Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Agrarbericht 1993; Bildungs- und Forschungspolitik; Offensive gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit und Änderung des Abwasserabgabengesetzes.
Das Wort zum einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute morgen den Agrarbericht 1993 verabschiedet. Der Agrarbericht zeigt einmal mehr, daß es d i e Landwirtschaft nicht gibt, daß vielmehr die Einkommen zwischen den Betriebsformen und -größen sowie zwischen den Regionen erheblich variieren und daß die Entwicklung innerhalb der Landwirtschaft sehr unterschiedlich verläuft.
Nach einem Rückgang im Vorjahr ist der Gewinn im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1991/92 im Durchschnitt aller westdeutschen Vollerwerbsbetriebe leicht um 4,3 % auf 47 721 DM je Unternehmen gestiegen. Dennoch hat sich der Einkommensabstand zur übrigen Wirtschaft geringfügig auf rund 27 vergrößert. In den Futterbaubetrieben ging der Gewinn um durchschnittlich 3,8 % zurück, in den Marktfruchtbaubetrieben und Veredelungsbetrieben stieg er dagegen um 17,5 % bzw. 26 %.
Im laufenden Wirtschaftsjahr 1992/93 werden die Gewinne nach vorläufigen Schätzungen voraussichtlich stagnieren.
In den neuen Ländern stellt sich 1991/92 nach ersten - allerdings noch nicht repräsentativen - Ergebnissen die Einkommenslage zumindest der Einzelunternehmen und Personengesellschaften vergleichsweise günstig dar. Hierzu haben vor allem auch die finanziellen Hilfen der Bundesregierung maßgeblich beigetragen.
Der Agrarbericht bestätigt: Das Auf und Ab der Gewinne wird in erster Linie von der Marktentwicklung bestimmt. Stabile Preise und Einkommen lassen sich nur erzielen, wenn die Märkte in Ordnung gebracht werden. Dies erhoffen wir uns von der im letzten Jahr beschlossenen EG-Agrarpolitik.
Es gilt jetzt, die Agrarreform für die Landwirtschaft überschaubar und praktikabel umzusetzen. Mit der ersten Stufe beginnen wir im kommenden Wirtschaftsjahr 1993/94. Wichtig ist jetzt vor allem, daß die zentralen Punkte der EG-Agrarreform beim Abschluß der GATT-Verhandlungen auch international abgesichert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen davon ausgehen, daß der Wettbewerb im EG-Binnenmarkt weiter zunehmen wird. Deshalb ist es zentrales Anliegen meiner Politik, die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft zu stärken.
Der Agrarbericht weist aus, daß der Einkommensrückstand unserer Landwirte gegenüber ihren Kollegen in anderen Mitgliedstaaten zum Teil auf Defiziten in der Agrarstruktur beruht. Die Bundesregierung wird deshalb den Strukturwandel im Interesse einer zukünftigen wettbewerbsfähigen Landwirtschaft unterstützen und sozial flankieren. Bei der anstehenden Neuausrichtung der Agrarstrukturpolitik und der Agrarsozialreform werden wir diesen Aspekten besonders Rechnung tragen.
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Damit sie auch zukünftig ihre unverzichtbaren Aufgaben für die Allgemeinheit erfüllen kann, bedarf sie über die finanziellen Hilfen des Staates hinaus des Verständnisses und der Solidarität aller Gruppen unserer Gesellschaft. Um diese Unterstützung möchte ich Sie bitten.
Vielen Dank.
Danke schön, Herr Minister.
Als erster Fragesteller hat Herr Abgeordneter Sielaff das Wort.
Herr Minister, ich glaube, es ist angebracht, daß wir zunächst sagen: Wir sind bereit, konstruktiv mit Ihnen als neuem Agrarminister zusammenzuarbeiten. Allerdings gehört dazu, daß Sie eine offene und realistische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation in der Landwirtschaft vorle11776
gen. Sie haben das versprochen. Sie waren jetzt auch sehr offen in bezug auf die Zahlen, die Sie zur Situation in der Landwirtschaft genannt haben. Es hilft niemandem, wenn hier der Eindruck entsteht, es ginge der Landwirtschaft mit ihren Einkommen gut, wenn man lediglich mit den Zahlen des Vorjahres vergleicht und verschweigt, daß im Jahr davor bereits zweistellige Verlustzahlen festzustellen waren.
Wenn Sie den Kurs, den Sie begonnen haben, beibehalten, werden wir bemüht sein, konstruktiv mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Ich habe aber eine Frage. Sie haben soeben wieder gesagt, daß Sie die wettbewerbsfähigen Betriebe unterstützen und fördern wollen. Aus dem Bericht ersehen wir, daß insbesondere im südlichen Raum die kleinen und mittleren Betriebe weiter in Schwierigkeiten geraten sind. Meine Frage: Welche Bedeutung kommt diesen Betrieben in Ihrem Konzept zu? Würden Sie zulassen wollen, daß wir im südwestdeutschen Raum demnächst kaum noch landwirtschaftliche Betriebe haben? Oder wird endlich das Konzept zur Entwicklung des ländlichen Raumes, das in der Koalition immer wieder angekündigt worden ist, vorgelegt?
Ich habe eine zweite Frage.
Ich schlage vor, daß zunächst die erste Frage beantwortet wird. Herr Minister, bitte.
Ich bedanke mich erst einmal für die Zusage einer konstruktiven Zusammenarbeit. Ich werde mich auch weiterhin bemühen, die Agrarpolitik möglichst offen darzustellen und mit den Betroffen offen darüber zu diskutieren.
Ich glaube, wir brauchen die Förderung wettbewerbsfähiger Betriebe in der Agrarpolitik, wenn die deutsche Landwirtschaft im europäischen Wettbewerb bestehen will, wenn sie ihre Marktanteile und ihre Position im europäischen Wettbewerb verteidigen will. Dies bedeutet, daß wir für die unterschiedlichen Regionen sicher auch mit unterschiedlichen Konzepten arbeiten müssen. Dies bedeutet für den südwestdeutschen Raum, daß wir die Probleme im Zusammenhang mit der Agrarstruktur, eingebettet in eine Politik des ländlichen Raumes insgesamt, lösen müssen. Hierbei wird es sicher ein Nebeneinander und ein Miteinander von Haupterwerbsbetrieben und von Zu- und Nebenerwerbsbetrieben geben. Auch in diesen Regionen brauchen wir eine Förderung der wettbewerbsfähigen Betriebe.
Danke. Die zweite Frage, bitte.
Ich habe eine zweite Frage; sie ist kürzer. Ich weiß nicht, ob die Antwort genauso kurz sein kann. - Es wird immer wieder angekündigt, daß der Gesetzentwurf der Agrarsozialreform vorgelegt werden soll. Meine Frage: Ist beabsichtigt, die Reform zum 1. Januar 1994 in Kraft treten zu lassen? Wenn nein, wann dann? Wie sieht hier der Zeitplan aus?
Anschließend hätte ich noch eine dritte Frage.
Der vorliegende Referentenentwurf bietet eine gute Diskussionsgrundlage. Ich werde mich darum bemühen, daß wir ihn möglichst schnell im Kabinett beraten und verabschieden und dann ins Parlament einbringen. Ob er zum 1. Januar 1994 in Kraft treten kann, hängt von der parlamentarischen Beratung und davon ab, wie schnell das Parlament diese Reform verabschiedet.
Herr Sielaff, im Augenblick haben Sie keine weitere Frage. Vielleicht können Sie sich nachher noch einmal melden.
Herr Susset, bitte.
Herr Minister, wären Sie bereit, Herrn Kollegen Sielaff auf seine Frage bezüglich der Einkommensentwicklung in den süddeutschen Betrieben mitzuteilen, daß die Verluste im letzten Jahr in erster Linie auf den hohen Sonderkulturenanteil in diesen Ländern zurückzuführen sind und durch den Frost des Frühjahrs besonders im Weinbau und im Obstbau die Einkommen auf Grund gesunkener Verkaufserlöse entsprechend schlechter waren? Dies hat nicht ohne weiteres damit zu tun - wie er glaubt -, daß die Betriebsstrukturen etwa so wären, daß Überlebensfähigkeit in Zukunft nicht gegeben wäre.
Herr Kollege Susset, ich bestätige gern, daß die Einkommensentwicklung bei den Sonderkulturen im süddeutschen und südwestdeutschen Raum auf eine Sondersituation, etwa auf Einflüsse der Spätfröste zurückzuführen ist. Wir haben hier eine Entwicklung, die nicht als normal zu bezeichnen ist und die im laufenden Wirtschaftsjahr sicher wieder völlig anders aussehen wird.
Darüber hinaus - darauf habe ich hingewiesen - zeigt der Agrarbericht, daß im abgelaufenen Wirtschaftsjahr die Einkommensentwicklung in den einzelnen Betriebstypen und regional sehr unterschiedlich gelaufen ist, zum Teil auf Grund von Sondereinflüssen, die zu erheblichen Ernteschwankungen, schlechteren Ernten und damit zu schlechteren Betriebseinnahmen und zwangsläufig gesunkenen Gewinnen in den Unternehmen geführt haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wären Sie bereit, möglichst rasch in Verhandlungen mit den Bundesländern und besonders in Verhandlungen mit den von der SPD regierten Bundesländern einzutreten, damit der soziostrukturelle Einkommensausgleich, der ja noch in diesem Jahr neu gefaßt werden muß, nicht wie im letzten Jahr durch eine Blockadepolitik der SPD-Länder im Bundesrat in Frage gestellt wird?
Ich werde mich in Gesprächen mit den Bundesländern, Herr Kollege, darum bemühen, daß wir sehr schnell eine Einigung darüber erzielen, daß die Länder entsprechend der Verteilung des Mehrwertsteueraufkommens ihren Anteil am soziostrukturellen Ausgleich zahlen. Ich
Deutscher Bundestag - 12.Wahlperiode - 136. Sitzung. Borm, Mittwoch, den 3. Februar 1993 11777
hoffe, daß das im laufenden Wirtschaftsjahr einfacher und unproblematischer möglich ist als im abgelaufenen Wirtschaftsjahr, als es darum ging, in mühsamen Gesprächen den Widerstand der Länder zu überwinden.
Herr Abgeordneter Bredehorn.
Herr Minister Borchert, ich möchte Ihnen zuerst auch für meine Fraktion eine gute, offene und faire Zusammenarbeit anbieten. Wir haben uns sehr gefreut über Ihre Erklärung, daß Sie sich insbesondere bemühen wollen, auch für die wettbewerbsfähigen Betriebe die Chancen zu mehren und sie nicht überall zu begrenzen.
Nun meine erste Frage: Im Agrarbericht, den Sie hier kurz vorgetragen haben, geht man in der Vorausschätzung für das laufende Wirtschaftsjahr, das Mitte dieses Jahres beendet sein wird, von Einkommensverlusten von bis zu 5 % aus. Sind bei dieser Hochrechnung auch die Maßnahmen der EG-Agrarreform, die nach meiner Ansicht auf die Einkommenssituation noch zusätzlich negativ wirken, berücksichtigt worden?
Dies ist berücksichtigt worden. Wir rechnen unter Berücksichtigung dieser Faktoren mit einem stagnierenden oder leicht rückläufigen Einkommen.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage. Sicherlich werden auch die Beschlüsse der GATT-Verhandlungen Auswirkungen auf die Einkommen der deutschen Landwirtschaft haben. Teilen Sie die Meinung des Bauernverbandes, der gefordert hat, hier müsse nachverhandelt werden und insbesondere der neue Minister müsse sich hier einsetzen? Sehen Sie dort Chancen?
Die EG ist jetzt dabei, den bilateralen Kompromiß und seine Auswirkungen auf die Landwirtschaft in der EG und auf die EG-Agrarreform zu überprüfen. Das Ergebnis dieser Überprüfung wird in Kürze vorgelegt. Dann sollte man in Ruhe darüber diskutieren, welche Auswirkungen das hat und ob dies für uns akzeptabel ist. Ich meine, es ist gut, daß wir diesen Kompromiß erreicht haben, weil wir auch als Landwirte ein Interesse daran haben, möglichst schnell zu einem Abschluß der GATT-Verhandlungen zu kommen.
Herr Müller ({0}).
Herr Minister, Ihr Vorgänger, Herr Kiechle, sprach immer davon, daß das Ziel der Agrarpolitik der bäuerliche Familienbetrieb sei. In Ihren letzten Interviews und auch bei dem, was Sie heute vorgetragen haben, kam der bäuerliche Familienbetrieb nicht vor. Sie sprechen immer davon, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe herzustellen oder - wie Sie heute sagten -ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Liegt in dieser Ihrer Aussage ein Gegensatz zur Kiechleschen Politik - das muß ja nicht sein, auch Familienbetriebe können wettbewerbsfähig sein -, wollen Sie andere Schwerpunkte setzen, oder wie wird Ihre Politik im Verhältnis zur Kiechleschen Agrarpolitik aussehen?
Ich werde mich bemühen, die erfolgreiche Politik meines Amtsvorgängers genauso erfolgreich fortzusetzen, wie er sie betrieben hat.
({0})
Die Aussage „leistungsfähige Betriebe" bedeutet ja nicht, daß dies nicht bäuerliche Familienbetriebe sind. Es gibt bäuerliche Familienbetriebe sehr unterschiedlicher Struktur, und ich werde mich bemühen, bäuerliche Familienbetriebe so zu fördern, daß sie sich im europäischen Wettbewerb durchsetzen.
Wir müssen aber heute auch sehen, daß wir, gerade wenn wir die neuen Länder berücksichtigen, vielschichtige betriebliche Formen innerhalb der Landwirtschaft haben. Ich finde, wir dürfen in der Agrarpolitik die Betriebe, die in anderen Rechtsformen existieren, nicht von der Förderung ausschließen. Gerade in den neuen Ländern haben wir zunehmend als Wiedereinrichter Betriebe, die in anderer Rechtsform geführt werden. Die Abgrenzung könnte höchstens da erfolgen, wo Kapitalgeber von außen Landwirtschaft bewirtschaften lassen. Aber da, wo Kapitalgeber und Bewirtschafter identisch sind, sollten sie genauso gefördert werden. Ich halte den Streit darüber, wie man Familienbetriebe abgrenzt, für müßig, wenn es darum geht, die deutsche Landwirtschaft in Europa wettbewerbsfähig zu machen.
Als nächster der Abgeordnete Dr. Tahlheim.
Herr Bundesminister, in der jetzigen Diskussion ist schon die Reform der Agrarsozialpolitik angesprochen worden. Aus den neuen Ländern gibt es an den Entwürfen insofern Kritik, als gesagt wird, daß sie die alten Bundesländer bevorzugten, weil z. B. Anwartschaften auf Rentenzahlungen erworben werden können, ohne Beitragsleistungen zu entrichten. Jetzt meine Frage: Sind Sie bereit, auf eine Korrektur an dieser Stelle Einfluß zu nehmen, auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die es in den neuen Ländern noch immer zur landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gibt, wobei immer wieder die Forderung erhoben wird, daß sich der Bund vor allen Dingen an den Altlasten stärker beteiligen soll?
Ich habe bereits in der vorigen Woche in kurzen Gesprächen mit den Kollegen aus den neuen Ländern verabredet, daß wir uns kurzfristig zusammensetzen, um die Fragen, die gerade zu der Agrarsozialreform aus den neuen Ländern kommen, gemeinsam miteinander zu diskutieren. Die Frage der Möglichkeit und Notwendigkeit, korrigierend einzugreifen, stellt sich nach den Gesprächen. Ich würde diese Gespräche gern vorher führen.
Meine zweite Frage betrifft den Strukturwandel, den Sie in Ihren ersten Interviews angesprochen haben. Größere Betriebe haben zwangsläufig größere Pachtflächen zur Folge. In dem jetzt vorgelegten Agrarbericht wird auf die Betriebsergebnisse in den neuen Ländern verwiesen, die teilweise recht gut ausfallen. Ich würde das vor allen Dingen auf niedrige Pachten zurückführen. Die EG-Agrarreform hat allerdings direkte, flächengebundene Einkommensübertragungen zum Ziel. Die Folge wird sein, daß das nicht ohne Einfluß auf die Pachten bleibt. Damit verbunden sind eine Verschlechterung der betriebswirtschaftlichen Ergebnisse und Zahlungen, von denen die Landwirtschaft nichts haben wird. Meine Frage: Sehen Sie an dieser Stelle längerfristig Korrekturbedarf?
Die Frage, ob direkte Ausgleichszahlungen Einfluß auf das Niveau der Pachtpreise haben, stellt sich für die alten und die neuen Bundesländer. Die Vollerwerbsbetriebe der alten Bundesländer haben ebenfalls einen hohen Pachtanteil. Ich würde gern erst einmal abwarten, ob es wirklich einen Einfluß der Ausgleichszahlungen auf das Pachtpreisniveau gibt. Ich glaube, die Einkommenssituation in den neuen Ländern im abgelaufenen Wirtschaftsjahr, über die der Agrarbericht informiert, ist nicht in erster Linie ein Ergebnis der niedrigen Pachtpreise, sondern der hohen staatlichen Förderung. Der Anteil der staatlichen Förderung am Gesamteinkommen der Betriebe ist wesentlich höher als in den alten Bundesländern. Ich denke, dies wird sich im Rahmen der weiteren Anpassung ausgleichen.
Aber ich komme noch einmal darauf zurück: Beide Bereiche, alte und neue Bundesländer, haben einen hohen Pachtanteil, und hier bleibt abzuwarten, ob die Ausgleichszahlungen wirklich einen nennenswerten Einfluß auf die Entwicklung der Pachtpreise ausüben.
Danke. - Nach den Fragen der Abgeordneten Schumann und Heinrich möchte ich diesen Komplex abschließen und zu den folgenden kommen.
Zunächst Herr Abgeordneter Dr. Schumann.
Herr Bundesminister, ist in der Debatte über den Agrarbericht im Kabinett über die Schuldenproblematik der Landwirtschaft gesprochen worden, die sowohl in den alten als auch in den neuen Ländern eine große Rolle spielt? Insbesondere möchte ich hier noch einmal die Problematik der Altschulden in den neuen Ländern erwähnen. Können Sie dazu etwas sagen?
Ich kenne die Problematik der Altschulden in den neuen Bundesländern. Ich glaube, auch hier müssen wir gemeinsam mit den Kollegen aus den Landesregierungen in den neuen Ländern nach Lösungen der Altschuldenproblematik gerade für die Nachfolgebetriebe der früheren LPG suchen. Dies war aber nicht Gegenstand des Agrarberichtes für das abgelaufene Wirtschaftsjahr.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, Sie haben über den Strukturwandel und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft im europäischen Rahmen gesprochen. Das ist mit weiteren Investitionen verbunden. Denken Sie auch daran, hier Hilfe und Unterstützung zu geben, auch in bezug auf die in meiner ersten Frage angesprochene relativ hohe Verschuldung sowohl im Westen als auch im Osten?
Ich würde gerne noch auf die Frage betreffend den Strukturwandel und die leistungsfähigen Betriebe antworten. Ich warne davor, die Frage der Leistungsfähigkeit ausschließlich an der Betriebsgröße festzumachen. Alle Untersuchungen zeigen, daß der entscheidende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Einfluß des Betriebsleiters als Unternehmer ist und daß leistungsfähige unternehmerische Landwirte mit sehr unterschiedlichen Betrieben wettbewerbsfähig sind. Deswegen sollten wir nicht vorschnell immer nur von großen oder kleineren Betrieben sprechen. Der entscheidende Faktor für die Leistungsfähigkeit des Betriebes - und damit eigentlich auch der entscheidende Faktor für die Förderungsfähigkeit - ist die Leistungsfähigkeit des Betriebsleiters.
Ich möchte jetzt das Instrumentarium insgesamt gern daraufhin überprüfen, wie wir Betriebe so fördern können, wie wir Investitionen in Unternehmen so fördern können, daß sie leistungsfähig sind und daß sie wettbewerbsfähig bleiben oder werden. Ich möchte aber nicht die Betriebsgröße als Kriterium wählen, sondern den Versuch unternehmen, den Faktor Betriebsleiter stärker zu berücksichtigen.
Herr Abgeordneter Heinrich.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Frauen und Männer in den neuen Bundesländern, die in der Vergangenheit in der Landwirtschaft tätig waren, im Alter besser abgesichert sind als die betreffenden Personen in der alten Bundesrepublik?
Ich stimme Ihnen zu. Dies wird sicherlich in den nächsten Jahren in zunehmendem Maße Diskussionen in der Agrarpolitik auslösen.
Zusatzfrage?
Ja, und zwar zu einem anderen Gebiet, Herr Minister. - Wir diskutieren derzeit den Solidarpakt. Hiervon ist auch die Landwirtschaft nicht ausgenommen. Sind Sie der Meinung, daß die Streichungen bei den Subventionen im Rahmen des Solidarpakts ausgewogen sind, wenn man die Streichungen in den Bereichen Kohle, Werften
und anderen Bereichen mit denen in der Landwirtschaft vergleicht?
Jochen Borchert: Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich glaube, wir dürfen bei den Bemühungen im Rahmen des Solidarpakts, die Konsolidierung fortzuführen und Kürzungen vorzunehmen, keinen Bereich von vornherein zum Tabu erklären. Insofern kann man sich sicherlich nicht auf den Standpunkt stellen, daß hier ein Bereich, etwa der Bereich der Agrarpolitik, von vornherein ausgeklammert wird.
Ich glaube, daß die bisher geplanten Kürzungen im Bereich der Agrarpolitik, des Einzelplans 10, durchaus ausgewogen sind. Ob sie am Ende wirklich ausgewogen sind, wird davon abhängen, mit welchem Ergebnis wir den Solidarpakt hier in das Parlament einbringen und wie das Ergebnis der Beratungen hier im Parlament aussieht. Ich glaube, man kann dies abschließend erst bei der Verabschiedung des Nachtragshaushalts hier im Parlament beurteilen. Da haben Sie dann auch entscheidenden Einfluß.
Damit schließe ich den ersten Komplex, Agrarbericht 1993, ab und frage, ob es Fragen an die Regierung zur Bildungs- und Forschungspolitik gibt. - Bitte schön, Frau Odendahl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal dafür bedanken, daß die Bundesregierung auf diesem Wege das Parlament endlich über die Vorstellungen zum Bildungsgipfel informieren wird, nachdem es dazu ja viele Ankündigungen und Spekulationen gegeben hat.
Nun sind Vorstellungen bekannt, wonach das Universitätsstudium reformiert und vor allem auf eine Studienzeit von vier bis fünf Jahren verkürzt werden soll. Zukünftig soll zwischen dem berufsbefähigenden Studium an den Universitäten bis zum ersten Hochschulgrad und dem darauf aufbauenden Promotionsstudium unterschieden werden. Meine Frage geht dahin: Wie stellt sich die Bundesregierung die Wissenschaftlichkeit eines solchen berufsbefähigenden Studiums an den Universitäten vor? Hält sie es überhaupt für machbar, eine solche Diskussion um Vorschläge ohne die Betroffenen, nämlich insbesondere die Studierenden und den Mittelbau, zu führen?
