Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte sowie über strukturelle Anpassungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ({0}) - Drucksache 12/221 2. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, Gunnar Uldall, Dankward Buwitt, Elisabeth Grochtmann, Otto Hauser ({1}), Dr. Renate Hellwig, Claus Jäger, Günter Klein ({2}), Reiner Eberhard Krziskewitz, Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup, Elmar Müller ({3}), Rosemarie Priebus, Dieter Pützhofen, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Gerhard Schulz ({4}), Wilfried Seibel, Dr. Ruprecht Vondran, Dr. Jürgen Warnke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans H. Gattermann, Hermann Rind, Dr. Otto Solms, Martin Grüner, Gerhard Schüßler und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften ({5}) - Drucksache 12/219 3. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, Gunnar Uldall, Dankward Buwitt, Elisabeth Grochtmann, Otto Hauser ({6}), Dr. Renate Hellwig, Claus Jäger, Gunter Klein ({7}), Reiner Eberhard Krziskewitz, Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup, Elmar Müller ({8}), Rosemarie Priebus, Dieter Pützhofen, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Gerhard Schulz ({9}), Wilfried Seibel, Dr. Ruprecht Vondran, Dr. Jürgen Warnke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans H. Gattermann, Hermann Rind, Dr. Otto Solms, Martin Grüner, Gerhard Schüßler und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen ({10}) - Drucksache 12/220 -
4. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften - Drucksache 12/222 -Zugleich soll, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 f auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen
- Drucksachen 12/204, 12/216 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({11})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen ({12})
- Drucksachen 12/205, 12/214 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({13})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 12/206, 12/215 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({14})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Strafprozeßordnung
- Drucksachen 12/209, 12/218 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({15}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit ({16})
- Drucksache 12/208 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({17}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1991
- Drucksache 12/197 -Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({18}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Auch hier wird interfraktionell vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 1 g:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP
Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden
- Drucksache 12/210 -
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf:
2. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1991
({19})
- Drucksache 12/100 -
Überweisung: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1990 bis 1994
- Drucksache 12/101 Überweisung: Haushaltsausschuß
ZP1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte sowie über strukturelle Anpassungen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet
({20}) - Drucksache 12/221 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({21})
Finanzausschuß
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Post und Telekommunikation
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
ZP2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, Gunnar Uldall, Dankward Buwitt, Elisabeth Grochtmann, Otto Hauser ({22}), Dr. Renate Hellwig, Claus Jäger, Günter Klein ({23}), Reiner Eberhard Krziskewitz, Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup, Elmar Müller ({24}), Rosemarie Priebus, Dieter Pützhofen, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Gerhard Schulz ({25}), Wilfried Seibel, Dr. Ruprecht Vondran, Dr. Jürgen Warnke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans H. Gattermann, Hermann Rind, Dr. Otto Solms, Martin Grüner, Gerhard Schüßler und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen im Beitrittsgebiet sowie zur Änderung steuerrechtlicher und anderer Vorschriften ({26})
- Drucksache 12/219 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({27})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie und Senioren
Ausschuß für Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
ZP3 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Kurt Faltlhauser, Gunnar Uldall, Dankward Buwitt, Elisabeth Grochtmann, Otto Hauser ({28}), Dr. Renate Hellwig, Claus Jäger, Günter Klein ({29}), Reiner Eberhard Krziskewitz, Dr. Reinhard Meyer zu Bentrup, Elmar Müller ({30}), Rosemarie Priebus, Dieter Pützhofen, Peter Harald Rauen, Wolfgang Schulhoff, Gerhard Schulz ({31}), Wilfried Seibel, Dr. Ruprecht Vondran, Dr. Jürgen Warnke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hans H. Gattermann, Hermann Rind, Dr. Otto Solms, Martin Grüner, Gerhard Schüßler und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines befristeten SolidaritätszuPräsidentin Dr. Rita Süssmuth
schlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen ({32})
- Drucksache 12/220 -Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({33})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gem. § 96 GO
Die Gruppe PDS/Linke Liste hat die Änderung der Tagesordnung und des Tagungsortes fristgemäß beantragt. Dieser Antrag wird nach der Einbringungsrede des Bundesfinanzministers aufgerufen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache sechseinhalb Stunden vorgesehen. Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. - Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Waigel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen heute zur ersten Beratung vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 1991 ist der Haushalt der Wiedervereinigung. Fast ein Viertel aller Ausgaben von über 400 Milliarden DM bezieht sich auf die am 3. Oktober 1990 neu hinzugekommenen Bundesländer. Umfang und Struktur dieses Haushaltsentwurfs sind Zeugnis der gewaltigen Herausforderungen, vor die wir seit dem Fall von Mauer und Stacheldraht im November 1989 gestellt sind.
Es geht jetzt darum, die Folgen von 45 Jahren katastrophaler sozialistischer Mißwirtschaft zu beseitigen. Zugleich müssen wir uns den gestiegenen internationalen Anforderungen an ein wiedervereinigtes Deutschland stellen. Dieses Zusammentreffen gewaltiger Aufgaben erfordert den Zusammenhalt aller Kräfte. Und ohne die finanz- und haushaltspolitische Absicherung ist der Einigungsprozeß nicht gestaltbar.
Die SPD unterstellt uns, wir hätten die Probleme im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung verharmlost und den Bürgern mögliche Belastungen verschwiegen.
({0})
- Ich wußte gar nicht, daß Sie in der Früh' schon so lebendig sind. ({1})
Das Gegenteil, meine Damen und Herren, läßt sich beweisen.
({2})
Ich habe in einer Ansprache vor dem Zentralausschuß der Deutschen Landwirtschaft am 14. Februar 1990 folgendes gesagt:
({3})
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR und dann die Wiedervereinigung haben ihren Preis. Wir dürfen den Menschen keinen Sand in die Augen streuen.
({4})
Ebenso wie die Solidargemeinschaft der Bürger in der Bundesrepublik den Beitrag jedes einzelnen fordert, ist die Solidarität auch im wiedervereinigten Deutschland unverzichtbar.
({5})
Der Bundeskanzler und andere Mitglieder der Regierung haben darauf ebenfalls hingewiesen: Die Wiedervereinigung ist nicht zum Nulltarif zu haben.
({6})
- Auch Gelächter kann über die Richtigkeit dieses Satzes nicht hinwegtäuschen.
({7})
Außer falschen Prognosen und Gelächter haben Sie zur Wiedervereinigung im ökonomischen Bereich relativ wenig beigetragen.
({8})
Und wenn es nach Ihrem Kanzlerkandidaten gegangen wäre, dann hätten wir heute kein wiedervereinigtes Deutschland.
({9})
Richtig ist: Niemand konnte im letzten Jahr, niemand kann heute die Gesamtinvestitionen für den vollen Anschluß der neuen Bundesländer an die Wirtschaftskraft des westlichen Teils Deutschlands beziffern.
({10})
- Ich habe das hier und an vielen anderen Stellen immer wieder gesagt:
({11})
Niemand kann die Kosten dieser Wiedervereinigung voraussagen. Niemand konnte das voraussagen!
({12})
Aber wir haben die ökonomischen Voraussetzungen und die Wachstumsvoraussetzungen dafür geschaffen, daß sich dieser Prozeß heute finanzierbar darstellt, ohne die Solidität unserer Finanzen zu gefährden. Das ist unsere Antwort.
({13})
Wir alle, die Gewerkschaften, die Unternehmen und alle gesellschaftlichen Gruppen, entscheiden gemeinsam darüber, in welcher Form und in welcher Geschwindigkeit wir die wirtschaftliche und soziale
Integration vollziehen. Der Umfang der privaten Investitionen, die Verteilung der Ressourcen auf Konsum und Investitionen, die Tariflohnentwicklung, die Entwicklung in früheren sozialistischen Staaten sind Faktoren außerhalb des unmittelbaren Einflußbereichs der Politik. Diese Faktoren sind für das Tempo des wirtschaftlichen Aufholprozesses mindestens ebenso wichtig wie staatliche Zahlungen und Förderinstrumente.
({14})
- Genau das tun wir.
({15})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie vielleicht einmal an folgendes erinnern: Noch im September 1989 warnte der Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine
({16})
vor unbedachten Wiedervereinigungsparolen. Ist das eigentlich schon so lange vorbei, daß Sie sich daran erinnern lassen müssen, mit welchen falschen Parolen und welchen falschen Prophezeiungen Sie in das Jahr 1990 gegangen sind?
({17})
Oskar Lafontaine irrte auch, als er im letzten Jahr von der früheren DDR als einem führenden Industrieland und attraktiven Produktionsstandort sprach.
({18})
Das Ausmaß der vom Sozialismus hinterlassenen Zerstörung mußte aber selbst kühle Realisten und Skeptiker gegenüber der kommunistischen Propaganda überraschen.
({19})
Die Produktivität belief sich in der früheren DDR vor Einführung der Marktwirtschaft lediglich auf ein Drittel des westdeutschen Niveaus. Produktions- und Beschäftigungsstruktur entsprachen in keiner Weise der nationalen und internationalen Nachfrage. Die Anlagen waren größtenteils veraltet, ganze Fabrikausstattungen stammten noch aus der Zeit vor 1945.
({20})
Die einseitig auf Braunkohle ausgerichtete Energiewirtschaft konnte ihre Produktionsleistung nur um den Preis gewaltiger Umweltschäden erbringen.
({21})
- Ja, wenn das für Sie alles bekannt war, wie konnte dann ein so kluger Mann wie Ihr Kanzlerkandidat von einem guten Investitionsstandort sprechen? Diesen
Zwiespalt und Widerspruch in Ihrer Argumentation verstehe ich nicht.
({22})
Die Infrastruktur muß praktisch von Grund auf überholt werden. So ist das völlig überlastete Eisenbahnnetz in seiner Ausbauqualität sogar noch weit hinter den Stand von 1939 zurückgefallen.
({23})
- Frau Präsidentin, da muß ein „Blähhals" am Werke sein.
({24})
Herr Duve, ich fordere Sie auf, Herrn Waigel reden zu lassen.
({0})
Nicht viel besser sieht es im Straßenwesen aus. Auch das früher vorbildliche S- und U-Bahn-System Berlins ist im östlichen Teil der Stadt seit 1939 nicht modernisiert worden.
({0})
Bis zur Wiedervereinigung gab es in der früheren DDR nur 16 Telefone auf 1 000 Einwohner.
Die größten Schäden - so hat es der Leipziger Gewandhauschef Wolfgang Masur sinngemäß ausgedrückt
({1})
- ich bitte um Entschuldigung; Sie haben recht - sind jedoch nicht bei den Straßen und in den Fabriken, sondern in den Köpfen der Menschen entstanden. Für viele unserer neuen Mitbürger ist es nach Jahren sozialistischer Indoktrination und Bevormundung schwer, sich auf die neuen Lebensumstände einzustellen.
Wir diskutieren heute - gut fünf Monate nach dem 3. Oktober 1990 - über die finanzpolitische Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgaben. Wer zu diesem Zeitpunkt eine umfassende Erfolgsbilanz erwartet, hat den Faktor „Zeit" völlig ausgeklammert.
({2})
Dabei müßte gerade die Opposition aus eigener Erfahrung wissen, wie lange es dauern kann, vergleichsweise geringe Struktureinbrüche und Strukturumbrüche ökonomisch zu überwinden.
({3})
Nach den Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 dauerte es jeweils zwei bis drei Jahre, bis der wirtschaftliche Erholungsprozeß langsam einsetzte.
({4})
Wenn dies bei nur externen Einflüssen so lange
dauerte, dann, meine Damen und Herren, müssen Sie
zugeben, daß wir in einem Jahr sehr viel bewegt und keine Mühen und keine Kosten gescheut haben, um diesen ökonomischen Anpassungsprozeß voranzubringen.
({5})
Zusätzliche Anforderungen an das wiedervereinigte Deutschland sind nicht auf den nationalen Rahmen beschränkt. Mit der Aufhebung der Teilung ist Deutschland unmittelbar zum gleichberechtigten souveränen Mitglied der Völkergemeinschaft geworden. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat uns im letzten Jahr „Partnerschaft in der Führung" angeboten. Aber das war keine schmeichelhafte Aussage zur Stärkung unseres nationalen Selbstbewußtseins.
({6})
Die Welt erwartet von uns - als einer der größten Industrienationen - einen noch größeren Beitrag zur Lösung internationaler Aufgaben und Konflikte.
Wir waren auf diese zunehmenden Verpflichtungen eingestellt.
({7})
Wir haben - unmittelbar im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Ost-West-Entspannung - der Sowjetunion 15 Milliarden DM für den Truppenabzug bis 1994 zugesagt. Wir haben durch Bürgschaften, Kredite und direkte finanzielle Unterstützung unseren Nachbarn im Osten auf dem Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie Beistand geleistet.
Meine Damen und Herren, jeder, der das kritisiert, muß sich fragen lassen, ob die Kosten dann, wenn wir diese Unterstützung nicht gewährten,
({8})
nicht sehr viel höher wären,
({9})
um auf dem Weg zu Demokratie und freier Marktwirtschaft künftig entscheidend voranzukommen.
Allein in den Haushaltsjahren 1990/91 belaufen sich die Mittel für die Sowjetunion und die mittel- und südosteuropäischen Staaten auf 8,6 Milliarden DM. Hinzu kamen die - zumindest in ihrer Höhe - nicht vorhersehbaren Beiträge zur Finanzierung des UNO-Einsatzes am Golf. Die Forderung, einen solchen Betrag vor allem durch Einsparungen auszugleichen, ist eine finanz- und haushaltspolitische Illusion.
Wir haben an Einsparungen und Entlastungen getan, was möglich war.
({10})
- Das ist kein dummes Zeug, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
({11})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit nie ein Konsolidierungsvolumen von 50 Milliarden DM in zwei Jahren erreicht. ({12})
Seit Beginn des Wiedervereinigungsprozesses wurden Haushaltsentlastungen mit einem Gesamtvolumen von fast 50 Milliarden DM beschlossen. 37 Milliarden DM hiervon entfallen auf den Entwurf des Bundeshaushalts 1991. Mehr als die Hälfte dieser 50 Milliarden DM sind Ausgabenkürzungen. Wer noch mehr verlangt, muß sagen, wen er meint und wo er ansetzen will.
({13})
- Lieber Kollege Struck, Ihre Parlamentarischen Staatssekretäre sind nicht einmal 1972, als das Parlament aufgelöst wurde, zurückgetreten. Ich kann mich noch gut an den Vorgang erinnern.
({14})
Der größere Anteil der vorgesehenen Einnahmeverbesserungen entfällt auf die Anhebung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung.
({15})
Wer im Zusammenhang mit dieser - und durch die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge noch gemilderten - Beitragsanhebung polemisch vom „Abkassieren" spricht,
({16})
der kann das Wort „Solidarität" nicht genügend begreifen.
({17})
Die Arbeitslosenversicherung war immer eine Solidargemeinschaft der Beschäftigten und der Arbeitssuchenden. Auch die frühere, sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat bei steigender Arbeitslosigkeit mit Beitragsanhebungen und Ausgabenkürzungen der Bundesanstalt für Arbeit reagiert.
({18})
Neben den an erster Stelle stehenden Ausgabenbeschränkungen ist ein vorübergehender Anstieg der Kreditfinanzierung richtig und ökonomisch sinnvoll.
({19})
Es geht um Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und um die Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Kredite sinnvoller eingesetzt worden als zur finanzpolitischen Flankierung der deutschen Einheit.
({20})
Im letzten Jahr ist uns die Frage nach zusätzlich erforderlichen Steuererhöhungen gestellt worden. Nach ökonomischen Kriterien und finanzpolitischen Vorgaben muß die Reihenfolge der Finanzierungsalternativen lauten: erstens Ausgabenbeschränkungen, zweitens Kreditaufnahme und erst dann, wenn alle anderen Instrumente ausgeschöpft sind, Steuererhöhungen. Ich habe das am 17. September 1990 bei einer öffentlichen Veranstaltung in München wie folgt umschrieben: Steuererhöhungen müssen das Letzte sein; sie dürfen nicht am Anfang stehen und nur dann erfolgen, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind.
({21})
Bemerkenswert ist nicht die Tatsache von Steuererhöhungen im Frühjahr 1991, sondern der Zeitraum, in dem wir ohne sie ausgekommen sind.
({22})
- Meine Damen und Herren, die Gleichung ist ganz einfach: Die SPD hätte bereits im Herbst 1989, spätestens bei der Währungsunion die erste Steuererhöhung, bei der Vereinigung die zweite und jetzt die dritte und vierte durchgeführt.
({23})
Wir haben drei Nachtragshaushalte mit Einsparungen, mit Umschichtungen finanziert und sind bis heute - das ist für die deutsche Volkswirtschaft gut - ohne Steuererhöhungen ausgekommen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Steuerpolitik.
({24})
Meine sehr verehrten. Damen und Herren, weder nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1991 vom Juli letzten Jahres noch nach den Eckwertebeschlüssen vom November 1990 waren Steuererhöhungen erforderlich.
({25})
Wir haben Milliardenbeträge auch für Osteuropa ohne Steuererhöhungen bereitgestellt.
({26})
Noch Anfang Januar 1991, bei der Vorbereitung des Kabinettentwurfs, standen Steuererhöhungen nicht auf der Tagesordnung.
({27})
Bis zum Ausbruch des Golfkrieges habe ich niemandem den Auftrag gegeben, Steuererhöhungsoptionen zu erarbeiten.
({28})
Wenn die Ausgaben für den Golfkrieg nicht auf uns zugekommen wären,
({29})
hätten wir im Jahre 1991 die Steuern nicht erhöht. Das ist die Wahrheit!
({30})
Alles, was im Jahre 1991 an zusätzlichen Finanzierungsaufgaben auf uns zukam, konnte beim besten Willen nur noch über eine Verbesserung der Einnahmen gedeckt werden. Auch andere Länder, die - wie Japan - nicht vor vergleichbaren nationalen Aufgaben standen, gehen den gleichen Weg.
Wir hatten im letzten Jahr den Vereinigten Staaten und anderen beteiligten Ländern bereits über fünf Milliarden DM zur Unterstützung im Golfkonflikt zugesagt. Nach Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzung haben wir in diesem Jahr noch einmal 11,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Die Summe aus Golfhilfe und den Zahlungen an die osteuropäischen Staaten beläuft sich in diesem Jahr auf 17,7 Milliarden DM. Das entspricht genau den zusätzlichen Steuereinnahmen, die wir auf der Grundlage der jüngsten Beschlüsse 1991 erzielen werden. Hinzu kommen die kaum bezifferbaren Folgekosten aus dem Verfall des RGW-Handels.
Diese Rechnung wird nicht durch die Einbeziehung der Golfkosten in den Regierungsentwurf in Frage gestellt. Der Golfbeitrag, der von der zeitlichen Reihenfolge her zuerst haushaltswirksam wurde und etatisiert werden mußte, hat den eigentlich für Wiedervereinigungsaufgaben vorgesehenen Spielraum belegt. Die haushaltstechnische Behandlung ändert nichts an der Notwendigkeit, für die zusätzlichen Aufgaben einen Ausgleich zu schaffen.
({31})
- Zu beurteilen, was das ist, das überlasse ich Ihnen; Sie können anschließend darauf antworten.
({32})
Sie werden es jedenfalls weder vom Ablauf und den Zahlen noch von der Begründung her widerlegen können.
({33})
Der Solidaritätszuschlag entfällt ab 1. Juli 1992.
({34})
- Wenn Sie könnten, würden Sie den Zeitraum verlängern; wir werden ihn nicht verlängern. ({35})
Die Anhebung der Verbrauchsteuern und eine später eventuell notwendig werdende Anpassung bei der Mehrwertsteuer
({36})
sind auf Dauer angelegt. Damit wollen wir Vorsorge für die gestiegene internationale Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands schaffen. Es ist unser unmittelbares ökonomisches und politisches Interesse, Friktionen im Prozeß des marktwirtschaftlichen Wandels bei unseren östlichen Nachbarn zu begrenzen und so Absatzmärkte zu erhalten. In Europa kann es nur dann dauerhafte Stabilität und Prosperität geben, wenn die Gefahr gewaltiger Flüchtlingsströme und politischer Unruhen gebannt wird. Der mittelfristige steuerliche Beitrag kommt deshalb unseren Bürgern als Friedensinvestition zugute.
Hier wird sehr klar, was der Kollege Schäuble und die Bundesregierung immer wieder gesagt haben: Wir müssen, um neue Völkerwanderungen in Europa zu verhindern, den Menschen helfen, damit sie in ihrer Heimat bleiben können. Auch das ist unser Beitrag für Frieden und für Freiheit.
({37})
Eine dauerhafte Zusatzaufgabe ist auch die Verbesserung der lange Zeit unterbrochenen oder vernachlässigten Ost-West-Verkehrsverbindungen in Deutschland. Da die Autobahngebühr keine Zustimmung gefunden hat,
({38})
ist ein höheres Mineralölsteueraufkommen dafür ein geeignetes Finanzierungsinstrument.
Eine stärkere Gewichtung der indirekten Steuern entspricht im übrigen der steuerpolitischen Leitvorstellung fast aller Industriestaaten. Wir werden deshalb die gewonnenen Spielräume auch für die notwendige Entlastung der Familien und der Betriebe nutzen.
Die Kritik der SPD an unseren steuerpolitischen Beschlüssen
({39})
ist reine Pflichtübung. Was wir vereinbart haben, bleibt in vielen Bereichen weit hinter früheren Parteitagsbeschlüssen der SPD zurück.
({40})
Die SPD wollte den Benzinpreis nicht um 25 Pfennig, sondern um 50 bis 60 Pfennig verteuern, und sie will
({41})
eine Ergänzungsabgabe von 15 %.
Die SPD hat in ihren Oppositionsjahren über 40 Steuererhöhungsvorschläge auf den Tisch gelegt.
In ihrer Regierungszeit wurden die indirekten Steuern um insgesamt 25 Milliarden DM erhöht. Im Verhältnis zum heutigen Bruttosozialprodukt entspräche das einer Steuererhöhung von nahezu 60 Milliarden DM jährlich.
Der Unterschied zu heute besteht in folgendem: Damals ging es um die Finanzierung sozialistischer Experimente;
({42})
heute dagegen setzen wir diese Mittel ein, um Frieden und Freiheit national und international zu unterstützen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Finanzpolitik.
({43})
Unsere steuerpolitischen Vereinbarungen sind sozial ausgewogen.
({44})
Sie stellen Wachstum, Stabilität und Beschäftigung nicht in Frage.
({45})
Durch die beiden wichtigsten Elemente, Verbrauchsteuererhöhungen und Solidaritätszuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer, werden alle Bevölkerungsgruppen angemessen beteiligt. Der Solidaritätszuschlag belastet höhere Einkommen am stärksten. Der Durchschnittslohn in den neuen Bundesländern wird dagegen durch diese Abgabe überhaupt nicht berührt. Berücksichtigt man die durchschnittliche Einkommensentwicklung, bleibt den meisten Steuerzahlern trotz der Steuererhöhungen ein spürbarer Einkommenszuwachs.
({46})
Das ist der Unterschied. Durch unsere Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, durch ein Wachstum von acht Jahren sind wir in der Lage,
({47})
trotz der Belastungen im Steuerbereich den Bürgern zu gewährleisten, daß sie auf Grund der Einkommenszuwächse im letzten und in diesem Jahr auch im Jahr 1991 über einen realen Einkommenszuwachs verfügen.
({48})
Das wäre unter Ihrer Regierung nicht der Fall gewesen.
Unbestritten - auch ich will das überhaupt nicht bestreiten - bergen Steuererhöhungen immer auch konjunkturelle Risiken. Das war für uns der entscheidende Grund dafür, so lange wie möglich auf eine solche Maßnahme zu verzichten.
({49})
Die getroffenen Entscheidungen sind aber vor dem Hintergrund der erheblichen expansiven Impulse zu sehen, die sich aus der bisherigen Finanzierung der Wiedervereinigungsaufgaben ergeben. Im Saldo bleibt die Finanzpolitik auch in den Jahren 1991 und 1992 expansiv und stützt die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern.
({50})
Die Einhaltung der in den Eckwertebeschlüssen festgelegten Obergrenze für die Kreditaufnahme von 70 Milliarden DM hat schon jetzt erkennbar zur Beruhigung an den Finanzmärkten beigetragen. Die Kapitalmarktzinsen sind in den letzten Wochen deutlich, um 0,5 Prozentpunkte, zurückgegangen. Damit verbessern sich insbesondere die Finanzierungsbedingungen für Investoren und Bauherren.
Wer unsere steuerpolitischen Beschlüsse kritisiert, ist gut beraten, einmal über den nationalen Tellerrand zu sehen.
({51})
Unsere internationalen Partner analysieren genau, welche Konsequenzen die deutsche Wiedervereinigung für das eigene Wachstum und die eigene Beschäftigungssituation hat. Das zeigt sich deutlich beim IWF, bei den G 7 oder beim Ecofin-Ministerrat. Es kommt nicht von ungefähr, daß uns gerade in der letzten Woche der französische Finanzminister für die „policy-mix" dieser Bundesregierung ausdrücklich seine Anerkennung ausgesprochen hat.
({52})
- Ich gebe mit Sozialisten nicht an. Lieber Kollege Roth, die meisten Sozialisten außerhalb Deutschlands verfügen über sehr viel mehr ökonomischen Sachverstand als Sie.
({53})
- Nein, das sind Lebende. Pierre Bérégovoy würde sich mit Schrecken wenden, wenn er sich an Ihre Leitlinien zur Steuer- und Finanzpolitik halten müßte.
({54})
Der Wachstumsprozeß in Deutschland hat die Exportbedingungen bei unseren Handelspartnern wesentlich verbessert. Der Export der EG-Länder in die Bundesrepublik hat um jeweils zweistellige Prozentsätze, im Fall Spaniens sogar um über 30 Prozent, zugenommen. Das wiedervereinigte Deutschland, insbesondere die neuen Bundesländer, bieten gute Investitionschancen in einem neu entstehenden Markt. Vom wiedervereinigten Deutschland geht kein Inflationsschub aus. Die Preissteigerungsrate hat sich seit Beginn des Vereinigungsprozesses kaum verändert. Das ist doch eine großartige Leistung,
({55})
wenn man feststellen kann, daß der Beitritt eines so großen Teils Deutschlands ohne jede Friktion in der Stabilität bewältigt werden konnte.
({56})
Auch ein wiedervereinigtes Deutschland bleibt Stabilitätsanker in Europa. Deutschland bleibt auch in den kommenden Monaten ein wichtiger Faktor der Stabilität angesichts einer sich insgesamt abschwächenden Weltkonjunktur.
Wir haben zur Zeit hinter Japan das zweitstärkste Wachstum unter den sieben größten Industrienationen. Wir halten den zweiten Platz auch bei der Industrieproduktion. Die Arbeitslosigkeit ist nur in Japan geringer. Allein im letzten Jahr konnten wir einen Beschäftigungszuwachs von 800 000 verzeichnen.
({57})
Eine vergleichbare Dynamik am Arbeitsmarkt - leider gespalten in West und Ost - hat es nur in den ersten Jahren des Wiederaufbaus gegeben.
Auf der Grundlage einer starken und weiterhin kräftig expandierenden Volkswirtschaft können wir den neuen Bundesländern und unseren dort lebenden Mitbürgern geben, was notwendig und sinnvoll ist. Ich bin sehr froh, daß wir uns in den letzten Tagen und Wochen zwischen Bund und Ländern, zwischen Regierung und Sozialpartnern wirklich auf einen großen Pakt, auf eine große Kraftanstrengung im Hinblick auf Investitionen und Finanzausstattung in den neuen Bundesländern geeinigt haben.
In den nächsten vier Jahren können Bürger, Unternehmen und öffentliche Haushalte im Beitrittsgebiet mit staatlichen Leistungen in einem Umfang von mehreren 100 Milliarden DM rechnen. Im Interesse eines raschen wirtschaftlichen Aufschwungs wurden bereits zahlreiche Investitions-, Existenzgründungsund Industrieansiedlungsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM aufgelegt.
Der Fonds Deutsche Einheit sichert die Grundfinanzierung der Landeshaushalte in den nächsten Jahren. Die Deutsche Bundespost wird in den kommenden Jahren insgesamt 55 Milliarden DM investieren. Durch das heute ebenfalls zur Beratung stehende Steueränderungsgesetz 1991 führen wir neben der bereits bestehenden Investitionszulage eine Sonderabschreibung für Investitionen im Beitrittsgebiet in Höhe von 50 % ein.
Auf die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer soll in den neuen Bundesländern ab 1. Januar 1991 verzichtet werden.
Ich glaube, niemand wird bestreiten, daß es nicht sinnvoll wäre, jetzt Tausende von Finanzbeamten für die Erarbeitung der Einheitswerte in den neuen Bundesländern heranzuziehen.
({58})
Über die Unternehmenssteuern in ganz Deutschland wird im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt nachgedacht und entschieden werden müssen. Wir werden im Sommer dieses Jahres das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission zu dieBundesminister Dr. Theodor Waigel
sem Punkt erhalten, es genau studieren und dann politisch entscheiden. Politische Entscheidungen zu der Frage „Unternehmenssteuerreform" werden wir in Ruhe im Jahr 1992 vorbereiten und treffen.
({59})
Dabei haben wir zugesagt, daß wir die Belange der Länder und der Gemeinden berücksichtigen werden. Das fand einvernehmliche Zustimmung im Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Es soll auch nicht in Vergessenheit geraten, daß die unabhängige Sachverständigenkommission - ({60})
- Die sind unabhängig, weil sie bei der Begutachtung nicht an Aufträge gebunden sind.
({61})
Außerdem sollte bedacht werden, daß bereits in den Thesen dieser Kommission auch die Gegenfinanzierung enthalten ist. Das heißt, daß die Finanzierung nicht zu Lasten der übrigen Steuerzahler gehen soll. Wir werden bei der politischen Entscheidung darauf achten, daß der Schwerpunkt der Erleichterung bei der Vermögensteuer jedenfalls im betrieblichen Bereich liegen wird.
Auf dieser Grundlage können wir mit den geschaffenen Bedingungen nun darangehen, Investitionen anzureizen und die Lebensumstände in den neuen Bundesländern zu verbessern. Uns geht es um die Menschen.
({62})
- Meine Damen und Herren, ich jedenfalls habe in den letzten Monaten einen Großteil meiner Arbeit darauf verwendet, mich um die Menschen im östlichen Teil Deutschlands zu kümmern, und ich habe darauf verzichtet, mich an irgendwelchen Sonnenstränden aufzuhalten.
({63})
Das gönne ich jedem von Herzen. Nur, ich habe darauf verzichtet, mich bräunen zu lassen, weil ich meine: Unsere Aufgabe besteht darin, uns jetzt diesen Dingen zu widmen und das Bestmögliche für die Menschen in den neuen Bundesländern zu tun. Das lassen wir uns von niemandem, auch nicht von Ihnen, absprechen.
({64})
Wo es um persönlichen Einsatz und um Argumente ging, haben wir uns mit ganzer Kraft engagiert.
({65})
Wir haben mit den Kirchen, mit den Verbänden, mit Ländern und Gemeinden zusammengearbeitet, um das Los der 45 Jahre lang unterdrückten Menschen so schnell wie möglich zu verbessern.
Auf unser Drängen hin haben die Länder in der vorletzten Woche einer vollen Beteiligung des Beitrittsgebiets am Umsatzsteueraufkommen zugestimmt. Damit können die neuen Bundesländer - trotz deutlich geringerer Wirtschaftskraft - je Einwohner ebensoviel ausgeben wie die alten Bundesländer. Die Gemeinden dort erhalten künftig doppelt so hohe Finanzzuweisungen wie die Gemeinden im Westen. Das ist notwendig.
In der letzten Woche hat das Bundeskabinett zusätzlich das Gemeinschaftswerk „Aufschwung-Ost" beschlossen. Wir wollen den wirtschaftlichen Aufholprozeß noch stärker beschleunigen.
({66})
Zugleich soll die Zeit bis zur Entstehung neuer Arbeitsplätze durch eine Beschäftigungsbrücke überwunden werden. Insgesamt hat das Gemeinschaftswerk in den Jahren 1991/92 ein Programmvolumen von 24 Milliarden DM. Zu den wichtigsten Elementen gehört die Förderung der kommunalen Investitionen durch eine einmalige Investitionspauschale des Bundes in Höhe von 5 Milliarden DM. Die Investitionen sollen der Instandsetzung insbesondere von Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen dienen. Unser Appell geht an die Kommunalpolitiker in den neuen Bundesländern, die Aufträge möglichst schnell und unkompliziert zu erteilen, damit sich dort endlich mehr bewegt als bisher.
({67})
- Ich habe niemandem Schuld vorgeworfen. Ich habe appelliert, das Geld, das bereits seit Wochen drüben ist, möglichst schnell vor allen Dingen an das private Baugewerbe zu geben, damit bei der Beschäftigung und der öffentlichen Nachfrage etwas Entscheidendes passiert.
({68})
Für zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden 1991 2,5 Milliarden DM und 1992 3 Milliarden DM bereitgestellt. Damit sollen zu den bislang vorgesehenen 130 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1991 zusätzlich 150 000 Förderungen erreicht werden.
Die Verkehrsverhältnisse sollen als Voraussetzung für private Investitionen entscheidend verbessert werden. Für die Ost-West-Straßenverbindungen, Investitionen der Deutschen Reichsbahn und die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden stehen in den Jahren 1991/92 zusätzlich 5,6 Milliarden DM zur Verfügung.
2,2 Milliarden DM haben wir für die Verbesserung des Wohnungsbestands, für die Privatisierung von Wohnungseigentum und für die Städtebauförderung vorgesehen.
Weitere Programmpunkte betreffen die regionale Wirtschaftsförderung, die Werfthilfen Ost, Verbesserungen im Umweltschutz und die Sicherung des Bestands von Hochschulen. Schließlich haben wir eine weitere Verbesserung bei der bereits früher vereinbarten Investitionszulage beschlossen. Die Gewährung der Zulage wird ein halbes Jahr verlängert und kann künftig kumulativ zur Sonderabschreibung in Anspruch genommen werden.
Was jetzt und bereits früher an Förderung beschlossen wurde, ist insgesamt ein Optimalprogramm. Das haben mir auch die Finanzminister der ostdeutschen Bundesländer in einem sehr konstruktiven Gespräch am Mittwoch letzter Woche bestätigt. Ich bin dankbar dafür, daß Sie auch, was die Mitleistungspflicht der Länder und der Kommunen anbelangt, mit mir zu einer Einigung gekommen sind, so daß dieses Programm wirklich laufen kann, und daß die Sozialpartner ihm voll zugestimmt haben und jetzt, wie ich meine, die bestmögliche Voraussetzung für die Entwicklung der Länder und der Kommunen drüben geschaffen wurde.
({69})
Eine noch weiter gehende Aufstockung der gezielten Wirtschaftsförderung und der staatlichen Infrastrukturinvestitionen ist weder sinnvoll noch möglich. Eine endlose Fortsetzung der Förderdiskussion wäre für den Bereich der privaten Investitionen sogar schädlich, weil die Investoren in der Hoffnung auf weitere Verbesserungen ihre Vorhaben sonst zurückstellen würden.
Der Liquiditätseffekt der Investitionsförderung beläuft sich, wenn man alle Instrumente zusammenfaßt, im ersten Jahr auf rund 50 % der Anschaffungskosten. Ein noch höherer Prozentsatz würde das für den marktwirtschaftlichen Regulierungsprozeß unverzichtbare Eigenrisiko der Investoren zu stark gefährden und beeinträchtigen.
Alle notwendigen und richtigen Maßnahmen zur gezielten Investitions- und Wirtschaftsförderung können nur greifen, wenn die Treuhandanstalt ihre Privatisierungsaufgabe wirksam und mit breiter Unterstützung der Öffentlichkeit bewältigen kann. Ich bedanke mich sehr auch bei den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer für ihre positive Stellungnahme gestern zu der Arbeit der Treuhand gerade in den letzten Wochen.
({70})
Die Umwandlung der ehemaligen Staatswirtschaft in eine dezentrale Wettbewerbswirtschaft steht und fällt mit der Privatisierungsaufgabe. Rund 90 % der Betriebe gehören zum Treuhandbereich. 80 % der Arbeitsplätze befinden sich in diesen Betrieben. Ich habe in der Aussprache in der vorletzten Woche schon darauf hingewiesen: Die Arbeit der Treuhandanstalt kann sich mit 700 Veräußerungen durchaus sehen lassen. Wir wissen, welche großen Probleme noch auf sie zukommen und wie ungeheuer schwierig es ist, mit dieser riesigen Aufgabe in relativ kurzer Zeit fertig zu werden.
Entgegen mancher Kritik ist die Arbeit der Treuhandanstalt nicht gegen die Interessen der Beschäftigten gerichtet. Ich persönlich habe die Arbeit der Treuhandanstalt zu keinem Zeitpunkt als kaltes Finanzmanagement verstanden. Privatisierungspolitik muß wie jeder andere Politikbereich, wie die Wirtschaftspolitik insgesamt, die Sozialpolitik, die Forschungspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Umweltpolitik im Interesse der Menschen für soziale Sicherheit und steigenden Wohnstand bürgen.
Um Beschäftigungseinbrüche zu begrenzen und einer weitgehenden Entindustrialisierung der neuen
Bundesländer zu begegnen, soll künftig die Sanierungs- und Umstrukturierungsaufgabe der Treuhandanstalt noch stärker betont werden. Betriebe, die zur Zeit nicht privatisierungsfähig sind, aber ein tragfähiges Unternehmenskonzept entwickelt haben, sollen zu Wettbewerbsfähigkeit begleitet werden. Auch sollen die Entscheidungen der Treuhandanstalt eng mit der Regional-, Arbeitsmarkt- und Infrastrukturpolitik verzahnt werden.
Nur über eines müssen wir uns im klaren sein: Strukturkonservierung um jeden Preis ist kein wirksames Mittel zur Arbeitsplatzsicherung, sondern bewirkt, wie uns die Wissenschaft und die Erfahrung immer wieder sagen, genau das Gegenteil. Die Arbeit der Treuhandanstalt muß auch bei Berücksichtigung von Beschäftigungsaspekten im Kern betriebswirtschaftlich rational bleiben.
Der Ihnen vorliegende Bundeshaushalt 1991 steht im Zeichen der deutschen Einheit. Die Daten und Fakten des Haushaltsentwurfs 1991 sind nur dann richtig zu bewerten, wenn man die außergewöhnliche Situation des wiedervereinigten Deutschlands im Blickfeld behält. Im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung, 1989, betrug das Haushaltsvolumen des Bundes noch knapp 300 Milliarden DM. Durch drei Nachtragshaushalte stiegen die Gesamtausgaben im letzten Jahr auf 380 Milliarden DM. In diesem Jahr sind es einschließlich der Maßnahmen für die neuen Bundesländer im Rahmen des Gemeinschaftswerks 411 Milliarden DM. Dem stehen Steuereinnahmen von 293,9 Milliarden DM gegenüber. Hinzu kommen die zuletzt beschlossenen Steuererhöhungen von rund 17 Milliarden DM. Der verbleibende Finanzierungsbedarf wird durch die sonstigen Einnahmen und eine Nettokreditaufnahme von knapp 70 Milliarden DM gedeckt. In unserer mittelfristigen Finanzplanung verpflichten wir uns, diese Nettokreditaufnahme bis 1994 systematisch und intensiv zurückzuführen. Damit haben wir die in den Eckwertebeschlüssen festgelegte Obergrenze für Kreditaufnahme eingehalten.
Auch wenn wir die Ihnen vorliegende Finanzplanung bis 1994 an die nochmals gestiegenen Anforderungen anpassen, bleibt der durchschnittliche Ausgabenanstieg in den kommenden Jahren deutlich unter dem erwarteten Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Die Aufgabe der Konsolidierung und der erneuten Begrenzung des Staatsanteils steht auch im wiedervereinigten Deutschland auf der Tagesordnung.
Schwerpunkte der Haushaltsentlastung im Haushaltsentwurf 1991 und im Finanzplan sind Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben um 7,6 Milliarden DM, Begrenzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit durch eine vorübergehende Anhebung der Beiträge und Minderausgaben -20,8 Milliarden DM - und Umlenkung von Investitionen in einer Größenordnung von 2 Milliarden DM. Darüber hinaus sind Kürzungen in zahlreichen Einzelpositionen vorgesehen.
Verstärkt ab 1992 wollen wir eine weitere Haushaltsentlastung durch spürbaren Subventionsabbau verwirklichen.
({71})
In den jüngsten Beschlüssen zur Steuerpolitik haben wir das Subventionsabbauziel noch einmal von 6 auf jetzt 10 Milliarden DM angehoben. Berücksichtigt man darüber hinaus den Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung und die vorgesehene Gegenfinanzierung zur ersten Stufe der Unternehmenssteuerreform in einem Volumen von etwa 8 Milliarden DM sowie die bereits verwirklichte Bereinigung im Steuerreformgesetz 1990, so ergibt sich im Gesamtzeitraum 1990 bis 1994 ein Subventionsabbauvolumen von über 40 Milliarden DM. Das ist weit mehr, als in irgendeiner Periode der Nachkriegszeit verwirklicht werden konnte.
({72})
Beim Abbau der Berlin- und der Zonenrandförderung haben wir nach meiner Einschätzung einen fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen gefunden. Wir halten am Ziel eines zügigen Abbaus der teilungsbedingten Kosten fest. Aber es wird keinen bruchartigen Entzug der Förderinstrumente geben. Dort, wo Gebiete auch nach Aufhebung der Teilung durch Grenzen benachteiligt sind - das gilt z. B. für den Grenzraum zur Tschechoslowakei -, bleibt die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erhalten.
Berlin wird insgesamt in die neuen steuerlichen Förderinstrumente Investitionszulage und Sonderabschreibungen einbezogen. Ich glaube im übrigen, die staatliche Förderung wird gerade in der neu erwachten Metropole und Hauptstadt Berlin bald keine große Rolle mehr spielen. Jedenfalls fand sich am 15. Februar 1991 der Berliner Senator für Stadtentwicklung in der „Welt" mit folgender Einschätzung wieder: Wir erleben einen beispiellosen Run der Investoren auf West-Berlin.
Ausgabensteigerungen im Bundeshaushalt 1991 betreffen natürlich in erster Linie die Wiedervereinigungsaufgaben. Angesichts der krassen Unterschiede in der Ausstattung mit öffentlichen Dienstleistungen und dem Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West mußten wir klare Prioritäten setzen. Dennoch will ich auch einige Verbesserungen für die westlichen Bundesländer nicht unerwähnt lassen. Zu nennen wäre die Ausgabensteigerung bei der Agrarsozialpolitik um rund 300 Millionen DM. Der Mehrbedarf beim Kindergeld und Erziehungsgeld ist zum Teil auf die Ausdehnung auf das Beitrittsgebiet, zum anderen auf die im letzten Jahr wirksam gewordene Erhöhung des Kindergelds für das zweite Kind sowie auf die Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes in den letzten beiden Jahren zurückzuführen. In den Koalitionsvereinbarungen haben wir eine weitere Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes auf zwei Jahre ab 1993 vorgesehen. Dies ist ein großartiger Beitrag für eine fortschrittliche, in die Zukunft reichende Familienpolitik.
({73})
Darüber hinaus wollen wir ab 1. Januar 1992 unser Ziel der völligen Freistellung der Kinderunterhaltskosten von der Besteuerung verwirklichen. Das Kindergeld für das erste Kind wird um 20 DM erhöht.
({74})
Der Kinderfreibetrag wird auf rund 4 000 DM erhöht. - Was haben denn Sie in Ihrer Zeit getan? Sie haben die Kinderfreibeträge abgeschafft, Frau Kollegin Matthäus-Maier.
({75})
In Ihrer Regierungszeit ist doch die Familienpolitik zur Unkenntlichkeit deformiert worden und fand überhaupt nicht mehr statt.
({76})
Der Ansatz für die Hochschulsonderprogramme, vor allem zur Sicherung der Leistungsfähigkeit in besonders belasteten Fachrichtungen und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, beansprucht zusätzlich 238 Millionen DM. Weitere 100 Millionen DM entfallen auf die Studentenwohnraumförderung.
Daß dieser Bundeshaushalt ein außergewöhnlicher Haushalt ist, zeigt sich auch am Datum der heute beginnenden Beratungen. Auf Grund des Wiedervereinigungstermins am 3. Oktober 1990 konnte der Bundeshaushalt zum erstenmal seit 1983 nicht vor Beginn des Haushaltsjahrs verabschiedet werden. Sie haben uns damals kritisiert. Stellt es sich heute nicht als richtig heraus, die Zeit abzuwarten
({77})
und am Beginn des Jahres einen Entwurf vorzulegen, der dann den Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Jahres 1991 möglichst gerecht wird?
({78})
Auch hier sind Ihre Befürchtungen und Unterstellungen eindeutig widerlegt worden. Wir haben durch den späteren Beratungstermin jetzt die Chance, alle voraussehbaren zusätzlichen Aufgaben im nationalen und internationalen Bereich in die Haushaltsplanung einzubeziehen. Wir werden für die zuletzt vereinbarten Maßnahmen keine Ergänzungsvorlage und keinen Nachtrag vorsehen. Die neuen Maßnahmen sollen vielmehr über die Berichterstatter im Haushalt umgesetzt werden. Dies ist der schnellste Weg, damit die zusätzlichen Instrumente zu Gunsten der neuen Bundesländer unmittelbar wirksam werden können.
Wenn wir heute noch einmal in der Situation des Jahreswechsels 1989/90 stünden, würden wir wieder keinen anderen Weg gehen als den, den diese Bundesregierung - bei aller Differenzierung in Einzelfragen - gemeinsam und erfolgreich gegangen ist.
({79})
Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn wir uns vor einem Jahr in einer weltpolitischen Situation, in der die einmalige Chance zur Überwindung der Teilung bestand, geirrt hätten und wenn wir damals auf Ihre verhängnisvolle Losung „Langsamkeit" in diesem Bereich gesetzt und uns ihr angeschlossen hätten.
({80})
Wir haben im Herbst 1989 klar gesagt: Die deutsche Frage steht auf der Tagesordnung der Weltpolitik.
Schon in wenigen Jahren wird niemand mehr über die uns heute so dringlich beschäftigenden Finanzierungs- und Steuerfragen sprechen. Aber unsere Entscheidung in der historischen Sekunde, in der die deutsche Einheit möglich war, zu handeln und zuzugreifen, wird Bestand haben. Der politische Wille, erkennbare Haushaltsrisiken und Belastungen in Kauf zu nehmen und für die Menschen .das Beste zu erreichen, war und bleibt richtig und wird am Ende überzeugen.
Nach 40 Jahren der Frontstellung im Kalten Krieg kann Deutschland einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Freiheit in der Welt leisten. In einem Interview mit der „Welt" vom 21. Mai 1990 sagte der sowjetische Deutschlandexperte Nikolai Portugalow zur Rolle des wiedervereinten Deutschland unter anderem:
Es kann zur goldenen Brücke zwischen Ost und West werden, und dann sind wir in der Bringschuld: Ich verstehe allzugut, solange wir marktwirtschaftliche Strukturen nicht aus der Taufe gehoben haben, geht das so einfach nicht. Ich glaube aber, daß das uns, wenn auch mit vielen Schwierigkeiten, gelingen wird. Dann allerdings wird Deutschland zu eben einer solchen Brücke zwischen Ost und West werden und auf diese Weise zu seiner historischen jahrhunderte-, jahrtausendealten Mission zurückkehren.
({81})
Wir haben jahrelang im ökonomischen Wettkampf der Systeme gestanden. Jetzt, da sich die Überlegenheit der freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung erwiesen hat, wären Triumphgefühle und Überheblichkeit fehl am Platz. Der erneuerte wirtschaftliche Wettbewerb im nationalen wie im internationalen Bereich kommt allen Menschen zugute.
Nur wir selbst, meine Damen und Herren, könnten uns in diesem Wettbewerb besiegen. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft konzentrieren. Wir dürfen nicht einer vergangenen Idylle, einer scheinbaren Geborgenheit unter dem Schirm der früheren idologischen Auseinandersetzung nachtrauern.
({82}) Wer sich eingräbt, hat schon verloren.
({83})
Statt dessen sollten wir auf die Worte des früheren Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard hören.
({84})
- Meine Damen und Herren von der SPD, wir brauchen uns Ludwig Erhards nicht zu schämen. Sie haben ihn bekämpft!
({85}) Ludwig Erhard sagte am 9. Februar 1950:
Nur dann, wenn wir aus der deutschen Wirtschaft und aus den deutschen arbeitenden Menschen durch alle Schichten hindurch die höchste Leistung, die überhaupt denkbar ist, herausholen,
haben wir Aussicht, die deutsche Not zu bannen und unser Schicksal glücklich zu gestalten.
Auch für die Deutschen in den alten Bundesländern, die im Vergleich zu den Menschen in anderen Regionen dieser Welt in relativem Wohlstand leben, gilt dieser Satz des früheren Bundeswirtschaftsministers. Was wir jetzt an geringfügigen Einschränkungen zu tragen haben, können wir durch mehr Initiative, durch Leistung und Einsatzwillen ausgleichen. Es besteht kein Anlaß zum Wehklagen. Wir sollten vielmehr dankbar sein für das, was uns die Geschichte, was uns aber zugleich unsere eigene Beharrlichkeit und unser Glaube an die Zukunft geschenkt haben.
({86})
Die Bundesregierung legt mit diesem Bundeshaushalt ihr Programm zur Überwindung der Teilung vor.
({87})
Alle Deutschen in Ost und West, in Nord und Süd sind aufgerufen, sich ebenfalls für die nationale Aufgabe der Einheit einzusetzen.
Ich danke Ihnen.
({88})
Meine Damen und Herren, wie bereits heute morgen mitgeteilt, kommen wir jetzt zur Beratung und Abstimmung über den Antrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Änderung der Tagesordnung und des Tagungsortes. Danach soll die Debatte zum Haushaltsgesetz 1991 und zum Finanzplan 1994 auf die nächste Sitzungswoche vertagt werden und in Berlin stattfinden.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? -Bitte, Frau Dr. Höll.
Geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verschiebung der Haushaltsdebatte um wenigstens eine Woche ist unseres Erachtens Voraussetzung dafür, daß wir unserer politischen Verantwortung gegenüber unseren Wählern und Wählerinnen gerecht werden können. Innerhalb der von der Geschäftsordnung vorgegebenen drei Tage fast 10 kg Papier mit mehreren tausend Zahlen und Zahlenrelationen zu bewältigen, d. h. tatsächlich inhaltlich durchzuarbeiten,
({0})
dürfte den meisten von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie auch mir sehr große Schwierigkeiten bereiten. Meine Wählerinnen und Wähler erwarten von mir detailliert Auskunft darüber, warum 70 Milliarden DM für die Rüstung ausgegeben werden sollen, die Finanzmittel für die Bewältigung strukturpolitischer und sozialer Probleme aber nicht ausreichen. Ich glaube zwar nicht, daß die Bundesregierung eine solche Notwendigkeit für Rüstungsausgaben begründen kann, aber Sie nehmen wir als Vertreterin der Opposition durch die formale Handhabung der Geschäftsordnung die Möglichkeit, die Gesetzesvorlage einer
gründlichen und sachkundigen Kritik zu unterziehen.
({1})
Gerade im Hinblick auf die sich zuspitzenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme in den neuen Bundesländern halte ich es für notwendig, daß sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages unmittelbar vor Ort mit den konkreten Haushaltsproblemen und den dazu anstehenden Wählermeinungen vertraut machen, ehe wir Haushaltsentscheidungen treffen. Deshalb sollte die Haushaltsdebatte unseres Erachtens in Berlin durchgeführt werden.
({2})
Als nächster hat Herr Dr. Rüttgers das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Fraktion wird den Antrag, die Haushaltsplanberatungen zu verschieben, ablehnen. Wer sich nur etwas mit den Schwierigkeiten von Haushaltsplanberatungen auskennt, der weiß, daß es hier nicht nur um eine kurze Verschiebung von einer Woche geht. Wenn wir dem Antrag hier heute zustimmen würden, dann hätte dies zur Folge, daß der Haushalt vor der Sommerpause nicht mehr verabschiedet werden könnte. Jeder von uns weiß, daß in den sechs neuen Bundesländern jeder Tag zählt. Das heißt, jede Verzögerung hätte Auswirkungen auf die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, auf den Ausbau von Straßen, auf die Sanierung von Krankenhäusern, Altenheimen und Schulen.
