die Sie lobend erwähnt haben.
Nun habe ich in der Tat Verständnis dafür, Herr Kollege Kolbe, wenn Sie ein bißchen kritisch noch auf die Gebührenerhöhung beim Briefdienst hinweisen. Aber, meine Damen und Herren, ich will die Zeit nicht überstrapazieren. Jeder weiß, daß neben den Telekommunikationsdiensten die reinen Postdienste in den neuen Ländern in einem derart desolaten Zustand waren, daß wir dies so nicht weiter hinnehmen konnten.
Hier ist der Ausdruck „Re-Mailing" gefallen. An sich paßt er nicht, weil ReMailing nur über Staatsgrenzen hinweg möglich ist. Aber hier ist in breitestem Umfang dadurch Mißbrauch getrieben worden, daß wir ein Gebiet hatten, in dem die Gebühren niedriger waren als in dem anderen. Nun mußte dies in irgendeiner Form abgestellt werden, einmal weil das Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienste dadurch Ausfälle von vierteljährlich 300 Millionen DM hatte; aber das hätte man ja vielleicht noch verkraftet. Doch viel schlimmer war - Herr Börnsen, das wissen Sie genau, und Herr Kolbe, ich will es an Ihre Adresse sagen - : Der Postdienst in den neuen Ländern wäre total zusammengebrochen, wenn wir dies nicht abgestellt hätten. Wir hatten gesetzlich dazu leider keine Handhabe. Ich kritisiere mit Ihnen - da bin ich voll dabei - diejenigen, die den Mißbrauch betrieben haben.
Ich will in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe ja Verständnis für die psychologische Seite der Aufnahme von Maßnahmen, die man treffen muß. Aber wir sollten uns alle bemühen, den Ausgleich, den wir jedem Bürger ab 18 Jahre in den neuen Ländern in Form von 10 DM geben, damit er im ersten Jahr nicht so belastet wird, nicht als Almosen hinzustellen. Ich denke, das hilft, diese Maßnahme erträglich zu machen. Es versetzt vor allen Dingen auch die Deutsche Bundespost Postdienste in die Lage, nicht nur den Briefdienst zu verbessern, sondern auch ihr neues Frachtkonzept möglichst schnell auch in den neuen Ländern umzusetzen, damit die Bürger in den neuen Ländern möglichst bald nicht nur über gute Telekommunikationsdienste, sondern auch über andere gute Postdienste verfügen. Wenn wir uns in diesem Bestreben einig sind, dann - dessen bin ich mir ganz sicher - werden wir alle eine gute Arbeit leisten.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte über Infrastrukturbereiche des Bundeshaushalts ist wiederholt - und ich meine auch, zu Recht - von der politischen Herausforderung gesprochen worden, der wir uns, bedingt durch die deutsche Einheit, zu stellen haben. In der Tat hat der Herr Bundeskanzler alle politischen Kräfte eingeladen, an dieser großen Gemeinschaftsaufgabe mitzuwirken.
Aber heute morgen ist deutlich geworden, daß es dabei auch einige Mißverständnisse gibt; denn, meine
Damen und Herren, mit den gescheiterten Rezepten der Opposition von vorgestern, mit einer polemischen Auseinandersetzung über anstehende Fragen und mit einem völlig verengten Blickfeld der Opposition werden wir diese Gemeinschaftsaufgabe jedenfalls nicht lösen können.
({0})
Es kommt uns jetzt zugute, daß die Bundesregierung bereits vor Jahren mit der früheren Regierung der DDR immer wieder versucht hat, Projekte, die im Sinne der Deutschen in Ost und West lagen, voranzutreiben. Hier hat es sowohl im Bereich des Verkehrs - ich denke an den Autobahnbau - als auch im Bereich der Umwelt einige Beispiele gegeben, wo Projekte realisiert werden konnten, zum Teil aber auch in ein bestimmtes Planungsstadium gebracht wurden. Insofern ist kostbare Zeit genutzt worden; denn wir wissen alle, daß es besonders in bestimmten sensiblen Bereichen, wie etwa der Umwelt, keine Schonfristen geben kann. Meine Damen und Herren, gerade im Hinblick auf den Umweltbereich sage ich hier, daß wir auch aus Gründen des Umweltschutzes die deutsche Einheit nicht schnell genug, nicht früh genug verwirklichen konnten.
Die Bestandsaufnahmen in allen Bereichen der Politik sind bedrückend. Mehr als vier Jahrzehnte sozialistischer Mißwirtschaft haben tiefe Spuren hinterlassen, und wir haben es nun in der Tat mit einer großen Erblast zu tun.
({1})
- Niemand, lieber Herr Kollege Struck, vermag mit letzter Sicherheit zu sagen, welchen Finanzbedarf wir für diese Erblast haben. - Ich weiß ja, daß das ein Reizwort für Sie ist, weil Sie uns auch schon einmal eine solche Erblast, allerdings in anderer Dimension, hinterlassen haben.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja nicht nur der Finanzbedarf, den keiner von uns exakt voraussagen kann, sondern es ist auch der notwendige Zeitaufwand, der sich heute letztendlich noch nicht greifen läßt.
Die Ungeduld der betroffenen Menschen im Osten Deutschlands ist zu Recht groß, weil man erkannt hat, daß die Aufarbeitung der verkommenen und heruntergekommenen Infrastruktur und die Beseitigung der Umweltschäden nicht nur dem Gesundheitsschutz dienen, sondern auch eine wichtige Voraussetzung dafür sind, daß der wirtschaftliche Wiederaufbau vorankommt.
Nur, meine Damen und Herren, hier sei die Warnung - auch an die Opposition - angebracht,
({3})
daß man keine Illusionen über den Zeitaufwand, der
erforderlich ist, verbreiten sollte. Wer alles auf einmal
will, wer alles möglichst morgen schon total in einen
perfekten Zustand bringen will, weckt völlig falsche Erwartungen. Dies führt letztendlich nur zu Resignation der Betroffenen.
({4})
Die Bundesregierung hat nicht nur Konzepte erarbeitet, sondern sofort gehandelt. Wir haben - heute morgen wurde das von Bundesumweltminister Töpfer überzeugend dargestellt ({5})
eine Vielzahl von Projekten auf den Weg gebracht.
({6})
- Nein, Herr Kollege Lennartz. Wir haben gerade im Bereich der Sofortmaßnahmen die 500 Millionen DM, von denen der Minister heute morgen gesprochen hat, auch bereits ausgegeben. Ich sage einmal: Es kommt nicht nur darauf an, Geld bereitzustellen.
({7})
Über die Höhe kann man ja streiten. Da streite ich mit Ihnen auch. Ich sage auch: Das könnte hier und da vielleicht noch mehr sein. Es kommt darauf an, daß das Geld, das wir bereitstellen, auch ausgegeben wird.
({8})
Da hier heute morgen davon gesprochen wurde, daß bei der Übergabe von Schecks an Bürgermeister der eine oder andere strammgestanden hat, Herr Kollege Lennartz,
({9})
sage ich einmal: Der von uns allen so geschätzte frühere Kollege Kühbacher läßt jetzt nicht nur die Bürgermeister, sondern auch die Landräte strammstehen
({10})
und vergißt den Befehl „Rühren und Wegtreten" ; denn er versucht, aus unserem Programm, aus unserem 500-Millionen-Programm Soforthilfe - ({11})
- Herr Kühbacher versucht, aus unserem 5-Milliarden-Programm ein völlig neues Länderprogramm in Funktion zu setzen. Er scheut sich nicht, ein umständliches, langwieriges Antragsverfahren zu entwickeln und
({12})
die Bürgermeister und Landräte mit Planungsvorgaben zu konfrontieren, so daß schon heute in Brandenburg - horchen Sie herum! - viele Bürgermeister resignieren und sagen: Diese Soforthilfe wird an uns vorbeigehen.
({13})
Es sind insbesondere die Bürgermeister, die bei vorangegangenen Windhundverfahren leer ausgegangen sind.
({14})
Wenn wir einen Soforteffekt wollen, dann können wir
es nicht zulassen, daß Länderfinanzminister in den
neuen Bundesländern neue bürokratische Hürden aufbauen. Diese müssen sofort verschwinden.
({15})
Meine Damen und Herren, dem Mittelabfluß kommt bei dem gesamten Wiederaufbau in den neuen Bundesländern eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Das gilt für jeden Etat - vielleicht in der Größenordnung ein bißchen anders -, aber was den Umweltbereich betrifft, wissen wir, daß Investitionen in Höhe von 1 Milliarde DM etwa 100 000 Arbeitsplätze sichern oder neu schaffen werden. Jeder kann sich ausrechnen, was das in der Gesamtheit bei den vorgesehenen Investitionen im Bundeshaushalt 1991 nun ergibt.
Eine ganz besondere Bedeutung kommt bei den Projekten, die wir jetzt vorgesehen haben, den Gemeinschaftsprojekten zu, die sich ländergrenzübergreifend sozusagen über den früheren Zonenrand und das alte Sperrgebiet hin erstrecken.
Hier gibt es eine Fülle von Beispielen dafür, daß Gemeinden aus Ost und West zusammen Klärwerke planen und die Trinkwasserversorgung gemeinsam sicherstellen wollen. Ich meine, daß dies auch für den Straßenbau und viele andere Bereiche gilt und daß wir dies mit Nachdruck unterstützen sollten. Denn wenn das Zusammenwachsen Deutschlands in diesem Bereich, an der Verknüpfungsstelle, nicht funktioniert, dann wird es auch auf Sicht Schwierigkeiten geben, das Zusammenwachsen insgesamt in einer absehbaren Zeit sicherzustellen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß der Staat, d. h. die Bundesrepublik, in ganz großem Maße gefordert ist, finanziell, aber auch in anderer Hinsicht. Diese Herausforderung werden wir nur bestehen können, wenn wir weiterhin auf dem Boden unserer Sozialen Marktwirtschaft arbeiten; denn wir wissen, was diese Soziale Marktwirtschaft auch in der Vergangenheit an exzellenten materiellen Grundlagen für unsere Infrastrukturen geliefert hat.
Schönen Dank.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Arbeitsminister, die Debatte über den Haushaltsplan Ihres Hauses ist angesichts der dramatischen Situation vor allem unter Berücksichtigung der sozialen und hier insbesondere der Arbeitsmarktentwicklung in den ostdeutschen Ländern zu führen. Niemand bestreitet, daß für den ruinösen Zustand der neuen Länder in erster Linie die ehemaligen Machthaber, im übrigen unter maßgeblicher Beteiligung der Blockparteien CDU ({0}) usw., verantwortlich sind.
Niemand kann aber auch ernsthaft bestreiten, daß die Bundesregierung durch falsche Versprechungen, wählerwirksame Ankündigungen und zögernde Un920
tätigkeit, die gelegentlich mit konzeptioneller Unfähigkeit einhergingen, ganz erheblich eben zu dieser massiven Verschärfung beigetragen hat, vor der sie heute mal ratlos, mal sprachlos steht.
({1})
Schon die plumpe Hoffnung des Bundeskanzlers, die rasche Einführung der marktwirtschaftlichen Ordnung werde für alle zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensverhältnisse führen, verkannte die grundlegende Erkenntnis, daß selbst funktionierende Marktwirtschaften aus sich selbst heraus weder sozial noch ökologisch sind. Aufgabe der Politik ist es vielmehr, durch das Setzen von Rahmenbedingungen und durch Interventionen den wirtschaftlichen Prozeß sozial und ökologisch verträglich zu gestalten. Das bloße Vertrauen auf die sogenannten Selbstheilungskräfte des Marktes hat noch nie und nirgendwo zu einer sozial gerechten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung geführt.
({2})
Es kann daher nicht überraschen, daß die Bundesregierung das doppelte Vereinigungsmotiv der Menschen in der ehemaligen DDR, nämlich das Streben nach demokratischen Freiheitsrechten und die rasche Teilhabe am sozialen Wohlstand durch produktive Arbeit, auf den Aspekt der Freiheit verkürzte. Wie und warum soll eigentlich die soziale Frage in den ostdeutschen Ländern ins Blickfeld geraten, wenn in den nunmehr neun Jahren konservativer Regierungszeit in der alten Bundesrepublik die Sozialpolitik ein dürftiges Mauerblümchendasein fristete?
({3})
Einige wenige Beispiele mögen die These belegen, daß konservativ-liberale Regierungspraxis in zentralen sozialpolitischen Feldern schlichtweg versagt hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, gerne.
Natürlich nicht.
Herr Kollege Schreiner, ich will Sie fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß das eben zitierte Mauerblümchen, die Summe aller sozialen Leistungen, beitrags- und steuerfinanziert, fast ein Drittel des Bruttosozialprodukts ausmacht. Ist das nicht ein großes Mauerblümchen?
Lieber Herr Kollege Cronenberg, „ein Drittel des Bruttosozialprodukts" ist eine wenig aussagekräftige Zahl, weil darin z. B. auch die Ärzteeinkommen und die Einkommen in anderen Bereichen stecken. Es läßt sich füglich darüber diskutieren, ob dies in der Tat eine Größenordnung ist, die über die sozialen Leistungen der Bundesregierung Auskunft geben kann.
({0})
Ich werde versuchen, meine These mit einigen Beispielen zu erhärten. Weil eine entsprechende soziale Sicherung fehlt, Herr Blüm, führt das Lebensrisiko der Pflegebedürftigkeit geradezu zwangsläufig zur Verarmung der Betroffenen. Auf dem Feld der Pflegesicherung nimmt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich die unrühmliche Position eines Schlußlichtes ein. Sie tragen die rote Laterne am Ende des internationalen Zuges.
Die Unterversorgung im Bereich der Arbeit äußert sich auch in Westdeutschland nicht nur als Arbeitslosigkeit, hier vor allem als Langzeit- und Mehrfacharbeitslosigkeit; gleichermaßen schwerwiegend ist die zunehmende Polarisierung der Beschäftigung durch die von der Bundesregierung geförderte Ausbreitung von mehr oder weniger drittklassigen Beschäftigungsverhältnissen, bei denen ein voller arbeits- und sozialrechtlicher Schutz nicht gewährleistet ist. Etwa 30 % aller Erwerbstätigen im Westteil der Republik sind heute schon mit solchen Sonderbeschäftigungsverhältnissen wie Teilzeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung, befristeter Arbeit, Leiharbeit oder Scheinselbständigkeit konfrontiert,
({1})
wobei je nach Art der Beschäftigung unterschiedliche ökonomische und soziale Folgen festzustellen sind.
Die Maßnahmeprogramme der sozialliberalen Koalition zur Humanisierung der Arbeit wurden von der jetzigen Regierung nach einer Schamfrist Zug um Zug eingemottet und spielen heute überhaupt keine Rolle mehr. In wachsendem Maße wollen die Menschen einer sinnvollen Arbeit nachgehen, einer Arbeit, die weder physisch noch psychisch zerstört, die dem arbeitenden Menschen die Möglichkeit gibt, sich selbst einzubringen und weiterzuentwickeln. Die modernen Arbeitsprobleme, vor allen Dingen steigende nervliche und psychische Belastungen, Streßsituationen bedürfen dringend einer angemessenen Antwort im Sinne humaner Arbeit.
Die unteren Arbeitsgruppen, Herr Blüm, leben auf Grund häufig ungünstiger Arbeitsbedingungen und unzureichenden Arbeitsschutzes im Vergleich zu anderen Bevölkerungsteilen nicht nur gefährlicher und ungesünder, sondern auch kürzer. Chronische Erkrankungen führen häufig zu materieller Verarmung.
({2})
Schließlich ein weiteres Beispiel: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger im Westteil der Republik hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt.
({3})
Betroffen sind überwiegend Alleinstehende, Alleinerziehende, Frauen, alte Menschen, Behinderte und Ehepaare mit Kindern. In den westlichen Bundesländern leben alleine zirka 6 Millionen Menschen - das sind etwa 10 % der Bevölkerung - an oder unterhalb
der Armutsschwelle, wenn man, wie in der Altersforschung üblich, die Armutsschwelle bei etwa 50 % des durchschnittlich verfügbaren Einkommens ansetzt.
({4})
- Ich habe Ihnen soeben gesagt, daß nach Einschätzungen der bundesdeutschen Wohlfahrtsverbände etwa 6 Millionen Menschen allein im Westteil der Republik an oder unterhalb der Armutsschwelle leben. Das ist eine Zahl, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie so groß war. Das ist ein Armutszeugnis allerersten Grades, vor allen Dingen für den Bundesarbeitsminister und für das Arbeitsministerium.
({5})
Meine Damen und Herren, die genannten Probleme lassen sich nicht mit dem Sozialstaatlichkeitsanspruch der bundesdeutschen Gesellschaft in Einklang bringen.
Herr Kollege Schreiner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - Bitte schön.
Sie sprachen von Menschen, die in der Bundesrepublik unterhalb der Armutsgrenze leben. Könnten Sie uns vielleicht sagen, wie vielen Menschen in der Bundesrepublik es bis 1989 so schlecht ging, daß sie in die DDR ausgewandert sind?
({0})
Lieber Kollege, ich werde gleich auf die besondere Problemlage in der ehemaligen DDR zu sprechen kommen.
({0})
Worum es mir aber geht, ist, deutlich zu machen, daß eine Bundesregierung, die tatenlos hingenommen hat, daß sich im westlichen Teil der Bundesrepublik Massenarmut ausbreiten konnte, die sozialen Probleme im Osten gar nicht in den Blick bekommen konnte und daß die Entwicklung drüben wesentlich damit zusammenhängt, daß eine nennenswerte Sozialpolitik in dieser Bundesregierung seit Jahr und Tag gar nicht mehr stattfindet.
({1})
Herr Abgeordneter Schreiner, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Krause?
({0})
Auf ziemlich alberne Fragen können Sie keine besonders intelligenten Antworten erwarten.
({0})
Lieber Kollege, das werden Sie im Laufe der Zeit hier noch lernen.
({1})
- Nun seien Sie doch einmal etwas friedlicher! Ich behandele Sie heute ausgesprochen zuvorkommend, wiewohl Sie es eigentlich nicht verdient haben.
({2})
- Jetzt fängt der Herr Kollege Cronenberg an zu kreischen. Ich hatte Sie im Augenblick gar nicht im Blickfeld.
({3})
- Ja, das ist etwas ganz Neues, gewissermaßen ein neues Erlebnis.
Meine Damen und Herren, die sich abzeichnenden Spaltungs-, Ausgrenzungs- und Verarmungsprozesse stehen darüber hinaus in einem eklatanten Widerspruch zu der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland auch nach der deutschen Einheit eines der reichsten Länder der Erde ist.
Die Entwicklung der letzten Monate insbesondere in den ostdeutschen Ländern zeigt, daß der Weg in eine gespaltene Gesellschaft durch eine Vielzahl neuer Unterversorgungserscheinungen im Gebiet der ehemaligen DDR aller Voraussicht nach weiter beschleunigt wird.
Meine Damen und Herren, die aktuellen Eckdaten vom Februar 1991 der Bundesanstalt für Arbeit für die ostdeutschen Länder lassen erkennen, in welch ungeheurem Maße die Menschen dort aufgewirbelt werden. Die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen beläuft sich auf ca. 800 000. Die Zahl der Kurzarbeiter steigt weiter an und erreicht die Zwei-Millionen-Grenze. Der Anteil derjenigen, die innerhalb der Kurzarbeit weniger als 50 % der Arbeitszeit oder gar nicht arbeiten, steigt ebenfalls sprunghaft an. Zirka 700 000 Frauen und Männer sind in der „Abwicklung" ; ein Wort, das an Entsetzlichkeit gewinnt, je mehr es zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört.
({4})
Zirka 500 000 Ältere haben der Alternative Vorruhestand und Altersübergangsgeld den Vorzug gegeben.
Vermutlich 200 000 pendeln täglich nach Berlin und
in erreichbare Westregionen. Berichtet wird von bis zu sechsstündigen Pendelzeiten.
Der Strom der dauerhaften Abwanderung aus Ostdeutschland dauert an, vermutlich etwa 400 000 Männer und Frauen allein im abgelaufenen Jahr. Der Abbau von Industriearbeitsplätzen hält unvermindert an. Absehbar ist der Verlust jedes zweiten Arbeitsplatzes. In der Landwirtschaft wird die Zahl der bestehenden Beschäftigungsverhältnisse prozentual noch stärker abgebaut. Ihre Zahl beläuft sich in kurzer Zeit vermutlich auf etwa 500 000.
Meine Damen und Herren, diese Entwicklung war seit langem absehbar. Bundesminister Blüm selbst hat am 11. Februar 1991 im „Handelsblatt" auf die dramatische Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland hingewiesen. Herr Blüm, ich sage Ihnen: Spät, viel, viel zu spät.
({5})
Das „Handelsblatt" kommentierte in der gleichen Ausgabe Ihren Artikel wie folgt - ich zitiere Nun ist es wahr, daß der Damm gebrochen ist und das Wasser den ostdeutschen Mitbürgern schon bis zum Halse steht. Nicht ohne Not werden die Sturmglocken geläutet. Schlimm ist nur, daß man der Bevölkerung bis vor kurzem immer wieder versichert hat: Das historische Ereignis der deutsch-deutschen Wiedervereinigung werde eine lustige Kahnpartie sein, kurz und schmerzlos, und Regenbekleidung sei auch nicht notwendig. Niemand müsse rudern, es genüge, den Kahn ein wenig „anzuschieben" . Wer von Steuer- und Abgabenerhöhungen spreche, offenbare nur seine Krämerseele.
So weit das „Handelsblatt" . Weiter:
... der Bundesarbeitsminister hätte schon weit vor der Bundestagswahl sagen können und müssen, was Norbert Blüm heute schreibt.
({6})
Meine Damen und Herren, es ist in der Tat bedrükkend, aber nicht verwunderlich, daß sich angesichts dieser bisher nicht vorstellbaren Entwertung von Arbeit in Ostdeutschland Stimmen und Stimmungen häufen, die sich nach jenem Maß bescheidenster sozialer Geborgenheit in der Arbeit zurücksehnen, die für die früheren Zustände charakteristisch war.
({7})
Gerade die Sozialdemokraten wissen, daß Arbeit das Herzstück sozialer Bezüge ist. In unserem Berliner Grundsatzprogramm heißt es:
Die Erwerbsarbeit hat zentrale Bedeutung für das Bewußtsein und Selbstbewußtsein der Menschen. Sie vermittelt Selbständigkeit und soziale Anerkennung, bestimmt Lebensbedingungen und Entfaltungschancen, erleichtert gesellschaftliches und politisches Engagement, sichert materielle Unabhängigkeit.
So weit das Zitat.
Gerade weil wir wissen, daß Arbeit eine entscheidende Dimension des menschlichen Daseins ist, ist für uns humane Arbeit für alle ein wesentliches Ziel unserer politischen Arbeit. Unsere Kritik an der Bundesregierung konzentriert sich auf drei Felder: Die Maßnahmen für Ostdeutschland kommen zu spät, sie sind unzureichend, ihre Finanzierung widerspricht allen Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit.
({8})
Die erste Kritik hilft den Menschen in Ostdeutschland nicht. Dennoch kann der Bundesregierung der Hinweis nicht erspart bleiben, daß der gigantische Problemberg auf dem Arbeitsmarkt auch darauf zurückzuführen ist, daß trotz zahlreicher Warnungen die Bundesregierung über viele Monate hinweg nahezu gänzlich untätig geblieben ist.
Zwei knappe Beispiele mögen dies erläutern. Die ehemalige DDR-Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. Regine Hildebrandt - und mit ihr damals die gesamte SPD - , forderte bereits im Sommer vergangenen Jahres die Einrichtung von Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaften, um die bereits damals absehbaren Arbeitsmarktprobleme sozial einigermaßen verträglich gestalten zu können. Gerade die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben in den westlichen Bundesländern gelehrt, daß Beschäftigungsgesellschaften, in denen umgeschult, fortgebildet und qualifiziert wird, eine höchst sinnvolle Alternative zur Arbeitslosigkeit sind.
Wichtig ist aber auch der menschliche Aspekt, daß der einzelne nicht auf einen höchst ungewissen Arbeitsmarkt entlassen wird, sondern gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen seines Betriebes, also in den angestammten sozialen Beziehungen, versucht, eine Arbeitsperspektive für später aufzubauen. Bislang ist auf diesem Feld in den ostdeutschen Ländern nichts geschehen. Ich entnehme der „Saarbrücker Zeitung" vom 11. März dieses Jahres, also von vor wenigen Tagen, daß die Gründung von Beschäftigungsgesellschaften nach Überlegungen von Bundesminister Blüm zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland beitragen soll.
({9})
Da ist man ja erst mal sprachlos. Da ist doch die Frage erlaubt, Herr Blüm: Warum erst jetzt?
({10})
Warum erst jetzt, nachdem bereits im frühen Sommer vergangenen Jahres Frau Hildebrandt und viele andere mehr auf die Sinnhaftigkeit von Beschäftigungsgesellschaften hingewiesen haben? Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung über lange Monate hinweg entsprechende Ratschläge der SPD in den Wind geschlagen? Wie sieht nunmehr Ihr Konzept aus? Es ist ja erstaunlich genug, daß sich nicht nur in dieser Frage, sondern in vielen anderen Fragen mehr Bundesminister Blüm nach einer gewissen Pause den Vorschlägen der SPD anzuhängen versucht - anzuhängen versucht in Form von Verbalaktionismus. Passieren tut dann letztlich doch nichts. Dafür gibt es Dutzende von Beispielen.
Ich will ein anderes Beispiel nennen. Gegenwärtig befinden sich in den ostdeutschen Ländern etwa 47 000 Personen in sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit. Diese Zahl von 47 000 ist angesichts millionenfacher Arbeitslosigkeit, wenn man die Kurzarbeit Null einrechnet, kümmerlich genug. Die Bundesanstalt für Arbeit schlug bereits am 8. Juni vorigen Jahres ein arbeitsmarktpolitisches Eventualprogramm für den Anpassungsprozeß in der DDR vor. Zur Begründung heißt es in dem Papier vom 8. Juni 1990 - ich zitiere - :
Der Anpassungsprozeß führt zu Freisetzungen von Arbeitskräften aus bisherigen Verwendungen. Aufbau neuer und Abbau alter Arbeitsplätze werden möglicherweise nicht so parallel verlaufen, daß die Beschäftigung konstant bleibt. Sollte der Beschäftigungseffekt der öffentlichen Anschubprogramme nicht in erforderlichem Maße, nur verzögert oder mangels privatwirtschaftlicher Inanspruchnahme kaum eintreten, ist das geplante Eventualprogramm unverzüglich in Kraft zu setzen.
So die Bundesanstalt für Arbeit vom 8. Juni vergangenen Jahres.
Nun, Herr Blüm, die reale Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR hatte bereits im September 1990 1,5 Millionen von 8,8 Millionen Beschäftigten erreicht, wenn man die registrierten Arbeitslosen und die Kurzarbeiter, die mit Null beschäftigt waren, zusammenrechnet. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte die Bundesregierung auf das Eventualprogramm der Bundesanstalt für Arbeit zurückgreifen müssen.
({11})
Es lag ein ausgefeiltes, in sich stimmiges, geschlossenes Konzept vor,
({12})
spätestens ab diesem Zeitpunkt.
Die Bundesanstalt schätzte die Kosten des Eventualprogramms damals pro Jahr auf etwa 5 Milliarden DM bei einem arbeitsmarktpolitischen Entlastungseffekt von ca. 250 000 Personen. Das Eventualprogramm der Bundesanstalt vom 8. Juni 1990 ist - welch ein Zufall! - in groben Zügen identisch mit den Maßnahmen der Bundesregierung, die jetzt im Zuge des sogenannten Gemeinschaftswerks Aufschwung-Ost in Gang gebracht werden sollen, mit einem allerdings fundamentalen Unterschied: Im Gegensatz zu den Absichten der Bundesanstalt hat die Bundesregierung über neun Monate hinweg die Probleme schlichtweg verschlafen und untätig zugeguckt.
({13})
Das wirft die Frage auf: Warum? Warum haben die Koalitionsfraktionen - ich kann Ihre Unruhe verstehen - über neun Monate geschlafen, schlichtweg die Entwicklung verpennt?
({14})
Ich glaube, meine Damen und Herren, der Grund ist einfach zu finden. Der Grund ist ein sehr einfacher. In der Vorphase des Wahlkampfes - damals war Vorphase des Wahlkampfes - und erst recht im Wahlkampf selbst hatten Sie nicht den Mut, den Menschen in Westdeutschland klarzumachen, daß ohne zusätzliche Staatseinnahmen die bitter notwendige solidarische Hilfe für die Menschen in der ehemaligen DDR nicht zu finanzieren ist.
({15})
Mit anderen Worten: Ihr Kneifen vor der Wahrheit hat viele, viele Opfer. Damals, als es an der Zeit war, hatten Sie nicht den Mut, Solidarität einzufordern.
({16})
Die Lage würde sich heute völlig anders darstellen.
Ich nenne diejenigen, die auf der Wegstrecke geblieben sind, weil diese Bundesregierung schlicht und einfach gekniffen hat: zuallererst viele Menschen in Ostdeutschland, die, statt von selbstquälerischer Verzweiflung geplagt, heute längst in Brot und Arbeit sein könnten. Sie haben den bittersten Preis für das feige Sichverstecken der Bundesregierung zahlen müssen.
Zweitens gehören die Bürgerinnen und Bürger in Westdeutschland dazu, die Sie in übelster Weise mit dem Kernspruch Ihrer Wahlkampfführung hintergangen haben, mit Steuererhöhungen und anderen zusätzlichen Belastungen sei nicht zu rechnen.
Drittens ist damit einhergehend auch unsere Demokratie auf der Strecke geblieben, der Sie mit dem größten Wahlbetrug in der Nachkriegsgeschichte einen Bärendienst erwiesen haben.
({17})
Sie haben die Gebote der Solidarität und der Solidität sträflichst verletzt.
({18})
- Zu Ihrem Zwischenruf muß ich sagen: Wer glaubt, zu jedem und zu allem seinen Senf dazugeben zu müssen, den hält man bald selbst für ein kleines Würstchen. Das ist eine alte Erkenntnis meiner Landsleute im Saarland. Wer zu allem und jedem seinen Senf dazugeben muß, den hält man bald selbst für ein kleines Würstchen, Herr Kollege Thomae - wenn Sie es genau wissen wollen.
({19})
- „Kleines Würstchen" ist doch in Bayern keine Beleidigung; da kenne ich wesentlich kräftigere Ausdrücke.
Herr Kollege, bitte keine Dialoge mit der Regierungsbank und von der Regierungsbank aus. - Das ist zumindest ein unparlamentarischer Ausdruck.
Herr Präsident, ich habe nur Weisheiten meiner Landsleute zitiert. Ich ging bisher nicht davon aus, daß das ein unparlamentarischer Ausdruck sei. Der Kollege Thomae glaubte mich an
das Saarland erinnern zu müssen. - Also, Herr Kollege Thomae, das mit dem „kleinen Würstchen" werde ich mir in Ruhe überlegen.
({0})
- Der Finanzminister gibt mir den Hinweis, ich sollte es essen. Ich weiß nicht, der Kollege Thomae scheint mir nicht sehr schmackhaft zu sein; das ist ein etwas schwieriger Ratschlag.
Meine Damen und Herren, das Thema ist ernst genug. Angesichts der jetzigen äußerst zugespitzten Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland ist auch der jetzige Rückgriff - verspätet um neun Monate - auf das Eventualprogramm der Bundesanstalt für Arbeit völlig unzureichend. Originalton Blüm, „Saarbrücker Zeitung", 11. März 1991:
Wenn wir schon Geld ausgeben, dann ist es doch sinnvoller, das Geld auszugeben für Beschäftigung, als passiv Arbeitslosigkeit zu finanzieren.
Da kann man nur sagen: Ja! Das ist eine alte Erkenntnis, die wir Ihnen seit Jahren nahezubringen versuchen. Dieser Satz aus Ihrem Munde klingt schon deshalb merkwürdig, weil seit Jahr und Tag auch in Westdeutschland deutlich mehr Geld zur Finanzierung von Arbeitslosigkeit als für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben wird.
({1})
Wichtiger erscheint mir noch der Hinweis, daß die Bundesregierung nunmehr erneut keine angemessene Antwort auf die arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen in Ostdeutschland hat. Ihr jetziges Programm wäre der Problemlage im Sommer des vergangenen Jahres vielleicht gerecht geworden. Nunmehr ist es aber angesichts der dramatisch verschärften Situation nicht mehr sehr viel mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Die bei der Umsetzung des Gemeinschaftswerkes Aufschwung-Ost zu erwartenden Beschäftigungseffekte, Herr Blüm, werden keinesfalls ausreichen, der gigantischen Arbeitslosigkeit Herr zu werden; denn der mit westdeutschen Standards verglichene gewaltige Nachholbedarf vor allen Dingen in den Kommunen Ostdeutschlands ist auch bei erheblich verbesserter finanzieller Ausstattung der Kommunen nur auf sehr langer Sicht zu befriedigen.
Es bietet sich doch geradezu die Idee an, im Rahmen einer Überbrückungszeit von einigen Jahren durch massivste Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen insbesondere in Projekten der Umweltreparatur und der Infrastrukturverbesserung für rasche Abhilfe zu sorgen.
Mehrere Ziele ließen sich bündeln: Erstens. Viele Menschen hätten sinnvolle Arbeit. Es würde Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert. Die Nachholphase im kommunalen Bereich könnte deutlich abgekürzt werden. Die Maßnahmen wären von den Kommunen als Träger ohne bürokratischen Zusatzaufwand leicht zu betreuen, da es Bedarf in Hülle und Fülle gibt.
Die in diesen Maßnahmen Beschäftigten könnten je nach Bedarf in einer zweiten Arbeitsphase über eine Kombination von Arbeit und Weiterqualifizierung auf anschließende Beschäftigungsverhältnisse im regulären Sektor vorbereitet werden. Ein solches Arbeitsprogramm müßte, um wirklich durchgreifend und rasch zu helfen, das Maßnahmepaket der Regierung um ein Mehrfaches übertreffen.
Meine Damen und Herren, unser dritter Kritikpunkt gilt der von der Regierung beschlossenen Finanzierung. Es widerspricht allen Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit, daß ausgerechnet die kleinen und mittleren Einkommensbezieher die Hauptlast der Finanzierung tragen sollen, während Großverdiener und Multimillionäre zusätzlich durch die geplante Abschaffung der Gewerbekapital- und Vermögensteuer noch beschenkt werden sollen! Hier kann man nach den Erfahrungen der Vergangenheit wohl nur noch sagen, eines der neuen Leitmotive der Bundesregierung scheint zu sein: Ist der Ruf erst ruiniert, regiert sich's gänzlich ungeniert.
({2})
Von Solidarität haben Sie, meine Damen und Herren von den konservativen Fraktionen, in Wahrheit keine blasse Ahnung.
({3})
Solidarität bedeutet füreinander einzustehen: Der Bessergestellte hilft dem in Not Geratenen. Ihre Politik stellt dieses Prinzip geradezu auf den Kopf und bedeutet nichts anderes als die Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben mit neuen Mitteln.
Die Forderung von Bundesminister Blüm nach einem allgemeinen Arbeitsmarktbeitrag ist gänzlich gescheitert. Unter diesen Voraussetzungen ist es allerdings kaum verwunderlich, daß auch in großen Teilen der westdeutschen Bevölkerung die Bereitschaft zur solidarischen Hilfe nachläßt. Es sind Art und Inhalt Ihrer Finanzierungspolitik, die die bitter notwendige Bereitschaft zu wirklicher Solidarität untergraben.
Ich habe darauf hingewiesen, daß sich die sozialpolitische Konzeptionslosigkeit dieser Bundesregierung nicht allein auf den Arbeitsmarkt beschränkt.
Ich werde die weiteren Ausführungen über Pflege, über die geplante Rentenreform hier Ihnen erst mal ersparen, da meine Zeit langsam dem Ende zugeht.
({4})
- Ich kann verstehen, daß Sie das erfreut, weil die Wahrheit hin und wieder eine bittere Pille ist.
({5})
- Diesen Klamauk können Sie in Mainz beim Karneval machen, Herr Kollege; aber was das ausgerechnet hier soll, ist mir nicht ganz klar.
Die Verwirklichung der sozialen Einheit in Deutschland ist eine der großen Aufgaben der nächsten Zukunft.
({6})
Wir Sozialdemokraten lassen uns dabei von einem
Satz leiten, den Ferdinand Lassalle vor vielen Jahren
niedergeschrieben hat und den sich die BundesregieOttmar Schreiner
rung etwas näher ansehen sollte, Herr Finanzminister. Ich zitiere Ferdinand Lassalle:
Alle politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit, alle politische Kleingeisterei besteht aus dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.
Ich habe nie eine größere Ansammlung von Kleingeistern gesehen als in dieser Bundesregierung.
Herzlichen Dank.
({7})
Herr Bundesminister Dr. Blüm, Sie haben das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich will mit einer Volksweisheit beginnen: Allzu spitz sticht nicht.
({1})
Ich weiß nicht, ob so eine Rede dem Lebensgefühl auch unserer Mitbürger in der ehemaligen DDR entspricht.
Ich nenne nur ein paar Stichworte. Er kann uns ja kritisieren. Welche Regierung ist denn fehlerlos? Er sagt: Nichts getan. Nichts getan? Allein in diesem Jahr haben wir über 100 Milliarden DM für die deutsche Einheit, die sozialstaatliche Einheit mobilisiert. Lieber Kollege Schreiner, ich erinnere mich an einen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Damals hat Ihre Partei Wahlkampf durch Mobilisierung von Angst und Neid gemacht. Am 6. Mai, acht Tage vor der Wahl - hören Sie sich diese Schande an - , war genau aufgeschlüsselt, was die deutsche Einheit die Stadt Mülheim kostet - 44 Millionen DM - , die Stadt Duisburg oder Köln kostet. Dann stand kraftvoll darunter: Johannes Rau wird dies verhindern. Das war die Propaganda der Besitzbürger.
({2})
Heute kommt die Sozialdemokratische Partei und sagt, wir hätten zu wenig gemacht. Ich gebe zu, die finanziellen Folgen des Sozialismus sind schwer einzuschätzen. Ich nenne nur ein Beispiel. Hunderttausend Arbeitslose mehr oder weniger machen 1,4 Milliarden DM aus. Wenn die 1,5 Millionen Arbeitnehmer, die vom Zusammenbruch des Exports in den Ostblock betroffen sind, arbeitslos werden und Arbeitslosengeld bekommen, macht das 21 Milliarden DM aus. Wer steht hier auf und will die Folgen des Sozialismus auf Mark und Pfennig richtig einschätzen?
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn wir den Empfehlungen Ihres Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine gefolgt wären, hätten wir uns nicht verschätzen können. Dann hätte die deutsche Einheit nämlich nicht stattgefunden.
({3})
Dann würden wir jetzt noch Fahrpläne studieren. Der
Zug ist längst abgefahren. Konföderieren, verzögern,
das war Ihre Melodie. Wenn ich schon vor der Wahl stehe, dann schätze ich lieber die Folgen falsch ein, als daß ich den Anlaß verschlafe.
({4})
Ich will einige weitere Stichworte aufnehmen. Die Sozialpolitik sei ein Mauerblümchen. Das Volumen des Bundeshaushalts betrug 1970 88 Milliarden DM. Das ist so viel, wie heute der Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, umfaßt. Mauerblümchen: Die Leistungen an die Sozialversicherungen aus dem Einzelplan 11 machen 1991 56 Milliarden DM aus. So hoch war 1981 der gesamte Einzelplan 11. Ich sage ja nicht, daß wir hier in Westdeutschland ein Schlaraffenland hätten. Es gibt viele soziale Probleme, beispielsweise die Pflege. Das ist ein großes soziales Problem. Aber hier das Gemälde einer Elendsgesellschaft zu zeichnen, das heißt nun wirklich, betriebsblind zu sein. Wir haben viel erreicht, wenn es in ganz Deutschland den Sozialstaat gibt, den wir in Westdeutschland geschaffen haben. Das muß unsere Hauptaufgabe sein.
({5})
Ich fordere zu einer großen Konzentration solidarischen Ausgleichs in Deutschland auf. In einem Punkt stimmen wir völlig überein: Es darf nicht zwei Häuser geben, ein Armenhaus im östlichen Teil und ein Herrenhaus im westlichen Teil.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Deshalb wollen wir uns voll darauf konzentrieren, jenen sozialstaatlichen Ausgleich zu schaffen. Wir werden nicht in vier Monaten heilen, was der Sozialismus in vierzig Jahren verdorben hat. Auch das westdeutsche Wirtschaftswunder ist nicht vom Himmel gefallen, sondern war ein mühsamer Weg.
Wer hat je gesagt, daß es eine lustige Kahnpartie würde? Ich wußte immer: Durch den sozialistischen Sumpf gibt es keine lustige Kahnpartie.
({0})
Herr Kollege Reimann.
Herr Minister, ich frage Sie: Ist es eigentlich redlich argumentiert, wenn Sie die Steigerung der Kosten für den Sozialetat - jetzt 88 Milliarden DM -, aufgebracht durch die Bevölkerung, durch die Steuerzahler, also bezahlt von uns allen, abkassiert durch die Bundesregierung,
({0})
als soziale Tat des Arbeitsministers verkaufen?
Sie haben mich mißverstanden, Herr Kollege Reimann. Ich habe nie behauptet, daß ich das bezahlt hätte. So war das immer; wir haben den Finanzierungsmodus nicht verändert. Nur wehre ich mich dagegen, wenn gesagt wird, dieser Sozialetat sei
ein Mauerblümchen. Jede dritte Mark des Sozialprodukts geht in sozialstaatliche Aufwendungen.
({0})
Verschlafen nennt Herr Schreiner die deutsche Einheit. Soll ich Ihnen einmal sagen, was wir in wenigen Monaten geschafft haben? Im Bereich der Arbeitsverwaltung haben wir 38 Arbeitsämter mit 159 Nebenstellen errichtet. Rentenversicherung: Innerhalb von zehn Tagen wurden 2,8 Millionen Renten ausgerechnet und ausgezahlt. Das ist eine der größten sozialstaatlichen Leistungen in diesem Jahrhundert.
({1})
Ich sage all denjenigen Dank, die aus der Bundesanstalt in die ehemalige DDR gegangen sind, die ihre warmen Amtsstuben verlassen und tätige Solidarität geübt haben. Die brauchen sich von Schreiner und der SPD nicht beschimpfen zu lassen. Die haben für die deutsche Einheit mehr getan als alle Redner zusammen. Die nehme ich in Schutz.
({2})
Jetzt laßt uns über das reden, was interessiert.
Im übrigen: Die, die uns in den neuen Ländern zuhören, fragen sich: Was soll jetzt gemacht werden? Da kommen wir mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost. Ich bedanke mich bei allen, die dieses Gemeinschaftswerk mit erarbeitet haben, bei den Gewerkschaften, Heinz-Werner Meyer, Roland Issen, den Arbeitgebern, Klaus Murmann, Heinrich Weiss, Hans Peter Stihl, Heribert Späth. Das ist auch ein Werk der Gemeinsamkeit. Ich finde, wir brauchen in dieser Stunde mehr Gemeinsamkeit und weniger diesen häufig kleinkarierten Streit.
35 Milliarden! Da sagt er: nichts getan. 35 Milliarden DM geben wir für den Arbeitsmarkt aus. Wissen Sie, wieviel wir 1982 unter einer SPD-Regierung ausgegeben haben? 6,9 Milliarden DM.
Von den 35 Milliarden DM gehen 20 Milliarden DM in die neuen Bundesländer und 15 Milliarden DM in die alten. Und dann kommt einer daher und sagt, wir würden nichts tun. 7,7 Milliarden DM für berufliche Bildung in den fünf neuen Bundesländern, 7,8 Milliarden DM im Westen. Warum wollen Sie den Leuten immer Angst machen, wir würden sie im Stich lassen? Was soll das eigentlich? Wollen Sie die Angst erhöhen?
({3})
Für Vorruhestand 5,5 Milliarden DM, für ABM 5,2 Milliarden DM nur in die neuen Bundesländer. 5,2 Milliarden DM, wann gab es das je? 278 000 Plätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das gab es in der alten Bundesrepublik noch nie. Und da sagen Sie, wir würden nichts tun. Nichts als Angst machen, nichts als den Leuten den Mut nehmen, ist das. Nein, wir machen nicht Worte, sondern wir handeln in einem großen Gemeinschaftswerk.
({4})
Geld ist da. Am Geld wird es nicht liegen. Was wir jetzt mobilisieren müssen, ist Initiative, ist Innovation, ist Engagement, ist Erfindungsreichtum, ist der menschliche Faktor. Und der wird durch Reden, durch Schreinerische Reden, nicht mobilisiert.
({5})
Was wir jetzt brauchen, ist ein Frühjahr neuer Ideen und des Engagements.
({6})
- Ja, das brauchen wir.
Das ist noch nicht alles. Kommunales Investitionsprogramm: 5 Milliarden DM, Wohnungsbau, Städtebau: 1,1 Milliarden DM, Sonderprogramme Regionale Wirtschaftsförderung: 600 Millionen DM, Werfthilfen, Umweltschutzsofortmaßnahmen: insgesamt 12 Milliarden DM. Da sagen Sie, das sei nichts. Nein, ich glaube, daß wir mit Miesmachen nicht weiterkommen, daß wir jetzt alle einladen müssen - alle Gutwilligen sind dazu eingeladen; das ist keine parteipolitische Sache - , sich vor Ort in Aufbaustäben zu treffen, die Projekte suchen für Umweltschutz, soziale Infrastrukturmaßnahmen, Kindergärten mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Nicht durch Reden hier im Bundestag, sondern durch Engagement vor Ort helfen wir unseren Mitbürgern in den neuen Bundesländern.
({7})
Ich stehe hier nicht und sage, es sei alles am Ziel. Ich glaube, daß es viel zu verbessern gibt: Die Auszahlung der Gelder der Arbeitslosenversicherung muß verbessert werden. Die Arbeitslosen können nicht monatelang auf ihr Geld warten. Das muß beschleunigt werden.
({8})
Ich finde, wir müssen auch weiterhin überprüfen, ob alte Seilschaften, ob sich die Unterdrücker von gestern als Vermittler von heute anbieten. Das darf nicht sein.
({9})
- Aber anders als in SED-Zeiten sind wir ein Rechtsstaat. Da wird überprüft. Von den Leitern der 38 Arbeitsämter sind zwölf ihres Amtes entbunden. 30 Abteilungsleiter wurden ihres Amtes entbunden. 40 von 159 Nebenstellenleitern wurden ihres Amtes entbunden. Es ist doch nicht so, daß wir uns tatenlos von alten SED-Seilschaften austricksen lassen. Wir wollen eine Arbeitsvermittlung, die den Menschen dient, ihnen mit Ideen dient.
Ich will auch für das Arbeitsamt ein gutes Wort einlegen, weil wir sonst die Gutwilligen wieder zurückstoßen: Diese neu aufgebauten, aus dem Boden gestampften Arbeitsämter müssen derzeit 1,9 Millionen Anträge auf Kurzarbeitergeld, 700 000 Anträge auf Arbeitslosengeld, 400 000 Anträge auf Vorruhestandsgeld und 1,9 Millionen Anträge auf Kindergeld bearbeiten. Meine Damen und Herren, dahinter steht eine große Leistung. Deshalb den Gutwilligen, die häufig in drei Schichten ihren Dienst tun, auch vom
Deutschen Bundestag unseren Dank und unsere Anerkennung.
({10})
Nun will ich in einem Kurzüberblick auch zur Rente etwas sagen. Die Rücklage ist weiter gestiegen. Trotz der Beitragssenkung werden wir in diesem Jahr fast drei Monatsausgaben als Rücklage haben. Wir haben doch, Herr Kollege Dreßler, gemeinsam beschlossen - oder ist das in Vergessenheit geraten? -, daß die Auslösermarke für eine Beitragsbewegung eine Monatsausgabe sein soll. Wir sind weit darüber. Sie sollten weder die Rentner hier noch die Rentner dort verunsichern. Die Rente hier und die Rente dort sind sicher. Ich bin ganz sicher, daß es Mitte des Jahres eine kräftige Rentenerhöhung für unsere Mitbürger in den fünf neuen Bundesländern gibt, die weit zurückliegen und deshalb aufholen müssen.
({11})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßler?
Bitte schön.
Herr Kollege Blüm, wären Sie so freundlich, dem Hohen Hause zu bestätigen, daß es der SPD-Fraktion in dieser Debatte prinzipiell nicht darum ging, die Fähigkeit zur Rentenzahlung zu problematisieren, sondern daß es uns darum ging, daß durch Ihre fiskalpolitische Maßnahme, die wir Verschiebebahnhof nennen, eine Beitragserhöhung in der Rentenversicherung frühzeitig kommen wird,
({0})
die nach unserer gemeinsamen Rentenvereinbarung und den damit gestiegenen Möglichkeiten nicht nötig gewesen wäre?
Herr Kollege Dreßler, ich bestätige Ihnen ausdrücklich: Wenn wir im vergangenen Jahr Ihrem Beitragssenkungsvorschlag gefolgt wären, hätten wir die Beiträge zu genau demselben Zeitpunkt erhöhen müssen, wie das bei uns der Fall ist. Wir treffen uns an derselben Stelle.
({0})
Ich verstehe gar nicht, warum Sie immer auf meinen Gedächtnisschwund setzen. Ich habe keinen Gedächtnisschwund, ich habe ein relativ gutes Gedächtnis. Meine Eitelkeit ist verletzt, wenn Sie das Gegenteil behaupten. Sie setzen dauernd darauf, daß ich ein kurzes Gedächtnis habe.
Ich habe doch noch im Ohr, daß Sie die Beiträge senken wollten. Wir folgen Ihrem Vorschlag, die Beiträge zu senken, um den Versicherten das Geld zurückzugeben.
Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?
Ich kann ja kaum widerstehen. Bitte.
Herr Kollege Blüm, unter dem Stichwort Gedächtnisschwund .. .
Den habe ich nicht!
({0})
... frage ich Sie, ob Sie sich denn daran erinnern, daß die SPD mit ihrem Vorschlag zu keinem Zeitpunkt die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um beispielsweise 20,6 Milliarden DM wie 1991 verbunden hat, und ob Sie mir zustimmen, daß durch diese Vermischung, die Sie vorgenommen haben, jetzt ein Tatbestand eingetreten ist, der nicht im Sinne der Rentenkonsensvereinbarung liegt?
Warum betreiben Sie dauernd Spurenverwischung? Die Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung hat doch überhaupt nichts mit den Finanzen der Rentenversicherung zu tun. Das sind doch getrennte Kassen.
({0})
- Wo habe ich die denn vermischt? Bei der Arbeitslosenversicherung gab es Defizite. Was macht man? - Beiträge erhöhen. Bei der Rentenversicherung gab es Überschüsse. Was macht man? - Beiträge senken. Beides wäre nötig gewesen, völlig unabhängig voneinander.
({1})
Weil wir gerade dabei sind - ich hatte es eigentlich gar nicht vor - : Lieber Kollege Dreßler, nennen Sie mir einmal den Namen des Rentners, mit dem Sie die ganze Öffentlichkeit verrückt gemacht haben, indem Sie behaupteten, es gebe in der ehemaligen DDR einen Rentner mit 12 000 DM Zusatzversorgung. Nennen Sie mir einmal den Namen; da wäre ich sehr begeistert. Wo ist der? Wie lautet die Adresse?
Herr Dreßler, bitte.
Ich muß jetzt das Kunststück fertigbringen, eine Frage von Ihnen in Form einer Frage zu beantworten, um den Richtlinien des Hauses Genüge zu tun.
Der Minister hat Sie ausdrücklich gebeten, einen Namen zu nennen. Sie brauchen es nicht in eine Frage zu kleiden; Sie können es schlicht und einfach beantworten.
({0})
Herr Präsident, unter Beachtung Ihres Amts möchte ich Sie bitten, mir zu überlassen, wie ich nun die Frage stelle.
Herr Dreßler, Entschuldigung. Ich habe Ihnen lediglich einen Hinweis darauf gegeben, was der Minister gesagt hat. Sie brauchen meine Amtsführung gar nicht zu bewerten.
({0})
Herr Blüm, stimmen Sie mir zu, daß der von Ihnen hier genannte Mark-Betrag „bis zu 12 000 DM" aus einem Papier Ihres Ministeriums zu diesem Sachverhalt stammt?
Erstens haben Sie die Adresse nicht. Zweitens: Nennen Sie mir das Papier! Drittens haben Sie bzw. hat die SPD behauptet, 250 000 frühere SED-Größen erhielten diese Superrente. Die ganze Zusatzversorgung umfaßt nur 196 000 Personen. Ich sage das, um die Mathematik hier klarzuziehen. Es sind nur 800, die über 2 000 DM Zusatzrente erhalten.
Aber ich verspreche Ihnen, daß wir in sauberer, sozialpolitisch-rechtsstaatlicher Arbeit diese Zusatzversorgung überprüfen. Denn neben Privilegienrenten à la SED gibt es auch wohlerworbene Ansprüche auf Zusatzrente.