Wer antwortet? - Herr Minister, bitte.
Ich glaube, daß man sehr wohl mit der Bereitschaft sowohl der Professoren als auch der Studenten rechnen kann, dieses Modell aufzugreifen. Ich sehe hier keine „Entwissenschaftlichung" des Universitätsstudiums, weil es darauf ankommt, daß man überschaubare Inhalte auf wissenschaftlicher Basis so lehrt, daß ein berufsbefähigender Abschluß erreicht wird. Da es bei den Studenten keine Unterscheidung zum Studienbeginn geben wird, bin ich auch sicher, daß es keine Studenten erster und zweiter Klasse geben wird. Vielmehr wird sich im Laufe des Studiums entwickeln, ob man sich der Berufstätigkeit in der Wirtschaft - oder an welchem Platz auch immer - zuwendet oder ob man die wissenschaftliche Laufbahn wählt.
Zusatzfrage, Frau Odendahl.
Kann die Bundesregierung angesichts der vom Bundesfinanzminister nun vorgesehenen Kürzungen nicht nur im Sozialbereich - hiervon wäre das BAföG betroffen -, sondern auch bei den Hochschulbaumitteln die hier vertretenen Ziele, beispielsweise das Ziel, die Studienkapazitäten auszubauen, weiterverfolgen, oder erfahren auch diese dadurch schon eine Minderung?
Ich wehre mich ein wenig gegen den Begriff „Kürzung"; denn der Umfang der Mittel im Hochschulbau ist kontinuierlich gestiegen. Es ist lediglich nicht das vom Wissenschaftsrat anvisierte Ziel von 2 Milliarden DM erreicht worden. Ansonsten ist ein beständiger Aufwuchs in den letzten zehn Jahren zu verzeichnen gewesen.
Wir wenden uns in dem Grundsatzpapier natürlich insbesondere mit dem Appell an die Hochschulen, auch die Bauvorhaben mit größter Effizienz und Effektivität zu betreiben. Ich glaube, daß dieses Papier, das - wie Sie in Ihren einleitenden Worten richtig bemerkt haben - zur Vorbereitung des bildungspolitischen Spitzengesprächs dient, eine Grundlage dafür ist, aufeinander zuzukommen mit dem Ziel, die Hochschulen effizienter zu gestalten und die Mittel angemessen einzusetzen.
Danke. - Herr Abgeordneter Rixe.
Herr Minister, Sie sprechen - Sie haben es auch in diesem Positionspapier getan -, wenn es um die berufliche Bildung geht, etwa bei der Absenkung der Berufsbildungszahlen, immer von der Differenzierung in der Ausbildung und ihrer Attraktivität. Sagen Sie uns doch einmal konkret, was Sie unter „Differenzierung von Berufsausbildung" verstehen.
Es ist zu verzeichnen, daß 10 bis 15 % der Jugendlichen eines Jahrgangs überhaupt nicht in eine Ausbildung eintreten. Wir haben die Hoffnung, daß wir mit differenzierten beruflichen Bildungsgängen auch erreichen, daß jeder Jugendliche tatsächlich eine Ausbildung aufnimmt.
Zusatzfrage?
Ja, danke. - Zwei Punkte weiter sprechen Sie in diesem Papier von dem Ausbau der Berufsschulen. Wir wissen ja alle, daß die Berufsschulsituation gerade in den fünf neuen Ländern sehr katastrophal ist. Wir wissen auch, daß die Länder bei der Finanzierung der Berufsschulen große Probleme haben. Jetzt die Frage an Sie: Denkt der Bildungsminister daran, den Berufsschulen in den fünf neuen Ländern zu helfen, indem er ein Sonderprogramm für
die Berufsschulen auflegt? Ich denke, das wäre sinnvoll.
Wir haben für die berufliche Bildung in den neuen Bundesländern durch Ausschöpfung aller Möglichkeiten in den letzten zwei Jahren verschiedene Initiativen eingeleitet. Unter anderem möchte ich darauf verweisen, daß im letzten Jahr 30 Millionen DM für Ausbildungsplätze bereitgestellt wurden, die auch der Verbesserung der Ausbildung dienen.
Selbstverständlich haben wir auch festgestellt, welche Aufgaben wo anzusiedeln sind. Vom Prinzip, daß die Länder für die Berufsschulen verantwortlich sind, möchte ich nicht abweichen, zumal es nicht angehen kann, . daß man dem Bund bei jeder Gelegenheit Kompetenzen nehmen will, die Zahlungsforderungen an ihn aber gleichwohl beibehält. Ich empfehle, daß jede Seite - Bund wie Länder - ihren Aufgaben nachkommt, bei allem Respekt vor der schwierigen Finanzsituation in den neuen Ländern.
Frau Bulmahn.
Herr Wissmann, die Bundesregierung hat in ihrem Grundsatzpapier deutlich gemacht, welchen Stellenwert Forschung und Technologie für die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande haben, und darauf hingewiesen, daß es notwendig sei, die Kooperation zwischen Forschung und Wissenschaft auf der einen Seite und Industrie auf der anderen Seite zu verstärken.
Meine Frage an Sie: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um diese Kooperation zu verbessern, außer der Erhöhung der Durchlässigkeit des Personals an den Universitäten und in der Industrie? Welche Maßnahmen gedenken Sie zu ergreifen, um den Technologie- und Wissenstransfer zu beschleunigen? Welche Maßnahmen gedenken Sie in den neuen Bundesländern durchzuführen, weil gerade dort der Zustand der industrienahen Forschung katastrophal ist und die Politik besonders in der Verantwortung steht, um eine totale Nivellierung zu verhindern.
Um dies zu erreichen, ist es dringend notwendig, das sattsam bekannte Problem der mangelhaften Koordinierung zwischen
Darf ich vorschlagen, daß wir erst einmal bei den Maßnahmen bleiben.
Das ist dann der letzte Satz zu dieser Frage; - den verschiedenen Ressorts zu beseitigen. Um diesen Problembereich wirksam zu bearbeiten, ist es notwendig, Programme zwischen - ich nenne das nur als Beispiel - BMWi und BMFT sehr sorgfältig aufeinander abzustimmen. Ich würde Sie bitten, uns hierzu Erläuterungen zu geben.
Herr Minister Wissmann.
Frau Kollegin, wir haben im Kabinett genau diese Frage einer engeren Abstimmung an den Schnittstellen zwischen Wirtschafts-, Bildungs-und Forschungspolitik behandelt. In dem Papier, das ein Grundsatzpapier ist und einen Auftakt für die Diskussion mit den Ländern bilden soll, haben wir sozusagen die Positionen markiert, die natürlich zum Teil einer Konkretisierung in den Verhandlungen bedürfen.
Der Grundgedanke, den Sie zu Recht angesprochen haben, liegt auch dem forschungspolitischen Abschnitt dieses Papiers zugrunde, nämlich daß wir die Rahmenbedingungen für einen zügigeren Transfer von einer in Deutschland guten Grundlagenforschung in weltmarktfähige Produkte verbessern müssen und daß wir insofern auch von japanischen Erfahrungen lernen können, die diesen Transfer häufig schneller erreichen - denken Sie an den gesamten Bereich der Unterhaltungselektronik - als wir.
Sie sprachen über die neuen Bundesländer. Es ist erfreulich, daß die Koalitionsfraktionen im Rahmen der Beratungen über den Solidarpakt entschlossen sind, 200 Millionen DM für die industrienahe Forschung in den neuen Ländern, die bisher gesperrt waren, jetzt zu entsperren, denn wir sind der Meinung, daß bei der schwierigen Gratwanderung der Umstrukturierungskrise der Industrie in den neuen Bundesländern der völlige Zusammenbruch der Strukturen industrienaher Forschung natürlich von außerordentlicher Problematik wäre und deswegen der Staat in den neuen Bundesländern ordnungspolitisch einen Schritt weiter gehen kann, als er das im Westen zu tun gewohnt war.
Wir haben darüber hinaus angeregt, daß in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern versucht werden soll, eine weitere Milliarde DM der Länder in die Solidarpaktverhandlungen einzubringen und daraus etwa 150 Millionen DM zusätzlich zu den 200 Millionen DM für die industrienahe Forschung in den neuen Bundesländern einzusetzen.
Ich darf Sie, Frau Kollegin, bitten, in Ihrer Fraktion mitzuhelfen, daß die sozialdemokratisch regierten Bundesländer bereit sind, diese Milliarde beizusteuern. Das würde uns auf dem Weg einer Verbesserung der Mittel für die industrienahe Forschung in den neuen Bundesländern sehr helfen.
Wir werden Ihnen sicherlich helfen, wenn es insgesamt auf den richtigen Weg geht, Herr Wissmann.
Meine zweite Frage. Sie haben in Ihrem Programm formuliert, daß es notwendig sei, eine Evaluierung der deutschen Forschungslandschaft insgesamt durchzuführen. Wenn Sie diese Forderung aufstellen, liegt die Folgerung nahe, daß Sie deutliche Defizite in der deutschen Forschungslandschaft sehen. Wo sehen Sie diese deutlichen Defizite in der deutschen Forschungslandschaft, und heißt das auch, daß Sie in der Forschungspolitik neue und andere Schwerpunkte setzen werden?
Frau Kollegin, ich habe mir vorgenommen, mich in den ersten Wochen im neuen Amt darauf zu konzentrieren, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Ich bin deswegen im Dialog mit Vertretern
von Wissenschaft und Forschung, mit der Industrie, mit den Vertretern der Großforschungseinrichtungen und nutze auch das kreative Potential, das im Bundesforschungsministerium vorhanden ist. Ich höre dabei vor allem zu, denn ich glaube, daß wir den notwendigen Diskurs über Kontinuität und neue Akzente in der Forschungspolitik brauchen, wenn wir zu guten Ergebnissen kommen wollen. Haben Sie daher bitte Verständnis, daß ich heute nicht jede Einzelheit ausloten kann. Ich befinde mich mitten in dem Prozeß der Bestandsaufnahme.
Klar ist allerdings, daß wir in Deutschland nicht nur das Defizit des Transfers haben, von dem ich gesprochen habe, sondern daß wir uns bei einer Evaluierung der Großforschungseinrichtungen sehr genau überlegen müssen, ob Aufwand und Wirkung dort noch in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen und ob nicht eine Konzentration der jeweiligen Aufgaben der einzelnen Einrichtungen erreichbar ist, ohne die Substanz des Auftrags zu gefährden. Deswegen möchte ich gerade die Institutionen übergreifende Evaluierung auch der Großforschungseinrichtungen, die vom Wissenschaftsrat vorgenommen werden soll, hier als eine ganz besonders wichtige Aufgabe bezeichnen.
Ich habe mir in Gesprächen mit über 100 Institutsleitern der Forschungsinstitute außeruniversitärer Art in den neuen Bundesländern selber ein Bild gemacht, wie sich dort die Entwicklung vollzieht. Man kann sagen, daß es überwiegend ein positives Bild gibt, was man nach dem schwierigen Konsolidierungsprozeß dort nicht unbedingt erwarten konnte.
Der letzte Punkt. Wir werden uns sehr genau anschauen müssen, ob die Mittel, die in die Forschungsförderung kleiner und mittlerer Betriebe fließen, nicht möglicherweise mit einem zu hohen bürokratischen Aufwand für den Antragsteller verbunden sind und wie wir die Vergabe dieser Mittel effizienter und unbürokratischer gestalten.
Frau Kollegin, Sie verstehen sicher, daß ich jetzt nur ein paar Eckdaten nennen kann. Aber Sie wissen, daß ich in der nächsten Woche im Forschungsausschuß für eine vertiefte Betrachtung gern zur Verfügung stehe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verlängere die Regierungsbefragung, damit die drei Fragesteller, die noch auf meiner Liste sind - Graf von Waldburg-Zeil, Herr Vosen und Herr Kubatschka - auch noch zum Zuge kommen. Ich bitte, jeweils nur eine Frage zu stellen, weil sonst von der Fragestunde zuviel Zeit abgezogen wird. - Bitte, Graf von Waldburg-Zeil.
Frau Präsidentin, darf ich im Zusammenhang mit der Frage der Kollegin Odendahl nach den quantitativen Aspekten des Hochschulausbaus auf den Bundesbildungsminister zukommen: Kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung dabei bleibt, daß vor der Quantität die Qualität stehen muß oder, um es auf deutsch zu sagen, daß es ohne eine Strukturreform der Länder auch kein Geld des Bundes geben kann?
({0})
Sie haben es sehr hart formuliert. Ich bin natürlich der Meinung, daß die Strukturreform unabdingbar ist, wenn man eine standortgerechte Bildungslandschaft haben will.
Herr Kollege Vosen.
Herr Minister Wissmann, ich will angesichts der Tatsache, daß Sie noch neu im Amt sind, eine Frage stellen, die aus Ihrem vorherigen Arbeitsbereich stammt, damit ich Sie hier nicht zu stark in Anspruch nehmen muß. Die Aufgabe, Forschungsergebnisse in die Wirtschaft zu transportieren, wie Sie in Ihrem Papier in Punkt 8 der Zusammenfassung formuliert haben, ist wohl nicht neu. Das ist eine uralte Kamelle. Herr Riesenhuber - auch seine Staatssekretäre - hat acht Jahre lang gepredigt, das wolle er tun. Jetzt frage ich den neuen Minister mit wirtschaftspolitischer Erfahrung: Was wollen Sie jetzt machen, damit das wirklich passiert? Dies ist eine Kombination, die man Ihnen, glaube ich, jetzt zumuten darf.
Herr Vosen, ich bitte, die Freundlichkeit und Kooperation, die Sie in Ihrem Beitrag zum Ausdruck bringen, nicht nur in diesem Saal zu erhalten.
Sie haben einen Kernpunkt des Transfers angesprochen. Man lernt am besten sozusagen aus den heimatlichen Erfahrungen. Ich glaube, daß Baden-Württemberg mit seinem Technologiebeauftragten und auch mit den Erfahrungen beispielsweise der sich über viele Jahrzehnte hinweg entwickelnden Steinbeis-Stiftung hervorragende Beispiele gesetzt hat, wie man Forschungseinrichtungen und vor allem mittelständische Betriebe so eng wie möglich zueinander bringen kann. Das kann sozusagen durch einen intensivierten Dialog geschehen, das kann aber auch durch möglicherweise verbesserte Rahmenbedingungen geschehen. Wie diese Rahmenbedingungen verbessert werden könnten, kann ich Ihnen nach meiner Bestandsaufnahme besser sagen als heute.
Herr Kollege Kubatschka.
Darf ich Ihnen, Herr Wissmann, zuerst ein Kompliment für Ihre Fähigkeit zur Wortschöpfung machen. Ihre Einlernzeit am Ministerium als Bestandsaufnahme zu bezeichnen ist eine gute sprachliche Schöpfung.
Meine Frage: Sie sprechen von dem quantitativen Ausbau der Fachhochschulen und dem qualitativen der Hochschulen. Ist das nicht der falsche Weg: auf der einen Seite Masse, auf der anderen Seite Qualität? Wäre es nicht vernünftiger, praxisnahe Forschung an den Fachhochschulen auszubauen, die bis zum Promotionsrecht geht?
An wen richten Sie die Frage? An mich?
({0})
Ich will dem Kollegen Ortleb nichts wegnehmen.
({1})
Wir spielen, wie Sie spüren, Doppelpaß, und das ist, glaube ich, notwendig.
Wir sprechen vom Ausbau der Fachhochschulen und meinen Fachhochschulen und Berufsakademien - Sie wissen, daß das in diesem Papier ausdrücklich behandelt wird -, weil wir hervorragende Erfahrungen mit diesen Einrichtungen gemacht haben und weil ich glaube, daß es bei aller Notwendigkeit der weiteren Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland die große Gefahr einer Schräglage zugunsten einer einseitig auf die wissenschaftlichen Hochschulen orientierten Betrachtung gibt und wie die Fachhochschulperspektive und die Berufsakademieperspektive als gleichwertig betrachten müssen, sie leider aber bisher nicht auf allen Ebenen - Bund, Ländern und Gemeinden - in der notwendigen Weise betonen.
Herr Kollege, der letzte Punkt: Ich hätte kein Problem mit dem Wort „lernen"; denn ich finde, es ehrt uns Politiker, wenn wir zuhören und lernen und wenn wir nicht so tun, als wüßten wir in einem neuen Aufgabengebiet am ersten Tag schon alles.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. Die für die Befragung der Bundesregierung vorgesehene Zeit inklusive sieben Minuten Überschreitung ist abgelaufen; ich beende die Befragung.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 12/4235 Ich rufe zunächst die Geschäftsbereiche auf, zu denen Dringlichkeitsfragen eingebracht worden sind. - Wenn sich die Bewegung auf der Regierungsbank etwas gelegt hat - ({0})
Können bitte die Besprechungen von der Regierungsbank nach draußen verlegt werden? ({1})
Vielleicht finden die höheren Damen und Herren der Ministerien Gelegenheit, mit ihren Ministern und Staatssekretären im Hause zu sprechen.
({2})
- Dafür wollte ich nun nicht gerade Applaus von der Opposition bekommen.
({3})
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Jürgen Echternach zur Verfügung.
Wir kommen zu der Dringlichkeitsfrage 1, die der Kollege Otto Schily gestellt hat:
Trifft es zu, daß die Finanzierung des Höhenforschungsflugzeugs Strato 2C „sehr kurzfristig und unter aktiver Beteiligung des Bundesministers der Finanzen im Herbst 1991 bei der Haushaltsaufstellung 1992 ermöglicht wurde" ({4})?
Jürgen Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Schily, die Sicherstellung einer Finanzierung des Höhenforschungsflugszeugs Strato 2 C ist im normalen parlamentarischen Haushaltsaufstellungsverfahren für 1992 erfolgt. Wie der Bundesminister für Forschung und Technologie erklärt, sind im Laufe des Jahres 1991 die fachlichen Voraussetzungen für das Projekt „Strato 2 C" einschließlich des wissenschaftlichen Nutzungsprogramms geklärt worden. Die Finanzierung wurde durch Umschichtung von Mitteln ermöglicht, die ursprünglich für das parallel verfolgte Projekt eines Atmosphärenforschungssatelliten „At-mos" vorgesehen waren. Im übrigen wurde bei einem Gespräch auf Fachebene geklärt, daß für eine mögliche Förderung des Vorhabens der Gesamtplafond des Einzelplans 30 nicht erhöht wird.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, kann es sein, daß Sie meine Frage gar nicht gelesen haben?
({0})
Jürgen Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär: Nein, das muß ich dementieren!
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Ihnen gern meine Frage noch einmal vorlesen, weil Sie sie nicht beantwortet haben. Sie haben eine völlig andere Frage beantwortet. Nicht eine Silbe kann ich in dem, was Sie hier erklärt haben, erkennen, die ich auch nur entfernt als Antwort auf meine Frage verstehen darf. Ich darf Ihnen die Frage noch einmal vorlesen:
Trifft es zu, daß die Finanzierung des Höhenforschungsflugzeugs Strato 2 C „sehr kurzfristig und unter aktiver Beteiligung des Bundesministers der Finanzen im Herbst 1991 bei der Haushaltsaufstellung 1992 ermöglicht wurde"?
Ich hatte diesen Satzteil in Anführungsstriche gesetzt. Sie wissen, daß es ein Zitat ist, das nach Informationen in der Presse ein Vermerk aus dem Bundesforschungsministerium sein soll. Ich darf hinzufügen: Sie können uns vielleicht ja einmal erklären, was unter „aktiver Beteiligung des Bundesministers der Finanzen" zu verstehen ist.
Jürgen Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär: Herr Kollege Schily, ich darf Ihnen insoweit meine Antwort noch einmal erläutern, um deutlich zu machen, daß ich genau die Fragen beantwortet habe, die Sie gestellt haben.
Es wird vom „Spiegel" suggeriert, daß hier ein ungewöhnliches Verfahren stattgefunden hat. Das ist nicht der Fall, sondern es war das normale Haushaltsaufstellungsverfahren. Es hat zunächst zwischen den beteiligten Häusern, dem Forschungsministerium und dem Finanzministerium, stattgefunden. Daran anschließend fand das parlamentarische Verfahren statt, vorbereitet zunächst durch ein Berichterstattergespräch, dann abgeschlossen durch den Haushaltsausschuß und das Plenum des Bundestags.
Dieses normale Verfahren hat dazu geführt, daß zwischen den beiden Häusern, dem Forschungsministerium und dem Finanzministerium, geklärt wurde, daß für den Fall, daß sich das Forschungsministerium für dieses Flugzeug, um das es geht, entscheiden würde, der Plafond ausreicht, es also nicht darum geht, daß der Plafond dafür erhöht wird.
Später hat das Forschungsministerium eine Entscheidung getroffen, nachdem die noch offenen fachlichen Fragen gekärt worden waren. Ich werde dazu gleich bei der zweiten Frage noch etwas sagen, die sie ebenfalls in diesem Kontext gestellt haben.
Dann hat ein Berichterstattergespräch stattgefunden. In diesem Berichterstattergespräch, einem normalen parlamentarischen Verfahren, ist in den Berichterstattervorschlägen ausdrücklich enthalten, daß nicht mehr der ursprünglich ins Auge gefaßte Satellit „Atmos" gefördert werden sollte, sondern statt dessen dieses Flugzeug. Das geschah aus fachlichen Gründen; im übrigen war es auch deutlich billiger.
Auf dieser Basis haben der Haushaltsausschuß und am Ende auch das Plenum des Bundestages votiert.
Im Rahmen dieses parlamentarischen Verfahrens ist ausdrücklich in die Erläuterungen zum Einzelplan 30 hineingeschrieben worden, daß die Mittel u. a. genau für dieses Flugzeug bestimmt sind, um das es hier geht, das Höhenforschungsflugzeug „Strato 2 C". Das ist das, was ich auf den Kern Ihrer Vorwürfe - oder Ihrer kritischen Fragen - eingehend, geantwortet habe.
Herr Kollege Opel.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort führt mich dazu, ein bißchen schlichter zu fragen, nämlich folgendermaßen: Ist denn das Zitat korrekt aus einem Vermerk Ihres Hauses, und wer hat den Vermerk für wen geschrieben?
Jürgen Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär: Ich kenne diesen Vermerk nicht. Es ist kein Vermerk aus dem Bundesfinanzministerium. Es wird ja im „Spiegel" behauptet, es sei ein Vermerk aus dem Forschungsministerium. Im Finanzministerium ist der Vermerk nicht bekannt.
({0})
- Ja; das sage ich ja. Im Finanzministerium kennen wir einen solchen Vermerk nicht. Der „Spiegel" behauptet, einen solchen Vermerk gebe es im Forschungsministerium. Aber ich kann nicht sagen, ob es da einen solchen Vermerk gibt und wie er zu bewerten ist.
