Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/5/1993

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfang Börnsen ({0}), Dirk Fischer ({1}), Manfred Heise, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich, Ekkehard Gries, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Verkehrssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 12/2527, 12/4206 Dazu liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion der SPD vor. Nach der Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatssekretär Manfred Carstens.

Manfred Carstens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000322

Verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich um Verständnis dafür bitten, daß der Parlamentarische Staatssekretär das Bundesverkehrsministerium bei der heutigen Debatte vertritt. Bundesminister Krause nimmt an der auch wichtigen Sitzung des Wirtschaftskabinetts im Kanzleramt teil. Ich hoffe, daß Sie dafür Verständnis haben. ({0}) - Herr Kollege Struck, deswegen habe ich von „auch wichtig" gesprochen und mir das wohl überlegt, es so zu formulieren. Wir sprechen hier heute über die Verkehrssicherheit in Deutschland - in der Tat ein sehr wichtiges Thema. Mit dem Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 1991 und der Antwort auf diese Große Anfrage hat die Bundesregierung umfassend zur Straßenverkehrssicherheit Stellung genommen. Dabei wird deutlich, daß die Bundesregierung der Verkehrssicherheit einen hohen Stellenwert einräumt. Dieser Bereich steht sozusagen ganz oben auf der Werteskala, wie z. B. auch die Sicherung der Mobilität von Gütern und Personen in einer intakten Umwelt ganz oben steht. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß straßenbauliche, verkehrsrechtliche und nicht zuletzt auch verkehrstechnische Maßnahmen - ich denke da z. B. an den Sicherheitsgurt - für die Verkehrssicherheit sehr wichtig sind. Aber genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, sind breite Aufklärung der Verkehrsteilnehmer über besonders gefährliche Verhaltensweisen im Straßenverkehr, Stärkung des Verantwortungsbewußtseins der Verkehrsteilnehmer und Bereitschaft zur Rücksichtnahme, insbesondere gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern; denn nach wie vor kommt dem Faktor Mensch im Unfallgeschehen ganz erhebliche Bedeutung zu. Dies kann nur durch eine Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte, also von Bund, Ländern und Gemeinden und den bewährten Verbänden der Verkehrssicherheitsarbeit, erfolgreich bewirkt werden. Die bewährte Struktur der gemeinsamen Verkehrssicherheitsarbeit, insbesondere auch mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat, der Deutschen Verkehrswacht und anderen Organisationen, hat in den letzten Jahren deutliche Fortschritte beim Unfallgeschehen erbracht. Ich möchte allen Beteiligten, insbesondere den ehrenamtlich Tätigen, für ihre vorzügliche Arbeit herzlich danken. ({1}) Zwar liegen die endgültigen Unfallzahlen für das Jahr 1992 noch nicht vor, aber nach weitgehend übereinstimmenden Schätzungen der Bundesanstalt für Straßenwesen und des Statistischen Bundesamtes sind folgende Eckdaten zu erwarten: In den alten Bundesländern nimmt die Zahl aller polizeilich erfaßten Unfälle um weitere 2 % auf ca. 1,9 Millionen ab. - Sie nimmt zwar ab, aber es sind immer noch 1,9 Millionen. - Die Zahl der Verkehrstoten wird um weitere 3 bis 4 % auf 7 200 bis 7 300 zurückgehen. Damit ist der tiefste Stand seit Einführung der Unfallstatistik im Jahre 1953 erreicht, also innerhalb von 40 Jahren bei ständig steigendem Straßenverkehr. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, über die wir uns über alle Parteigrenzen hinweg auch freuen können. Damit ist die Arbeit aber nicht beendet, denn nun gilt es weiterzumachen und durchzuhalten. Neue Ideen, weitere Überlegungen sind vonnöten und bleiben weiter gefragt. Die Unfallsituation in den neuen Ländern ist derzeit noch deutlich ungünstiger. Da wird es wohl im Jahre 1992 noch einmal eine Steigerung um ca. 25 % auf 450 000 aufgenommene Unfälle gegeben haben. Aber bei den Unfalltoten ist für 1992 auch dort ein Rückgang zu verzeichnen. Nachdem es 1991 noch einen Anstieg um ca. 20% auf 3 760 Tote gegeben hat, wird es im Jahre 1992 wohl einen Rückgang in Höhe von 8 bis 10 % gegeben haben. Also, auch dort ist auf diesem wichtigsten Gebiet eine ähnliche Entwicklung wie in den alten Ländern zu verzeichnen. Hier werden erste Erfolge der in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen der Bundesregierung deutlich. Gerade in diesen Tagen wurden auf den Autobahnen der neuen Länder die letzten Mittelschutzplanken angebracht, so daß jetzt das gesamte Bundesautobahnnetz zu 100 % mit Mittelschutzplanken ausgestattet ist. Im Rahmen der Sofortmaßnahmen zur Entschärfung von Unfallschwerpunkten an Bundesstraßen außerorts wurden 1992 38 solcher Unfallschwerpunkte beseitigt. Dieses Programm wird fortgesetzt und umfaßt insgesamt ca. 100 der auffälligsten Unfallstellen im Außerortsbereich der neuen Länder. Auch die Straßenverkehrsprojekte Deutsche Einheit leisten außer zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Infrastruktur einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Letztlich aber, meine Damen und Herren, bestimmt wesentlich das Verhalten jedes einzelnen Verkehrsteilnehmers, wie sicher unsere Straßen sind. Deshalb führt der Bundesminister für Verkehr neben der ständigen Informationsarbeit gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat eine breit angelegte Aufklärungs- und Informationskampagne unter dem Slogan „Rücksicht kommt an" durch. Sie wurde 1991 in den neuen Ländern begonnen und 1992 bundesweit fortgesetzt. Neben Appellen an das Verantwortungsbewußtsein der Verkehrsteilnehmer muß aber auch durch entsprechende Vorschriften das Verhalten im Straßenverkehr beeinflußt werden. Im Bereich des Fahrerlaubniswesens, das sich in Deutschland auf einem international anerkannt hohen Niveau befindet, wird bei Ausbildung und Prüfung an weiteren Verbesserungen gearbeitet. Für die Bundesregierung gibt es auch hier keinen Stillstand. Die Neuregelung der Promillegrenze befindet sich zur Zeit in der parlamentarischen Beratung. Eine Anhörung von Experten ist vorgesehen. Ab 1. April 1993 wird die Bundesregierung die generelle Sicherungspflicht in geeigneten Rückhalteeinrichtungen für Kinder im Pkw verordnen, um die Anlegequoten hier noch einmal spürbar zu erhöhen. Auch im neuen Bußgeldkatalog, der am 1. April 1993 in Kraft tritt, gibt es strengere Vorschriften, insbesondere was die Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts angeht. Sie sehen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der Opposition, sozusagen alles das, was Sie für nötig und wichtig erachtet haben, ist entweder schon längst gemacht worden oder auf gutem Wege. Diese erfolgreiche Arbeit der Bundesregierung findet ihre Grundlage im Verkehrssicherheitsprogramm 1984. Die dort festgeschriebenen Ziele werden ständig den aktuellen Erfordernissen, die sich aus den Erkenntnissen des Unfallverhütungsberichtes, den neuesten Erfahrungen der Unfallforschung und den Beratungen mit kompetenten Fachleuten ergeben, angepaßt und fortgeschrieben. Wer allerdings annimmt - und das möchte ich mit besonderer Betonung sagen -, ein Tempolimit könne aktive Verkehrssicherheitsarbeit ersetzen, der irrt! ({2}) Die von der Bundesregierung eingeführten rechnergestützten Verkehrsbeeinflussungsanlagen können auf die jeweilige Verkehrssituation flexibel reagieren. Ich denke dabei an Nebel, Regen, hohes Verkehrsaufkommen usw. Die Einführung eines starren Geschwindigkeitslimits kann in bestimmten Fällen sogar unfallfördernd sein. Wenn man auf 80 oder 60 km/h begrenzt, dann können auch 80 oder 60 km/h zu viel sein an Tempo. Der Verkehrsteilnehmer verläßt sich aber darauf, daß er 80 oder 60 km/h fahren kann, obwohl die Verkehrslage es gar nicht zuläßt, z. B. bei Glatteis, Nebel oder sonstigen Verkehrslagen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß durch das größere Europa ganz neue Herausforderungen auf uns zukommen. Rund 40 % des gesamten Welthandels werden hier abzuwickeln sein. Die Bundesrepublik Deutschland fungiert hier sozusagen als Verkehrsdrehscheibe. Wir sind deswegen auch sofort in die Gremien hineingegangen, die sich auf internationaler Ebene mit Verkehrssicherheit befassen. Die Bundesregierung hat weiter dafür Sorge getragen, daß es dann, wenn es zur Liberalisierung im Bereich Straßengüterverkehr kommt, eine enge Verzahnung mit entsprechenden Kontrollregelungen gibt. Aber was auch immer auf uns zukommen mag, wir sind sicher, daß diese Auswirkungen nur durch massive Anstrengungen aller gesellschaftlichen Kräfte aufgefangen werden können. Hierzu hat natürlich der Bundesverkehrsminister einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß ich aus einem anderen Fachbereich in das Bundesverkehrsministerium gewechselt habe. ({4}) - Herzlichen Dank, Herr Richter. Der Zwischenruf freut mich. - Vor diesem Hintergrund möchte ich abschließend folgendes sagen: Die Verkehrssicherheit ist zweifellos sehr wichtig. Folglich muß auch die Parl. Staatssekretär Manfred Carstens Verkehrssicherheitsarbeit eine besondere Bedeutung haben. Wir im Bundesverkehrsministerium werden uns dafür einsetzen, daß für diese wichtige Arbeit auch in Zukunft die nötigen Finanzmittel zur Verfügung stehen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster nimmt das Wort der Abgeordnete Siegfried Scheffler.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte müssen wir nahtlos an die Regierungserklärung vom 19. März 1992 anknüpfen. Schon im vorigen Jahr gab es nichts substantiell Neues, schon gar nicht, was die Problematik der heute anstehenden Debatte über die Beantwortung der Großen Anfrage betrifft. Sicher, Sie werden uns erklären - und das haben Sie teilweise auch schon -, daß Sie mit Ihrer Aufklärungs- und Verkehrserziehungskampagne dem Problem gerecht werden und daß Ihr bedarfsgerechter Ausbau der Straßen der wesentliche Beitrag zugunsten der Verkehrssicherheit ist. - Das ist nichts Neues. Hier wurde lediglich mehr oder weniger Lauwarmes von Ihnen zusammengetragen - und dies, obwohl Sie über ein dreiviertel Jahr benötigten, um die Fragen zu beantworten. Den Parlamentariern geben Sie für die Durchsicht und Behandlung der Antwort der Bundesregierung leider nur eine Woche. Plötzlich haben Sie es ganz eilig und setzen mit Ihrer Koalitionsmehrheit die Plenarberatung nach wenigen Tagen Bearbeitungszeit bereits für den heutigen Tag durch, obwohl Sie wissen, daß eine Eilbehandlung in der Regel eine ausreichende Vorbereitung und damit eine sachlich fundierte Debatte erschwert. ({0}) Dabei ist nur wenig erkennbar, daß Sie konkrete politische Rahmenbedingungen zur Verkehrssicherheit vorgeben. Ihr immerwährendes Reagieren auf das Szenario der Verkehrszuwächse und Ihre endlosen Appelle, angepaßte Geschwindigkeiten einzuführen, sind kein Ersatz für politisches Handeln. ({1}) Wir nutzen deshalb gerne die Gelegenheit, die SPD- Forderungen und -Vorschläge, die wir im Ausschuß und hier im Plenum mehrfach vorgetragen haben, nochmals zu erläutern in der Hoffnung, daß Sie nach der heutigen Debatte endlich auf die zügige Behandlung der Anträge drängen und diese nicht wie bisher durch administrative Winkelzüge der Koalitionsmehrheit auf die lange Bank schieben. Was an Konkretem in puncto Verkehrssicherheit in den Deutschen Bundestag im letzten Jahr eingebracht wurde, stammt doch samt und sonders von der Opposition. ({2}) Aus Zeitgründen nur einige Beispiele: die Kleine Anfrage zur Sicherheit des Verkehrs mit Schiffen, die Anträge zu mehr Umweltschutz, Verkehrssicherheit und Lebensqualität durch Geschwindigkeitsbegrenzungen, Sicherheit durch Senkung der Promillegrenze und Einführung der elektronischen Atemalkoholanalyse, die Kleine Anfrage zur Geschwindigkeitsbegrenzung und Verkehrssicherheit sowie der Antrag zur generellen Sicherungspflicht für Kinder im Pkw. Lassen Sie mich auf diesen letzten Punkt eingehen: In seiner Beantwortung führt das Bundesministerium für Verkehr aus, daß es die Verpflichtung, Kinder bis zu zwölf Jahren nur noch gesichert in Kraftfahrzeugen mitzunehmen, am 1. April in Kraft setzen will. - Nur mal nebenbei: Das Anpacken und Lösen dieses Problems geht auf Initiative der SPD unter Federführung unserer Kollegin Margrit Wetzel zurück und nicht auf das Bundesverkehrsministerium. ({3}) Aber danach passiert etwas ganz Merkwürdiges: Gegen den gemeinsamen politischen Willen im Verkehrsausschuß, wo wir am 14. Oktober gemeinsam dieser Vorlage mehrheitlich zustimmten, erscheint am 6. November die Bundesratsdrucksache in einer verfälschten Version. ({4}) Die Übergangsregelung, daß Kinder bei der Beförderung in Taxen erst in zwei Jahren der Anschnallpflicht unterliegen, wird kurzerhand auf fünf Jahre ausgedehnt. ({5}) Außerdem wird eine nicht hinnehmbare Ausnahmeregelung neu eingefügt. Danach dürfen - abweichend von Satz 1 - Kinder auf Rücksitzen ohne Sicherung durch Rückhalteeinrichtungen befördert werden, wenn wegen der Sicherung von anderen Personen für die Befestigung von Rückhalteeinrichtungen für Kinder keine Möglichkeit mehr besteht. Angesichts dieser Änderung, ohne erneute Abstimmung im Ausschuß, muß schon von einer kaum zu überbietenden Ignoranz, wenn nicht sogar von Böswilligkeit gesprochen werden. ({6}) Unangeschnallte Kinder, die nachgewiesenermaßen einem siebenfach höheren Verletzungsrisiko bei Unfällen unterliegen, werden also, wenn der Wagen voll ist, weiterhin bei Unfällen ungehindert gegen die Windschutzscheibe geschmettert. Da frage ich mich, meine Damen und Herren der Koalitionsparteien: Opfern Sie mit diesem Freibrief die notwendigen Verkehrssicherheitsmaßnahmen der Lobbyarbeit von ADAC und Deutschem Touring Club, wie dies in einer Pressemitteilung der „Frankfurter Rundschau" nachzulesen ist? Sieht so etwa Ihre Verkehrssicherheitspolitik aus?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Scheffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jobst?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Dionys Jobst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001029, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Scheffler, sind Sie der Meinung, daß Sie mit einer solch aggressiven und polemischen Rede dem Anliegen der Verkehrssicherheit dienen? Wollen Sie mir nicht zustimmen, daß wir - über die Fraktionsgrenzen hinweg - in der Verkehrspolitik insbesondere im Verkehrsausschuß eine weitgehende Übereinstimmung hatten, was notwendig ist und was zu tun ist?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Jobst, ich bestätige diese Übereinstimmung. Ich stimme Ihnen ja zu. Aber dann müßten Sie als Parlamentarier einer Regierungspartei genauso empört sein wie wir, daß eine völlig andere Drucksache vorgelegt wurde. Ansonsten stimme ich Ihnen vollkommen zu. ({0}) Noch widersprüchlicher wird das BMV bei der Beantwortung einer weiteren Frage zu der zuvor angesprochenen Problematik. Wissend, daß Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr bei Mitnahme in Kraftfahrzeugen nicht nur auf Vordersitzen, sondern auch auf Rücksitzen generell durch Kinder-rückhaltesysteme gesichert sein müssen, wird klammheimlich - ohne Information des Bundestages - eine Ausnahme- und Übergangsregelung im Amtsblatt festgeschrieben. Daraus läßt sich doch folgern, daß Bemühungen zum verbesserten Schutz und zur Verkehrserziehung von Kindern dringend erforderlich sind und fortgesetzt werden müssen. In der Regierungserklärung zur Verkehrspolitik steht im Vordergrund, daß 40 Millionen DM - der höchste je veranschlagte Betrag - für die Verkehrssicherheitsarbeit zur Verfügung gestellt wurden. Aber die Wirklichkeit sieht nach knapp einem Jahr schon wieder ganz anders aus. Ihr Ministerium kürzt die Mittel für Verkehrserziehung im Haushalt 1993 von bisher 38 Millionen DM um 15 Millionen DM. Deshalb stehen Ihre Antworten im krassen Gegensatz zu Ihrem Handeln. Und was versteht die Bundesregierung weiter unter Verkehrssicherheit? Aus vielen Antworten auf die gestellten Fragen geht leider hervor: den Ausbau von Bundesfernstraßen und den Neubau von Autobahnen. Auch hier der Widerspruch betreffs der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Die Behauptung, mit den 17 Verkehrsprojekten Deutsche Einheit sei endlich der Schiene Vorrang eingeräumt, ist eine Milchmädchenrechnung. Sie wissen alle ganz genau wie wir, daß ein Großteil der Schienenprojekte reine Ausbauvorhaben sind, mit denen zum Teil erst in Jahren begonnen wird. Daran ändert auch der Aktionismus der ersten Spatenstiche durch den Verkehrsminister nichts. Straßenbauprojekte werden mit Hochdruck vorangetrieben, nicht der Schienenwegeaus- und -neubau. Nachdem Sie die SPD-Vorlage zum Schienenwegeausbaugesetz zur Kenntnis nehmen mußten, haben auch hier die Fraktionen der Koalition durch einen nachgeschobenen Gesetzentwurf den Nachholbedarf des Ministers zu vertuschen versucht. Sehen Sie es ein: Verkehrssicherheit ist nicht durch Zubetonierung oder Asphaltierung zu erreichen, sondern nur durch die entschiedene Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene und gesetzgeberische Regelungen bzw. ordnungsrechtliche Maßnahmen. Was z. B. die Promillegrenze betrifft: Anläßlich des Verkehrsgerichtstages am letzten Wochenende in Goslar wurde in scharfer Form eine entsprechende Resolution verabschiedet, die die 0,8-PromilleGrenze für Alkohol am Steuer kritisiert. Zwar sind die verabschiedeten Entschließungen nicht bindend, ({1}) - für Sie sind die anscheinend nicht bindend, meine Kollegen von der F.D.P. -, aber Bundestag und Versicherungen beachteten in der Vergangenheit diese Empfehlungen. Auch die Gerichte respektieren diese Orientierungsrichtlinien, nur Sie anscheinend nicht. Daß sich der Gesetzgeber nicht auf die Reduzierung der Promillegrenze geeinigt hat, muß nicht nur nachdrücklich bedauert, sondern ebenso ausdrücklich kritisiert werden. Es ist schon ignorant, wenn neben den Anträgen der SPD-Fraktion noch ein letzter Versuch von den Abgeordneten Ihrer Fraktion aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner F.D.P. - und Sie haben das durch die Zwischenrufe noch einmal bestätigt bekommen - abgeschmettert wurde - ein Gesetz zur Verlängerung der Überleitung des Einigungsvertrages. Ich sage Ihnen: Diese Rechnung wird uns allen- ob Regierung oder Opposition - noch präsentiert werden. ({2}) Nicht nur die Kosten von jährlich mehr als 31 Milliarden DM, die durch alkoholbedingte Unfälle verursacht werden, sondern auch menschliches Leid hätte schon Monate vorher begrenzt werden können.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Scheffler, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Richter?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, stimmen Sie mir denn zu, daß mein Eindruck richtig ist, daß in der früheren DDR, wo die 0,0-Promille-Grenze galt, ({0}) gesoffen wurde „wie nix Gutes", bevor man sich ans Steuer setzte, und daß insoweit mein Eindruck richtig ist, daß eigentlich nicht die Grenze das Problem ist, sondern die Überwachung derselben? ({1})

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Richter, wenn Sie weiter zuhören, dann bekommen Sie auch eine Antwort. ({0}) Ich stimme Ihnen in dieser Behauptung nicht zu, daß in der früheren DDR gesoffen wurde und sich dann die Verkehrsteilnehmer ans Steuer gesetzt haben. ({1}) Und ich verstehe Sie ja: Außer der Lobby des Hotel- und Gaststättengewerbes spricht sich doch niemand ernsthaft für Alkohol am Steuer aus. Dabei weckte der Herr Minister doch einmal Hoffnungen - und ich zitiere ihn -: Es gilt in dieser Legislaturperiode in alien Verkehrsbereichen sicherheitsrelevante Vorschriften zu verbessern. Er sprach von verbessern, nicht von beibehalten, geschweige denn von verschlechtern. Ohne näher auf den europäischen Aspekt einzugehen, sage ich Ihnen: Der Bundesminister sollte mehr die Unterstützung unserer Nachbarländer nutzen. Falls Sie es noch nicht wußten: Auch das österreichische Kuratorium für Verkehrssicherheit hat aus der erheblichen Steigerung der Unfallzahlen mit Verkehrsteilnehmern, die unter Alkoholeinfluß standen, die längst fälligen Konsequenzen gezogen und fordert eine Senkung der Alkoholgrenze von 0,8 auf 0,5 Promille. Um auf die neuen Bundesländer zu sprechen zu kommen: Muß es uns nicht alle erschrecken, daß im letzten Jahr die Unfallzahlen z. B. in Mecklenburg-Vorpommern um ein Drittel anstiegen? Als Hauptursache nennt die Polizei unangepaßte Geschwindigkeit und Fahren unter Alkoholeinfluß, so eine ADN- Meldung vom 3. Februar.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Scheffler, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gries?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hoffe, daß mir das nicht alles von der Redezeit abgezogen wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, das wird nicht abgezogen. Ich stoppe jeweils die Zeit.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, da Sie die Statisiken, auch die ausländischen, zitieren, ist Ihnen sicher bekannt, daß andere Länder wesentlich höhere alkoholbedingte Unfallzahlen bei niedrigeren Grenzwerten - und umgekehrt - haben. Ich frage Sie ganz konkret: Wollen Sie denn daraus schließen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland, wo wir nach der - einzig seriösen - letzten Statisik 1992 einen Rückgang der alkoholbedingten Unfälle haben, die Promillegrenze erhöhen sollen?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hier geht es konkret darum, daß wir Parlamentarier es nicht geschafft haben, dem Einigungsvertrag zu entsprechen. Wir wollten für die neuen Bundesländer entweder eine generelle Reduzierung der Promillegrenze oder die Beibehaltung von 0,0 Promille, ({0}) Durch Ihre Verzögerungstaktik nehmen die Unfallzahlen in den neuen Bundesländern wegen Fahrens unter Alkoholeinfluß zu. Man trinkt sich hier langsam an 0,8 Promille heran, wie mir die Polizei bestätigte. ({1}) Neben der Polizei sind es besonders die Ärzte, die - wenn alle Appelle und Ratschläge nicht fruchten - helfen müssen; denn sie kennen die auch uns bekannten Unfallstatistiken mit Personenschäden bzw. Verkehrstoten sehr genau. Sie wissen, daß hier besonders die Altersgruppe der unter 15jährigen mit 31 % der Unfallbeteiligten und die der über 65jährigen mit 19 % der am Gesamtunfallgeschehen Beteiligten unseres besonderen Schutzes bedürfen. Wir müssen uns einmal vorstellen: 50 % aller Fußgänger sind als Unfallbeteiligte abhängig von der individuellen Fahrtüchtigkeit aller Pkw-Fahrer. Hier helfen nur Maßnahmen des Ordnungsrechts als Bestandteil eines integrierten Gesamtverkehrskonzeptes. Auch wenn sich vier von fünf Bundesbürgern ein Leben ohne Auto nicht mehr vorstellen können und viele von ihnen Verkehrslärm, verpestete Luft und verstopfte Straßen als Einbuße an Lebensqualität in Kauf nehmen, erwarten sie interessanterweise als Ausweg aus diesem Verkehrsdilemma politische Entscheidungen. Sie wissen und geben es zu, daß nur dirigistische Maßnahmen unser aller Lebensqualität sichern. Dazu ein Beispiel, auch wenn Sie es nicht mehr hören wollen: Für Tempolimit 130 auf den Autobahnen plädieren mittlerweile 76 % aller in den neuen Bundesländern Befragten und 69 % aller Befragten in den alten Bundesländern. ({2}) Sie sehen, alle Zeichen stehen auf Übernahme unserer Forderungen, ({3}) aber Sie halten eisern an längst überholten Positionen der 50er Jahre fest. - Wo leben Sie, Kollege Richter? - Wer so störrisch ist und gleichzeitig seinen Willen zum umwelt- und energiefreundlichen Umgang mit dem Auto beteuert, hat jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit verspielt und kann mit dieser Politik im Jahre 1993 und für die Zukunft keine entscheidenden Impulse zu einer ernstgemeinten Verkehrssicherheitspolitik geben. Schienenwegeausbau, Förderung von Binnenschiffahrt, Reduzierung des Binnenluftverkehrs, vom Durchgangsverkehr befreite Innenstädte, an den Menschen orientierte Verkehrsvermeidungskampagnen - das sind die Zeichen der Zeit, nicht ein autogerechtes Deutschland ohne Erhalt der Urbanität unserer Städte und Gemeinden. Eine ökologisch orientierte Verkehrsinfrastruktur unter Einbeziehung aller Verkehrsträger steht bei Ihnen jedenfalls nicht im Vordergrund. ({4}) Dies widerspricht im übrigen auch den Aussagen Ihres Bundeskanzlers auf dem Umweltgipfel in Rio, bis zum Jahr 2005 die CO2-Emissonen bis zu 30 % zu reduzieren. Sie wissen ganz genau, daß das eine reine Selbsttäuschung ist, denn nicht nur der vom Kabinett gebilligte Bundesverkehrswegeplan straft diese Zielsetzung hinsichtlich der Umweltverträglichkeit Lügen. ({5}) Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung kommt - und damit möchte ich abschließen - in einem Extrabonbon zum Ausdruck.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Scheffler, bedeutet das, daß Sie keine Zwischenfrage mehr beantworten?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte jetzt zum Schluß kommen. ({0}) Wie heißt es doch so schön in der Antwort auf Frage 3? „In stilistisch geeigneter Weise" will die Bundesregierung die Bevölkerung in den neuen Bundesländern über Abweichungen der Straßenverkehrsordnung informieren. Andere Sorgen hat sie nicht. Es freut uns, daß Sie es nicht in stilistisch ungeeigneter Form machen wollen, aber Sie sollten überlegen, ob eine rein stilistisch geeignete Form zur Verbesserung der Verkehrssicherheit ausreicht. ({1}) Meine Damen und Herren von der Koalition, sonnen Sie sich nicht in den in Millionenhöhe aufgelegten, stilistisch hervorragenden Broschüren. Nehmen Sie den SPD-Katalog von Maßnahmen des Ordnungsrechts in Ihre Politik auf ({2}) und stimmen Sie unserem heute vorliegenden Antrag zu! ({3}) So wie die Lenkungsfunktion des Marktes schon die Wohnungspolitik der Bonner Regierung dramatisch in den Abgrund geführt hat, so wird auch das Setzen auf die Lenkungsfunktion des Marktes bei der Verkehrspolitik kein wesentlicher Beitrag zugunsten der Verkehrssicherheit sein. Wie schon mit dem Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes sind Sie auch mit Ihren Antworten auf die Große Anfrage zur Verkehrsicherheitspolitik vom Ziel einer sowohl umweltverträglichen als auch sicherheitsrelevanten Politik meilenweit entfernt, aber nach Ihrer Meinung dafür sicher stilistisch schön. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt spricht der Abgeordnete Dr. Klaus Röhl.

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Scheffler, bevor ich zu meinen Ausführungen komme, möchte ich doch die SPD-Fraktion darauf aufmerksam machen: Wenn Sie sich über Handlungen des Bundesrates beklagen, müssen Sie sich in der SPD besser abstimmen, denn Sie haben im Bundesrat die Mehrheit.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Röhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheffler?

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Röhl, falls Sie das nicht mitbekommen haben: Dem Bundesrat wurde als Drucksache eine völlig falsche Version vorgelegt, und zwar von der Bundesregierung, so als ob wir hier im Bundestag so beschlossen hätten. Das ist der entscheidende Punkt. ({0})

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darm sorgen Sie, wenn das so gewesen sein sollte, dafür, daß Ihre Bundesratskollegen nicht schlafen! ({0}) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat auf die Große Anfrage „Verkehrssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland" eine recht umfangreiche und in verschiedenen Teilen auch sehr aufschlußreiche Antwort geliefert. Es wird ausführlich über die Aktivitäten der Bundesregierung und in begrenztem Umfang auch über die der Bundesländer zum Komplex der Verkehrssicherheit berichtet. Darüber hinaus gestattet die Antwort der Bundesregierung mit ihren Daten und Fakten, wenn man außerdem noch die jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes zur Straßenverkehrsunfallbilanz hinzunimmt, eine erkenntnisreiche Analyse des Verkehrsunfallgeschehens und seiner Ursachen. Es wird damit möglich, richtige und von vorgefaßten Meinungen freie Wege zur weiteren Senkung der Verkehrsunfallzahlen zu finden. So ist im Vergleich von 1991 zu 1992 die Zahl der Verkehrstoten in den alten Bundesländern um 2,9 % und in den neuen Bundesländern um 9,3 % gesunken. Die Zahl der Verletzten nahm 1992 gegenüber 1991 in den alten Bundesländern um 0,6 % und in den neuen Bundesländern von plus 34,6 % von 1990 zu 1991 auf plus 7,4 % von 1991 zu 1992 ab. Wer das nicht versteht: Die Kurve hat sich erheblich verflacht, nämlich um reichlich drei Viertel. ({1}) - Das ist Mathematik, Stoff der 10. Klasse. ({2}) Das sind Zahlen, die man mit Erleichterung aufnimmt und hinter denen eine intensive Arbeit zur Verbesserung des Sicherheitsverhaltens der Verkehrsteilnehmer und zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, ganz besonders in den neuen Bundesländern vollbracht, steht. Das wurde erreicht, obwohl in den alten Bundesländern von 1991 zu 1992 die Anzahl der zugelassenen Pkw und Kombi von 30,7 Millionen auf 31,3 Millionen, d. h. um etwa 2 %, und in den neuen Bundesländern in der gleichen Zeit von 4,8 Millionen auf 5,5 Millionen, d. h. um 14,6 %, gestiegen ist. In den neuen Bundesländern ist die Anzahl der Unfälle auf den Autobahnen mit 12 % Abnahme erfreulich zurückgegangen. Auch hier zeigt sich der Nutzen der Anstrengungen zur Verbesserung des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsinfrastruktur.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Röhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gries?

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, wenn es nicht angerechnet wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, das wird nicht angerechnet.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Röhl, kennen Sie diese Aufstellung, die ich hier in der Hand habe - Dr. Klaus Röhl ({0}): Ja, die kenne ich.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- -welche der ADAC vor wenigen Tagen versandt hat? Kennen Sie auch die Zahlen, die darin stehen - ({0})

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die kenne ich.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- - nach denen z. B. in den Jahren 1970 bis 1990 der Kfz-Bestand von 16 auf 35 Millionen und die Fahrleistung von 234 auf 458 Milliarden Kilometer zugenommen hat, während die Zahl der getöteten Verkehrsteilnehmer in der alten Bundesrepublik von 19 000 auf 7 900 und die Getötetenrate - wie das hier so technisch heißt - von 8,20 auf 1,72 zurückgegangen ist? Kennen Sie diese Zahlen?

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, die kenne ich!

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Können Sie die auch bestätigen?

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, die kann ich bestätigen. ({0}) - Müssen wir immer Äpfel mit Birnen vergleichen? Ich habe jetzt eindeutig die Jahre 1990/91 und 1991/ 92 verglichen. ({1}) - Natürlich!

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es gibt eine weitere Zwischenfrage, nämlich von Frau Ferner. - Bitte schön.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie mir denn zustimmen, Herr Kollege Röhl, daß in den Zeiten, die der Herr Kollege Gries eben genannt hat, auch Dinge wie Anschnallpflicht, ABS, Airbag und was weiß ich noch eingeführt worden sind? ({0})

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist doch nur gut; das ist doch das Beste, was wir machen können.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht sind Sie dann der Meinung, daß der Rückgang der Zahl der Verkehrstoten und -verletzten in den letzten 10, 15 oder 20 Jahren auch mit Maßnahmen zu tun hat, die man unter dem Begriff „passive Sicherheit" zusammenfassen kann, und eben nicht unbedingt mit einem besseren Verhalten? ({0})