({0})
Herr Bundesminister, es liegen zwei weitere Wünsche nach einer Zwischenfrage vor.
Wenn Sie es nicht auf meine Redezeit anrechnen, lasse ich alle zu.
({0})
- Ich habe nach dem Namen gefragt. Den nennen Sie nicht. Sie haben von 250 000 Rentnern gesprochen, während es dort nur 196 000 gibt.
({1})
- Nein; das gibt es nicht.
({2})
- Was ist unglaublich? Sie haben eine ganze Welt damit verrückt gemacht, es gebe 12 000-DM-Rentner, aber wissen diese Rentner nicht zu nennen. Ich habe Sie doch hier gefragt! Versuchen Sie doch nicht ein Ablenkungsmanöver!
({3}) Den Rentner nennen Sie mir!
Die nächste Zwischenfrage hat Herr Diller.
Herr Minister, gestützt auf diesen Presseartikel - ich meine, er ist aus der „Westdeutschen Rundschau" - , habe ich Ihr Haus gefragt. Darauf ist mir geantwortet worden, es gebe keine Zusatzrenten bis 12 000 DM. Einer bekomme eine Zusatzrente von über 7 000 DM. Etliche - ich muß das aus dem Kopf rekapitulieren; ich nehme an: ein halbes Dutzend - erhielten etwa 6 000 DM, annähernd 40 Personen ungefähr 5 000 DM. Würden Sie im Gegenzug den Namen dieser Person, die über 7 000 DM Zusatzrente bekommt, bekanntgeben?
Richtig: Bitte ganz ruhig! Die theoretische Frage war, wie weit Zusatzversorgungen überhaupt steigen können. Theoretisch könnten sie bis
12 000 DM steigen. Uns ist nur ein einziger Fall mit einer Zusatzrente von 7 478 DM bekannt. Da handelt es sich um einen Wissenschaftler. Vier Personen beziehen zwischen 6 000 und 7 000 DM, 800 mehr als 2 000 DM. Die Zusatzrenten der übrigen von den 196 000 Personen liegen weit darunter. Die Stasi-Renten sind ja bereits bei 990 DM gekappt. Das ist die Antwort.
({0})
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi.
({0})
Herr Minister, ich kann Ihnen leider auch nicht viel weiterhelfen. Ich nehme Ihre Informationen entgegen.
({0})
Ich will Ihnen das sogleich begründen. Ich war insofern immer an Einkünften und Renten interessiert, weil sich in der Zeit, als ich Anwalt war, der Gebührensatz immer nach den Einkünften der Leute richtete.
Herr Gysi, eine Frage bitte!
Meine Frage bezieht sich deshalb auf einen anderen Bereich. Ihnen ist ja bekannt, daß die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern das gesamte Renten-, Versicherungs- und sonstige System natürlich noch nicht ausführlich kennen und noch nicht so beherrschen, wie die Bürgerinnen und Bürger in den alten Bundesländern. Könnten Sie deshalb künftig so freundlich sein, dann, wenn Sie Rentenerhöhungen oder ähnliches, ankündigen, immer mitzusagen, was da alles angerechnet wird und welche Abzüge es gibt? Sonst läuft es auf eine Täuschung hinaus. Die Leute denken nämlich, sie erhalten wirklich 15 % mehr; aber nachher stellt sich heraus, es sind nur 2 %, weil so viel angerechnet oder zusätzlich abgezogen wird. Dann ist die Enttäuschung entsprechend groß.
({0})
Das Problem wird auch dadurch einer Klärung zugeführt, daß wir die 63 Zusatzsysteme ordentlich überführen werden. Denn durch dieses Privilegiensystem, das die SED geschaffen hatte, blickt ja niemand mehr durch. Insofern ist die Gesamtbereinigung die Aufgabe dieses Jahres. Es ist eine rechtsstaatliche Bereinigung. Die Stasi-Renten sind schon bei 990 DM gekappt. Der Sozialzuschlag wurde ausdrücklich nicht angerechnet. Das halte ich für eine große Leistung auch dieses Bundestags.
({0})
Aber lassen Sie mich fortfahren. Ich wollte ja nur einen Beitrag dazu leisten, daß nicht aus abstrakten Papieren und abstrakten Überlegungen, wie hoch
eine Zusatzrente sein könnte, der Eindruck entsteht, es gebe einen solchen Rentner. Einen solchen Rentner gibt es nicht. Diesen Eindruck haben Sie aber erweckt.
Jetzt befasse ich mich noch mit den Rentnern.
Wir werden, wie es im Einigungsvertrag vorgesehen ist, das gesamte westdeutsche Rentenrecht zum 1. Januar 1992 übertragen. Ich glaube, daß vor allen Dingen die Witwen von dieser Übertragung profitieren werden. Denn die Witwen sind nach dem alten DDR-Recht beim Tod des Ehemannes hinsichtlich der Höhe ihrer Rente, ihres Einkommens buchstäblich abgestürzt.
({1})
Die Verbesserung der Hinterbliebenenrente wird allein 4 Milliarden DM kosten.
Auch die Invalidenrente wird durch die Übernahme unseres Rentensystems verbessert. Die Übertragung der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente wird 1,5 Milliarden DM kosten.
({2})
Die Altersgrenze wird auf die Höhe zurückgenommen, die hier üblich ist. Davon werden 200 000 Arbeitnehmer profitieren.
Es gibt also noch viele Aufgaben. Große Anstrengungen für den Sozialstaat Deutschland sind erforderlich. Ich glaube, daß das nicht die Stunde des kleinlichen parteipolitischen Hickhacks,
({3})
sondern der gemeinsamen Sorge für unsere Landsleute in den fünf neuen Bundesländern ist. Unsere erste und wichtigste Aufgabe muß sein, den Zusammenbruch des Arbeitsmarktes zu verhindern. Ich lade alle Gutwilligen ein, mit uns zusammen einen großen Pakt gegen Arbeitslosigkeit zu schließen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Advokat Schreiner und ich haben den gleichen Paß. Ich bin stolz, einen solchen Paß zu haben, und hoffe, daß auch der Advokat Schreiner stolz darauf ist, deutscher Bürger zu sein und den gleichen Paß zu haben. Aber ich hatte soeben bei seiner Schilderung der Situation in der Bundesrepublik Deutschland den Eindruck, daß wir in zwei völlig verschiedenen Ländern leben.
({0})
Deswegen möchte ich noch einmal deutlich machen: Wir leben in einem Land, Kollege Schreiner, in dem manches sicher verbessert und in dem im Wettbewerb der Parteien untereinander um die beste Meinung gerungen werden kann. Aber ich kenne kein
Land in der Welt, in dem es ein so hohes Sozialleistungsniveau wie in der alten Bundesrepublik gibt. Ich kenne kein Land in der Welt, in dem es so gut funktionierende soziale Sicherungssysteme gibt wie bei uns. Die ganze Welt beneidet uns um diese Systeme.
Ich wäre dankbar, wenn diese Leistungen, die von allen im Hause vertretenen Parteien - die Gruppe der PDS muß ich hiervon ausnehmen - erbracht worden sind, nicht in dieser üblen Art heruntergeredet würden. Ich würde es begrüßen, wenn die anstehenden Probleme - bei allem Bedürfnis, es besser zu machen - in konstruktivem Geist angegangen würden.
({1})
Trotzdem, nehmen Sie die Rede des Kollegen Schreiner nicht allzu ernst. Wenn der Kollege Schreiner in einer sozialliberalen Koalition die gleichen Leistungen zu vertreten gehabt hätte wie die, die diese Koalition erbracht hat, dann hätte er diese Leistungen, die er soeben schlechtgemacht hat, rhetorisch genauso gut wie Norbert Blüm vertreten.
({2})
Deswegen nehmen Sie das Ganze nicht übertrieben ernst.
({3})
Wieviel geleistet wird - der Kollege Reimann hat schon darauf hingewiesen - , insbesondere durch die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, mag an einem Beispiel noch verdeutlicht werden: Die Rentenversicherungsträger geben 1991 261 Milliarden aus, an jedem Arbeitstag ca. 1 Milliarde DM, die von den Arbeitnehmern erarbeitet werden, die von den Betrieben und Steuerzahlern gezahlt werden. Das ist ein Rentenniveau, um das uns viele beneiden.
Auch der Haushalt des BMA ist ein Superhaushalt, einsame Spitze. Ehrlich gesagt: Mir wäre es lieber, dieser Haushalt hätte einen geringeren Umfang. Dann hätten wir nämlich in einigen Bereichen wahrscheinlich weniger Probleme zu lösen; nicht wegen des Haushalts, sondern wegen des Wegfalls von Aufgaben.
({4})
- Zum Beispiel. Völlig richtig, Klaus.
Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich zur Rentenversicherung nur sagen: Die Notwendigkeit der Schaffung einer rechtlichen und finanziellen Renteneinheit unter Berücksichtigung der im Einigungsvertrag enthaltenen Vertrauensschutzregelung wird von uns dick unterstrichen. Das entspricht auch der Erwartung der Bürger in den Beitrittsländern.
Unser Hauptproblem - darauf ist schon hingewiesen worden - ist in der Tat die Beschäftigung in den neuen Bundesländern. Wir haben im Westen eine äußerst positive Entwicklung des Arbeitsmarktes trotz angeblich so vieler Arbeisloser.
Dieter-Julius Cronenberg ({5})
Herr Kollege Briefs, wenn ich an Ihre Äußerungen von gestern denke, dann muß ich sagen: Auch Sie leben nicht in diesem Land.
({6})
Es gibt so gut wie keine Hilfsarbeiter, keine Facharbeiter. Es ist außerordentlich schwierig, den Bedarf überhaupt zu decken.
({7})
Schauen Sie sich doch einmal richtig um, statt so dumme Reden zu halten, wie Sie das gestern getan haben.
({8})
- Natürlich. Es ist doch unerträglich, wenn ich mir einen solchen Unsinn anhören muß.
Eine solch katastrophale Arbeitsmarktlage wie in der Ex-DDR kommt zustande, wenn man freies Unternehmertum zerstört, wenn man mehr verteilt als erwirtschaftet, wenn man irgendwelchen Plänen und Programmen mehr vertraut als der Leistungsfähigkeit und -willigkeit der arbeitenden Menschen.
({9})
Der notwendige Anpassungsprozeß ist schmerzhaft. Um Legendenbildung vorzubeugen, muß man die Ursachen immer wieder herausstreichen.
Um die Wirtschaft anzukurbeln, haben wir viel Geld zusammengespart und - man muß das leider so nennen - kassiert. Entscheidend ist, wie diese Mittel eingesetzt werden. Die 5 Milliarden DM für das kommunale Investitionsprogramm müssen für Investitionen und dürfen nicht zum Haushaltsausgleich in den Kommunen verwendet werden. Sinnvolle Projekte, Modelle für den Aufbau - das schafft echte Beschäftigung. Und echte Beschäftigung möglichst bei mittelständischen Betrieben, beim Handwerk und nicht bei städtischen Arbeitskolonnen oder -brigaden.
Das gleiche gilt für die AB-Maßnahmen. Wir sollten uns bei den ABM, die in dieser Situation nicht zu vermeiden sind, durchaus der negativen Folgen für den Mittelstand solcher Maßnahmen bei uns erinnern. Wenn man in einer so schwierigen Situation jetzt vorübergehend dieses Mittel einsetzt, dann müssen unserer Meinung nach folgende Kriterien beachtet werden. Erstens: Primäre Verwendung von ABM für Infrastrukturmaßnahmen. Dafür werden erstmalig und richtigerweise auch Sachkostenzuschüsse gezahlt.
Zweitens: ABM in Kombination mit der Qualifizierung, soweit das überhaupt nur möglich und auch machbar ist.
Drittens: ABM nicht gegen, sondern mit mittelständischen Unternehmen,
({10})
wobei ich voraussetze, daß mögliche Hindernisse,
mögliche Informationslücken unbürokratisch abgebaut werden. Statt an Regiebetriebe müssen Aufträge
für ABM-Vorhaben an selbständige Betriebe vergeben werden.
({11})
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen dürfen nicht dazu dienen, einer überbesetzten Verwaltung den nötigen Anpassungsprozeß zu ersparen. Ebenso ist für uns klar, daß ABM-Kräfte nach der tatsächlichen Tätigkeit und nicht nach der früheren Beschäftigung bezahlt werden müssen; sonst geht nämlich der Anreiz verloren, sich eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen.
Die anvisierte Zahl, Herr Kollege Schreiner - das darf ich vielleicht auch in Ihr Bewußtsein zurückrufen - , von 280 000 ABM-Kräften bedeutet eine Steigerung um 600 % und ist ein verdammt ehrgeiziges Ziel. Ich hoffe, daß die Bundesanstalt für Arbeit, das BMA und die Leute vor Ort überhaupt in der Lage sind, dies sinnvoll und ordentlich umzusetzen.
({12})
Ebenso notwendig, sogar noch dringender ist die verstärkte berufliche Qualifizierung. Deswegen ist es richtig, das Sonderprogramm zur Errichtung beruflicher Weiterbildungseinrichtungen fortzuführen und die Qualifizierungsmaßnahmen deutlich zu verstärken. Immerhin stehen für diesen Zweck, für die berufliche Bildung und die berufliche Rehabilitation, fast 8 Milliarden DM zur Verfügung. Mein Appell von dieser Stelle an alle - Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bildungsträger - lautet, noch stärkere Anstrengungen zu unternehmen;
({13})
denn die Investitionen in Qualifizierung zahlen sich schon mittelfristig aus.
Ebenso notwendig ist es, den sich abzeichnenden Mangel an Ausbildungsplätzen möglichst in den neuen Bundesländern selber zu bekämpfen und nur da, wo dies nicht möglich ist, auf die alten Bundesländer zurückzugreifen, in denen ja ein Mangel an Lehrlingen herrscht.
({14})
Zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die nicht unumstritten sind, gehört auch die Verlängerung der Zeit, für die Kurzarbeitergeld gezahlt wird. Ich wäre sehr froh gewesen, wenn wir auf dieses Instrument hätten verzichten können; denn der notwendige Umstrukturierungsprozeß in den Belegschaften wird durch diese Maßnahme - um es vorsichtig zu formulieren - nicht gerade gefördert.
Wenn in der Haushaltsdebatte des langen und breiten über Investitionshemmnisse gestritten wurde, so ist ein Aspekt - ich sage das mit großem Bedauern - doch zu kurz gekommen. Ich darf daran erinnern, daß ich mich schon anläßlich der Beratungen zum Einigungsvertrag kritisch zu der Übernahme des gesamten arbeitsrechtlichen Vorschriftenwerks - manchmal muß man sagen: -unwerks - geäußert habe.
Die jetzige Entwicklung, Herr Bundesarbeitsminister, hat meinen Befürchtungen leider recht gegeben.
Dieter-Julius Cronenberg ({15})
Wie damals möchte ich auch heute nachdrücklich darauf hinweisen, daß sich vermeintliche soziale Schutzrechte wie der § 613a BGB und die Sozialplanregelung des Betriebsverfassungsgesetzes in dieser Situation als Hemmnis für Investitionen und Mehrbeschäftigung erweisen.
({16})
Wenn aus Anlaß des Betriebsübergangs nicht gekündigt werden darf, d. h. nur betriebsbedingte Kündigungen möglich sind und der Erwerber mit hohen Sozialforderungen konfrontiert wird, dann ist die Konsequenz klar: Entweder sieht man von der Investition ganz ab, oder der Unternehmer baut auf der grünen Wiese einen neuen Betrieb. Manche Unternehmen werden ja von Bürgermeistern geradezu angelockt, indem man ihnen sagt: Bei uns bekommst du ein Grundstück, hast du keine Schwierigkeiten mit der Altlastenproblematik und brauchst dich mit dem ganzen Mist nicht herumzuschlagen.
({17})
Ohne solche Restriktionen würde mancher nicht arbeitslos werden. Das ist meine feste Überzeugung.
Ich sage mit großem Bedauern: Die Koalition hat in dieser Frage nicht überzeugt. Sie hat in meinen Augen ihre Schulaufgaben nicht ordentlich gemacht.
({18})
In diesem Zusammenhang gilt - wie schon so oft gesagt - : Gut gemeint ist nicht gut getan.
Lieber Norbert Blüm, nun auch ein offenes Wort zur Pflegeversicherung. Das fällt mir nicht leicht, aber ich sehe mich gezwungen, hier ein paar deutliche Worte zu sagen. Zunächst einmal möchte ich zum wiederholten Male unmißverständlich feststellen, daß wir angesichts dieses sozialpolitischen Problems durchaus Handlungsbedarf sehen. Ich habe den Vertagungsbeschluß der Koalitionsrunde für falsch gehalten, bin aber bereit, an einer Lösung - so wie beschlossen - mitzuwirken.
({19})
- Dies ist eine koalitionsinterne Sache.
({20})
So, wie die Dinge vom Bundesarbeitsminister zur Zeit gehändelt werden, geht das - mit Verlaub gesagt - nicht.
({21})
Er versucht und läßt versuchen, ohne Rücksicht auf den Mittelstand und auf die Mittelstandsvereinigung in der Union,
({22})
ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft seine Sozialversicherungsregelung um jeden Preis durchzusetzen.
({23})
Er mobilisiert Verbände und Betroffene. Die Vorschläge des Koalitionspartners werden nicht vollständig zur Kenntnis genommen und bei Dritten nicht korrekt dargestellt.
Für mich - ich sage das mit allem Ernst - ist in der Politik im allgemeinen und in der Sozialpolitik im besonderen vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit Voraussetzung für ein erfolgreiches gemeinsames Wirken. Lassen Sie mich deswegen in aller Offenheit sagen: In der sozialliberalen Koalition hat es viele und große Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern gegeben. Aber ein Herbert Ehrenberg und ein Heinz Westphal haben immer den Dialog gesucht und nicht versucht, mich auszutricksen.
({24})
- Nein, lieber Herr Geißler, zur Zeit könnte ich das von dem amtierenden Arbeitsminister nicht mit Überzeugung sagen,
({25})
der mich der sozialen Kälte bezichtigt.
({26})
Da ich aber die Hoffnung nicht aufgebe, daß er sich eines Besseren besinnt und sich bemühen wird, zu der vertrauensvollen und erfolgreichen Zusammenarbeit
({27})
zurückzufinden - so wie wir sie beim RAG und beim Gesundheits-Reformgesetz praktiziert haben - , habe ich auch dieses Podium gewählt, um auf diese Problematik mit allem Ernst aufmerksam zu machen.
({28})
- Wir müssen das Richtige tun, Herr Kollege Geißler. Aber dazu gehört auch, die Meinung der Partner erstens richtig zur Kenntnis zu nehmen und sie zweitens in aller Fairneß gegeneinander abzuwägen und über sie zu diskutieren, aber nicht einseitig für bestimmte Lösungsmöglichkeiten ein Klima zu schaffen, um den anderen hinterher vorführen zu können. Das genau ist die Situation, in der ich mich zur Zeit befinde.
({29})
Ich würde dies nicht von dieser Stelle aus sagen, wenn ich nicht zum Schluß Erfolg haben wollte.
({30})
Zur Sache selbst: Wir können und werden kein Leistungsgesetz akzeptieren. Den eindeutigen Vorrang muß die häusliche Pflege haben; Rehabilitation muß vor Pflege gehen. Eine Erhöhung der Personalzusatzkosten mit der unausweichlichen Folge der Arbeitsplatzvernichtung kann ich nicht akzeptieren.
Es ist auch nicht wahr, daß wir keine Lösung für die „alte Last" hätten. Es ist sinnvoll und nötig, für dieses
Dieter-Julius Cronenberg ({31})
alles in allem noch relativ geringe Risiko auch angesammeltes Vermögen einzusetzen.
({32})
Wer mit sinnvollen Anreizen den Abschluß von 20 Millionen Verträgen zur Vermögensbildung durchgesetzt und erreicht hat, dem kann es doch nicht schwerfallen, sich dieses Instrumentes zu bedienen. Sogar die bestehenden Verträge kann man, wenn man will, hier einbeziehen.
Meine Damen und Herren, die Zeit reicht nicht, um die anderen sozialpolitischen Vorhaben dieser Periode anzusprechen. Ich möchte aber insgesamt auf folgendes hinweisen. Auch die Sozialpolitik muß Prioritäten setzen. Unsere Hauptaufgabe im Interesse aller Menschen in unserem Lande, im Osten wie im Westen, ist es, die Wirtschaft im Osten in Ordnung zu bringen, damit wir nicht auf die Dauer im Westen Erwirtschaftetes in die neuen Länder transferieren müssen, damit unsere Landsleute im Osten die gleichen Chancen haben, wie wir sie gehabt haben - an ihrer Tüchtigkeit, an ihrem Arbeitswillen, an ihrer Einsatzfreude zweifele ich nicht - , damit dann auch mit den dort erwirtschafteten Leistungen eine solide Sozialpolitik finanziert werden kann.
Investitionen auch der öffentlichen Hände in Infrastrukturmaßnahmen sind dreimal nötiger als zusätzliche soziale Leistungen. Nicht die Steigerung der sozialen Leistungen im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt ist die Lösung für unsere Probleme. Erst die Steigerung des Sozialproduktes, unserer aller gemeinsamen Leistungen - wir haben alle daran mitgearbeitet - ermöglicht es uns, ein Mehr an sozialen Leistungen, das in bestimmten Bereichen in der Tat notwendig ist, solide zu finanzieren.
({33})
Daran mitzuarbeiten und sinnvoll um den besseren Weg zu streiten fordere ich Sie alle auf. Ich wünschte mir dabei allerdings, Herr Advokat und Kollege Schreiner, einen anderen Ton als den, dessen Sie sich heute morgen von diesem Podium aus befleißigt haben.
Herzlichen Dank.
({34})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Bläss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzeletat des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung ist zugegebenermaßen mit Abstand der größte Brocken im vorliegenden Haushaltsplan. Doch das ist angesichts der vor uns stehenden Probleme, insbesondere in den fünf neuen Bundesländern, wirklich kein Grund zum Jubeln.
Weder die Höhe des Haushaltsansatzes noch sein im Vergleich zu anderen Einzelplänen nur mäßiger Anstieg von 26,7 Prozent machen das vielgepriesene soziale Netz sicherer. In den Altbundesländern ist die Zahl derjenigen, die durch seine Maschen fallen, eine längst nicht mehr zu ignorierende Größe. Armut ist hier schon seit einigen Jahren ein Massenphänomen. Nun kommen noch die unzähligen sozialen Probleme aus den östlichen Landesteilen hinzu; denn die BRD ist nicht nur größer geworden, hat 16 Millionen Menschen hinzubekommen. Nein, wir haben es auch mit einer Situation zu tun, wo die neuen Bundesländer durch Ihre Kahlschlagpolitik binnen kürzester Zeit zum sozialen Notstandsgebiet zu werden drohen.
Wir, die PDS/Linke Liste, hätte sich da einen Sozialetat gewünscht, der einen der neuen und gewiß außergewöhnlichen Situation angemessenen Zuwachs erfährt und nicht mit seinen zusätzlichen 18,6 Milliarden DM nur wenig mehr ausmacht, als die Bundesregierung binnen vier Wochen im Golfkrieg verpulvern konnte.
({0})
Ist es nicht zudem so, daß die Erhöhung um 18,6 Milliarden DM fast exakt der Summe entspricht, die Sie über den Anstieg der Arbeitslosenversicherungsbeiträge bei den noch Beschäftigten abkassieren?
Angesichts der katastrophalen Prognosen für die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Entwicklung in den neuen Bundesländern - Sie sprechen gern von unvermeidbaren Reibungsverlusten -, halte ich es für müßig, darüber zu streiten, ob die einkalkulierten Millionen oder Milliarden für die jeweiligen Einzelposten ausreichen oder ob die Relationen stimmen. Eines steht für mich jedenfalls fest - da befinde ich mich, was Sie nicht überraschen wird, im Gegensatz zu Arbeitsminister Blüm, der in seiner Presseerklärung vom 8. März 1991 verkünden ließ: „Geld ist da in Hülle und Fülle." - : Der Einzelplan 11 wird sich auch dann als völlig unzureichend erweisen, wenn die Maßnahmen des Gemeinschaftswerks Aufbau-Ost wirklich greifen sollten. Und da ist Skepsis geboten. Nicht eingehaltene Versprechungen gab es in den letzten Wochen zuhauf.
Völlig deplaziert erscheint mir jedenfalls die von Bundesarbeitsminister Blüm in derselben Presseerklärung aufgestellte Behauptung, seine Arbeitspolitik sei „entschlossen, kreativ und vernünftig". Das mag ja sein. Bisher ist sie allerdings gänzlich wirkungslos geblieben; denn Tausende Menschen verlieren Monat für Monat ihren Arbeitsplatz und machen sich Sorgen um ihre Zukunft.
Ich will deshalb im folgenden auf ein paar aktuelle Druckpunkte vorwiegend aus den neuen Bundesländern eingehen, die mir aus dem vorliegenden Etatansatz völlig herauszufallen scheinen. Wie gesagt, wir haben es mit einer außergewöhnlichen Situation zu tun. Oder ist es vielleicht nicht außergewöhnlich, wenn binnen weniger Monate die Arbeitslosenzahl in den neuen Bundesländern auf 1 Million geschnellt ist, wenn weitere 2,5 Millionen Kurzarbeiter und Kurzarbeiterinnen, Menschen in der Warteschleife, in Branchen wie der Textil- und Werftindustrie und in der Landwirtschaft von Entlassung bedroht sind, massenhaft Jugendlichen die Arbeitsperspektive fehlt, Frauen zurück in die Küche geschickt werden und nach Schätzungen der Arbeitsämter täglich eine Viertelmillion Pendler stundenlange Fahrten in Kauf nehmen, um bei Quelle oder sonstwo im Westen zu arbeiPetra Blass
ten? Entspricht das vielleicht der vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit Franke in der „FAZ" vom 4. März 1991 geforderten sogenannten Mobilität der Menschen in den ostdeutschen Ländern?
Diese Situation verlangt jedenfalls außergewöhnliche Maßnahmen auch bei den Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz. Eine rein formale Anwendung der Bestimmungen des AFG in den neuen Bundesländern führt dazu, daß viele Arbeitslose dort unmittelbar in den Bereich der Sozialhilfe abrutschen. Ursache dafür ist auf Grund der niedrigen durchschnittlichen Arbeitslöhne in der ehemaligen DDR und je nach dem Beginn der Arbeitslosigkeit ein Arbeitslosengeld, das den Sozialhilfesatz kaum überschreitet.
So lag es für diejenigen, die im ersten Halbjahr 1990 arbeitslos wurden, bei durchschnittlich 560 DM, im zweiten Halbjahr bei etwa 650 DM. Erst in der Gegenwart beträgt das Arbeitslosengeld im Durchschnitt 1 070 DM, allerdings nur, wenn es den Gewerkschaften gelingt, in den ostdeutschen Ländern Lohnabschlüsse durchzusetzen, die 60 bis 70 To des Niveaus der Löhne in den westdeutschen Ländern erreichen.
Berücksichtigt man, daß gerade die Bereiche vorrangig von Arbeitsplatzvernichtung betroffen sind, in denen traditionell auch in der DDR Niedrigstlöhne gezahlt wurden und in denen überwiegend Frauen beschäftigt waren, so dürfte das real gezahlte Arbeitslosengeld doch bedeutend geringer sein. In der Textilindustrie zum Beispiel lagen die Durchschnittseinkommen nur bei etwa 80 % von dem, was in anderen Bereichen verdient wurde. Entsprechend schlecht ist hier die Lage der Arbeitslosen, und zwar gerade der Frauen.
Angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten, der Tarife, Gebühren und künftig auch der Mieten ist die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger förmlich vorprogrammiert. Eine weitere Belastung der ohnehin schwer gebeutelten Kommunen.
Wo sehen wir Abhilfe? Seit langem gibt es beispielsweise in den alten Bundesländern sozial flankierende Maßnahmen für die Anpassung im Bereich der Kohle- und Stahlindustrie. Dazu zählen Aufstockungen des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe sowie Umschulungen und Übergangsmaßnahmen. Die PDS/ Linke Liste fordert für die derzeitige Übergangsphase in den neuen Bundesländern ähnliche Auf stockungsbeträge für Leistungsempfänger nach dem AFG, also faktisch Sozialzuschläge mit Rechtsanspruch für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- und Altersübergangsgeld. Ein Betrag von 271 Millionen DM ist dafür allerdings bei weitem nicht ausreichend.
Ein weiterer Punkt im Zusammenhang mit den Leistungen aus dem Arbeitsförderungsgesetz macht uns Sorge. Dadurch, daß zunehmend aus Beiträgen der Versicherten staatliche Aufgaben bezahlt werden müssen, werden die lohnabhängigen Beschäftigten gleich in mehrfacher Hinsicht dazu angehalten, für sich selbst zu sorgen. So finanzieren Sie, zumindest zur Hälfte, bekanntlich nicht nur Ihre eigenen Arbeitslosenbezüge, sondern aus diesem Topf kommen auch die Mittel für Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Nun, nachdem durch Entlassungen und Versetzungen in den Wartestand eine ganze soziale Infrastruktur zusammenzubrechen droht und z. B. Kindergärten reihenweise zumachen müssen, werden diese Kosten zum Erhalt der Kindergärten und anderer sozialer Einrichtungen auch noch der Bundesanstalt aufgebürdet. Das heißt, ihre sogenannte Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zahlen die Noch-Beschäftigten nun auch noch selbst.
Ein weiteres Paradoxon: In den neuen Bundesländern werden 600 000 Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung, des Bildungs- und Wissenschaftsbereiches und natürlich auch des Sozialbereiches über die sogenannte Warteschleife in die Arbeitslosigkeit geschickt. Dann werden einige Tausende von ihnen mit großer Geste wieder in die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgenommen. Welch ein Widersinn: Der Staat streicht einen Teil seiner Aufgaben, läßt ganze Bereiche zusammenbrechen und versucht schließlich, diesen Zusammenbruch durch ABM abzufedern. Hier wird das Arbeitsförderungsgesetz mißbraucht, und hier werden von der Bundesregierung Arbeitslosenbeiträge für die Behebung eines Schadens verwendet, den sie selber angerichtet hat und offensichtlich weiter anzurichten gedenkt.
Die PDS/Linke Liste fordert daher, daß Leistungen des Arbeitsförderungsgesetzes nicht für staatliche Regelaufgaben, sondern entsprechend dem gesetzlichen Auftrag für eine aktive Beschäftigungspolitik ausgegeben werden.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Geißler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Stolpe hat vor nicht allzulanger Zeit völlig zu Recht gesagt, man müsse, um die noch nie dagewesenen Probleme in unserem Land zu lösen, aus den hergebrachten Lösungsstrukturen herauskommen, also aus der sonst üblichen parteipolitischen Konfrontation, was diese große Lösung anbelangt, aber selbstverständlich auch aus der normalerweise üblichen, manchmal auch klassenkämpferisch gestalteten Auseinandersetzung zwischen den Tarifpartnern.
Nun bin ich nicht jemand - wie jedermann weiß -, der einer parteipolitischen Auseinandersetzung aus dem Weg geht.
({0})
Aber ich bin auf der anderen Seite in der Tat der Meinung, daß wir - auch wenn ich mir diese Etatdebatte einmal Revue passieren lasse - uns vielleicht nach dem sicher notwendigen Schlagabtausch doch
einmal Gedanken machen sollten, wie man weiter vorankommt.
Der Bundeskanzler hat schon vor einiger Zeit einen Sozialpakt vorgeschlagen. Er hat dieses Angebot gestern wieder erneuert. Die Sozialdemokraten haben vor einiger Zeit, schon im letzten Jahr, etwas Ähnliches vorgeschlagen.
Ich will ganz offen sagen: Daß wir im Jahre 1990 die deutsche Einheit schaffen konnten, lag auch an der Zeit des Glücks in dieser geschichtlichen Periode. Wer weiß, ob dies im Jahre 1991 angesichts der Entwicklung in der Sowjetunion noch so gelänge, wie dies im Jahre 1990 der Fall war. Deswegen mußte beschleunigt werden.
Aber - ich habe das schon im letzten Jahr gesagt - kein so großes Glück war es, daß diese doch wohl in unserer Geschichte fast wichtigste Aufgabe ausgerechnet in einem Jahr vollzogen werden mußte, in dem nicht nur eine Bundestagswahl stattfand, sondern auch noch eine Volkskammerwahl und Landtagswahlen stattfanden. Das haben wir natürlich alle miteinander durchfechten müssen. Aber es ist auch keine Frage, daß manches, wenn wir diese wahlpolitischen Auseinandersetzungen nicht gehabt hätten, in den Diskussionen und vielleicht auch im Lösungsansatz anders gelaufen wäre.
Nun will ich nicht näher auf die Aussagen des Kollegen Schreiner eingehen, vor allen Dingen nicht auf den Teil seiner Rede, der die Sozialkompetenz meiner eigenen Partei betraf. Das haben wir ja nun ausgetragen. Ich sage nur kurz folgendes: Die Bundesdeutschen im Westen - Herr Dreßler, jetzt lassen Sie uns die Dinge doch wirklich einmal vernünftig sehen, weil das ja auch ein Signal gegenüber den Deutschen in den sechs neuen Bundesländern ist - sind ja nun wirklich nicht im Armenhaus Europas. Ganz im Gegenteil, um uns herum, in Italien, Frankreich und England, sieht man uns im Westen - ich betone: nur im Westen - wirtschaftspolitisch, sozialpolitisch und auch im Hinblick auf die Arbeitnehmerpolitik natürlich zu Recht an der Spitze. Wenn ich jetzt ein bißchen polemisch sein wollte, dann würde ich sagen: Der Herr Schreiner sollte vielleicht mal kurz vom Saarland aus zum Bildungsurlaub nach Paris fahren und sich dort darüber orientieren, was nun wirklich los ist.
({1})
Wir im Westen - ich sage immer: nur im Westen - haben in der Tat die höchsten Löhne, die kürzeste Arbeitszeit, den längsten Urlaub, sichere Renten und das am besten ausgebaute System der sozialen Sicherung, wobei ich nun gar nicht behaupte, daß dies alles die Christlich Demokratische Union allein geschaffen hat.
({2})
Aber ohne sie ist es auch nicht zustande gekommen. In 40 Jahren hat die CDU/CSU zusammen mit den Freien Demokraten und auch einmal vier Jahre allein immerhin 27 oder 28 Jahre die Regierungsverantwortung gehabt. Alle großen sozialpolitischen Gesetze - das Betriebsverfassungsgesetz, die Mitbestimmung, der Familienlastenausgleich, die bruttolohnbezogene dynamische Rente, das Bundessozialhilfegesetz, das Arbeitsförderungsgesetz, das 312- bzw. 624-bzw. 936-DM-Gesetz, der Lastenausgleich für zwölf Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge, in den letzten Legislaturperioden das Erziehungsgeld, die Anerkennung von Erziehungszeiten und der Erziehungsurlaub , also wirklich neue sozialpolitische Gesetze - sind von Christlichen Demokraten und Christlich-Sozialen entwickelt
({3})
und mit unseren Mehrheiten, manchmal auch mit Ihrer Unterstützung, im Deutschen Bundestag verabschiedet worden und haben das Gesicht Nachkriegsdeutschlands sozialpolitisch geprägt. Das ist doch die Wahrheit.
({4})
Insofern können wir, glaube ich, den Deutschen in den sechs neuen Bundesländern auch sagen, daß hier eine Koalition und eine Regierungspartei, die die größte Regierungspartei ist, am Werk sind, die über genügend Sozialkompetenz verfügen, um mit dieser großen neuen Aufgabe fertig zu werden.
Herr Dr. Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Bitte schön.
Herr Kollege Geißler, ich will nur meinen Informationsstand auffrischen und möchte Sie fragen, unter welchem christdemokratischen Arbeitsminister das Arbeitsförderungsgesetz eingeführt worden ist.
({0})
Unter Hans Katzer in der Großen Koalition. Ich habe Sie ja mit einbezogen. Dies nur zu Ihrer Information. Ich weiß nicht, wo Sie da waren.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Bitte schön.
Trifft es denn zu, daß die gedankliche Vorarbeit zum Arbeitsförderungsgesetz im wesentlichen von der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Fraktion geleistet worden ist?
Das weiß ich nicht; das kann ich Ihnen nicht zugeben, weil ich es nicht weiß. Ich weiß nur, es ist ein Herzstück der Arbeit von Hans Katzer gewesen; das weiß ich.
({0})
Schlimm finde ich nun allerdings etwas anderes; das muß ich wirklich sagen. Wir erleben nun die erschütternden Folgen dessen, was sich in den letzten 40 Jahren in der alten DDR, also in den sechs neuen
Bundesländern, entwickelt hat. Wir kennen die Fakten. Die Erblast ist doch einfach erdrückend. Das Ausmaß z. B. der Umweltzerstörung ist nahezu unmenschlich. Abwässer vergiften die Flüsse; die landwirtschaftliche Massenproduktion vollzog sich unter massivem Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln; es gab einen unvorstellbaren Substanzverbrauch an Kapital, Umwelt, menschlichen Ressourcen und vieles andere mehr. Daß die Umstellung auf eine soziale und ökologische Marktwirtschaft unter diesen Umständen ein radikaler Prozeß sein muß, der die Menschen hart treffen wird, ist doch klar. Aber der CDU und der Regierung dies in die Schuhe zu schieben, das ist doch nun ein Vorgang, der all das auf den Kopf stellt, was wir eigentlich gemeinsam vertreten müßten. Jetzt wird nämlich der Preis für eine unfähige zentralistische kommunistische Planwirtschaft gezahlt. Niemand kann doch erwarten, daß dieser Preis innerhalb von wenigen Monaten voll gezahlt werden kann. Wir wußten doch, daß das Jahr 1991 das schwierigste Jahr für die Bewältigung der Aufgaben werden würde.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will zu diesem Thema nur folgendes sagen: Wir im Westen sollten jetzt aufhören, uns gegenseitig vorzuwerfen, wer welche Steuererhöhungen zu verantworten hat und wie sie sich sozialpolitisch möglicherweise auf die Westdeutschen auswirken. Den Westdeutschen ist es, auch nach den Steuererhöhungen, was z. B. das reale Nettoeinkommen anbelangt, noch nie so gut gegangen wie heute.
({2})
Ich finde, es ist im Hinblick auf das, was wir jetzt zu bewältigen haben, doch eine wichtige Aufgabe, daß wir uns auf das konzentrieren, worum es geht. Nur darüber will ich überhaupt reden: Wie können wir in den sechs neuen Bundesländern das wichtigste Problem lösen, nämlich das Arbeitsmarktproblem? Dabei möchte ich darauf hinweisen: Um dieses Problem zu lösen, ist etwas mehr als materielle Leistungen notwendig. Wir haben die nationale Einheit erreicht, aber das Arbeitsmarktproblem und die Probleme der Sozialpolitik sind doch nur zu bewältigen, wenn wir uns gleichzeitig intensiv darum bemühen, auch die innere Einheit herzustellen.
Wir sind in einer zweiten Phase der deutschen Einigung. Die erste Phase ist am 3. Oktober abgeschlossen worden. Jetzt muß die soziale, die ökonomische, aber auch die geistig-kulturelle, die innere Einheit geschaffen werden. Deswegen sollte man bei allem, worüber wir hier diskutieren, doch den Menschen nicht vergessen, der das alles jetzt beobachtet und der vieles noch gar nicht verkraften kann.
Das Bundespresse- und -informationsamt hat vor der letzten Bundestagswahl das Institut der Deutschen Wirtschaft beauftragt, eine Analyse über die wirtschaftlichen Vorteile der deutschen Einheit zu erstellen. Aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn wir uns bei der Analyse auch mit den geistigen, moralischen und ethischen Grundlagen beschäftigen würden, die wir gemeinsam haben müssen, wenn die wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Maßnahmen erfolgreich sein sollen.
Eines kann - da hier gerade die Vertreterin der PDS gesprochen hat - nicht bestritten werden: Die SED hat es geschafft, sämtliche sozialen Beziehungsgeflechte zu zerschlagen. Es gibt keine gewachsene Nachbarschaftshilfe mehr. Die Verbände und Vereine sind gezielt zerstört worden; vielfach gibt es sie nicht mehr.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind, um nur dieses eine Beispiel zu nehmen, doch Aufgaben, die wir jetzt miteinander bewältigen müssen. Das ist natürlich auch ein Appell, den wir - diejenigen, die im Westen wohnen - an uns selber richten müssen. Gesetze und finanzielle Maßnahmen sind gut, aber - das haben wir ja auch beim Waffenexport gemerkt - sie führen eben sehr oft nicht zu dem gewünschten Ergebnis, wenn bei denjenigen, die von diesen Gesetzen betroffen sind, keine Moral dahintersteht. Deswegen müssen wir hier im Parlament - ich finde, das sollten wir gemeinsam tun - an alle diejenigen, die jetzt wirtschaftspolitische Verantwortung tragen, die investieren sollen, auch an die deutsche Wirtschaft, appellieren, sich an diesem Sozialpakt zu beteiligen. Wir sollten uns gemeinsam gegen diejenigen wenden - es sind nur einige wenige, die aber ein wahnsinnig schlechtes Beispiel geben - , die in den Führungskräften der alten Kader, die natürlich im historisch-dialektischen Materialismus geschult sind, ihre Ansprechpartner sehen, sich mit diesen Leuten treffen und versuchen, ihre Vorteile daraus zu ziehen. Man darf bei dieser ganzen Entwicklung doch auch nicht das zunehmende Unrechtsbewußtsein vergessen, das sich breitmacht, weil sich Startvorteile der letzten 40 Jahre in die Zukunft perpetuieren, weil Geschäftsführer der alten Kader auch die Geschäftsführer der neuen Kader sind.
Die Treuhand macht ja eine immer bessere Arbeit. Aber wir müssen hier vom Parlament aus sagen, daß neben den wirtschaftlichen Aufgaben die psychologischen Probleme gesehen werden müssen. Es ist für die Menschen eben unvorstellbar, daß der früher für die Staatssicherheit in Dresden verantwortliche Chef hier parlamentarische Immunität genießt; und gleichzeitig sollen sie aus rechtsstaatlichen Gründen Belastungen akzeptieren, die sie selber persönlich treffen. Das kann von vielen Menschen nicht nachvollzogen werden.
({4})
Deswegen ist es so wichtig, daß wir bei unseren Entscheidungen die Psychologie mit berücksichtigen.
Das gilt natürlich nicht nur für die Politik und für die Verantwortlichen bei der Treuhand. Es kommen noch viele andere Momente hinzu. Es gibt viele Leute aus der alten DDR, die jetzt in der Verwaltung Verantwortung tragen müssen. Es sind z. B. Juristen, die kein erstes und zweites Staatsexamen haben, die jetzt aber die neuen Gesetze anwenden müssen. So funktioniert das Ganze nicht.
Bei den Zeitungen haben wir viele Redakteure, die aus dem Westen stammen. Es werden dann Leute vor936
geführt, und der jeweils Betroffene kann sich nicht verteidigen, weil er in den 40 Jahren Diktatur nicht gelernt hat, Gedanken öffentlich zu äußern und sich zu rechtfertigen. Dann machen sich Resignation und Bitterkeit breit. Das alles sind Dinge, die wir jetzt, wenn wir an die Lösung dieser Fragen herangehen, doch gemeinsam mit berücksichtigen müssen.
Teilung kann man nur durch Teilen überwinden, wobei wir unseren Landsleuten hier im Westen einmal sagen müssen, daß sie trotz der Steuererhöhung im Grunde gar nichts teilen müssen. Es werden lediglich die Zuwächse der Einkommen etwas geringer.
({5})
Das sollten Sie als Sozialdemokraten auch einmal akzeptieren. Niemand muß von dem, was er hat, etwas abgeben.
({6})
Wir sollten in den öffentlichen Äußerungen Verständnis füreinander finden. Ich weiß nicht, ob jede Äußerung, die hier gefallen ist, dazu beigetragen hat, diese Verständnisbereitschaft zu wecken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, schon fällt jetzt der Begriff „heißer Sommer". Herr Schreiner hat davon geredet, daß die Sturmglocken läuten sollten. Bauen wir nicht ein neues Investitionshemmnis mit dieser Argumentation auf!
({7})
Hinsichtlich des § 613a BGB kann ich Ihnen, Herr Cronenberg, was die psychologische Befindlichkeit der Menschen angeht, nicht ganz zustimmen. Die Arbeitnehmer in der ehemaligen DDR, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, haben in den letzten 40 Jahren millionenfach gar nicht gelernt, mit dem Phänomen Arbeitslosigkeit umzugehen. Für sie bedeutet Arbeitslosigkeit eine persönliche Katastrophe.
({8})
Wenn wir den § 613 a BGB abgeschafft hätten, dann - davon bin ich fest überzeugt - hätten wir die psychologisch negative Situation bei den Deutschen in der ehemaligen DDR doch nur verstärkt.
({9})
Wenn man Unternehmen übernimmt, lieber Herr Cronenberg - das ist nun einmal so; wir sind nicht mehr im Zeitalter des Manchester-Kapitalismus; Sie sind auch nicht der Vertreter dieser Richtung -, dann übernimmt man doch nicht nur Maschinen, Kapital und Grundstücke. Es gehört vielmehr der Mensch dazu. Produktionsfaktor Kapital und Produktionsfaktor Arbeit sind inzwischen gleichberechtigt. Deswegen muß diese Frage in einem anderen Sinne gelöst werden.
({10})
Herr Dr. Geißler, gestatten Sie zwei Zwischenfragen, die von Herrn Professor Heuer und die von Herrn Cronenberg?
Bitte schön.
Sie haben soeben mit Recht auf das Problem der Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR hingewiesen. Sie haben weiterhin auf die Bedrohlichkeit der Beseitigung des § 613a BGB hingewiesen. Sie wissen aber, daß in der Koalitionsvereinbarung steht, daß § 613 a für einen bestimmten Zeitraum in der ehemaligen DDR abgeschafft werden soll. Ferner liegt für morgen der Vorschlag vor, § 613 a jedenfalls bei der Gesamtvollstrekkung, also beim Konkurs, zu beseitigen.
Herr Professor Heuer, würden Sie bitte zu Ihrer Frage kommen.
Ich würde gerne wissen, wie Sie dazu stehen.
Wie gesagt, es ist richtig, daß in der Koalitionsvereinbarung drinstand, daß § 613 a begrenzt ausgesetzt werden sollte.
({0})
- Drinsteht. Inzwischen ist dies aber korrigiert, und zwar ganz einfach deswegen, weil das, was in der Koalitionsvereinbarung ebenfalls stand, daß nämlich eine Übereinstimmung mit dem EG-Recht gesucht werden sollte, innerhalb des von der Koalition festgelegten Zeitraumes nicht möglich gewesen wäre.
({1})
Infolgedessen ist diese Koalitionsvereinbarung wieder abgeändert worden. Der § 613a gilt mit Ausnahme des Konkursfalls, und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entspricht dies genau der Richtlinie der EG, nach der wir uns natürlich auch zu richten hatten.
({2})
Eine weitere Zusatzfrage.
Werden Sie also morgen dafür oder dagegen stimmen, wenn der § 613 a jedenfalls im Konkursfall für die ehemalige DDR abgeschafft werden soll? Das soll ja morgen in diesem Haus beschlossen werden.
Wir stimmen dem zu, was die EG-Richtline vorsieht.
({0})
Nun die Zwischenfrage von Herrn Cronenberg.
Herr Kollege Geißler, es ist unbestritten, daß die Belegschaften des Schutzes bedürfen. Das Ziel aller Bemühungen ist, möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen. Aber sehen Sie nicht das Problem, daß bei der Neugründung eines Betriebes auf der grünen Wiese vier Jahre lang die Sozialplanregelungen, der § 613a und all diese Schutzvorschriften nicht praktiziert werden, um Neugründungen zu erleichtern, und daß das Risiko dann groß ist, daß, statt Altbetriebe mit TeilbelegDieter-Julius Cronenberg ({0})
schaften zu übernehmen, neue Betriebe gegründet werden und irgendwo ja auch wertvolles Volksvermögen nicht sinnvoll eingesetzt wird? Müssen nicht die Bedingungen, so lautet meine Frage, für den Übernehmer in einer solchen Situation mit überbesetzten Belegschaften genauso sein wie für den Neugründer?
Herr Cronenberg, der § 613 a schließt ja bei der Übernahme nur die Kündigung auf Grund dieser Übernahme aus, aber nicht die Kündigung aus anderen Gründen,
({0})
aus organisatorischen, wirtschaftlichen und sonstigen Gründen.
({1})
- Das ist ja die Erbschaft. Das wissen wir alle miteinander, daß die Unternehmen im Verhältnis 1: 2 oder 1 : 3 überbesetzt sind. Das ist ja unser Dilemma. Es ist ja nicht so gewesen, daß die Leute Beschäftigung gehabt hätten, sondern wir haben eine versteckte Arbeitslosigkeit gehabt, die jetzt nur offengelegt wird.
({2})
Insofern muß dies natürlich bereinigt werden. Deswegen haben wir ja alle diese Vorschläge miteinander beschlossen, um nicht nur über den Markt, sondern auch mit anderen Maßnahmen eine Überbrückung zu realisieren. Nur, ich kann doch auf der anderen Seite in einer solchen Situation, Herr Cronenberg, nicht eine psychologische Lage schaffen, die nun gerade die Unsicherheit der arbeitenden Menschen in den sechs neuen Bundesländern, von der ich geredet habe, noch verstärkt. Daß die wirtschaftlichen Probleme gelöst werden, ist bei dem, was wir gemeinsam gefunden haben, möglich, und mit dem Sozialplan hat der § 613a nur bedingt etwas zu tun. Sind wir uns darin einig?
({3})
Wir sollten jetzt damit aufhören, Schuldzuweisungen vorzunehmen. Wir sollten das in Angriff nehmen, was im übrigen außerhalb dieses Parlaments schon längst praktiziert wird. Wir sollten nämlich den Sozialpakt realisieren, den der Bundeskanzler angesprochen hat. Es ist ganz klar: Ohne Markt wird es nicht gehen, aber mit dem Markt allein geht es auch nicht. Das ist die Konzeption, die die Bundesregierung, die die Regierungskoalition vertritt. Ich will nur die herzliche Bitte äußern, daß wir alle miteinander dafür sorgen, daß die Milliardenbeträge, die jetzt in den sechs neuen Bundesländern investiert werden, vor allem die öffentlichen Investitionen, nicht in erster Linie von Firmen aus Westdeutschland verwendet werden,
({4})
sondern daß die Aufträge dorthin kommen, wohin sie gehören, nämlich in die Betriebe an Ort und Stelle.
Ich möchte Norbert Blüm einmal dafür danken, daß er mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nun wirklich in einer großartigen Weise eine Brücke gebaut hat: Den Statistiken des Instituts für Arbeitsmarktforschung habe ich entnommen, daß allein für das Jahr 1991 durch die Maßnahmen, die hier getroffen worden sind, der Arbeitsmarkt um 1,5 Millionen Menschen entlastet wird.
Lieber Herr Schreiner, zu Ihren dauernden Angriffen auf den Arbeitsminister möchte ich sagen: Man wird nicht dadurch besser, daß man andere dauernd schlechtmacht.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Herr Kollege Dr. Geißler, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Sie sagen, man solle mit Schuldzuweisungen aufhören. Ich glaube, wir alle sind uns hier einig, daß wir nicht der Bundesregierung die Schuld für die Hinterlassenschaft des SED-Staates in die Schuhe schieben können. Wir werfen Ihnen aber vor, daß die Herausforderungen, die auf uns zukommen, heruntergespielt werden. Wir werfen Ihnen vor, daß Sie so getan haben, als ob die Lösung der Probleme ohne Einnahmeverbesserungen der öffentlichen Hand möglich wäre. Wir werfen Ihnen vor, daß Sie den Wähler getäuscht haben und daß die Steuern und Abgaben, die Sie jetzt erheben wollen, eine extreme soziale Schieflage haben. Darum geht es letzten Endes auch in dieser Debatte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer den Einzelplan 15, den Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit, einer kritischen Würdigung unterzieht, der kann dies nicht, ohne zugleich die Organisationsentscheidung des Bundeskanzlers, den Bereich der Krankenversicherung dem Gesundheitsministerium zu übertragen, zu betrachten.
Ich will Sie über die Meinung der SPD-Fraktion zu diesem Vorgang nicht im unklaren lassen: Diese Entscheidung ist sachlich falsch sowie sozial- und gesundheitspolitisch schädlich.
Sicherlich hat es viel Positives für sich, die bisher zersplitterten gesundheitspolitischen Kompetenzen zu bündeln
({0})
und ihre Aufspaltung in die beiden alten Ministerien, das Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit einerseits und das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung andererseits, zu beenden. Jedoch ist die Richtung, in der diese Aufspaltung beendet wurde, falsch. Die Gesamtkompetenzen für die Gesundheitspolitik gehören in die Hand der- oder desjenigen Ressortschefs, der auch für die anderen Felder der sozialpolitischen Landschaft verantwortlich zeichnet.