Ich kann nur darauf verweisen, daß der Forschungsminister eine sehr eindeutige Erklärung abgegeben hat, um deutlich zu machen, wie wichtig dieses Vorhaben aus der Sicht des Forschungsministers ist. Er sagt, daß schon vor der Entscheidung seit einigen Jahren mit der Wissenschaft und dem Parlament die Möglichkeit des Einsatzes von Höhenforschungsflugzeugen diskutiert wurde. Bereits 1989 lag danach ein entsprechender Antrag des deutschen Wissenschaftsastronauten Reinhard Furrer im BMFT vor. Im Juli 1989 wurde zum Beispiel bei einem Workshop der NASA in Kalifornien die Entwicklung eines höher fliegenden, für umfangreiche Instrumentenpakete geeigneten Forschungsflugzeugs gefordert, mit dem man sowohl in den Polargebieten als auch in jedem anderen Ort der Erde entsprechende Messungen, etwa zum Aufspüren des Ozonlochs, vornehmen könnte. Auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" hat bereits im Mai 1990 auf die Bedeutung und die Notwendigkeit der Bereitstellung eines Stratosphärenflugzeuges hingewiesen.
Mit Strato 2C wird ein Forschungsflugzeug für die Stratosphäre nach modernsten technologischen Gesichtspunkten konzipiert, das unverzichtbare Daten für die Klima- und Ozonforschung bereitstellen wird.
So der zuständige Bundesforschungsminister.
Damit die Kollegen nicht zu lange stehen, teile ich mit: Die Reihenfolge der Wortmeldungen ist: Frau Kollegin Bulmahn, Frau Kollegin Schmidt, Kollege Gansel und Kollege Hirsch.
Frau Kollegin Bulmahn, bitte.
Ich möchte die Frage, die mein Kollege Opel, an Sie, Herr Echternach, gerichtet hat, dem Staatssekretär im Bundesforschungsministerium stellen; denn die Fragen richten sich ja an die Bundesregierung. Ich möchte Sie, Herr Neumann, bitten, diese Frage zu beantworten. Die Frage war, ob es zutrifft, daß in Ihrem Hause ein solcher Vermerk vorliegt, von wem dieser Vermerk angefertigt worden ist und welche Stellungnahme es von seiten des Ministers zu diesem Vermerk gibt.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
In unserem Hause liegt ein derartiger Vermerk vor - ich wiederhole das -, in dem enthalten ist - ich glaube, das kam auch in der Frage des Kollegen Schily zum Ausdruck -, daß die Umorientierung von Atmos, die im wesentlichen von der Forschungsseite gewünscht wurde, auf ein Höhenflugzeug
({0})
im Haushaltsverfahren unter aktiver Mitwirkung des BMF erfolgt ist, womit gemeint ist, daß sich die Beamten jeweils auf ihrer Ebene im Gegensatz zu den Vorlagen, die es gab, in diese Richtung begeben haben. Das ist der Vermerk. Das ist wahr; das ist so.
Frau Kollegin Renate Schmidt.
Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, wer von Ihnen beiden auf meine Frage zu antworten gedenkt. Das ist mir auch egal. Ich richte die Frage an die Bundesregierung: Ist es denn üblich, daß Aufträge dieser Größenordnung ohne Ausschreibung vergeben werden, und ist mein Eindruck richtig, daß sich -jetzt sehr grob gesprochen - folgender Verlauf ergeben hat: Zuerst ist dieses Flugzeug als weniger wichtig angesehen worden; dann ist es plötzlich als sehr wichtig angesehen worden; und im Moment wird es wieder eher als weniger wichtig angesehen? Ich möchte nur wissen, ob - jetzt ganz grob gesprochen - diese Einschätzung stimmt,
Diese Einschätzung stimmt nicht, Frau Kollegin. Es ist vom Forschungsminister unverändert als ein außerordentlich wichtiges Vorhaben angesehen worden. Ich habe eben aus der aktuellen Stellungnahme des Bundesforschungsministers zitiert. Es ist in der Tat so gewesen, daß ursprünglich einmal eine andere Konzeption bestanden hat, nämlich der Satellit Atmos, übrigens ein Projekt, das, wenn es denn gekommen wäre, weit, weit teurer gewesen wäre als das Forschungsflugzeug. Dann hat es eine entsprechende kritische Bewertung in der ESA gegeben. Es hat dann im Berichterstattergespräch der Haushaltsausschußberichterstatter im September 1991 ein ausdrückliches Votum der Haushaltsausschußberichterstatter gegen den Satelliten und für das konkrete Forschungsflugzeug Strato 2 C gegeben. Das ist deswegen von den Haushaltsausschußberichterstattern ausdrücklich als ihr Votum in die Erläuterungen zum Haushaltsplan, die ja verbindlichen Charakter haben, aufgenommen worden. Auf dieser Basis hat der Haushaltsausschuß einstimmig im Sinn des Votums der Berichterstatter votiert, und das Plenum hat ebenso votiert.
Gleichzeitig ist der Ansatz erheblich, um 14 Millionen DM, gesenkt worden, weil gleichzeitig der Satellit entfallen ist.
({0})
- Zur Ausschreibung müßte das BMFT etwas sagen.
Sie müssen sehen, daß Sie im Hinblick auf Raumfahrt, Satellitentechnik und ähnliches auf der Angebotsseite, auf der Seite der Firmen, ohnehin nur eine schmale Palette haben. Das können Sie auf die verschiedensten Themen ausdehnen.
Im Bereich der Höhenflugzeuge hatte sich die Firma Grob seit Jahren mit dieser Entwicklung befaßt. Dazu gab es in der Qualität und in den Anforderungen keine Alternative. Das ist nicht ungewöhnlich: Wenn Sie den Bereich der Raumfahrt nehmen, stellen Sie fest, daß Sie praktisch nur zwei mittelständische größere Firmen und den großen Bereich der DASA und dann schon fast mehr nichts haben, so daß bei all den Projekten fast alle immer auf der Matte stehen und dabei sind. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, daß sich in einer Situation - wir wollten seit Jahren beide Optionen; wir wollten zum einen den Atmos-Satelliten, zum anderen aber auch das Höhenflugzeug „Strato 2C" - eine Firma besonders mit der Entwicklung befaßt hat. Insofern gab es keine Alternative.
Im übrigen darf ich sagen: Beide Ziele waren von uns von Anfang an mit Priorität versehen: der Satellit einerseits wie das Höhenflugzeug andererseits. Dieses Höhenflugzeug hat zusätzliche Möglichkeiten gegenüber einem Satelliten; aber wir wollten beides.
({0})
- Doch. Mit dem technischen Know-how, so wie es bei der Firma Grob entwickelt und von ihr angeboten wurde. Das ist richtig.
Wir standen vor dem Problem, daß wir beides nicht machen konnten. Auf der forschungspolitischen Seite bestand eine sehr kritische Haltung gegenüber dem Gesamttitel, weil der auf „Atmos" entfallende Anteil der Weltraumkosten zuzurechnen war. Das Ergebnis dieser Diskussion war: Keinen „Atmos"-Satelliten, sondern dieses Höhenflugzeug. Die Entscheidung, muß ich Ihnen sagen, ist, wenn wir nur eines können, die richtige, unabhängig davon, wer das Ganze macht und zu welchem Zeitpunkt das entschieden wurde.
Herr Kollege Hirsch.
Herr Staatssekretär, wie man zu sagen pflegt: Das ist zu rund für meinen eckigen Kopf. Darf ich nachfragen: Ich entnehme Ihren etwas verschlungenen Bemerkungen, daß eine Ausschreibung nicht stattgefunden hat. Nun ist doch die ganz einfache Frage, wer denn nun die Entscheidung - irgendeiner muß es ja gewesen sein - zugunsten der Firma Grob getroffen hat. Können Sie uns das sagen?
Da gibt es ein sehr langwieriges Verfahren.
({0})
- Ich kann nichts dafür; das ist so. Die erste Voraussetzung ist, daß der Bedarf der Nutzer da ist. Das heißt, daß dieses Programm einer großen Nutzergruppe vorgestellt wurde, und zwar am 19. Juli 1991, daß es darüber hinaus eine Ressortbesprechung unter Beteiligung mehrerer Ressorts, u. a. des Verkehrsministeriums - hier insbesondere des Deutschen Wetterdienstes - und des Bundesumweltministeriums gab, also all derjenigen, die mit Ozon- und Klimaforschung zu tun haben, und daß dort zum Ausdruck gebracht wurde: Wir sehen erstens einen dringlichen Bedarf im Hinblick auf die Ozonforschung mit diesem Gerät, und wir halten zweitens dieses Gerät für geeignet, das praktisch in der Konzeption vorentwickelt war.
Der nächste Schritt war, daß wir sozusagen den „Projektträger", die DLR, die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt - also nicht das Ministerium -, damit beauftragt haben, das Ganze im
einzelnen durchzuführen, auch im jetzigen Stadium jeweils zu klären, ob die technische Entwicklung den Anforderungen entspricht. Auch nach einer Nachprüfung, die wir jetzt gemacht haben, gibt es in keiner Weise etwas zu beanstanden, mit Ausnahme dessen - wenn Sie das beanstanden wollten -, daß sich die Firma Grob zufällig in Bayern befindet.
Herr Kollege Gansel.
Meine Frage geht an den Staatssekretär Echternach. Herr Kollege, haben Sie auf Grund der Frage des Kollegen Schily nachprüfen lassen und können Sie definitiv Auskunft auf die Frage geben, ob sich Bundesfinanzminister Waigel persönlich oder Beamte in seinem Auftrag aktiv in die Einstellung der Mittel für das Flugzeug „Strato 2 C" in den Bundeshaushalt 1992 eingeschaltet haben?
Herr Kollege Gansel, vielleicht erleichtert es die Sache - Herr Kollege Schily, wenn Sie damit einverstanden sind -, wenn ich die Frage 2 jetzt in diesen Komplex einbeziehe; denn genau darauf zielt die Frage 2 des Kollegen Schily.
Nein; es tut mir leid. Ich habe fast wortwörtlich die Frage 1 des Kollegen Schily wiederholt. Zur Frage 2 des Kollegen Schily stelle ich dann ebenfalls eine Zusatzfrage.
Dazu kann ich Ihnen sagen, daß der Bundesminister Dr. Waigel von der Firma Grob angeschrieben worden ist ({0}) - im Mai 1991 -,
({1})
daß er im darauffolgenden Monat, im Juni 1991, der Firma Grob den Sachstand mitgeteilt hat, der durch eine Klärung auf der Fachebene zwischen den beiden Häusern festgestellt worden war. Zu jenem Zeitpunkt stand fest, daß das BMFT interessiert war; aber die Entscheidung war noch nicht gefallen. Diesen Sachstand einschließlich der noch offenen Fragen hat der Bundesfinanzminister der Firma Grob mitgeteilt.
Im Rahmen der fachlichen Haushaltsfeststellung zwischen Bundesfinanzministerium und Bundesforschungsministerium war insofern eine Aufstockung des Titels nicht erforderlich, als die Mittel dafür aus dem Gesamttitel zur Verfügung standen. Eine Konkretisierung auf dieses konkrete Projekt „Strato 2C" 'erfolgte im Rahmen der Haushaltsberatungen im parlamentarischen Bereich durch den sehr konkreten Vorschlag der Berichterstatter für den Einzelplan 30, genau dieses Projekt „Strato 2 C" so in den Haushaltsplan hineinzuschreiben. Dieses ist von den Berichterstattern des Haushaltsausschusses - nicht vom Bundesfinanzministerium - veranlaßt und so vom Haushaltsausschuß auch einmütig beschlossen worden.
Kollege Professor Meyer, bitte sehr.
Trifft es zu, daß Herr Grob im Jahre 1990 der CSU 105 000 DM gespendet hat, daß sich dann im Jahr 1991 der Bundesfinanzminister durch Einschaltung des zuständigen Unterabteilungsleiters für das Höhenforschungsflugzeug „Strato 2 C" engagiert hat und daß er diese zeitliche Abfolge und den Spendenvorgang durch eine Stellungnahme in der „Augsburger Allgemeinen" vom 25. 1. dieses Jahres ausdrücklich bestätigt hat mit dem Zusatz, der Löwenanteil des Geldes sei in den Wahlkreis des bayrischen Ministerpräsidenten geflossen?
({0})
Herr Kollege, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über Spendeneingänge bei politischen Parteien vor. Im übrigen kann ich der von Ihnen zitierten „Augsburger Allgemeinen" vom 25. Januar 1993 eine solche Aussage des Bundesfinanzministers, wie Sie sie eben behauptet haben, auch nicht entnehmen.
Über die Einschaltung des Bundesfinanzministers habe ich eben schon auf die Frage des Kollegen Gansel geantwortet. Der Bundesfinanzminister hat zur Klärung des Sachverhaltes in der Tat auf eine Klärung auf der Fachebene - und dazu gehört der von Ihnen zitierte Unterabteilungsleiter- im Zusammenwirken mit der entsprechenden Fachebene im Bundesministerium für Forschung und Technologie hingewirkt. Auf der Basis dieser fachlichen Klärung hat er die Eingabe von Herrn Grob beantwortet.
Frau Kollegin Brigitte Baumeister, bitte sehr.
Herr Staatssekretär Neumann, ich hätte gern eine Frage an Sie gerichtet. Würden Sie mir bestätigen, daß es eine Diskussion im Forschungsausschuß gab, die mit der Forderung endete, daß man sowohl der Enquete-Kommission wie auch den eigenen Vorstellungen entsprechen wolle, daß man sowohl einen Satelliten, nämlich den „Atmos", zur Erkundung der Erdatmosphäre als auch ein Höhenflugzeug brauche, um in niedrigeren Höhen die Erdatmosphäre zu erforschen und zu erkunden, und daß dies im Einverständnis mit der SPD so geschehen ist?
Würden Sie mir ebenfalls bestätigen, daß im Hinblick auf den Haushalt und auf die Forderung, Kürzungen vorzunehmen, aber auch im Hinblick auf die jungen Bundesländer ein Einvernehmen im Ausschuß dahin zustande kam, daß man sagte, man verzichte auf den „Atmos" im Hinblick auf die polare Plattform und finde sich im Moment mit diesem Höhenflugzeug ab?
Frau Kollegin Baumeister, ich kann dies alles bestätigen und füge hinzu: Es hat in der betreffenden Berichterstatterrunde, an der ich selber für den BMFT teilgenommen habe - mit einer Vielzahl von Abteilungsleitern -, eine Diskussion zu diesem Thema gegeben: Streichung „Atmos" und Einsatz für „Strato 2C". Das Ergebnis dieser Diskussion war, daß in dieser Runde alle drei Berichterstatter, die dort anwesend waren - die Kollegen Austermann ({0}), Zywietz
({1}) und Schnell ({2}) -, diesem Projekt ihre Zustimmung gegeben haben, besser gesagt: Alle drei haben gemeinsam den Forschungsminister aufgefordert, in diesem Sinne die Umschichtung vorzunehmen.
({3})
Herr Kollege Kubatschka, bitte sehr.
Herr Staatssekretär Neumann, es sind ja Mängel bei den militärischen Versionen aufgetaucht. Werden dieselben Mängel auch bei dem Forschungsflugzeug „Strato 2C" auftreten? Ist dieses Flugzeug beispielsweise bei jedem Wetter einsetzbar?
Ich habe Ihre Frage im ersten Teil akustisch nicht verstanden. Könnten Sie sie bitte wiederholen.
Ich habe darauf hingewiesen, daß bei der militärischen Version Schwierigkeiten auftauchen, daß also die Anforderungen nicht erfüllt werden, daß sie beispielsweise nur bei sehr schönem Wetter fliegen kann. Treten dieselben Mängel auch bei der Forschungsversion auf, d. h. müssen wir herrlichstes Wetter abwarten und wird Gegenwind ausgehalten? Werden die Forderungen eingehalten? Bei der militärischen Version ist es ja bisher so, daß die technischen Höhen nicht erreicht werden.
Ich weiß nicht, welche Anforderungen militärisch an ein solches Flugzeug gestellt werden. Ich kann nur sagen, daß dieses Flugzeug „Strato 2 C" eben gerade in optimaler Weise die Anforderungen erfüllt, die für die Erkundung der Ozonschicht, also Höhe 20 bis 24 km - was bisher mit keinem Flugzeug, auch dem der Amerikaner nicht, möglich ist - mit dementsprechender Nutzlast von Material und Personen, d. h. zwei Piloten und zwei Wissenschaftler, mit einer dementsprechenden Reichweite bis zu 4 000 km, d. h. bis hin zu den Polen, dorthin, wo das Wetter also nicht immer schön und günstig ist, gestellt werden. Deswegen halten wir das ja auch aus forschungspolitischer Sicht uneingeschränkt für eine gute Sache.
Herr Kollege Dr. Schell.
Die Frage, die ich habe, geht an beide Staatssekretäre, da hier Aussagen gemacht wurden, die nicht der Wahrheit entsprechen, wie ich das feststellen möchte.
Sind Sie bereit zu bestätigen, daß erstens „Strato 2C" im Haushaltsplanentwurf 1992 gar nicht enthalten war, daß zweitens die Mitberichterstatter der Koalition diesen Antrag eingebracht haben und damit „Strato 2 C" manifestiert wurde, daß drittens lediglich ein Konzept vorlag für einen „Strato 2 C", daß außerdem die SPD am 10. November 1991 im Haushaltsausschuß den Titel 30 03/892 24 - das ist konkret der Titel, der die Manipulationen um minus 14 Millionen DM zugunsten des „Strato 2 C" beinhaltet - abgelehnt hat? Das geht aus den Protokollen und den Unterlagen, die auch mir vorliegen, hervor. Ich bitte Sie, das hier auch zu bestätigen.
Jürgen Echternach, Parlamentarischer Staatssekretär: Herr Kollege Schnell, wenn ich zunächst einmal aus dem Protokoll vorlesen darf, das über das Berichterstattergespräch vom 24. September 1991 gefertigt wurde. Darin steht:
Nach eingehender Diskussion über den für die Instrumentierung von ATMOS im Regierungsentwurf eingestellten Betrag i. H. v. 44 Mio DM/1992, in der PSt und AL 5 sowohl die beiden Optionen für ein Erdbeobachtungsprogramm ATMOS als auch den bisherigen Sachstand zum Stratosphärenforschungsflugzeug STRATO 2C erläutern, sprechen sich MdB Austermann und Zywietz für die Kürzung des Titelansatzes um 14,0 Mio DM aus. Sie erwarten, daß innerhalb des verbleibenden Ansatzes das Vorhaben STRATO 2 C gefördert wird und die Erläuterungen entsprechend ergänzt werden. Die Finanzierung von ATMOS als nationalem Satelliten komme - auch angesichts der Beschlußlage im FTTA-Ausschuß - nicht in Betracht. Gegen die Entwicklung von Instrumenten für eine spätere Erdbeobachtungsmission der ESA im Rahmen der Ansätze haben MdBs Austermann und Zywietz keine Bedenken.
Aus dem Protokoll des Haushaltsausschuses ergibt sich, daß dieser Vorschlag der beiden Berichterstatter über die Ergänzung der Erläuterungen aufgerufen wurde und ohne Widerspruch geblieben ist. Das bedeutet nach den Usancen des Haushaltsausschusses, daß damit insofern der Berichterstattervorschlag einmütig gebilligt worden ist.
Davon unabhängig haben die Haushaltskollegen über den Einzelplan selbst allerdings kontrovers abgestimmt. Über den Einzelplan selbst ist in der Tat kontrovers abgestimmt worden, wie nahezu über alle anderen Einzelpläne: getragen von der Koalition und abgelehnt von der Opposition. Aber speziell zu diesem Vorschlag der beiden Berichterstatter Austermann und Zywietz hat es laut Protokoll des Haushaltsausschusses keinen Widerspruch gegeben. Das bedeutet nach den Usancen Zustimmung.
Aber der Kollege Neumann war selbst bei der Berichterstattung dabei. Er kann das sicher noch ergänzen.
Herr Kollege Schnell, an sich kann immer nur eine Zusatzfrage gestellt werden. Aber da es sich hier um einen wichtigen Klärungsvorgang handelt, eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich muß das noch einmal widerlegen. Es ist so nicht wahr, wie das dargestellt wurde. Deswegen frage ich Sie: Wie können Sie dem Protokoll des Berichterstattergesprächs entnehmen, daß ich dem zugestimmt habe? Da steht nur, daß die Kollegen
Austermann und Zywietz das gern, unbedingt usf. haben wollten.
({0})
Zweitens steht im Ausschußprotokoll - das bitte ich Sie zu bestätigen -:
Kap. 21 74 Tit. 892 24:
Auf Antrag von Abgeordnetem Austermann ({1}) wird der Ansatz mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD um 14 Millionen DM abgesenkt.
Das ist genau dieser Titel mit diesen Manipulationen. Damit ist die Sache, wie ich denke, klar.
Herr Kollege Schnell, ich habe von dem Berichterstattergespräch gesprochen, nicht von der Sitzung des Haushaltsausschusses. Die entscheidende Sitzung für diese Weichenstellung war das Berichterstattergespräch.
Es ist ja nicht ungewöhnlich - mindestens in dem Bereich, den ich mitverantworte, ist es sehr häufig so; Sie beteiligen sich ja auch daran, und es ist ja auch gut so, wenn das Parlament Einfluß nimmt - Korrekturvorschläge zu machen und dann zu erwarten, daß diese Korrekturen, weil sie - wie Sie immer zum Ausdruck bringen - repräsentativ für den gesamten Haushaltsausschuß sind, auch vollzogen werden. Das ist kein ungewöhnliches Verfahren. Möglicherweise ist es bei uns besonders ausgesprägt. Das hat mit diesem einzelnen Gerät überhaupt nichts zu tun.
Die Abläufe, die wir ja gemeinsam schon zwei oder dreimal mitgemacht haben, sind so, daß jeweils über einen Punkt diskutiert wird - die meisten Anforderungen kommen logischerweise, weil eher durchsetzbar, von den Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, hin und wieder auch von der Opposition - und, wenn kein Widerspruch erfolgt, das Ganze dann als einmütig gilt. Das ist insofern auch richtig, als es Punkte gibt, wo Sie ausdrücklich Widerspruch erhoben haben und dies dann zu Protokoll genommen wird. Wir haben über dieses Thema ausführlich unter Ihrer Beteiligung diskutiert.
Ich füge hinzu: Sie haben sich nicht expressis verbis für „Strato 2C" stark gemacht. Ich hatte den Eindruck, Sie hatten da auch - was weiß ich - keine besonderen Aktien drin. Aber Sie haben dem nach dieser Diskussion nicht widersprochen.