Der Haushaltsausschuß hat für die kommende Woche bereits mehrtägige Beratungen verabredet. Er wird bis zur Sommerpause auch in den sitzungsfreien Wochen tagen. Deshalb ist mir der Antrag der PDS völlig unverständlich. Aber ich habe den Eindruck, er liegt auf der bisherigen Linie der PDS, die wir hier kennengelernt haben: Zur Sache wird wenig gesagt, aber mit Verfahrensanträgen wird versucht, Sand ins Getriebe zu streuen.
({0})
Meine Damen und Herren von der PDS, ich habe den Eindruck, Sie sind immer nur dann schnell, wenn es darum geht, Ihre Gruppe mit Geld und Räumen auszustatten.
({1})
Wir werden diesen Antrag auf jeden Fall ablehnen.
({2})
Als nächster hat Herr Dr. Struck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wir lehnen diesen Antrag ab, und zwar allein deshalb, weil die peinliche Einbringungsrede des Bundesfinanzministers eine sofortige Antwort erfordert.
({0})
Als nächster Herr Abgeordneter Dr. Weng!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat natürlich keine Probleme mit Tagungen in Berlin und mit Debatten im Reichstagsgebäude - das sage ich auch in der Kenntnis, daß für die Abgeordneten die Arbeitsmöglichkeiten dort noch nicht so gut wie hier in Bonn sind - , aber man muß wissen, daß die Dinge einen gewissen zeitlichen Vorlauf haben. Der Antrag der PDS ist überhaupt erst gestern nachmittag eingegangen. Das heißt: Man hat in letzter Sekunde versucht, noch einen gewissen Popularitätsgewinn zu ergattern.
Was wir nicht akzeptieren, ist der in der Begründung dieses Antrages erweckte Eindruck, es werde in Bonn oder Berlin unterschiedlich verhandelt.
({0})
Meine Damen und Herren, wer sagt, daß wir in Berlin verhandeln müssen, damit die Abgeordneten wissen, worum es geht, der erweckt den Eindruck, als ob der Tagungsort für den Ausgang der Debatte in irgendeiner Weise ausschlaggebend wäre. Wir argumentieren, debattieren und stimmen sachorientiert ab, nicht auf Grund des Tagungsortes.
({1})
Der heutige Termin - das hat der Kollege Rüttgers gesagt - zieht eine Reihe von weiteren Terminen nach sich. Aber es geht auch um eine Frage des grundsätzlichen Parlamentsverständnisses. Im Augenblick haben wir eine vorläufige Haushaltsführung durch die Bundesregierung. Das Parlament hat praktisch keinen Einfluß. Je schneller der Etat beraten und verabschiedet ist, um so schneller muß sich die Verwaltung an den Etat des Parlaments, an den Etat des Deutschen Bundestages halten. Hier dulden wir keinen zeitlichen Verzug, sondern wollen schnellstmöglich beraten und verabschieden, damit der augenblickliche Zustand, der im Grundsatz ja nicht wünschenswert ist, schnellstens beendet wird.
Wir lehnen deswegen den Antrag der PDS ebenfalls ab.
({2})
Als letzter zu dem Antrag Herr Abgeordneter Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gruppe Bündnis 90/GRÜNE kann bei aller Sympathie diesen Antrag nicht mittragen.
({0})
Werner Schulz ({1})
- Bei aller Sympathie für diesen Antrag!
({2})
Diese Sympathie kann ich Ihnen sehr wohl erklären, weil ich denke, es hätte diesem Hause gut angestanden, die Diskussion über die Staatsfinanzen in einer Stadt zu führen, in der momentan die Probleme haarscharf aufeinanderprallen.
({3})
Ich glaube nicht, daß der Standort der Diskussion nicht unmittelbaren Einfluß auf die Problemsicht hat. Ich sehe das etwas anders. Aber aus verfahrenstechnischen Gründen glauben wir, daß das nicht mehr zu realisieren ist. Es ist einfach nicht fair, in letzter Minute einen solchen Antrag zu stellen, während wir die Möglichkeit haben, unter den Geschäftsführern zu klären, wo eine solche Haushaltsdiskussion stattfindet. Dazu wäre genügend Zeit und genügend Möglichkeit gewesen.
Ich muß Sie aber darauf hinweisen: Uns genügt es nicht, daß wir in Berlin irgendwelche Showveranstaltungen durchführen, daß dort zweitrangige Probleme diskutiert werden und die Hauptdebatten hier im Deutschen Bundestag stattfinden. Damit möchte ich unsere Sympathie für diesen Antrag begründen.
({4})
Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer stimmt für den Antrag der PDS/ Linke Liste auf Änderung des Tagesordnung? ({0})
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS bei zwei Enthaltungen abgelehnt.
({1})
Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine.
({2})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({3}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({4})
Ich muß schon zugeben, daß es mir Vergnügen bereitet, heute vor Ihnen zu sprechen.
({5})
Die Einbringungsrede des Herrn Bundesfinanzministers war ein beachtliches Stück.
({6})
Da redet die ganze deutsche Öffentlichkeit seit Wochen über die Steuerlüge.
({7})
Da ist klar, daß immer mehr Bürgerinnen und Bürger über die Vorgehensweise der Bundesregierung empört sind. Da gibt es einzelne Mitglieder der Bundesregierung, die erklären: Wir haben uns geirrt, wir haben die Entwicklung in Ostdeutschland falsch eingeschätzt, wir haben den Zusammenbruch des RGW-Handels falsch beurteilt.
({8})
Da tritt der Herr Bundesfinanzminister hier vor das Plenum und sagt: April, April, wir haben uns nicht geirrt, die Steuern werden nur wegen des Golfkrieges erhöht, und im übrigen ist das Ganze auch noch sozial ausgewogen. - Soviel Frechheit auf einmal hat man selten erlebt!
({9})
Aber, Herr Bundesfinanzminister, Sie waren ja schon immer stark, wenn es um Sprüche ging.
({10})
Sie standen vor einigen Wochen hier, vor der Wahl, und erklärten: Wenn Herr Lafontaine in den letzten zwölf Monaten Regierungsverantwortung in Deutschland gehabt hätte,
({11})
dann stünden wir jetzt vor einer finanz- und wirtschaftspolitischen Katastrophe.
({12})
- Meine verehrten Damen und Herren von der CDU, Sie machen mir wirklich Vergnügen!
({13})
Lieber Herr Waigel, ich muß Ihnen sagen: So gründlich, wie Sie selber im Verein mit dem Bundeskanzler diese Katastrophe herbeigeführt haben, so gründlich hätte ich es nie und nimmer geschafft. Das muß ich ohne jede Einschränkung sagen.
({14})
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Mir ist angesichts der Lage der Menschen in den östlichen Bundesländern nicht zum Scherzen zumute. Auf die steuerpolitische Posse, die derzeit in Bonn als Regierungspolitik ausgegeben wird, kann man nur noch mit Sarkasmus reagieren. Wie froh klangen doch vor Jahresfrist die Botschaften der Regierung! Niemandem - das versprach der Bundeskanzler - sollte es nach der staatlichen Vereinigung schlechter als vorher gehen. Keiner sollte wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen.
Ich kann gut verstehen, daß er heute an solche Sprüche nicht mehr erinnert werden will. Aber es gibt noch mehr davon, und sie verdienen es, vor diesem Parlament erwähnt zu werden. Am 15. November 1990 erklärte der Bundeskanzler kategorisch: Wenn ich dem Bürger jetzt vor dieser Wahl sage „Wir maMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({15})
chen keine Steuererhöhung im Zusammenhang mit der deutschen Einheit" , dann machen wir keine.
({16})
Meine Damen und Herren von der Regierung, in welchem Zusammenhang machen Sie denn jetzt diese Steuererhöhungen? Nur um den Golfkrieg zu finanzieren, wie der Finanzminister immer noch sagt? - Kläglicher als mit dem Krieg am Golf hätte sich eine Steuerhöhung kaum begründen lassen.
({17})
Um 100 000 Mann auf Totschlag auszuschicken, dafür habt ihr Geld genug,
({18})
- hören Sie erst einmal zu! -,
({19})
aber nicht, um Zehntausenden Lebensunterhalt zu verschaffen?
({20})
Diese Frage stellte Voltaire schon vor mehr als 200 Jahren.
({21})
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, aber die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern stellen heute die Frage, warum diese Koalition zur Finanzierung des Krieges Steuererhöhungen für vertretbar hält, aber nicht, um ihnen zu helfen, und diese Frage ist mehr als berechtigt.
({22})
Diese Menschen sind enttäuscht. Die tiefere Bedeutung des Wortes „Enttäuschung" ist doch wohl die, daß eine Täuschung offenkundig geworden ist. Mit unhaltbaren Versprechungen haben die Herren Kohl, Waigel und Lambsdorff vor der Wahl Stimmen zu fangen versucht. Jetzt entpuppt sich dieser Vorgang als das größte Täuschungsmanöver in der politischen Geschichte in der Bundesrepublik.
({23})
Das Schmierenstück, das derzeit auf der Bonner Bühne aufgeführt wird, könnte schlicht und einfach „Die Steuerlüge" heißen. Oder sollte es besser unter dem Titel „Die große Illusion oder wie man sich selber in die Tasche lügt" laufen? Das Publikum wird wohl nie ganz dahinterkommen, was in der Dramaturgie dieses Stücks den Ausschlag gab: die Absicht, andere zu täuschen, oder die Tragik der Selbsttäuschung, die Lüge oder der Irrtum, der nackte Machterhaltungstrieb oder die pure Inkompetenz.
Wie dem auch sei, das Ergebnis bleibt gleich niederschmetternd. Am 1. März dieses Jahres schrieb ein deutsches Wochenblatt: Normalerweise müßte die Regierung in einem demokratischen Gemeinwesen
bei einem so eklatanten Fall von Täuschung zurücktreten,
({24})
selbst, so der Kommentator weiter, wenn es sich um Selbsttäuschung handelt, wie sie vorgibt. - Was bleibt uns da noch hinzuzufügen?
({25})
Meine Damen und Herren, weder in den östlichen noch in den westlichen Bundesländern haben es die Menschen verdient, von den in Bonn Regierenden geleimt zu werden. Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR wußten, daß die staatliche Einheit für sie in einer ersten Phase mit sozialen Härten verbunden sein würde. Auch die Bürgerinnen und Bürger der alten Bundesrepublik waren durchaus bereit, für die gesellschaftliche Einheit Opfer zu bringen. Die Regierung hätte in einem solchen Klima der Solidaritätsbereitschaft den Bürgerinnen und Bürgern Unpopuläres abverlangen können, ohne daß sie dafür mit dem Stimmzettel bestraft worden wäre. Vor allem hätte diese Regierung besser abschätzen müssen, welche Belastungen mit der gesellschaftlichen Vereinigung auf den Bundeshaushalt zukommen. Konnte sie das wirklich nicht? Das deutsche Volk war offensichtlich klüger als seine Regierung.
({26})
Denn wenn man den Meinungsforschern Glauben schenken darf, haben auch schon vor der Bundestagswahl zwei von drei Bundesbürgern jenen Beteuerungen aus dem Regierungslager nicht getraut, daß der Umbau Ostdeutschlands ohne Steuererhöhungen möglich sein sollte.
Natürlich war niemand in der Lage, den Bedarf exakt vorauszuberechnen,
({27})
aber die Größenordnung ließ sich sehr wohl abschätzen. Jeder, der sie wissen wollte, hätte sie wissen können,
({28})
denn die Sachverständigen, Theoretiker und Praktiker, haben sie von den Dächern gepfiffen.
({29})
Daß sich mit hochrentierlichen Anleihen allein die deutsche Einheit nicht finanzieren lassen wird,
({30})
hat am 3. Oktober in Berlin selbst der Bundespräsident gesagt, aber auch seine Warnungen wurden von dieser Koalition nur als Unkenrufe eines Störenfriedes der Feierlichkeiten abgetan.
({31})
Ich wiederhole: Die Bundesregierung hätte die Größenordnung der kommenden Haushaltslasten bei klarem Verstande voraussehen müssen, und sie hätte die entsprechenden Belastungen von den Wählerinnen und Wählern ungestraft einfordern dürfen. Die Men658
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({32})
schen sind bei weitem nicht so gefühllos, wie der eine oder andere offensichtlich unterstellte. Aber der Bundeskanzler hat der Solidarität im letzten Jahr keine Chance gegeben. Kein politisches Täuschungsmanöver war je so unnötig wie dieses.
({33})
Dafür, meine Damen und Herren von der Koalition, spricht sogar noch ein weiterer Grund. Gegen Ende des letzten Jahres, passend zum Wahltermin - wer wüßte dies besser als ich -, stand die Bundesregierung in einem günstigen Licht. Sie hatte die Gunst der Stunde zu nutzen gewußt und nach anfänglichen außenpolitischen Irritationen die staatliche Einheit in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen durchzusetzen vermocht. Um so unverständlicher ist es für mich, daß Sie mit solch guten Karten auf der Hand die erste freie, gesamtdeutsche Wahl mit diesem Wahlbetrug belastete.
({34})
Dieses Täuschungsmanöver ist ein Anschlag auf die Glaubwürdigkeit in der Politik, auf unser aller Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren!
({35})
So wird es auch in den Reihen der Regierungskoalition von manch einem gesehen. Immerhin versuchte der neue Bundeswirtschaftsminister, ein Stück Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Am selben Tag - dem 26. Februar - , an dem Finanzminister Waigel die Steuererhöhungen mit dem Golfkrieg begründete, sagte Herr Möllemann im Deutschlandfunk:
Es ging vor allem darum, eine Strategie für den Aufschwung im Osten zu finanzieren. Deswegen geht der Löwenanteil der Beträge ja auch in diesen Bereich.
({36})
Kompliment, Herr Möllemann, daß Sie sich zur Wahrheit durchgerungen haben! Vielleicht erteilen Sie dem Finanzminister einmal etwas Nachhilfeunterricht.
({37})
Der Bundeskanzler, um ein besseres Image bemüht, trat vor der Presse dem Vorwurf entgegen, ein Umfaller zu sein. Zur Entschuldigung seines Umfallens gab er an, daß man den Zusammenbruch des RGW-Handels in diesem Ausmaße nicht habe voraussehen können.
({38})
Gerade das aber war als Folge der Einführung der D-Mark als alleiniges Zahlungsmittel in der ehemaligen DDR vorhersehbar. Deshalb läßt sich die Öffentlichkeit durch solch dürftige Ausreden kein zweites Mal von Ihnen hinters Licht führen.
({39})
Sie wissen so gut wie ich, daß die Lösung der mit der gesellschaftlichen Vereinigung der Deutschen verbundenen Probleme die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien erfordert. Wir Sozialdemokraten werden uns dem in Zukunft nicht verweigern. Das haben die jüngsten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz zur Lösung der Finanzprobleme der neuen Bundesländer gezeigt. Aber die Verständigung mit uns hat einen Preis: die Wiederherstellung der Verläßlichkeit des politischen Handelns und ein Konzept, das sozial, ökonomisch und ökologisch vertretbar ist.
({40})
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, sind am Zuge. Ich kann Ihnen nur raten: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten, und wagen Sie im Gegensatz zum Bundesfinanzminister einen ehrlichen Neuanfang. Noch sieht es ja nicht danach aus. Sie bemühen sich zwar, die Scherben zu kitten; aber noch immer wird dabei getrickst und geschwindelt. Noch immer wollen Sie der Wahrheit nicht ins Auge schauen, nähern sich ihr nur widerstrebend und halbherzig. Passen Sie auf, daß es Ihnen dabei nicht wie jenem von Bertolt Brecht erfundenen Herrn Keuner geht: Ich habe viel Mühe, sagte Herr Keuner, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.
({41})
Die harte Wirklichkeit hat auch dem letzten Schönfärber der Bundesregierung deutlich gemacht, wieviel Geld in den neuen Ländern dringend benötigt wird. Daß es aufgebracht werden muß, steht außer Frage. Über das Wie wollen wir gerne diskutieren. Wir Sozialdemokraten sind schon lange der Meinung, daß in Anbetracht der gegenwärtigen Zinshöhe eine weitere Nettokreditaufnahme aus ökonomischen und fiskalpolitischen Erwägungen nicht in Frage kommt.
({42})
- Meine Damen und Herren, ich will es Ihnen noch einmal erklären: Wir sind an der Saar gewählt worden, weil Ihre Freunde den Saar-Haushalt total ruiniert haben.
({43})
Hören Sie endlich auf - seien Sie so rücksichtsvoll -, Ihre Parteifreunde an der Saar immer an diese maßlose Staatsverschuldung zu erinnern. Wir sind dabei, das in den Griff zu bekommen.
({44})
Allerdings wird jede Sparentscheidung natürlich vom lauten Geschrei der Opposition begleitet. Der Bund steht in der Verantwortung, das, was Sie dort angerichtet haben, auch allmählich zu regeln.
({45})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({46})
Nun aber zu dem Thema, das wir hier zu besprechen haben. Schon jetzt schnüren die hohen Zinsen die privaten und öffentlichen Haushalte zu. Als Grundsatz gilt es zu beachten, daß eine vernünftige Haushaltspolitik die Kapitalmärkte nicht überfordern darf. Es ist einfach fahrlässig, wenn man die Frage der Zinsen so behandelt, wie dies hier schon mehrfach geschehen ist. Ich sage noch einmal: Diejenigen, die ein Haus gebaut haben oder Eigentum erworben haben, sind schon die Leidtragenden Ihrer verfehlten Haushaltspolitik. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie die Dinge jetzt bereits im Griff!
({47})
Über das von der Bundesregierung Geplante hinaus wollen wir alle Finanzierungsreserven nutzen. Dazu gehört der Verzicht auf Steuersenkungen für Unternehmen und Spitzenverdiener, die weder ökonomisch notwendig noch in der jetzigen Lage sozialpolitisch vertretbar sind.
({48})
Dazu gehören weitere Kürzungen im Verteidigungsetat. Die hilflos willfährige Scheckbuch-Diplomatie anläßlich des Golf-Krieges hat ja mit seriöser Finanzpolitik kaum etwas zu tun.
({49})
Dazu gehört nicht zuletzt der Einzug der MilliardenVermögen von SED/PDS, von CDU-Ost und der anderen ehemaligen Blockparteien in der DDR. Wir bleiben bei dieser Forderung.
({50})
Es ist unvermeidlich, daß der Bund seine Einnahmen verbessert. Wir haben dies stets gesagt. Meine Damen und Herren, wo hat es schon einmal einen Wahlkampf gegeben, in dem die Opposition den Part übernahm, das Unpopuläre zu sagen, weil es eben der Wahrheit entsprach und weil wir nicht die erste deutsche Wahl mit einer Lüge belasten wollten?
({51})
Wir bleiben bei unserer Linie: Steuererhöhungen zur Finanzierung der nationalen Aufgaben sind unvermeidlich. Nur so läßt sich die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte stärken. Aber diese Steuererhöhungen müssen sozial gerecht, ökologisch vernünftig und ökonomisch sinnvoll sein.
({52})
Das vorliegende Haushaltspaket - ich nehme die Januar- und Februarbeschlüsse der Regierung als Einheit - hält in vielen Punkten diesen Kriterien nicht stand. Die geplante Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer bedeutet ein Steuergeschenk für Vermögensmillionäre und Großunternehmen in Höhe von 9 Milliarden DM.
({53})
Steuererhöhungen für breite Schichten der Bevölkerung zur Finanzierung von Steuersenkungen für die Reichen - das kann doch wohl nicht wahr sein, meine Damen und Herren!
({54})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Ich lasse gerne eine Zwischenfrage zu, bitte aber um Verständnis, daß ich gerne im Zusammenhang vortragen möchte. - Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, zum Verzicht auf Vermögensteuer, Gewerbeertragsteuer,
({0})
- Gewerbekapitalsteuer - , den Sie als Finanzierungsbeitrag ansehen, meine Frage: Wenn Ihnen jemand eine private Reise in die Toskana finanzieren will, und Sie verzichten darauf, was können Sie aus diesem Verzicht finanzieren?
({1})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({2}): Sind Sie fertig mit Ihrer Frage? Ich will sie gerne beantworten. Sie scheinen nicht zu begreifen, was wir sagen. Sie scheinen ungemein fasziniert von ToskanaReisen zu sein. Reisen Sie da einmal hin. Vielleicht befördert das das Denkvermögen, ich weiß es nicht.
({3})
Ich will Ihnen gerne eine Antwort geben: Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger versteht nicht, daß Sie sie zur Kasse bitten, während Sie auf der anderen Seite den Vermögenden Steuergeschenke machen. Nichts anderes ist hier gesagt.
({4})
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang gilt es auch, die von den Koalitionsfraktionen eingeführten unsozialen Steuerbegünstigungen für die Beschäftigung von Haushaltshilfen wieder abzuschaffen.
Die Ministerpräsidenten aller Bundesländer haben sich darauf geeinigt, ein Ausbluten der Länder und Gemeindefinanzen nicht hinzunehmen - unabhängig von der jeweils parteipolitisch unterschiedlichen Bewertung der Finanz- und Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Der Bund will seine Einnahmen erhöhen; die Länder und Gemeinden aber sollen trotz Mehrbelastungen darben. Das geht nicht an und ist keine vernünftige Finanzpolitik des Bundes.
({5})
Die Erhöhung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung - ich will den Bundesarbeitsminister nicht noch einmal an seine Versprechungen erinnern - um 2,5 Prozentpunkte, also um 58 % der bisherigen Beiträge, belastet ausschließlich die Arbeitnehmer und die Unternehmen, während Selbständige, Beamte, Abgeordnete, Minister, Ministerpräsidenten und Bundeskanzler verschont bleiben.
({6})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({7})
Wir fordern deshalb an Stelle der Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge einen allgemeinen Arbeitsmarktbeitrag.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie haben schon so viele Chancen verspielt, die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger einzufordern und solidarisch mit denen zu sein, die dazugekommen sind, verspielen Sie nicht weitere Möglichkeiten, indem Sie unsoziale Steuerpakete vorlegen und damit diese Bereitschaft noch weiter schwächen.
({9})
Der Hinweis auf die Absenkung der Beiträge zur Rentenversicherung wird nicht lange tragen, so sagen jetzt schon die Fachleute. Die Bundesregierung hat zwar unser Konzept der zeitlich befristeten Ergänzungsabgabe übernommen. Es wäre jetzt wirklich ein Spaß, hier einmal alles zu zitieren, was dazu gesagt worden ist. Besonders erfindungsreich war Graf Lambsdorff. Das wäre ein wirkliches Vergnügen. Es kann ja auch sein, daß es manchem von Ihnen Vergnügen bereitet, die eigenen Worte zu fressen. Da kann ich nur sagen: Guten Appetit!
({10})
- Man muß den Mund dabei aufsperren und ihn anschließend wieder schließen. So geht das, wenn man die eigenen Worte frißt.
({11})
Ich will zu dem Thema Ergänzungsabgabe nur sagen, daß wir eine andere Ergänzungsabgabe wollten als die, die Sie jetzt beschlossen haben. Wir wollten über die Ergänzungsabgabe die Besserverdienenden zur Kasse bitten. Sie belasten selbst die Bezieher der niedrigsten Einkommen, und dies ist wiederum eine unsoziale Unausgewogenheit des Steuerpaketes.
({12})
Ein solches Vorgehen straft den Namen Solidarbeitrag Lügen. Wie wollen Sie denn, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, den Verfassungsrichtern Ihre Beschlüsse erklären? Das Verfassungsgericht hat eine Anhebung des steuerfreien Grundbetrages doch wohl nur deshalb gefordert, weil es der Ansicht war, daß die Familien ohnehin zu hoch besteuert werden.
({13})
Jetzt wollen Sie sogar noch draufsatteln. Jetzt wollen Sie durch eine Ergänzungsabgabe auch noch die Familien mit den kleinsten Einkommen steuerlich stärker belasten.
({14})
Allein schon dadurch, daß die Bundesregierung die geltende - vom Bundesverfassungsgericht als unsozial verworfene - Familienförderung unverändert fortgeschrieben hat, begeben Sie sich, meine Damen
und Herren von der Regierungskoalition, mit diesem Haushalt auf verfassungsrechtlich dünnes Eis.
({15})
Wenn Sie schon von unserem Programm abschreiben, dann sollten Sie das nicht halbherzig, sondern vollständig tun. Wir bleiben nicht zuletzt wegen der Notlage der Familien in den neuen Ländern dabei, daß ein einheitliches Kindergeld von mindestens 200 DM monatlich für jedes Kind notwendig ist und der beste Beitrag zur Situation der Familien im Osten Deutschlands wäre.
({16})
Es ist allemal besser, Familien über das Kindergeld zu fördern, als über das Ehegattensplitting den Trauschein zu fördern.
({17})
Es ist sinnvoller, das Kindergeld zu erhöhen als die ungerechten Freibeträge, von denen vor allem die Spitzenverdiener im Westen profitieren.
({18})
Zu der von Ihnen geplanten Ergänzungsabgabe will ich noch anmerken, daß mir eine zeitliche Befristung auf zwölf Monate fraglich erscheint.
({19})
Gemessen an der Größe der Aufgabe wäre eine längere Dauer angemessener. Andernfalls wird man schon sehr bald wieder neue Finanzlöcher stopfen müssen. Aber Sie haben es ja eingeräumt: Die Bundesregierung setzt deshalb auf die für 1993 bereits beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer. Aber auch diese Erhöhung der Mehrwertsteuer ist mit dem Prinzip einer sozial gerechten Lastenverteilung nicht vereinbar.
({20})
Die Mehrwertsteuer belastet überproportional die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, die eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten nicht so leicht verkraften wie die Besserverdienenden.
({21})
Sie haben vorhin, Herr Bundesfinanzminister, wirklich mit einer entsprechenden Färbung in Ihrer Stimme etwas vorgetragen. Es war übrigens nicht sehr geschmackvoll. Ich kann Ihnen nur sagen: Es war mehr als primitiv.
({22})
Ich erinnere Sie an die Worte, die Sie nach dem Attentat in Köln an mich gerichtet haben, als ich hier das erste Mal gesprochen habe - ich muß das jetzt einmal ansprechen; alles können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie haben mir damals gesagt, Sie freuten sich, daß ich wieder gesund bin und daß ich hier spreche.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({23})
Es hat jemand „Heuchler" dazwischengerufen; das hat mir damals leid getan. Wenn Sie mir aber auf diese Art und Weise meinen Urlaub nach einem anstrengenden Wahlkampf und nach diesem Attentat vorwerfen, muß ich Ihnen sagen: Sparen Sie sich nächstens solche Worte! Ich kann auf solche Schleimer verzichten.
({24})
Es wäre besser gewesen, sich vor Augen zu führen, was eine Erhöhung der Mehrwertsteuer tatsächlich für Menschen bedeutet, die mit 600 DM, 700 DM oder 800 DM Nettoeinkommen Familien ernähren müssen.
({25})
Es wäre besser gewesen, sich darüber Klarheit zu verschaffen. Ich möchte auch all Ihre Äußerungen zur Erhöhung der Mineralölsteuer hier nicht zitieren. Es ist ja wirklich einmalig, was in diesen Tagen passiert.
Wir Sozialdemokraten fordern eine Erhöhung der Energiesteuern, insbesondere der Mineralölsteuer.
({26})
Wir wollen aber nicht, daß daraus eine ökologische Mogelpackung wird. Wir wollen daraus vielmehr einen sozialverträglichen Beitrag zur ökologischen Umstrukturierung unserer Gesellschaft machen.
({27})
Wer das will - das scheint sich im Konzept immer noch nicht rundgesprochen zu haben - , der darf nicht nur nehmen, der muß auch zurückgeben.
Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, das Kilometergeld für Fernpendler um 15 Pfennig zu erhöhen. Nur eine ökologisch orientierte Entfernungspauschale macht Sinn.
({28})
Es ist absurd, die Pkw-Fahrer steuerlich zu fördern und die Benutzer anderer ökologisch verträglicherer Verkehrsmittel weiter zu benachteiligen. Das ist unser Konzept; sehen Sie sich es endlich einmal an.
({29})
Bei einer Erhöhung der Energiesteuern müssen unbedingt die Belange der Behinderten, die auf das Auto angewiesen sind, beachtet werden, ebenso die Belange der von höheren Heizungskosten betroffenen Wohngeld-, Sozialhilfe-, BAföG-Empfänger und Rentner. In all diesen Fällen haben wir Konzepte für einen Ausgleich entwickelt.
Meine Damen und Herren, es hat auch sein Gutes, daß die Bundesregierung jetzt endlich den haushaltspolitischen Offenbarungseid geleistet und die Katze aus dem Sack gelassen hat. Immerhin sind damit die steuer- und finanzpolitischen Pirouetten, die Sie in
den letzten Wochen und Monaten gedreht haben, zu einem vorübergehenden Stillstand gekommen.
({30})
Jetzt kann es hoffentlich in geordneten Bahnen weitergehen. Die Geldbeschaffung scheint fürs erste klar zu sein. Wie aber steht es mit der Geldverwendung? Wir vermissen ein klares wirtschaftspolitisches Konzept der Bundesregierung.
({31})
Mehr noch als alle Skrupellosigkeit überraschen uns die Illusionen, der Mangel an Realitätssinn in bezug auf die Bewältigung des realen Einigungsprozesses. Vielleicht hat ein Teil der Regierung wirklich geglaubt, mit dem Geschenk der D-Mark und der Übernahme unserer Wirtschaftsgesetze würden sich die Menschen der alten und der neuen Bundesländer gleichsam wie von selbst aufeinander zubewegen. Die beste Wirtschaftspolitik sei keine Wirtschaftspolitik; dies kommt durchaus dem Ideal vieler orthodoxer Liberaler gleich. Nun mag dieses angehen, wenn es stabile ökonomische Kreisläufe gibt. Aber dies ist keine Medizin gegen Kreislaufzusammenbrüche. Das unterschiedliche Wirtschaftsniveau in den beiden Teilwirtschaften hätte vielmehr nahegelegt, daß Gleiches gleich, Ungleiches aber ungleich zu behandeln sei, um eine gedeihliche Entwicklung zu gewährleisten.
In Wirklichkeit hatte diese Regierung den Entschluß zur Einheit ohne ein wirtschaftliches Konzept zu ihrer Gestaltung.
({32})
Es war die Einheit als Wille und Vorstellung. Bundesfinanzminister Waigel bezeichnete die Einheit als eine Herzensangelegenheit. Soweit, so gut - aber muß einem dabei denn gleich das Hirn in die Hose rutschen, möchte man fragen.
({33})
Wir verkennen nicht, daß die Gestaltung der Einheit eine große, aber auch großartige wirtschafts- und gesellschaftspolitische Herausforderung ist. Keiner von uns konnte einen risikofreien Königsweg weisen; auch dies sei zugestanden.
Aber schon flüchtige ökonomische Kenntnis lehrt, daß die Bedingungen, unter denen sich Privatinvestitionen rentieren, erst hergestellt werden müssen. Trotz großer Verschiedenheiten in den einzelnen Fällen gab es im Entwicklungsprozeß der Marktwirtschaften eine natürliche Ordnung. Zunächst entwikkelten sich eine funktionsfähige Verwaltung und Infrastruktur, dann effektive Finanzdienstleistungen, dann wurde privates Kapital in großem Umfang investiert.
Angesichts der zusammenfallenden Strukturen in den alten Bundesländern und angesichts des Zeitdrucks, zu dem auch die Politik der Regierung beitrug, mußte dieser Prozeß weitgehend parallel organisiert werden. Wo private Initiativen nicht ausreichen konnten, hätte der Staat ermutigen müssen, wäre es seine Aufgabe gewesen, Anstoßwirkungen zu entfachen.
Wer weiß, daß der Wohnungsbau in der Hauptsache Aufgabe der Kommunen war, darf diesen nicht das
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({34})
Geld nehmen, oder er riskiert, daß die Bauwirtschaft verfällt.
({35})
Er muß staatliche Programme anlegen, um die Infrastruktur in Ordnung zu bringen, streng engpaßorientiert, wie es unsere Vorschläge waren und immer noch sind. Er muß Kapazitäten erhalten und Investitionshindernisse abbauen. Wir haben schon frühzeitig darauf hingewiesen, daß Investitionen in großem Stil nicht zu erwarten sind, solange die Eigentumssicherheit nicht geklärt ist.
({36})
Eine Konferenz von Wissenschaftlern und Praktikern am 5. März in Bonn ist nahezu einmütig zu dem Ergebnis gekommen, daß Rückgabe vor Entschädigung das größte Investitionshindernis sei. Aber der Fortschritt der Vernunft bei der Regierung erfolgt im Kriechgang. Wir diskutieren jetzt seit über einem Jahr diese nun wirklich zentrale Frage. Bewegt hat sich so gut wie kaum etwas.
({37})
Während man bei der Finanzierung nun endlich über den Schatten gesprungen ist, bleibt die Geldverwendung weitgehend ungeklärt. Eine nur auf den einzelnen Betrieb bezogene Angebotspolitik kann nicht helfen, wenn die Standortbedingungen nicht optimiert werden. Man kann doch nicht so tun, als gehöre eine funktionsfähige Telekommunikation, ein geordnetes und effizientes Schulwesen oder der Aufbau eines Verkehrsnetzes zu den nebensächlichen Bedingungen einer prosperierenden Region.
Die Politik dieser Regierung beruht auf der Hoffnung, daß es gelingt, den unabwendbaren Abbau alter Arbeitsplätze mit dem Aufbau neuer Arbeitsplätze zu synchronisieren. Dabei wurde der Verfall nahezu aller industriellen Kapazitäten in Kauf genommen. Insbesondere aber - das lasten wir der Regierung an - wurden die Menschen und ihre Arbeitskraft so behandelt, als könne man sie durch Konkurs gewissermaßen entschulden.
({38})
Otto Schlecht, der langjährige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, hat den Umbau der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft mit dem Bild beschrieben, daß dieser der Besteigung der Eiger-Nordwand im Winter gleichkäme. Wenn ich das wirtschaftspolitische Handeln der Regierung kommentiere, dann muß ich sagen: Sie versuchte, die Eiger-Nordwand im Winter zu durchsteigen. Aber die ganze Seilschaft, der Bundeskanzler an der Spitze, ist dabei umgefallen und abgestürzt.
({39})
Diese Bundesregierung hat durch viele Versäumnisse das Land auf eine schiefe Ebene gebracht. Schlimmer noch als die Schieflage des Landes ist aber die innere Krise, die bei vielen Menschen in den neuen Bundesländern hervorgerufen wurde. Hoffnungen wurden zerschlagen, Mutige entmutigt, Versprechen enttäuscht. Jetzt gibt es viele Zweifelnde und Verzweifelte, die das alte System nicht mehr und das neue System noch nicht gutfinden können, die nicht mehr an die Taube auf dem Dach glauben wollen, die man ihnen so fahrlässig in Aussicht gestellt hat.
Es wächst die Gefahr, daß diese Menschen dem Politischen schlechthin mißtrauen. Die Regierung in Bonn jedenfalls sollte sich nicht verstimmt darüber beschweren, wenn der Unmut in der ehemaligen DDR wächst und die Menschen verunsichert reagieren, weil sie sich ihrer Zukunft so ungewiß sind.
In Bonn werden jetzt alte Meinungen über Bord geworfen wie Rettungsringe. Die Ergänzungsabgabe, einst als sozialistische Untat denunziert, wird nahezu als eine beispielhafte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gefeiert.
({40})
Der Aufschwung in der ehemaligen DDR wird turnusmäßig verschoben. Ich will die Zahlen aus dem letzten Jahr nicht erwähnen. Zunächst sagte man: Frühjahr 1991, dann Sommer, dann Herbst. Jetzt ist man beim Frühjahr 1992, weitere Voraussagen werden folgen. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben den Glauben an diese Versprechungen verloren. Jetzt müssen wir darauf achten, daß sie nicht auch noch den Glauben an die Demokratie verlieren.
({41})
Sicherlich ist zu fragen, warum diese Regierung sich nur schwer windend zum Besseren bekehren läßt. Interessengeleitete Borniertheit und moralische Skrupellosigkeit können keine Antworten sein. Auch der Mangel an einem inneren Verhältnis zur Solidarität erklärt nicht alles. Mindestens ebenso wirksam sind ideologische Verbohrtheit und
({42})
die mit ihr einhergehende Realitätsverdrängung, die sich gegen jedes sachgemäße Urteil sperrt. Wer glaubt, mit der sozialistischen Planwirtschaft die vernünftige Konzeption von Wirtschaftspolitik gleich miterledigt zu haben, der irrt.
({43})
Das Sprichwort sagt: „Es irrt der Mensch, so lang er strebt. " Aber er muß deswegen ja nicht unbedingt andere Menschen auf Dauer regieren.
({44})
Die Regierung hat völlig zu Recht die Kurzarbeit verlängert. Der Bundeswirtschaftsminister hat den Vorschlag gemacht, die Treuhandanstalt dem Wirtschaftsministerium zuzuordnen. Wir halten diesen Vorschlag für richtig; endlich kommt er! Es ist ein Fehler, das Vermögen in der ehemaligen DDR in erster Linie unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. Es geht um Wirtschaftspolitik.
({45})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({46})
Es wäre dann vielleicht auch dafür gesorgt, daß nicht unsachgemäße Einreden erfolgen, um etwa pfälzischen Presseverlagen Vorteile gegenüber anderen Wettbewerbern zu verschaffen.
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Ich sehe darin einen durchaus bemerkenswerten und erwähnenswerten Vorgang.
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen nationalen Aufbauplan für die neuen Bundesländer. Wer den Wandel der Politik der Regierung in den letzten Monaten verfolgt hat, wird mir zustimmen. Wenn ich jetzt unseren nationalen Aufbauplan skizziere, gebe ich Ihnen damit schon heute die Chance zu erfahren, was diese Regierung morgen für ihre Meinung halten wird.
({48})
Wir haben schon im vorigen Jahr Vorschläge gemacht, die am 20. Februar 1991 als Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion eingebracht und von Hans-Jochen Vogel und Björn Engholm öffentlich vorgestellt wurden.
Im Kern geht es darum, die Einsicht zu fördern, daß in einer Notsituation wie dieser nur das geordnete Zusammenwirken aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten Erfolg verheißt. Wir mißachten nicht die Meinung der ökonomischen Lehrbücher, daß sich der Strukturwandel nur im Wettbewerb aller Beteiligten beschleunigen ließe. In dieser Situation aber müssen wir Zeit gewinnen. Wir müssen die Ungleichheit der neuen und der alten Bundesländer sehen und der ökonomischen Ungleichheit innerhalb der neuen Bundesländer in unseren Vorschlägen Rechnung tragen. Deshalb wird ein reines Wettbewerbsmodell nur die schöpferische Zerstörung einleiten, nicht hingegen den konstruktiven Aufbau.
({49})
Auch der Wiederaufbau der Bundesrepublik nach dem Jahre 1949 war von ökonomischen Ausnahmegesetzen begleitet. Die freie Marktwirtschaft - wir müssen uns daran erinnern - begann mit Protektionismus.
Wir schlagen einen Solidarpakt vor, an dem sich Staat und Gesellschaft, Unternehmen, Gewerkschaften ebenso wie öffentliche Institutionen beteiligen. Dieser Solidarpakt beinhaltet:
Erstens. Wir müssen die Grundfunktionen der staatlichen Verwaltung herstellen. Die neuen Länder und ihre Gemeinden sind ausreichend mit Finanzmitteln auszustatten, weil ohne Funktionsfähigkeit der Verwaltung keine Soziale Marktwirtschaft möglich ist.
({50})
- Ich höre hier: Das läuft ja alles. Ich bestreite ja nicht, daß in den letzten Tagen die notwendigen finanzpolitischen Beschlüsse gefaßt worden sind. Aber diese Entscheidungen waren doch längst fällig, meine Damen und Herren!
({51})
Zweitens. Die Personalausstattung der öffentlichen Verwaltungen in den neuen Ländern muß durch einen massiven Personaltransfer durchgreifend verbessert werden. Die Verwaltungsabläufe müssen vereinfacht und gestrafft werden, Kompetenz und Verantwortlichkeit müssen gestärkt werden. Dadurch wird Handlungsfähigkeit erst ermöglicht. Bei den Beratungen der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler war dieser Punkt nicht ausreichend klar. Ich sage Ihnen noch einmal: Sie können noch soviel Geld in die ehemalige DDR schaufeln; wenn keine Baugenehmigungen erteilt werden, nützt das alles nichts.
({52})
Das zentrale Investitionshindernis - Sie haben ja heute Gespräche - muß endlich beseitigt werden. Die Eigentumsverhältnisse sind eindeutig und unbürokratisch nach dem Prinzip „Entschädigung vor Rückgabe" zu klären.
({53})
Dem Attentismus in den neuen Ländern ist nicht anders zu begegnen. Vergangenes Unrecht ist durch neues nicht wiedergutzumachen.
({54})
„Die klassisch-liberale Rechtstradition", so formulierte es Wolfram Engels in der „Wirtschaftswoche" vom 22. Februar, „wie sie etwa der amerikanischen Verfassung von 1789, der französischen von 1791 zugrunde liegt, legitimiert das Eigentum aus seiner gesellschaftlichen Funktion." Wenn Sie diese Tradition wiederaufnehmen würden, dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, diese Investitionsblockade endlich durch vernünftige Regelungen aufzulösen.
({55})
Wir brauchen eine Standortpolitik für die neuen Bundesländer. Die Infrastruktur - insbesondere in den Bereichen Verkehr, Ver- und Entsorgung - sowie eine gesunde Umwelt sind wichtige Ansiedlungsvoraussetzungen für Unternehmen. Die Telekommunikation muß zügig ausgebaut werden. In dieser Situation ist es auch zweckmäßig, auf das technische Potential der Bundeswehr bzw. der früheren Nationalen Volksarmee zurückzugreifen. Wo es galt, Zeit zu gewinnen, hat die Bundesregierung fahrlässig über ein Jahr verstreichen lassen.
({56})
Wir brauchen auch eine auf die Betriebe ausgerichtete Angebotspolitik. Für private Investitionen müssen unkomplizierte massive Förderanreize geschaffen werden. Hier hat sich einiges getan, nachdem wir im letzten Jahr viel diskutieren mußten. Aber die Flut der Förderungsinstrumente sollte auch nicht wieder so unübersichtlich werden, daß, wie eine Wirtschaftszeitung kommentierte, demnächst Förderungsberater in den Unternehmen der ehemaligen DDR eingestellt werden müssen.
Wir müssen, wie es Wolfgang Thierse formulierte, Zeit kaufen. Wir müssen den Abbau der alten Kapazitäten und den Aufbau der neuen Kapazitäten synchronisieren. Die Menschen mit ihrer Arbeitskraft
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({57})
dürfen dabei nicht wie x-beliebiges Kapital behandelt werden.
({58})
Dies kann nur gelingen, wenn wir die Arbeitslosenpolitik konsequent zu einer Arbeitsmarktpolitik umbauen.
({59})
Wir brauchen eine Kombination offensiver und defensiver Maßnahmen. Ein breites und finanziell ausreichend ausgestattetes Angebot von Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen muß mit einer großzügigen Vorruhestandsregelung verknüpft werden.
Wir müssen einen industriellen Kern in den neuen Bundesländern erhalten. Dies verlangt staatliche Industriepolitik, auch wenn Sie den Begriff fürchten wie der Teufel das Weihwasser.
({60})
Wenn wir jetzt alle industriellen Strukturen in den neuen Bundesländern zerbrechen lassen, dann werden wir den Wiederaufbau dieser Industrie kaum noch schnell finanzieren können. Es ist eine Illusion zu glauben, daß moderne Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern allein von Westdeutschland aus schnell finanziert werden könnten.
Ein moderner Arbeitsplatz in der alten Bundesrepublik kostet etwa 250 000 DM. In der Industrie der neuen Bundesländer gibt es etwa 2,5 Millionen Beschäftigte. Eine vollständige Erneuerung der industriellen Kapazitäten würde also mehr als 600 Milliarden DM kosten. Dies kann der Kapitalmarkt schnell und zu vernünftigen Bedingungen nicht hergeben.
Franz Steinkühler fordert daher zu Recht:
In vielen Sanierungskonzepten wird Sanierung begriffen als Gesundschrumpfung bei Produktion, Kapazitäten, Standorten und Personal. Die Reduzierung der Produktpalette auf das Kernprogramm ist zwar der schnellste Weg in die Gewinnzone, aber auch der kürzeste zur Vernichtung von Unternehmensressourcen. Notwendig ist dagegen ein innovativer Ansatz, bei dem mit neuen Produkten und der Erschließung neuer Märkte die bestehenden Ressourcen mittelfristig wieder ausgelastet werden können und mit Übergangsregelungen, etwa Kurzarbeit, bis dahin erhalten bleiben.
({61})
Die jetzige Regierung hat sich ein Denkverbot bezüglich der Industriepolitik auferlegt, und dies wird sich in den nächsten Jahren noch schwer rächen.
({62})
Ich verkenne nicht, meine Damen und Herren, daß Sie sich an einigen Stellen bemühen, in unserem Windschatten zu fahren.
({63})
- Das können Sie selbst in den Zeitungen nachlesen,
die normalerweise Ihr Loblied singen. Seien Sie also
nicht so anmaßend! Sie haben doch so vieles an Vorschlägen übernommen, die Sie noch vor einigen Monaten hier total in Abrede gestellt haben, daß Ihr Gelächter nun wirklich völlig deplaziert ist.
({64})
Dies gilt nicht zuletzt für die direkten Investitionsprogramme, die noch vor kurzer Zeit verketzert wurden. Bundesarbeitsminister Blüm fordert nun Beschäftigungsgesellschaften, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden. „Na also, warum nicht gleich?" können wir Sozialdemokraten da nur sagen.
({65})
Dort aber, wo es ans Eingemachte geht, bei der Klarstellung der Eigentumsverhältnisse, wird leider weiterhin taktiert.
Meine Damen und Herren, einige Punkte des Programms „Aufschwung Ost" sind durchaus vernünftig, und doch - so erscheint es mir manchmal - haben Sie die Größe der Herausforderung noch immer nicht erkannt. Der Staat wird sich übernehmen, wenn er die Tarifparteien nicht mit ins Boot nimmt. Wir fordern dies von Ihnen seit Monaten.
({66})
Wir brauchen eine umfassende Verabredung der wirtschaftlichen Akteure. Im Rahmen dieser Verabredung bekommen dann auch die Maßnahmen einen vernünftigen Stellenwert, die Sie von uns bereits jetzt übernommen haben. Im übrigen gilt dies auch für viele Punkte unseres Regierungsprogramms „Fortschritt 90", dem Sie sich ebenfalls, wenn auch halbherzig, angeschlossen haben.
Ich erinnere an unsere Vorschläge zur Nutzung der Kräfte der Marktwirtschaft für den Umweltschutz, zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur gesetzlichen Pflegeversicherung, zu den Kürzungen im Verteidigungsbereich, zu den Restriktionen beim Waffenexport, zur Ergänzungsabgabe, die jetzt als Musterbeispiel der Solidarität auch bei Ihnen entdeckt wurde, und an vieles andere mehr.
Zwar erhöht sich erfreulich das Tempo zwischen der Phase der Verteufelung unserer Vorschläge durch die CDU/CSU und FDP und der Phase der Übernahme unserer Pläne. Doch könnte man die Zeitspanne zwischen den Phasen verkürzen und damit noch viel unproduktive Energie sparen, was übrigens ganz im Sinne unseres Regierungprogrammes wäre.
({67})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten in Bund, Ländern und Gemeinden wollen aus dem ehemals gespaltenen Deutschland ein leistungsfähiges, ein modernes, ein ökologisch verantwortungsvolles, ein friedliches, ein soziales Deutschland machen. Wir werden weiterhin konstruktive Lösungen vorschlagen, die Effizienz mit sozialer Gerechtigkeit verbinden. Lassen Sie uns aber beim Streit über den richtigen Weg dahin das gemeinsame Ziel nicht aus dem Auge verlieren, und lassen Sie uns vor allem zügig ans Werk gehen; denn die Aufgabe duldet im Interesse
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({68})
der Menschen in Ostdeutschland keinen Aufschub mehr.
({69})
Das Wort hat der Kollege Bohl. - Ich bitte, daß die Kollegen, die den Saal verlassen wollen, das schnell tun, um dem Redner dann auch die notwendige Ruhe zu verschaffen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Lafontaine war eigentlich nicht besonders überraschend; denn er ist genauso aufgetreten, wie wir das erwartet haben, einmal mehr als der große Miesmacher mit den kleinen Perspektiven.
({0})
Meine Damen und Herren, die Wahrheit ist doch: Herr Lafontaine hat im letzten Jahr keine seriösen wirtschaftlichen Prognosen abgegeben,
({1})
geschweige denn Konzepte für die deutsche Einheit abgeliefert. Wir haben nie von ihm gehört, wie die Probleme bewältigt werden können. Seine Kritik war nie konstruktiv. Sie war immer destruktiv.
({2})
Herr Lafontaine, Sie haben die Mäkelei doch betrieben, weil Sie die Wiedervereinigung im Grunde genommen nicht gewollt haben.
({3})
Ihre negativen wirtschaftlichen Prognosen dienten doch nur dazu, den Menschen den Wunsch nach Einheit schwerzumachen und nach Möglichkeit sogar zu verleiden. Es ist schon eine eigenartige Kompetenz, diese aus Verweigerungsgründen entstandene Schwarzmalerei heute als kluge Voraussicht zu verkaufen. Das ist die Wirklichkeit.
({4})
Es ist vom Bundesfinanzminister schon darauf hingewiesen worden, daß Sie behauptet haben, und zwar im August 1990, daß die DDR, bis die Mauer fiel, ein führendes Industrieland gewesen sei. Sie wollten doch dem maroden SED-Regime noch 15 Milliarden DM nachschieben.
({5})
Sie waren es doch, der aus ganz, ganz durchsichtigen Gründen die ersten gesamtdeutschen Wahlen so spät wie irgend möglich wollte. Das ist doch die Wirklichkeit.
({6})
Meine Damen und Herren, wer so gehandelt hat, der hat sich doch wohl selbst wirtschaftspolitische Inkompetenz attestiert und auch die innere Distanz zur deutschen Einheit sehr eindrucksvoll dokumentiert. Das ist die Wirklichkeit.
({7})
- Herr Gilges, das wollte ich Ihnen schon immer einmal sagen: Es kommt nicht auf den Kehlkopf an, sondern auf den Kopf. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen das einmal zu sagen.
({8})
Jetzt versuchen Sie, sich als wirtschaftspolitischer Wunderheiler der SPD zu profilieren.
({9})
Ich muß schon sagen: Es ist bemerkenswert, wie Sie diesen Realitätsverlust überspielen. Sie tragen doch Verantwortung dafür, daß das Saarland hoffnungslos überschuldet ist. Das ist doch die Wirklichkeit.
({10})
Sie tragen Verantwortung dafür, daß der Landesrechnungshof des Saarlandes Ihnen erneut die Verfassungswidrigkeit Ihres Landeshaushaltes bestätigt hat. Sie sind doch der große Schuldenhäuptling von der Saar. Das ist doch die Wirklichkeit.
({11})
Wir wollen auch nicht verschweigen, daß Sie Verantwortung dafür tragen, daß das Saarland in der wirtschaftlichen Entwicklung immer weiter zurückfällt. Bis 1990 lagen Sie mit einem Zuwachs des Bruttosozialprodukts von nur 1,9 % an letzter Stelle der alten Bundesländer und weit hinter dem Bundesdurchschnitt von 4,7 %.
({12})
Anstatt sich hier aufzuspielen, sollten Sie sich lieber wirtschaftspolitischen Rat bei kompetenteren Sozialdemokraten holen, z. B. bei Karl Schiller und Helmut Schmidt.
({13})
Ich glaube, das wäre schon ganz angebracht.
({14})
Vielleicht würde Ihnen Helmut Schmidt wiederholen, was er im Bundestagswahlkampf zur Deutschlandpolitik des Bundeskanzlers gesagt hat:
Er hat das meiste richtig gemacht. Innenpolitisch hat er keine Fehler gemacht. So war es z. B. absolut richtig, gegen den Rat der Bundesbank die D-Mark in der DDR sofort einzuführen. Zu Herrn Lafontaine will ich mich nicht äußern.
({15})
Tun Sie bitte bezüglich des RGW-Handels, also des
Handels der früheren DDR mit den ehemaligen Ost666
blockstaaten, nicht so, als ob dieser Zusammenbruch durch die Währungsunion zustande gekommen sei. Das ist schlicht und einfach die Unwahrheit. Die Wahrheit ist, daß im Jahre 1990 auch nach dem 1.Juli noch eine beachtliche Exportsteigerung da war. Das Problem ist vielmehr durch den Umstieg von Transferrubel auf das Devisensystem entstanden. Das ist der wahre Grund. Wer das nicht erkennt, kann wirtschaftspolitisch wirklich nicht kompetent sein.