Es ist nun ein Ministerium entstanden, dessen Konstruktion die Gefahr in sich birgt, vorwiegend zu einem Instrument der Interessenwahrnehmung zugunsten der Anbieterseite des Gesundheitswesens - also Ärzte, Zahnärzte und Pharmaindustrie - zu werden.
Wir Sozialdemokraten haben die Befürchtung, daß selbst bei gutem Willen der Ministerin in diesem Hause die Interessen der Anbieterlobby des Gesundheitswesens weitaus wohlwollender aufgehoben sind als die Interessen der Beitragszahler und Patienten. Deutlich ist, daß wir mit dieser Befürchtung nicht alleine dastehen; denn es ist kein Zufall, daß ausgerechnet die Anbieterseite des Gesundheitswesens diese Entscheidung lobt, während bei der Krankenversicherung und in den Gewerkschaften diese Entscheidung als verhängnisvoll kritisiert wird. Frau Ministerin, überzeugen Sie uns vom Gegenteil!
In diesem Zusammenhang fällt die Berufung des neuen beamteten Staatssekretärs besonders ins Auge. Dies läßt uns ebenfalls Schlimmes ahnen. Er ist nämlich genau jener, der bisher im Bundeskanzleramt den besonderen Auftrag hatte, die ohnehin zu schwächlichen Versuche des Kollegen Blüm, den Gesundheitsanbietern die Stirn zu bieten, noch abzuschwächen oder gar auszuhebeln.
({1})
Wir meinen, die Berufung dieses beamteten Staatssekretärs ist ein verhängnisvolles personalpolitisches Signal. Aber auch hierbei gilt: Überzeugen Sie uns vom Gegenteil.
({2})
- Ich sage ja: Überzeugen Sie uns vom Gegenteil.
Es gibt wohl kaum - das wissen wir alles aus der Vergangenheit - eine Interessenvertretung, die effektiver und druckvoller als die Gesundheitslobby operieren kann. Ihr ein starkes, mit umfassender sozial- und gesundheitspolitischer Zuständigkeit ausgerüstetes ministerielles Gegengewicht zu schaffen, dies wäre eigentlich die Aufgabe gewesen, der die Koalition jedoch nicht gerecht geworden ist, sondern der sie geschadet hat.
Im übrigen hat der für die sozial ungerechte und - wie sich zunehmend zeigt - selbst unter Einsparungsgesichtspunkten erfolglose sogenannte Gesundheitsreform politisch Verantwortliche seine Zuständigkeit für das Gesundheitswesen verloren. Der Bundeskanzler hat mit dieser Entscheidung in wohl kaum zu überbietender Deutlichkeit gezeigt, was er von der bisherigen Gesundheitspolitik des Kollegen Blüm hält und was er ihm zukünftig auf diesem Feld noch zutraut, nämlich nichts.
Es zeigt sich auch zunehmend, was wir bei der Beratung des sogenannten Gesundheits-Reformgesetzes immer gesagt haben. Dieses Gesetz hat nur kurzfristig zur Ausgabendämpfung bei der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen. Die Ausgaben - das sehen wir an den jüngsten Zahlen des Jahres 1990 - steigen wieder stärker als die Einnahmen.
Bereits bei der Debatte über die Regierungserklärung haben wir kritisiert, daß die Gesundheitspolitik, soweit sie überhaupt für diese Bundesregierung eine nennenswerte Rolle spielt, sich in wohlfeilen Floskeln und unverbindlichen Ankündigungen erschöpft. Bis heute haben Sie, Frau Gesundheitsministerin, es vermieden, konkrete inhaltliche Schwerpunkt zu setzen oder sich in dem festzulegen, was Sie wollen. Ich denke, wir hören das nachher, aber bitte konkret.
Die Koalition hat in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers eine Organisationsreform der Krankenversicherung angekündigt. Dabei wird wohlweislich vermieden, zu sagen, wie diese im einzelnen aussehen soll. Was soll es in diesem Zusammenhang eigentlich bedeuten, wenn als Ziel vorgegeben wird: Freiheit der Wahl der Krankenkasse für die Versicherten, aber unter Beibehaltung des gegliederten Systems in seiner bisherigen Form? Sie wissen, daß dies gar nicht möglich ist. Wer wirklich Wahlfreiheit für die Versicherten will, der bewirkt zwar ein gegliedertes System, aber es wird ganz anders als das bisherige aussehen.
Was wollen Sie also? Jeder in diesem Haus weiß doch, daß das gegliederte System in seiner bisherigen Form unhaltbar geworden ist, weil es soziale Ungerechtigkeit und Entsolidarisierung produziert. Wollen Sie daran festhalten? Wollen Sie weiterhin, daß eine Gruppe der Versicherten mehrere tausend Mark im Jahr mehr an Krankenkassenbeitrag bezahlen muß als eine andere Gruppe mit gleich hohen Einkommen? Wollen Sie daran festhalten, daß ein Teil der Mitglieder sich seine Krankenkasse aussuchen kann, während der andere gesetzlich zwangszugewiesen wird? Sind das etwa Ihre organisationspolitischen Vorstellungen für die heutige Zeit?
Ich frage noch einmal: Was sind Ihre Ziele in der Krankenversicherungsreform? Warum legen Sie keine präzisen Vorstellungen vor, warum nebeln Sie sich ein? Ich will Ihnen selbst die Antwort geben.
({3})
- Wir wollen die mal sehen oder hören.
Die Forderungen, die die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU einerseits und FDP andererseits an dieses politische Projekt stellen, schließen einander aus. Die inneren Gegensätze der Koalition in dieser Frage machen sie letzten Endes bewegungs-, handlungsund auch politikunfähig. Gleichwohl muß um der Menschen willen eine tragfähige Antwort gegeben werden. Ich kündige Ihnen daher schon heute an, daß wir Ihnen einen Antwortvorschlag hierzu nicht schuldig bleiben werden, sondern eigene Gesetzesvorschläge zur Organisationsreform vorlegen und Sie zwingen werden, auch Farbe zu bekennen.
Ein weiteres Feld der Gesundheitspolitik, in dem die Situation der betroffenen Menschen durchgreifende Reformmaßnahmen zwingend macht, ist das der Psychiatrie. Nicht der Einzelplan 15 und schon gar nicht die Regierungserklärung vor einigen Wochen deuten an, daß die Bundesregierung hier aktiv werden will. Über 15 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete des Deutschen Bundestages mit ihren vielen guten Vorschlägen und über sechs Jahre nach dem Auslaufen des von den Bundesministern Matthöfer und Huber aufgelegten Modellprogramms „Psychiatrie" mit seinen vielen guten Ergebnissen geschieht immer noch nichts.
({4})
- Herr Kollege Dr. Blüm, Sie wissen doch ganz genau, daß die Situation der Psychiatrie in unserem Land eine Schande für unser wohlhabendes Land ist. Das wissen Sie doch genau.
({5})
Wir wissen auch, daß die psychisch Kranken in der Politik nicht die Lobby haben, die sie eigentlich haben müßten. Das ist die traurige Wahrheit.
({6})
Unsere psychisch kranken Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich meist selbst nicht wirksam artikulieren können, brauchen uns alle. Hier, Frau Hasselfeldt, sind Sie als politisch verantwortliche Bundesministerin gefordert. Hier helfen nicht wohlfeile Versprechungen, sondern hier geht es darum, daß die Kranken endlich konkrete Taten sehen. Daran werden wir Sie messen, Frau Ministerin. Der erste Satz unseres Grundgesetzes heißt:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Das gilt auch für die psychisch Kranken, und zwar in ganz Deutschland. Sie von der Koalition werden auch in dieser Frage die Gelegenheit erhalten, über eine sozialdemokratische Initiative abzustimmen. Auch hier werden wir Ihrer Drückebergerei ein Ende bereiten.
Das dritte gesundheitspolitische Feld, auf dem die Bundesregierung durch vielsagende Enthaltsamkeit glänzt, ist das der Versorgung in den ostdeutschen Bundesländern. Sollten Sie es noch immer nicht mitbekommen haben: In einigen Bereichen erfährt die Versorgungssituation dort eine fast krisenhafte Zuspitzung. Wir Sozialdemokraten empfinden es als bestürzend, wie sich Bundesregierung und Koalitionsfraktionen von den Standesorganisationen der Ärzte und Zahnärzte deren ideologische Scheuklappen haben anlegen lassen, als es um die Frage der organisatorischen Ausgestaltung der ambulanten Versorgung ging. Bewußt und gezielt wurden und werden Polikliniken und Ambulatorien in den Ruin getrieben. Es konnte nicht sein, was ideologisch nicht sein durfte. Denn es geht hier letzten Endes um massive wirtschaftliche Interessen. Diese Interessen engstirniger Standesideologen erhalten Vorfahrt vor den Wünschen der Menschen und den Interessen der in diesen Einrichtungen Beschäftigten. Beide nämlich wurden noch nicht einmal gefragt, als es um diese Regelungen des Einigungsvertrags ging. Jedem ist doch klar, daß Polikliniken und Ambulatorien, denen der Einigungsvertrag die eigenständige Existenzberechtigung absprach und der sie zu Restgrößen, die nicht durch niedergelassene Ärzte auffüllbar waren, verbog, unter diesen Bedingungen nicht existieren konnten. Die Vergütungsregelungen und die Restlaufzeit der Einrichtungen von fünf Jahren erweisen sich als politische Garotte. Aber so waren sie wohl auch gedacht.
Für die SPD steht außer Zweifel, daß Einigungsvertrag und vereinbarte Vergütungsregelungen in diesen Punkten revidiert werden müssen, will man die Versorgungssituation für die Menschen stabilisieren. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, eine entsprechende Gesetzesinitiative vorzulegen. Das Interesse der Menschen an einer funktionierenden Gesundheitsversorgung hat Vorrang vor Standesideologie und einseitigen Interessen.
({7})
Als die pharmazeutische Industrie meinte, in den ostdeutschen Ländern nicht genug zu verdienen, wurde der Einigungsvertrag in wichtigen Punkten von der Koalition eilfertig revidiert. Über diesen Punkt werden wir heute ja noch abstimmen.
({8})
- Natürlich. - Was für die Pharmakonzerne billig ist, muß für die Menschen in schwieriger Lage doch wohl recht sein. Das Motto „Den Großen wird gegeben, den Kleinen wird genommen" darf nicht auch noch hier gelten, wo es um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger geht.
Der vierte Punkt, meine Damen und Herren, den ich ansprechen möchte, betrifft die finanzielle Situation der Krankenkassen in den ostdeutschen Ländern. Schon jetzt ist klar erkennbar, daß die finanziellen Vorgaben des Einigungsvertrages nicht erfüllt werden und daß wir Ende dieses Jahres ein kräftiges Defizit zu erwarten haben. Preise, Honorare und Pflegesätze sollten sich nach dem Einigungsvertrag auf dem Niveau von 45 % entsprechender westdeutscher Vergütungen bewegen. Schon jetzt ist klar, daß dieser Einstiegswinkel der Vergütungen in allen Versorgungsbereichen um Längen verfehlt werden wird, bei Ärzten wie bei Zahnärzten, bei Krankenhäusern wie in der Arzneimittelversorgung.
Ein Studium des Einzelplans 15 zeigt: Für ein solches Defizit hat die Bundesregierung keinerlei Dekkungsvorsorge getroffen. Die auffallende Schweigsamkeit der Bundesregierung zu diesem Thema zeigt auch: Sie ist nicht bereit, Druck auf die Gesundheitsanbieter auszuüben, um diese durch Neu- oder Nachverhandlungen zu bewegen, sich an der Defizitabdeckung zu beteiligen. Die Untätigkeit von Ihnen, Frau Hasselfeldt, beschwört eine Situation herauf, mit der Sie die ostdeutschen Krankenkassen in die Situation bringen, die Defizite des Jahres 1991 durch Beitragssatzerhöhungen 1992 ausgleichen zu müssen.
Wir meinen, das ist eine schwere Belastung für Versicherte und Arbeitgeber, und es ist auch Gift für ansiedlungswillige Unternehmen. Die Beitragssätze werden dann noch weiter auseinanderlaufen als heute. Da erwarten wir von Ihnen konkrete Antworten, Frau Ministerin.
({9})
Lassen Sie mich abschließend dazu sagen: Nachher wird noch ein Gesetzentwurf verabschiedet. Dazu haben wir als Sozialdemokraten einen Entschließungsantrag vorgelegt, der in der Debatte um das Änderungsgesetz zum SGB V zur Abstimmung stehen wird und der verhindern will, daß bei den Krankenkassen diese Defizite auflaufen.
Mein Appell deshalb an Sie, die Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Stimmen Sie nachher, wenn es zur Abstimmung kommt, dieser Entschließung zu.
Wenn ich in Würdigung der ersten Monate der Tätigkeit der neuen Gesundheitsministerin und ihres
heute vorgelegten Einzelhaushalts aus der Situation der SPD ein Urteil zu treffen habe, so lautet dieses: Frau Hasselfeldt, Sie haben leider keinen sehr guten Start gehabt.
({10})
Das Wort hat Herr Kollege Strube.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat offensichtlich keinen Redner mehr für den Einzelplan 11 gehabt. Es sieht so aus, als ob ich der einzige Haushälter sei, der hier zum Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung spricht.
({0})
Die SPD wäre sicherlich gut beraten gewesen, wenn sie an Stelle des Herrn Schreiner auch einen ihrer Haushälter hätte zu Wort kommen lassen, denn gute Haushälter reden nicht so laut und nicht so lange. Die SPD hat einige gute Haushälter. Gute Haushälter regieren mit ihrem Etat, meine Damen und Herren.
({1})
Meine Damen und Herren, wir wollen unser System der sozialen Sicherung in all seinen Teilen weiter verbessern. Wir wollen, daß der soziale Vorhang fällt und ein einheitlicher Sozialstaat im vereinten Deutschland entsteht, damit die wirklichen sozialen Errungenschaften allen Deutschen zugute kommen.
({2})
Der Einzelplan 11 des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung sieht daher Ausgaben von fast 88 Milliarden DM vor.
({3})
Er ist damit wieder einmal mit Abstand der größte Einzeletat des Bundeshaushalts.
Lassen Sie mich in aller Kürze einige Punkte herausgreifen:
Die Rentensicherheit ist eines der wichtigsten Gebote dieser Bundesregierung auf dem Weg zu einem einheitlichen Sozialstaat.
({4})
Das wissen die Rentnerinnen und Rentner in ganz Deutschland. Tatsache ist: die Rentenkassen sind gut gefüllt. Die Rücklage in der Rentenversicherung hat sich 1990 auf 34,8 Milliarden DM erhöht. Diese Rücklage von 2,6 Monatsausgaben ist ein sicheres Polster. Obwohl der Beitrag von 18,7 auf 17,7 % sinkt, wird 1991 eine Rücklage entstehen, die immer noch um 4 Milliarden DM höher liegt als 1990.
Die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung steht im übrigen in voller Übereinstimmung mit dem Prinzip des Rentenreformgesetzes von 1992, dem ja auch die Opposition zustimmt. Die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung greift zum Teil schon auf den Mechanismus des Rentenreformgesetzes vor. Demnach ist der Beitragssatz so zu bestimmen, daß am Ende des folgenden Jahres eine Schwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe erreicht wird.
Das Rentenreformgesetz 1992 gilt nach dem Einigungsvertrag ab dem nächsten Jahr auch in den neuen Bundesländern. Gleichzeitig gilt das seit 1986 bestehende Hinterbliebenenrecht auch in den neuen Bundesländern. Es berücksichtigt dabei auch diejenigen Schicksale, bei denen der Mann bereits verstorben ist. Auf diese Weise werden die Witwen im gesamten Bundesgebiet gleichgestellt.
Als Bundeszuschüsse an die Rentenversicherung sind insgesamt rund 50,7 Milliarden DM vorgesehen. Davon entfallen allein knapp 33 Milliarden DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in den alten Bundesländern. Darin enthalten sind 2,3 Milliarden DM als zusätzlicher Bundeszuschuß im Rahmen des Rentenreformgesetzes 1992. Für die knappschaftliche Rentenversicherung Ost und West sind 12,5 Milliarden DM als Bundeszuschüsse veranschlagt.
Über diese Zuschüsse an die Rentenversicherung hinaus erstattet der Bund den Rentenversicherungsträgern die Kosten für den Sozialzuschlag zu niedrigen Renten in den neuen Bundesländern. Hierfür sind 650 Millionen DM im Haushalt veranschlagt. Dieser Sozialzuschlag ist eine Art pauschalierte Sozialhilfe für eine Übergangszeit. Durch den Sozialzuschlag wollen wir den Rentnerinnen und Rentnern in der ehemaligen DDR einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglichen, nachdem die Subventionen für Güter des Grundbedarfs entfallen sind.
({5})
Seit langem verfolgen wir Christdemokraten das Ziel, die Erziehungs- und die Erwerbsarbeit gleich zu bewerten. Daher werden seit 1986 Zeiten der Kindererziehung bei der Rente angerechnet. Hierfür sind insgesamt 4,9 Milliarden DM im Haushalt bereitgestellt,
({6})
davon rund 3,1 Milliarden DM für die Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921. Insgesamt, meine Damen und Herren, erhalten in diesem Jahr rund 6 Millionen Frauen eine Rente, bei der Kindererziehungszeiten zugrunde liegen.
({7})
Ich finde, das sind beachtliche Größenordnungen, wenn man bedenkt, daß zur Regierungszeit der SPD hier nicht einmal Leertitel vorhanden waren.
({8})
Bei der Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR in die gesetzliche Rentenversicherung werden wir ungerechtfertigte Vergünstigungen abschaffen. Überhöhte Leistungen wollen wir abbauen. Momentan erhalten fast 200 000 ehemalige DDR-Bürger eine Zusatzversorgung. Wir werden jeden einzelnen Fall prüfen;
({9})
denn wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, darf nicht auch noch mit einer höheren Rente belohnt werden.
({10})
Es ist nur gerecht, wenn wir solchen Leuten die Rente kürzen oder gar aberkennen.
Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, werden immer mehr Menschen pflegebedürftig. Die Bundesregierung wird bis zum Sommer 1992 einen Gesetzentwurf zur sozialen Absicherung bei Pflegebedürftigkeit vorlegen.
({11})
- Keine Sorge, das kommt.
Was noch flächendeckend fehlt, ist eine leistungsfähige Infrastruktur mit vielen unterschiedlichen Pflegeleistungen und Pflegeeinrichtungen.
({12})
Zur Vorbereitung auf die Einführung der Pflegeversicherung soll ein Modellprogramm des Bundes in den Haushalt 1991 eingestellt werden.
({13})
Aus Modellmitteln sollen vor allem in die neuen Bundesländer Starthilfen fließen, damit ein Netz von ambulanten Diensten und Sozialstationen aufgebaut werden kann.
({14})
Aber auch den Ausbau und die Verbesserung der stationären Pflege wollen wir damit fördern.
Das sind wichtige Schritte auf der Strecke zu einem einigen Sozialstaat Deutschland, die ohne die Leistung vieler Helfer nicht so schnell möglich gewesen wären. Ich möchte hier stellvertretend für viele die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nennen. Es ist wichtig, meine Damen und Herren, daß wir nicht nur die wunden Stellen aufzeigen, sondern auch einmal all denen Lob zollen, die ihren Beitrag zur positiven Wende im Sozialstaat leisten und geleistet haben.
({15})
Die BfA war maßgeblich an der Umstellung und der Anpassung der Sozialversicherungsrenten im Beitrittsgebiet beteiligt. Zum 1. Juli 1990 wurden rund 3 Millionen Renten im Beitrittsgebiet neu berechnet und angepaßt. Die BfA druckte und versandte insgesamt 2,3 Millionen Anpassungsbescheide, vergab 2,5 Millionen Versicherungsnummern und versandte ebensoviele Versicherungsnachweishefte. Gleichzeitig hat die BfA Arbeitgeber, Arbeitnehmer und 250 000 versicherungspflichtige Selbständige in den neuen Bundesländern über die neue Beitragsentrichtung informiert. Eine der wichtigsten Aufgaben war, für den Aufbau einer effektiven Verwaltung für den Beitragseinzug zu sorgen.
Sie sehen: Nur durch den gemeinsamen Einsatz aller Beteiligten können wir die Probleme in den neuen Bundesländern bewältigen. Schließlich gehen wir alle als Pioniere bei dieser gewaltigen sozialpolitischen Herausforderung eine unbekannte, oft schwierige
Strecke, jeder auf seinem Gebiet. Sozialleistungen sind dabei keine Geschenke des Himmels. Sie müssen hart erarbeitet werden. Nur wenn die Menschen auch weiterhin unserer Sozialpolitik vertrauen können, hat der soziale Friede im vereinten Deutschland Bestand. Dafür stehen wir. Dafür arbeiten wir.
Herzlichen Dank.
({16})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern sprach ich an dieser Stelle in bezug auf die ehemalige DDR vom „annektierten" Gebiet, was einige Empörung ausgelöst hat. Im Haushaltsplan des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung gibt es eine andere, allerdings ebenfalls sehr deutliche Formulierung. Dort ist die Rede vom „in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet". Distanzierter kann man es kaum ausdrücken. So weit weg ist dieser Teil der BRD mit seinen Menschen und seinen Problemen für die Bonner Regierung und ihre Beamten, daß man sich nach fast einem Dreivierteljahr praktizierter Vereinigung immer noch dieser Formel aus dem Einigungsvertrag bedient. Im Grunde ist das die Sprache, in der man von einem Protektorat spricht.
Es liegt in der Logik dieser Distanz, daß dieser Haushaltsplan den Eindruck erweckt, als handle es sich beim Ministerium für Arbeit und Sozialordnung um eine Instanz zur Verwaltung von Arbeitslosenhilfe und Vorruhestandsgeld. Für die Förderung neuer Wege in der Arbeitsmarktpolitik wird für 1991 eine lächerlich geringe Summe veranschlagt.
({0})
Neue Wege sind angesichts des Zusammenbruchs des ostdeutschen Arbeitsmarkts in der Tat erforderlich. Bereits jetzt gibt es rund 800 000 Arbeitslose. Noch verschleiern Kurzarbeits-, Vorruhestands- sowie Warteschleifenregelungen die Dramatik der Situation. Unzureichende statistische Erhebungen tun ein übriges. Es fehlen sowohl Aussagen zur Altersund Qualifikationsstruktur der Erwerbslosen als auch eine nach Frauen und Männern differenzierende Betrachtung von Arbeitsmarktsituation und Arbeitslosigkeit.
Vor dem, was Arbeitslosigkeit bedeutet, vor ihren ökonomischen und psychischen Folgen für die Menschen in Ost und West scheint man in Regierungskreisen noch immer erfolgreich die Augen zu verschließen. Was muß denn noch alles passieren, damit endlich die Realität zur Kenntnis genommen und mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ein Anfang gemacht wird?
Nach wie vor werden sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als die mögliche Rettung vor Arbeitslosigkeit propagiert. Ganze 130 000 Stellen sind bisher eingeplant. Das bietet vielleicht für einige Betroffene eine zeitlich begrenzte Übergangslösung, aber keine dauerhaften Arbeitsplätze.
So wie die ABM bisher angelegt sind, gehen von ihnen keine arbeitsmarktbezogenen Impulse aus, zumal wenn ABM-Stellen in Bereichen eingerichtet werden, in denen zuvor massenhaft Entlassungen vorgenommen wurden. Oder wie ist Ihr Kollege, Herr Landowsky von der Berliner CDU, mit seiner Empfehlung zu verstehen, Kinderbetreuung und andere soziale Dienste über ABM-Kräfte abzudecken?
({1})
Statt ABM verstärkt mit Umschulungsmaßnahmen zu verbinden, unterstützt solche Art von Beschäftigungspolitik die Verdrängung qualifizierter Arbeitskräfte und dient vielmehr der Kostenersparnis - zu Lasten der Einkommen und der Sicherheit der Beschäftigten.
ABM und Beschäftigungsgesellschaften - der zweite arbeitsmarktpolitische Geheimtip, den die Regierung parat hat - sind nur dann sinnvolle Instrumentarien, wenn sie mit wirtschafts- und strukturpolitischen Maßnahmen koordiniert werden.
Dies ist dringend erforderlich, wenn hochqualifizierte Arbeitskräfte in Ostdeutschland nicht zu einem Heer wieder arbeitsloser Steuerberater und Versicherungsagenten umgeschult bzw. dequalifiziert werden sollen.
({2})
Voraussetzung dafür ist aber, daß die Regierung aufhört, den Prozeß der Eingliederung der DDR als politisches Erfolgserlebnis zu genießen, und endlich beginnt, sich ernsthaft mit der Gesamtheit der ökonomischen, sozialen und psychischen Folgen von Währungsunion und Aneignungsverträgen zu beschäftigen. Dann bliebe uns eventuell eine Politik erspart, die von einem Desaster zum nächsten führt und die die wirklichen Belange der Menschen in der ehemaligen DDR nur in dem Maße berücksichtigt, wie diese mit den Füßen abstimmen.
({3})
Bereits jetzt ist absehbar, daß Frauen in der ehemaligen DDR überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind und bleiben werden. Ihr Anteil an den Arbeitslosen liegt inzwischen bei rund 55 %. In besonderem Maße wirkt sich hier der Zusammenbruch der Textil- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Landwirtschaft aus. Bis zum Jahresende wird z. B. mit einer Reduktion des Personalbestandes in der Textil- und Bekleidungsindustrie auf ein Viertel gerechnet. Und da sagt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Franke, in einer Pressekonferenz Anfang März: „Arbeitslos zu werden ist kein Verhängnis. " Spricht aus diesen Worten nun Dummheit oder Zynismus? frage ich mich. Die Frauen in der ehemaligen DDR machen jetzt die gleichen Erfahrungen, die Frauen in der alten BRD bereits vertraut sind: Eine Verringerung der Zahl der Erwerbsarbeitsplätze geht einher mit der Verdrängung von Frauen, Älteren und Behinderten!
Frauenerwerbslosigkeit ist im Kapitalismus eine Dauererscheinung. Sie ist Funktionselement einer Wirtschaft, die die totale Verfügbarkeit verlangt.
({4})
Menschen, die Verantwortung für andere Menschen übernommen haben, werden in diesem System als nicht oder nur bedingt brauchbar definiert. Frauen als Manövriermasse in Krisenzeiten - ein Konzept, das an den Bedürfnissen von Frauen in der ehemaligen DDR im übrigen völlig vorbeigeht.
Ich wiederhole noch einmal, was ich an dieser Stelle schon mehrfach gesagt habe: Erwerbstätigkeit war und ist - das wird auch Frau Ministerin Merkel bestätigen können - für Frauen in der ehemaligen DDR ein unverzichtbares Element einer Lebensplanung, die sich auf ökonomische Selbständigkeit gründet.
({5})
Frauen verbinden ihre Identität in hohem Maße mit ihrer Erwerbsarbeit. Insofern sehen sich Frauen in der ehemaligen DDR im wahrsten Sinne des Wortes einer Existenzkrise gegenüber.
Als Ersatz für ein selbstverdientes Einkommen werden den Frauen Sozialhilfe und die entwürdigende Prozedur ihrer Beantragung zugemutet! Wenn sie die ihnen zugewiesenen Plätze im gesellschaftlichen Rollenspiel schon nicht freiwillig einnehmen, so schafft man eben die Bedingungen, die Frauen dazu zwingen: „Nur" 60 bis 70 DM soll z. B. ein Kindergartenplatz inklusive Mittagessen in Zukunft kosten. Neben der Erhöhung der Tarife und künftig auch der Mieten bedarf es dann nur noch eines moralischen Drucks, wie ihn z. B. Frau Nolte hier produziert hat, und arbeitslose Frauen nehmen ihre Kinder aus den Betreuungseinrichtungen heraus. Da freuen sich dann die Apostel des Patriarchats und reden von abbaubaren „Überkapazitäten".
So entsteht dann ein aussichtsloser Kreislauf: Verlust des Erwerbsarbeitsplatzes, Schließung der Kinderbetreuungseinrichtungen wegen vermeintlicher Unterbelegung und anschließend Probleme bei der Arbeitsplatzvermittlung für Frauen, weil Betreuungseinrichtungen dann eben nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden sind.
Frauenerwerbslosigkeit bedeutet - ebenso wie die Erwerbslosigkeit von Männern - nicht nur Verlust an Einkommen und Lebensinhalt, sondern auch Vergeudung von Leistungspotential und Verfall von Qualifikationen.
Wo bleibt denn das Positive? werden Sie jetzt fragen. Ja, wo bleibt es denn ...? Wo bleiben gezielte Maßnahmen zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit in nicht frauentypischen Berufen? Wo bleibt die Quotierung? Wo bleiben Fortbildungsmaßnahmen, die dem hohen Qualifikationsniveau der Frauen in der ehemaligen DDR gerecht werden? Ja, Herr Blüm, wo bleibt das alles?
Dieser Haushalt eröffnet keine positiven Möglichkeiten.
({6})
Warum auch! Warum sollte es den Frauen auf dem Territorium der ehemaligen DDR besser gehen als ihren Schwestern im Westen?
Danke.
({7})
Das Wort hat die Ministerin für Gesundheit, Frau Hasselfeldt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Bildung eines eigenen Gesundheitsministeriums wird der besonderen Bedeutung der Gesundheitspolitik der 90er Jahre Rechnung getragen. Das, was Sie, Herr Kirschner, zu diesem Thema geboten haben, waren nichts anderes als Unterstellungen und Vermutungen.
({0})
Ich möchte hier deutlich machen, daß ich mich am Anfang meiner Amtszeit von Ihnen nicht ohne Grund in irgendeine Interessensecke stellen lasse. Sie haben dafür überhaupt keine Grundlage.
({1})
Gesundheit ist für uns alle, ist für die Bürger in unserem Land von so großer Bedeutung, daß man es sich so einfach nicht machen kann. Wir alle sind in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß unsere Bürger so lange wie möglieh gesund bleiben, daß sie dann, wenn sie krank sind, optimal versorgt werden und daß dies alles zu bezahlbaren Bedingungen geschieht. Das ist weiß Gott keine leichte Aufgabe! Es ist eine Aufgabe, die jetzt in einem Haus zusammengefaßt ist, wo alle, die in der Gesundheitspolitik Verantwortung tragen, auch in die Verantwortung genommen werden.
({2})
Dabei, meine Damen und Herren, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, die, möglichst rasch für eine einheitliche und optimale Gesundheitsversorgung aller Bürger in unserem Land zu sorgen. Und da wissen wir alle, daß wir einen enormen Nachholbedarf gerade in den neuen Ländern haben. Besonders diesem trägt auch die Gesundheitspolitik Rechnung, einmal durch den Aufbau der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern, womit eine grundlegende Voraussetzung dafür geschaffen wurde, zum anderen aber auch dadurch, daß wir durch den Gesetzentwurf, den wir heute abend noch beraten und beschließen werden, die Arzneimittelversorgung im Beitrittsgebiet sicherstellen, daß wir Beitragssatzstabilität sicherstellen, daß wir hierbei alle Beteiligten auch in die Verantwortung einbeziehen.
Darüber hinaus müssen wir den Zustand der Krankenhäuser in den neuen Bundesländern verbessern. Obwohl dies eigentlich in der Aufgabe und in der Verantwortung der Länder liegt, nehmen wir uns auch dieser Sorgen mit an, weil wir wissen, wie wichtig gerade dies für die Menschen im Beitrittsgebiet ist.
({3})
Dafür stehen einmal Mittel aus dem Gemeindekreditprogramm zur Verfügung, das mit 15 Milliarden DM ausgestattet ist, das aufgestockt wurde. Dazu kommen dann auch noch Mittel aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost. Aus diesem Topf werden den Kommunen in den neuen Ländern sofort 5 Milliarden DM als Investitionspauschale zur Verfügung gestellt.
Mittel aus beiden Programmen können insbesondere auch für die Instandsetzung von Krankenhäusern verwendet werden. Jetzt geht es darum, daß sie auch dafür verwendet werden. Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch eine Aufgabe von uns, von den Abgeordneten in den neuen Ländern, nämlich dafür zu sorgen, daß diese Mittel, die bereitstehen, nicht für irgend etwas, sondern eben wirklich auch für diese wichtige Aufgabe der Krankenhaussanierung verwendet werden.
({4})
Ich möchte Sie ganz herzlich bitten - ich habe einen Brief ähnlichen Inhalts auch an die Länderminister geschrieben - , auf die Kommunalpolitiker vor Ort, auf Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Kommunalpolitik, einzuwirken und darauf besonders hinzuweisen. Es ist ihre Entscheidung, wofür diese Gelder verwendet werden.
Wir haben ein Weiteres getan, nämlich uns auch der Weiterbildung der Ärzte angenommen. In den neuen Bundesländern haben wir zunächst einmal gemeinsam mit der Krankenversicherung und mit der Krankenhausgesellschaft eine Finanzierungslösung für diejenigen gefunden, die zur Zeit noch ihre Weiterbildung im klinischen Bereich machen. Wir haben für die bestehende Finanzierungslücke im ambulanten Bereich im Haushalt 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt, obwohl auch dies keine Bundesaufgabe ist; aber auch hier geht es uns darum, einmal die medizinische Versorgung sicherzustellen und zum anderen diesen jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine lange und eine schwierige Ausbildung zu Ende zu führen.
({5})
Darüber hinaus werden wir die neuen Bundesländer in die vom Bund finanzierten Modellprogramme, z. B. zur besseren Versorgung bei Krebskranken, bei chronisch Kranken und auch bei der Aids-Bekämpfung, einbeziehen. Bei diesen Modellprogrammen fließen sogar mehr als 50 % der insgesamt dafür vorgesehenen Mittel in die neuen Länder.
({6})
Sie sehen daraus: Alles im Bereich des finanziell Möglichen wird getan,
({7})
um die gesundheitliche Versorgung in den neuen Ländern so schnell wie möglich zu verbessern. Aber jetzt kommt es eben auch darauf an, alle Kräfte zu mobilisieren und vor allem alle Möglichkeiten auszuschöpfen.
Das gilt auch für die Umstrukturierung der Polikliniken, eine Umstrukturierung, Herr Kirschner, die eben ohne ideologische Scheuklappen vorgenommen werden muß. Unser Ziel ist die Sicherung einer flä944
chendeckenden ambulanten Versorgung zu bezahlbaren Bedingungen in einem freiheitlichen Gesundheitswesen.
({8})
Nicht irgendeine ideologische Zielsetzung, sondern die Zielsetzung, die den Menschen vor Ort dient, muß die sein, die bei der Umstrukturierung der Polikliniken die ausschlaggebende ist.
Die Kassen können nur den Teil der Kosten bezahlen, der medizinisch begründet ist. Wir haben durch die Aufstockung der ABM-Mittel und durch eine verbesserte Vergabe bei den ABM-Mitteln, z. B. durch die Einbeziehung auch von Projekten, die Grundlagen dafür geschaffen, daß die bisher in den Polikliniken geleisteten sozialen Dienste von den Gemeinden auch weitergeführt werden können.
Trotz der wichtigen speziellen Aufbauaufgaben in den neuen Ländern geht es in den kommenden Jahren natürlich auch darum, das Gesundheitswesen in ganz Deutschland weiterzuentwickeln. Es darf nicht nur ein Reparaturbetrieb sein. Hier ist auch nicht nur der Staat gefordert, hier ist nicht nur die Solidargemeinschaft gefordert. Vielmehr ist die Gesundheit etwas so Wichtiges, daß auch jeder einzelne daran seine Verantwortung zu messen hat. Deshalb darf auch die Vorsorge, die Eigenverantwortung eine nicht geringe Rolle spielen. Dafür sind natürlich auch entsprechende Information und entsprechende Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger notwendig. Wir haben dem im Haushalt auch dadurch Rechnung getragen, daß wir bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dafür etwa 25 Millionen DM zur Verfügung stellen.
Wir setzen in diesem Haushalt aber auch bei der Krankheitsbekämpfung deutliche Akzente. Nur einige Beispiele: Mehr als 100 Millionen DM stellen wir im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Aids zur Verfügung. 45 Millionen DM stehen für die Maßnahmen zur besseren Versorgung von Krebspatienten bereit. Das sind nur einige Beispiele, um deutlich zu machen: Obwohl die Länder hier stärker in der Verantwortung sind, stiehlt sich der Bund nicht aus der Verantwortung.
Lassen Sie mich noch einen, mir sehr wichtig erscheinenden Bereich ansprechen, dem wir uns in der Gesundheitspolitik der nächsten Jahre widmen müssen: Ich meine das, was man landläufig unter dem Stichwort Pflegenotstand versteht. Ich meine die Situation der Krankenschwestern, die Situation der Krankenpfleger, die mit großem Engagement ihre Arbeit verrichten, dafür aber nicht immer die entsprechende finanzielle und ideelle Anerkennung finden. Die sich daraus ergebenden Nachwuchsprobleme sind offenkundig.
Ich meine, es liegt an uns allen, die wir für die Gesundheitspolitik in diesem Land mitverantwortlich sind, dafür zu sorgen, daß all jene, die in den Krankenhäusern diesen Dienst tun - wir sind alle darauf angewiesen, daß sie diesen Dienst auch verantwortlich wahrnehmen - , entsprechend besoldet werden und daß ihre Arbeitsbedingungen und ihre Aufstiegsschancen so gestaltet werden, daß ihr Beruf auch wieder attraktiver wird.
({9})
Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß wir dieses nicht alleine tun können, sondern daß dieses mit tarifrechtlichen Fragen, mit Aus- und Weiterbildungsfragen, die mit den Ländern zu erörtern sind, und natürlich auch mit nicht unbedingt zurückgehenden Ausgaben zusammenhängt. Dieses und manches andere ist zumindest teilweise mit neuen Ausgaben verbunden. Trotzdem muß es uns gelingen, das Gesundheitswesen bezahlbar zu machen.
Da mag so manch einer einen nicht aufzulösenden Widerspruch sehen. Mir ist durchaus klar, daß dies keine Aufgabe ist, die mit einer Handbewegung, einem kleinen Fingerstreich mit nur einem Beitrag oder einer Rede zu lösen ist. Es erfordert von uns allen die Kraft, uns in der Gesundheitspolitik auf das Wesentliche zu beschränken und auf das zu konzentrieren, was die Menschen wirklich brauchen, und die Eigenverantwortung und die Vorsorge auch stark in die Gesundheitspolitik mit einzubeziehen. Es erfordert von uns, das, was an Wirtschaftlichkeitsreserven noch vorhanden ist, auch tatsächlich auszunutzen.
({10})
Ein Beispiel sind im Bereich der Arzneimittel die Festbeträge, die in der Gesundheitsreform hart erkämpft wurden.
({11})
Die Erfolge sind heute sichtbar. Bisher wurden etwa 6 000 Festbeträge umgesetzt. Sie führen bei den Krankenkassen zu Einsparungen von mehr als 500 Millionen DM. Die Versicherten werden durch den Fortfall der Zuzahlungen um rund 430 Millionen DM jährlich direkt entlastet. Man vergißt häufig, daß dies auch eine zusätzliche direkte Entlastung der Versicherten, der Beitragszahler ist.
({12})
Mittlerweile hat auch die Selbstverwaltung den Einstieg in die Stufen 2 und 3 des Festbetragskonzepts geschafft, obwohl dies vor gar nicht allzu langer Zeit so hingestellt wurde, als wäre dies überhaupt nicht möglich. Erst heute wurden für 17 chemisch verwandte Substanzen Festbeträge festgelegt.
Nun, meine lieben Freunde, meine Damen und Herren, liegt es in der Hand der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen, die Festbetragsumsetzung zu beschleunigen. - Sie haben gemerkt, daß ich einmal nach links und einmal nach rechts geschaut habe und mir nicht mehr so ganz sicher war, ob ich überall gute Freunde habe.
({13})
Es war nicht ein Versprecher; es war der Respekt vor diesem Hohen Hause, der mich dazu verleitet hat, dies zu korrigieren.
Meine Damen und Herren, dies gilt übrigens nicht nur bei den Festbeträgen, sondern auch in einer ganzen Reihe anderer Punkte. Es gilt, die Regelungen der
Gesundheitsreform nicht nur mit Gesetzen und Verordnungen, sondern auch durch die Selbstverwaltung umzusetzen.
({14})
Auch da werde ich mich bemühen, mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten daraufhin einzuwirken.
({15})
Das, was wir auch noch vor uns haben, ist die Organisation zur Strukturreform der Krankenversicherung. Herr Kollege Kirschner, Sie brauchen uns aber dazu nicht zu zwingen. Sie brauchen nur die Koalitionsvereinbarung zu lesen. Dies steht schon darin.
({16})
Meine Damen und Herren, wir werden aber auch dieses nicht mit einem Schuß aus der Hüfte erledigen. Wir werden es vielmehr in einer intensiven Beratung in den Koalitionsfraktionen und mit allen Beteiligten erledigen. Wir werden nie in der gesamten Gesundheitspolitik das Ziel aus den Augen verlieren, das da heißt: ein freiheitliches Gesundheitswesen erhalten, eine optimale Versorgung für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu gestalten - dies alles zu Bedingungen, die wir, die Bürger in diesem Land, auch bezahlen können.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sopart.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Rahmen einer solchen Haushaltsdebatte ist es außerordentlich angemessen, auf die Probleme des Gesundheitswesens in den fünf neuen Bundesländern einzugehen. Stellt die Sicherung der medizinischen Versorgung in jedem gesellschaftlichen System im Zusammenwirken mit anderen sozialen Sicherungsmechanismen doch immer ein wichtiges Kriterium für das soziale Wohlbefinden der Bevölkerung dar, so ist die Kontinuität dieser Versorgung in Umbruchsituationen, wie wir sie jetzt im Beitrittsgebiet erleben, mit all den deutlich zu Tage tretenden Zukunftsängsten von zentraler Bedeutung.
Welche vor allem psychologischen Auswirkungen eine Störung in diesem System hervorruft, hat uns der an dieser Stelle nochmals nachdrücklich verurteilte Teilboykott der Pharmaindustrie am Anfang dieses Jahres deutlich gezeigt. Es wird dabei auch erkennbar, daß wir uns unter Berücksichtigung des Tempos der Vereinigung keinerlei Experimente leisten können. Die Formel vom Radwechsel bei voller Fahrt ist durchaus zutreffend.
Unter diesem Aspekt sind Umstellungsprobleme zwangsläufig und wohl kaum zu vermeiden. In der Kürze der Zeit ist vieles schon erreicht; einiges bedarf der weiteren Einflußnahme.
Hervorzuheben ist hierbei, daß es durch die immensen Anstrengungen und auch durch den hohen Einsatz der Beteiligten gelungen ist, innerhalb kürzester Zeit das gegliederte System der GKV auf das Beitrittsgebiet zu übertragen. Damit ist die zentrale Finanzierungsgrundlage des Gesundheitswesens für die neuen Länder geschaffen.
Bezüglich der Finanzierung der Versorgungsleistungen stellen die vorausberechneten geringen Einnahmen der Kassen bei festgeschriebenem Beitragssatz und geringerem Einkommen in den neuen Ländern wohl das zentrale Problem dar. Die gegebene Ausgangssituation des DDR-Gesundheitswesens berücksichtigend, kann man feststellen, daß es im Bereich der stationären Versorgung wohl die geringsten Anpassungsprobleme gibt. Die hier vorgefundene Gliederung und Kapazität der stationären Versorgungseinrichtungen ist den Notwendigkeiten angepaßt.
Probleme ergeben sich hier bei der Zuordnung der Rechtsträgerschaft, besonders bei bezirksgeleiteten Einrichtungen und Spezialinstituten. Hier ist eine weitere Klärung nötig. Auch die Finanzierung ist mit den ausgehandelten Pflegesätzen gesichert. Ein immenser Nachholbedarf besteht jedoch bezüglich der Bausubstanz und besonders auch in der gerätetechnischen Ausstattung. Hier geben sich wohl alle diejenigen Illusionen hin, die glauben, dies wäre schon im laufenden Haushaltsjahr westlichem Niveau anzupassen.
Mit dem Gemeindekreditprogramm in Höhe von 15 Milliarden DM und dem Finanzvolumen von 5 Milliarden DM für das kommunale Investitionsprogramm ist aber ein deutliches Zeichen gesetzt worden.
Meine Damen und Herren, die zentrale Umstellungsproblematik ergibt sich im Bereich des ambulanten Gesundheitswesens. Während im westlichen System die Einzelpraxis mit dem Ideal des Arztes als eines freien Berufs das Bild prägt, waren es in der DDR vor allem die Polikliniken und Ambulatorien, die die ambulante medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherten. Von den 22 000 ambulant tätigen Ärzten übten lediglich 341 ihre Tätigkeit in freier Niederlassung aus. Das Zahlenverhältnis charakterisiert die Größe des Problems. In diesem Sinne sind die Bestandsgarantien für die Polikliniken über fünf Jahre, wie im Einigungsvertrag vorgesehen, für einen Teil der Versorgungsbereiche noch erforderlich. Deutlich geworden ist aber auch in den einzelnen territorialen Bereichen, daß die Tendenz der ärztlichen Kollegen zur privaten Niederlassung sehr stark ist.
Unter Übernahme der schon vorhandenen Praxen bzw. Einrichtungsgegenstände und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der zunächst vorgesehene 45 %ige Einstiegswinkel mit 6,1 Pfennig pro Punktwert erweitert wurde, ist die Finanzierung ein für den niedergelassenen Arzt durchaus lösbares Problem. Unter diesem Aspekt sind z. B. in meinem Wahlkreis gegenwärtig alle Polikliniken schon aufgelöst bzw. haben sich zu Ärztehäusern umgebildet, ohne daß die medizinische Versorgung der Bevölkerung eingeschränkt worden wäre.
({0})
Probleme ergeben sich allerdings vor allem bei der Finanzierung der Ausbildung junger Kollegen. Hier ist eine bessere Umsetzung der Finanzhilfen durch die Bundesregierung erforderlich.
Aus meiner Sicht bestehen Schwierigkeiten im Umbildungsprozeß der Polikliniken vor allen Dingen in den großen Städten mit ihren sehr großen poliklinischen Einrichtungen. Hier ist unter deutlichem Personalabbau und unter Berücksichtigung der Abschlagszahlung aber eine Finanzierung möglich.
Insgesamt, meine Damen und Herren - lassen Sie mich, Frau Präsidentin, diese letzten Sätze sagen -, stellt die Umstrukturierung des Gesundheitswesens in den neuen Ländern eine vielfältige, komplizierte, facettenreiche Problematik dar, die an dieser Stelle lediglich skizzenhaft dargestellt werden konnte. Eine gute Entwicklung ist hier auf den Weg gebracht. Die medizinische Versorgung der Bevölkerung war bisher zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt, und absehbar wird es Einschränkungen auch für die nächste Zukunft nicht geben.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Haushaltplans ist Ausdruck des politischen Willens der Regierung. Mit der Zuordnung von Geldern zu bestimmten Problembereichen zeigen die, die politische Verantwortung tragen, welchen Stellenwert sie einem Problem beimessen. Sie schaffen also den finanziellen Rahmen.
Wenn man diesen Maßstab anlegt, dann gibt es über den Einzelplan 25 für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nur ein Urteil: Die Probleme werden verdrängt, bagatellisiert oder gar nicht erkannt. Die Lösungsvorschläge sind zweit-, teilweise sogar drittklassig, der Haushaltsplan enthält Lücken und ist der gedruckte Beweis der wohnungspolitischen Konzeptionslosigkeit dieser Regierung,
({0})
und - das zieht sich als Gesamtkritik durch die ganze Haushaltsdebatte - die Zahlen des Etats decken auch im Bereich Wohnungsbau und Städtebau den Wortbruch der Regierung auf.
({1})
Vor der Wahl wurde fleißig versprochen, nach der Wahl wurde kräftig einkassiert.
Die Urteile über die Wohnungspolitik der Bundesregierung sind entsprechend.
Die Koalitionsvereinbarungen,
- so schreibt die „Deutsche Wohnungswirtschaft" haben die Grundlagen zur Bewältigung der gigantischen Aufgaben auf dem Gebiet des Wohnungswesens nicht geschaffen.
„Die Wohnungswirtschaft", eine andere Fachzeitschrift, stellt die Frage:
Wo ist die zwingend nötige Konzeption, und wo ist der Kopf, wo ist die Kreativität, und wo ist der nötige Sachverstand, diese neuen Ideen umzusetzen?
Über Ihre ideenlose Reparatur des § 10e Einkommensteuergesetz rauft sich die gesamte Fachwelt die Haare. Eine Eigentumsförderung, die diesen Namen verdient, findet nicht mehr statt. Das beweisen Ihnen die Zahlen. Der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern geht immer mehr zurück.
Das ganze Ausmaß der Konzeptionslosigkeit dieser Regierung, gemischt mit handwerklichen Fehlern,
({2})
zeigt beispielhaft die regierungsamtliche Diskussion um Mieterhöhungen in den neuen Bundesländern. Zunächst fing ja alles gut an für die Mieterinnen und Mieter in der ehemaligen DDR.
Kollege Müntefering hat schon zitiert aus der Broschüre des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, wo es heißt:
Der Einigungsvertrag sieht vor, daß Mieten und Pachten, soweit sie sich auf Wohnraum beziehen, bis 31. 12. 1991 nicht erhöht werden können.
Daß man der Regierung nicht glauben darf, was sie vor den Wahlen verspricht, wissen die Bürger inzwischen. In der Koalitionsvereinbarung hieß es im Januar 1991: Die Betriebskosten kalt - also die Kosten für Müllabfuhr, Abwasserentsorgung, etc. - würden zum 1. April auf die Mieten geschlagen, die Betriebskosten warm - also die Kosten für Heizung und Warmwasser - am 1. Oktober, und ebenfalls am 1. Oktober werde die Nettokaltmiete erhöht.
Am 27. Februar, ein paar Wochen später, berichtet dpa aus einem Gespräch mit der Ministerin:
Bundesbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer plant, die Nebenkosten für Heizung und Energie erst zum 1. August auf die Miete aufzuschlagen.
Weiter heißt es:
Die Anhebung der Kaltmiete um 1 Mark auf durchschnittlich 3 Mark pro Quadratmeter ist für den 1. Oktober geplant.
Einen Tag später meldet die „Süddeutsche Zeitung":
Bundesbauministerin Adam-Schwaetzer plant, die Umlage der Betriebskosten und die erste Stufe der Erhöhung der Kaltmieten gleichzeitig in Kraft zu setzen. Als möglichen Termin nannte die Ministerin den 1. August 1991.
Vorgestern, am 12. März, gab es die bisher letzte Neuigkeit, diesmal wieder über dpa. Dort heißt es:
({3})
Ein weiteres Thema der Koalitionsrunde war die für den 1. August geplante Anhebung der subventionierten Mieten in den neuen Ländern. Wie verlautete, wurde erwogen, diesen Termin zu verschieben, weil zu befürchten ist, daß die Auszahlung von Wohngeld bis dahin noch nicht funktioniert. Vor einer Entscheidung will Kohl dieses Problem zunächst mit den Länderministerpräsidenten erörtern.
({4})
Glauben Sie eigentlich, daß diese Politik bei den Mietern Vertrauen schafft? Glauben Sie eigentlich, daß dieses Hickhack der Wohnungswirtschaft und den Städten und Gemeinden in den neuen Bundesländern hilft?
({5})
Die Regierung hat schlichtweg übersehen, daß Mieterhöhungen den Mietern schriftlich erklärt werden müssen, daß man also Fristen einhalten muß und daß Millionen von Wohngeldanträgen in personell unterbesetzten und schlecht vorbereiteten Verwaltungen in so kurzen Abständen einfach gar nicht bearbeitet werden können.
({6})
Dies ist wahrlich ein Fehlstart. In der Mietendiskussion ist es bereits ein vierfacher Fehlschlag. Bei jeder Sportveranstaltung würden Sie damit disqualifiziert.
Die derart handlungsunfähige Regierung wird auch auf den anderen Gebieten ihren Aufgaben nicht gerecht. Wichtige und dringend erforderliche Entscheidungen schiebt sie vor sich her. Ich nenne Ihnen einige Beispiele.
Erstens. Das Problem der Altschulden der Wohnungsbestände bleibt ungelöst. Auf unsere Fragen gibt es keine überzeugenden Antworten. Wir bleiben dabei - und dem schließt sich ja auch, wenn ich das richtig sehe, die CDU in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen an - : Das Schuldenmoratorium ist keine Alternative. Die Streichung der Schulden ist der einzig gangbare Weg, wenn man die Gemeinden und die Wohnungswirtschaft nicht finanziell erdrosseln will.
({7})
Zweitens. Die Subventionshilfen für die Wohnungswirtschaft hat die Bundesregierung über Nacht gestrichen. Sie versuchen nun, diesen gesamten Komplex den Ländern und Gemeinden aufs Auge zu drükken. Dabei bleibt die Höhe des finanziellen Ausgleichs im dunkeln.
({8}) Das alles reicht aber bei weitem nicht aus.