({0})
- Die „Aktien" bezogen sich auf die technischen Möglichkeiten und Vorstellbarkeiten.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal eines deutlich sagen. Der Versuch, der hier unternommen werden soll - der „Spiegel" hat dies ja eingeleitet, um das noch einmal auf den Punkt zu bringen -, ist ja der, daß man sagt: Normalerweise war dieses Gerät gar nicht vorgesehen durch den Einfluß des bayerischen Finanzministers - CSU -, der für eine bestimmte Firma etwas Positives tun wollte, ist diese Entscheidung so getroffen worden, die fachlich nie gewollt war und deshalb auch nicht zu rechtfertigen ist. Das ist doch der Vorwurf des „Spiegels", und Ihre Fragen beziehen sich darauf.
Jetzt sage ich ganz eindeutig: Daß es hier und dort - das hat Herr Waigel auch gar nicht bestritten - Anfragen gibt - „Wir haben hier ein Projekt, ist da eine Möglichkeit, ja oder nein?", ist normal. Solche Vorgänge kann ich Ihnen über Regierungsmitglieder und Abgeordnete nennen, die an unser Haus schreiben, weil wir viele Projekte haben: Das ist üblich, bedeutet aber in keiner Weise, daß das dann vollzogen wird.
Was den Finanzminister angeht - soweit ich diese Verhandlungen mitverfolgt habe -, so hat es über den Vorgang, über den hier berichtet worden ist, kein einziges Mal eine Einflußnahme gegeben. Wenn ich Ihnen jetzt den Terminkalender sagen würde, dann wüßten Sie, wie viele Male sich unser Haus vorher mit „Strato 2C" beschäftigt hat. Wir haben bereits 1990 eine Studie anfertigen lassen, in der die Notwendigkeit dieses Gerätes begründet wurde. Im Laufe des Jahres 1991, also weit vor der Berichterstattersitzung, die erst am 24. September 1991 stattfand, hat es eine Vielzahl von Gesprächen - Ministergespräche und andere - gegeben, völlig losgelöst von irgendwelchen Einflüssen des Bundesfinanzministers, in denen zum Ausdruck kam, daß wir ein solches Höhenflugzeug brauchen.
Das alles macht deutlich, daß die Konstruktion, durch Interventionen des Finanzministers sei das am Ende gegen fachlichen Rat so beschlossen worden, in der Tat falsch ist. Wir wollten dies forschungspolitisch. Wir haben uns auch in keiner Weise beeinflussen lassen. Aus den Unterlagen geht hervor, wie viele Wissenschaftler wir aus der zuständigen Community hinzugezogen haben, die alle positiv votieren. Das ist auch mit einer Forderung des Parlaments identisch. In dem Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" steht diese Forderung ebenfalls.
Deswegen bitte ich Sie herzlich, selbst wenn Sie als Opposition den „Spiegel" gern als heiliges Gut in der Tasche tragen, endlich einmal dem zu glauben, was hier vorgetragen worden ist und nicht immer wieder die gleichen Fragen zu wiederholen. An dieser Sache ist nichts. Sie ist so, wie ich es hier vorgetragen habe.
Frau Kollegin Monika Ganseforth.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt und ist es auch in die Entscheidung mit eingeflossen, daß sich die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" mit den Notwendigkeiten der Ozonmessung und der Atmosphärenforschung befaßt hat, daß auch über Fluggerät gesprochen worden ist, daß wir uns aber in der Enquete-Kommission einschließlich der Wissenschaftler nicht in der Lage gesehen haben zu sagen: „Das hat Priorität", weil es ja z. B. ebenso wünschenswert gewesen wäre, Klimawirkungsforschung und andere Bereiche zu erforschen? Wir haben das in einem größeren Zusammenhang unter vielen wünschbaren Dingen gesehen und in bezug auf Atmosphärenforschung eher an eine
europäische Variation gedacht, um auch gegenüber der NASA- und der USA-Atmosphärenforschung eine europäische Komponente zu haben. Darin haben wir an sich die Zielrichtung gesehen, in die man hätte gehen müssen. Wir haben uns jedenfalls keineswegs für ein bestimmtes Höhenflugzeug zu einer bestimmten Zeit, von einer bestimmten Firma gebaut, im Rahmen der Prioritäten ausgesprochen, sondern nur als eine wünschenswerte Sache in einem größeren Rahmen unter anderen Prioritäten. Ist das in die Überlegungen mit eingeflossen?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, einen Moment. Ich möchte gern die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, daß wir immer noch bei der ersten Frage dieser Fragestunde sind
({0})
und daß es an sich in der Kompetenz des Präsidenten liegt, irgendwann die Schlange der Fragesteller abzuschneiden, damit noch ein paar andere Fragesteller zum Zuge kommen. Die nächste Frage bezieht sich aber auf den selben Komplex. Ich habe jetzt nur die Bitte: Stellen Sie doch Fragen, und leisten Sie keine Debattenbeiträge von großer Breite! Dann kommen wir vielleicht im Rahmen dieser Fragestunde wenigstens noch zur zweiten Frage.
Bitte sehr, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Frau Kollegin, im Hinblick auf die Beantwortung Ihrer Frage verweise ich auf den 3. Bericht der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosophäre", die Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 16. Oktober und 27. November 1987 sowie vom 7. Dezember 1988 und die entsprechenden Drucksachen, wo es unter dem Gesamtkapitel heißt:
Forschungsvorhaben zu diesem Themenbereich erfordern die möglichst kurzfristige Verfügbarkeit von Flugzeugen, die
a) über genügend Reichweite ({0}) und
b) ausreichende Gipfelhöhe ({1}) verfügen.
Das wird dann weiter ausgeführt.
Das ist der Beschluß. Das, was wir jetzt vollzogen haben bzw. gegenwärtig vollziehen, wird diesem Anliegen konkret gerecht. Daß in der Enquete-Kommission nicht der Beschluß gefaßt wird, wer nun wann was macht, versteht sich von selbst. Wir haben diesen Beschluß vollzogen. Sie können an sich dankbar sein, daß wir mit diesem Höhenflugzeug einen weiteren Schritt zum Schutz der Erdatmosphäre tun.
({2})
Bitte keine „Nachdiesel"-Äußerungen.
Als nächstes möchte der Kollege Dr. Elmer eine Frage stellen.
Ich habe eine Frage an Herrn Staatssekretär Echternach. Ich möchte noch einmal präzise nachfragen: Gab es nach dem Briefwechsel im Mai, von dem Sie auf die Frage von Herrn Gansel berichteten, irgendeine weitere Befassung des Bundesfinanzministers mit der Sache? Hat er einen weiteren Brief oder weitere Briefe geschrieben, sich irgendwie eingeschaltet oder sich berichten lassen?
Mir ist nicht bekannt, daß es nach dem 25. Juni 1991 - ich glaube, am 25. Juni 1991 ist der Brief an Herrn Grob von dem Minister geschrieben worden - eine weitere Befassung gegeben hat. Aber ich will das gerne prüfen; es war bisher nicht Gegenstand der Frage. Mir ist nichts dergleichen bekannt.
Frau Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen.
Herr Präsident, meine Frage an den Herrn Staatssekretär Neumann ist ganz kurz: Von wem ist dieses Gutachten aus dem Jahre 1990 erstellt worden?
Dieses Gutachten ist von uns in Auftrag gegeben worden, die DLR war federführend, und es ist gemeinsam mit dem WIB, Weltrauminstitut Berlin GmbH, erstellt worden.
Die letzte Zusatzfrage zu dieser Frage hat der Kollege Matschie.
Auch nur eine kurze Frage: Wenn dieses Projekt schon so weit vorgedacht und geplant war, wie erklären Sie dann den Umstand, daß es nicht im Haushalt eingestellt war, sondern erst durch die Berichterstatter in den Haushalt gekommen ist?
Dieser Titel wie auch manche andere litten von vornherein darunter, daß das, was wir forschungspolitisch vorhatten, finanziell nicht die nötige Abdeckung hatte. So war es auch bei diesem Ansatz.
Hinsichtlich dieses Titels waren unsere Zielvorstellungen, möglichst beides durchzuführen. Ich wiederhole jetzt das, was ich vorhin gesagt habe. Aber es gab dann innerhalb der Forschungsgruppen, innerhalb der Forschungspolitik, unter den Abgeordneten wegen der Finanzknappheit die Präferenz, nicht „Atmos" zu bauen, sondern, wenn überhaupt, dieses Höhenflugzeug, weil wir im Bereich der Satelliten andere Lösungen haben; Frau Kollegin Baumeister hat es angesprochen. Wir bauen ja im Rahmen von Columbus auch die polare Plattform, als Erdbeobachtungssatellit.
Parallel zu dieser Diskussion gab es gleichzeitig den Wunsch zu kürzen. Kollege Echternach hat es richtig gesagt: Den Ansatz, der, glaube ich, 44 Millionen DM ausmachte, wollten die Haushaltsberichterstatter ohnehin kürzen. Sie haben ihn dann auch um 14 Millionen DM gekürzt, wenn ich das richtig erinnere. In diesem Zusammenhang ist dann die Frage gestellt worden: Was machen wir noch, was können wir tun?
Sie müssen bedenken, diese Kürzungsabsichten der Berichterstatter werden uns leider nicht vier, fünf oder sechs Wochen vorher angekündigt, sondern in der Regel tagen sie kurz vorher, sprechen sich mit den Fraktionen ab und konfrontieren das Haus dann mit ihren Vorstellungen.
Dies hatte zur Folge, daß wir alles umschichten mußten. „Atmos" als Satellit konnte nicht mehr gebaut werden; hier realisieren wir noch einige Instrumente und Nutzanwendungen. „Strato 2 C" wurde besonders gewünscht. Wir haben dann gesagt: Im Rahmen dieses Titels versuchen wir, das zu realisieren. Die Folge war ja nicht, daß wir zusätzliches Geld bekommen haben. Aber weil wir „Atmos" völlig gestrichen hatten, stand uns natürlich etwas Masse zur Verfügung.
Das ist der Grund, daß es nach diesem Gespräch zu Umschichtungen kommen mußte, die die Beamten unseres Hauses mit den zuständigen Beamten des BMF vollzogen haben, wie das infolge solcher Beschlüsse üblich ist.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 auf, die ebenfalls der Kollege Otto Schily gestellt hat:
Welche Gründe haben den Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, bewogen, im Frühsommer 1991 auf Bitten der bayerischen Firma Grob einen Beamten aus dem Bundesministerium der Finanzen zu beauftragen, im Bundesministerium für Forschung und Technologie um Fördermittel für das Höhenforschungsflugzeug ,Strato 2 C' nachzusuchen, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung unverzüglich treffen, um eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts sicherzustellen?
Herr Kollege Schily, die Firma Grob hat im Mai 1991 Bundesminister Dr. Waigel um Unterstützung für das Höhenforschungsflugzeug „Strato 2 C" gebeten. Bundesminister Dr. Waigel hat auf Fachebene den Sachverhalt klären lassen. Dabei wurde festgestellt, daß der Bundesminister für Forschung und Technologie an dem Höhenflugzeug bereits im Rahmen der Umwelt- und Klimaforschung, insbesondere der Ozonforschung, interessiert war.
Allerdings hat der Bundesminister für Forschung und Technologie den Vorbehalt gemacht, daß zunächst die wissenschaftlichen Nutzer dem Vorhaben uneingeschränkt zustimmen und daß auch andere Ressorts einbezogen werden müssen. Dies hat Bundesminister Dr. Waigel der Firma Grob so auch schriftlich mitgeteilt.
Im übrigen ist die Bundesregierung bereit, den Ausschüssen des Deutschen Bundestages jede gewünschte Auskunft zu geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schily.
Herr Staatssekretär, können Sie uns, weil ich auch gefragt habe, welche Maßnahmen die Bundesregierung unverzüglich treffen werde, um eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts sicherzustellen, darüber Auskunft geben, wann und wie Herr Bundesfinanzminister Dr. Waigel mit dieser Angelegenheit in jüngster Zeit und in der Vergangenheit befaßt war und insbesondere mit welchen Personen er welche Gespräche mit welchem Inhalt geführt hat?
Herr Kollege Schily, eine so universelle Frage kann ich nicht beantworten. Wenn Sie eine so umfassende Stellungnahme haben wollen, muß ich mit Bundesminister Dr. Waigel sprechen.
({0})
Soweit Sie konkret gefragt haben, was die Entscheidungsvorgänge 1991 angeht, habe ich Ihnen eben und auch den Kollegen vorher in den Antworten auf die Zusatzfragen deutlich gemacht, in welcher Form der Bundesfinanzminister an diesen Entscheidungen beteiligt gewesen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Nachdem ich von Ihnen gehört habe, daß Sie Fragen, die sich auf Herrn Dr. Waigel beziehen, beantworten, ohne mit ihm vorher gesprochen zu haben - was ich als einen sehr seltsamen Vorgang betrachte -, möchte ich die zweite Frage stellen, Herr Staatssekretär: Welche Erwartungen hat die Firma Grob eigentich damit verbunden, sich mit ihrem Anliegen unmittelbar an den Bundesfinanzminister und nicht an den Bundesforschungsminister zu wenden?
Herr Kollege Schily, die Frage müssen Sie Herrn Grob stellen. Ansonsten wissen Sie, daß der Forschungsminister bereits lange bevor sich Herr Grob überhaupt an den Finanzminister gewandt hat, mit der Firma Grob im Gespräch war. Das Projekt lag schon auf dem Tisch; das ist eben doch deutlich geworden. Es war ein Projekt, das im Forschungsministerium lange vorlag. Auch die sehr konkreten Überlegungen der Firma Grob waren lange, bevor sich Herr Grob an Herrn Minister Waigel gewandt hat, im Forschungsministerium auf dem Tisch.
({0})
Kollege Opel.
Vor dem bemerkenswerten Hintergrund, daß Staatssekretär Neumann - wenn ich ihn richtig verstanden habe - uns dargetan hat, daß es sich bei „Strato 2C" um ein risikoloses, hervorragendes Flugzeug handele, das alle Bedingungen erfülle, und der Auskunft der Bundesregierung im Verteidigungsausschuß, daß ebendieses Flugzeug nicht geeignet sei, um beispielsweise als Träger für „Lapas" in Frage zu kommen, weil es - ich zitiere - ein „Papiertiger" sei, möchte ich Sie fragen, ob es nach dem Mai-Brief der Firma Grob direkte Gespräche zwischen dem Bundesminister Waigel und seinem damaligen Kollegen, dem Bundesminister Riesenhuber, gab und ob es Gespräche über diese Angelegenheit zwischen Bundesminister Waigel und der Firma Grob gab.
Mir ist von solchen Gesprächen jetzt nichts bekannt. Ich bin
gerne bereit, auch diesem Fall nachzugehen und Sie entsprechend zu informieren.
({0})
- Auf die Fragen bin ich vorbereitet, aber diese Zusatzfragen betreffen andere Zeitpunkte, andere Komplexe als diejenigen, Herr Kollege Schily, die Gegenstand der Fragestunde sind.
Frau Kollege Renate Schmidt.
Herr Staatssekretär, ich muß zugeben, ich bin im Moment nahezu genauso verwirrt wie Sie.
Vor dem Hintergrund, daß Sie gerade gesagt haben, daß das Projekt lange bekannt war, man es immer präferiert hat und es ein ganz wichtiges Projekt war - was ich Ihnen gerne zugestehe -, und vor dem Hintergrund der Antwort des Herrn Staatssekretärs Neumann vorhin, daß das nicht im Haushalt war, daß dann ein Brief des Finanzministers kam - es geht mir rein um den zeitlichen Ablauf - und es dann plötzlich für wichtig erachtet wurde, hätte ich gerne eine plausible Erklärung für diesen zeitlichen Ablauf.
Frau Kollegin Schmidt, aus meiner Sicht stellt es sich wie folgt dar: daß dieses Projekt zwar im Frühjahr 1991 auch im Bundesforschungsministerium bekannt war, daß aber eine Entscheidung zugunsten dieses Projekts nicht gefallen war, weil es auch ein anderes und sogar teureres Projekt gegeben hat, das Satellitenprojekt „Atmos",
({0})
das vorher offensichtlich eine Präferenz genossen hatte, aber in der Zwischenzeit auch durch die Diskussion in der ESA fragwürdig geworden war. Eine Weichenstellung ist dann im Berichterstattergespräch im September 1991 erfolgt, als ausdrücklich in den Haushaltsplan hineingeschrieben worden ist, die Forschungsmittel seien u. a. für „Strato 2C" bestimmt.
So weit kann ich es jetzt aus der Sicht des Finanzministeriums rekonstruieren. Möglicherweise kann das Forschungsministerium, was den Entscheidungsvorgang angeht, noch anderes sagen. Aber ich meine, der Kollege Neumann hat vorhin auch schon durch die Antwort auf eine Zusatzfrage klargestellt, wie es im Forschungsministerium gelaufen ist.
({1})
Sie müssen jetzt nicht ungeduldig sein, wenn ich manches, was ich glaubte schon gesagt zu haben, wiederhole, damit es vielleicht noch klarer wird. Es kann ja auch sein, daß ich mich mißverständlich ausgedrückt habe, weil jetzt immer der Zusammenhang hergestellt wird: Erst als der Bundesfinanzminister tätig wurde, hat das Ganze funktioniert. Es wird gesagt: Wenn es anders gewesen wäre, wie kommt es dann, daß das nicht drinstand? Und plötzlich steht es drin, und das alles zeitgleich.
({0})
Das ist ja Ihre Frage, und darauf antworte ich jetzt noch einmal: Ausgangslage war der Bedarf. Ich habe auf die Studie verwiesen. Ich habe übrigens festgestellt, Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, daß ich nicht alle Auftragnehmer genannt habe. Es gibt drei, die diese Studie gemacht haben: die DLR, das WIB und Aerodata-Flugmeßtechnik. Ich hatte also eine vergessen und ergänze das hiermit.
Der nächste Schritt war, daß nach dieser Studie, als der Bedarf bekannt war, sich das BMFT damit befaßt hat, weit vorher,
({1})
daß es erste Vorlagen im Januar 1991 gab und daß es dann Gespräche auf Abteilungsleiterebene mit der Firma Grob gab, die, ausgehend von dem, was gefordert wurde, ihre Konzeption vorgestellt hat.
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- Das war im Zusammenhang mit der Einladung von Grob an den Forschungsminister zur Besichtigung von „Strato 2 C" am 21. März 1991. Es gab dann auch einen Ministerbesuch, um sich das anzusehen, und ein Gespräch meines damaligen Ministers Dr. Riesenhuber am 14. Juni 1991. In einer dann folgenden Pressekonferenz am 27. Juni 1991 - das hat mit diesen Vorgängen immer noch überhaupt nichts zu tun - hat Minister Riesenhuber zum Thema „Schutz der Erdatmosphäre", damals mit einem großen positiven Echo, auf die Bedeutung eines solchen Höhenflugzeugs und den entsprechenden Bedarf hingewiesen. Dann gab es weitere Gespräche bei uns mit dem zuständigen Abteilungsleiter 5 am 4. Juli 1991. Es gab eine Präsentation von „Strato 2C" vor Nutzern am 19. Juli 1991, weit vor diesem 23. September. Dann gab es eine Ressortbesprechung. Insgesamt war man der Auffassung: Diese Sache ist in Ordnung, wir müssen sie machen.
Die Ausgangslage für unser Haus war jetzt die, daß wir uns bei der allgemeinen Kürzung - es kamen globale Minderausgaben hinzu - nicht in der Lage sahen, dies alles, „Strato 2C", „Atmos" und weitere Dinge von geringerer Dimension, die noch in diesem Titel waren, zu machen. Der ursprüngliche Entwurf sah von uns aus vor, daß wir uns bei der Alternative „Strato 2 C" oder „Atmos", wenn nicht beides möglich ist, auf „Atmos" konzentrieren. Im Laufe der Diskussion zeigte sich, daß dieser Satellit „Atmos" von den Forschungsvertretern im Parlament politisch mehrheitlich nicht gewollt wurde. Auf diese Weise bekam „Strato 2 C" seine Chance, nach dem Motto: Eines von beiden brauchen wir, und wenn das teurere nicht geht - „Atmos" war wesentlich teurer -, dann machen wir wenigstens „Strato 2C".
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In dieser Situation kamen wir dann - der Kollege Schnell wird sich daran erinnern - in die Berichterstatterrunde.
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- Das weiß ich nicht. Sie fragen mich danach, wie es im BMFT abgelaufen ist.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Die Fragestunde ist an sich abgelaufen. Die Kollegin Renate Schmidt hat es für richtig gehalten, einen Teil der Sitzungsleitung in ihre bewährten Hände zu nehmen und einen zusätzlichen Staatssekretär zur Fragebeantwortung aufzurufen. Ich weise nur darauf hin, daß die von ihrer Fraktion für dringlich gehaltenen Fragen zu einem anderen Bereich heute nicht mehr drankommen
({0})
und daß ich jetzt nur noch einen Fragesteller zulasse. Das ist Norbert Gansel. - Entschuldigung, ich glaube, es ist fair, wenn wir einen der anderen Beteiligten, nämlich den Kollegen Austermann, auch noch mit einer Frage drannehmen. Aber dann muß ich die Fragestunde schließen. Bitte, Herr Kollege Gansel.
Herr Echternach, können Sie die Frage des Kollegen Schily beantworten: Welche Gründe haben den Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel, bewogen, im Frühsommer 1991 auf Bitten der bayerischen Firma Grob einen Beamten aus dem Bundesministerium der Finanzen zu beauftragen, im Bundesministerium für Forschung und Technologie um Fördermittel für das Höhenforschungsflugzeug Strato 2C nachzusuchen? Können Sie diese Frage mit der Antwort „Meine Ermittlungen im Ministerium und meine Nachfrage bei Bundesfinanzminister Waigel haben ergeben, daß es einen solchen Auftrag oder eine solche Bitte an irgendeinen Beamten des Finanzministeriums nicht gibt" beantworten, ja oder nein?
Herr Kollege Gansel, ich habe schon erklärt, daß Anlaß für die Aufklärung des Sachverhalts durch den Bundesfinanzminister der Brief von Herrn Grob gewesen ist und daß der Bundesfinanzminister, nachdem der Sachverhalt geklärt war, den Briefschreiber dementsprechend am 25. Juni 1991 beschieden hat. Es hat einen solchen Auftrag, wie der „Spiegel" ihn suggeriert, so nicht gegeben, sondern es gab die Bitte des Finanzministers an die fachlich zuständige Ebene, den Sachverhalt zu klären.
({0})
Dies ist erfolgt, und auf dieser Basis hat der Finanzminister dann an die Firma Grob geschrieben.
Letzte Zusatzfrage, Kollege Austermann.
Herr Präsident, ich gehe nach der Art und Weise, wie der Kollege
Gansel seine Frage gestaltet hat, einmal davon aus, daß auch mir ein Satz mehr als sonst in der Fragestunde üblich gestattet ist.