({16})
Ihre wirtschaftspolitische Inkompetenz ist zu allem Übel noch mit ein wenig menschlicher Kaltherzigkeit gepaart.
({17})
Schon vor der Wiedervereinigung, Herr Lafontaine, waren Sie Schlußlicht in Sachen Solidarität. Mit gerade einmal 1,25 Millionen DM im ersten Halbjahr 1990 haben Sie als Ministerpräsident des Saarlandes unsere Landsleute unterstützt. Sie gaben gerade zehnmal soviel aus, wie Sie für Ihren Luxuskoch in der Landesvertretung jährlich aufwenden.
({18})
Andere Bundesländer haben dafür weit höhere Millionenbeträge zur Verfügung gestellt.
({19})
Genauso war es bei der Währungsunion. Sie haben zu der Einführung der D-Mark zum Kurs von 1 : 1 immer wieder nein gesagt. Sie wollten gegenüber unseren Landsleuten in der damaligen DDR die Taschen zuhalten. Sie, Herr Lafontaine, waren der Wortführer der SPD-Ministerpräsidenten, die sich gegen eine gerechte Beteiligung der neuen Länder an der Umsatzsteuer im Zuge des Einigungsvertrages ausgesprochen haben.
({20}) Es mutet wirklich schon sehr merkwürdig an,
({21})
die Bundesregierung heute für die Folgen Ihrer damaligen Verweigerungshaltung verantwortlich zu machen.
({22})
Noch im letzten Dezember - das ist noch keine drei Monate her - haben sich die SPD-Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz in München gegen eine bessere finanzielle Berücksichtigung der neuen Länder ausgesprochen. Wenn es Ihnen von der SPD im vergangenen Jahr mit Ihrer Behauptung ernst gewesen wäre, die Lage im Beitrittsgebiet sei dramatisch schlecht und die wirtschaftliche Lage werde katastrophal sein, dann frage ich mich, weshalb Sie dann nicht
für eine bessere Finanzausstattung der Länder in der früheren DDR eingetreten sind.
({23})
Ich glaube, wir Deutsche können von Glück reden, daß die Koalition mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl an der Spitze die deutsche Einheit in die Hand genommen hat. Erst der Zehn-Punkte-Plan, dann die Währungsunion, anschließend das entscheidende Gespräch mit Präsident Gorbatschow, der Einigungsvertrag und schließlich die Wiedervereinigung: Das war eine Meisterleistung, zu der uns alle Welt zu Recht beglückwünscht hat. Welch ein Kontrast zu Ihrem Programm der Verzögerungen! Wo stünden wir heute, wenn Sie damals das Sagen gehabt hätten? Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir heute in der Tat manches Kopfzerbrechen vielleicht nicht, aber nur deshalb, weil Sie die Einheit verspielt und wir aus diesem Grunde die Probleme der Einheit nicht hätten.
({24})
Eines würde mich trotzdem noch interessieren, Herr Lafontaine: Was ist eigentlich der Grund dafür, daß Sie heute hier an Stelle des großen Schweigers aus Kiel auftreten?
({25})
Ich erinnere mich noch genau: Vor der Bundestagswahl hatten Sie nicht den Mut, hier im Bundestag zum Nachtragshaushalt für die neuen Länder zu sprechen. Statt dessen gingen Sie auf eine Pressekonferenz.
({26})
Nach der Bundestagswahl hatten Sie nicht den Mum, in der SPD die Verantwortung für Ihre Destruktionspolitik zu übernehmen. Sie begingen politische Fahrerflucht und schwirrten in südliche Gefilde ab. Jetzt tauchen Sie wieder einmal auf, blind vor Rechthaberei. Das ist Lafontaine.
({27}) Ich frage die SPD:
({28})
- Moment, trinken Sie doch einmal einen Schluck Wasser, Herr Kuhlwein, und dann hören Sie einmal zu! ({29})
Ist der SPD-Ersatzvorsitzende Engholm im innerparteilichen SPD-Stammeskampf bereits abgehalftert, oder will die SPD vermeiden, daß Engholm genau jene Reform der Unternehmensbesteuerung
({30})
- Moment, Frau Fuchs, seien Sie einmal ganz ruhig - und die Erhöhung der Mehrwertsteuer fordert,
die von Herrn Lafontaine hier so lautstark bekämpft werden?
({31})
Am 19. Februar 1991 wird Herr Engholm von der „taz" wie folgt zitiert - Herr Lafontaine, hören Sie doch bitte einmal zu, Sie können noch etwas lernen - :
Auch die Mineralölsteuererhöhung ist nach wie vor richtig ... Wenn das alles nicht ausreicht, muß die Mehrwertsteuererhöhung sein.
So Engholm. Das ist die Wirklichkeit.
Und was hat Herr Engholm zur Unternehmensbesteuerung gesagt? Sie haben das hier so gegeißelt. Er hat ausgeführt:
Wenn künftig noch einmal Milliardenbeträge bewegt werden können, dann muß man die Unternehmen so entlasten, daß sie für die Zukunft sich rüsten können. Daß man denen dieses Geld nicht gibt, sie weiterhin hoch besteuert, ist strukturpolitisch, industriepolitisch für die Zukunft absolut falsch, und da müßte eine komplette Wende her.
({32})
Dies hat Herr Engholm ausgeführt. Offensichtlich durfte er das hier heute nicht sagen.
({33})
Oder hatte Herr Engholm - das könnte die platteste Antwort sein - vielleicht keine Zeit, hier zu reden, weil er ständig auf der Suche nach einem neuen Bundesgeschäftsführer der SPD ist? Auch dies könnte natürlich der Grund sein.
({34})
Ich hätte diese Fragen eigentlich gerne beantwortet. Ich möchte Herrn Engholm, den ich von dieser Stelle herzlich grüßen möchte, angesichts dessen, was in der SPD mit ihm geschieht, fragen, ob er nicht blind ist.
({35})
Meine Damen und Herren, der eine ist blind vor Rechthaberei, der andere blind für die Realität.
({36})
Da möchte ich, an die SPD gewandt, doch auf das altdeutsche Sprichwort hinweisen: Wenn der Blinde den Blinden führt, fallen beide in die Grube. - Aber vielleicht wäre Ihnen dies auch recht.
({37})
Meine Damen und Herren, jetzt aber sollte mit der Lafontaineschen Besserwisserei doch Schluß sein. Die Menschen draußen im Lande erwarten Antworten auf die Fragen, wie es weitergeht. Jetzt geht es doch darum, zum Wohle der Menschen zu arbeiten. Acht Jahre nach Bildung der Regierung der Mitte aus CDU,
CSU und FDP ist Deutschland seit dem 3. Oktober 1990 wiedervereinigt. Für die Union war die Einheit Deutschlands in Freiheit immer vorderstes Ziel. Im Grundsatzprogramm meiner Partei heißt es:
Freiheit und Einheit für das gesamte deutsche Volk zu erringen, ist die Aufgabe der deutschen Politik. In Frieden wollen wir die Spaltung Europas und mit ihr die Teilung unseres Vaterlandes überwinden.
Wir freuen uns über diesen Erfolg unserer Politik und beglückwünschen dazu insbesondere auch heute einmal mehr den Bundeskanzler.
({38})
Die erste gesamtdeutsch gewählte Bundesregierung ist seit dem 18. Januar 1991 im Amt. Es ist ihr unter der Federführung des Bundesfinanzministers in bemerkenswert kurzer Zeit gelungen,
({39})
den ersten gesamtdeutschen und solide berechneten Haushalt vorzulegen. Der Bundeshaushalt 1991 ist nicht nur ein Finanzrahmen. Er ist das Dokument einer beharrlichen, auf die Einheit Deutschlands ausgerichteten Politik dieser Koalition. Hätten diejenigen das Sagen gehabt, die in der Vergangenheit die deutsche Frage für nicht mehr offen erklärt haben, die in der Teilung Deutschlands gute Chancen gesehen haben und die der SED-Diktatur schriftlich einen langen Zeitraum der Existenz zugesichert haben, dann gäbe es diesen gesamtdeutschen Bundeshaushalt nicht.
({40})
Viele, meine Damen und Herren, die heute den Haushalt der Einheit kritisieren, waren noch bis vor kurzem die Propagandisten der Teilung. Das werden wir und das werden die Deutschen sicherlich nicht vergessen.
Wir, d. h. alle Deutschen, stehen nämlich in den neuen Bundesländern - wer wollte das leugnen? - vor großen Herausforderungen. Wir aber können diese Herausforderungen auf einer Grundlage meistern, die noch nie so gut war. Diese Koalition hat bemerkenswerte Erfolge bei der Haushaltssanierung erzielt. Ohne die Zinszahlungen für 265 Milliarden DM SPD-Schulden hätte diese Regierung sich bis zum vergangenen Jahr mit keiner Mark neu zu verschulden brauchen.
Die Konjunktur boomt seit Jahren und ist in einer bemerkenswert stabilen Verfassung. Mit einem Wachstum von 4,6 % in 1990 ist Deutschland Konjunkturlokomotive der Industriestaaten der Welt.
({41})
Die wachstumsfördernde Politik läßt die Steuerquellen für Bund, Länder und Gemeinden sprudeln. Steigende Löhne und niedrige Inflationsraten bescherten den Bürgern steigende Realeinkommen. Die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der Koalition der Mitte ist der Grundstein für eine erfolgreiche Angleichung der Le668
bensverhältnisse in ganz Deutschland, so wie es unser Grundgesetz fordert.
Meine Damen und Herren, ich gehöre einer Generation an, die den Wiederaufbau Westdeutschlands nur aus den Augen des Heranwachsenden miterlebt hat. Angesichts der Probleme, die sich jetzt im Beitrittsgebiet stellen, steigt meine Hochachtung vor der Generation unserer Väter und Mütter, vor der politischen Leistung Konrad Adenauers und Ludwig Erhards. Was sie damals geleistet haben, ist bewundernswert. Es ist und bleibt eine Schande, daß die Mühe und Arbeit der Menschen in der früheren DDR angesichts der sozialistischen Mißwirtschaft so erfolglos bleiben mußten.
Das Umschalten von sozialistischer Mißwirtschaft auf die Soziale Marktwirtschaft ist ein einmaliges Projekt. Wir Deutsche waren und sind zu besonderem Tempo gezwungen. Dies führte zu Unwägbarkeiten und zwingt heute in gewissem Umfang zu Anpassungsmaßnahmen und auch zu Korrekturbedarf. Ich nenne den Einbruch beim Ostgeschäft, der auf Grund der Krise in den ehemaligen Ostblockländern viel dramatischer ausgefallen ist. Ich nenne die Eigentumsfrage, deren Problematik wir uns bewußt waren, deren praktische Folgen uns aber doch vor neue Fragen stellen und neue Lösungen einfordern.
Wir haben uns gerade heute morgen in der Koalition darauf verständigt, auch im Gesetzgebungsverfahren dieser Woche noch weitere Verbesserungen einzuführen, damit noch schneller und noch besser Investitionen möglich sind, damit die Treuhand noch schneller in der Lage sein wird, investitionswilligen Übernehmern den Betrieb zu übertragen.
Ich bin ganz sicher, daß wir mit diesen Maßnahmen, ohne verfassungsrechtliche Risiken einzugehen und ohne die Gefahr heraufzubeschwören, daß durch einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts die Maßnahmen verhindert werden, die richtigen, sachgerechten und weiterführenden Lösungen gefunden haben.
({42})
Ich nenne auch das Problem, wie eine funktionierende Verwaltung aufgebaut werden kann. Wir alle erfahren - ich will das hier gern sagen - , wie unverzichtbar leistungsfähige Behörden
({43})
und stabile staatliche Rahmenbedingungen für unseren Wohlstand und für wirtschaftlichen Aufschwung sind. Hier muß nachgebessert werden, wie wir das ja durch die Beschlußfassung vor 14 Tagen hier im Bundestag auf Antrag der Koalition getan haben. Das Bundeskabinett hat entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Wir stehen nicht für eine dogmatische Politik, sondern für eine sachgerechte Politik. Wir wollen dort anpassen, wo es angesichts neuerer Erkenntnisse notwendig ist. Rechthaberei ist gewiß nicht unsere Sache.
Deshalb brauchen wir auch - ich will das hier offen aussprechen - mehr Finanzmittel, als ursprünglich geplant war. Richtig ist aber, daß diese erhöhten Finanzmittel in 1990 ohne Steuererhöhungen aufzubringen gewesen wären, wenn sich das politische Umfeld nicht geändert hätte. Ich glaube, dies ist eine redliche Aussage, an der Sie nichts kritisieren können.
({44})
Meine Damen und Herren, wir sollten uns davor hüten, angesichts der Probleme die Erfolge zu vergessen. Die Menschen in den neuen Ländern sind nach zwei Diktaturen endlich frei. Sie können ohne Angst ihre Meinung äußern; sie können reisen, wohin sie wollen.
({45})
Die politischen Gefangenen sind frei. Es gibt demokratische Parteien. Wir haben im letzten Jahr vier Wahlen gehabt. Das sind doch alles elementare Erfolge, die wir nicht vergessen dürfen und auch nicht vergessen wollen.
Auch in der Wirtschaft gibt es nicht nur schlechte Meldungen. Es sind nicht nur Arbeitsplätze verlorengegangen; vielmehr sind seit der Währungsunion 1,5 Millionen Arbeitsplätze neu geschaffen worden. Die Stimmung aber ist - das kann man durchaus zugeben - nicht gut. Ich selbst war in der letzten Woche in Thüringen. Die Gespräche mit den Bürgern, mit den Betroffenen sind zum Teil bedrückend. Es ist gar nicht so sehr der Mangel an Geld, nein, es ist nach meinem Eindruck die Unsicherheit darüber, wie es weitergehen soll. Mein Eindruck ist allerdings auch, daß sich diese Stimmung in erster Linie darauf bezieht, daß nicht alles schneller geht. Langfristig gesehen scheint mir durchaus eine solide Zuversicht vorhanden zu sein.
Ein Schlüsselerlebnis war für mich der Besuch bei den Redakteuren einer großen Thüringer Zeitung, die sich skeptisch über die aktuelle Lage äußerten, mir aber gleichzeitig mitteilten, daß sie in Kooperation mit einem westdeutschen Verlag mehr als 100 Millionen DM für neue Maschinen, für neue Druckanlagen und für Gebäude investieren wollen. Sie vertrauen also darauf, daß es wirtschaftlich aufwärts gehen wird.
Meine Damen und Herren, Ludwig Erhard hat zu seiner Zeit gesagt, es seien allzu viele am Werke, das deutsche Volk immer wieder in Verzweiflung und Lebensangst zu treiben.
({46})
Manche Kritiker bemühen sich, diesem brav arbeitenden deutschen Volk einzureden, daß es keinen Tag seines Lebens froh werden darf. Ich will nicht schönreden, nicht bagatellisieren, meine aber, daß das auch heute zutrifft.
({47})
Es ist richtig, was der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thierse dieser Tage zur wirtschaftlichen und sozialen Situation in den neuen Bundesländern im Kern gesagt hat. Er hat bestätigt, daß in den neuen Ländern quantitativ keine Verschlechterung eingetreten sei, aber er hat zu Recht ergänzt, daß die Menschen subjektiv anders empfinden. Jetzt gelten andere Bezugsgrößen. Mit dem Niederreißen der
Grenze ist der Kontrast zum Wohlstand in Westdeutschland noch mehr offenbar geworden. Das erfordert unsere Anstrengungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Schwarzmalerei hilft niemandem, sondern schadet der Sache. Wir hatten durch die deutsche Teilung Jahr für Jahr Verluste in Höhe von 30 Milliarden bis 40 Milliarden DM.
({48})
Alles, was die Bundesregierung jetzt tut und mit diesem Bundeshaushalt beschleunigt fortsetzt, ist eine große Investition, ein starkes Signal in die Zukunft unseres Landes.
({49})
Wir investieren in einem riesigen Ausmaß in Maßnahmen zur Umschulung, um die Produktivität in den neuen Ländern zu verbessern. Wir leisten den neuen Ländern Unterstützung, um die katastrophale Umweltverschmutzung durch den Sozialismus zu beseitigen. Wir geben ihnen Hilfestellung beim Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung, ohne die keine moderne Volkswirtschaft arbeiten kann. Wir greifen im Rahmen des großen Gemeinschaftswerkes all jenen unter die Arme, die in dieser Zeit des Umbruchs kurzarbeiten müssen oder arbeitslos werden. Die Leistungen des Bundes für die neuen Länder sind ein Beispiel für gelebte Solidarität. Die große Mehrheit der Deutschen unterstützt dieses Gemeinschaftswerk. Ich möchte mich insbesondere beim DGB ganz herzlich für diese Unterstützung bedanken. Ich glaube, man kann heute sagen, an fehlendem Geld wird es jetzt in den neuen Ländern nicht mehr scheitern.
({50})
Meine Damen und Herren, der Bund alleine kann dieses Gemeinschaftswerk auf staatlicher Ebene nicht bewältigen. Wir sind auf die Unterstützung aller angewiesen. Ich nenne beispielhaft die Länder. Sie haben sich leider erst nach langem Drängen zu einer angemessenen Beteiligung bereit erklärt. Ich frage mich, warum sich gerade die SPD-Ministerpräsidenten so lange sträubten, mehr Solidarität zu zeigen. Immerhin haben doch auch ihre Bundesländer durch die deutsche Einheit allein 1990 Milliarden DM mehr an Steuern eingenommen.
Ich nenne auch die Kommunen. Viele haben erheblich höhere Steuereinnahmen. In meinem Wahlkreis gibt es z. B. eine kleine Gemeinde mit SPD-Mehrheit, die sich jetzt für 2,5 Millionen DM das Bürgerhaus ausbaut. Ich frage mich: muß das sein? Andere Kommunen im Westen geben Geld aus, um Straßen zurückzubauen. Dabei geht es doch darum, die Straßen im Osten auszubauen. Das muß doch die Forderung sein.
({51})
Ich frage mich, ob die Kommunen nicht manche Ausgaben zugunsten ihrer Partnergemeinden in die neuen Länder umleiten könnten. Es wäre auch schon beste Solidarität, wenn durch Verzicht oder Streckung von wünschenswerten Maßnahmen der Kapitalmarkt nicht zusätzlich belastet würde. Bevor es hier noch
schöner wird, muß es in den neuen Bundesländern überhaupt erst schön werden. Das ist doch die Forderung, die wir erheben müssen.
({52})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost für die neuen Bundesländer ist eine Investition für ganz Deutschland. Von den Deutschen in den alten Bundesländern wird Solidarität erwartet und erbracht. Ich persönlich füge hinzu: Ich finde, das ist auch eine patriotische Pflicht. Von den Deutschen in den neuen Ländern muß, auch wenn es zugegebenermaßen sicherlich manchmal bitter ist und nicht leichtfällt, Geduld aufgebracht werden.
({53})
Über 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft lassen sich nicht wegpusten wie eine Seifenblase. Dazu sind harte Arbeit und kluge Politik notwendig.
Ich finde, mit diesem Bundeshaushalt leisten wir dazu einen erheblichen Beitrag. Die Union hat bewiesen, daß sie die Konzepte und die Kraft hat, um Deutschland Wohlstand und soziale Sicherheit zu geben.
In den Aufbaujahren gelang es uns in Westdeutschland, zu einem rasanten, wirtschaftlichen Aufstieg zu kommen. Unter unserer Verantwortung wurde ein soziales Netz geschaffen, das weltweit seinesgleichen sucht. Nach der Wirtschaftskrise der SPD-Regierung ging es mit uns seit 1982 stetig wieder bergauf. Jetzt gilt es, diesen Aufschwung - auch in den neuen Bundesländern - zu verwirklichen.
({54})
Ich sage hier, meine Damen und Herren, die Menschen in den neuen Bundesländern können sich auf die Union und auf diese Koalition verlassen.
({55})
Lassen wir uns trotz unserer Probleme die Zuversicht nicht zerstören! Wir leben in Deutschland, wie ich finde, fast auf einer Insel der Freiheit und des inneren Friedens, um die uns viele andere Völker sehr beneiden. Wenn wir an den Golf sehen, ins Baltikum oder an den Balkan, dann erkennen wir erst, in welch glücklicher Lage wir sind. Wir setzen auf Mut und Optimismus. Wir bitten alle Deutschen auch weiterhin um Unterstützung, zum Teil um Geduld, aber auch um Zuversicht bei der weiteren Entwicklung für ganz Deutschland. Ich persönlich halte das für eine großartige Aufgabe.
({56})
Ich danke all denen ganz besonders, die sich uneigennützig in den neuen Bundesländern für den Aufbau engagieren.
({57})
Meine Damen und Herren, wir werden uns als Union und Koalition nicht beirren lassen. Es bleibt dabei: Gemeinsam werden wir es schaffen.
({58})
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Briefs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, Predigten, wie wir sie soeben gehört haben, helfen hier nicht, helfen niemandem. Die Wahrheit ist vielmehr: Selten ist eine Jahrhundertaufgabe so unzureichend wahrgenommen worden wie die Angliederung der DDR an die BRD.
({0})
Das gilt insbesondere, wenn man die Entwicklung mit den Augen der Bürger und Bürgerinnen in der früheren DDR betrachtet. „Niemandem wird es schlechter gehen, vielen aber besser" , so der Kanzler vor der Wahl.
Den Verheißungen des Kanzlers entsprachen die Erwartungen der Bürger: Die Währungsunion und die D-Mark, die Soziale Marktwirtschaft und das freie Unternehmertum werden es schon richten. - Heute - das Jahr 1 nach dem Anschluß der DDR an die BRD ist noch nicht herum - wird die Wahrheit sichtbar: Ein Fünftel der Menschen in der DDR ist inzwischen von Arbeitslosigkeit getroffen. Existenzangst, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit breiten sich aus. Die Selbstmordzahlen - wie der „Spiegel" in dieser Woche berichtet - gehen in der DDR in die Höhe.
({1})
Die Wahrheit ist: Die DDR-Wirtschaft bricht zusammen. Sie bricht zusammen, weil Sie, die politisch Verantwortlichen in Bundesregierung und Koalitionsparteien, es an der Einsicht in die Notwendigkeit eines Mindestmaßes von wirtschaftlichen und politischen, von sozial- und arbeitsmarktpolitischen Schutzvorkehrungen haben fehlen lassen.
({2})
Bei der Fusion von Wirtschaftsunternehmen wäre ein so planloses, unkoordiniertes, ohne soziale Hilfen und Produktionsumstellungen durchgeführtes Verfahren tödlich.
({3})
Die Bundesregierung hat das Jahrhundertprojekt der Zusammenführung zweier gänzlich unterschiedlicher Wirtschaftssysteme ohne jedes Konzept, nur verpflichtet ihrem Kredo von der Selbstregulierung des Marktes und des freien Unternehmertums, in Angriff genommen und sich entwickeln lassen. Die Folgen tragen die Menschen im Osten, insbesondere die Frauen, die Jugendlichen, die Rentner und Rentnerinnen sowie die sonstigen sozial Schwachen.
({4})
Nun ist auch richtig: Die Volkswirtschaft der DDR hatte nur ca. 60 v. H. des Produktivitätsstandes der BRD. - Seit wann aber ist geringere Produktivität ein Verbrechen, das mit sozialer Not und psychischer und materieller Verelendung von zwei Dritteln der früheren DDR-Bevölkerung geahndet werden dürfte? Hätte nicht gerade der im Westen vielfach untersuchte und ständig dokumentierte Rückstand der DDR-Wirtschaft - Verweis auf die Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung - ein besonders sorgfältig geplantes und geregeltes und vor allem sozial abgefedertes Verfahren der Überleitung auf die Wettbewerbsbedingungen der sogenannten Sozialen Marktwirtschaft notwendig gemacht, jener Sozialen Marktwirtschaft, die nun so sozial auch wiederum nicht ist, wie die weitaus mehr als 2 Millionen Arbeitslosen der letzten 10 Jahre auch im reichen, hochproduktiven und gerade jetzt durch zusätzliche Aufträge aus dem Osten noch stärker beschäftigten Westen beweisen?
Es wird sich sicherlich einmal als die große Schuld dieser Bundesregierung herausstellen, diesen riesigen Anschlußprozeß so unzulänglich, so wenig vorausschauend und so im Grunde gegen besseres Wissen oder Wissen-Können handelnd, so dilettantisch gehandhabt zu haben. Aber möglicherweise haben Sie, Bundesregierung und Koalitionsparteien, damit den Anfang vom Ende der konservativen Hegemonie in Deutschland eingeleitet. Das wäre, auch wenn es den Menschen im Osten jetzt nicht unmittelbar hilft, doch ein Lichtblick.
Ein Vorstandsvorsitzender in der Wirtschaft hätte längst seinen Hut nehmen müssen bei soviel Untätigkeit und soviel offensichtlicher Unfähigkeit. Dafür würde schon der Aufsichtsrat sorgen.
({5})
Sie haben jedoch keinen Aufsichtsrat, und Ihre Koalitionsfraktionen - hier jetzt spärlich vertreten ({6})
dienen als Claqueure, die auf Gedeih und Verderb, beseelt vom tiefen Glauben an die Marktwirtschaft und an das Unternehmertum, alles billigen, was Sie tun oder auch nicht tun - alles billigen!
Die Bevölkerung, so rechnen Sie, kann ja doch erst wieder in vier Jahren ihr Kreuz auf dem Wahlschein machen. Wenn Sie sich da aber nur nicht verrechnen! Denn der Unmut in der Bevölkerung wächst im Osten wie im Westen, im Osten z. B. bei den Montagsdemonstrationen, die seit gestern wieder, organisiert durch die Gewerkschaften, in Leipzig stattfinden und demnächst auch an anderen Orten wieder stattfinden werden.
Es ist in der Tat so: Wenn Sie und die wirtschaftlich Mächtigen noch etwas zu den notwendigen sozialen Zugeständnissen
({7})
und zu wirtschaftlich überfälligen Umstrukturierungsmaßnahmen in den verschiedenen Branchen - hierzu wird später mein Fraktionskollege Bernd Henn noch etwas sagen ({8})
zwingen kann, dann ist es der Druck der Straße, dann
ist es nach dem demokratischen Widerstand des Jahres 1989 ein sozialer und damit zugleich demokratiDr. Ulrich Briefs
scher Widerstand und nur allzu berechtigter Aufruhr im Osten Deutschlands.
({9})
Aber auch im Westen wächst die Empörung in der Bevölkerung. Die Menschen fühlen sich nach allen Regeln der politischen Kunst hinter das Licht geführt. Vor der Wahl hieß es: Die deutsche Einheit wird ohne Steuererhöhungen kommen.
({10})
Jetzt kommen Steuererhöhungen, und nicht zu knapp, und vor allem in einer durch und durch unsozialen Form.
Der Golfkrieg kam Ihnen da offenbar zunächst wie gerufen.
({11})
Die patriotische Aufwallung - Herr Bohl hat eben von patriotischen Gefühlen gesprochen, da haben wir es - und das Bewußtsein, beim Krieg und, was nicht vergessen werden darf, in der Folge auch an dem Völkermord an der irakischen Zivilbevölkerung, doch nicht richtig dabei zu sein, schien das richtige Klima zu schaffen, um erst mal 17 Milliarden DM im Blitzverfahren bereitzustellen. Da wurde geklotzt wie nie zuvor. Im Osten dagegen wird auch heute noch gekleckert, wie gehabt.
({12})
Nun hat der mit wohl mehr als 100 000 Opfern, darunter vielen Zivilisten, Frauen, Männern und Kindern, herbeigebombte Sieg der Alliierten Ihnen diesen Vorwand für Steuererhöhungen genommen.
Erlauben Sie mir an der Stelle eine Anmerkung zur Medienpolitik. Die Medien in der BRD berichten ausschließlich über die Siegesfeiern und die heimkehrenden GIs in den USA. Ob die getöteten irakischen Soldaten und die Zivilisten keine Kinder, keine Frauen, keine Freunde und Freundinnen haben?
Doch zurück zu Ihrer Steuerpolitik. Der Golfkrieg ist zu Ende. Damit ist der Vorwand für weitere Steuererhöhungen weg. Nun müssen Sie sich der Beschäftigungskatastrophe und dem Zusammenbruch der Betriebe im Osten zuwenden. Aber was fällt Ihnen dazu ein? Nicht ein durch Kredite und Subventionseinsparungen finanziertes expansives Hilfs- und Aufbauprogramm, sondern Steuererhöhungen und weitere Belastungen insbesondere der Masseneinkommen, mit dem Ergebnis, daß allein dadurch voraussichtlich in diesem Jahr ca. 15 Milliarden DM Güter und Dienstleistungen weniger produziert werden. Das sind 15 Milliarden DM, die für die Hilfe im Osten fehlen. Also gerade in dem Moment, wo Leistung erbracht werden muß, um sie in den Osten zu lenken,
drücken Sie mit Ihrer Haushaltspolitik, mit Ihrer Steuerpolitik auf das Niveau der Produktion.
({13})
Statt vagabundierende Kapitalien, Spekulationsgewinne, Rüstungsprofite, stille Reserven der reichen Wirtschaft, statt durch Steuervermeidung und Steuerhinterziehung dem Staat entgehende Gelder, statt sonstige parasitäre Einkommen, z. B. von wucherischen oder kriminellen Wohnungsvermittlern erzielte Einkommen zu erschließen, abzuschöpfen und für produktiv-investive Anlagen im Osten umzulenken, reduzieren Sie vor allem die Kaufkraft der Masseneinkommen. Der dadurch bedingte Rückgang der Nachfrage wird auch in den Investitionsgütersektoren zu weniger Aufträgen und damit weniger Wertschöpfung und damit auch Verlusten von Hilfsmitteln für den Osten führen. Der womöglich durch geringere Kapazitätsauslastung ebenfalls abnehmende Kapitalrückfluß, insbesondere in den fixkostenintensiven Wirtschaftszweigen im Westen, reduziert weiterhin Investitionsneigung und Investitionsströme in den Osten und erhöht sicher sogar die Neigung, noch mehr Kapital an den internationalen Geld- und Kapitalmärkten vagabundieren zu lassen. Ihre Unternehmensteuerreform soll dann wieder diesen von Ihnen selbst verursachten Effekt aufheben. Ob sie das kann, ist allerdings sehr zweifelhaft.
In jedem Fall bleibt es das Muster einer durch und durch unsozialen Finanz- und Haushaltspolitik: Bei den Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen wird abkassiert, den Reichen und Superreichen wird gegeben, und das Ganze ist auch noch geradezu ökonomisch kontraproduktiv.
Aber ich gebe zu: Neu ist es nicht in Ihrer Politik. Sie haben uns bereits in der letzten Legislaturperiode mit der unsozialen Steuerreform und Gesundheitsreform, auch nicht zu vergessen die nicht gerade soziale Postreform, konfrontiert. Insofern hat dieser Wahnsinn schon Methode. Nur ist die Bevölkerung im Westen wie im Osten offenbar nicht mehr bereit, das so einfach hinzunehmen. Das böse, aber richtige Wort von der Steuerlüge macht zu Recht die Runde. Politik als schmutziges, verlogenes Geschäft, als prinzipielle Lügerei steht vielfältig im Raum. Das ist Ihr Verdienst.
({14})
So folgt der Uneinsichtigkeit bzw. dem Unwillen, soziale Vorkehrungen zu treffen und planmäßig neue Wirtschaftsstrukturen im Osten zu errichten, zwangsläufig die Verhöhnung der Menschen im Osten wie im Westen. Erst werden sie mit Verheißungen aller Art geködert, insbesondere wird erst das Verlangen der Menschen im Osten nach mehr Konsum nach allen Regeln der Kunst politisch kapitalisiert und ausgebeutet, nun folgt die Rechnung: Arbeitslosigkeit ungeahnten Ausmaßes im Osten und unsoziale Abkassiererei im Westen.
Ja, es ist eine Steuerlüge, die Sie, Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung und die Koalitionsparteien zu verantworten haben. Aber es ist zugleich auch mehr. Der gesamte Prozeß des Anschlusses ist insgesamt und in den Details ein verlogener Prozeß, in dem
die kollektive Gutgläubigkeit insbesondere der Bürger und Bürgerinnen in der DDR schamlos ausgenutzt wurde. Sie haben die Wähler in Ost und West vor dem 2. Dezember 1990 getäuscht - erfolgreich -, sie haben sie geködert - erfolgreich -, und die Wähler und Wählerinnen sind Ihnen ins trügerische Netz ihrer Steuer- und Anschlußlügen gegangen.
Den Zusammenbruch der Ostmärkte, den Sie ansonsten als Grund anführen, hätten Sie voraussehen können und müssen. Im Rahmen eines planmäßigen, ordentlichen Vorgehens hätten Sie sich mit den Regierungen des früheren sozialistischen Ost- und Südosteuropas ins Benehmen setzen können und für entsprechende Stützungsprogramme und Stützungsmaßnahmen sorgen können und müssen.
Nein, die erneute Schuldzuweisung an die sozialistischen Länder funktioniert nicht.
({15})
Die Schuld liegt bei Ihnen und Ihrer konzeptionslosen, planlosen, ökonomisch kontraproduktiven und zugleich unsozialen Politik. Die Wirtschaftspolitik und insbesondere die Finanz- und Haushaltspolitik müssen sofort und völlig umgesteuert werden und müssen sofort auf Expansion, auf Not- und Hilfsprogramme, auf Strukturprogramme im Osten umgeschaltet werden.
Angesichts der wirtschaftlichen Bedingungen im Westen - dort gibt es hochmoderne, zum Teil bei weitem nicht ausgelastete Produktionsapparate - wird wohl jedes Anreizsystem für Investitionen im Osten zu kurz greifen.
Daher muß ein wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel her: Erstens. Die Forderungen der Gewerkschaften nach schneller Angleichung der Einkommens- und Sozialleistungen sind zu unterstützen. Sie sind auch ökonomisch in dieser Situation durch und durch gerechtfertigt.
Zweitens. Öffentlich finanzierte und organisierte Strukturprogramme und insbesondere Investitionen zum Ausbau der Infrastruktur und in den wichtigen Lebensbereichen - Wohnungsbau, Wohnungsmodernisierung, Altlastensanierung, Wohnumfeldverbesserung - müssen die Initialzündung für einen sich selbst tragenden Prozeß im Osten geben. Der Staat muß das tun, was die Wirtschaft nicht tut: vorangehen und einen sich selbst tragenden Prozeß des wirtschaftlichen Aufbaus in Gang bringen. Expansion im Osten muß her, um der Beschäftigungskatastrophe entgegenzusteuern. Das läßt sich ohne Steuererhöhungen für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen erreichen.
Nach unseren Vorstellungen muß zu einem solchen umfassenden Strukturprogramm gehören: erstens die Entwicklung von Branchen- und regionalbezogenen Strukturprogrammen im Rahmen einer fünfjährigen zukunftsorientierten Aufbauplanung im Gesamtvolumen von 500 Milliarden DM, d. h. von jährlich 100 Milliarden DM zusätzlich zu den heute bereits angesetzten Leistungen der Gebietskörperschaften.
Zweitens muß dazu gehören, im Rahmen dieser Strukturprogramme ein Bündel von gezielten Maßnahmen zu verabschieden:
Erstens. Verstärkter Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur.
Zweitens. Modernisierung und Ausbau des Eisenbahnnetzes; Einrichtung von modernen Güterterminals; ökologisch bewußter Ausbau und Sanierung des Straßennetzes.
Drittens. Sanierung verseuchter Böden; Sanierung der Wasserver- und -entsorgung; Sanierung der Mülldeponien; Einrichtung ökologisch verträglicher Müllverminderungs- und -entsorgungskonzepte.
Viertens. Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, der Wohnumfeldverbesserung, der Wohnungs- und Stadtsanierung.
Fünftens. Aufbau leistungsfähiger Verwaltungen in Kommunen und Ländern.
Sechstens. Ausbau der Hochschulen; Ausbau der industrieorientierten Forschungseinrichtungen; Erhalt von Kultureinrichtungen und sozialen Einrichtungen.
Siebentens. Aufrechterhaltung und - für einen Übergangszeitraum - Ausdehnung der Kurzarbeitsregelung sowie Ausdehnung von Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen unter verstärkter Einbeziehung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften.
Achtens. Stützung von Unternehmensgründungen, insbesondere auch in nicht unmittelbar privatwirtschaftlicher Form, z. B. genossenschaftlicher Form u. a.
Neuntens. Last, not least - das kommt bei solchen Anstößen aus der Dynamik des Eigeninteresses der Wirtschaft hinzu - eine systematische Industriepolitik, also Markterschließung, Diversifizierung, Produkt- und Verfahrensentwicklung für die Betriebe mit öffentlicher Unterstützung.
Die Finanzierung dieses Strukturhilfeprogramms in diesem Maße, in diesem Umfang, sollte und kann getragen werden durch erstens Ergänzungsabgaben für höhere Einkommen; zweitens eine Vermögensabgabe auf Vermögen ab 500 000 DM - das zusammen ergibt jedes Jahr allein über 20 Milliarden DM -; drittens durch eine Arbeitsmarktabgabe der Besserverdienenden, der Selbständigen und Beamten - das sind weitere 10 Milliarden DM -; viertens einen verbesserten Steuereinzug, d. h. das Quellenabzugsverfahren bei Zinserträgen, Bekämpfung der Steuerkriminalität, häufigere Betriebsprüfung - allein das könnte jedes Jahr 15 Milliarden DM ergeben -; fünftens durch eine Investitionshilfeabgabe für das warenproduzierende Gewerbe - weitere 15 Milliarden DM -; sechstens durch Solidarabgaben der Wirtschaft und durch Aufbringung einer Zwangsanleihe, aufzubringen insbesondere von Banken, Versicherungen, Handelsunternehmen und gutverdienenden privaten Haushalten - auch das weitere 15 Milliarden DM und mehr - ; siebentens durch Kürzungen im Rüstungshaushalt, Subventionsstreichungen und weitere Nettokreditaufnahme - zusammen 45 Milliarden DM.
Die Rechnung geht auf. Ich stütze mich dabei im übrigen auf die Ausarbeitung der Gruppe „Alternative Wirtschaftspolitik", besser bekannt unter dem Namen MEMO-Gruppe, bei der wir mitarbeiten und die auch in der Vergangenheit - sehr zu Recht und durch die Entwicklung bestätigt - Kritik an Ihrer Wirtschaftspolitik geübt hat.
Dieses Vorgehen stellt für den Aufbau im Osten jährlich über 100 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung.
Herr Kollege, kommen Sie dann bitte zum Schluß!
Das ist eine wirksame Haushaltspolitik. Das sind konkrete finanzierbare Vorschläge. Das ist Hilfe für die Menschen im Osten.
Wir fordern Sie, die Bundesregierung, auf: Stellen Sie sich endlich Ihrer Verantwortung, steuern Sie um! Machen Sie Politik für die Menschen, nicht für das Kapital. Oder machen Sie Platz für eine andere Regierung oder für ein erneutes kurzfristiges Wählervotum!
({0})
Anschlußlügen und Steuerlügen helfen insbesondere den Menschen im Osten nicht weiter.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Personen sind im politischen Raum auch Aussagen. Ich hätte für die SPD als Sprecher heute den Hoffnungsträger Engholm erwartet;
({0})
Wir haben aber den Ex-Hoffnungsträger Lafontaine gesehen. Dieses sagt für mich aus, daß bei der SPD Vergangenheitsbewältigung immer noch vor Zukunftsgestaltung steht.
Es kommt dazu, daß der Ministerpräsident eines Bundeslandes gesprochen hat, dessen Haushalt rechtswidrig und nach Aussagen des eigenen Rechnungshofes verfassungswidrig ist.
({1})
Auch das ist symbolisch. Ich sage wiederum: Es ist gut, daß die Wähler denjenigen, der die kleine Kasse in seinem eigenen Bundesland nicht in Ordnung halten kann, nicht an die große Bundeskasse gelassen haben.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn ich unterstellen würde, daß Herr Lafontaine diese Schuldzuweisung mit dem Hinweis darauf, es sei alles die Vorregierung schuld, zu Recht zurückgewiesen hat, dann hat er zumindest den Ablauf des Bundeshaushalts nach 1983 verschwiegen und hier nur eine Momentaufnahme
zum Bundeshaushalt gemacht. Das ist dann unaufrichtig, denn in langen Jahren haben wir die Haushaltssituation Zug um Zug verbessert, haben durch Sparsamkeit Spielräume für Senkung von Nettoneuverschuldung und Steuern geschaffen, was wir Zug um Zug durchgeführt haben. Dann hätten Sie, Herr Lafontaine, dieses zumindest auch sagen müssen.
({3})
Die Debatte zum ersten ordentlichen Haushalt nach der Wiedervereinigung Deutschlands steht zwangsläufig unter dem Eindruck der dringenden nationalen Probleme. Wir stehen unter dem Eindruck einer negativen dynamischen Entwicklung, die eine wirtschaftliche Teilung Deutschlands auf lange Zeit festschreiben könnte und der deshalb massiv entgegengesteuert werden muß.
Während sich im Westen die wirtschaftliche Entwicklung fast rundherum als ausgezeichnet darstellt und alle Prognosen weiter Zuwachs signalisieren, kommt die Entwicklung in den neuen Bundesländern nicht so in Gang, wie wir es erhofft haben. Die Gründe sind vielfältig. Ich will einige davon nennen.
Erstens. Wir hatten nicht erwartet, daß eine geordnete Verwaltung im Sinne unserer Vorstellungen hier im Westen aber auch im Sinne des tatsächlich Notwendigen nicht vorhanden war und daß deren Aufbau so langsam vorangeht, obwohl von westlicher Seite seit langer Zeit Unterstützung bei diesem Aufbau gegeben wird. Aber sie reicht bisher ersichtlich nicht aus.
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Zweitens. Wir hatten nicht erwartet, daß sich die Abwanderung einer großen Zahl junger Menschen in die alte Bundesrepublik vehement fortsetzt. Ich habe Verständnis für jeden Bürger der neuen Bundesländer, der seine Freiheit, seine wiedergewonnene oder erstmals gewonnene Freiheit nutzt, der seine Chance im Westen suchen will. Aber ich appelliere dringend, die Geduld nicht zu schnell zu verlieren. In aller möglichen Eile stellen wir die Weichen für eine Umkehr der Entwicklung. Gerade die jungen Menschen werden nicht nur für den Aufbau ihrer Heimat dringend gebraucht, sie werden auch - davon bin ich fest überzeugt - außerordentliche persönliche Chancen in ihrer Heimat haben, wenn sie noch ein wenig ausharren.
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Meine Bitte ist aber auch: Unterschätzen Sie den demokratischen Staat nicht in seiner Handlungsfähigkeit! Gerade das freie Spiel der Kräfte, gerade die Tatsache, daß nicht alles durch ein Kommando von oben bestimmt wird, hat in der Vergangenheit für die positive Entwicklung in der alten Bundesrepublik gesorgt. Bei den bekannten, guten Rahmenbedingungen ist die Summe der persönlichen Entscheidungen freier Menschen die Voraussetzung für unsere Lebensumstände. Den Kraftakt der Währungsunion haben wir zumindest insoweit gemeistert, als unsere Währung international stabil geblieben ist.
Wer sich die Einmaligkeit der Operation Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in Erinnerung
Dr. Wolfgang Weng ({6})
ruft, der muß anerkennen, daß der geordnete Fortgang ein großer Erfolg der Politik der Koalition in Bonn gewesen ist.
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Drittens. Der Aufbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern geht nicht so schnell voran, wie wir dies gewünscht hätten. Ich übersehe nicht alle Gründe, die hierfür ursächlich sind. Manches signalisiert jedoch, daß nicht alle Möglichkeiten, die dringlichsten Dinge in Gang zu bringen, ausgeschöpft worden sind. Bei dem Bau von Straßen und Schienen wird ein gewisser zeitlicher Vorlauf gebraucht. Wir schaffen zur Zeit durch neue gesetzliche Möglichkeiten die Voraussetzungen für die erforderliche Beschleunigung. Die dringend notwendigen Verkehrsprojekte können dann schnellstens in Angriff genommen werden.
Ich frage mich allerdings manchmal auch, warum hier im Westen noch alles Mögliche neu angefangen wird, anstatt zuallererst im Osten das Dringlichste zu tun.
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In dem Zusammenhang mit dem Ausbau von Verkehrswegen appelliere ich an die Verantwortlichen, die ja mit den erleichterten Möglichkeiten viel Spielraum haben werden, mit dem Bau der Infrastruktur keinen umweltpolitischen Kahlschlag zu verbinden.
Es gibt eine Chance zu einem vernünftigen Verkehrsaufbau bei Erhalt von ökologisch wertvollen Dingen in den neuen Bundesländern.
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Im Bereich Telekommunikation geht es voran. Aber auch hier ist die Frage begründet, warum nicht ein Notstandsplan ins Leben gerufen wurde, der zwar nicht unbedingt für eine ordentliche, aber doch für eine schneller verfügbare Abwicklung gesorgt hätte. Ich appelliere dringend an die Bundespost und an Telekom: Lassen Sie lieber das eine oder andere im Westen stehen, und sorgen Sie für den dringend notwendigen telefonischen Anschluß unserer neuen Bürger in kürzestmöglicher Zeit!
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Ich weiß, es wird hieran gearbeitet, aber die Dinge sind eben nicht so schnell vorangekommen, wie sie nach meiner Überzeugung hätten kommen können. Ohne diese Infrastruktur kann einer frei agierenden Wirtschaft kein Mensch verdenken, wenn sie trotz inzwischen hervorragender steuerlicher Behandlung von Investitionen noch zögerlich bleibt.
Viertens. Es bleibt unverständlich, warum die Treuhandanstalt, die seinerzeit noch von der DDR eingerichtet wurde, ihre vorhandenen Möglichkeiten bisher nicht besser genutzt hat. Manches, was sie abgewickelt hat, bleibt auch für den, der das von außen betrachtet, unverständlich. Ich will mir eine allgemeine Treuhandbeschimpfung ersparen - auch Ihnen -; es führt sowieso nicht weiter. Auch wäre eine allgemeine Beschimpfung nicht berechtigt. Aber die Treuhandanstalt ebenso wie die Gebietskörperschaften könnten z. B. schon längst über den Teil der Grundstücke verfügen, bei denen es keine rechtlichen Vorbehalte gibt. Hier war und bleibt Handeln gefordert, nicht Zögerlichkeit und übertriebene Ängstlichkeit.
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Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß es innerhalb der Koalition gelungen ist, bei Fortbestehen des Grundsatzes „Rückgabe vor Entschädigung" alle Hindernisse zu beseitigen, die die Investitionsbereitschaft bzw. die Investitionsmöglichkeiten beschränken.
Wir wollen natürlich nicht - das kann eine liberale Partei auch nicht wollen - , daß begangenes Unrecht leichtherzig für alle Zeiten festgeschrieben bleibt. Insoweit ist der Grundsatz weiterhin richtig. Umgekehrt muß aber klar sein: Wer investiert, wer Arbeitsplätze schafft, braucht Sicherheit für seinen Besitz, für seine Investition, für die Beleihbarkeit von Grund und Boden. In den zahlreichen Einzelfällen, um die es sich hier handelt, muß die Sozialpflichtigkeit des Eigentums stärker gewichtet werden als der Rechtsanspruch. Das heißt, nach möglicherweise langwieriger Klärung von Eigentumsansprüchen werden die rechtmäßigen Besitzer mit Entschädigung vorlieb nehmen müssen, um der Zukunftsgestaltung die erforderliche Öffnung zu geben.
Daß durch den Zusatz im Bundeshaushalt - Sie wissen ja, daß nach dem damaligen Kabinettsentscheid über den Haushalt 1991 jetzt noch der Zusatz mit den Ausgaben für das Gemeinschaftswerk „Aufschwung Ost" nachgereicht worden ist - für den schnellen Aufbau der notwendigen rechtsstaatlichen Einrichtungen Sorge getragen wird, will ich mit einem ausdrücklichen Lob an den Bundesjustizminister Kinkel in diesem Zusammenhang erwähnen. Hier wird endlich aktiv mit der notwendigen Arbeit begonnen.
Meine Damen und Herren, wer hört und sieht, in welchem Umfang unbearbeitete Anträge der Bürger zu allen möglichen Bereichen in den Rathäusern und in den Verwaltungen der neuen Bundesländer liegen, muß wissen: Hier ist ganz dringend ein Ansatz erforderlich. Mit diesem erfolgreichen Bemühen des Bundesjustizministers wird hier ein dringend erforderlicher Anfang gemacht.
Die öffentliche Diskussion über die Haushaltssituation, vor allem über die Steuerbeschlüsse der Koalition, will ich nicht über Gebühr wiederholen und einbringen. Tatsache ist, daß nach dem Eckwertebeschluß des Bundeskabinetts im November vergangenen Jahres und im Zusammenhang mit den Wahlkampfaussagen der Koalitionsparteien die Bürger einen Anspruch auf den bestmöglichen Versuch hatten, den Haushalt 1991 ohne Erhöhung von Steuern und Abgaben auszugleichen. Mit Beginn der Koalitionsverhandlungen ist klargeworden, daß der dafür erforderliche Kraftakt nicht geleistet wurde. Die Beschlußfassung über Mehreinnahmen ist einfacher als über Einsparungen. Jeder Haushälter weiß auch in ganz normalen Jahren ein trauriges Lied davon zu singen.
Dr. Wolfgang Weng ({12})
Ich sage aber: Das grundsätzliche politische Ziel der FDP, mit möglichst wenig Staatsanteil auszukommen, bleibt erhalten.
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Die Koalition hat mit ihrem Beschluß, den Zuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer auf ein Jahr zu befristen, dieser Forderung Rechnung getragen. Wir dürfen und werden nicht vergessen, daß unsere Wirtschaft ihre Anteile gegen internationale Konkurrenz erkämpfen mußte und daß sich die europäische Entwicklung in gleicher Weise fortsetzt wie die wirtschaftliche Verflechtung der Nationen der Welt. Es reicht nicht aus, daß wir unsere nationalen Probleme lösen. Wir müssen gleichzeitig dafür Sorge tragen, daß wir den Anschluß an die anderen Nationen, die auf dem Weltmarkt unsere Mitbewerber sind, nicht verlieren.
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Im Zusammenhang mit den Steuerbeschlüssen will ich darauf hinweisen, daß es für den Beschluß zur Erhöhung der Mineralölsteuer nicht ausschließlich fiskalische Argumente und Gründe gibt. Die Forderungen der Opposition waren in diesem Bereich im Bundestagswahlkampf wesentlich höher; Sie werden sich daran erinnern. Deren Begründung ist natürlich auch unsere Begründung, nämlich der Blick auf Erfordernisse in der Umweltpolitik. Eine Anhebung der Kosten für Energie ist mit Blick auf eine zukünftige Umweltpolitik sinnvoll.
Leider zeigt die Erfahrung, daß die Bürger die wünschenswerte Sparsamkeit im Energiebereich fast nur unter Preisdruck zustande bringen. Nur über einen höheren Preis werden Alternativen besser genutzt.
Die politische Zusage der Koalition, die von der Opposition in diesem Teil sicherlich mitgetragen wird, nämlich den Ausstoß an Kohlendioxid Zug um Zug zu reduzieren, um die Klimaverhältnisse auf der Erde wenigstens schrittweise wieder zu verbessern, macht in diesem Bereich künftig weitere Anstrengungen notwendig - hoffentlich nicht wesentlich im Finanziellen, sondern in anderen Maßnahmen.
Vor allem wäre es außerordentlich wünschenswert - ich sage das mit Blick auf die internationalen Verflechtungen - , wenn ein erhöhtes Energiepreisniveau bei den fossilen Brennstoffen international oder wenigstens europaweit vereinbart werden könnte. Eine zu weitgehende Benachteiligung der Wirtschaft bei den Energiekosten, eine Abkoppelung von der Situation in anderen, vergleichbaren Ländern, könnte unsere Wirtschaft zu sehr belasten.
Ich will mit diesem genannten umweltpolitischen Hinweis die Tatsache der Steuererhöhungen nicht verharmlosen. Ich sage das auch mit Blick darauf, daß in den Koalitionsbeschlüssen zur Steuererhöhung ein Hinweis bezüglich der Umsatzsteuer vorhanden ist. Ich meine, es ist ein begründeter Hinweis. Wenn Entwicklungen absehbar sind, ist es ehrlich, den Bürger auf solche Entwicklungen frühzeitig hinzuweisen.