Die Ministerpräsidenten werden wohl wissen, daß nachverhandelt werden muß. Das ist ja ein offenes Geheimnis. Dabei geht es nicht um Kleingeld, meine Damen und Herren. Dabei geht es wie bei den Altschulden um Milliardenbeträge.
Drittens. Eine überzeugende Anschubfinanzierung für die fast brachliegende Bauwirtschaft fehlt. Die Ansätze des Bauministeriums waren marginal und falsch.
({9})
Erst im Rückenwind des Möllemann-Papiers „Strategie Aufschwung-Ost" hat die Ministerin es mit Nachbesserungen versucht, wenn auch nur mit geringem Erfolg. Es ist bereits jetzt davon auszugehen, daß nachgelegt werden muß. Wir kennen das ja aus dem sozialen Wohnungsbau: noch ein Programm, Scheibchen für Scheibchen und Stück für Stück, statt ein vernünftiges Programm aufzulegen.
Viertens. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau und die Städtebauförderung in den neuen Ländern reichen bei weitem nicht aus.
Herr Kollege Großmann, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hitschler gestatten?
Meine Zeit ist etwas knapp.
Die Zeit wird nicht angerechnet. - Bitte.
({0})
Herr Kollege Großmann, Sie beklagen in Ihren Ausführungen, es gebe nicht genug Mittel. Ist Ihnen entgangen, daß das Hauptproblem des Anschubes drüben nicht die Zurverfügungstellung von Mitteln ist, die wir in vollkommen ausreichendem Maße in den Haushalten vorgesehen haben, sondern daß es in der Tat bei den Verwaltungen liegt, die gegenwärtig noch überhaupt nicht in der Lage sind, diese Mittel in Anspruch zu nehmen und für Maßnahmen einzusetzen, und daß die Hauptsorge darin besteht, daß das Geld in diesem Jahre vielleicht überhaupt nicht abfließt?
Sie greifen ein Argument von mir auf, das ich in der Ausschußsitzung angeführt habe. Es ist auch so. Hätten Sie mit Ihrer Zwischenfrage bis zu Punkt 5 meiner Ausführungen gewartet, hätten Sie gewußt, was ich alles zu kritisieren habe, und dann hätten Sie die Frage nicht zu stellen brauchen.
Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau und die Städtebauförderung in den neuen Ländern reichen bei weitem nicht aus. Hier müssen auch die Bauminister der Länder vor unsachlicher Kritik vor allen Dingen aus den Reihen der Koalition in Schutz genommen werden. Die ARGE Bau hat keineswegs Maximalforderungen aufgestellt. Es sind angesichts der gewaltigen Aufgaben, die zu bewältigen sind, und angesichts der leeren Länderkassen realistische Wünsche.
Daß Sie den neuen Ländern eine Förderung für das Jahr 1991 anbieten, deren letzte Rate - so die vorliegende Verwaltungsvereinbarung - im Jahre 2007 ausgezahlt werden soll, ist eine Frechheit. So ist die Milliarde DM für den sozialen Wohnungsbau nur noch die Hälfte wert.
Fünftens. Das Problem des Eigentums an Grund und Boden bleibt schlecht gelöst. Die Anhörung in dieser Sache hat gezeigt, daß die Korrekturen des Einigungsvertrages, die jetzt beschlossen werden, keinen schnellen Durchbruch bringen. Viele bezweifeln die Handhabbarkeit dieser schwierigen Frage und dieser komplizierten Gesetzestexte, weil qualifizierte Fachleute in den Verwaltungen fehlen. Herr Hitschler, ich denke, damit ist Ihre Frage beantwortet.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mich weitgehend mit den Problemen der neuen Bundesländer beschäftigt. Mein Kollege Rempe wird stärker auf die Situation in den alten Bundesländern eingehen.
Die 90er Jahre erfordern von uns gewaltige Anstrengungen in der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Viele meinen, dies werde neben dem Abbau der Arbeitslosigkeit das zentrale sozial- und innenpolitische Thema der Zukunft.
Der Mangel an preiswertem Wohnraum wird immer größer. Sozial gebundene Wohnungen werden knapp. Es fallen dank der verfehlten Politik der Koalition mehr Wohnungen aus der Bindung heraus, als zugebaut werden. Die Schlangen vor den Wohnungsämtern wachsen; Studenten kampieren in Zelten. Das dringend notwendige finanzielle Engagement in den neuen Ländern darf nicht zu einer Verschärfung der Wohnungsnot in Westdeutschland führen.
Die Eigentumsförderung muß dringend neu gestaltet werden. Wenn Familien mit Kindern und Menschen mit mittleren Einkommen kein Hauseigentum mehr schaffen können, ist etwas faul; dann taugen die staatlichen Förderinstrumente nicht mehr.
Der Zustand der Wohnungen und der Städte in Ostdeutschland erfordert hohe Investitionen. Die erforderliche Gesamtsumme wird von Experten auf bis zu 1 Billion DM geschätzt. Jede falsch und jede zu spät investierte Mark kann doppelt zählen.
Schließlich: Die Mietendiskussion läuft im Westen wie im Osten. Im Westen explodieren die Mieten. Eine wirksame Begrenzung des Mietanstiegs fehlt völlig. Die These, daß Mietbegrenzungen Investitionen erschweren würden, ist durch die Wirklichkeit der 80er Jahre eindrucksvoll widerlegt worden.
Für den Ostteil unseres Landes ist die soziale Flankierung entscheidend. Man kann - ich wiederhole dies - die Mieter nicht für die katastrophale Wohnungspolitik der früheren DDR zur Verantwortung ziehen. Ohne eine wirklich durchgreifende Verbesserung des Wohngeldes, ohne Mietpreisobergrenzen und ohne Überführung von Teilen des Wohnungsbestandes in den sozialen Wohnungsbau mit langfristigen Preis- und Belegungsbedingungen sind eine soziale Flankierung und eine soziale Abfederung notwendiger Mieterhöhungen nicht erreichbar.
Für all diese Problembereiche reichen die Lösungsangebote der Koalition nicht aus. Wo ist die zwingend nötige Konzeption, wo ist der Kopf, wo ist die Kreativität, und wo ist der nötige Sachverstand? Diese Frage aus der Wohnungswirtschaft hatte ich zu Beginn meiner Rede erwähnt.
Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt, daß diese Frage zu Recht im Raume steht. Die zwingend nötige Konzeption fehlt. Die Köpfe wechseln in schneller Folge. Kreativität ist im Bauministerium vielleicht gar nicht erwünscht. Den nötigen Sachverstand schafft man nicht durch die wundersame Vermehrung der Zahl der Staatssekretäre.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat Herr Kollege Nitsch.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich mich auf einen sachlichen Beitrag zur Haushaltsdebatte beschränken.
({0})
In vier Tagen jährt sich der 18. März 1990, der Tag der ersten freien Wahlen in den jetzigen neuen Bundesländern nach 57jähriger Gewaltherrschaft. Viele Hoffnungen und Erwartungen waren mit dem Ergebnis dieser Wahl vor einem Jahr verknüpft. Sind sie enttäuscht oder erfüllt worden? Eine ehrliche Antwort im Blick auf die Situation von vor einem Jahr kann nur sein: Sie sind erfüllt und weit übertroffen worden.
({1})
- Ich sage das aus der Situation drüben heraus, wie sie sich vor einem Jahr darstellte. Waren Sie zu dieser Zeit drüben?
Wenn Sie damals dort waren, können Sie weiterlachen.
({2})
Daß gut drei Monate nach diesem Tag die D-Mark Zahlungsmittel sein würde, daß damit der Weg zur Gleichstellung der Deutschen in Ost und West freigemacht sein würde und daß sechs Monate später auch die politische Einheit vollzogen sein würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, aber es entsprach dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit.
Jahrelang hatten viele Menschen unter großen Gefahren den gesicherten Arbeitsplatz, niedrige Preise für Grundnahrungsmittel, Mieten und Dienstleistungen geringergeschätzt und auch - soweit vorhanden - jegliches Eigentum aufgegeben, um sich in der Bundesrepublik eine Zukunft aufzubauen. Die Erringung der wirtschaftlichen und politischen Einheit wurde trotz dieser sozialistischen Vorteile in Angriff genommen, in voller Erkenntnis, daß das gesamte wirtschaftliche, soziale und rechtliche Gebäude total zu erneuern und umzubauen sein würde.
Dieser Umbau ist nun in Gang gekommen und gestaltet sich äußerst schwierig. Er verursacht viele Angst und Verunsicherungen, die wir politisch aufarbeiten müssen, und zwar sehr schnell.
Das gilt auch für den Bereich der Wohnungspolitik. Eine Wohnung braucht jeder, jeder muß eine Wohnung haben. Die eigentümerfeindliche Politik der SED muß hier in einer Breite korrigiert werden, die wesentlich zur inneren Einheit beitragen wird.
Die Tatsache des Eigentums allgemein und an Wohnungen speziell ist der stärkste Antrieb für die Ankurbelung wirtschaftlicher Phantasie und für die Werterhaltung langlebiger Güter wie Häuser und Wohnungen. An den Trabis haben wir erlebt, wie ein bißchen Eigentum gepflegt und gestreichelt wurde. Deshalb entscheidet gerade eine breite Eigentumsbildung an
Wohnungen ganz wesentlich über die neue Verwurzelung und letzten Endes auch über den wirtschaftlichen Wohlstand in den neuen Bundesländern.
Darüber hinaus ist die Förderung von Wohneigentum eine Bedingung dafür, daß schnell Geld in neue Arbeitsplätze fließt. Es gibt viele Aufgaben: Es gilt, die bestehenden Wohnungen zu modernen und attraktiven Heimstätten umzubauen. Ich erinnere nur an die Schall- und Wärmeisolierung, an den Einbau moderner und umweltfreundlicher Heizungen, an die komfortable Ausstattung der Wohnungen mit Bädern und WCs. Noch haben in Sachsen nur ca. 75 % der Wohnungen ein Bad; 25 % der Wohnungen sind also nicht mit einem Bad ausgestattet. Nur 60 % der Wohnungen verfügen über eine Innentoilette, und allenfalls 39 % sind mit einer modernen Heizung ausgerüstet.
Die Lösung dieser Aufgaben wird auch einen wesentlichen Beitrag zur städtebaulichen Erhaltung und Erneuerung der historischen Stadtkerne leisten. Meißen mit seinem komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtkern, dessen Bausubstanz bereits zu 40 % als verloren angesehen wurde, kann unter den Bedingungen dieses Haushaltsplans vielleich weitgehend erhalten werden.
Bei allen politischen Gegensätzen in der Bewertung des Entwurfs des Haushaltsplans darf nicht untergehen, was dieser Haushalt den Menschen wirklich bringt: Im Einzelplan 25 des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sollen die Ausgaben 1991 auf insgesamt 8,1 Milliarden DM steigen. Das ist gegenüber den 6,3 Milliarden DM von 1990 eine Steigerung um 28,4 %.
({3})
Der Grund dieser Steigerungsrate liegt ganz eindeutig in der Tatsache der Vereinigung unseres Landes. Genau darin nämlich, in der Vereinigung, liegt auch die Rechtfertigung für diese ungewöhnliche Ausgabenausweitung und ihrer Finanzierung über eine beträchtliche Verschuldung der öffentlichen Hand.
Wenn die Opposition fortfährt, ihre Angriffe gegen Steuererhöhungen in Verbindung mit diesem Einigungswerk zu bringen, dann sei sie nachdrücklich auch auf die fatalen Folgen hingewiesen. Was macht diese schlechte Strategie für einen Sinn in einer Situation, die von uns allen, die wir politische Verantwortung übernommen haben, mit äußerster Anstrengung gemeistert werden muß? Die Lage ist für viele Menschen im Osten schwierig genug. Ihnen ist mit einer überzogenen Oppositionskritik, die eher spaltet als versöhnt, weiß Gott nicht gedient.
({4})
Mit Recht hat Bundeskanzler Kohl gestern an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß ein jeder in der Bundesrepublik Deutschland Anspruch darauf hat, daß sein sozialer Schutz und seine Sicherheit gewährleistet werden, ebenso materielle Hilfen zur Angleichung des Lebensstandards bereitstehen. Man braucht deshalb keinen Herrn Lafontaine, um zu wissen, daß die Angleichung des Lebensstandards zwischen hier und den neuen Bundesländern nicht von heute auf morgen zu schaffen sein wird.
Ich warne davor, eine durchaus strittige Haushaltsdebatte mit dem Thema Steuererhöhung so zu verkürzen, daß am Ende die Bürger in den Beitrittsländern mit dem Makel behaftet bleiben, daß sie selbst und ihre Nöte die Ursachen für diese Steuererhöhungen sind. Niemand, auch nicht die Opposition, könnte die Verantwortung übernehmen, wenn dieser unanständige Vorwurf in den Köpfen unserer Mitbürger im Osten ein Unrechtsbewußtsein erzeugt, einem Nachbarn unerlaubt in die Tasche gegriffen zu haben.
Im Einzelplan 25 sind Leistungen und beachtliche Leistungssteigerungen aufgeführt, auf die jeder in der Bundesrepublik unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch hat. Wer glaubt, daß diese Voraussetzungen gehäuft nur in den neuen Bundesländern auftreten, liegt falsch. Beispielsweise erfordern die Wanderungsbewegung und der Zuzug in die Bevölkerung massive Ausgabensteigerungen in den Bereichen Wohnungsbauprämie, Städtebau und sozialer Wohnungsbau, um nur einige zu nennen. Dabei ist anzunehmen - dies erfüllt mich mit echter Sorge - , daß der mit der Förderkulisse langjährig vertraute Bevölkerungsteil hier schneller zum Zuge kommen könnte als der Teil unseres Landes, in dem der Umgang mit dieser Materie erst gelernt werden muß.
Deswegen trägt die Bundesregierung mit ihrem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost dazu bei, daß die Städte und Gemeinden in den neuen Bundesländern einen derartigen Verdrängungswettbewerb um Fördermittel nicht zu fürchten brauchen. Zusätzlich stehen 700 Millionen DM für Modernisierung und Instandsetzung des vorhandenen Wohnraums zur Verfügung, weitere 200 Millionen DM für den Städtebau, davon 100 Millionen für Modelle zur Stadt- und Ortserneuerung, und 100 Millionen DM für den städtischen Denkmalschutz, der bei uns sehr wichtig ist, um die neuen Bundesländer als Kulturlandschaft zu erhalten.
Das, meine Damen und Herren, sind Haushaltszahlen, die sich zusammen mit dem Einzelplan 25 durchaus sehen lassen können. Die Ausgaben sind nötig und wichtig. Sie sind nötig, weil hier die Probleme von uns nicht veranlaßter Wanderungsbewegungen und Zuzüge politisch aufgefangen werden müssen und niemand auf Dauer in Behelfsheimen und Wohncontainern leben darf. Sie sind nötig, weil im Osten die Ruinen eines Weltkrieges und die Trümmer einer fanatischen Ideologie beseitigt werden müssen.
({5})
Wichtig aber sind diese Aufgaben für unser ganzes Land, damit unsere Menschen zur Ruhe kommen und möglichst alle in der ihnen angestammten Heimat seßhaft werden.
Wir stimmen dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost und dem Einzelplan 25 voll zu, weil wir glauben, daß hiermit jene gesellschaftlichen Bindungen erzeugt und gefestigt werden, die mit dem Privateigentum und nicht mit seiner Verleugnung hergestellt werden können.
({6})
Mit den Wohnungsbau und Städtebau fördernden Etatansätzen gibt die Regierung ein wichtiges Signal zum Aufbau und zur Verbesserung der Lage. Der
Bundeskanzler hat gestern auch von einem wichtigen Prinzip gesprochen, das seinen Vereinigungsetat begleitet. Er sagte, wir müssen schneller und auf den Tag genau gezielt planen und fördern. Dieses Haushaltsprinzip unterscheidet uns von dem Wiederaufbau in den 50er Jahren. Wir müssen sichern, daß es bei den Verordnungen zur Mietanpassung und zur Wohngeldregelung zu keinen zeitlichen Disparitäten kommt, unter deren Folgen eventuell große Bevölkerungsteile leiden würden. Die notwendigen verwaltungstechnischen Vorbereitungen müssen sofort getroffen werden. Das Argument womöglich ungeschulten oder fehlenden Personals kann nicht akzeptiert werden. Den Landesregierungen in den neuen Bundesländern muß es gelingen, Menschen aus der Warteschleife in die Umschulung zu bringen, die diese Maßnahmen in die Wege leiten. - Spätestens an diesem Punkt sollten sich alle auf Perfektion erpichten Bürokraten von ihrem obersten Dienstherrn in die Pflicht nehmen lassen. Es kann nicht sein, daß man das gute Geld hortet, weil es nicht möglich erscheint, die Vergabebedingungen mit den verwaltungstechnischen Voraussetzungen in Einklang zu bringen.
({7})
Beide Seiten müssen sich ein Stück bewegen: Die neuen Verwalter müssen intensiv lernen, und die Vergabebedingungen müssen großzügig ausgelegt und angewandt werden.
Und Sie, verehrter Herr Abgeordneter, muß ich darauf aufmerksam machen, daß schon seit geraumer Zeit das rote Licht dort blinkt. Das sollte ein Signal für Sie sein, möglichst bald zum Ende zu kommen.
Ich glaube, daß auch die Privatisierung der städtischen Wohnungen langsam in Gang kommen sollte. Hierfür steht das Freitaler Modell in der Nähe von Dresden als gutes Beispiel, bei dem rund 11 000 Wohnungen zu günstigem Kauf durch die Mieter anstehen.
({0})
Dabei ist auch interessant, wie das immer noch sperrige Problem der Grundbuchverfahren rechtswirksam durch den kommunalen Garanten gelöst wird. Ich wünsche mir viele solcher und ähnlicher Modelle. Unser Wiedervereinigungshaushalt hat zwar notwendige Grenzen, aber der Phantasie in der Umsetzung sollten keine Grenzen gesetzt sein. - Ich danke Ihnen.
({1})
Nun hat der Abgeordnete Dr. Seifert das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider war die Zeit, sich auf diese wichtige Debatte vorzubereiten, viel zu kurz. Deshalb kann ich jetzt nur punktuell sagen, worum es mir geht.
({0})
- Ihnen vielleicht, aber nicht den Bürgern in der DDR.
({1})
- Ich brauche nicht von der „ehemaligen" DDR zu reden; man spricht auch nicht vom ehemaligen Römischen Reichs und man spricht auch nicht von der ehemaligen Weimarer Republik.
({2})
Es ist ein historischer Begriff. Aber jetzt reden wir über den Haushalt.
Unter 882 26 steht: Für im Bau befindliche Mietwohnungen auf dem Gebiet der DDR werden 190 Millionen DM ausgegeben, unter der 882 27 für im Bau befindliche Eigenheime 37 Millionen DM und in der nächsten Nummer unter Zuwendungen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus 114,5 Millionen DM. Das sind 341,5 Millionen DM. Dagegen stehen unter 714 01 - Baumaßnahmen für den Deutschen Bundestag - 180 Millionen DM. Meine Damen und Herren, wo bleibt denn hier die Relation? Dabei leben Hunderttausende von Menschen in der DDR unter äußerst ungünstigen Bedingungen, und wir bauen hier den Bundestag hin, der fast die Hälfte des Geldes in Anspruch nimmt.
({3})
- Sie können mich nachher korrigieren; jetzt habe ich das Wort.
Auch die Summen, die für uns aus dem Aufschwung-Ost übrigbleiben, ändern an der Relation nicht sehr viel.
({4})
- Ich nicht. - Wenn z. B. 100 Millionen DM für Denkmalschutz vorgesehen sind, ist das natürlich eine relativ geringe Summe.
({5})
- Ich kann schon rechnen.
Ich will versuchen, Ihnen und den Bürgern in Deutschland zu erklären, was wir vorschlagen. Ich wiederhole den Moratoriumsvorschlag, den wir bereits in der vergangenen Debatte unterbreitet haben: Ich wäre für ein Mietmoratorium für Gesamtdeutschland. Wir brauchen eine Atempause wenigstens auf einem wichtigen Gebiet. - Ich bin doch eigentlich auf Ihrer Seite, ich wiegle doch ab. Ich versuche zu erreichen, daß die sozialen Spannungen nicht überschwappen. Ich bin dafür, daß es den Menschen gutgeht, allen Menschen. Nutzen wir doch diese Atempause für eine solide Gesetzgebung, für den Ausbau einer funktionierenden Verwaltung, für die Verbesserung der Qualität der Wohnungen - bis jetzt geht es immer nur um Mietpreiserhöhungen - und natürlich für einen massiven Ausbau des Wohnungsbaus!
Ich schlage nochmals vor, das Wohngeld als Direktsubvention an die Eigentümer zu geben. Damit würden sämtliche Verwaltungs- und Überprüfungsverfahren erst einmal wegfallen. Die Eigentümer müssen natürlich Geld zur Verfügung haben - da bin ich ganz und gar Ihrer Meinung; sie können nicht noch weiter in die negativen Zahlen gefahren werden - und könnten erst einmal überleben.
In dieser Zeit könnten wir Städtebaukonzeptionen erarbeiten, die den Umweltschutz, den Denkmalschutz und selbstverständlich den Menschenschutz berücksichtigen. Das heißt, wir brauchen eine ruhige und qualitativ gute Vorbereitung, bei der in jeder Phase alle diese Fragen - Umweltschutz, Denkmalschutz, Menschenschutz - im Komplex bedacht werden. Und man kann sofort damit anfangen, Arbeit für viele Bauleute zu vergeben. Das beginnt mit der Instandhaltung, geht weiter mit der Wärmedämmung, Schallisolierung, Modernisierung und selbstverständlich mit der Dachsanierung und ähnlichen Dingen.
Ich denke, es gibt genügend Möglichkeiten, das Geld, das zur Verfügung steht, sinnvoll zu verwenden, ohne überhastet neue große Fehler zu begehen.
Wir sollten unsere Verantwortung ais gewählte Vertreter im stärkeren Maße wahrnehmen und die Entscheidungen nicht der Bürokratie überlassen. Das betrifft übrigens - das betone ich mit allem Nachdruck - nicht nur uns hier im Bundestag, sondern selbstverständlich auch die Vertreter in den Landesparlamenten mit gleicher Stärke; denn dort sind sehr viele und sehr wichtige Entscheidungen zu fällen, die die Menschen unmittelbar und ganz direkt berühren.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und hoffe, daß Sie einmal die Aspekte der Opposition berücksichtigen.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile dem Abgeordneten Thiele das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man zur Wohnungsbaupolitik spricht, sollte man immer ein bißchen Handwerkszeug dabei haben, wie wir gerade gemerkt haben.
({0})
Unser Handwerkszeug als Politiker besteht allerdings darin, daß wir uns hier inhaltlich mit politischen Zielen auseinandersetzen. Bevor ich das tue, möchte ich der Vizepräsidentin für Ihre freundlichen Worte gestern abend zu meiner Person noch herzlich danken.
Die Beratungen zum Haushaltsentwurf des Wohnungsbauministeriums geben Anlaß, einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Thema in den Vordergrund zu stellen, wobei die hier zur Verfügung stehende Redezeit so begrenzt ist, daß ich leider nur auf einige wenige Stichworte eingehen kann. Dies fällt mir allerdings um so leichter, als mit Frau Dr. AdamSchwaetzer nunmehr eine liberale Politikerin das Wohnungsbauministerium leitet.
Nach Auffassung der FDP ist der Besitz einer angemessenen Wohnung in einem menschenwürdigen Wohnumfeld wesentlicher Bestandteil der Existenzgrundlage des Menschen und damit Voraussetzung jeder freien Persönlichkeitsentfaltung. Deshalb ist die Wohnung ein Gut besonderer Art.
Wir müssen leider feststellen, daß es derzeit sowohl in den alten wie auch in den neuen Bundesländern zuwenig Wohnungen gibt. Auch wenn diese Aussage stimmt: In dem vereinten Deutschland herrschen bei der Versorgung mit Wohnraum so unterschiedliche Verhältnisse in den alten und den neuen Bundesländern, daß diese beiden Gebiete getrennt zu behandeln sind. Gerade im Bereich der Wohnungspolitik wird die unterschiedliche Entwicklung in der alten Bundesrepublik Deutschland und in der ehemaligen DDR nach dem Zweiten Weltkrieg besonders augenfällig.
In der ehemaligen DDR wurde die Versorgung mit Wohnraum - wie auch bei uns - als Befriedigung
von Grundbedürfnissen angesehen. Nach bewährter
sozialistischer Manier glaubte man dieses Ziel zu erreichen, indem die Mieten derartig herunterverordnet wurden, daß keine privaten Investitionen im Wohnungsbau erfolgten. Die Ergebnisse dieser verfehlten Politik sind in den neuen Bundesländern noch heute zu besichtigen.
In nur wenigen anderen Bereichen unseres Lebens zeigt sich so deutlich, daß die freie und soziale Marktwirtschaft der sozialistischen Planwirtschaft haushoch überlegen ist.
({1})
Wir Liberale sind überzeugt, daß nur eine am Prinzip „soviel Privatinitiative und Selbstverantwortung wie möglich und so viel staatliche Unterstützung wie nötig" orientierte Wohnungspolitik zum Erfolg führt.
({2})
Hierzu gibt es weder aus ökonomischer Sicht noch aus sozialer Verantwortung irgendeine Alternative. Dies gilt auch und gerade für die neuen Bundesländer. Gerade dort kommt es darauf an, Raum für Privatinitiative zu schaffen. Marode Wohnungszustände, monotoner Einheitswohnungsbau an den Nutzerwünschen vorbei, jahrelange Wartezeiten bis zur Zuteilung einer Wohnung, Substanzverzehr durch Mieteinnahmen, die noch nicht einmal die laufenden Kosten decken, zeigen das Scheitern einer auf sozialistische Versorgungsmechanismen setzenden Wohnungspolitik.
Wir sind uns bewußt, daß auf der Wohnungspolitik eine entscheidende Mitverantwortung für die rasche Verbesserung der Lebensverhältnisse in den neuen Ländern lastet. Wir sind uns ferner bewußt, daß gerade die zukünftige Wohnungspolitik bei den Bürgern in den neuen Bundesländern eine Bewährungsprobe für unser marktwirtschaftliches System und damit unsere gesellschaftspolitische Grundlage darstellt.
({3})
Die sich daraus ergebene Herausforderung muß angenommen und bestanden werden. Wann und inwieweit die Verbesserung der Lebensbedingungen sichtbar wird, hängt entscheidend davon ab, wie schnell es gelingt, die staatliche Wohnungswirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft überzuführen. Die Regierungskoalition hat mit ihren Beschlüssen insbesondere zum Mietrecht, zur Wohneigentumsförderung, zur Wohnungsprivatisierung und zur sozialen Absicherung durch Wohngeld in den neuen Bundesländern hierfür einen Weg festgelegt, der einerseits die Voraussetzungen für einen funktionierenden Wohnungsmarkt schafft und andererseits Rücksicht auf die sozialen Belange nimmt. Die Mietbelastung soll nach unserer Auffassung in den neuen Ländern für den Einzelhaushalt zunächst nicht mehr als 10 % des verfügbaren Einkommens betragen.
Wir Liberale setzen zur Überwindung der Probleme in den neuen Bundesländern einen Schwerpunkt unserer Politik in der Stärkung des Wohneigentums. Die Sanierung der alten Wohnungen kann am besten erfolgen, indem dortige Wohnungen den Mietern zu attraktiven Preisen angeboten werden.
({4})
Das gelingt allerdings nur, wenn zunächst die Mietnebenkosten kostendeckend erhoben werden. Ferner müssen die bestehenden Mieten angehoben werden, damit auch nur halbwegs kostendeckende Mieten erreicht werden. Erst dann wird es für Mieter Sinn geben, Wohnungen zu erwerben. Denn die Zins- und Tilgungsleistungen könnten dann den Zahlungen für die Kaltmiete entsprechen.
Das schnellste Investitionsprogramm im Wohnungsbau in den neuen Bundesländern erfolgt, wenn die bisherigen Mieter von Wohnungen diese zu Eigentum erwerben können. Kein Mieter wäre unter den derzeitigen Umständen bereit, in nennenswertem Umfang auf seine Kosten und zugunsten des Vermieters Investitionen zu tätigen, die die Wohnung langfristig verbessern. Sollte ein Mieter aber Eigentümer sein, so wird er diese Investitionen, möglicherweise auch in Heimarbeit, eher durchführen.
({5})
Auf diesem Weg werden wir unserer Ministerin, Frau Dr. Adam-Schwaetzer, bei den Haushaltsberatungen zur Umsetzung unserer Vorstellungen die notwendige Unterstützung geben.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Rempe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Fraktionskollege Herr Großmann hat auf sehr eindrucksvolle Weise auf die ungeheuren Probleme hingewiesen, vor denen wir auch auf dem Gebiet des Wohnens in den neuen Bundesländern stehen. Darüber hinaus aber, so meine ich, dürfen wir keinesfalls die Probleme vernachlässigen, die uns in den alten Bundesländern in bezug auf die Wohnungssituation auf den Nägeln brennen.
({0})
- Danke schön.
({1})
Das wird sehr deutlich, wenn man die Zahlen aus einer Stadt wie Köln hört. Für die Unterbringung Obdachloser, Aussiedler, Übersiedler und Asylsuchender muß die Stadt Köln zur Zeit rund 44 500 Plätze bereitstellen.
({2})
Dafür müssen in Schnellbauweise erstellte Einheiten errichtet werden. Dafür müssen Lagerhallen, Bürogebäude und Hotelschiffe angemietet werden. Das sind alles Maßnahmen, die die Städte finanziell und personell in unerträglicher Weise belasten.
({3})
Wie Hohn hört es sich demgegenüber an, wenn man an die Worte des früheren Wohnungsbauministers Schneider vom Dezember 1988 denkt: Die Wohnungssituation in der Bundesrepublik ist nicht gut, nicht sehr gut, sie ist ausgezeichnet.
({4})
Das ist übrigens noch keine 28 Monate her. Wir haben seitdem schon den dritten Minister bzw. Ministerin.
Nun hat die ehemalige Bauministerin Hasselfeldt unseren Kollegen Müntefering in der Haushaltsplandebatte 1990 darauf hingewiesen, man dürfe nicht nur immer an die Vergangenheit denken, sondern man müsse den Blick nach vorne richten.
({5})
Ähnliches ist auch in der diesjährigen Haushaltsplandebatte von einigen Rednern der Regierungskoalition gesagt worden.
Aber, meine Damen und Herren, es werden immer neue Zusicherungen gegeben und Versprechungen gemacht, wobei man dann den Eindruck hat, daß die Bundesregierung überhaupt nicht die Absicht hat, sich in Zukunft daran zu halten.
({6})
Lassen Sie mich dafür einige Beispiele geben: Genau die Ministerin Hasselfeldt, die unseren Kollegen Müntefering im November 1989 ermahnte, er möge doch nicht in der Vergangenheit herumstochern, genau diese Ministerin Hasselfeldt war es, die in derselben Sitzung erklärte - ich zitiere - :
Kernstück der aktuellen haushaltwirksamen Beschlüsse ist, daß die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau im Jahre 1990 und in den folgenden Jahren - ganz wichtig, in den folgenden Jahren -- so Ministerin Hasselfeldt auf 2 Milliarden DM erhöht werden.
({7})
Am 5. Juli 1990 - also vor knapp neun Monaten - gibt sie eine Presseerklärung heraus, in der es heißt:
Die nochmalige Mittelaufstockung auf insgesamt 2,2 Mrd. DM beweist, daß die Bundesregierung dem Wohnungsbau allerhöchste Priorität einräumt ... Gleichzeitig haben wir den 2-Milliarden-Etat bis in das Haushaltjahr 1994 fortgeschrieben.
({8})
Und heute: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau in den Altländern werden um 20 % auf 1,76 Milliarden DM gekürzt.
({9})
In einer Broschüre von Frau Hasselfeldt von Ende 1989 heißt es:
... können in den nächsten vier Jahren eine halbe Million Sozialwohnungen gefördert werden.
Und weiterhin heißt es in dieser famosen Broschüre:
Wir werden dafür sorgen, daß in den nächsten drei Jahren bundesweit 1 Million neue Wohnungen entstehen.
Nach den mir vorliegenden Zahlen wurden im Jahre 1990 aber nur 275 000 Wohnungen fertiggestellt.
({10})
Ob diese von mir angeführten Versprechen gehalten werden können, kümmert - so scheint es - niemand in der Bundesregierung. Ähnliches - und Herr Kansy, vielleicht hören auch Sie da zu ({11})
muß man leider auch von der Städtebauförderung berichten. Frau Ministerin Hasselfeldt in der Haushaltsplandebatte 1990 - ich zitiere - :
Wir haben uns ... darauf verständigt, daß für den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung, also bis 1993, dieses für unsere Städte und Gemeinden so wichtige Instrumentarium mit jährlich 680 Millionen DM fortgeführt wird.
({12})
Dies ist ein wesentlicher Beitrag
- Sie haben recht, es sind 660 Millionen zur Stärkung der Lebensqualität und der Wohnqualität in unseren ... Gemeinden.
Damaliger Zwischenruf - und jetzt komme ich auf die Zwischenrufe, deshalb sollte man damit vorsichtig sein - vom Kollegen Kalb von der CSU:
Eine hervorragende Sache!
({13})
- Ja, war es auch, genau, Herr Kansy.
Die Frage ist, ob Herr Kalb die Kürzung von 660 Millionen DM auf 380 Millionen DM, wie sie der uns nunmehr vorliegende Haushaltsplan vorsieht, auch oder immer noch als eine hervorragende Sache ansieht. Man sollte ihn mal fragen.
({14})
Denn das ist leider die traurige Wahrheit: Zunächst großartige Versprechungen, und dann wird einfach gestrichen, auch wenn der Deutsche Städtetag oder die Konferenz der für Wohnungsbau zuständigen Landesminister erklärt, daß diese Förderungsmittel unbedingt nötig seien.
Hinzu kommt, daß durch den sogenannten dritten Förderweg der Bildungszeitraum für Sozialwohnungen so verkürzt wird, daß die ersten Wohnungen schon wieder aus der Zweckbindung fallen, wenn die letzten Wohnungen nach diesem Programm gerade fertiggestellt sein werden.
({15})
Doch wer wird so gutgläubig sein, sich auf Zusagen dieser Bundesregierung zu verlassen, wenn er sieht, wie diese Bundesregierung mit den Mitteln des Sozialwohnungsbaus eine Art Jo-Jo spielt?
({16})
1984 2,09 Milliarden DM, runtergefahren bis 1988 auf 0,45 Milliarden DM, dann wieder Erhöhung 1989 auf ca. 1 Milliarde DM, 1990 2,2 Milliarden DM, feierliche Versprechungen, das festzuschreiben, und jetzt wieder Absenkung auf 1,76 Milliarden DM. Wir werden sehen, wie dieses Jo-Jo-Spiel weitergeht.
Bitte gestatten Sie mir, daß ich auch das Folgende, etwas Sottisenhafte sage. Es ist ja gesagt worden, man sollte als Opposition nicht nur kritisieren, sondern auch das Positive sehen.
({17})
Es gibt tatsächlich eine erhebliche Steigerung im Einzelplan 25, sogar eine Steigerung um 100 (1/0: Das ist die Steigerung der Zahl der Staatssekretäre. Wo bis vor einigen Monaten noch zwei Staatssekretäre ausreichten, haben wir jetzt je zwei Parlamentarische und zwei beamtete Staatssekretäre.
({18})
Kostensteigerung für die zwei zusätzlichen Staatssekretäre: mehr als 400 000 DM jährlich allein an direkten Bezügen, wobei natürlich die Kosten für Fahrer, Sekretärinnen, Ausstattung etc. hinzukommen.
Übrigens ist in diesem Zusammenhang die Rede davon, daß auch das Schlößchen in der Deichmanns Aue nach einer längeren Renovierung schon wieder umgebaut werden müsse, um angemessenen Platz für die neuen Herrn Staatssekretäre zu schaffen.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß es im Ministerium für Raumodnung, Bauwesen und Städtebau ca. 500 Beschäftigte gibt. Wird uns die Bundesregierung demnächst damit überraschen, daß für das Verteidigungsministerium mit seinen über 5 000 Beschäftigten dann entsprechend 40 Staatssekretäre hier erscheinen?
Doch zurück zu etwas mehr Sachlichkeit!
({19})
Ich habe das ja vorher angekündigt. - Ich muß auch kürzen.
Zusammenfassend muß ich leider feststellen, daß die Bundesregierung auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus viele Versprechungen gemacht hat, die dann nicht eingehalten wurden. Das ist nicht zu akzeptieren, weder für das Parlament noch für die Investoren, aber vor allem nicht für unsere Mitbürger, die auf diese Weise - nicht unberechtigterweise - davon ausgehen müssen, daß man sich auf die Zusagen von Politikern nicht verlassen kann. Das ist ein Schaden, der nach meiner Meinung weit über die Parteipolitik hinaus das Vertrauen der Bürger in unseren demokratischen Staat zerstört.
Ich bedanke mich.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Pesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Einzelplan 25 im Rahmen des Haushaltsplans 1991 ist ein Dokument großer finanzpolitischer Anstrengungen, um in einer außergewöhnlichen Situation schnellstmögliche Angleichungen der neuen Bundesländer an die Gegebenheiten in den alten Bundesländern vorzunehmen.
({0})
Hinzu kommen massive Unterstützungen durch die zusätzlichen Finanzmittel im Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost, die gerade den Baubereich betreffen. Das sind immerhin 1,1 Milliarden DM. Hier geht es in erster Linie um Verbesserungen der kommunalen Infrastrukturen in den neuen Ländern. Allein in 1991 ist hier eine Investitionspauschale in Höhe von 5 Milliarden DM vorgesehen.
Dabei ist natürlich entscheidend, daß diese Gelder mit dem geringstmöglichen Verwaltungsaufwand einsetzbar werden.
({1})
Weitere Milliardenbeträge für Sanierung und Modernisierung von Wohnungen werden in den neuen Bundesländern zur Verfügung stehen. Weitere Förderschwerpunkte sind insbesondere' Krankenhäuser, Alteneinrichtungen und Schulen.
Das Wohnungsmodernisierungs- und Wohnungsinstandsetzungsprogramm umfaßt in den neuen Bundesländern rund 10 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, bei aller Sorge um die zum Teil katastrophale Situation in den neuen Bundesländern dürfen wir die Probleme in den Altländern nicht übersehen.
({2})
Hier möchte ich besonders herausstellen, daß die Förderpolitik des Bundes auf dem Gebiet des Wohnungsbaus seit 1989 Früchte trägt. Wir hoffen gleiches auch für die neuen Bundesländer.
In 1990 gab es mit rund 380 000 Baugenehmigungen für Wohnungen in den Altländern immerhin 100 000 genehmigte Wohnungen mehr als im Vorjahr.
({3})
Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen beläuft sich in den alten Bundesländern auf rund 280 000 und in den neuen Bundesländern auf rund 50 000. Diese Zahl ist insgesamt sicherlich als unzureichend anzusehen.
({4})
Es bleibt trotzdem festzuhalten, daß sich die von der Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau jetzt schon für die alten Bundesländer recht günstig ausgewirkt haben. Die Haushaltsdaten für 1991 ergeben klar, daß die Zielvorstellungen von rund 300 000 bis 350 000 neuen Wohnungen in 1991 und in den darauffolgenden Jahren in den alten Bundesländern durchaus erreichbar sind. Die Überschreitung des Zinsgipfels, steuerliche Verbesserungen für selbstgenutztes Wohneigentum und viele weitere direkte und indirekte Fördermaßnahmen werden helfen, die angeführten Zahlen zu erreichen.
Wenn es um Gelder des Bundes geht, möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich auf die Finanzierungskompetenzen hinweisen. Nach der geltenden Verfassung ist Wohnungsbau ureigenste Aufgabe der Länder und deshalb von diesen zu finanzieren.
({5})
Der Bund gewährt hier unter bestimmten Voraussetzungen nur Finanzhilfen.
({6})
In diesem Punkt haben wir mit den Ländern unsere besonderen Erfahrungen gemacht. Als Nordrhein-Westfale weiß ich, wovon ich spreche, wenn ich feststelle, daß die Länder zwar alle Kompetenzen für sich in Anspruch nehmen, aber die damit verbundenen finanziellen Belastungen immer wieder dem Bund zuschieben.
({7})
Der Einzelplan 25 mit dem erwähnten hohen Gesamtvolumen von mehr als 8 Milliarden DM umfaßt bei einer insgesamt angespannten Haushaltssituation eine Summe, die sich sehen lassen kann. Die einigungsbedingten Kosten betragen 1,5 Milliarden DM. In allen wichtigen Teilbereichen des Einzelplans 25 haben wir zum Teil enorme Ansatzsteigerungen. Ich nenne einige: Das Ansatz-Plus 1990 gegenüber 1991 beträgt beim Wohngeld 753 Millionen DM, bei der Städtebauförderung 458 Millionen DM, im sozialen Wohnungsbau 178 Millionen DM, bei den Wohnungsbauprämien 145 Millionen DM und bei der Wohnungsfürsorge immerhin 25 Millionen DM.
Der Verpflichtungsrahmen im sozialen Wohnungsbau wurde auf 2,76 Milliarden DM gesteigert. Der Anteil der Altländer liegt bei 1,76 Milliarden DM. Diese Größenordnung kann noch nicht das letzte Wort sein. Wir werden in den nächsten Monaten miteinander noch einige Sträuße auszufechten haben, um hier zu einer Verbesserung zu gelangen.
({8})
Der Herr Kollege Dr. Hitschler möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Herr Kollege Pesch, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß mit den 1,76 Milliarden DM Haushaltsmitteln für den sozialen Wohnungsbau in den alten Bundesländern auf dem 3. Förderweg mehr Wohnungen gebaut werden können als mit 2 bzw. 2,2 Milliarden DM auf dem bisherigen 1. Förderweg?
({0})
Herr Kollege Hitschler, es ist gerade beim sozialen Wohnungsbau wichtig, daß wir zumindest für die Altländer wieder auf die Summe kommen, die wir bis dato gehabt haben.
({0})
Es ist mein Anliegen an diesem Nachmittag, das in die Debatte einfließen zu lassen. Ich glaube, damit bringen wir den Wohnungsbau in den Altländern etwas mehr nach vorne, wie es die augenblickliche Wohnungssituation erfordert.
({1})
- Dieser Feststellung sicher nicht.
({2}) Ich komme noch zu diesen Zahlen.
Eine nach meiner Ansicht nicht ausreichende Summe ist der Verpflichtungsrahmen für die Städtebauförderung von insgesamt 760 Millionen DM, wobei diese Summe je zur Hälfte auf alte und neue Bundesländer aufgeteilt wird. Ich erlaube mir die Feststellung, daß Städtebauförderung auch für die alten Bundesländer von großer Bedeutung bleiben wird und daß der Einsatz dieser Mittel in den einzelnen Kommunen nicht, wie es oft fälschlicherweise dargestellt wird, nur für die Rotpflasterung von Radwegen verwendet wird; Ausgaben dafür könnte man sicher einige Jahre zurückstellen. Städtebauförderungsmittel sind für viele Gemeinden für strukturelle und vor allem unabwendbare ökologische Maßnahmen unverzichtbar.
({3})
Hier wäre eine Aufstockung der Städtebauförderungsmittel durchaus angebracht.
Ich erwähnte schon, daß im sozialen Wohnungsbau insgesamt 2,76 Milliarden DM im Verpflichtungsrahmen zur Verfügung stehen werden. Für die alten Bundesländer werden einschließlich des bereits im dritten Nachtragshaushalt 1990 veranschlagten Verpflichtungsrahmens von 1,1 Milliarden DM insgesamt 1,76 Milliarden DM bereitgestellt. Dabei werden der 1. Förderungsweg mit 150 Millionen DM, der 2. Förderungsweg mit 410 Millionen DM und der 3. Förderungsweg mit immerhin 1,2 Milliarden DM bedacht.
Die bereitgestellten Mittel im sozialen Wohnungsbau für die neuen Bundesländer werden ihre Wirkung in einem breitgefächerten Programm im Rahmen des Neubaus von Eigentumsmaßnahmen im sozialen Wohnungsbau, im Rahmen des Mietwohnungsbaus bzw. sozialen Wohnungsbaus, im Rahmen von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen haben.
Weiter werden Zuschüsse gewährt, damit begonnene Wohneinheiten - hier handelt es sich um rund 27 000 - überhaupt fertiggestellt werden können. Das gleiche gilt für in den neuen Bundesländern begonnene, selbstgenutzte Eigenheime und Eigentumswohnungen.
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß meine Redezeit abläuft. Ich hätte Ihnen gern noch einige sehr interessante Zahlen vorgetragen, vor allen Dingen in bezug auf die neuen Bundesländer. Ich glaube, daß sich diese Zahlen, meine Damen und Herren von der Opposition, sehen lassen können.
({4})
Das Ziel, das wir mit den Programmen für die Altländer in den Vorjahren, ab 1988, nach und nach in diesen erreichen, werden wir auch in den neuen Bundesländern erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen im Jahr 1991 und in den nächsten Jahren vor gewaltigen Herausforderungen, denen sich auch - und nicht zuletzt - die Haushaltspolitik im Einzelplan 25 stellen muß. Es gilt, gerade im Bereich der Wohnungsbaupolitik und der Städtebauförderung gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen der neuen - und nun größeren und gleichzeitig in diesem Bereich problembeladeneren - Bundesrepublik zu erreichen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Nun erteile ich das Wort der Wohnungsbauministerin Irmgard Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesbauministers erreicht dieses Jahr mit derzeit veranschlagten fast 8,2 Milliarden DM eine neue Rekordhöhe. Der Zuwachs beträgt jetzt 28 %, und dazu werden im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf jeden Fall noch die Mittel aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost kommen, die für den Bereich des Wohnungsbauministeriums 1,1 Milliarden DM zusätzlich betragen werden.
Schon aus diesen Zahlen geht hervor, daß die Weichen für eine nachhaltige Verbesserung des Wohnungsangebots, und zwar in West wie in Ost, gestellt sind.
({0})
Ich hoffe auch, daß alles das realisiert werden kann, was wir mit den Haushaltsmitteln fördern können. Denn die Wohnungsbaukonjunktur läuft derzeit schon auf sehr hohem Niveau: die Auslastungsquote ist sehr hoch. Wir wünschen uns, daß zusätzliche Kapazitäten, vor allen Dingen in den ostdeutschen Bundesländern, dazu führen, daß die Wohnungswirtschaft, der Konjunkturmotor, dort zum Anspringen der Wirtschaftsentwicklung beitragen kann.
({1})
Dieser Haushalt ist die angemessene und bezahlbare Antwort auf die derzeit absehbaren Probleme. Ich will damit gar nicht sagen, daß wir alle Probleme dieser Legislaturperiode damit schon gelöst hätten. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß die gesellschaftlichen Veränderungen, wie wir sie in den westlichen Bundesländern in den vergangenen Jahren beobachtet haben, in der Tat weiter zunehmen werden: Der Anteil der Einpersonenhaushalte wird weiter steigen. Die Zahl der Quadratmeter der durch Einpersonenhaushalte genutzten Wohnfläche wird ebenfalls weiter steigen.
Hinzu kommt, daß wir uns im Bereich des Städtebaus, der zukünftigen Entwicklung der Städte, weiteren neuen Herausforderungen werden stellen müssen. Deswegen stimme ich all denen zu, die sagen, daß auch in der Zukunft Städtebauförderungsmittel ausreichend zur Verfügung gestellt werden müssen.
Ich sage allerdings auch, daß das Zurückfahren von - in diesem Haushalt zunächst veranschlagten -660 Millionen DM auf 380 Millionen DM für die westlichen Bundesländer vertretbar ist. Damit können die begonnenen Maßnahmen fortgeführt und die wirklich unumgänglich notwendigen Maßnahmen begonnen werden. Es ist allerdings zu fragen, ob ein Gebiet, das vor einigen Jahren bereits einmal saniert worden ist, nicht noch zwei, drei oder auch vier Jahre zusätzlich warten kann, bevor es aufs neue saniert wird. Genau das ist die Politik, die wir mit dieser Mittelzuweisung anstreben.
({2})
Herr Rempe, die Zahl der Staatssekretäre zeigt doch eigentlich nur, welch hohe Bedeutung die Bundesregierung den wohnungsbaupolitischen Problemen in dieser Legislaturperiode beimißt.
({3})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Umbruch in den fünf neuen Bundesländern hat für uns zur Folge gehabt, daß wir viele Detailfragen lösen mußten und müssen. Die Ansätze dafür sind da. Sie sind im Haushaltsentwurf für 1991 vorhanden. Sie sind in den Begleitmaßnahmen, die wir im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehen haben vor allem im Wohngeldbereich, ebenfalls vorhanden. Sie werden mit dem Artikelgesetz zur Hemmnisbeseitigung und Investitionsförderung in den fünf neuen Bundesländern weiter verfestigt.
Wir haben in dem Artikelgesetz zur Hemmnisbeseitigung - darüber bin ich froh - eine klare Vorfahrtregelung für Investitionen gegenüber Restitutionen festgeschrieben. Wir haben aber genauso klargemacht, daß für uns am Grundsatz der Restitution nicht gerüttelt werden kann. Dies ist vor allem für viele von ihrem Eigentum Verwiesene, jetzt in den westlichen Bundesländern Lebende eine besonders wichtige und vertrauenschützende Maßnahme.
({4})
Wir haben es mit etwa 1,2 Millionen Anträgen auf Restitution zu tun. Für den für die Wirtschaft besonders wichtigen Bereich müssen wir damit rechnen, daß etwa 10 000 bisher nicht bearbeitete Anträge zur Entscheidung anstehen. Das sind die Größenordnungen, in denen wir uns bewegen.
Diese Größenordnung allein macht schon deutlich, daß der Vertrauensschutz notwendig war, daß das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und in die Gültigkeit unseres Grundgesetzes auf gar keinen Fall erschüttert werden durfte; es gab aber auch keinen Grund dafür, es zu erschüttern.
({5})
Die jetzt vorgesehenen Regelungen müssen sich in der Praxis noch bewähren, aber ich bin zuversichtlich, daß das der Fall sein wird.
Wir haben für die ostdeutschen Bundesländer ein sehr differenziertes Zuschuß- und Kreditprogramm vorgesehen, um dort den Wohnungsbestand so schnell wie möglich in einen besseren Zustand zu versetzen. Das 10-Milliarden-DM-Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist ein zinssubventioniertes Programm, mit dem wir die Modernisierung und Instandsetzung fördern. Bisher liegen Anträge für 1,8 Milliarden DM für mehr als 90 000 Maßnahmen vor.
Wir werden im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost die Modernisierung und Instandsetzung des Wohnungsbestandes in diesem und im nächsten Jahr zusätzlich mit Zuschüssen von 20 % zu den Kosten der Maßnahme fördern. Dieses Programm hat einen Umfang von jeweils 700 Millionen DM. Damit werden vor allem die schnelle Instandsetzung von Dächern, Grundmauern, aber auch die schnelle Modernisierung von Heizungen und sanitären Anlagen in Angriff genommen werden können.
Damit sind genau die Voraussetzungen dafür gegeben, daß auch bei den bestehenden Wohnungen in den fünf neuen Bundesländern der nächste Punkt, nämlich die Privatisierung, greifen kann. Wir haben 200 Millionen DM in diesem und im nächsten Jahr für die Bezuschussung des Kaufs von selbstgenutzten Wohnungen vorgesehen.
({6})
Das sind also keineswegs Mittel, die in irgendeiner Weise für Spekulanten aus dem Westen zur Verfügung stünden, sondern Mittel, mit denen wir erreichen wollen, daß die derzeitigen Mieter in ihren Wohnungen heimisch werden, indem wir ihnen die Chance geben, sie zu kaufen.
({7})
Dies ist für uns auch eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit.
Wir werden darüber hinaus im sozialen Wohnungsbau, West wie Ost, viele Mittel zur Verfügung stellen. Allein in den sozialen Wohnungsbau Ost werden wir in diesem Jahr 1 Milliarde DM investieren. Davon werden ca. 45 000 Wohnungen gefördert werden können.
Im Rahmen der Städtebauförderung fließen in diesem Jahr an Bundesmitteln 380 Millionen DM in die neuen Bundesländer. Dazu kommen vor allem für Modellmaßnahmen im Rahmen des Gemeinschaftswerks Aufschwung Ost noch einmal je 100 Millionen DM reine Bundesförderung für die Stadt- und Dorferneuerung, aber auch für den städtebaulichen Denkmalschutz. Dies liegt mir - ich muß das sagen - besonders am Herzen; denn sowohl wegen der vielen wunderbaren Wohnungsbestände als auch wegen der Innenstädte, die in den fünf neuen Bundesländern noch sichtbar sind, die aber Tag für Tag mehr zerfallen, muß uns diese Aufgabe geradezu prioritär am Herzen liegen.