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, sicher. Ist denn dagegen etwas einzuwenden? Was ist denn dagegen einzuwenden? Das ist doch gut. ({0}) Man darf nicht blindlings auf einem Gebiet handeln, sondern man muß auf allen Gebieten handeln. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle noch besonders darauf hinweisen, daß die Bundesautobahnen mit einer bundesweiten Gesamtfahrleistung von etwa 30 % einen Anteil von nur 7 % an den Unfällen mit Personenschäden haben. ({2}) Die Unfallrate - das sind die Unfälle mit Personenschäden je 1 Million Fahrkilometer - beträgt auf Bundesautobahnen 0,18, auf den Bundesfernstraßen 0,53 und innerorts 1,6. Die Bundesautobahnen sind also nicht die gefährlichsten Straßen, für die sie gehalten werden. Durch einen Vergleich mit anderen Ländern, in denen Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen bestehen, wird die in die völlig falsche Richtung führende, immer wiederholte Forderung der SPD nach einer generellen Geschwindigkeitsherabsetzung zur Senkung der Unfallzahlen noch deutlicher. Stellt man die Geschwindigkeitsregelung in diesen Ländern den tödlich Verunglückten pro 1 Milliarde Kfz-Kilometer und der Fahrleistung in Milliarden Kfz-Kilometern gegenüber, so stellt man fest, daß Deutschland mit einer Zahl von 6,0 Verunglückten und einer dazugehörigen Fahrleistung von 128,9 Milliarden Kfz-Kilometern in der Spitzengruppe der Verkehrssicherheit liegt. Länder wie Belgien, Finnland, Frankreich, Japan, Italien, Österreich, Portugal und Spanien mit Geschwindigkeitsbegrenzungen zwischen 80 km/h und 130 km/h und weitaus geringeren Fahrleistungen weisen Werte zwischen 9,5 und 61,0 Verunglückten auf. Das müssen Sie sich einmal klarmachen! ({3}) Es ist also nicht in erster Linie die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung, die die Verbesserung der Unfallzahl bringt, sondern es ist in erster Linie das Verhalten der Fahrzeugführer, der Faktor Mensch, die der Situation angepaßte Fahrgeschwindigkeit. ({4}) Erst danach kommen Umfang und Qualität der Verkehrsinfrastruktur, die Verkehrsleitsysteme und das Ordnungsrecht, die zum Erfolg führen. Man muß Zahlen richtig lesen können. Das ist es nämlich. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Klare Fehlanalysen findet man bei vielen Betrachtungen, auch heute hier in diesem Hohen Hause, beim schlimmen Thema „Alkohol am Steuern. In den neuen Bundesländern ist trotz der bisherigen 0,0-Promille-Grenze die Zahl der durch Alkohol verursachten Unfälle im letzten Jahr um 19 % gestiegen. ({0}) Auch hier ist es der Faktor Mensch, der die Ursache setzt. Ein nur auf dem Papier stehendes Herabsenken der Promillegrenze ohne hieb- und stichfeste, in breiter Form anwendbare Kontrollmöglichkeit ist glatter Selbstbetrug ({1}) und eine Augenauswischerei. ({2}) Wir werden in der geplanten Anhörung zur Atemalkoholanalyse deren Anwendbarkeit, Leistungsfähigkeit und Einsatzmöglichkeit gründlich prüfen und danach sachgerecht über diesen Komplex entscheiden. ({3}) Wie immer diese Entscheidung ausfällt und welche Anwendung auch erfolgt: Es ist und bleibt immer der einzelne Mensch, der sich unter Alkoholeinfluß ans Steuer eines Kraftfahrzeugs setzt oder nicht. (Siegfried Scheffler [SPD]: Unterhalten Sie sich einmal mit den Eltern, deren Kind überfahren worden ist! Hier muß unsere aktive und intensive vorbeugende Arbeit einsetzen. Ein weiteres erschreckendes Untersuchungsergebnis ist die Verteilung der Altersgruppen unter den Unfallverursachern. Während die Anzahl der Unfallbeteiligten noch etwa der normalen Altersverteilungskurve folgt, muß man mit Bestürzung feststellen, daß der Prozentsatz der Unfallverursacher sehr stark zu den jüngeren Altersgruppen, insbesondere zur Gruppe der unter 24- bzw. der unter 20jährigen, verschoben ist, und zwar gleichgültig, ob Pkw-Fahrer, Radfahrer oder Fußgänger. Hier stellt sich nicht nur die Forderung nach einer erheblichen Verbesserung der Fahrschulausbildung in Theorie und Praxis und auch der Ausbildung der Fahrlehrer selbst, sondern hier stellt sich ganz besonders auch die Notwendigkeit, die persönliche Urteilsfähigkeit für Straßenverkehrssituationen und das persönliche Verantwortungsbewußtsein im Straßenverkehr speziell der Angehörigen dieser Altersgruppen entscheidend anzuheben. Nachdenklich stimmt auch das Ergebnis, daß Fußgänger, Fahrradfahrer, sowie Fahrer von Mofas, Mopeds und Motorrädern trotz ihres wesentlich geringeren Anteils an den Unfallbeteiligten einen ähnlichen, teils auch einen höheren Prozentsatz als Unfallverursacher erreichen als die Fahrer von Personenwagen. Besonders auffällig ist der stark angestiegene Verursacheranteil der Radfahrer. Hier erweist es sich als grober Fehler, wenn nicht gar als Vorverurteilung, bestimmten Verkehrsteilnehmergruppen den Hauptanteil der Schuld an Verkehrsunfällen zuzuweisen. ({4}) Solche Fehlbeurteilungen führen damit auch direkt zu falschen Schlüssen und Maßnahmen bei der Unfallbekämpfung. Für besonders grobe Verstöße gegen Verkehrsregeln, z. B. Befahren von Kreuzungen bei roter Ampel oder hohe Geschwindigkeitsübertretungen, sollen ab April stärkere Ordnungsmaßnahmen mit erhöhten Bußgeldern und erhöhten Punkteintragungen wirksam werden. Obwohl solche Maßnahmen nicht zu unseren Idealen gehören, helfen sie vielleicht, wenigstens einen Teil der Übertreter zurückzuhalten. Zusammenfassend muß gesagt werden: Hauptfaktor bei allen Problemen der Verkehrssicherheit ist das Verhalten des Menschen, des Verkehrsteilnehmers. Hier muß die Hauptarbeit mit Verkehrsausbildung und Verkehrserziehung zur Herausbildung von erhöhtem Verantwortungsbewußtsein geleistet werden. Alle Regelwerke, alle Infrastrukturmaßnahmen, alle Verkehrsleiteinrichtungen, alle technischen Hilfsmittel und Vorschriften, die Beschaffenheit der Fahrzeuge und alle Ordnungsmaßnahmen werden nur bedingt wirksam sein, wenn es nicht gelingt, die beteiligten Menschen zu verkehrsgerechtem und der Verkehrssituation angepaßtem Verhalten zu veranlassen. ({5}) Hier ist nicht nur der Staat, hier sind auch ganz besonders die Verbände und nichtstaatlichen Organisationen, die öffentlich-rechtlichen und die privaten Medien, speziell die privaten Rundfunksender mit ihrem großen Hörerkreis bei Kindern und Jugendlichen, und auch jeder einzelne von uns gefordert. Patentrezepte, ideologische Standardforderungen und überzogene Regularien sind nutzlos. Nur das richtige Verhalten und Handeln eines jeden führt zum Erfolg. Wir alle sind dazu aufgefordert. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächstes spricht Frau Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Übrigens, Herr Kollege Scheffler: So wie es Ihnen mit der Anschnallpflicht für Kinder gegangen ist, ist es uns ja mit dem grünen Pfeil gegangen. ({0}) - Ich spreche aber über das Verfahren, darüber, wie das angenommen worden ist. - Es ist eben das Los der Opposition in diesem Hohen Hause, zur Kenntnis nehmen zu müssen, daß nicht Sachauseinandersetzungen geführt werden, sondern die Zugehörigkeit zu einer Fraktion entscheidend ist. ({1}) Meine Damen und Herren, was die Bundesregierung in puncto Verbesserung der Verkehrssicherheit an Konzepten zu bieten hat, wirkt auf mich wie Schocktherapie. Es darf doch wohl nicht wahr sein, daß sich angesichts von über 10 000 Verkehrstoten und über 500 000 Verletzten allein im Jahre 1992 das Konzept der Bundesregierung im wesentlichen auf Programme zur Verkehrserziehung und Aufklärungsarbeit reduziert. ({2}) Ich muß Ihnen an dieser Stelle sagen, daß mich diese Debatte, so wie sie hier geführt wird, zutiefst erschreckt. Es geht doch nicht um Statistiken, um irgendwelche mathematische Vorbildung. Hier geht es um Menschenleben. Hier geht es um menschliche Tragödien, die sich in vielen Familien abgespielt haben. ({3}) Alle 45 Minuten stirbt ein Mensch auf Deutschlands Straßen. Jede Minute wird einer verletzt, viele davon schwer. Das sind die bedrückenden Zahlen. Aber die Bundesregierung traut sich an ordnungspolitische Maßnahmen wie Tempolimit ({4}) oder die 0,0-Promille-Grenze nicht heran, und das, obwohl sich seit Jahren eine Mehrheit der Bevölkerung in Ost und West für ein Tempolimit ausspricht. ({5}) Selbst der ADAC muß das mittlerweile zugeben, obwohl er es mit Sicherheit nicht gern tut. Ebenso ungern hörte das Verkehrsministerium vor eineinhalb Jahren die Ergebnisse einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen zum Thema „Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen". Die Studie wurde unter Verschluß gehalten. Der verantwortliche Mitarbeiter darf sich seither intensiv der Hobbygärtnerei widmen. Wahrscheinlich verhält es sich so, meine Damen und Herren, daß die drohende Automobillobby im Nacken beeindruckender ist als die statistische Größe von 10 000 Toten. ({6}) - Herr Richter ist heute sehr wißbegierig.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Enkelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Richter?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, wenn es sein muß.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es muß nicht sein, Frau Kollegin, aber ich würde Sie doch gern fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die meisten Verkehrstoten in Bereichen zu verzeichnen sind, in denen wir ein Tempolimit haben, und wie Sie sich das erklären.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe über die Art und Weise, in der die Debatte hier geführt wurde, gesprochen, und dabei ging es nicht nur um das Tempolimit. Es ging mir generell um die Debatte. ({0}) Ich finde es so verheerend, daß hier eigentlich nur Zahlen hin und her gewälzt werden und nicht darüber gesprochen wird, wie betroffen die Menschen selbst sind, wie es um die Menschen steht, um die, die aus Verkehrsunfällen behindert hervorgehen. ({1}) Über die wird nicht gesprochen. Das habe ich gesagt. ({2}) Minister Krause kann hundertmal erzählen, im internationalen Vergleich sei erwiesen, daß ein generelles Tempolimit nicht zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitrage. Da es durch Modellversu11958 che wie den Versuch zur großflächigen Verkehrsberuhigung in Buxtehude belegt ist, daß es sehr wohl möglich ist, Unfallzahlen drastisch zu senken, spricht für mich alles dafür, ein Tempolimit einzuführen - in diesem Fall von 30 km/h als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften. Da dem Verkehrsminister die Ergebnisse dieses Modellversuchs anscheinend nicht bekannt sind, darf ich mir erlauben, Aufklärung zu geben: Als Ergebnis des bereits vor acht Jahren gestarteten Versuchs zur großflächigen Verkehrsberuhigung sank die Zahl der Schwerverletzten binnen kurzer Zeit um 62 %. Die Zahl der Unfälle mit schwerem Sachschaden ging um immerhin die Hälfte zurück. ({3}) Außerdem - hören Sie gut zu, Herr Kollege Richter -: Der Rückgang der Höchstgeschwindigkeit führte nicht zu einem Rückgang der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes. ({4}) - Ich spreche leider auch von Blech, von dem Blech der Verkehrslawine. - Im Gegenteil: Der Verkehr wurde flüssiger und gleichmäßiger, Staus wurden immer seltener. Die Bevölkerung war erstaunt und begeistert - nicht so der Verkehrsminister. Mit dem simplen und zudem so kostengünstigen Instrument der Geschwindigkeitsbegrenzung lassen sich also nachweislich beachtliche Erfolge in Sachen Verkehrssicherheit erzielen, und dazu auch noch kurzfristig. Nicht zu vergessen ist die Reduzierung des CO2-Ausstoßes, also der Beitrag, der zum Umweltschutz geleistet werden kann. Währenddessen redet die Bundesregierung jedoch in ihrer schier unerschütterlichen Technikgläubigkeit von Verkehrsinformations- und Warnsystemen. Das Pferd, auf das der Verkehrsminister setzt, ist im wesentlichen ein Zugpferd für die Elektronikindustrie, die sich hiermit ein lukratives neues Betätigungsfeld geschaffen hat.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Enkelmann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Richter?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich merke schon, daß der Kollege Richter heute sehr wißbegierig ist. Ich würde meine Rede jetzt aber gern zu Ende führen, ohne dauernd gestört zu werden. ({0}) Meine Damen und Herren, neben überhöhten und unangepaßten Geschwindigkeiten ist Alkohol am Steuer die zweite Hauptursache für Verkehrsunfälle. Und was unternimmt die Bundesregierung hier außer Aufklärungsarbeit? Die ist zweifelsohne wichtig. Das will ich nicht bestreiten. Aber: Durch Nichtstun, d. h. durch Verschleppen der Entscheidung über eine einheitliche Promillegrenze in den alten und neuen Bundesländern, führte sie zum 1. Januar die 0,8-Promille-Regelung auch in den neuen Bundesländern ein. ({1}) Ein Antrag einer Gruppe von mehr als 50 CDU- Abgeordneten - wie mir bekanntgeworden ist -, die Regelung des Einigungsvertrags zu verlängern ({2}) - ja, die Kollegen, die diesen Antrag unterstützt haben, sitzen heute leider nicht hier -, wurde schon in der Fraktion gekippt. Die ersten Ergebnisse dieses unverantwortlichen Verfahrens liegen mittlerweile auf dem Tisch: Im Bereich Potsdam z. B. kam es im Januar 1993 zu 105 alkoholbedingten Unfällen. Im Vergleichsmonat des Vorjahres waren es 65. Das ist eine Steigerung um ca. 70%. ({3}) Im übrigen: Potsdam, Herr Kollege Gries, liegt inzwischen auch in der Bundesrepublik. Die Zahlen sollte man also durchaus mit heranziehen. Ich möchte von Ihnen wirklich wissen, Herr Carstens, welche bessere Aufklärungsarbeit es über die Gefahren von Alkohol am Steuer geben kann als die, unmißverständlich klarzumachen, daß sich Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs ausschließen müssen. Ich möchte wissen, wie man das besser und unmißverständlicher klarmachen kann als durch die Einführung einer eindeutigen 0,0-PromilleGrenze. Wir haben einen entsprechenden Antrag eingebracht und freuen uns darüber, daß sich immerhin der Landtag von Sachsen-Anhalt ebenfalls für eine 0,0-Promille-Grenze ausgesprochen hat. An diesem Punkt - so muß ich Ihnen gestehen - geht mir auch der Antrag der SPD mit der 0,5- Promille-Regelung nicht weit genug. Gerade im unteren Alkoholisierungsbereich werden die Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit zuwenig beachtet. Schon unter 0,2 Promille kommt es zu Wesensveränderungen wie Enthemmung und eingeschränkter Selbstkritik. Ab 0,2 Promille wird das Fahrverhalten beeinträchtigt, und zwar durch schlechtere Sehleistung, längere Reaktionszeit, größere Risikobereitschaft, geringere Aufmerksamkeit und Konzentration sowie falsche Entfernungseinschätzung. ({4}) Ab 0,5 Promille ist das Unfallrisiko bereits doppelt so groß wie in nüchternem Zustand. Jeder Grenzwert, ab 0,3, 0,5 oder 0,8 Promille, ist willkürlich und signalisiert eher, daß das Führen eines Fahrzeuges nach dem Genuß von Alkohol nicht grundsätzlich unterlassen werden muß. Nun höre man und staune: Die genannten Fakten sind aus einer Initiative des Verkehrsministers und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates „Auf Ihr Wohl - kein Alkohol". Also: Der Verkehrsminister müßte diese Zahlen durchaus kennen. Herr Minister Krause wirbt seit einiger Zeit mit Plakaten für Verkehrssicherheit, auf denen steht „Wer rast, fliegt raus". Nun gehört er - das hat er selbst hier erklärt - zu den Rasern der Nation. Welche Konsequenzen zieht der Verkehrsminister? Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nachdem sich Frau Enkelmann mit Fragen nicht so gern herumplagen wollte, möchte ich die Aufmerksamkeit der Kolleginnen und Kollegen darauf lenken, daß es in Deutschland offenbar einen unausrottbaren Volksglauben gibt, nämlich den an die magische Kraft bemalten Blechs: Man muß nur bemalte Schilder hinstellen; dann wird die Welt besser. Ich glaube nicht daran. Ich glaube, daß das bemalte Blech nur zu einem führt: daß die Leute den Staat und seine Regelungsmechanismen nicht mehr ernst nehmen, dann nämlich, wenn man staatlicherseits nicht mehr in der Lage ist, die Verbote und Gebote, die man anordnet, auch nur ansatzweise zu kontrollieren. Das gilt auch für die Promillegrenze. ({0}) Ich bin doch nicht dafür - niemand hier im Hause ist dafür -, daß die Leute alkoholisiert Auto fahren. Ich bin aber der Meinung, daß alles nichts nutzt, wenn man nicht konsequent kontrolliert. Jeder Grenzwert ist beliebig, angreifbar, willkürlich. ({1}) Für und gegen jeden gibt es Argumente. ({2}) Aber für welchen man immer sich entscheidet: Der Erfolg hängt ausschließlich von einer konsequenten Kontrolle ab. Die Einhaltung der 0,0-Promille-Grenze ist einfach nicht flächendeckend zu kontrollieren. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Enkelmann, ich entnehme aus Ihrer Reaktion, daß Sie nicht antworten wollen. ({0}) Als nächster hat der Abgeordnete Herr Dr. Feige das Wort.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Frau Präsidentin! Ich hatte damit gerechnet, daß erst Herr Börnsen sprechen würde. Meine Damen und Herren! Herr Scheffler hat vorhin darauf hingewiesen, wie eilig jetzt so etwas behandelt wird. Eilbehandlung ist inzwischen Mode geworden. Ich denke an die Sitzung im Umweltausschuß vom vergangenen Mittwochabend. Dort hatten wir nicht einmal Zeit, die uns massenweise von den Koalitionsparteien vorgelegten Anträge durchzulesen, und die Koalition hatte selbst wiederum Schwierigkeiten, die ihr durch Fax von ihren Verbänden zugesandten Anträge zu interpretieren, damit wir darüber sprechen können. Ich hatte mich zunächst darauf eingestellt, daß wir nur die Fragen behandeln können. Mich hat die dann schnell nachgereichte Antwort der Bundesregierung ein bißchen überrascht. Ich bin also etwas unsicher gewesen, warum denn jetzt so große Eile not tut. Immerhin waren es neun Monate, die Sie gebraucht haben. Ich habe gehört, daß sehr, sehr intensiv geprüft wurde; aber - neun Monate - es ist trotzdem ein recht kleines Kind herausgekommen. Die Bundesregierung sagt, diese Frage stehe bei Ihnen ganz oben. Ich bin aber doch sehr sicher, daß das Thema Verkehrssicherheit, gemessen am gesamten Verkehrsbereich, ein winziges Bruchstück ist und alles andere, was Sie sonst noch tun, beim besten Willen nicht erkennen läßt, daß das Thema Verkehrssicherheit wirklich zu Ihren Zielen zählt. Wahrscheinlich hat den Verkehrsminister eine Ahnung beschlichen, wie stark seine autoorientierte Verkehrspolitik jedem Bemühen um einen Fortschritt in der Verkehrssicherheit auf Dauer entgegenwirkt. Wohl deshalb hat er die Herbstdiskussion um seinen völlig verfehlten Bundesverkehrswegeplan 1992 nicht auch noch mit diesem heiklen Thema belasten wollen. Allerdings frage ich mich, warum Sie das jetzt machen; denn die Koalition - nach wie vor in ihrem Denken autoorientiert - hat den Bundesverkehrswegeplan noch nicht durch. Aber wenn ich jetzt Ihre Wortbeiträge gehört habe, ist mir sehr klargeworden - auch wenn ich die Antwort auf die Große Anfrage lese -: Sie wollen uns ganz einfach nur beruhigen; Sie wollen die Nation in dem Glauben lassen, daß Sie alles getan haben. Dieses Einlullen ist auch angesichts der von Ihnen vorgelegten Daten wahrlich nicht gerechtfertigt. Die Große Anfrage von CDU/CSU und F.D.P. beginnt mit Zahlen, die die meisten Bürger in ihrem Verkehrsalltag verdrängt haben. Es gibt jetzt im privaten Fernsehen Sendungen, die das wieder sehr drastisch herausholen, wenngleich dieses Spiel auch manchmal sehr makaber ist. Aber wenn es ein bißchen dazu beiträgt, daß man intensiver darüber nachdenkt, was wirklich bei Verkehrsunfällen passiert und wie betroffen die Menschen tatsächlich sind, dann ist das gut. Auch wenn ich jetzt selbst Zahlen nenne, kann man mit Zahlen das, was an menschlichem Leid dahintersteckt und was sich nicht in Geld oder in irgendwelchen Statistiken ausdrücken läßt, nicht verdrängen. Im Jahr 1991 opferten die Bundesbürger ihrem hausgemachten Moloch Straßenverkehr 11 248 Menschen; mehr als 503 000 Menschen sind verletzt worden. Seit 1950 sind auf Deutschlands Straßen weit über eine halbe Million Menschen umgekommen. Im gleichen Zeitraum waren es 25 Millionen Verletzte, die wir zu beklagen haben. Diese Zahlen müssen wir genauso nennen - bei allem Bemühen, das ja nicht das Verdienst der Koalition ist, sondern teilweise vielmehr der Verbände. Hier möchte ich einmal den VCD nennen, der in Sachen Verkehrssicherheit weit mehr getan hat, als ich es beim ADAC erkennen kann, den Sie immer zu Rate ziehen. Dabei sind alle Zahlen bis 1992 im Osten Deutschlands inzwischen längst Makulatur. Insofern ist die Antwort der Bundesregierung meines Erachtens heute sogar zu früh gekommen. Vielleicht müssen wir sie sogar deshalb debattieren. Denn die Zahlen 1993 werden uns vor ganz glasharte Fakten stellen. Ich habe wirklich sehr aufmerksam beobachtet, was im ersten Monat dieses Jahres passiert ist. Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren: Es wurde getrunken, und es wird getrunken, auch im Osten. Aber wir müssen ganz klar sagen: Was hat dieser Beschluß - oder besser: das Unterbinden einer Aktion, etwas Deutschland Vereinheitlichendes in dieser Hinsicht zu tun - im ersten Monat in den neuen Länder bewirkt? Es ist dort tatsächlich zu einem deutlichen Anstieg der Unfallzahlen gekommen. Sie werden das, wenn wir dieses Thema am Ende des Jahres noch einmal diskutieren werden, nicht wegwischen können. Sie werden sie auch durch die gute Bilanz, die Sie möglicherweise rein statistisch vorlegen werden - ich bin selbst Statistiker und weiß, wie man mit Statistiken betrügen kann -, nicht vom Tisch wischen können. Meines Erachtens ist also die Frage, die wir zu diskutieren haben, daß seit dem 1. Januar bundesweit 0,8 Promille im gesamten Bundesgebiet als höchstzulässige Grenze gelten, eine so wichtige Frage, daß wir sie weiter und intensiver diskutieren müssen und mit vielen anderen Fragen nicht vorankommen werden, wenn wir dieses Problem nicht lösen. Ich glaube, Trunkenheit am Steuer ist für die Unfallrekorde in diesem Jahr verantwortlich. Wenn wir die Wissenschaftler und Verkehrsexperten hören, die sich sehr intensiv dazu geäußert haben, werden Sie feststellen, daß 0,5 Promille nicht reichen, auch wenn ich einen guten Willen sehe. Wir können nicht garantieren - ich bin fest davon überzeugt -, nicht absichern, daß nicht trotzdem weiter alkoholisiert und betrunken Auto gefahren wird. Aber wir müssen die Kontrollen verstärken. Warum ist es denn im vergangenen Jahr trotz 0,0 Promille zu einer Erhöhung der Zahl der Verkehrstoten in den neuen Ländern unter Alkoholeinfluß gekommen? Weil die Kontrolle auf Null heruntergedrückt wurde. Selbst das ist eine Wirkung, die Sie mit zu verantworten haben. ({0}) Wenn Sie unbedingt fahren wollen - nehmen Sie es mir bitte nicht als ironisch ab -, sage ich Ihnen eines: Dann müssen wir eben ein paar Straßen freigeben, an denen steht: „Mindestens 0,8 Promille". Aber dann brauchen wir vielleicht das Zusatzzeichen: „Nur für F.D.P.!" Und das möchte ich nicht. ({1}) Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren: Deutschland nimmt seit 40 Jahren wirklich - nehmen Sie das Wort in diesem Sinne ernst - einen Krieg im eigenen Lande hin. Der ständig wachsende Drang zu noch schnellerem Rasen wird durch verschiedene Aspekte, durch Werbung oder sonst etwas, unterstützt. Rücksichtslose Aggressivität, das Fahren unter Drogeneinfluß, aber auch die selbstgewollte und die fremdbestimmte Überforderung menschlicher Möglichkeiten im Straßenverkehr sind die wesentlichen Ursachen. „Lieber tot als langsam" heißt wohl die allgegenwärtige, verinnerlichte Devise unserer Autopiloten. Zum Opfer werden dabei zu oft die Schwächeren und Wehrlosen: Fußgänger, Radfahrer, alte Menschen und Kinder. Genausowenig wie die beschleunigte Umweltzerstörung durch den Straßenverkehr ist das alltägliche Sterben auf unseren Straßen durch die realexistierende Verkehrspolitik à la Krause zu lösen. Im Gegenteil: Wir werden es so nicht schaffen. Ich bitte Sie auch, einmal darüber nachzudenken - und das ist dann nicht mehr Stoff der zehnten Klasse, sondern das ist Stoff der siebten Klasse -, was mir auch viele Kollegen bestätigt haben: Weniger Geschwindigkeit, weniger Masse ist in diesem Sinne auch weniger Gefahr. Das ist so einfach, daß ich in diesem Zusammenhang noch einmal ausdrücklich an diese elementare physikalische Gleichung erinnern möchte. Wir plädieren in diesem Sinne für Tempo 100, 80 und 30. Aber wenn Sie sagen, daß gerade in den verkehrsminimierten Bereichen die große Gefahr auftritt, dann werde ich Ihnen eines deutlich sagen: Die Verursacher sind nicht die, die sich daran halten, sondern die, die weiterhin rasen und zu schnell fahren. ({2}) - Kommen Sie mir doch nicht mit solchen Argumenten, indem Sie sagen: Wir haben Gesetze, aber es wird trotzdem totgeschlagen. Ihre Argumente sind immer, daß Sie trotz allem sagen: „Na gut, aber ein bißchen hauen dürft ihr" . Wir sollten mit unseren Gesetzen einen klaren Trend setzen, der einfach sagt, in welche Richtung es geht. Ich denke, in diesem Sinne ist die Verkehrssicherheitspolitik der Bundesregierung bei weitem noch nicht ausreichend. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Verkehrssicherheit ist viel zu ernst, um hier mit Polemik und gegenseitigen Schuldzuweisungen anzukommen. Wolfgang Börnsen ({0}) Ich möchte vorweg eine Bemerkung zu den Überlegungen der Sozialdemokraten zum Thema Kindersicherung machen. Wir alle waren für eine bessere Kindersicherung durch Rückhaltesysteme. Uns alle trieben die Unfälle um, die dadurch geschehen sind, daß es bisher nicht funktioniert hat, bis hin zu Bundesverkehrsminister Krause, der sich - das wissen Sie - auch persönlich dafür eingesetzt hat. Aber wenn jetzt in den Bundesratsverhandlungen die Geschäftsgrundlage verändert worden ist, dann muß das wieder bei uns auf den Tisch. Die Parlamentarier haben das Wort. ({1}) Frau Präsidentin! Vor wenigen Wochen konnte die Verkehrswacht auf ein wichtiges Ereignis aufmerksam machen, das viele gar nicht registriert haben: 40 Jahre Schülerlotsendienst, 40 Jahre erfolgreiche Unfallvermeidung. Seit 1953 hat es dort, wo jährlich 60 000 Mädchen und Jungen und Eltern sichern, keinen Unfall mit tödlichem Ausgang gegeben. -40 Jahre lang ein ehrenamtlicher großartiger Dienst. Wir Parlamentarier haben den zwei Millionen zu danken, die seit vier Jahrzehnten diesen Dienst ausüben. ({2}) Wir von der CDU/CSU und F.D.P. haben diese Große Anfrage eingebracht, weil besonders zu Beginn der deutschen Einheit in unserem Lande die Zahl der Verkehrsunfälle im Osten dramatisch zugenommen hat; weil wir die Probleme anpacken und nicht beiseite legen dürfen; weil der Verkehrssicherheit ein Rang zusteht wie der Bekämpfung der Kriminalität, des Umweltschutzes und von Aids; weil die Verkehrssicherheit aus der Tagesroutine heraus muß; weil die Mobilität bei uns im Gegensatz zu vielen anderen Staaten viel stärker zunimmt und damit neue Herausforderungen schafft; weil Jahr für Jahr eine Million Kraftfahrzeuge mehr auf unseren Straßen zusätzlich zu Staus, zu Streß, aber auch zu Angst und Aggressionen führen; weil über zwei Millionen Verkehrsunfälle bei uns eine permanente Herausforderung sind; aber auch weil jährlich 50 000 Verkehrstote in Europa die ganze Dimension erst deutlich machen, denn neben dem menschlichen Leid verursachen Verkehrsunfälle jährlich über 50 Milliarden DM volkswirtschaftliche Kosten in ganz Europa. Aber ausschließlich auf drastische Benzinpreiserhöhung, ausschließlich auf Straßenrückbau, ausschließlich auf Tempobegrenzung und ausschließlich auf Autoverteufelung zu setzen wird der Vielschichtigkeit der Verkehrssicherheitsproblematik nicht gerecht. ({3}) Wir von der Union wollen die Mobilität unserer Mitbürger. Sie ist ein Teil ihrer und unserer Freiheit. ({4}) Wir wollen die Funktionsfähigkeit der verschiedenen Verkehrsträger erhalten, weil sie für Arbeit, Wohlstand, Wirtschaft und auch Freizeit grundlegend ist. Aber sie muß ohne eine Verbotspolitik sichergestellt werden. Die vergangenen 40 Jahre haben in Deutschland nachweisbar zu mehr Verkehrssicherheit unter extremen Bedingungen geführt. Die Menschen unseres Landes haben daran ebenso ihren Anteil wie alle - ich betone: alle - Bundesregierungen in den letzten Jahrzehnten. Verkehrssicherheit ist und bleibt eine Gemeinschaftsaufgabe aller staatlichen Kräfte. Trotz einer Verdoppelung des Kfz-Bestandes von 1970 bis 1990 in Deutschland ({5}) auf jetzt 36,5 Millionen Kraftfahrzeuge reduzierte sich die Zahl der schweren Verkehrsunfälle um mehr als die Hälfte. Trotz rapide gestiegener Fahrleistung um mehr als 50 % ging die Anzahl der getöteten Verkehrsteilnehmer von 18 000 Mitbürgern auf unter 8 000 zurück. 1991- auch das gehört zur Wahrheit - hatten wir mit 7 515 im Verkehr Getöteten den niedrigsten Stand seit Beginn der Verkehrsstatistik 1953. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß trotz geringerer Mobilität im Jahre 1970 noch 2 167 Kinder im Straßenverkehr tödlich verunglückten. 1990 waren es 355 -355 zuviel. Dieser rapide Rückgang ist kein Trost; denn die Trauer um jedes Verkehrsopfer und die Leere in den betroffenen Familien bleiben. Trotz extremer Verkehrsverdichtung in Deutschland kann sich die Verkehrsleistung der letzten Jahrzehnte in der Bundesrepublik international sehen lassen. Bezogen auf tödlich Verunglückte pro 1 Milliarde Fahrzeugkilometer rangiert unser Land unter den 14 größeren Industriestaaten auf dem vierten Platz, zwar nach Holland, Dänemark und Großbritannien, doch vor den USA, Finnland, Frankreich und Japan, obwohl Deutschland Tansitland Nummer eins ist. Wir sind auch das Land mit dem stärksten Verkehrsaufkommen. Konsequent wird in unserem Land die Verkehrssicherheit weiter verbessert. Auch in diesem Bereich arbeitet Bundesverkehrsminister Günther Krause konzeptionell. ({6}) Die von ihm betriebene Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte findet unsere Unterstützung. Sie ist auch deshalb erforderlich, weil wir eine gespaltene Unfallentwicklung in unserem Land haben: kontinuierlicher Rückgang schwerer Unfälle im Westteil unseres Landes, dagegen hochschnellende Zahlen im Osten unseres Landes, Zahlen, die noch 1991 stiegen und erst jetzt, 1992, zurückgegangen sind, aber nur leicht. Drei Millionen mehr Kraftfahrzeuge in Deutschland ({7}) bedeuten eine völlig neue Lage, auch für die Menschen dort. Aber der Motorisierungsgrad in Deutschland ({8}) ist erst mit dem in Westdeutschland 1981 vergleichbar. Das heißt, trotz des Versuchs, den Umstieg auf die Bahn und auf den Bus zu schaffen, wird es noch einen größeren Nachholbedarf geben. Darauf haben wir uns einzustellen. Die Gefährdung wird ebenso zunehmen. Wolfgang Börnsen ({9}) Untersucht man die Struktur der Verkehrsunfälle, kommt man zu folgenden Resultaten, die für Ost und West gleichermaßen gelten: Risikoreich in Deutschland sind Innerortsstraßen. Mehr als 60 % aller Unfälle mit Personenschaden passieren dort. 30 % geschehen auf Außerortsstraßen, auf Landstraßen. Nur 7 % aller schweren Unfälle passieren auf Autobahnen, obwohl dort 30 % der gesamten Verkehrsleistung zu verzeichnen ist. Auch das gehört zur Wahrheit. ({10}) Risikoreich ist die Verkehrsteilnahme für Jugendliche. Wir haben heute eine ganze Menge jugendlicher Zuschauer. Jeder vierte Getötete und jeder dritte Schwerverletzte ist in einem Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Risikoreich ist aber auch das Verkehrsverhalten der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen, deren Anteil bei den Unfallverursachern 30 % beträgt. Fast drei Viertel aller Unfälle werden durch Pkw-Fahrer verursacht. Radfahrer folgen mit 8,7 %. Das bedeutet, 30 000 Radfahrer sind an Unfällen beteiligt. Dann folgen die motorisierten Zweiräder und immerhin 16 244 Fußgänger. Die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene ist ein Weg, daß Verkehrsniveau insgesamt zu heben, aber ebenso eine stärkere Vernetzung des öffentlichen Personennahverkehrs und mehr Maßnahmen zum Umstieg vom Auto auf die Bahn, auf den Bus und auf das Fahrrad. Zwei Drittel aller Kraftfahrzeugfahrten - das muß man wissen - werden für Wege von weniger als 10 km genutzt. Radfahren, finde ich, ist eine erfrischende und gesunde Alternative. ({11}) Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage läßt viele anerkennenswerte Ansätze erkennen, doch manche sind auch auszubauen. Erstens. Mit der deutschen Einheit sind die Bundesmittel für die Verkehrssicherheit Jahr um Jahr gestiegen. Die Ausgaben haben sich bewährt. 36 Millionen DM waren es 1992. Jedoch muß ein 40-Millionen-Etat Richtwert bleiben. Zweitens. Umfassender und ideenreicher sind die Aufklärungsmaßnahmen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates und der Verkehrswacht geworden, wie z. B. das „2 000 Moderatorenprogramm" oder die Sicherheitskurse für junge Fahrer. Jedoch sind 50 Trainingsplätze einfach nicht ausreichend. 500 sind mindestens erforderlich. 2 000 Kurse reichen nicht aus, sind nur ein Anfang. Erst 20 000 schaffen Wirksamkeit. Drittens. Mit dem „7. Sinn" hat die ARD vor 27 Jahren eine Sendereihe begonnen, die beispielhaft wurde. ({12}) Acht Millionen Zuschauer schalten sie ein. Auch das ZDF, viele Rundfunksender und viele Zeitungen produzieren pädagogisch perfekt Verkehrssicherheitsinformationen. Jedoch bleiben die Privaten noch draußen vor der Tür. Auch sie sind zur Mitverantwortung in der Verkehrssicherheit aufgefordert. Viertens. Mehr auf die Atemalkoholanalyse will die Bundesregierung in Zukunft setzen. Andere Länder praktizieren sie bereits seit Jahren; sie kommt schneller und humaner zu beweissichernden Resultaten. Wir erwarten ihre Zulassung noch in diesem Jahr. Jedoch bleibt jede Autofahrt nach übermäßigem Alkoholgenuß eine kriminelle Tat. ({13}) Bei 83 400 eingezogenen Führerscheinen im ersten Halbjahr 1992 wurden allein 70 400 Fahrverbote - nach Angaben des KBA in Flensburg - ausschließlich wegen Trunkenheit verhängt. Das betraf hauptsächlich junge Männer. Von 3 185 Führerscheinentzügen im ersten Halbjahr 1992 allein in Schleswig-Holstein gingen 2 800 auf das Konto Alkohol. Null Promille sollte meiner Meinung nach für jeden Autofahrer ein moralisches Gebot sein. Eine gesetzliche Regelung kann ich mir bei 0,5 Promille vorstellen. Fünftens. Mit dem Führerschein auf Probe für 18- bis 19jährige konnten die Verkehrsgefahren um 5 % verringert werden, oft nur innerorts. Jedoch bleibt der männliche junge Fahrer ein Hauptrisikofaktor im Straßenverkehr. Eine längere Probezeit und härtere Sanktionen für die „schwarzen Schafe" in dieser Altersgruppe sind notwendig. Nur so kann man Rasern und Rowdys das Handwerk legen. Sechstens. Mehr als 3 200 km Radwege sind in den vergangenen zehn Jahren allein an West-Bundesstraßen mit einem Aufwand von 990 Millionen DM gebaut worden. Solche Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit kommen in den neuen Bundesländern jedoch nur langsam in Gang, weil überzogene Planungsauflagen diese Maßnahmen beeinträchtigen. Verkürzung und Vereinfachung - ohne Blockierung von Bürgerrechten - müssen dort in Zukunft möglich sein. Wer hier bremst, schadet seinen Mitmenschen. Mit der Aktion „Rücksicht kommt an" wird in der Verkehrssicherheit auf Nachbarschaft und Partnerschaft gesetzt. Reißerische Reklame mancher Autokonzerne für das „sportliche Super-Auto", das „kompakte Kraftpaket", den „heißen Flitzer" sind jedoch das Gegenteil von Selbstbeschränkung. ({14}) Sie ist ein folgenreicher Verführer zum Temporausch. Es gilt, das sichere, das umweltfreundliche Auto zu propagieren. Achtens. Mehr als alle andere Maßnahmen können intelligente Verkehrsflug- und Informationssysteme zur Sicherheits- und Umweltverbesserung beitragen. Dort, wo sie installiert wurden, ging die Zahl der Unfälle um fast 30 % zurück. Jedoch kann die vorgesehene Investition von 550 Millionen DM bis zum Jahr 1995 nur als Erstbehelf verstanden werden. Eine Aufstockung des Betrages bleibt dringende Forderung. Verkehrssicherheit hängt im wesentlichen von drei Faktoren ab: von verantwortungsbewußtem und rücksichtsvollem Verhalten im Straßenverkehr, von sicheWolfgang Börnsen ({15}) ren Fahrzeugen und von sicheren Straßen. In allen drei Bereichen gilt es weiter voranzukommen. Doch ein Bürgerbewußtsein zu mehr Eigen- und Mitverantwortung hat erste Priorität. Wir von der Union werden alles daran setzen, die Verkehrssicherheit weiter voranzubringen. Um ein Randproblem wieder zu einem Rangproblem zu machen, schlagen wir die Durchführung einer nationalen Verkehrssicherheitskampagne vor. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Abgeordnete Heide Mattischeck.

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zum Thema „Verkehrssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland" und die Antwort der Bundesregierung darauf gehen nach meiner Meinung an den Realitäten auf deutschen Straßen weitgehend vorbei. Wer die Realitäten nicht sieht, kann auch keine Konsequenzen daraus ziehen, um Unfallursachen zu bekämpfen, schon gar nicht bei Unfällen mit Personenschaden oder Todesfolge. In der alten Bundesrepublik starben von 1953 bis 1982 440 000 Menschen bei Verkehrsunfällen. Allein 1991 gab es rund 2 Millionen Unfälle; dabei starben 11 250 Menschen. In den letzten zehn Jahren wurden über 1,6 Millionen Menschen auf den Straßen schwer verletzt, über 15 000 Kinder unter 15 Jahren starben bei Verkehrsunfällen. Rund 70 000 Menschen - auch das muß man sich immer wieder vor Augen führen - bleiben jährlich nach schweren Unfällen dauerhaft behindert. Eigentlich haben wir uns ja schon an diese Zahlen gewöhnt. Spektakuläre Unfälle, wie wir sie auch heute morgen den Ticker-Meldungen entnehmen konnten, Massenkarambolagen im Nebel finden ihren Niederschlag in den Medien. Aber erschrecken sie eigentlich noch jemanden? Der alltägliche Verkehrstod wird ohne großes Aufsehen quasi als Schicksal hingenommen. Dabei gibt es Ursachen für diese Unfälle, Ursachen, denen man mit verkehrspolitischen Mitteln entgegenwirken könnte. Natürlich könnte man, wenn man die Kollegen der Koalitionsfraktionen hört, sagen: Wir haben § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung, der eigentlich für alle Bedürfnisse in unserem Lande ausreicht, und wir setzen auf die Vernunft der Menschen. Wir wissen aber, daß das nicht geht. Wenn Sie sagen, Sie seien gegen Verbote, dann verstehe ich eigentlich nicht, warum Sie nicht die 0,8-Promille-Grenze aufheben und auf die Vernunft der Menschen setzen. ({0}) Ursache Nummer eins der Verkehrsunfälle ist überhöhte Geschwindigkeit. „Nicht angepaßte Geschwindigkeit" kann ja nur heißen „überhöhte Geschwindigkeit" . Ursache Nummer zwei sind Vorfahrtsfehler, gefolgt von ungenügendem Sicherheitsabstand. Auch diese beiden Dinge haben ja etwas mit Geschwindigkeit zu tun. Jeder vierte Unfall wurde 1991 durch Einwirkung von Alkohol verursacht. Bei diesen Ursachen gilt es anzusetzen. Da reicht es nicht, auf Verkehrserziehung und Aufklärung zu setzen. Selbstverständlich sind solche Maßnahmen richtig und notwendig. Auch der weitere Ausbau der Straßeninfrastruktur, wie die Bundesregierung ihn fordert, ist ein durchaus umstrittenes Mittel, was die Unfallverhinderungswirkung angeht. ({1}) - Ich habe gesagt: umstritten. Von den anderen Dingen will ich überhaupt nicht sprechen. Ein wirksames Mittel zur Unfallverhinderung ist und bleibt das Tempolimit. Nehmen wir z. B. - das ist auch von meinem Vorredner gesagt worden - den innerörtlichen Bereich. 65 % aller Unfälle mit Verletzten oder Toten ereignen sich innerorts. Hauptunfallopfer sind dem Verkehrsmittel nach Fußgänger und Radfahrer, dem Alter nach Kinder, Jugendliche und alte Menschen. Beim Verkehrsgeschehen und in der Verkehrsplanung wird auf diese Gruppen am allerwenigsten geachtet und Rücksicht genommen. Gerade sie kommen dadurch am häufigsten in potentielle Unfallsituationen. Die Straßenverkehrs-Ordnung ist eine ,,Autoverkehrs-Ordnung", das Auto ist immer der Stärkere. Verbesserte Verkehrserziehung allein - ich wiederhole es - reicht deshalb nicht aus. Umfassende Versuche und Erfahrungen mit flächendeckenden Tempo-30-Zonen beweisen, daß sie ein sehr wirksames und obendrein sehr billiges Mittel sind, die Stadt als Lebensraum wieder sicherer zu machen. Noch einmal für die Kollegen und Kolleginnen der Koalitionsfraktionen, vielleicht zum Mitschreiben, damit sie es sich einmal merken können: Aufprallgeschwindigkeiten bis zu Tempo 20 verursachen häufig keine oder nur ganz geringe Verletzungen. ({2}) Unfälle mit Tempo 30 führen selten zu Invalidität und Tod. Ab Tempo 30 steigt die Zahl der Todesfälle zunächst langsam und ab Tempo 40 rapide an. Wir sollten uns diese Zahlen vor Augen halten. Das sind wissenschaftlich erforschte Dinge, die ich zur Kenntnis genommen wissen möchte. ({3}) Ich bedauere außerordentlich, daß der Antwort auf die Große Anfrage die bei uns inzwischen so genannte „No-name-Ausarbeitung" aus dem Verkehrsministerium zum Thema Tempolimit nicht beigefügt wurde. Denn diese Ausarbeitung untermauert unsere Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit ganz nachhaltig. ({4}) Ich zitiere daraus: Ein weiterer Forschungsbedarf wird in diesem Zusammenhang nicht gesehen, weil wissenschaftlich die deutlichen Vorteile eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit als gesichert gelten. Entgegenstehende wissenschaftliche Untersuchungen und Erkenntnisse sind nicht bekannt. Im übrigen bräuchte man, so meine ich, auch keine großen Feldstudien mehr, denn die physikalischen Gesetze - das hat auch Herr Feige gesagt - sprechen eigentlich für sich. Übrigens ein Angebot meinerseits an die Koalitionsfraktionen: Ich persönlich wäre gern bereit, auf ein schadenfrohes „Na endlich! " zu verzichten, wenn Sie der Vernunft endlich eine Chance geben könnten. ({5}) Der Forderung nach einem Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen wird häufig entgegengehalten - das ist ja heute wieder passiert -, Autobahnen seien eh die sichersten Straßen, dort passierten die wenigsten Unfälle. Das ist richtig und unbestritten. Aber das ist doch nicht auf die Devise „Freie Fahrt für freie Bürger" zurückzuführen, sondern darauf, daß Autobahnen kreuzungsfrei sind, daß es Leitplanken gibt und daß die Autos dort unter sich sind. Zugegebenermaßen sind es relativ wenige Autofahrer, die sehr hohe Geschwindigkeiten fahren, aber der Anteil der Raser steigt; das wissen wir auch. Hohe Geschwindigkeiten wirken sich negativ auf das Fahrverhalten insgesamt aus. Die Eliminierung dieser Spitzengeschwindigkeiten und die Verringerung der Differenzgeschwindigkeit führen zu einem homogeneren Verkehrsfluß, zu einer gelasseneren und stetigeren Fahrweise, ermöglichen in gefährlichen Situationen mehr Zeit zu angemessenen Reaktionen. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen hat dämpfende und beruhigende Wirkung auf das gesamte Straßennetz, z. B. auch an Baustellen; denn die plötzliche Umstellung von 200 oder 180 km/h auf 50 oder 60 km/h gelingt in der Regel nur schwer. Die richtige Frage - um auch das aufzunehmen, was vorhin gesagt wurde - kann doch wohl nicht lauten, ob die Autobahnen unsere sichersten Straßen sind, sondern muß lauten, ob ein Tempolimit einen weiteren Sicherheitsgewinn bringen wird. ({6}) Auch die Behauptung, der Vergleich mit dem europäischen Ausland würde ein Tempolimit nicht begründen, geht an der Sache vorbei. Die Kernfrage ist nicht, ob wir im Vergleich gut liegen, sondern die, wie wir die Sicherheit auf unseren Autobahnen weiter verbessern können. Ich möchte noch einmal auf das Thema Fußgänger und Radfahrer zurückkommen. Darüber, ihre Rolle im Straßenverkehr zu verbessern, finde ich in der Koalitionsanfrage und in der Antwort kein Wort. Es ist dringend notwendig, die Straßenverkehrs-Ordnung im Hinblick auf mehr Rechte für Fußgänger und Radfahrer zu überarbeiten, damit Chancengleichheit für alle Verkehrsteilnehmer herrscht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Mattischeck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, würden Sie mir in diesem Zusammenhang zugestehen, daß es ganz besonders wichtig wäre, auf die besonderen Belange und Gefährdungsmomente für Kinder Rücksicht zu nehmen?