Sollte ab 1993 mit Blick auf die europäische Harmonisierung eine Erhöhung der Mehrwertsteuer tatsächlich unabdingbar sein, so darf dies nicht als einfache Ausweitung staatlicher Einnahmen verkonsumiert werden. Entlastungen an anderer Stelle sind unverzichtbar. Natürlich muß es sich um Entlastungen handeln, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit den Wohlstand unserer Bürger sichern.
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Der von der Bundesregierung ursprünglich vorgelegte und verabschiedete Haushalt 1991 hatte ein Volumen von knapp 400 Milliarden DM. Die Ausgaben sind, wie vorhin gesagt, durch das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost um 12 Milliarden DM erhöht worden. Durch den Verzicht auf Zuschüsse aus dem Fonds Deutsche Einheit in den Bundeshaushalt trägt der Bund 1991 weitere 5,7 Milliarden DM zur Entwicklung der neuen Bundesländer bei.
Unsere Festlegung, die Nettoneuverschuldung auf gerade noch erträgliche 70 Milliarden DM festzuschreiben, ist einer der wesentlichen Eckpfeiler dieses Haushalts.
Diese Festlegung ist von der Deutschen Bundesbank seinerzeit mit dem Hinweis darauf flankiert worden, daß man diese Größenordnung für gerade noch erträglich hielt. Da wir in unserer nationalen Arbeit natürlich immer von den Entscheidungen der Deutschen Bundesbank wesentlich abhängig sind, haben wir auf die Aussage der Bundesbank immer großen Wert gelegt und uns daran auch orientiert.
Ich sage das auch mit Blick auf das, was über das Zinsniveau gesagt worden ist. Natürlich haben wir kein rein nationales Zinsniveau. Aber wenn die öffentlichen Haushalte ausufern würden, wenn die Verschuldung das Machbare tatsächlich überschreitet, wenn in diesem Bereich leichtfertig gehandelt würde, dürften wir uns nicht wundern, wenn uns die Bundesbank mit ihrer an der Stabilität der D-Mark orientierten Zinspolitik entsprechende Signale setzen würde. Signale, die unsere Arbeit unter dem Aspekt der Haushaltsbelastung erschweren würde. Sie würden aber auch die Situation jedes einzelnen Bürgers erschweren, der in seine eigene Zukunft investieren will und bei höheren Zinsen entsprechend mehr aufbringen müßte.
Ich will den Hinweis auf die 70 Milliarden DM Nettoneuverschuldung beim Bund mit der dringenden Aufforderung an die anderen Gebietskörperschaften verbinden, dafür Sorge zu tragen, daß das in diesem Zusammenhang damals genannte Gesamtvolumen öffentlicher Verschuldung von 140 Milliarden DM nicht überschritten wird.
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Wir dürfen unsere Volkswirtschaft, wir dürfen auch den Sparwillen unserer Bürger nicht überfordern. Gerade der wohlhabende Teil der Bundesländer und diejenigen Gemeinden, denen es zur Zeit zum Teil außerordentlich gutgeht, sind dringend zu maßvoller Ausgabenpolitik im Jahre 1991 aufgefordert. Sägen Sie nicht an dem Ast, auf dem wir alle sitzen!
Ich will nicht verhehlen, daß sich die Koalition für den Haushalt noch einiges vorgenommen hat. Der in der Koalitionsvereinbarung niedergelegte Beschluß zum Subventionsabbau ist noch nicht substantiiert.
Dr. Wolfgang Weng ({17})
Ich beneide nicht die Kollegen der Arbeitsgruppe, die sich zu diesem Punkt an die Arbeit machen werden; denn wie immer werden alle Subventionsempfänger heftig schreien, wenn sie Kürzungen hinnehmen müssen. Das wird engagiert unterstützt von den politischen Gruppen einerseits, von den Zeitungen andererseits, die immer wieder Subventionsabbau fordern. Im Bereich der Steuersubventionen - hier ist ja das größere Volumen ins Auge gefaßt - heißt Abbau natürlich auch Erhöhung der Abgabenlast. Das ist, wenn auch vielleicht ordnungspolitisch wünschenswert, eigentlich eine unerwünschte Ausweitung des Staatsanteiles.
Meine Damen und Herren, wir dürfen die Risiken nicht übersehen, die wir möglicherweise noch im laufenden Jahr meistern müssen. Gott sei Dank schweigen am Golf die Waffen; hoffentlich bleibt es auch dabei. Wir werden aber beitragen müssen einerseits zum Wiederaufbau dessen, was zerstört ist, andererseits zur Verbesserung der Situation der Länder, die durch den Golfkrieg indirekt geschädigt wurden. Denken Sie z. B. nur an die Flüchtlinge, an das menschliche Elend derer aus anderen Ländern, die dort Arbeit gefunden hatten und in ihre zumeist sehr armen Heimatländer zurückkehren mußten! Wer die Situation in diesen Länder sieht, muß sagen: Auch hier werden wir zum Aufbau Beiträge leisten müssen.
Dies ist eine moralische Verpflichtung, aber auch eine zwingende politische Notwendigkeit. Wir in unserem Land leben auf der kleiner gewordenen Erde nicht auf einer Insel der Seligen. Wenn das Wohlstandsgefälle auf der Erde zu groß wird, dann haben auch unsere Bürger von den Auswirkungen des Wohlstandsgefälles vieles zu erdulden und zu erleiden. Deswegen muß unser Bemühen dahin gehen, in Entwicklungsländern und in den hier genannten betroffenen Ländern die eigene Entwicklung so voranzubringen, daß die Menschen dort bleiben und nicht ihr Heil in der Flucht von zu Hause suchen.
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Unser erforderlicher Beitrag betrifft natürlich auch und ganz besonders die Beseitigung der ökologischen Schäden - der Bundesumweltminister hat sie ja in Augenschein genommen - , welche die schlimme Aggression des Irak in der ganzen Region ausgelöst hat, vor allem in Kuwait und im Golf. Hier müssen wir mitwirken.
Weitere Risiken liegen darin, daß die Wirtschaftsunion im Osten Europas zusammengebrochen ist. Das läßt uns nicht unberührt; das kann uns nicht unberührt lassen. Auch hier tragen wir für den künftigen Aufbau Mitverantwortung. Es gibt verschiedene Gründe für das Zusammenbrechen. Im wesentlichen sind das natürlich die dortigen früheren politischen Verhältnisse. Deswegen muß es auch klar sein, daß wir den jetzt neu entstandenen Demokratien unsere Hilfe in größerem Maße anbieten müssen, als das vorher bei den Unterdrückungsregimen der Fall gewesen ist.
Meine Damen und Herren, der große Erfolg der Zwei-plus-Vier-Gespräche, den wir der Unterstützung unserer Verbündeten, aber auch ganz wesentlich der Sowjetunion und ihrem Präsidenten Michail Gorbatschow verdanken, sorgt für Verpflichtungen: Wir können nicht erwarten, daß die sowjetischen Truppen aus Osteuropa und vor allem aus der früheren DDR völlig ungeordnet nach Hause zurückkehren. Wir sind hier Verpflichtungen eingegangen. Wir stehen zu diesen Verpflichtungen; denn wir müssen und werden daran mitwirken, daß diese Menschen in ihrer Heimat leben, d. h. dort wohnen und arbeiten können.
Das alles sind Lasten für die Zukunft. Meine Damen und Herren, wer sich vor Augen hält, was für Lasten hier auf uns zukommen, dem kann es manchmal etwas schwindlig werden.
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Das sind Lasten, die uns nicht allein betreffen, sondern die von unseren Wirtschaftspartnern in der EG, aber auch innerhalb der NATO von den entwickelten Ländern der westlichen Hemisphäre mitgetragen werden müssen.
Wir als Bundesrepublik können diese Lasten auch in Kenntnis der nationalen Notwendigkeiten nicht allein tragen. Wir sind dankbar für die Signale der Verbündeten, daß man hier mitwirkt und mithilft. Aber die Zusagen müssen substantiiert werden, damit es an verschiedenen Stellen nicht zum Zusammenbruch kommt.
Eine angemessene Entwicklung im Osten Europas ist Voraussetzung für eine friedliche Zukunft, die wir ja für uns und unsere Kinder erhoffen, die wir aber auch allen anderen Menschen wünschen. Ich sage dies ausdrücklich auch mit Blick auf die Situation, die wir gerade in Jugoslawien vor Augen haben.
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- Nein, ich hatte an der Stelle Applaus erwartet, eigentlich von allen Seiten des Hauses.
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Ich kann es nicht jedesmal sagen, Herr Kollege Esters; aber es ist gut, daß ich darauf aufmerksam gemacht worden bin.
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Unser Bemühen im Haushaltsverfahren, Frau Matthäus-Maier, wird es sein, der Sondersituation des Jahres 1991 Rechnung zu tragen: Dort, wo unsere Verwaltungen im Windschatten der Sondersituation ihre eigenen Gegebenheiten aufgebessert haben, werden wir bremsen; dies gilt auch für die Ausweitung der Personalhaushalte. Was beim 3. Nachtragsetat 1990 noch schnell zusätzlich eingeführt wurde, kann jetzt wieder sorgfältiger geprüft werden. Es muß auf das unbedingt Erforderliche zurückgeführt werden.
Mein Appell geht in diesem Zusammenhang an die Gewerkschaft ÖTV, die ja heute mit Warnstreiks begonnen hat; Sie haben es in den Nachrichten gehört. - Bei allem Verständnis für Ihre Wünsche, auch bei aller Berechtigung von Wünschen - ich sage das ganz zweifelsfrei; das relative Stillhalten der ÖTV in den vergangenen Jahren war ja auch ein Beitrag zur
Dr. Wolfgang Weng ({23})
Konsolidierung, und das sollte man nicht übersehen; aber ich meine trotzdem, dieser Appell ist begründet - : Tragen Sie mit Ihren Forderungen der augenblicklichen nationalen Notwendigkeit Rechnung, und denken Sie auch an Ihre neuen Kollegen im Osten Deutschlands. Was hier bei einer Reihe von Gewerkschaften im Sinne einer relativ kurzfristigen Anpassung ins Auge gefaßt ist, ist sicherlich kein unvernünftiger Weg. Es geht eben alles schneller, als wir ursprünglich gedacht haben. Aber die Dinge müssen auch noch ökonomisch vertretbar sein, wenn nicht Strukturen zusammenbrechen sollen.
Deswegen mein dahin gehender Appell: Meine Damen und Herren von der ÖTV, Ihr Warnstreik als Dokumentation gewerkschaftlicher Kampffähigkeit wird sicherlich von den Bürgern akzeptiert. Ein Kaputtstreiken der öffentlichen Verwaltungen in der schwierigen Situation gerade dieses Jahres wegen einiger Zehntelpunkte beim tatsächlichen Abschluß der Tarifauseinandersetzung fände in der Öffentlichkeit ganz sicher kein Verständnis.
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- Frau Matthäus-Maier, daß das erste Angebot und die erste Forderung in der Vergangenheit sehr häufig nicht das endgültige Ergebnis darstellten, weiß man. Ich kann auch nicht sagen, wo dieses Ergebnis liegen sollte. Unter Haushaltsaspekten sollte es natürlich so niedrig wie möglich sein; das wissen Sie. Aber nach dem, was ich vorhin gesagt habe, werden wir auch Verständnis dafür haben, wenn es hier zu einem vernünftigen Abschluß kommt.
Nun zu dem, was im Haushaltsentwurf steht: Daß der Bundeshaushalt immer eine gewisse Vorsorge trägt, die aber noch keine Aussagekraft im Hinblick auf den letztendlichen Abschluß hat, sollten Sie früher bei der FDP eigentlich gelernt haben. Wenn Sie es jetzt wieder vergessen haben, ist das schade.
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- Frau Kollegin Matthäus-Maier, zu dem Zwischenruf „dumm und frech" halte ich Ihnen gerne einen Spiegel vor.
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- Wer in den Wald hineinruft, Herr Müntefering, darf sich nicht wundern, wenn ab und zu auch einmal ein Echo herauskommt.
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Meine Damen und Herren, ich will zum Schluß auch an die Kollegen hier im Parlament appellieren - denjenigen, die wegen der Mittagspause gerade nicht hier sein können, bitte ich das mitzuteilen - , der Sondersituation des Jahres 1991 insoweit Rechnung zu tragen, als der Haushalt 1991 heute in unsere parlamentarische Verantwortung übergeht. Der Haushaltsausschuß, der für Sie alle die Vorarbeit leisten wird, ist für jeden Einsparungsvorschlag ebenso dankbar wie
für jeden Verzicht auf die Forderung nach zusätzlichen Ausgaben.
Wir entlassen die Regierung aus ihrer Verantwortung für die vorläufige Haushaltsführung erst mit der abschließenden Beratung, die für Juni geplant ist. Meine herzliche Bitte auch an die Bundesländer: Wirken Sie daran mit, daß dieser Termin eingehalten werden kann; denn das Parlament muß meines Erachtens schnellstens handeln. Sonst würde es sich für einen langen Zeitraum innerhalb dieses Jahres eines seiner wesentlichsten Rechte begeben.
Daß unser Ziel im weiteren Verlauf des Jahres 1991 sein wird, daß das Jahr 1992 wieder mit einem parlamentarisch beschlossenen Haushalt beginnt, will ich hier zusätzlich erwähnen. Dies ist die Koalition mit ihrem soliden und guten Wahlergebnis vom 2. Dezember vergangenen Jahres den Bürgern im Lande schuldig.
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Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird die Beratungen zum Haushalt 1991 zügig und konstruktiv mitgestalten. Wir werden in der Überzeugung unserer grundsätzlich richtigen Politik wie in den vergangenen Jahren das Notwendige tun, um die Entwicklung unseres Landes - ich sage dies nochmals mit besonderem Blick auf die neuen Bundesländer und auf die neuen Bürger - in guter Weise voranzubringen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich in die allgemeine Haushaltsdebatte einsteige, möchte ich einer angenehmen Pflicht nachkommen und eine Einladung überbringen. Ich möchte Sie, Herr Bundeskanzler, einladen, am 18. März nach Leipzig zu kommen. Es ist ein Montag, ein Jahr nach der Volkskammerwahl und anderthalb Jahre nach den legendären Leipziger Montagsdemonstrationen. Es wird um 18 Uhr eine große Kundgebung stattfinden. Ich weiß, Sie haben einen Faible für solche Veranstaltungen, und Sie haben auf solchen Veranstaltungen beträchtliche Wirkung erzielt.
In der Stadt, wo der gewaltlose Aufbruch oder das Signal für den Zusammenbruch eines Unrechtssystems ausgelöst wurde, wo unüberhörbar der Ruf nach nationaler Einheit erklang, breiten sich jetzt Unmut, Betroffenheit, Resignation und Verzweiflung aus. So hatte man sich die Vereinigung nicht vorgestellt.
Bitte führen Sie nicht nur im Bundeskanzleramt Krisengespräche mit den Vertretern aus den ostdeutschen Ländern, sondern sprechen Sie zu den Bürgerinnen und Bürgern, die so große Erwartungen in Sie gesetzt haben. Es sind oder waren Ihre Wähler. Sprechen Sie jetzt zu den Menschen, denen Sie im Frühjahr so viel Zuversicht gegeben haben. Diese Menschen brauchen jetzt Klarheit, brauchen jetzt Hilfe, brauchen jetzt Ihr deutliches Bekenntnis, daß man aus der bedrückenden Situation mit gemeinsamer Kraft678
Werner Schulz ({0})
anstrengung und mit nicht erlahmender Solidarität alsbald herauskommt,
({1})
daß Sie, Herr Bundespräsident, und Sie, Vertreter der Koalitionsparteien, trotz aller Schwierigkeiten tatsächlich dafür bürgen, daß es keinem schlechter geht als vorher. Dieser Zweifel besteht.
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Meine Damen und Herren, wir aus dem Osten, wir früheren Bürger der DDR sind, was die parlamentarische Demokratie anbelangt, noch immer Anfänger. Naturgemäß sind Sie aus dem Westen, die schon seit langem Bürger dieser Republik und Abgeordnete dieses Parlamentes sind, unsere Lehrmeister. Wir können uns nicht beklagen: Im Verlaufe des letzten Jahres haben wir mehr als eine Lektion in Demokratie gelernt. Wir haben z. B. gesehen, daß sich das westliche System vom SED-System nicht dadurch unterscheidet, daß nur SED-Größen Zwecklügen in Umlauf setzen und daß sie verharmlosen und verdrehen. Anfänglich haben viele Leute in der damaligen DDR Hoffnungen in die Versprechung bundesdeutscher Politiker gesetzt, mit der Einführung der D-Mark werde es allen schlagartig besser gehen. Heute sind sie klüger und realistischer. Sie haben gelernt: Auch in der Demokratie schenken die Politiker den Leuten nicht immer reinen Wein ein. Aber der Kater kommt schneller, die Wahrheit kommt früher ans Licht.
Altbundespräsident Carstens hat gesagt:
Man kann der Demokratie keinen größeren Schaden antun, als wenn der Eindruck entsteht, die Politiker lügen.
Dies ist ein nachdenkenswerter Satz. Diesen Eindruck zu vermeiden, das ist Ihnen, meine Damen und Herren in der Koalition, in den letzten Monaten gründlich mißlungen.
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Ich verzichte darauf, jetzt Zitate aus dem Wahlkampf zu wiederholen; es würden sich hier die Träger im Wasserwerk biegen, befürchte ich.
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Der entstandene Schaden hat politische Dimension, hat politische Tragweite. Erneut wurden kurzfristige Parteiinteressen über das Wohl der Nation gestellt, wurden die geweckten Erwartungen bitter enttäuscht, wird die Politikverdrossenheit, ja, die Parteiverdrossenheit - das mag aus dem Blickwinkel von Bürgerbewegungen nicht sonderlich beängstigend sein - zunehmen.
Ich kann nur das unterstützen, was Oskar Lafontaine hier gesagt hat: Die Glaubwürdigkeit in die Demokratie an sich ist in Gefahr. Vielleicht liegt darin der größte Schaden.
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Ich glaube, ich weiß in diesem Fall, wovon ich rede.
In dieser Woche steht die Lektion Staatshaushalt auf dem Lehrplan. Wir sind begierig, zu lernen, was seriöse Haushalts-und Finanzpolitik ausmacht. Einiges Grundsätzliches haben wir uns schon angelesen, etwa über die Prinzipien der Vollständigkeit, der Haushaltswahrheit und -klarheit.
Um mit dem letzten zu beginnen: An Klarheit mangelt es noch ein bißchen. Aber das mag an unserer Unerfahrenheit liegen. Wenn beinahe täglich Milliardenprogramme durch die Medien gewirbelt werden, kann man schon einmal den Überblick verlieren. Gestern 10 Milliarden DM für die Strategie Aufschwumg Ost. Aber halt, das war ja nicht die Regierung, sondern das war nur der Bundeswirtschaftsminister. Morgen 12 Milliarden DM für das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Ist das jetzt dasselbe wie das, was der Wirtschaftsminister verkündet hat, oder ist das nur der gleiche Name?
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Als nächstes 17-Milliarden-DM-Aktionsprogramm ökologischer Aufbau in Ostdeutschland, alles aus dem Hause Töpfer. Kann man das jetzt einfach addieren? Werden das jetzt 40 Milliarden DM für die neuen Länder und noch in diesem Jahr, oder war das schon wieder naiv gesehen? Soviel zur Klarheit.
Kommen wir zur Vollständigkeit: Es ist schon ein Kuriosum: Bevor er gedruckt, war dieser Haushalt schon in wesentlichen Teilen überholt. Vor dem Hintergrund muß man fragen, ob es eine weise Entscheidung der Regierung war, im letzten Herbst auf die Verabschiedung eines Haushalts für das Jahr 1990/91 zu verzichten.
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Aber die Regierung wollte damals vor den Wahlen offenbar die Katze nicht aus dem Sack lassen. Doch auch heute, so zeigt sich immer deutlicher, können Sie die Haushaltsbelastungen selbst für das laufende Jahr noch nicht zuverlässig einschätzen. Wir werden uns auf weitere Nachtragshaushalte gefaßt machen müssen. Hinsichtlich der Vollständigkeit dieses Haushalts haben wir einige Zweifel, ob der vorhersehbare Ausgabenbedarf des Bundes angemessen berücksichtigt worden ist.
Ich will einige Beispiele nennen:
Erstens. Die Bundesregierung war innerhalb von Tagen bereit, Milliardenbeträge zur Finanzierung des Krieges am Golf lockerzumachen. Mindestens 17 Milliarden DM hat die Rückeroberung Kuwaits den deutschen Steuerzahler bereits gekostet. Aber das ist nicht das Ende. Wer den Krieg bezahlt, ist auch für die Folgen des Krieges mitverantwortlich. Die sind, heute bereits deutlich absehbar, beträchtlich. Die kuwaitischen Ölquellen brennen. Der Golf ist mit Öl verpestet. Die modernste Armee der Welt hat den Irak und Kuwait in mittelalterliche Verhältnisse zurückgebombt. Die Zahl der toten Zivilisten, der Kriegsversehrten und Kriegswaisen ist noch unbekannt. Wir erwarten, daß sich die Bundesrepublik ebenso selbstverständlich und großzügig, wie sie sich an der Zerstörung beteiligt hat, nun auch für den Wiederaufbau
Werner Schulz ({8})
der geplagten Region engagiert, auch wenn sich dies für die deutsche Industrie nicht rechnet.
Zweitens. Die Treuhandanstalt wird über das Jahr 1991 ein Defizit von schwer abschätzbarer Höhe erwirtschaften. Die Höhe des Defizits, von Herrn Rohwedder auf etwa 13 Milliarden DM, vom Kollegen Neuling auf etwa 21 Milliarden DM veranschlagt, hängt letztlich von der Politik ab, welche die Treuhand in den kommenden Monaten machen wird.
Wie man hören kann, wird ein verstärktes Engagement der Treuhand für aktive Sanierungspolitik endlich auch in der Regierung für nötig befunden. Wir begrüßen das. Aber das heißt natürlich, daß der Finanzbedarf der Treuhand eher noch größer werden wird.
Drittens. Mit dem Kompromiß zur Finanzierung der ostdeutschen Bundesländer scheint der dringendste Finanzbedarf zunächst einmal gedeckt. Doch nach wie vor ist unsere Forderung nach sofortigem und vollständigem Einbezug der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich nicht erfüllt. Nach wir vor ist der verfassungsrechtlich gebotene horizontale Finanzausgleich zwischen den Ländern in die Zukunft verschoben. Nach wie vor ist auch nicht einzusehen, wieso die im Einigungsvertrag festgeschriebenen Subventionen für Energie, Mieten und Verkehr allein den neuen Ländern aufgebürdet werden sollen.
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Ein Abbau dieser Preisstützungen im Hauruckverfahren, wie ihn sich die Bundesregierung vorstellt, wird jedenfalls nicht zu machen sein. Die Folge dieser immer noch unzureichenden Länderfinanzierung wird der rasante Aufbau einer unverhältnismäßig hohen Neuverschuldung der ostdeutschen Bundesländer sein. Die Währungsunion und die deutsche Vereinigung haben die Menschen in der ehemaligen DDR um einen Großteil der von ihnen erarbeiteten Werte gebracht. Großzügige Hilfe für die Ostländer ist daher nicht nur eine föderative Verpflichtung, sondern ein absolutes Muß, noch dazu, wenn man bedenkt, daß uns nicht allein die Potenz der alten Bundesrepublik zugute kommt, sondern wir auch deren Altlasten, deren enorme Staatsverschuldung übernehmen. Daran werden noch unsere Kinder und Enkel abtragen müssen, ohne daß sie oder gar ihre Eltern in dem Maße etwas davon hatten.
Viertens. Der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern entwickelt sich rapide nach unten. Hier scheint die Bundesregierung der Auffassung zu sein, das Risiko hauptsächlich den Versicherten anlasten zu können. Auch wenn jetzt zusätzliche ABM-Stellen angekündigt werden, ist es doch sehr befremdend, zu sehen, daß die Regierung gerade in dieser Situation den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit und die Mittel für das Langzeitarbeitslosenprogramm drastisch kürzen will.
81 Milliarden DM, nach den letzten Ankündigungen wohl 98 Milliarden DM sind im Bundesetat für die neuen Bundesländer vorgesehen. Das ist eine beachtliche Summe. Sehen wir einmal davon ab, inwieweit die Zurechnungen im einzelnen zutreffen: Für die langfristige Wirkung dieser Ausgaben ist von entscheidender Bedeutung, wo sie nachfragewirksam werden. Wir haben die große Befürchtung, daß der Bundeshaushalt insgesamt, aber insbesondere dieser Teil vorwiegend in den westdeutschen Ländern ausgegeben wird. Wenn das zutrifft, werden die ostdeutschen Länder noch lange Zuwendungsempfänger bleiben. Die öffentliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ist in der jetzigen Situation von zentraler Bedeutung für die Stabilisierung der ostdeutschen Wirtschaft. Wie groß ist nach diesem Kriterium der ostdeutsche Anteil am Bundeshaushalt? Welche Vorkehrungen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um einen beträchtlichen Teil dieser Nachfrage in die neuen Bundesländer zu lenken? Dazu würden wir gern Genaueres von Ihnen hören.
Mit der Schaffung des Gemeinschaftswerkes Aufschwung Ost und seiner Anschubfinanzierung aus dem Bundeshaushalt geht die Bundesregierung einen Schritt in die richtige Richtung, aber sie geht ihn halbherzig, und sie geht ihn spät.
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Das jetzt vorgesehene Volumen reicht nicht aus, um nur halbwegs das abzufangen, was momentan in der ostdeutschen Wirtschaft zusammenbricht. Was uns immer wieder besorgt macht, ist das kurzatmige Reagieren dieser Regierung auf die ständig neuen Hiobsbotschaften aus dem Osten. Hier werden bestehende Programme aufgestockt, da werden neue aufgelegt, aber eine Konzeption ist bei all dem nicht erkennbar.
Was uns ebenfalls zu denken gibt, das ist der gefühllose Umgang der Bonner Politik mit dem Schicksal von Millionen Bürgern in den ostdeutschen Ländern, die jetzt ihren Arbeitsplatz und häufig auch ihre Lebensperspektive verlieren.
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- Nein. Ich glaube schon, daß man das sehr wohl begründen kann. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes war in der DDR nämlich gegeben und tief verinnerlicht.
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Nur so ist nämlich die Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit zu erklären, mit der viele jetzt die Arbeitslosigkeit als Verhängnis auf sich zukommen sehen.
({13})
Wer seinen Beruf verliert, verliert ein Stück seines Lebens.
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Bei einem hohen Sockel an Dauerarbeitlosigkeit wird
eine verlorene Generation zurückbleiben, nämlich die
der 40- und 50jährigen, die bei allem Für und Wider
Werner Schulz ({15})
diese DDR mit aufgebaut und überstanden haben. Wir sehen dem schmerzlich entgegen.
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Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen zu den Einnahmen des Bundeshaushalts machen. Der Herr Finanzminister hat in der vergangenen Woche vor der Presse das vom Kabinett beschlossene Steuerpaket, das zur Deckung dieses Haushalts dienen soll, als ausgewogen bezeichnet. Von einem ausgewogenen Mix zwischen indirekten und direkten Steuern war die Rede. Man muß die Ausgewogenheit wohl vor dem Hintergrund der bereits vorangegangenen Belastungen der Bürger sehen. Denn das ist bereits das dritte Mal seit dem letzten Sommer, daß die Regierung den Bürgern ins Portemonnaie faßt. Das erste Mal tat sie es mit der massiven Belastung des Kapitalmarktes durch den weitgehend kreditfinanzierten Fonds Deutsche Einheit, womit sie die Zinsen in die Höhe treibt und künftige Steuererhöhungen zur Bedienung der Kredite vorprogrammiert. Der zweite Griff war der nur kosmetisch verschleierte Anstieg der Telefongebühren und die Anhebung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung.
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Die beabsichtigten Autobahngebühren rührten schließlich doch an ein Tabu und wurden fallengelassen. Griff 3 ist die jetzt beschlossene deutliche Erhöhung von Verbrauch- und Einkommensteuern. Wer glaubt, dieser dritte Griff sei nun der vorläufig letzte, wird bald eines anderen belehrt werden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer liegt bereits im Kasten. Der Zuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer, der entgegen unseren Forderungen nicht sozial gestaffelt ist, soll auf ein Jahr begrenzt bleiben und Anfang 1993 durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ersetzt werden. Wie da von einem ausgewogenen Mix von direkten und indirekten Steuern gesprochen werden kann, ist mir unbegreiflich. Durch die Abschaffung von Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer und weitere Steuersenkungen für Unternehmen wird der Mix ausgesprochen delikat, aber vor allen Dingen wird er unsozial.
({18})
Erst in der Zusammenstellung der Umschichtungen zeigt sich, in welch unverfrorener Weise diese Regierung Politik für die Wohlhabenden und gegen Arbeitnehmer, Normalverdiener und sozial Schwache macht. Diese Regierung handelt nach der Maxime: Wenn es den Reichen gut geht, nützt dies den Armen. Daß dem nicht so ist, davon kann eine ständig steigende Zahl von Armen in der alten Bundesrepublik aus Erfahrung ein Lied singen. Schon die Steuerreform, mit der Steuergeschenke in der Größenordnung von 25 Milliarden DM an die Besserverdienenden verteilt wurden, zeigt deutlich diese Handschrift, ebenso die Spargesetze, die sich Gesundheitsreform und Rentenreform nannten. Die Regierung muß ausgewogene Politik machen, anstatt sie herbeizureden.
Nebenbei bemerkt: Es ist auch nicht ausgewogen, auf der einen Seite die den Ländern und Gemeinden zustehenden Steuereinnahmen zu senken und auf der anderen Seite die Bundessteuern heraufzusetzen. Das ist Steuerpolitik gegen den Föderalismus.
Finanzpolitik und Finanzplanung der Bundesregierung stehen auf einem unsicheren Fundament. Sie basieren auf Wachstumserwartungen, die schon aus der Sicht traditioneller Wachstumspolitik fragwürdig sind; denn weltweit zeichnet sich eine Rezession ab, die allerdings vom einigungsbedingten Wachstumsschub in der Bundesrepublik überlagert wird. Von einer weltweiten Rezession bliebe auf Dauer auch die Bundesrepublik nicht unbeschadet.
Dies ist der Hintergrund, vor dem die Schuldenpolitik der Bundesrepublik zu beurteilen ist. Mit mindestens 70 Milliarden DM Neuverschuldung des Bundes in diesem Jahr erreicht die Staatsverschuldung eine neue Rekordmarke, und niemand soll erzählen, dies sei ausschließlich „einigungsbedingt", wie das in Bürokratendeutsch heißt.
({19})
Die Verschuldung des Bundes hat sich bereits in den vergangenen Jahren unter der Verantwortung dieser Koalition massiv erhöht. Im Jahre 1982
({20})
war der Bund mit 308 Milliarden DM Schulden belastet. Ende 1990 waren es ohne Vereinigungskosten ca. 520 Milliarden DM, und Ende dieses Jahres werden es mit überschlägigen 620 Milliarden DM doppelt so viel Bundesschulden wie beim Amtsantritt dieser Regierung sein
({21})
- ja - , die sich in der Öffentlichkeit so gerne mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen brüstet.
({22})
An die 200 Milliarden DM an zusätzlichen Bundesschulden will die Regierung im Laufe einer einzigen Legislaturperiode anhäufen. Diese Schuldenmacherei treibt die Zinsen in die Höhe und gefährdet damit die Stabilität der D-Mark. Diese Schuldenpolitik schränkt den Spielraum künftiger Politik dramatisch ein. In der Tendenz, so ist zu befürchten, geht dieser verengte Spielraum zu Lasten von Ländern und Gemeinden und besonders zu Lasten der sozial Schwachen. Die nächsten Spargesetze und weiterer Sozialabbau sind damit bereits absehbar. Sozialabbau ist aber keineswegs billig. Machen Sie sich und uns da nichts vor! Die Folgekosten trägt nur leider nicht die Bundesregierung.
Auch in diesem Haushalt erweist sich die stolz verkündete Haushaltskonsolidierung von 37 Milliarden DM größtenteils nicht als Erfolg konsequenter Sparpolitik, sondern als das Ergebnis der einseitigen Verlagerung der Kosten auf andere. Schon auf den ersten
Werner Schulz ({23})
Blick sind 21 von den 37 Milliarden DM als schlichte Kostenüberwälzungen erkennbar. Zudem beziehen sich die sogenannten Einsparungen nicht auf den vorangegangenen Haushalt, sondern auf die bisherigen Planungsansätze. So haben Sie also nicht tatsächliche Ausgaben eingespart, sondern Mehrausgaben verringert, die Sie eigentlich geplant hatten. So wird beispielsweise der Verteidigungsetat tatsächlich um 2 Milliarden DM weniger entlastet, als Sie angeben. Wirkliche und wesentliche Einsparungen im Haushalt, wie den Abbau von Subventionen und Steuergeschenken, den Verzicht auf kostenträchtige Prestigeobjekte, sind Sie bisher schuldig geblieben.
({24})
Auch die Selbstbescheidung im eigenen Hause fällt schwer. Die Regierung zieht es vor, mit schlechtem Beispiel voranzugehen. Die Zahl der Minister wächst, auch das kleinste Ministerium kann ohne Parlamentarischen Staatssekretär nicht sein, der Bedarf für Öffentlichkeitsarbeit steigt sprunghaft, die Anschaffung neuer Dienstwagen läßt sich natürlich nicht verschieben.
Ich fasse zusammen: Diese Regierung verfügt nach wie vor über kein finanzpolitisches Gesamtkonzept für die vor uns liegenden Jahre, es sei denn das, den Reichen zu geben und den Armen zu nehmen. Sie hat notwendige Ausgaben zu niedrig angesetzt, auf mögliche Einsparungen verzichtet, sie hat auf skandalöse Weise einseitig die Bezieher niedriger Einkommen belastet, und sie hat mit einer Neuverschuldung von 70 Milliarden DM eine atemberaubende Hypothek auf die Zukunft aufgenommen.
({25})
Das Wort hat der Abgeordnete Kollege Wieczorek.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
- Oskar Lafontaine weiß, was ich Ihnen zu sagen habe. Mit Herrn Lafontaine setze ich mich nicht auseinander, sondern ich setze mich mit dem Finanzminister auseinander. Das ist doch vollkommen klar.
({1})
Wir wollen hier doch keine Veränderung der Schlachtordnung einführen, Herr Schmitz; um Gottes willen nicht.
({2})
Daß Herr Lafontaine hiergeblieben ist und sich die hervorragende Rede insbesondere des Kollegen Weng angehört hat, war schon eine Leistung!
({3})
Wenn ich die beiden Reden von seiten der Koalition - ich nehme den Finanzminister einmal ausdrücklich
aus - an mir vorüberziehen lasse, dann fällt mir der Spruch ein: Wie soll ich eigentlich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?
({4})
Lassen Sie uns jetzt zum Sachteil übergehen, denn ich glaube, hier ist der Sachteil mehr gefordert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Finanzpolitik steht in Gesamtdeutschland vor der größten Herausforderung der Nachkriegszeit. Sie muß die Vereinigung der deutschen Staaten finanz- und gesellschaftspolitisch bewältigen, und sie muß dafür sorgen, daß in Gesamtdeutschland einheitliche Lebensverhältnisse herbeigeführt werden. In den neuen Ländern brechen in vielen Regionen ganze wirtschaftlich tradierte Strukturen weg, deren Anfänge bis weit in das letzte Jahrhundert zurückreichen.
Die Bundesregierung verharrt in ideologischer Selbstfesselung und wartet auf den marktwirtschaftlichen Urknall, auf die schlichte Wiederholung des westdeutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben alle noch die Sprüche im Ohr, die Einheit lasse sich allein durch Wirtschaftswachstum finanzieren,
({5})
folglich brauche auch niemand auf etwas zu verzichten oder gar höhere Steuern zu zahlen.
Dieser Glaube, meine Damen und Herren, war nicht nur naiv, er war verantwortungslos.
({6})
16 Millionen Bürger, die den Versprechungen des Bundeskanzlers geglaubt haben, stehen heute vor den Trümmern ihrer Hoffnungen. Der Verzicht auf eine gemeinsame Solidaritätsanstrengung, zu der nach Öffnung des Brandenburger Tors große Bereitschaft vorhanden war, war ein schwerer finanzpolitischer und moralischer Fehler.
({7})
Die Bundesregierung ist dabei, die Glaubwürdigkeit der Sozialen Marktwirtschaft, ja unseres demokratischen Systems zu verspielen.
({8})
Der Bundeshaushalt 1991 und die mittelfristige Finanzplanung bis 1994 hätten Antwort auf fünf Fragen geben müssen: erstens Klarheit und Wahrheit über den Finanzbedarf, zweitens Klarheit und Wahrheit über den Umfang der notwendigen Einsparungen, drittens Klarheit und Wahrheit, Herr Finanzminister, über den Finanzierungsanteil, der durch Steuererhöhungen aufgebracht werden muß, viertens Klarheit und Wahrheit über den Umfang, wie der Kapitalbe682
Helmut Wieczorek ({9})
darf am Kapitalmarkt zu decken ist. Finanzpolitische Führung verlangt fünftens, diese Klärungen nicht nur isoliert für den Bundeshaushalt vorzunehmen, sondern sie einzubetten in ein stimmiges mittelfristiges Konzept für den öffentlichen Gesamthaushalt, der den Bund, die alten und die neuen Bundesländer sowie die Kommunen gleichberechtigt berücksichtigt.
Die sozialdemokratische Fraktion stellt fest: Auf allen fünf Feldern hat die Bundesregierung versagt.
({10})
Sie hat sogar zweimal versagt, wenn ich es Ihnen genau sagen soll: zum erstenmal, als sie im Juli vergangenen Jahres nach der Beschlußfassung über die Eckwerte für den Bundeshaushalt 1991 die Haushaltsaufstellung abbrach. An die Stelle finanzpoliltischer Verantwortung setzten Sie einen monatelangen Prozeß der finanz- und steuerpolitischen Täuschung.
({11})
Die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung ist in Frage gestellt; das Vorgehen wurde letztendlich vom Wähler als Wahlbetrug empfunden.
({12})
Zum zweitenmal versagten Sie, als die Bundesregierung am 20. Februar 1991 einen nicht beratungsfähigen Haushaltsentwurf verabschiedete, von dem Sie eingestandenermaßen wußten, daß er bereits zum Zeitpunkt der Beschlußfassung Makulatur war, Herr Dr. Waigel. Ich frage Sie: Führt das eigentlich zu mehr Glaubwürdigkeit? Wenn Ihr ehemaliger Parteivorsitzender Franz Josef Strauß Ihren Haushaltsplanentwurf hätte prüfen müssen, Herr Minister, dann hätte er mit meiner Einschätzung übereingestimmt,
({13})
er hätte nämlich sicherlich mit mir festgestellt: Dieser Haushalt ist nicht das Schicksalsbuch der Nation, sondern die Schmuddelkladde der Koalition.
({14})
Zentrale, das politische Leben des Jahres 1991 und darüber hinaus bestimmende Ausgaben- und Einnahmenblöcke sind schlichtweg unterschlagen worden.
({15})
Sie sollen im parlamentarischen Verfahren durch die Berichterstatter eingearbeitet werden. Wo gibt es denn so etwas?
({16})
Einen Vorgang, der mit diesem Schmuddelbuch vergleichbar wäre, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
({17})
Sie machen sich anheischig, die Aushöhlung des Budgetrechtes des Parlamentes zu vollziehen, und verkaufen das semantisch noch als eine neue Form von Demokratie.
({18})
Herr Bundesfinanzminister, Sie stellen die Seriosität des administrativen Haushaltsverfahrens politisch in Frage. Kehren Sie zu den Prinzipien der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit zurück, zu den Prinzipien, die das Bundesfinanzministerium als Institution immer ausgezeichnet haben und die seinen hervorragenden Ruf in 40 Jahren festigten, einen Ruf, Herr Dr. Waigel, den Sie sich anschicken zu untergraben!
({19})
In der Reihenfolge der Fragen, die eine verantwortliche, planvolle Finanzpolitik hätte beantworten müssen, zäumen Sie das Pferd von hinten auf. Bei Ihrer fieberhaften Suche nach neuen Finanzquellen, um das 37-Milliarden-Loch zu stopfen, begannen Sie mit Abgabeerhöhungen. Man muß sich noch einmal vergegenwärtigen, was war, bevor Sie die Steuererhöhungen machten. Sie haben doch zunächst die Idee gehabt, gegen europäisches Recht eine Autobahngebühr einzuführen.
({20})
Dann haben Sie das Postunternehmen Telekom als Dukatenesel entdeckt, indem Sie die Telefonsteuer von über 5 Milliarden DM einführen wollten. Dann geriet die Bundesknappschaft, die Versicherung der Bergleute, bei Ihnen ins Visier.
({21})
Schließlich wollten Sie die Bundeskasse zu Lasten der Länderkassen auffüllen.
Im Ergebnis konzentrieren sich die finanzpolitischen Rundumschläge jetzt auf die Sozialkassen. Wie Sie die Sozialkassen nennen, ist mir im Moment egal. Die Bundesknappschaft ist eine Kasse für die Bergleute, für die Menschen, die Ihren Wohlstand herbeigeführt haben, Herr Kollege.
({22})
Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie sich hier den Bergleuten gegenüber benehmen.
({23})
Sie haben hier aus den Sozialkassen einen Verschiebebahnhof aufgemacht. Sie haben zu Lasten der Leistungsempfänger bei den Sozialkassen mehr als 20 Milliarden DM verschoben. Selbst wenn Sie alles konsolidieren, Herr Kollege Müller, bleibt schlicht und einfach eine Mehrbelastung von 11 Milliarden DM übrig; das werde ich Ihnen bei den Haushaltsberatungen noch vorrechnen.
({24})
Helmut Wieczorek ({25})
- Wenn Sie nur halb zuhören, weil Sie lesen, Herr Kollege, dann kann ich Ihnen den Nachhilfeunterricht leider nicht ersparen.
({26})
Meine Damen und Herren, mit den Kabinettsbeschlüssen vom letzten Freitag liegt nunmehr ein Dokument des Steuerbetruges dieser Regierung auf dem Tisch.
({27})
Ich sage dieses Wort nicht fahrlässig, sondern bewußt. Es ist ein Steuerbetrug, den Sie hier machen.
({28})
Ich will mich hier an den Bundeskanzler wenden: Die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, zu verantwortenden und unter Ihrer Leitung beschlossenen Steuererhöhungen sind sozial unausgewogen und ungerecht. Zu den aus der Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und aus der neuen Telefonsteuer resultierenden Mehrbelastungen, kommen jetzt weitere, massive Steuererhöhungen im Volumen von 30 Milliarden DM hinzu. Die für 1993 bereits angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer bedeutet eine Gefährdung des sozialen Friedens.
({29})
Ich sage Ihnen hier sehr klar und deutlich: Ich vermute und ich weiß, daß Sie planen, die Mehrwertsteuer in dem Moment zu erhöhen, wo Sie die sogenannte Solidaritätsabgabe wieder abschaffen. Wir werden einen nahtlosen Anschluß bekommen. Ich weiß, daß in Ihrem Hause Pläne gewälzt werden, die nicht auf 1 % oder 2 % Mehrwertsteuererhöhung zielen, sondern zur Kompensation wenigstens auf 3 % gehen werden.
({30}) Wir sprechen uns wieder, Herr Waigel.
({31})
Wir werden uns wiedersprechen. Ich sage es hier im vollen Bewußtsein.
Sie haben mit diesen Steuer- und Abgabenbeschlüssen ohne soziale Symmetrie die in der Bevölkerung vorhandene Bereitschaft zum Aufbau der neuen Bundesländer in ganz gefährlicher Weise durchbrochen. Zu dieser Art Politik sagen wir Sozialdemokraten ein klares Nein.
({32})
Herr Bundesfinanzminister, wer die Einheit zur Sache des ganzen Volkes machen will, muß das ganze Volk je nach Fähigkeit und Vermögen des einzelnen belasten. Wir Sozialdemokraten sagen ein klares Ja zu einem sozial ausgewogenen und gerechten Finanzierungspaket für den Ausbau der neuen Bundesländer,
für die Schaffung ausgeglichener Lebensverhältnisse im gesamten Deutschland.
Herr Bundeskanzler, dieses Land braucht eine neue Orientierung nach innen. Statt dessen stürzen Sie es mit Täuschung und Wortbruch in eine Krise des Vertrauens.
({33})
Eine Steuerpolitik, die gegen das Postulat der sozialen Gerechtigkeit verstößt, schafft keine Solidarität, sondern entzweit die Gesellschaft und schafft Mißtrauen zwischen den Bürgern, weil keiner mehr übersieht, wie hoch er als einzelner belastet wird. Blicken Sie nach Großbritannien! Dort wurde vor gut einem Jahr der gesellschaftliche Konsens aufgekündigt durch die als zutiefst ungerecht und als unsozial empfundene Ablösung der Grundsteuer durch eine Kopfsteuer.
Ihr bedenkenloser Umgang mit dem Begriff Solidarität macht auch aus einem anderen Grunde betroffen. Zu Ihrer politischen Strategie gehört es seit jeher, Begriffe zu besetzen, um die Köpfe der Menschen zu besetzen.
({34})
Wir alle wissen aber, welche politischen Verwüstungen der Kommunismus gerade hier angerichtet hat. Er zerstörte, wovon er dauernd redete: das Verantwortungsgefühl des einzelnen für das Ganze. Ich sage noch einmal, was im Kommunismus vordringlich war. Er betonte das Verantwortungsgefühl des einzelnen für das Ganze und handelte anders. Genau das gleiche tun Sie.
({35})
Ich warne Sie ganz offiziell davor, den offen zutage liegenden operativen Mangel Ihrer Politik durch semantische Täuschungen überdecken zu wollen.
({36})
- Sie glauben doch nicht, daß ich das im Raum stehen lasse. Ich begründe das selbstverständlich. Wenn Sie nämlich den Entwurf für Ihr nacktes Abkassieren bei Verbrauch-, Lohn- und Einkommensteuer mit den finanziellen Lasten des Golfkrieges und dem Zusammenbrechen des osteuropäischen Handels begründen, dann nennen Sie dieses Gesetz nicht Solidaritätsgesetz!
({37})
Sie treiben einfach Schindluder mit Begriffen. Sie ruinieren damit Ideale und nehmen diesem Wort seinen Inhalt.
({38})
Wer Ihren Steuergesetzen mit Ihrer Begründung zustimmt, erklärt sich nicht solidarisch mit den Menschen im Osten, sondern allenfalls mit einer Politik der Täuschung und des Wortbruchs.
Sie haben argumentiert, Herr Bundesfinanzminister, die Ausgaben für die neuen Bundesländer seien nur vorübergehender Natur, und deshalb könnten Sie sie über Kredite finanzieren. Ist denn die Krise
Helmut Wieczorek ({39})
am Golf eine ständige Einrichtung? Oder entspricht es der Geisteshaltung der Bundesregierung, zu glauben, daß Steuererhöhungen wegen des Golfkonflikts von den Bürgern im Westen für einleuchtender gehalten werden als Steuern für den Aufbau des geeinten Deutschlands? Wie Sie auch argumentieren: Es ist das Eingeständnis entweder des finanzpolitischen oder des moralischen Versagens.
Während die Bürger mit dem Etikettenschwindel Solidarität zur Kasse gebeten werden, haben Sie gleichzeitig den Solidaritätsbeitrag der Pharmaindustrie gekippt. Wegen Ihres politischen Versagens müssen die Defizite der Ost-Kassen ab 1992 voraussichtlich über stark steigende Krankenkassenbeiträge finanziert werden. Sie machen es den Menschen dadurch noch schwerer, den bestehenden Einkommensrückstand zum Westen aufzuholen, und verschärfen über eine Erhöhung der Lohnnebenkosten den Wettbewerbsnachteil ostdeutscher Firmen gegenüber der Westkonkurrenz.
Meine Damen und Herren, wenn Solidarität zur Einbahnstraße wird, spaltet sie. Solidarität muß deshalb auch den Menschen im Westen gelten, die sich allein - ich meine das durchaus im wörtlichen Sinne - nicht helfen können. Deshalb muß daran erinnert werden, daß 17 Milliarden DM Einstiegsfinanzierung zum Golfkonflikt im diplomatischen Vorbeigehen zugesagt wurden,
({40})
aber die vor der Wahl von uns geforderte gesetzliche Pflegeversicherung, die den Haushalt nur mit 6,5 Milliarden DM belastet hätte, aus Kostengründen hier nicht Ihre Zustimmung finden konnte.
({41})
- Wir wollen keinen Kuhhandel machen, sondern wir wollen saubere Gesetze haben, die den Menschen helfen.
({42})
Die betroffenen Menschen werden das nicht verstehen, und das führt weiter hin zu einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise der Politik ganz allgemein. Ich möchte nicht durch Ihre Fahrlässigkeit mit in den gleichen Ruf gebracht werden.
({43})
Die Bundesregierung stellt bei ihren finanzpolitischen Beschlüssen das Haushaltsverfahren auf den Kopf, meine Damen und Herren. Zunächst plündern Sie mit Ihrem Abgaben- und Steuerputsch die Taschen der Bürger. Dabei dienen die einnahmepolitischen Beschlüsse ausschließlich der Auffüllung der Bundeskasse, ohne Berücksichtigung der Finanzbedürfnisse anderer Gebietskörperschaften. Sodann wird im zweiten Schritt der Kapitalmarkt bis an die Grenze der inländischen Ersparnisbildung - wir sagen das so leicht - , also bis an die Grenze dessen, was alle Bürger im Lande in einem Jahr sparen, für die Kreditaufnahme in Anspruch genommen.
({44})
- Im öffentlichen Gesamthaushalt und den damit zusammenhängenden Schattenhaushalten, Herr Kollege. Sie haben ja mittlerweile mehr an finanziellen Lasten versteckt, als Sie offen zugegeben haben.
({45})
Sie waren doch diejenigen, die in der Zeit unserer Regierung gegen Schattenhaushalte immer wer weiß wie polemisiert haben. Wir haben sie abgeschafft, und Sie sind dabei, bei jedem Haushalt wieder einen neuen Schattenhaushalt draufzupacken.
({46})
Diese finanzpolitisch in die Sackgasse und sozialpolitisch in die Entsolidarisierung führende Politik dient zur Finanzierung eines obsoleten Bundeshaushaltsentwurfs, dem es an einer strukturellen Durchforstung der Ausgaben mit dem Ziel einer Neuorientierung auf die künftigen Anforderungen vollständig mangelt.
Das Ergebnis ist eine Lähmung der Finanz- und Haushaltspolitik. Selbst der überholte Finanzplan macht dies schlaglichtartig deutlich. Die Zinsausgaben unter Einschluß der Erstattungen für den Fonds Deutsche Einheit und den Kreditabwicklungsfonds steigen von rund 48 Milliarden DM auf mindestens 73 Milliarden DM im Zeitraum 1991 bis 1994. Als Sie die Regierung 1982 von uns übernommen haben, hatten Sie Zinsausgaben von 21 Milliarden DM zu übernehmen. Ich erinnere Sie nur daran, welche Erblastlüge Sie aus diesen Zinslasten konstruiert haben! Sie sind jetzt bei einer Verschuldung, die doppelt so hoch ist, wie wir sie damals gehabt haben.
({47})
Sie verfrühstücken die Zukunft unserer Kinder!
({48})
Ich stelle fest: Dieser Bundeshaushalt ist für die mittelfristigen Herausforderungen nicht gerüstet,
({49})
weder für den Aufbau der neuen Länder noch - das halte ich für ganz besonders wichtig - für eine Abschwächung des konjunkturellen Klimas. Die Bundesregierung verläßt sich blind auf das anhaltende Wirtschaftswachstum. Sie unterschlägt dabei, daß die Expansion der Inlandsnachfrage durch ein geradezu klassisches, in seinen Dimensionen gewaltiges
Helmut Wieczorek ({50})
keynesianisches Programm des Deficit spending ausgelöst wurde: durch den Anstieg der Nettokreditaufnahme von 26 Milliarden DM 1989 auf voraussichtlich 92 Milliarden DM im Jahre 1990.
({51})
- Herr Kollege Roth, seien Sie nicht stolz darauf, daß Sie weniger Nettokreditaufnahme realisieren mußten, als Sie aufgenommen haben.
({52})
Der Bundesfinanzminister hat 1990 16 Milliarden DM mehr aufgenommen, als überhaupt abgeflossen sind. Das hat dazu geführt, daß die Zinsen im letzten Quartal des vergangenen Jahres einen deutlichen Push nach oben bekommen haben, überflüssiges Geld, das Sie aufgenommen haben und das Sie noch nicht mal zinsgünstig angelegt haben.