Ich möchte zunächst feststellen, daß Äußerungen in der Presse zu etwaigen Erklärungen von mir über Wünsche des Bundesfinanzministers mir gegenüber unzutreffend sind. Es gibt keine Wunschäußerung des Bundesfinanzministers mir gegenüber ({0})
- ich komme gleich zu einer Frage, Herr Kollege Schily
Seid nicht so streng! Ich war auch nicht so streng!
- mir gegenüber, daß man sich für das Projekt „Strato 2C" einsetzen möge. Insofern ist auch die zweimalige Berichterstattung im „Spiegel" unzutreffend.
Ich möchte eine Frage stellen, um im Tenor der Fragestunde zu bleiben. Herr Staatssekretär Neumann, können Sie bestätigen, daß die Entscheidung zugunsten des Flugzeugs „Strato 2C" von den Berichterstattern im Haushaltsausschuß - ich glaube, ziemlich einmütig - mit der Begründung favorisiert wurde,
({0})
daß man gegenüber dem wesentlich teureren und im Einsatz wesentlich schwerfälligeren „Atmos"-Satelliten für 600 Millionen DM eine günstigere, vielfältig der Umwelt dienende Lösung mit „Strato 2 C" für etwa 120 Millionen DM finden würde, und daß diese Entwicklung deshalb von uns begrüßt worden ist?
({1})
Herr Kollege Austermann, ich kann das nicht nur bestätigen, sondern kann auch bestätigen, daß ich selbiges in Ihrer Abwesenheit hier bereits gesagt habe.
Ich schließe die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den jüngsten Vorgängen im Kernkraftwerk Brunsbüttel
Die Fraktion der SPD hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.
Ich erteile dem Kollegen Michael Müller das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat diese Aktuelle Stunde zum Atomkraftwerk Brunsbüttel beantragt, weil wir in den Vorkommnissen der letzten Tage erneut einen Beleg für die großen, aus unserer Sicht nicht zu verantwortenden Risiken der Atomenergie sehen. Unser Ziel ist - um dies von Anfang an klar zu
Michael Müller ({0})
sagen - eine sichere und umweltverträgliche Energieversorgung ohne Atomkraft. Wir bekräftigen gerade vor dem Hintergrund dieser Vorfälle unseren Willen, so schnell wie möglich aus der Atomenergie auszusteigen.
({1})
- Das ist die Position der SPD, und das wird auch die Position der SPD bleiben.
Heute geht es konkret um drei zentrale Aspekte, die sich bei dem gravierenden Vorfall in besonderer Weise eklatant bündeln: erstens die Sicherheitsrisiken der Atomenergie, zweitens den leichtfertigen Umgang der Betreiber und der Aufsicht mit den Gefahren und drittens die Konsequenzen aus den Vorkommnissen für die weitere Nutzung der Atomenergie.
Zuerst zu den Sicherheitsrisiken: Nach dem jetzt vorliegenden Stand sind in der Zwischenzeit rund 130 Risse in den Rohrleitungen festgestellt worden. Einzelne Risse in den bis zu acht Millimeter dicken Rohrmänteln haben eine Tiefe von sechs Millimetern erreicht, ein äußerst besorgniserregender Vorgang. Trotzdem spielt der Betreiber, die HEW, die Schäden herunter, und dasselbe macht der Bundesumweltminister,
({2})
wenn er ebenfalls abwiegelt und in einer vorschnellen Pressekonferenz „keine Gefahr" sieht.
Wir haben den Eindruck - um das ganz deutlich zu sagen -, daß in der Zwischenzeit die Bundesregierung selbst zu einer sehr sicheren atomrechtlichen Gefahr geworden ist.
({3})
Die SPD stellt deshalb konkrete Fragen, auf die wir Antworten verlangen:
Erstens. Warum haben Sie, Herr Bundesumweltminister, auf der Pressekonferenz am 1. Februar bereits um die Mittagszeit erklärt, daß es trotz der Risse kein Sicherheitsdefizit gebe, obwohl die Beratungen im UA der Gesellschaft für Reaktorsicherheit noch bis weit in den Nachmittag hinein gegangen sind und die Untersuchungen nach wie vor nicht abgeschlossen sind? Wie kommen Sie zu einer so schnellen, vorzeitigen Erklärung um 13 Uhr? Die Kommissionssitzung an dem Tag hat bis 16 Uhr gedauert.
Zweitens. Wie können Sie eine solche Aussage machen, wenn zugleich die Arbeitsvorschrift für Brunsbüttel unmißverständlich feststellt: „Risse und Bindefehler sind unzulässig"? An diesem Widerspruch zeigt sich doch in einer sehr bedauerlichen Weise eine eklatante Unkenntnis der Genehmigungslage. Wenn dies die Arbeitsvorschrift ist, so muß sie auch gelten und eingehalten werden.
Drittens. Wie kann das Ministerium behaupten, daß trotz der Risse die Tragreserven des Systems ausreichen, obwohl die Untersuchungen, wie gesagt, noch gar nicht abgeschlossen sind, ja nicht einmal feststeht, welche Bedeutung die Risse für das System insgesamt haben, und es nach wie vor streitig ist, welche Ursachen die Risse insgesamt haben?
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- Ja, wieso kann er dann schon erklären, es sei kein Problem? Das ist doch unsere Frage!
Viertens. Wie können Sie die Behauptung aufstellen, daß es sich nicht um herstellungsbedingte Risse handelt, obgleich der Gutachter des Energieministeriums Schleswig-Holstein, Professor Speidel von der Technischen Hochschule Zürich, auf der Sitzung der Unterkommission am 19. Januar dargelegt hat, daß bei Siedewasserreaktoren sehr wohl auch betriebsbedingte Risse auftreten können? Liegt Ihre erneut sehr schnelle und aus unserer Sicht zu kühne Behauptung vielleicht daran, daß der Vertreter des Bundesumweltministeriums die Sitzung genau zu diesem Zeitpunkt verlassen hat, als Professor Speidel diese Erkenntnisse vorgetragen hat?
Fazit: Hier stehen gravierende Mängel, schwerwiegende Ungereimtheiten und aus unserer Sicht große Leichtfertigkeit im Raum. Es drängt sich der Verdacht auf, daß nicht der Schutz der Bevölkerung das oberste Ziel ist, sondern die unbedingte Durchsetzung einer sehr zweifelhaften, riskanten, aus unserer Sicht nicht zu verantwortenden Technologie.
Das ist das entscheidende Problem. Denn wer die Vorfälle in Brunsbüttel ernst nimmt, der muß nicht nur Brunsbüttel abschalten, der muß auch alle weiteren Siedewasserreaktoren in der Zwischenzeit abschalten und grundlegend überprüfen.
({5})
({6})
Genau diese Konsequenz wollen Sie nicht ziehen, und deshalb wird der Reaktor gesundgebetet.
Meine Damen und Herren, die Vorfälle in Brunsbüttel sind für uns in der Tat in doppelter Weise sehr problematisch: Zum einen, weil sie erneut belegen, daß es zu große Risiken beim Betrieb von Atomkraftwerken gibt, aber zum anderen auch, weil wir zunehmend den Eindruck haben, daß auch die atomrechtliche Aufsicht nicht mit der Sorgfalt arbeitet, die bei dieser gefährlichen, riskanten Technologie notwendig ist.
Wir fordern deshalb erneut ein sofortiges Abschalten der Siedewasserreaktoren und Überprüfung auch der anderen Reaktortypen, ob eventuell dort derartige Schäden auch auftreten können.
Das Schutz- und Sicherheitsziel von Natur und Gesundheit muß an erster Stelle stehen.
({7})
Deshalb darf es hier nicht um Rechthaberei, sondern es muß um Vorsorge gehen.
({8})
Meine Damen und Herren, nächster Redner ist unser Kollege Heinrich Seesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß wir wegen der 108 oder auch 130 Risse der Rohrleitungen des Reaktorreinigungssystems und des Lagerdruckwassersystems im Kernkraftwerk Brunsbüttel eine Diskussion führen. Diskutieren heißt, daß man über eine Sache redet. Und vor dem Reden sollte man eigentlich nachdenken. Ich habe also versucht, das zu tun.
Dabei ist in mir der Verdacht verstärkt worden, daß es weniger um die Risse in Brunsbüttel als vielmehr darum geht, vor den anstehenden Konsensgesprächen über energiepolitische Probleme der kommenden Jahre möglichst noch vollendete Tatsachen zu schaffen, nämlich möglichst viel Ausstieg.
({0})
Herr Kollege Müller hat meine Ansicht soeben bestätigt.
Ich hätte mir und uns allen eigentlich gewünscht, daß ich mich hier irrte. Denn wir haben uns gerade des Tages erinnert, an dem zum ersten Mal eine nukleare Kettenreaktion kontrolliert ablief. Das war am 4. Dezember 1942, also vor 50 Jahren.
({1})
Dieser Prozeß gelang dem Italiener Enrico Fermi in Chicago. Der erste Kernreaktor war geboren. 1961 hat dann der erste Reaktor in Deutschland in Kahl am Main seinen Betrieb aufgenommen.
Seit dieser Zeit erzeugten deutsche Kernkraftwerke 1 Billion 700 Milliarden Kilowattstunden Strom. Damit wurden der Erdatmosphäre rund 1,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid erspart. Und weil wir das mit der Kernenergie können, setze ich mich auch weiterhin für die Nutzung der Kernenergie ein, aber sicher müssen unsere Kernkraftwerke schon sein. Und sie sind es!
Aber mich macht etwas anderes besorgt. Weltweit arbeiteten im Dezember 1992 422 Kernreaktoren. Dazu kommen noch viele Forschungsreaktoren und Schiffe mit atomarem Antrieb. Es hat mich sehr betroffen gemacht, daß es keine international verbindlichen Regeln gibt, wie Reaktoren ausgestattet sein müssen, um Mensch und Umwelt vor den Gefahren zu schützen, die zweifellos von den Reaktoren ausgehen.
Ganz anders ist die Lage beim Schutz vor dem Risiko, das von ionisierender Strahlung ausgeht. Dafür wurde schon vor mehr als 60 Jahren die Internationale Strahlenschutzkommission gebildet. Sie gibt auf diesem Gebiet Empfehlungen, die in irgendeiner Form internationale Verbindlichkeit genießen und zu weltweitem Vertrauen geführt haben.
Ich frage mich, ob es nicht an der Zeit ist, für das Gebiet der Reaktorsicherheit ein ähnliches Gremium zu schaffen, dessen Äußerungen und Empfehlungen von allen anerkannt werden. Leider zeigt sich noch niemand, der diese Aufgabe angehen will. Keine internationale Institution ist zuständig. Dabei müßte eine solche Einrichtung für alle von größtem Interesse sein, die kerntechnische Anlagen bauen und betreiben.
Ich kann mir vorstellen, daß wir in Deutschland zu der übereinstimmenden Auffassung kommen, die heute arbeitenden Kernkraftwerke und solche im Wartestand, wie Mülheim-Kärlich, unter Einhaltung aller Sicherheitsbestimmungen für eine zu vereinbarende, wahrscheinlich noch lange Betriebsdauer als Stromproduzenten zu nutzen und dann stillzulegen.
Wir müssen dann aber auch zu der Auffassung gelangen können, daß neue Kernkraftwerke mit genau formulierbaren Sicherheitsbestandteilen ans Netz gehen können, damit nicht schlagartig die CO2-Belastung bei uns wieder anwächst,
({2})
Dafür sollte es allgemein anerkannte und verbindliche Regeln geben, wie diese Kernkraftwerke der Zukunft zu gestalten sind, und bestehende müssen diesem Standard so weit als eben möglich angeglichen werden.
Wir haben doch die Internationale Atomenergie-Organisation in Wien. Sie darf nach ihrer Satzung schon Sicherheitsnormen aufstellen oder beschließen. Verbindlich sind diese aber nur für die innere Arbeit dieser Behörde und dort, wo ein Staat ausdrücklich darum bittet.
Bundesminister Töpfer hat zumindest eine Diskussion über den Abschluß einer Konvention über kerntechnische Sicherheit vorangebracht. Viele Staaten wollen noch nicht. Wir aber sollten die völkerrechtlich verbindliche Festschreibung von Sicherheitsanforderungen zur politischen Forderung erheben und die Bundesregierung auffordern, sie durchzusetzen.
({3})
Ich erteile nunmehr unserem Kollegen Dr. Jürgen Starnick das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde die heutige Diskussion in der Aktuellen Stunde zu Brunsbüttel eigentlich äußerst aufschlußreich, denn sie zeigt doch, daß es der Opposition darauf ankommt, eine große energiepolitische Debatte durch Fingerhakeln zu ersetzen.
({0})
Seit Jahren gehen die Opposition und die mit ihr verbundenen Länderregierungen der Frage aus dem Wege, wie man es erreichen kann, den CO2-Ausstoß weltweit auf die Hälfte zu reduzieren,
({1})
was notwendig wäre, um den CO2-Gehalt der Atmosphäre nicht weiter ansteigen zu lassen. Statt dessen spielt man Beinchenstellen und ist - wie das Energieministerium in Schleswig-Holstein - krampfhaft bemüht, die fachlich kompetente Aufklärung der Ursache der Rißbildung in den Rohrleitungen des Kernkraftwerkes Brunsbüttel zu behindern. Es könnte doch vielleicht frühzeitig die Behauptung widerlegt werden, die Risse in den Rohrleitungen seien
betriebsbedingt. Dann würde einem ja ein willkommenes Argument aus der Hand geschlagen, um jene marktschreierische Politik zu stützen, die Jo Leinen und heute auch Herr Müller mit der Behauptung betreiben, die deutschen Kernkraftwerke seien unsicher.
Was ist denn wirklich geschehen? Seit der routinemäßigen Jahresrevision des Kernkraftwerkes Würgassen im Jahre 1991 ist bekannt, daß die Schweißnähte der austenitischen Stahlrohrleitung Risse aufweisen können. Daraufhin wurde eine eingehende Materialuntersuchung dieser Spezialstähle und deren Schweißnähte vorgenommen. Als Ursache der Rißbildung wurde der Schweißvorgang selbst erkannt, nicht Ermüdungserscheinungen des Materials oder Korrosion.
({2})
Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um Rohre im Kühlsystem des Reaktors, so daß die Sicherheitstechnik des Reaktors nicht in Frage steht.
Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit hat im Auftrag des BMU gleichwohl eine Nachricht an sämtliche Betreiber deutscher Kernkraftwerke herausgegeben und diese aufgefordert, die Rohrleitungen aus diesen Materialien in ihren Anlagen systematisch auf Veränderungen hin zu überprüfen. Da Brunsbüttel baugleich mit Würgassen ist, hat sich auch der Betreiber des Kernkraftwerkes Brunsbüttel daran gehalten. Auch hier wurden Risse in den Schweißnähten festgestellt.
Diese Befunde wurden vom Betreiber der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde und von dieser der GRS und damit auch dem BMU gemeldet. Die Aufsichtsbehörde ließ sich zudem ein Gutachten von einem ausländischen Wissenschaftler - Herr Müller hat ihn schon genannt - erstellen, der zwar zu keinen grundsätzlich anderen Erkenntnissen kam, aber ein Rißwachstum während des Betriebes auch nicht völlig ausschließen wollte.
Nichts wäre in einer solchen Situation folgerichtiger, als die Reaktorsicherheitskommission in Marsch zu setzen, um nun eingehend und umfassend die Befunde zu beurteilen.
({3})
Aber dies gefällt dem schleswig-holsteinischen Energieminister, der ja nun einmal ein erklärter Gegner der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist, überhaupt nicht, denn die Erkenntnisse im Rahmen dieser Aufklärung könnten bei der Behauptung, alle deutschen Kernkraftwerke seien unsicher, nicht nur hinderlich sein, sondern diese auch noch widerlegen.
({4})
Als sich die Gesellschaft für Reaktorsicherheit nämlich mit dem Betreiber des Kernkraftwerkes Brunsbüttel mit dem Ziel in Verbindung setzte, ein Gespräch vor Ort zu führen, um detaillierte Informationen zu erhalten, wurde dies vom Energieminister Schleswig-Holsteins zunächst einmal verhindert, so daß es einer schriftlichen Intervention des BMU bedurfte, damit die Gesellschaft für Reaktorsicherheit ihre Ermittlungen bei den HEW am 1. Februar überhaupt aufnehmen konnte.
({5})
Es wird also Informationsverhinderungspolitik statt Sachaufklärung betrieben.
({6})
Der „General-Anzeiger" Bonn charakterisiert diese Situation in seiner heutigen Ausgabe recht zutreffend, nämlich indem er zum Ausdruck bringt - ich zitiere -: „Deutsche Kernkraftwerke erfüllen nach internationaler Expertenmeinung die höchsten Sicherheitsanforderungen in der Welt, und diese wachsen mit jeder technisch-wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet." - Wem das nicht reicht, der mag nach realistischen Alternativen suchen. Er sollte sich jedoch nicht der Illusion hingeben, daß ein Ausstieg aus der Kernenergie die Sicherheit der Deutschen wesentlich erhöhen würde.
({7})
Ein Blick auf die maroden Reaktoren im ehemaligen Ostblock zeigt, wo die wirklichen nuklearen Zeitbomben zu finden sind.
Da das so ist, meine Damen und Herren von der Opposition, sollte eine Kernkraftdebatte auf der Grundlage wirklicher Fakten zu führen sein und nicht mit einem Beutel voller Mutmaßungen.
({8})
Dann gelangen auch Sie zu der Aussage, daß die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke nicht in Frage steht.
({9})
Ich erteile nunmehr unserer Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Atomkraftwerke sind von Menschen erbaut worden. Menschen machen Fehler. Fehler der Menschen finden sich in deren Werken wider, auch in den Atomkraftwerken. Der größte Fehler, den Menschen machen können, ist zu glauben, ihre Werke seien fehlerfrei.
({0})
Während alte Menschen schon einmal das Reißen in den Gliedern bekommen, was niemanden verwundert, bekommen alte Reaktoren das Reißen in den Rohren, worüber sich heute offenbar alle wundern. Risse wurden im angeblich unverwüstlichen Austenitstahl der Rohrleitungen des Atomkraftwerks Brunsbüttel bei Hamburg entdeckt. Die Ursachen sind im übrigen nach wie vor umstritten, Herr Kollege Starnick. Ein Abreißen der Rohrleitungen des Primärkreislaufs gerade bei Siedewasserreaktoren würde diese sofort in einen unkontrollierbaren Zustand geraten lassen.
Risse hat auch das Weltbild bekommen, das die Atomlobby der Öffentlichkeit vorzugaukeln versucht. Die deutschen Kernkraftwerke sind sicher; so ihr bei jeder Gelegenheit gebetsmühlenartig heruntergeleierter Spruch. Dagegen seien die osteuropäischen
Reaktoren unsicher und müßten mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerüstet werden.
({1})
Mit Sicherheitstechnik à la Brunsbüttel? Die Legende von der Unfehlbarkeit bundesdeutscher Ingenieurkunst wurde schon vor Jahren in Biblis A zerstört. Doch sehen wir uns auch im westlichen Ausland um, im Wunderland der Atombesessenen, Frankreich. Natürlich erhebt auch die EdF den Anspruch, die sichersten Atomkraftwerke der Welt zu betreiben. Dort wurden an zwölf Reaktoren Risse in den Durchführungen der Steuerstäbe der Reaktordruckgefäßdecke entdeckt. Auch mit französischer Sicherheitstechnik sollen die osteuropäischen Reaktorbetreiber beglückt werden.
Meine Damen und Herren, was heißt in diesem Zusammenhang eigentlich „alte Reaktoren"? Der Reaktor in Brunsbüttel ist gerade einmal 16 Jahre alt. Die defekten französischen Boiler sind im Schnitt sogar jünger. Die Masse der französischen und bundesdeutschen Anlagen wurde jedoch erst in den 80er Jahren gebaut. Können Sie sich das Knacken, Reißen und Knirschen in den Rohrleitungssystemen und den Reaktordruckbehältern vorstellen, wenn sie sich einmal der geplanten Grenze ihrer Lebensdauer von 30 Jahren nähern?
({2})
- Greifswald arbeitet ja nicht mehr; das ist Ihnen ja wohl bekannt.
({3})
Es gibt in den USA bereits Überlegungen, die Betriebszeit von Anlagen auf 50 Jahre zu erhöhen. - Sie wissen doch, warum Greifswald nicht mehr arbeitet.
In den letzten Wochen wurde viel vom sogenannten Energiekonsens gesprochen. Ministerpräsident Schröder und seine Umweltministerin Griefahn wollen den Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergie in einem Brief von VEBA und RWE an den Kanzler erkannt haben. Das Ganze ist mittlerweile völlig zur Lachnummer geworden. Nach und nach erklärt die gesamte Elektrizitätswirtschaft, daß der Ausstieg für sie nicht in Frage komme.
Ich muß allerdings sagen, daß die SPD auch hier wieder einen äußerst zwiespältigen Eindruck hinterläßt.
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- Sie kommen auch noch dran! - Während einige durchaus ausstiegsbereit sind, schreibt der SPD-Kollege Niggemeier - ich zitiere -:
Da auch nicht anzunehmen ist, daß die Regierungen und Parlamente in 33 Ländern dieser Welt die dort in Betrieb befindlichen 417 Kernkraftwerke gemäß den sozialdemokratischen Parteitags - beschlüssen stillegen und auf die weitere Nutzung der Atomenergie für ihre Länder verzichten werden, sollte auch unter Berücksichtigung der internationalen Aspekte das von der Elektrizitätswirtschaft unterbreitete Angebot angenommen und eine gesellschaftlich tragfähige Konsensbildung gesucht werden.
Welchen Konsens meint eigentlich Ihr Kollege Niggemeier? Vielleicht das Konzept der Elektrizitätswirtschaft, nach 1995 neue Atomkraftwerke und neue energieverschwendende fossile Großkraftwerke zu errichten? Vielleicht wird der Standpunkt des Kollegen Niggemeier verständlicher, wenn wir uns seiner Mitgliedschaft im Präsidium des Deutschen Atomforums erinnern.
Die PDS/Linke Liste fordert einen Energiekonsens ohne Atomenergie. Wir fordern eine Wende hin zu umweltfreundlicher, sozialverträglicher und ressourcenschonender Energieversorgung in kommunalen Strukturen. In unserem Antrag zu einem energiewirtschaftlichen Gesamtkonzept haben wir ausführlich dargestellt, daß dies ohne Atomenergie bei gleichzeitiger Reduzierung aller Emissionen realisierbar ist. Nun ist die Bundesregierung am Zuge. Wo bleibt eigentlich das seit langem angekündigte energiewirtschaftliche Gesamtkonzept der Bundesregierung, Herr Töpfer? Die Risse in Brunsbüttel beweisen in aller Eindringlichkeit: Die sofortige Stillegung aller Atomkraftwerke ist nötig und möglich.