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das sehe ich genauso, Herr Kollege Schmidt. ({0}) Vorhin wurde gesagt - das will ich in diesem Zusammenhang kurz anmerken -, daß die Zahl der Unfälle im Bereich der Städte zurückgegangen ist. Das liegt zum Teil daran, daß sich inzwischen wesentlich weniger Fußgänger und Radfahrer und insbesondere auch Kinder auf den Straßen aufhalten, weil diese zu gefährlich werden. Es führt zu mehr Verkehr, daß inzwischen Mütter bzw. auch Väter ihre Kinder in Kindergärten und Schulen fahren. Damit wird zwar mehr Verkehr erzeugt, aber aus Sicherheitsgründen können sie es nicht anders machen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie auch zugestehen, daß es hierzu eines besonderen Verkehrssicherheitsprogramms bedarf, das über Information und Aufklärung weit hinausgehen müßte?

Heide Mattischeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001441, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Herr Kollege Schmidt. Das hat, so meine ich, auch etwas damit zu tun, daß wir die Straßenverkehrs-Ordnung in dieser Hinsicht ändern müssen. Auch bei der Konstruktion von Autos - um das noch anzuführen - wird viel zu wenig auf die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern geachtet. Die Höhe der Stoßstangen, die Neigung von Windschutzscheiben und anderes mehr führen bei Aufprallunfällen zu gefährlichen Situationen für Fußgänger und Radfahrer. Hier könnte man eine ganze Menge tun. Leider ist die Automobilindustrie hierzu im Moment noch nicht bereit. Ich möchte zum Schluß auf die Forderungen zu sprechen kommen, die ich in diesem Zusammenhang stellen möchte. Ich freue mich darauf, daß zumindest dem einen Entschließungsantrag heute vermutlich doch eine Mehrheit zugestanden werden wird. Anderenfalls könnte ich mir das Verhalten einiger Kolleginnen und Kollegen nicht erklären. Warten wir's ab! Die Forderungen lauten: Die Straßenverkehrs-Ordnung muß den schwächeren Verkehrsteilnehmern mehr Rechte einräumen. Den Radfahrern und Fußgängern muß mehr Raum zur Verfügung gestellt werden. Das Auto muß umkonstruiert werden, damit seine Gefährlichkeit bei Aufprallunfällen vermindert wird. Wir fordern ein Tempolimit auf Autobahnen und Bundesfernstraßen sowie in der Stadt von 120 km/h, 90 km/h und 30 km/h. Ich bedanke mich. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster Redner erhält der Abgeordnete Manfred Heise das Wort.

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ich aus Thüringen komme, liegt es nahe, wenn ich mich in dieser Debatte etwas intensiver mit einigen Fragen zur Verkehrssicherheit in den neuen Bundesländern befasse. Wir alle wissen, daß nach der Erreichung der Einheit unseres Vaterlandes ein riesiges Bedürfnis nach individueller Mobilität bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern regelrecht aufgebrochen ist. Niemand wird hierin zunächst etwas Negatives erkennen können oder auch wollen, hatten doch die Bürger in der ehemaligen DDR zwischen 15 und 20 Jahre auf einen fahrbaren Untersatz warten müssen. Dabei konnten sie auch nur unter einer geringen Zahl von Typen auswählen, vom Trabbi, Wartburg und Skoda bis hin zu sowjetischen Fabrikaten. Kurios war ja wohl auch, daß man für einen gebrauchten Trabbi mehr bezahlen mußte als für ein Neufahrzeug. Auf Grund dieser Tatsachen, Herr Dr. Feige, hat sich der Gesamtfahrzeugbestand u. a. in den neuen Bundesländern seit September 1990 bis zum Jahresende 1991 um ein Drittel erhöht; die Zahlen sind schon genannt worden. Darunter gab es laut Unfallverhütungsbericht des Bundesministers für Verkehr rund 6,3 Millionen Pkw. Im Jahre 1990 waren es noch 4,8 Millionen Pkw gewesen. Die Pkw und ihre Fahrer spreche ich deshalb besonders an, weil sie mit beinahe 70 % die Hauptbeteiligten beim Unfallgeschehen mit Personenschäden sind. Von daher muß ihnen eine stärkere Bedeutung beigemessen werden. Im Jahre 1989 starben bei Straßenverkehrsunfällen in den neuen Bundesländern 1 784 Menschen. Ein Jahr später, also 1990, waren es 3 140 Tote. Das bedeutet eine Zunahme um 76 %. Trotz Verlangsamung dieser Entwicklung im Verlauf des Jahres 1991 mußte nochmals eine Zunahme vom 19 % auf insgesamt 3 733 Verkehrstote beklagt werden. Damit kamen, gemessen an der Zahl der tödlich Verunglückten pro eine Million Einwohner, fast doppelt so viele Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben wie in den alten Bundesländern. Diese schlimme Entwicklung muß gestoppt werden, und daran müssen wir unsere Maßnahmen bei der Verbesserung der Verkehrssicherheit ausrichten. ({0}) Die Meßmarke des Erfolges resultiert aus den Ergebnissen der alten Bundesländer, wo erreicht wurde, die Zahl der getöteten Verkehrsteilnehmer von 19 133 im Jahre 1970 ({1}) auf 7 515 im Jahre 1991 zu senken. Grundsätzlich kann man bei einer so positiven Entwicklung nicht von Erfolgs- und Konzeptionslosigkeit bei der Verkehrssicherheitspolitik sprechen, wie es hier heute morgen geschehen ist und wie es auch teilweise von Ihnen niedergeschrieben wird. ({2}) Allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgewirkt haben, muß man heute hohe Anerkennung und Dank aussprechen. Für uns in den neuen Bundesländern gilt es nach diesem Beispiel, jetzt verstärkt, wirklich alle gesellschaftlichen Kräfte für dieses brennend aktuelle Thema zu gewinnen, um so in einer großangelegten Kampagne eine rigorose Trendwende beim Unfallgeschehen zu erreichen. Zur Erklärung muß ich nochmals Zahlen der neuen Bundesländer nach der Unfallschätzung 1992 des Statistischen Bundesamtes nennen. Es ist von 1991 zu 1992 folgende Entwicklung festzustellen: polizeilich erfaßte Unfälle plus 28,9 %, davon mit Personenschaden plus 9,8 %; Sachschaden plus 33 %; Verunglückte insgesamt plus 6,9 %, davon Getötete minus 9,6 %. Ich meine, meine Damen und Herren, letzteres ist ein erster Hoffnungsschimmer. Bei dieser Unfallbilanz erscheinen als häufigste Ursache - es ist mehrfach gesagt worden -: nicht angepaßte Geschwindigkeit, Vorfahrtsfehler, Fahren unter Alkoholeinwirkung. In die Arbeiten zur Erhöhung der Verkehrssicherheit sind deshalb noch umfassender die Schulen, Medien, kommunalen Einrichtungen, Betriebe, Verbände, Sportclubs etc. einzubinden, und alle Bevölkerungskreise von jung bis alt sind in die Einflußsphäre einzubeziehen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Heise, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scheffler?

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heise, da Sie ja auch aus den neuen Bundesländern kommen, frage ich Sie zu diesem Thema Alkohol: Meinen Sie nicht, daß es besser gewesen wäre, wenn wir für unsere neuen Bundesländer die Null-PromilleGrenze nicht freigegeben, sondern uns schon im alten Jahr auf eine generelle Reduzierung der zunächst für die alten Bundesländer festgelegten Promillegrenze geeinigt hätten?

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich komme im Verlauf meiner Ausführungen noch darauf zu sprechen. Ich kann die Antwort, wenn es Ihnen recht ist, dann sicherlich darin einbinden und darf zunächst fortfahren. Es ist also das Ziel/eine noch wirksamere Verkehrserziehung und Aufklärungsarbeit zu leisten, wobei ich eindeutig für zu verstärkende administrative Maßnahmen und Kontrollen auch durch mehr Präsenz der Polizei plädiere. ({0}) Unsere Bürger beschweren sich und sagen uns oft, daß dort etwas geschehen müsse. Beispielsweise ist rasch die Einführung der Atemalkoholanalyse als rechtliche Voraussetzung zu schaffen. Nur so und durch permanente Kontrollen kann man Alkoholsündern das Handwerk legen. Ein erheblicher Abschreckungseffekt muß dabei ebenfalls erreicht werden. Ich denke auch daran, daß wir in diesem Jahr eine neue, klare akzeptable Regelung der Promillegrenze nach der Anhörung so schnell wie möglich einführen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Heise, Herr Scheffler, möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Siegfried Scheffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001952, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich frage Sie als Abgeordneten aus den neuen Bundesländern, weil Sie nicht geantwortet haben, ob Sie eine Reduzierung der Promillegrenze für besser halten. Sie sprechen hier nebulös von einer klaren Grenze.

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich Ihnen klar beantworten, Herr Kollege Scheffler. Die Grenze, für die ich eintrete und nach der Anhörung plädieren werde, sind 0,5 Promille. ({0}) Ich darf eine Wochenendbilanz aus dem Land Thüringen anführen: 500 Unfälle, 11 Tote, natürlich hochgradig durch Akoholmißbrauch verursacht. Zum Problem Geschwindigkeit halten die Koalitionsfraktionen an der bewährten Form der Richtgeschwindigkeit fest. Wir sind nicht für ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen. Die Autobahnunfälle haben zwar auch in den neuen Ländern extrem zugenommen. Dennoch passieren 60 % der tödlichen Unfälle im innerstädtischen Verkehr und nur 7 % auf den Autobahnen. Das müssen wir immer wieder zur Kenntnis nehmen. Es geht also vorrangig um die Wahrung der persönlichen Verantwortung bei der jeweils der Situation anzupassenden Geschwindigkeit. ({1}) Einen weiteren bedeutenden Beitrag in diesem Zusammenhang müssen wir dem beschleunigten und ökologisch verantwortbaren Neu- und Ausbau der Bundesfernstraßen und der Autobahnen einräumen. Dies dient nicht nur der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, sondern ist auch ein unumstößlicher Fakt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Heise, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Feige?

Manfred Heise (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000852, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich möchte zum Ende kommen. Dieser wichtige Gesichtspunkt gerade für die neuen Bundesländer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wird in Ihrem Entschließungsantrag überhaupt nicht behandelt. Statt dessen wird kritisiert, daß anderes bei uns nicht genannt ist. Für das auf diesem Gebiet Geleistete ist dem Bundesminister für Verkehr, Professor Dr. Krause, besonders zu danken. ({0}) Gleichzeitig bitte ich ihn, keine Kürzung bei den Mitteln zur Verkehrserziehung, insbesondere in den neuen Bundesländern, zuzulassen. In den zurückliegenden Jahren hat die Bundesregierung, gemessen am Basisjahr 1970, die Finanzmasse dafür in mehr als vervierfachter Höhe bereitgestellt. Das spricht eigentlich für sich. Bei allen staatlichen Maßnahmen muß erstrangig das Sicherheitsbewußtsein der Verkehrsteilnehmer in den neuen Bundesländern wachsen. Für alle Verkehrsteilnehmer müssen defensive Fahrweise, Rücksicht und Besonnenheit zur Selbstverständlichkeit werden. Im Straßenverkehr darf es kein Gegeneinander, sondern immer nur ein Miteinander geben. ({1}) Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat die Formel geprägt: Rücksicht kommt an! - Sorgen wir gemeinsam dafür, daß dies Wirklichkeit werden kann und wird! Ich danke Ihnen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es redet der Abgeordnete Ekkehard Gries.

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe hier ein paar Restminuten und kein Manuskript. Das gibt mir die Gelegenheit, ein paar Bemerkungen zu machen. Ich will hier keine Wiederholungen betreiben, aber doch ein paar Eindrücke sagen und dann zur Behandlung der Anträge kommen. Ich finde, hier sind viel mehr Konsens und sehr viel mehr Sachverstand von allen Seiten vorgebracht worden, als es manches Geplänkel vermuten läßt. Aber ich finde es auch immer sehr enttäuschend, gerade in diesen Diskussionen, die von viel mehr Sachlichkeit getragen sein könnten, daß bestimmte Zahlen, Ergebnisse, objektive Prüfungen einfach nicht zur Kenntnis genommen werden, weil sie mit den Vorurteilen und Ideologien nicht übereinstimmen können. ({0}) Das verhindert - ich meine das ernst -, daß wir - keiner ist frei davon - zu einer wirklichen Ursachenforschung und dann zu einer angemessenen, sachlich berechtigten Entscheidung z. B. über die Bekämpfung kommen. Wir blockieren durch eine solche Denkweise, die viel zu eng ist, die Effizienz unserer Arbeit. Ich sage das ganz deutlich. Die Diskussion über 0,0, 0,5, 0,8 oder 100, 120, 130 können Sie mit mir führen. Das sind alles Willkürzahlen. Diese Diskussion wird aber nicht auf Grund der Fakten, der Realitäten, der Prüfungen geführt, sondern immer nur auf Grund des eigenen, subjektiven Eindrucks und des Wollens. Das geht bis zur Halsstarrigkeit. Das ist es, was stört.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Gries, gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Abgeordneten Dr. Feige?

Ekkehard Gries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000726, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke schön. Ich möchte noch einen Gedanken äußern und in der Zeit bleiben. Herr Feige, sonst gern, aber jetzt nicht. Es gibt einen zweiten Punkt, der mir noch viel mehr auf den Nägeln brennt. Wenn ich ihm darlege, verstehen Sie vielleicht, weshalb Liberale Verkehrspolitik in bestimmten Dingen anders machen als Sie. Vorhin - das klingt schon ein bißchen polemisch -, Herr Scheffler, als Sie das gesagt und immer wieder das Wort von den Ordnungsvorschriften und ordungsrechtlichen Systemen gebraucht haben, habe ich gedacht, wenn ich es polemisch sagen wollte: Das ist der SPD-verkehrsgelenkte Mensch. Wissen Sie, Freiheit braucht Mobilität wie die Luft zum Atmen. ({0}) Und Mobilität hat ein Risiko. Und dieses Risiko können Sie nicht ausschalten, Sie müssen damit leben. Oder Sie töten ein Stück Freiheit. Sie können den Menschen auch nicht so biegen, wie Sie ihn gerade noch haben können, damit er in Ihr ordnungsgelenktes Totalsystem paßt. Es bleibt ein Mensch. Deshalb ist der Mensch die größte Fehlerquelle in all dem, was mit Mobilität, mit Verkehr bei jedem Verkehrsträger zu tun hat. ({1}) - Ich bitte Sie! Das ist der Punkt, der bei uns sehr häufig entscheidet. Das mag zu Fehlentscheidungen und zu Verzögerungen führen. Das alles schließe ich gar nicht aus. Ich bin ja selber im Augenblick gegen diese strikte Tempolimitierung und glaube, ich kann sachlich argumentieren. Ich bin aber in meinem Urteil nicht so gefestigt, daß ich nicht glaube, daß sich das ändern könnte. Aber ich muß das begründen können, und ich muß abwägen: Ist das wiederum ein Eingriff in persönliche Freiheit? Regle ich hier nicht zu dicht, so daß der Mensch nicht mehr atmen und sich am Ende nicht mehr bewegen kann? Das führt ja schon fast dazu. Damit das, was ich hier abstrakt sage, plastisch wird, nenne ich als Beispiel etwas, was mich in den letzten Tagen bewegt hat. Da habe ich gelesen, daß 82 % der Radfahrer - die inzwischen ein VerkehrsunfallGefährdungspotential allerhöchsten Maßes geworden sind, die sich aber durch ihr Verhalten selber gefährden -, die Verkehrsunfallopfer geworden sind, Kopfverletzungen haben. Ich wundere mich, daß noch nicht lauter und auch nicht in dieser Diskussion heute morgen die Forderung gekommen ist: Alle Radfahrer müssen einen Sturzhelm tragen. Ist das so abwegig? Sturzhelme würden diese Quote von 82 % Kopfverletzungen sehr erheblich zum Nutzen der Opfer reduzieren. Können Sie sich eine Gesellschaft vorstellen, in der das Radfahren zu Recht immer populärer wird, wo man mit diesem Sturzhelm herumfährt? ({2}) - Ja. Können Sie sich ein Volk vorstellen, das sehr viel stärker das Fahrrad als Beweglichkeitsgrundmittel hat - denken Sie an die Chinesen -, wo alle mit solchen Ballons auf den Köpfen fahren? Da sehen Sie nämlich, wohin Sie kommen. Da kommen Sie zu einer kostümierten, gelenkten, aber in höherem Maß geschützten Gesellschaft. Dann haben Sie eine Gesellschaft, in der Sie nicht mehr leben wollen und in der kein Mensch mehr Fahrrad fahren will. Das ist ein Beispiel, damit Sie erkennen, woran wir unsere Entscheidungen auszurichten versuchen: an einem Höchstmaß an Sicherheit für den Fahrer selber oder für den Verkehrsteilnehmer selber, aber auch für seinen Nächsten. Auch diese Relation muß man mal sehen, daß es nicht nur um den Verkehrsteilnehmer selber geht, sondern auch um den anderen, den er gefährdet. Da ist ein Höchstmaß zu erreichen, ohne dabei zu vergessen, daß der Mensch auch Luft zum Atmen braucht. Das meine ich. Zu den Anträgen will ich noch aus der Sicht meiner Fraktion sagen: Den einen Antrag auf Drucksache 12/4250 hinsichtlich der 0,8 und 0,5 Promille werden wir ablehnen. Um Entscheidung darüber ist ja gebeten worden. Es ist im übrigen auch sachlich falsch. Da heißt es: „Der Bundestag bekräftigt seine Entscheidung ... " Aber er hat eine solche Entscheidung nie getroffen. Wir stimmen dafür, den anderen Antrag dem Verkehrsausschuß zu überweisen. Darin sind eine Fülle von Punkten, über die wir schon übereinstimmend verhandelt haben. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Berthold Wittich. ({0}) - Entschuldigung. Wir hören erst eine Zwischenbemerkung von Herrn Dr. Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Eine Bemerkung zu den Ansätzen, die insbesondere Herr Börnsen und auch Herr Gries versuchsweise gemacht haben, indem sie sagten: Man kann diskutieren, und man kann, wenn man sachlich an die Probleme herangeht, einander sicherlich in diesen oder jenen Punkten entgegenkommen. Mein Problem bei der ganzen Diskussion und bei dem Bemühen ist - auch ich bin soweit aufnahmefä11968 hig, Sachlichkeit einziehen zu lassen -, daß wir wenigstens die Grundfakten gelten lassen sollten. Wenn wir einfach nur wahrnehmen, daß zwischen jemandem, der keinen Alkohol getrunken hat, und jemandem, der 0,5 Promille Alkohol im Blut hat, ein Unterschied in der Sicherheit und im Fahrverhalten existiert, wenn wir so elementare Dinge einfach wahrnähmen und als gemeinsame Diskussionsgrundlage hätten, dann hätten wir, glaube ich, eine Möglichkeit, im vernünftigen Gespräch miteinander zu Lösungen zu kommen, die weniger polemisch ausfallen. Aber wenn - wie auch in Ihrem Beitrag, Herr Gries - diese Dinge wieder ganz stillschweigend in Zweifel gezogen werden, wenn einfach nur gesagt wird, wir lehnen das pauschal ab, und Sie nicht einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen, wo sehen Sie dann eine Möglichkeit, auf einer gemeinsamen Datengrundlage zu operieren? Das bedauere ich.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt hat der Abgeordnete Berthold Wittich das Wort.

Berthold Wittich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002538, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich kurz das Stichwort Tempolimit aufgreife. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen mehrheitlich eindeutig, daß ein Tempolimit die Anzahl und die Schwere der Unfälle reduzieren, zur Beruhigung und Verstetigung des Verkehrs führen, den CO2-Ausstoß vermindern, den Benzinverbrauch verringern und damit die Umwelt schonen würde. Das wollen wir Sozialdemokraten. ({0}) Ich darf in diesem Zusammenhang eine Frage stellen - da greife ich das auf, was meine Kollegin Mattischeck vorhin in die Debatte eingeführt hat -: Warum haben Sie Philipp Nau in die Wüste geschickt? Weil die Ergebnisse seiner Studie nicht in Ihren Kram paßten! ({1}) Ein Wort an die Adresse des Kollegen Ekkehard Gries: Wenn wir nicht ordnungspolitisch eingreifen - ich denke an die Prognosen, die Klaus Daubertshäuser in Verbindung mit dem Bundesverkehrswegeplan in die Debatte eingeführt hat: in der Ost-West-Relation das Vierzehnfache im Personenverkehr und das Siebzehnfache im Güterverkehr -, dann taumeln wir sehenden Auges in eine Sackgasse, an deren Ende der Verlust der Mobilität und der Lebensqualität steht. ({2}) Bei der Debatte über Verkehrssicherheit gehört die Unfallstatistik zur verbindlichen Lektüre. Ein geradezu alarmierendes Zeichen ist die Tatsache, daß auch im Jahr 1992 10 600 Menschen auf unseren Straßen gestorben sind. Dieser 10 000fache Tod erinnert in dramatischer Weise daran, daß im Verkehrssektor Leben und Sicherheit auf der Strecke bleiben. Mit Bedauern stelle ich fest: Die Bundesregierung bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wie sie dem Sterben auf unseren Straßen begegnen will. Warum fragen wir hier nach dem Konzept der Regierung? Ich gebe die Antwort: Wenn eine Epidemie 10 000 Menschen, Manner, Frauen und Kinder, hinwegraffen würde, ginge ein Schrei des Entsetzens durch unser Land. Auch wenn der Sturm der Entrüstung in der Verkehrspolitik noch ausbleibt, ist doch ein Bewußtseinswandel feststellbar. Weil hier die Sensibilität möglicherweise nicht so stark ausgeprägt ist, ist die Politik gefordert und in die Pflicht genommen. Es bedarf einer grundlegenden Neuorientierung der Verkehrspolitik, deren Richtung durch grünes Licht zugunsten der Schiene, der Vermeidung überflüssigen Verkehrs und der Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs bestimmt sein muß. ({3}) In diesem Gesamtkonzept, das die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger koordiniert, muß ein in sich schlüssiges Maßnahmepaket zur Verkehrssicherheit einen festen Platz haben. Angesichts der Gefahren, die das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung bedrohen, sind wir verpflichtet, jede Maßnahme zu ergreifen, die wirksam und geeignet ist, Menschenleben zu retten und eine intakte Umwelt zu bewahren. ({4}) Deshalb darf der Akzent einer menschen- und umweltgerechten Politik nicht nur bei Verkehrsaufklärung und Verkehrserziehung liegen, obwohl ich mich gern der Würdigung der gesellschaftlichen Dienste derer anschließe, die in den entsprechenden Organisationen wichtige Aufgaben wahrnehmen und Arbeit leisten. ({5}) Weil wir nicht zulassen dürfen, daß unsere Straßen in Rennstrecken und Schlachtfelder umfunktioniert werden, ({6}) wollen wir durch ein generelles Tempolimit, die Senkung der Promillegrenze, die Reform der Ausbildung im Führerschein- und Fahrlehrerwesen und nicht zuletzt den Einsatz moderner und erprobter Sicherheitstechniken das Risiko mindern und die Sicherheit erhöhen. Wenn wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen, dürfen wir die Verwirklichung dieser Maßnahmen nicht auf die lange Bank schieben. Nein, wir müssen jetzt handeln, couragiert und konfliktbereit, notfalls gegen den massiven Widerstand einer mächtigen Lobby. ({7}) Weil wir dem Sterben auf unseren Straßen begegnen, die Menschen von Lärm, Gift und Gestank befreien und ihnen ein Stück Lebensqualität zurückgeben wollen, fordern wir die Bundesregierung auf, durch staatliche Rahmenbedingungen und politische Vorgaben die überfällige Kurskorrektur im Verkehrswesen einzuleiten. Zu dieser Reform gehört ein umfassendes Konzept - ich habe es eingangs erwähnt - zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Auf diesem Feld muß zunächst das technisch Machbare durchgesetzt werden. In diesem Zusammenhang verweise ich auf umsetzungsreife technische Neuerungen, wie Airbag, ABS, Fahrlicht bei Tage, Unfalldatenschreiber und den Schutz gegen Frontal- und Seitenaufprall. Die technische Entwicklung hat inzwischen einen hohen Grad der Zuverlässigkeit erreicht. Deshalb ist es dringend geboten, diesen technischen Fortschritt in die Serienproduktion zu integrieren und dadurch die Effizienz im Sicherheitsbereich zu steigern. ({8}) Vor einer Illusion möchte ich allerdings warnen, nämlich daß durch den Einsatz immer ausgefeilterer Technik und Logistiksysteme das Problem der Sicherheit umfassend gelöst werden könnte.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Wittich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Feige?

Berthold Wittich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002538, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, in dem Zusammenhang, wo Sie gerade die technischen Möglichkeiten hervorheben, möchte ich fragen: Wissen Sie, daß die Versicherungen den Bonus, den sie einmal für ABS gegeben haben, den Versicherten nicht mehr gewähren, daß sie also diese verkehrstechnischen Verbesserungen offensichtlich nicht für so wichtig halten, wie Sie es jetzt vielleicht suggerieren?

Berthold Wittich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002538, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben recht. Ich schließe mich Ihrem Bedauern, Herr Feige, an. Ich hatte darauf hingewiesen, daß alle Verbesserungen der technischen Funktionen nicht ausreichen, um die Schäden auszugleichen, die durch die wachsende Zahl und die steigende Leistung der Fahrzeuge entstehen. Ich darf noch ein paar zentrale Ziele der Sozialdemokraten vortragen: Wenn Deutschland, das Transitland Nummer eins, und die europäischen Staaten ihren Bürgerinnen und Bürgern ein Stück Sicherheit zurückgeben wollen, müssen sie die Straße entlasten und der Stärkung der Schiene im weitesten Sinne Vorrang einräumen. ({0}) Wenn die ökologische Katastrophe von den europäischen Regionen im Interesse der Sicherheit und um des Schutzes der Umwelt willen abgewendet werden soll, muß der Schwerlastverkehr weitgehend auf die Schienenwege verlagert werden. Wenn Sicherheit wieder eine Rolle spielen soll, dürfen wir nicht akzeptieren, daß hochexplosive Pulverfässer auf unseren Straßen und durch dichtbesiedelte Wohngebiete rollen. Einmal Herborn reicht! ({1}) Wer die Sicherheit auf Europas Straßen steigern will, muß Verstöße gegen überlange Arbeits- und Lenkzeiten der Fahrerinnen und Fahrer durch ein wirkungsvolles Kontrollsystem abstellen. Wenn ein europäisches Sicherheitsprogramm Akzeptanz bei der Bevölkerung finden soll, muß es die Technik in den Dienst des Menschen und den Menschen in die Mitte der gesetzlichen Regelungen stellen. Ich komme zum Schluß: In der Tat, wir stehen an einem Scheideweg. Wir werden entweder unsere Meere und Gewässer entgiften, unsere Wälder retten, die Kraftwerke entsticken, den Autoverkehr zurückdrängen oder aber in eine Sackgasse hineintreiben, an deren Ende die Vernichtung der Lebensgrundlagen unserer Kinder, Enkelkinder und künftiger Generationen steht. ({2}) Ich hoffe, daß wir unserer Verantwortung gerecht werden und die Herausforderungen bewältigen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster nimmt in dieser Debatte der Abgeordnete Michael Jung das Wort.

Michael Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Verkehrssicherheit und die damit zusammenhängenden Themen sind ein weites Feld. Das haben die verschiedenen Beiträge gezeigt. Ich glaube, daß diese Debatte heute morgen sehr sinnvoll und sehr notwendig ist. Bei einer Standortbestimmung ist es wichtig, die bisher erreichten Fortschritte nicht zu vergessen - hier haben wir Beispielhaftes erlebt -, aber auch die künftigen Aufgaben nicht aus dem Blick zu lassen. Ich möchte dabei ausdrücklich noch einmal all denjenigen Organisationen danken, die für die Verkehrssicherheit notwendige und anerkennungswürdige Tätigkeit leisten, insbesondere in den Kindergärten und den Schulen. Ich glaube, daß wir mit diesem Thema früh anfangen müssen, um gerade die jüngsten Verkehrsteilnehmer auf die Gefahren und Risiken im Straßenverkehr hinzuweisen. ({0}) Wir haben uns auf den meisten Feldern des menschlichen Lebens daran gewöhnt, Wirkung durch Strafe zu erzielen. Das Verkehrszentralregister in Flensburg mit dem jedem Autofahrer bekannten Punktekonto ist ein Beispiel dafür. Ich meine aber, daß wir noch mehr präventiv wirken müssen. Warum soll eigentlich nicht der Autofahrer, der durch besondere Schulungen, durch Teilnahme an Kursen besondere Mühe auf die Michael Jung ({1}) Verkehrssicherung und Verkehrssicherheit verwendet, nicht mit Pluspunkten belohnt werden? ({2}) Ich weiß, daß die Durchführung sehr schwierig ist, aber ich meine, das Nachdenken lohnt sich hier auf jeden Fall. Eine zweite Bemerkung zum Thema Verkehrszentralregister. Ich bin der Auffassung, daß wir dringend ein europäisches Verkehrszentralregister benötigen, und zwar für das Bewußtsein und für das Verhalten der Verkehrsteilnehmer. Daß dies für Deutschland als größtes Transitland in Europa von besonderer Wichtigkeit ist, versteht sich von selbst. Auch hier ist es erforderlich, die notwendigen Schritte zur Einheitlichkeit und zur Harmonisierung voranzutreiben. Nun zu den SPD-Anträgen. Sie suggerieren, daß durch die Durchführung zweier Maßnahmen auf dem Feld der Verkehrssicherheit eine entscheidende Schlacht gewonnen werden könne. Glaubt man Ihrem Vorbringen, dann würden Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Bundesautobahnen ({3}) und die Senkung der Promillegrenze auf 0,5 Promille geradezu einen Durchbruch in dieser Arbeit bedeuten. Ich bedauere, daß wir hier nun schon seit Jahren in die Gefahr geraten, eine Art Glaubenskrieg zu führen. Wie sind hier die Zahlen, Daten, Fakten und Ergebnisse? Zunächst ein paar Anmerkungen zur Geschwindigkeitsbegrenzung. Wir haben in Deutschland an Gemeindestraßen 410 000 km, an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen 215 000 km und an Autobahnen 11 000 km. Dies macht zusammen ein Straßennetz von 636 000 km aus. Gemeinde-, Kreis-, Landes- und Bundesstraßen sind, wie jeder weiß, geschwindigkeitslimitiert. Im Bereich der Autobahnen ist das in Gesamtdeutschland ca. ein Drittel. Das heißt, von 636 000 Straßenkilometern sind knapp 629 000 geschwindigkeitslimitiert. Das ist eine Größenordnung von weit über 98 %. Wir stellen dabei fest, daß die Bundesautobahnen sicherer sind als die anderen Straßen und daß sie auch sicherer sind als die Autobahnen in anderen europäischen Ländern, die Geschwindigkeitsbegrenzungen kennen. ({4}) Ich glaube deswegen, daß das Stichwort anders lauten muß, nämlich angepaßte Geschwindigkeit. Es sollte uns nicht um sture Reglementierungen gehen, sondern um das Durchsetzen der angepaßten Geschwindigkeit. ({5}) Besonders notwendig sind hierbei Verkehrsbeeinflussungsanlagen. Wir haben die Erfahrungswerte, daß deren Einführung zu einem Rückgang der Unfallzahlen um 20 bis 30 % führt. Deswegen sollten wir uns in der Forderung einig sein, in diesem Bereich die vorhandenen technischen Möglichkeiten noch stärker zu nutzen und diesen Bereich auch noch stärker finanziell zu fördern. Zur Promillegrenze. Gemeinsam ist unser Ziel, die alkoholbedingten Unfälle zu reduzieren, Menschenleben zu retten und Verletzungen zu vermeiden. An Ihrem Antrag muß ich zunächst kritisieren, meine Damen und Herren von der SPD, daß er den Eindruck erweckt, als ob die erste Promillegrenze, die zu beachten sei, die von 0,8 Promille wäre. Das ist falsch. Wir sollten jede Gelegenheit in der Öffentlichkeit nutzen, darauf hinzuweisen, daß sich bereits derjenige strafbar macht, der mit mehr als 0,3 Promille fährt, wenn weitere Anzeichen für seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hinzukommen. ({6}) Ich frage deshalb, ob die Senkung der 0,8-Promillegrenze auf den Wert von 0,5 Promille der entscheidende Gesichtspunkt ist. ({7}) Ich verrate kein Geheimnis, daß in meiner Fraktion die Meinungsbildung dazu noch nicht abgeschlossen ist. Im übrigen gibt es auch in Ihren Reihen verschiedene Auffassungen. Ich erinnere daran, daß nach meiner Kenntnis Rheinland-Pfalz unter dem SPD-Ministerpräsidenten Scharping der Berliner Bundesratsinitiative zur Senkung der Primillegrenze von 0,8 auf 0,5 Promille nicht zugestimmt hat, ({8}) woraus man entnimmt, daß es hier durchaus unterschiedliche Positionen geben kann. Ich meine auch aus der Erfahrung, die ich lange Jahre, in denen ich als Anwalt mit diesen Dingen betraut war, habe sammeln können, daß das entscheidende Problem nicht die Fahrer mit Blutalkoholwerten zwischen 0,5 und 0,8 Promille sind, sondern diejenigen, die mit deutlichen Werten über ein Promille fahren in der Gewißheit, daß sie höchstwahrscheinlich nicht erwischt werden. Das ist das Problem. Deswegen müssen wir hier auf richtige Zahlen zurückgreifen. Wir haben nach vorsichtigen Schätzungen pro abgeurteilter Alkoholfahrt vor Gericht zwischen 300 und 600 unentdeckte Alkoholfahrten. Deswegen ist es notwendig, daß wir das Risiko für diejenigen, die alkoholisiert fahren, erhöhen. Das bedeutet mehr Kontrollen und Abschreckung. Die Kontrolldichte und die Kontrollhäufigkeit müssen erhöht werden. Das muß auch möglich sein, ohne vorher Auffälligkeiten bei einem Fahrzeuglenker festgestellt zu haben. Dabei ist es notwendig, auch auf neue technische Hilfsmittel zurückzugreifen. Die bisherige Praxis ist mühsam. Wird ein alkoholisierter Fahrer angehalten, so muß die Kontrolle an der Straße unterbrochen werden. Man muß im Krankenhaus oder auf dem Polizeirevier die Blutentnahme durchführen lassen. Bei der neu einzuführenden Atemalkoholanalyse ist die Feststellung der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit an Ort und Stelle möglich. Der Fahrer wird sofort mit seinem Fehlverhalten konfrontiert. Die Kontrolle Michael Jung ({9}) kann fortgeführt werden, und das Abschreckungsmoment nimmt zu. Bei der Einführung der Atemalkoholanalyse stellen sich eine Reihe rechtlicher Fragen, die noch geklärt werden müssen. Deswegen ist es sinnvoll, zu diesen Fragen - genauso wie zum Thema der Promillegrenze - die Anhörung des Rechtsausschusses und des Verkehrsausschusses, die anberaumt werden wird und gemeinsam durchgeführt werden soll, abzuwarten. Deswegen lehnen wir auch aus diesen formellen Gründen Ihren Antrag heute ab. In der Verkehrssicherheit gibt es keine Patentrezepte. Wir sollten uns ohne ideologische Scheuklappen gemeinsam dieser wichtigen Aufgabe weiterhin widmen. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich schließe die Aussprache zur Verkehrssicherheit. Wir kommen zur Überweisung und Abstimmung. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4249 soll an den Ausschuß für Verkehr überwiesen werden. Sind Sie einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4250. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13a und b auf: 13. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu den Unterrichtungen durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz a) Achter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({2}) b) Neunter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({3}) - Drucksachen 10/4690, 10/6816, 12/ 1384 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Heribert Blens Dr. Burkhard Hirsch Gerd Wartenberg ({4}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({5}) zu den Unterrichtungen durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz a) Zehnter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({6}) b) Elfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß o 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({7}) c) Zwölfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({8}) d) Dreizehnter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes ({9}) - Drucksachen 11/1693, 11/3932, 11/6458, 12/553, 12/4094 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Heribert Blens Dr. Burkhard Hirsch Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Sind sie einverstanden? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Heribert Blens das Wort. ({10})