({53})
Sie haben Geld zu 9 % Zinsen aufgenommen und 10 Milliarden DM bei der Bundesbank gegen null Zinsen geparkt. Sagen Sie nur, das sei eine vorausschauende Finanzplanung! Das können doch selbst Sie nicht glauben!
({54})
In diesem Jahr soll die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Gesamthaushalte - ich sage es noch einmal, damit Sie nicht wieder Mißverständnissen erliegen - bei 140 Milliarden DM liegen. 140 Milliarden DM sind das, was der Finanzminister in seinen Rechnungen hat. Die Bundesbank sagt allerdings: Mit diesen 140 Milliarden DM wird er nicht auskommen, sondern - das betrifft immer die gesamten öffentlichen Haushalte, nicht nur den Bund - es werden 155 Milliarden DM sein.
({55})
Selbst wenn die Bundesregierung mit ihrem Zweckoptimismus recht hätte, kommen immer noch 64 Milliarden DM Kreditaufnahme aus den Schattenhaushalten hinzu. Sie sind sich über die Dimension Ihrer Verschuldung überhaupt nicht im klaren!
({56})
Ich will Ihnen sagen, woher dieser Betrag kommt: 7 Milliarden DM ERP-Programm, 5 Milliarden DM Kreditabwicklungsfonds. - Sie wollen das nicht hören, aber Sie kriegen es jetzt bis zum letzten. ({57})
7 Milliarden DM für das wohnungswirtschaftliche Moratorium, 23 Milliarden DM für die Treuhandanstalt, 8 Milliarden DM für Reichsbahn und Bundesbahn,
({58})
14 Milliarden DM Telekom, in West und Ost. Den offenen Finanzbedarf im Rahmen des Entschädigungsfonds zur Regelung der offenen Vermögensfragen habe ich dabei noch nicht mitgerechnet.
({59})
- Ich bin noch nicht fertig; ich habe heute so viel Zeit, wie ich brauche, um mit Ihnen fertigzuwerden.
({60})
Meine Damen und Herren, die der haushaltswirtschaftlichen Verschleierung dienenden Schattenhaushalte haben inzwischen ein Eigenleben entwikkelt. Dem Bundesfinanzministerium ist die administrative Gesamtschau über Struktur, Dynamik und gesamtwirtschaftliche Wirkung der aus Einzeltöpfen gespeisten Verschuldung offensichtlich verlorengegangen.
({61})
Die Belastung des Bruttosozialproduktes - für uns immer der wesentlichste Indikator - durch die Kreditaufnahme aus dem öffentlichen Sektor wird in eine Größenordnung von über 7 % steigen. Die gesamte Ersparnisbildung aller privaten Haushalte in Westdeutschland beträgt rund 200 Milliarden DM, die für den Finanzbedarf des Staates restlos benötigt werden.
({62})
Wenn wir in der Bundesrepublik in größerem Maße Investitionen brauchen, werden wir von einem Kapitalexportland wieder zu einem Kapitalimportland werden. Das müssen Sie sich klarmachen. Sie haben das Land an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gebracht.
({63})
- „An die Grenze" heißt nicht, daß Sie sie schon überschritten haben.
({64})
Das will ich eindeutig sagen.
({65})
Ich hoffe, Sie werden das, was ich Ihnen sage, im Herzen bewahren, Ihre Lehren daraus ziehen und uns die Chance geben, vernünftig weiterzuarbeiten.
({66})
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Situation, in der der Zinsauftrieb und eine restriktive Geldpolitik der Bundesbank als Folge der exorbitanten staatlichen Verschuldung einen bremsenden Einfluß auf das Wirtschaftsleben haben werden. Verstärkt wird das durch eine mögliche internationale Abschwächung der Weltwirtschaft. Es besteht die reale Gefahr, daß der öffentliche Gesamthaushalt, einschließlich seiner Schattenhaushalte, in eine amerikanische Situation mit dauerhaften Defiziten im
Helmut Wieczorek ({67})
Volumen von dreistelligen Milliarden-Beträgen hineinschlittert.
Es bedarf daher meiner Ansicht nach einer grundsätzlichen Neuordnung der Konsolidierungspolitik - keiner kosmetischen Operationen bei den Finanzhilfen und Subventionen, sondern einer strukturellen Durchforstung der öffentlichen Aufgaben. Wir sind zu dieser Art der Zusammenarbeit bereit und werden unsere Vorstellungen im Rahmen der Haushaltsberatung deutlich machen.
Ich wünsche mir nicht, daß die Aussage von Herrn Lambsdorff aus dem letzten Jahr Richtschnur Ihres Handelns wird. Er hat damals gesagt: In dem Augenblick, in dem die Steuererhöhungsschleuse geöffnet wird, kann man die Diskussion über den Subventionsabbau beenden.
({68})
Ich hoffe, daß Sie sich hier trotzdem zu einer Kraftleistung bereitfinden können.
({69})
Ich hoffe nämlich, daß Sie beim Subventionsabbau zu einer ähnlichen Kraftanstrengung fähig sind, wie Sie sie den Bürgern in den neuen Bundesländern zumuten. Sie haben ihnen zugemutet, beim Abbau der Preisstützungen eine Belastung von 20 Milliarden DM hinzunehmen. Wenn Sie dann Ihrerseits die gleiche Kraft hier aufwenden würden, entstünden im Bundeshaushalt erhebliche Finanzierungsspielräume zugunsten neuer Aufgaben.
Meine Damen und Herren, Sie haben mich nach den Alternativen gefragt. Die will ich Ihnen gerne sagen.
({70})
Der Aufbauplan der SPD für die Zukunft der neuen Länder ist unser Beitrag, um in den Augen der Menschen in Ost und West die Glaubwürdigkeit und die Ehrlichkeit zurückzugewinnen, die von der Bundesregierung und den Koalitionsparteien Stück für Stück verspielt wurden. Unser Programm geht von einem integrierten Konzept für die Wirtschafts-, Finanz- und Industriepolitik aus,
({71})
damit die Betriebe in den neuen Ländern zu einer wettbewerbsfähigen Industriebasis mit den entsprechenden Arbeitsplätzen umgebaut werden können.
Flankiert wird dies von einem sozial ausgewogenen und gerechten Finanzierungskonzept
({72})
mit einem Volumen von mindestens 36 Milliarden DM,
({73})
das im Gegensatz zu den Regierungsbeschlüssen auch 1993 und 1994 finanzwirtschaftlich tragfähig ist. Dazu gehören energische Einsparungen im Bundeshaushalt, die insbesondere durch Absenkung der Ausgaben im Verteidigungsbereich erreicht werden sollen.
({74})
Eine Einsparung von insgesamt 8 Milliarden DM halten wir durchaus für realistisch.
({75})
- Abwarten, Freunde, zuhören!
Zweitens. Verzicht auf die Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer.
({76})
9 Milliarden DM verschenken Sie in diesem Bereich.
({77})
Wir wollen auch an unserer klassischen Ergänzungsabgabe, also einer Ergänzungsabgabe mit sozialer Staffelung, festhalten. Der Bundesfinanzminister hat seine Solidaritätssteuer auf der Rechtsbasis der Ergänzungsabgabe aufgebaut. Wir wären ja durchaus bereit, diesen Weg mit ihm zu gehen. Wenn er sich mit uns über eine sozial verträgliche Einkommensuntergrenze unterhielte, würden wir sofort sagen: Herr Minister, wir gehen mit.
({78})
Wir legen uns nicht auf einen Abgabesatz von 7,5 % fest. Das, was Ihnen dadurch fehlt, daß die Menschen, die unter 4 000 DM verdienen, nichts zahlen, legen wir oben drauf. Wir gehen von 7,5 % auf 10 % für die hohen Einkommensgruppen. Darüber können Sie ja mit uns reden. Lassen Sie uns doch in einen Dialog darüber eintreten!
({79})
- Wenn Sie mehr zugrunde legen wollen, biete ich das gerne an, natürlich. Bei Einkommensgrößenordnungen, in die auch wir fallen, ist durchaus noch mehr zumutbar, selbstverständlich.
({80})
Wir wollen auch statt einer Erhöhung der Arbeitslosenversicherung, die nur die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer trifft, eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe, die die Freiberufler und alle betrifft, die in ihrem Einkommen über einer bestimmten Grenze liegen.
Dieses Finanzierungskonzept ist für den Bürger in seiner sozialen Ausgewogenheit durchschaubar und bringt ihm Klarheit über die mittelfristig von ihm zu tragenden Belastungen. Die steuerpolitischen Wechselbäder der Koalition dagegen schaffen Verunsicherung, Zukunftsangst und Staatsverdrossenheit ({81})
Helmut Wieczorek ({82})
Staatsverdrossenheit, meine Damen und Herren, bei den Bürgern in Ost und West.
Ein zentraler Solidaritätsaspekt liegt darin, daß bei der Ergänzungsabgabe mit sozial gestaffelter Einkommensgrenze die niedrigen Einkommensgruppen im Westen, aber insbesondere die breiten Arbeitnehmerschichten im Osten von diesem Instrument der Mitfinanzierung freigestellt werden.
Ich will Ihnen auch ein paar „Takte" zur Mineralölsteuer sagen, weil das von Ihnen hier immer als Lieblingsprojekt angesprochen wird. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer wird von Sozialdemokraten nur im Rahmen eines Gesamtkonzeptes der ökologischen Umschichtung des Steuersystems mitgetragen.
({83})
Dazu gehören die Einführung einer allgemeinen Entfernungspauschale, eine besondere Fernpendlerpauschale und die Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer.
Wir widersetzen uns allen Bestrebungen der Koalition, die ökologisch überfällige Umstrukturierung der Mineralölsteuer zum Opfer ihrer unsoliden Finanzpolitik werden zu lassen.
({84})
Es ist eine völlig irrationale Politik,
({85})
aus der Dimension der ökologischen Katastrophe am Golf etwa den Schluß ziehen zu wollen, auf nationale Anstrengungen komme es nun nicht mehr an.
({86})
Meine Damen und Herren, wir stehen vor der Beratung des Haushalts im Haushaltsausschuß. Ich freue mich sehr, daß wir in den Dialog eintreten können. Ich freue mich sehr darauf, zu sehen, wie Sie auf unsere Vorstellungen im einzelnen reagieren werden. Wir werden Ihnen konkrete Vorschläge machen.
({87})
Ich möchte zum Abschluß aber noch daran erinnern, daß der sozialdemokratische Finanzminister der Regierung de Maizière, Walter Romberg, im Kabinett derjenige war
({88})
- Sie schicken alle in die Wüste, die Ihnen Nachrichten bringen, die Ihnen nicht gefallen -,
({89})
der die im Einigungsvertrag getroffenen Regelungen für die Finanzausstattung der neuen Länder für unvereinbar mit dem Ziel hielt, gleiche Lebensbedingungen in ganz Deutschland zu schaffen. Er befürchtete das Abrutschen Ostdeutschlands in die Zweitklassigkeit, weil die von ihm vorhergesagte Gesamtverschuldung der neuen Länder von 30 Milliarden DM im Jahre 1994 ihre Leistungskraft überfordert.
({90})
Er lag richtig mit seiner Befürchtung. Er war ein Patriot, der durch Ihre Politik daran gehindert wurde, seine vorausschauenden finanzpolitischen Vorstellungen vernünftig umzusetzen.
({91})
Ich hoffe sehr, wir kommen in einen Dialog. Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre lebhafte Teilnahme an meinen Ausführungen.
({92})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Borchert.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bis zu der Rede des Kollegen Wiezcorek hatte ich den Eindruck, daß sich die SPD-Fraktion aus der haushalts- und steuerpolitischen Debatte abgemeldet hatte.
({0})
Sie überläßt diesen wichtigen Bereich zunehmend den SPD-geführten Ländern: die Steuerfragen dem Ministerpräsidenten Engholm und die Haushaltsfragen dem Ministerpräsidenten Lafontaine.
Vergangene Woche war zu hören: Die Ministerpräsidenten geben ihr Junktim bei der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer auf. Sie erklären ihre Zustimmung zum Steuerpaket der Bundesregierung, ohne dies weiterhin mit der Frage der Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer zu verknüpfen.
({1})
Gleichzeitig wird betont, daß die Länder beim Wegfall der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer für die Steuerausfälle entschädigt werden müßten. Der SPD hat dies die Sprache verschlagen. Sie hat eine Pressekonferenz sofort abgesagt.
({2})
Beim Abbau der ertragsunabhängigen Steuern im Rahmen unserer Unternehmenssteuerreform kann ich somit eine breite parlamentarische Mehrheit feststellen.
Diese Woche hieß es: Die SPD-Fraktion verzichtet darauf, auf die Einbringungsrede des Finanzministers zum Bundeshaushalt 1991 unmittelbar zu antworten. Sie überläßt dies dem selbsternannten haushaltspolitischen Sprecher aus dem Saarland.
({3})
Welche Befähigung bringt er dafür mit? Zum zweiten
Mal nacheinander - ich weiß ja, daß Sie das nicht
gern hören - hat der Landesrechnungshof den Haus688
halt des Saarlandes als verfassungswidrig bezeichnet.
({4})
Wörtlich erklärt der Präsident des Landesrechnungshofes:
Der Rechnungshof hält an seiner Auffassung fest, daß die Haushalte für die Rechnungsjahre 1988, 1989 und 1990 mit der Landesverfassung nicht in Einklang stehen.
„Oskar im Minus", so stand es kürzlich in einer großen Zeitung. Für die SPD aber ist dies ein Testat, das Lafontaine befähigt, hier in der Haushaltsdebatte zu sprechen.
Zu Beginn Ihrer Rede, Herr Kollege Wieczorek, hatte ich den Eindruck, es wäre besser gewesen, die SPD hätte Sie gleich sprechen lassen. Aber dieser Eindruck hat sich bei mir nachher wieder gelegt.
({5})
Bundesfinanzminister Waigel hat heute einen Haushalt eingebracht, der den innen- und außenpolitischen Aufgaben dieses Jahres gerecht wird.
({6})
Der Aufbau der neuen Bundesländer, unsere notwendige finanzielle Beteiligung am Golfkrieg und die Unterstützung der ost- und südosteuropäischen Länder sind für die Finanzpolitik eine besondere Herausforderung.
Mitte November 1990 hat das Bundeskabinett die Eckwerte zum Haushalt 1991 und zum Finanzplan 1994 beschlossen. Im einzelnen wurden für den Bundeshaushalt 1991 und den Finanzplan 1990 bis 1994 folgende Eckwerte festgelegt: Nettokreditaufnahme 1991: Begrenzung auf 70 Milliarden DM. Wir haben dies eingehalten. Des weiteren: stufenweise Rückführung der Nettokreditaufnahme in den Folgejahren auf 30 Milliarden DM im Jahre 1994. Auch dies wird in der mittelfristigen Finanzplanung eingehalten.
({7})
Ferner: mittelfristiger Ausgabenanstieg: durchschnittlich 2 %.
Zur Einhaltung der Eckwerte wird der Bundeshaushalt um rund 35 Milliarden DM im Jahre 1991 - ansteigend auf 70 Milliarden DM 1994 - entlastet. Wir entlasten ihn in diesem Jahr um 37 Milliarden DM.
Die Kernaussage war: Wir werden die Einheit Deutschlands aus Umschichtungen, aus Einsparungen, aus einer vorübergehend höheren Nettokreditaufnahme und aus den Erträgen der deutschen Einheit finanzieren. Im April 1990, vor knapp einem Jahr, hat auch die Kollegin Frau Matthäus-Maier dies so gesehen und ausgeführt:
({8})
Auf die Dauer lassen sich die Kosten der Einheit, also
unsere Investitionen in eine gemeinsame Zukunft, aus
dem zusätzlichen Wachstum und dem Abbau der Kosten der Teilung finanzieren.
({9})
Wir werden in beiden Teilen Deutschlands reicher und nicht ärmer.
Gleichzeitig haben wir damals gesagt, daß die Einheit Deutschlands nicht zum Nulltarif zu haben ist.
({10})
- Natürlich aus dem Wachstum, aber eben nicht zum Nulltarif. Wir haben auch gesagt, daß wir den Bürgern mit Umschichtungen und Einsparungen Belastungen zumuten.
({11})
Voraussetzung, um diesen Weg konsequent zu gehen, ist die konsequente Umsetzung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft in den neuen Ländern bei gleichzeitig hohem wirtschaftlichen Wachstum in ganz Deutschland. Hierfür die Rahmenbedingungen zu erhalten ist die wichtigste Aufgabe der Haushaltsund Steuerpolitik.
Herr Lafontaine hat heute morgen gesagt: Die Koalition wollte die Einheit, aber sie hatte dafür kein wirtschaftspolitisches Konzept. Lafontaine hatte und brauchte kein wirtschaftspolitisches Konzept; denn ich glaube, er wollte die Einheit nicht.
({12})
Seit Herbst vergangenen Jahres hat sich die Welt verändert. Wir alle sind froh, daß der Krieg im Nahen Osten zur Durchsetzung der UN-Resolutionen beendet ist. An dieser UN-Aktion haben wir uns finanziell beteiligt.
Herr Kollege Wieczorek, ich hatte bei Ihnen über lange Zeit den Eindruck, daß Sie und die SPD nicht bereit sind, sich an dieser Aktion der Völkergemeinschaft solidarisch zu beteiligen. Ich sage ganz offen: Wir haben uns daran beteiligt und wir wollten das auch; denn wir sind verpflichtet, die UN auch bei einer solchen Aktion solidarisch zu unterstützen.
({13})
Wir haben bis heute 17 Milliarden DM aufgewendet: unmittelbare finanzielle Leistungen an die Alliierten, Materiallieferungen und humanitäre Soforthilfen für die betroffenen Länder. Dies alles sind Ausgaben, die im Herbst vergangenen Jahres nicht vorhersehbar waren. Diesen Zusatzbedarf kann der Bund mit den vorhandenen Finanzausstattungen nicht abdecken. Diese neu hinzugekommenen internationalen Verpflichtungen konnten und wollten wir mitfinanzieren.
Andererseits aber müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um einheitliche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland sicherzustellen. Ohne Verbesserungen auf der Einnahmeseite sind die nationalen und internationalen Aufgaben 1991 nicht zu bewältigen. Höhere Einnahmen lassen sich grundsätzlich auf zwei Wegen erzielen: entweder die Steuern anheben oder eine höhere Nettokreditaufnahme in Kauf nehmen.
Dabei ist aber darauf zu achten, daß Auswirkungen auf Wachstum, Konjunktur und Preisstabilität so gering wie möglich bleiben.
Die CDU/CSU-Fraktion und die Koalition haben sich aus wirtschaftspolitischen Gründen für Steuererhöhungen entschlossen. Wir erhöhen die Steuern um rund 17 Milliarden DM, wobei der Solidaritätszuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer sowie auf die Körperschaftsteuer auf ein Jahr begrenzt wird.
Wenn hier immer die Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer angeführt werden, muß man zweierlei sagen:
Erstens. Wir wollen sie in der ehemaligen DDR, in den neuen Bundesländern, nicht einführen; ich glaube, dies ist richtig.
Zweitens. Ihre Abschaffung tritt nicht jetzt, sondern gegen Ende der Legislaturperiode in Kraft. Der dadurch bedingte Einnahmeausfall wird durch Streichungen bei Subventionen, vor allen Dingen durch Streichung bei degressiven Abschreibungen, kompensiert. Dies werden wir mit dem Steuerpaket vorlegen.
({14})
Nur, wer die Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer heute als Finanzierungsmöglichkeit für 1991 oder 1992 vorschlägt, der hat offensichtlich das ganze Paket nicht begriffen.
({15})
Ein solcher Vorschlag zeigt, wie unsolide die Vorschläge der SPD insgesamt sind.
({16})
Bei solch unsoliden Vorschlägen wundert es mich natürlich nicht, daß in den 70er Jahren SPD-Finanzminister reihenweise zurückgetreten sind.
Die Auswirkungen auf Wachstum und Konjunktur werden mit diesen Maßnahmen so gering wie möglich gehalten, da der leistungsfreundliche Einkommensteuertarif auf Dauer erhalten bleibt. Bei einer Ausweitung der Nettokreditaufnahme über die Grenze von 70 Milliarden DM hinaus wären langfristig negative Auswirkungen auf Wachstum und Konjunktur und damit auf Preisniveau und Beschäftigung in Kauf zu nehmen. Hierauf hat die Deutsche Bundesbank zu Recht hingewiesen.
Aus heutiger Sicht ist das beschlossene Steuerpaket mit der Komponente der zeitlichen Begrenzung der bessere Weg. Die Steuererhöhungen sind durch nicht vorhersehbare Ereignisse im Nahen Osten und in Süd- und Südosteuropa begründet.
({17})
Ohne Steuererhöhungen hätten die Kosten dieser internationalen Aufgaben nur zu Lasten der Leistungen des Bundes für die neuen Länder finanziert werden können.
Der vorgelegte Haushaltsentwurf enthält Ausgab en von rund 80 Milliarden DM für die neuen Bundesländer. Ohne die finanziellen Leistungen für den Golfkrieg und ohne die notwendigen Hilfen für die osteuropäischen Länder hätten wir rund 100 Milliarden DM für den Aufbau der neuen Bundesländer einsetzen können.
Wer die Steuererhöhungen zur Finanzierung der zusätzlichen Verpflichtungen ablehnt, der bürdet diese Last den Schwächsten, nämlich den neuen Bundesländern, auf. Dies war und ist für uns keine Alternative.
({18})
Wir sagen ja zu unseren internationalen Verpflichtungen, und wir sagen ja zur Hilfe für den Aufbau der neuen Bundesländer. Ohne Steuererhöhungen wären diese Aufgaben nicht gleichzeitig im notwendigen Umfang zu erfüllen gewesen.
({19})
Herr Abgeordneter Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Herr Kollege Borchert, würden Sie mir einmal sagen, wie die 100 Milliarden DM an Hilfen für die neuen Bundesländer von Ihnen finanziert worden wären? Gehe ich recht in der Annahme, daß sie weiter auf Pump finanziert worden wären?
Wir hätten sie im Rahmen der Nettokreditaufnahme von 70 Milliarden DM finanziert, wenn wir die Ausgaben für den Golfkrieg und die osteuropäischen Länder nicht in dieser Größenordnung im Haushaltsentwurf unterbringen müßten. Aber Ihre Frage zeigt mir, daß Sie den Haushalt offensichtlich nur wenig kennen und dies im Haushalt nicht gesehen haben. Das macht natürlich Ihre Ausführungen von vorhin erklärlich. Sie haben offensichtlich über einen Haushalt gesprochen, den Sie nicht kennen.
({0})
- Von 80 auf 100 Milliarden DM 1991, Herr Kollege. - Das vorgelegte Steuerpaket ist sozial ausgewogen; der Solidaritätszuschlag ist auf ein Jahr begrenzt.
Aber messen wir die SPD einmal an ihren Aussagen vor der Wahl: Am 20. November 1990, also mitten im Wahlkampf, erklärte Frau Matthäus-Maier, Kohl müsse sagen, wie er die für 1991 bestehende Finanzierungslücke von über 200 Milliarden DM schließen wolle.
Ich hätte hier nun Aufklärung erwartet, wo die Finanzierungslücke von über 200 Milliarden DM ist, die im Wahlkampf noch als Horrormeldung verbreitet wurde. Leider ist eine Aufklärung in dieser Debatte nicht erfolgt. Aber wir sind es seit den Haushaltsdebatten von 1983 an gewohnt, daß die SPD in jeder Haushaltsdebatte mit neuen Horrormeldungen über angebliche Finanzierungslücken aufwartet, den Zusammenbruch des jeweiligen Haushalts vorhersagt und anschließend resigniert zur Kenntnis nehmen
muß, daß der Haushaltsabschluß immer besser ist als das Haushaltssoll; das wird auch in diesem Jahr wieder so sein, Herr Kollege.
({1})
Notwendig sind Hilfestellungen für die Menschen im Beitrittsgebiet, die sie in die Lage versetzen, sich morgen selber zu helfen. Voraussetzung dafür ist eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie die CDU sie seit 1982 verfolgt.
Zentrale Elemente dieser Politik waren Ausgabenbegrenzung, Steuerentlastung, Senkung des Staatsanteils und Verringerung der Nettokreditaufnahme.
({2})
- Schonen Sie Ihre Stimme; die brauchen Sie noch.
({3})
Von 1982 bis 1989 stiegen die Ausgaben des Bundes im Durchschnitt um 2,5 %. Dies war nur halb soviel wie der Anstieg des Bruttosozialprodukts, das im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 5 % zugenommen hat.
Im Saarland dagegen steigen die Ausgaben um 5,2 %, das Bruttosozialprodukt um weniger als 2 %. Das einzige, was Herrn Lafontaine einfällt, ist der Hilferuf, nun müsse Bonn helfen.
Wir sind bereit, zu helfen, aber erst dann, wenn das Saarland durch eigene Anstrengungen zeigt, daß es bereit ist, den Weg der Konsolidierung zu beschreiten, und Personalhaushalte nicht ständig weiter ausdehnt.
({4})
Der Anteil der Nettokreditaufnahme des Bundes am Bruttosozialprodukt wurde von 2,3 % 1982 auf 0,8 1989 gesenkt.
({5})
1975 hat er bei über 3 % gelegen; verantwortlich war damals die SPD. Ich möchte gleich hinzufügen: Ebenfalls als Anteil am Bruttosozialprodukt ausgedrückt, sind die 70 Milliarden DM Nettokreditaufnahme in diesem Jahr mit 2,5 % immer noch niedriger als 1975, trotz der geschichtlich einmaligen Aufgabe, die Deutsche Einheit und internationale Aufgaben zu finanzieren.
({6})
- Herr Finanzminister, Sie haben den Beifall verdient.
({7})
Unsere Politik der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft seit Herbst 1982 hat dazu geführt, daß wir auf die Einheit Deutschlands gut vorbereitet waren und sind.
Herr Kollege Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wieczorek?
Wenn Sie mir die Zeit nicht anrechnen.
Natürlich nicht.
({0})
Herr Kollege Borchert, wären Sie so freundlich, die Zahlen der Schulden zu ergänzen, die Sie über Ihre Schattenhaushalte aufgenommen haben? Würden Sie uns sagen, daß dazu die 23 Milliarden DM der Treuhandanstalt und all die Dinge kommen, die Sie in Ihrer neuen, seriösen Haushaltspolitik im Fonds der deutschen Einheit in Töpfchen verstecken?
Herr Kollege, nun hätten Sie nur noch fordern müssen, daß ich dazu die jeweilige Kreditaufnahme der SPD-geführten Bundesländer hinzuzähle; dann kämen wir wirklich zu Höhen, die wir vielleicht früher nicht hatten.
({0})
Mit den Sondertöpfen bleiben wir in einem Rahmen, der mit Ihren Spitzenleistungen in den 70er Jahren durchaus vergleichbar ist.
({1}) Wir bleiben sogar noch unter diesen Höhen.
({2})
Es ist unstrittig, daß wir heute sehr viel besser auf die Einheit Deutschlands vorbereitet sind, als wir es etwa 1982 gewesen wären. Es ist unstrittig, daß das, was wir heute leisten, Ende 1982, als die Sozialdemokraten aus der Regierungsverantwortung abgelöst wurden, nicht möglich gewesen wäre; denn damals hat uns die SPD völlig desolate öffentliche Finanzen hinterlassen.
({3})
Unsere solide Haushaltspolitik und unsere Steuersenkungspolitik mit der dreistufigen Steuerreform mit einer jährlichen Entlastung von rund 50 Milliarden DM haben die Wachstumskräfte bei stabilen Preisen gestärkt, die Realeinkommen steigen lassen und die Beschäftigung in der ehemaligen Bundesrepublik auf Rekordhöhen gebracht.
({4})
Es gibt keinen ökonomischen Grund, diese erfolgreiche Finanzpolitik zu ändern, auch nicht für ganz Deutschland.
Bei dem vorliegenden Entwurf des ersten gesamtdeutschen Haushalts konnte das Ausgabevolumen nur dank äußerster Sparsamkeit auf rund 400 Milliarden DM begrenzt werden. Durch die weiteren Ausgaben im Rahmen des Gemeinschaftswerks zugunsten der neuen Bundesländer werden wir bei den Haushaltsberatungen das Ausgabevolumen um 12 Milliarden DM aufstocken.
Den engen Ausgabenrahmen und die Begrenzung der Nettokreditaufnahme konnten wir nur durch Haushaltsentlastungen von 37 Milliarden DM in diesem Jahr, steigend auf 70 Milliarden DM 1994, erreiJochen Borchert
chen. Dabei wird sich erst mittelfristig der Anteil der Ausgabenkürzungen an diesem Entlastungsvolumen deutlich erhöhen. Niemand kann doch übersehen, daß die Maßnahmen bei dem Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen aus Gründen des Vertrauensschutzes erst mittelfristig wirken.
Bisher kommt der Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung in den neuen Bundesländern und Kommunen noch zu langsam voran. Die alten Bundesländer und Kommunen sind gemeinsam aufgerufen, hier so schnell wie möglich für Abhilfe zu sorgen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich intensiv bemühen, den Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern zu beschleunigen und unterstützend zu begleiten. Ich verweise hierzu auf das von den Koalitionsfraktionen eingebrachte und verabschiedete Zehn-Punkte-Programm „Auf- und Ausbau der öffentlichen Verwaltung und Justiz in den neuen Bundesländern".
Herr Lafontaine beklagt heute den zögernden Aufbau der Verwaltung in den neuen Bundesländern. Da hätte er doch im vergangenen Herbst auf die Blockadepolitik der SPD-Fraktion Einfluß nehmen müssen!
Der Haushaltsausschuß hat im letzten Jahr mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen, Bundesbediensteten, die beim Aufbau der öffentlichen Verwaltung in den neuen Bundesländern helfen, eine gestaffelte steuerfreie Aufwandsentschädigung zu gewähren.
({5})
Die SPD-Fraktion hat sich bei einigen Enthaltungen - das sage ich ausdrücklich - vehement dagegen ausgesprochen. Der Kollege Struck und der heutige Finanzminister Kühbacher in Brandenburg, ein früherer Kollege im Haushaltsausschuß, haben in einer Presseerklärung vom 14. September in übelster Weise dagegen polemisiert.
({6})
Da war von Werbeprämien für ausgewählte Top-Beamte, von Besoldungsskandal und von einer Sondermaßnahme, die von der Sache her überflüssig sei, die Rede.
({7})
Die Maßnahme war und ist sachlich geboten. Überflüssig und unsachlich war die damalige Kampagne der SPD.
({8})
Ich finde es schlimm, wenn sich Herr Lafontaine heute hier hinstellt und beklagt, daß der Aufbau nicht schneller vorankomme. Sie haben damals den Aufbau blockiert.
({9})
Ich begrüße aber, daß, wie es der Kollege Esters hier dargelegt hat, die SPD dazugelernt hat. Ich hoffe, daß sie diese Lernfähigkeit auch an anderen Punkten unter Beweis stellen kann.
({10})
Bei dieser wie bei anderen Entscheidungen zeigt sich, daß die Koalition gut beraten war, ihre eigenen Vorschläge gegen den Widerstand der SPD durchzusetzen.
({11})
Die SPD sollte endlich den Mut aufbringen, zuzugeben, daß sie seit der Öffnung der Mauer von einer Fehleinschätzung zur anderen gestolpert ist.
({12})
Unkonventionell ist auch das im Rahmen des Gemeinschaftswerks zur Förderung des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Ländern des Beitrittsgebiets beschlossene kommunale Investitionsprogramm. Rund 300 DM pro Einwohner stehen den Städten und Gemeinden zur Verfügung. Die Auszahlung muß unmittelbar erfolgen; lange Umwege stören nur. Die verfassungsrechtlichen Schranken sind mit dem Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern überwunden.
Lassen Sie mich feststellen: Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Lösungen, nicht jedoch das Festhalten an Hergebrachtem ohne Kreativität zu neuen Lösungen, wie das in den Ausführungen des Kollegen Wieczorek immer wieder deutlich wurde. In den neuen Ländern sind heute nicht Diskussionen über große Lösungen gefragt, sondern gefragt ist das unmittelbare Zupacken. Die neu entstehenden Handwerksbetriebe brauchen Arbeit. Aufträge sind gefragt, nicht das Ausfüllen von Formularen und Anträgen.
({13})
Mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost stehen zusätzlich 24 Milliarden DM für Ausgaben und Förderungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern zur Verfügung.
({14})
Damit erhalten Investoren eine attraktive Förderung. Investitionen im Wohnungsbau und im Verkehrsbereich können finanziert werden. Städte und Kommunen verfügen jetzt über beachtliche Summen. Das ist je Kopf der Bevölkerung mehr, als mancher Finanzminister oder Landrat hier in den westlichen Bundesländern zur Verfügung hat.
Das von der Bundesregierung beschlossene und von allen Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften unterstützte Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost ist ein gigantischer finanzieller Kraftakt und ein unübersehbares Zeichen, daß die Bürger in den alten Bundesländern bereit sind, Opfer für die deutsche Einheit
zu erbringen. Es ist aber vor allem ein Signal für das gemeinsame Vorgehen von Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften.
Jetzt kommt es darauf an, daß die Hemmnisse für den notwendigen Strukturwandel überwunden werden. Aus Programmen müssen schnell und unbürokratisch konkrete Vorhaben und Investitionen werden.
Es ist unsere Aufgabe, den Menschen in den neuen Bundesländern Mut zu machen, damit sie den notwendigen Strukturwandel akzeptieren und den Wandel aktiv mitgestalten. Wir stellen uns dieser Aufgabe, während die SPD mit immer neuen Neidkampagnen versucht, die Bürger in West und Ost zu verunsichern.
Noch eine letzte Bemerkung zum Personalaufwuchs im Entwurf des Bundeshaushalts 1991. Der Personalaufwuchs scheint etwas üppig ausgefallen zu sein. Sicher, neue Aufgaben sind hinzugekommen. Aber mußte der Personalbestand gegenüber 1989, dem letzten normalen Vergleichsjahr, auch im nachgeordneten Bereich um jeweils 25 % aufgestockt werden? Wir werden diese Ansätze im Haushaltsausschuß noch einmal genauestens unter die Lupe nehmen.
({15})
Ich fasse zusammen. Die Bundesregierung löst die von ihr gegebenen Zusagen ein. Die Bundesregierung bleibt auf dem Weg solider Staatsfinanzen. Die Bundesregierung kommt ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung auch gegenüber den neuen Ländern nach. Dies alles sind beste Voraussetzungen, daß wir in dieser Legislaturperiode unserem Ziel, Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse in Gesamtdeutschland, einen großen Schritt näherkommen werden.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Matthäus-Maier.
Herr Borchert, Sie haben mich soeben zitiert, ich hätte im November gesagt, es werde in den öffentlichen Kassen ein Defizit von 200 Milliarden DM und nicht in Höhe der von Ihnen prognostizierten 140 Milliarden DM geben. Sie haben leider vergessen, zu Ende zu zitieren. Denn ich habe folgendes gesagt: 140 Milliarden DM, wie von Ihnen selber vorhergesagt, 21 Milliarden DM zusätzliche Schulden der Treuhand, 12 Milliarden DM zusätzliche Schulden der Länder, die Sie an die Seite gedrückt haben, die aber bekannterweise entstehen, 4 Milliarden DM zusätzliche Schulden von ERP, die ebenfalls entstehen, und, so habe ich fortgefahren, beim Bundeshaushalt eine zusätzliche Finanzierungslücke von 35 Milliarden DM, von denen Herr Waigel gesagt hatte, er werde sie durch Einsparungen decken können. Schon das ergab 210 Milliarden DM. Dann habe ich fortgefahren: Da dies offensichtlich alles nicht zusammenpaßt, wird nach der Wahl Ihre Steuerlüge platzen, und Sie werden Steuern erhöhen. Genau das ist eingetreten. Sie haben, um die 200 Milliarden
DM nicht zu erreichen, ein Steuer- und Abgabenerhöhungspaket in Höhe von 43 Milliarden DM geschnürt. Unsere Zahlen stimmten vor der Wahl und stimmen nach der Wahl. Ihre waren vorher erlogen; und jetzt müssen sie auf den Tisch.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Henn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten der PDS/Linke Liste stellen zunächst mit Genugtuung fest, daß die Regierung offensichtlich begriffen hat, daß für den Osten unseres Landes finanz- und wirtschaftspolitisch mehr getan werden muß, um die ökonomische und soziale Katastrophe zu begrenzen, mehr jedenfalls, als man ursprünglich bereit war zu tun.
({0})
Diese Erkenntnis ist unseres Erachtens ausschließlich ein Ergebnis der wachsenden sozialen Unruhe in den sogenannten neuen Bundesländern. Ich denke, daß die Regierung auch eine abnehmende Bereitschaft der Bürger im Westteil der BRD registriert, Milliarden für eine konzeptions- und wirkungslose Wirtschafts- und Finanzpolitik aufbringen zu müssen.
Ich bin überzeugt, es gäbe eine größere Opferbereitschaft der Bürger im Westen, wenn erstens die Steuer-, Haushalts- und Finanzpolitik von größerer sozialer Gerechtigkeit gekennzeichnet wäre. Es ist doch ein Skandal, wenn 700 000 Bürger in einem Volk von fast 80 Millionen ein Steuergeschenk von fast 9 Milliarden DM durch die Streichung der Gewerbekapitalsteuer und der Vermögensteuer bekommen, während Arbeitnehmer mit der Erhöhung der Arbeitslosenversicherung zur Kasse gebeten werden.
Ich glaube, es gäbe eine größere Opferbereitschaft der Bürger im Westen, wenn zweitens ernsthafte Sparversuche bei den Rüstungsausgaben gemacht würden. Ich denke, es gäbe eine größere Opferbereitschaft, wenn drittens das Vertrauen in die Wirksamkeit der Hilfsmaßnahmen für die neuen Bundesländer größer sein könnte.
Ich stelle in den Gesprächen mit den Bürgern, den Betriebsräten und den Gewerkschaftern immer wieder fest, daß die Auffassung vorherrscht, daß das Faß Ex-DDR noch keinen Boden hat, daß noch viele Milliarden zur sozialpolitischen Flankierung von Arbeitslosigkeit und sozialer Not notwendig sein werden, daß die industriepolitische Untätigkeit der Bundesregierung zu einer fast vollständigen Demontage der Industrie im Osten führen wird und daß dieser Prozeß der Deindustriealisierung des Ostens im Westen entsprechende Gewinner vorfindet.
Der Niedergang der Produktion und die steigende Arbeitslosigkeit im Osten einerseits sowie die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung und die Zunahme der Beschäftigung im Westen andererseits sind zwei Seiten derselben Medaille. Mit marktradikalen Theorien ist dieser Entwicklung nicht beizukommen.
Bernd Heim
Wer wie der Kanzler noch vor wenigen Monaten im Wahlkampf Eisenacher Arbeitern ein blühendes Thüringen in drei bis vier Jahren versprochen hat, der müßte doch schon heute die Großinvestition benennen können, durch die die zu 95 % arbeitslos werdenden Wartburg-Arbeiter wieder beschäftigt werden können. Bei Opel werden sie jedenfalls nicht unterkommen.
Neuinvestitionen, wie sie in der ehemaligen DDR notwendig wären, um wegbrechende Großbetriebe zu ersetzen, brauchen auch nach unseren altbundesrepublikanischen Planungsmaßstäben einige Zeit, um beschäftigungswirksam zu werden. Als ich Dr. Wild, Mitglied des Treuhandvorstands, im Wirtschaftsausschuß fragte, von welchen Branchen er sich denn vorstellen könne, daß sie in der Ex-DDR angesichts des geringen Bedarfs an Erweiterungsinvestitionen vieler Branchen hierzulande mit Neuinvestitionen aufwarten würden, fielen ihm nur die Kfz-Industrie und Software-Firmen ein, mehr nicht. Jeder kann sich ausrechnen, daß das zuwenig ist, zumal da alle Investitionen von Volkswagen, Daimler und Opel im Verhältnis zu den früheren Automobilfirmen der DDR einen massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen bedeuten.
({1})
Wenn Sie, Herr Dr. Waigel, heute feststellen, daß das Anlagevermögen in der ehemaligen DDR, gemessen am BRD-Niveau, im Durchschnitt veraltet ist, dann kommt diese Feststellung ein Jahr zu spät. Ich denke, diese Situation war vor einem Jahr erkennbar.
({2})
An erster Stelle haben diese Situation die Manager westdeutscher Konzerne erkannt; denn seit November 1989 gab es eine intensive Inspektion der DDR-Betriebe durch Fachleute der West-Unternehmen. Ich denke, Herr Dr. Waigel, Sie hatten sicher häufiger Gelegenheit als ich, mit Vorstandsmitgliedern von West-Unternehmen zu reden. Also hätten Sie sich auch über die Situation informieren können.
Wirtschaftswissenschaftler, Bundesbank und viele Politiker haben vor der Entwicklung gewarnt. Ich habe heute noch großen Respekt vor den 25 SPD-Abgeordneten, die sich vor einem Jahr bei ihrem Nein zur Wirtschafts- und Währungsunion mit einer zutreffenden Erklärung zu Wort meldeten.
({3})
Die Wahrheit ist aber auch, daß es nur 25 waren und der Großteil der Fraktion einen anderen Weg gegangen ist,
({4})
übrigens auch einen anderen als den, den Lafontaine wollte. Als die Wirtschafts- und Währungsunion durchgedrückt wurde, hätte die Wahrheit gelautet: Wenigen wird es besser gehen, aber vielen schlechter.
Wenn man die Karre nicht vollends in den Dreck fahren lassen will, dann muß die Regierung schleunigst aktive Wirtschaftspolitik betreiben
({5})
und sich haushaltspolitisch und finanzpolitisch darauf konzentrieren, in der ehemaligen DDR Betriebe zu stützen, sie zu sanieren und sie nötigenfalls auf eigene Faust in einem angemessenen Zeitraum wettbewerbsfähig zu machen.
Oskar Lafontaine hat sich heute in seinen Ausführungen bereits auf Franz Steinkühler bezogen, der in diesen Tagen darauf hingewiesen hatte, daß für einen neuen industriellen Arbeitsplatz ein Kapitaleinsatz von 250 000 DM erforderlich ist. Auch wir folgen dieser Rechnung, daß für 2,5 Millionen Arbeitslose entsprechend 600 Milliarden DM Kapital zu mobilisieren wären. Ich halte es für völlig undenkbar, daß diese Summen politisch zu mobilisieren sind.
({6})
- Sie sollten aufhören, über Milliarden zu reden. Solange Schalck-Golodkowski noch Gast der Bayerischen Staatsregierung am Tegernsee ist, möchte ich mit Ihnen darüber nicht diskutieren.
({7})
Ich meine, es kann nur eine Lösung geben: so viele vorhandene Arbeitsplätze wie möglich durch vernünftige Sanierungsmaßnahmen retten. Das erfordert einen anderen Auftrag an die Treuhand. Das erfordert ein Zusammenwirken von Bund, Treuhand und Ländern. Ich halte die Frage, wer federführend für die Treuhand ist, ob die Treuhand regional oder zentral geführt wird, letztlich für zweitrangig, wenn endlich Schluß gemacht wird mit dem Schwarzer-Peter-Spiel, wer für Regional- und Strukturpolitik zuständig ist. Alle sind zuständig, und alle sind verantwortlich für die Menschen. Sie haben die Pflicht, Schaden abzuwenden.
Ich denke, es kommt darauf an, mit dem Treuhandvermögen wirtschaftspolitisch im Sinne von Industriepolitik und im Sinne von regionaler Strukturpolitik zu arbeiten.
Ohne Zweifel ist in den letzten drei bis vier Wochen Bewegung in die Politik der Bundesregierung gekommen. Ich muß anerkennen - ich habe heute auch bei Herrn Dr. Waigel solche Töne gehört - , daß es inzwischen ein Bekenntnis zur Sanierung von nichtprivatisierungsfähigen Betrieben gibt.
Der Bundeswirtschaftsminister ist, gemessen an seinem politischen Standort, dieses Thema recht undogmatisch angegangen. Ich denke, man kann die Transformation einer bürokratischen Kommandowirtschaft in eine Marktwirtschaft auch vor einem liberalen Ge694
wissen als Sonderfall der Geschichte betrachten, der eben besondere Methoden der Wirtschaftspolitik zuläßt. Niemand käme auf die Idee, einen übergewichtigen Schachspieler gegen einen hochtrainierten Kurzstreckenläufer in einen Hundertmeterlauf zu schicken. Auch in der Wirtschaft kann man Vergleichbares nicht machen. Das kann nicht funktionieren.
Nötig sind drei bis fünf Jahre Zeit zur Anpassung für die neuen Länder, um sie industriell wettbewerbsfähig zu machen. Das vorliegende Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost formuliert einige gute Absichten. Es gibt Elemente dieses Programms, die sicher ihre Wirkung haben werden. Ich denke insbesondere an die Infrastrukturmaßnahmen, die in der Bauwirtschaft Beschäftigung auslösen werden. Aber im Kern der Industriepolitik bleibt dieses Programm unzureichend. Es gibt für etliche Branchen, insbesondere für Schlüsselindustrien, überhaupt keine Notwendigkeit, neue Standorte im Osten zu erschließen, wenn die Märkte von hier bedient werden können. Was also soll die westdeutsche Werftindustrie, die Chemieindustrie, die Textilindustrie oder den Maschinenbau anreizen, nach Osten zu gehen? Es ist eben nicht nur die Eigentumsfrage, die eine Investitionszurückhaltung bewirkt.
Ich bin sicher, daß sich einige Konzerne mehr bewegen würden, wenn sie befürchten müßten, daß ihnen im Osten in ihrem Produktionsbereich eine wirkliche Konkurrenz entstünde. Deshalb gehören zur Wirtschaftspolitik Zuckerbrot und Peitsche. Peitsche heißt in diesem Fall,
({8})
glaubhaft zu machen, daß Teile der Industrie staatlich weitergeführt werden, wenn die private Industrie nicht bereit ist, in diesen Teil der Industrie zu investieren. Die Treuhand organisiert in dieser Richtung nichts, kann es auch nicht. Es wäre aber notwendig.
({9})
- Mein lieber Herr Kollege, ich war nie in der SED. Insofern brauche ich auch nicht zurückhaltend zu sein.
({10})
Es ist völlig klar: Mecklenburg-Vorpommern braucht eine leistungsfähige Werftindustrie. Brandenburg braucht eine leistungsfähige Stahlindustrie. Was soll aus diesen Regionen im Osten unseres Landes werden, wenn das Halbleiterwerk in Frankfurt kaputtgeht und das relativ moderne Stahlwerk in Eisenhüttenstadt von den Kosten her nicht lebensfähig wird, weil sie mit einer unvollendeten Investitionspolitik der ehemaligen DDR-Regierung zu kämpfen haben? Die Chemieindustrie Sachsen-Anhalts geht Stück für Stück kaputt. Leuna, Buna, Bitterfeld und Wolfen werden bald nur noch unbedeutende Standorte gegenüber den Giganten Bayer, Hoechst und BASF sein.
Die wirkliche Konsequenz heißt: Werftenkonzepte mit staatlicher Stützung, Investitionen in die Stahl- und Chemieindustrie, Modernisierung der Anlagen,
Entwicklung neuer Produktlinien auch mit Mitteln aus dem Forschungshaushalt, Altlastsanierungsprogramme, um den freigesetzten Chemieingenieuren und Technikern in neuen Umwelttechnikfirmen Arbeit zu geben. Im Rahmen eines solchen Programms wäre es auch notwendig, darüber nachzudenken, ob die Investitionszulagen, die gewährt werden, zu einem gewissen Teil in gestaffelter Form an Fertigung in der ehemaligen DDR gebunden werden sollten. Das bedeutet die Außerkraftsetzung von Wettbewerbsregeln und tangiert sicher auch die EG. Aber ich denke, daß man diese Frage dort klären muß.
Der Ostexport könnte stärker gestützt werden. Das geht nicht nur mit Hermes-Krediten. Wir alle wissen, daß sich die Sowjetunion nicht auf Dauer verschulden kann. Es wäre also notwendig, die Importe aus der Sowjetunion zu stärken.
({11})
Es wäre beispielsweise möglich, den Erdgasimport stark und schnell zu steigern. Damit würden Chancen für ehemalige DDR-Betriebe zur Lieferung in den Osten eröffnet.
Ich meine, die Notwendigkeit staatlicher Interventionen ist auch für die Verhältnisse der alten Bundesrepublik kein marktwirtschaftlicher Sündenfall. Bevor Preussag, VW und Salzgitter privatisiert wurden, waren sie lange unter staatlichem Dach. Ich möchte nicht wissen, wie es heute in Wolfsburg oder Salzgitter aussähe, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
Ich denke, es gibt viele Branchen, die staatlich gestützt wurden, und das mit gutem Recht. Wir standen 1983 im Bonner Hofgarten mit 130 000 Stahlarbeitern. Wir haben damals durchgesetzt, daß 3 Milliarden DM marktfördernd für die Stahlindustrie gegeben wurden. Die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR hatten bisher noch ein recht starkes Vertrauen in die Ergebnisse von Wahlhandlungen.
({12})
Herr Kollege Henn, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Je länger Sie jetzt noch sprechen, desto weniger Chancen hat der letzte Redner der PDS.
Ich komme zum Schluß. Ich habe nur noch einen Satz, Herr Präsident.
Auch die Bürgerinnen und Bürger in der DDR verstehen mehr und mehr, daß Parlamente von Zeit zu Zeit der Erinnerung bedürfen, daß das Volk noch da ist.
({0})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Zywietz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Politik in schwieriger Zeit zu gestalten. Dies haben die Stichworte „Sonderjahr 1991" , „Sondersituation 1991" deutlich gemacht. Ich
glaube, darin könnte man übereinstimmen. Auch der Haushaltsentwurf macht dies deutlich.
Obwohl der Haushaltsentwurf auch für uns das Hauptbuch der Nation ist und bleibt, habe ich mich
- das muß ich gestehen - über solche bildhafte Sprache wie „Schmuddelkladde" gefreut. Das sei der Opposition in ihrer Wortkreativität zugestanden.
({0})
- Das ist es allerdings nicht. Darauf werde ich zu sprechen kommen.
Etwas gewundert habe ich mich allerdings, wie wenig an Alternativen seitens der Opposition angeboten wurden.
({1})
Denn keine Sparvorschläge machen, Kreditausweitung bekritteln, bei den Steuern unterschiedliche Kommentierungen vornehmen und alles für zu gering erachten, das ist kein logisches Konzept. Mehr Ausgaben einfordern, ansonsten zum Haushalt nichts Rechtes sagen können, damit kann man nicht durchkommen.
({2})
Ich muß ehrlich gestehen: Während mich dieser Teil nur gewundert hat, so hat mich, das gebe ich zu, in der Tat geärgert, daß Sie hier wohl mangels Alternativen eine Glaubwürdigkeitsdebatte hochgezogen haben. Ich meine vor allem Herrn Lafontaine, aber ein wenig auch andere. Da muß ich sagen: Wer so wenig sachliche Alternativen bietet, sollte sich bei dem Stichwort „Glaubwürdigkeit" nicht so lange aufhalten. Vorbild wäre immer noch die beste Pädagogik. Aber an finanzpolitischem Vorbild fehlt es total. Es fehlt auch an persönlichem Vorbild. Herr Lafontaine ist nicht mehr da. Als Mitglied dieses Hauses erinnere ich mich aber noch sehr wohl daran, daß er den von mir geschätzten sozialdemokratischen Kanzler einmal bezeichnet hat als jemanden mit Tugenden zweiten Grades, die auch ausreichend sind, um ein KZ zu führen. Leute, die hier mit dieser wendischen Opportunität reden, kann ich als ersten Oppositionsredner in einer Haushaltsdebatte nicht sonderlich ernst nehmen.
({3})
Es ist doch wohl nicht zu übersehen, daß die Haushaltsgestaltung des Jahres 1991 vor dem Hintergrund zweier besonderer Herausforderungen geschieht. Da ist zum einen der Golfkrieg. Aber zuvor hätte ich die deutsche Einheit nennen sollen.
Jeder von uns - alle, die hier sind, sind doch Praktiker des Lebens - hat schon einmal entweder selber gebaut oder Bauabläufe betrachtet. Bis zum Rohbau geht es relativ rasch, und da sieht man viel. Den Rohbau haben wir zügig hinbekommen. Das war auch nötig. Die Geschichte hat im nachhinein deutlich gemacht, daß es richtig war, es so zügig und nicht so kritikasterhaft, wie es vor allem Herr Lafontaine vorgeschlagen hat, anzufassen. Aber man muß zugestehen, daß der Ausbau Deutschlands etwas schwieriger ist und Umsicht und auch mehr Finanzmittel erfordert.