({8})
Darüber hinaus zahlen wir zur Sicherung begonnener Mietwohnungsbauvorhaben - das sind in den fünf neuen Bundesländern im Moment 27 000 - Zuschüsse in Höhe von 190 Millionen DM in diesem Jahr. Mehr als 150 Millionen DM stellen wir für die Fortführung begonnener Eigentumsmaßnahmen zur Verfügung. Private Vermieter und Eigenheimbesitzer erhalten in diesem Jahr Zinsausgleichsmaßnahmen. Wir stellen dafür 140 Millionen DM zur Verfügung. Für die unternehmerische Wohnungswirtschaft wird das angestrebte Zahlungsmoratorium die angemessene Entlastung schaffen.
Vor allen Dingen aber, meine Damen und Herren, ist die Finanzausstattung der neuen Länder soweit sichergestellt, daß diese ihre Verantwortung für die Subventionierung der Wohnungswirtschaft und der privaten Vermieter wahrnehmen können.
({9})
Allerdings: Subventionierung darf kein Dauerzustand sein. - Wie lange wir sie aufrechterhalten müssen, Herr Großmann, hängt davon ab, wie schnell wir in diesem Jahr zu Mieterhöhungen kommen.
({10})
Genau darüber haben wir heute mit den Ministerpräsidenten der fünf neuen Bundesländer beim Bundeskanzler gesprochen.
Ich bin froh, sagen zu können, daß alle Ministerpräsidenten die Notwendigkeiten sehen, die Umlage der Betriebskosten - kalt und warm - so schnell wie möglich durchzusetzen. Darüber hinaus haben sie uns noch einmal nachdrücklich gebeten - wie schon früher - , die Anhebung der Kaltmieten zum gleichen Termin vorzusehen, also eine Zusammenlegung der Termine vorzunehmen. Insofern hätten Sie sich einen Teil Ihrer Polemik sparen können, Herr Großmann. Sie wissen ganz genau, daß dies von uns vorgesehen worden ist, weil wir ausdrücklich darum gebeten worden sind und wir nicht gegen die Länder tätig werden wollen.
({11})
Das Bundeskabinett wird also in seiner Sitzung am kommenden Dienstag die Mieterhöhungsverordnung, die die Umlagefähigkeit der Betriebskosten teilt, beschließen. Die Umlagefähigkeit der Heizungsund Warmwasserkosten ist bis zu einer Höhe von 2 DM pro Quadratmeter vorgesehen. Ferner hat der Koalitionsbeschluß die Anhebung der Kaltmieten um 1 DM pro Quadratmeter zum gleichen Termin zum Inhalt.
Entscheidend, meine Damen und Herren, wird sein, daß das Wohngeld gleichzeitig ausgezahlt wird.
({12})
Sie wissen, daß wir für die ostdeutschen Bundesländer ein besonderes Wohngeld vorgesehen haben. Heizungs- und Warmwasserkosten werden - entgegen dem, was in den westlichen Bundesländern üblich ist - wohngeldfähig sein; darüber hinaus wird auch pro Familie noch ein Freibetrag eingeräumt, der die Mietbelastung weiter reduziert.
Dies alles wollen wir so ausgestalten, daß an Hand von einfachen Tabellen Wohngeld pauschaliert zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausgezahlt werden kann. Diese Tabellen sind so gestaltet, daß jede Familie bei Kenntnis des Einkommens und der Mietbelastung direkt ablesen kann, welches Wohngeld ihr gezahlt wird. Die Mietbelastung wird für sie im Endeffekt voll einsichtig.
Verehrte Frau Ministerin, ich bin weit davon entfernt, Ihre Verfassungsrechte beeinträchtigen zu wollen. Aber ich möchte mich auch nur ungern dem Verdacht aussetzen, Sie besser zu behandeln als andere, d. h. ich muß sie darauf aufmerksam machen, daß die ungefähr eingeplante Redezeit deutlich überschritten ist.
Herr Präsident, ich bedanke mich für diesen zarten Hinweis und komme deshalb zum Schluß.
Meine Damen und Herren, mit dem, was wir im Haushalt und in den Haushaltsbegleitgesetzen vorgesehen haben, ist jetzt in der Tat die Grundlage dafür gelegt, daß es mit der Qualität der Wohnungsversorgung in den fünf neuen Bundesländern schnell und deutlich aufwärtsgehen kann.
Was wir jetzt brauchen, meine Damen und Herren, ist nicht die Polemik eines Bausenators Nagel in Berlin, der die Mieter weiter verunsichert. Vielmehr brau958
chen wir - Sozialdemokraten sind ja unterschiedlich ({0})
eine besonnene Haltung, die die Ministerpräsidenten der fünf neuen Bundesländer, inklusive Herr Stolpe, heute an den Tag gelegt haben.
Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich zuversichtlich, daß wir diese Politik auch gemeinsam mit dem Bundesrat umsetzen können. Ich bin sicher, daß sie im Interesse der Menschen liegt.
Ich danke Ihnen.
({1})
Nun hat der Abgeordnete Diller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rückblickend auf eine dreitägige Haushaltsdebatte erscheint mir unwillkürlich das Bild eines Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, der Anfang der 80er Jahre herumlief und ständig den Kanzler mahnte, ein Kanzler müsse auch geistigmoralisch führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Abgeordnete hat 1990 eine historische Wahl, nämlich die Wahl zum ersten gesamtdeutschen Bundestag, benutzt, um sie mit einer Riesentäuschung zu bestreiten: „Niemandem soll es nach der staatlichen Vereinigung schlechter gehen als vorher, keiner soll auf etwas verzichten müssen." Oder: „Wenn ich dem Bürger jetzt, vor der Wahl, sage: wir machen keine Steuererhöhung im Zusammenhang mit der deutschen Einheit, dann machen wir keine. " Und seine Partei schaltete Anzeigen und bekräftigte: „Diese Garantie kann Ihnen nur die Regierung Helmut Kohl geben. "
({0})
Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, weil dieser Herr heute mit einer ganzseitigen Anzeige in den rheinland-pfälzischen Zeitungen für mehrere hunderttausend DM Kosten eine Sandmännchenaktion startet, um diese Erinnerung zu verwischen.
({1})
Die FDP hat sich damals sogar noch dreister empfohlen mit dem Bild des Grafen: „Statt Steuererhöhungen: Zweitstimme FDP. "
({2})
Drei Monate nach der Wahl stehen Kanzler und Regierung in den Augen der Öffentlichkeit als Wortbrüchige, ja als Lügner da. Ich zitiere die „Stuttgarter Nachrichten" : „Auf Versprechungen der Regierung Kohl/Genscher kann man sich nicht verlassen. Sie ist wortbrüchig geworden. "
({3})
Ich zitiere die „Bild"-Zeitung, das Lieblingsblatt des
Kanzlers: „Kohl ... muß sich heute von vielen als Lügner bezeichnen lassen. Jawohl, Lügner! Jetzt haben wir die Steuerlüge, und der Kanzler hat dafür geradezustehen. Wir von ,Bild' finden für das Vorgehen der Regierungskoalition nur ein Wort: Schamlos! "
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kanzler, der vor zehn Jahren mit der Forderung antrat, ein Kanzler müsse das Land geistig-moralisch führen, und der diesen Anspruch umzusetzen versuchte, steht heute da als ein Kanzler, der wortbrüchig ist und eine schamlose Steuerlüge zu verantworten hat.
Die Vorwürfe von Opposition und Presse veranlaßten inzwischen den Kanzler, die Flucht nach vorn anzutreten. Nun weiß er als Katholik, daß vor der Vergebung eigentlich die Reue und dann die Beichte kämen. Aber statt einer Beichte kamen nur Ausflüchte: Man habe den Zusammenbruch des Außenhandels mit den RGW-Staaten nicht vorhersehen können; so der Kanzler.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Aussage des Kanzlers ist nicht wahr. Im April 1990 hat die Bundesregierung in unserem Haushaltsausschuß zum Thema „Stand und Entwicklung der Währungsunion und der Wirtschaftsgemeinschaft mit der DDR" auf unsere entsprechenden Fragen dargelegt:
Erstens. Zwei Drittel des DDR-Außenhandels vollzieht sich mit RGW-Staaten, der Rest vor allem mit Entwicklungsländern, deren Zahlungsfähigkeit oder -unfähigkeit wir alle kennen.
Zweitens. Das Wirtschaftsjahr wird auf Transferrubelbasis abgewickelt. Wir wissen alle, was man mit Transferrubeln anfangen kann.
({4})
Drittens. Ober das Jahr 1990 hinaus bestehen keine längerfristigen Bindungen im Handelsverkehr, weil die Fünfjahresperiode 1990 abläuft. Die Regierung der DDR beabsichtigt nicht, ein weiteres Fünfjahres-abkommen abzuschließen.
Viertens. Derzeit verhandelt die DDR darüber, 26 Wirtschaftsabkommen mit der Sowjetunion auf konvertible Währungen umzustellen und, wenn dies nicht gelingt, diese Abkommen vorzeitig auslaufen zu lassen.
Fünftens. Ein erheblicher Teil der technologischen Ausfuhren in die Sowjetunion fallen nach der Währungsunion unter die bundesdeutschen Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechts. Mithin kann nicht mehr exportiert werden.
Sechstens. Für die Ertragslage und die Lebensfähigkeit der DDR-Betriebe ist die Lösung der Frage „Umrechnungskurs Transferrubel in DM für Gutschriften und Belastungen der DDR-Betriebe im Im-und Export" von zentraler Bedeutung - so die Bundesregierung im April 1990. Daß das alles zusammenbrechen wird, war der Bundesregierung, war dem Bundeswirtschaftsministerium im April schon völlig klar, im April 1990!
({5})
Daß es krachen wird, hat in der gleichen Sitzung, Herr
Waigel, Ihr Staatssekretär Carstens stellvertretend für
die Situation in der Stahlindustrie am Beispiel der
Werftindustrie der DDR damals deutlich gemacht. Er sagte, in der Werftindustrie der DDR seien 80 000 Menschen beschäftigt, und sie würden halb soviel Umsatz machen wie 30 000 Beschäftigte in der westdeutschen Werftindustrie. Das heißt, die Bundesregierung wußte im April 1990 schon, daß nach der Währungsunion die ostdeutsche Werftindustrie von den 80 000 Beschäftigten wahrscheinlich 65 000 nicht wird halten können, weil sie bei gleichbleibendem Auftragsbestand und schnell steigenden Löhnen nur mit etwa 15 000 Beschäftigten so wettbewerbsfähig sein kann, wie die westdeutsche es ist.
Eine verantwortlich handelnde Bundesregierung, die spätestens seit April 1990 weiß, wie sehr alles zusammenbrechen wird, hätte unmittelbar nach Vollzug der Einheit das Sonderprogramm AufschwungOst starten müssen und nicht erst im März 1991.
({6})
Die Begründung des Kanzlers vor der Presse ist damit eine erneute Täuschung der Öffentlichkeit, die eine sechs Monate dauernde Untätigkeit der Regierung Kohl/Genscher nur vertuschen soll.
Getäuscht fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger im übrigen auch von Finanzminister Waigel. Vor der Wahl verbreitete er bei Millionen die Hoffnung, die Regierung werde nach einer gewonnenen Wahl allen verfassungswidrig hoch besteuerten Familien die ab 1983 zuviel gezahlten Beträge zurückzahlen. Nach der Wahl platzte diese Hoffnung. Wie verbittert die Familien sind, zeigt im übrigen die Stellungnahme des Katholikenrates des Bistums Trier, der auf seiner Vollversammlung am 2. März beschloß:
Offensichtlich will die Bundesregierung den eindeutig verfassungswidrigen Zustand des unzureichenden Familienlastenausgleichs die nächsten zwei Jahre aufrechterhalten. Der Katholikenrat fordert die betroffenen Familien auf, vorsorglich gegen alle Steuer- und Kindergeldbescheide Widerspruch einzulegen.
Wer dies im Vertrauen auf eine verfassungskonforme Gesetzgebung nicht tue, könne ebenso leer ausgehen wie die Mehrzahl der Steuerzahler seit 1983.
Sehr geehrter Herr Waigel, wenn selbst Katholikenräte dazu auffordern, vorsorglich allen Steuerbescheiden zu widersprechen, weil man bei dieser Regierung sonst leer ausgeht, dann ist das Vertrauen der Bürger in die Regierung Kohl-Genscher und insbesondere in das C von CDU und CSU wirklich restlos zerstört.
({7})
Ein Täuschungsversuch ist auch, Herr Waigel, Ihre Behauptung vom Dienstag, der Verzicht auf die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern erspare den Einsatz von Tausenden von Finanzbeamten in den neuen Bundesländern. Herr Waigel, Ihre Behauptung vom Dienstag ist schlicht falsch; denn es gibt ja außer der Festsetzung der Vermögensteuer, wozu man die Einheitswerte braucht, auch die Fälligkeit von Erbschaftsteuern, und auch dazu brauchen die Finanzämter die Einheitswerte. Und die Gemeinden brauchen diese Einheitswerte, damit sie ihre Grundsteuern berechnen können. Wollen Sie denn wirklich mit der Verweigerung der Festsetzung der Einheitswerte riskieren, daß den Gemeinden in den neuen Bundesländern die Möglichkeit genommen wird, Grundsteuern zu erheben? Das werden wir nicht zulassen, Herr Waigel!
({8})
Täuschen will der Minister auch, wenn er am Dienstag behauptet hat - ich zitiere ihn:
Wenn die Ausgaben für den Golfkrieg nicht auf uns zugekommen wären, hätten wir im Jahre 1991 die Steuern nicht erhöht. Das ist die Wahrheit.
So Waigel am Dienstag.
Herr Minister, wenn das wirklich wahr wäre, dann müßten Sie der Bevölkerung einmal erklären, warum Sie in diesem Jahr eine Steuererhöhung von 17 bis 18 Milliarden DM durchführen, obwohl in diesem Haushaltsjahr nur noch 12 Milliarden DM für den Golfkrieg zu finanzieren sind; denn 5 Milliarden DM sind schon im Haushaltsplan 1990 und im Haushaltsjahr 1990 finanziert worden. Dann müßten Sie den Leuten auch einmal erklären, wozu 1992 Steuererhöhungen sogar in Höhe von 28 Milliarden DM und in den folgenden Jahren jeweils von 20 Milliarden DM fällig sind.
({9})
Auch hier will er für sich und seinen Kanzler weiter nur den Schein wahren, die Sprachregelung durchhalten. Ja nichts zugeben, das ist die Devise dieser Regierung, wie sie auch in der Anzeige zum Ausdruck kommt.
({10})
Aber, Herr Minister, der Kollege Faltlhauser und andere von der CDU/CSU und der FDP haben diese Sprachregelung nicht durchgehalten; denn auf dem Deckblatt ihres Steuererhöhungsantrages auf Drucksache 12/220 ist zu lesen: Vor dem Hintergrund der jüngsten Veränderungen in den neuen Bundesländern müssen zur Finanzierung die Einnahmen verbessert werden. Da ist die Beichte.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Club der Umverteiler für die Privilegierten - der kürzt sich übrigens CDUFDP ab,
({12})
Club der Umverteiler für die Privilegierten - hat erneut zugeschlagen.
1987 holte sich Stoltenberg 14 Tage vor der Wahl mit einer Anzeige in der CDU-Zeitung, die im Wahlkampf verteilt wird, mit dem Versprechen „Steuern herunter, 1 000 DM für jeden" die Stimmenmehrheit bei der damaligen Wahl. Eingelöst wurde dies für jedermann aber weder 1987 noch 1988, noch 1989.
Erst im Wahljahr 1990 bekamen auch Normalverdiener von dieser Regierung eine nennenswerte steu960
erliche Entlastung. Kaum gegeben, wird ihnen dies durch die größte Steuer- und Abgabenerhöhung
({13})
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland alles wieder genommen. Besonders empörend ist dabei die entsetzliche soziale Schieflage dieses Pakets.
({14})
Ein Normalverdiener, 3 500 DM brutto, verheiratet, zwei Kinder, hat nach vielen Berechnungen von Instituten, aber auch von uns durch die Ergänzungsabgabe, durch die neue Telefonsteuer, durch den höheren Sozialversicherungsbeitrag und durch die höheren Steuern auf Mineralöl, Versicherungen und Tabak rund 111 DM monatlich weniger in der Tasche. Aufs Jahr gerechnet sind dies 1 332 DM, die ihm fehlen.
({15})
Damit ist für diese Familie die Steuersenkung von 1990 nicht nur völlig futsch,
({16})
sondern diese Familie muß gegenüber 1989, also gegenüber einem Jahr vor der Steuersenkung, noch eine Mehrbelastung von über 400 DM tragen.
({17})
Da helfen auch die Anzeigen des Kanzlers nichts. Ich muß sagen, das Konrad-Adenauer-Haus hat völlig recht, wenn es nun versucht, zu vertuschen, daß der Landesgruppenvorsitzende von Rheinland-Pfalz in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Kollege Gerster, gestern den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten,
({18})
der gestern seine Abschiedsrede gehalten hat, als einen Ministerpräsidenten auf Abruf mit Verfallsdatum bezeichnet hat. Noch so teure Anzeigen helfen nicht. Die Möbelwagen sollte man besser bestellen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({19})
Auch den ostdeutschen Durchschnittsverdienern werden, übrigens nach Ihren Berechnungen, rund 500 DM im Jahr weniger zur Verfügung stehen. Arbeitslose und Rentner werden über 550 DM im Jahr weniger zur Verfügung haben, nicht nur wegen der Steuererhöhungen, sondern beispielsweise auch wegen der Bestimmung des § 111 des Arbeitsförderungsgesetzes, die ja auf den Nettolohn abstellt.
Trotz Steuererhöhungen gehören zu den Gewinnern aber diejenigen, die sehr viel verdienen. Wer z. B. wie ein Sparkassendirektor einer Kreissparkasse mit zwei Kindern einen Bruttojahresverdienst von rund 200 000 DM sein eigen nennen kann, dem bleibt trotz Ihrer Steuererhöhungen, Herr Waigel, noch sehr viel übrig. Denn er hat durch Sie seit 1990 jährlich 11 000 DM weniger an das Finanzamt abzuführen. Da schmerzen ihn die paar Mark Steuererhöhungen wirklich nicht.
CDU und FDP haben für diese Gruppe noch ein besonderes Bonbon bereit. Den Topverdienern, besonders aber den Millionären und Milliardären in unserer Gesellschaft, werden nicht nur über die Ausweitung des Dienstmädchenprivilegs jährlich weitere 1 000-DM-Scheine geschenkt; die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer soll ihnen zusammen 9 Milliarden DM Steuern jährlich ersparen. Das sind im Einzelfall für den einzelnen durchaus Beträge in Millionenhöhe als zusätzlich verfügbares jährliches Einkommen.
Den vielen Millionen Arbeitnehmern, den Rentnern und den Arbeitslosen Milliardenbeträge wegzunehmen, um sie ein paar hunderttausend Vermögenden im Westen zu schenken - das ist die Umverteilungspolitik von CDU und FDP. Soziale Kälte ist zum Markenzeichen der C-Parteien geworden.
({20})
Die Bundeskasse durch Steuererhöhungen füllen, die Länder- und Gemeindekassen aber durch die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer zu plündern und gegebene Zusagen nicht einzuhalten - diese Politik verdient einen Denkzettel. Alle Steuererhöhungen, die mit diesem Haushalt zu beraten sind, bringen nur dem Bund Mehreinnahmen. Die Abschaffung der Gewerbekapital- und der Vermögensteuer trifft allein die Länder- und Gemeindekassen.
Ich will Ihnen das einmal am Beispiel des Bundeslandes, aus dem ich komme, vorrechnen. Bei einem Gesamtvolumen von knapp 17 oder 18 Milliarden DM liegt die jährlich zur Verfügung stehende frei disponible Masse bei 500 bis 600 Millionen DM. 300 Millionen DM verliert das Land Rheinland-Pfalz allein durch die Veränderung der Umsatzsteuerverteilung. 300 Millionen DM wollen CDU und FDP dem Land Rheinland-Pfalz durch die Abschaffung der Vermögensteuer wegnehmen. Durch das Infragestellen der Strukturhilfemittel sind weitere 272 Millionen DM gefährdet. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und der dabei vorgesehene Wegfall der Gewerbesteuerumlage gefährdet eine Einnahme des Landes in Höhe von 143 Millionen DM.
({21})
Wie soll das Land seine Zukunft positiv gestalten können, wenn Sie durch Ihre Politik Einnahmen dieses Landes bis zu 1 Milliarde DM jährlich gefährden?
({22})
Wie soll das Land seine Zukunft positiv gestalten, wenn der Kanzler ihm zwar vor der Wahl den Bau einer Schnellbahntrasse durch die Pfalz für 1,4 Milliarden DM verspricht, aber nach der Wahl nur noch 400 Millionen DM für den Ausbau bereitstellen will? Wie soll das Land seine Zukunft positiv gestalten können, wenn CDU und FDP bisher nicht bereit waren,
dem Land zuzusagen, daß es bei der Umstrukturierung der militärischen Standorte in zivile Standorte Hilfe bekommt?
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Osten macht sich Verzweiflung über die Inkomptenz der Regierung Kohl/Genscher breit. Dieser Tage schrieb ein Arzt aus Ostdeutschland dem Kanzler einen denkwürdigen Brief mit Durchschrift an uns. Ich zitiere daraus:
Als Mensch und Arzt mit sensiblem sozialen Gewissen schmerzt mich die Not meiner sozial noch schwächeren Mitbürger. Ich sehe schlimme Zeiten heraufziehen. Noch ist die Stimmung der „notleidenden Ostdeutschen" nur durch Hoffnungslosigkeit und Verbitterung geprägt. Jedoch sind erste Zeichen des Aufbegehrens gegen soziales Unrecht der leidgeprüften Bevölkerung der neuen Bundesländer unübersehbar. Ich glaube, sozial motivierte Unruhen voraussagen zu können.
Er hat recht behalten. Die Montagsdemonstrationen sind in dieser Woche wieder aufgenommen worden, diesmal um gegen die Kälte und wirtschaftspolitische Inkomptenz dieser Bundesregierung zu demonstrieren.
({24})
Der Kanzler aber kneift. Warum hat er sich seit der Wahl nicht mehr in den neuen Länder blicken lassen? Warum steht er den Menschen nicht Rede und Antwort und gibt ihnen geistige Orientierung? Wo bleibt die geistig-moralische Führung dieses Kanzlers?
Die Bürger in den neuen Ländern beschleicht immer mehr das Gefühl: Sie haben sich zwar aus den Fängen der Firma „Horch und Greif" befreit, sie sind aber jetzt bei der Firma „Täusch und Inkompetenz" gelandet.
({25})
Die Haushaltsberatungen werden sehr schwierig sein. Sie werden viel Konzentration erfordern, weil sie, Herr Minister, geschludert haben und 12 Milliarden DM - das ist ungefähr der Umfang des Haushalts eines kleinen Bundeslandes - in Einnahmen und Ausgaben nicht rechtzeitig einarbeiten ließen. Es ist schon ein starkes Stück, wenn der Minister den Haushalt, den er selbst als Haushalt der Wiedervereinigung bezeichnete, dem Parlament handwerklich unvollständig vorlegt und dem Haushaltsausschuß 12 Milliarden DM in Einnahmen und Ausgaben nun als Loseblattveranstaltung nach und nach vorlegt.
Wir werden dennoch konstruktiv mitarbeiten, um die aus unserer Sicht notwendigen Verbesserungen zu erreichen und um die unerträglichen sozialen Schlagseiten zu beseitigen. Unser Konzept, der nationale Aufbauplan für die Zukunft der neuen Länder, liegt seit Wochen vor und ist uns dabei Richtschnur. Manches aus unserem Konzept findet sich in dem von der Regierung vorgelegten Aufbauplan wieder.
Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen. Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überzogen.
Ich komme zum Schluß.
Unser Finanzierungskonzept liegt ebenfalls längst vor. Es hat den Beifall der Fachwelt gefunden.
({0})
Ich verweise auf einen Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit war schon immer das Markenzeichen der SPD.
({1})
Wir sind gemäß dieser Verpflichtung bereit, uns der großen Herausforderung zu stellen, damit die Einheit gelingt.
({2})
Nun hat der Bundesfinanzminister Dr. Waigel das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Aber warum nicht? Das gilt vor allen Dingen für diejenigen, die noch bis zum Schluß hiergeblieben sind. Ich freue mich vor allen Dingen darüber, daß die SPD mit ihrer Spitze vertreten ist. Ich empfinde das als eine große Auszeichnung.
({1})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung
- das hat die Diskussion in den letzten drei Tagen gezeigt - wird alle ihre Kräfte einsetzen, um Wirtschaft und öffentliche Verwaltung in den neuen Bundesländern so schnell wie möglich aufzubauen. Mit diesem ersten Haushalt der Wiedervereinigung schaffen wir die finanzpolitischen Grundlagen dafür.
({2})
Die Opposition hat es sich bei ihrer Kritik von Anfang an bis zum Schluß mit dem Beitrag des Kollegen Diller zu leicht gemacht: gegen eine Ausweitung der Kreditaufnahme, Kritik an den von uns geplanten Steuererhöhungen, kein einziger konstruktiver Einsparungsvorschlag.
({3})
Ich will auch in aller Ruhe, aber nochmals in aller Klarheit sagen, daß wir die Vorwürfe der „Lüge" und
der „Täuschung" nicht akzeptieren, nicht hinzunehmen bereit sind.
({4})
Sie sind unberechtigte, nicht gerechtfertigte Unterstellungen, und sie sind wahrheitswidrig.
({5})
Hätte ich im November 1990 oder Anfang Januar dieses Jahres, als wir am Entwurf des Haushaltes arbeiteten, Kosten für den Golfkrieg in den Haushaltsentwurf einsetzen sollen, dürfen, können? Meine Damen und Herren, jedermann hätte mich, wenn ich das damals getan hätte, als einen Kriegs-Finanzminister bezeichnet. Insofern konnten und durften diese Kosten erst etatisiert werden, als ganz konkrete Zusagen dafür gegeben waren. Das war weder im letzten Jahr noch Anfang dieses Jahres der Fall, wiewohl wir im letzten Jahr für die Anrainerstaaten und in einem anderen Zusammenhang bereits einige Milliarden geben mußten. Man muß natürlich im Zusammenhang sehen, was wir 1990 und Anfang 1991 zugesagt und bereits gegeben haben; denn genau dieses Geld, meine sehr verehrten Damen und Herren, fehlt uns natürlich für die Aufgaben in Deutschland. Ich glaube, diese Kausalität muß doch jedem klarzumachen sein.
({6})
Können und dürfen wir Ausgaben für die Sowjetunion, für den Stabilisierungsprozeß, für die mittel- und osteuropäischen Staaten prophylaktisch in einen Haushalt oder in eine Finanzplanung einsetzen? Wir haben doch gar nicht das Recht, das zu tun, angesichts der Probleme, vor denen andere Länder stehen.
({7})
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen? - Bitte schön, Frau Matthäus-Maier.
Wir sind zwar am Ende der Debatte, aber darf ich Sie abschließend nach dem Beitrag von Herrn Diller, der hier vorgetragen hat, in diesem Jahr seien 12 Milliarden DM für Kosten im Zusammenhang mit dem Golfkonflikt etatisiert worden, noch einmal fragen, warum Sie dann, selbst wenn Sie noch etwas zum RGW dazutun, ein Steuer- und Abgabenerhöhungspaket - mit einer Telefonsteuer und einer Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge - in einem Umfang von 43 Milliarden DM brauchen?
Wir haben gesagt, Frau Kollegin Matthäus-Maier - das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein; ich habe das von dieser Stelle aus getan - , daß die Kosten der Arbeitslosigkeit systemgerecht und marktgerecht aufgebracht werden müssen und
({0})
daß in diesem Zusammenhang auch die Erhöhung der
dafür in Frage stehenden Abgaben, z. B. bei der Arbeitslosenversicherung, das systemkonforme Mittel
ist. Das habe ich hier gesagt. Wenn Sie das damals nicht begriffen haben, dann ist das Ihre Schuld.
({1})
- Entschuldigung, wir haben das jedenfalls gesagt. Ich lasse mir das weder von Ihnen noch von sonst jemandem als Täuschung in die Schuhe schieben.
({2})
- Das ist nicht Rabulistik, sondern die Wahrheit.
Wir haben damals wie danach gesagt: Opfer sind notwendig, und Einschnitte sind notwendig, auch bei unserem Eckwertebeschluß mit 35 Milliarden DM Kürzungen, Umschichtungen und Einnahmeverbesserungen. Darüber waren wir uns im klaren. Wir haben vorher gesagt: Das wird für jeden Bürger Opfer mit sich bringen. Mehr als 50 Milliarden DM Einsparungen in den Jahren 1990 und 1991 schienen uns finanzpolitisch nicht möglich und nicht vertretbar zu sein. Im übrigen haben wir - der Bundeskanzler, ich und andere - vorher auch gesagt, daß wir an einer Erhöhung von Abgaben und Gebühren nicht vorbeikommen werden.
Lieber Herr Kollege Diller, ich will auch noch etwas zu dem Punkt „bestandskräftige Bescheide von 1983 bis 1985" sagen. Ich habe von dieser Stelle aus, als wir darüber diskutierten, abweichend vom Manuskript gesagt - dazu stehe ich; ich kann jetzt nur ungefähr zitieren, ich bitte um Ihr Verständnis - , es ist schwer verständlich zu machen, warum nur die, die damals Einspruch eingelegt haben, davon profitieren und andere nicht. Das habe ich hier gesagt, das entsprach meiner Überzeugung und entspricht noch heute meiner Überzeugung. Dennoch: Ich habe nie eine Zusage gegeben, daß das zurückgezahlt wird, Herr Kollege Diller.
({3})
Das haben Sie mir heute wahrheitswidrig unterstellt.
({4})
- Nein, „Zusage gegeben" hat er hier gesagt. Lesen Sie das Manuskript nach.
({5})
- Das läßt sich klären. Sie haben mir hier Täuschung unterstellt, und das weise ich zurück.
Wir standen vor der Frage: Wenn wir alle Fälle neu aufgerollt hätten - das wissen Sie - , dann wäre dafür ein Finanzvolumen von 14 bis 17 Milliarden DM notwendig gewesen. Ich glaube, es ist richtig - auch Sie werden sich dieser Argumentation nicht verschließen können -, daß angesichts dieser Summen eine künftige Verbesserung des Familienlastenausgleichs sinnvoller ist, den Bedürfnissen der Kinder und der Familien besser entspricht und eine zukunftsgerechtere Lösung ist, als alle Fälle von 1983 bis 1985 nochmals aufzurollen, die vor allen Dingen deswegen entBundesminister Dr. Theodor Waigel
standen sind, weil Sie die Kinderfreibeträge abgeschafft hatten, was wir Gott sei Dank jetzt korrigieren.
({6})
Noch eine Bemerkung zu dem, was Sie zu den Einheitswerten gesagt haben. Lesen Sie einmal die Thesen!
({7})
- Herr Kollege Vogel, darf ich herzlich um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Wir sind jetzt in einem kleineren Kreis. Wenn hier eine gewisse Geräuschkulisse aus dem christlich-liberalen Lager vorhanden ist, dann sind Sie immer ganz schnell dabei, uns in bestimmter Tonart klarzumachen, daß wir möglichst ruhig sein sollten.
({8})
Darf ich in aller humorvollen Form auch einmal darum bitten. Ich weiß, manchmal ist die Stimmung dafür da, obwohl Ihre Stimme nicht so schrill ist. An sich ist Ihre Stimme durchaus - ({9})
- An sich ist mit Ihrer Stimme durchaus zu leben.
({10})
Mit „Schrillheit" wollte ich auf andere Dinge anspielen. Aber ich tue es nicht, weil ich mich nicht als Chauvi beschimpfen lassen möchte.
({11})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich traue mich bei dieser Gelegenheit nicht einmal, Sie anzusehen.
({12})
- Ich weiß nicht mehr, wie ich bei der Frage gestimmt habe. Ich weiß es jetzt nicht mehr,
({13})
aber ich schaue gern nach. Nur, Sie wissen, das war damals ein Paket, das im Vermittlungsausschuß gefunden wurde; das war mit vielen anderen Dingen verbunden, und nur dadurch war es möglich, das Gesamtpaket damals durchzubringen. Nur, wir haben die Abschaffung der Kinderfreibeträge immer für falsch gehalten und haben die erste Möglichkeit genutzt, das zu korrigieren, die Kinderfreibeträge wieder einzuführen und sie zu erhöhen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat uns deutlich gezeigt: Wir sind auf dem richtigen Wege und werden ihn fortsetzen.
({14})
Was nun die Einheitswerte anlangt, so wissen Sie sehr genau, daß die unabhängige Sachverständigenkommission eine Ersatzbemessungsgrundlage dafür anbietet, die wir ja auch in den neuen Bundesländern z. B. für die Grundsteuer anwenden. Wir brauchen sie nicht unbedingt für die Vermögensteuer, wir brauchen sie nicht für die Gewerbekapitalsteuer. Insofern gibt es hier durchaus Ersatzmöglichkeiten.
Übrigens, meine Damen und Herren, auch wenn die Zeit noch so ernst ist und die Debatten noch so lang sind, es lohnt sich, am Abend zu lesen. Im Moment lese ich die „Erinnerungen" - oder wie es heißt - von Hans Apel. Hans Apel war mal für die Finanz- und Steuerpolitik verantwortlich, lieber Herr Kollege Vogel. Ich komme eben zum Schlußkapitel bei Hans Apel. Da schildert er die reizvollen Diskussionen unter Ihrer Federführung. Es hat ihm nicht gefallen, daß Sie nie eine Meinung dazu gehabt hätten, sondern immer abgewartet hätten, wohin sich die Mehrheiten entwickeln.
({15})
Es hat dem Hans Apel überhaupt nicht gefallen, und er schreibt immer wieder: In dieser Partei ist keine vernünftige Steuerpolitik zu machen. Und der Mann hat recht. Der Mann hat recht.
({16})
- Ja, Trost bei Hans Apel. Ich glaube, es ist die Wahrheit. Er beschreibt das bis zu dem entsprechenden Parteitag: Es war nichts zu machen, weil ganz andere Elemente von links her in der SPD die Macht an sich gerissen hatten und Steuersenkungen überhaupt nicht in den Bereich der Kategorien des Denkvermögens der SPD paßten. Aber, Herr Vogel, lesen Sie es nach! Glauben Sie, auch Sie können noch davon lernen, von Hans Apel.
({17})
- Also, zu dem sollten Sie mal vor Ostern zum Beichten gehen, zum Basilius!
({18})
Ich, Herr Vogel, suche mir jemand anderen aus.
({19})
Aber es gibt einen weiteren Steuerpolitiker in Ihren Reihen, vor dem ich - ({20})
- Na, so viele haben Sie nicht, es sind wenige; aber einer - ({21})
- Nein, Sie sind es nicht, Sie sind es nicht; nein, das ist - ({22})
- Nein, Sie sind es wirklich nicht; nein, es ist der Senator Gobrecht, ein hochqualifizierter und ernst zu nehmender Steuerpolitiker. Und stellen Sie sich vor, was der vorgeschlagen hat: die Abschaffung der Vermögensteuer.
({23})
- Ja; setzen Sie sich wirklich mit ihm auseinander, aber bitte so tolerant, daß nicht gleich ein Parteiausschluß auf ihn zukommt.
({24})
Aber, Herr Kollege Vogel, je länger Sie Parteivorsitzender sind, desto milder werden Sie, und ich nehme an, daß auch er bei Ihnen auf Milde rechnen kann, auch wenn Sie sich sonst manchmal als Staatsanwalt gebärden sollten. - Jedenfalls schlägt Gobrecht die Abschaffung der Vermögensteuer vor, übrigens auch die Steuergewerkschaft, rein aus Praktikabilitätsgründen.
({25})
Sie sollten sich damit auseinandersetzen, bevor Sie dieses Thema als Hetzkampagne in die politische Debatte einführen.
({26})
Dann noch eine Bemerkung. Sie konnten natürlich, Herr Kollege Diller, der Gefahr nicht entrinnen, hier noch einmal im Hinblick auf die nächste Landtagswahl die Landespolitik von Rheinland-Pfalz darzulegen. Nur, zwei Dinge passen nicht zusammen, uns nämlich in der ersten Hälfte der Rede vorzuhalten, daß wir zuwenig für die neuen Bundesländer tun, und am Schluß der Rede wieder darauf zu kommen, was in Rheinland-Pfalz und in anderen Ländern alles nicht erbracht werden kann. Das ist wieder das Aufhetzen der Menschen in verschiedenen Landstrichen gegeneinander, eine Methode, die Sie im letzten Jahr in mehreren Landtagswahlkämpfen nicht ohne Erfolg - leider - angewandt haben und auf die wir auch heute wieder hinweisen. Sie können doch heute nicht mehr sagen, daß das Strukturhilfegesetz mit den Strukturmitteln in die Landschaft paßt, wenn man die Verhältnisse in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder wo immer mit RheinlandPfalz, mit Bayern oder auch mit Niedersachsen vergleicht.
({27})
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? - Herr Abgeordneter Diller, bitte schön.
Herr Waigel, ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die - ({0})
- Haben Sie nicht mitbekommen, daß ich ausdrücklich darauf hingewiesen habe,
({1})
daß durch die von Ihnen betriebene Abschaffung der Vermögensteuer dem Land Rheinland-Pfalz 300 Millionen DM an Einnahmen fehlen werden, daß durch die von Ihnen betriebene Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Verrechnung mit der Gewerbesteuerumlage dem Land Rheinland-Pfalz zusätzlich bis zu 143 Millionen DM an Einnahmen wegfallen können und daß allein diese beiden Punkte ungefähr die freie Finanzspitze des Landeshaushalts darstellen?
Da braucht man nicht groß über die Strukturhilfe-Millionen zu reden. Haben Sie das nicht mitbekommen?
Herr Kollege Diller, haben Sie mitbekommen, daß im Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten ganz klar ein Ausgleich für den Fall zugesagt wurde, daß es zu diesen Steuerplänen kommt? Zum zweiten: Haben Sie mitbekommen, daß auch die SPD-Ministerpräsidenten dieser Formulierung zugestimmt haben? Haben Sie nicht mitbekommen, daß dies in Ihrer Fraktion zu einigem Unmut gegenüber den eigenen Ministerpräsidenten geführt hat?
({0})
Lassen Sie mich noch auf folgendes ganz klar hinweisen: Es gab im Jahre 1990 keine Steuererhöhungspläne. Alle volkswirtschaftlichen Erwägungen - auch das sage ich hier noch einmal klipp und klar - sprachen gegen Steuererhöhungen: konjunkturelle Gründe, Auswirkungen auf Investitionen und vor allen Dingen der Druck, was die Einsparungen anbelangt.
Ein Finanzminister und ein Kabinett wird doch kaum in der Lage sein, mit einem Einsparungs- und Umschichtungsprogramm eine Größenordnung von 50 Milliarden DM zu erzielen, wenn an erster Stelle die Steuererhöhung steht.
({1})
Ich will die Kollegen, die sich im Moment weitgehend durch ihre Staatssekretäre auf der Regierungsbank vertreten lassen, natürlich nicht kritisieren; aber jedermann weiß doch, daß niemand zur Einsparung und Umschichtung bereit ist, wenn der mutmaßlich etwas leichtere Weg der Steuererhöhung gegangen wird. Wir hätten diese Einsparung und Umschichtung nie erreicht.
Jetzt standen wir vor einer anderen Situation und mußten leider anders entscheiden. Ich hätte mir gern gewünscht, daß wir nicht so hätten entscheiden müssen. Aber das Geld, das im Zusammenhang mit dem Golfkrieg und dann auch noch für spezifische Hilfen in Osteuropa und gegenüber der Sowjetunion ausgegeben werden mußte, stand uns nicht mehr zur Verfügung.
Jetzt standen wir vor der Frage, das notwendige Aufbauwerk durchzuführen oder nicht durchzuführen. Eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme war nicht möglich. Dann blieb für uns nur der andere, schwere Weg der Einnahmeverbesserungen.
Es gab keine Steuererhöhungspläne im letzten Jahr, es gab sie nicht während der Koalitionsgespräche, und - es gibt genügend Zeugen, die das hier bestätigen können - es gab sie nicht bis zum 15. Januar dieses Jahres.
Erst die notwendigen Zusagen bei meinen Gesprächen mit dem amerikanischen Finanzminister Brady wenige Tage nach Ausbruch des Golfkrieges stellten uns vor diese Entscheidung. Alles andere ist eine Unterstellung und ist wahrheitswidrig. Wir lassen uns
und auch ich lasse mich nicht als Täuscher und nicht als Lügner bezeichnen.
({2})
Sie können unsere Politik kritisieren; das ist Ihr gutes Recht. Sie haben aber kein Recht, zum Mittel der persönlichen Diffamierung zu greifen.
({3})
Sie müssen zur Kenntnis nehmen: Die Kausalität lag in der Entwicklung am Golf,
({4})
die Zielsetzung lag in dem Programm für die Menschen in der DDR. Das ist die Wahrheit über die Entwicklung und über die Entscheidungen in den letzten Tagen und Wochen.
({5})
Wenn Sie so empfindlich sind, dann sollten Sie uns auch noch einmal die Frage beantworten, wie Sie eigentlich zu dem Zitat von Lafontaine stehen, das er von Voltaire übernommen hat: Um 100 000 Mann auf Totschlag auszuschicken, dafür habt ihr Geld genug, aber nicht um Zehntausenden Lebensunterhalt zu verschaffen.
({6})
- Die Frage ist: Wollen Sie sich dieses Zitat für die gegenwärtige Situation zu eigen machen? Das ist die Frage.
({7})
Wollen Sie damit - ich hoffe es nicht - zum Ausdruck bringen, daß das, was die Völkergemeinschaft getan hat, ein Totschlag war, oder war es nicht vielmehr doch die notwendige Reaktion auf ein völkerrechtswidriges Verhalten, um den Frieden und die Freiheit für die Menschen im Nahen Osten wiederherzustellen?
({8})
Lassen Sie mich auch noch zu den Beispielen des Kollegen Diller zwei Richtigstellungen anbringen. Ein Arbeitnehmer, verheiratet, zwei Kinder, Einkommen 3 500 DM im Monat, hat durch unsere Steuersenkungen, durch die Entlastung von 1986 bis 1990, 205 DM monatlich Entlastung erfahren. Die Mehrbelastungen 1991/92, Steuern plus Sozialversicherungsbeiträge, betragen 71 DM monatlich. Hinzu kommt eine Entlastung ab 1. Januar 1992, Erstkindergeld plus Kinderfreibetrag um 50 DM. Das heißt, im Saldo ist dies 1991/92 eine relativ geringfügige Belastung, die wesentlich niedriger als die vorherige Entlastung ist.
Auch was die Veränderung des Einkommensteuertarifs anbelangt: Durchschnittsbelastungen eines Ledigen bei 40 000 DM zu versteuerndem Einkommen: 1985 waren das 26,3 %, ab 1990 20,20/0, und durch den Solidaritätszuschlag erhöht sich das auf 20,9 %. Das zeigt ganz deutlich: Wir bleiben steuerpolitisch auf Kurs.
Immerhin sind doch die Steuerentlastungen von 1986 bis 1990 jährliche Gesamtentlastungen von etwa 50 Milliarden DM, die dauerhaft bleiben. Das bleibt, während der Solidaritätszuschlag nach einem Jahr wieder abgebaut wird. Insofern bleibt es die Grundlage unserer Steuerpolitik, was wir durch Steuerentlastung zur Wirtschaftsbelebung und gegenüber den Bürgern an Positivem durchgesetzt und erreicht haben.
({9})
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten nicht nur Geld gegeben, sondern wir haben uns gerade im Bereich der Finanzverwaltung umfassend engagiert: durch den Aufbau der Oberfinanzdirektionen; 4 000 Angehörige des öffentlichen Dienstes in den neuen Bundesländern wurden geschult; westliches Personal für den Aufbau der Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen der neuen Bundesländer wurde zur Verfügung gestellt, mit Auf wandsentschädigung, deren Verlängerung und Verbesserung, mit Honorierung durch Aufstieg und Beförderung und Übernahme der Personalkosten bei Abordnung von Mitarbeitern, Aufstockung der Bundeszuschüsse für Personalkostenfonds um jeweils 50 auf 100 Millionen DM. All dies waren, wie ich meine, notwendige, wichtige und erfolgreiche Maßnahmen, um die Effizienz der Verwaltung zu verbessern. Das scheint mir mit und neben dem Geld das Entscheidende zu sein, damit wir für die Menschen Geld in wirkungsvolle Investitionen umsetzen können.
({10})
Hinzu kommt die erleichterte und verbilligte Überlassung von Verwaltungsgebäuden und Grundstücken aus dem Bundesbesitz, wo für Gemeinden Abschläge vom Kaufpreis bis 75 % möglich sind.
Ich will mich jetzt nicht länger über die Arbeit der Treuhandanstalt auslassen. Wir hatten heute mittag beim Bundeskanzler ein Gespräch mit den sechs Ministerpräsidenten. Ich meine, wir sind zu einer guten gemeinsamen Lösung gekommen. Privatisieren und sanieren sind keine Gegensätze. Es muß bei der grundsätzlichen Linie, möglichst viel und umfassend zu privatisieren, bleiben. Aber es kann und wird auch notwendig sein, daß man zunächst saniert, um dann zu privatisieren, und hier auch zu arbeitsverträglichen Lösungen kommt. Auch darüber haben wir uns heute geeinigt. Es ist ein gutes Konzept, das vor allen Dingen auch sicherstellt, daß über Wirtschaftskabinette in den Ländern eine optimale Zusammenarbeit, Koordination und Information zwischen den Ländern und der Treuhand durchgeführt wird.
Sie haben mir vorgestern vorgeworfen, Herr Kollege Vogel, daß ich eingeräumt hätte: Ich weiß nicht, was die Wiedervereinigung kostet. Ich habe das voriges Jahr gesagt. Ich bin damit nicht allein. Möglicherweise gefallen Ihnen jetzt diejenigen, die ich zitiere, wieder nicht, obwohl ich mich immer wieder bemühe, bei dieser Gelegenheit Sozialdemokraten zu finden.
({11})
- Ich lasse mich da an Rührung von niemandem überbieten.
Zunächst Helmut Schmidt - ich nehme an, Sie mögen ihn und schätzen ihn; ich auch Keiner kann heute genau die Finanzierungsbeiträge benennen, welche schon im Jahre 1991 nötig sein werden, um den wirtschaftlichen Aufbau in der ehemaligen DDR voll in Gang zu setzen.
Das war am 16. November 1990. Karl Schiller sagte am 2. März 1990:
Diese Berechnungen sind ja alle nicht gerade von hervorragenden Ökonomen angestellt worden.
Er meinte damit die Institutionen und Institute.
Die großen Forschungsinstitute haben sich da im allgemeinen zurückgehalten.
Jedermann weiß, wie sehr Faktoren von endogenen und externen Einflüssen abhängig sind. Ich denke an die Entwicklung der Produktivität, die Lohnkosten, die Zahlungsfähigkeit der östlichen Nachbarstaaten, zum Teil noch nicht aufgedeckte Umweltschäden. All das ist nicht ohne weiteres kalkulierbar. Und dennoch: Im Jahr 1991 sind es 92 Milliarden DM, die im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. 1992 sollen es im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung 96 Milliarden DM, 1993 sollen es 94 Milliarden und 1994 sollen es 99 Milliarden sein.
Meine Damen und Herren, diese Finanzausstattung kann sich weiß Gott sehen lassen. Wie immer man das beurteilen mag, ob es ausreicht oder nicht: Es ist jedenfalls, wie ich meine, eine gute Gesamtschau und eine gute Voraussetzung, um das Leben in den neuen Bundesländern auf eine andere Basis als in der Vergangenheit zu stellen.
({12})
Immerhin betragen die direkten Finanzzuweisungen an die neuen Bundesländer 1991 19,4 Milliarden DM, d. h. 1 200 DM pro Kopf der Bevölkerung in den neuen Bundesländern gegenüber 600 DM in den alten, westlichen Ländern. Dieser Unterschied ist auch notwendig. Das Finanzierungsdefizit der Länder ist nur halb so hoch wie das des Bundes. Darum muß man auch solche Dinge sehen: Wenn wir nicht für manche Länder wie z. B. das Saarland vom Bund soviel Geld ausgeben müßten, dann stünde uns mehr für die neuen Länder zur Verfügung.
({13})
Meine Damen und Herren, bei all diesen riesigen Herausforderungen ist Preisstabilität gewährleistet, Währungsstabilität gewährleistet, das Ansehen Deutschlands auf den internationalen Finanzmärkten verstärkt sich noch: ein großes Lob für unseren policy mix. Wir verfügen über ein ungebrochenes Wachsturn.
({14}) - Policy mix?
({15})
- Sehen Sie, in diesem Fäkaliendenken bewegen Sie sich schon am Nachmittag. Das hätte ich nicht erwartet.
({16})
- Ja, die von Ihnen. Entschuldigung, wer „Mist" ruft, der kann doch keine ordentliche Antwort erwarten. Das ist doch ganz klar.
Herr Bundesfinanzminister, selbstverständlich kann ich Ihre Redezeit nicht beschränken und habe auch nicht im entferntesten die Absicht. Aber ich muß ein wenig darauf achten, daß das Verhältnis zwischen der Redezeit der Opposition und der der Regierung einigermaßen in Ordnung ist.
({0})
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das Geschäft nicht allzu schwer machten.
({1})
Herr Präsident, ich bedanke mich sehr für den Hinweis. Mich hat schon aufmerksam gemacht, daß das rote Licht hier eine Zeitlang leuchtet. Darum komme ich Ihrer Aufforderung gerne nach.
Sie werden sicherlich alle damit einverstanden sein, wenn ich am Schluß feststelle: Der erste Wiedervereinigungshaushalt wird der großen deutschen Herausforderung gerecht.
Ich danke Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 12/100 sowie die Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 12/101 sollen gemäß § 95 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung an den zuständigen Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. - Damit ist es dann auch so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP, der Gruppe der PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE
Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ({0}) gemäß Artikel 1 und 2 des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats
- Drucksache 12/244, 12/250, 12/251 Eine Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist nicht vorgesehen.
Es liegen vor: ein interfraktioneller Wahlvorschlag auf Drucksache 12/244, ein Wahlvorschlag der
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg
Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/250 und ein Wahlvorschlag der Gruppe Bündnis 90/GRÜNE auf Drucksache 12/251. Ich lasse nun über diese Wahlvorschläge abstimmen.
Ich fange mit dem Wahlvorschlag der PDS/Linke Liste an. Wer für diesen Wahlvorschlag ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Damit ist dieser Wahlvorschlag mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zum Wahlvorschlag der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN. Wer ist für diesen Vorschlag? - Wer ist dagegen? - Dann ist dieser Vorschlag mit denselben Mehrheitsverhältnissen abgelehnt worden.
Wir kommen dann zu dem Wahlvorschlag, der interfraktionell eingebracht worden ist. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Dann ist dieser interfraktionelle Wahlvorschlag mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ GRÜNE, der CDU/CSU und der FDP angenommen. Damit sind die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und ihre Stellvertreter gewählt. Ich gratuliere allen Gewählten zu dieser Wahl.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit ({1})
- Drucksachen 12/56, 12/208 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksachel2/189 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Hans-Joachim Fuchtel
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/190 Berichterstatter:
Abgeordnete Karl Diller Michael von Schmude Ina Albowitz
({4})
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/228 vor.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Beratungszeit von einer Stunde vor. Ergibt sich gegen diesen Vorschlag Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Dann können wir mit der Debatte beginnen. Zunächst hat der Abgeordnete Fuchtel um das Wort gebeten.
Ehe ich ihm aber das Wort erteile, gebe ich denjenigen, die den Saal verlassen wollen, Gelegenheit, dies zu tun, damit die nötige Ruhe hergestellt wird. Ich bitte allerdings, das nicht so zögerlich zu tun.
Ich glaube, Herr Abgeordneter Fuchtel, Sie können jetzt beginnen. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich als Berichterstatter einen Hinweis zu diesem Gesetz machen: Diese Berichterstattung gilt sowohl für den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP als auch für den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der den gleichen Inhalt hat. Soviel zur Berichterstattung, nun komme ich zum Thema selbst.
Die Phase der wirtschaftlichen Umstrukturierung in den neuen Bundesländern ist bekanntlich schwierig. Wir, als CDU/CSU und als Koalition, wollen den Menschen so helfen, daß sie ganz persönlich Perspektiven im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erkennen können. Wir haben deswegen auch unsere Politik seit der letzten Beratung weiterentwickelt.
Dieser Gesetzentwurf, der heute zur Debatte steht, ist Teil der großen Beschäftigungsinitiative, die im Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost zusammenläuft. Es ist daher einfach falsch, wenn immer so getan wird, als wenn die ganze Last nur auf einer Seite getragen wird. Unser Programm ist beitrags- und steuerfinanziert.
Meine Damen und Herren, die Zielsetzung des Gemeinschaftswerkes findet die ausdrückliche Zustimmung von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Es ist von herausragender Bedeutung und verdient festgehalten zu werden, daß sich diese Bundesregierung und die Regierungsfraktionen mit den Tarifpartnern über den konzeptionellen Weg aus der Arbeitslosigkeit in Übereinstimmung befinden.