Im Osten ist es heute gang und gäbe, trotz riesiger Finanzlücken in den Kommunalhaushalten viele Straßen umzubenennen. Ich hoffe nicht, daß aus Brunsbüttel eines Tages „Tschernobüttel" wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 108 oder 130 Rißbefunde, zum Teil bis zu 6,3 mm tief, in nur 7,4 mm starkem Material, ein verbogenes Absperrventil, dies ist das zufällig entdeckte Ergebnis einer Routineuntersuchung im Kraftwerk Brunsbüttel. Diese Nachricht überrascht eigentlich heute niemanden mehr. Das ist doch schon fast an der Tagesordnung. Ich erlebe diese Debatte in ähnlicher Form immer wieder mit ähnlichen Problemen. Herr Töpfer aber sagt nun bereits am ersten oder zweiten Tag: Normalerweise ist alles nicht so schlimm. Das ist nur Wasser. Wir brauchen uns keine Gedanken zu machen; wir haben die sichersten Atomkraftwerke der Welt. ({0})
Auch daran haben wir uns gewöhnt. Aber merken Sie nicht, Herr Seesing, daß Sie sich damit selber zum Wortführer der Atomlobby machen, daß sich eigentlich hinter genau diesen Beteuerungen, daß die deutschen Atomkraftwerke den höchsten Sicherheitsstandard überhaupt haben, nichts weiter als wirtschaftliche Interessen verbergen? Denn das, was die Atomlobby mit dem Wort Restrisiko meint, ist das Abtun jeglicher Verantwortung sowohl für technische Mängel als auch für menschliches Versagen. Es ist eine Lobby, der es nur um die Durchsetzung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen geht, ungeachtet von Konsequenzen dieser Interessendurchsetzung und unge11796
achtet des Rechts der Menschen auf eine sichere Umwelt.
Es ist völlig unerheblich, ob die Risse nun herstellungsbedingt oder als Verschleißerscheinungen anzusehen sind. Faktum ist, daß sie vorhanden sind. Das bedeutet, daß es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Dies gilt es nur als Erkenntnis hinzunehmen. Ich bitte Sie, das einfach nur als Fakt hinzunehmen. In Ihren Reden suggerieren Sie immer, daß bei diesem winzigen Restrisiko, das da bleibt, überhaupt nichts passieren kann. Selbst dann, wenn das Risiko niedriger ist als anderswo, sind die Auswirkungen katastrophal, wenn dann doch etwas passiert. Bitte, tim Sie nicht immer so, als wenn das bei uns nicht eintreten könnte. Das ist eine Illusion, eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Wenn Sie nur das zugeben würden, würde sich die Diskussion auf einem ganz anderen und qualitativ besseren Niveau abspielen.
({1})
Alternativen wurden in den vergangenen zehn Jahren genügend aufgezeigt. Es ist höchste Zeit, eine Umsetzung derselben ernsthaft anzugehen. Die einzig mögliche Konsequenz, sicher zu sein, ist der Ausstieg aus der Atomenergie. Wir sind es den Menschen einfach schuldig, ihre ständig zunehmenden Ängste und Unsicherheiten bezüglich Umwelteinflüssen und -schädigungen ernst zu nehmen. Wir haben uns heute vormittag im Umweltausschuß darüber unterhalten, was die Leukämiefälle in Würgassen betrifft. Wir haben deutlich gesagt: Es ist nichts nachgewiesen. - Ich muß Ihnen aber eindeutig sagen: Es geht um die Ängste der Menschen vor dem, was in Tschernobyl eingetreten ist. Wenn die Regierung und Sie selbst - Herr Wieczorek hat das gemacht - die Medien kritisieren und sagen, sie hätten eine Kampagne gemacht, es sei fürchterlich hysterisch darüber berichtet worden, dann kann ich Ihnen nur entgegnen: Werfen Sie eine Lunte auf Beton, es passiert nichts. Aber es liegt eine Riesenmenge Stroh von Erfahrungen im Umgang mit Atomunglücken oder sonst etwas vor, und deshalb muß es dort brennen. Allein schon wegen dieser Ängste, aber nicht nur deswegen, sondern auch angesichts der zunehmenden Politikverdrossenheit müssen wir jetzt handeln. Es kann nicht angehen, daß die Verantwortlichen wieder einmal versuchen, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Vorwürfe werden hin- und hergeschoben. Es hat den Anschein, als wolle jeder nur mit heiler Haut davonkommen, anstatt nun endlich Konsequenzen zu ziehen.
Wie bekannt ist, ist nicht nur Brunsbüttel von marodem Stahl betroffen, sondern quer durch die Bundesrepublik stehen Atomkraftwerke, die mit eben diesem Stahl ausgerüstet wurden. Die Frage nach technischen Mängeln in diesen AKW wie z. B. Ohu, Philippsburg oder Würgassen drängt sich förmlich auf. Selbst wenn bisher keine Störungen vorgekommen sind, ich sage Ihnen: Wir werden Aktuelle Stunden zu all diesen Kernkraftwerken haben.
Seit Monaten wird über den energiepolitischen Konsens verhandelt; aber was gibt es denn da überhaupt zu verhandeln? Die Fakten liegen doch alle auf dem Tisch. Weitere Worte sind überflüssig und lenken lediglich von konkreten Taten ab. Diese können wirklich nur Ausstieg aus der Atomenergie sein.
Ich kann meinem christdemokratischen Kollegen mir zustimmen, der anläßlich der technischen Panne im neuen Plenarsaal hinsichtlich der Siemens-Anlage gesagt hat: „Und die wollen Atomreaktoren exportieren?!" Allein daran können wir sehen, daß in dieser Hinsicht einiges zu tun ist. Es ist mir unangenehm, wenn mir einige Leute im Ausland in Sachen Atomenergieexport - auch wenn es bloß den Transport von technischen Mitteln von Greifswald in andere Länder betrifft - sagen müssen: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Das darf nicht weiter so sein.
({2})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Kritiker der Kernenergie, Robert Jungk, hat den Satz formuliert: „Ich will nicht sachlich sein, ich bin besorgt." Ich möchte für mich diesen Satz genau umdrehen: Gerade weil ich besorgt bin, muß ich zunächst einmal sachlich sein. Das möchte ich hier gerne tun, damit wir, von dieser Sachlichkeit ausgehend, nicht wechselseitig Urteile, Verurteilungen vornehmen, sondern gesprächsbereit bleiben in einer Angelegenheit, die des Konsenses über die Parteien hinweg dringlich bedarf.
({0})
Jeder, meine Damen und Herren, der diese Basis heute in Frage stellt, wird morgen mehr daran arbeiten müssen, sie wiederherzustellen.
Ich bin außerordentlich dankbar, daß der Ablauf der Dinge klargemacht worden ist. Rißbildungen an Schweißnähten bei austenitischen Stählen sind uns seit Juli 1991 bekannt. Sie sind uns auch nicht zufällig bekanntgeworden, sondern wir haben aus unserem Ministerium heraus eine Technik entwickelt, um durch entsprechende Verfahren Leitungen und Schweißnähte zu überprüfen. Diese sind deswegen dann auch untersucht und beurteilt worden. In Übereinstimmung mit der nordrhein-westfälischen Genehmigungsbehörde ist Würgassen nach diesen Dingen wieder ans Netz gegangen.
({1})
Wir haben die Erkenntnisse, wie es sich gehört, über die Gesellschaft für Reaktorsicherheit allen anderen Kernkraftwerken und deren Betreibern und den zuständigen Aufsichtsbehörden mit Datum vom März 1992 und erneut im August 1992 bekanntgemacht. Es sind daraufhin natürlich Untersuchungen durchgeführt worden, nicht nur in Brunsbüttel. Sie sind noch nicht abgeschlossen, aber sie sind durchgeführt worden. Ich halte es für selbstverständlich, daß sie nach den erneuten Kenntnissen schneller und nachdrücklicher durchgeführt werden.
Die Kenntnisse über Anzeigen in Brunsbüttel sind uns eben nicht zufällig am 31. Januar 1993 zugekommen, sondern sie sind uns seit dem 19. November 1992 bekannt, und zwar auch der Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein. Dorthin sind sie nämlich gemeldet worden, nachdem im Stillstand der Anlage die Untersuchungen durchgeführt worden sind. Schleswig-Holstein hat keine Veranlassung gehabt, im November letzten Jahres den Alarm zu schlagen, den man jetzt schlagen zu müssen glaubt. Da muß man sich doch fragen, meine Damen und Herren: Wo ist denn jetzt eine Unterscheidbarkeit? Diese Risse sind in der Kategorie N ({2}) - der untersten Kategorie - vom Betreiber an die Aufsichtsbehörde gemeldet worden.
({3})
Die Aufsichtsbehörde hat keine Veranlassung gehabt, diese N-Meldung zu korrigieren und zu sagen, das wäre mehr, sondern sie ist dann über die Behörde zu uns gekommen, wie sich das gehört. Das ist überhaupt nicht zu kritisieren, meine Damen und Herren. Dann haben wir gesagt: Wir müssen so schnell wie möglich die Befunde weiter untersuchen. - Deswegen haben wir die GRS gebeten: Geht in die Anlage, seht euch das noch mal zusätzlich an. - Wir haben am 19. Januar die RSK mit ihrer zuständigen Arbeitsgruppe dazugebeten. Die Kollegen in Schleswig-Holstein haben uns mit Datum vom 28. Januar dazu geschrieben. Das war am Donnerstag. Am Sonntag geht dann diese Meldung als „überraschende" Erkenntnis durch die Medien. Es geht nicht darum, die Medien zu kritisieren, keineswegs. In dem Schreiben an die Bundesaufsicht aus der vergangenen Woche heißt es - ich zitiere -, „daß eine jetzige Befassung der RSK verfrüht ist, weil ich" - gemeint ist die Aufsichtsbehörde Schleswig-Holstein - „noch keine gutachterliche Bewertung in Händen und selbst noch keine abschließende Bewertung vorgenommen habe." - So weit das Zitat.
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Zwei Tage später erfahre ich über das Fernsehen, daß ich zögerlich gehandelt h,itte, weil ich diese Information anderen nicht weitergegeben hätte, was wir aber doch bereits im August letzten Jahres zum zweitenmal getan haben. Da wird doch wohl jeder Verständnis dafür aufbringen müssen, daß man fragt: Welche zusätzlichen Motive spielen da eine Rolle?
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- Das ist nicht so, weil ich das will, sondern weil die Zusammenhänge so sind.
Ich sage deswegen zusammenfassend folgendes.
Erstens. Ich werde am 8. Februar 1993 darum bitten, daß die anberaumte Sitzung des Reaktorsicherheitskommissionsausschusses durchgeführt wird. Es wird eine vertiefte Darstellung der Sach- und Gutachtenlage erwartet, auf deren Basis eine Stellungnahme der gesamten RSK zu den Befunden am Kernkraftwerk Brünsbüttel vorbereit wird.
Zweitens. Ich werde eines ganz klar festhalten, meine Damen und Herren: Vergleichbare Befundsituationen sind bei anderen Kernkraftwerken im diesbezüglich laufenden Untersuchungsprogramm in dieser Form nicht festgestellt worden. Es gibt vereinzelt Hinweise auf den einen oder anderen Befund, die genauso aufgegriffen werden.
Drittens. Bislang kann noch nicht abschließend bewertet werden, ob die Risse im Kernkraftwerk Brunsbüttel ausschließlich herstellungsbedingt oder teilweise im Betrieb entstanden sind bzw. sich verändert haben. Was ich gesagt habe, ist, daß die Wertungen, die uns bisher vorliegen - etwa zu Würgassen -, besagen, daß sie herstellungsbedingt sind. Von daher sind die Entscheidungen für Würgassen damals gefällt worden.
Das war keine vorschnelle Beurteilung, sondern es war eine fundierte Sachfeststellung. Die atomrechtliche Aufsichtsbehörde in Schleswig-Holstein wird in dieser Weise von uns genauso unterrichtet.
Viertens. Welche Konsequenzen sich für das zur Zeit in Revision befindliche Kernkraftwerk Brunsbüttel sowie andere Kernkraftwerke ergeben, hängt vom Ergebnis der weiteren Untersuchungen ab. Ich nehme überhaupt keine vorschnelle Wertung vor, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Es wäre ein Mißachten der Gutachter, die hier tätig sind, wenn wir eine solche vorschnelle Beurteilung vornehmen würden. Ich tue es nicht. Nach derzeitiger Einschätzung werden sicherlich umfangreiche Reparaturmaßnahmen an den austenitischen Rohrleitungen vor einem Wiederanfahren der Anlage unumgänglich werden. Hinsichtlich anderer Anlagen kann sich eine Vertiefung und Erweiterung der derzeit laufenden Prüfprogramme ergeben. Das hängt davon ab, inwieweit die Befunde in Brunsbüttel für diese Anlage spezifisch sind oder nicht.
Fünftens. Bei Rißbildungen weisen die austenitischen Komponenten in der Regel noch erhebliche Tragreserven auf. Auch das habe ich nicht vorschnell gesagt, sondern das ist seit 1991 so ermittelt worden. Das Kernkraftwerk Brunsbüttel ist darüber hinaus wie alle anderen deutschen Kernkraftwerke gegen Kühlmittelverluststörfälle ausgelegt. Vielleicht nimmt das der Kollege Feige zur Kenntnis, bevor er sich hier mit leichtfertigen und unerträglichen Aussagen zu Wort meldet.
({6})
Selbst wenn es zu einem Bruch einer dieser Leitungen kommen sollte, kann eine unbeherrschbare Gefährdungssituation nicht entstehen.
({7})
Ich gehe davon aus, daß wir bei Sachlichkeit auch wieder die Möglichkeit haben, über einen Konsens in der Energiepolitik in Deutschland zu sprechen, was wir vor dem Hintergrund der Entwicklung in Europa und darüber weit hinaus dringlich brauchen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({8})
Es erhält jetzt der Herr Staatsminister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten von Hessen, Joseph Fischer, das Wort.
Staatsminister Joseph Fischer ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesumweltminister Töpfer hat gerade gesagt, weil er besorgt ist, will er sachlich sein.
({1})
Im Ton hat er sich um Sachlichkeit bemüht. Wenn man sich allerdings den Inhalt seiner Rede angehört hat, mußte man feststellen, daß viel Unsachliches drinsteckte.
({2})
Meine Damen und Herren, Risse im Atomkraftwerk Brunsbüttel führten in der Öffentlichkeit - so in der „Frankfurter Rundschau" vom 2. Februar 1993 - zu der Überschrift „Risse im Vertrauen" . In der Tat sind diese Risse im Vertrauen nach dem, was Herr Töpfer gerade vorgetragen hat - wenn man sorgfältig und mit Sachkenntnis versehen zugehört hat -, eher größer geworden. Denn der Bundesumweltminister hat massiv relativiert, was er in den letzten Tagen den Medien gegenüber an Eindruck erweckt hat. Denn gestern ging über alle Medien - ich zitiere wieder die „Frankfurter Rundschau" -:
Nach Ansicht Töpfers bedeuten sie
- die Risse auch im Fall eines Betriebs keine Gefahr.
So lief das über alle Medien. Wenn ich eben richtig zugehört habe, sieht er sich noch nicht in der Lage, diese Aussage zu treffen, sondern behält sich die endgültige Entscheidung nach entsprechenden fachtechnischen Prüfungen vor.
({3})
- Herr Kollege Töpfer, ich höre gerne zu und Ihnen ganz besonders. Denn meistens kommt in besorgtem Ton etwas völlig Sorgloses in Fragen Reaktorsicherheit bzw. Reaktorunsicherheit daher.
({4})
Ich höre Ihnen gerne zu.
Die entscheidende Frage, um die es letztendlich geht, ist die Frage, ob diese Risse herstellungs- oder betriebsbedingt sind. Der Deutsche Bundestag und die Länder hätten sich schon dafür interessiert, wie Sie auf der einen Seite öffentlich den Eindruck erwecken können, die Risse seien im wesentlichen alle herstellungsbedingt, d. h. man bräuchte sich keine Sorgen zu machen, es gleichzeitig aber die Behauptung des Kollegen Jansen
({5})
und der zuständigen Fachaufsicht, der entsprechenden Kontrollbehörde in Schleswig-Holstein gibt, daß es sich bei mindestens vier Rissen um betriebsbedingte Risse handeln solle. Das ist eine Frage, Kollege Töpfer, die von entscheidendem Interesse ist, auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitsbewertung. Da muß ich Ihnen sagen: Was Sie öffentlich gemacht haben, war eine unverantwortliche Unbedenklichkeitserklärung.
({6})
Denn Sie haben zumindest den Eindruck erweckt, das alles wäre aus Ihrer Sicht harmlos und verursache keine zusätzliche Sorge.
Heute haben wir wieder einen echten Töpfer erlebt. In gravitätisch besorgtem, nachdenklichem staatsmännischen Ton kündigt er uns eine Sitzung der Reaktorsicherheitskommission als Konsequenz aus diesen Vorkommnissen an, bei denen wirklich höchste Besorgnis angemessen ist. Warum tut der Kollege Töpfer das? Warum diese vorschnelle Reaktion, obwohl man ihn doch als einen sehr vorsichtig agierenden, sich in Sicherheitsfragen möglichst nicht festlegenden Reaktorsicherheitsminister kennt? Wenn es sich um herstellungsbedingte Risse handelt, geht es um eine der zentralen Säulen der Sicherheitsphilosophie für alle Atomreaktoren, nicht nur für die Siedewasserreaktoren. Es ist die Frage, ob die Säule „Leckage vor Bruch" noch trägt. Wenn sie nicht mehr trägt, Kollege Töpfer - das wissen Sie und Ihre Experten nur zu gut -, bekommen Sie ein gewaltiges Problem. Dann brauchen wir nämlich keine Konsensgespräche mehr zu führen. Dann werden diese Fragen auf ganz anderer Ebene zu entscheiden sein. Dann wird selbst der zuständige Bundesumweltminister unter gewaltigen Handlungsdruck geraten. Denn wenn die Risse an den Rohrleitungssystemen aus Austenitstahl betriebsbedingt sind, bricht eine der tragenden Säulen Ihrer Reaktorsicherheitsphilosophie weg. Deswegen - einen anderen Grund kann ich nicht erkennen - versuchen Sie, dem Kollegen Jansen gegenüber in Verfahrensfragen zu flüchten. Gleichzeitig haben Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt - nicht nur in einer Zeitung, sondern in allen und auch im Rundfunk; ich selbst habe es gehört und habe mich gefragt: Woher weiß der das eigentlich alles schon? -, das alles wäre völlig harmlos und beherrschbar und würde nicht ans Eingemachte der Reaktorsicherheitsphilosophie gehen.
Herr Kollege Töpfer, das alles paßt letztendlich in ein Bild, das Sie in letzter Zeit als zuständiger Minister abgeben. Gestern bekam ich einen Brief, in dem Sie uns erklären, Plutoniumflüge über dem Rhein-MainGebiet seien völlig harmlos. Sie werden sie auch weiter genehmigen und zulassen. Für eine solche lapidare Antwort wird sich die Bevölkerung im RheinMain-Gebiet bei Ihnen und der Bundesregierung ganz furchtbar bedanken. Es paßt dazu, daß Sie in Hanau wieder mit Weisungen arbeiten. Es paßt dazu, daß Sie beim Auftauchen eines solchen eminenten Sicherheitsproblems unverantwortliche Unbedenklichkeitserklärungen abgeben. Das alles zeigt, daß Sie als zuständiger Minister gegenüber der Atomindustrie offensichtlich keine Handlungsspielräume und keine Handlungsfähigkeit mehr haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.
({7})
Staatsminister Joseph Fischer ({8})
Das geschieht vor dem Hintergrund des Versuchs, einen Energiekonsens herbeizuführen.
({9})
Da kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kollege Töpfer: So
wird es mit einem Energiekonsens garantiert nichts.
({10}) So wird es nichts.
Ich will noch ein Weiteres hinzufügen. Es wird - das behaupte ich - akut nicht nur zu hohen Risiken in der Reaktorsicherheit kommen, sondern auch zu politischen Risiken. Denn was wir aus dem Fall Brunsbüttel jenseits der sicherheitstechnischen Fragen auch lernen können, ist, daß die Atomindustrie nach wie vor sich selbst der gefährlichste Gegner ist, wenn man es politisch bewertet. Insofern kann ich Sie nur davor warnen, zu glauben, ein Energiekonsens wäre herstellbar, wenn Sie sich gleichzeitig massiv zum Vertreter der Interessen der Atomindustrie machen und nicht Reaktorsicherheitsminister sind. Wenn Sie sich wie im Fall Brunsbüttel dazu hergeben, Reaktorsicherheitsminister zu sein, können Sie sich aus meiner Sicht die ganzen Bemühungen sparen.
({11})
- Ich wiederhole es: Wenn der zuständige Minister - das hat nichts mit Polemik zu tun - an dem Tag, an dem dieses ruchbar wird, der Öffentlichkeit gegenüber erklärt, er sehe keine Gefahr - so steht es hier wortwörtlich -, und sich einen Tag oder zwei Tage danach hier im Bundestag hinstellt und erklärt, er könne dieses noch gar nicht entscheiden, dann wird, so leid es mir tut, ein Reaktorsicherheitsminister zu einem Reaktorunsicherheitsminister.
({12})
Das hat nichts mit Polemik zu tun.
Langer Rede kurzer Sinn: Auf dieser Grundlage wird es nichts werden mit einem Energiekonsens, den ich für dringend geboten halte, weil diesem Energiekonsens die essentiellen Grundlagen fehlen, wenn Sie weiterhin eine Politik betreiben wie jetzt im Falle Brunsbüttel und in anderen Fällen.
({13})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Dietrich Austermann.
({0})
Der weiß nicht nur, Herr Präsident, meine Damen und Herren, wo Brunsbüttel liegt, sondern er war auch schon im Kernkraftwerk Brunsbüttel und hat sich mit den Mitarbeitern dort unterhalten, hat mit der Werksleitung gesprochen und sich auch erklären lassen, was es denn tatsächlich mit den Dingen auf sich hat.
Herr Fischer, der offensichtlich Herrn Jansen vertreten soll, der sich nicht hierhergetraut hat, nachdem er eine Lawine losgetreten hat, hat dem Bundesumweltminister vorgeworfen, es sei unverantwortlich, was er tue.
({0})
Ich sage nach dem, was ich weiß: Herr Fischer betreibt unverantwortliche Panikmache. Es gibt keinen Fall Brunsbüttel,
({1})
sondern es gibt - das ist seit November 1992 bekannt - eine Zahl von Rissen, die im November letzten Jahres Minister Jansen gemeldet worden sind, von denen er seit dem 16. November letzten Jahres weiß.
({2})
Er hat darüber am vergangenen Sonntagabend in einer Eilmeldung in den „Tagesthemen" berichtet.
Da fragt man sich natürlich, wie so manches in der Zusammenarbeit zwischen bestimmten Medien und bestimmten Politikern funktioniert.
({3})
Die nach mir folgende Rednerin wird sicherlich deutlich machen, woran es eigentlich liegt, daß diese Seilschaften immer rechtzeitig zustanden kommen.