Wenn man nicht auf Dauer Pomp auf Pump will, dann muß man sich etwas anderes einfallen lassen. Ich hätte mir im Sparbereich etwas mehr gewünscht. Aber der Haushalt ist erst eingebracht und ist noch nicht verabschiedet. Da kann im Haushaltsausschuß unter Mithilfe aller Kollegen noch einiges getan werden. Ich sage nur: Die FDP wird auf Sparkurs bleiben.
({4})
Herr Kollege Zywietz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Esters?
Aber gerne.
Herr Kollege Zywietz, da Sie jetzt auf die Sparsamkeit abheben, frage ich: Kann der Haushaltsausschuß damit rechnen, daß die beiden großen Subventionsabbauer Jochen Borchert und Wolfgang Weng mit Vorstellungen an uns herantreten,
({0})
wie die überflüssige Ausweitung der Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre und der dazugehörenden Bürokratien und Dienstwagen und anderes wieder rückgängig zu machen sind? Dann würden wir Sie unterstützen.
({1})
Das ist ein populistisches Stichwort, das aber nicht die Masse macht.
({0})
Wir reden dann über Kohle und Stahl. Wo ist der Kollege Wieczorek? Der könnte dann aus seiner Berufserfahrung etwas sagen. Und wir können uns bei der Knappschaft etwas einfallen lassen. Das sind 10 Milliarden DM und nicht Millionenbeträge.
({1})
10 Milliarden DM entsprechen dem Haushalt eines gesamten Bundeslandes wie Schleswig-Holstein oder Brandenburg. Bei Philippi treffen wir uns wieder.
({2})
- Darüber können wir reden. Ich bin gerne dabei, und nehme jeden Vorschlag an.
Herr Kollege Zywietz, die Munterkeit der Auseinandersetzung wächst. Auch Herr Kollege Weng möchte eine Zwischenfrage stellen.
Das ist kein schlechtes Zeichen.
Herr Kollege Zywietz, geben Sie mir recht, wenn ich bemerke, daß
Dr. Wolfgang Weng ({0})
die Besoldung von Staatssekretären, egal welcher Art, kein Bestandteil des Subventionsberichtes ist?
({1})
Das ist umwerfend richtig.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Wenn es bei den fünf Minuten Restzeit bleibt, gern.
Herr Kollege, wenn Sie bei der Bundesknappschaft erhebliche Einsparungen vornehmen wollen, frage ich Sie, da das ja alles durchgerechnet worden ist und die Leistungen nach den entsprechenden Gesetzen erfolgen: Wollen Sie den Leuten die Renten kürzen oder die Renten nehmen?
({0})
Die Fragestellung ist falsch. Bringen Sie einmal die richtigen Zahlen mit. Für diejenigen, die ihr Berufsleben unter Tage verbracht haben, bin ich sogar mehr zu tun bereit.
({0})
Es geht mir jetzt um die anderen, ob jemand nun Schlosser bei der Ruhrkohle oder bei der Firma X ein Stück weiter ist, ob jemand diese Pforte oder jene bewacht. Da hört mein Verständnis dafür, daß es Zusatzrenten aus dem Staatssäckel gibt, auf.
({1})
Prüfen Sie einmal die Fakten, und dann sprechen wir ganz ruhig in dem entsprechenden Ausschuß darüber. Da gehe ich jede Wegstrecke der Argumente mit.
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage?
Gern.
Herr Kollege, ist Ihnen klar, daß sich, wenn Sie diesen Weg gehen, die Einnahmen für den Bundeshaushalt sehr verkürzen werden, da ja die Beiträge geringer werden und Sie den Ausgleich durch - wie Sie meinen - höhere Subventionen schaffen müssen? Haben Sie dies durchgerechnet?
Über die Modelle, wie man herangeht, kann man reden. Nicht nur der Haushalt wird zusätzlich belastet. Es ist festgestellt worden: 10 Milliarden DM kommen aus dem Haushalt. Andere Bürger können sich ja Gedanken darüber machen, ob es richtig ist, daß eine bestimmte Bevölkerungsgruppe 10 Milliarden DM Steuergeld für ihre Altersversorgung bekommt. Ich mache mir in erster Linie Gedanken darüber, ob das berechtigt ist.
Zur Aufteilung habe ich Ihnen etwas gesagt. Da liegt des Pudels Kern; an keiner anderen Stelle, sondern nur an dieser. Hier soll es wie für andere Bürger dieses Staates auch leistungsbezogene Normalrenten geben. Es soll eine bessere Behandlung nur derjenigen geben, die unter Tage schwere Arbeit geleistet haben.
({0})
Ich habe gesagt und möchte das unterstreichen: Die FDP bleibt auf Sparkurs. Ich weiß, wie schwer das ist. Diejenigen, die hier sitzen, wissen das allesamt, auch wenn sie manchmal anders reden; denn sie haben alle schon die Chance gehabt - früher auch die Kolleginnen und Kollegen von der SPD - , das unter Beweis zu stellen. Die Ergebnisse waren nicht so üppig.
Diese Regierung und diese Politik haben mit zwei Herausforderungen fertig zu werden - wir tun das nach Lage der Dinge in recht guter Manier - , nämlich mit dem Golfkrieg - Gott sei Dank ist die heiße Phase beendet - und der Herausforderung Deutschland. Lieber Kollege Helmut Esters, ich kann mich an Zeiten erinnern, als die Koalition von SPD und FDP sehr in die Knie ging, als wir nur Ölkrisen am Golf hatten. Von Krieg und Weitergehendem war damals nicht die Rede. Wir haben jetzt den Krieg, also eine Auseinandersetzung mit sehr viel größerer Härte und sehr viel weitergehenden Folgen zu bewältigen. Das alles ist ganz gut gelungen. Wir werden auch weiterhin unseren Beitrag dazu erbringen.
Daß dies Mehraufwendungen bedeutet, ist klar. Diese werden auch nicht in Abrede gestellt. Die Frage ist doch nur, wie man sie auffangen kann. Mir wäre
- das sage ich ganz offen - eine etwas kräftigere Sparpolitik lieber, weil ich glaube, ein Sparbeitrag wäre die beste Solidarität der bessergestellten Wessis
- um im alten Sprachgebrauch zu bleiben - , den ökonomisch noch weniger gutgestellten Ossis zu helfen. Im Westen geht es meistens - nicht nur, aber meistens - um die Finanzierung von etwas Schönem und Wünschbarem; im Osten geht es meistens um etwas elementar Notwendiges. Bei dem Wünschbarem muß etwas kürzergetreten werden zugunsten des elementar Notwendigen. Da wäre ein besserer Ausgleich vonnöten.
({1})
Wenn die Steuererhöhung mitgetragen wird, möchte ich gleichzeitig klar feststellen: Die Unternehmenssteuern müssen gesenkt werden. Man kann nicht nur in die eine Richtung schauen und das andere nachher vergessen.
({2})
- Ich weiß schon, was da kommt: wieder für die Unternehmen, wieder für die Kapitalisten. Das ist es aber nicht.
({3})
Nur wettbewerbsfähige Unternehmen können sich am Markt behaupten und können Arbeitnehmer beschäftigen und bezahlen.
({4})
Das ist eine sehr arbeitnehmerfreundliche Politik, die von der SPD eigentlich, wenn sie es recht bedenkt, begrüßt und unterstützt werden müßte. Sie dürfte nicht so demagogisch kritisiert werden.
Wir werden uns im weiteren Vollzug dieses Haushalts und anderer Haushalte daran erinnern, daß Steuererhöhungen immer nur eine Restfinanzierung von unabweisbaren Staatsausgaben darstellen dürfen. Sie dürfen keineswegs psychologisch sozusagen als „Einstiegsdroge" im Hinblick auf dauerhafte Steuerfinanzierungen uminterpretiert oder empfunden werden. Das ist ein wesentlicher Punkt.
Die Sparaufgabe bleibt bestehen. Das möchte ich auch mit Blick auf den Finanzminister sagen. Er hatte, glaube ich, so etwas den Unterton: Wir haben da alles getan. Ich würde dagegenhalten: Das ist eine Daueraufgabe. Man kann da viel erreicht haben, aber es gilt, auf dieser Schiene weiterzuarbeiten.
({5})
Das sollte die von der Koalition unterstützte Regierung sozusagen als Wunsch und Wille mitnehmen. Sie sollte da in ihren Anstrengungen und Bemühungen nicht nachlassen. Wir werden da mitmachen; denn - Sonderherausforderung Golf, Sonderherausforderung Deutschland - es bleibt der Tatbestand, daß leider immer noch eine Nettokreditaufnahme nötig ist, was schon seit 1972 der Fall ist. Insofern ist auch die Einsparpolitik ein permanentes Bemühen.
Man sollte im weiteren auch einmal darüber nachdenken, ob im Zuge von Steuererhöhungen, wenn sie denn von der Mehrheit als nötig empfunden werden, nicht auch hier und da Steuersenkungen oder - zumindest bei den Bagatellsteuern - Streichungen einiger kleiner Steuern mit eingebaut werden können. Wer die Mineralölsteuer erhöht, kann auch darüber nachdenken, ob er die Kfz-Steuer beseitigt. Auch das hat sehr viel Logik in sich.
({6})
Die Debatte über diese Dinge ist mit der ersten Runde der Haushaltsberatungen noch nicht beendet. Der Haushalt wird - wie mein Kollege Weng als unser Obmann zu Recht festgestellt hat - von der Regierung jetzt dem Parlament, stellvertretend dem Haushaltsausschuß, übereignet. Wir haben kein Nachdenk- und kein Arbeitsverbot; vielmehr kommen wir erst richtig zur Arbeit. Dazu gehören auch Überlegungen solcher Art, die durchaus angestellt werden dürfen.
({7})
Wir als FDP werden ganz klar das Notwendige für den Aufbau in den fünf neuen Bundesländern tun. Wir haben dieses Thema im Rahmen einer Aktuellen Stunde zur Treuhandanstalt in der letzten Sitzungswoche in Kurzbeiträgen streifen können. Hier sind wir zu weiteren Einsichten gekommen, was die Notwendigkeiten anlangt. Hier muß nachgearbeitet werden. Lafontaine - da gebe ich ihm recht - sagt ja, es gebe keinen Königsweg, sondern hier sei learning by doing angesagt.
({8})
- Liebe Kollegin, wir lernen ja vielleicht langsam. Aber man sollte auch nicht so schnell vergessen, wie es Ihnen nach Ihrer guten Lehre bei der FDP heute nachgesagt worden ist.
({9})
- Das war nicht lächerlich, sondern das war ein guter Hinweis.
({10})
Auf jeden Fall werden wir alles tun, damit nach dem Rohbau „Einheit" in den fünf neuen Bundesländern gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden können. In dieser Beziehung werden wir von der FDP uns - wir haben über den Bundeswirtschaftsminister ein Programm konzipiert - von niemandem übertreffen lassen. Wir werden auch die erforderlichen Mittel über den Haushalt bereitstellen, damit wir, wenn wir im nächsten Jahr und insbesondere nach Ablauf dieser Legislaturperiode über dieses Thema diskutieren, feststellen können, daß wir auf geradem Wege und mit den entsprechenden Mitteln für gleichwertige Lebensverhältnisse gesorgt haben.
Vielen Dank.
({11})
Herr Abgeordneter Poß, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat Übereinstimmung darüber erbracht, daß wir in den neuen Bundesländern vor gewaltigen wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Problemen stehen. Aber im Gegensatz zu meinen Vorrednern von der Koalition kann ich feststellen, daß diese Entwicklung bereits im letzten Jahr abzusehen war. Wir Sozialdemokraten haben bereits im Sommer des letzten Jahres erklärt, daß die vorhandenen finanziellen Mittel nicht ausreichen werden, um die wirtschaftliche und soziale Einheit in unserem Lande herzustellen. Wir haben bereits vor den Wahlen die Auffassung vertreten, daß Steuererhöhungen unvermeidlich sein werden. Wir halten hieran auch nach den Wahlen fest. Wir sind auch weiterhin bereit, Herr Borchert, für den wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bundesländer und für die soziale Abfederung dieses Umstellungsprozesses gegenüber unseren Bürgern die Notwendigkeit von Steuererhöhungen zu vertreten.
Herr Zywietz, wir haben bereits vor der Wahl Vorschläge unterbreitet, wie die notwendigen finanziellen Mittel unter Beachtung des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit aufgebracht werden könnten. Für uns sind nämlich Ehrlichkeit und soziale Gerechtigkeit nach wie vor tragende politische Prinzipien, die auch für die Finanz- und Steuerpolitik gelten müssen, und zwar auch in Sondersituationen.
({0})
- Der war ja ehrlich! Er hat das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit betont. Deswegen konnte er hier heute eine so überzeugende Rede halten.
({1}) Sie saßen dabei doch bedrückt herum;
({2})
Sie wußten doch gar nicht, wie Sie sich bei seiner Rede verhalten sollten.
Die Bundesregierung und vor allem Bundesfinanzminister Dr. Waigel gehen jedoch konsequent einen anderen Weg. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Einführung einer Ergänzungsabgabe zur Lohn- und Einkommensteuer sowie zur Anhebung von fünf Steuern ist das Dokument der Steuerlüge und gleichzeitig der Beleg für die unsoziale und ungerechte Steuerpolitik dieser Bundesregierung.
Dazu ein Zitat. Ich weiß nicht, ob der Kollege Waigel im Moment gerade nicht hier ist.
({3})
- Ach, er ist im Kreise seiner Lieben.
({4})
- Ich bin auch gern im Kreise meiner Lieben. - Das Zitat lautet: „Trotz permanenter Unterstellungen von der SPD gibt es keine Pläne für Steuererhöhungen, und zwar weder für die Mehrwertsteuer noch für die Mineralölsteuer. " - Dies ist die Aussage von Herrn Waigel vom 17. November 1990.
Dr. Waigel am 22. November 1990 - ich erinnere mich genau des Tages; es ist ja noch nicht so lange her, Herr Dr. Waigel -, also 10 Tage vor der Bundestagswahl, hier im Bundestag: Die Koalition bleibt bei ihrer Haltung: keine Steuererhöhung zur Finanzierung der Investitionen in die Einheit Deutschlands.
({5})
- Ja, das ist Ihre Meinung. Da freuen sich die Menschen in den neuen Bundesländern, die jetzt die existentiellen Schwierigkeiten haben, daß das Ihre Meinung ist,
({6})
daß für den Golfkrieg, aber nicht für den Aufbau in den neuen Bundesländern Steuererhöhungen zu rechtfertigen sind. Darüber freuen sich die Menschen.
({7})
Ich möchte gern noch eine weitere Stelle aus dieser Rede zitieren, die belegt, wie dreist - ich glaube, diese Vokabel ist nicht übertrieben ({8})
der Bundesfinanzminister sich vor dem deutschen Parlament und den Bürgern vor der Wahl aufgeführt hat. Auf unseren Vorwurf mangelnder Solidität und Ehrlichkeit meinte Waigel - mit dem ihm eigenen
Pathos an die SPD gerichtet - : Ich finde es bemerkenswert, daß man dem anderen hier ganz bewußt mangelnde Ehrlichkeit unterstellen darf.
({9})
Das ist eine Verwilderung der politischen Sitten, die Sie in der Endzeit des Wahlkampfes benötigen, weil Sie nämlich den Kredit beim Wähler verloren haben. - Das war das Zitat Waigel, und das war scheinheilig und wider besseres Wissen.
({10})
Oder hat der Bundesfinanzminister wirklich kein besseres Wissen gehabt? War er so dilettantisch, daß er die wahre Entwicklung nicht erkannte? Hat er denn die vielen Berichte und Vorausschauen in den Medien nicht zur Kenntnis genommen? Hat er vielleicht so wenig Zeit in Bonn gehabt, weil er als Ehrenvorsitzender der DSU in Sachsen und in Thüringen falsche Wahlversprechungen machen mußte,
({11})
statt hier sein Amt als Bundesfinanzminister wahrzunehmen, und dies alles noch, Herr Waigel, neben Ihrer Hauptaufgabe als Parteivorsitzender in München?
Hier stellt sich wirklich die historische Frage:
({12})
Unkenntnis und Dilettantismus oder Unehrlichkeit und Lügen? Eines von beiden muß ja wohl zutreffen.
({13})
Meine Damen und Herren, wer vor der Wahl solche Reden geschwungen hat, der sollte, Herr Waigel, nach der größten Wählertäuschung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht erneut in Rechthaberei verfallen.
({14})
Ich möchte Ihnen einmal meinen Eindruck schildern, Herr Waigel, und Ihnen sagen, woran mich Ihre Rede heute morgen erinnert hat: an eine der letzten Reden, die Ihr Vorgänger, Herr Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg, auch in dieser Attitüde der Rechthaberei gehalten hat. Daran erinnerte mich die Art und Weise Ihres Vortrags heute morgen.
Herr Waigel, wir erwarten von Ihnen ja gar nicht, daß Sie sich für die Steuerlüge und für Ihre haltlosen Anschuldigungen bei uns entschuldigen. Aber haben die Bürger in West- und Ostdeutschland angesichts dessen, was Sie angerichtet haben, nicht ein Recht auf eine Entschuldigung? Herr Kohl, Herr Lambsdorff, Herr Waigel, Sie haben die Wahrheit geopfert, nur um sich an der Macht zu halten. Sie haben mit der Steuerlüge die erste Wahl im geeinten Deutschland schwer belastet und das Vertrauen der Bürger in die Politik nachhaltig erschüttert. Ich fürchte, das wird leiJoachim Poll
der Folgewirkungen gerade auch bei den Bürgern der neuen Bundesländer haben.
({15})
- Nein, wir wollen hohe, nicht geringe Wahlbeteiligungen. Das sind nämlich die Folgen der „Erkenntnisprozesse", die mit solchen Täuschungsprozessen verbunden sind.
Sie mißbrauchen aber auch die in der Bevölkerung vorhandene Opferbereitschaft und Solidarität dazu, um in einer gigantischen Umverteilungsaktion die großen Kapitalbesitzer und großen Unternehmen zu entlasten und dafür die breite Masse der Bürger mit Steuern und Abgaben drastisch zu belasten. Übrigens: Das ist inzwischen von Tante Frieda und Onkel Heino erkannt worden und auch - wenn man den Zeitungen glauben darf - von vielen CSU-Mitgliedern.
Die Regierung Kohl hat den Bürgern durch die konzeptionslose Steuer- und Finanzpolitik ihre wirtschafts- und finanzpolitische Inkompetenz deutlich vor Augen geführt.
({16})
- Herr Borchert, zur Erinnerung: Warum sind denn die Wirtschafts- und Finanzminister des Kabinetts Kohl ausgewechselt worden, wenn nicht wegen ihres Versagens? Da gab es doch auch einmal den Dr. Stoltenberg, der am Ende seiner Karriere als Bundesfinanzminister gehen mußte. Da mußte der Bundeswirtschaftsminister Bangemann abgelöst werden,
({17})
und sein Nachfolger im Amt hat - wenn ich das richtig verstanden habe - wegen seiner Inkompetenz um Abberufung gebeten.
({18})
Der Herr Möllemann hat seinen Rücktritt schon gleich für den Sommer angekündigt, und zwar im Zusammenhang mit dem Scheitern beim Subventionsabbau.
Der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister haben im vergangenen Jahr eine Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben, die sich als das größte Hemmnis für den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern herausstellt. Während der neue Bundeswirtschaftsminister Möllemann, flexibel wie er ist, zugesteht, daß die Bundesregierung in den letzten Monaten mit ihrer Politik in Ostdeutschland große Fehler gemacht hat, und während sogar im Jahreswirtschaftsbericht ausdrücklich steht, daß die bisherige Finanzausstattung der neuen Länder und ihrer Gemeinden unzureichend war, bleibt der Bundesfinanzminister der große Rechthaber. Er beharrte noch am Anfang dieses Jahres in einer schriftlichen Antwort seines Hauses darauf, daß der DDR-Delegationsleiter beim Aushandeln des Einigungsvertrages, der Vorsitzende der Fraktion der CDU/DA in der Volkskammer, Herr Dr. Krause, am 14. August zu Recht festgestellt habe, daß nach den Regelungen im Einigungsvertrag die Finanzausstattung der Länder der DDR jeden Vergleich mit der
Finanzausstattung anderer Bundesländer standhalte.
({19})
Antwort des Bundesfinanzministeriums vom Januar dieses Jahres: Die Regelungen im Einigungsvertrag trügen dem finanziellen Bedarf der Länder und Gemeinden Rechnung, und man bräuchte einen Vergleich mit der finanziellen Lage anderer Bundesländer nicht zu scheuen. Ich erinnere nochmals daran, mit welch schmählichen, ja wahrheitswidrigen Worten der SPD-Minister Walter Romberg damals von Waigel, Seiters, Krause und wem auch immer bedacht wurde.
Bei dieser Fehleinschätzung steht doch für alle die fachliche Qualifikation dieses Finanzministers fest.
({20})
- Ja, ein besonders angenehmer Sonderapplaus, Herr Hinsken.
({21})
Es steht aber auch fest, wer die Verantwortung hier in der Bundesrepublik dafür hat, daß der Aufbau in den neuen Ländern in den letzten Monaten durch eine unerträgliche Finanzenge blockiert worden ist: Dieser Bundesfinanzminister war der große Blockierer und das regierungsamtliche Investitionshindernis Nr. 1!
({22})
Die jetzigen Beschlüsse der Bundesregierung können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wertvolle Monate versäumt worden sind
({23})
und daß der Aufbau in den neuen Ländern dadurch über viele Monate hinausgeschoben worden ist. Jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer verfehlten und unredlichen Politik dieser Regierung Kohl und Lambsdorff.
Mit einer erneuten unwahren Behauptung versucht diese Regierung nun, andere in ihr eigenes Versagen mit hineinzuziehen. Jetzt sagen Sie, auch die Fachleute hätten die wirtschaftliche Lage in den neuen Ländern falsch eingeschätzt. Dabei waren es die Experten wie z. B. der Sachverständigenrat und wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitute, die frühzeitig und immer wieder auf die tiefgreifenden Probleme aufmerksam gemacht haben. Die Bundesregierung hat alle Warnungen fahrlässig in den Wind geschlagen.
Meine Damen und Herren, noch nie gab es einen Finanzminister,
({24})
der versucht hat, die Bevölkerung so systematisch hinters Licht zu führen wie Bundesfinanzminister Waigel.
({25})
Noch nie gab es einen Finanzminister, der bei den Bürgern so skrupellos und in einer so unsozialen Weise abkassiert hat.
({26})
Offensichtlich kann dies in der Koalition nur ein Finanzminister, der in einer Partei ist, die sich christlich-sozial nennt. Ich möchte hier gar keine Übersetzung versuchen, aber mir fiele da schon einiges ein: „C" für Chaos, „S" für skrupellos, „U" für unsozial und anderes mehr.
Herr Poß, darf ich Sie einen Moment unterbrechen! - Mir wird gerade das Protokoll mit einer Formulierung vorgelegt - sie stammt nicht von Ihnen, sondern von einem früheren Redner -, die rügenswert wäre. Nun war diese Debatte heute sehr munter, und in einer solchen Generalaussprache ist man dann auch nicht zimperlich. Dennoch erlauben Sie mir zu sagen: Sie schrammen, Herr Poß, jetzt schon mit Begriffen wie „scheinheilig", „dreist" und „skrupellos" immer hart an einer Rüge vorbei.
({0})
Das geht zu weit.
Ich würde vorschlagen: Bleiben wir bei einer klaren, munteren, harten, auch offensiven Auseinandersetzung, aber gehen wir verbal bitte nicht unter die Gürtellinie!
({1})
Herr Präsident, ich nehme das zur Kenntnis, was Sie gesagt haben. Ich hoffe, daß Sie mir die eine Minute Redezeit gutschreiben, die inzwischen abgelaufen ist, und daß Sie auch zur Kenntnis nehmen, daß ich mich, glaube ich, einer Sprache bediene, die gerade in der CSU durchaus üblich ist,
({0})
was nicht heißt, daß ich auf das CSU-Niveau hinabsteige; aber Elemente davon sind, wie mir scheint, in der CSU durchaus üblich.
({1})
Dieser Finanzminister hat auch keine Skrupel - das darf man doch wohl sagen - , den Bürgern jetzt noch wesentlich mehr abzunehmen, als sein Vorgänger Dr. Stoltenberg den Bürgern bei der Steuerreform
1990, der sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten,
({2})
als Entlastung angekündigt hatte. Zusammen mit den Beschlüssen vom Januar wird die Koalition von den Bürgern durch die Anhebung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und der Telefonsteuer, durch die Ergänzungsabgabe, die Anhebung der Mineralölsteuer sowie die Erhöhung der Versicherungsteuer und der Tabaksteuer 43 Milliarden DM abkassieren.
Damit aber nicht genug: Das wahre Ausmaß der Steuerlüge wird deutlich angesichts der jüngsten Außerungen aus dem Hause Waigel zur Erhöhung der Mehrwertsteuer. Im Koalitionsbeschluß vom 26. Februar 1991 hieß es: Ab 1993 ist im Hinblick auf die Steuerharmonisierung in der EG und die Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern die Umsatzsteuer voraussichtlich anzuheben. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Kollege Manfred Carstens,
({3})
hat in einer Erklärung vor wenigen Tagen in der „Süddeutschen Zeitung" deutlich gemacht, was darunter zu verstehen ist: Er gehe davon aus, daß es sich bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1993 um eine zweistufige Erhöhung auf 16 % handeln werde. - Hat der Finanzminister das, was seine Parlamentarischen Staatssekretäre verbreiten, auch wieder nicht zur Kenntnis genommen, weil er zu selten in Bonn ist?
({4})
Beim Wirtschaftsforum der „Süddeutschen Zeitung" in München hat Dr. Waigel selbst dargelegt, daß die Ergänzungsabgabe nur eine Brücke zu der fest eingeplanten Mehrwertsteuererhöhung sein soll. Das bedeutet, daß auf die Bürger noch einmal 29 Milliarden DM zusätzlich an Steuererhöhungen zukommen und daß damit in den nächsten drei Jahren Steuererhöhungen und Abgaben im Umfang von 72 Milliarden DM beschlossen werden. Das ist weit mehr als die völlige Rücknahme aller von der Regierungskoalition bisher so groß propagierten Steuersenkungen in den letzten Jahren.
Aber auch bei der Mehrwertsteuer scheut sich Dr. Waigel, den Bürgern reinen Wein einzuschenken. Wahrheitswidrig behauptet er, daß die von der Bundesregierung für 1993 angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer aus Gründen der Steuerharmonisierung in der Europäischen Gemeinschaft erforderlich sei. Dabei lassen die EG-Vorschläge ausdrücklich eine Beibehaltung des derzeit in der Bundesrepublik geltenden Mehrwertsteuersatzes zu.
({5})
Ein skandalöser Verstoß gegen das Prinzip einer gerechten und sozialen Besteuerung ist die geplante Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer. Es ist unerträglich, daß die Regierung in
einer Zeit, in der alle Bürger durch Steuererhöhungen herangezogen werden, um die riesigen Haushaltslöcher zu stopfen, für wenige hunderttausend Spitzenverdiener und Großunternehmen die Steuern um 9 Milliarden DM jährlich senken und diese Steuern abschaffen will. Über 70 % der Vermögensteuerzahler sind Privatpersonen. Völlig zu recht hält deshalb Ihr Kollege, der CDU-Abgeordnete Heinz-Adolf Hörsken, das Argument, mit der Abschaffung der Vermögensteuer werde die Investitionskraft der Wirtschaft gestärkt, schlicht für Quatsch. Herr Dick von der CSU hat sich ähnlich eingelassen.
Auch das von der Bundesregierung vorgetragene Argument, die Abschaffung der Vermögensteuer würde dem gewerblichen Mittelstand zugute kommen, ist falsch. Die betriebliche Vermögensteuer zahlen im wesentlichen die Großunternehmen. Zum Beispiel zahlt ein verheirateter Einzelunternehmer mit zwei Kindern erst ab einem Betriebsvermögen von 500 000 DM Vermögensteuer. Aber es geht der Bundesregierung ja gar nicht um die betriebliche Vermögensteuer, sondern sie will durch die Abschaffung der Vermögensteuer die 41 reichsten Personen in diesem Land um durchschnittlich 3 Millionen DM Jahr für Jahr entlasten.
({6})
Durch die von der Bundesregierung geplante Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer würden vor allem diejenigen in Westdeutschland entlastet, die von der deutschen Einheit bisher am meisten profitiert haben.
({7})
Diese Steuerentlastung widerspricht dem Prinzip der Solidarität, nach dem alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit ihren finanziellen Beitrag erbringen müssen.
({8})
Der Verzicht auf die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer bringt für die Unternehmen in Ostdeutschland nur eine unwesentliche Entlastung; denn sie zahlen wegen der notwendigen Investitionen zunächst nur wenig Steuern.
({9})
- Das mit den Finanzbeamten wird im nächsten Jahr anders sein. Da werden Sie ja mithelfen, Herr Waigel.
Eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer gefährdet substantiell die Gewerbesteuer und damit die finanzielle Autonomie der Gemeinden. Damit ist auch die Rolle der Gemeinden selbst in unserem Gemein und Staatswesen angesprochen.
({10})
Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, diese Pläne aufzugeben. Der von der Regierungskoalition
so genannte „Solidaritätszuschlag" auf die Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer ist nichts anderes als eine Ergänzungsabgabe ohne Einkommensgrenze. Bundesfinanzminister Waigel meidet das Wort „Ergänzungsabgabe" wie der Teufel das Weihwasser und setzt mit der Wortschöpfung „Solidaritätszuschlag" seine Täuschungsmanöver fort.
({11})
Im übrigen beweist er damit ein gespaltenes Verhältnis zur Verfassung, in der dieser Begriff vorgesehen ist. Er will krampfhaft den Eindruck vermeiden, er habe diesen Vorschlag von der SPD übernommen.
In der Sache besteht aber tatsächlich ein gravierender Unterschied zwischen der Ergänzungsabgabe des Bundesfinanzministers und der von der SPD vorgeschlagenen Ergänzungsabgabe. Von der Ergänzungsabgabe des Dr. Waigel werden alle Lohn- und Einkommensbezieher betroffen, also auch die Bezieher mittlerer und kleinerer Einkommen - und damit selbstverständlich auch die Bürger in den neuen Bundesländern.
({12})
Arbeitnehmer mit einem Verdienst bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von 6 500 DM brutto monatlich werden durch die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge sogar doppelt belastet.
Die von der SPD vorgeschlagene Ergänzungsabgabe sollte hingegen erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM bei Ledigen bzw. 120 000 DM bei Verheirateten wirksam werden. Das entspricht in etwa einem Bruttoarbeitslohn von 70 000 bzw. 140 000 DM.
Die Alternative ist also klar: Die Regierungskoalition will eine allgemeine Belastung für alle. Die SPD will eine Belastung vor allem derjenigen, die eine besonders große steuerliche Leistungsfähigkeit besitzen.
({13})
Für die SPD ist es ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, daß jetzt vor allem die Besserverdienenden einen Finanzierungsbeitrag leisten, die von der bisherigen Steuerpolitik dieser Regierung besonders profitiert haben.
({14})
Noch in einem anderen Punkt macht sich der Bundesfinanzminister angreifbar. Er behauptet, er versichert sogar, die Ergänzungsabgabe werde nur für ein Jahr, vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992, erhoben.
({15})
Ein Blick in den heute verteilten Gesetzentwurf beweist das Gegenteil. Dort steht in § 3 ausdrücklich, daß die Ergänzungsabgabe auf die Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1991 bis 1992 und bei Arbeitnehmern, die einen Lohnsteuer-Jahresaus702
gleich durchführen, nach der Lohnsteuer der Ausgleichsjahre 1991 und 1992 erhoben wird.
({16})
Herr Waigel, behaupten Sie jetzt auch schon das Gegenteil dessen, was in Ihrem eigenen Gesetzentwurf steht?
({17})
- Wir werden in der Folgezeit genau diesen Punkt noch näher untersuchen, Herr Waigel.
({18})
Bei der von der Koalition vorgesehenen Mineralölsteuererhöhung geht es um ein reines Abkassierungsmodell, dem die Koalition ein ökologisches Etikett zu geben versucht. Das haben Vorredner schon ausgeführt. Die jetzt von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung der Mineralölsteuer dient in erster Linie dazu, die Abschaffung der Vermögensteuer zu finanzieren.
({19})
Um einem einzigen der 41 reichsten Vermögensbesitzer dieses Steuergeschenk zu bezahlen, sollen nach den Plänen der Bundesregierung 10 000 Autofahrer Jahr für Jahr eine bis zu 25 Pfennig höhere Mineralölsteuer zahlen. Die Autofahrer müssen also über die höhere Mineralölsteuer die Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Großunternehmen bezahlen. Dies stellt den Flugbenzinskandal weit in den Schatten.
({20})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Uldall?
Vielleicht hat sich das erledigt. Sie können sich gleich noch einmal melden, weil ja der Zwischenruf schon von Ihrem Kollegen Waigel gekommen ist. - Aber bitte.
Herr Kollege, könnten Sie den staunenden Koalitionspolitikern endlich einmal mitteilen, wo eigentlich die Beschlüsse zur Abschaffung der Gewerbekapital- und Vermögensteuer mit derartigen finanziellen Auswirkungen stehen? Uns sind nur Beschlüsse der Koalition in den neuen Bundesländern bekannt, keine dieser Steuerarten zu erheben. Damit ist aber kaum ein Steuerausfall verbunden.
Bisher haben Sie unwidersprochen die Abschaffung für die alten Länder, nicht nur für die neuen Länder, zum Diskussionsgegenstand in Verhandlungsrunden und Chefgesprächen gemacht. Von daher ist davon auszugehen, daß das die Koalitionsabsicht ist. Es wäre etwas Neues, wenn Sie hier den Bundeskanzler oder andere korrigieren würden.
Wir würden das erfreut zur Kenntnis nehmen, Herr Uldall,
({0})
wenn Sie hier verkünden würden - ich habe nämlich die Koalitionsvereinbarung nicht vorliegen - , daß diese Pläne für Sie vom Tisch sind. Da wären wir alle froh und würden Ihnen zustimmen. - Ich habe gerade von der Kollegin Matthäus-Maier Ihre Koalitionsbeschlüsse bekommen. Da heißt es: „In der ersten Stufe werden die Gewerbekapital- und die Vermögensteuer abgeschafft. " Wir stellen Ihnen das zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage?
Lieber Herr Kollege, da Sie im Gegensatz zu Ihrer Kollegin Matthäus-Maier, die Ihnen das eben hilfreich herübergereicht hat, aber offensichtlich selektiv immer nur das liest, was sie gerade lesen möchte, in der Lage sind, Papiere ganz zu lesen, möchte ich Ihnen empfehlen, dieses Papier ganz durchzulesen und dann darauf zu achten, daß dieses mit einer Kompensation verbunden sein soll, nämlich bei der Erbschaftsteuer und bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch Veränderung der Abschreibungsbedingungen.
Herr Uldall, dann hätten Sie dafür sorgen müssen, daß die öffentliche Diskussion anders gestaltet wird, als sie gelaufen ist.
({0})
- Nein, nein, wir wollen uns doch nichts vormachen. Bisher ist dieses Vorhaben in der Öffentlichkeit nicht widerrufen worden.
({1})
- Herr Kollege Uldall, darf ich fortfahren, zumal dies eine Kurzintervention von Ihnen war, die mir zeitmäßig angerechnet wird, aber keine Zwischenfrage zu dem Punkt, zu dem ich mich gerade geäußert hatte, nämlich zur Mineralölsteuer?
Für uns kommt eine Erhöhung der Mineralölsteuer nur in Betracht, wenn sie mit der allgemeinen Entfernungspauschale, einer besonderen Fernpendler-Pauschale sowie der verfassungsrechtlich gebotenen Verbesserung des Grundfreibetrages auf das Existenzminimum sozial und ökologisch verbunden und auf die geplante Abschaffung der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer verzichtet wird.
({2})
Werden alle Mehrbelastungen, die durch die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen auf den einzelnen Steuerzahler zukommen, zusammengerechnet, wird schnell deutlich, wie tief Dr. Waigel den Bürgern in die Tasche greifen wird. Aber auch hier wird getrickst und beschönigt. In seinen eigenen Berechnungen gelangt er zu dem Ergebnis, daß ein mit 3 500 DM brutto im Monat durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer mit zwei Kindern monatlich mit 58,50 DM zusätzlich belastet wird.
Tatsächlich ist die Mehrbelastung nahezu doppelt so hoch. Waigel unterschlägt die bereits im Januar beschlossenen Abgabenerhöhungen. Bei realistischer Rechnung wird ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern mit zusätzlich 110 DM zur Kasse gebeten. Das sind rund 1 300 DM im Jahr. Die Masse der Arbeitnehmer wird durch die Koalitionsbeschlüsse schon jetzt weit mehr belastet, als sie durch die Steuersenkung 86, 88 und 90 weniger zu zahlen hatte.
Mit der für 93 vorgesehenen Anhebung der Mehrwertsteuer werden noch zusätzliche Belastungen auf die Verbraucher in Höhe von mehreren hundert Mark zukommen.
Der Bundesfinanzminister kassiert aber auch bei Arbeitslosen und Rentnern kräftig ab. Durch die Anhebung der Steuern auf Benzin, Heizöl und Zigaretten und durch die Telefonsteuer werden die sozial Schwächsten in unserem Lande mit über 45 DM im Monat bzw. 550 DM im Jahr zusätzlich belastet. Die soziale Schlagseite der Regierungsbeschlüsse wird deutlich, wenn man bedenkt, daß diese Mehrbelastungen die Arbeitslosen und die Rentner auf Dauer treffen, die Ergänzungsabgabe aber nur für ein Jahr erhoben wird. Rentner und Arbeitslose haben bereits von dem Steuerpaket 1990 nichts gehabt. Jetzt müssen sie erneut die Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Großunternehmen mitfinanzieren.
Was von der Steuerpolitik dieser Bundesregierung seit der Wende übriggeblieben ist, sind die Mehrwertsteuererhöhung 1983 von 13 auf 14 % zur Finanzierung der ersten Stufe der Steuersenkung für Unternehmen, die Senkung der Vermögensteuer 1984, die Erhöhung der Verbrauchsteuern 1989 in einer Größenordnung von 9 Milliarden DM sowie eine Fülle von steuerlichen Neuregelungen durch das Steuerpaket 1990, das Steuerreformreparaturgesetz und das sogenannte Restantengesetz.
Dabei ging es um folgende Philosophie: Dem Großen wird reichlich gegeben, beim Kleinen holt man sich, was man nur kriegen kann. Die Abschaffung des Weihnachtsfreibetrages, der Flugbenzinskandal und das Dienstmädchenprivileg sind nur einige herausragende Beispiele für die soziale Umverteilungspolitik der Regierung Kohl/Lambsdorff. Die Bundesregierung setzt mit ihrem Steuer- und Abgabenpaket ihre seit 1983 begonnene Politik der Umverteilung von unten nach oben systematisch fort. Immer wieder wählt sie dabei den Weg der ungerecht wirkenden Steuerfreibeträge. Aus der Sicht der Umverteilungspolitiker hat dieser Weg den Vorteil, daß sich die Ungerechtigkeit dabei hinter undurchsichtigen Steuerparagraphen verstecken läßt.
({3})
Durch die Erhöhung der Kinderfreibeträge, des Freibetrags für private Haushaltshilfen und des Freibetrags für die Förderung von Wohneigentum bekommen die am meisten, die auch bisher schon durch die ungerechte Steuerpolitik dieser Koalition am meisten profitiert haben. Da durch die Aufstockung der Freibeträge nur den Beziehern hoher Einkommen nennenswerte Vorteile gegeben werden, sind die Koalitionsbeschlüsse auch eine grobe Benachteiligung gerade der Bürger in den neuen Bundesländern. Die Bundesregierung hat auch ihr vor der Wahl abgegebenes Versprechen gebrochen, allen Familien die zwischen 1983 und 1985 verfassungswidrig abgezogenen Steuern zurückzuzahlen.
({4})
Damit hat Herr Waigel auch bei den Familien nicht davor zurückgeschreckt, vor den Wahlen etwas zu versprechen,
({5})
was er nach den Wahlen nicht einhalten kann. Vor der Wahl hat er nämlich im Deutschen Bundestag noch in Aussicht gestellt - ich zitiere - , „allen Familien eine Rückzahlung zu gewähren, denn es wäre in der Tat wohl nur schwer verständlich und schwer begreiflich zu machen,
({6})
daß diejenigen, die keinen Einspruch eingelegt haben, schlechter behandelt werden als diejenigen, die Einspruch eingelegt haben." Das ist das Zitat von Herrn Waigel.
({7})
- Darüber können wir uns jetzt streiten, Herr Dr. Waigel. Aber ich glaube, die Menschen haben das vor der Wahl als ein Versprechen auffassen müssen.
({8})
Jetzt werden nur diejenigen eine Rückzahlung erhalten, die rechtzeitig Einspruch beim Finanzamt eingelegt oder die aus anderen Gründen noch offene Steuerbescheide aus den Jahren 1983 bis 1985 haben. Lassen Sie, Herr Dr. Waigel, endlich Gerechtigkeit walten, und berücksichtigen Sie alle Familien bei der Korrektur des verfassungswidrigen Familienlastenausgleichs. Das gilt auch für den Grundfreibetrag. Folgen Sie endlich dem Vorschlag der SPD, den steuerlichen Grundfreibetrag auf 8 000 DM für Ledige und auf 16 000 DM für Verheiratete zu verbessern, bevor Sie dazu gezwungen werden.
Die Untätigkeit des Bundesfinanzministers führt dazu, daß derzeit alle Steuerfälle offengehalten werden müssen und die notwendige Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen und das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der bestehenden Gesetze vollkommen verlorengegangen ist.
({9})
Meine Damen und Herren, für die SPD ist der Aufbau der neuen Bundesländer die vordringlichste Aufgabe der nächsten Jahre.
({10})
Die finanziellen Mittel können sozial ausgewogen und gerecht aufgebracht werden. Wir schlagen hierzu folgendes Finanzierungspaket vor:
({11})
Verzicht auf die Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer, Erhebung einer befristeten Ergänzungsabgabe ausschließlich für Höherverdienende, statt der Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge eine allgemeine Arbeitsmarktabgabe, in die auch Minister und auch Abgeordnete einbezogen werden
({12})
und eine Erhöhung der Mineralölsteuer nur im Rahmen eines Gesamtkonzepts der ökologischen Umschichtung des Steuersystems.
({13})
Außerdem wollen wir, daß die Familien mit Kindern endlich zu ihrem Recht kommen.
({14})
Unser Vorschlag dafür liegt seit langem auf dem Tisch. Berechenbarkeit, Verläßlichkeit und das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit sind wichtige Maximen der Steuer- und Finanzpolitik. Wir fordern die Bundesregierung auf: Verlassen Sie endlich den von Ihnen seit Jahren fortgesetzten Weg einer unverhüllten Politik für Spitzenverdiener und Großunternehmen. Machen Sie endlich eine Politik, die den Bürgern in unserem Lande gerecht wird, und stellen Sie sich endlich den Herausforderungen unserer Zeit.
({15})
Ich erteile dem Abgeordneten Schmitz ({0}) das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst einmal an den Abgeordneten der PDS, der hier gesprochen hat, wenden und die Unterstellung, daß Schalck-Golodkowski Gast der Bayerischen Staatsregierung sei, zurückweisen. Sie sollten diese Geschichten endlich einmal abräumen; denn Sie haben mehr Dreck am Stecken als jeder andere. Darauf können Sie sich verlassen.
({0})
Herr Kollege Poß, wenn Sie hier wiederum das Junktim herstellen, das auch Herr Lafontaine versucht hat herzustellen, dann ist doch wohl in Wiederholung dessen, was mein Kollege Borchert gesagt hat, die Frage gestattet: Haben Sie denn nicht begriffen, daß Sie mit Ihren Ministerpräsidenten dies längst aufgegeben haben? Warum hätten sie denn sonst die Pressekonferenz abgesagt? Das muß doch auch einmal festgestellt werden.
({1})
Meine Damen und Herren, mit der Einbringung dieses Haushaltes hätte ich eigentlich erwartet, daß die Opposition eine konstruktive Haltung einnähme und diese, die sicherlich nicht unbedingt mit unserer Haltung übereinzustimmen braucht, hier eingebracht hätte. Genau diese Alternative habe ich bisher in allen Reden, mit wenigen Rudimenten, nicht gefunden. Es zeugt nicht eben von intellektueller Redlichkeit - auch bei Herrn Lafontaine nicht - , daß er sich diesen Dingen ausschließlich aus einer Negativhaltung heraus nähert. Das hilft niemandem.
({2})
- Frau Kollegin Matthäus-Maier, das gilt auch für Sie.
({3})
Diese Negativhaltung schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz; das wissen Sie. Eine Opposition, die sich selbst in der Rolle des staatlichen Bedenkenträgers Nr. 1 versteht,
({4})
ist nicht der richtige Ratgeber.
Wenn Lafontaine hier wortreich einen nationalen Aufbauplan verkündet und dies einmal untersucht wird, dann stellen wir fest: Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Da ist nichts Neues festzustellen, meine Damen und Herren.
Einen Beitrag der deutschen Sozialdemokratie allerdings sollte an dieser Stelle erwähnt werden: Im letzten Frühjahr noch, als es um die Finanzierung der damals noch bestehenden DDR und die Entwicklung der deutschen Einheit ging, war es doch das Bestreben der SPD-regierten Länder, ihre eigenen, sanierungsbedürftigen Haushalte zu retten. Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen: Wenn Sie von vornherein bereit waren, an der Finanzierung der deutschen Einheit mitzuarbeiten, warum haben Sie dann eigentlich allen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen die Mitteilung zugeschickt, welche Projekte nicht finanziert werden könnten - so Herr Schnoor -, wenn die Vorschläge der Bundesregierung Wirklichkeit würden?
Meine Damen und Herren, ich will hier angesichts der Ermahnung des Präsidenten nicht von Doppelstrategie reden; innerlich habe ich dafür einen anderen Ausdruck. Derjenige, der sich so verhält und verhalten hat, der hat eigentlich das Etikett, das ich innerlich benutze, verdient. Sie haben sich von vornherein einer vernünftigen Finanzierung der deutschen Einheit auch deswegen, meine ich, entzogen, weil Lafontaine einen anderen Zeitplan hatte.
Doch damit nicht genug. Weil man selbst in den angeblich so gut geführten Bundesländern Saarland, Bremen und Nordrhein-Westfalen nichts zuzusetzen hatte, mußten die neuen fünf Länder daran glauben. Das sind doch die Fakten. In den Einigungsvertrag wurde eine gestaffelte Umsatzsteuerverteilung hineingeschrieben, die für die Beitrittsländer zunächst nur 55 % des westlichen Anteils vorsah.
Das Ergebnis heute nach der Einsicht - spät kommt ihr, aber ihr kommt - : Jetzt muß diese Passage des Vertrages außer Kraft gesetzt werden, damit die ach so armen westlichen Bundesländer in diesem Bereich für die nächsten Jahre auf Einnahmen verzichten. Sie sind quasi dazu gezwungen worden. Auch das ist so ein Stück Solidarität á la SPD.
Bald beginnen übrigens die Verhandlungen zur Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Es wäre schön, wenn die West-Länder dann etwas schneller
Hans Peter Schmitz ({5})
bereit wären, den östlichen Ländern ein Stück weiter entgegenzukommen; wir sind sehr gespannt.
Dies würde erleichtert, wenn es insbesondere den SPD-geführten Landesregierungen gelänge, ihre Finanzen zu sanieren. Leider habe ich in diesem Punkt keinen Anlaß zum Optimismus. Der Ministerpräsident im Saarland hat nur ein Wirtschaftswachstum von 1,9 % erzielt - bei einem Bundesdurchschnitt von 4,7 %. Dem Herrn Finanzminister Schleußer aus Düsseldorf fällt nur die uralte Forderung nach zusätzlichen Umsatzsteueranteilen ein, mehr nicht.
Die Politik muß zukunftgerichtete, vor allen Dingen praktikable Konzeptionen anbieten. Ein solches Konzept ist dem Deutschen Bundestag heute von seiten der Bundesregierung vorgelegt worden. Zu diesem Entwurf des Haushaltes gibt es keinerlei Alternative. Der Entwurf des Haushaltes und seine Begleitgesetze bilden eine solide Grundlage zur Bewältigung der großen nationalen Aufgaben, denen Sie im Grunde genommen eine Verweigerungsstrategie entgegengesetzt haben.
in diesem Haushaltsentwurf sind Zukunftsinvestitionen in Höhe von 55 Milliarden DM, die höchsten Investitionsleistungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, eingestellt, Herr Kollege Wieczorek; das haben Sie alles vergessen.
({6})
Man kann heute nicht deutlich genug sagen und nicht oft genug betonen, daß 81 Milliarden DM einigungsbedingter Ausgaben der Bund trägt.
({7})
- Darauf kommen wir gleich zu sprechen. - Niemand im westlichen Teil unseres Vaterlandes muß auf die gewohnten Sozialleistungen verzichten; in diesem Punkt wird doch eine Mär aufgebaut, die doch nicht stimmt. In den neuen Bundesländern werden sie selbstverständlich ebenfalls erbracht.
Die Aufgaben, die uns mit der Wiedervereinigung Deutschlands erwachsen sind, gehen wir an, insbesondere die Aufgabe, den Menschen in Ost und West gleiche Lebensbedingungen zu schaffen. Das ist schwer genug; das geht nicht von heute auf morgen.
Meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition, von der SPD: Betrachten Sie es doch einmal im Zeitraffer: Erst seit dem 3. Oktober des letzten Jahres gibt es die Wiedervereinigung. Alles, was davor war, ist doch noch nicht lange her. Das, bei dem Sie eine Untergangsstimmung verbreiten, ist etwas Einmaliges, was wir bisher so noch nie gehabt haben, und deshalb gehen wir solide daran.
({8})
Lassen Sie mich ein weiteres in Erinnerung rufen: Frau Kollegin Matthäus-Maier, folgendes ist interessant - Sie waren damals noch Mitglied einer anderen Partei - : 1982 betrug die Nettokreditaufnahme 37,2 Milliarden DM. 1983 wären wir bei über 50 Milliarden DM Nettokreditaufnahme angelangt, ohne
daß wir die Wiedervereinigung vor der Tür stehen hatten. Daran sind Sie gescheitert.
({9})
- Das war nicht 1983, verehrter Kollege; 1983 war die Ölpreiskrise vorbei; das müßten Sie wissen.
Wenn die Union nicht die Regierungsverantwortung übernommen hätte, wenn nicht gespart worden wäre, wenn wir nicht ein Orientierungsziel gehabt hätten, nämlich die Schuldenaufnahme nicht höher steigen zu lassen als den Nettozuwachs des Bruttosozialproduktes, wenn es so weitergegangen wäre, wenn wir das fortgeschrieben hätten, wie Sie angefangen haben, dann hätten wir Ende 1991 eine Nettoneuverschuldung von mehr als 110 Milliarden DM gehabt. Das ist die Wahrheit.
({10})
- Das wollen Sie nicht gerne hören; das weiß ich.
Wir stellen uns den großen Herausforderungen, die sich in den neuen Bundesländern dadurch ergeben, daß unsere Mitbürger dort jetzt auf den Trümmern des Sozialismus sitzen. Deswegen sind die Beiträge von links außen, meine ich, nicht von großer Bedeutung.
Wir werden von uns aus im nächsten Jahr immerhin schon 20 Milliarden DM und 1993 und 1994 jeweils 10 Milliarden DM weniger Schulden aufnehmen. Dies zeigt einmal mehr, daß wir von unseren erfolgreichen Grundsätzen - der Kollege Borchert hat das ja erklärt - nicht abgehen werden: Begrenzung der Nettoneuverschuldung und Kürzung der staatlichen Subventionen.
Lassen Sie mich hier noch ein Wort sagen. Ich höre ja immer wieder diejenigen, die sagen: Subventionen müssen gestrichen werden. Liebe Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, ich bin lange genug Mitglied dieses Ausschusses gewesen. Ich habe immer wieder welche erlebt, die zwar den Mund gespitzt haben, aber wenn es ums Pfeifen ging, waren keine Freiwilligen mehr da.