({0})
Im Interesse dieser großen Aufgabe nehmen wir den Streit mit den Sozialdemokraten und ihren alten Neidparolen auf uns.
({1})
- Wenn ich mich an den Kollegen Diller erinnere, muß ich dies ganz besonders betonen.
({2})
Meine Damen und Herren von der SPD, während Ihre Parteigenossin Wulf-Mathies den Einkommensrückstand der Beamten beklagte, spielt die SPD-Fraktion munter Arbeitnehmer gegen Beamte aus.
({3})
Wie oft müssen wir Ihnen eigentlich noch sagen, daß die Beamten ebenfalls an der Gesamtfinanzierung beteiligt werden sollen. Für uns ist klar, die Tatsache, daß Beamte keine Arbeitsplatzsorgen drücken können, ist doch kein Grund, auf einen Beitrag zu verzichten.
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt drei Tage an diesen Haushaltsberatungen teilgenommen. Wenn ich dies Revue passieren lasse, dann kommt bei mir immer mehr das Gefühl auf: Wenn sich der Sozialis968
mus nicht mehr öffentlich zeigen kann, zieht er im Gewand des Neides durch die Gesellschaft.
({5})
Dies müssen wir hier in den letzten Tagen sehr oft und immer wieder zur Kenntnis nehmen. Wie sagte die Noch-Geschäftsführerin Anke Fuchs in diesen Tagen in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" : Man muß die Leute aufmüpfig machen. Das hat sie zum Rezept der SPD gesagt. Ich sage: Wir müssen für die tatsächlichen Möglichkeiten, für die verfassungsrechtliche Situation und für die finanzpolitische Machbarkeit Verständnis wecken.
Um mit dem letzteren zu beginnen: Für das Gemeinschaftswerk kommen 1991 und 1992 jeweils 12 Milliarden DM aus dem Steuertopf. Für die Arbeitslosenhilfe leistet die Bundeskasse 1991 etwa 8,5 Milliarden DM. Im Haushalt ist außerdem ein Zuschuß von 2,3 Milliarden DM an die Bundesanstalt eingeplant. Das alles ist u. a. mit einer befristeten Solidarsteuer, wie jetzt vorgesehen, noch leistbar.
Aber glauben Sie im Ernst, daß bei einer zusätzlichen steuerlichen Regelung, die außerhalb einer Beitragsregelung erfolgt, die Finanzdimensionen nochmals freigeschaufelt werden können, die wir brauchen, um das Gesamtprogramm auf den Weg zu bringen? Alle Begehrlichkeiten würden dann zwangsläufig so groß, daß diese Summen nicht zusammenkämen, wenn man von diesem Globalbetrag ausgeht.
({6})
Sie müßten 30 Milliarden DM abschöpfen, um 20 Milliarden DM für die Sozialpolitik zu bekommen.
({7})
Unsere Solidarsteuer bringt 17,5 Milliarden DM. Sie müßten also diese Steuer verdoppeln, um entsprechende Effekte zu erreichen. Für uns war die jetzige Anhebung bereits eine Gratwanderung. Eine zusätzliche Anhebung hätte finanzpolitisch völlig falsche Signale zur Folge.
Ihr sogenannter Arbeitsmarktbeitrag entpuppt sich deswegen bei näherem Hinsehen als Steuer Nummer zwei. Dabei haben Sie auch das Problem der Abgrenzung zur Abgabe.
In diesem Zusammenhang müssen Sie sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen. Sie können nämlich Selbständigen und Freiberuflern nicht einfach eine Arbeitsmarktabgabe abverlangen. Diese Gruppen bekommen keine Gegenleistung. Es wäre eine sogenannte parafiskalische Abgabe. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Gruppensolidarität setzt Gruppenhomogenität voraus. Deswegen stellt sich doch die Frage, wie wir es über Beitragsfinanzierung bewerkstelligen können.
Der Ausgleich struktureller Schwächen gehört zu den klassischen Aufgaben der beitragsfinanzierten Bundesanstalt für Arbeit. Das war bisher zwischen Nord und Süd so, und das muß natürlich auch zwischen West und Ost gelten.
Ich erinnere nur an die vielen Reden der Kollegen von der SPD bei den Haushaltsdebatten der letzten Jahre, die eingeklagt haben, wir müßten eigentlich viel höhere aktive Zeichen der Arbeitmarktspolitik setzen.
({8})
Wenn man das in Erinnerung behält, muß man ganz klar sagen; daß diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch über Beiträge finanziert werden müssen.
({9})
Es gibt ein weiteres Argument. Das Wirtschaftswachstum in den alten Bundesländern kommt nicht zuletzt aus dem Nachholbedarf der neuen Bundesländer zustande. Wer sagt eigentlich, was gerecht ist? Sind es in allen Fällen die jetzigen Beitragssätze? Ist das Begehren der Freiberufler nach höheren Versorgungsfreibeträgen unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit wirklich so wenig begründet? Sicher ist: Durch die steuerliche Komponente entfällt der Einwand, nur eine Seite werde belastet.
({10})
Bei der Steuerreform haben Sie argumentiert, die großen Steuerzahler würden, in absoluten Zahlen ausgedrückt, mehr als die kleinen entlastet. Darf ich dieses Argument im Umkehrschluß benutzen? Natürlich zahlen große Steuerzahler bei der Solidarsteuer mehr als die kleinen, und zwar auf Grund der Progression sogar ganz erheblich mehr. Ich frage mich, warum Sie dies eigentlich überhaupt nicht zur Sprache bringen, wo Sie doch vorher immer so deutlich in die andere Richtung argumentiert haben.
({11})
Dies fängt bei weitem das auf, was der Normalverdiener durch die Beitragserhöhung plus Solidarsteuer erbringen muß.
({12})
Dagegen geht es bei der Anhebung der Beiträge um monatlich durchschnittlich 20 DM - zwischen 18 und 26 DM - doch darum, daß wir das unter dem Gesichtspunkt der sozialen Symmetrie prüfen müssen. Wir sind der Auffassung, daß dies auch bei den Konsumgewohnheiten unserer Gesellschaft verkraftbar ist.
({13})
Durch die günstige Entwicklung der Rentenversicherung konnte eine Begrenzung der Auswirkungen auf die Nettohaushalte erreicht werden, die sich in der Größenordnung von ca. 20 DM bewegen. Auch dies ist ein Ergebnis unserer Politik.
In dieser Situation, in der wir nach jahrelangem Nettolohnzuwachs in diesem Jahr von rund 5 % Lohnerhöhung ausgehen und in der es um einen Betrag geht, der geringer als das ist, was wir durchschnittlich an Einsparungen durch die Gesundheitsreform gewonnen haben, müßte es doch möglich sein, diese Solidarität mit unseren Landsleuten aufzubringen,
wenn wir ihnen damit die Sorge der Arbeitslosigkeit nehmen können.
({14})
Ich fasse zusammen: Der Vorschlag der Opposition sieht zwar einfach aus, ist aber nicht sinnvoll.
({15})
Unser Vorschlag ist nicht einfach, aber sinnvoll. Ich bitte Sie deswegen um Annahme des Gesetzentwurfs.
({16})
Das Wort hat jetzt Frau Jäger.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen Abgeordnete! Bei der Beurteilung des Gesetzentwurfes möchte ich auf zwei Seiten besonders eingehen: Die eine Seite ist die der Sofortauswirkungen auf die Bürger, die andere ist die der Zukunftsorientiertheit dieser beabsichtigten Regelung.
Zunächst zu den Sofortauswirkungen. Die Regierung hat noch im November behauptet, daß sich die Erhöhung der Beiträge auf der einen und die Senkung der Beiträge auf der anderen Seite die Waage halten würden. Derzeit besteht aber eine Mehrbelastung der Arbeitnehmer und der Beitragszahler von insgesamt 1,5 Prozentpunkten. Dabei muß noch gesehen werden, daß die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge nur als zeitweiliges Zuckerbrot angesehen wird. Es ist denkbar, daß die beabsichtigte Senkung - nach Aussage von Herrn Blüm in der ersten Lesung - bald wieder zurückgenommen werden muß; denn noch stehen die genauen Berechnungen bezüglich der Zusammenführung der Rentenversicherungsysteme in Ost und West aus.
Außer der schlichten Mehrbelastung erfahren die Bürger dadurch ein Höchstmaß an sozialer Ungerechtigkeit. Die Finanzierung einer offensiven Arbeitsmarktpolitik kann nicht allein von den Beitragszahlern über die Arbeitslosenversicherung geleistet werden.
({0})
Wenn die Beitragszahler schon allein herangezogen werden, dann doch wohl nur für den Versicherungsanteil. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind keine eindeutigen Versicherungsleistungen; die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen schon gar nicht. Die Beseitigung von Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern kann nur ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein, an dem alle beteiligt werden.
Neben dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit gibt es noch die weniger sichtbare, nämlich die zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Bei beiden steigen die Beiträge zur Sozialversicherung. Während der Arbeitgeber seinen Anteil als Betriebsausgabe steuerlich absetzen kann, kann der Arbeitnehmer das nicht, da die Höchstbeträge für Sonderausgaben zum Zwecke der Vorsorge zu niedrig sind.
Einen Bruchteil mehr an Gerechtigkeit würde der Arbeitnehmer erfahren, wenn die steuerlich absetzbaren Höchstbeträge wenigstens um die Höhe des Beitragsanstiegs angehoben würden: um den Mindestbeitrag - von Herrn Blüm genannt - von 20 DM monatlich. Auch die Anhebung der Vorsorgepauschale von derzeit 18 % auf 19 % könnte ein Quentchen mehr Gerechtigkeit bringen.
Widersprüche tun sich auch in bezug auf die neuen Länder auf. Hier bedeutet dieses Gesetz ein weiteres Auseinanderdriften der Finanzbelastung bei Bürgern in Ost und West.
({1})
Denn es gibt in den neuen Ländern von diesen Beiträgen unbelastete Selbständige und Beamte nur in geringer Zahl. Ein großer Teil derer, die in den alten Bundesländern eine gesicherte Beamtenzukunft haben, befindet sich im östlichen Teil in der Warteschleife, zum Teil auch Abgeordnete.
Bei der Frage nach der Zukunftsorientiertheit stehen die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen in den neuen Ländern im Mittelpunkt. Und diese Aufgabe ist wahrlich nicht über das Kassieren von höheren Sozialversicherungsbeiträgen zu lösen.
Vorranig ist dabei, auf drei Zielpunkte hinzuarbeiten: Erstens. Es müssen schnellstmöglich Maßnahmen zum Erhalt und zur Neuschaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen ergriffen werden.
({2})
Immerhin haben die Koalitionsfraktionen bereits angekündigt: „1991 erhält jeder Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. " Wenn es gelingt, ihm anschließend auch noch Arbeit zu geben, wäre ein großes Feld für die Zukunft bestellt.
({3})
Ich frage mich nur, wenn dieses Versprechen derzeit so leicht von den Lippen geht, warum die Bundesregierung den Arbeitsmarkt in den östlichen Ländern bis zu dem gegenwärtig zu beobachtenden Verfall abdriften ließ; anders kann man es nicht mehr nennen.
Gefahr besteht dadurch nicht nur im sozialen Bereich. Eine weitaus größere Gefahr besteht im politischen Bereich, wenn die Kurzarbeiter - nach letzten Meldungen sind es 1,9 Millionen - und die ca. 760 000 in der Warteschleife befindlichen Bürger zu den derzeitigen Arbeitslosen hinzukommen. Die Zahl der Arbeitslosen übersteigt dann die Zahl von vor 1933. Wenn auf diesem Gebiet nicht schnellstens und vor allem wirkungsvoll politisch gehandelt wird, beschwört die Koalitionsregierung eine Gefahr für die demokratische Ordnung herauf, die die von 1933 übertrifft. Die Gelassenheit, die vom Herrn Bundeskanzler gestern an den Tag gelegt wurde, ist wahrlich nicht mehr angebracht.
({4})
Für mich erhebt sich die Frage, warum die Bundesregierung nicht auf bereits bewährte Erfahrungen bei der Bewältigung von Strukturkrisen - ich denke
hierbei an die Strukturveränderungen im Bereich von Stahl, Kohle und Werften - zurückgegriffen hat. Die Programme liefen damals über mehrere Jahre, auch mit hohen Subventionen in der Übergangszeit. Die notwendige Finanzierung der Defizite der Bundesanstalt für Arbeit wurde damals von der Bundesregierung weitaus ernster genommen. Der Finanzierungsanteil betrug für bestimmte Bereiche immerhin zwischen 20 °A, und 40 %. Heute hat diese Ausgabensumme einen Anteil von ca. 6,5 % erreicht, wobei die neue Finanzierungssumme des Programms AufschwungOst bereits einbezogen ist. Vorher war nur ein Anteil von 3,2 % vorgesehen.
Bei einer gründlichen Analyse der Entwicklung seit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, sogar schon bei einer sachgemäßen Bestandsaufnahme durch die Bundesregierung hätte es nicht zu einem solchen Zusammenbruch des Arbeitsmarktes kommen müssen.
Skandalös ist in diesem Zusammenhang, daß die Bundesregierung sogar nicht einmal den Versuch unternommen hat, das Eventualprogramm, das bereits im Sommer vorigen Jahres von der Bundesanstalt für Arbeit vorgelegt wurde, umzusetzen.
({5})
Statt dessen gewinnt man mehr und mehr den Eindruck, daß die Treuhand als Bundeseinrichtung mit alten Funktionärsgefolgschaften der ehemaligen DDR gemeinsame Sache macht und im Interesse westlicher Betriebe das Entstehen potentieller Konkurrenten im Osten systematisch verhindert.
({6})
Immerhin verschafft Konkursmasse in den östlichen Ländern den westlichen Unternehmen höhere Gewinne.
Warum wird ein bereits gewinnbringend arbeitender Betrieb nicht von der Treuhand an die Belegschaft lastenfrei übergeben?
({7})
Warum erhält die Treuhand keine Sanierungsaufträge per Programm von der Bundesregierung? Offensichtlich, weil es keine Programme gibt.
Da die Treuhand zur Zeit eine gewichtige Rolle im Wirtschaftsleben der ehemaligen DDR spielt, werden wir in Zukunft sagen können: Sage mir, wie die Bundesregierung mit der Treuhandanstalt umgeht, und ich sage dir, welche Politik, besonders welche Arbeitsmarktpolitik, sie für die neuen Länder betreibt.
({8})
Ein zweiter wesentlicher Zielpunkt ist die Umverteilung von Arbeit. Dieser ist mit dem dritten, den ich in einer gezielten Umschulungs- und Qualifizierungsoffensive sehe, aufs engste verbunden.
Da Verwaltungshilfe in der derzeitigen Situation der östlichen Länder eine große Rolle spielt, einige Beispiele aus diesem Bereich. Erstens. Das Vermögensamt in Dresden arbeitet derzeit mit 13 Mitarbeitern; es müßten eigentlich 56 Stellen besetzt sein. Gesetzliche Regelungen zu Vermögensfragen und zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung zu schaffen ist nur eine Seite der Sache. Wer aber finanziert die Bearbeitung der Berge von Anträgen, wenn es Kommunen und Länder nicht mehr können?
Das zweite Beispiel: Wenn die Behörden zur politischen Rehabilitation mit dem derzeitigen Personalbestand weiterarbeiten, lösen sich die meisten Rehabilitationsanträge der Opfer des Faschismus und Stalinismus schon auf biologische Weise.
({9})
Absicht? Oder Sparsamkeit? Oder Schleifenlassen?
Das dritte Beispiel aus den Arbeitsämtern brachte heute morgen bereits Herr Blüm; darauf will ich verzichten.
Diese Tatsachen, die aus den Beispielen sprechen, sind vorhersehbar gewesen. Nun heißt die Notparole: Verwaltungspersonal aus den Altländern in den Osten! Es ist gut, daß geholfen wird, aber dies darf nicht zu einer Einseitigkeit führen. Spätestens seit Sommer des vorigen Jahres hätte die Bundesregierung beginnen müssen, Arbeitslose und Kurzarbeiter für die Arbeit in Verwaltungsbehörden umzuschulen.
Zur Lösung arbeitsmarktpolitischer Probleme gehört mehr als Personal- und Geldtransfer in eine Richtung. Hierzu gehören Programme, die ressortgerecht von den betreffenden Ministerialbereichen aufgestellt werden und auf dauerhafte Ergebnisse orientiert sind. Ich bin mehr als überzeugt davon: Wenn konkrete Programme eine reale Finanzabschätzung erfahren, werden die heute noch großartig erscheinenden Summen sehr schnell relativiert werden.
Aktive Arbeitsmarktpolitik bedeutet, Wirtschaftsbereiche und damit Arbeitsplätze zu erhalten bzw. dort, wo sie wegbrechen, kontinuierlich neue zu schaffen. Hierfür Beiträge zu leisten sind alle gefordert, nach unserer Auffassung durch eine gerecht verteilte Arbeitsmarktabgabe sowie aus dem Bundeshaushalt über Beitrags-, Umlage- und Steuermittel.
({10})
Die SPD-Fraktion wird aus den dargelegten Gründen diesen Gesetzentwurf ablehnen.
({11})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr Frau Dr. Gisela Babel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen Einbringung des Beitragssatzänderungsgesetzes und der Verabschiedung heute ist nicht viel Zeit verstrichen.
({0})
Wohl aber sind eine Fülle neuer finanzwirksamer Entscheidungen getroffen worden,
({1})
durch die dieses Gesetz zum Baustein eines viel größeren Gebäudes wird.
({2})
Nichts kennzeichnet deutlicher die schwierige Situation, in der sich die neuen Bundesländer befinden und die auch den Gesetzgeber zu weitergehenden Schritten drängen.
({3})
So liest man nach, was man in der ersten Lesung zur Begründung des Gesetzes gesagt hat, forscht, ob etwa behauptet wurde, die Anhebung der Beitragssätze in der Arbeitslosenversicherung sei nicht nur die wichtigste Maßnahme, um der zusammenbrechenden Arbeitsmarktlage in den neuen Bundesländern gerecht zu werden, sie sei auch hinlänglich und weitere seien nicht nötig. Dies ist nicht gesagt worden, und ich betone: Auch im Lichte neuerer Erkenntnisse und angesichts sich neu abzeichnender Konzepte bleibt dieses Beitragssatzänderungsgesetz sinnvoll und wirksam.
({4})
Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Die Beiträge in der Rentenversicherung sollen sinken. Sie sinken auf Grund eines richtigen Kurses in der Finanz- und Wirtschaftspolitik während der letzten Jahre. An der Höhe der Rücklage läßt sich der erfolgreiche Verlauf der westlichen Volkswirtschaft ablesen: Zunahme von Beschäftigten bedeutet Zunahme von Beiträgen.
Die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung sollen dagegen steigen - eine Maßnahme, mit der auf die Arbeitsmarktlage im Osten reagiert wird. Auch ordnungspolitisch ist das richtig. Es kennzeichnet unsere marktwirtschaftliche Ordnung, daß Risiken der Beschäftigung in einer beitragsfinanzierten Versicherung, ausgestattet mit einem umfangreichen Instrumentarium aktiver Arbeitsmarktpolitik, abgefangen werden.
Die SPD hätte - wenn ich ihre diffusen Vorstellungen richtig deute - gerne eine Art Doppelstrategie: Arbeitslose a conto deutsche Einheit anders zu behandeln als Arbeitslose sonst. Sie wollen eine Arbeitsmarktabgabe für die Stunde Null, in der wir uns marktwirtschaftlich noch befinden.
Ähnlich hat sich heute die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Frau Engelen-Kefer, geäußert. Allerdings fand sie das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost nun wieder ganz prima. Das ist übrigens charakteristisch: Immer wenn wir Geld ausgeben, finden Sie es gut. Aber wenn wir Geld einnehmen wollen, denken Sie dann anders.
({5})
Die FDP lehnt die Arbeitsmarktabgabe nach wie vor ab. Wir werden auch in den mühseligen Anfangsmonaten die Entscheidungen gleich richtig treffen. Nach unserer festen Überzeugung soll es dabei bleiben und auch in den neuen Bundesländern gelten, daß für Risiken der Arbeitsplätze die Arbeitslosenversicherung, für Risiken der Unternehmen auf dem freien Markt die künftigen Unternehmer
({6})
und für Infrastruktur - von Verwaltung und Justiz bis Straße und Bahn - der Staat verantwortlich ist. Entsprechend werden im Haushalt 1991 die Weichen gestellt.
Richtig ist allerdings die Diskussion über die Frage, ob wir insgesamt genug auf den Weg gebracht haben. In unserem Zusammenhang heißt das, ob für die Arbeitsverwaltung ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die Jahrhundertaufgabe, sozialistische MiBwirtschaft in der DDR in eine marktwirtschaftliche Ordnung zu überführen, zu bewältigen.
Auch ich will einmal ein solches Beispiel nennen, um die Dimensionen deutlich werden zu lassen. In Riesa gerät jetzt ein Stahl- und Walzwerk mit ehemals 10 000 Beschäftigten ins Wanken. In Verhandlungen mit einer Schweizer Firma werden wohl 1 100 Arbeitsplätze zu sichern sein; das sind weniger als 10 Prozent der ehemals Beschäftigten. Über AB-Maßnahmen wird es gelingen, 600 Arbeitnehmer mit bezahlter Arbeit zu versorgen. Man sieht deutlich: In Ungewißheit, Sorge und Angst bleibt die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer. Die Schwierigkeiten - sie müssen uns vor Augen schweben - häufen sich: Steigende Preise und Kosten, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergehende Öde und Leere des Alltags bergen gewaltigen sozialen Sprengstoff.
Was wir brauchen, sind deutliche Zeichen. Es muß in jeder Gemeinde sichtbar etwas getan werden. Wir brauchen in jeder Gemeinde Gerüste, Bautrupps und Kräne - Signale der Hoffnung -; denn ohne die Zuversicht der dort lebenden Bürger können wir hier nichts erreichen, meine Damen und Herren.
({7})
Deswegen begrüße ich für die FDP das Programm des Bundeswirtschaftsministers Möllemann sowie des Bundesarbeitsministers Blüm Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost.
({8})
- Und von Herrn Kinkel und Frau Adam-Schwaetzer; richtig!
({9})
- Und von Herrn Krause.
({10})
- Herr Genscher ist nicht in der Innenpolitik tätig.
({11})
- Herr Lambsdorff ist für alles tätig.
({12})
Die Bemühungen zielen darauf hin, Arbeitsplätze zu schaffen und in Gemeinden sinnvoll Arbeit zu ermöglichen, Arbeitnehmer durch Qualifikation und Umschulung für neue Aufgaben zu gewinnen. Wir hoffen, daß diese Maßnahmen die nötige Schubkraft entwickeln.
Arbeitspolitik allein - das sagt auch Herr Rubbert vom DAG; damit appelliert er an den Wirtschaftsminister - führt nicht zum Ziel. Ich darf ihn zitieren:
Dazu muß man natürlich wissen, daß die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesanstalt nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie ergänzend zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen durchgeführt werden. Ergänzend heißt nicht: irgendwie, gesondert, für sich, sondern: zusammen mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen. ... Insofern
- so fährt er fort ist der Appell an die Bundesanstalt, arbeitsmarktpolitisch tätig zu werden, immer auch ein Appell an den Bundeswirtschaftsminister, Entsprechendes auf seinem Gebiet vorweg oder parallel einzuleiten.
Dies beherzigt die Bundesregierung jetzt im Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost.
({13})
- Es ist nie zu spät für richtige Erkenntnisse; niemals.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei besonders betroffene Personengruppen ansprechen: die älteren Arbeitnehmer und die Frauen. Ältere Arbeitnehmer drüben trifft die Arbeitslosigkeit besonders hart. Der Neuanfang ist schwer, und die Aussichten, noch einmal eine Chance zu bekommen, sind schlecht. Ich begrüße es, daß das Arbeitsamt die AB-Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer gezielt und bevorzugt einsetzen will.
Aber auch andere Instrumente lassen sich verbessern. Die Lohnkostenzuschüsse nach § 97 AFG für ältere Arbeitnehmer knüpfen an die Bedingung einer längeren Arbeitslosenzeit an. Müssen wir nun wirklich warten, bis ältere Arbeitnehmer - gerade die, welche ihr bisheriges Arbeitsleben unter den Bedingungen des Sozialismus verbrachten - zu Langzeitarbeitslosen geworden sind? Ich schlage von seiten der FDP eine Verkürzung der Wartefrist von 12 auf 6 Monate vor. Das zusätzliche Finanzvolumen läßt sich aus dem jetzt hoch angefüllten Topf für AB-Maßnahmen sicher bestreiten.
({14})
Ich möchte auch noch auf das Problem der Frauenarbeitslosigkeit zu sprechen kommen. Das Frauen eher entlassen werden als Männer - wir haben es jetzt erlebt -, ist ebenso bekannt, wie die Tatsache, daß sie weniger für AB-Maßnahmen und Umschulung zu gewinnen sind. Wir haben in der Anhörung zum Beitragssatzänderungsgesetz gehört: Hier stehen 11 000 Frauen 24 000 Männern gegenüber; das sind alarmierende Zahlen. Um ihnen eine langfristige Perspektive zu geben, müssen sie in allen beruflichen
Sparten geschult werden, nicht nur in sozialen Berufen - was naheliegt - , auch in gewerblich-technischen.
Das Beitragssatzänderungsgesetz mit seiner insgesamt vertretbaren Anhebung der Lohnnebenkosten - wenn man die Anhebung der Beitragssätze in der Arbeitslosenversicherung über die Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung vermindert - ist ein Teil des Gesamtpakets der Finanzierung des Umbaus im Osten Deutschlands. Wichtiger, meine Damen und Herren, als über die Höhe der Belastungen zu streiten, erscheint mir, der gemeinsamen Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die Maßnahmen helfen und die Bürger festen Boden gewinnen.
Vielen Dank.
({15})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nun die Frau Abgeordnete Petra Bläss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch und gerade nach der erfolgten Diskussion über den von den Fraktionen CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit wird die PDS/Linke Liste diesem nicht zustimmen. Wir sehen ihn weiterhin als einen untauglichen Versuch zur Lösung der anstehenden Probleme mit einem unsozialen Lösungsansatz.
Die Bundesregierung nennt die mit 58 % stärkste Beitragserhöhung eines Sozialversicherungszweiges seit 1957 ein „system- und funktionsgerechtes Solidaropfer der Arbeitnehmer und Unternehmer".
({0})
Systemgerecht ist diese Maßnahme freilich insofern, als sie völlig einseitig Arbeitnehmerinnen und -nehmer mit kleinen und mittleren Einkommen belastet und damit eine Politik der sozialen Lastenverteilung von unten nach oben fortsetzt.
({1})
Während die Beitragserhöhung in starkem Maße Niedrigverdienerinnen und -verdiener trifft, werden Selbständige, Beamte und Freiberufler gar nicht und die Höherverdienenden mit einem Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze von 6 500 DM unterproportional zur Kasse gebeten.
Die PDS/Linke Liste fordert diesbezüglich im Sinne der von Ihnen immer wieder heraufbeschworenen Solidargemeinschaft eine gerechtere und angemessenere Einbeziehung aller in Form einer Ergänzungsabgabe für Höherverdienende - bei Alleinstehenden mit einem Einkommen von über 60 000 DM, bei Paaren von über 120 000 DM im Jahr -, außerdem statt der Abschaffung der Vermögensteuer eine zusätzliche Abgabe von Privatpersonen mit einem steuerlichen Vermögen von über 500 000 DM.
Über die grundgesetzlich verbürgte Defizithaftung des Bundes für unerwartete und außerordentliche Finanzierungsprobleme der Arbeitslosenversicherung
fällt im vorliegenden Gesetzentwurf kein Wort. Wie lange noch will sich die Bundesregierung angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern aus der Verantwortung stehlen? Allein von Januar bis Februar dieses Jahres sind die Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern wieder um 4 % angestiegen. Neben den ca. 800 000 Arbeitslosen gibt es infolge der drastischen Zunahme der Zahl der Kurzarbeitenden heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR schon fast 2 Millionen sogenannte Unterbeschäftigte, wie der Tatbestand der Massenarbeitslosigkeit noch verschleiernd bezeichnet wird. Und ein Ende ist nicht absehbar.
Selbst der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit gibt zu, daß es sich bei der Kurzarbeit nicht nur um einen vorübergehenden Nachfragemangel handele. Die Beschäftigungssituation in den neuen Bundesländern wird sich in den nächsten Monaten noch dramatisch zuspitzen, insbesondere dann, wenn die Warteschleifenregelung Mitte des Jahres ausläuft, in der Landwirtschaft Tausende entlassen werden und weiterhin ganze Industriestandorte kaputtsaniert werden.
Zweifellos stellt im Hinblick auf die prekäre Lage die Finanzierung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik eine große Herausforderung dar. Um so unverständlicher ist die Tatsache, daß die erforderlichen finanziellen Mittel auf eine höchst unsoziale Weise zum größten Teil durch die Beitragszahlerinnen und -zahler der Arbeitslosenversicherung aufgebracht werden sollen.
({2})
Im Gutachten des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin zum vorliegenden Gesetzentwurf wird auf die Absurdität verwiesen, Lohnersatzleistungen und aktive Arbeitsmarktpolitik einem rein beitragsfinanzierten Versicherungssystem zu übertragen, sowie auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß diese gleichzeitige Finanzierung aus dem begrenzten beitragsfinanzierten Budget der Bundesanstalt für Arbeit Probleme mit sich bringt, insbesondere bei rasch steigender Arbeitslosigkeit und in Regionen mit besonders hohem Arbeitslosenanteil.
Die vorübergehende Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung um 1 % - schon jetzt ist von einer Wiederanhebung ab 1993 die Rede - stellt unserer Ansicht nach nur eine zwischenzeitliche Entlastung dar; denn noch sind die mit der Zusammenführung der Rentensysteme Ost und West zu erwartenden Probleme nicht abschätzbar.
Eingebracht wurde der vorliegende Gesetzentwurf im Januar noch mit der Maßgabe, daß durch die Änderung des Beitragssätze Steuererhöhungen vermieden werden sollten. Nun, gut drei Monate nach der Bundestagswahl, werden die Arbeitnehmerinnen und -nehmer vor vollendete Tatsachen gestellt: ab April mit der Erhöhung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 2,5 % und ab Juli mit der Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer um 7,5 %.
Danke.
({3})
Meine Damen und Herren, ich erteile nunmehr das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Günther.
({0})
Horst Günther Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In unserer Rentenversicherung haben wir gegenwärtig große Überschüsse.
({1})
- Kollege Reimann, nun hören Sie doch erst einmal zu. Ich bin doch noch gar nicht fertig. Außerdem haben Sie noch einen Redner. Sie können doch gleich alles richtig stellen, was ich hier angeblich falsch sage.
Diese Überschüsse sind einmal das Ergebnis einer guten Konjunktur im Westen Deutschlands. Auch durch die deutsche Einheit hat es für die Konjunktur einen wichtigen und großen Schub gegeben. Das wird oft vergessen, obwohl es doch gerade die Grundlage für die Maßnahmen ist, die dieses Gesetz bringen soll.
({2})
Die Überschüsse sind zum anderen das Ergebnis einer grundsoliden Rentenpolitik der Bundesregierung.
({3})
Nach jüngsten Berechnungen hat sich die Rücklage in der Rentenversicherung im Jahre 1990 um 9 Milliarden DM auf fast 35 Milliarden DM erhöht. Dies entspricht einer Rücklage von 2,6 Monatsausgaben.
({4})
- Kollege Louven, zu dem Zeitpunkt sah das jämmerlich aus.
({5})
Würde der Beitragssatz nicht abgesenkt, kämen 1991 weitere 13 Milliarden DM hinzu. Die Rentenversicherung hätte dann eine Gesamtrücklage von 47,8 Milliarden DM. Dies entspräche 3,4 Monatsausgaben. Eine Hortung dieser Überschüsse zu Lasten derjenigen, die sie erwirtschaftet haben, erscheint uns deshalb nicht vertretbar. Wir wollen diese Gelder an die Beitragszahler zurückgeben.
({6})
Wird der Beitrag ab 1. April 1991, wie hier vorgesehen, von 18,7 % auf 17,7 % abgesenkt, so wird 1991 eine Rücklage entstehen, die immer noch um einige Milliarden DM höher liegt als 1990, übrigens dem Jahr - und das beantwortet Ihre Frage noch einmal, Kollege Louven - mit dem höchsten Finanzpolster seit 1977. Die Rentner in allen Teilen Deutschlands wissen, daß Rentensicherheit das wichtigste Gebot der Rentenpolitik dieser Bundesregierung ist und bleibt.
({7})
Die Absenkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung steht im übrigen in voller Übereinstimmung mit dem Grundprinzip des Rentenreformgesetzes 1992. Danach ist der Beitragssatz so zu bestimmen, daß - von Übergangsbestimmungen einmal abgesehen - am Ende des folgenden Jahres eine Schwankungsreserve in Höhe einer Monatsausgabe in jedem Falle erreicht sein sollte. Die Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung ist daher als folgerichtig auf dem Weg zum beschriebenen Regelmechanismus des Rentenreformgesetzes 1992 anzusehen.
Richtig ist, daß wir in späterer Zeit - wahrscheinlich in zwei Jahren - die Beiträge wieder auf die jetzige Höhe anheben müssen.
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle einmal sagen: Wir sagen vorher, wann wir Erhöhungen durchführen müssen, und tun das nicht, wie Sie, Kollege Reimann, immer beklagen, stets erst im nachhinein.
({8})
- Drohen Sie nicht immer so mit dem Finger. Nehmen Sie das doch bitte jetzt einmal zur Kenntnis. Lesen Sie das einmal nach, damit Sie uns in zwei Jahren nicht wieder vorhalten, wir hätten das vorher nicht angekündigt. Deshalb sage ich das noch einmal sehr deutlich.
Dies ist im übrigen nichts Ungewöhnliches. Auch die SPD, die Opposition dieses Hauses, hatte bereits um die Jahreswende vorgeschlagen, die Beiträge zu senken. Das würde ebenfalls dazu führen, daß Sie sie in angemessener Zeit wieder anheben müßten. Also sind wir doch, wie ich meine, in einem Boot.
({9})
- Dann wollten Sie auch einen Verschiebebahnhof, Kollege Reimann. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie einen Verschiebebahnhof wollten. Wir machen keinen Verschiebebahnhof, sondern senken gerecht, weil die Finanzsituation der Rentenversicherung dies eben zuläßt.
Anders als in der Rentenversicherung erwarten wir in der Arbeitslosenversicherung allerdings ein Defizit, weil die so noch nicht dagewesene Umgestaltung einer Planwirtschaft zu einer Sozialen Marktwirtschaft bei laufender Fahrt von uns gewaltige Anstrengungen verlangt. Dieser Prozeß muß sozial verträglich gestaltet werden.
Aus Steuermitteln hat die Sozialversicherung bereits die wichtige Initialzündung erfahren. Die Krankenversicherung wurde mit 3 Milliarden DM, die Rentenversicherung mit 2,15 Milliarden DM und schließlich auch die Arbeitslosenversicherung mit 2 Milliarden DM aus Steuermitteln unterstützt.
Die soziale Flankierung des Übergangs von der sozialistischen Plan- zur Sozialen Marktwirtschaft läßt sich jedoch nicht allein mit Steuermitteln finanzieren. Hier ist die Solidarität gerade auch der westdeutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gefragt. Der westdeutschen Wirtschaft und damit auch den Arbeitgebern und Arbeitnehmern ging es noch nie so gut wie jetzt. Das darf heute noch einmal betont werden.
({10})
Wir halten es auch angesichts der positiven Wirtschaftsentwicklung durch die Einheit für verkraftbar und vertretbar, den Beitragssatz der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Arbeitslosenversicherung zum 1. April 1991 um je 1,25 % zu erhöhen und ihn dann zum Jahresbeginn 1992 um je 0,25 % zu senken.
({11})
Damit kommen wir auf ein Jahresmittel von 1 % für 1991 und für 1992.
Für die Arbeitnehmer in den alten Bundesländern ergibt sich durch die Anhebung des Beitragssatzes für die Bundesanstalt für Arbeit und die gleichzeitige Absenkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung eine durchschnittliche monatliche Mehrbelastung von 26 DM im Zeitraum April bis Ende 1991 und von nur 18 DM im Jahre 1992.
Zur richtigen Einschätzung dieser maßvollen Solidaritätsbeiträge möchte ich auf die Nettolohnentwicklung in den letzten Jahren hinweisen. Dank der Steuer- und Sozialpolitik der Bundesregierung sind die Arbeitnehmer in den letzten Jahren erheblich entlastet worden. Seit 1982 sind die durchschnittlichen monatlichen Nettolöhne und -gehälter in den westdeutschen Bundesländern um 476 DM, allein 1990 um 165 DM gestiegen.
Untersuchungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft für das produzierende Gewerbe zeigen, daß die gesetzlichen Lohnzusatzkosten längerfristig wesentlich schwächer gestiegen sind als die tariflichen und betrieblichen. Der Anteil der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung an den gesamten Lohnzusatzkosten im produzierenden Gewerbe ist im Zeitlablauf nahezu konstant geblieben, meine Damen und Herren.
Die Position der Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb hängt nicht isoliert von den Lohnzusatzkosten ab, sondern vom Verhältnis von Lohnkosten und Produktivität. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat nachgewiesen, wie günstig wir hier sowohl gegenüber den EG-Partnern als auch gegenüber den USA und Japan abschneiden.
Die durch die Beitragssatzanhebung zusätzlich eingenommenen Mittel werden für die notwendige soziale Flankierung der wirtschaftlichen Umstrukturierung in den neuen Bundesländern eingesetzt. Im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit sind nicht nur Mittel für die weitere soziale Sicherung der Arbeitslosen und Kurzarbeiter, sondern auch erhebliche Mittel für die Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingestellt.
Zum einen werden die Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen eingesetzt. Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit 1991 sieht für das Gebiet der neuen Bundesländer Mittel für 350 000 Teilnehmer an Fort-bildungs- und Umschulungsmaßnahmen vor. Dies entspricht mehr als 500 000 Eintritten im Jahre 1991.
({12})
Um den zu erbringenden Einsatz zu verdeutlichen, möchte ich einen Blick auf das 1990 Erreichte hinzufügen. Im Jahre 1990 sind in den neuen Bundesländern mehr als 124 000 Teilnehmer in berufliche Weiterbildungsmaßnahmen eingetreten. Mehr als 500 000 Eintritte im Jahre 1991 bedeuten, das 1990 erreichte Ziel um mehr als das Vierfache zu übertreffen. Ich füge hinzu, dies ist auch notwendig. Es ist aber auch ein ehrgeiziges Ziel. Dafür stehen 6,6 Milliarden DM zur Verfügung. An Geld wird die Qualifizierung daher nicht scheitern, meine Damen und Herren.
({13})
Das eigentliche Problem sind die Initiativen, sind Menschen, die die Qualifizierung organisieren. Dazu lade ich alle ein, auch die Opposition in diesem Hause. Bisher sind noch nicht einmal alle Mittel abgeflossen, die wir zur Verfügung gestellt haben. Hier sind auch die Bundesländer und die Sozialpartner aufgerufen, die Initiativen der Arbeitsverwaltung zu unterstützen, damit das gesetzte Ziel im Interesse der Menschen in den neuen Bundesländern erreicht werden kann.
({14})
Im übrigen wird auch in den alten Bundesländern - das darf man ja nicht vergessen - die Qualifizierung auf dem erreichten hohen Niveau fortgeführt. Vorgesehen sind für berufliche Weiterbildungsmaßnahmen Mittel in Höhe von 6,7 Milliarden DM. Damit steht Geld für mehr als 500 000 Eintritte in solche Maßnahmen zur Verfügung.
In den neuen Bundesländern soll das Instrument der Qualifizierung gerade auch bei Kurzarbeit eingesetzt werden, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Hierzu sind im Arbeitsförderungsgesetz notwendige Regelungen geschaffen worden, um den Empfängern von Kurzarbeitergeld Anreize zur Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen zu geben. Indes hat sich in der Praxis gezeigt - dies ist auch der Wille der Koalitionsparteien - , daß die Kurzarbeit in den neuen Bundesländern noch stärker als bisher mit Qualifizierung verbunden werden muß.
Hier sind wir auch auf die Mitarbeit der Tarifpartner angewiesen. Der tarifpolitische Impuls muß an der richtigen Stelle eingesetzt werden: nicht zur Aufstokkung der Kurzarbeit, sondern zur Aufstockung der Qualifizierungsmaßnahmen.
Ein weiteres Ziel unserer Politik sind 278 000 Neueintritte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern. Nach 20 000 Neueintritten im vergangenen Jahr ist dies eine beachtliche Steigerung. Dafür stehen in diesem Jahr über 5,2 Milliarden DM zur Verfügung, mit denen auch die Sachkosten bezuschußt werden können. Ich glaube, daß dies auch einen besonderen Impuls geben wird.
Meine Damen und Herren, Geld ist vorhanden; angesichts der Sachlage und im Hinblick darauf, wie die Gelder bisher abgerufen worden sind, möchte ich sogar sagen: in Hülle und Fülle.
({15})
- Ja. - Arbeit ist auch vorhanden, in Hülle und Fülle. Arbeitsuchende gibt es aber leider auch in Hülle und Fülle. Jetzt kommt es darauf an, daß wir sie zusammenspannen nach dem Motto: Vor Ort sofort. Kommunen, Sozialpartner, Verbände und Kirchen, Betriebe und Arbeitsverwaltung, sie alle müssen vor Ort in Kooperation und sozialer Partnerschaft tun, was notwendig und möglich ist: Sie müssen Arbeit für alle schaffen. Dazu lade ich Sie alle ein.
Vielen Dank.
({16})
Jetzt hat Frau Ulrike Mascher, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit ablehnen.
({0})
Wir fordern - ein entsprechender Entschließungsantrag der SPD liegt Ihnen ja dazu vor - einen Arbeitsmarktbeitrag für alle
({1})
und eine angemessene Beteiligung des Bundes mit Steuermitteln an der Finanzierung eines den Problemen angemessenen groß angelegten nationalen Aufbauplans.
({2})
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden sollen, wurde am 1. Februar vom Bundestag an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war zumindest uns von der SPD klar, daß die Mittel, die durch die geplante Beitragssatzerhöhung aufgebracht werden, geeignet sind, das Defizit bei der Bundesanstalt für Arbeit von über 20 Milliarden DM abzudecken und damit den Bundeshaushalt zu entlasten. Das ist ja wohl ein von der CDU/CSU erwünschter Effekt.
Es war uns aber auch klar, daß die mit diesen Mitteln geplante aktive Arbeitsmarktpolitik, z. B. 130 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, angesichts des drohenden Verlustes von über 3 Millionen Arbeitsplätzen der Versuch ist, einen Dammbruch mit ein paar Schaufeln Sand zu bekämpfen.
({3})
Die Bundesanstalt für Arbeit hat ja nicht umsonst bereits im Juli des letzten Jahres ein Eventualprogramm zur Bekämpfung der damals für alle, die es wissen wollten und die sich mit dem Problem beschäftigt haben, auch für die Experten der Bundesanstalt, schon erkennbaren Arbeitslosigkeit konzipiert. Jetzt, neun Monate später, wird von der Bundesregierung das Konzept zum Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost vorgelegt. Auch die Bundesregierung hat nun, nach neun Monaten, erkannt, daß angesichts der dramatisch ansteigenden Arbeitslosigkeit ein behäbiges Abwarten, garniert mit einigen Pflästerchen und
wohlmeinenden Absichtserklärungen, nicht mehr ausreicht.
({4})
- Schon im Juli letzten Jahres hat die Bundesanstalt ein Konzept entwickelt.
({5})
Elemente finden sich in Ihrem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost, aber eben leider neun Monate zu spät.
({6})
Ich befürchte, daß auch das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost trotz seines pompösen Namens nicht ausreichen wird, weil nach wie vor öffentliche und private Investitionen im Problemdschungel ungeklärter Eigentumsverhältnisse steckenbleiben und die notwendige Verwaltungsinfrastruktur noch unzureichend ist, auch bei den Arbeitsämtern, die bereits bei den ursprünglich geplanten 130 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von einem äußerst ehrgeizigen Ziel sprachen. Jetzt sollen 150 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen noch hinzukommen. Ich befürchte, dieses noch ehrgeizigere Ziel wird wegen der nicht vorhandenen Träger und wegen der mangelnden Erfahrung möglicher Träger in Ostdeutschland mit dem ja nicht ganz einfachen Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes nur schwer erreichbar sein.
Es stellt sich mir grundsätzlich die Frage, warum z. B. Frau Merkel, die Ministerin für Frauen und Jugend, Kinderbetreuungseinrichtungen oder warum Frau Hasselfeldt die Weiterbeschäftigung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Gesundheitsbereich mit ABM finanzieren will. Diese Grundausstattung an sozialer Infrastruktur soll offenbar zumindest teilweise mit Hilfe der Mittel der Bundesanstalt, d. h. mit Geldern der pflichtversicherten Beitragszahler, finanziert werden.
Es wäre sinnvoller gewesen, die Kommunen schon vor Monaten finanziell in die Lage zu versetzen, die für die notwendige soziale Infrastruktur erforderlichen Kosten unmittelbar aufzubringen und damit Arbeitsplätze zu sichern - ohne weitere bürokratische Hürden und ohne weitere amtliche Warteschleifen.
({7})
Aus guten Gründen haben die Arbeitsämter in der Vergangenheit darauf geachtet, daß zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden und nicht laufende Ausgaben mit den Beitragsmitteln der Bundesanstalt finanziert werden. Aber angesichts des großen Bedarfs gerade an kommunalen Dienstleistungen und an Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogrammen für bestimmte Zielgruppen wird die steigende Zahl von möglichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von uns begrüßt, wenn es kurzfristig gelingen sollte, gezielte Programme z. B. für arbeitslose Frauen, für ältere Arbeitnehmer oder für Jugendliche zu entwikkeln. Die Bundesanstalt für Arbeit hat uns allerdings bei der Anhörung am 12. Februar dieses Jahres zu dem vorliegenden Gesetzentwurf wenig Hoffnung auf solche gezielten Programme für bestimmte Arbeitnehmergruppen gemacht.
Der entscheidende Grund für die Ablehnung der Erhöhung der Beiträge für die Bundesanstalt für Arbeit durch die SPD ist aber die einseitige Belastung der Arbeiter und Angestellten durch diesen Beitrag, die dadurch noch verschärft wird, daß die unteren und mittleren Einkommen höher belastet werden, weil die Beitragserhöhung nur bis zu einem Einkommen von 6 500 DM geleistet werden muß. Wer mehr verdient, wird also relativ weniger belastet. Beamte, Selbständige und Freiberufler werden gar nicht herangezogen.
Das sieht auch der Bundesarbeitsminister so; offensichtlich spielt also - wenn ich mir die Aussagen von Herrn Fuchtel von vorhin in Erinnerung rufe - auch der Bundesarbeitsminister die Beamten gegen andere Arbeitnehmergruppen aus. Ich zitiere aus einem Artikel im „Handelsblatt" vom 11. Februar 1991. Da schreibt der Bundesarbeitsminister:
Aber die Beitragserhöhung zieht nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 6 500 DM. Warum
- so fragt er zahlt nur ein Teil der westdeutschen Bevölkerung diesen Solidarbeitrag? In die Pflicht zur Solidarität sind auch Beamte und Selbständige genommen. Wir brauchen einen Ausgleich der Gerechtigkeit, an dem alle teilhaben.
({8})
Leider kann ich den Arbeitsminister nur in Abwesenheit auffordern,
({9})
unserem SPD-Antrag zuzustimmen. Wir fordern eine Arbeitsmarktabgabe!
({10})
Wir fordern auch deshalb eine Arbeitsmarktabgabe, weil es bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern nicht mehr um das laufende Tagesgeschäft der Bundesanstalt für Arbeit geht. Hier geht es in besonderem Maße darum, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe solidarisch durch alle zu finanzieren. Die jetzt geplante Finanzierung verstößt gegen das Gebot sozialer Gerechtigkeit.
Ich zitiere:
Es ist eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit und der Kultur, wenn wir sagen: Der Beitragszahler allein soll dies nicht tragen. Entweder kommt der Steuerzahler über die Zuschußleistungen nach dem AFG in Frage, oder wir müssen einen Weg finden, wie diese Belastung sozial symmetrisch auf die Beitragszahler, die Wirtschaft, die Selbständigen und die Beamten verteilt wird. Da wäre eine Arbeitsmarktabgabe ein sinnvoller Weg.
Dieses Zitat stammt nicht von der SPD, sondern vom Vertreter des Arbeitgeberverbandes bei der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf. Diese Position wurde von allen wesentlichen Experten unterstützt. Trotzdem beharren die Koalitionsfraktionen auf ihrem Antrag; denn von Experten lassen sie sich ja nicht beeindrucken.
({11})
Zum Ausgleich für die Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung wird der Beitrag zur Rentenversicherung gesenkt. Dabei handelt es sich um einen sozialpolitischen Verschiebebahnhof, bei dem wohl eines sicher ist: Spätestens ab 1993 müssen die Beiträge angesichts des Finanzierungsbedarfes bei der Vereinigung der Rentenversicherungen aus West und Ost wieder angehoben werden.
Aber auch bei der Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge gibt es - ich möchte fast sagen, natürlich - soziale Ungleichheiten, da die Versicherten bei der Rentenversicherung nicht identisch sind mit den Versicherten bei der Arbeitslosenversicherung. In der Rentenversicherung gibt es die Gruppe der freiwillig Versicherten - in erster Linie Selbständige -, die maximal um bis zu 65 DM monatlich entlastet werden, die aber nur bei der Arbeitsmarktabgabe, wie sie von uns gefordert wird, auch zu einem Solidarbeitrag herangezogen würden.
Durch das jetzt vorgelegte Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost werden nun auch Steuern zur Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik herangezogen. Aber auch da - die SPD hat es mehrfach ausgeführt - gibt es eine ungleichgewichtige Belastung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Kurz, es zieht sich ein schwarzer Faden durch alle diese Beitrags- und Steuererhöhungen: Besonders belastet werden die unteren und mittleren Einkommensbezieher.
Wir lehnen deshalb die vorgeschlagene Beitragserhöhung ab. Wir fordern eine Arbeitsmarktabgabe für alle. Wir fordern ein ausreichendes, der Größe der drohenden Arbeitslosigkeit angemessen dimensioniertes Qualifizierungs- und Beschäftigungsprogramm. Die SPD hat ja hierzu Vorschläge gemacht. Wir wollen nicht alle sechs Wochen halbherzige Vorschläge, bei denen wertvolle Zeit und vor allem das Vertrauen der Menschen in Ostdeutschland verlorengehen.
Danke.
({12})
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit. Das sind die Drucksachen 12/56, 12/189 und 12/208.
Ich rufe die Art. 1 bis 4 einschließlich der vom Ausschuß empfohlenen Ergänzung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der FDP und der CDU/CSU gegen die Stirn-men von SPD, Bündnis 90/GRÜNE und PDS/Linke Liste angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/228. Wer stimmt für diesen Antrag? ({0})
Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt, und zwar mit den gleichen Stimmenverhältnissen, die wir in der zweiten Lesung bei dem Gesetzentwurf hatten.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 12/57, 12/206, 12/215 -
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1})
- Drucksache 12/174 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Hans-Hinrich Knaape
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 12/175 Berichterstatter:
Abgeordnete Uta Titze
Dr. Wolfgang Weng ({3})
({4})
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/227 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Bundesministerin für Gesundheit, Frau Gerda Hasselfeldt, das Wort.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Eini978
gungsvertrag beauftragt uns, Defizite bei den Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Ländern zu vermeiden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser Auftrag frühzeitig erfüllt. Wir verhindern damit zusätzliche Belastungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer in den neuen Ländern. Das ist ein ganz wichtiger sozialpolitischer, wirtschaftspolitischer und vor allem beschäftigungspolitischer Beitrag. Zugleich kommen wir dem Ziel näher, ein einheitliches Niveau der gesundheitlichen Versorgung in ganz Deutschland zu erreichen.
Der Konsens mit den beteiligten Verbänden, der diesem Gesetzentwurf zugrunde liegt, hat seine positiven Wirkungen bereits entfaltet. Wir sehen heute schon, daß sich die Arzneimittelversorgung in den neuen Ländern in den letzten Wochen spürbar verbessert hat. - Wenn sich auch die Damen und Herren von der FDP-Fraktion dafür interessierten, würde ich mich sehr freuen; denn auch für sie ist das nicht ganz unwichtig. - Für die Bevölkerung in unserem ganzen Land ist von entscheidender Bedeutung, daß wir eine gesicherte Arzneimittelversorgung haben. Alle Bürgerinnen und Bürger in unserem Land müssen wissen, was auf sie zukommt, d. h. zu welchen Bedingungen sie Arzneimittel bekommen.