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten den Zehnten, Elften, Zwölften und Dreizehnten Tätigkeitsbericht des Datenschutzbeauftragten. Alle vier Berichte hat der Datenschutzbeauftragte Herr Einwag, vorgelegt. Herr Einwag ist heute hier. Als Sie mir vor einer Woche schrieben, Herr Einwag, Sie wollten nach Ihrer schweren Operation Ihre Arbeit schnell wiederaufnehmen, habe ich nicht geglaubt, daß sie heute schon wieder hier säßen. Wir freuen uns alle darüber. Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Genesung. ({0}) Der Innenausschuß hat in Übereinstimmung mit den mitberatenden Ausschüssen einen umfangreichen Bericht über die vier Datenschutzberichte vorgelegt. Ich will nicht wiederholen, was in dem Bericht steht, sondern nur einige Anmerkungen dazu machen. Erstens. Die Berichte zeigen, daß der Datenschutz in der Bundesverwaltung akzeptiert ist, daß er als selbstverständlich praktiziert wird. Das Datenschutzgesetz und andere datenschutzrechtliche Regelungen haben sich bewährt. Der Datenschutz ist gewährleistet, er ist in der Bundesverwaltung anerkannt. Deshalb ist es meines Erachtens nicht erforderlich, ihn etwa in das Grundgesetz aufzunehmen, wie das ja von einigen Fraktionen gefordert wird. Zweitens. Bewährt hat sich auch die Institution des Datenschutzbeauftragten. Viele Punkte, die er in seinen Berichten aufgegriffen hat, sind in Verhandlungen zwischen ihm und der jeweils betroffenen Bundesverwaltung abgeklärt worden. Mängel sind auf diese Weise beseitigt worden. Wo die Verhandlungen zwischen dem Datenschutzbeauftragten und einer Verwaltungsstelle zu keinem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis geführt haben, haben der Innenausschuß und die mitberatenden Ausschüsse des Bundestages Regelungen vorgeschlagen, die Gegenstand der heute zu verabschiedenden Beschlußvorlage sind. Wir gehen davon aus, daß diese Beschlüsse dann von der Bundesregierung und allen Bundesverwaltungen beachtet werden. Ich denke, das Verfahren und das Ergebnis zeigen, daß der Datenschutzbeauftragte ausreichend Möglichkeiten hat, seine Aufgaben zu erfüllen. Ich ziehe daraus den Schluß, den ich eben schon einmal für den Datenschutz als Sache gezogen habe: Es ist deshalb nicht erforderlich, den Datenschutzbeauftragten in den Stand einer Verfassungsinstitution zu erheben. Er erfüllt alle Funktionen jetzt schon. Drittens. Um der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen, brauchen wir noch einige Regelungen, durch die die gebotenen gesetzlichen Grundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten geschaffen werden. Der Bericht nennt hier die Bereiche Arbeitnehmerdatenschutz, Sicherheitsüberprüfung, Ausländerzentralregister, Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz sowie die Probleme im Zusammenhang mit der genomanalytischen Untersuchung. Die Bundesregierung wird durch diesen Bericht aufgefordert, hierzu möglichst rasch Gesetzentwürfe vorzulegen. Ich denke, wir werden diese Gesetzentwürfe dann im Bundestag möglichst zügig beraten und sie auch verabschieden. Lassen Sie mich schließlich viertens zu einem Punkt etwas sagen, der in den Berichten keine Rolle spielt. Ich meine den Umgang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der früheren DDR. Was da in den verschiedenen Häusern des früheren Staatssicherheitsdienstes lagert, ist das unter dem Gesichtspunkt der informationellen Selbstbestimmung und des Datenschutzes brisanteste und problematischste Datenmaterial, das es in Deutschland gibt. Brisant und problematisch ist das Material, weil es -jedenfalls soweit es um Daten bespitzelter Personen geht - in hohem Maße gegen fundamentale Grundsätze unserer Verfassung verstößt, die allerdings zu der Zeit, als die Daten in der DDR erhoben wurden, dort nicht galt. Das gilt für die Methoden der heimlichen Bespitzelung genauso wie für den Inhalt der gesammelten Informationen. Hätte eine Behörde der Bundesrepublik mit diesen Methoden Informationen dieser Art gesammelt, wäre es die selbstverständliche Forderung aller, das Material unverzüglich unbesehen zu vernichten. Der Deutsche Bundestag ist nach der Vereinigung mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz einen anderen Weg gegangen, nicht zuletzt auch unter dem Eindruck engagierter Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern. Zweifel aber, ob das der richtige Weg sei, gab es auch damals schon. Einige - ich habe dazugehört - haben das damals auch schon geäußert. Inzwischen haben wir Erfahrungen mit dem Material. Wir haben auch Erfahrungen mit dem Mißbrauch von Stasi-Material. Ich meine, es wird Zeit, daß wir über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen und damit über das Gesetz zu diesen Unterlagen neu nachdenken. Ich habe vor zwei Tagen in der „FAZ" einen Brief der Schriftstellerin Christa Wolf an einen Schriftstellerkollegen aus Rußland gelesen, in dem sie sich zu dem Vorgang der Einsicht in ihre eigenen Akten äußert. Ich will doch einige Sätze vorlesen, die meines Erachtens nachdenklich machen. Sie schreibt da zu dem Vorgang der Einsichtnahme in die Akten: Eine Frau, die früher in einem Marktforschungsinstitut gearbeitet hat, ist also für uns beide verantwortlich, das heißt, sie hat alle unsere Akten - es sind 43 Bände - vor uns gelesen und aufbereitet, legt mir oder uns die gewünschten zwei, drei Bände vor, die wir in einem LESERAUM durcharbeiten können, in dem natürlich auch andere „Leser" zur „Akteneinsicht" sitzen. Man bekommt Formulare, in die man die gewünschten Kopien eintragen kann. Die Namen, die man auf den Kopien wiederfinden will, muß man sich möglichst herausschreiben, denn sie werden geschwärzt: Personen- und Datenschutz. Jetzt kommt der entscheidende Satz: An unsere Akten aber kommt, wenn er es wirklich will, jeder Mitarbeiter dieser Behörde heran. Einmal hat uns schon anonym eine Journalistin angerufen: Sie habe unsere Karteikarte von den Stasi-Akten, benötige sie nicht mehr: Ob sie sie uns zurückschicken solle. Sie tat es dann doch nicht. Jetzt kommt wieder ein Satz, der beherzigenswert ist: Mit welchem Recht - außer, um ehemalige Schuldige und Verantwortliche für Straftaten herauszufinden - diese Akten zum Beispiel über mich gehortet werden und späteren Auswertern zur Verfügung stehen sollen, weiß ich nicht. Zum Inhalt der Akten steht auch etwas in dem Brief. Ich zitiere noch einmal: Dann kamen die Telefonprotokolle ({1}), dann kamen die vielen ellenlangen Berichte von einem unserer nächsten Freunde, auch über Privatangelegenheiten der Töchter, hin und wieder ein Abhörbericht direkt aus der Wohnung. Fahndungsblätter ... Lagepläne unseres Hauses und vom Inneren unserer Wohnung, die mich mit am meisten verletzten. Meine Damen und Herren, ein solcher Brief aus der Praxis des Umgangs mit diesen Akten muß uns nachdenklich machen. Ich meine, wir müssen versuchen, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob das denn mit unseren Grundsätzen über Datenschutz, mit dem, was wir über das informationelle Selbstbestimmungsrecht in anderen Bereichen sagen, vereinbar ist. Wir müssen meines Erachtens dieses Gesetz neu aufgreifen; denn nur dann, wenn wir es neu aufgreifen, wenn wir es gründlich reformieren, ist sichergestellt, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht, das ja aus der Menschenwürde hergeleitet ist, für alle Bürger beider Teile Deutschlands in gleicher Weise gilt. Wir sollten das möglichst schnell in Angriff nehmen. Wir haben das Stasi-Unterlagen-Gesetz gemeinsam mit fast allen Fraktionen verabschiedet. Ich bin sicher, daß uns das auch bei einer Reform dieses Gesetzes gelingen wird. Wir sollten darangehen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Peter Paterna.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wir heute veranstalten, ist nach meiner Überzeugung - ungeschminkt gesagt - ein Trauerspiel. Wir beraten nicht nur die Beschlußempfehlungen zum Zehnten bis Dreizehnten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz im Sammelverfahren. Dies wäre für sich genommen schon ein Unding, weil eine angemessene Würdigung einzelner wichtiger Sachverhalte so gar nicht möglich ist. Es ist bei dieser Kritik auch zu beachten, daß wir heute Kontrolltätigkeiten seit dem Jahr 1987 zu bewerten haben, also seit Beginn der vorigen Legislaturperiode; dies heute, zu einem Zeitpunkt, zu dem sich diese Legislaturperiode bereits wieder bedenklich ihrem Ende zuneigt, so daß notwendige gesetzgeberische Initiativen kaum noch eine Chance haben, in einem geordneten Beratungsverfahren zu Ende gebracht zu werden. Dabei hat dann wohl eine ordentliche Verwaltung entdeckt, daß nicht einmal die Berichte und Beschlußempfehlungen zum Achten und Neunten Tätigkeitsbericht im Plenum behandelt worden sind. Wir greifen damit also sage und schreibe auf die Jahre 1985 und 1986, also auf die zweite Hälfte der vorvorigen Legislaturperiode zurück. Da war es fast schon ein glücklicher Zufall, die Unterlagen in den Büros überhaupt noch zu finden. Herr Kollege Blens, ich denke, es wäre schon angebracht gewesen, diesem unglaublichen Vorgang wenigstens einen Satz der Selbstkritik zu widmen. Sie haben das versäumt. Vielleicht holt das der Kollege Herr Dr. Hirsch noch nach, der ja gern als liberaler Tugendwächter durch die Medien turnt, aber immer dann, wenn es um praktische Arbeit im Hause geht, so daß man als Berichterstatter einmal vorwärtskommt, ständig wie Kimble auf der Flucht und nicht zu kriegen ist. Das ist sicher einer der praktischen Gründe, warum wir dieses Trauerspiel heute miteinander veranstalten. Nun wissen Insider, daß sich viele beteiligte Ausschüsse durchaus zeitnah und gründlich mit den Teilen der Tätigkeitsberichte befaßt haben, die in ihre jeweiligen Fachgebiete fallen. Dies gilt u. a. für meinen Ausschuß Post und Telekommunikation. ({0}) Es ist auch zuzugeben, daß diese Einzelberatungen in einer Reihe von Fällen zu positiven Ergebnissen im Sinne der Monita und Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten geführt haben, seine Zusammenarbeit mit den Fachministerien und nachgeordneten Behörden gefördert hat und zu einem sensibleren Umgang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung veranlaßt haben. Die Tätigkeitsberichte sind also keineswegs insgesamt wirkungslos verpufft. Gleichwohl können der federführende Innenausschuß, die Bundesregierung, alle Fraktionen des Bundestages und insbesondere die Koalitionsfraktionen die offenbare Peinlichkeit dieses Vorgangs nur wiedergutmachen, indem wir uns nicht nur fest versprechen, sondern uns auch daran halten, die zukünftigen Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten für den Datenschutz ebenso gründlich wie zügig zu beraten und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Die Fraktion der SPD wird der Beschlußempfehlung zum Achten und Neunten Tätigkeitsbericht des BfD nicht zustimmen. Mehrere Themen, die vor allem in den Berichterstattergesprächen ausführlich diskutiert worden waren, fehlen in der Beschlußempfehlung. Wir haben auch einen eigenen Beschlußvorschlag eingebracht, der von der Koalition abgelehnt worden ist. Ich will Ihnen die Aufzählung der einzelnen Themenbereiche, auf die es uns ergänzend angekommen wäre, ersparen; denn Sie können das in den schriftlichen Unterlagen nachlesen. Ich komme nun zum Zehnten bis Dreizehnten Tätigkeitsbericht des BfD. Angesichts der Fülle von Monita muß ich mich auf die wesentlichsten Punkte beschränken, wie sie im Innenausschuß behandelt wurden und in der Beschlußempfehlung und im Bericht des Innenausschusses auf Drucksache 12/ 4094 wiedergegeben sind. Diese Beschlußempfehlung stellt einen vertretbaren Kompromiß zwischen den Berichterstattern von Koalitionsfraktionen und SPD sowie mit dem BfD dar, so daß auch ich Zustimmung empfehlen kann. Nun ein paar Bemerkungen zu den einzelnen Punkten. Erstens. Soweit die Monita das Bundesamt für Verfassungsschutz betreffen, wird festgestellt, daß der BMI zugesagt hat, spätestens bis zum 30. Juni dieses Jahres die Verkartungspläne für alle Abteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in überarbeiteter, der neuen Sach- und Rechtslage angepaßter Form in Kraft zu setzen. Gravierender ist aus unserer Sicht das Thema Auskunftsrecht von Betroffenen nach § 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Der BfD hat gegenüber dem Innenausschuß in Ergänzung seiner Ausführungen im Elften Tätigkeitsbericht vorgetragen, nach § 15 Abs. 1 des neuen Verfassungsschutzgesetzes erteile das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten, aber nur soweit dieser hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweise und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlege. Das kann im Extremfall auf eine Aufforderung zur Selbstbezichtigung hinauslaufen und war sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers. Das Bundesamt für Verfassungsschutz lehne - offenbar mit Unterstützung des BMI; so hat uns der BfD vorgetragen - Auskunftsbegehren ab, bei denen der Bürger nicht auf einen relevanten konkreten Sachverhalt hinweise, ohne zu prüfen, ob die Auskunft nicht doch ohne Gefahr für die Sicherheitsaufgaben des BfV erteilt werden könnte. Es wird der Bundesregierung durch Beschlußempfehlung nahegelegt, bei der Anwendung des § 15 weniger restriktiv als in der Vergangenheit zu verfahren und bei der Erteilung von Auskünften an betroffene Bürger keine zu strengen Anforderungen zu stellen. Ich habe dieser sehr weichen Formulierung nur mit einigen Bedenken zugestimmt. Wir hätten uns eine schärfer gefaßte Formulierung gewünscht. Daß es besser geht, zeigen u. a. die Verfassungsschutzgesetze der Länder Hessen und Schleswig-Holstein und deren Praxis. Es wäre auch verführerisch, sich noch einmal mit den Ausführungen des Kollegen Blens ein wenig auseinanderzusetzen und aus der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 31. Mai 1990 zu zitieren, wo er im Umgang mit diesem Paragraphen alle möglichen Ankündigungen gemacht hat, die in der Praxis keineswegs eingehalten worden sind. Ich empfehle Interessierten, das Protokoll der erwähnten Sitzung nachzulesen. Die Koalition hat jedenfalls in diesem Punkte bis heute nicht zu ihrem Wort gestanden, und es bleibt zu hoffen, daß die Bundesregierung der sehr weich formulierten Empfehlung, in Zukunft weniger restriktiv als in der Vergangenheit zu verfahren, nun endlich folgt. Ich komme zum zweiten Thema: Beihilfeverfahren. Diesbezüglich wurde dem Monitum des BfD nach den Beratungen im Innenausschuß insofern entsprochen, als die Praxis dahin gehend geändert worden ist, daß der Beihilfeberechtigte nicht gegen den Willen von berücksichtigungsfähigen Angehörigen Kenntnis von deren eingereichten Belegen erhält. Dabei kann es durchaus um sehr sensible Daten gehen. Wir gehen davon aus, daß alle Bundesbehörden entsprechend verfahren. Drittens. Bezüglich der Wehrstammkarten der ehemaligen NVA wird die Bundesregierung aufgefordert, die Datenfelder auf den Wehrstammkarten, die für die Durchführung der Aufgaben der Bundeswehr nicht erforderlich sind, immer dann zu löschen, wenn eine Wehrstammkarte im Zusammenhang mit der Bearbeitung eines Vorganges vorgelegt wird. Viertens. Bezüglich der Telefondatenverarbeitung in der Bundesregierung ist festzustellen, daß die Bundesregierung nach langjährigen Monita den Entwurf von neuen Allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die Einrichtung und Nutzung dienstlicher Fernmeldeanlagen für die Bundesverwaltung mit Ausnahme der Deutschen Bundespost - sogenannte Dienstanschlußvorschriften - erstellt hat. Die Bundesregierung wird aufgefordert - ich glaube, das ist inzwischen sogar Praxis -, die neuen Vorschriften nunmehr unverzüglich in Kraft zu setzen. Fünftens. Bezüglich bereichsspezifischer Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz sowie einer gesetzlichen Regelung der Sicherheitsüberprüfung, die den Vorgaben der Verfassungsrechtsprechung Rechnung trägt, wird die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Regelungen so rechtzeitig vorzulegen, daß sie in dieser Legislaturperiode endlich verabschiedet werden können. Dieses Thema ist insofern ganz besonders ärgerlich, als eine entsprechende Aufforderung an den Gesetzgeber bereits mit dem Volkszählungsurteil 1983 ergangen ist. Da feiern wir jetzt zehnjähriges Jubiläum. Ein Gesetz zur bereichsspezifischen Regelung des Datenschutzes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre spätestens nach dem Achten Tätigkeitsbericht des BfD - also in der vorletzten Legislaturperiode - fällig gewesen. Wenn sich die Bundesregierung gegenüber Geboten der Verfassung derart hartnäckig ignorant verhält und sich die vorgenannten sogenannten Regierungsfraktionen - ein Begriff, den wir eigentlich einmal aus unserem Vokabular streichen sollten, weil er aller Lehre von der Gewaltenteilung Hohn spricht ({1}) als Schutz- und Trutzbündnis und so wenig als Kontrolleure der Regierung verstehen, darf man sich über zunehmende Politikverdrossenheit nicht wundern. ({2}) Sechstens. Hinsichtlich des Ausländerzentralregisters wird die Bundesregierung aufgefordert, den Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten so schnell wie möglich einzubringen. Die Formel „so schnell wie möglich" , auf die wir uns geeinigt haben, ist sicher ein freundliches Entgegenkommen des Parlaments gegenüber der Bundesregierung. Auch dort hätte man durchaus deutlicher werden können. Der BfD weist seit Jahren auf die besondere Dringlichkeit hin, den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechend eine gesetzliche Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Ausländerzentralregister zu schaffen. Auch hier sind fast zehn Jahre seit dem Volkszählungsurteil vergangen. Siebtens. Zum Thema Verbot oder Einschränkung genomanalytischer Untersuchungen hat der BfD u. a. in seinem Dreizehnten Tätigkeitsbericht schon zum wiederholten Male die Unerläßlichkeit einer Regelung in dieser Legislaturperiode betont und - mit Blick auf die erforderliche gründliche Beratung - auf die Notwendigkeit einer zügigen Fortsetzung der Arbeiten hingewiesen. Bislang existiert lediglich ein Referentenentwurf des Bundesministers der Justiz zur gesetzlichen Regelung des genetischen Fingerabdrucks für Zwecke der Strafverfolgung. Hierzu wird in der Beschlußempfehlung die Notwendigkeit festgestellt, die erforderlichen speziellen gesetzlichen Regelungen zu treffen. Achtens. In Übereinstimmung mit dem BfD wird die Notwendigkeit festgestellt, die Rechtsvorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten im BKA- und BGS-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Auch hier muß leider wiederum festgestellt werden, daß der Übergangsbonus des Bundesverfassungsgerichts bei genauer Betrachtungsweise eigentlich schon längst verbraucht ist. Neuntens. Hinsichtlich der ISDN-Verbindungsdaten und sonstiger Kommunikationsdaten - ich begrüße, daß Staatssekretär Dr. Laufs da ist, weil ihn das besonders angeht - hat sich der Innenausschuß der Forderung des BfD angeschlossen. Zu erinnern ist hier an die sogenannte Fangschaltungsentscheidung vom 25. März 1992, in der das Bundesverfassungsgericht das Fehlen einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Grundlage jedenfalls für diejenigen in der Telekommunikations-Datenschutzverordnung geregelten Sachverhalte festgestellt hat, die dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes unterliegen. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt. Ich füge hinzu: Auch diese Peinlichkeit wäre uns erspart geblieben, wenn man rechtzeitig von den Mehrheitsfraktionen auf den BfD gehört hätte; denn wir haben seinerzeit gewarnt, daß das, was wir da tun, im Rahmen des Postverfassungsgesetzes und des FAG wohl nur an der äußersten Grenze einer möglichen Verfassungskonformität entlangsegelt. Dies, meine Damen und Herren, sind die wesentlichsten Punkte, die sich aus der Beschlußempfehlung des Innenausschusses ergeben. Wenn ich betone, daß es sich nur um die wesentlichsten Punkte handelt, so meine ich damit zugleich, daß es eine Fülle sonstiger wichtiger Monita des BfD gibt. Jeder einzelne Bericht beweist Jahr für Jahr, wie unverzichtbar die Arbeit des BfD und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Umgekehrt kann natürlich auch festgestellt werden - und dazu hat man besonders gute Gelegenheit, wenn man im Zeitraffer diese ganzen Berichte zur Vorbereitung noch einmal zur Hand nehmen muß -, daß es die Bundesregierung Jahr für Jahr in erheblicher Weise mangeln läßt an der erforderlichen Sensibilität für die berechtigten Belange des Datenschutzes, der im Grunde nichts anderes ist als aktiver Schutz bürgerlicher Freiheiten, um die andere angeblich immer so besonders bemüht sind. In einer Vielzahl von Fällen muß der BfD Jahr für Jahr seine Monita wiederholen. Das ist ebenso ärgerlich wie im Grunde überflüssig, vorausgesetzt, die Bundesregierung käme ihren Amtspflichten und die Koalitionsfraktionen ihren parlamentarischen Kontrollpflichten hinreichend nach. Ebenso ist leider festzustellen, daß auch Mängelrügen des Bundesverfassungsgerichts - ich habe das Stichwort Volkszählungsurteil mehrfach erwähnen müssen - bei der Bundesregierung offenkundig keinen besonderen Eindruck hinterlassen. Nach fast zehn Jahren hat die Bundesregierung bis auf den heutigen Tag die Sicherheitsüberprüfung nicht auf die erforderliche gesetzesmäßige Grundlage gestellt. Die Bundesregierung macht sich dadurch selbst zum Sicherheitsrisiko in puncto Verfassungstreue. Ich muß die Bundesregierung auch dringend auffordern, in der EG endlich Druck auf ein angemessenes gemeinschaftliches Schutzniveau zur Datensicherheit und zum Datenschutz auszuüben. Seit Jahren suche ich in allen Vorlagen, die Telematikdienste betreffen, vergeblich nach Datenschutzregelungen. In allen diesen Vorlagen findet man dann irgendwo die Floskel, dies sei eine besonders dringende Aufgabe für die Zukunft. Geschehen ist aber nichts. Das Übereinkommen des Europarats vom 28. Januar 1981 zum Schutze des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten ist bisher das einzige Instrument internationalen Rechts in diesem Bereich. Es läßt allerdings viele Optionen für die Umsetzung der von ihm definierten Rahmengrundsätze offen und wurde nur von sieben Mitgliedsstaaten ratifiziert. Wir haben also eine Reihe von EG-Staaten, die bisher jeder datenschutzrechtlichen Sicherung gesetzlicher Art ermangeln. Zu Recht wird in einer der EG-Vorlagen, die sich hier zur Zeit im Beratungsverfahren befinden und die wir gerade in dieser Woche auch in meinem Fachausschuß auf der Tagesordnung hatten, darauf hingewiesen, daß die unterschiedlichen Ansätze auf einzelstaatlicher Ebene und das Fehlen eines Schutzsystems auf Gemeinschaftsebene ein Hemmnis für die Vollendung des Binnenmarktes darstellen. Es wird darauf hingewiesen, daß die rasche Einführung harmonisierter Vorschriften für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre u. a. im Rahmen der diensteintegrierenden digitalen Netze - das ist wieder eines unserer gemeinsamen Themen, Herr Dr. Laufs - für die Verwirklichung des Binnenmarkts für Anlagen und Telekommunikationsdienste unabdingbar sind. Das ist eine neue Tonlage, die ich begrüße, weil nun endlich einmal mit dem Märchen aufgehört wird, daß diejenigen, die um verbesserten Datenschutz und verbesserte Datensicherheit bemüht sind, die Verzögerer des technischen Fortschritts seien. Nein, es ist umgekehrt: Vernünftige gemeinschaftsweite Datenschutzregelungen sind eine Voraussetzung für eine gute Entwicklung des Gemeinsamen Marktes. Es muß Schluß damit gemacht werden, daß bei der EG immer nur dann flott gearbeitet wird, wenn es um die Durchsetzung privater Kapitalverwertungsinteressen geht und dann bürgerliche Freiheitsrechte oder soziale Sicherungsrechte immer nur als Floskeln und Leerformeln auftauchen, es in diesem Bereich aber in Wirklichkeit nicht vorangeht. Es wird also höchste Zeit, daß solchen wohlfeilen Bekenntnissen endlich Taten folgen. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß für die bisherigen katastrophalen Defizite nicht in erster Linie die Kommission verantwortlich ist, auf die man das ja gerne abschiebt. Es geht vielmehr um Ratsrichtlinien, also um die Aufgaben der Fachminister. Diese müssen notfalls von den nationalen Parlamenten zur Verantwortung gezogen werden. Der besondere Dank, meine Damen und Herren - damit will ich schließen; ich hoffe, das ist nicht nur der Dank der SPD, sondern des gesamten Parlaments -, gilt dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. ({3}) - Beifall auf allen wichtigen Seiten des Hauses; die CDU/CSU hat nämlich geschlafen. - Aufgaben und Arbeit des BfD erfordern ein Höchstmaß an Präzision und Sorgfalt, aber auch an Rechts- und Gesetzeskenntnis und technischem Know-how, gepaart mit sicherem Urteilsvermögen und Sensibilität für die unterschiedlichsten Fachbereiche. Jahr für Jahr wird hochwertige Qualitätsarbeit geleistet. Wenn ich an die personelle Ausstattung des BfD denke, stelle ich fest, daß ich kein Beispiel effektiverer Aufgabenerledigung in der öffentlichen Verwaltung kenne als die in Ihrem Hause, Herr Dr. Einwag. Daran könnte sich selbst der Bundesrechnungshof noch ein Beispiel nehmen, wenn ich einmal Aufwand und Output miteinander vergleiche. Ich schließe deshalb mit der Feststellung: Dem BfD gebührt die uneingeschränkte Anerkennung des Deutschen Bundestags. Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beifall, den wir eben gespendet haben, galt eigentlich weniger dem Kollegen Paterna als dem Datenschutzbeauftragten. Ihre Kritik, die Sie geäußert haben, muß sich im Grunde genommen an das ganze Haus richten; denn wir haben und auch Ihre Fraktion hat ebenso wie der Bundesrat eigene Initiativrechte, von denen wir natürlich hätten Gebrauch machen können. Ich finde, daß die vier Datenschutzberichte zusammen mit denen der Länder eine in der Tat fesselnde Lektüre für jeden bieten, der sich mit der Wunderwelt der deutschen Verwaltung befaßt. Sie sind - da widerspreche ich Ihnen - wirklich in vielen Einzelheiten von den Berichterstattern zusammen mit der Verwaltung, zusammen mit dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern erörtert worden, und zwar nicht nur im Innenausschuß, sondern auch in den beteiligten Fachausschüssen. Darum benutze ich zuerst die Gelegenheit, dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern für diese jahrelange Arbeit auch unseren herzlichen Dank auszusprechen. ({0}) Sie haben mit Augenmaß, aber auch mit Entschiedenheit ein Grundrecht des Bürgers, nämlich das auf Privatheit, gewahrt, das ohne den Datenschutzbeauftragten nicht verwirklicht werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem berühmten Volkszählungsurteil in eindrucksvoller Weise ausgeführt, daß dieses Recht auf Privatheit als ein Teil der Menschenwürde nicht nur um des einzelnen Bürgers willen ein unverzichtbarer Bestandteil unserer verfassungsmäßigen Ordnung ist, sondern weil unter den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft auch die Ausübung politischer Rechte auf Dauer nicht möglich wäre, wenn der Bürger nicht wüßte, was und von wem und mit welchen Folgen über ihn aufgeschrieben, registriert und mitgeteilt wird. Die möglichst lückenlose Erfassung des Bürgers und die Mißachtung seiner Privatsphäre ist ein Kennzeichen totalitärer Staaten. Darum, Herr Blens, ist es so bedauerlich, daß in Ihrer Fraktion - nirgendwo sonst, nur in Ihrer Fraktion - die Widerstände dagegen, ein Grundrecht auf Privatheit in der Verfassung so zu verankern, wie es inhaltlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht, so groß sind. ({1}) Zu der Bemerkung, daß das alles ja gesetzlich geregelt ist, kann ich Ihnen sagen: Das Eigentum ist gesetzlich geregelt, die Familie ist gesetzlich geregelt, das Recht auf Leben ist gesetzlich geregelt; mit dieser Begründung könnten sie den halben Grundrechtskatalog beseitigen. ({2}) Manche Behörden reagieren auf die „Zumutung" beleidigt, die Privatsphäre des Bürgers zu beachten und sich deswegen kontrollieren lassen zu müssen. Sie haben den Eindruck, da wolle jemand mit - wie es dann heißt - „übertriebenem Datenschutz" Ihre segensreiche Arbeit erschweren. Natürlich bezieht sich der Begriff „übertriebener Datenschutz" immer auf die Privatheit anderer. Dabei wird verdrängt, daß die moderne Informationstechnik das Gleichgewicht zwischen heimlichem Ausforschen auf der einen Seite und Privatheit auf der anderen Seite, zwischen Wissen und Wissensübermittlung auf der einen Seite und Vergessen auf der anderen Seite völlig verändert hat. Es wird verdrängt, daß der damit heraufziehende staatliche Perfektionismus nicht etwa zu höchster sozialer und politischer Akzeptanz führt, sondern zur Isolierung und zur Manipulierbarkeit des einzelnen. Nicht umsonst nimmt der Datenschutz in den Verfassungen aller neuen Bundesländer einen so breiten Raum ein. Darum muß man bedauern, daß die rasante technische Entwicklung, die zunehmende Computerisierung der Verwaltung in Staat und Wirtschaft, die wachsende Internationalisierung der Datenströme von der Gesetzgebung und von Kontrollvereinbarungen nur mühsam verfolgt werden. Das zeigt sich nicht in großen Skandalen, die erfreulicherweise ausgeblieben sind, aber es zeigt sich in ständigen Auseinandersetzungen um Forderungen, die dem Außenstehenden als schlichte Selbstverständlichkeit erscheinen, und es zeigt sich darin, wie schwer es gemacht wird, manche Basteleien überhaupt zu erkennen. Drei Punkte will ich besonders hervorheben: Erstens. Da der Schutz der Privatheit ein elementarer Bestandteil unserer Verfassung ist, muß er vom Staat in derselben Weise geschützt und gewahrt werden wie andere Rechte der Bürger: Das Recht auf Eigentum, das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht auf politische Betätigung. Bei Kollisionen zwischen diesen Rechtsgütern muß der Gesetzgeber sie gegeneinander abwägen. Es kann aber nicht Aufgabe der Polizei sein, sich auszusuchen, welche Rechtsgüter sie schützen will und welche nicht. ({3}) Darum ist es nicht hinnehmbar, wenn führende Vertreter des Bundeskriminalamts ständig versuchen, das Recht des Bürgers auf Privatheit zu diskreditieren und es zum Sündenbock für ausbleibende Erfolge zu machen. ({4}) Es ist allerdings einigermaßen beruhigend, daß man solche Töne nur von den Kommandohöhen des BKA, sehr viel weniger aber von den Beamten der kriminalpolizeilichen Praxis hört. Wenn der Innenminister konkrete Änderungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder ein neues Polizeirecht für notwendig hält, dann mag er seine Forderungen dem Bundestag vorlegen. Die schleichende und vorsätzliche Diskreditierung des geltenden Rechts durch leitende Beamte kann nicht länger hingenommen werden! ({5}) Sie haben die Grundrechte der Bürger nicht zu bemäkeln, sondern sie zu achten und zu wahren ({6}) - und sie zu schützen, auch das Recht auf Privatheit. Darum nehme ich es nicht hin, wenn der Vizepräsident des Bundeskriminalamts urbi et orbi verkündet, es gebe zuviel Freiheitsrechte, und das Ganze sei eine hinderliche Veranstaltung. ({7}) Das Grundrecht des Bürgers auf Privatheit ist genau so ein Grundrecht und hat denselben Wert wie das auf Eigentum und andere Rechtsgüter. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Kollege Dr. Hirsch, der Abgeordnete Dr. Blens möchte eine Frage stellen. - Bitte sehr.

Dr. Heribert Blens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000197, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Hirsch, eine Frage zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Sprechen Sie denn den leitenden Beamten, die die Verantwortung für die Kriminalitätsbekämpfung haben, das Recht ab, öffentlich darauf hinzuweisen, daß bestimmte Instrumente, die sie zur Aufgabenerfüllung brauchen, wegen der Gesetzeslage nicht zur Verfügung stehen, und zu fordern, daß Gesetze entsprechend geändert werden, damit sie ihren Aufgaben gerecht werden können?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe den Eindruck, daß die Herren, von denen ich spreche, nicht nur ein bestimmtes Instrument fordern, sondern auch versuchen, das Recht auf Privatheit als ein Hindernis für polizeiliche Arbeit überhaupt zu diskreditieren. Es bleibt dem Bundesinnenminister, wenn er eine Änderung des Rechts für notwendig hält, völlig unbenommen, sie hier einzubringen. Ich nehme es aber nicht hin, daß das geltende Recht, und zwar ein Recht, das zur Menschenwürde gehört, wie das Verfassungsgericht gesagt hat, ständig als „übertriebener Datenschutz" bemäkelt und diskreditiert wird. Das muß aufhören. ({0}) Zweitens. Wir bedauern, daß sich der Schutz der Privatheit gegenüber dem Staat auf der einen Seite und privaten Informationsinteressen auf der anderen Seite so erheblich auseinanderentwickelt. Das wichtigste Stichwort in diesem Bereich ist der immer noch fehlende Arbeitnehmerdatenschutz - Herr Paterna hat darauf hingewiesen -, der insbesondere in den Großbetrieben zur Zeit vollständig auf Betriebsvereinbarungen beruht, deren Qualität sehr unterschiedlich ist. Die Bundesregierung hat wiederholt die Vorlage gesetzlicher Regelungen angekündigt, aber es ist bisher bei Ankündigungen geblieben. Dem Bundestag sollte klar gesagt werden, ob es Fortschritte in dieser überfälligen Frage nur bei einer Initiative des Bundesrates oder von Fraktionen dieses Hauses geben wird. Zu den fehlenden Regelungen gehört - auch das ist schon erwähnt worden - auch die gesetzliche Regelung der Kartierung der menschlichen Erbanlagen, also der Genomanalyse, die nicht nur in Strafverfahren und bei polizeilichen Ermittlungen, sondern natürlich ebenso im Arbeitsrecht und im Versicherungswesen von außerordentlicher Bedeutung ist. Schließlich gehört dazu auch die Datenverarbeitung durch private Sicherungsdienste. Auch in diesem Bereich muß man nicht erst warten, bis wir die traurigen Erfahrungen machen, die man in anderen Ländern mit der Parallelität solcher Dateien und den Verbindungen, die dann provoziert werden, gemacht hat. Drittens. Ausgesprochene Sorgen macht uns die Entwicklung der internationalen Datenflüsse. Wir wollen sie natürlich nicht unterbinden; man muß aber offen sagen, daß sich selbst die internationalen Datenflüsse im staatlichen Bereich, z. B. bei der Vorbereitung von Maastricht oder Schengen, soweit wir von ihnen überhaupt etwas haben feststellen können, der parlamentarischen Kontrolle eigentlich entziehen. Ich will hier wenigstens die Systeme nennen, von denen ich rede: SIS, Schengener Informationssystem; EIS, Europäisches Informationssystem für die Polizei; REITOX, Europäisches Informationsnetz für Drogen und Drogensucht; CIS-MS und CIS-EC, zwei Zollinformationssysteme der Europäischen Gemeinschaft und der zwölf Mitgliedstaaten; CIREFI, Informations-, Reflexions- und Austauschzentrum für Fragen der Einwanderung und des sogenannten Überschreitens der Außengrenzen; ZIRA, Informations-, Reflexions- und Austauschzentrum für Asylfragen - zwei Informationssysteme, für die zur Zeit Richtlinien erarbeitet werden, von denen weder der Bundestag noch irgendein anderes Parlament irgendeine Kenntnis hat -, und schließlich EURODAC, Automatisches Erkennungssystem für die Fingerabdrücke von Asylbewerbern, ein uns bekanntes Projekt. Hinzu kommt EDU, eine erste Stufe von EUROPOL im Bereich der Drogenbekämpfung; auch dies eine Entwicklung, die nach Zielrichtung und Kontrollmechanismus am Parlament bisher vollkommen vorbeigeht. Es ist nicht meine Absicht, dies alles anzugreifen, durchaus nicht. Es muß aber dem Parlament möglich sein, diese Entwicklungen mit zu verfolgen und mit dazu beizutragen, daß der in der Bundesrepublik dankenswerterweise erreichte hohe Stand des Schutzes der Privatsphäre nicht von den Verwaltungen bei ihren Verhandlungen aufgegeben wird. ({1}) Es geht nicht an, daß wir mehr oder weniger zufällig erfahren, was sich da entwickelt. Wir möchten wissen, Herr Staatssekretär, wer für die Bundesregierung in den Kontrolleinrichtungen dieser Systeme sitzt. Es müssen ja nicht dieselben sein, die den Datenschutz im Inland angreifen. Noch einmal: Es geht nicht darum, die internationale Zusammenarbeit zu erschweren. Sie ist notwendig; sie muß verbessert werden. Aber es ist dringend notwendig, zu sichern, daß nicht durch stillschweigende Verwaltungsvereinbarungen Grundregeln unseres Datenschutzrechtes unterlaufen und ausgehöhlt werden. ({2}) Wir gehen davon aus, daß wir in diesen Zielsetzungen mit dem Innenminister einig sind. ({3}) Wir werden alles tun, um zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Datenschutzbeauftragten, der vollziehenden Verwaltung und der Politik im Interesse des Bürgers und seiner Grundfreiheiten beizutragen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Paterna, ich teile Ihre Kritik, bin aber der Meinung, daß auch die SPD - schon auf Grund ihrer Stärke im Innenausschuß - mehr Druck hätte machen können, die Datenschutzberichte frühzeitiger zu beraten und auch zum Abschluß zu bringen. Insofern ist die tatsächliche Wertschätzung, die der Datenschutz hierzulande genießt, sehr deutlich daran abzulesen, daß wir hier noch die Berichte aus der letzten Legislaturperiode abarbeiten. Es ist mir im übrigen auch schleierhaft, wie die Berichterstatter befriedigt darauf verweisen können, daß der Bundesdatenschützer eine Reihe seiner alten Kritikpunkte für erledigt erklärt. So heißt es z. B. in der Beschlußvorlage - ich zitiere -: Einige Fragen seien durch Zeitablauf weniger aktuell geworden. Bei anderen hätten sich durch Neuentwicklungen auf technischem Gebiet neue Gesichtspunkte ergeben . . . Klarer kann das Eingeständnis meines Erachtens kaum ausfallen, daß die Berichte und die Konsequenzen daraus weit hinter den Erfordernissen eines tatsächlichen Datenschutzes zurückbleiben. Ich möchte hier - auch angesichts meiner begrenzten Redezeit - nur einen Bereich herausgreifen: das Schengener Abkommen und die damit zusammenhängende Kritik sowie das Beispiel des Ausländerzentralregisters. Der Bundesdatenschutzbeauftragte schreibt, daß die Bundesrepublik verpflichtet sei, den im Schengen-Abkommen beschriebenen Datenschutzstandard in ihrem nationalen Recht zu verwirklichen. Dann werden „keine ausreichenden bereichsspezifischen Datenschutzregelungen" festgestellt für: das Ausländerzentralregister, das Bundeskriminalamt, die Strafverfahren und den Bundesgrenzschutz. Die Kritik an dem gesetzlich ungeregelten Zustand im Bereich des Ausländerzentralregisters hat die ungehemmte Arbeit mit den mehr als 8 Millionen dort gespeicherten Daten keine Sekunde gebremst. Präventiv werden dann schon einmal - wie zu Beginn des Golfkrieges - die Daten des Ausländerzentralregisters mit denen der Arbeitsdatei „PIOS Innere Sicherheit, Terrorismus, Staatsschutz" des BKA verglichen. „Präventiv" bedeutet in diesem Falle: Es gab auch nicht den Hauch eines konkreten Verdachtes auf begangene bzw. geplante Straftaten. Durch dieses Ausländerzentralregister sind die Ausländerinnen und Ausländer praktisch zur total erfaßten Gruppe in der Bundesrepublik geworden, ohne gesetzliche Grundlage und mit ungeregeltem Datenschutz. Dort sind nicht nur persönliche Daten erfaßt, sondern auch alle ausländerrechtlich relevanten Informationen gespeichert. Zugang zu diesen hochsensiblen Daten haben zudem ständig die Polizeien des Bundes und der Lander. Die geheimdienstliche Nutzung dieser Daten wird bei der Überarbeitung eines Gesetzes zum Ausländerzentralregister angestrebt. Eine Empfehlung des Europarates, die von dem Bundesdatenschutzbeauftragten ausdrücklich zitiert wird, fordert dagegen die Einschränkung der Sammlung personenbezogener Daten für polizeiliche Zwecke auf die Abwehr konkreter Gefahren oder die Verfolgung einer speziellen Straftat. Ebenso in den Wind gesprochen ist die Feststellung des Bundesdatenschutzbeauftragten, daß bei Unterzeichnung des Schengen-Zusatzabkommens dieser Grundsatz hätte berücksichtigt werden müssen. Regelungen für die BKA-Speicher zur vorbeugenden Straftatenbekämpfung sind „zumindest unzureichend", wie festgestellt wurde. Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten von Ausländerinnen und Ausländern über Ländergrenzen hinweg werden bisher, soweit es das Ausländerzentralregister betrifft, ohne jegliche Grundlage vorgenommen. Ähnliche Kritik, vor allem hinsichtlich fehlender Übermittlungsregelungen im Bereich des Bundesgrenzschutzes, haben die gesetzliche neue Aufgabenübertragung auf den Bundesgrenzschutz durch dieses Haus nicht behindert. Jetzt hängen die Beamten des Bundesgrenzschutzes am europäischen Datennetz; sie sind mit tragbaren Datengeräten auf Flughäfen und Bahnhöfen postiert. Sie können und sollen Reisewege von Ausländerinnen und Ausländern datenmäßig nachvollziehen oder Bewegungsprofile von Ausländern erstellen. An den Grenzen sollen die Fluchtrouten erkundet werden. Nachdem Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge generell zum Sicherheitsproblem der Bundesrepublik hochstilisiert wurden, nachdem sie quasi unter Generalverdacht gestellt sind, wundert es auch niemanden mehr, daß die flächendeckende erkennungsdienstliche Behandlung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern Bestandteil aller Debatten um Änderungen des Asylverfahrensgesetzes, der Asylabkommen und der Einreisevereinbarungen geworden sind. Ausdrücklich wird das Schengener Informationssystem - kurz: SIS - als Kernstück der Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Binnengrenzen bezeichnet. Solche elektronischen Fahndungssysteme ermöglichen die europaweite Durchführung der polizeilichen Beobachtung. Ihre bundesdeutschen Partner sind die Datenbanken des BKA. Im SIS sind auch die Ausländerinnen und Ausländer erfaßt, denen - aus welchen Gründen auch immer - die Einreise nach Europa verweigert werden soll. Und bevor auch nur ein einziger Kritikpunkt der Datenschützer am Schengener Abkommen aus der Welt geschaffen wäre, wird von der Bundesrepublik stolz verkündet, daß die in Maastricht geschaffenen Grundlagen es erlauben, über die Regelungen des Schengener Abkommens hinauszugehen. Auch an der polnischen Grenze wurden Fakten geschaffen. Durch die Zusammenarbeit mit dem BKA haben die polnischen Grenzbeamten einen - ich zitiere - „zumindest indirekten Zugriff auf die Dateien des Bundeskriminalamtes", wie Herr Seiters stolz erklärte. Meine Damen und Herren, es ist hochgradig lächerlich, wenn der Innenausschuß angesichts dieser ausufernden Praxis die Regierung auf allgemeine Weise beauftragt, in der Zukunft gefälligst gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die die minimalen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum informationellen Selbstbestimmungsrecht einhalten könnten. Wie schon gesagt, sind nahezu alle in den letzten zwei Jahren verabschiedeten Gesetze und Abkommen im Bereich der inneren Sicherheit sowie der Asyl- und Flüchtlingspolitik unter Mißachtung der Kritik am Umgang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zustande gekommen. Das neue Asylverfahrensgesetz hat dazu geführt, daß die Identität der Asylsuchenden generell durch erkennungsdienstliche Maßnahmen gesichert werden soll. Der ungehemmte Datenfluß zu präventiven polizeilichen Zwecken ist geradezu zur Voraussetzung aller Abkommen und Vereinbarungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik gemacht worden. Der als Folge der europäischen Abschottungspolitik im Osten und im Süden entstehende riesige Illegalisierungsdruck auf Flüchtlinge und Einwanderer produziert unvorstellbaren Datenhunger. Daneben existieren noch die alten Wunschzettel mit dem sogenannten großen Lauschangriff, verstärktem Einsatz verdeckter Ermittler und genereller Einschränkung des Datenschutzes für den engeren Bereich der inneren Sicherheit. Angesichts dieser Situation werden die vom Innenausschuß geforderten gesetzlichen Grundlagen für die entsprechenden Bereiche bestenfalls eine Verrechtlichung der heutigen Praxis bringen. Wir treffen uns also 1999 wieder, ({0}) um dann über den Datenschutzbericht von 1993 zu diskutieren. Danke. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ingrid Köppe.