({11})
Ich will ein typisches Beispiel dafür schildern: Da beklagte sich eben Kollege Urbaniak darüber, daß er vom Kollegen Zywietz darauf angesprochen wurde, Kürzungen im Bereich der Subventionen vorzunehmen.
({12})
Da sagte Kollege Walther: Da müssen wir ran, nämlich an die Knappschaft, an die Kohle, an die Landwirtschaft; alles andere sind Kleinigkeiten.
Herr Kollege Urbaniak, ich habe es noch im Ohr, als die Landesregierung und die gesamte nordrheinwestfälische SPD bei der Petition der Bergleute von Rhein und Ruhr erklärten: Das dürft ihr aber nicht machen. Die Bundesregierung schafft mühsam einen Kompromiß, schwierig genug, und die SPD, auf der anderen Seite. Herr Kollege Walther, den ich sonst sehr schätze, sagt: Aber die Knappschaft muß gekürzt werden. Ich sag mal: Suchen Sie sich da in vernünfti706
Hans Peter Schmitz ({13})
ger Weise etwas aus! Zunächst kommt eine seriöse Untersuchung des Subventionskatalogs, und dann gehen wir gemeinsam an diese Fragen ran.
Wenn dieses Angebot ein wirklich ernsthaftes Angebot ist, dann kann man darüber sprechen. Man kann nicht nach der Methode vorgehen: Wenn die CDU etwas vorschlägt, dann ist es schlecht, dann muß die SPD dagegen sein; wenn die SPD das aber vorschlägt, dann ist das richtig. Frau Kollegin MatthäusMaier, Sie gehören auch in diese Kategorie.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ein weiteres sagen: Diese Rasenmähermethode - ich sage das auch im Hinblick auf unseren Koalitionspartner - ist die einfachste Methode. Wir sollten uns darauf einigen, daß wir das miteinander vernünftig bereden können.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Begrenzung der Nettoneuverschuldung sagen. Sie wissen sehr genau, daß der Präsident der Bundesbank rechtzeitig und für meine Begriffe auch zu Recht auf die Höhe der Nettoneuverschuldung hingewiesen hat.
({14})
- Sie haben das ja beantragt; das ist auch korrekt.
({15})
Der Finanzminister und die Bundesregierung standen vor der Frage, ob sie die Nettoneuverschuldung noch entsprechend erhöhen sollten. Sie wissen genau, wie die Bundesbank dann reagiert hätte. Dies wäre Gift für unsere Konjunktur gewesen, denn die Alternative wäre eine entsprechende Zinserhöhung gewesen. Das konnten wir nicht verantworten, so daß wir mit dieser maßvollen Steuererhöhung, so meine ich,
({16})
den richtigen Weg gegangen sind. Wir werden durch die Umschichtung von 34 Milliarden DM - das hätten Sie einmal vormachen sollen - in dieser Richtung auch noch entsprechend einsparen.
({17})
Meine Damen und Herren, die in diesem Ausmaß von niemandem vorhergesehene Mehrbelastung
- ich habe das eben schon gesagt - war eigentlich nur durch entsprechende und zeitlich begrenzte Steuererhöhungen aufzufangen. Jeder Bürger im Westen muß nach seiner Leistungsfähigkeit dazu beitragen, daß unser Gemeinwesen seinen Aufgaben gerecht bleiben kann. Unsere Landsleute im Beitrittsgebiet werden zu Recht geschont, wenn sie ihre Freibeträge von 600 DM bzw. 1 200 DM nutzen können. Sie wissen, wie das Lohnniveau dort ist. Die Leistungen, die im Westen verlangt werden, sind nach unserer Auffassung auch sozial ausgewogen. Der Solidaritätszuschlag orientiert sich an der Steuerprogression. Es ist nicht so, wie Sie behaupten. Wer viel hat, der muß auch einen weit höheren Beitrag leisten als derjenige, der wenig hat. Diejenigen, die keine Steuern zahlen, fallen da ohnehin heraus.
Was will dagegen die SPD? Die SPD will schon den Facharbeiter mit 60 000 DM Jahreseinkommen voll belasten.
({18})
Ich höre schon, wie Herr Poß und Frau MatthäusMaier - alle höre ich - fragen: Wo ist dieser Facharbeiter?
({19})
- Das ist ganz einfach. Schalten Sie doch einmal Ihr Fernsehgerät ein; holen Sie sich per Teletext die Durchschnittsverdienste heran. Sie werden dann sehen, daß Sie sehr schnell bei dem Facharbeiter sind, den Sie vier Jahre lang mit 15 % belasten wollen.
({20})
Wir wollen in jedem Halbjahr 3,75 %.
({21})
- Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Ihnen das, was Sie als „Dummheit" bezeichnen, zu erläutern.
({22})
- Nein, nein, Sie haben „Dummheit" gesagt; ich höre noch sehr gut. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß dies die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind.
({23})
Wenn Sie im übrigen auch die Zahlen der Statistischen Landesämter querrechnen, dann kommen Sie in bezug auf Nordrhein-Westfalen zu ganz anderen Ergebnissen. Sie wissen das. Wider besseres Wissen behaupten Sie etwas anderes.
({24})
Lassen Sie mich das auch einmal sagen: Wir haben doch nicht von ungefähr Ihr altes Stufensteuersystem abgeschafft. Wie wollen Sie jemandem klarmachen, daß Sie jemanden, der 59 999 DM verdient, nicht mehr belasten, daß Sie jedoch jemanden, der 60 001 DM verdient, belasten wollen? Meine Damen und Herren, das ist das alte System. Dahin wollen Sie wieder zurück. Wir fallen nicht darauf herein. Es ist auch nicht im Sinne unserer Mitbürger in den neuen Bundesländern.
Wir haben die Steuern maßvoll erhöht.
({25})
Wir haben nicht, wie Sie es wollten, im vergangenen Herbst - ohne eine tatsächliche Grundlage zu haben - eine schlechte Stimmung herbeigeredet, um ideologisch motivierte Steuererhöhungen zur Verhinderung der Einheit zu nutzen. Das war doch Ihr Stil. Sie wollten sich doch gar nicht daran beteiligen.
Wissen Sie, ich habe vor einiger Zeit, im Wahlkampf, ein Plakat gesehen.
({26})
Hans Peter Schmitz ({27})
- Herr Kollege Wieczorek, ich weise das zurück. Ihre Wahrheitsfindung ist nicht gerade großartig,
({28})
aber ich will Sie auf etwas hinweisen.
({29})
- Nicht nachvollziehbar, nein; genau wie beim Kollegen Walther, nicht nachvollziehbar. - Ich habe im letzten Wahlkampf ein Plakat gesehen, mit dem Ihre Partei geworben hat. Auf dem Plakat stand - ich bitte die Kollegen aus den neuen Bundesländern, sich das einmal zu Gemüte zu führen - : „Die Deutsche Einheit kostet unser Geld. Bürger, wir müssen aufpassen."
({30})
Wer so etwas plakatiert, macht sich unglaubwürdig, wenn es um die Frage der Finanzierung der Deutschen Einheit geht.
({31})
- Ich bin gerne bereit, Ihnen das zur Verfügung zu stellen. - Das ist der Stil Lafontaines.
({32})
- Ich bringe es Ihnen gern mit. Das tue ich mit dem größten Vergnügen.
({33})
Meine Damen und Herren, die Wirtschaft, von deren Leistungskraft alles abhängt, kann sich auf unsere klare Politik verlassen. Wir verlieren die Herausforderung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland auch für 1992 nicht aus dem Blick. Deshalb werden wir - das hat der Kollege Bohl gesagt - , wie bereits versprochen, rechtzeitig die Reform der Unternehmensbesteuerung anpacken. Darüber werden wir reden.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: Besserwisserei und Rechthaberei - wie heute morgen in den Reden Lafontaines und einiger anderer Oppositionsredner zum Ausdruck gekommen - haben noch keinen Arbeitsplatz in den neuen Bundesländern geschaffen.
({34})
Sie sollten damit aufhören, mit der sozialen Not der Menschen in den neuen Bundesländern Ihr politisches Spiel zu treiben.
({35})
Derjenige, der keine Alternative auf den Tisch des Hauses legt, hat im Grunde genommen die Herausforderung nicht begriffen und hat die Wiedervereinigung - sei es in der Sache oder auch persönlich - im Grunde genommen nicht gewollt. Das ist mein Eindruck.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist entschlossen, diesem Haushalt zuzustimmen.
({36})
- Regen Sie sich doch nicht auf, Herr Kollege! Ihr Blutdruck steigt immer mehr. Ich mache mir ja echte Sorgen um Sie, Herr Kollege Wieczorek. Natürlich unterstelle ich Ihnen, daß Sie bei den Haushaltsberatungen mitarbeiten. - Wir gehen davon aus, daß wir diesen Haushalt, der solide finanziert ist, so verabschieden werden.
Vielen Dank.
({37})
Ich erteile dem Kollegen Walther das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Schmitz ({0}) hat hier in wahrheitswidriger Weise behauptet, ich hätte den Abbau von Subventionen im Bergbau, in der Landwirtschaft oder bei der Knappschaft gefordert. Dies ist unwahr. Wahr ist, daß ich auf Fragen von Journalisten, woher denn Bundeswirtschaftsminister Möllemann seine 10 Milliarden DM Einsparungsvolumen haben wolle, gesagt habe, ich wünschte Herrn Möllemann eine gute Reise; denn die großen Brocken seien Bergbau, Knappschaft und Landwirtschaft. Wenn er 10 Milliarden DM einsparen wolle, müsse er, Möllemann, daran gehen. Alles andere seien Peanuts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau in Umkehrung dessen, was ich ausgeführt habe, sagt Kollege Schmitz in wahrheitswidriger Weise, ich habe das gewollt. Es ging mir darum, daß Bundeswirtschaftsminister Möllemann endlich sagt, was er will.
Meine Damen und Herren, zu einer weiteren, ganz kurzen Intervention Frau Kollegin Matthäus-Maier.
Herr Schmitz ({0}) hat gesagt, bei einer von uns geforderten Einkommensgrenze bei der Ergänzungsabgabe von 70 000 DM Bruttoeinkommen bei Ledigen bzw. 140 000 DM bei Verheirateten würden die Facharbeiter einbezogen.
({1})
- 60 000 bzw. 120 000 DM zu versteuerndes Einkommen. Herr Kollege, Sie wissen, daß der Unterschied zwischen Brutto- und zu versteuerndem Einkommen etwa 10 000 DM beträgt.
Ein Blick ins Statistische Jahrbuch hat für das Jahr 1989 ein Bruttodurchschnittseinkommen des männlichen Industriearbeiters von 42 000 DM ergeben.
({2})
Natürlich gibt es auch einige, die mehr verdienen,
aber ebenfalls eine Menge, die weniger verdienen.
Aber die Behauptung, unter unsere Ergänzungsabgabe fiele der Facharbeiter, ist absolut unwahr.
({3})
Herr Kollege Wieczorek, ich bitte auch Sie, sich an die Ermahnung von vorhin zu halten, und bei den ganz schlimmen Wörtern ein bißchen zurückhaltend zu sein. Das sollte die Munterkeit nicht beeinträchtigen.
({0})
Das Wort zu einer kurzen Antwort hat Kollege Schmitz.
({1})
Die Frau Abgeordnete Frau Matthäus-Maier hat soeben erklärt, ich hätte gesagt, daß der durchschnittliche Facharbeiter nach Ihren Steuervorschlägen vier Jahre lang 15 % - ({0})
- Sie müssen sich einmal einigen. Der eine sagt 15 %, der andere 10 %. Einigen Sie sich einmal.
({1})
- Erlauben Sie, daß ich das zurückgebe.
Ich bin froh, daß Frau Kollegin Matthäus-Maier damit zugegeben hat, daß Sie einen Großteil - das habe ich gesagt - der Facharbeiter mit diesem Steuerbelastungspaket treffen werden. Das haben Sie so gesagt.
Nächster Punkt: Herr Kollege Walther, ich bin froh, daß Sie das, was Sie hier am 22. Februar 1991 erklärt haben, gerade zurückgenommen haben. Da haben Sie in bezug auf Möllemann und den Subventionsabbau von 10 % gesagt, beim Subventionsabbau sei bei den dicken Brocken Knappschaft, Kohle und Landwirtschaft anzusetzen. Alles andere sei eine Kleinigkeit. Wenn Sie das hier zurücknehmen, ist die Sache ausgeräumt.
Meine Damen und Herren, zu einer weiteren Intervention hat das Wort der Kollege Walther.
Ich kenne das, was Sie vorlesen, überhaupt nicht. Ich habe hier nichts zurückzunehmen; denn das, was ich hier gesagt habe, ist das, was ich immer ausgeführt habe. Ich möchte von Herrn Möllemann wissen, wo er die 10 Milliarden DM einsparen will. Diese Antwort erwarte ich von ihm.
Meine Damen und Herren, nunmehr hat das Wort der Abgeordnete Dr. Briefs, PDS-Gruppe.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, das gefällt Ihnen nicht; aber das macht nichts. - Das Fazit dieser Debatte ist eindeutig: Die Bundesregierung hängt auf ihrer Steuerlüge fest. Nicht nur das! Dahinter wird eine gigantische Anschlußlüge insgesamt sichtbar.
Will die Bundesregierung ernsthaft der vollständigen sozialen Katastrophe im Osten vorbeugen, muß sie sofort umsteuern. Statt zu kleckern, muß sie klotzen. Deshalb fordern wir, wie gesagt, ein 500-Milliarden-Programm für die nächsten fünf Jahre. Wir fordern insbesondere, daß bei der Verausgabung dieser Mittel ökologische und zugleich soziale Prioritäten zugrunde gelegt werden. Es gibt im Osten in der Tat insbesondere ökologische Aufgaben genug.
Der Staat muß aber die Initialzündung geben. Er muß einen Rahmen schaffen, in den die Betriebe in der früheren DDR hineinwachsen und hineininvestieren können. Das kann, insbesondere wenn Arbeitszeitverkürzungen hinzukommen, die benötigten Beschäftigungsmöglichkeiten im Osten schaffen.
Wir fordern deshalb insbesondere, auch die Treuhand an Haupt und Gliedern zu reformieren. Machen Sie sie transparent und demokratisch. Beteiligen Sie die Gewerkschaften und Belegschaften. Beenden Sie den Eiertanz um das privatwirtschaftliche Eigentum und seine Rückerstattung. Lassen Sie pragmatische Lösungen zu. Die Sicherung der Lebensmöglichkeiten für die Menschen im Osten muß Vorrang haben vor der Wiederherstellung jener Eigentumsordnung, die womöglich in wesentlichen Aspekten der Eigentumsordnung des Junkertums und der Nazizeit entsprechen würde.
({0})
Privatisieren Sie nicht nur, sondern lassen Sie auch andere Eigentumsformen zu, kommunales Eigentum, genossenschaftliches Eigentum, das Eigentum selbstverwalteter Betriebe usw.
({1})
Sorgen Sie dafür, daß die Treuhand ihre Tätigkeit stärker regionalisiert handhaben kann. Machen Sie die Treuhand, das größte Monopol der kapitalistischen Geschichte, zu einem Organ der Lösung und nicht der Schaffung sozialer Probleme.
Ein Wort zum Schluß: Lassen Sie ab von Ihrer unsozialen Politik. Erschließen Sie den Reichtum dieser Gesellschaft und insbesondere der Wirtschaft für die Lösung der vordringlichen ökologischen und sozialen Aufgaben. Der Reichtum dieser Gesellschaft, produziert vor allem von den als abhängig beschäftigten arbeitenden Menschen, ist groß genug, um diese Probleme zu lösen. Wir haben es Ihnen vorgerechnet. Unsere konkreten Vorschläge liegen auf dem Tisch. Weitere werden hinzukommen. Entkräften Sie sie, wenn Sie können. Legen Sie Alternativen vor, wie Sie wollen. Aber tun Sie etwas, tun Sie etwas für die Menschen in Ost und West.
({2})
Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat der Abgeordnete Rind, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wohl in kaum einem Feld - wenn die Dame und die Herren von der SPD einmal aufpassen möchten - haben Sie von der SPD in den letzten Jahren so danebengelegen wie in der Steuerpolitik, frei nach dem Motto: Kommen Sie zu uns, da liegen Sie immer falsch. Sie haben erbittert gegen den linear-progressiven Tarif und gegen Steuerentlastungen der Bürger und Unternehmen in Höhe von 50 Milliarden DM gekämpft. Sie haben erbittert gegen den Abbau von 13 Milliarden DM steuerlicher Subventionen gekämpft. Sie haben den Zusammenbruch der kommunalen Finanzen gepredigt und erklärt, dieses große Reformpaket 1990 sei nur mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren.
Nun, am Anfang des Jahres 1991, müssen auch Sie die Fakten zur Kenntnis nehmen. Es gab keine Mehrwertsteuererhöhung zur Finanzierung der Reform, und trotzdem stiegen die Steuereinnahmen im Jahre des größten Reformschritts, 1990, bei Bund und Ländern um 12 Milliarden DM, und bei den Gemeinden übertrafen sie das Ergebnis 1989 um 1,7 Milliarden DM.
Bei der Verabschiedung des Reformpakets haben Sie damals erklärt, das bittere Erwachen für Arbeitnehmer käme im Dezember 1990, wenn die von Ihnen so genannte Weihnachtssteuer fällig würde.
({0})
- Ich spreche ein bißchen von Ihren Sünden der Vergangenheit, Frau Matthäus-Maier.
Als es dann soweit war, haben Sie auch tapfer eine entsprechende Pressemeldung verfaßt. Ich habe sie gelesen, allerdings nur auf dem Papier Ihres Pressedienstes. Keine Zeitung fand sich, die diese Erklärung abdruckte, weil dieses Thema keinen Bürger mehr interessierte. Die Steuerzahler hatten nämlich längst begriffen, welche Steuerentlastungen ihnen die Steuerreform 1990 geboten hat.
Im Augenblick - und damit will ich dieses Kapitel abschließen - merken die Beamten in den Finanzämtern, daß der von Ihnen so heftig attackierte Arbeitnehmerpauschbetrag als Zusammenfassung von Weihnachtsfreibetrag, Arbeitnehmerpauschbetrag und Werbungskostenpauschale eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung bringt. Soviel zur Erfolgsbilanz der Steuerpolitik der vergangenen Wahlperiode.
Beim Bundestagswahlkampt 1990 fiel der SPD zum Thema Steuerpolitik nicht viel anderes ein als eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 50 Pfennig, verbunden mit dem Versprechen, Mehreinnahmen über die Lohn- und Einkommensteuer den Bürgern wieder zu erstatten. Dieser Umverteilungsapparat wurde dann als ökologisches Steuerkonzept verkauft. Hans Apel, einer aus Ihren Reihen - man könnte auch noch andere Namen nennen - hatte richtig erkannt: Sie wollten den Bürger mit hohen Benzinpreisen zum Verzicht auf das Auto bewegen, ihm aber gleichzeitig über weniger Steuern und ein höheres Nettoeinkommen das Geld geben, damit er den höheren Benzinpreis doch wieder zahlen und Auto fahren kann. Das war Ihre ökologische Steuerpolitik, meine Damen und Herren von der SPD.
Für den Aufbau der Wirtschaft in Ostdeutschland war dabei nicht viel vorgesehen. Es war ein reiner Umverteilungsmechanismus, den Sie in Gang setzen wollten, wohl weil Ihr Kanzlerkandidat Lafontaine von der deutsch-deutschen Entwicklung auf dem falschen Bein erwischt worden ist und auch insgesamt nicht so furchtbar viel davon wissen wollte.
Das ist die Ausgangslage, von der aus Sie in die steuerpolitischen Entscheidungen des Frühjahrs 1991 gehen müssen. Fürwahr, eine schwere, kaum zu tragende Last.
Nun haben die Koalitionsparteien in diesen Wochen auch eine schwere Last zu tragen. Aber wir können das immerhin auf dem festen Boden einer erfolgreichen Steuerpolitik der letzten Jahre tun und mit Schultern, die die Last tragen können, und das deshalb, weil wir im Gegensatz zu Ihnen von Anfang an die nationale Aufgabe anerkannt und uns ihr gestellt haben und weil wir über die aktuellen Beschlüsse der Steuererhöhungen hinaus ein Gesamtkonzept zur Steuerpolitik in den Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben haben, das wir nicht aus dem Auge verlieren werden. Ich mache keinen Hehl daraus: Die FDP-Bundestagsfraktion hat es sich schwergemacht, und es ist ihr schwergefallen, dem Steuererhöhungspaket zuzustimmen. Eine Reihe von Abgeordneten waren mit einzelnen Elementen des Pakets, einige auch mit dem ganzen Paket nicht einverstanden. Das gilt insbesondere für den Zuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer. Möglich wurde unsere Zustimmung letztendlich nur, weil eine Reihe von Forderungen aus der Koalitionsvereinbarung gleichzeitig erfüllt wurde und der Haushaltsentwurf weitere Vorbedingungen für die Steuererhöhungen erfüllt. Lassen Sie mich die wichtigsten davon nennen.
Der Haushaltsentwurf sieht Ausgabenkürzungen im Bereich Verteidigung von 7 bis 8 Milliarden DM vor. Das ist eine stolze Leistung.
({1})
Die Berlin- und Zonenrandförderung wird mit einem Gesamtvolumen von 12 Milliarden DM abgebaut. Weitere 10 Milliarden DM direkte und indirekte Subventionen - Herr Kollege Walther, es geht nicht nur um direkte Subventionen, wie Sie meinten; wenn Sie in der Koalitionsvereinbarung nachlesen, werden Sie feststellen, daß die indirekten oder steuerlichen Subventionen mit ca. 6 Milliarden DM in diesem Paket enthalten sind - werden abgebaut. Der Ausgabenanstieg des Bundeshaushalts wird auf jährlich maximal 2 % beschränkt.
Herr Kollege Rind, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Aber gern, wenn sie nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Herr Kollege, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie im Gegensatz zum Bundesfinanzmi710
nister die Zwischenfrage zulassen. Könnten Sie uns vielleicht Andeutungen machen, wo über die allgemeingehaltenen Koalitionsvereinbarungen hinaus Subventionsstreichungen zu erwarten sind?
Herr Kollege Walther, seien Sie nicht ungeduldig. Sie werden Ihnen noch rechtzeitig vorgelegt werden. Ich wollte in diesem Stadium nur darauf hinweisen, daß sich das Volumen bei den direkten Subventionen auf etwa 4 Milliarden DM belaufen wird, weil wir sehr wohl wissen, wie eingeschränkt die Möglichkeiten beim Subventionsabbau auf Grund rechtlicher Verpflichtungen und vieler anderer Gründe sind. Aber wir sind der Meinung, daß diese Kraftanstrengung auch durch Einsparungen bei den Haushaltstiteln der einzelnen Ressorts zu schaffen ist.
({0})
- Vielen Dank. Sie sehen, wir nehmen unsere Aufgabe ernst.
Sparsame Haushaltsführung und Subventionsabbau bleiben also keine Wahlversprechen, sondern werden in die Tat umgesetzt. Das ist die Brücke, die für uns Freie Demokraten zwar schmal ist, auf der wir aber den Weg zu Steuererhöhungen beschreiten können. Wichtig ist für uns, daß die in den Koalitionsvereinbarungen festgelegte steuerpolitische Grundphilosophie nicht verändert wird. Die Steuererhöhungen sollen und dürfen nach unserem Verständnis kein Ende der Steuerreformpolitik der 80er Jahre bedeuten.
({1})
Sie sind nötig, um die internationalen Aufgaben und den Aufbau sowie den sozialen Ausgleich für die neuen Länder zu finanzieren. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, daß diejenigen, die die Hauptaufbauleistungen in den neuen Ländern leisten müssen, die Leistungsträger in Wirtschaft und Verwaltung und die Unternehmungen leistungsmotiviert und leistungsstark bleiben. Nur wenn die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit nicht kaputtgesteuert wird, kann das Aufbauwerk Ostdeutschland gelingen.
Deswegen haben wir auch bei den spezifischen Verbrauchsteuern und bei einem kurz befristeten Solidaritätszuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer angesetzt und alle anderen steuerpolitischen Instrumente im Kasten gelassen. Unter diesem Gesichtspunkt darf die in der Koalitionsvereinbarung für die Zeit ab 1993 nicht ausgeschlossene Anhebung der Umsatzsteuer nur die Ultima ratio sein. Wenn in diesem und im nächsten Jahr die Strategie „Aufschwung Ost" Wirkung zeigt - davon gehen wir aus - , werden aus Millionen von heutigen Leistungsempfängern in den neuen Bundesländern Steuer- und Beitragszahler, und darin liegt die Chance zu Steuermehreinnahmen, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer überflüssig machen können.
({2})
Wir haben sie auch noch nicht festgeschrieben, weil
wir alle Anstrengungen unternehmen wollen, um zu
vermeiden, daß wir zu diesem Instrument greifen müssen.
Nun zum Stichwort Steuerlüge, das den Finanzpolitikern - Herr Poß hat es heute mehrmals benutzt; nun ist er nicht mehr da, schade - in diesen Tagen so glatt von den Lippen kommt. Ich will nicht verhehlen, daß ich zu den Fraktionsmitgliedern meiner Partei gehöre, die sich mit diesem Steuererhöhungspaket besonders schwergetan haben und auch immer noch besonders schwertun. Wenn ich trotzdem für meine Fraktion die Steuererhöhungen heute hier vertrete, dann insbesondere, weil in den Koalitionsvereinbarungen eine steuerliche Konzeption festgeschrieben ist und von uns in aller Deutlichkeit eingefordert wird. Denn diese Konzeption wird durch eine Solidaritätsaktion nur unterbrochen und nicht beendet; darauf legen wir von der FDP größten Wert.
({3})
Da dies so ist, können wir auch dem Vorwurf der Steuerlüge begegnen.
Zurückweisen will ich diesen Vorwurf aber auch an Hand von drei Fragen, deren Beantwortung wir der SPD immer wieder abfordern werden. Wer konnte - dies frage ich auch Sie von der SPD - vor dem 2. Dezember 1990 wissen, daß der Golfkrieg 1991 17 Milliarden DM an Haushaltsmitteln erfordern würde
({4})
- hören Sie sich den Satz zu Ende an, Frau MatthäusMaier - und daß auch unsere Beteiligung am Aufbauprogramm für die Golfregion weitere finanzielle Beiträge von uns erfordern wird? Wir reden jetzt über den Haushalt 1991, und da geht es um die 17 Milliarden DM, die bereits jetzt, nach dem Ende des Golfkriegs, fällig werden.
({5})
Sie kennen das Wort von Graf Lambsdorff „Geld mischt sich". Ja, Geld mischt sich.
({6})
Im ursprünglich vorgelegten Haushaltsentwurf war die Summe von 17 Milliarden DM nicht enthalten gewesen.
({7})
Wer eigentlich konnte vor dem 2. Dezember 1990 wissen, daß die Märkte in Osteuropa in einem solchen Maße zusammenbrechen, daß die Aufträge an ostdeutsche Firmen von ca. 40 bis 50 Milliarden DM innerhalb kürzester Zeit praktisch auf Null zurückfallen? Konnten Sie das wissen?
({8})
Wer konnte vor dem 2. Dezember wissen, wie die
Tarifverhandlungen 1991 in den neuen Ländern ausgehen und daß die Löhne dort, so wie das jetzt absehHermann Rind
bar ist, wesentlich schneller als die Produktivität steigen würden
({9})
und welche Anforderungen sich daraus für den Bundeshaushalt im Bereich Soziales ergeben? Sie wußten das wohl alles. Wir geben ehrlich zu: Wir wußten das in diesem Umfang nicht. Wenn wir hier eine redliche Auseinandersetzung betreiben wollen, dann müssen wir alle, auch Sie von der SPD erkennen und zugeben, daß sich der Erkenntnisstand fast täglich ändert und daß wir bei dieser in der Wirtschaftsgeschichte einmaligen Konversion eines 45jährigen sozialistischen Wirtschaftssystems fast täglich neue Erkenntnisse gewinnen und politisch umsetzen müssen. Bekennen auch Sie sich dazu; dann können Sie sich auch zu den Steuererhöhungen und ihren Zwecken bekennen.
Meine Damen und Herren, wenn die FDP immer wieder betont, daß die aktuellen Steuererhöhungsbeschlüsse nur hinnehmbar sind, wenn der Grundkurs der Steuerpolitik nicht unterbrochen oder aufgegeben wird, so tun wir dies nicht, um Steuergeschenke an Reiche zu verteilen, sondern weil wir über die Marktmechanismen und über die Wirkung von Steuern bessere Erkenntnisse als Sie haben.
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Wir werden, wenn dies nötig ist, gegenüber dem Koalitionspartner unerbittlich die steuerpolitischen Forderungen des Koalitionspapiers anmahnen, meine Damen und Herren.
({11})
Hinsichtlich Zeitpunkt und Umfang halten wir an den Festlegungen im Koalitionspapier fest. Mir klangen manche Äußerungen aus dem Lager der Union heute ein wenig zu verschwommen. Ich sage das deswegen hier in aller Deutlichkeit.
({12})
- Frau Matthäus-Maier, zu Ihren Lieblingsthemen sage ich auch noch ein paar Sätze. Sie sollen auch auf Ihre Kosten kommen.
({13})
Unumstritten ist, daß ab 1992 - das sollte in dieser Debatte auch nicht vergessen werden - Steuersenkungen für die Familien durch Anhebung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge im Volumen von über 8 Milliarden DM wirksam werden. Diese Steuersenkungen - das wird in diesen Tagen, die von Hektik geprägt sind, oft übersehen - müssen von den notwendigen Steuererhöhungen abgezogen werden. Das ist immerhin ein beachtliches Volumen. Darüber hinaus besteht in der Koalition Einigkeit, daß der Familienlastenausgleich im dualen System weiter verbessert werden muß und daß das Existenzminimum durch eine Anhebung des Grundfreibetrags weiter entlastet werden muß.
Im Hinblick auf den Binnenmarkt 1993 - dies sage ich nochmals mit allem Ernst - muß die Steuerreform 1986-1990 fortgeführt und bis spätestens 1. Januar
1995 um die Reform der Unternehmensbesteuerung ergänzt werden. Der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens im Jahr 1992 ist - unter Offenlassung des Zeitpunkts des Inkrafttretens - im Koalitionspapier festgelegt.
Westdeutsche und ostdeutsche Arbeitnehmer und Unternehmer müssen bis zum Beginn des Binnenmarktes Sicherheit bezüglich der Frage haben: Lohnt es sich bei dem Wettbewerb der Steuersysteme innerhalb der EG und darüber hinaus, in Deutschland zu investieren und damit hier Arbeitsplätze zu schaffen? Oder gehe ich lieber unter den ab 1993 erleichterten Bedingungen in ein Niedrigsteuerland?
Das sind die Fragen der Finanz- und Steuerpolitik, die sich uns in den Jahren 1991 bis 1992 stellen; denn der Binnenmarkt 1993 kommt - deutsche Einheit hin, deutsche Einheit her - und damit der Wettbewerb der Steuersysteme.
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Das sind die Fragen, um die es geht. Es geht nicht um Steuergeschenke an Reiche, wie uns die SPD weismachen will.
Nun haben wir im Vorgriff auf dieses Reformvorhaben beschlossen in den neuen Bundesländern die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer erst gar nicht einzuführen. Dies ist ein Vorgriff auf die Steuerreform. Neben den Sonderabschreibungen und anderen Maßnahmen - Herr Kollege Faltlhauser, hören Sie zu; Sie haben mir gerade ein Stichwort gegeben - gibt es ein Teilniedrigsteuergebiet in den neuen Ländern. Wir fühlen uns absolut nicht auf der „Verliererstraße" in dieser Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner.
Diese Maßnahmen sind auch ein Teil der Unternehmenssteuerreform für das gesamte Steuergebiet, also auch für den westdeutschen Teil.
Ich möchte gar nicht davon reden, daß die Durchführung der Einheitsbewertung als Grundlage für diese Steuern in den ostdeutschen Ländern überhaupt nicht durchführbar wäre. Uns geht es nicht nur um die Technik, uns geht es auch um die Sache.
Nun ist ja bekannt, daß auch ein Teil unseres Koalitionspartners bei der Abschaffung der Vermögensteuer Bauchschmerzen hat. Verständlich ist dies höchstens teilweise. Ich will diesen Kollegen noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei den degressiven Abschreibungen gegenfinanziert wird. Das wurde von uns unter dem Gesichtspunkt gesehen, daß wir vor den Substanzsteuern zu den Ertragssteuern hin umschichten wollten. Wir haben seit Jahren immer wieder bedauert - die Wissenschaft und alle Fachleute tun dies seit vielen Jahren -, wie schädlich die Substanzsteuern im Unternehmensbereich sind.
Nun wollen wir umschichten und einen ersten Schritt der Unternehmenssteuerreform ohne Ausfälle für den Fiskus und ohne Belastung anderer Bevölkerungsgruppen durchführen, und nun paßt es auch wieder nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Gern.
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Herr Kollege Rind, was Sie gerade dargelegt haben, halte ich für die öffentliche Auseinandersetzung über die Fragen der Vermögensteuer und Gewerbeertragsteuer für besonders wichtig. Ich habe dazu heute morgen Herrn Lafontaine etwas gefragt, der der Frage ausgewichen ist.
({0})
Hat man, wenn man auf die aufkommensneutral finanzierte Abschaffung einer Steuer verzichtet, eine Mark in der Tasche, um beispielsweise in den neuen Bundesländern irgend etwas zu finanzieren?
Die Frage beantwortet sich von selbst, Kollege Gattermann. Wenn ich auf der einen Seite Steuern abschaffe und dem Steuerzahler damit eine Mark gebe, gleichzeitig aber in derselben Höhe Steuerbegünstigungstatbestände abschaffe und ihm damit die eine Mark wieder nehme, dann kommt für die Finanzierung der deutschen Einheit unter dem Strich Null heraus. Aber diese einfachen Rechenarten hat Herr Lafontaine anscheinend nicht beherrscht.
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- Aber natürlich ist es aufkommensneutral. Die Zahlenmaterialien sind unzweifelhaft festgestellt.
Nun haben Frau Matthäus-Maier und Herr Poß in ihrem Pressedienst zur Frage der Vermögensteuer folgendes Beispiel veröffentlicht: Einzelunternehmer, verheiratet, zwei Kinder, Betriebsvermögen 500 000 DM. Sie kamen zu dem Schluß, daß er praktisch vermögensteuerfrei bleibt. Ich glaube, es kamen 6,35 DM heraus. Das Beispiel ist richtig; Ihre Referenten haben korrekt gerechnet. Ein Lob Ihren Referenten, aber Lob nicht Ihnen; denn Sie haben ein Beispiel gewählt, das keine Aussagekraft hat.
Ich will Ihnen ein kleines Gegenbeispiel nennen, damit Sie - ich habe es Ihnen vorhin versprochen - auf Ihre Kosten kommen. Nehmen Sie eine FamilienGmbH in einem etwas größeren, aber eher noch kleinen mittelständischen Bereich mit einem Stammkapital von einer Million DM sowie offenen und stillen Rücklagen in Höhe von etwa einer Million DM. Das sind bei gewachsenen Unternehmen keine utopischen Größenordnungen. Unterstellen Sie einen nachhaltigen Gewinn von 500 000 DM, der überwiegend im Unternehmen investiert wird. Das sind die Voraussetzungen bei meinem Beispiel. Es ergibt sich
- das können Ihnen Ihre Referenten leicht vorrechnen; die Unterlagen dazu können Sie von mir erhalten
- auf der Ebene der Gesellschaft eine Vermögensteuer von 8 400 DM. Um diese Vermögensteuer bezahlen zu können, muß das Unternehmen einen Gewinn von 20 000 DM erwirtschaften, damit nach Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer 8 400 DM zum Zahlen der Vermögensteuer übrigbleiben.
Nun kommt die zweite Stufe: Bei einer Familiengesellschaft müssen die Anteilseigner der Gesellschaft - verheiratet, zwei Kinder, wie in Ihrem Beispiel auch - auf ihre Anteile nochmals Vermögensteuer in der Größenordnung von 25 000 DM zahlen. Um das bezahlen zu können, müssen sie bei einem Steuersatz von 50 % wiederum rund 50 000 DM Einkommen erzielen. Das heißt, es sind 20 000 DM Gewinn in der Gesellschaft und 50 000 DM Einkünfte bei den Gesellschaftern erforderlich, um die Vermögensteuer eines kleineren mittelständischen Unternehmens finanzieren zu können. Das sind die Realitäten. Dies müssen sie auch in Verlustjahren tun und dies müssen sie tun, nachdem sie die Gewerbekapitalsteuer bezahlt haben, und zwar auch auf die Schulden ihres Unternehmens. Ich glaube, damit ist der Beweis leicht zu erbringen, daß die Vermögensteuer eine unternehmensschädliche und eine arbeitsplatzvernichtende Steuer ist
({1})
und daß es hier nicht um Geschenke für Reiche geht, sondern um eine vernünftige steuerpolitische Maßnahme, an der wir festhalten.
Wir Freien Demokraten verbinden mit unserer Zustimmung zu den Steuererhöhungsmaßnahmen die Forderung, daß mit der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung die erfolgreiche Steuerpolitik der 80er Jahre fortgesetzt wird. Nur dieser Gesamtzusammenhang und die Einsicht in die internationalen und nationalen finanziellen Herausforderungen der nächsten zwei Jahre machen unsere Zustimmung möglich. Unser ganzer Einsatz wird, wenn sich der Pulverdampf der aktuellen Auseinandersetzung verzogen hat, dem Ziel dienen, die erfolgreiche Steuerpolitik der 80er Jahre fortzuschreiben.
Vielen Dank.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Abgeordnete Großmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmitz hat eben verkürzt und damit unrichtig - dies gilt übrigens auch für einige andere Äußerungen, auf die wir direkt eingehen konnten - etwas über eine Anzeige erzählt. Da ich jetzt erst ins Archiv mußte, um diese Anzeige zu holen, hat es bis zu meiner jetzigen Invervention etwas länger gedauert, als dies bei Herrn Walther und bei Frau Matthäus der Fall gewesen ist. Ich möchte Ihnen jetzt die ganze Anzeige, über die hier gesprochen worden ist, vorlesen. Da heißt es wortwörtlich - ich zitiere - :
Die Einheit kostet Geld. Unseres. Deshalb müssen wir aufpassen. Das gilt für die Menschen im Westen wie im Osten Deutschlands. Immer neue und immer mehr Schulden treiben die Zinsen und Hypotheken hoch, Kredite kann sich kaum noch einer leisten. Auch eine Mehrwertsteuererhöhung trifft vor allem die Schlechterverdienenden. Unsere Alternative heißt sparen. Warum muß der Jäger 90 noch gebaut werden? Wir werden die
Verteidigungsausgaben kürzen! Die Menschen wollen nicht beschwindelt werden, sie wollen ehrliche Antworten schon vor der Wahl.
({0})
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was daran schlimm ist, wenn man den Leuten vor der Wahl die Wahrheit sagt.
Meine Damen und Herren, das Wort zu einer weiteren Zwischenbemerkung hat der Abgeordnete Schmitz ({0}).
Herr Präsident! Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, daß der Kollege Großmann dies hier vorgetragen hat.
- Ich habe mich auf ein Plakat bezogen, das er, seine Partei, vor einem Lokal in unserem Wahlkreis aufgeklebt hatte. Darauf stand ausschließlich - es war rot und hatte eine schwarze Schrift - : „Die Wiedervereinigung kostet unser Geld. Wir müssen aufpassen."
- Darauf habe ich mich bezogen. Was der Kollege Großmann hier vorgelesen hat, war nicht die Anzeige, die er veröffentlich hat.
({0})
Meine Damen und Herren, vielleicht können wir die Reihe der Vergleiche ja fortsetzen. Vielleicht kann man das andere Plakat auch noch beschaffen.
Das Wort in der Debatte hat nun der Abgeordnete Dr. Schnell, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, daß Herr Waigel nicht mehr hier ist. Ausnahmsweise ist es auch einmal schade, daß der Bundeskanzler nicht hier ist. Ich hätte nämlich auch ihm ganz gern persönlich etwas gesagt.
({0})
- Ich hoffe, daß er das tun wird, daß er sich die Zeit dafür nehmen kann. Als Vertreter aus den neuen Ländern hätte ich den beiden gern direkt etwas gesagt.
Bei der Rede von Herrn Waigel blieb mir in der Tat die Spucke weg. Wer sich so vehement verteidigt, wie es Herr Waigel tut, der klagt sich selbst an, und zwar zu Recht, so denke ich; denn er hat hier für seine Zwecke ein Horrorszenario an die Wand gemalt mit dem Ziel, daß das Nichtstun letztendlich noch als heroische Wohltat am deutschen Volk erscheinen sollte. Er sagte, wir brauchten uns nicht zu schämen. Dazu sage ich nur: Ich schäme mich im Namen der Ostdeutschen für Sie gleich mit, da Sie das offenbar verlernt haben.
({1})
Es ist auch schade, daß Herr Borchert und Herr Bohl nicht mehr hier sind.
({2})
Herrn Borchert hätte ich nämlich gern gesagt, wenn der TED, der Fernsehcomputer, seine Rede gehört hätte, dann hätte er wahrscheinlich nicht einmal 25 %, sondern nur 10 % bekommen. Mehr wahrscheinlich nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Menschen bei uns in den neuen Ländern sind angesichts der Gleichzeitigkeit und der Härte der anfallenden und sich aufstauenden Probleme verständlicherweise sichtlich überfordert, und die Bundesregierung offensichtlich auch. Nur wenige verstehen die komplizierten Regelungen zum Beispiel im Recht, in der Verwaltung, bei Eigentumsfragen und nicht zuletzt bei Steuerfragen. Das alles ist absolutes Neuland. Und dann kommt die Regierung mit diesem unsozialen, unausgewogenen Verzweiflungssteuerpaket,
({3})
mit einer Telefonsteuer im Vorfeld zur Einstimmung auf weitere Überraschungen, so denke ich, mit diesem Abgabenunfug, der ökologisch geringe Wirkung zeigen wird - aber eine große Wirkung soll das wahrscheinlich auch nicht haben - , und schließlich mit diesem Haushalt!
({4})
In der Debatte zum Haushalt 1990 war diese „Weiter so! "-Strategie schon als auffällig bezeichnet worden. Nun, mitten in den riesigen gesellschaftlichen Umwälzungen in Deutschland, sollte man gut sichtbare Zeichen erkennen dürfen. Aber: Dieser nullte Haushaltsentwurf sieht so aus, als hätte die deutsche Einheit überhaupt nicht stattgefunden.
({5})
- Dazu komme ich noch.
({6})
- Lassen Sie mich darauf antworten: Deutschland ist vereinigt, weil der Druck von uns aus dem Osten gemacht wurde.
({7})
Der 3. Oktober wurde nicht von Ihnen gemacht, sondern der wurde von der SPD, von der CDU, von der DSU - damals gab es ja die DSU noch -, also von uns beschlossen - die FDP war auch noch dabei - und nicht - das möchte ich einmal dazusagen - von Ihnen, meine Damen und Herren. Sie tun immer so
- Herr Bohl hat vorhin auch so getan - , als ob das Tempo der deutschen Einheit von Ihnen bestimmt
worden wäre. Das ist, glaube ich, ein ganz großer Trugschluß.
({8})
Die Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit, besonders was die konkreten Anteile der Projekte in den neuen Ländern betrifft, sind in fröhlicher Selbstüberschätzung mißachtet worden. Es ist - das würde ich Herrn Waigel sagen, sofern er noch da wäre - ein Ermächtigungshaushalt,
({9})
eine Entmündigung des Kabinetts. Ich bin in besonderer Weise darüber erschreckt, daß die Damen und Herren Minister sich das in der Form alles haben gefallen lassen.
({10})
Es sei mir gestattet, dieses an einem Beispiel aus dem Bereich Forschung und Technologie kurz zu belegen: Die Mittel in Höhe von 800 Millionen DM vom BMFT, für die ehemalige AdW beantragt, wurden dort gestrichen und finden sich zum Teil und unaufgeschlüsselt im Einzelplan 60 wieder. Unsere Wissenschaftler verschwinden also in der allgemeinen Finanzverwaltung. Im nächsten Jahr dann verschwinden unsere Wissenschaftler, sofern noch als solche tätig und verfügbar, im Einzelplan 30, als reduzierte Größe. Forschung und Technologie - das sollte jedem klar sein, finde ich - ist aber ein Schlüssel für die Zukunft unserer neuen Länder. Natürlich muß darüber nachgedacht werden, den BMFT-Haushalt angemessen zu erhöhen, auch und besonders zugunsten der neuen Länder. Natürlich müssen übergangsweise der Bundesanteil der Mischfinanzierungen erhöht werden und die 91er Finanzierung der AdW vom Bund sichergestellt werden. Die Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Das werden die weiteren Lesungen ans Licht befördern.
Wir werden jedenfalls darauf drängen, daß Forschung, Technologie und Wissenschaft in den neuen Ländern nicht kurzsichtig zugrundegespart werden, daß im Gegenteil eine angemessene Soforthilfe das Überleben von Instituten ermöglicht. Das Moratorium hat leider nur formalen Charakter gehabt und zeigt nicht die Wirkungen, die beabsichtigt waren. Wir werden darauf drängen, daß Raumfahrtforschung und Kernenergieforschung zugunsten dringend notwendiger Forschungsergebnisse in den Bereichen Umweltschutz, Energietechnik, regenerierbare Energien, Kommunikation, Verkehr und Arbeit heruntergefahren werden.
({11})
und daß im Haushaltsplan klar ersichtlich wird, was in welchem Umfang in Richtung neue Länder fließen soll.
Da wir gerade bei diesem Thema sind, möchte ich an Herrn Möllemann und Herrn Töpfer die Bitte weitergeben, daß sie die neuen Länder nicht mit Kernkraftwerken vollpflastern. Das wird sonst noch ein böses Ende nehmen.
({12})
Natürlich sehe ich dabei auch die durchgängige und mit den Jahren steigende Mitverantwortung und Eigenverantwortung der Länder im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit.
Meine Damen und Herren, wie denkt man nun im Osten über all das? - Ich habe, um das herauszufinden, etwas gemacht, was Ihnen, den wenigen Frauen und erfahrenen Herren aus der schwarzen Ecke hier,
({13})
Herrn Waigel und Herrn Kohl - Entschuldigung, ich hätte auch „kohlrabenschwarze Ecke" sagen können -,
({14})
nicht im Traum eingefallen wäre. Ich bin zu den Menschen gegangen, nicht vor der Wahl, sondern vorige Woche. Ich bin also zu den Brüdern und Schwestern im Osten - von Ihnen sagen einige ja noch: DDR - gegangen und habe diese Menschen nach ihren Befindlichkeiten befragt, nicht nach dem Kanzler und auch nicht danach, ob es irgendein Wahlversprechen von ihm gibt, das gehalten wurde;
({15})
darauf ist man dann von ganz allein gekommen.
„Wir sind nicht von der Politik enttäuscht", habe ich gehört, „sondern von Kohl." Eine seltsame Aussage und interessante Trennung, die man eigentlich kommentieren müßte. Es wurde also gar nicht CDU gewählt, sondern Kohl. Aber das kann man inzwischen auch in den Zeitungen nachlesen, sogar in „Bild", Ihrem Leib- und Magenblatt. Dort gibt man dem Kanzler die Richtung, die aus seiner eigenen Partei offensichtlich nicht kommen darf: Umfaller, mach endlich ernst! Wir sind ein Volk!
({16})
Da kommt auch die Frage: Weshalb sitzen so viele Leute aus dem innerdeutschen Ministerium noch immer in Bonn herum?
({17})
Warten sie vielleicht erst auf die Entscheidung über Regierungs- und Parlamentssitz?
Nur zu sagen, es muß einfach klappen, wie der Herr de Maizière aus Ihrer Partei, ist als Programm zum Aufbau der neuen Länder wohl etwas dürftig, schildert aber den Stand der Überlegungen in Ihrer Partei: punktuelle Initiativen von niemandem koordiniert.
({18})
Das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost wurde in der „FAZ" folgendermaßen gewürdigt - ich zitiere - : „Der Prozeß der wirtschaftlichen und sozialen Vereinigung droht unter einem Programmwust erdrückt zu werden."
({19})
Warum werden eigentlich nicht sofort zehntausend Beamte - ich denke eher an mehr - dienstverpflichtet und in die neuen Länder geschickt? Das wird dort gefragt. Es gibt tausend berechtigte Fragen an die Bundesregierung, die immer noch entweder in kollektiver Schreckhaltung verharrt
({20})
oder nach dem Prinzip „jeder gegen jeden" rumstreitet: Huber gegen Genscher und damit gegen Kohl, Möllemann gegen den Grafen Lambsdorff und den Rest der Partei, CSU gegen FDP, Gauweiler gegen Waigel usw., statt jetzt nach dem Prinzip alle für alle die Ärmel hochzukrempeln für die tatsächlich größte historische Aufgabe der Deutschen nach dem Kriege. Hier zeigt sich, daß Sie die wirkliche Dimension der vor uns liegenden Aufgabe noch nicht wahrgenommen haben.
({21})
Außer Minister Möllemann, der sich die Forderung der SPD, die wir seit Monaten massiv einklagen, teilweise zu eigen gemacht hat, wie versprochener Vertrauensschutz, für den Osthandel immerhin 42 % des Volumens, der eigentlich Teil des Einigungsvertrages ist; aber selbst das muß man immer wieder einfordern, wie Entschädigung vor Rückgabe von Eigentum, d. h. auch die Entschädigungsregelung muß sofort her. Daß inzwischen die Niederlage eingetreten ist, brauche ich hier nicht zu erwähnen.
({22})
Weiter ist der soziale Wohnungsbau zu nennen; es fehlen 2,5 Millionen Wohnungen, eine Million in den neuen Ländern, d. h. 200 000 Sozialwohnungen pro Jahr. Hier geht es einerseits darum, den vor der Pleite stehenden Wohnungsunternehmen kostendeckende Einnahmen zu verschaffen und andererseits den Mietern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Die Anbindung der Treuhand an das Wirtschaftsministerium ist nicht ganz abwegig, wie ich meine,
({23})
aber wirklich wichtig ist jetzt, daß die Treuhand die Baukombinate privatisiert, in die Freiheit entläßt und dezentralisiert, damit es auf diesem Markt zur Konkurrenz kommt. Wenn zwei Treuhandbetriebe anbieten, sind Preisabsprachen zu befürchten. Gerade im Bereich Hoch- und Tiefbau, dem Straßenbau, Wohnungsbau und bei Telekom können so sehr viele Arbeitsplätze geschaffen werden, die zugleich die Infrastruktur anpacken.
({24})
- Ich sage nichts gegen die 5 Milliarden DM. Hier müßten Existenzgründungen besonders gefördert werden.
Ich fahre fort mit den späten Möllemann-Einsichten, wie Altlastensanierung in den neuen Ländern durch den Bund, wie Forderung nach einem sozial gerechten Steuer- und Abgabenpaket - das ist nicht von Möllemann, aber da kommt er noch hin -,
({25})
wie Änderung des Einigungsvertrages in dringenden Punkten. Ich kann da nur sagen: Weiter so, Herr Möllemann! Auch der DGB wird sich zu Recht freuen.
({26})
Die SPD sagt jedenfalls ja zu massiven Einsparungen zugunsten der neuen Länder. Das sollte in jedem Einzelplan sichtbar werden; da haben Sie bisher versagt. Die SPD sagt ja zu gemeinsamer Verantwortung, ja zu den ersten Schritten, den neuen Ländern finanziell unter die Arme zu greifen.
Daß Geld allein nicht ausreicht, um Solidarität zu praktizieren, wissen inzwischen hoffentlich alle. Hier liegt aber wohl das größte Problem: Strukturen zu schaffen und mit den geeigneten Personen zu besetzen, damit das Geld schnell an die richtigen Stellen abfließen kann, d. h. Verwaltungshilfe, flächendekkende Informationskampagnen, handhabbare Gesetze und Durchführungsverordnungen. Hier sind wir wirklich alle gefordert. Wir sagen konsequent nein zur Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd.
Die Sozialdemokraten befürworten alle sozial ausgewogenen Sofortmaßnahmen, aber auch und besonders die weitsichtigen Maßnahmen - damit meine ich u. a. Infrastrukturausbau - , die angetan sind, für den schnellen wirtschaftlichen Erfolg zu sorgen und damit die Angleichung der Lebensverhältnisse zu beschleunigen.