Der Minister hatte es zwei Tage zuvor noch abgelehnt, daß sich die Reaktorsicherheitskommission mit dieser Sache befaßt.
Ich darf deutlich machen: Die deutschen Kernkraftwerke haben 1992 7,6 % mehr Strom erzeugt als im Vorjahr. 20 Kernkraftwerke lieferten 160 Milliarden Kilowattstunden; das war das höchste Ergebnis, das je erzielt wurde. Damit wurden im letzten Jahr 160 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermieden.
Diese Fakten zeigen, daß die Kernenergie nach wie vor einen schwer verzichtbaren umweltfreundlichen Beitrag zur Stromversorgung in Deutschland leistet. Trotzdem ist die Union der Auffassung: Wir brauchen Energieträger, die preisgünstig, verfügbar, umweltfreundlich und sicher sind. Alle vier Kriterien erfüllt die Kernenergie, wenn man verantwortlich mit ihr umgeht, kein anderer Energieträger.
Die SPD will nun in der Aktuellen Stunde deutlich machen, daß es diesen verantwortlichen Umgang nicht gibt. Die unberechtigten Vorwürfe kommen jetzt wieder von solchen Politikern, bei denen Energiepolitik seit langem Ideologie, Umweltignoranz, Schikane und Verunsicherung bedeutet. Ich halte es für unverantwortlich, daß bisher niemand darauf hingewiesen hat, daß das Kernkraftwerk in Brunsbüttel seit August letzten Jahres wegen einer routinemäßigen Untersuchung stillsteht. Dies war den Fernsehnachrichten nicht zu entnehmen.
({4})
Es war den Fernsehnachrichten auch nicht zu entnehmen, daß es sich um routinemäßige Untersuchungen handelt, die ganz klare Aufschlüsse über das Vorliegen von Fehlern geben sollten. Niemand hat deutlich
gemacht, daß es sich wahrscheinlich um ganz normale, durch Oxidablagerungen erkennbare Zustände an Schweißnähten handelt, die an allen Schweißnähten üblich sind,
({5})
die seit 1976 dort zu verzeichnen sind.
Das Kernkraftwerk Brunsbüttel meldete der Aufsichtsbehörde in Kiel am 14. November 1992, daß bei der Überprüfung von Schweißnähten während der Revisionsarbeiten durch Röntgenaufnahmen Rißanzeichen - nicht Risse - entdeckt worden sind. Das war eine Meldung nach der sogenannten Stufe N.
Das nahm Herr Jansen zehn Wochen später, am vergangenen Sonntagabend zum Anlaß, im Fernsehen eine dringende Gefahr an die Wand zu malen, nachdem sich die Reaktorsicherheitskommission angesagt hatte, von der Herr Jansen am Tag zuvor gefordert hatte, sie müsse endlich kommen. Danach meinte er aber, dessen bedürfe es nicht. Da wurde mit Angst spekuliert.
Ich halte es für unverantwortlich, daß man berechtigte Besorgnisse in der Bevölkerung verschärft und die ideologische Verblendung als Keule gegen das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung benutzt. Dies halte ich für schlimm.
Die SPD-Landtagsfraktion hospitierte mit einer Pressemeldung, in der behauptet wird: „Zu heute bekanntgewordenen Informationen über betriebsbedingte Risse im Kühlsystem des Kernkraftwerks Brunsbüttel ..." An dieser Meldung hat nichts gestimmt außer den Worten „Kernkraftwerk Brunsbüttel" . Weder ist bewiesen, daß es betriebsbedingte Risse sind, noch sind sie „heute" bekanntgeworden, noch kann man einfach feststellen, daß Risse vorhanden sind.
Richtig ist vielmehr, daß in Schweißnähten der Rohrleitungen für Lagerdruckwasser, die durch zwei Sicherheitsarmaturen den Reaktorbehälter vom umschließenden System abgrenzt, eine Schweißfuge festgestellt wurde. Das grobkörnige Gefüge des Grundmaterials - das kann man sich jederzeit vor Ort ansehen und erklären lassen - und der darauf befindliche Oxidbelag haben erkennen lassen, daß die sogenannten Risse bereits beim Schweißen, d. h. bei Errichtung des Kernkraftwerkes 1976 entstanden sind.
Die Tragfähigkeit der Druckwasserleitung steht außerhalb jeden Zweifels, sonst hätte man in der Tat Konsequenzen ziehen müssen, die aber in anderen Bundesländern überhaupt nicht gezogen worden sind.
Durch eine parlamentarische Anfrage in Kiel wurde deutlich, daß die Leitung des Kernkraftwerks seit etwa zwei Jahren im Werk andere Rohrleitungen einbauen wollte. Sie liegen seit anderhalb Jahren zum Einbau bereit. Die Landesregierung ist als Aufsichtsbehörde nicht in der Lage, darüber eine Entscheidung zu treffen.
Aber dann kann man doch wohl nicht berechtigterweise zum Ausdruck bringen, man habe bestimmte Sorgen bezüglich der Gefährdung der Bevölkerung und der Umwelt. Der Bundesumweltminister als der für die Reaktorsicherheit zuständige Minister hat durch eine Fülle von Entscheidungen in den vergangenen Jahren deutlich gemacht, daß für die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit die Sicherheit bei der Energieversorgung oberstes Gebot ist. Die notwendige Entscheidung zur Stillegung des riesigen Kraftwerks Greifswald und zum Nichtweiterbau von Stendal macht dies deutlich. Wir fordern die SPD auf: Beenden Sie das Geschäft mit der Angst und der Verunsicherung der Bevölkerung. Schikane, Ideologie und Ignoranz sind schlechte Berater, wenn es darum geht, vernünftige Entscheidungen zu treffen.
Für uns bleibt es dabei: Die Sicherheit bei der Energieversorgung ist oberstes Gebot.
Vielen Dank.
({6})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Kollegin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, die von Ihnen beschworene Sachlichkeit ersetzt nicht das Einfühlungsvermögen in die Sorgen der Betroffenen und auch nicht den Ernst der Bedenken, den es tatsächlich gibt. Leider haben wir ein trauriges Beispiel der ideologisch bedingten Verharmlosung, kombiniert mit Medienschelte, durch meinen Vorredner geboten bekommen. Ich bedauere das.
Liebe Kolleginnen und Kollegen; versetzen Sie sich bitte für einen Moment in die Lage der Menschen, die in Brunsbüttel und der näheren Umgebung leben. Im Industriegebiet haben sich vorwiegend Chemieunternehmen angesiedelt. Die strukturschwache Region erhält dadurch Arbeitsplätze. Die Bevölkerung weiß das zu schätzen.
Demnächst wird dort eine Sonderabfallverbrennungsanlage gebaut. Auch das wird von der Mehrheit der Anwohner akzeptiert, trotz mancher hitzigen Auseinandersetzung.
Schließlich gibt es dort den betagten Atomreaktor. Ein anderer, ebenfalls durch Pannen nicht unbekannter, steht praktisch schräg gegenüber am anderen Elbufer bei Stade. Ein Stück stromaufwärts von Brunsbüttel erhebt sich ein moderneres Kernkraftwerk, dessen Name für die Antiatombewegung Symbolkraft erlangte: Brokdorf.
Die Menschen dort haben sich an die Gegebenheiten ihres Umfelds gewöhnt, aber sie verlangen Sicherheit und Schutz vor allen Gefahren, die mit dieser Umgebung einhergehen. Sie sind hochsensibel. Man muß auf diese Interessen eingehen. Das weiß ich als Abgeordnete dieses Kreises aus vielen Gesprächen.
Erst kürzlich wieder machten alarmierende Gerüchte über eine Häufung von Leukämiefällen in diesem Gebiet die Runde. Mir ist bekannt, meine Damen und Herren, daß die Untersuchungen nicht wissenschaftlich erhärtet sind. Panikmache liegt mir hier fern. Aber ich will Ihnen einfach klarmachen, auf welche Stimmungslage die jüngsten Vorfälle um den
Meiler von Brunsbüttel an Ort und Stelle treffen müssen.
Allein im ersten Jahrzehnt nach seiner Inbetriebnahme wurden 158 Störfälle registriert. Es gab später immer wieder Mängel und Fehler, Bolzen rissen auf, Schrauben verschwanden. Jetzt also Risse im Rohrsystem.
Es ist nur konsequent, richtig und notwendig, daß das Werk abgeschaltet bleibt, bis alle denkbaren Ursachen und Folgen geklärt sind, und zwar lückenlos. Daß damit das Problem nur kurzfristig gelöst ist, wissen wir alle. Vor allem aber: Es ist wieder einmal der fatale Eindruck entstanden, daß sich das Bundesumweltministerium, Herr Minister, wie auch die Hamburgischen Elektrizitätswerke vor der frühzeitigen und umfassenden Aufklärung gedrückt haben.
({0})
Es ist ein Kardinalfehler der Atompolitik, meine Damen und Herren, den man vermeiden muß. Die Menschen in Brunsbüttel und überall dort, wo Pannen und Mängel an Kernkraftwerken auftreten, haben einen Anspruch auf Klarheit und Wahrheit. Was sie nicht brauchen können, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Beschwichtigung, Vernebelung, Verharmlosung von Tatsachen.
({1})
Der Energieminister von Schleswig-Holstein kämpft seit Jahren für ein Konzept zum Ausstieg aus der Kernenergie, das die SPD des Landes seit den 70er Jahren vertritt.
({2})
Die Weisungsbefugnis des Bundes schnürt seinen Handlungs- und Entscheidungsspielraum ein, das wissen Sie. Immer wieder muß er mit Sicherheitsüberprüfungen den Beweis dafür erbringen, daß es eben keinen absoluten Schutz vor den Risiken der Kernkraft gibt. Das Schwarze-Peter-Spiel, das Sie hier probieren, machen wir nicht mit. Der Informationspolitik des Ministers ist nichts vorzuwerfen.
({3})
Im übrigen: Die Hartnäckigkeit, Wachsamkeit und Ehrlichkeit eines Günther Jansen vermisse ich bei dieser Bundesregierung, wenn es um die Kernenergie geht.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist offenbar wieder Zeit, daran zu erinnern: Die Sicherheit, die hier in der Atomenergie verlangt wird, duldet keine Abstriche und keinen Kompromiß. Eine Technologie, die menschliches Versagen nicht verzeiht und bei der Materialschäden unabsehbare Konsequenzen und
Ängste heraufbeschwören, können und dürfen wir uns auf die Dauer eben nicht leisten.
({5})
Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Karl-Hans Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, ich stimme ja mit Ihnen überein, daß es unsere Aufgabe ist, Beunruhigung und Verunsicherung von der Bevölkerung zu nehmen.
({0})
Aber ob Ihre und die Aktion von Herrn Jansen, begleitet von den Medien, dazu geführt hat, diese Beruhigung herbeizuführen, wage ich zu bezweifeln. Denn die Leute in Brunsbüttel wissen seit August, daß das Kernkraftwerk stillgelegt ist und daß seit November die Risse entdeckt worden sind. Das war auch Herrn Jansen bekannt. Und vor wenigen Tagen wurde die Nachricht groß herausgepustet, dort hätte es sozusagen fast eine Katastrophe gegeben. So ist es doch angekommen.
Ich habe mir die Sendung im Fernsehen angeschaut und war zunächst einmal total verwirrt. Was dort gezeigt wurde, entsprach überhaupt nicht der Wahrheit. Dem Herrn Timm, den man gebeten hatte, dort Stellung zu nehmen, wurde dann das Wort abgeschnitten, als er die Fakten wirklich auf den Tisch legen wollte, um klarzustellen, worum es eigentlich geht,
({1})
daß es bei diesen Vorgängen eben nicht um das Kühlsystem als solches geht, sondern um die Pumpenschmierung. Es handelt sich überhaupt nicht um sicherheitsrelevante, sondern um betriebsnotwendige Anlagenteile. Selbst wenn diese ausfallen, laufen der Naturumlauf und die Kühlung nachdrücklich weiter.
({2})
Die Risse haben mit der Kühlung überhaupt nichts zu tun. Das andere ist das Reaktorwasserreinigungssystem. Auch das hat mit den Sicherheitsaspekten überhaupt nichts zu tun.
({3})
Nun will ich nicht verhehlen, daß es sicherlich wichtig ist, das festzustellen. Ich habe auch beim Umweltminister Töpfer nichts anderes gehört. Er hat sich auch nicht leichtfertig um Informationen gedrückt. Ich möchte sagen, daß hier leichtfertig mit der Wahrheit umgegangen wird und nicht mit den Sicherheitsauflagen in einem Kernkraftwerk. Ich glaube, in dieser Richtung sind wir alle sehr sensibel. Das wollen wir doch noch einmal deutlich herausstellen.
Ich meine, daß man durchaus der Frage nachgehen muß, wo Risse in diesem Rohrleitungssystem herkommen, auch wenn es sich nicht um hochsicherheitsoder sicherheitsrelevante Systemteile handelt. Es ist für einen Konstrukteur und Ingenieur schon wichtig, zu wissen, wo die Risse herkommen. Nun weiß man von austenitischen Stählen, daß es Heißrisse bei den Schweißnähten gibt. Die Prüfverfahren sind verfeinert und verbessert worden, so daß man heute in der Lage ist, mit dem hohen Auflösungsvermögen der neuartigen Meßgeräte Dinge festzustellen, die wir vor zehn Jahren noch nicht feststellen konnten. Auch das muß einmal gesagt werden. Wenn heute gerätselt wird, ob es sich in dem einen oder anderen Fall um die betriebsbedingte Erweiterung eines Risses handelt oder nicht, dann wird diese Frage sehr sorgfältig zu prüfen sein. Sie wird auch sehr sorgfältig geprüft. Sie können sich darauf verlassen, daß wir dieses Ergebnis abwarten.
Inzwischen stellt sich aber schon die Frage: Wie kommt es zu dem Unterschied zwischen dem Erstbild, dem Röntgenbild der Schweißnaht von 1979, und der jetzt festgestellten Erscheinung? Dies muß einmal analysiert werden. Es ist nämlich noch gar nicht sicher, ob es sich um eine Rißerweiterung handelt oder nicht. Aber hier wird schon so getan, als ob das ganze Ding am Zusammenbrechen sei.
Man sollte die Bevölkerung nicht weiter verunsichern, sondern ehrlich feststellen, woran es liegt,
({4})
welche Relevanz es für die Sicherheit hat. Es hat nämlich keine Relevanz für die Sicherheit. Außerdem sollte man nicht so tun, als ob es sich um das hochempfindliche Kühlkreis- und Kühlsystem handelte, das ohnedies redundant ausgelegt ist. Von daher sind auch bei einer Leckage keine Schwierigkeiten, keine Probleme im Betrieb zu erwarten oder zu befürchten.
({5})
Sollte ein Leck auftreten, wird im Naturumlauf die Pumpenschmierung weiterlaufen. Alles andere ist für die Sicherheitsbeurteilung des Betriebs überhaupt nicht relevant.
Ich habe die Vermutung, daß es beim Hochspielen dieser Geschichte, nachdem man davon schon drei oder vier Monate wußte, um politische Dinge geht. Vielleicht sollte doch der Ansatz von Herrn Schröder gestört werden, sich mit einigen EVU zu arrangieren.
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- Nein, nein, das ist Demagogie um die Restzeitnutzung. Herr Schröder war doch bereit, dies zu tun. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Unter Berücksichtigung der hohen Sicherheitsanforderungen, die wir stellen, wäre es mir lieber, wir würden die älteren Kernkraftwerke durch neue mit neuer, verbesserter Sicherheit und neuer, verbesserter Technik ersetzen.
({7})
Das wäre mir lieber. Die Vereinbarungen, die sich abzuzeichnen beginnen, halte ich für ein Übel. Hier sollte offensichtlich von anderer Seite der SPD, aus anderer Sicht Störfeuer gegeben werden.
({8})
Das dient wirklich nicht einer sachlichen Aufklärung unserer Bevölkerung.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner ist unser Kollege Dr. Klaus Kübler.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Töpfer, es geht heute nicht um die Setzrisse auf Grund von Grundwasserabsenkungen in meinem Wahlkreis. Sie haben ja letzte Woche einen Besuch bei mir im Wahlkreis gemacht und dort, wenn ich dies sagen darf, sehr vernünftige Dinge gesagt. Es geht heute um wesentlich schwierigere Fragen. Bevor ich auf Ihre Ausführungen eingehe, will ich herausstellen, daß Herr Laermann unserer Meinung nach eines sehr zu Recht gesagt hat. Es sind auch nach Ihrer Meinung, Herr Laermann, und nach den Informationen, die Sie haben, offensichtlich betriebsbedingte Risse. Ich halte das für eine wichtige Aussage. - Wenn Sie jetzt den Kopf schütteln, sage ich: Das steht auch im Protokoll.
Herr Töpfer, obwohl es nicht der einzige entscheidende Punkt ist, will ich noch einmal auf die Vorwürfe an die Landesregierung von Schleswig-Holstein eingehen. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat nach den mir vorliegenden Unterlagen zeitlich absolut korrekt gehandelt. Ich betone - und ich möchte dies eigentlich auch Ihnen zum Vorwurf machen -, daß am 19. Januar, als die Reaktorsicherheitskommission zu dem Punkt tagte, die vollen Unterlagen des Betreibers noch nicht vorlagen, obgleich dein Betreiber rechtzeitig vor diesem Termin die dann später unterbreiteten Unterlagen schon vorlagen.
({0})
Ich frage Sie, warum Sie dem Betreiber nicht einen Rüffel erteilen, wenn Sie es wirklich ernst meinen.
({1})
Das zuständige schleswig-holsteinische Ministerium hat nach den mir vorliegenden Informationen erst am 27. Januar die zutreffenden Prüfprotokolle bekommen.
({2})
Und dann mit Zwangsandrohung - ich will überhaupt nicht auf Einzelheiten eingehen.
({3})
Dies sind - ich wiederhole es - Informationen, die mir auf Grund schriftlicher Unterlagen vorliegen.
({4})
- Sie können ja hinterher etwas dagegen sagen. - Ich bleibe dabei, Herr Austermann: Die Unterlagen sind nicht rechtzeitig vorgelegt worden. Das Land Schleswig-Holstein hat zeitlich absolut korrekt gehandelt.
Es war ja nicht die SPD oder das Land Schleswig-Holstein, das das Thema aufbrachte. Man muß ja einmal sehen, was in der Presse über den Vorfall kam. Man kann das deshalb auch nicht auf die Landesregierung oder auf einzelne Abgeordnete abschieben. Es stellt sich in der Tat erneut die Frage - und die Presse ist sensibel genug -: Wie sicher sind die deutschen Kernkraftwerke, und wie gehen Politik und Betreiber mit der Sicherheit dieser Kernkraftwerke um?
Wenn Sie selbst, Herr Töpfer, sagen, daß am 8. Februar eine neue Sitzung der Reaktorsicherheitskommission stattfindet, wie kommen Sie dann dazu - Sie haben es heute nicht widerrufen -, vor dieser Sitzung zu sagen, daß Sie selbst bei Wiederinbetriebnahme keine Bedenken hätten? Es ist im übrigen ganz unbestritten, daß aus ganz anderen Gründen abgeschaltet worden ist. Sie sind die Antwort darauf heute hier schuldig geblieben.
Ich füge hinzu, gerade umgekehrt: Ich glaube nicht, daß Sie mit Ihrer Art denjenigen, die in Zukunft unbefristet für die Kernenergie sein wollen, mit Ihrem Verhalten genützt haben. Aber vielleicht wollten Sie denen auch gar nicht helfen, aber Sie sind auch kein Unterseeboot der SPD.
Ich sage mit allem Nachdruck: Sie belasten in der Tat eine echte Energiekonsensdiskussion, für die viele von uns, zunächst einmal was den Einstieg angeht, sind.
Ich will zum Schluß noch einmal unsere Forderungen wiederholen: Keine Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks Brunsbüttel vor Klärung der aufgetretenen Fragen, Abschaltung der weiteren drei Siedewasserreaktoren der Brunsbütteler Baureihe bis zur Klärung der Sicherheitsfragen - das wurde hier nicht ausdrücklich gesagt - und auch eine Einbeziehung dieser Fragen bei der von Ihnen veranlaßten Sicherheitsüberprüfung verschiedener Kernkraftwerke.
Ich frage mich auch, ob in der Risikostudie Biblis B der Fall der Risse in den sogenannten Störfall- und Simulationsprogrammen überhaupt aufgeführt worden ist.
Ich schließe damit, daß eine Vielzahl von Fragen an Sie gestellt ist. Im Hinblick darauf, daß zumindest eine Energiekonsensusdiskussion geführt werden muß, appelliere ich an Sie, Ihren Anteil dazu zu leisten, um eine solche Diskussion führen zu können.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Jetzt erteile ich unserem Kollegen Klaus Harries das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, daß erstens weite Teile unserer Bevölkerung der Kernenergie skeptisch, kritisch und auch ablehnend gegenüberstehen.
Wir wissen zweitens, daß große Teile der Opposition den Ausstieg aus der Kernenergie wollen. Drittens wissen wir aber gleichzeitig, meine Damen und Herren, daß - ich glaube, darüber sind wir uns sogar einig - kurzfristig und von heute auf morgen ein Ausstieg aus der Kernenergie, ein Abschalten nicht möglich ist.
Einig sollten wir uns in einem wichtigen Punkt sein: daß unsere Bevölkerung Anspruch darauf hat, die Wahrheit zu erfahren. Ganz egal, wie wir zur Kernenergie stehen, die Bevölkerung hat Anspruch auf lückenlose Information, sie hat über jeden Störfall informiert zu werden.
({0})
- Vielen Dank für Ihre Zustimmung. Das habe ich eben unterstellt. - Die Bevölkerung hat also Anspruch auf lückenlose Aufklärung und muß davon ausgehen können, daß der Betrieb der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland verantwortbar ist.
Das, meine Damen und Herren, ist seit Jahren die Politik der Bundesregierung, früher und heute. Die setzt der Bundesumweltminister konsequent fort. Hier ist nicht ein Störfall unter den Teppich gekehrt worden, hier ist nicht ein Störfall verheimlicht worden. Es ist immer eine Untersuchung eingeleitet und entsprechend gehandelt worden.
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte mit Sachbeiträgen von Ihnen und der Bundesratsbank und die Debatten, wenn auch nicht in allen, so doch in etlichen Zeitungen machen im Gründe für die Bevölkerung verkehrtermaßen folgendes deutlich: Erstens wird die Assoziation deutscher Kernkraftwerke zu Tschernobyl wachgerufen. Das ist eine unglaubliche, unverantwortliche - ({1})
- Aber natürlich ist hier das Wort Tschernobyl gefallen! Wenn Sie die vielzitierte Bevölkerung draußen fragen, dann heißt es: Es scheint ja so zu sein wie in Tschernobyl! - Das Wort ist hier gefallen. Diese Assoziation weisen wir zurück, sie ist verantwortungslos. Wir lesen nachher das Protokoll.