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß der Datenschutz in diesem Parlament einen besonders großen Stellenwert hätte, kann man wahrlich nicht sagen. Das ist heute auch schon mehrmals festgestellt worden. Wenn sich der Bundestag erst jetzt abschließend mit den Berichten des Bundesbeauftragten aus den Jahren 1985 und 1986, also nach acht bzw. sieben Jahren, beschäftigt - und dies dann gleich in einem Rutsch mit allen fortfolgenden -, spricht das wohl für sich. Für uns ist nicht nur wichtig, was in den Datenschutzberichten als Kritik an konkreten Verletzungen bestehender Vorschriften ausgebreitet wird. Wichtiger ist für uns, festzustellen, in welchen Bereichen man noch gar nicht von zureichenden Schutzvorschriften sprechen kann und wo solche Regelungen bewußt von Regierung und Koalitionsfraktionen boykottiert oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Darum haben wir Ihnen heute, um unsere weitergehenden Forderungen deutlich zu machen, einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich möchte ein paar Punkte nennen. Erstens. Wir sollten uns als Parlament, wenn wir hier von Datenschutz sprechen, zunächst einmal an die eigene Nase fassen. Es spricht nicht für die parlamentarischen Gremien des Bundestages, daß es sich hier weiterhin um eine quasi „datenschutzfreie Zone handelt" . Seit einem Jahr liegt den Fraktionen ein Gesetzentwurf für den Datenschutz im Bundestag vor. Nicht nur das, sogar schon die entsprechende Beschlußempfehlung hat der 1. Ausschuß erarbeitet. Wir finden diese Vorlage zwar in vielen Punkten verbesserungsbedürftig, aber niemand in den großen Fraktionen scheint sich überhaupt dazu zu bequemen, die Angelegenheit parlamentarisch einbringen und regeln zu wollen. Zweitens. Zur Zeit wird in der Gemeinsamen Verfassungskommission über die Erarbeitung der Grundrechtspositionen beraten. Mit nahezu allen Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern wissen wir uns in der Forderung einig, daß der Datenschutz wegen seiner Bedeutung eigenständig im Grundgesetz verankert werden müßte. Zum einen muß unmißverständlich klargestellt werden: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, nicht nur ein Anhängsel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch ist seit langem überfällig, das individuelle Recht auf Informationsfreiheit mit Grundrechtsgeltung auszustatten, also das unverzichtbare Gegenstück zum Datenschutzrecht. Schließlich - auch das ist ein seit langem vertretenes Ziel der Datenschutzbeauftragten - sollte das Kontrollorgan des Datenschutzbeauftragten selbst Verfassungsrang haben. Aus vorgenanntem Grund müßte es ein Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit sein. Drittens. Was viele westliche Staaten - ich nenne nur Schweden, die USA, Frankreich, die Niederlande - in unterschiedlicher Form haben, bei uns fehlt es völlig, nämlich ein allgemeines Recht auf Einsicht in Behördenakten. Dieses Akteneinsichtsrecht - angesichts der Umstellung auf elektronische Speichersysteme besser als allgemeines Informationszugangsrecht bezeichnet - muß schleunigst gesetzlich eingeführt werden. Die bevorstehende Umsetzung der EG-Richtlinie für ein Recht auf Einsicht in behördliche Umweltakten kann nur der erste Schritt sein. Viertens. Wir waren, nachdem wir von seiten des Hamburger Datenschutzbeauftragten darauf hingewiesen wurden, wie notwendig eine Regelung für den Datenschutz in privaten Akten sei, schon darüber erstaunt, daß dies offenbar im Bundestag und selbst seitens des Bundesbeauftragten für Datenschutz als nicht notwendig angesehen wird. Wir hoffen, das letzte Wort hierüber ist noch nicht gesprochen. Fünftens. Weit wichtiger ist uns aber, daß nach der leidlich gelungenen Sicherung des Datenschutzes im öffentlichen Bereich die erheblichen Lücken und zum Teil auch Unzumutbarkeiten im nichtöffentlichen Bereich endlich angegangen werden. Das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts - mittlerweile ist es schon zehn Jahre her - hat den Gesetzgeber damals zu unverzüglichen bereichsspezifischen Regelungen aufgefordert. Diese gibt es aber heute immer noch nicht. Wir mahnen sie bei der Bundesregierung an. Abschließend möchte ich auf einen Sachverhalt eingehen, der in einer solchen Debatte gern ausgeklammert wird, aber, wie ich denke, gerade hierher gehört. Regierung, Koalition und leider in zunehmendem Maße auch die SPD arbeiten in großem Umfang an der Aushöhlung grundsätzlicher Datenschutzregelungen. Ist es nicht gerade ein massiver Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht, wenn demnächst der „große Lauschangriff" eingeführt werden soll? Ist es nicht merkwürdig, wenn bei jedem Versagen von Politikern, etwa im Bereich des Rechtsextremismus, der viel zu überhöhte Datenschutz angeprangert wird, der angeblich die Strafverfolgung behindere? Ist es nicht auch merkwürdig, daß Sie sich auf ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in der Verfassung nicht verständigen können, jetzt aber Planungen offenbar werden, dem Bundesnachrichtendienst in der Verfassung neue Kompetenzen zuzubilligen, indem er weitaus großzügigere Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis vornehmen darf als bisher? Wie sieht es mit den behördlichen Zugriffsrechten auf intimste Daten von Bürgerinnen und Bürgern durch das neue Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus? Warum schließlich verzögern Sie die seit der letzten Legislaturperiode überfällige Debatte zum Melderechtsrahmengesetz? Warum erlauben Sie in der neuen Vorlage den Kirchen noch großzügigere Zugriffsrechte auf Daten von Bürgerinnen und Bürgern als bisher, statt diese Kirchenprivilegien endlich drastisch zu beschneiden und auch die Hotel- und Krankenhausmeldepflicht abzuschaffen? Und: Wollen Sie den flächendeckenden Ausverkauf von Meldedaten an Parteien zu Wahlkampfzwecken nicht endlich abschaffen, statt sich aus parteiegoistischen Interessen dieser Daten wie bisher zu bedienen? All das ist Datenschutz, wie wir ihn verstehen, und der hat in dieser Debatte leider eine viel zu geringe Bedeutung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Gerd Wartenberg.

Gerd Wartenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen zu Defiziten im Bereich des Datenschutzes im Anschluß an das vortragen, was mein Kollege Peter Paterna zu den sehr konkreten Mängeln, die aus den Datenschutzberichten hervorgehen, schon gesagt hat. Aus gutem Grund ist immer wieder die Aufnahme des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie des Rechts auf Aktenzugang in das Grundgesetz gefordert worden. Das ist in der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundestages und des Bundesrates ausgiebig diskutiert worden. Es hat viele Anhörungen gegeben. Selbst die CDU schien bereit zu sein, verfassungsrechtlich festzuschreiben, daß der Datenschutz durch eine Ergänzung zu Art. 2 des Grundgesetzes nun über den Tag hinaus realisiert werden sollte. Denn das scheint uns auch nach dem Volkszählungsurteil wichtig zu sein, das ja letzten Endes dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Grundrechtscharakter verliehen hat. Im übrigen sei darauf verwiesen, daß die neuen Bundesländer in ihre Verfassungen derartige Grundrechte ausdrücklich aufgenommen haben. Dasselbe gilt für den Informationszugang zu öffentlichen Daten und Informationen. Dieser Informationszugang sollte verfassungsrechtlich abgesichert sein. Es ist ein Merkmal des mündigen Bürgers, daß er den öffentlichen Informationen nicht wie einer verschlossenen Tür gegenübersteht. Dem freien Informationszugang kommt in einem demokratischen Staat, der mündige Bürgerinnen und Bürger benötigt, um demokratiefähig zu sein und als Demokratie zu funktionieren, ein entscheidender Stellenwert zu. Erst so wird die Bürgerin und wird der Bürger in die Lage versetzt, ihre Bürgerschaft auch aktiv wahrzunehmen. Es mußte also mit einiger Verwunderung zur Kenntnis genommen werden, daß die Unionsfraktionen plötzlich davon abgerückt sind, das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung im Grundgesetz Gerd Wartenberg ({0}) festzuschreiben, nachdem in den Sachfragen bereits Einigkeit erzielt zu sein schien. Rationale Gründe für ein solches Verhalten sind nicht ersichtlich. Man kann hinter diesem Verhalten nur den Grund vermuten, daß die Koalitionsfraktionen die Hoffnung nicht aufgegeben haben, das grundlegende, von ihnen innerlich nie akzeptierte Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 möge durch die Fortentwicklung der Rechtsprechung wieder ausgehöhlt und relativiert werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einiges zu unserer eigenen Angelegenheit, dem Datenschutz im Deutschen Bundestag, sagen. Der Deutsche Bundestag, seine Gremien, seine Mitglieder, die Fraktionen sowie deren Verwaltung und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterliegen nicht dem Bundesdatenschutzgesetz, soweit sie in Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben personenbezogene Daten erheben, verarbeiten und nutzen. Diese besondere Rechtsstellung des Bundestages im Regelungsbereich des Datenschutzes ergibt sich aus der unmittelbaren Wahl seiner Mitglieder durch das Volk und aus der Rechtsstellung seiner Mitglieder als freie Abgeordnete, die keiner staatlichen Fremdkontrolle unterliegen. Die genannten Tätigkeiten sind Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben. Die Problematik des Datenschutzes im Bereich des Deutschen Bundestages ist im Rahmen der Beratungen der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes ausgiebig beraten worden. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Aber auch von seiten der CDU/ CSU-Fraktion ist erklärt worden, daß man auf geeignete Weise Datenschutzregelungen schaffen wolle. Im Auftrag des 1. Ausschusses des Deutschen Bundestages haben Mitarbeiter der Fraktionen Vorschläge erarbeitet. Diese sind vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz als sachgerecht betrachtet worden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat im September letzten Jahres der Einbringung dieser Vorlage zugestimmt. Die Fraktion der CDU/CSU ist nun nicht mehr bereit, diese gemeinsam erarbeitete Vorlage mitzutragen. Wieder einmal soll an ihr der wirksame Schutz von Grundrechten - denn darum handelt es sich - scheitern. Es erscheint mir dringend erforderlich, daß nach vielen Ankündigungen nunmehr der Bundestag Ernst macht, einen wirksamen Datenschutz für seinen Bereich sicherzustellen. Ein Eindruck in der Öffentlichkeit wie der, der Bundestag verpflichte die Bürger ständig zu Verhaltensweisen, die er für sich selbst nicht akzeptiere, wäre äußerst fatal. Die CDU/CSU- Bundestagsfraktion wird der Öffentlichkeit erklären müssen, warum sie nicht mehr bereit ist, an den Datenschutzmaßnahmen des Deutschen Bundestages mitzuwirken. Die Neufassung des Bundesdatenschutzgesetzes ist nunmehr zweieinhalb Jahre in Kraft. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz wird in einigen Wochen in seinem 14. Bericht über die Erfahrungen mit der Novellierung berichten. Die damalige Novellierung der Datenschutzvorschriften, insbesondere für den nichtöffentlichen Bereich, war sehr umstritten. Gleichwohl ist der nach langen Beratungen gefundene Kompromiß akzeptabel, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sowohl für den nichtöffentlichen wie für den öffentlichen Bereich ergänzende bereichsspezifische Regelungen geschaffen werden. Dies ist nicht geschehen. Die Liste der Mängel ist lang. Weite Gebiete der Datenverarbeitung im nichtöffentlichen Bereich weisen keinen angemessenen und ausreichenden Schutz auf. Dies gilt insbesondere in jenen Bereichen, in denen der Betroffene seinen Vertrags- oder Geschäftspartnern nur formal, faktisch aber nicht wirklich gleichberechtigt gegenübertritt. Vorrangig ist dies im Rahmen von Arbeitsvertragsverhältnissen der Fall, aber auch Kreditnehmer und Versicherte der Privatversicherung sind nicht hinlänglich geschützt. Auch die Tätigkeit von Auskunfteien, Privatdetekteien und privaten Sicherheitsdiensten ist nicht einmal ansatzweise geregelt. Diese können nach wie vor mit Daten von Bürgern großzügiger umgehen, als es Sicherheitsbehörden des Staates tun dürfen. Auch der Schutz von personenbezogenen Daten, die einem besonderen Schutz unterliegen, wie etwa beim Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis oder dem Patientengeheimnis, ist nicht geregelt. Trotz vielfältiger rechtzeitiger Warnungen hat der Bundespostminister eine Unternehmensdatenschutzverordnung erlassen, die nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 1992 weitgehend verfassungswidrig ist. Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jahren die Regierung mehrfach aufgefordert, eine gesetzliche Regelung des Arbeitnehmerdatenschutzes vorzulegen. Die SPD hatte bereits im Jahre 1983 in ihrem Entwurf zur Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes detaillierte Regelungen vorgeschlagen. Nach den Informationen der letzten Zeit muß man davon ausgehen, daß in dieser Legislaturperiode einschlägige Regelungen nicht mehr verabschiedet werden können. Auch hier hat die Bundesregierung auf ganzer Breite versagt. Das Bundesarbeitsgericht mußte in die Bresche springen und seine Rechtsprechung an die Stelle der nicht vorhandenen Entscheidung des Gesetzgebers setzen. Vorschriften für den Bereich des Kreditwesens und den Bereich der Versicherungswirtschaft fehlen völlig. Die Tätigkeit von Detekteien und privaten Sicherheitsunternehmen ist völlig ungeregelt. Auch im Bereich der Daten, die dem Arzt- oder Patientengeheimnis unterliegen, fehlt jeglicher Ansatz zu einer Lösung. Das gleiche gilt für die zunehmende Verwendung von Verfahren der Genomanalyse im Rahmen der Versicherungswirtschaft. Fehlanzeige, wohin man auch blickt. Aber auch der Datenschutz im öffentlichen Bereich ist nicht durch bereichsspezifische Regelungen fortentwickelt und verbessert worden. Die Regelungen auch des novellierten Bundesdatenschutzgesetzes für den öffentlichen Bereich reichen wegen ihrer abstrakten Fassung nicht aus, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes notwendige normenklare Rechtsgrundlage für Eingriffe in das Personalrecht des Bürgers zu schaffen. Dies gilt insbeson11982 Gerd Wartenberg ({1}) dere für personenbezogene Daten, die ohne Wissen der Betroffenen, die zum Teil sogar heimlich erhoben worden sind und zu Eingriffen in Grundrecht der Bürger genutzt werden soll. Das größte Defizit besteht hier im Bereich der Sicherheits- und Strafverfolungsbehörden. Die Ansätze, die mit der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes, des Gesetzes über den MAD und den BND gemacht worden sind, reichen nicht aus. Trotz wiederholter Anläufe hat es die Bundesregierung bis heute nicht geschafft, die Strafprozeßordnung grundlegend zu novellieren, um den Forderungen des Volkszählungsurteils gerecht zu werden. Auch auf dem Gebiet der Nutzung der Genomanalyse im Strafverfahren ist nichts geschehen. Auch dies ist ein eklatanter Fall des Versagens der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen. Dies hatte zur Folge, daß die Gerichte zu teilweise voneinander abweichenden Entscheidungen gekommen sind. Es bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung, um die Rechtseinheitlichkeit zu garantieren. Die SPD- Bundestagsfraktion hat kürzlich ein Gesetz zur Regelung des Problembereiches genetischer Fingerabdruck im Strafverfahren vorgelegt, um auf diesem Gebiet die Beratungen wieder in Gang zu setzen. Die Liste der Fehlleistungen dieser Bundesregierung auf dem Gebiet des Datenschutzes ist lang. Wegen meiner begrenzten Redezeit nur einige Stichpunkte: Das Gesetz fiber das Bundeskriminalamt bedarf der grundlegenden Überarbeitung. Dasselbe gilt für das Gesetz über den Bundesgrenzschutz. Eine Novellierung ist um so mehr geboten, als der Bundesgrenzschutz vor kurzem die Aufgaben der Bahnpolizei übernommen hat. Auch für die Zollverwaltung fehlen einschlägige Vorschriften. Die längst überfälligen Regeln für das Ausländerzentralregister fehlen. Bereichsspezifische Regelungen fehlen auch für den Bereich von Buch X des Sozialgesetzbuches. Herr Hirsch hat schon darauf hingewiesen, daß der europäischen Entwicklung besondere Bedeutung zukommt. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat am 15. Oktober 1992 ihren zweiten Entwurf einer EG-Datenschutzrichtlinie veröffentlicht. Die rechtlichen Regelungen über den Datenschutz sind in den Vertragsstaaten der EG sehr unterschiedlich. Die Harmonisierung darf nicht dazu führen, daß der deutsche Datenschutzstandard vermindert wird, auch wenn Regelungen vorstellbar und wahrscheinlich sind, die von unserer deutschen Datenschutzphilosophie abweichen. Dies schließt auch nicht aus, daß in einzelnen Bereichen Änderungen des deutschen Datenschutzrechtes vorgenommen werden müssen. Ziel der Bundesrepublik und damit der Bundesregierung in den Verhandlungen auf EG-Ebene muß sein, daß die EG-Richtlinie lediglich einen Mindeststandard festschreibt und die Mitgliedstaaten nicht gehindert werden, über das Niveau der Richtlinie hinauszugehen. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung rechtzeitig den Deutschen Bundestag über den Stand der Beratungen in Brüssel informiert und den Deutschen Bundestag nicht, wie so häufig, vor vollendete Tatsachen stellt. Meine Damen und Herren, die Defizite im Rahmen des Datenschutzes sind eklatant. Gleichwohl möchte ich mich noch einmal, besonders auch im Namen der SPD-Fraktion, bei dem Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern bedanken und wünsche ihnen für die weitere Arbeit und Zusammenarbeit mit uns alles Gute. Vielen Dank. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ulrich Briefs das Wort.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Informationen sind ein untrennbarer Bestandteil jeder Art von Tätigkeit. Bis zum Aufkommen der elektronischen Datenverarbeitung - heute die Informations- und Kommunikationstechniken - waren Speicherung, Verarbeitung und Weiterleitung von Informationen das fast ausschließliche Vorrecht von Menschen. Was wie wo und wozu verarbeitet und gespeichert wurde, ließ sich mit gesundem Menschenverstand und Lebenserfahrung in etwa beurteilen und abschätzen. Das ist mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken anders geworden. Auf geringem Raum können heute Millionen Informationen erfaßt und gespeichert werden. In Sekundenschnelle können Hunderttausende von Informationen miteinander verglichen, kombiniert, sonstwie verarbeitet werden. Ebenfalls in Sekundenschnelle können diese Informationen über große Entfernungen übertragen werden. Das schafft Ängste, das muß Ängste schaffen. Ängste muß aber insbesondere auch die Sammelwut schaffen, die öffentliche Stellen inzwischen auf der Grundlage der faszinierenden Eigenschaften der neuen Technologien an den Tag legen, mit der Folge, daß am Horizont die total verdatete, verdrahtete und mit den neuen Technologien durchorganisierte und kontrollierte Überwachungsgesellschaft aufscheint. Ängste muß auch die Personaldatenerfassung in den Betrieben schaffen. Dort werden zum Teil je Beschäftigten bereits 2 000 und mehr Daten erfaßt. Jeder und jede sollte nur einmal versuchen, über sich selbst 100 Daten zusammenzutragen. Dann wird ihm und ihr nämlich sichtbar, was in einer solchen Datenflut stecken kann. Insbesondere das ISDN-System der Zukunft wird - das tut es heute bereits, wie Herbert Kubicek nachweist - Anlaß zu neuen derartigen Ängsten geben. Spott über diese Ängste ist also nicht angebracht. Das treudeutsche Argument „Wer brav ist, braucht auch keine Angst vor der Erfassung seiner Daten zu haben" ist schlicht primitiv. Die Gefahren, die Gründe für die Ängste, sind mit der Technik selbst und mit der Anwendung der Technik durch Ämter, Betriebe, Polizei und Geheimdienste verbunden. Die moderne Computertechnik und die moderne Technik z. B. des ISDN-Systems beruhen auf der Erfassung, Verarbeitung und Speicherung von Identifikationsdaten, von Daten über Daten. Nur so können die technisch gleichförmig gemachten Informationen mit ihrer unterschiedlichen Bedeutung, ihrer unterschiedlichen Herkunft, ihren unterschiedlichen Adressaten usw. auseinandergehalten und sinnvoll weiterverarbeitet werden. Diese Identifikationsdaten machen aber auch die Vorgänge im Arbeits- und Lebensprozeß, auf die sich diese Daten beziehen, mit bestimmten Aspekten transparent, nachvollziehbar, kontrollierbar und manipulierbar. Deshalb sind aber auch Regelungen zum Schutz der Daten, die sich auf Personen beziehen oder auf Personen beziehbar sind, in umfassender und wirksamer Weise notwendig. Datenschutz ist also kein Luxus, Datenschutz ist kein Zugeständnis an besonders sensible Bürger und Bürgerinnen; Datenschutz ist eine absolute Notwendigkeit in der Informationsgesellschaft von morgen. Wegen der technischen Möglichkeiten, über Informationen in die feinsten Strukturen der menschlichen Beziehungen einzugreifen, ist nicht nur der Datenschutz unerläßlich, sondern unerläßlich ist auch eine viel weiter gehende Demokratisierung unserer staatlichen Organe und gesellschaftlichen Einrichtungen, als sie je zuvor notwendig war. Nicht neue Technologien schaffen Demokratie, wie die produktivistische Linke, wie z. B. die kommunistischen Produktivkraftentwicklungs-Fanatiker, die so grundlegend gescheitert sind, ({0}) immer wieder fälschlich spekuliert haben, sondern die konsequente Auseinandersetzung und die demokratische Kontrolle sowohl der technischen Systeme als auch der Systemherren, wie der Informatiker Steinmüller z. B. die staatlichen Organe nennt, der Systeme, die das Ausländerzentralregister betreiben, das Verfassungsrechte außer Kraft setzt. Rolf Gössner spricht zu Recht von der massenorientierten Vorfelderfassung und vom „Datenfischen im trüben des verallgemeinerten Verdachts" im Zusammenhang mit den polizeilichen Informationssystemen. Widerstand ist insbesondere notwendig gegen die systematische Kombination und Zusammenführung von Daten und die Datenverarbeitung z. B. im Rahmen der polizeilichen Fahndungs- und Speicherungssysteme. Heute sehen wir jedoch vielfach erst die Spitze der Spitze des Eisbergs. Durch das Ausländerzentralregister haben wir z. B. bereits den gläsernen Ausländer. Wir können aber nicht dulden, daß für Ausländer und Ausländerinnen Grundrechte wie das der informationellen Selbstbestimmung außer Kraft gesetzt sind. Wir können auch nicht zulassen, daß diese menschenrechtsverachtenden Praktiken im Umgang mit den Daten von Ausländern und Ausländerinnen auf andere Teile der Gesellschaft übertragen werden. Zum Beispiel in Rheinland-Pfalz werden solche Grundrechtseinschränkungen heute bereits für Sozialhilfeempfänger gefordert, und zwar insbesondere von CDU-Politikern. Heute sie, morgen andere soziale Randgruppen, übermorgen nicht mehr so ganz am Rande stehende Gruppen, irgendwann sind schließlich auch wir dran. Angesichts dieser düsteren Perspektiven ist Gegenwehr notwendig, sind nicht weniger, sondern mehr Datenschutzbemühungen notwendig. Die eher beiläufige Beratung, die wir hier den Datenschutzberichten und den Problemen des Datenschutzes zukommen lassen, ist damit nicht vereinbar. Wenn das Parlament seine Funktion als Wächter über die Einhaltung von Grundrechten wirksam wahrnehmen will, dann muß der Datenschutz einen anderen, einen viel höheren Stellenwert auch und gerade hier in diesem Hause bekommen. Herr Präsident, ich danke Ihnen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Lüder.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit werde ich versuchen, die fünf Minuten Redezeit, die mir zur Verfügung stehen, nur zur Hälfte in Anspruch zu nehmen. Mir liegt aber daran - auch wenn Frau Köppe jetzt, wie so oft, nicht anwesend ist -, mich kurz mit dem Antrag der GRÜNEN auseinanderzusetzen, weil ich meine, daß verhindert werden muß, daß im Blick auf diesen Antrag später gesagt wird: Es gibt eine Datenschutzgruppe, das sind die GRÜNEN. Die sammeln alles zusammen. - Aber das ist eine richtige RosinenTheorie, d. h. die reifen Früchte werden ausgepflückt. ({0}) Was in der Entschließung geschrieben wird, findet partiell unsere Zustimmung, wie z. B. auch aus der Rede von Herrn Dr. Hirsch zum Datenschutz im Grundrechtsbereich hervorgegangen ist. Aber wir akzeptieren nicht, daß nach langen Beratungen im Innenausschuß, ohne Beteiligung der Antragsteller, und nach langen Beratungen in der Verfassungskommission und in anderen Fachgremien hier ein Sammelsurium von wunderschönen Forderungen auf den Tisch gelegt wird, die zum Teil so unausgereift sind, daß sie unsere Zustimmung nicht finden können. Insbesondere - auf den Punkt will ich hinweisen - fehlt ein Thema, das uns im Innenausschuß und bald auch im Deutschen Bundestag insgesamt intensiv beschäftigen muß - Herr Dr. Hirsch hat es angesprochen -, nämlich die Datenschutzregelung im europäischen Bereich, insbesondere im Rahmen des Schengener Informationssystems. Wir haben im Entwurf des Schengener Vertrags durchgesetzt - so ist es auch zu Papier gebracht worden; so liegt es auch dem Bundestag vor -, daß erst dann, wenn der europäische Mindeststandard an Datenschutz, wie er in der europäischen Datenschutzkonvention des Europarats festgelegt worden ist, in jedem Mitgliedsstaat verankert ist, die Daten in das Schengener Informationssystem und in die damit zusammenhängenden anderen Informationssysteme eingefüttert werden dürfen. Vorher darf Schengen für diesen Teil nicht in Kraft treten. Ich lege schon heute Wert darauf, daß nicht später jemand jammert und sagt: Nun haben wir nur noch das bißchen Datenschutz, nun laßt uns doch wenigstens mit Europa anfangen. - Ich sage: Nein, das ist nicht ein bißchen Datenschutz; das ist Freiheitsschutz in Europa. - Wir sagen ja zu der bisherigen Regelung, und wir warten darauf, daß uns die Bundesregierung im Ausschuß, wenn wir über Schengen beraten, berichtet, daß in allen Teilnehmerstaaten der Mindeststandard beim Datenschutz gewährleistet ist. Der Datenschutzbeauftragte hat mengenweise Anregungen zum Schengener Informationssystem unterbreitet. Wir werden uns mit diesen Anregungen intensiv zu befassen haben. Niemand möge sich herausreden und sagen: Nun haben wir so lange gewartet. - Nein, die Wartezeit zur Beratung muß für den Datenschutz im europäischen Bereich genutzt werden. Ich bitte darum, daß wir endlich damit anfangen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nun dem Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute das erste Mal, daß im Plenum des Deutschen Bundestags ein Beschlußvorschlag des federführenden Innenausschusses zu den Tätigkeitsberichten des Bundesbeauftragten für den Datenschutz erörtert wird. Die Kritik daran, Herr Kollege Paterna, trifft nicht die Bundesregierung; denn die Bundesregierung wäre selbstverständlich auch in der Vergangenheit jederzeit dazu bereit gewesen. Meine Damen und Herren, ich nehme die Gelegenheit gern wahr, um dem Plenum einmal einen Sachstandsbericht zu den vom Innenausschuß angesprochenen Themen zu geben. Dabei beschränke ich mich auf Ausführungen zu den Tätigkeitsberichten 10 bis 13, da die auf dem 8. und 9. Tätigkeitsbericht basierenden Empfehlungen des Innenausschusses entweder längst erledigt sind oder in der Beschlußempfehlung zu dem 10. bis 13. Tätigkeitsbericht wieder aufgegriffen worden sind. Soweit der Innenausschuß in seiner Beschlußempfehlung zu dem 10. bis 13. Tätigkeitsbericht Änderungsvorschläge im Hinblick auf den Umgang mit personenbezogenen Daten auf den Wehrstammkarten der ehemaligen NVA anregt, ist die Bundesregierung diesem Vorschlag bereits gefolgt. Auch die Dienstanschlußvorschriften für die Telefondatenverarbeitung in der Bundesregierung sind inzwischen in Kraft getreten. Soweit die Beschlußempfehlung die Überarbeitung der Verkartungspläne für alle Abteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz anmahnt und dessen Auskunftspraxis anspricht, weise ich auf folgendes hin: Der Bundesregierung ist selbstverständlich daran gelegen, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz die erforderlichen Arbeitspläne - das sind die sogenannten Verkartungspläne - seiner Fachabteilungen auch formal der aktuellen Rechtslage anpaßt. Materiell wird die gegenwärtige Rechtslage natürlich längst eingehalten. Die Empfehlung unter 1 b entspricht im wesentlichen der heutigen Auskunftspraxis des Bundesamtes. Es erteilt in Ausnahmefällen schon bisher Auskünfte über den Wortlaut des § 15 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes hinaus, ohne daß hierauf ein Rechtsanspruch besteht. Ich wende mich nunmehr den Wünschen des Innenausschusses in bezug auf die Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen zu und beginne hier mit dem unter meiner Federführung erarbeiteten Entwurf zu einem Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Meine Damen und Herren, unser Ziel ist es nach wie vor, das Sicherheitsüberprüfungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ich erinnere daran, daß das Hohe Haus bereits im September 1990 auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. die Bundesregierung aufgefordert hatte, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz soll bekanntermaßen die Voraussetzungen und das Verfahren zur Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung, die derzeit in Verwaltungsvorschriften geregelt sind, auf eine bereichsspezifische und normenklare Grundlage stellen. Es kann nämlich keinen Zweifel unterliegen, daß nach wie vor die Notwendigkeit besteht, im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen vor der Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen. Der Gesetzentwurf ist im Herbst vergangenen Jahres mit den Ressorts, dem Datenschutzbeauftragten, den Nachrichtendiensten und allen anderen betroffenen Kreisen abgestimmt worden. Dennoch konnte er bislang dem Kabinett nicht zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden, weil über zwei Punkte innerhalb der Koalition noch eine Abstimmung erfolgen sollte. Dies ist inzwischen geschehen. Die Kabinettsvorlage wird in allerkürzester Zeit eingebracht werden. Meine Damen und Herren, dies ist auch notwendig, um das Gesetz, dem Wunsch des Hohen Hauses entsprechend, rechtzeitig in dieser Legislaturperiode verabschieden zu können. Zur Frage der Notwendigkeit bereichsspezifischer Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz ist darauf hinzuweisen, daß der Datenschutz im Arbeitsverhältnis bereits nach dem geltenden Recht insbesondere durch Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes und der Rechtsprechung sichergestellt ist. Die Entwicklung der Informationstechnik verläuft aber, wie wir alle wissen, sehr stürmisch. Der sich ständig steigernde Einsatz von EDV in fast allen Bereichen ist für jedermann erkennbar. Die modernen Personalinformationssysteme können vielfältig eingesetzt werden, so zur Speicherung, Verknüpfung, Auswertung und auch zum Datentransfer. Das hat dazu geführt, daß der individuelle Datenschutz der Arbeitnehmer heute nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Auch die Bundesregierung hält daher eine bereichsspezifische Regelung in Form eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes für erforderlich. Bei der bereichsspezifischen Regelung wird darauf zu achten sein, daß durch den Ausbau dieses Arbeitnehmerdatenschutzes der einzelne Arbeitnehmer in seinen Persönlichkeitsrechten ausreichend geschützt wird. Im Hinblick auf die in der Beschlußempfehlung angesprochenen Entwürfe zu einem BKA- und einem BGS-Gesetz ist folgendes zu sagen. Die Bundesregierung stimmt dem Beschlußvorschlag des Innenausschusses, die Rechtsvorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten im BKA- und im BGS-Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, ausdrücklich zu. Derzeit befindet sich der Entwurf eines BKA-Gesetzes in der Ressortabstimmung. Die Ressortabstimmung zu der BGS-Gesetzesnovelle soll in Kürze ebenfalls eingeleitet werden. Die Arbeiten zum BKA-Gesetzentwurf stehen dabei in einem engen Zusammenhang sowohl mit dem BGS-Gesetzentwurf als auch mit dem Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes, das nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität im wesentlichen die datenschutzrechtlichen Neuregelungen im Rahmen der Strafprozeßordnung beinhaltet. Hinsichtlich des BGS-Gesetzentwurfs wird eine möglichst zeitgleiche Einbringung mit dem BKA- Gesetzentwurf angestrebt, da vorgesehen ist, daß letzterer im Bereich des Personenschutzes auf die Befugnisregelung des BGS-Gesetzes verweisen soll. Auch beim Strafverfahrensänderungesgesetz, das sich derzeit ebenfalls in der Ressortabstimmung befindet, bestehen eine Reihe von Querbezügen, die Auswirkungen auf den BKA-Gesetzentwurf haben. Auch die Bemühungen urn gesetzliche Bestimmungen zur Regelung der Verarbeitung personenbezogener Daten im Ausländerzentralregister kommen voran, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung ist wie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz der Auffassung, daß das beim Bundesverwaltungsamt geführte Ausländerzentralregister so rasch wie möglich auf eine umfassende Rechtsgrundlage gestellt wird, die sowohl dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des betroffenen Ausländers als auch den veränderten Bedürfnissen der Praxis Rechnung trägt. Der am 24. November 1989 von der Bundesregierung beim Deutschen Bundestag eingebrachte Entwurf ist in der 11. Legislaturperiode nicht abschließend beraten worden. Er muß deshalb erneut eingebracht werden. Mit Nachdruck wird gegenwärtig im Bundesinnenministerium ein neuer Entwurf erstellt, der neben den datenverarbeitungstechnischen Neuerungen die im Ausländer- und Asylrecht anstehende Novellierung berücksichtigt. Die Beachtung der datenschutzrechtlichen Erfordernisse hat der BMI durch Rundschreiben vom 28. Juni 1990 an die Registerbehörde und die Benutzerbehörden des Registers im Einvernehmen mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz sichergestellt. Die Bundesregierung wird den überarbeiteten Gesetzentwurf schnellstmöglich einbringen. Sie rechnet damit, daß der Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Was den nächsten Punkt, nämlich die Schaffung gesetzlicher Regelungen zur Einschränkung genomanalytischer Untersuchungen anbelangt, so sind die Vorarbeiten hierzu aufgenommen worden. Anfang des Jahres 1992 wurde ein Referentenentwurf für eine gesetzliche Regelung zur Verwendung des genetischen Fingerabdrucks für Zwecke der Strafverfolgung an die zu beteiligenden Stellen zur Stellungnahme versandt. Er soll demnächst den Bundesressorts zur Abstimmung zugeleitet werden. Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, den Einsatz gentechnischer Maßnahmen durch normklare Festlegung der Voraussetzungen und Beschränkungen einzugrenzen. Vorgeschlagen werden eine Regelung über Voraussetzung und Inhalt der Untersuchung mit genomanalytischen Methoden, verfahrenssichernde Rahmenbedingungen sowie Vorschriften über die Verwendung von Untersuchungsmaterial und seine Vernichtung. Ich komme nun, meine Damen und Herren, zu Punkt 9 der Beschlußempfehlung: ISDN-Verbindungsdaten und sonstige Kommunikationsdaten. Der Bundesminister für Post und Telekommunikation ist unverzüglich in die Prüfung der aus der sogenannten Fangschaltungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 1992 zu ziehenden Folgerungen sowohl für die erforderliche gesetzliche Regelung als auch für die technisch-betrieblichen Abläufe bei der Deutschen Bundespost Telekom eingetreten. Dabei ist die Komplexität vorläufiger und im Endzustand anzustrebender Lösungen deutlich geworden, die sowohl die verfassungsrechtlichen Anforderungen beachten als auch die Nachfrage der Allgemeinheit nach Telekommunikationsdienstleistungen und bestimmte damit verbundene Sachverhalte angemessen berücksichtigen. Ausgehend von den Ergebnissen der mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz geführten Unterredungen zu der Frage, in welcher Weise die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zweckmäßig umzusetzen ist, wurde inzwischen ein Formulierungsvorschlag für eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis erarbeitet, der auch von der Deutschen Bundespost Telekom mitgetragen wird. Dieser Formulierungsvorschlag wird in Kürze dem - übrigens jederzeit über den Sachstand der Arbeiten unterrichteten - Bundesbeauftragten für den Datenschutz absprachegemäß zugeleitet und mit ihm und den Bundesressorts erörtert werden. Vom wesentlichen Inhalt her regelt der als § 30 Abs. 2 und 3 des Postverfassungsgesetzes vorgesehene Entwurf einer Ermächtigungsgrundlage die verschiedenen betrieblich erforderlichen Datenverarbeitungssachverhalte wie z. B. Herstellen und Aufrechterhalten der Verbindung, Abrechnen der Entgelte, Verhinderung von Störungen, Aufklären von Leistungserschleichungen sowie auf Antrag der Kunden erfolgende Sonderdienstleistungen zur Kontrolle des Leistungsentgeltes und zum Identifizieren von Anschlüssen. Es ist darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgericht die Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Regelung nicht eingegrenzt hat. Deshalb kann die erforderliche Gesetzesanpassung gegebenenfalls auch im Rahmen der Poststrukturreform II erfolgen; in jedem Fall erfolgt sie aber noch in dieser Legislaturperiode. In der Übergangszeit bis dahin wird die Telekom-Datenschutzverordnung nur in einer die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigenden Weise angewandt. Meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Vorschlag der EG-Kommission für eine Rahmenrichtlinie zum Schutz personenbezogener Daten: Die Bundesregierung hält die Vereinheitlichung der Bestimmungen zum Datenschutz für eine wichtige Aufgabe in einem zusammenwachsenden Europa. Im Rahmen des Binnenmarktes wird eine Vielzahl personenbezogener Daten sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ausgetauscht. Harmonisierung bedeutet hier insbesondere Förderung des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Aber auch dem Schutzbedürfnis des einzelnen Bürgers, der Wahrung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, muß dabei Rechnung getragen werden. Die Bundesregierung unterstützt daher die Initiative der Kommission zur Schaffung eines einheitlichen Datenschutzstandards innerhalb der Zwölf. Sie ist jedoch nicht bereit, Abstriche von dem in Deutschland teilweise höheren Schutzniveau zu machen. Es muß daher unbedingt gewährleistet sein, daß strengere Rechtsvorschriften in der Bundesrepublik, beispielsweise im Bereich des Arbeitnehmer- und Sozialdatenschutzes, von dem Anwendungsbereich der Richtlinie unberührt bleiben. Ferner sind zu sehr ins Detail gehende Vorschriften, die gewachsene und bewährte Strukturen innerhalb der Mitgliedstaaten beeinträchtigen, zu vermeiden. Unter dem Gesichtspunkt der Grundsatzes der Subsidiarität, der seit der Tagung des Europäischen Rats in Edinburgh im Dezember 1992 wieder stärker in das Bewußtsein der Mitgliedstaaten getreten ist, muß es insoweit noch zu Korrekturen des Richtlinienvorschlages kommen. Meine Damen und Herren, lassen Sie auch mich zum Schluß meiner Rede dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und seinen Mitarbeitern herzlich für die wirklich wertvolle Arbeit danken, die geleistet worden ist, und alles Gute für die weitere Arbeit wünschen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, nach dieser kleinen Verzögerung erteile ich der Abgeordneten Ingrid Köppe das Wort zu einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Lüder hat in seiner Rede die Mitarbeit unserer Gruppe im Innenausschuß beim Problem des Datenschutzes kritisiert. Ich vertrete die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Innenausschuß und möchte deswegen kurz etwas dazu sagen. Erstens. Es war unsere Gruppe, die im Januar 1992 beim Innenausschuß überhaupt erst die Debatte der Tätigkeitsberichte des Datenschutzbeauftragten anmahnte und sich damit Altlasten anderer Fraktionen dieses Hauses angenommen hat. Zweitens. Wir haben damals auch einen umfangreichen Debattenkatalog eingebracht. Drittens. Die Debatten fanden aber nicht in Sitzungen des Innenausschusses statt, sondern vor allem in Berichterstattergesprächen. Es ist leider Praxis des Innenausschusses, daß man mich zu diesen Berichterstattergesprächen, auch wenn es sich um Anträge von uns handelt, nicht zuläßt. Ich hätte mich an diesen Gesprächen gern beteiligt. Viertens. Es war wiederum unsere Gruppe, die einen Vorschlag für eine Beschlußempfehlung eingebracht hat, mit dem man sich dann wenigstens beschäftigt hat. Fünftens. Ich meine, die Vergangenheit hat gezeigt, daß sich die Fraktionen des Bundestages nur sehr, sehr zögerlich mit dem Problem des Datenschutzes beschäftigen. Wir wollten das Tempo der Arbeit mit dem Datenschutz etwas beschleunigen und haben eben aus diesem Grund den Entschließungsantrag eingebracht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Somit können wir zur Abstimmung kommen. Ich rufe zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Achten und Neunten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz auf. Sie liegt Ihnen in Drucksache 12/1384 vor. Wer für diese Beschlußempfehlung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Sie ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir stimmen nunmehr über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Zehnten bis Dreizehnten Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz ab. Es ist die Drucksache 12/4094. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU, SPD, F.D.P., bei unterschiedlichem Verhalten der Abgeordneten der PDS/Linke Liste und Enthaltung der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/4271. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der CDU/CSU und etlichen Stimmen aus der SPD bei Stimmenthaltung einiger Mitglieder der SPD- Fraktion abgelehnt worden. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entbindung ehemaliger Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes von der ihnen auf erlegten Schweigepflicht - Drucksachen 12/2071, 12/3972 Berichterstattung: Abgeordnete Hartmut Büttner ({1}) Wolfgang Lüder Angelika Barbe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Der Ältestenrat hat für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir mit der Debatte beginnen. Ich kann wiederum der Abgeordneten Ingrid Köppe das Wort erteilen.