Die ursprünglichen Annahmen über die Entwicklung der Arzneimittelausgaben haben sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet. Der Marktanteil der preiswerteren Arzneimittel aus ostdeutscher Produktion liegt nach wie vor bei 70 bis 80 %. Die Arzneimittelausgaben sind deshalb im zweiten Halbjahr 1990 langsamer gestiegen als erwartet. Wir können deshalb davon ausgehen, daß das im ersten Jahr auszugleichende Defizit etwa 1,5 Milliarden DM nicht überschreitet, wahrscheinlich sogar diese Grenze nicht erreichen wird.
Auch auf der Einnahmenseite sind die Aussichten günstiger, als ursprünglich angenommen wurde. Die jüngsten Tarifabschlüsse verdeutlichen, daß die Einkommensteigerungen zu schneller wachsenden Beitragseinnahmen der Krankenkassen führen werden. Außerdem stehen den Krankenkassen aus der Anschubfinanzierung des Bundeshaushalts noch 600 Millionen DM zum Defizitausgleich zur Verfügung. Das verbleibende Defizitrisiko ist deshalb äußerst gering. Dies gilt auch für die Jahre 1992 und 1993, weil für diese Zeit deutlich höhere Finanzierungsbeiträge der Marktbeteiligten vorgesehen sind.
Die Regelung, die wir jetzt getroffen haben, ist also gut sowie genau und sicher kalkuliert. Wir haben diese Regelung im Konsens mit den Arzneimittelherstellern, mit dem Großhandel und mit den Apotheken gefunden. Darauf möchte ich ganz besonders hinweisen, weil wir gerade in der Gesundheitspolitik einvernehmliche Lösungen brauchen.
Bei der Erarbeitung der Regelung waren die Vertreter der Verbände aus den neuen Ländern von Anfang an mitbeteiligt. Diese neue Regelung bedeutet, daß die Hersteller, daß der Großhandel, daß die Apotheker bis Ende 1993 Defizite in Höhe von insgesamt 2,2 Milliarden DM voll übernehmen. Darüber hinausgehende Defizite werden von den Marktbeteiligten zu 50 % übernommen. Ich denke, das ist ein angemessener Finanzierungsbeitrag, der den Interessen aller Rechnung trägt.
({0})
Dies gilt gerade für die Versicherten, für die Patienten im Beitrittsgebiet.
({1})
Allen Beteiligten ist bewußt, daß die Umsetzung dieser Regelung mit organisatorischen Belastungen verbunden ist. Das gilt vor allem für die Abrechnungen der Apotheken mit den Lieferanten und den Krankenkassen. Aber auch hier zeigen die bisherigen Initiativen der Verbände, daß die Probleme zu lösen sind.
Das Gesetz soll am 1. April 1991 in Kraft treten. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aus den Ausschüssen des Bundestages, daß sie über den Entwurf in sehr kurzer Zeit beraten haben. Die intensiven Erörterungen - auch mit den Sachverständigen - haben gezeigt, daß es zu diesem Lösungsvorschlag keine Alternative gibt. Das ist im übrigen auch die Auffassung der Länder, die diesem Vorschlag im Bundesrat mehrheitlich zugestimmt haben.
Meine Damen und Herren, wir schaffen mit diesem Gesetz eine solide Basis für stabile Beitragssätze der Krankenkassen, und wir schaffen die Basis für eine gesicherte Arzneimittelversorgung in den neuen Ländern. Im Interesse der Beitragszahler, im Interesse der Patienten, im Interesse der Marktbeteiligten und ihrer Beschäftigten bitte ich Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
({2})
Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Hinrich Knaape, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich als Berichterstatter des Gesundheitsausschusses darauf hinweisen, daß parallel zum Koalitionsentwurf ein Regierungsentwurf auf Drucksache 12/206 vorliegt, beide inhaltsgleich sind und der Regierungsentwurf sich erledigt, wenn das Plenum der vorliegenden Fassung, die im Gesundheitsausschuß beschlossen worden ist, zustimmt. Einbezogen wurde die Änderung durch den Bundesrat für den § 311 a Abs. 3 Satz 2 zum Regierungsentwurf. Der Regierungsentwurf kann daher für erledigt erklärt werden.
Die Mängel des Gesetzentwurfs liegen darin, daß die bekannte Einflußschwäche der gesetzlichen Krankenkassen, also des Geldgebers auf die Steuerung des Pharmabereiches nicht angetastet, sondern im Gegenteil, wenn auch verdeckt, noch einmal unterstrichen wird. Daraus ergibt sich im Sinne einer Verhütung von Schäden, die auf Kosten der Versicherten in den fünf neuen Bundesländern gehen, die Frage, wie wirksame, d. h. kostendämpfende Kontrollen der Preis- und Absatzgestaltung der Pharmaindustrie durchgeführt werden können. Wenn wir als Sozialdemokraten die zu erwartenden Auswirkungen des GeDr. Hans-Hinrich Knaape
setzes infolge der klaren Mehrheiten auch nicht verhindern können und im Interesse der Patienten schnelles Handeln geboten ist, wir daher das Gesetz tolerieren, wollen wir doch einen entsprechenden Appell an jene Beteiligten richten, die steuernd in den Prozeßablauf eingreifen können.
Zunächst zum Absatz, d. h. zur Verwaltung und Vermittlung des Arzneimittelangebotes durch den Arzt an den Patienten. Möglich ist hier die Einflußnahme auf eine ausgewogene ärztliche medikamentöse Behandlung, entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen des jeweiligen ärztlichen Fachgebietes, bei Vermeidung eigenen Erfahrungssammelns, angeregt durch mitunter fragwürdige Werbehinweise und Musterzuwendungen von Vertretern pharmazeutischer Firmen.
Angesprochen wird hier die Solidarität der Ärzte, da die gesetzlichen Krankenkassen, die zur Pharmaka-Sachleistung gegenüber den Versicherten verpflichtet sind, deren Einnahmen aber infolge des Steigens der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern im Laufe des Jahres sinken werden, der Gefahr der finanziellen Überforderung ausgesetzt sind. Björn Engholms Ausspruch „was muß, das muß" oder „wat mutt, dat mutt" oder, auf die östlichen Länder angewandt, auf mecklenburgisch „wat mutt, dat mutt", kann natürlich auch ohne Einschränkung ärztlichen Handelns nur hinsichtlich der Arzneimittelversorgung gelten. Die Ärzte sollten sich individuell an durch klinische Erfahrung von Experten ihres Fachgebietes vorgeschlagenen Arzneimittelpositivlisten orientieren und damit rational zu einer wirtschaftlichen Verordnungsweise beitragen.
({0})
Die Pharmaindustrie könnte als einen weiteren positiven Beitrag ihre Werbung und Aufklärung verstärkt der Gruppe der allgemein-praktischen Ärzte zuwenden, da diese mit einer Häufigkeit von über 50 % nach den Internisten den größten Anteil der Medikamente verordnen.
Der Trend zur rückläufigen Verordnung von in ihrer Wirkung umstrittenen Arzneimitteln muß auch in den neuen Bundesländern beibehalten werden. 1989 lag er noch bei 30,5 % des Verordnungsvolumens in den alten Bundesländern. Aber er war gegenüber dem Vorjahr um 5% abgesunken.
Diese Entwicklung darf in den neuen Bundesländern nicht durch einen Werbungsaufwand dieser Arzneimittelhersteller unter Ausnutzung der Unerfahrenheit der Ärzte unterlaufen werden. Da kein Arzt die Medikamentenvielzahl genau überblicken kann und dementsprechend gezielt zu Behandlungsindikationen auszuwählen vermag, muß sich die fachgebietsärztliche Schulung vermehrt der Übermittlung von therapeutischen Erfahrungen mit ausgewählten Arzneimitteln widmen. Der Appell richtet sich daher an die Ärzte in den neuen Bundesländern, aufbauend auf die Berufserfahrung der zurückliegenden Jahre im Interesse eines durch die Versicherten bezahlbaren Gesundheitswesens keine eigenen unwissenschaftlichen Experimente unter dem Einfluß wohlwollender Werbung durchzuführen. Hinweise dafür, daß ein Nichteingehen auf Patientenwünsche bei der Arzneimittelversorgung zwangsläufig zur Patientenabwanderung führt, bestätigte eine Transparenzstudie des Arzneimittelmarktes nicht. Systematik der Verordnung und Wirtschaftlichkeit, also fachgebietsärztliche Positivlisten bei schulspezifischer Prägung, sollten die ärztliche Antwort auf die Unzulänglichkeiten des vorliegenden Gesetzes zur Vermeidung eines nur mit Einschränkungen in anderen Bereichen des Gesundheitswesens abzudeckenden Defizits sein. Den Landesärztekammern fallen hier verantwortungsvolle Schulungs- und Bildungsaufgaben zu.
Herr Kollege Knaape, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Dr. Fischer?
Ja.
Herr Knaape, ich halte das, was Sie zur Werbung gesagt haben, wirklich für einen frommen Wunsch, vor allen Dingen weil ich die Praktiken kenne, mit denen die Pharmaindustrie in der Dritten Welt arbeitet. Aber man kann es ja versuchen. Meine Frage an Sie lautet: Was halten Sie von Praktiken von Pharmavertretern West, die zu allen niedergelassenen Ärzten und zu Apotheken bei uns gehen und dort die gleichen Medikamente, wie sie bei uns auch vertrieben werden, zu einem Drittel des Preises anbieten?
Ich habe das zwar nicht ganz verstanden, aber ich gehe davon aus, daß die Arzneimittelvertreter seriös sind, daß sie ihr Geschäft ordentlich betreiben und daß das im Einvernehmen mit den Ärzten geschieht.
({0})
- Ich habe Sie nicht verstanden.
Es wird z. B. ein Medikament gegen Rheuma, Rewodina, gegen ein westdeutsches Medikament zum Drittel des Preises angeboten. Irgendwann werden die Ärzte und auch die Apotheker dahin kommen, daß sie nicht mehr anders können, als die westlichen Medikamente zu nehmen.
({0})
- Natürlich. Mein Mann ist doch niedergelassener Arzt.
Frau Kollegin, das können Sie leider nicht aufhalten. Wir können es im Interesse der Arzneimittelhersteller in den neuen Bundesländern nur zu beeinflussen versuchen.
Sozialdemokratischem Denken entspräche es, wenn der Steuerungseinfluß der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Pharmamarkt, auf die Preisgestaltung, angehoben werden könnte. Die Einführung von Arzneimittelfestbeträgen wird zu Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen führen, aber andererseits durch kompensatorische Reaktionen der Arzneimittelhersteller entsprechend der
Größe ihres Umsatzes und ihrer Palette nicht der Regelung unterworfener Medikamente abgefangen werden. Die Statistik sagt aus, daß bei sinkenden Arzneimittelausgaben um 1,1 % 1989 der Anteil der gesetzlichen Krankenversicherung am Apothekenumsatz nach Angaben der ABDA seit 1983 von 61,8 % auf 64,3 % im Jahre 1989 angestiegen ist und unter Berücksichtigung der Kostenbeteiligung der Patienten sogar von 66,3 % auf 69,3 %. Insofern sollte der Empfehlung des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen im Jahresgutachten 1991 gefolgt werden, wo die großzügige Umsetzung des § 84 SGB V angemahnt wird, arztgruppenspezifische Richtgrößen für das Volumen verordneter Arzneimittelleistungen zu vereinbaren.
Trotz guten Glaubens der CDU/CSU und der FDP an die Ausgewogenheit dieses Gesetzentwurfs spricht unserer Auffassung nach die Realität im Gesundheitswesen für ein zu erwartendes Defizit und für eine erhebliche Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Im Interesse der Versorgung der Patienten in den neuen Bundesländern tolerieren wir den Gesetzentwurf, erwarten aber von den Pharmaherstellern solidarische Beschränkung und setzen auf rationale Arzneimittelverordnung, orientiert an Arzneimittelpositivlisten der Fachgebietsärzte, um die Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit der Verordnungsweise zu gewährleisten. Wir hoffen, daß sich am Ende des Abrechnungszeitraumes nicht weitere Kollegen aus der Koalition in die Reihe der Namenlosen unter Berufung auf den Trick des Odysseus einreihen müssen, niemand habe es vorhersehen können.
Danke.
({0})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Bruno Menzel, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einbringung dieses Arzneimittelabschlagsgesetzes wird notwendig, da die im Einigungsvertrag festgelegte Regelung eines 55 %igen Abschlags zwar den Preisabschlag formal definierte, aber viele Fragen offen ließ. Dies erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß der Einigungsvertrag mit einem ungeheuren Regelungsumfang innerhalb kürzester Zeit zustande gebracht werden mußte. Angesichts des Gesamtumfangs stellte die in Art. 33 geregelte Frage, wie die Krankenkassenausgaben mit den -einnahmen in Einklang zu bringen sind, ein vergleichsweise geringes Teilproblem dar.
Darunter fiel aber auch die Regelung des Arzneimittelmarktes. Daraus ergibt sich, daß jetzt erneut Handlungsbedarf besteht, da ungelöste Fragen zu klären sind.
Daß davon gleichzeitig z. B. die Selbstmedikation betroffen wurde, hatte man wohl nicht berücksichtigt. Jetzt wird ein differenziertes Vorgehen geduldet, obwohl dies nicht dem Wortlaut des Gesetzes entspricht. Die Auswirkungen auf die westdeutschen Arzneimittelhersteller wurden mit der Begründung als gering eingeschätzt, daß der ostdeutsche Markt ohnehin durch die dort ansässigen Firmen ausreichend bedient werde. Man übersah dabei aber sicherlich, daß schon in der ehemaligen DDR große Arzneimittellücken durch Präparate der sogenannten Nomenklatur C durch westdeutsche Firmen abgedeckt wurden.
Nicht bedacht wurden auch die Auswirkungen des 55 %igen Abschlages auf die Situation der ostdeutschen Pharmaindustrie. Er bedeutete praktisch den Ruin in einer Phase, in der diese Firmen gerade erst begannen, sich nach ökonomischen Prinzipien zu organisieren. Die Firmen reagierten dann auch prompt mit entsprechenden Preisanstiegen. Damit wurde aber die Wirkung des Preisabschlages teilweise kompensiert.
Des weiteren eröffnete diese Regelung Möglichkeiten ungesetzlicher Handlungen durch Medikamentenweitergabe in größerem Stil von Ost nach West.
Diese wenigen Punkte mögen genügen, um den Handlungsbedarf als Auslöser für dieses Gesetz aufzuzeigen. Ich denke, in dieser Einschätzung sind wir uns auch mit der Opposition einig.
Differenzen gibt es allerdings bei den Voraussagen der zu erwartenden Medikamentenkosten.
({0})
- Allerdings.
Dabei will ich überhaupt nicht verschweigen, daß die Bedenken der SPD, daß das Defizit im Bereich der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung größer sein könnte als von der Bundesregierung geschätzt, durchaus ernst zu nehmen sind; denn die Prognose der Arzneimittelausgaben ist natürlich für den Erfolg des Rabattmodells von ausschlaggebender Bedeutung.
Diese Prognose ist zugegebenermaßen außerordentlich schwierig, weil wir es eben hier zu tun haben mit dem Zusammentreffen eines entwickelten Arzneimarktes mit einem durch staatliche Eingriffe weitgehend verzerrten Arzneimittelversorgungssystems eines ehemaligen Staatshandelslandes. Dies macht aber verständlich, daß gerade diese Voraussagen nur mit größter Zurückhalung zu bewerten sind und man sie jeweils nur unter dem Aspekt der zugrundeliegenden Hypothesen beurteilen kann. Dabei differieren die Annahmen für die Ausgaben zwischen 5 und 7 Milliarden DM.
({1})
- Korrekt.
Die Modellrechnung des wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen stellt eine durchaus brauchbare Grundlage zur Abschätzung des Ausgabenniveaus in den neuen Bundesländern dar.
({2})
- Hören Sie zu, was ich weiter sage. Ich bin noch nicht am Ende.
Diese Hypothese scheint mir allerdings einseitig in Richtung höhere Ausgaben verschoben zu sein. Dabei habe ich durchaus Verständnis dafür, daß bei Abschätzung von Risiken für die eigene FinanzentwickDr. Bruno Menzel
lung die sichere Seite gewählt wird. Eine solche tendenziöse Interpretation kann aber nicht die Grundlage für den Gesetzgeber sein. Andererseits scheinen mir die Berechnungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände sehr solide und glaubhaft. Sie zeigen, daß nach 3,5 und 3,9 Milliarden DM Arzneimittelausgaben in 1989 und 1990 viel Spielraum bis zu den veranschlagten 5 Milliarden DM in 1991 besteht. Ich bin bereit, diesen Berechnungen zu glauben. Das heißt aber im Umkehrschluß, daß ich eine hundertprozentige Sicherheit nicht habe. Das wiederum haben wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Opposition gemeinsam.
Herr Kollege Dr. Menzel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner.
Herr Kollege Dr. Menzel, es ist ja erfreulich, daß Sie selbst zugeben, daß es ein gewisses unsicheres Eis ist, auf dem sich dieser Gesetzentwurf, was die Finanzannahmen angeht, bewegt. Meine Frage ist die - und das legt ja auch unser Entschließungsantrag zugrunde - : Was gedenkt die Koalition oder was gedenkt die FDP zu tun, wenn die in Ihrem Gesetzentwurf unterstellten Annahmen nicht eintreffen, so daß ein Defizit übrig bleibt?
Diese Frage habe ich erwartet. Ich habe schon versucht, es in meinen Ausführungen etwas anzudeuten. Sie gehen von einer Modellrechnung aus, die sagt, daß die Ausgaben höher werden. Wir gehen von einer Modellrechnung aus, von der wir glauben, daß die Ausgaben nicht höher sein werden. Wir haben heute und in den vergangenen Tagen hier in diesem Hause Debatten erlebt, wo Meinung gegen Meinung stand, und wir mußten erfahren und mußten tatsächlich zur Kenntnis nehmen, daß in dieser schwierigen Zeit und auf diesem schwierigen Gebiet niemand in der Lage ist, absolut sichere Aussagen zu treffen.
({0})
Ich finde es nur - und deshalb freue ich mich, daß Sie mir diese Frage stellen - merkwürdig, daß bei so gravierenden Fragen für dieses nun endlich wiedervereinte Deutschland im Gegensatz zu der Debatte, die jetzt läuft - wo wir uns argumentativ auseinandersetzen - , sehr oft die Polemik im Vordergrund stand.
({1})
Ich würde mich außerordentlich freuen - das sage ich wirklich aus voller Überzeugung - , wenn in Zukunft in diesem Hause Argumente auf einer Sachbasis ausgetauscht werden. Ich bin durchaus bereit, wenn von Ihrer Seite gute Argumente kommen, auch das mit Beifall zu bedenken. Ich würde mich aber ebenso freuen, wenn von unserer Seite gute Argumente kommen, daß auch dann Beifall kommt, damit die Gemeinsamkeit des Hauses in dieser schwierigen Situation, die wir heute alle miteinander zu meistern haben, zum Ausdruck kommt.
({2})
Ich möchte aber eine nicht allzu lange Antwort geben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir gehen von zwei unterschiedlichen Annahmen aus. Ich muß sagen, daß ich die Meinung vertrete, daß unsere Annahme richtig ist. Ich hoffe es sehr, aber ich habe es Ihnen zugestanden, daß ich es nicht absolut ausschließen kann und daß ich Ihre Bedenken natürlich sehr ernst nehme.
({3})
- Ich wußte wieder, daß diese Frage kommt.
Dann müssen wir uns der Situation entsprechend um einen neuen Denkansatz bemühen. Entweder müssen wir neue Verhandlungen mit denjenigen, mit denen wir bereits verhandelt haben, aufnehmen oder wir müssen uns überlegen, wie wir ansonsten dieses Defizit decken. Im Moment möchte ich darauf keine definitive Antwort geben, weil ich immer noch davon ausgehe, daß das nicht notwendig ist. Sonst würde ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Herr Dr. Menzel, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Herr Dr. Menzel, wenn es so ist, daß Sie die Prognosen Ihrer Seite, also auch die Prognosen der wissenschaftlichen Institute der Krankenkassen als Grundlage für sicher halten, wäre es dann nicht sinnvoller, das Gesetzesregelwerk vorerst auf ein Jahr zu beschränken - so wie es auch der Vorschlag bei der Anhörung war - und dann unter Umständen das Ganze zu überdenken?
Schauen Sie: Die Zeitabstände umfassen ja nicht einmal ein Jahr, sondern sind viel geringer. Auf diesen Passus komme ich noch zu sprechen. Das Gesetz wird von ständigen Beobachtungen durch das Bundesgesundheitsministerium begleitet. Wir haben jederzeit die Möglichkeit, durch Verordnungen einzugreifen.
Auch Sie können letztendlich nur Behauptungen aufstellen und auf die Gefahren hinweisen, die entstehen, falls Ihre Befürchtungen Wirklichkeit werden. Da dies nach meinem Kenntnisstand und meinem Verständis - was ich auszuführen versucht habe - jedoch unwahrscheinlicher als das ist, was uns von der Bundesregierung vorgelegt wurde, bin ich der Meinung, daß wir den Gesetzentwurf verabschieden können.
Der Gesetzentwurf ist aber auch in anderer Hinsicht von besonderer Bedeutung. Dazu nenne ich drei Punkte.
Erstens. Wir können - und das ist das Entscheidende - die berechtigte Hoffnung hegen, daß es mit diesem Gesetz keine Versorgungsprobleme in den neuen Bundesländern mehr geben wird. Wir müssen schließlich bedenken, welche Assoziationen ein Zustand auslösen muß, der den Menschen in Ostdeutschland unverzichtbare wirksame Medikamente vorenthält, wo es bis jetzt zumindest im großen und ganzen eine ausreichende Arzneimittelversorgung gab. Im Zuge der Einheit Deutschlands darf es in dieser Frage keine Abstriche geben.
Zweitens. Die Liberalen wünschen sich ein Gesundheitswesen, das auf freiberuflich tätigen Ärzten, Apothekern und anderen Gesundheitsberufen ba982
siert. Der 55%ige Abschlag ist in diesem Sinne kontraproduktiv. Der Gesetzentwurf ist daher Teil unserer Bemühungen, die Privatisierung der Apotheken voranzubringen, also Leistungsanreize im Gesundheitswesen zu setzen, ohne die Kassenfinanzen zu gefährden.
Drittens. Der vorgegebene Sparzwang ist gerade in der Aufbauphase der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern geeignet, wirtschaftliche Verhaltensweisen nicht zuletzt bei Ärzten und Patienten zu fördern. Das entspricht ganz dem, was Sie hier soeben ausgeführt haben.
Ich mache kein Hehl daraus, daß wir die Einbeziehung der privaten Krankenversicherungen in den Regelungsbereich dieses Gesetzes gewünscht haben. Dies ist nicht zustande gekommen. Es lag nicht am Fehlen unseres Willens, das Gesetz um eine entsprechende Vorschrift zu bereichern. Vielmehr haben wir, die FDP, abwägen müssen, ob wir mit der Anmeldung weiteren Beratungsbedarfs das Gesetzgebungsverfahren so verzögern, daß das Gesetz nicht zum 1. April 1991 in Kraft treten kann. Wir haben uns entsprechend unserer Verantwortung entschieden, der Rechtssicherheit im Arzneimittelbereich den Vorrang vor unseren Wünschen zu geben, die ich - das betone ich noch einmal ausdrücklich - nach wie vor für vernünftig und sachgerecht halte.
({0})
Mit der Rechtssicherheit in diesem Bereich wird hoffentlich ein neues Beispiel dafür gegeben, daß die Selbstverwaltung durchaus in der Lage ist, die sie betreffenden Belange soweit zu regeln, wie sie Instrumente dafür hat. Mit diesem Gesetz schafft der Bundesgesetzgeber diese Voraussetzungen. Es ist nun an den Marktbeteiligten und den gesetzlichen Krankenversicherungen, den entsprechenden Rahmen zu füllen.
Der Erfolg dieses Gesetzes hängt aber ganz wesentlich auch vom Bundesgesundheitsministerium ab, das den Markt aufmerksam beobachten muß, um rechtzeitig Änderungen des Rabattsatzes per Verordnung vornehmen zu können. Mir ist völlig klar, daß dabei die Schwierigkeiten vor allem in der Rechtzeitigkeit der Anpassungen liegen. Wenn sie in zu kurzen Zeiträumen passieren, geht Planungssicherheit verloren; wenn man sie in zu großen Zeiträumen ändert, kommt es zu großen Sprüngen der Prozentsätze, und auch das kann niemandem genehm sein.
Wenig Verständnis hätte ich für ein Sonderopfer der Marktbeteiligten im Arzneimittelbereich zugunsten anderer Leistungsbereiche, weil die notwendigen Senkungen des Abschlags verzögert vorgenommen würden - ich unterstelle diese Möglichkeit - .
Ich versichere Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, der ungeteilten Aufmerksamkeit der Liberalen in diesem Punkt.
Meine Worte möchte ich nicht ohne ausdrücklichen Dank an den Kollegen Jagoda beenden. Er hat bei der Vorbereitung dieses Gesetzes sehr viel geleistet; ihm ist es zu einem großen Teil zu verdanken, daß es in
dieser Form und so zügig verabschiedet werden kann.
Insgesamt können wir als Liberale diesem Gesetzentwurf zustimmen. Er ist zugleich eine Korrektur einer bedauerlichen Fehlentscheidung im Zusammenhang mit den Beratungen über den Einigungsvertrag.
Hoffen wir, daß wir in Zukunft nicht mehr so oft Gesetze aus diesem Anlaß zu verabschieden brauchen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Ursula Fischer, PDS/Linke Liste.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im November 1990 wandten sich Vertreter der katholischen Arbeitnehmer-Bewegung im Erzbistum Köln an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit- und Sozialordnung mit der Bitte, „keiner Regelung zuzustimmen, die eine einseitige Belastung einer bestimmten Gruppe vornimmt" .
Bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch habe ich diesen für die Abgeordnetengruppe PDS/Linke Liste als unannehmbar abgelehnt. Reaktionen verschiedener beteiligter Partner, Stellungnahmen renommierter wissenschaftlicher Institute und letztlich die Diktion der öffentlichen Anhörung im Ausschuß für Gesundheit haben unseren Standpunkt aus unserer Sicht vollauf bestätigt.
Wie schon letztens angemahnt, spielte der Patient, um dessen sach- und zeitgemäße Versorgung es doch ausschließlich gehen sollte, wieder eine recht untergeordnete Rolle. Aber auch die verheerenden Wirkungen des Preisaufschlages auf die sich gerade privatisierenden Apotheken in den neuen Bundesländern rückten bisher kaum ins Blickfeld. Daher danke ich Ihnen für Ihre Worte.
Welche Kritikpunkte des Gesetzentwurfs fallen unserer Meinung nach nun besonders ins Gewicht?
Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen begrenzen - im Unterschied zur ursprünglichen Abschlagsregelung - den Solidarbeitrag - übrigens ein schönes Wort - von Pharmaindustrie, Großhandel und Apotheken nach mehreren Seiten.
Sie werden erst herangezogen, wenn die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern die Schwelle von 3,5 Milliarden DM 1991 überschreiten. Eine Berliner Forschungsgruppe „Gesundheitsrisiken und Präventionspolitik" unter Leitung von Dr. Rolf Rosenbrock bemerkt dazu treffend:
Das ist zwar mit dem Grundgedanken eines Solidarausgleichs nicht ohne weiteres kompatibel, hat jedoch den Charme der Einführung des Gedankens von Interessenquoten im Marktgeschehen.
Im Gegensatz zur ursprünglichen gesetzlichen Regelung des 55%igen Preisabschlags tragen Pharmaindustrie, Großhandel und Apotheken lediglich einen Teil des Risikos, der ungefähr die Hälfte des ursprünglichen Betrages ausmacht. Die Ersparnis dadurch beträgt mindestens 1 Milliarde DM pro Jahr.
Der Beitrag in den realistischerweise zu erwartenden Umsatzbereichen ist für die angesprochenen Bereiche zudem degressiv. Das nunmehr von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragende Defizit wird dementsprechend wahrscheinlich progressiv sein.
Die jetzt vorgesehene Regelung verfolgt das Ziel, die Pharmaausgab en der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen Bundesländern nicht über 15,6 % der dortigen Gesamtausgaben wachsen zu lassen. Selbst unter voller Ausschöpfung der Bundeszusage von 600 Millionen DM aus der Anschubfinanzierung wird dieses Ziel nur erreicht, wenn die Pharmaausgaben die Summe von 5,2 Milliarden DM zu Apothekenabgabepreisen nicht übersteigen. Jedes Überschreiten geht direkt zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Meine Frage ist: Und was dann? - Ich vermisse Regelungen und verlasse mich auch nicht auf etwaige spätere Verhandlungen. Außerdem wird die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Annahme von 5 Milliarden DM Pharmaausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von vielen Seiten als unrealistisch betrachtet. Auch das ist ein Grund für Ablehnung. Unter den genannten Umständen ist die Beitragsstabilität in den neuen Bundesländern sehr wahrscheinlich schon im ersten Jahr nur durch massive Subventionen - aber woher? - zu halten.
Angesichts der prekären und sich vorläufig auch nicht verbessernden Einkommenslage in den neuen Bundesländern wäre es für mich erforderlich gewesen, die Selbstmedikation in die gesetzlichen Regelungen einzubeziehen - auch um die Gefahr von Manipulationsgeschäften weiter vermindern zu helfen.
Ein ungebremster Preisanstieg auf diesem Sektor bei gleichzeitig gewährleistetem Sachleistungsprinzip im Bereich verschreibungspflichtiger Medikamente fördert natürlich das Ausweichen in die verschreibungspflichtigen Medikamente. Diese Wirkung kann wohl nicht gewollt sein.
Noch einige andere Aspekte: Der nächstes oder übernächstes Jahr drohende Ruin der ostdeutschen Pharmaindustrie wird wieder einmal - bekannter Mechanismus - als Panikmache abgetan.
Wir betrachten es allerdings als Hohn, wenn die CDU/CSU-Fraktion die Bereitschaft der Pharmaindustrie hervorhebt, den ihr abverlangten finanziellen Beitrag zur deutschen Einheit zu leisten. Wir sehen den Gesetzentwurf - wie breite Kreise der Öffentlichkeit - als politisch erfolgreiche Nötigung von Verfassungsorganen an.
({0})
Wenn 30 Pharmabetriebe im Osten mit rund 2 Milliarden DM Umsätzen noch rund 65 % der Marktanteile in den neuen Bundesländern haben und die 460 Pharmabetriebe des Westens bei insgesamt 24 Milliarden DM Umsatz 35 % der Marktanteile belegen, zeigt sich die wesentlich geringere Belastung der West-Betriebe sowohl absolut als auch relativ. Ergebnis wird eine weitere Verdrängung der Ost-Betriebe vom Markt der neuen Bundesländer und ein Vorstoß der Pharmaindustrie des Westens auf den osteuropäischen Markt sein.
Deshalb solidarisieren wir uns mit dem Hilferuf des Bundesverbandes der Pharmaindustrie, Landesverband Ost. Wir fordern die Deckung des Kassendefizits für ostdeutsche Unternehmen, auch mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt, um auf dem ostdeutschen Arzneimittelmarkt ein preiswertes Sortiment zu ermöglichen und einen Beitrag zur Versorgungsstabilität und Preissenkung im Gesundheitswesen zu leisten.
Ich fordere meine Abgeordnetengruppe auf, den Gesetzentwurf abzulehnen. Allerdings stimmen wir dem Antrag der SPD zu; denn das ist immerhin etwas.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Bernhard Jagoda ist von Herrn Dr. Menzel vorhin schon gelobt worden. Er hat nunmehr hier das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Schwere des Lebens angemessen freut man sich natürlich über jedes Lob, Herr Präsident. Das kann auch zur Humanisierung des Parlaments beitragen.
({0})
Daher möchte ich im Namen meiner Fraktion sagen: Natürlich - das haben auch die Beratungen in den Ausschüssen gezeigt - gehen wir mit unterschiedlichen Ausgangspositionen und auch mit unterschiedlichen Philosophien heran, Herr Kollege Dr. Knaape. Sie haben hier die Positivliste angesprochen. Es gibt Argumente dafür, die Sie ins Feld führen. Wir sind der Auffassung: Nein, die Positivliste ist nicht das richtige Instrument.
({1})
Wir sind dafür, daß jeder, der sich am Markt betätigen will und die Voraussetzungen erfüllt, dann auch in dem Bereich beitragen kann.
({2})
- Lieber Herr Kollege Dreßler, ich kenne Sie schon ein paar Jahre. Sie prophezeien mir das schon zehn Jahre lang. Es ist immer so richtig gewesen, wie wir das dargestellt haben!
({3})
- Lieber Mann, heute haben wir schon das Jahr 1991. Von daher sind das schon etwas mehr als zwei Jahre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, fahrplanmäßig - wie wir es uns vorgenommen haben - erreicht die Koalition das Ziel zum 1. April 1991, das bisher im Einigungsvertrag festgelegte System durch ein Rabattsystem abzulösen, um zu garantieren, daß eine Überforderung der gesetzlichen Krankenversicherung im Beitrittsgebiet nicht stattfindet.
Die Beratungen und auch die Anhörungen haben erbracht, daß es keine brauchbaren Alternativen gibt. Ich zumindest habe keine gehört.
({4})
Es gab Kritik. Es gab in diesem Bereich Anmerkungen, daß alles nicht stimmen würde.
({5})
- Herr Kollege Dreßler, wenn Sie sich so im Straßenverkehr benehmen, dann nehmen Sie sich einen Fahrer. Sonst habe ich mir um Ihre Gesundheit große Sorgen zu machen.
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte bei aller Kritik und bei aller Diskussion darüber, die natürlich geführt werden muß, diese Diskussion hier nutzen, um einmal ganz deutlich zu machen: Ob nun der BdO mit seiner Vorhersage von 7 Milliarden DM oder die Regierung mit 5 Milliarden DM recht behält, eins ist sicher: Die Versorgung der Bevölkerung in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist gesichert. Das ist doch das Entscheidende.
({7})
Nehmen wir einmal an - was wir uns nicht wünschen - , es würden Krankheitsbilder zu behandeln sein, die in der Medikamententherapie mehr erfordern als das, was sich die kühnsten Pessimisten hier vorstellen, auch dann ist ganz sicher: Egal, was passiert, die Versorgung der Bevölkerung mit allen zur Verfügung stehenden Präparaten ist gewährleistet.
Über die Einnahmen waren wir uns gar nicht uneinig. Herr Professor Pfaff hat von 22 Milliarden DM gesprochen.
({8})
- Ja sicherlich. - Bei den Ausgaben gab es unterschiedliche Auffassungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben nun aber die Möglichkeit, nicht nur von Prognosen, sondern auch von dem Ist-Ergebnis zu reden. Danach haben wir in den Ausschußberatungen gefragt. Das Ist-Ergebnis im zweiten Halbjahr 1990 beträgt für Arzneimittelausgaben 2 Milliarden DM. Darin war für Dezember noch eine größere Nachfrage eingeschlossen, weil man nicht wußte, was im Januar sein würde. Aber verdoppeln wir ruhig diese Zahl und schlagen noch eine ganze Milliarde DM als Sicherheitspolster darauf. Für mich spricht daher heute mehr für 5 Milliarden DM als für 6 bis 7 Milliarden DM; das ist aber für mich nicht der Streitpunkt. Selbst wenn es 7 Milliarden DM würden, hält dieses Gesetz das System, daß jeder versorgt wird.
Man muß zugeben - das haben wir nicht verschwiegen -, daß der Betrag, der entsteht, wenn die Alleinhaftung der Pharmaindustrie, des Großhandels und der Apotheken erschöpft ist, fifty-fifty geteilt wird. Dann wird die gesetzliche Krankenversicherung nicht, wie wir es vorhaben, mit 15,6 % des Beitragsaufkommens zurechtkommen. Es wird dann vielleicht etwas mehr sein.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie sich die Ist-Zahl des zweiten Halbjahres des Jahres 1990 ansehen, stellen Sie fest, daß die Ausgaben 10,9 Milliarden DM betrugen. Der Anteil von 2 Milliarden DM im Bereich der Pharmaindustrie belief sich also auf entscheidend mehr als 15,6 % . Wenn wir in diesem Bereich das Ergebnis aus dem zweiten Halbjahr 1990 auf das Jahr 1991 übertrügen, entspräche der Anteil für pharmazeutische Produkte aus der Beitragsschiene ({9}) - so will ich das einmal nennen - nicht 15,6 %; er läge bei fast 20%. Das ist die Situation.
Von daher sagen nicht die Prognosen, sondern die Ist-Zahlen, die für das zweite Halbjahr 1990 vorliegen, etwas aus.
Ich will Ihnen etwas zu den Einnahmen sagen: Diese 3,5 Milliarden DM, die hier immer wieder in der Diskussion genannt werden, basieren auf 22 Milliarden DM Beitragseinnahmen. Es ist doch unbestritten, daß die Tarifvertragsparteien in dem Beitrittsgebiet versuchen, in Dreijahresschritten das Lohnniveau des Westens zu erreichen. Das bedeutet Beitragsmehreinnahmen. Die Krankenversicherungen ziehen ab 1. Januar 1991 die Beiträge ein. Es zeichnet sich ab, daß sie die Beiträge besser einziehen, als es die Finanzämter getan haben. Das alles sind positive Zeichen, die wir nicht verdrängen sollten.
Außerdem: Die Festbetragsregelung gilt mit der Übertragung des SGB V ebenfalls in dem Bereich, über den wir hier reden.
({10})
- Ich bin der Auffassung, wir sind viel weiter gekommen, als Sie es sich je vorgestellt haben. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir dieses Problem heute nicht zu lösen; denn dann hätten wir die deutsche Einheit nicht hinbekommen.
({11})
Ich sage Ihnen: Da haben wir Hervorragendes geleistet.
Meine Damen und Herren, ich nenne noch einmal die Vorteile des Gesetzes, das wir jetzt verabschieden, wobei wir auch in der zweiten und dritten Lesung um Ihre Zustimmung bitten. Ab 1. April 1991 wird es in Deutschland einheitliche ApothekenabgabenBernhard Jagoda
preise geben. Die Akzeptanz der Marktbeteiligten ist gegeben, und akzeptierte Opfer werden leichter erbracht als erzwungene Opfer. Die wohnortnahe Versorgung kann als gut bezeichnet werden. Die Anhörung hat erbracht, daß die Verselbständigung der Apotheken Fortschritte macht, daß schon mehr als zwei Drittel privatisiert sind. Dieses Gesetz bedeutet auch eine Exporterleichterung für die Pharmaindustrie. Die Pharmaindustrie im Osten kann das Problem der Marktanpassung besser lösen. Die Mehrwertsteuermehreinnahmen kommen auch den öffentlichen Händen in den fünfeinhalb Beitrittsländern zugute. Die grauen Märkte können entscheidend beeinträchtigt werden.
Es spricht also vieles für diese Sache. Ein Restrisiko wird von mir nicht geleugnet. Damit die Menschen nicht noch mehr Angst bekommen, sage ich: Es braucht kein Mensch im Beitrittsgebiet Sorge zu haben. Wenn der Mediziner sagt: Das Präparat ist erforderlich, dann wird es auch bezahlt, egal wieviel bisher für Arzneimittel ausgegeben worden ist.
({12})
Nun komme ich zu Ihrer Entschließung. Der Einfachheit halber: Die Punkte 1 und 2 haben wir schon abgehandelt und abgelehnt; der Kollege Dr. Hoffacker hat dies für uns im Ausschuß gemacht. Ich komme deshalb zu dem dritten Punkt, den Sie einbringen; er ist neu. Die Bundesregierung soll aufgefordert werden, Deckungsvorsorge im Blick auf eventuelle Defizite im Bereich der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung zu treffen und die Leistungserbringer eindringlich zu Honorar- und Pflegesatzdisziplin zu ermahnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen: Ich möchte nicht, daß die Frau Minister Hasselfeldt mit dem drohenden Finger durch die Gegend läuft. Sie sollte ihren Charme gebrauchen, um eine Ausgewogenheit in der Gesundheitspolitik in Deutschland weiter fortzuentwickeln, aber dies nicht mit dem drohenden Zeigefinger tun. Dazu ist sie mir viel zu charmant. Daher werden wir auch den dritten Punkt Ihrer Entschließung leider ablehnen. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Ich danke.
({13})
Nunmehr hat das Wort der Abgeordnete Dr. Martin Pfaff, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Handelt es sich bei dieser Gesetzesvorlage wirklich um „praktikablere, die Krankenversicherung vor Überforderung schützende Instrumente", wie Herr Kollege Jagoda bei der ersten Anhörung gesagt hat und wie die Frau Bundesministerin heute wieder impliziert hat?
Wenn dem so wäre, Herr Kollege Jagoda, würden wir dem ja sehr gerne zustimmen.
Wird damit wirklich „ein angemessener Beitrag der Marktbeteiligten zum Defizitausgleich" erreicht? Wenn dem so wäre, würden wir diesen Gesetzesentwurf ja mittragen können. Aber beide Fragen sind eindeutig zu verneinen. Die Wahrheit sieht doch ganz, ganz anders aus.
Im Einigungsvertrag - und dies wurde ja schon mehrfach angesprochen - war ein 55%iger Preisabschlag als sogenannter Solidarbeitrag der Pharmabranche vorgesehen. Durch das jetzt vorgeschlagene System von Defizitausgleichen wird der Solidarbeitrag der Pharmabetriebe drastisch auf etwa die Hälfte reduziert. Und ich sage: Die Bundesregierung ist wiederum, wie schon beim Gesundheits-Reformgesetz, von der Pharmalobby über den Tisch gezogen worden. Das ist doch die Wahrheit, die traurige Wahrheit.
({0})
Natürlich ist es richtig, Herr Kollege Jagoda, daß die genaue Höhe des Solidarbeitrages, erstens, wesentlich von der Entwicklung der Pharmamengen und -preise abhängig sein wird. Und diese werden natürlich vor allem durch das Verschreibungsverhalten der Ärzte bestimmt. Zweitens sind die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in den neuen Ländern bei dem vorgegebenen Beitragssatz von der Grundlohnsumme - das ist völlig richtig - und damit von der Wirtschaftslage abhängig. Aber diese ist gerade nicht besonders rosig, Herr Kollege Jagoda. Ich habe in den Diskussionen des Arbeitskreises darauf hingewiesen, daß die Annahmen über die Beitragsentwicklung von 22 Milliarden vielleicht doch noch - nach unten - revidiert werden müßten.
Wie diese Größen auch immer ausfallen mögen - das ist doch der zentrale Punkt - , eines ist heute absolut klar: Die Pharmabetriebe sind gegenüber der ursprünglichen Regelung des Einigungsvertrages und vor allem gegenüber anderen Leistungsanbietern, den Ärzten beispielsweise, im Gesundheitswesen der neuen Länder ganz schön fein heraus. Denn können sie weniger Arzneimittel verkaufen als erwartet, dann müssen sie überhaupt keinen oder nur einen sehr geringen Solidarbeitrag entrichten. Das war ja doch wohl das eigentliche Ziel des Lieferboykotts.
({1})
Die Pharmabetriebe haben es jetzt mit der Bundesregierung geschafft, dieses eigentliche Ziel zu realisieren. Das ist die schlichte Wahrheit.
Und wie sieht es denn aus, wenn die Pharmabetriebe dann doch mehr Arzneimittel verkaufen können, auch wegen der Werbemaßnahmen, die ja in ihren eigenen Händen liegen? Dann, gerade dann ist der Solidarbeitrag im vorhinein begrenzt, und der von den Pharmabetrieben getragene Anteil nimmt mit steigendem Defizit der Krankenkassen ab, und der von den gesetzlichen Krankenkassen und damit von den Beitragszahlern zu tragende Teil des Defizits nimmt mit steigendem Umsatz progressiv zu.
Die Wirkungen, verehrter Herr Kollege Jagoda, sind keineswegs unsicher. Daran ändern auch die IstZahlen nichts. Richtig ist, daß wir die genaue Entwicklung weder der Einnahmen noch der Pharmaausgaben kennen. Aber das ist doch gar nicht der wesentliche Punkt. Der wesentliche Punkt ist: Wie auch immer die Entwicklung dieser Größen vor sich geht, die
Pharmabetriebe mogeln sich um den im Gesetz festgelegten Solidarbeitrag herum! Das ist die Problematik, und keine Verschleierung irgendwelcher Art kann uns von dieser Sache ablenken.
({2})
Dann frage ich wirklich alle Anwesenden, vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der anderen Seite des Hauses:
({3})
Ist dies denn wirklich die Art, wie die Defizite bei den Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im Beitragsgebiet vermieden werden können, wie die Vorlage vorgibt? Wir sagen: nein!
Die Gesetzesvorlage, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist leider - ich muß das so sagen, ich sage als Wissenschaftler „leider", weil ich mir vorgenommen habe, hier nicht mit Polemik zu glänzen, sondern mit Sachlichkeit - , in zweierlei Hinsicht eine Mogelpackung.
Erstens: Die vorgesehenen Maßnahmen stellen kein wirksames Instrument zum Schutz der Krankenkassen und damit der Beitragszahler dar; denn die Defizite sind unausweichlich. Damit sind auch die Beitragssteigerungen unausweichlich vorprogrammiert. Dadurch werden übrigens auch das von Ihnen so hochgelobte Gesundheits-Reformgesetz und die darin enthaltene Beitragssatzstabilität sehenden Auges - ich sage das heute schon - spätestens ab Anfang 1992 unterlaufen. Das und nur das ist doch die logische Konsequenz dieser Maßnahmen.
Zweitens: Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung läßt zu, daß sich die Pharmabetriebe erfolgreich um einen wesentlichen Teil des vorgesehenen Solidarbeitrags drücken können. Das ist - das wird Sie, Herr Kollege Jagoda, jetzt überraschen - nicht etwa deshalb so, weil das zugrunde liegende Modell des Defizitausgleichs vom Ansatz her zu verwerfen wäre. Der Grund ist vielmehr, daß die Prozentwerte, die Sie in dieses Gesetz hineingeschrieben haben, dies ermöglichen. Sie sagen: Es gibt keine Alternative dazu. Ich sage: aber ja! Es wäre doch so einfach, diesen Gesetzentwurf in § 311 a Abs. 1 und Abs. 2 zu modifizieren. Wenn es eine Zwischenfrage gäbe, könnte ich darauf eingehen, welche Prozentsätze notwendig wären, um das vorgegebene Ziel des Einigungsvertrages wirklich realisieren zu können. Dann wären die Richtwerte des Einigungsvertrags schon realisierbar.
({4}) Ja, doch, selbst mit Ihrem Ansatz:
In den Aussagen der geschätzten und charmanten Frau Bundesministerin:
({5})
- Wir können uns in diesem Punkt auf jeden Fall einigen; das meine ich schon.
Die Aussagen der Sachverständigen haben nämlich keineswegs darauf hingewiesen, daß es keine Alternativen gibt. Es wurde folgendes gesagt:
Erstens: Das vorgegebene Ziel wird durch die in der Gesetzesvorlage enthaltenen Instrumente eben nicht realisiert.
Zweitens: Die Modellannahmen, die der Gesetzesvorlage zugrunde liegen, sind falsch.
Drittens: Dadurch wird notwendigerweise der Beitragssatz steigen müssen. Das ist die bittere Wahrheit.
Leider wird die Zielsetzung dieses Gesetzes durch die Konstruktion und durch die Wahl der Instrumente unterlaufen. Das darf uns vielleicht doch gar nicht so sehr verwundern; denn was uns die Regierung und die Koalition vorgelegt haben - das darf ich Ihnen ins Gedächtnis rufen - , ist eben das Ergebnis eines brutalen Arzneimittellieferboykotts und eines Lobbykompromisses. Das ist doch die Wahrheit!
({6})
Hier wird das Vertrauen der Menschen in den neuen Ländern mißbraucht. Das Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie, ja unserer Sozialen Marktwirtschaft, wird in Frage gestellt. Ich frage mich wirklich, ob wir angesichts dieser Pharma-Farce und dieser - das Wort Nötigung ist schon gefallen, und ich will es nicht noch einmal wiederholen - - ({7})
- Ich empfinde es jedenfalls als blanken Hohn, wenn nicht nur der Herr Kollege Jagoda für die CDU/CSUFraktion bei der ersten Lesung des Gesetzes, sondern auch die Frau Bundesministerin „einen herzlichen Dank den Verantwortlichen aus der Pharmaindustrie, dem Großhandel und der Apothekerschaft" dafür ausspricht, daß sie gute Geschäfte mit gleichzeitiger Risikobeschränkung machen dürfen. Wenn Sie, verehrte Frau Bundesministerin, diesen über einen Lieferboykott, über einen Streik zu Lasten der kranken Menschen in den neuen Ländern erzwungenen Kniefall der Regierung als Konsenslösung bezeichnen, dann frage ich mich wirklich, was das alles soll.
({8})
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei unterstützt jede Verbesserung, die wirklich dazu beiträgt, rasch und wirksam eine gleiche Versorgung in den alten und neuen Ländern - gerade im Gesundheitsbereich - herzustellen. Aber da muß die Bundesregierung einiges zur Kenntnis nehmen, nämlich daß es eben nicht reicht, unser System der gesetzlichen Krankenversicherung mit all seinen Strukturproblemen den Menschen in den neuen Ländern überzustülpen. Daß dies notwendigerweise zu denselben, ja noch zu gravierenderen Problemen führen muß, als dies in den alten Ländern schon beobachtbar ist, ist klar.
Die Bundesregierung muß auch zur Kenntnis nehmen, daß angesichts der dramatischen Einbrüche in der Beschäftigung, die wir ja leider beobachten müssen, von viel niedrigeren Durchschnittslöhnen auszugehen ist, daß auch ein festgelegter Beitragssatz nicht ausreicht, und daß die vorgesehene Form der Deckelung nicht ausreicht, solange die Strukturprobleme
auf der Anbieterseite nicht wirksam gelöst worden sind.
Wie lange wird diese Bundesregierung noch die Augen vor solchen Realitäten verschließen? Die Realitäten werden uns sehr bald zwingen, uns mit diesen und ähnlichen Fragen auseinanderzusetzen. Denn die Problematik, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die wir heute behandeln, stellt doch eigentlich nur die Spitze des Eisbergs dar. Es werden noch viele andere Steuerungsprobleme in den neuen Ländern schon in den kommenden Monaten - und sicher auch in den kommenden Jahren - auf uns zukommen. Deshalb fragen wir Sie: Soll das Beispiel der Pharmabranche Schule machen? Würde diese Regierungskoalition vor den Ärzten in den neuen Ländern ebenfalls in die Knie gehen, wenn von ihnen ein Behandlungsboykott angekündigt würde?
({9})
Oder plant die Bundesregierung eine Abkehr von der Politik der Beitragssatzstabilität vor allem in den neuen Ländern? Das wäre in der Tat eine Aushöhlung der Zielsetzung des Gesundheits-Reformgesetzes.
Kolleginnen und Kollegen, leider muß ich heute bei meiner „Jungfernrede" dies konstatieren: Dies ist nicht die Stunde des Parlaments. Dies ist eher die Stunde einer mächtigen Lobby, der es wiederum gelungen ist, zuerst den Herrn Bundesarbeitsminister und dann die regierungstragenden Fraktionen in die Knie zu zwingen. Dies aufzuzeigen und dagegen zu kämpfen, zählt ebenfalls zu den Aufgaben der Opposition im 12. Deutschen Bundestag.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch auf den Drucksachen 12/57, 12/174 und 12/215.
Ich rufe die Art. 1 und 2 in der Ausschußfassung sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den auf gerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit den Stimmen der FDP- und der CDU/ CSU-Fraktion bei Enthaltung der Sozialdemokraten und der Gruppe der PDS angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der PDS und einer Abgeordneten der SPD sowie bei Enthaltungen aus der SPD-Fraktion angenommen.
Meine Damen und Herren, nachdem dieser Gesetzentwurf angenommen ist, gehe ich davon aus, daß damit der gleichlautende Regierungsentwurf auf Drucksache 12/206 für erledigt erklärt ist, wie es der Herr Berichterstatter vorgeschlagen hat. Ich hoffe, daß wir darin übereinstimmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verhält es sich so.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/227 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag der SPD mit den Stimmen der CDU/ CSU- und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen damit zum Zusatztagesordnungspunkt 4:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 12/222 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Abgeordnete Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe, einen in 40 Jahren sozialistischer Kommandowirtschaft heruntergewirtschafteten Arbeitsmarkt in eine funktionsfähige Soziale Marktwirtschaft umzugestalten, kann nicht in Jahresfrist bewältigt werden. Dazu ist der Schaden, dessen Beseitigung uns überlassen wurde, zu groß. Dieser Schaden ist viel zu groß, als daß es in Monaten möglich wäre, ihn zu beheben.