Zweitens ist der Eindruck hervorgerufen worden, als habe der Bundesumweltminister nicht korrekt gehandelt. Ich habe hier schon gesagt: Er ist sofort tätig geworden. Ohne Zögern hat er die Reaktorsicherheitskonferenz und den besonderen Ausschuß zum Arbeiten gebracht.
Meine Damen und Herren, da geht es in der Tat damm, zu prüfen, ob hier herstellungsbedingte oder betriebsbedingte Risse vorliegen. Das ist eine ganz wichtige Frage. Sie wird untersucht. Bevor hier nicht ein klares Gutachten, ein Ergebnis dieses Ausschusses vorliegt, wird das Kernkraftwerk Brunsbüttel mit Sicherheit nicht wieder eingeschaltet. Das hat der Bundesumweltminister hier eindeutig erklärt. Es ging in Ihrer Debatte ja unter, daß Brunsbüttel seit August
abgeschaltet ist und von daher überhaupt keine Gefahr bestanden hat.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus ist längst eingeleitet - auch das wissen Sie, und auch das muß der Bevölkerung gesagt werden -, daß die entsprechenden Stahlsorten, daß die Röhren in allen anderen Siedewasserreaktoren zur Zeit untersucht werden. Wir können also wirklich vor der Bevölkerung sagen: Es besteht keine Gefahr; es wird untersucht; es wird geprüft; nach Abschluß der Prüfung wird entschieden, wird gehandelt werden. Die Bevölkerung kann davon ausgehen: Solange deutsche Kernkraftwerke noch auf Jahre und, wie ich meine, auch Jahrzehnte für unsere Energieversorgung und zur Minimierung des CO2-Problems arbeiten, so lange wird mit ihnen verantwortungsbewußt umgegangen werden und so lange werden sie vorzeigbar sein.
Ich bedanke mich.
({2})
Meine Damen und Herren, ich erteile Herrn Minister Dr. Klaus Töpfer noch einmal das Wort.
Herr Präsident! Ich will die mir verbliebene Zeit zu zwei Anmerkungen nutzen.
Erstens zu Frau Kollegin Sonntag-Wolgast: Es ist Ihnen möglicherweise nicht bekannt, daß auf meine Entscheidung hin im November 1989 das Kernkraftwerk Brunsbüttel abgeschaltet worden ist. Wenn Sie das wissen, sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, als wenn wir irgendeiner Unsicherheitsmafia angehörten. Sie wissen sicherlich auch - ich sage das, weil Sie nach der Verschleierung gefragt haben -, daß der Aufsichtsratsvorsitzende der HEW, unser Kollege Senator Fahrenhold, von der SPD ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß von Ihnen dieser Vorwurf gegen ihn erhoben werden könnte.
Zum zweiten Punkt, meine Damen und Herren: Ich zitiere aus dem heutigen Kommentar im „General-Anzeiger". Dort wird mir wörtlich folgendes Zitat mitgegeben:
Eine Gefahr für die Sicherheit ist nach bisherigem Kenntnisstand auch im Falle eines Betriebes nicht gegeben.
Zu dieser Aussage stehe ich natürlich. Es wird also darauf hingewiesen, daß wir das nach dem bisherigen Erkenntnisstand beurteilen, und ich habe dazu gesagt, daß wir das deswegen weiter untersuchen müssen. Das tun wir.
Ich habe deutlich gemacht: Ergebnis offen. Selbst wenn herauskommen sollte, Herr Kollege Fischer, daß wir einen betriebsbedingten Riß haben, ist natürlich das Prinzip „Leck vor Bruch" keineswegs in Frage gestellt.
Nur dies wollte ich zur Ergänzung gesagt haben. Vielen Dank.
({0})
Meine Damen und Herren, nun erteile ich auch Herrn Minister Joseph Fischer noch einmal das Wort.
Staatsminister Joseph Fischer ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur, Herr Bundesumweltminister, Ihnen nochmals eine ausführliche Lektüre zu Ihrer Haltung vom gestrigen Tage hier im Bundestag darzustellen.
Die „Frankfurter Rundschau" schreibt - ich werde auch Provinzzeitungen zitieren, die Ihrer Bundesregierung und dem Bundeskanzler noch sehr nahestehen; wie lange, das muß man abwarten -:
Nach Ansicht Töpfers bedeuten sie auch im Falle eines Betriebs keine Gefahr.
Gemeint sind diese Risse.
„Die Welt", eine der Opposition sehr nahestehende Zeitung:
Nach Angaben von Bundesumweltminister Töpfer bedeuten die Risse im Rohrleitungssystem von Brunsbüttel nach dem bisherigen Erkenntnisstand selbst im Falle eines Betriebes keine Gefahr.
({1})
„Wiesbadener Tageblatt": Töpfer: Brunsbüttel ist sicher. - Das ist ja wunderbar. Dazu haben Sie, verehrter Herr Kollege, vorhin endgültig etwas gesagt. Ich finde, das, was Sie hier vorgetragen haben, auch in der Offenheit der Fragestellung, ist das Gegenteil von dem, was der Bundesumweltminister im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit dargestellt hat.
({2})
Bonn: Keine Gefahr durch Risse im AKW Brunsbüttel. - In der „Süddeutschen Zeitung" heißt es: Töpfer hält Risse in Kühlwasserrohren für ungefährlich.
({3})
- Herr Kollege Austermann, ich habe heute gelernt. Sie wissen, wo Brunsbüttel liegt. Sie kommen aus der Nähe. Sie waren im AKW und haben sich dort gut unterhalten. Entsprechend war Ihr Beitrag heute.
({4})
Herr Kollege Töpfer, die Frage, die mich nachdrücklich interessiert, ist: Wie kommen Sie zu einer solchen verantwortungslosen Unbedenklichkeitserklärung, ohne die notwendigen Prüfungen vorgenommen zu haben? Das ist die entscheidende Frage, die Sie den Verantwortlichen in den Ländern und im Deutschen Bundestag gegenüber beantworten müssen. Diese Frage haben Sie heute nicht beantwortet, beim besten Willen nicht. In aller Sachlichkeit frage ich Sie: Wie kommen Sie zu dieser unverantwortlichen Unbedenklichkeitserklärung?
({5})
Meine Damen und Herren, jetzt hat unser Kollege Horst Kubatschka das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf einige Debattenbeiträge eingehen. Herr Laermann, ich muß sagen, ich bewundere es, wie herrlich Sie sich den Mantel der Sachlichkeit umhängen und dann eine Polemik betreiben, die doch sehr erstaunlich ist. Ich muß sagen: Die Kraft der SPD reicht wirklich noch nicht aus,
({0})
Risse in austenitischen Stählen zu schaffen, damit Konsensgespräche gestört werden.
Gesundbeten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, repariert halt keine Risse. Herr Austermann, Sie haben sich in Ihrem Wahlkreis im Kernkraftwerk informiert - das mache auch ich -, aber anscheinend nicht sehr kritisch. Sonst müßten Sie wissen, daß es im April 1992 zu einem Vorfall gekommen ist, der verschwiegen wurde. Bei der Jahresrevision im August 1992 ist der Schaden bekanntgeworden. Weil das jetzt noch untersucht wird, steht das Kernkraftwerk noch. Ich habe sehr wohl in den Zeitungen gelesen, daß das Werk stillsteht.
({1})
- Wenn Sie es nicht lesen konnten, dann ist das Ihr Problem.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kernenergie ist nicht die Energie von morgen. Dies wird uns jeden Tag immer wieder bestätigt. Der Vorfall von Brunsbüttel ist ein Beweis dafür. Deutsche Kraftwerke gelten als sicher, wird gesagt. Sie haben einen hohen Sicherheitsstandard, wird gesagt. Aber eine 100 %ige Sicherheit gibt es nicht, das wird uns immer wieder bestätigt.
Es bleibt das Restrisiko. Davon geht eine Gefahr aus, Herr Harries. Wie groß ist dieses Restrisiko, und müssen wir das jetzt neu betrachten? Nach den neuen Vorfällen muß ich sagen: Es scheint größer zu sein, als es uns bisher immer vorgegaukelt wurde. Die möglichen Katastrophen werden nicht die gedachten Katastrophen sein. Dies hat Harriesburg und dies hat Tschernobyl bewiesen.
({2})
- Hören Sie doch einmal genau zu! Das war so nicht vorgedacht in Harriesburg und auch nicht in Tschernobyl.
Was nicht vorgedacht wird, was nicht geplant wird, wird eintreten. Es war nicht vorgesehen, daß Risse per Zufall entdeckt werden können. Es war nicht vorgesehen, daß die Sicherheitsphilosophie der Atomreaktoren einen Denkfehler enthält. Es war nicht vorgesehen, daß als unverwüstlich geltende Stähle plötzlich Materialermüdungen zeigen.
({3})
Bisher ist man davon ausgegangen, daß vor dem Bruch einer Leitung stets eine Leckage auftritt. Da wäre das Alarmzeichen gewesen; Kollege Fischer hat darauf hingewiesen. Jetzt muß man sagen: Diese Philosophie gilt nicht mehr. Also ist das Restrisiko eigentlich größer als gedacht. Wie gesagt, das wird durch Zufall und ohne Leckage festgestellt.
({4})
Damit hat die Sicherheitsphilosophie einen entscheidenden Knacks bekommen.
Dann wurde gesagt, austenitische Stähle gälten als unverwüstlich.
({5})
Nach meiner Meinung wurde das wider besseres Wissen gesagt; denn damals konnte man über das Langzeitverhalten von austenitischen Stählen in Kernreaktoren nichts aussagen. Trotzdem wurden sie eingebaut, und die Sicherheit wurde darauf abgestellt. Jeder, der sich mit Korrosionsproblemen beschäftigt, weiß, daß das leichtsinnig ist. Zu fragen ist: Wie schnell ermüdet jetzt das Material? Wir wissen es nicht. Deswegen müssen die betroffenen Atomkraftwerke jetzt abgestellt und kontrolliert werden.
Jetzt wird darüber gestritten, ob die Risse durch die Herstellung oder den Betrieb bedingt sind. Beides ist in gleichem Maße verheerend. Sollten sie systembedingt sein, müßten alle Kraftwerke dieses Typs abgeschaltet werden. Sollten sie herstellungsbedingt sein, müßte ebenso verfahren werden.
In der heutigen Ausgabe der Zeitung „Landshut Aktuell" ist über dieses Problem zu lesen:
Die Fertigung des Stahls kann ganz unterschiedlich sein. Entscheidend ist auch, wie die Schweißnähte vor Ort ausgeführt werden. Hier sei 1981 in Ohu beim 300 Millionen DM teuren Einbau der Frischdampf- und Speisewasserleitung offensichtlich sehr gut gearbeitet worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es stimmt, was die Sicherheitsleute des Kraftwerks sagen, dann wird das Restrisiko noch größer. Entscheidend sind dann die Qualität und das Können des Schweißers und dessen Tagesform. Darauf sollen wir uns verlassen können?
Herr Minister, Sie haben an Ihrem Ruf gearbeitet. Daran arbeiten Sie täglich voller Überzeugung. Sie haben sich den Ruf eines Ankündigungsministers erarbeitet. Bitte, werden Sie kein Verharmlosungsminister!
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Als vorletzter Redner hat jetzt unser Kollege Dr. Peter Paziorek das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten seitens der Regierungskoalition in zweierlei Hinsicht dankbar sein, und zwar erstens darüber, daß die SPD-Fraktion diese Aktuelle Stunde beantragt hat; denn hiermit ist öffentlichkeitswirksam deutlich geworden - auch auf Grund der Rede des Bundesumweltministers Töpfer -: Es wird in dieser Frage bei
uns nichts vertuscht, und es wird in dieser Frage auch nichts gesundgebetet.
Als zweites sei ein herzliches Wort des Dankes auch Herrn Fischer dafür gesagt, daß er hierhergekommen ist und nicht Herr Jansen; denn, Herr Fischer, ich muß ehrlich sagen: Ich habe Sie noch nie so verunsichert gesehen wie nach der Rede des Bundesumweltministers Töpfer, als Sie feststellen mußten, daß Ihre Strategie völlig gescheitert ist, dem Bundesumweltminister mit irgendwelchen Zeitungszitaten etwas anzuhängen: Herzlichen Dank für Ihren Auftritt hier!
({0})
Ich will den Verlauf der Diskussion noch einmal kurz zusammenfassen.
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- In dieser Frage, Frau Klemmer, darf es und wird es kein Vertuschen irgendwelcher Sicherheitsmängel geben. Ebensowenig darf es vor einer abschließenden Beurteilung eine Panikmache gegen die Atomenergie geben. Deshalb sollte auch keine Panikmache gestartet werden.
Zunächst einmal müssen alle technologischen Fakten auf den Tisch. Erst dann kann bewertet und meinetwegen auch politisch über das Risiko der Atomenergie in diesem Hause in der nächsten Zeit gestritten werden.
Die entscheidende technologische Frage ist doch: Ist der Spezialstahl, der sogenannte Hochleistungsstahl Austenit reißfest oder nicht? Im Reaktor Würgassen an der Landesgrenze des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, aus dem ich komme, sind im Jahre 1990 ebenfalls Haarrisse entdeckt worden, die aber beim Schweißen und nicht während des Betriebs entstanden sind.
Bei der sicherheitstechnischen Bewertung der nun in Brunsbüttel festgestellten Risse in den Rohrleitungen geht es also um die äußerst wichtige technische Frage, ob diese Risse beim Betrieb aufgetreten sind oder später, was die Konsequenz haben kann, daß sie während des Betriebs noch größer werden.
Wie sieht der augenblickliche Sachstand in Brunsbüttel aus? Alle Schweißnähte in diesem System sind geröngt worden. Jetzt müssen die Fachleute prüfen, ob die Risse zum Teil schon seit 17 Jahren vorliegen oder ob sie durch aufgetretene Spannungen entstanden sind. Eine Schweißnaht ist 1979 nachgeschweißt worden. Bei dieser Schweißnaht soll im Rahmen der jetzigen Nachprüfung ein von der Endprüfung abweichendes Röntgenbild vorliegen. Hierzu brauchen wir auch im Bundestag eine im Detail überzeugende Bewertung der Fachleute, insbesondere der Reaktorsicherheitskommission. Das bisherige Vorgehen unseres Bundesumweltministers und auch seine Einlassung hier tragen überhaupt nicht die Behauptung, die aus Ihren Reihen kommt, daß hier seitens des Bundesumweltministers nur widerstrebend aufgeklärt wird. Genau das Gegenteil ist der Fall. Deshalb sei auch ein herzliches Wort des Dankes für die klaren Worte unseres Bundesumweltministers gesagt!
Auch ein Wort an die schleswig-holsteinische Landesregierung: Die Informationen, die Sie eventuell haben, müssen meines Erachtens schnell und zügig an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, an Ihre eigenen Parteifreunde, weitergegeben werden, damit auch in Nordrhein-Westfalen eventuell Rückschlüsse zu Würgassen gezogen werden können. Eine Geheimhaltung in Schleswig-Holstein hilft in der Sache, wenn sie so wichtig ist, überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, die angesprochenen Fragen können und müssen im Parlament vorurteilsfrei und ideologiefrei gestellt werden. Es ist für mich völlig klar, daß unser Handeln nur von der Devise „Im Zweifel für die Sicherheit" geprägt sein kann. Alle Pannen in unseren Reaktoren müssen ernst genommen werden.
Genauso gilt es aber auch, hier kein emotionales Süppchen zu kochen und zum jetzigen Zeitpunkt Brunsbüttel nicht zum Kronzeugen einer Ausstiegspolitik aus der Atomkraft hochzustilisieren, ohne die Beantwortung der heute nachmittag gestellten Fragen überhaupt abzuwarten. Ich halte das zum jetzigen Zeitpunkt für politisch nicht redlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Wer den Energiekonsens will, muß sich auch dazu bekennen, daß Fragen nach den sicherheitstechnischen Problemfeldern der Atomkraft beantwortet werden müssen. Meine Damen und Herren in der Opposition, Sie können nicht bloß Fragen stellen, aber auf ihre Beantwortung verzichten. Das geht nicht und ist unseriös.
Unverantwortlich wäre ein energiepolitischer Streit zweier SPD-Ministerpräsidenten aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Vieles spricht dafür, daß es diesen Streit gibt. Der angeblich neutrale Verfechter, Herr Fischer aus Hessen, wäre heute nicht angereist, wenn es nur darum ginge, innerhalb der SPD die Ausgangspunkte für die Gespräche zum Energiekonsens neu zu gewichten. Um diesen Eindruck erst gar nicht aufkommen zu lassen, rege ich an, die Untersuchung abzuwarten und nach Bekanntgabe der Ergebnisse im Bundestag erneut zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, letzter Redner in der Aktuellen Stunde ist unser Kollege Ulrich Klinkert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe am Anfang tatsächlich geglaubt, die SPD wolle mit der beantragten Aktuellen Stunde eine sachliche Debatte über die Sicherheit des angesprochenen Kernkraftwerks führen. Aber was Sie hier abgelassen haben, war ein reines Katastrophenszenario, das offensichtlich das Ziel hat, die Bevölkerung zu verunsichern.
({0})
Hier hat mich besonders der wenig qualifizierte Beitrag meines Kollegen Müller enttäuscht, dem entweder a priori der Wille zur Sachlichkeit fehlt oder der sich mangels anderer Aufgaben in bestimmten FernUlrich Klinkert
sehkanälen zu viele Horrorfilme ansieht und daraus seine Szenarien entwickelt, mit denen er hier mit den Ängsten der Menschen spielt.
({1})
Herr Müller, bevor Sie überhaupt versucht haben, einige sachliche Argumente auszuwählen, haben Sie bereits die Behauptung aufgestellt, daß der Umweltminister die Risiken der Atomindustrie herunterspiele, daß sie nicht zu verantworten seien, und dann sofort Ihr Ziel definiert. Ihr Ziel hieß: Ausstieg aus der Kernenergie, und Ihr Beitrag war dann nach der Melodie „Der Zweck heiligt die Mittel" aufgebaut.
Ich möchte bewußt übertreiben: Herr Müller, bei Ihnen könnte auch ein Riß in einer Fensterscheibe der Pförtnerbude eines KKW gegeben sein, Sie würden daraufhin die Abschaltung des Kraftwerkes und den Ausstieg aus der Atomenergie verlangen.
Die Risse in Brunsbüttel sind nicht im sicherheitsrelevanten Bereich dieses Kraftwerks. Selbst der Ausfall oder der Bruch der angesprochenen Leitungen hätte zu keiner Gefährdung, auch nicht bei Betrieb des Kraftwerks, geführt.
({2})
Herr Fischer hat wider besseres Wissen anderes behauptet und in Vertretung des schleswig-holsteinischen Umwelt- bzw. Energieministers wadenbeißerisch um sich geschlagen, um dann von einem Energiekonsens zu sprechen.
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Herr Fischer, bei Ihnen wundert es mich nicht, daß Sie einem Energiekonsens von vornherein skeptisch gegenüberstehen. Bei Ihnen nimmt man eher an, Sie wollten auf ein rot-grünes Energiediktat hinaus. Aber was Sie hier angeführt haben, reicht dazu bei weitem nicht aus.
Es gab bereits 1991 - das ist hier heute mehrfach gesagt worden - im Kernkraftwerk Würgassen Risse in Wasserleitungen. Diese Risse führten dazu, daß es systematische Untersuchungen in anderen Kernkraftwerken gab, so z. B. in Brunsbüttel. In Brunsbüttel wurden diese Risse im November entdeckt, ein Vorgang der untersten Meldestufe, und als Normalmeldung über die Landesbehörde dem Umweltministehum mitgeteilt. Bis jetzt haben weder die Betreiber noch die Aufsichtsbehörde, also die SPD-Landesregierung, einen Anlaß gesehen, diese unterste Meldestufe zu ändern.
Der Vorwurf, daß all dies durch das Umweltministerium schleppend aufgeklärt werde, ist auch nicht haltbar, denn der Bundesumweltminister hat sofort die Reaktorsicherheitskommission eingeschaltet. Aber Herr Minister Jansen ({4}) hat, wie wir hören mußten, die Meinung vertreten, daß es zu früh sei, diese Kommission tätig werden zu lassen, da er den Sachverhalt für sich selbst noch nicht genügend kannte. Es bedurfte sogar einer schriftlichen Intervention des Bundesumweltministers im Kieler Energieministerium, damit die Sachverständigen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit tätig werden können. Erst hieraus wird sich ergeben, welcher Handlungsbedarf besteht: ob ein Austausch der Leitungen notwendig ist, ob Nachschweißarbeiten notwendig sind, ob eventuell ein anderes Material eingesetzt werden muß.
Ähnlich war es in Würgassen in Nordrhein-Westfalen. Auch dieses Kraftwerk ist mittlerweile wieder in Betrieb gegangen, und zwar auf Weisung, mit Billigung eines sozialdemokratischen Umweltministers und mit Einverständnis der Gutachter. Hier drängt sich die Frage auf, ob die SPD seinerzeit eine andere Einschätzung der heute nahezu gleichen Lage gehabt hat oder ob man heute eine sachliche Aufklärung vermeiden will oder ob man damals diese Meldung zurückgehalten hat, um sie bei einer passenden Gelegenheit in ein Katastrophenszenario umzuändern.
Die heutige Debatte hat auf jeden Fall gezeigt, daß es notwendig ist, die Bevölkerung aufzuklären, aber nicht mit den Methoden, die Sie hier vorgeführt haben. Die Debatte hätte dazu beitragen können, der Regierung von Schleswig-Holstein aufzuzeigen, daß sie mehr tun muß, um in ihren eigenen Kraftwerken Ordnung zu schaffen, und daß sie dabei den Bundesumweltminister nicht zu behindern hat.
Alles in allem ist es trotzdem ein normaler betrieblicher Vorgang, der schon heute zeigt, daß keine akute Gefährdung bestanden hat, daß aber Aussagen zum Material, zur Qualität, zur Technologie und zur Fertigung sicher an einigen Punkten neu gefaßt werden müssen. Selbstverständlich werden zur Zeit alle weiteren vergleichbaren Kraftwerke überprüft.
Insgesamt kann man festhalten: Die deutschen Kernkraftwerke - das haben die bisherigen Untersuchungen ergeben - haben zu Recht ihren Ruf als Kraftwerke mit hohem Sicherheitsstandard, sowohl auf der technischen Seite als auch auf der administrativen Seite.
Vielen Dank.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich will Ihnen aber noch eine Erkenntnis mitteilen, die ich während dieser Aktuellen Stunde gewonnen habe. Es ist gut - vielleicht mündet das in einen Rat -, wenn hier Sachlichkeit angemahnt wird. Wenn jeder, der das tut, sich anschließend auch so verhält, kämen wir in der Auseinandersetzung ein ganzes Stück weiter.
({0})
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 4. Februar, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.