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben vor einiger Zeit, weil sich ehemalige Mitglieder des MfS immer wieder auf eine Schweigepflicht berufen haben, einen Antrag zur Entbindung von dieser Schweigepflicht gestellt. Der Ausschuß hat sich damit beschäftigt, und es liegt eine Beschlußempfehlung vor, von der wir meinen, daß sie nicht ausreicht. Entgegen der Annahme der Bundesregierung sowie einer offenbaren Mehrheit in diesem Hause geht nämlich die Praxis davon aus, daß diese Schweigeverpflichtung grundsätzlich fortbesteht. Dies nahm nicht nur das Kammergericht Berlin in Sachen Neiber an, sondern z. B. auch das Landgericht Magdeburg im Januar dieses Jahres bezüglich des Zeugen Remme im Postraub- und Abhörverfahren, der Sonderausschuß des Sächsischen Landtags im September und Dezember 1992 gegen die Zeugen Ubl und Gehlert sowie, diesem folgend, dann auch das Kreisgericht Dresden in zwei Fällen. Dem Vernehmen nach neigt auch das Amtsgericht Bonn zu dieser Auffassung, welches nach der Aussageverweigerung des Zeugen Köhler vor dem KoKo-Untersuchungsausschuß vor zwei Wochen jetzt mit dieser Frage befaßt ist. Daß die Schweigeverpflichtung als Verwaltungsakt nicht durch den Einigungsvertrag erloschen ist, davon geht schließlich auch Rechtsanwalt Diestel aus, der damals mit Herrn Schäuble am Verhandlungstisch saß. Offenbar angesichts der Kompliziertheit dieses Problems wurde die Frage, ob die Schweigepflicht auch nach dem Untergang der DDR fortexistiert, off engelassen, u. a. vom Brandenburger Stolpe-Untersuchungsausschuß in zwei Fällen, nämlich im Mai und November 1992 wegen der Zeugen Buhl und Heinrich, und im November sogar vom Bundesgerichtshof. Der BGH hatte sich statt dessen aber mit komplizierten Detailfragen über den Umfang der Verpflichtung abzumühen. In einer ellenlangen Anmerkung zu diesem Beschluß, der in der nächsten Ausgabe der neuen Strafrechtszeitschrift veröffentlicht wird, arbeitet sich ein Staatsanwalt über mehrere Seiten juristischer Feinarbeit an dieser Frage ab. Dabei wird der Auffassung und Interpretation der Bundesregierung an mehreren Stellen ausdrücklich widersprochen, etwa, daß sich der Charakter der Schweigeverpflichtung als nunmehr entfallenes Gesetz schon aus dessen Veröffentlichung im DDR- Gesetzblatt ergebe. Warum referiere ich das so ausführlich? Wir meinen weiterhin, daß es mit einer unverbindlichen Meinungsäußerung des Bundestages, so wie sie uns zu dieser Frage jetzt in der Beschlußempfehlung vorliegt, nicht getan ist; denn eine solche förmliche Meinungsäußerung der Bundesregierung, sie - Zitat - gehe vom Wegfall der Schweigeverpflichtung aus, liegt ja bereits vor, nämlich seit Herbst 1991. Das heißt, die genannten Gerichte, Untersuchungsausschüsse und sicher noch andere Gremien haben sich durch diese Meinungsäußerung offenbar überhaupt nicht beeindrucken lassen, sondern haben sich strikt an die Rechtslage gehalten, und die sieht eben anders aus. Deshalb muß sich die Bundesregierung endlich dazu bequemen, so meinen wir, die geschilderte Rechtspraxis korrigieren zu helfen und die Schweigeverpflichtung für ehemalige Mitarbeiter des MfS durch einen Verwaltungsakt vollständig und förmlich aufzuheben. Warum sich die Regierung dabei so ziert, kann man nur ahnen. Immerhin weist der Bundesgerichtshof in seinem genannten Beschluß darauf hin, daß - ich zitiere - „die Festlegung zur Schweigepflicht unter maßgebender Mitwirkung westdeutscher Berater zustande kam" , allen voran damals der heutige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herr Werthebach. Hierbei soll es, so berichtet ein damals Beteiligter über die Motive, vor allem darum gegangen sein, ehemalige MfS-Mitarbeiter förmlich daran zu hindern, ihnen dienstlich bekanntgewordene Staatsgeheimnisse bzw. Affären der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten öffentlich preiszugeben. Das jedoch, so meinen wir, kann kein ausreichender Grund sein, die Schweigeverpflichtung, nun mit einer parlamentarischen Erklärung garniert, faktisch fortbestehen zu lassen; genau das wäre das Ergebnis dieser Beschlußempfehlung. Damit würde die Aufarbeitung der MfS-Vergangenheit absehbar immer wieder behindert werden. Ich bitte Sie daher, die Beschlußempfehlung abzulehnen und unserem Antrag in seiner Ursprungsfassung zuzustimmen. Ich danke Ihnen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hartmut Büttner ({0}).

Hartmut Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000303, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Untersuchungsausschuß „Kommerzielle Koordinierung" hat sich bisher dreimal mit der Frage der formalen Entbindung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter von der ihnen auferlegten Schweigepflicht beschäftigt. Auf Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN soll eine vom DDR-Ministerrat vom 16. Mai 1990 beschlossene Festlegung zur Aufhebung der Schweigepflicht abgeändert werden. Ziel dieses Antrags ist, die den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit auferlegte Verpflichtung zur Verschwiegenheit fiber anvertraute Staats- und Dienstgeheimnisse aufzuheben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ein gleiches Ergebnis erreichen, Frau Köppe. Es gibt keinerlei Begründung für eine Aufrechterhaltung der Schweigepflicht. Sie kann und darf in der Praxis keine Rolle mehr spielen. Deshalb sind auch die Beschränkungen auf Staatsanwaltschaften und Gerichte, wie sie durch Hartmut Büttner ({0}) die Festlegungen der DDR-Regierung beschlossen worden sind, obsolet geworden. Die Bundesregierung teilt diesen Standpunkt. ({1}) Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Sie erklärt, daß der bereits zitierte Beschluß des Ministerrates nach bundesdeutschem Recht als allgemeine Verwaltungsvorschrift, Richtlinie oder allenfalls als Regierungsakt zu qualifizieren sei. Sie verweist auf den Einigungsvertrag. Der Ministerratsbeschluß vom 16. Mai 1990 sei dort nicht aufgeführt, obwohl in der Anlage II des Vertrages im übrigen durchaus andere Anordnungen verzeichnet sind. Die Bundesregierung stellt sich weiter auf den Standpunkt, daß ein nicht mehr existenter Staat wie die DDR seine Geheimnisse nicht mehr schützen könne. Mangels einer bestehenden Schweigepflicht sei deshalb auch eine Entbindung von derselben nicht nötig. Sie haben es zitiert: Der Parlamentarische Staatssekretär der Finanzen, Dr. Grünewald, hat für die Bundesregierung bereits am 3. September 1991 verbindlich erklärt: Die Bundesregierung geht davon aus, daß alle früher in der öffentlichen Verwaltung beschäftigten Arbeitnehmer zum Thema des 1. Untersuchungsausschusses uneingeschränkt auszusagen haben. Später wurde noch hinzugefügt: Nach Ansicht der Bundesregierung werden von dieser Erklärung auch die früheren Minister der DDR erfaßt. Sie haben zitiert, daß diese Rechtsauffassung vom Berliner Kammergericht leider nicht geteilt wird. ({2}) Es geht bei einem Urteil im Rahmen des Mauerschützenprozesses - Sie sagten das - von einem zumindest teilweisen Weiterbestehen der Schweigepflicht aus. Meine Damen und Herren, jetzt überlegen wir: Was kann Motivation für die Haltung der Bundesregierung sein? Ich kann sie sehr gut verstehen. Denn wer möchte z. B. als Bundesinnenminister schon gern Rechtsnachfolger von Herrn Erich Mielke werden? Sich die demokratisch gewählte Regierung der Bundesrepublik Deutschland als treusorgenden Dienstherrn der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter des verbrecherischen Ministeriums für Staatssicherheit vorzustellen, das ist noch nicht einmal mehr komisch. Unser schwerwiegendes Problem ist doch: Wir brauchen in Untersuchungsausschüssen und Enquete-Kommissionen, aber auch vor den Gerichten jetzt die Aussagebereitschaft der ehemaligen StasiMitarbeiter. Wir müssen jetzt aufarbeiten und aufklären. Wir müssen den letzten MfS-Getreuen jetzt verbieten, sich auf eine imaginäre Schweigepflicht zu berufen. Deshalb, Frau Köppe, würde die Zeit, die man braucht, um eine mögliche Gesetzesinitiative umzusetzen, von aussageunwilligen Stasi-Mitarbeitern und ihren Anwälten auch als Ausrede für weiteres Schweigen vorgeschoben werden können. Unter diesem Eindruck haben bei Enthaltung Ihrer Gruppe und der Gruppe der PDS/Linke Liste der Innenausschuß und auch der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages einstimmig eine klarstellende Entschließung beschlossen. Wir sollten diese Entschließung jetzt auch vom Deutschen Bundestag verabschieden lassen; denn sie macht deutlich, daß die Rechtsauffassung der Bundesregierung geteilt wird. Niemand kann sich mehr auf die früher vorhandene Schweigepflicht berufen. ({3}) Die Regelungen im Recht der DDR über eine solche Schweigepflicht sind durch den Einigungsvertrag nicht fortgeführt und deshalb gegenstandslos geworden. Eine Schweigepflicht für Angehörige der ehemaligen Staatsverwaltung der DDR und für andere Personen, die auf Grund besonderer Auftragsverhältnisse für die Staatsverwaltung tätig waren, besteht seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr. Ich begrüße deshalb sehr, daß der 1. Untersuchungsausschuß auch bei Aussageverweigerung wie vor einigen Tagen im Falle Köhler von seinem Recht auf Antrag auf Beugehaft Gebrauch gemacht hat. Ich begrüße sehr, daß gleiches dem ehemaligen StasiBezirkschef von Chemnitz, Siegfried Gehlert - Sie haben ihn zitiert -, und dem früheren Chef der Stasi-Dienststelle Annaberg-Buchholz, Johann Ubl, droht. Auch der sächsische Untersuchungsausschuß wird eine Erzwingungshaft beantragen. Meine Damen und Herren, niemand sollte einen Zweifel daran haben, daß die Verfassungsorgane von Bund und Ländern den festen Willen haben, ihre Auffassung in dieser Frage durchzusetzen, vor allen Dingen die deutschen Gerichte nicht. Herzlichen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Gisela Schröter das Wort.

Gisela Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002086, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An dieser Stelle gebührt unser herzlicher Dank zunächst den Einbringern des Antrags, der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hat doch dieser Antrag den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung noch einmal dazu veranlaßt, sich mit dem Problem der angeblichen Fortdauer einer Schweigepflicht ehemaliger Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu beschäftigen. Die Rechtslage ist eindeutig: Im Mai 1990 hat der damalige DDR-Ministerrat beschlossen, die ehemaligen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes und andere Personen nur teilweise von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Dieser Beschluß war ein Akt der Rechtssetzung und wurde dementsprechend im Gesetzes- und Verordnungsblatt der DDR veröffentlicht. In Anlage II des Einigungsvertrags, welche das fortgeltende DDR-Recht enthält, ist der Ministerratsbeschluß vom Mai 1990 nicht enthalten. Die Fortgeltung dieses Beschlusses ist also ausgeschlossen. Diese Rechtslage ist nach Auffassung aller Fraktionen eindeutig. Der heute vorgelegte Entschließungsantrag, der im Innenausschuß die Zustimmung der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gefunden hat, ist auch ein Appell an die noch zweifelnden Gerichte, sich dieser Rechtsauffassung anzuschließen. Die Mitglieder des Innenausschusses sehen in der Annahme der heute vorgelegten Beschlußempfehlung die geeigneteste Form, der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, daß seit dem 3. Oktober 1990 für Angehörige der ehemaligen Staatsverwaltung der DDR sowie für andere Personen, die auf Grund besonderer Auftragsverhältnisse für die Staatsverwaltung tätig waren, keine Schweigepflicht mehr besteht. Damit wird der absurde Zustand beendet, daß sich Stasi-Offiziere auf ihre Schweigepflicht gegenüber einem Staat berufen, der seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr existiert. Aufklärung über die Verbrechen und Machenschaften dieses untergegangenen Staates tut not. Wenn diese notwendige Aufklärung durch uneinheitliche Rechtsauffassungen unserer Gerichte vereitelt oder zumindest erschwert wird, ist es Aufgabe der Politik, klare Vorgaben zu machen. Die Ausschußmitglieder haben sich die Aussprache über den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wahrlich nicht leichtgemacht. Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen sind ausgiebig diskutiert worden. Schließlich hat sich die Mehrheit der Auffassung angeschlossen, die nun als Beschlußempfehlung vorliegt. Meine Damen und Herren, die Probleme des Aufbaus und der Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer wiegen schwer und dauern fort. Die Aufdekkung der Machenschaften der Staatssicherheit stellt dabei ein nicht zu unterschätzendes Element dar, auch wenn das Interesse der Deutschen in Ost und West an der Aufarbeitung des Vergangenen abnimmt, auch wenn der Wunsch nach Offenlegung mehr und mehr von den Alltagsproblemen zugedeckt wird. ({0}) Das Possenspiel ehemaliger Stasi-Offiziere vor Untersuchungsausschüssen und Gerichten wird durch die heutige Beschlußfassung hoffentlich bald der Vergangenheit angehören. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Wolfgang Lüder das Wort.

Wolfgang Lüder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001390, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich meinen beiden Vorrednern anschließen: Die Rechtslage ist eindeutig. Mit der vom Innenausschuß heute vorgelegten Entschließung stellen wir lediglich klar, was nach Auffassung aller Fraktionen und auch der Bundesregierung seit der Wiedervereinigung Rechtslage ist. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter müssen nicht erst noch von der Bundesregierung von einer amtlichen, dienstlichen Schweigepflicht entbunden werden. Sie sind frei zu reden. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten, vor Gerichten und Untersuchungsausschüssen auszusagen, wie jeder andere Bürger unseres Staates auch. Sie haben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Der Beschluß und der Bericht sprechen eine klare Sprache und sind juristisch zutreffend. Irritationen aus der Rechtsprechung dürften damit ausgeräumt sein. Der mit Gesetzeskraft versehene Beschluß des Ministerrats der DDR vom 16. Mai 1990 war kein einfacher Verwaltungsakt. Das macht allein schon der Blick auf die Ziffer 2 dieses Beschlusses klar. Wenn etwa einige Kollegen wie der frühere Innenminister der DDR meinen, es sei ein Verwaltungsakt, wenn der Ministerrat beschlossen hat, jegliche Aktivitäten und Planungen für eine konspirative Tätigkeit ehemaliger Mitarbeiter des MfS/AfNS sind verboten und Zuwiderhandlungen werden entsprechend den strafrechtlichen Bestimmungen verfolgt, so soll dies ein auf einzelne Leute gerichteter Verwaltungsakt und keine generelle Regelung sein, die im Gesetzesblatt auch noch veröffentlicht worden ist? Nein! Hier handelt es sich um eine Materie, die gesetzesvergleichbare Kraft oder Gesetzeskraft hatte und damit so wie die DDR mit dem Einigungsvertrag untergegangen ist. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns klarwerden, daß es - jedenfalls nach meinem Eindruck; ich sage das hier mit allem Freimut - nicht um eine Rechtsfrage geht. ({0}) Man muß sich einmal ansehen, was hier an Politischem versucht wird, Leute davor zu bewahren, offenkundig zu machen, was sie offenbar verschweigen wollen. Die Damen und Herren Zeugen berufen sich auf zwei gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte. Auf das eine dürfen sie sich nach unserer Auffassung nicht berufen. Das andere steht ihnen zu wie jedem anderen Bürger auch. Sie dürfen schweigen, wenn sie durch Offenbarung eigene Straftaten offenlegen müßten. An diesen Punkt wollen sie nicht heran, und sicherheitshalber haben die Kollegen Rechtsanwälte in allen vorbereiteten Schriftsätzen immer schon gleich auf den § 55 reflektiert. Wenn dann noch in einem Schreiben bei dem Untersuchungsausschußvorgang jetzt gesagt wird, man verlange von der Bundesregierung die Zusicherung - ich zitiere wörtlich -, daß der Zeuge für seine Aussage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafrechtlich verfolgt werde, dann ist dies ein Begehren, das im Rechtsstaat uns allen die Rechtsstaatshaare zu Berge stehen lassen müßte. Es ist doch unmöglich, daß die Bundesregierung zusagt: Was auch immer der Mensch aussagt, er wird dafür nicht verfolgt. Darum geht es: Sie wollen schweigen über das, was sie getan haben. Wenn ich dann sehe, mit welcher Akribie die Aussageverweigerung vor dem 1. Untersuchungsausschuß vorbereitet worden ist, daß nämlich schon im Oktober, Monate bevor überhaupt der Beweisbeschluß kam, mein Anwaltskollege Diestel befragt wurde, was er denn hier noch aus der Erinnerung wisse - das Wissen des Kollegen Diestel findet sich in einem Schriftsatz vom 20. Oktober auf mehreren Seiten -, was damit begründet wird, daß sich aus den Hintergründen der Veröffentlichung ergebe, daß seine Rechtsauffassung richtig sei, dann stinkt mir das zu sehr. Ich darf das hier in allem Freimut sagen. Hier wird politisch versucht, unter dem Vorwand von Rechtsstaatlichkeit Unrechtstaten zu verdecken. Dies muß vermieden werden. ({1}) Dies sollten wir mit aller Deutlichkeit den Gerichten sagen, damit sie nicht so leichtmütig hineinfallen wie das Kammergericht. Ich mache keine Urteilsschelte. Ich lese nur den Beschluß und sehe, was es alles nicht berücksichtigt hat. Auch Gerichte leben ja in dieser Republik, und sie sollten das Wissen aus dem Leben in dieser Republik in ihre zutreffende Rechtsfindung mit einfließen lassen. Wenn der Gesetzgeber heute klarstellt, daß es kein dienstliches Zeugnisverweigerungsrecht gibt, dann werden Sie sehen, daß dieses Wort des Gesetzgebers sicherlich auch in die Entscheidungen unserer Gerichte Eingang finden wird. Dieses Vertrauen habe ich. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist unsere Kollegin Frau Andrea Lederer.

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit es nicht ganz so konsensual wird, einige andere Anmerkungen! Ich würde gern auf einen Punkt zurückkommen. Wir sind uns alle darüber im klaren, daß die de-MaizièreRegierung intensiv von ihrer Nachfolgeregierung in Bonn beraten wurde. Wir wissen auch, daß z. B. über den Aspekt der geheimdienstlichen Tätigkeit, insbesondere die Frage der Aufklärung, diskutiert wurde. Warum also hat die Bundesregierung damals erstens de Maizière offenkundig in der Richtung mitberaten, diese Schweigeverpflichtung zu formulieren, und warum wurde zweitens keine klare entgegenstehende Regelung im Einigungsvertrag getroffen? Ich kann mir das nur so erklären: Beide Seiten hatten ein Interesse daran, daß eine solche Schweigeverpflichtung besteht, ({0}) aus Sicht der damaligen MfS-Offiziere die Befürchtung der Strafverfolgung, insbesondere was die Aufklärung anbelangt, und aus Sicht der Bundesregierung möglicherweise auch, daß durch eine nicht bestehende Schweigeverpflichtung Erkenntnisse des ehemaligen MfS an die Öffentlichkeit geraten, woran sie selber kein Interesse hatte. Das ist in der Tat der Hintergrund. Anders ließe es sich auch nicht erklären, daß die Bundesregierung es einmal war, die einen Entwurf für ein Straffreiheitsgesetz, für ein Amnestiegesetz, und zwar für ein unheimlich weitgehendes Amnestiegesetz, eingebracht hat. Es geht mir nicht darum - wie meine geschätzte Kollegin Ingrid Köppe mir vorhin sagte - zu begründen, warum MfS-Offiziere nicht reden sollen. Das ist nicht mein Interesse. Ich fände es in der Tat sehr interessant, da mehr zu hören. Es geht mir darum: Erstens. Welche rechtsstaatlichen Gefahren stecken in Ihrem Herangehen? Zweitens: Was ist wirklich die Blockade zum Stichwort „Aufarbeitung der Geschichte"? Zum ersten Punkt muß ich sagen: Rechtsstaatlich problematisch ist in der Tat das Bemühen, Zeugen- und Beschuldigtenrechte mit aus meiner Sicht problematischen Mitteln einzuschränken. Es ist nicht so - ich bin ja selbst Mitglied des KoKo-Ausschusses -, daß nur in Frage gestellt wird, ob diese Schweigeverpflichtung gilt oder nicht. Es ist auch so, daß z. B. § 55 StPO nur höchst widerwillig und zum Teil sogar bestritten diesen Zeugen gewährt wird. Die Blockade besteht doch darin, daß Sie wirklich zu Tausenden Strafverfahren einleiten und das diese Leute ihre Rechte wahrnehmen, die ihnen aus der StPO zustehen. Und nun wollen Sie das eine, was möglicherweise leichter zu kippen ist, nämlich das, was zwischen der Bonner Regierung und der DDR-Regierung ausgehandelt wurde, im Nachgang kippen. Das ist im Grunde schon wieder ein Beispiel dafür, daß man die Regelung jetzt kippt, weil einfach der Vertragspartner nicht mehr da ist. Das ist es, was ich angreife. Das ist überhaupt kennzeichnend für den Umgang mit dem Einigungsvertrag. Wenn die Bundesregierung damals zugestimmt hat und jetzt sagt: wir stellen hiermit fest, daß das nicht mehr gilt, zack, aus, fertig!, dann würde ich gern einmal von Herrn Schäuble und auch von Herrn Diestel wissen, was damals tatsächlich zu der dahinterstehenden Problematik diskutiert wurde, warum die Bundesregierung anderer Auffassung war und warum sie sich heute einfach über diese Auffassung hinwegsetzt. Das ist meiner Ansicht nach exakt das Gefährliche. Noch eine Anmerkung zum Stichwort Förderung für die Aufarbeitung der Geschichte. Ich glaube, wir sind uns wirklich darüber im klaren, daß da die Blockaden in der Tat woanders liegen. Es sind erstens quantitativ sehr wenige Zeugen, die sich darauf berufen, und zweitens sind es in der Regel Zeugen, die sich auch auf § 55 StPO berufen können, weil eben gegen sie massenhaft Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. ({1}) - Ich stelle mich nicht hinter Stasi-Täter. ({2}) Nein. Ich will Ihnen etwas sagen: Sie nutzen all das, was in diesem Bereich in puncto Einigungsvertrag gemacht wurde, für einen generellen Einstieg in die rechtsstaatliche Kultur dieses Landes. Das ist die Gefahr, die ich sehe. ({3}) - Nein, das ist durch tausend Beispiele belegbar. Sie setzen sich über Verträge hinweg, Sie setzen sich auch darüber hinweg, was durch die Rechtsprechnung festgestellt wurde. Sie betreiben hier eine Justizschelte, wofür man normalerweise massiv angegriffen würde, reden von irritierten Gerichten und ähnlichem, wenn auf der anderen Seite Ihnen das in den politischen Kram paßt. Ich für meinen Teil werde diesen Antrag ablehnen, meine Gruppe ebenfalls, soweit ich informiert bin. Ich glaube, daß Sie damit leben können. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuß empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 12/3972 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Gegen die Stimmen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste ist die Beschlußempfehlung angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung empfiehlt der Innenausschuß, den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/2071 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Eine Gegenstimme von Frau Köppe. Stimmenthaltungen? - Die Gruppe PDS/Linke Liste übt Stimmenthaltung. Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sicherung von Sportstätten in den neuen Ländern - Drucksachen 12/2534, 12/3914 Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Wieland Sorge Nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserem Kollegen Wieland Sorge das Wort.

Wieland Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß noch einige im Plenum anwesend sind und sich dieser Sache stellen. ({0}) - Richtig, einige, die dem Sport wohlgesonnen sind. In Anbetracht der Lage in Deutschland, insbesondere in den neuen Bundesländern, wird der eine oder andere sagen: Wir haben viele Probleme zu bewältigen, was soll auf diesem Gebiet jetzt der Sport leisten? In der zurückliegenden Zeit hat sich immer erwiesen, daß die angespannten Situationen durch den Sport gemildert werden konnten. Aus diesem Grunde sollten wir dem Sport die Möglichkeit geben, in der heutigen Situation diese Funktion wieder wahrzunehmen. Wenn wir daran denken, daß eine hohe Zahl von Arbeitslosen die Möglichkeit sucht, Sport zu treiben, die Möglichkeiten dafür aber nicht vorfindet, und daß das gleiche auch für die Jugend zutrifft, der eine Vielzahl von Jugendeinrichtungen nicht mehr zur Verfügung steht, die jedoch natürlich ein großes Interesse daran hat, Sport zu treiben und durch gemeinsames Erleben eine Entspannung ihrer Situation herbeizuführen, so sollten wir aus diesem Grunde alles tun, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wenn wir an die Entwicklung des Sports in der DDR zurückdenken, dann müssen wir sagen, daß sich die Entwicklung dort sehr von der Entwicklung in der Bundesrepublik unterschied. Aus diesem Grunde war natürlich auch ein Unterschied hinsichtlich der Eigentumsfrage entstanden. Die Organisation des Sportes war anders, die Zielorientierung war anders, und die Beteiligung des Staates an der Entwicklung des Sportes war natürlich auch eine ganz andere, als es diejenige in der Bundesrepublik Deutschland war. Die Eigentumsformen, die wir im Sport in der ehemaligen DDR hatten, waren sehr vielfältig, und aus den verschiedensten Bereichen des Staates bzw. der Wirtschaft, aber auch aus Armee und Polizei gingen Vereine hervor, die in diese Einrichtungen integriert waren und dort natürlich auch ihre Sportstätten hatten. Diese Sportstätten wurden Eigentum der genannten Einrichtungen und damit den Vereinen und den Kommunen entzogen. Wenn wir auf dem Gebiet des Sports die Einheit herbeiführen wollen, dann wollen wir natürlich auch die gleichen Vereinsstrukturen aufbauen, und dazu gehört wiederum eine wesentliche Voraussetzung: daß die Vereine wieder in den Besitz ihrer alten Sportstätten gelangen können. Hier versuchen wir seit dem Jahre 1990, das sehr schnell zu bewerkstelligen. Aber trotz aller Anstrengungen der damals frei gewählten Volkskammer und der von der Regierung erlassenen Verordnung zur Sicherung der Sportstätten ist es uns leider nicht in vollem Umfang gelungen, alle diese Sportstätten in die Hände des Sports zurückzuführen. Es gibt heute also noch einen großen Nachholbedarf, und es nützt nichts, wenn wir Verordnungen, Erklärungen und dergleichen herausgeben, wenn sie nicht auch wirklich in die Praxis umgesetzt werden. Wir haben im Sportausschuß am Mittwoch ein Beispiel gehört, das zeigt, daß trotz aller Ankündigungen und auch trotz aller Festlegung des Finanzministeriums, unentgeltlich bzw. durch günstige Verkäufe die Sportstätten zurückzuführen, immer noch sehr große Hindernisse gegen die Umsetzung bestehen. Das sollte uns Anlaß sein, heute in diesem Haus einen Antrag zu verabschieden, der die Möglichkeit schafft, die Gesamtheit der Sportstätten, ganz gleich, in welcher Eigentumsform sie seinerzeit in der DDR existiert haben, wieder an die Kommunen, an die Vereine, an die Verbände zurückzuführen. Ich muß dem Sportausschuß bescheinigen, daß er von Anfang an auch die Gefahr eines möglichen Mißbrauchs dieser Sportstätten gesehen hat, wenn sie nicht in die Hand der Kommunen, in die Hand der Vereine, in die Hand der Verbände kommen. Aus diesem Grunde ist die Initiative des Sportausschusses auch bei der Regierung sehr positiv wirksam geworden; denn das Finanzministerium hat jetzt günstige Voraussetzungen geschaffen. Dazu muß ich sagen, daß es hier zwei Möglichkeiten gibt: Wenn die Übertragung durch Zuordnung erfolgt, dann besteht die Möglichkeit, daß die Vereine sehr schnell in den Besitz dieser Sportstätten kommen, ohne dafür Geld aufzuwenden. Wenn es aber etwa um die Rückübertragung von Dynamo durch einen symbolischen Kauf von 1 DM geht, dann entstehen - da die Notarkosten auf der Basis des Verkehrswerts der Sportstätte berechnet werden - sehr hohe Kosten. Diese Kosten können meist nicht aufgebracht werden, so daß die Gefahr besteht, daß eine Rückführung nicht möglich ist. Aus diesem Grunde sollten wir hier darauf hinwirken, daß also auch insoweit eine Zuordnung möglich ist, somit keine höheren Kosten entstehen und diese Dinge schnell geregelt werden können. Weiter wollen wir darauf hinwirken, daß auch die Anlagen für Tennis-, Wasser- Schieß- und Flugsport, die mittlerweile von der Mehrheit der Menschen genutzt werden können, hier ebenfalls einbezogen und damit auch zurückgeführt werden. Auch sollten die Sportgeräte der GST, der NVA und der jetzigen GUS in unseren Antrag einbezogen werden. Wie wir wissen, besteht gegenwärtig die Möglichkeit, eine MIG 21 oder eine MIG 23 für 3 000 DM zu kaufen, während veraltete Segelflugzeuge, die rd. 15 Jahre alt sind, nur zu einem Preis von 15 000 DM zu haben sind und alte Motorsportflugzeuge, die ebenfalls nicht mehr den Sicherheitsbestimmungen entsprechen, für 30 000 DM verkauft werden. Das stellt eine Ungerechtigkeit dar, die beseitigt werden muß. Deshalb wollen wir, daß in unserem Antrag berücksichtigt wird, daß Sportgeräte ebenfalls kostenlos rückübertragen werden. ({1}) - Die MIGs umzubauen und sie für den Sport zu nutzen, wäre natürlich auch eine Möglichkeit. Aber das wird natürlich sehr schwierig werden. ({2}) Zusammenfassend möchte ich Sie also bitten, hier zuzustimmen, damit wir durch unseren Antrag die Möglichkeit erhalten, mehr Druck auszuüben, damit wir die noch in Händen anderer Organisationen befindlichen Sportstätten sehr schnell und kostenlos an die Kommunen rückübertragen können. Nur so macht auch der Goldene Plan Ost eine Umsetzung möglich; denn die Sportstätten sind in einem so schlechten Zustand, daß eine Sanierung unbedingt notwendig ist. Wenn aber die Besitzverhältnisse nicht geklärt sind, ist eine Kreditaufnahme und damit eine Sanierung bzw. ein Neubau nicht möglich. Unser Ziel sollte es sein, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Danke. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Ferdi Tillmann das Wort.