Dies gilt insbesondere für die durch diesen Umstellungsprozeß bedingten Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Es ist eine der elementarsten Aufgaben, die Arbeitsmarktpolitik in den sechs neuen Bundesländern sozial verträglich zu gestalten. Dazu hat bisher die Sonderregelung über das Kurzarbeitergeld nach dem geltenden Recht in den neuen Ländern, die bis zum 30. Juni gilt, beigetragen. Voreilige Entlassungen und eine noch höhere Arbeitslosigkeit konnten dadurch vermieden werden, notwendige Betriebsänderungen konnten erleichtert und von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer konnten beruflich qualifiziert werden.
Der zunächst angenommene Zeitraum von einem Jahr ist zu kurz, um mit Hilfe dieser Sonderregelung für das Kurzarbeitergeld Beschäftigungseinbrüche noch größeren Umfangs zu vermeiden. Im Interesse der von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer muß die Geltung dieser Sonderregelung für Bezieher von Kurzarbeitergeld bis zum Ende des Jahres 1991 ausgedehnt werden.
Im einzelnen wird folgendes verbessert: Die Zeit des Arbeitsausfalls kann mehr als bisher zur beruflichen Qualifizierung der betroffenen Arbeitnehmer genutzt werden. Dies ist auch Teil eines Motivierungsprozesses. Insbesondere Arbeitnehmern mit einem Arbeitsausfall zwischen 50 und 100 % der Arbeitszeit wird die Bundesanstalt für Arbeit die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen anbieten.
Entgeltzahlungen des Arbeitgebers, durch die der Arbeitnehmer zusammen mit dem Kurzarbeitergeld bis zu 90 % seines vorherigen Nettoarbeitsentgelts erhält, haben sich als motivationshemmend für eine Teilnahme an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen erwiesen. Dies ist nicht der Weisheit letzter Schluß. Deshalb wird in diesen Fällen künftig nur die Arbeitgeber-Leistung - ähnlich wie Nebeneinkommen nach § 68 Abs. 5 AFG - auf das Kurzarbeitergeld angerechnet werden. Dies gilt, wenn die Leistungen mit dem Kurzarbeitergeld drei Viertel des ausgefallenen Entgelts übersteigen.
Die Frist für den Bezug des Kurzarbeitergeldes wird bis zum 31. Dezember 1991 verlängert, so daß dieser Vorschlag eine Verlängerung der Bezugsfrist bis zu 18 Monaten bedeutet.
Die zu erwartende ungünstige Arbeitsmarktlage in den neuen Ländern wird in großem Umfange den Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch über das Jahr 1991 hinaus erforderlich machen. 278 000 AB-Stellen können nun eingerichtet werden. Das ist ein Angebot, das sicherlich gerne wahrgenommen wird, insbesondere von den potentiellen Trägern der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Ich denke hierbei vor allem an Städte, Gemeinden, Kreise und an die Länder. In Zukunft wird der eine oder andere Träger sicherlich von diesem Angebot Gebrauch machen. Wir stellen fest, daß hier über die Regelungen hinaus, die es in den alten Bundesländern gibt, noch günstigere Förderungsbedingungen angeboten werden. Der Herr Staatssekretär Günther hat das soeben in einem anderen Zusammenhang zum Ausdruck gebracht.
Die neuen Bundesländer und der Ostteil Berlins durchlaufen einen tiefgreifenden Strukturwandel. Die früher verdeckte hohe Arbeitslosigkeit tritt immer offener zutage. Alte Arbeitsplätze fallen schneller weg, als neue entstehen. Finanzielle Mittel für berufliche Bildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kurzarbeit, Leistungen nach dem Vorruhestandsgesetz sowie die Altersteilzeit stehen für die neuen Länder zur Verfügung. Hier ist immerhin eine Summe von 23 Milliarden DM verfügbar. Wir brauchen jetzt den durchschlagenden Erfolg, die durchschlagende Wirkung in den Städten und Gemeinden.
Dies ist nicht nur eine finanzielle Frage. Dies ist auch eine Frage der personalen Ausgestaltung. Die Menschen dort brauchen unsere Hilfe. Deshalb begrüße ich es sehr, daß die Länder die Betreuung derjenigen wahrnehmen, die in den Kommunen und in den Parlamenten die Verantwortung übernommen haben, nachdem sich die Ehemaligen davongeschlichen haben. Ich denke hier an Landräte und an Bürgermeister, die sich schwertun, den Schaden vor Ort zu reparieren. Ich denke aber auch an die Verantwortlichen der Arbeitsämter und der Kammern. Ja, wir müssen diese Menschen befähigen, mit den Instrumenten umzugehen. Dies ist gar nicht so einfach. Geld alleine reicht nicht. Das ist unser aller Aufgabe, im übrigen auch die Aufgabe der Opposition. Es geht hier um eine Betreuung. Es geht hier nicht um die Einbahnstraße des An-die-Hand-Nehmens, sondern darum, daß wir diesen Menschen die Möglichkeit geben, die Soziale Marktwirtschaft auch wirklich nachzuvollziehen.
({0})
- Das hätten Sie ja schon längst machen können. Sie hatten fast 45 Jahre Zeit. Das wäre gar kein Problem gewesen.
Die Bundesregierung hat bereits vielfältige Hilfen und Anstöße gegeben, um den Investitionsaufschwung in Gang zu setzen. Bei einigen Maßnahmen ist die Wirkung schon erkennbar. Aber es ist notwendig, die öffentliche Nachfrage noch weiter zu forcieren. Dies ist nur möglich, indem wir die öffentliche Hand in den Stand versetzen mitzuwirken. Hier wird zugleich ein Aufbruch deutlich, der möglicherweise die zunehmende Resignation überwindet. Dazu sollten wir alle beitragen. Es ist auch eine Frage, wie wir miteinander zu diesem Thema stehen. Wir sollten Resignation nicht noch geradezu provozieren. Hierfür wird das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost geschaffen, durch das die Initialzündung für eine schnelle Beschäftigungswirkung erzielt werden soll.
Ein weiterer Punkt in dem Gesetz, das ich hier einbringe, ist die Änderung des § 128 AFG. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erstattungsregelung des § 128 AFG, wonach der Arbeitgeber das für von ihm entlassene ältere Arbeitnehmer zu zahlende Arbeitslosengeld zu erstatten hat, im Grundsatz bestätigt. In der Begründung allerdings ist das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, daß den Arbeitgeber nur dann eine Erstattungspflicht treffen kann, wenn eine besondere Verantwortung für die Freisetzung des Arbeitnehmers vorliegt.
Dies führt sowohl in den abgewickelten und durch Verwaltungsakte beschiedenen Fällen als auch in zukünftigen Fällen zu nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten. Ein stärkerer Anstieg der Zahl der Gerichtsprozesse ist zu befürchten. Für die Vergangenheit machen besonders die Fälle Schwierigkeiten, in denen die ausgeschiedenen Arbeitnehmer neben dem Arbeitslosengeld auch Krankengeld hätten beanspruchen können. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die Erstattungspflicht nicht greift, wenn der ausgeschiedene Arbeitnehmer in der Vergangenheit neben Arbeitslosengeld auch eine andere Sozialleistung hätte in Anspruch nehmen können.
Nach den Gesprächen mit den Tarifvertragsparteien und nach einmaliger Zahlung einer Summe zur Abgeltung ist ein allgemeiner Konsens erzielt worden. Danach wird dem Gesetzgeber vorgeschlagen, die Erstattungspflicht nach § 128 AFG aufzuheben. Die Zielsetzung des AFG, das vorzeitige Ausscheiden älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbs- und ArbeitsleHeinz Schemken
ben zu Lasten der Sozialversicherung zu erschweren, gilt allerdings fort. Der Wegfall des § 128 AFG bedingt eine Übergangsregelung, wodurch die Einzelheiten im neuen § 239 AFG geregelt sind.
Zur Sprachförderung möchte ich sagen, daß die Aufwendungen für die Sprachförderung von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen durch dieses Gesetz auf die notwendige Zeit begrenzt werden sollen. Das im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom Goethe-Institut entwickelte Curriculum hat gezeigt - dies ist in zahlreichen Modellversuchen belegt worden -,
({1})
daß für die Deutsch-Sprachlehrgänge die bisher vorgegebene Zahl von Monaten nicht notwendig ist. Dabei wurde festgestellt, daß die Betroffenen den Alltagssituationen bereits nach acht Monaten sprachlich gewachsen sind und daher in Arbeit vermittelt werden können, ja sogar darüber hinaus grundsätzlich an beruflichen Bildungsmaßnahmen teilnehmen können. Allerdings scheint es uns in gewissen Fällen notwendig zu sein, daß dann die berufsspezifische Fachsprache im Rahmen einer sich anschließenden beruflichen Bildungsmaßnahme mit vermittelt werden kann. Das ist so ein Stück Motivierung, daß man nicht zwölf Monate auf der Schulbank sitzt, sondern gleichsam über die manuelle Tätigkeit auch auf diesem Gebiet Zugang findet zur Überwindung der sprachlichen Barriere.
Der Gesetzentwurf ist hinsichtlich seiner Regelungen auch zum Kurzarbeitergeld kostenneutral. Die Regelungen zur Förderung von Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung werden zwar zu Mehrausgaben führen, sind aber durch das Gemeinschaftswerk abgedeckt.
Die Herabsetzung der Förderungshöchstdauer bei der Sprachförderung führt zu einer Einsparung von 100 Millionen DM.
Die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen führen zu keiner kostenmäßigen Belastung des Bürgers und der Wirtschaft. Auswirkungen auf die Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere für die Verbraucher, sind nicht zu erwarten.
Wir bitten um eine zügige Beratung dieser Gesetzesvorlage, damit die Änderungen des AFG so rasch wie möglich umgesetzt werden können. Die Menschen warten auf ein positives Signal. Es ist in diesen Tagen so viel Negatives gesagt worden. An dieser Novellierung können wir wieder miteinander arbeiten und schnell Akzente setzen. - Schönen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nun der Abgeordnete Manfred Reimann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Während in den alten Bundesländern die Wirtschaft boomt, werden die fünf neuen Länder zu einem Notstandsgebiet. Es ist erschütternd zu lesen, daß die Selbstmordrate steigt, daß die steigende Arbeitslosigkeit zunehmende Hoffnungslosigkeit beinhaltet - provokativ formuliert: in den neuen Ländern, die mit so viel Vertrauen CDU gewählt haben.
Sicher ist es richtig, Kollege Schemken, daß die SED das Land heruntergewirtschaftet hat; aber die Bundesregierung ist mit ihrem einjährigen, halbherzigen Handeln am totalen Zusammenbruch der ehemaligen DDR nicht unschuldig. Jetzt so zu tun, als handele es sich in der ehemaligen DDR um eine ganz normale Arbeitslosigkeit, um einen Umstellungsprozeß, der arbeitsmarktgerecht und sozial verträglich überwunden werden soll - ({0})
- Herr Heinrich, das ist das Zukleistern der Unterlassung rechtzeitiger Maßnahmen und Hilfen, nicht zuletzt insbesondere Ihrer Partei.
({1})
Mit der Elften Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes, welches anscheinend in einer kurzfristigen Aktion erarbeitet wurde, Herr Staatssekretär - denn erst am Dienstag dieser Woche wurde sie den Abgeordneten zugestellt - , will die Bundesregierung - ich zitiere - weiterhin einen maßgeblichen Betrag zur Vermeidung und Abbau von Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern leisten. Nun frage ich: Wo wird denn eigentlich die Arbeitslosigkeit abgebaut, wenn ich die Leistungen der Arbeitslosengeldzahlung um ein halbes Jahr verlängere, wobei hinzuzufügen ist, daß das halbe Jahr sicherlich mit Abstand nicht reichen wird?
({2})
Wir werden uns sehr früh wieder darüber unterhalten, daß das nicht reichen wird.
Der Bundesminister hat am 17. Mai 1990 erklärt, die Anschubhilfe für den Aufbau einer vergleichbaren sozialen Sicherheit in der ehemaligen DDR sei eine gesamtstaatliche Aufgabe und dürfe nicht den Beitragszahlern in der Bundesrepublik aufgebürdet werden. So hat Herr Blüm gesagt. Schaut man sich aber die vorliegende Novelle an, muß man sich fragen: Warum wird denn mit den Kosten der notwendigen Maßnahmen die Bundesanstalt für Arbeit belastet, das heißt: Warum werden nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Kosten belastet? Es bedeutet ja konkret, daß dies aus der Tasche der Sozialversicherten bezahlt wird,
({3})
während Beamte, Selbständige, Menschen mit hohem Einkommen grundsätzlich davon befreit sind.
({4})
Da muß man mal den Minister Blüm fragen: Ist das denn sozial gerecht? Oder müssen nicht auch Sie zugeben, daß damit die Umverteilung von unten nach oben fortgesetzt wird und damit das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Erwirtschafteten immer mehr absinkt?
Das Argument, daß nur die Zuwachsraten bei Lohn und Gehalt etwas niedriger ausfallen, wie das heute morgen Herr Geißler gesagt hat, hebt das Argument nicht auf, daß wir die niedrigste Nettolohn- und Gehaltssumme mit einem Anteil von 55,4 % am Erwirtschafteten nach 1945 erreicht haben, und es geht mit diesem Gesetz weiter abwärts.
Nach den Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft geht die Zahl der Beschäftigten in den fünf neuen Ländern bis 1992 um 3,6 Millionen zurück. Diese Menschen haben nur dann eine Chance, wieder ins Berufsleben zurückkommen zu können, wenn die Wirtschaft aufgebaut wird und sie den neuen Qualifizierungsanforderungen gerecht werden.
Tatsache ist aber, daß für die neuen Qualifizierungsmaßnahmen in den neuen Ländern keine ausreichenden Erkenntnisse vorliegen. So wird der Anspruch der Regelung wahrscheinlich weit hinter dem Bedarf zurückliegen.
Das vorliegende Gesetz ist einmal mehr,
({5})
ich sage es ganz hart: ein Reparaturgesetz, das die bisherigen Defizite und Versäumnisse der Bundesregierung ausgleichen soll.
({6})
An Stelle einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die aus Steuermitteln zu finanzieren wäre, werden die Kosten für die Schäden, die mit dieser Novelle repariert werden sollen, erneut auf die Beitragszahler, die arbeitenden Menschen, abgewälzt.
({7})
Eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist nach unserer Meinung - das sagen wir oft - durch eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe von allen zu finanzieren. Wenn ich von „allen" sage, dann meine ich damit auch den Selbständigen, den Arzt, den Rechtsanwalt und den Unternehmer, eben alle gesellschaftlichen Gruppen, auch die Beamten.
({8})
- Ich habe etwas dagegen, daß Sie so viel von Solidarität tönen, aber dann nur eine Gruppe in der Gesellschaft belasten und den anderen Geld zurückgeben.
({9})
Ich sage, weil ich zur achten und neunten Novelle gesprochen habe, auch etwas zu den Maßnahmen für die Sprachförderung. Ich wiederhole mich: Es ist nicht einzusehen, daß, wenn deutsche Aussiedler Deutsch lernen - was zweifellos wichtig ist - , dies auf Kosten der Bundesanstalt geschieht; das ist nicht einzusehen.
({10})
Wenn Aussiedler Deutschkurse besuchen müssen, dann ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für alle Deutschen.
({11})
Dann müssen alle für diese Kosten geradestehen und nicht nur die Arbeitnehmer durch ihre Beiträge.
({12})
Wenn die Finanzierung, durch den Arbeitsminister gefordert, über die Bundesanstalt läuft, dann muß man, meine ich, versuchen, dies unter dem Stichwort Qualifizierungsmaßnahmen, z. B. Qualifizierung im Bereich von Kurzarbeit - Kurzarbeit Null ist ein neuer Begriff in der Arbeitslosigkeit - , entsprechend zu rationalisieren.
({13})
Bei den für Sprachkurse ausgewiesenen Beträgen handelt es sich nicht - wie man umgangssprachlich sagen könnte - um Kleckersümmchen. Allein für 1991 sind bei der Bundesanstalt für Arbeit 2,6 Milliarden DM - Tendenz steigend - für diese Aufgaben vorgesehen - ein wahrlich stattlicher Betrag, wenn man ihn mit anderen Etatposten vergleicht.
Das ist immerhin fast ein Zehntel der für alle fünf neuen Länder zusammen von der Bundesanstalt für Arbeit vorgesehenen 28 Milliarden DM. Bei 2,6 Milliarden DM Ausgaben 100 Millionen DM einzusparen ist geradezu lächerlich.
({14})
Dabei scheint nicht abgesichert zu sein, ob die Maßnahme der Leistungskürzung, die Kursdauer von zehn auf acht Monate zu reduzieren, sinnvoll ist.
Noch einmal zur Verlängerung des Bezugszeitraums für Kurzarbeitergeld bis zum Ende des Jahres, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank: Glauben Sie allen Ernstes, daß sich bis Anfang des kommenden Jahres die Arbeitsmarktprobleme verflüchtigt haben? Selbst die Industrie, die Ihnen unbestreitbar wohlgesinnter sein wird als meine Partei und die Gewerkschaften, teilt die traurige Auffassung, daß dann erst die Talsohle - oder der Höhepunkt; je nach Standpunkt - der Arbeitslosigkeit erreicht sein dürfte.
Deshalb möchten wir von der sozialdemokratischen Partei schon bei der Einführung des Gesetzes darauf hinweisen, daß gleichzeitig mit der Zahlung des Kurzarbeitergeldes die Menschen für die Tätigkeit qualifiziert werden müssen, die ihnen in der Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz verspricht.
({15})
Das Ziel einer solchen Weiterbildungsmaßnahme kann nicht allein, wie ich gelesen habe, das Lernen von bloßen Bewerbungsschreiben sein.
Deshalb frage ich: In welche Richtung werden denn Menschen überhaupt weitergebildet? Hat die Bundesregierung Untersuchungen oder Expertisen? Habt ihr so etwas über die Verwendung der Arbeitnehmer in den neuen Ländern? Dann legt es doch mal auf den Tisch!
Wenn ja, zu welchen Ergebnissen sind denn die Experten gelangt? In der Beratung könnten Sie sich
dazu äußern. Mir scheint, daß die Qualifizierung wie bei uns auch häufig nicht den Anforderungen der Wirtschaft oder des Handwerks entspricht. Dann aber würden die von der Bundesanstalt gezahlten Gelder lediglich eine Art der Sozialhilfe bedeuten, und dafür wäre ebenfalls der Bund und nicht die Bundesanstalt zuständig.
Das mögliche Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen begrüßen wir sehr, wobei bei dem Finanzbankrott der Gemeinden wohl nur die hundertprozentige Maßnahme in Frage kommt. Ob die Wirtschaft 90 To verkraften kann, lasse ich offen. Jedoch muß auch hier das Ziel gelten, Menschen in Arbeit zu bringen und nicht bestehende Arbeitsplätze zu finanzieren, z. B. Krankenschwestern in Krankenhäusern. Die sind sowieso zu bezahlen.
({16})
Hier kann ich mir die Anmerkung nicht verkneifen, daß es auch bei uns noch Gemeinden mit hoher Arbeitslosigkeit gibt und daß es auch hier angebracht wäre, wieder darüber nachzudenken, ob man von der 70%igen Förderung wieder abgeht, auf die 90- bzw. 100%ige Förderung, um den schwachen Gebieten auch in den alten Ländern Rechnung zu tragen.
Vieles wird also auch in den Ausschüssen zu beraten sein. Wir sind für die Überweisung, wir sind für die Beratung und werden dort unsere Gedanken und Positionen einbringen.
({17})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Günther.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verlängern wir das arbeitsmarktpolitische Solidaritätsbündnis mit den Arbeitnehmern in den neuen Bundesländern. Wir führen unsere entschlossene, kreative und vernünftige Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern fort und leisten damit einen entscheidenden Beitrag dafür, daß die historische Uraufführung der Umstellung von einer Planwirtschaft in die Soziale Marktwirtschaft gelingt.
({0})
Kollege Reimann, wenn Sie von Halbherzigkeit sprechen, dann erinnere ich mich gerne an die Arbeits- und Sozialministerkonferenz gestern in Berlin, die einhellig über alle Bänke hinweg der Bundesregierung für die hervorragenden Beschlüsse gedankt hat, die wir gefaßt haben. Wenn Sie das nicht glauben, schenke ich Ihnen die Entschließung; da können Sie das alles nachlesen.
({1})
Wir haben uns jedenfalls dafür auch bedankt, und ich meine, nur gemeinsam kann es gehen.
Wenn Sie auf der einen Seite den Vorwurf erheben, wir hätten in aller Eile Ihnen diesen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt, und vorher klagen, alles dauere viel zu lange, dann müssen Sie sich mal einig werden, was Sie möchten: schnell oder langsam. Wir handeln schnell, und das ist meines Erachtens viel besser.
({2})
Wir wollen daher - das sind die beiden Kernstücke des Gesetzentwurfs - die Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld und die Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet verlängern, die sonst am 30. Juni 1991 auslaufen würden. Die Regelung für den erleichterten Bezug von Kurzarbeitergeld wird bis zum Ende 1991 und die Regelung für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis Ende 1992 verlängert.
Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf aber nicht nur eine bloße Verlängerung, dieser Kurzarbeitersonderregelung, sondern wir wollen etwas dazu tun, damit der Arbeitsausfall stärker für Qualifizierungen genutzt wird, vor allem für jene Kurzarbeiter, die nur zur Hälfte oder gar nicht arbeiten. Ihnen sollen daher durch das Arbeitsamt Qualifizierungsmaßnahmen angeboten werden. Wir stellen mit dem Gesetzentwurf noch einmal klar, daß die Ablehnung einer angebotenen Qualifizierungsmaßnahme ohne wichtigen Grund eine Sperrzeit zur Folge haben kann, d. h. daß während dieser Sperrzeit kein Kurzarbeitergeld gezahlt wird.
Wir rücken noch etwas zurück, was die Motivation zur beruflichen Weiterbildung beeinträchtigt hat: Betriebliche Aufstockungsleistungen des Kurzarbeitergeldes werden angerechnet. Die Anrechnung erfolgt, wenn die Summe aus den Aufstockungsleistungen des Arbeitgebers und dem Kurzarbeitergeld 75 % des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts übersteigt. Um die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen attraktiver zu machen, soll allerdings eine Anrechnung von betrieblichen Aufstockungen unterbleiben, wenn man sich an einer solchen Qualifizierungsmaßnahme beteiligt. Der Anreiz zur Qualifizierung ist also in jedem Fall gegeben.
Auch wollen wir im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost die gegenüber den alten Bundesländern günstigeren Förderungsbedingungen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis Ende 1992 verlängern. Günstigere Förderungsbedingungen heißt u. a. die unbeschränkte Regelung über den ABM-Lohnkostenzuschuß in Höhe von 100 %. Hier, Kollege Reimann, treffen sich sicherlich unsere Gedanken, daß das in den allermeisten Fällen so sein wird. Mit den weiteren Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost in Höhe von 2,5 Milliarden DM 1991 und 3 Milliarden DM 1992, mit denen auch die Sachkosten der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bezuschußt werden können, haben wir ein arbeitsmarktpolitisches Kraftpaket für mehr Beschäftigung in den neuen Ländern geschnürt.
Damit können notwendige Infrastrukturmaßnahmen z. B. auch im sozialen oder im Umweltbereich in Angriff genommen und - Herr Kollege Schemken hat es schon gesagt - 278 000 Arbeitslosen eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme angeboten werden. Wie das zu geschehen hat, habe ich eben schon zum vorvorgehenden Tagesordnungspunkt gesagt: Es ist
wichtig, jetzt zu handeln, erstens vor Ort, zweitens sofort. Kommunen, Sozialpartner, Verbände und Kirchen, Betriebe, die Arbeitsverwaltung, sie alle müssen vor Ort in Kooperation und in sozialer Partnerschaft tun, was notwendig und möglich ist. Die Bundesregierung tut selbstverständlich ihr übriges. Auch die Abgeordneten sind aufgefordert, sich in diese Aktion persönlich einzuschalten.
Außerdem sollen mit diesem Gesetzentwurf noch zwei weitere Dinge geregelt werden. § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes und die entsprechenden rentenrechtlichen Regelungen, wonach Arbeitgeber, die 59jährige und ältere Arbeitnehmer freisetzen, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Rentenleistung erstatten müssen, werden aufgehoben. Die Anwendung dieser Regelung führt nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 1990 zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Erstattungsregelung zwar im Grundsatz bestätigt, in der Begründung ist jedoch davon ausgegangen worden, daß den Arbeitgeber nur dann eine Erstattungspflicht treffen kann, wenn ihn eine besondere Verantwortung für die Freisetzung des Arbeitnehmers trifft. Die in § 128 AFG normierten Befreiungstatbestände seien deshalb aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weit auszulegen. Das führt zu nahezu unüberwindbaren Schwierigkeiten in der Durchführung der Vorschriften. Ein starker Anstieg vor allen Dingen der Gerichtsprozesse wäre zu befürchten. Aus diesen Gründen ist auch nach den Gesprächen mit den Tarifvertragsparteien und nach Zahlung einer einmaligen pauschalen Summe durch die Arbeitgeberseite zur Abgeltung von ausstehenden streitigen Erstattungsforderungen ein allgemeiner Konsens erzielt worden, dem Gesetzgeber vorzuschlagen, die Erstattungspflichten nach § 128 aufzuheben. Gleiches gilt für die entsprechenden rentenrechtlichen Regelungen.
Im Zuge der Aufhebung des § 128 AFG und der entsprechenden rentenrechtlichen Regelungen werden die bisher auf diesen Rechtsgrundlagen ergangenen Verwaltungsakte, deren Zahl sich auf weit über 100 000 beläuft und die einzeln nachzuprüfen wären, wenn dem Gerichtsurteil zu folgen wäre - das ist ja der Fall - , ebenfalls aufgehoben. Die Bundesregierung wird dem Gesetzgeber nach Konsultation der Sozialpartner bald eine Nachfolgeregelung des bisherigen § 128 AFG vorschlagen.
Schließlich soll mit dem Gesetzentwurf die Dauer der Sprachförderung für Aussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge auf Grund der in neueren Modellversuchen gewonnenen Erfahrungen auf das Notwendige begrenzt werden. Die weiteren Einzelheiten werden wir sicher in den Beratungen im Ausschuß erörtern.
Ich bedanke mich.
({3})
Als nächster hat Herr Dr. Seifert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu vorgerückter Stunde, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Ihnen vielleicht das erste Wort, weil Sie nicht der einzige sind, bei dem mir das auffällt: Die Reden der Regierungsmitglieder erinnern mich fatal an Reden à la Honekker. Das Selbstlob ist unerträglich.
({0})
- Erich Honecker!
({1})
- Nein, ich schäme mich nicht. Das Selbstlob ist ja nicht mehr zu ertragen.
({2})
Aber jetzt zum Text: Im Monat Februar 1991 gab es nach Angaben des Amtes für Arbeit 787 000 Arbeitslose, 1 903 000 Kurzarbeiter
({3})
- ich bin mit meinem Satz ja noch nicht fertig -, 450 000 Vorruheständler oder Menschen im Obergang zum Altersruhestand - nicht genannt habe ich dabei die in der Warteschleife; ich gehe von mehreren Hundertausend aus - , allein in den DDR-Ländern, insgesamt also rund 3 Millionen Menschen. Dagegen gibt es 47 000 Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und weitere 45 500 in Umschulung, Fortbildung usw. Ich glaube, diese Zahlen zeigen sehr deutlich, daß es eine große Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot gibt. Der Haushalt 1991 und das sogenannte Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost werden in diesem Jahr maximal 278 000 Neueintritte in ABM und durchschnittlich 330 000 in Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen bringen. Damit ist nicht einmal die Hälfte derer abzudecken, die jetzt schon arbeitslos sind. Dabei habe ich noch gar nicht gesagt, daß der Arbeitslosenverband und dessen Präsident Klaus Grehn von ganz anderen Zahlen ausgehen. Die sollte man eigentlich nicht so ohne weiteres unter den Tisch fallen lassen.
Das Problem besteht meines Erachtens darin, daß die eigentliche Absicht, die mit Kurzarbeit und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbunden ist, überhaupt nicht zum Tragen kommt. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind doch nicht dazu da, vorhandene Arbeitsplätze in ABM umzuwandeln.
({4})
Eigentlich sollte es doch umgekehrt so sein, daß ABM eingeleitet werden, damit später daraus Arbeitsplätze werden.
({5})
- Ich danke für den Beifall von der SPD und von uns.
Es ist doch aber so, daß jetzt schon in verschiedenen Bereichen Arbeitsplätze mit der Aussicht gekündigt werden: Ihr könnt euch anschließend wieder hier einfinden, ihr macht dann ABM weiter. Es ist jetzt schon so. Die Minister gehen jetzt schon davon aus, daß alle
Arbeitsplätze in Kindergärten und womöglich demnächst auch die der Krankenschwestern über ABM finanziert werden. Es ist doch wohl nicht der Sinn der Sache, daß bestehende Arbeitsplätze so mißbraucht werden.
({6})
- Nein, Sie sollen die Leute ordentlich in einem Arbeitsverhältnis beschäftigen.
({7})
- Dann muß der Bund die Länder und die Kommunen entsprechend ausstatten.
({8})
Es fehlen offensichtlich Strukturkonzepte, durch die der Kurzarbeit der Sinn gegeben werden kann, der vorgesehen ist. Ich möchte gern wissen - niemand hier sagt es, aber es wäre interessant - : Wie viele von den Kurzarbeitern und selbst von denen, die sich in der Umschulung befinden, kehren tatsächlich voll in den Arbeitsprozeß zurück, und wie viele fallen anschließend doch in die Arbeitslosigkeit?
Sie sagen doch in Ihrem Gesetzentwurf selbst, daß die neue Regelung keine zusätzlichen Kosten verursacht, weil das, was hier mehr ausgegeben wird, beim Arbeitslosengeld eingespart wird. Das heißt also, es ist tatsächlich nichts anderes als verschleierte Kurzarbeit.
Da sich meine Redezeit langsam dem Ende zuneigt, möchte ich mich nur noch auf einen Punkt konzentrieren. Das ist die Verminderung der Sprachförderung für Aussiedler, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge. Übrigens muß ich - das sei mir am Rande gestattet - als Germanist sagen: Das sind furchtbare Worte. Die Verminderung der Sprachförderung von zehn auf acht Monate ist natürlich eine Beeinträchtigung der Arbeitschance und der Lebenschance der Menschen in diesem Lande.
({9})
Zwei Monate mehr Sprachausbildung - das wird jeder einsehen, der sich überhaupt einmal mit einer anderen Sprache befaßt hat - erhöhen die Chancen des Lebens und des Arbeitens in diesem Lande ganz erheblich. Curriculum hin, curriculum her, zwei Monate mehr Förderung wäre für die Menschen sehr wichtig.
Ich bitte Sie also, diese Vorlage weitgehend zu bearbeiten, und zwar so, daß die Konzeption, die dahintersteht - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Kurzarbeit zu machen, um Leute vor der Arbeitslosigkeit zu schützen und um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen - , in den Mittelpunkt gerückt wird und nicht nur eine Umverteilung von Geldern des Amtes für Arbeit auf irgendwelche anderen Posten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Frau Dr. Babel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt gesetzgeberischen Handelns stehen die neuen Bundesländer und ihre ökonomische Situation. Auch das Arbeitsförderungsgesetz und die dazu beabsichtigten Änderungen zielen auf Beschleunigung des Umwandlungsprozesses, besseres Abfedern der ungeheuren Belastungen, die heute schon da sind und auch noch zunehmen werden.
Die sozialen Unruhen, die sich in den großen Demonstrationen in Leipzig ankündigen, fordern rasches und entschlossenes Handeln von uns. Sie fordern Großzügigkeit, viel Geld, Umsetzen einer Fülle von Maßnahmen vor Ort - sofort, alles begleitet von Hoffnungen und Erwartungen, daß nun auch die Wirkungen spürbar einsetzen.
Die neuen Arbeitsmarktzahlen weisen auf unterschiedliche Entwicklungen im Westen und Osten hin: im alten Bundesgebiet 6,3 % Arbeitslosigkeit mit sinkender Tendenz, in den neuen Bundesländern 8,9 mit steigender Tendenz. Experten gehen davon aus, daß die Talsohle noch nicht erreicht ist.
Gefordert bleibt hier die Wirtschaftspolitik. Gefordert bleiben Investitionen. Mit dem neuen Konzept Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost der Bundesregierung löst sich der Startschuß für verstärkte Aktivitäten in den Gemeinden.
({0})
Sie sollen mit Aufträgen für Sanierungsarbeiten an Schulen, Altenheimen, Krankenhäusern dem ansässigen Handwerk Startchancen geben und gleichzeitig die Infrastruktur verbessern. Verwaltungsstrukturen müssen aufgebaut werden, insbesondere die Vermessungs- und Grundbuchämter. Das Planungsrecht ist zu vereinfachen und zu verbessern.
({1})
Ich komme nun zu den Maßnahmen, die im Arbeitsförderungsgesetz vorgesehen sind und zur Arbeitsmarktpolitik gehören: Es geht um die soziale Absicherung der Arbeitnehmer und um ihre verbesserten Chancen. Insofern war ich etwas erstaunt, daß ich von der SPD bisher so wenig Zustimmung gehört habe, aber das kann sich ja noch bessern.
Zunächst einmal möchte ich von dieser Stelle ausdrücklich anmahnen, daß es bei der Auszahlung von Arbeitslosengeld keine Verzögerung geben darf. Das macht unnötig Ärger.
Das Kurzarbeitergeld soll bis zum Jahresende weiter gezahlt werden, richtiger- und notwendigerweise aber jetzt verknüpft mit der Auflage, Bildungsmaßnahmen wahrzunehmen. Diese Vorschrift soll Druck ausüben in der Erkenntnis, daß die hinter Kurzarbeit versteckte Arbeitslosigkeit nur dann wirksam bekämpft werden kann, wenn die Arbeitnehmer die freie Zeit nutzen, um sich umschulen und qualifizieren zu lassen.
({2})
Das Zahlen von Kurzarbeitergeld hat auch bedenkliche Folgen, auf die ich seitens der FDP hinweisen will: Sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitge994
ber ist das eine feine Sache, aber nur vordergründig: Mitarbeiter glauben, der Arbeitsplatz sei zu retten. Die Betriebsleitung kann hoffen, daß die Belegschaft nun doch nicht der wirtschaftlichen Lage angepaßt werden muß. Und die Arbeitsämter fühlen sich weniger gedrängt, Umschulungen anzubieten. Die Arbeitslosenversicherung wird durch Kurzarbeitergeld enorm belastet und muß wegen späterer Umschulung im Grunde doppelt zahlen.
Insofern ist es äußerst wichtig, daß wir die Kurzarbeit mit Qualifizierung verbinden. Das System der Fort- und Weiterbildung baut auf einer Vielfalt geeigneter Träger auf, die ja nicht vorhanden waren und erst allmählich für solche Aufgaben gewonnen werden konnten.
({3})
Über Nacht kann das nicht entstehen.
Mein Appell richtet sich an die Verantwortlichen, bei dieser Qualifizierung vor allem Frauen zu berücksichtigen und sowohl ausreichende als auch zukunftsträchtige Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen vorzunehmen.
Zu den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Bei den AB-Maßnahmen wollen wir nicht nur die günstigen Konditionen bis 1992 verlängern - womit wir über das hinausgehen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben - , sondern stellen dafür auch mehr Mittel zur Verfügung, und zwar 1991 2,5 Milliarden und 1992 3 Milliarden DM.
Das sind gewaltige Summen,
({4}) umzusetzen in einer gewaltigen Anstrengung.
Die FDP steht hinter den Entscheidungen, aber mit der ihr eigenen Skepsis. Sie fordert den intelligenten Einsatz von AB-Maßnahmen.
({5})
- Ich will dem Herrn Schreiner die Möglichkeit geben, wenigstens einen einzigen Zwischenruf loszuwerden; sonst platzt er.
({6})
Die Versuchung ist hier groß, die Umstrukturierung in Wirtschaft und Verwaltung hinauszuschieben, also Belegschaft, die eigentlich entlassen werden müßte, über ABM zu behalten, kommunale Haushalte zu schonen und sich im Grund damit etwas vorzumachen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß ABMgerüstete Trupps handwerkliche Arbeiten verrichten, die dadurch mittelständischen Betrieben entzogen werden.
({7})
Ich mache auf einen weiteren unerwünschten Nebeneffekt aufmerksam: das Fehlen von Ausbildungsplätzen. Das ist ein schon jetzt sehr fühlbares und wachsendes Problem. Wir haben in der Zeit, als bei uns Lehrstellenmangel war, selber erfahren, wie wichtig gerade die Handwerksbetriebe sind, um genügend Lehrstellen bereitzustellen. Unser Bestreben muß jetzt also sein, sie zuerst durch öffentliche Aufträge wirtschaftlich zu fördern.
({8})
Im übrigen bestehen in den neuen Bundesländern noch gewisse Vorbehalte gegen AB-Maßnahmen, die, wie wir in der Anhörung gehört haben, als unseriös gelten. Allmählich ändert sich das.
Unter einem intelligenten Einsatz von AB-Maßnahmen versteht die FDP, daß vorhandene Qualifikationen möglichst genutzt werden, daß Qualifizierung damit verbunden wird, daß sinnvolle Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt werden, z. B. die Sanierung von Betriebsgelände, wie wir das bei der Wismuth AG und den Riesa Stahlwerken beobachten.
In der erwähnten Anhörung machte der Vertreter der Arbeitgeber auf dieses wichtige Ziel der AB-Maßnahmen aufmerksam,
({9})
nicht nur Arbeitslose vorübergehend in Arbeit zu bringen, sondern wichtige Aufgaben im Bereich der Infrastruktur und auch im Bereich der betrieblichen Wiedergesundung der Industrieumwelt anzustreben.
({10})
Alles in allem: Die FDP begrüßt den Beitrag, den das Bundesarbeitsministerium mit den Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik für die neuen Bundesländer leistet. Die FDP hofft, daß die erwünschten sozialen Folgen eintreten, nämlich, daß Arbeitslosigkeit, wo sie unvermeidlich ist, abgemildert wird und daß den Arbeitnehmern, die betroffen sind, mit den Angeboten der Qualifizierung weitergeholfen werden kann.
({11})
Sie hofft auch, daß die notwendige Anpassung und Umstrukturierung zur freien Marktwirtschaft nicht behindert, sondern ermöglicht und gefördert werden.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Kollege Ostertag.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle reden - ich meine: zu Recht - vom zusammenbrechenden Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern.
({0})
Die Lage wird noch viel katastrophaler, als viele ahnen; sie ist nicht nur ungünstig, wie Herr Schemken soeben gesagt hat. Nach der Wahl wird nun ja sogar der Minister deutlicher. Ich muß noch einmal etwas zitieren, was heute schon eine Rolle gespielt hat, nämlich aus dem „Handelsblatt" vom 11. Februar 1991.
Wenn der Herr Blüm etwas schreibt, hat man ja etwas in der Hand; das ist etwas anderes als eine Büttenrede.
({1}) Ich zitiere also:
700 000 Arbeitnehmer befinden sich in der Warteschleife des öffentlichen Dienstes. Sie werden zwischen März und September dieses Jahres entlassen werden. In der Landwirtschaft sind 400 000 Arbeitnehmer überzählig. Die Exporte in den RGW-Bereich brechen wegen Zahlungsunfähigkeit des Ostblocks ab. Betroffen sind bis zu 1,5 Millionen Arbeitnehmer. Der Bergbau halbiert seine Belegschaft. Das Rationalisierungschutzabkommen im Metall- und Elektrobereich endet am 30. 06. und umfaßt 1,1 Millionen Arbeitnehmer. Die Hälfte wird möglicherweise in die Arbeitslosigkeit fallen.
Der DGB spricht in einer heutigen Pressenotiz von 4,5 Millionen Arbeitslosen und Kurzarbeitern in den neuen Bundesländern noch in diesem Jahr.
({2})
- Die Abrechnung wird - leider, muß ich sagen - erst später kommen. Es werden dann wahrscheinlich noch schlimmere Zahlen auf dem Tisch liegen. - Auch angesichts dieser realistischen, erschreckenden Prognose darf die Massenarbeitslosigkeit in den alten Bundesländern nicht vergessen werden; sie muß hinzugezählt werden.
({3})
Obwohl es überall boomt, haben wir offiziell 1,8 Millionen Arbeitslose.
({4})
Von der Dunkelziffer wollen wir lieber gar nicht erst reden. Die statistischen Manipulationen zeigen da nun ihre Wirkung. In manchen Regionen - die kennen Sie anscheinend nicht, weil Sie das Land nicht kennen - der alten Bundesrepublik ist seit Jahren jeder fünfte oder sechste Arbeitnehmer arbeitslos.
({5})
- Im Ruhrgebiet.
Dieser nur scheinbar gespaltene Arbeitsmarkt erinnert - zusammengerechnet - langsam an Weimarer Verhältnisse.
({6})
Wie werden denn die Menschen Ende des Jahres 1991 und 1992 reagieren, wenn die Arbeitslosenzahl auf mehr als 5 Millionen gestiegen ist, wenn in neuen Bundesländern oder ganzen Landstrichen jede oder jeder zweite keine Beschäftigung hat?
Die sozialen Spannungen werden sich vermutlich in Massendemonstrationen entladen. Das sieht sogar die
FDP - und das sagt sie auch - ähnlich. Die psychologischen Belastungen werden zahllose Familien gefährden und besonders bei Kindern tiefe Spuren hinterlassen. Die politischen Folgen können für das demokratische Bewußtsein und die demokratische Entwicklung - nicht nur in den neuen Ländern - verheerend sein.
({7})
Um diese Gefahren zu mindern, muß arbeitsmarktpolitisch mehr getan werden; das ist mehrfach gesagt worden. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen können nur einen Bruchteil dieses Problems lösen. Es wird Zeit, daß endlich eine aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben wird.
({8})
Das dazu vor beinahe 20 Jahren geschaffene Instrument, daß Arbeitsförderungsgesetz, soll einen hohen Beschäftigungsstand erzielen und aufrechterhalten sowie die Beschäftigungsstruktur ständig verbessern. Dieses Instrument wurde, so muß man heute sagen, zu Zeiten beschäftigungspolitischer Illusionen geschaffen, aber nicht für Zeiten mit 5 Millionen Arbeitslosen. Zudem hat die „Wendepolitik" Ihrer Regierung seit 1982/83 die Leistungen des Gesetzes immer wieder verschlechtert.
({9})
Dieses Gesetz ist also seinen Aufgaben schon in den alten Bundesländern nicht gerecht geworden.
({10})
Angesichts der riesigen Aufgaben in den neuen Bundesländern ist dies nur noch ein Gesetz für kleine Reparaturen, das jetzt im Grunde genommen noch ein Stückchen demontiert werden soll. Das Arbeitsförderungsgesetz ist nicht nur zum Reparaturinstrument, sondern auch zum Verschiebebahnhof geworden; darauf hat mein Kollege Reimann schon hingewiesen.
Nimmt man die millionenfache Angst der Beschäftigten und der schon arbeitslos Gewordenen in den neuen Ländern ernst, dann ist vor allen Dingen ein arbeitsmarktpolitisches Sofortprogramm notwendig. Das von der Bundesregierung vorgelegte, mit großen Worten vorgestellte ist kleinmütig und kommt auch spät.
({11})
Ein notwendiges und umfassendes Programm, das eine aktive Arbeitsmarktpolitik mit regionaler Strukturpolitik verzahnt, kann nicht allein aus dem Haushalt der Bundesanstalt finanziert werden. Dazu reichen die Gelder der Beitragszahler nicht aus. Das Instrumentarium des AFG muß darüber hinaus noch erweitert werden, weil es in der gegenwärtigen Form nicht ausreicht.
Eckpunkte eines solchen Programms sollten sein: den Beschäftigungsstand zu halten und diejenigen,
die in Beschäftigung sind, weiter zu qualifizieren, damit es dauerhafte Beschäftigung und bessere Chancen nach Entlassungen gibt.
({12})
Qualifizierung und Arbeitsförderung für Entlassene sowie verstärkte Arbeitsförderung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und vor allem Trägerförderung werden wohl ganz entscheidend sein. Ferner verweise ich auf die schon zitierten Sonderprogramme für besonders Benachteiligte; das sind ältere Arbeitnehmer, Frauen und Leistungseingeschränkte.
Dem Herrn Staatssekretär muß man sagen: Wir wissen schon, was wir wollen. Wir wollen schnelle Hilfe; wir wollen wirksame Hilfe; wir wollen vernünftige Regelungen. Die sehen wir in der gegenwärtigen Vorlage wirklich nicht.
Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Sonderregelung für das Kurzarbeitergeld und die Förderung von Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung in den neuen Bundesländern reichen bei weitem nicht aus. Wer die Arbeitsmarktsituation in den alten Bundesländern über das letzte Jahrzehnt aufmerksam verfolgt hat, weiß, daß eine sechsmonatige Verlängerung nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein wird.
Diese Maßnahmen erreichen auch nicht die Hunderttausende, die in den nächsten Monaten arbeitslos werden. Von daher ist es eine kurzatmige Entscheidung.
Die jetzt vorgesehene Verlängerung und Modifizierung wird spätestens im Herbst wieder zur Debatte stehen müssen. Vor allem wenn Kurzarbeitergeld und Qualifizierungsverpflichtung stärker miteinander gekoppelt werden, ist eine sechsmonatige Verlängerung unzureichend und für uns nicht akzeptabel.
({13})
Nicht falsch, aber zu kurz greifend und ebenfalls unzureichend erscheint uns die Regelung, daß Kurzarbeitsgeldbezieher mit einer Sperrfrist belegt werden, wenn sie sich unbegründet weigern, an einer beruflichen Bildungsmaßnahme teilzunehmen.
({14})
- Es greift zu kurz. Hier soll nur eine Sanktion festgeschrieben werden. Diese Maßnahme wirkt wohl kaum motivierend.
({15})
Es kommt aber darauf an, Anreize, Angebote und vor allen Dingen Einrichtungen für Qualifizierungsmaßnahmen zu schaffen und zu fördern.
Wie wichtig das ist, beweisen alle Erfahrungsberichte aus den neuen Ländern und auch eine Studie - Sie sollten sie vielleicht einmal lesen - der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Die Erfahrungsberichte und diese Studie weisen auf das Problem hin, daß in den neuen Bundesländern zuerst die Jüngeren und Qualifizierten abwandern. Dieser Aussiebungseffekt führt dazu, daß für den Strukturwandel in den neuen Ländern gerade die fehlen, die man am nötigsten braucht.
Für Investoren in den neuen Ländern, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, entwickeln Sie ja vielfältige Anreizsysteme. Warum soll es nicht auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzliche Anreizsysteme geben?
Die Koalition will den § 128 AFG ersatzlos streichen, weil das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, die Befreiungstatbestände weit auszulegen. Die Absicht des § 128, die Arbeitgeber zu veranlassen, ihre älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmer grundsätzlich bis zur Altersgrenze von 63 Jahren zu beschäftigen und nicht in die Arbeitslosigkeit mit anschließender Frühverrentung zu entlassen, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht in Frage gestellt.
Im Gegenteil, das Bundesverfassungsgericht hat begründet - ich zitiere - :
Die Ziele, welche die arbeitsförderungsrechtliche Erstattungsregelung ... verfolgt, sind durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Es erscheint sachgerecht und vernünftig, zum Zwecke der Vermeidung von Frühverrentungen, die langfristig weder sozial- noch arbeitsmarktpolitisch erwünscht sind und zu immer stärkeren Belastungen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung führen, den Arbeitgebern die sozialen Folgekosten aufzubürden, wenn diese für die Beendigung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer wesentlich verantwortlich sind. Ebenso ist es gemeinwohlorientiert, wenn der Gesetzgeber hierbei das Schutzbedürfnis der älteren und betriebstreuen Arbeitnehmer berücksichtigt.
Die von der CDU/CSU und der FDP geplante ersatzlose Streichung wird auch der Substanz nach den Gesprächen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften beim Bundesarbeitsminister nicht gerecht. Bei diesen Gesprächen wurde eine Globalbereinigung der alten Erstattungsfälle getroffen. Der Staatssekretär hat es gesagt; man kann es heute auch im „Handelsblatt" nachlesen.
Es besteht die begründete Besorgnis, daß nach einer ersatzlosen Streichung des § 128 AFG aus einer Vielzahl von Maßnahmen eines vorzeitigen Altersaustritts auf die Bundesanstalt für Arbeit erhebliche finanzielle Belastungen zukommen, dies auch noch zu einem Zeitpunkt, in dem die Beiträge wegen der zusammenbrechenden Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern massiv angehoben werden. Wenn die Erstattungspflicht nach § 128 AFG entfällt, besteht die Gefahr, daß Arbeitgeber, vor allem in den alten Bundesländern, alle Möglichkeiten eines vorzeitigen Altersaustritts nutzen werden.
Drastisch führt uns mit Schreiben vom 14. Februar 1991 einer der größten deutschen Konzerne vor, was der Wegfall des § 128 bedeutet. Ich zitiere:
Mitteilung an den Betriebsrat
Wegen der Erstattungspflicht nach § 128 AFG
konnten wir in der Vergangenheit nur in sehr
beschränktem Umfang den Mitarbeitern ein vorAdolf Ostertag
zeitiges Ausscheiden in den Altersruhestand anbieten.
Mit Schreiben vom 7. Februar teilt uns die Konzernleitung in E ... mit, daß sie zusammen mit anderen Konzernen die Ansprüche der Bundesanstalt für Arbeit und der Rentenversicherungsträger auf Erstattung nach § 128 AFG für alle Austritte bis 30. 6. 1991 pauschal abgegolten hat. Wir sind also für alle vorzeitigen Altersaustritte bis 30. 6. 1991 nicht erstattungspflichtig. Ab 1. 7. 1991 soll eine neue gesetzliche Regelung geschaffen werden, von der niemand genau weiß, wie sie ausfallen wird.
Sie wird zum 1. Juli sicher nicht da sein; das haben wir eben gehört. - Die Konzernleitung schreibt weiter:
Wir werden daher - auch im Interesse der Mitarbeiter - bis zum 30. 6. 1991 alle Möglichkeiten eines vorzeitigen Altersaustritts nutzen.
Der zeitliche Zusammenhang mit dem Personalabbau ist rein zufällig, aber er gibt uns die Möglichkeit, den Personalabbau mit einer Verbesserung der Altersstruktur zu verbinden und soziale Härten zu vermeiden.
Diese angekündigte Personalmaßnahme zielt vorrangig auf eine Verbesserung der Altersstruktur in den Betrieben. Es sollen offensichtlich olympiareife Mannschaften zusammengestellt werden. Die älteren, die gesundheitlich angeschlagenen, die leistungsgeminderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden also weiterhin gefeuert.
({16})
Das hat schon für unsere Beratungen in den nächsten Wochen Folgen. Diese Fälle der Globalbereinigung, die die Vergangenheit betreffen, diese Beispiele aus der betrieblichen Praxis und die Arbeitsmarktprobleme der Zukunft zeigen den dringenden Regelungsbedarf für die Zukunft.
Der ersatzlosen Streichung des § 128 AFG werden wir nicht zustimmen. Wir werden unsere Änderungsvorschläge einbringen und in den nächsten Wochen beraten. Ich meine, die Ankündigung des Staatssekretärs ist lediglich ein Auf-die-lange-Bank-Schieben. Vielleicht soll hier einiges in Vergessenheit geraten. Wir werden dafür sorgen, daß dies nicht der Fall ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({17})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, die beschlossene Redezeit ist damit beendet. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 12/222 an die in der Tagesordnung genannten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es darüber hinausgehende Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Ich bitte noch einen Augenblick um Geduld und rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 g und 6i auf:
Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einhundertdreizehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz -
- Drucksachen 12/26, 12/181 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Olaf Feldmann
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Dreizehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 12/23, 12/182 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Uwe Jens
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Zwölfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
- Drucksachen 12/16, 12/183 -
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Uwe Jens
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare dreiundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 12/24, 12/184 -
Berichterstatter: Abgeordneter Peter Kittelmann
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
Vizepräsidentin Renate Schmidt
({4}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare zweiundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 12/15, 12/185 -
Berichterstatter: Abgeordneter Peter Kittelmann
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({5}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einundsiebzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung -
- Drucksachen 12/17, 12/186 -
Berichterstatter: Abgeordneter Peter Kittelmann
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 6 zu Petitionen
- Drucksache 12/172 -
i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({7})
zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 14/90
- Drucksache 12/196 Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 12/181 bis 12/186 ab. Die Beschlußempfehlungen sind im Ausschuß einstimmig verabschiedet worden. Ich lasse daher über diese Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen zu diesen Tagesordnungspunkten? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit sind diese Beschlußvorlagen bei einer Stimmenthaltung der Fraktion der PDS/Linke Liste einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 12/172 ab. Wer für die Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltungen von zwei Abgeordneten aus der Gruppe der PDS/Linke Liste ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 12/196. Sie betrifft eine Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht.
Wer der Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Gegenstimme aus der Gruppe der PDS/Linke Liste und zwei Enthaltungen aus derselben Gruppe ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich wünsche einen schönen Abend und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. März, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.