Ferdinand Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002326, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe sportliche Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir gleiche Lebensbedingungen und gleiche Lebensgrundlagen in ganz Deutschland schaffen wollen - und das wollen wir -, dann dürfen wir dabei den Sport nicht ausnehmen. Insofern unterstreiche ich ganz nachdrücklich, Herr Kollege Sorge, die grundsätzlichen Bemerkungen, die Sie hier zum Sport gemacht haben. Wenn wir in diesem Zusammenhang vom Sport sprechen, meinen wir allerdings nicht in erster Linie den Hochleistungssport und schon gar nicht den Hochleistungssport der ehemaligen DDR mit seinen zweifelhaften Methoden; wir meinen vielmehr den freiheitlichen Sport mit seinen sozialen und erzieherischen Werten, wie er in unseren Vereinen angeboten und betrieben wird. Zu diesem Angebot Sport gehören aber vor allem die notwendigen Sportstätten, Sportanlagen. Ihr Zustand muß von einer Qualität sein, die es ermöglicht, Sport ohne Gefahr für Leib und Leben zu betreiben. Von daher ist der Antrag der SPD-Fraktion, den wir heute abschließend beraten, nicht nur vom Ansatz her richtig, sondern auch durchaus verdienstvoll. ({0}) - Und überfällig. Ich bedaure fast, daß nicht wir seitens der Koalitionsfraktionen ihn gestellt haben. ({1}) Allerdings, Herr Kollege Schmidt: Dank des intensiven und einmütigen Drängens des Sportausschusses - Kollege Sorge hat dies dankenswerterweise schon erwähnt - und dank der konstruktiven Handlungsweise der Bundesregierung, diese sozusagen in vorFerdi Tillmann auseilendem Gehorsam handelnd, ist Ihr Antrag heute schon weitgehend überholt. Selbst die Beschlußempfehlung des Sportausschusses vom 4. November 1992, die heute hier zur Abstimmung ansteht, ist schon nicht mehr ganz aktuell. Praktisch alle Sportanlagen von Betriebssportgemeinschaften, Deutschem Turn- und Sportbund, der Gesellschaft für Sport und Technik, der Nationalen Volksarmee, der GUS-Streitkräfte und des Ministeriums für Staatssicherheit ({2}) können inzwischen entweder auf Grund entsprechender Haushaltsvermerke, Frau Kollegin Albowitz, oder auf Grund anderer Bestimmungen kostenlos oder zum Erinnerungswert von 1 DM auf die Gemeinden und Städte übertragen werden. Es wird viel Kritik geübt an der Bundesregierung - manchmal vielleicht mit einem gewissen Recht, meistens zu Unrecht, wie ich betone -, aber in diesem Falle ist es geboten, für die positiven Entscheidungen aller Beteiligten in diesem Zusammenhang im Namen von Sport und Sportlern zu danken. So ist heute zu registrieren, daß die ehemalige „Verordnung zur Sicherung und Nutzung von Sporteinrichtungen im öffentlichen Eigentum" des Ministerrates der DDR - Herr Kollege Sorge hat sie soeben erwähnt - vom Juni 1990 heute - so haben wir es ja auch am Mittwoch im Sportausschuß erörtert - ungeachtet ihrer rechtlichen Würdigung als in der Sache erledigt betrachtet werden und in die Archive wandern kann. Wenn dies auch so ist, sind kurzfristig dennoch einige Aufgaben zu lösen. Die Sportanlagen der Sondervermögen Deutsche Reichsbahn und Post müssen ebenfalls mit Hilfe von entsprechenden Haushaltsvermerken - so haben wir es im Sportausschuß am Mittwoch wiederum einstimmig beschlossen - den Gemeinden unentgeltlich übertragen werden; denn an diesen Sportanlagen, an diesen Immobilien haben sich seinerzeit Deutsche Reichsbahn und Post in der ehemaligen DDR sozusagen auf Befehl der Partei ungerechtfertigt bereichert. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist es so, daß dann entsprechende Rückübertragungsansprüche bestehen. Insofern wäre ein entsprechender Haushaltsvermerk auch in diesem Bereich dringend zu erwirken. Auch ist in diesem Zusammenhang nicht einzusehen - da stimme ich wiederum Herrn Sorge zu -, warum ausgerechnet die wenigen Tennisplätze, die es in den neuen Bundesländern früher schon gegeben hat, die Bootsanlegestellen und auch die ausschließlich dem Sport dienenden Segelflugplätze nicht ebenfalls kostenlos zurückgegeben werden. Ob es Golfplätze, wie es in dem Haushaltsvermerk niedergeschrieben ist, in der DDR überhaupt gegeben hat, wage ich sehr zu bezweifeln. ({3}) - Ja, vielleicht Minigolfplätze. Und jetzt zu dem eigentlichen Unding, mit dem wir es hier zu tun haben. Der Bundesfinanzminister ist immer noch nicht bereit - Herr Sorge, Sie haben das soeben sehr plastisch vorgeführt -, die Fluggeräte der ehemaligen Gesellschaft für Sport und Technik den Fliegern - ich will es mal so ausdrücken: den tollkühnen Männern und Frauen in ihren uralten Kisten - kostenlos zu überlassen. Sie haben die Preise genannt, die es da gibt. Wenn ein solches Segelflugzeug heute noch 15 000 DM Wert haben sollte, dann doch nur deswegen, weil die ehrenamtlich tätigen Sportler diese Geräte in Ordnung gebracht und in Ordnung gehalten haben. Sonst hätten diese Geräte überhaupt keinen Wert mehr. Ich habe gehört, daß das Luftfahrtbundesamt, das hier sachkundig und sachverständig ist, den Wert dieser Geräte praktisch für Null rechnet. Also, trotz mancher positiver Aspekte bleibt noch ungeheuer viel zu tun. Eine regelrechte Sisyphusarbeit haben wir noch vor uns. Wir haben noch sehr viel Erblast des real existierenden Sozialismus abzutragen. Der Goldene Plan Ost des Deutschen Sportbundes zeigt die gewaltigen Probleme auf, die hier bestehen. Ich hoffe, daß sich der Sportausschuß des Deutschen Bundestages in der gleichen fairen Zusammenarbeit wie bisher um Problemlösungen bemüht. Unser Hearing am kommenden Mittwoch wird ein weiterer Beitrag dazu sein. Es ist kein Wunder, daß ich Ihnen nach meinen Ausführungen empfehle, dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen. Die CDU/CSU-Fraktion ist selbstverständlich dazu bereit. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Dr. Ruth Fuchs, Sie sind die nächste Rednerin. Ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat des bisherigen Vorsitzenden der Ständigen Sportministerkonferenz der Länder, Herrn Professor Wernstedt, beginnen. In einer Bilanz seiner Amtszeit betonte er folgenden Sachverhalt - ich zitiere -: Auch für die Zukunft des Sportlebens und des Freizeitsports in den neuen Ländern gilt die Forderung des Grundgesetzes nach der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse. Unter den jetzigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ist der Sport nicht nur die schönste Nebensache der Welt, sondern er hat eine zentrale Funktion im Einigungsprozeß. Eine bürgernahe Erkenntnis, zu der auch die Vertreter des Deutschen Städtetages gekommen sind, indem sie den Goldenen Plan Ost des Deutschen Sportbundes uneingeschränkt befürworteten, einen Plan, der nur als ein langfristig ausgerichtetes Gemeinschaftswerk von Bund, Ländern, Gemeinden und des Sports selbst realisierbar sein wird. Um aber überhaupt eine Chance zu haben, braucht er vor allem erst einmal Grundvoraussetzungen, und Ihre Zustimmung zum SPD-Antrag wäre eine solche. Warum? - Mit Recht wurde in der Wendezeit erstmals offen die jahrzehntelange Bevorzugung des Spitzensports und die Vernachlässigung des Breitensports in der DDR kritisiert. Große Hoffnungen, daß es anders kommen würde, wurden geweckt und teilweise auch erfüllt. Nur besteht gerade in folgenden Tatsachen eine gewisse Ironie: Ausgerechnet die Sportanlagen, die schon früher Heimstätte von Breiten- und Freizeitsport waren, sind in ihrem Fortbestand gefährdet oder existieren als solche gar nicht mehr. Wird der Bund um Hilfe gebeten, heißt es gleich, das ist Länder- bzw. Kommunenhoheit. Der Bund ist nur für die Leistungssportförderung zuständig. Trotz allem: Heute geht es um den Erhalt von rund 4 000 Sporteinrichtungen der einstigen Betriebssportgemeinschaften, die früher mit Staatsgeldern bzw. von den Betrieben und Kombinaten finanziert - oder wie man jetzt sagt: gesponsert - wurden. Diese Finanzquellen für den Sport existeren nicht mehr. Zur Diskussion stehen auch die lange Zeit umstrittenen NVA-, GST- und Dynamoareale sowie die Sportanlagen der Post und der Reichsbahn. Sie sind - laut Einigungsvertrag - kostenlos in Eigentum des Bundes, der Post und der Reichsbahn überführt. Nach bundesdeutschem Recht entscheidet der jetzige Eigentümer, was mit welcher Sportanlage zukünftig passiert, und nicht der jahrelange Nutzer. Wird für oder gegen den Sport entschieden? Das ist hier die Kernfrage. Fachleute sind sich einig: Was jetzt in den neuen Ländern dem Sport verlorengeht, ist so gut wie unwiederbringlich verloren. Um dies nicht zuzulassen, bedarf es - unabhängig von Parteienzugehörigkeit, so wie im Sportausschuß realisiert - eines energischen Sich-Einsetzens für den unbedingten Erhalt der vorhandenen Anlagen des Sports. Die neuen Bundesländer und ihre Kommunen sind derzeit objektiv nicht in der Lage, diese Aufgabe allein zu bewältigen. Wenn wir nicht eine ZweiKlassen-Sportbewegung in Deutschland auf lange Dauer erhalten wollen und der propagierte hohe gesellschaftspolitische sowie gesundheitspolitische Stellenwert des Sports nicht nur ein verbal geäußertes Bekenntnis darstellen soll, dann ist es mehr denn je notwendig, daß der Bund seine Verantwortlichkeit hier mit aktivem Handeln unter Beweis stellt. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nächster Redner ist unser Kollege Uwe Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal vorweg eine Bemerkung: Ich finde es bemerkenswert, daß der Bundestag ziemlich einmütig über ein Thema debattiert, zielorientiert etwas zustande bringt und auch die Regierung dazu bewegt, hier dem Ziel folgend etwas zu tun. Als wir im September letzten Jahres hier im Wasserwerk im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsinitiative neue Länder auch über ein Sofortprogramm zur Förderung des Sports in den neuen Ländern debattierten, da hatten wir - ich kann mich noch erinnern, Kollege Schmidt - eine kleine Kontroverse, als Sie sagten: Nun bemühen Sie sich mal, daß es zu der kostenlosen Übereignung von Sportanlagen kommt. - Ich denke, wir sind hier auf einem guten Wege, auch wenn es - das wurde vorhin schon in den anderen Beiträgen gesagt - in den Bereichen Post und Reichsbahn noch erheblich hapert. Ich meine, die Sportflächen sollten den Kommunen durch Bescheid zugeordnet werden können und nicht für den Kaufpreis einer symbolischen Mark verkauft werden müssen. Zum einen erspart uns das wertvolle Zeit, und zum anderen spart das auch viel Geld. Allein vom ehemaligen SV Dynamo sind mehr als 70 Liegenschaften noch zu übertragen. Bei dem hier kursierenden Beispiel Eisstadion könnte ein Notar, da die Gebühren auf der Grundlage des Verkehrswertes errechnet werden, für die Beurkundung einer Transaktion unter Umständen 40 000 DM Honorar einstreichen. Das wären allein in diesem Fall 40 000 DM, die dem Sport unnötig entzogen würden. Die in dem Kaufverfahren anfallenden Gebühren fehlten, auch wenn sie bis zu 60 % reduziert werden können, den Kommunen für die dringendsten Instandsetzungen der Anlagen. Der Bund kann den Sport zwar durch die kostenlose Übertragung der Sportstätten auf die Kommunen fördern - das wollen wir auch forcieren -, aber Instandhalten und Pflegen sind leider zunehmend teurer werdende Aufgaben der Städte und Gemeinden oder der freien Träger. In vielen westdeutschen Kommunen wurden deshalb Nutzungsentgelte für öffentliche Sportstätten erhoben. In anderen sind Pflege und Betrieb den Vereinen übertragen worden. Ich meine, hier sind die Länder, auch die neuen Bundesländer in der Verantwortung. Man muß sich bei all den Fonds, deren Mittel in die neuen Bundesländer transferiert werden, darüber im klaren sein, daß bei aller Wichtigkeit wirtschaftlicher Belange auch die Belange des Sports nicht außer acht zu lassen sind. Sportstätten für den Breitensport sind defizitär. Die Träger dieser Einrichtungen dürfen mit ihren knappen Mitteln nicht alleingelassen werden. Bei den in Rede stehenden Sportanlagen geht es nicht nur um die Freizeitnutzung. Diese Anlagen müssen zum großen Teil auch für den Schulsport gesichert werden, der in aller Regel zu Zeiten stattfindet, die von den Sportlern der Vereine nur selten in Anspruch genommen werden. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland über die größte Zahl organisierter Sportfreunde verfügt, so darf der Kinder- und Jugendsport nicht allein den Vereinen und der Freizeit aufgebürdet werden. Längst nicht alle Kinder und Jugendlichen sind aktive Sportler in Vereinen. Die Tradition von Gymnastik, Turnen, Leibesübungen, Leibeserziehung, Körpererziehung, Bewegung, Spiel und Sport in der Schule darf gerade in unserer Zeit, in der sich die körperlichen Aktivitäten unserer Kinder und Jugendlichen auf der Strecke zwischen Computerbildschirm und Fernsehbildschirm entfalten, nicht an Bedeutung verlieren. Die Sportstätten müssen auch für den Behindertensport gesichert werden. ({0}) Ich meine, das ist besonders wichtig, da er als Breitensport in der Vergangenheit in der ehemaligen DDR grundsätzlich zu kurz gekommen ist. ({1}) - Sicherlich auch im Westen. Ich kann es nur aus Sicht des Ostens beurteilen, weil ich da herkomme. - Die erfolgreichen, auch in der Öffentlichkeit registrierten Spitzenleistungen anläßlich der Paralympics, der Weltspiele der Behinderten in Albertville und in Barcelona, haben starke Impulse für den Behindertensport gegeben. Wir müssen dafür sorgen, daß diese verstärkt werden. Dafür werden ebenfalls Anlagen gebraucht. Die Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft hat auch außerhalb der Vereine zugenommen. Trimmklubs und Fitneßcenter, eine Flut von schriftlichen Audio- und Videoübungsanleitungen und Heimtrainer sind dafür augenfälliger Beweis. Wenn der Sport so vereinzelt betrieben wird, dann verliert er allerdings eine wichtige soziale Funktion, nämlich die der primären Kommunikation, der persönlichen Begegnung und des Gedanken- und Meinungsaustausches. Sportanlagen sind auch identifikationsbildende Erlebniswelt von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter. Ich denke, wichtig, wenngleich hier noch nicht angesprochen, ist auch ein anderer Aspekt: Die Obertragung der Liegenschaften als Sportflächen ist auch für die Siedlungsökologie, vor allen Dingen die Siedlungsökologie der großen Städte wichtig. Die Freiflächen, die Bruttoflächen aller rund 40 000 Sportanlagen in der Bundesrepublik betragen immerhin 460 km 2. Sie sind von hoher ökologischer Bedeutung für das Wohnumfeld. Bei einer voreiligen Aufgabe des sportlichen Nutzungszwecks aus fiskalischen Gründen - die Gefahr haben wir im Osten Deutschlands - werden schwerlich neue Freiflächen für Sportplätze im Siedlungsschwerpunkt zu sichern sein. Insgesamt stimmt die F.D.P.-Fraktion der Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist unser Kollege Wilhelm Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am Freitagmittag ist es sehr schwierig, eine Debatte noch richtig ordnungsgemäß durchzuführen. ({0}) -Lieber Kollege Oswald, bei der Gelegenheit: Vielen Dank für die Bonbons, die Sie an alle Teilnehmer in diesem Plenum verteilt haben. Das erhöht die Arbeitsfreude. ({1}) Ich denke aber, daß wir bei aller Einigkeit im Sportausschuß über dieses Thema dennoch insofern differenziert vorgehen müssen - da blicke ich in Richtung Regierung -, als wir zu dieser Zeit aus gegebenem Anlaß darauf hinweisen sollten, daß bei dieser Regierung der Sport offensichtlich nicht so sehr ernst genommen wird. Diese Auffassung haben wir in den letzten Monaten immer mehr gewinnen müssen - das sage ich hier mit großem Bedauern, Herr Staatssekretär -, weil wir uns in den Sportausschußsitzungen Ihnen gegenüber immer wieder haben durchsetzen müssen - auch mit Recht -, um zu klären, wo denn Defizite sind. Eines dieser Defizite - das muß man einmal feststellen - wird durch den SPD-Antrag heute gewissermaßen bereinigt. ({2}) - Eben nicht; sie hat ja an einigen Stellen, wie wir wissen, nicht gehandelt. Das ist eigentlich bedauerlich; die große Fraktion des Sports hat das in diesem Ausschuß, dem wir angehören, immer wieder zum Ausdruck gebracht. Wir reden nicht erst seit einigen wenigen Wochen darüber, sondern seit vielen, vielen Monaten. Darum ist das Defizit eigentlich nicht zu ertragen. Mehr als drei Jahre nach der deutschen Einheit gibt es bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen auch im Bereich des Sports immer noch Sand im Getriebe. Es ist schon fast eine rhetorische Frage, auch in Anbetracht der anderen Punkte, die wir in den letzten Wochen ausgetauscht haben - Befahrensregelungen im Wattenmeer und manches andere -, wo eigentlich in dieser Regierung Sportpolitik konsequent umgesetzt wird. Ich will das hier wenigstens sagen. Der neueste Hammer, lieber Herr Lintner, liegt seit wenigen Minuten bei mir auf dem Tisch: die Berechnungsgrundlagen für die Bewerbung Olympia 2000 in Berlin. Ich kann nur sagen: Wenn das stimmt, was das Landgericht Hamburg in diesen Tagen festgestellt hat, dann werden wir uns über diese Frage ebenfalls noch einmal unterrichten lassen müssen und wahrscheinlich auch Konsequenzen ziehen müssen. Ich glaube, das kann so nicht weitergehen. Darum habe ich mich noch einmal gemeldet. Sie müssen einfach mehr und mit Nachdruck die Interessen des Sports verfolgen. Sonst hat es überhaupt keinen Zweck, Sport als politische Aufgabe in dieser Regierung anzusiedeln. Beispiele dafür haben wir in den vergangenen Monaten leider mehrere zur Kenntnis nehmen müssen. Ich fordere Sie also mit Nachdruck auf - nicht nur mit diesem Antrag, sondern auch darüber hinaus -, die Sportpolitik ernster als bisher zu nehmen und auch die Interessen des Sports, der Menschen im Sport - das sind in Deutschland immerhin mehr als 25 Millionen - besser wahrzunehmen, als das bisher der Fall war. ({3}) Wilhelm Schmidt ({4}) - Nein, das war ernsthaft. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, unser Kollege Eduard Lintner, will seine Rede zu Protokoll geben. Das ist eine Abweichung von der Geschäftsordnung. Wenn sich kein Widerspruch erhebt, ist das so beschlossen.*) - Danke sehr. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 12/3914. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Dann kann ich schon feststellen, daß das einstimmig beschlossen ist. Dadurch erübrigt sich die Frage nach Gegenstimmen und Enthaltungen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Lieselott Blunck, Brigitte Adler, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbraucherfreundliche Information bei Arzneimitteln - Drucksache 12/2408 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst unserer Frau Kollegin Lilo Blunck das Wort.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politikersprache muß oft dafür herhalten, um besonders zu kennzeichnen, wie schlecht man mit Sprache umgeht. Es wird allgemein gesagt, sie sei Phraseologie, sie sei wirklich ein Kunstwerk im Verschleiern. Diejenigen, die das sagen, haben noch nie einen Beipackzettel von Arzneimitteln gelesen. Das, was bei der Politikersprache nur andeutungsweise vorhanden ist, hat sich bei den Arzneimittelbeipackzetteln zur hohen Kunst verselbständigt. Die sind wirklich Weltmeister im Verstecken von Wichtigem unter Unwichtigem, im Manches-überhaupt-nicht-Sagen. Bei Penizillingaben beispielsweise wird überhaupt nicht erklärt, daß sie Einfluß auf die Wirkung von Antibabypillen haben, d. h. daß die Wirkung von Antibabypillen außer Kraft gesetzt wird, wenn man Penizillin nimmt. Es werden auf manchen Beipackzetteln überhaupt nicht die Nebenwirkungen klargemacht, und wenn, dann wird das sehr geschickt versteckt. Ich habe einen Beipackzettel mitgebracht - sogar mehrere -, um einmal deutlich zu machen, daß auch *) Anlage 2 die Länge kennzeichnend ist für das Verstecken, Verhunzen und Verschleiern. Auf dem Beipackzettel, den ich hier habe, steht: Das Risiko für eine Myopathie ist erhöht, wenn gleichzeitig Immunsuppressiva, einschließlich Ciclosporin ... verabreicht werden oder eine begleitende lipidsenkende Therapie mit Fibraten oder Niacin ({0}) durchgeführt wird. Dabei wurde selten über schwere Rhabdomyolysen mit sekundärem akutem Nierenversagen berichtet. Dabei schreibt das Arzneimittelgesetz von 1978 vor, daß die Angaben in deutscher Sprache und in gut lesbarer Schrift gemacht werden sollen. ({1}) - Beides ist nicht der Fall. Man muß es, je nachdem, ob man kurzsichtig oder weitsichtig ist, etwas näher hin- oder etwas weiter weghalten. Hilfe sollen dann der Arzt oder aber die Apotheke geben. Der Arzt ist aber nicht die rechte Hilfe dafür, denn er hat in seiner Ausbildung eigentlich zuwenig über Chemie erfahren. Er hat leider Gottes auch zuwenig über Ernährung in seiner Ausbildung erfahren. Denn wichtig sind nicht nur die Nebenwirkungen bei Arzneimitteln, sondern wichtig wäre auch, zu wissen, wann man denn dieses Medikament einnimmt und wie man es einnimmt. Bedeutet „vor dem Essen" eine halbe Stunde vor dem Essen, eine Stunde vor dem Essen, zwei Stunden vor dem Essen? Bedeutet „nach dem Essen" sofort nach dem Essen, eine Stunde nach dem Essen, zwei Stunden nach dem Essen? Auch das ist ganz entscheidend für die Wirksamkeit eines Medikamentes, genauso entscheidend wie, mit wieviel Flüssigkeit es eingenommen wird und mit welcher Flüssigkeit, mit Wasser, mit Milch, mit Saft. All das kann sehr wohl die Wirksamkeit beeinflussen. 35 % der Menschen nehmen ihre Medikamente zu einer völlig falschen Tageszeit ein. Zirka vier Milliarden Medikamente werden schlicht auf den Müll geschmissen, weil die Leute aus den Beipackzetteln glauben zu erkennen, daß es soviel Nebenwirkungen für sie hat, daß sie es lieber doch nicht oder nur ganz kurz nehmen. Ich denke, dies ist ein volkswirtschaftlicher Schaden, der nicht zu ertragen ist. Ältere Leute - 40 % der über 80jährigen haben das auch bekannt - können die Beipackzettel schlicht überhaupt nicht lesen, weil die Schriftgröße zu klein ist. Ein wichtiger Punkt, der auch für diesen Antrag entscheidend gewesen ist: Die Beipackzettel und die Angabe des Verfalldatums sind nicht verpflichtend, solange das Arzneimittel noch kein Zulassungsverfahren durchlaufen hat und nur auf Grund von Übergangsregelungen im Verkehr ist. Auch müssen nur die vor der Zulassung aufgetretenen Nebenwirkungen aufgeführt werden. Die Folge ist, daß die Verbraucher und Verbraucherinnen mit den vorliegenden Informationen wenig anfangen können, daß sie die Nebenwirkungen ganz schwer einschätzen, geschweige denn abschätzen können und dadurch verunsichert und verängstigt Lieselott Blunck ({2}) werden. Arzneimittel werden falsch angewandt, sie werden falsch dosiert, und - ich habe es schon gesagt - ein Teil der Medikamente wird schlicht weggeworfen. Untersuchungen in den USA, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland belegen das. In den USA geht man davon aus, daß 125 000 jährlich sterben, weil sie ihre Herzkreislaufmittel falsch oder gar nicht einnehmen. Auch volkswirtschaftlich kann es uns überhaupt nicht gleichgültig sein, wenn im wahrsten Sinne des Wortes Millionenwerte auf dem Müll landen. Ich muß nicht darauf hinweisen, daß wir erst in letzter Zeit zur Kostenlawine im Gesundheitswesen nicht nur etwas gesagt, sondern auch etwas getan haben. Nun hat das Bundesgesundheitsamt schon vor langer Zeit erkannt, daß da etwas gemacht werden müßte, und hat vorgeschlagen - allerdings nicht verpflichtend gemacht, sondern nur eine Empfehlung ausgesprochen -, daß bei den Nebenwirkungen Prozentangaben gemacht werden sollen. Aber selbst diese Vorstellungen schneiden im internationalen Vergleich sehr schlecht ab. In den USA oder in Schweden gelten sehr viel strengere Maßstäbe. Die Bundesregierung hat es verstäumt, bei den Verhandlungen über die EG-Richtlinie über die Packungsbeilagen von Humanarzneimitteln auf verbraucherfreundlichere Aufklärung zu drängen. Das Ergebnis ist fatal. Das Ergebnis ist, daß nach dem Willen der Bundesregierung alles so bleiben soll, wie es war. Das ist natürlich ausgesprochen verbraucherunfreundlich. Denn, wie gesagt, das, was das BGA herausgegeben hat, ist nur eine Empfehlung, ist keine Verpflichtung. Ich wäre gerade im Hinblick auf die Kostenlawine im Gesundheitswesen sehr dafür, daß das verpflichtend gemacht wird. Hoffentlich interpretiere ich das Kopfschütteln von Frau Bergmann-Pohl richtig, daß sie den Antrag von uns zum Anlaß genommen hat, all das verpflichtend vorzuschreiben. Das würde mich freuen. ({3}) Unser Ziel ist: Wir wollen, daß nationale Spielräume zum Wohle von Kranken und zur besseren Nutzung unseres Sozialproduktes genutzt werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes zu ergänzen und zu konkretisieren. Dazu mache ich ganz kurz die Vorschläge, die, wie wir finden, dringend umgesetzt werden sollten: Die Lesbarkeit und die Verständlichkeit müssen formal verbessert werden. Es muß eine sinnvolle Gliederung geben, und es muß eine verständliche Darstellung mit übersichtlichem Aufbau und kurzen Sätzen da sein. Dazu gehören nach unserer Überzeugung Tabellen, es gehören Schaubilder dazu und Begriffssymbole. Es interessiert mich sehr wohl, ob ich mit einer Nebenwirkung rechnen muß oder ob nur jeder Tausendste eine Nebenwirkung gezeigt hat. Ich denke, dieses muß ich als Verbraucher wissen. Bei jedem Tausendsten kann ich davon ausgehen, daß ich nicht dazu gehöre, bei jedem Zweiten muß ich damit rechnen, daß ich doch dazu gehöre. Die Schriftgröße muß so sein, daß ältere Leute, aber auch Leute mittleren Alters so wie ich, in der Lage sind, das zu lesen. Die Mindestschriftgröße sollte auf 3,5 Millimeter festgelegt werden. Die Fachbegriffe - ich habe Ihnen ein gutes Beispiel für „sehr verständliche" Fachbegriffe gegeben - müssen durch verständliche Ausdrücke ersetzt werden oder zumindest allgemeinverständlich erläutert werden. Die Angaben sollten auf die Tagesdosen bezogen werden und mit gängigen Kategorien wie „seltene", „gelegentliche" oder „häufige" Nebenwirkungen beschrieben werden. Ganz, ganz wichtig ist die ständige Kontrolle und Anpassung auf Grund von neugewonnenen Erkenntnissen. Dabei muß klargestellt werden, daß Hersteller ohne Einschaltung des Bundesgesundheitsamtes zur Änderung berechtigt und verpflichtet sind. Der Beipackzettel muß außerdem Informationen enthalten, wie sich die Patienten und Patientinnen im Zweifelsfall entscheiden sollen, z. B. bei Auftreten von Nebenwirkungen oder wenn die Einnahme schlicht vergessen worden ist. Nicht zuletzt müssen Beipackzettel und die Angabe des Verfalldatums für alle Arzneimittel vorgeschrieben werden, auch und gerade wenn sie noch kein Zulassungsverfahren durchlaufen haben. Nur dann, denke ich, kann man nicht mehr sagen, was eine Verbraucherinitiative einmal als Überschrift für eine sehr gute Zusammenfassung über Beipackzettel und Medikamente gewählt hat: „Nein, meine Pille esse ich nicht!" oder: „Wie lese ich einen Beipackzettel? " Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Jetzt hat Frau Kollegin Anneliese Augustin das Wort.

Anneliese Augustin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag auf Drucksache 12/2408 der SPD-Fraktion hat mich ein wenig überrascht. Ich wundere mich auch ein bißchen darüber, Frau Kollegin Blunck, in welcher Weise Sie versuchen, die Beipackzettel niederzumachen. Bereits bei der zweiten AMG-Novelle waren wir uns in diesem Hause einig, die Packungsbeilage von Arzneimitteln klarer und verständlicher zu verfassen und von überflüssigem Ballast zu befreien. Hierdurch ist es gelungen, die Packungsbeilage den Bedürfnissen des Patienten anzupassen und verbraucherfreundlich zu gestalten. Denn uns alle verbindet das Wohl für den Patienten. Wir waren uns einig, daß die Gebrauchsinformation, die in erster Linie für den Patienten bestimmt ist, in ihrem Informationsgehalt gegenüber dem bisherigen Stand nicht gemindert und nicht verkürzt werden sollte. Keine Risiken sollten verschwiegen oder verharmlost werden. Wir waren uns auch darin einig, daß das oberste Ziel des Arzneimittelgesetzes aus dem Jahre 1976, nämlich die Arzneimittelsicherheit, in keinem Fall aus dem Auge verloren werden darf. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, was Sie, liebe Frau Blunck, dazu geführt hat, heute diesen Antrag einzubringen: Zum einen - das nehme ich Ihnen gar nicht übel - weil alles, was nur den Anschein erweckt, verbraucherfreundlich zu sein, von vornherein jedenfalls sympathisch ist. Zum anderen aber auch, weil sich bei der Lektüre der Gebrauchsinformation in der Tat beim Patienten sehr oft Unbehagen, Mißtrauen und Ängste einschleichen, die nicht selten dazu führen - Sie haben das auch gesagt -, daß Arzneimittel entweder überhaupt nicht oder in unvertretbarer Unterdosierung eingenommen werden. Nach der Lektüre einer solchen Gebrauchsanweisung muß es dem Patienten in manchen Fällen geradezu als Gnade erscheinen, an der eigentlich zu bekämpfenden Krankheit leiden zu dürfen, anstatt an den Nebenwirkungen sterben zu müssen. Wenn ich dies jetzt auch etwas spaßhaft ausgeführt habe, so meine ich dennoch, daß wir uns den Problemen mit großem Ernst zuwenden sollten. In der zweiten AMG-Novelle haben wir die Forderung erhoben, daß der Text allgemeinverständlich sein solle und daß etwaige Risiken nicht verschwiegen und nicht verharmlost werden dürfen. ({0}) In den von mir überprüften Gebrauchsinformationen habe ich erfreulicherweise festgestellt, daß medizinische Fachausdrücke soweit wie möglich in deutscher Sprache gebraucht wurden und daß der lateinische Name dahinter in Klammern folgte. Da steht beispielsweise in einer Gebrauchsinformation folgender Satz: In sehr seltenen Fällen wurde eine Erhöhung des Blutzuckers im Serum ({1}) beobachtet. Dies sollte vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus ({2}) beachtet werden. Ein Satz in einer anderen Gebrauchsinformation aber lautet wie folgt: Diuresebedingte Auswirkungen wie akute interstitielle Nephritis, Vaskulitis und anaphyplaktischer Schock, Hypovolämie und Kreislaufdysregulationen können auftreten. Dieser Satz macht angst, weil er unverständlich ist. Er macht aber auch deshalb angst, weil sein realer Inhalt nichts Gutes ahnen läßt. Er zeigt aber auch das Dilemma, in dem sich der Hersteller des Arzneimittels befindet: Zum einen gibt es Fachausdrücke, die nur sehr unvollkommen übersetzt werden können. ({3}) Zum anderen besteht die Verpflichtung zur umfassenden Information über die Risiken, die bei der Verwendung des betreffenden Arzneimittels entstehen. In letzterem Fall sind diese Risiken offenbar nicht gering. Hier liegt die Schwierigkeit für den Patienten, die es zu überwinden gilt. Daran wollen wir uns ja auch gemeinsam machen. Als Apothekerin erlebe ich sehr oft, daß Patienten völlig überfordert sind, weil sie sich über die Häufigkeit der unerwünschten Nebenwirkungen einfach nicht im klaren sind und diese überschätzen. Offensichtlich ist dies nicht immer ein Problem der Sprache; denn die Häufigkeit der Nebenwirkungen wird bereits heute in sehr vielen Gebrauchsanweisungen allgemeinverständlich ausgedrückt. Ob sich hieran durch die Kategorisierung, die Sie, liebe Frau Blunck, vorschlagen, etwas ändert, möchte ich ein bißchen bezweifeln. Uns alle in diesem Haus verbindet das Wohl des Patienten. Gleichwohl erscheinen mir einige der im Antrag der SPD-Fraktion formulierten Forderungen überflüssig, einige fragwürdig und einige aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht nicht ohne Risiko. Überflüssig ist Ihre Forderung, daß fortan auch bei Arzneimitteln, die zur Nachzulassung anstehen, ein Verfalldatum angegeben werden muß. Dies ist bereits im AMG von 1961 festgelegt und wird selbstverständlich auch so praktiziert. ({4}) Fragwürdig erscheint mir Ihre Forderung, die Mindestschriftgröße auf 3,5 mm zu erhöhen. Die bisherigen äußeren Verpackungen würden mit Sicherheit platzen; denn viele Gebrauchsinformationen müßten dann möglicherweise auf mehreren DIN A4-Seiten untergebracht werden. Aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht nicht ohne Risiko erscheint mir Ihre Forderung, daß der Hersteller ohne Einschaltung des Bundesgesundheitsamtes zur Änderung der Gebrauchsinformation berechtigt, ja sogar verpflichtet werden soll. Diese Forderung konterkariert die auf wissenschaftlicher Grundlage für den pharmazeutischen Hersteller im BGA erarbeitete Mustergebrauchsinformation. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber vielleicht wäre es auch gut gewesen, bei der schriftlichen Begründung mit etwas mehr Sorgfalt vorzugehen; denn unter Ziffer 5 ist zu lesen, daß nur die vor der amtlichen Zulassung an einer festgelegten Patientenzahl aufgetretenen Nebenwirkungen in der Gebrauchsinformation erscheinen. Das ist natürlich nicht richtig.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Augustin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert.

Anneliese Augustin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte, Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin, da Sie nicht darauf bestehen, die Mindestschriftgröße von 3,5 mm zu verlangen, frage ich Sie: Wie wollen Sie das Menschen mit Sehschwächen erklären, die ja unter Umständen sehr häufig auf Medikamente angeDr. Ilja Seifert wiesen sind und die ganz besonders dringend darauf angewiesen sind, das lesen zu können? ({0})

Anneliese Augustin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe davon aus, daß diese Patienten auch Angehörige haben, die ihnen das auch vorlesen können. ({0}) Ich gehe auch davon aus, daß der Apotheker und der Arzt gern bereit sind, darüber Auskunft zu erteilen. Es stimmt also nicht, wie unter Ziffer 5 der Begründung zu lesen ist, daß nur die unerwünschten Nebenwirkungen, die vor der amtlichen Zulassung bekannt waren, in die Gebrauchsinformation hineinkommen. Mit Argusaugen wachen sowohl das Bundesgesundheitsamt als auch die Hersteller über neu bekanntgewordene unerwünschte Nebenwirkungen. Es gibt einen in § 63 AMG gesetzlich festgelegten Stufenplan, nach dem verfahren wird; dementsprechend werden die Beipackzettel fortlaufend aktualisiert. Wir alle fühlen uns dem Wohl der Patienten verpflichtet. Deswegen streben wir an, das Dilemma zwischen notwendiger Arzneimittelsicherheit und unbegründeter Angst so klein wie möglich zu halten. Dem wachsamen Auge unserer Kollegen wird es nicht entgangen sein, daß seit dem 31. März 1992 eine EG-Richtlinie über die Etikettierung und die Pakkungsbeilage von Humanarzneimitteln vorliegt. Wir werden diese Richtlinie im Gesundheitsausschuß und sicherlich auch in Ihrem Ausschuß, liebe Frau Blunck, zusammen mit Ihnen diskutieren. Ich verspreche Ihnen, daß meine Fraktion sich mit Schwung und Elan an diese Aufgabe begeben wird. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt das Wort unserer Kollegin Frau Marita Sehn.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jedes Arzneimittel, das von einem Arzt verschrieben wird oder als apothekenpflichtiges Arzneimittel nur in der Apotheke gekauft werden kann, ist auf Grund seiner Zusammensetzung und Wirkung ein erklärungsbedürftiges Gut. Jedes Arzneimittel, das eine Hauptwirkung hat, kann auch nicht erwünschte Nebenwirkungen herbeiführen. Der Patient - oder nennen wir ihn Kunden oder Verbraucher - ist hier u. a. auch auf die Information aus dem Beipackzettel angewiesen. Betrachten wir zunächst den Fall, den ich für den üblichen und richtigen Weg halte. Auf Grund physischer und psychischer Beschwerden wird der Arzt konsultiert. Nach eingehender Untersuchung klärt der Arzt den Patienten über die Ursachen seiner Beschwerden auf und verordnet ein Medikament oder unter Umständen mehrere Medikamente. Zu einem vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis gehört die umfassende Aufklärung des Patienten sowohl über die Wirkung und Anwendung als auch über eventuell auftretende Nebenwirkungen und die zu beachtenden Bedingungen für eine optimale Wirksamkeit des Medikaments. Jeder verantwortungsvolle Arzt gibt dem Patienten Verhaltenshinweise für den Fall, daß Neben- oder Wechselwirkungen eintreten sollten. Eine wichtige Aufgabe hat sodann der Apotheker, indem er dem Patienten gerne hilfreich zur Seite steht, um ihn über die Besonderheiten des verordneten Medikaments zu informieren. Erst jetzt, also als dritte Position in dieser Kette zwischen Arzt, Apotheker und Patient, kommt der Beipackzettel als Informationsmittel zum Tragen. Auf dem Beipackzettel stehen - um nur einiges zu nennen - die Bestandteile des Medikaments, die Anwendungsgebiete, mögliche Neben- und Wechselwirkungen, eventuell sogar Gegenanzeigen, bei denen auf eine Einnahme ganz verzichtet werden soll - alles in allem eine Vielzahl von Informationen über eine zum großen Teil fachlich höchst komplizierte .Materie. Wir alle kennen die Fälle, in denen allein die Lektüre der Nebenwirkungen bei manchen Patienten dazu führt, auf die Einnahme des Medikaments ganz zu verzichten. Ich möchte einen Ausschnitt aus einer Pressemeldung vom Dezember des letzten Jahres zitieren: Eine Entrümpelung der Beipackzettel von Medikamenten hat der Apothekerverband Nordrhein gefordert. Die Apotheker warnten, die gegenwärtigen Erläuterungszettel seien unverständlich und verängstigten häufig nur die Patienten. Sie hätten großen Anteil daran, daß jährlich in Deutschland Medikamente für schätzungsweise 4 Milliarden DM auf den Müll wanderten. Der oftmals beachtliche Umfang der beigefügten Gebrauchsinformation liegt darin begründet, daß sich der rechtlich notwendige Inhalt nicht allein aus den spezifischen Vorschriften des Arzneimittelgesetzes zur Gebrauchsinformation - § 11 AMG - ergibt. In viel zwingenderer Weise wird er von § 5 des Arzneimittelgesetzes bestimmt, der das Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel verbietet. Auch deshalb sind die Forderungen nach einer klaren Gliederung, Verständlichkeit der Sprache und konkreten Handlungsanweisungen für Fälle von falscher Anwendung oder beim Auftreten von Nebenwirkungen, die gestaffelt nach ihrer Häufigkeit angegeben werden sollen, im Grundsatz berechtigt. Dies alles folgt im übrigen auch aus einer EG-Richtlinie über die Etikettierung und Packungsbeilage vom 31. März 1992, die im Rahmen der Novelle zum Arzneimittelgesetz umgesetzt werden muß. Insoweit begrüße ich ausdrücklich das Anliegen, Arzneimittelinformationen für Patienten möglichst verständlich und verbraucherfreundlich zu gestalten. Meine Damen und Herren von der SPD, wenn ich in Ihrem Antrag lese, daß Sie auch noch die Mindestschriftgröße der Beipackzettel auf wenigstens 3,5 mm festlegen wollen, dann halte ich dies allerdings für übertrieben. Darüber werden wir im Ausschuß ganz bestimmt noch einmal diskutieren. ({0}) Zum Schluß ist es mir jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, daß auch der Verbraucher - sei es im Falle der Selbstsmedikation oder im Falle der Medikation durch den Arzt - seinen Beitrag leisten muß, um den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels zu gewährleisten.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Sehn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Knaape?

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Dr. Hans Hinrich Knaape (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, darf ich Sie fragen, welchen Vorschlag Sie machen, um es einem Leseschwachen zu ermöglichen, einen Beipackzettel zu lesen?

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein Vorschlag ist z. B., daß sich der Patient mit seinem Arzt unterhält. Ich glaube nämlich, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt ganz wichtig ist. Ich halte es für ganz besonders wichtig, das so zu regeln. Die Verpflichtung, den Anweisungen des Arztes zu folgen oder sich genau zu informieren, kann dem Verbraucher keiner abnehmen. Danke. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Ruth Fuchs das Wort.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die PDS/Linke Liste ist der Meinung, daß die mit dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion angesprochene Information der Verbraucher über Arzneimittel nach Inhalt und Form viel zu wünschen übrig läßt. Mehr noch: Die Wirkung der sogenannten Beipackzettel auf die Patienten muß in vielen Fällen als geradezu verheerend bezeichnet werden, da sich die Ärzte im Praxisalltag meist keine Zeit nehmen oder nehmen können. Kein Arzt kann einem Patienten eine Stunde lang all diese Dinge erklären. ({0}) - Es ist zwar seine Aufgabe, aber der Alltag in einer Arztpraxis sieht eben oft anders aus. Es wäre zwar wünschenswert, aber es kann nicht geregelt werden. Um die Aussagen der Packungsbeilagen näher zu verstehen und zu werten, müssen die eigentlich Hilfe und Erleichterung suchenden, oft älteren Menschen mit deren Unverständlichkeit und Unübersichtlichkeit allein fertigwerden. Nicht selten kommt hinzu, daß über weite Teile des Textes die jeweils möglichen Nebenwirkungen völlig ungewichtet und ungewertet nacheinander aufgeführt werden. So kann es nicht verwundern, daß beim Patienten statt vernünftiger Handlungsanleitung häufig mehr Ängste und Verunsicherungen entstehen, die dazu führen, daß die Medikamente nicht oder fehlerhaft eingenommen werden und darüber hinaus das Vertrauen in die Medizin mehr oder weniger großen Schaden erleidet. Mit anderen Worten: Der Änderungsbedarf auf diesem Feld ist für uns unbestritten. Die PDS/Linke Liste hält deshalb das Grundanliegen des Antrags für völlig berechtigt und wird es entsprechend unterstützen. ({1}) Unverständlich erscheint uns allerdings der Vorschlag, das Bundesgesundheitsamt ausdrücklich nicht einzuschalten, wenn Veränderungen der auf dem Beipackzettel angegebenen Nebenwirkungen vorzunehmen sind. Allein die Arzneimittelhersteller sollen dazu berechtigt und verpflichtet sein. Wir halten es - im Gegenteil - für notwendig, gerade die Rolle des Bundesgesundheitsamts im Zusammenhang mit unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln deutlich zu verstärken. Nicht eine weitergehende Ausschaltung und tendenzielle Schwächung der zuständigen staatlichen Prüf- und Überwachungsbehörden ist auf dem höchst sensiblen Feld der Arzneimittelsicherheit das Mittel der Wahl, sondern die gut durchdachte gezielte Stärkung ihrer Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten. ({2}) - Da gebe ich Ihnen Recht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Zum Schluß der Debatte erteile ich der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, unserer Frau Kollegin Dr. Bergmann-Pohl, das Wort. - Bitte.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verbraucherfreundliche Informationen bei Arzneimitteln: Das ist ein Thema, das seit vielen Jahren immer wieder diskutiert wird. Manch einer von uns hat sich selbst schon beim Lesen einer Packungsbeilage über schwer verständliche Formulierungen geärgert. Deshalb setzen wir uns seit Jahren dafür ein, daß Packungsbeilagen auch für Laien verständlich und damit verbraucherfreundlich und patientengerecht gestaltet werden. Eine gute Patienteninformation mit Anwendungshinweisen und mit den erforderlichen Risikoangaben ist häufig nicht weniger wichtig als die Qualität des Arzneimittels. ({0}) Deshalb ist in der Bundesrepublik bereits seit 1978 die Packungsbeilage bei Arzneimitteln gesetzlich vorgeschrieben. Es hat stets auch Bemühungen der Zulassungsbehörde gegeben, deren Verständlichkeit zu verbessern. Wir sollten aber auch bedenken, daß der Patient grundsätzlich einen Anspruch auf vollständige Information hat, auch wenn wir wissen, daß dies unter Umständen zu Lasten der compliance, also des Einnahmeverhaltens, gehen kann. Pharmazeutische Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, auf mögliche Nebenwirkungen hinzuweisen. Solche Hinweise dürfen nicht beliebig mit der Begründung weggelassen werden, sie würden zu einer Verunsicherung der Patienten führen. Hier steht vielmehr auch der Arzt in der Verantwortung.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Blunck? - Bitte, Frau Kollegin Blunck.

Lieselott Blunck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dr. Bergmann-Pohl, würden Sie mir zugestehen, daß ich mit diesem Antrag nicht erreichen wollte, daß dem Verbraucher weniger Informationen gegeben werden sollen oder daß irgendeine Nebenwirkung verharmlost werden soll, sondern daß - ganz im Gegenteil - der Verbraucher oder die Verbraucherin sehr viel bessere, sehr viel klarere, sehr viel lesbarere Informationen bekommt? Ich will nicht in den Geruch kommen, irgend etwas verschleiern zu wollen; genau das Gegenteil muß der Fall sein. Würden Sie mir zugestehen, daß es besser ist, Nebenwirkungen im Hinblick auf ihre Häufigkeit aufzulisten, und daß Sie in der EG hätten darauf drängen müssen, die Packungsbeilagen sehr viel lesbarer zu machen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Frau Blunck, es war auch nicht meine Absicht, Ihnen das zu unterstellen. Es ging mir vielmehr nur darum, daß wir Nebenwirkungen aufführen und sie dem Patienten deutlich machen müssen; denn der Patient muß vorher darüber informiert sein, daß eine bestimmte Nebenwirkung auftreten kann. Damit ist auch Rechtssicherheit verbunden. Ich wiederhole: Hier steht vielmehr auch der Arzt in der Verantwortung. ({0}) Das ist bereits mehrfach zur Sprache gekommen. Ich halte das für einen ausgesprochen wichtigen Aspekt. Er hat gegenüber dem Patienten eine umfassende Aufklärungspflicht. Dazu gehört auch, daß er auf mögliche Nebenwirkungen hinweist und diese in Relation zum Nutzen des Präparates setzt. Nur so werden Unsicherheiten beim Patienten vermieden; denn es kommen häufig genug Klagen von den Patienten, der Arzt habe sie überhaupt nicht aufgeklärt. Das trifft zwar nicht auf jeden Arzt zu, aber Patienten erheben immerhin solche Klagen. Ich glaube, der Arzt kann hier nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. In den Packungsbeilagen selbst geht es immer wieder darum, die rechten Worte zu finden. Einige Firmen sind bereits dazu übergegangen, sowohl einen allgemeinverständlichen Beipackzettel als auch einen mit detaillierten Informationen beizufügen. Gerade im Hinblick auf die Verständlichkeit der Packungsbeilagen haben wir in jüngster Zeit einige deutliche Verbesserungen erreichen können: So hat das Bundesgesundheitsamt mit dem Ziel der Standardisierung im Zulassungsverfahren Muster von Gebrauchsinformationen erstellt, die gleichzeitig die Verständlichkeit der Packungsbeilagen erhöhen sollen. Gleichzeitig haben das Bundesgesundheitsamt und die Verbände der pharmazeutischen Unternehmer detaillierte Empfehlungen für solche Gebrauchsinformationen erarbeitet, die in der Praxis eine Richtschnur für die pharmazeutischen Unternehmer darstellen. Weitere wichtige Fortschritte hat die EG-Richtlinie zur Etikettierung und Packungsbeilage von Humanarzneimitteln gebracht. Darauf ist schon mehrfach eingegangen worden. Deshalb gilt in bezug auf die Forderungen des SPD-Antrages im einzelnen: Die Gliederung der Gebrauchsinformationen, die durch § 11 AMG vorgegeben ist, wird durch die anstehende Umsetzung der genannten EG-Richtlinie und die angesprochenen Empfehlungen verbessert. Die Möglichkeit, gewisse Angaben durch Zeichen und Piktogramme zu veranschaulichen, ist arzneimittelrechtlich zulässig. Es bleibt aber abzuwarten, inwieweit solche Symbole sich durchsetzen und zu einer besseren Verständlichkeit beitragen können. Für die Schriftgröße verlangen Arzneimittelgesetz und EG-Richtlinie eine gut lesbare Schrift. Die Rechtsprechung hat aus unserer Sicht genügend Anforderungen zu dieser Lesbarkeit entwickelt, ohne daß es einer weiteren detaillierten Gesetzgebung bedarf. Häufigkeitsangaben von Nebenwirkungen hat das Bundesgesundheitsamt bereits 1989 als erste Gesundheitsbehörde in der Welt in Gebrauchsinformationen und Monographien eingeführt, insbesondere vor dem Hintergrund, daß es besonders wichtig ist, die Patienten sachgerecht über das Risiko aufzuklären. Dabei müssen Verharmlosungen ebenso wie Übertreibungen vermieden werden. Die Unterscheidung zwischen Einzelfällen, gelegentlichen und häufigen Nebenwirkungen kann sicher helfen, das tatsächliche Risiko besser einzuschätzen. Informationen, wie sich Patienten in Zweifelsfällen entscheiden sollten, werden künftig entsprechend den Regelungen der EG-Richtlinie in der Packungsbeilage vorgeschrieben werden. So wird diese angeben, welche Gegenmaßnahmen bei bestimmten Nebenwirkungen zu ergreifen sind und wie man sich verhalten soll, wenn die Einnahme vergessen wurde oder eine Überdosierung vorliegt. Eine Verpflichtung, auch den Arzneimitteln des Altmarktes eine Packungsbeilage beizufügen oder sie mit dem Verfallsdatum zu kennzeichnen, wäre sicher wünschenswert. Diese Forderung ist bereits bei der vergangenen Novellierung des Arzneimittelgesetzes geprüft worden. Wegen der damit verbundenen materiellen Überprüfung der Arzneimittel durch das Bundesgesundheitsamt, die erst im Nachzulassungsverfahren erfolgen kann, ist eine solche Verpflichtung jedoch nicht vorgeschrieben worden.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie noch eine Zusatzfrage des Kollegen Knaape?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Wenn ich meine Ausführungen dann noch fortsetzen darf.

Dr. Hans Hinrich Knaape (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie sagten, Sie sehen ein, daß das, was in unserem Antrag steht, notwendig ist und daß, sagen wir, auch graphische Darstellungen auf dem Beipackzettel angebracht werden könnten. Wäre es denn denkbar, daß seitens des Ministeriums eine Auflage an die Apotheken erfolgen müßte, Kopier- und Vergrößerungsgeräte zu haben, damit die Beipackzettel jeweils so, daß sie auch lesbar sind, überreicht werden können?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Knaape, ich glaube, das trägt nicht gerade zur besseren Information der Patienten bei. Ich glaube, wir sollten dieses Thema wirklich ernsthaft angehen. Ich denke, es ist in unser aller Interesse, die Information für die Patienten zu verbessern. Wir sollten im Ausschuß gemeinsam auch darüber beraten. In welcher Form das erfolgt, können wir dann im Ausschuß beraten.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Gestatten Sie noch eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Hans Hinrich Knaape (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es sollte nicht der Eindruck entstehen, daß ich das ins Lächerliche ziehen will. Es ist ein Problem, einen Beipackzettel in dieser Ausführlichkeit in der Packung unterzubringen. Insofern: Pflichten Sie mir bei, daß ein Vergrößerungsgerät, das diesen Beipackzettel vergrößert, der Verbesserung der Patientenaufklärung dienen könnte?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Kollege Knaape, es gibt durchaus Beipackzettel, die sehr gut lesbar sind. Ich habe gerade gesagt, daß Firmen dazu übergegangen sind, zwei Beipackzettel beizufügen, einen für den Patienten in gut verständlicher und gut lesbarer Form - ich habe so etwas bei mir, ich kann es Ihnen nachher gerne zeigen - und einen mit einer detaillierteren Information, zu der sie rechtlich verpflichtet sind. Selbst wenn vor der Durchführung des Nachzulassungsverfahrens die angesprochene Verpflichtung vorgenommen würde, so könnte doch aus praktischen Gründen eine Überprüfung dieser Angaben erst im Rahmen der Nachzulassung erfolgen. Meine Damen und Herren, die Packungsbeilagen für Arzneimittel verbraucherfreundlich zu gestalten bedarf der ständigen Anstrengung aller Betroffenen. In erster Linie sind hier auch die pharmazeutischen Unternehmer gefordert. BGA-Muster kann es nicht für alle Arzneimittel des in Deutschland vielfältigen Marktes geben. Man kann sicherlich auch nicht erwarten, daß das BGA in jedem Einzelzulassungsverfahren oder im Massenverfahren der Nachzulassung die Informationen patientengerecht gestaltet. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, daß das BGA gemeinsam mit den pharmazeutischen Unternehmern detaillierte Empfehlungen für Gebrauchsinformationen entwickelt, die dann von den Unternehmen umzusetzen sind; denn in erster Linie stehen die Firmen in der Pflicht, ihren Arzneimitteln eine umfassende und zugleich auch verständliche Information beizulegen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 12/2408 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich rufe nunmehr den letzten Punkt der heutigen Tagesordnung, den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke Liste Minderheitenstatus für polnische Bürger und Bürgerinnen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben - Drucksache 12/3631 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Im Ältestenrat ist dazu eine Aussprache von je fünf Minuten vereinbart worden. - Ich höre und sehe auch da keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst unserer Frau Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle besonders unsere polnischen Mitbürger, die auf der Besuchertribüne sitzen, begrüßen. Ich möchte zu Beginn meiner Rede mit zwei Beispielen das Verhältnis zwischen den Staaten BRD und Republik Polen beleuchten. Als Ende März 1992 der Präsident der Republik Polen zu Besuch kam, da führte Bundeskanzler Kohl in seiner Tischrede zum deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag aus, daß dieser Vertrag neue Chancen des Austausches und der Zusammenarbeit auf dem weiten Feld der Kultur eröffnen würde. Nun konnte man meinen, daß der Bundeskanzler - und sei es nur als Geste reiner Gastfreundschaft - dem polnischen Präsidenten die Förderung polnischer Kultur in Deutschland verspricht und zusichert. Weit gefehlt: Der Kanzler führte aus, daß der Austausch und die Zusammenarbeit so zu erfolgen haben, daß ein Deutsches Historisches Institut in Warschau zur Vertiefung der wechselseitigen Kenntnis der Geschichte unserer Völker beitragen wird, daß Zeugnisse deutscher Kultur in Polen als Teil des europäischen Kulturerbes gepflegt und erhalten werden. Dabei ließ es der Kanzler bewenden, und vermutlich war ihm gar nicht klar, wie er seinen Gast damit düpiert haben muß. Ein weiteres Beispiel. Mit Datum vom 13. April 1992 legte der Aussiedlerbeauftragte, Herr Waffenschmidt, für das Bundesministerium des Innern eine Presseerklärung über seinen damaligen viertägigen Polenbesuch vor, in der er verkündete, daß sich der deutschpolnische Nachbarschaftsvertrag bewährt habe; dies, weil die Lage der deutschen Minderheit in Polen positiv geregelt worden sei. Es gebe nun ab sofort für die deutsche Minderheit Schulklassen mit muttersprachlichem Unterricht, überhaupt eine Zunahme des Deutschunterrichts in Polen, die Einrichtung von Bezirksbüros der Deutschen Freundschaftskreise in „Schlesien und auch im Bezirk Alleinstein", wie das Herr Waffenschmidt ausdrückte, ferner, daß die Kirchen die Zusammenarbeit mit der deutschen Minderheit verstärken. Die polnische Regierung hatte zugesagt, ihre Bemühungen für die Verankerung der Minderheitenrechte in der Verfassung zu verstärken und sich in allen Fachministerien für die deutsche Minderheit einzusetzen. Die Bundesregierung ihrerseits, so versicherte Waffenschmidt, werde die deutsche Hilfe für die deutsche Minderheit intensivieren. Schwerpunkte seien Ausbildungsinitiativen für die Jugend, Hilfen für die Altenbetreuung usw. Meine Damen und Herren, in allen Veröffentlichungen über den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag taucht die polnische Minderheit in der Bundesrepublik überhaupt nicht auf. Dabei leben laut Statistischem Jahrbuch 1990 250 000 polnische Bürgerinnen und Bürger in der BRD. Dabei werden nicht mitgerechnet die zigtausend verschleppten polnischen Zwangsarbeiter, die während des deutschen Faschismus verschleppt worden sind und heute in der BRD als Heimatlose und Staatenlose leben. Dabei sind auch nicht mitgerechnet die vielen hunderttausend polnischen Arbeitsimmigranten, die vor allem während des 19. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind und hier und heute in der vierten und fünften Generation als deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger polnischer Abstammung leben. ({0}) - Das habe ich gerade gesagt. Diese polnischen Arbeitsimmigranten haben in bestimmten Regionen des Ruhrgebiets über ein Viertel der Gesamtbevölkerung gestellt. Es spricht für diese Menschen, daß sie sich hier in aller Bescheidenheit niedergelassen und sich nicht in einem großpolnischen Wahn aufgeplustert haben. Es spricht gegen die Bundesregierung, daß sie die Kultur der polnischen Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik nicht fördert, daß sie diesen Menschen nicht Minderheitenrechte gewährt, ({1}) oder richtiger und umfassender gesagt: sie nicht an dem politischen Leben, z. B. Wahlen, mein lieber Kollege, teilhaben läßt. Die polnische Minderheit hat wie auch andere Minderheiten kein Wahlrecht und wird durch die ganzen gesetzlichen Regelungen in diesem Land ebenso wie andere Ausländerinnen und Ausländer benachteiligt. Diese Benachteiligung umfaßt das ganze Leben, angefangen beim Hinausdrängen aus dem Arbeitsmarkt bis hin zu unmenschlichen Regelungen beim Familiennachzug. Polnische Kultur in diesem Land wird durch die Bundesregierung nicht gefördert, genausowenig wie polnischsprachige Zeitungen oder auch polnischsprachiger Unterricht. Es zeigt die ganze Unverschämtheit und die ganze großdeutsche Überheblichkeit, ({2}) wenn die Bundesregierung vor diesem Hintergrund dies alles von der polnischen Regierung für die Deutschen in Polen fordert. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Jochen Welt.

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste stellt hier einen Antrag auf Einführung eines Minderheitenstatus für Polinnen und Polen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben. Begründet wird diese Forderung mit einer Verlautbarung polnischer Verbände vom November 1992. Ich denke, müßig erscheint es an dieser Stelle, die Frage beantworten zu wollen, warum die PDS als Nachfolgeorganisation der SED erst jetzt mit solchen Fragen des Minderheitenschutzes an die Öffentlichkeit tritt und sich nicht bereits in Zeiten der ehemaligen DDR um die Realisierung solcher Ansätze bemüht hat. ({0}) - Verehrter Kollege, hören Sie doch bitte einmal zu. Wenden wir uns dem vorliegenden Antrag und seiner Form zu. Es geht, wenn wir die Situation betrachten, um Polinnen und Polen, Menschen polnischer Abstammung. Wir müssen hier grob zwei Gruppen unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es die Menschen, die in den letzten 20 Jahren hauptsächlich als Flüchtlinge oder politisch Verfolgte zu uns gekommen sind, und auf der anderen Seite gibt es eine große Zahl von Menschen polnischer Abstammung, die schon seit vielen Jahrzehnten in der Bundesrepublik leben. Ich komme aus Recklinghausen, aus dem Ruhrgebiet, und gerade wir im Ruhrgebiet kennen das Zusammenleben mit diesen Menschen, die seit 1860 als Zuwanderer aus Osteuropa und dort speziell aus Polen zu uns gekommen sind. Überall sind diese Menschen in unser Gemeinwesen integriert. Es gibt Vereine, Verbände, Bergwerksvereine, Chöre. Was wäre der Fußballverein Schalke 04 ohne Szepan und Kuzorra, um nur dieses Beispiel zu nennen. Das alles, was hier in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, zeugt von der Integrationsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppe, aber auch von der Integrationsbereitschaft der Menschen im Ruhrgebiet. Ich denke, diesen Punkt muß man hier einmal unterstreichen. ({1}) Auch die Leistungen dieser Menschen beim Aufbau der Bundesrepublik und beim Aufbau des Ruhrgebiets in den 20er und 30er Jahren müssen wir anerkennen. Diese Leistungen sind wirklich enorm.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Welt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Jelpke?

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Bitte sehr, Frau Kollegin.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege, würden Sie mir einmal konkret sagen, wo es Einrichtungen für die polnischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt bzw. von welchen Schulen Ihnen bekannt ist, daß dort z. B. polnischer Unterricht erteilt wird? ({0})

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Kollegin, ich komme aus Recklinghausen; ich sagte Ihnen das gerade. In meiner Heimatstadt gibt es z. B. einen großen Dachverband, der sich unserer Unterstützung erfreut, den Bund der Polen. Dieser tagt regelmäßig in unserer Stadt. Die Polen haben ihre kulturellen Einrichtungen dort, es gibt einen phantastischen Chor, den ich unheimlich gern höre, der „Violek" - also „Veilchen" - heißt, und diese Menschen sind integrierter Bestandteil der Stadt Recklinghausen. Ich könnte Ihnen eine Palette von integrationsfördernden Punkten nennen, die zeigen, daß diese Menschen ihre kulturelle Vielfalt mit Erfolg in die Bundesrepublik Deutschland eingebracht haben. ({0}) Während die Menschen, die als Flüchtlinge in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, nach allgemeinen ausländerpolitischen Erwägungen behandelt werden sollen, verdienen die Menschen, die schon seit Generationen fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind, unsere besondere Achtung und Förderung im persönlichen Umfeld. Dabei sollte das große gemeinsame Ziel der Verständigung zwischen Deutschen und Polen, zwischen Polen und Deutschen im Vordergrund stehen. Die Meinung, die ich vorhin geschildert habe und die ich jetzt hier erwähne, teilt im übrigen auch der Bund der Polen. Der Vorsitzende, mit dem ich mich in den vergangenen Tagen hierüber unterhalten habe, verhehlt allerdings auch bestimmte kritische Anmerkungen zur Situation der Polen in der Bundesrepublik Deutschland nicht, und darüber muß man sicherlich ganz offen sprechen. Es wurde mir gesagt, daß der deutsch-polnische Vertrag so verstanden wird, daß eine gegenseitige - gegenseitige! - Achtung und Förderung der Minderheiten angestrebt wird. Gerade an diesem Punkt setzt die Kritik der polnischen Verbände ein. Der Bundesregierung wird - sicherlich muß man das hinterfragen - vorgeworfen, daß zwar immer wieder die Rechte der Deutschen in Polen eingefordert werden, gleichzeitig aber nicht viel unternommen wird, um die kulturelle Identität der Polen insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern. Nicht nur die großzügige Unterstützung der polnischen Regierung wird hier erwähnt, sondern auch das Mitwirken von deutschstämmigen Abgeordneten im polnischen Parlament. Es bleibt also noch eine Menge Arbeit zu tun. Erwartet wird dabei von den Verbänden der Zugang zu den Massenmedien, die Unterstützung bei Kulturveranstaltungen, mehr Unterstützung bei Projekten, die die deutsch-polnischen Beziehungen fördern, und einiges andere mehr. Ein eigener Minderheitenstatus im Sinne einer politischen Option oder Partizipation, so ist mir gesagt worden, sei nicht das vorherrschende Ziel. Es macht also wenig Sinn, einen Minderheitenstatus, wie in dem Antrag der PDS gefordert, zu schaffen. Deshalb lehnen wir den Antrag der PDS in der jetzigen Form ab, appellieren aber gleichzeitig an die Bundesregierung und die Verantwortlichen im Bund, in Ländern und Kommunen, sich mehr als bisher für die polnische Minderheit einzusetzen, die Wahrung ihrer kulturellen Identität zu unterstützen und ihnen selbstverständlich auch auf Bundesebene die Rechte zukommen zu lassen, die man für die deutsche Minderheit in Polen einfordert. Gute Nachbarschaft ist für uns, so denke ich, keine Einbahnstraße. Dies sage ich auch vor dem Hintergrund der aktuellen Asyldiskussion. Diese Gegenseitigkeit und vollständige Akzeptanz der Rechte und Pflichten des Nachbarn ist eine Grundvoraussetzung für eine endgültige Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen und für ein weiteres Stück Friedenssicherung in Europa. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist unsere Kollegin Monika Brudlewsky.

Monika Brudlewsky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle in diesem Hause stimmen sicherlich grundsätzlich darin überein, daß das Problem nationaler Minderheiten - die Ereignisse in Jugoslawien zeigen es besonders deutlich - eines der zentralen Probleme europäischer und deutscher Politik überhaupt ist und eine Lösung des Problems nur erreicht werden kann, wenn es der Staatengemeinschaft gelingt, ein einheitliches und verbindliches Minderheitenrecht zu schaffen, auf dessen Grundlage die Existenz und die freie Entfaltung nationaler Minderheiten gewährleistet werden. In diesem Sinne ist mit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag ein entscheidender Schritt nach vorn getan worden, indem er in beispielhafter Weise die Grundlagen und den Handlungsrahmen auch für die Lösung der Minderheitenfrage im deutsch-polnischen Verhältnis geschaffen hat. Mit dem Vertrag ist eine rechtlich gesicherte Grundlage insbesondere für die Existenz und die Entfaltung der deutschen Minderheit in Polen in dem Sinne erreicht worden, daß die wesentlichen Teile des europäischen und internationalen Standards für Minderheitenrechte, wie sie insbesondere in dem Dokument der Kopenhagener Konferenz über die menschliche Dimension der KSZE sowie in den Empfehlungen des Europarats niedergelegt sind, in den Rang völkerrechtlicher Verpflichtungen erhoben wurden. Darüber hinaus wurde gleichzeitig der europäische Minderheitenstandard durch den Vertrag weiterentwickelt durch die Begründung der gegenseitigen Verpflichtung der Vertragspartner, Fördermaßnahmen der jeweils anderen Seite zu ermöglichen und zu erleichtern. Damit wurden der deutschen Minderheit in Polen wie längst den bei uns lebenden Bürgerinnen und Bürgern polnischer Abstammung auf der Grundlage des Vertrages umfassende Möglichkeiten zur Wahrung ihrer Identität eröffnet. Nach den Art. 20 und 21 des Vertrages haben sie insbesondere das Recht, ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln, und einen Anspruch auf staatlichen Schutz und Förderung dieser Identität. Sie haben das Recht, eigene Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen zu unterhalten, Organisationen oder Vereinigungen zu bilden und ihre Rechte im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zu verwirklichen sowie ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne jegliche Diskriminierung und in voller Gleichheit vor dem Gesetz voll und wirksam auszuüben. Gleiche Rechte - ich darf dies noch einmal ausdrücklich betonen - gelten selbstverständlich auch für die bei uns wohnenden polnischen Bürger. In dem ergänzenden Briefwechsel der Außenminister zu dem Vertrag hat die Bundesregierung erklärt, daß auch den in Deutschland lebenden Personen polnischer Abstammung, die aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, die in den Art. 20 und 21 des Vertrages genannten Rechte und Möglichkeiten weitgehend zugestanden werden.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Brudlewsky, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Seifert?

Monika Brudlewsky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede zu Ende bringen. Insofern hat der Nachbarschaftsvertrag unmittelbare Rechtswirkungen auch auf unser innerstaatliches Recht. Dies gilt im übrigen ungeachtet der Tatsache, daß für die polnischen Bürger oder die deutschen Bürger polnischer Abstammung nach allgemeiner Auffassung ein förmlicher Minderheitenstatus im völkerrechtlichen Sinne nicht in Betracht kommt, da die allgemeinen Kriterien hierfür fehlen. Der Vertrag spricht daher auch ausdrücklich einerseits von der deutschen Minderheit in Poled und andererseits von Personen polnischer Abstammung in Deutschland. ({0}) Inhalt und Tragweite der Rechte und Möglichkeiten zugunsten dieser beiden Personengruppen sind in den Vertragsregelungen eindeutig umschrieben. Für die Verwirklichung darüber hinausgehender Forderungen, wie sie in dem vorliegenden Antrag der PDS formuliert sind, insbesondere nach Ausnahmeregelungen im Bereich des Ausländer- und Arbeitserlaubnisrechts zugunsten polnischer Bürger, findet sich dagegen in den vertraglichen Regelungen keine Stütze. Hierfür besteht im Rahmen unseres innerstaatlichen Rechts auch kein Handlungsbedarf. Dies gilt in gleicher Weise auch in bezug auf andere Nationalitäten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird daher dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Kollegen Poppe das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vorliegenden Antrag der PDS liegt nach meinem Dafürhalten vor allem ein Problem zugrunde, das seit dem massenhaften Exodus von Polinnen und Polen in den Jahren nach der Verhängung des Kriegsrechts ungelöst geblieben ist, nämlich das Problem der Rechte und des Aufenthaltsstatus der seit den 80er Jahren in Deutschland lebenden polnischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Insofern entbehrt es nicht eines gewissen makabren Reizes, wenn nun ausgerechnet die PDS sich für diese ehemaligen Solidarnosc-Sympathisanten einsetzt. ({0}) - Das ist schön zu hören. Diesem Personenkreis, der die weitaus größte polnische Gruppe in Deutschland stellt, wird, anders als den deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern polnischer Herkunft, deren Rechte als Minderheit in Deutschland im Nachbarschaftsvertrag eindeutig definiert sind, ausschließlich im zum Vertragwerk gehörenden Briefwechsel das Bemühen der Bundesregierung um Gleichbehandlung mit den Angehörigen der polnischen nationalen Minderheit in Aussicht gestellt. Doch viel passiert ist seitdem nicht. Ihr Status, der sich ursprünglich in den meisten Fällen auf die rechtlich außerordentlich unsichere Duldung als Kriegsrechtsflüchtlinge beschränkte, ist für viele bis heute nicht geklärt. Die Möglichkeiten der im Briefwechsel nahegelegten Gleichbehandlung dieser polnischen Staatsbür12006 ger mit der nationalen polnischen Minderheit sind von der Bundesregierung bis heute nicht einmal angedacht worden. Insoweit berührt der PDS-Antrag eine sehr wichtige Frage, aber leider werden in seinen Formulierungen ohne die gerade hier gebotene Differenzierung ausländerrechtliche Bestimmungen und Minderheitenrechte, wie sie seit der Kopenhagener Konferenz der KSZE allgemein akzeptiert sind, durcheinandergeworfen. ({1}) - Das haben andere schon gemacht, und deshalb bietet sich an, sich statt mit Ihrem Antrag mit einigen der sehr viel eindeutiger formulierten Forderungen auseinanderzusetzen, die in der Folge des Nachbarschaftsvertrages z. B. vom Polnischen Sozialrat in Berlin aufgestellt worden sind. Dort geht es zum einen um die Unterstützung der kulturellen Identität. Die in Vertrag und Briefwechsel in Aussicht gestellte Gleichbehandlung beschreibt im wesentlichen Bemühungen zur Wahrung und Unterstützung der kulturellen Identität aller in Deutschland lebenden Menschen polnischer Herkunft, die ungeachtet der Staatsangehörigkeitsfrage von der deutschen Seite nachdrücklicher als bisher gefördert werden sollten. Sowohl die Förderung der polnischen Sprache und Kultur im Unterricht an deutschen Schulen als auch muttersprachlicher Unterricht sowie die Forderung nach polnischen Sendungen in Rundfunk und Fernsehen sollten von den zuständigen Ländern endlich ernstgenommen werden. Eine Forderung an die Bundesregierung nach polnischen Sendungen ist deshalb an die falsche Adresse gerichtet. Das fällt in die Zuständigkeit der Länder, und wir sollten natürlich die Lander dazu auffordern, daß sie in dieser Richtung auch weiter tätig werden. Ich finde es erfreulich - Frau Jelpke, Sie haben schon diese Frage gestellt -, daß es in Berlin inzwischen über 200 Schülerinnen und Schüler deutscher wie auch polnischer Herkunft gibt, die dort an deutschen Schulen in polnischer Sprache unterrichtet werden. Ich finde es auch erfreulich, daß z. B. in Köln und Bonn inzwischen ein Verein zur Förderung der polnischen Sprache gegründet worden ist. Das sind noch zu kleine Schritte, aber sie weisen in die richtige Richtung, und ich meine, eine stärkere Förderung durch Bund und Länder müßte nun in diesem Sinne folgen. Über diese kulturelle Ebene hinaus, die alle bei uns lebenden Polinnen und Polen betrifft, müssen jedoch für die Zuwanderinnen und Zuwanderer der 80er Jahre endlich Maßnahmen im Rahmen des geltenden Ausländerrechts ergriffen werden, die den Status ihres Aufenthalts verbessern und sichern helfen. ({2}) Die meisten von ihnen erfüllen längst die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis, aus der sich auch bessere Möglichkeiten zur Familienzusammenführung ergeben würden. Wie vielen Angehörigen anderer Nationalitäten auch werden objektiv berechtigten polnischen Staatsbürgern von den zuständigen Ausländerbehörden oft unnötige bürokratische Hemmnisse in den Weg gelegt, die dem Geiste guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit zuwiderlaufen. Auch für das für viele bei uns lebende Arbeitnehmer mit polnischer Staatsbürgerschaft existentielle Problem einer ungenügend gesicherten Form der Arbeitserlaubnis könnte gemäß dem Assoziierungsabkommen Polens mit der EG von 1991, ohne Sonderrechte gegenüber anderen Ausländern zu schaffen, im Hinblick auf die zukünftige EG-Mitgliedschaft Polens leicht Abhilfe geschaffen werden. ({3}) - Das ist ein längerer Prozeß, aber ich denke, daß sich in den Fragen der Arbeitserlaubnis daraus schon heute eine verbesserte Verfahrensweise ableiten läßt. Ich habe jetzt das geltende Ausländerrecht nicht berührt, das wir natürlich unabhängig von dem hier Gesagten schon wegen seines nahezu vollständigen Mangels an legalen Einwanderungsmöglichkeiten für dringlich verbesserungswürdig halten; aber, wie ersichtlich, bietet auch die geltende Rechts- und Vertragslage genügend Möglichkeiten, im Geiste guter Nachbarschaft und freundschaftlicher Zusammenarbeit die reale Situation der bei uns lebenden polnischen Staatsbürger nachhaltig zu verbessern. Diese Möglichkeiten müssen nun endlich genutzt werden. Der vorliegende Antrag bietet dafür allerdings auf Grund seiner unpräzisen Formulierungen keine ausreichende Grundlage. Ich kann deshalb seine Intentionen zum Teil nachvollziehen, nicht aber seine Formulierungen. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nun hat als letzter zu diesem Tagesordnungspunkt unser Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist einer der Anträge, die wir so sehr lieben. Da werden mit leichter Hand ein paar Forderungen aufgestellt, und dann kann man im Innenausschuß sehen, ob sich etwas Vernünftiges daraus machen läßt oder ob man sich den Vorwurf einhandelt, man sei gegen die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen. So geht es nicht. So kann man parlamentarisch nicht arbeiten. Lassen Sie mich vorab nochmals erklären, was unsere polnischen Nachbarn ohnehin wissen: Die Vertiefung und die Verbesserung unserer Beziehungen zu Polen und unseren östlichen Nachbarn - nicht nur zu Polen - sind ein Markenzeichen unserer Außenpolitik, die nur mit großen Schwierigkeiten und mühsam durchgesetzt werden konnte. Die Schwierigkeiten innerhalb und außerhalb dieses Hauses muß ich hier nicht noch einmal darstellen. Sie haben uns damals bis an den Rand unserer politischen Existenz gebracht und mußten doch überwunden werden, damit die Trümmer des Zweiten Weltkriegs beseitigt werden konnten, damit die Nation erhalten blieb und die Wiedervereinigung ermöglicht wurde, die nur gemeinsam mit unseren Nachbarn in Ost und West und nicht gegen sie möglich war. Wir wollen und wir werden mit unseren polnischen Nachbarn im Osten ebenso zusammenleben wie mit unseren französischen Nachbarn im Westen. Nichts wird uns davon abhalten, dieses Ziel zu verfolgen und zu erreichen. Trotzdem ist der Antrag offenkundig verfehlt, was mindestens Herrn Gysi nicht entgangen sein kann; denn was hier als Element der deutsch-polnischen Freundschaft verkleidet daherkommt - besondere Aufenthalts- und Zuwanderungsrechte -, soll sich in Wirklichkeit nicht auf Polen beziehen, sondern Sie fügen hinzu: Die Bundesregierung wird aufgefordert, auch für andere Nationalitäten diese Minderheitenrechte umzusetzen. Sie wollen in Wirklichkeit ein völlig anderes Zuwanderungs- und Ausländerrecht beschlossen haben, ohne daß Sie sich mit den Voraussetzungen und mit den Folgen auseinandersetzen. Sie fordern einen sicheren Aufenthaltsstatus. Jeder rechtmäßig in der Bundesrepublik lebende Ausländer hat ihn nach relativ kurzer Zeit. ({0}) Wollen Sie ihn auf illegal Anwesende ausdehnen? Soll ihn jeder haben, der heute in der Bundesrepublik lebt? Was ist mit dem Ausländer, der morgen oder in einem halben Jahr kommt? Sie wollen den uneingeschränkten Familiennachzug; das soll wohl heißen: den uneinschränkbaren Zuzug auch erwachsener Kinder mit ihren Ehegatten, der Eltern, Brüder und Schwestern, also eine Regelung, die bei vielen unserer Nachbarn eine drastische Auswanderungswelle nach Deutschland hin bewirken müßte. Sind Sie sicher, daß unsere Nachbarn das wirklich wollen? Müssen wir nicht im Gegenteil fürchten, daß wir mit der Annahme eines solchen Antrags gleichzeitig unsere Hoffnungen begraben müßten, zu einem vernünftigen Einwanderungsrecht in die Bundesrepublik zu kommen? Das wäre dringend notwendig, weil unsere Probleme ohne Einwanderung noch größer wären, als sie mit Einwanderung sein werden. Wir denken, daß unsere osteuropäischen Nachbarn, also nicht nur die Polen, sondern ebenso die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn, die Österreicher, alle, ebenso wie wir, ein ganz anderes Interesse haben, nämlich daß sie möglichst bald gleichwertige Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft werden, weil sie Europäer sind wie wir. Das muß mit einer geordneten Heranführung an die zur Integration erforderlichen wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen verbunden werden. Dieses Ziel wollen wir erreichen. Wir wollen diesen Europäern helfen, den Weg in die Europäische Gemeinschaft so schnell zu gehen, wie es ihnen möglich ist ({1}) und wie sie es selbst wollen. Der Antrag, den Sie hier stellen und von dem ich nicht einmal weiß, ob er wirklich guten Willens gestellt ist, hilft auf diesem Weg nicht weiter. Wir können ihn darum nicht annehmen. Ich weiß, daß unsere polnischen Nachbarn ihre wirklichen Interessen richtig einschätzen und daß sie darum die Ablehnung dieses Antrags durchaus verstehen werden. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 12/3631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Februar 1993, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.