Wir fordern die Kommunen in Westdeutschland auf, besonders an kleinere Städte und an Städte mittlerer Größe der neuen Länder qualifizierte Mitarbeiter für längere Zeit - ich denke an zwei bis drei Jahre - abzustellen. Die gewählten Bürgermeister sind aus dem Umbruch vorgegangen und können noch keine Fachleute sein. Das betrifft besonders die Bereiche Finanzen, Bau und Recht. Zur Umsetzung der jetzt bereitgestellten Mittel brauchen diese Leute Assistenz.
Denken Sie auch daran, daß alles, was die Regierung bisher versäumt hat, in Unmut und Druck der Bevölkerung auf die neugewählten Kommunalvertreter umschlägt. Ich jedenfalls habe Hochachtung vor den Leistungen unserer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die unter widrigen Umständen das öffentliche Leben aufrechterhalten.
({27})
Mein Dank gilt gleichermaßen den vielen gewählten Kommunalvertretern und den Helferinnen und Helfern aus den Alt-Bundesländern.
({28})
Wir erwarten für den öffentlichen Nahverkehr der neuen Länder Gleichbehandlung mit Großregionen in Alt-Ländern, z. B. München, Hamburg, Hannover oder der Rhein-Ruhr-Region, wo sich der Bund an Defiziten beteiligt. Ich habe von 3,5 Milliarden DM gehört. Auch die Treuhand hat hier eine große Verantwortung. Der Nahverkehr darf nicht zusammenbrechen. Herr Krause ist nun leider nicht da. Ich hätte ihm das auf den Weg geben können.
({29})
Ein Zusammenbrechen hätte katastrophale Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Ich habe weiter gefragt und habe gehört: „Es ist bitter, wenn man an die Zukunft denkt. So haben wir uns das nicht vorgestellt." Das sagte mir eine junge, arbeitslose Frau mit Tränen in den Augen, und zwar nicht ob der historischen Stunde, sondern aus tiefer persönlicher Betroffenheit, die ich beim Bundeskanzler komplett vermisse. Auch Scham kann eine Tugend sein, meine Damen und Herren. Wann entschuldigt sich der Bundeskanzler endlich beim deutschen Volk?
({30})
Oder soll es so weitergehen, wie es eine deutsche Zeitung kommentiert: Kurs halten! Weiter lügen!?
Die Deutschen in den neuen Ländern fühlen sich verschaukelt oder - wie Graf Lambsdorff vor Brandenburgern eingestand - buchstäblich „verkohlt" und haben ganz einfach Angst. Sie haben berechtigte Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Damit male ich nicht den Teufel an die Wand, stelle allerdings fest, daß die Verharmlosungsspezialisten der Koalition die unangenehme Wahrheit wieder nicht ertragen können.
Sie haben berechtigte Sorgen um Wohnraum, der erschwinglich ist. Hier müssen die Ungewißheiten und Spekulationen ein schnelles Ende finden. Sie haben berechtigte Sorgen um die Sicherung eines angemessenen Lebensunterhalts. Sie haben berechtigte Sorgen um eine ordentliche Altersversorgung, besonders im Pflegefall. Das ist nicht das Ende der Liste. Sie haben insbesondere berechtigte Sorgen, Angst und Zweifel, daß die jetzige Bundesregierung die Probleme überhaupt sieht, real einschätzt und sozial und wirtschaftlich verantwortlich handelt.
Diese Sorgen teile ich in vollem Umfang. Ich füge hinzu: Nur wenig an der gegenwärtigen Lage - einiges gestehe ich Ihnen zu - in den neuen Ländern war völlig unvorhersehbar. Ich habe die berechtigte Sorge, daß Sie die Probleme auch weiterhin nicht sehen wollen und alles Wichtige aussitzen werden.
Wir, die Sozialdemokraten, haben zu all den Fragen Maßnahmepakete und Programme vorgelegt: zur Wohnungswirtschaft, zur wirtschaftlichen Einheit, zur
Landwirtschaft, zum Gesundheitswesen, zur Altersversorgung und vieles mehr. Wo eigentlich bleiben jetzt, nachdem fast ein Jahr vergangen ist, Ihre in sich schlüssigen Maßnahmepakete? Ich meine nicht Geldpakete; das reicht nicht aus.
({31})
Wir brauchen Maßnahmepakete, Pläne und Entschließungen für ein Solidarprogramm Ost und Gesamtdeutschland. Ich denke, auch die Altländer haben einen Anspruch darauf. Diese Maßnahmepakete würden wir jetzt gerne auf dem Prüfstand sehen.
Natürlich muß eine wahrheitsgemäße Perspektive vermittelt werden, die auch Mut, Erfolg und Hoffnung weitergibt, die hilft, mehr Selbstbewußtsein zu bilden, aber auch mit Bescheidenheit umzugehen weiß. Da ist die alte Bundesrepublik nicht unbedingt ein Vorbild.
({32}) Wäre ich der Kanzler der staatlichen Einheit
({33})
und hätte ich als Kanzler der Einigung der Deutschen so jämmerlich versagt, würde ich hier und heute zurücktreten.
({34})
Vielen Dank.
({35})
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Roth ({0}), CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An ätzender Kritik hat es seitens der SPD in den letzten Wochen und Monaten und auch in der heute geführten Debatte - da schließe ich besonders den letzten Beitrag des Kollegen Dr. Schnell ein - wahrlich nicht gefehlt.
({0}) Wohl aber hat es gefehlt
({1})
an ein bißchen Anstand und an einer vernünftigen Argumentationslinie, insbesondere an schlüssigen Alternativkonzepten und an einer wirklich plausiblen Gegenstrategie.
({2})
Ich habe nicht gehört, daß sich einer Ihrer Redner zu der Behauptung verstiegen hätte, wir hätten mit einer anderen als der von dieser Bundesregierung eingeschlagenen Richtung die deutsche Einheit zu besseren Bedingungen bekommen oder wir hätten ein besseres Konzept vorgelegt bekommen, um die SchwieAdolf Roth ({3})
rigkeiten des Aufholprozesses in Deutschland meistern zu können.
({4})
Deshalb, Herr Kollege Walther, fehlt es der Opposition in dieser Debatte nicht nur an Durchschlagskraft, sondern auch an Glaubhaftigkeit.
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
({0})
Herr Kollege Roth, ich würde Sie gerne fragen, ob Sie den Satz wirklich so gemeint haben, wie Sie ihn gesagt haben: Wir haben die deutsche Einheit zu günstigsten Konditionen bekommen. „Wir" kann ja wohl nur heißen „Wir Westler zu Lasten der Ostbürger" .
Herr Kollege, das ist wirklich eine absurde Einlassung. Ich meine mit den Bedingungen der deutschen Einheit die außenpolitischen und auch die wirtschaftspolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen die Entscheidungen im letzten Jahr sehr zielsicher von Bundeskanzler Helmut Kohl getroffen worden sind ({0})
einschließlich der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die ja von Ihrem Kanzlerkandidaten damals vehement bekämpft wurde.
({1})
Meine Damen und Herren, sich angesichts dieser Sachlage zu rühmen, man habe den Schaden der sozialistischen Mißwirtschaft und ihre Folgen für den Aufholprozeß zutreffender quantifiziert als andere, ist auf der einen Seite dünn genug, auf der anderen Seite kontrastiert es in erschreckendem Maße mit den gravierenden Fehleinschätzungen der deutschen Sozialdemokratie über den SED-Staat von gestern.
({2})
Meine Damen und Herren, ich möchte in meinem Beitrag noch einmal auf das Problem der externen Haushaltsbelastungen zurückkommen, die uns in diese unangenehmen Handlungszwänge gebracht haben und die heute eine große Rolle in der Debatte gespielt haben. Den Golf-Krieg einmal ganz beiseite gelassen - wer von Ihnen hat eigentlich die enormen Haushaltsrisiken, die aus den fundamentalen Änderungen im osteuropäischen Wirtschaftssystem herrühren und die die Industrie in den neuen Bundesländern in geradezu dramatische Übergangs- und Umstellungsschwierigkeiten gezwungen haben, zuverlässig untersucht, und zu welchen Ergebnissen sind Sie dabei gekommen?
Meine Damen und Herren, diese Frage zu stellen, heißt, die Operationen der Treuhandanstalt und des
Kreditabwicklungsfonds in die Betrachtung einzubeziehen.
({3})
- Ja, Herr Kollege Wieczorek, ich will diesen Zwischenruf gerne aufnehmen. Natürlich müssen wir das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit im Zusammenhang sehen.
({4})
Das verweigert auch niemand. Das ist auch die Mahnung der Bundesbank gewesen. Wir müssen aber auch die Ursachen begreifen, warum sich die Situation in dieser Form zugespitzt hat. Da spreche ich einmal über die Finanzsituation der Treuhandanstalt.
({5})
Es ist zwar vernünftig, daß sich das Urteil über die Arbeit der Treuhandanstalt jetzt bei einigen etwas freundlicher gestaltet - wir begrüßen das auch -, auf der anderen Seite ist es ernüchternd genug, wenn man einen Blick in den Finanzrahmen und den Wirtschaftsplan der Treuhandanstalt wirft. Danach ist es in der Tat zutreffend, daß in diesem Jahr bis zum Jahresende ein Finanzierungsdefizit von insgesamt 21 Milliarden DM auflaufen wird und daß die Privatisierungserlöse von 14 Milliarden DM nicht annähernd reichen, um die Zinslasten für betriebliche und staatliche Altschulden, für Refinanzierungskredite, für Abwertungsverluste und für Abwicklungskosten daraus zu finanzieren. Das ist wohl wahr.
Sie müssen aber auch sehen, was noch an weiteren Belastungen hinzukommt: Stillegungskosten 2 Milliarden DM, Barzuschüsse bei Privatisierung 1 Milliarde DM, 4 Milliarden DM für Altlastensanierung, dann mehrere Milliarden Entschädigungen für gewährte Bürgschaften und - darauf möchte ich in besonderer Weise zu sprechen kommen - mehrere Milliarden Exporthilfen mit Schwerpunkt Sowjetunion. Da schließt sich nämlich der Kreis.
Durch die Verflechtung der ehemaligen DDR oder der neuen Bundesländer in die Ökonomie der RGW-Staaten ist doch ein Risiko auf uns zugekommen, das in dieser Größenordnung von niemandem zuverlässig vorausgeschätzt werden konnte. Ich füge hinzu: Insofern ist es schon fast peinlich, wenn Herr Lafontaine heute davon gesprochen hat, man habe seitens der Bundesregierung den Verfall industrieller Kapazitäten in diesem Prozeß bewußt in Kauf genommen.
({6})
Richtig ist etwas ganz anderes: Wir haben alle Anstrengungen unternommen, daß jetzt in den neuen Bundesländern die dortigen Industrien in ihrer spezifischen Ausrichtung auf die Ostmärkte nicht abrupt zusammenbrechen. Wir müssen jetzt Hilfen durch Bürgschaften, durch Sonderkonditionen bei Hermes und durch vieles andere geben, um ihnen wenigstens ein gewisses Überleben zu erleichtern. Das ist jetzt wichtig.
Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?
Adolf Roth : ({0}) ({1}): Ja.
Bitte, Herr Wieczorek.
Herr Kollege Roth, Ihre Analyse ist zutreffend.
({0})
Ich bin sehr froh, daß Sie die Beurteilung genauso abgeben wie auch wir. Ich frage Sie jedoch, ob Sie mir zustimmen, daß die jetzt vorliegenden Haushaltsplanungen der Treuhandanstalt schon im November aufgestellt wurden und all die Werte, die Sie jetzt hier nennen, schon im November der Regierung hätten bekannt sein müssen, hätte sie sich um Klarheit bemüht?
Herr Kollege Wieczorek, es geht überhaupt nicht ausschließlich um den Wirtschaftplan und den Finanzrahmen der Treuhandanstalt. Er liegt bis jetzt noch nicht vor. Es gibt bis jetzt nur Einschätzungen in einem Rahmen, der auch im Parlament noch einer detaillierteren Beratung bedarf. Aber wir müssen in diese Gesamtrechnung die Übernahme der Verschuldung einbeziehen, die bis Ende 1993 im Kreditabwicklungsfonds aufläuft. Auch dort gibt es Parallelen und Hintergründe, die sehr wohl mit der Verflechtung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern mit dem ehemaligen RGW-Bereich zu tun haben.
Dazu möchte ich einmal eine Position herausgreifen, und zwar die Gewährträgerhaftung gegenüber der Staatsbank Berlin. Im Forderungskatalog der Berliner Staatsbank ist eine Summe von 23 Milliarden DM allein aus dem Jahresverlauf 1990 eingebucht. Es handelt sich um eine Forderung aus dem Transferrubelgeschäft mit der Sowjetunion und mit anderen osteuropäischen Staaten. Diese Forderungen müssen im Jahresverlauf in bilateralen Verhandlungen erst bewertet werden. Welche Werthaftigkeit diese Forderungen dann haben werden, ist sicher eine ganz andere Frage.
Vor diesem Hintergrund, sage ich, ist es durchaus richtig und notwendig gewesen, daß der Bundesfinanzminister - und er hat es heute in seiner eindrucksvollen Haushaltsrede begründet ({0})
auch eine gewisse Haushaltsvorsorge getroffen hat; eine Haushaltsvorsorge, die nicht nur auf das Jahr 1991 bezogen ist, sondern die auch den Blick auf das Ende der Finanzplanungsperiode, insbesondere auf die zweite Hälfte 1992 bis 1994, richtet.
So gesehen sind die Finanzierungskosten, insbesondere die Zinsbelastung des Bundes für den Kreditabwicklungsfonds, jetzt im Haushalt mit gerade 3,2 Milliarden DM veranschlagt, ja nur eine Momentaufnahme. Sie decken gerade ein Drittel des Gesamtaufwands ab, der im Kreditabwicklungsfonds im Jahre 1991 haushaltsmäßig abgesichert werden muß.
Wenn die Gesamtverschuldung Ende 1993 ein endgültiges Bild ergibt und diese aufgelaufene Verschuldung dann auf den Bund und auf die Länder umgebucht werden muß, wird sich sicher auch für die langfristigen Haushaltsbetrachtungen ein anderes Bild ergeben. Von daher, meine ich, ist es verantwortbar und richtig, daß heute für diese Punkte eine gewisse Haushaltsvorsorge durch Verbesserung der Einnahmesituation betrieben wird.
Die Umstellung des osteuropäischen Außenhandels vom Transferrubelverrechnungsverkehr auf harte, also konvertierbare, Währung und ein System freier Preise, ist ein wichtiger Schritt in eine verbesserte Struktur mit marktwirtschaftlichem Charakter. Es ergeben sich daraus dramatische Devisenprobleme und sonstige Übergangsprobleme, aber auch große Chancen für uns.
Ich sage: Wenn wir jetzt als Bundesrepublik Deutschland dafür einstehen und bereit sind, die Rahmenbedingungen für diese Entwicklung durch eigene Anstrengungen zu verbessern und auch über den eigenen Schatten zu springen und manche der bis dato üblichen Konditionen verbessern, dann können wir von der Sowjetunion und von anderen Staaten eine ebensolche Anstrengung erwarten, so daß sie im Rahmen der Umstrukturierung ihres Wirtschaftssystems auch in der Exportfähigkeit ihrer Wirtschaft Fortschritte machen;
({1})
denn wir können nicht in ein Faß ohne Boden liefern und dann als Bund die Gewährshaftung dafür übernehmen.
Insofern sind die 4 Milliarden DM, die wir allein in diesem Jahr an Entschädigungen im Gewährleistungsetat aufwenden müssen - kaum eine Milliarde DM davon ist durch Einnahmen abgedeckt -, längst nicht mehr exportpolitisch begründet, sondern in sehr viel größerem Umfang außenpolitisch. Wenn dies so ist, müssen wir diese neue Verantwortung Deutschlands, die auch eine außen- und weltpolitische Komponente hat, hier vernünftig diskutieren und nicht mit kleinkarierter Kritik der Opposition.
({2})
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt Gott sei Dank eine Verfassung unserer Kapitalmärkte, wo es keinen Vertrauenseinbruch gegeben hat. Wir haben im letzten Jahr ein Sparaufkommen in Höhe von 200 Milliarden DM gehabt. Wir haben eine hohe Sparquote von 13,4 Prozent gehabt. Wir haben heute bei den öffentlichen Rentenmärkten eine Umlaufrendite, die wieder den Stand von Anfang 1990 erreicht hat. All das, was Sie damals behauptet haben, ist nicht eingetreten.
({3})
Wir haben vielmehr mit dieser Politik Vertrauen geschaffen. Dieses Vertrauen wird für die Investoren und für diejenigen, die bei der Aufholjagd in den neuen Bundesländern eine besondere Verantwortung tragen müssen, wichtig sein. Es geht längst nicht mehr darum, wie wir an das Geld herankommen; das haben wir jetzt mit dem Gemeinschaftswerk Aufschwung
Adolf Roth ({4})
Ost der deutschen Öffentlichkeit und dem Parlament in eindrucksvoller Form vorgelegt.
({5})
Es geht jetzt darum, wie wir dies umsetzen. Auch da bitte ich um eine faire Mitarbeit der Opposition. Ich bitte um die Anstrengung aller. Die CDU/CSU als Fraktion in diesem Hause ist dazu bereit und in der Lage.
Herzlichen Dank.
({6})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Kriedner, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mich mit einigen Beiträgen auseinandersetzen, die heute hier geleistet worden sind. Ich muß Ihnen sagen - leider sehe ich den Kollegen der SPD-Fraktion, Herrn Poß, hier nicht - : Das, was Herr Poß hier abgeliefert hat, ist schon in der gesamten Didaktik bemerkenswert. Ich habe selten eine Rede innerhalb von 20 Minuten gehört, in der so viele Invektiven vorgekommen sind: „Lüge", „gelogen", „dreist", „unehrlich", „Dilettantismus", „schmählich" , „Wählertäuschung".
({0})
- Ist das sein Programm?
({1})
- Ich dachte, es wäre sein Programm.
({2})
- Entschuldigen Sie bitte. Er hat sich in diesen Worten gewälzt wie das Meerschweinchen in der Kleie.
({3})
- Ja, ja, Herr Waigel, ich habe die Verkleinerungsform gewählt.
Ich bin aber gerne bereit, Herrn Poß hilfreich zur Seite zu stehen, wenn er sein Schimpfwörter- und Schmählexikon herausgibt.
Meine Damen und Herren, ich will meine Rede nur deswegen damit einleiten, weil ich der Meinung bin, daß wir uns hier im Deutschen Bundestag keinen Gefallen tun, wenn wir uns auf diese Ebene der gegenseitigen Auseinandersetzung begeben.
({4})
Ich muß ganz ehrlich sagen: Von der PDS erwarte ich nichts anderes. Mein besonderer „roter Freund" , Herr Briefs, hat das natürlich in einer ihm eigenen Art und Weise getan.
({5})
- Vielleicht, Herr Kollege, haben Sie die Ironie in meinen Worten schon gemerkt.
({6})
- Ich schrecke vor nichts zurück.
({7})
- Eben. Er hat hier eingangs gesprochen, hier würden Predigten gehalten. Ich muß Ihnen sagen: Ich habe keine Predigt gehört. Bei Ihnen, Herr Briefs, aber habe ich eine Parteitagsrede gehört.
({8})
Das kam insbesondere bei Ihrem dritten Redebeitrag ganz deutlich zum Ausdruck. Sie haben da nämlich genauso langweilig abgelesen, wie das früher auf Parteitagen im Osten üblich war. Das war schon sehr interessant.
({9})
- Lieber Herr Kollege Briefs, man muß seine Gegner studieren, damit man sie richtig beurteilen kann. Das habe ich besonders bei den ganz Linken immer getan. Ich habe sie mir immer sehr genau angeguckt; denn nur deshalb kann ich mir heute eine Beurteilung Ihres Auftritts hier leisten.
({10})
- Das gilt auch für die ganz Rechten; aber sie sind Gott sei Dank nicht in diesem Haus; dafür bin ich sehr dankbar.
Lassen Sie mich noch etwas zum Beitrag des Kollegen Schnell sagen. Herr Schnell - der Name verführt ein bißchen dazu - , Sie haben bei der West-SPD fast etwas zu schnell gelernt.
({11})
- Ich bemühe mich, das Gute zu lernen und das auszulassen, was vielleicht falsch ist, Herr Kollege.
({12})
- Das sage ich Ihnen hinterher im Privatissimum.
Ich will zu Herrn Schnell sagen: Wir haben durchaus Hochachtung vor den Beiträgen, die Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern geleistet haben. Auf kommunaler Ebene gibt es dort ganz gutes Zusammenarbeiten. Aber Herr Schnell, ich muß Ihnen sagen: Sie sollten in der Auswahl Ihrer Vokabeln vorsichtig sein. Wer in diesem Hause Begriffe wie „Ermächtigungshaushalt" gebraucht, sollte eigentlich wissen, daß dieser Begriff vorbelastet ist, und ich halte ihn für schlimm.
Sie vermissen Maßnahmenkataloge - wenigstens haben Sie das hier beklagt - der Bundesregierung. Dazu muß ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung hat in der Tat etwas schneller gehandelt, als Sie es hier behauptet haben. Es gibt Maßnahmenkataloge.
Das, was Sie sagen, ist etwas rabulistisch: Wenn es nämlich keine Maßnahmenkataloge gibt, dann vermissen Sie sie, und wenn es einen Maßnahmenkatalog gibt - das haben Sie in derselben Rede gesagt -,
dann erklären Sie, das sei ein „unübersichtlicher Wust" von Maßnahmen. Was von beidem stimmt denn nun? Sie sollten sich in diesem Punkt einmal entscheiden, wenn Sie hier eine Rede halten.
Ich will hier auf einen für mich sehr wichtigen Maßnahmenkatalog eingehen, der seine Wirksamkeit in den neuen Bundesländern ganz sicher zeigen wird. Dieser Maßnahmenkatalog, der überschrieben ist mit „Katalog Aufschwung Ost", zeigt eigentlich, daß man sich mit den Schwierigkeiten sehr intensiv auseinandergesetzt hat. Allem voran steht das 5-MilliardenDM-Programm, das die Kommunen in die Lage versetzt, morgen früh anzufangen.
({13})
- Es freut mich, Frau Matthäus-Maier, daß wir in einem Punkt übereinstimmen.
({14})
- Ja, gut, aber das kann man immer sagen. Es wird immer so sein, daß die Opposition all das, was die Regierung tut, für zu spät hält.
({15})
- Ja, die Einigung kam ihr zu schnell; das stimmt.
Ich will zu diesem Programm, das in den Landkreisen und Gemeinden wirksam werden soll, etwas sagen. Ich möchte von dieser Stelle aus an die Landkreise und Gemeinden appellieren: Nehmen Sie dieses Programm nicht nur an, sondern beschäftigen Sie die Betriebe in den neuen Bundesländern.
({16})
Geben Sie möglichst nicht einen einzigen Auftrag hier herüber; denn es ist ein Programm für die Gemeinden in den neuen Bundesländern, und dieses Geld, jeder Pfennig von den 5 Milliarden DM, wird bitter gebraucht.
Wer von uns in seinem Wahlkreis in den neuen Bundesländern Gespräche führt, weiß sehr genau, wovon ich rede. Gerade der dortige Mittelstand braucht die Unterstützung, die mit diesem Programm gegeben werden soll.
Ganz besonders sollten auch soziale Belange bedacht werden, beispielsweise die Sozialeinrichtungen wie Kindertagesstätten, wie Krankenhäuser. Jede Gemeinde wird in ihrem Bereich etwas finden, wo sie dieses Programm wirksam umsetzen kann.
In dem Programm, Herr Schnell, steht auch etwas über Verwaltungshilfen. Ich bin froh, daß der Bund in diesem Bereich etwas tut. Aber mir fehlt insbesondere bei den Gemeinden im Altbundesgebiet häufig das nötige Engagement. Es sind einige dabei, die sehr viel tun. Aber es gibt einige, die sich vornehm zurücklehnen, die Hände über einen Wohlstandsbauch falten und auf diesem Gebiet nichts tun. An diese möchte ich von hier aus appellieren: Tut etwas! Jede Gemeinde im Osten, jeder Landkreis sollte hier einen Partner haben, der nicht nur mit Worten, sondern auch praktisch - besonders in der Verwaltung - mit Personen hilft.
({17})
Das ist ein Appell, den ich von hier aus an die Gemeinden im Altbundesgebiet richten möchte.
Herr Kollege Kriedner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wieczorek ({0})?
Sehr gerne von einem Kollegen aus dem Haushaltsausschuß, den ich inzwischen wegen seiner Sachlichkeit dort schätzen gelernt habe.
Herr Kollege, ich würde gerne von Ihnen wissen, ob die Bundesregierung eine Novellierung der Verdingungsordnung für Bauleistungen vorsieht. Wenn Sie wollen, daß die Aufträge nach Möglichkeit in den neuen Ländern bleiben sollen, was sie ja auch sollen, dann müssen Sie die Voraussetzungen dafür schaffen. Das heißt, Sie müssen die Verdingungsordnung so novellieren lassen, daß das überhaupt möglich ist; denn das Geld des Steuerzahlers kann ja nur in optimaler Verwendung eingesetzt werden. Dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.
Herr Kollege Wieczorek, ich danke Ihnen dafür, daß Sie das erwähnt haben; das habe ich schon in einigen Gesprächen gehört. Wenn die Bundesrepublik Deutschland/alt im Jahr 1949 und Anfang der 50er Jahre mit solchen Problemen hätte arbeiten müssen, dann würden wir uns vielleicht noch heute über so manches hier unterhalten müssen. Ich glaube, daß man dort drüben ein bißchen mehr Leine geben muß und daß die 15 % , die dort drüben bisher eigenständigen Betrieben zugebilligt werden, vielleicht nicht reichen. Das sollte man ganz deutlich sagen. Ich würde die Bürgermeister und Landräte auffordern, hier bis an die Grenze des Erträglichen zu gehen, um eigene Betriebe zu fördern.
({0})
- Ja. Man kann jedes Problem noch weiter problematisieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen nochmal: Wir sollten den Leuten drüben an der einen oder anderen Stelle den Mut machen, nicht jede siebzehnte Verordnung irgendeiner Novelle in der Durchführung noch zu übertreffen, sondern wir sollten da einige Freiräume geben. Wir als Abgeordnete können auch unsere Kollegen drüben beraten, die in der Kommunalpolitik tätig sind.
Herr Schnell, ich sage im übrigen dasselbe, was Sie sagen. Ich ziehe den Hut vor jedem Landrat und Bürgermeister da drüben, der diese Aufgabe übernimmt, übrigens auch vor jedem Landesminister. Ich muß Ihnen sagen: Wer dort drüben in die Kommunalpolitik oder Landespolitik einsteigt, der braucht nicht nur viel Mut, sondern auch viel Kraft. Ich hoffe, viele werden sie behalten.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da sich die Debatte allmählich dem Ende nähert, möchte ich ganz bewußt noch einmal zu etwas aufrufen; ich habe das vor 14 Tagen schon einmal in der Treuhanddebatte gesagt:
({2})
Wir müssen uns in diesem Haus natürlich mit den Problemen auseinandersetzen und auch deutlich werden. Wir sollten uns hier aber im Hinblick auf die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern einer Sprache befleißigen, die dort nicht zu weiteren Verunsicherungen führt.
({3})
Wir müssen deutlich reden, ja; aber keine gegenseitigen Beschimpfungen! Das wäre mein Appell von dieser Stelle aus.
Vielen Dank.
({4})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hampel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Für die meisten Abgeordneten ist es parlamentarischer Alltag, vor dem Bundestag zu reden. Für mich ist es nach 40 Jahren SED-Regime trotz allem, was ich bisher hier hören mußte, immer noch ein Gefühl, das mich tief bewegt, wenn ich hier sprechen kann. Ich hoffe, daß die Ernüchterung nicht so schnell kommt, wie ich das befürchte.
Sie merken, ich bin ein Ossi, der täglich, und das in stets wachsendem Umfang, mit den Problemen und Hilferufen der Bevölkerung und aus den Landkreisen und Städten konfrontiert wird: Warum wächst von Woche zu Woche das Heer der Arbeitslosen, obwohl der Bundeskanzler versprochen hat, daß es nach der Vereinigung keinem Bürger der ehemaligen DDR schlechtergehen wird? Wann werden sich, wie von Herrn Dr. Kohl in Aussicht gestellt, die neuen Länder in blühende Landschaften verwandeln?
({0})
- Dann darf man vorab solche Versprechungen nicht machen. Das ist doch das eigentlich Kriminelle.
({1})
Ich möchte jetzt nicht mit Brecht anfangen; ich meine dieses schöne Zitat von der Wahrheit.
({2})
- Na gut, das kursiert ja jetzt überall.
({3})
- Es geht doch nicht darum, ob es den Menschen besser ging oder nicht,
({4})
sondern es geht darum, wie es ihnen jetzt und in
Zukunft gehen wird. Natürlich wünscht sich keiner
- da gebe ich Ihnen völlig recht - wieder die alten politischen Verhältnisse. Das ist doch wohl selbstverständlich.
({5})
- Wirtschaftlich geht es vielen nicht besser. Viele leben in Angst und Schrecken. Sie leben in Arbeitslosigkeit.
({6})
Das Damoklesschwert hängt über ihnen, denn die Kurzarbeit, die viele leisten, mündet - das wissen Sie - zwangsläufig in Arbeitslosigkeit. - Ich weiß nun nicht, ob ich jetzt mit meiner Rede weiterkomme oder ob ich mich jetzt hier auf eine Debatte einlassen muß. - Ich hoffe, daß ich jetzt weiterkomme; ich gehe aber weiterhin gern auf Einwürfe ein.
Wann werden die neuen Bundesländer und ihre Gemeinden endlich in die Lage versetzt werden, die notwendigen Ausgaben zum Aufbau einer Infrastruktur zu tätigen, ihre kommunalen Aufgaben wie Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung, Instandsetzung von Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen, Schulen und vieles andere mehr in angemessener Weise zu erfüllen? Das sind nur einige der Fragen, die täglich an mich herangetragen werden.
Meine Mitbürger beschäftigen sich auch immer mehr mit der Frage, ob die Bundesregierung nun wirklich bereit ist, die Teilung Deutschlands durch Teilen zu überwinden, wie der Bundespräsident es so treffend ausgedrückt hat. Sowohl den Menschen im Westen als auch denen im Osten Deutschlands werden jetzt zwar plötzlich erhebliche Opfer zugemutet; diese Belastung wird aber z. B. vom Bundesfinanzminister noch immer nicht mit den Kosten der deutschen Einheit begründet, sondern mit dem Golfkrieg und Osteuropa. Wissen Sie, mir kommt das irgenwie bekannt vor: Auch die ehemaligen Regierungen der DDR mußten politische Kopfstände machen, um eine Wahrheit, die jeder kannte, nicht zugeben zu müssen.
({7})
Ich hoffe, daß die Bundesregierung das künftig nicht auf Dauer nötig hat.
({8})
Herr Abgeordneter Hampel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kriedner?
Ja.
Ich möchte Sie ganz gern fragen, ob Sie mit den Worten, die Sie soeben gesagt haben, eine Parallele zwischen einer demokratisch gewählten Bundesregierung und dem früheren SED-Regime ziehen wollten.
({0})
Ich möchte keine Parallele ziehen, aber, wissen Sie, die Menschen bei uns sind sehr sensibilisiert. Sie mußten jahrzehntelang eine Wahlfarce ertragen, und jetzt sind sie schon wieder veralbert worden.
({0})
Wir Bürger in der ehemaligen DDR sind 40 Jahre lang von einem totalitären unmenschlichen Regime belogen und betrogen worden. Wir sind auch heute noch froh, dieses Joch endlich abgeschüttelt zu haben, und wir sind uns des Wertes der errungenen Freiheit auch heute noch bewußt. Aber immer mehr Menschen in der ehemaligen DDR stellen sich die Frage, ob das Lügen, das Beschönigen und das Verharmlosen etwa auch zu einer parlamentarischen Demokratie gehören.
({1})
Immer weniger Menschen in den neuen Bundesländern sind bereit, die falschen Wahlversprechen als politisches Kavaliersdelikt zu sehen, bei dem man ein Auge zudrücken könne, das man bagatellisieren könne. Was auf dem Spiel steht, ist politische Glaubwürdigkeit.
Ich habe eine Anzeige aus der Vorwahlzeit mitgebracht:
Es bleibt dabei: Keine Steuererhöhungen für die deutsche Einheit. Diese Garantie kann Ihnen nur die Regierung Helmut Kohl geben, weil nur mit ihr die Wirtschaft stark bleibt. Wir reden vor der Wahl nicht anders als nach der Wahl. Wir haben den Bürgern 1983 und 1987 klar gesagt, was auf sie zukommt. Das gilt auch jetzt.
Den letzten Satz hätte man lieber in Frageform kleiden sollen.
Die Sozialdemokraten haben sich bereits vor der Bundestagswahl dazu bekannt, daß die Teilung Deutschlands nicht ohne Steuererhöhung überwunden werden kann.
({2})
- Natürlich haben wir Steuererhöhungen gefordert.
({3})
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Alfred Dregger, verunglimpfte dieses Bekenntnis am 4. Dezember 1990 als Angst- und Verunsicherungskampagne, mit dem die Sozialdemokraten versuchten, unseren Weg zur deutschen Einheit von Anfang an zu blockieren.
Ist Herr Dr. Dregger noch immer der Auffassung - er ist leider nicht da, wie ich sehe - , daß Steuererhöhungen der deutschen Einheit schaden?
Der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Bohl, verstieg sich am 7. Dezember 1990 im CDU-Pressedienst zu der Feststellung: Wer Steuern erhöht, senkt die Einnahmen. Der FDP-Chef Graf Lambsdorff riet den Deutschen, sich angesichts der Steuererhöhungspläne warm anzuziehen. Ich hoffe, er hat das inzwischen selbst getan; denn auch er ist einer der Hauptverantwortlichen des größten Wahlbetruges in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({4})
- Wissen Sie, die Menschen fühlen sich bei uns wirklich betrogen. Gehen Sie doch einmal in die Länder! Herr Kohl war bis zum Wahlkampf, bis zum Dezember vergangenen Jahres fast nur in der DDR und hat dort Sprüche abgelassen. Seitdem war er noch nicht ein einziges Mal da. Soll er doch jetzt zu den Montagsdemonstrationen nach Leipzig gehen und soll, bitte schön, die gleichen Worte wiederholen, die er damals gesagt hat.
({5})
- Dann ist es ja gut. Genug Zeit war ja schon.
Herr Kollege Hampel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Solms? - Bitte.
Herr Kollege, hatten Sie erwartet, daß aus der Hinterlassenschaft des SED-Regimes, was die Wirtschaft anbetrifft, innerhalb von wenigen Monaten ein blühendes Land geschaffen werden konnte, und ist Ihnen bekannt, daß in der kurzen Zwischenzeit bereits über 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, obwohl die Situation so schwierig ist?
({0})
Ich habe nicht geglaubt, daß das innerhalb kurzer Zeit geht. Das mußte jedem klar sein. Aber man darf sicher keine falschen Hoffnungen wecken.
({0})
Wir haben stets die Wahrheit gesagt, daß es ein langer, beschwerlicher Weg ist. Sie haben gesagt: Es wird keinem schlechter gehen.
({1})
- Aber natürlich. Gehen Sie doch einmal dorthin, und unterhalten Sie sich mit den Rentnern oder mit den Arbeitslosen!
({2})
- Bonn ist eine sehr schöne Stadt; das habe ich, seit ich hier bin, festgestellt. Aber ich finde, es ist fast zu schön, um die Probleme bei uns richtig einschätzen zu können.
Nun steht es also fest: Die Koalition will bei den Deutschen hemmungslos abkassieren. Aus dem vor der Wahl versprochenen Niedrigsteuergebiet wird nun für die Bürger ein Hochsteuergebiet.
({3})
- Nun laßt mich doch endlich einmal zu Ende reden, mein Gott! Ich bin schon weit über die Zeit.
({4})
- Das ist ja nur seltsam.
Daran ändert auch nichts der lächerliche Freibetrag von 600 DM - ist das das, was Sie meinen? -, der für das Beitrittsgebiet eingeführt werden soll und der dem einkommensschwachen Bevölkerungsteil, den Arbeitslosen und den Rentnern ohnehin nicht zugute kommt. Dieser Freibetrag wird nämlich durch den sogenannten Solidaritätszuschlag, den auch wir Ossis zu zahlen haben, aufgewogen. Es handelt sich sozusagen um Solidarität mit sich selbst. Das ist ein Antagonismus. Eine Einkommensgrenze ist nicht vorgesehen; denn das hätte die Ossis von diesem Solidaritätszuschlag praktisch befreit. Die Einkommen liegen bei uns nun einmal so niedrig. Das wissen Sie selbst.
Durch die von der SPD vorgeschlagene Ergänzungsabgabe ab einem Jahreseinkommen von 70 000 DM für Ledige bzw. 140 000 DM für Verheiratete wären hingegen die rund 1,5 Millionen Steuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen belastet, die Bürger in den neuen Ländern von dieser Zusatzbelastung somit ausgenommen worden.
Ein skandalöser Verstoß gegen das Prinzip einer gerechten und sozialen Besteuerung ist die geplante Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer.
({5})
Damit werden vor allem diejenigen entlastet, die von der deutschen Einheit in den alten Bundesländern bisher am meisten profitiert haben. Hier ist doch der Umsatz gestiegen. Schauen Sie sich doch mal an, wie die Lebensmittelindustrie, die Nahrungsmittelindustrie boomt. Bei uns gehen diese Betriebe pleite.
({6})
Herr Kollege Hampel, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Gattermann?
Herr Gattermann.
Herr Kollege Hampel, nachdem Sie nun diese Argumentation Ihrer Partei zu der „unsozialen Maßnahme " Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer aufgegriffen haben:
({0})
Haben wenigstens Sie zur Kenntnis genommen, daß diese Maßnahme laut Koalitionsvertrag eine reine Umfinanzierungsmaßnahme innerhalb der Wirtschaft ist,
({1})
daß das überhaupt nichts mit Umverteilung oder so zu tun hat, sondern daß die Belastung der Wirtschaft innerhalb der Wirtschaft umstrukturiert werden soll,
({2})
nämlich weg von den ertragsunabhängigen Steuern hin zu ertragsabhängigen Steuern?
({3})
- Herr Kollege Poß, Sie haben es vielleicht gemerkt: Ich versuche, diesen Punkt ein bißchen zu versachlichen, damit er aus dieser schauderhaften Polemik herauskommt.
({4})
Ich habe im Koalitionspapier nur gelesen, daß ab 1. Januar 1991 die Vermögen- und die Gewerbekapitalsteuer für das Beitrittsgebiet abgeschafft werden sollen.
({0})
- Nicht erhoben werden sollen. Das war ein falscher Zungenschlag.
({1})
- Ich muß hier jetzt weiterkommen, liebe Leute. Nun seid mir doch mal nicht böse! Das bringt doch jetzt nichts.
({2})
Herr Gattermann, die meisten ostdeutschen Betriebe zahlen bei den notwendigen Investitionen und den geringen Erträgen, die sie haben, diese Steuern wahrscheinlich sowieso nicht.
({3})
- Aber auch wenn sie sie zahlten, verbliebe trotzdem ein Ausfall von ungefähr 1,5 Milliarden DM für die Länder und Kommunen. Das ist zwar ein minimaler Betrag, aber immerhin. Bei uns wird jeder Betrag gebraucht.
Noch entscheidender ist: In langfristiger Sicht werden auch den Ländern und Gemeinden im Osten durch die Abschaffung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer Mittel entzogen, die sie dringend benötigen. Das ist das, was ich hier sagte.
Kurzsichtig ist aber auch die für das nächste Jahr in den Altbundesländern vorgesehene Beendigung der Vermögen- und der Gewerbekapitalsteuer. Wie sollen die Altländer und ihre Kommunen den fünf neuen Ländern und ihren Kommunen nachhaltig helfen, wenn man die Voraussetzungen für einen finanziellen, sächlichen und durch Personalausleihe auch humanen Hilfeeinsatz unmöglich macht?
Im übrigen sind die 9 Milliarden DM jährlicher Steuerausfälle bei einem Verzicht auf die Vermögen- und die Gewerbekapitalsteuer noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es gibt ernstzunehmende Stimmen, die darlegen, daß die Gewerbesteuer ihren Realsteuercharakter und damit ihre Zulässigkeit, als Gewerbeertragsteuer weiter erhoben zu werden, mit dem Beseitigen der Gewerbekapitalsteuerkomponente verliert.
({4})
Was bliebe, wäre eine Sondereinkommen- oder Körperschaftsteuer auf gewerbliche Gewinne. Ich sehe schon die Steuerberater, die ihren Mandanten raten, gegen Vorauszahlungsbescheide auf Gewerbeertragsteuer Rechtsmittel einzulegen und Aussetzung der Vollziehung zu verlangen. Die von Ihren Gewerbekapitalsteuerabschaffungsplänen gerissenen Haushaltslöcher sind also noch nicht in vollem Umfang kalkulierbar.
Würden die Bundesregierung und die Koalition auf die Abschaffung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer auch im Alt-Bundesland verzichten, so wäre es weitgehend überflüssig, die Mineralölsteuer dauerhaft anzuheben. Ostdeutsche und westdeutsche Autofahrer werden also ihr Scherflein dazu beitragen, daß die Reichen dieses Landes von der Vermögensteuer entlastet werden sollen. Mit dem Golfkrieg wird der Bundesfinanzminister die Anhebung der Mineralölsteuer sicher nicht länger rechtfertigen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß Graf Lambsdorff vor der Bundestagswahl den Wählern eine Senkung der Mineralölsteuer vorgaukelte, sofern es zu weiteren Spannungen am Golf kommen sollte. Das war am 28. September 1990 anläßlich des FDP-Parteitages. Ich könnte Ihnen das vorlesen.
Unverständlich besonders für uns Ossis ist auch die für 1993 geplante Anhebung der Mehrwertsteuer. Die Mehrwertsteuer wirkt bekanntlich regressiv. Das heißt, sie belastet die einkommenschwachen Privathaushalte im Verhältnis zu ihrem Einkommen - ({5})
- Nein, nein.
({6})
- Das ist durch die Presse gegangen. Aber inwieweit das von der SPD befürwortet wird, ist eine andere Frage. Ich glaube das nicht.
({7})
- Es stand auch viel in der Presse, was von der CDU/ CSU gekommen sein soll. Man darf nicht allem Glauben schenken.
({8})
Das bedeutet im Klartext: Die Menschen in den neuen Bundesländern werden relativ stärker herangezogen als die in den alten Bundesländern. Hinzu kommt, daß die Bürger im Beitrittsgebiet einen großen Nachholbedarf haben und deshalb von der Umsatzsteuerbelastung besonders stark betroffen werden. Auch die Telefonsteuer trifft uns Bürger in Ostdeutschland zu einem Zeitpunkt, zu dem wir endlich auf die Verwirklichung unseres zum Teil vierzig Jahre alten Wunschtraums nach einem Telefon hoffen.
Ich möchte zum Schluß noch einmal klarstellen: Die Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer steht aus Sicht der SPD nicht zur Disposition. Das bekräftige ich hier und heute für meine Fraktion im Deutschen Bundestag.
({9})
Meine Damen und Herren, für jemanden, der zum erstenmal hier steht, ist es nicht ganz einfach, auch noch Zwischenfragen zu beantworten. Ich glaube aber, daß der Herr Kollege Hampel das trotzdem ganz gut gemacht hat.
({0})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Faltlhauser ({1}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Herr Kollege Hampel: als Sie hier ans Pult traten, haben Sie einleitende Sätze gefunden, die ich sehr sympathisch fand. Sie sagten, wenn Sie das erste Mal hier vor diesem Bundestag stehen, wollten Sie nicht allzuschnell in ihrer optimistischen Hoffnung durch den Stil und Inhalt dieser Debatten ernüchtert werden.
Ich war im Verlauf Ihrer Rede jedoch sehr enttäuscht, daß Sie zum einen beim Stil die Grenzüberschreitungen nicht beachtet haben, etwa im Vergleich des totalitären Systems DDR mit unserer parlamentarischen Praxis; und zum zweiten, daß sie all die platten Formeln, die uns zu diesem Thema von der SPD heute den ganzen Tag schon aufgetischt worden sind, automatisch wiederholt haben.
({0})
Da hätte ich doch etwas Neues erwartet.
({1})
Ich hätte gedacht, daß Sie aus Ihrem Bereich heraus eigenständig argumentiert hätten.
({2})
Lassen Sie mich auf die besonders bemerkenswerten Sachverhalte des heutigen Vormittags zurückkommen. Der Bundesminister der Finanzen hat eine hervorragende, präzise und bemerkenswerte Einbringungsrede gehalten. Dann kam der Oberhaushaltspolitiker der SPD, der Ministerpräsident Lafontaine, hierher und hat geantwortet.
({3})
Der Herr von der Saar, den der Intimkenner der SPD, der Journalist Martin Süskind von der „Süddeutschen Zeitung", einen „politischen Unruhestifter" nennt - Süskind darf aber immer noch mit den anderen Führungskräften der SPD reden -,
({4})
dieser Herr Lafontaine, hat Mut. Man kann auch sagen: er hat Chuzpe! Er kommt hierher nach Bonn und zeigt mit dem langen Finger auf eine angeblich völlig unzureichende Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung. Herrn Lafontaine hat der Roman Schmit - das ist der Präsident des Rechnungshofes des Saarlands - erst in einer Pressekonferenz vom 21. Februar 1991 für seine eigene Haushaltspolitik die Verfassungswidrigkeit für drei Haushalte ausdrücklich noch einmal bestätigt.
({5})
Darauf hat Herr Borchert schon hingewiesen. Aber es geht um die Begründungen. Ich darf noch einmal aus der Pressekonferenz von Roman Schmit, Präsident des Rechnungshofs des Saarlandes zitieren:
Die Nettokreditaufnahme des Landes Saarland beträgt 1989 760 Millionen DM. Sie ist erneut höher als die investiven Ausgaben. Der Schuldenstand des Landes ist Ende 1989 auf 10,8 Milliarden DM Besteigen. ({6}) Das Saarland hat damit seit 1979 die mit Abstand höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Flächenstaaten. Die Verschuldung pro Einwohner beträgt mit 10 034 DM mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts von 4 567 DM.
Der Ministerpräsident Lafontaine kommt also als Bankrotteur von der Saar hier an den Rhein und wagt es, dieser Bundesregierung finanzpolitisches Versagen vorzuwerfen! Er wird mit seinen Mickymaus-Problemen an der Saar nicht fertig und tut hier so, als würde er die großen historischen Probleme Deutschlands meistern können.
({7})
Ich muß jetzt vorsichtig sein, sonst werde ich vom Herrn Präsidenten gemahnt. Ich sage: Die Bürger draußen nennen ein derartiges Vorgehen Hochstapelei!
Ich frage mich allerdings, wo der andere Ministerpräsident ist, der zukünftiger SPD-Vorsitzender werden soll. Der geht jetzt wahrscheinlich nachdenklich, die Pfeife sehr dekorativ im Mundwinkel haltend, am Strand von Kiel spazieren und freut sich, daß Bonn weit weg ist und das Saarland noch weiter.
Herr Kollege Faltlhauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?
Aber ja, bitte.
Herr Kollege, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß die Jusos festgestellt haben, wo Herr Engholm ist, nämlich auf Tauchstation?
Ich war schon sehr nahe bei dieser Feststellung, ich habe ihn am Strand vermutet.
({0})
Da gibt es gegenwärtig eine Reihe von Hellsehern, die sagen: Wir haben die Lasten schon vor den Wahlen ganz genau gesehen. - Herr Lafontaine gehört auch dazu. Es gibt noch einen anderen, der auch immer noch sagt: „Ich habe es immer gewußt" , und das ist der ehemalige Minister der Finanzen der DDR, der Herr Romberg. Herr Romberg ist in seiner Argumentation eigentlich typisch, denn seine „klaren" Voraussagen haben in der konkreten Abfolge wie folgt ausgesehen:
Erstens hat er sich monatelang mit dem Finanzministerium West unterhalten, und da war man sich in der gemeinsamen Einschätzung der zahlenmäßigen Grundlagen weitgehend einig. Daraufhin hat er vier Tage vor der Unterzeichnung des Staatsvertrags erklärt, er könne keine Eckwerte festlegen. Drei Tage später, am 17. Mai 1990, war er dann doch bereit, diese Eckwerte festzulegen. 1,5 Monate später verkündete Herr Romberg ({1}), vor seiner Vorlage eines Staatsvertrags für das zweite Halbjahr 1990, er könne den vereinbarten Rahmen für die Kreditaufnahme nicht einhalten. Gleichzeitig hat Herr Romberg aber im Ministerrat massive Ausgabenerhöhungen gefordert, und die wurden auch beschlossen: neue Preissubventionen, Besoldungserhöhungen und und und. Logischerweise - nächster Schritt - hat er globale Forderungen an die Bundesrepublik gestellt. Vorgelegt wurde eine sogenannte Modellrechnung, auf genau den Zahlen basierend, die Herr Romberg kurz zuvor selbst bezweifelt hatte. Pauschal wurde der vereinbarte Ausgabenahmen für 1991 um über 20 Milliarden DM erhöht, schematisch für jedes Jahr fortgeschrieben und mathematisch hochgerechnet. Es gab überhaupt keine konkreten Angaben über diese Mehranforderungen.
({2})
Die Bundesrepublik hätte das ganze 120 Milliarden DM an Nettokreditaufnahme gekostet!
Warum sage ich dies? Dieser Mann ist Kronzeuge für das vorausschauende Wissen der SPD. Ich habe den Eindruck, er war damals der Berater von Herrn Lafontaine, und deshalb hat Herr Lafontaine während seiner Kampagne so polemisiert.
({3})
Meine Damen und Herren, die von der Koalition beschlossenen Steuererhöhungen, die von den Fraktionen hier mit in den Haushalt eingebracht werden, sind auf Grund einer extremen und besonderen Situation notwendig geworden, auf die der Finanzminister und andere Redner bereits ausführlich hingewiesen haben.
Ich darf in diesem Zusammenhang einen von mir sehr geschätzten Politiker zitieren, der sagt:
Wer in der Politik nicht bereit ist, sich auf - manchmal leider sehr schnell - sich ändernde Daten einzustellen und daraus so verantwortlich, wie es immer nur möglich ist, Folgerungen zu ziehen, sollte eigentlich aufhören, Politik zu machen. Wir sind der Meinung, daß man sich darauf einstellen muß und daß diejenigen, die Regierungsverantwortung tragen, es auch dann tun müssen, wenn es unpopulär ist.
Dieses Zitat, das in vollem Umfang auf die gegenwärtige Situation zuträfe, ist nicht aus dem Jahr 1991, sondern aus dem Jahr 1981. Gesagt hat es der von mir sehr geschätzte Kollege Gobrecht ({4}), heute Finanzsenator in Hamburg. Er hat es gesagt anläßlich der Einbringung des Verbrauchsteueränderungsgesetzes durch die Regierung Schmidt. Er hat dadurch um Verständnis für diese Anhebung der Steuern geworben. Er, Gobrecht, würde heute hier an diesem Platz mit Sicherheit dasselbe wiederholen. Ich stelle nur fest, daß die Nachfolger von Herrn Gobrecht nicht so weise und nicht so vorausschauend sind wie er, daß sie dies beurteilen könnten.
({5})
- Ihr seid ja auch schon lange nicht mehr an der Regierung, Herr Kollege Poß, wenn ich Ihnen das sagen darf. Es sind allmählich schon fast zehn Jahre.
Der Bundesfinanzminister hat in seiner Einbringungsrede darauf hingewiesen, daß er bereits im September 1990 Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen hat. Steuererhöhungen - so sein Zitat - müßten das letzte sein, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind; Steuererhöhungen dürften nicht am Anfang stehen.
Der Finanzminister hat aus meiner Sicht bei diesem Rückblick nur die Hälfte, nur einen Teil der damaligen Ereignisse berichtet. Er hat nicht erwähnt, daß ein Sturm der Entrüstung damals in allen Medien, bei den Verbänden und nicht zuletzt auch bei Ihnen, der Opposition, zu verzeichnen war. Das war ein lautes Lamentieren, ein Sturm der Entrüstung! Auch in den eigenen Reihen gab es die ensprechenden Besserwisser, die den Kopf geschüttelt und hinter verschlossenen Türen gesagt haben: Wie konnte er nur!
Dieselben Personen, die damals im September 1990 den Bundesfinanzminister wegen seiner Aussage zur prinzipiellen Möglichkeit der Steuererhöhungen gescholten haben, sind heute wiederum entrüstet, weil der Finanzminister den Steuererhöhungsbeschlüssen der Koalition in der heutigen Situation seinen Segen gegeben hat.
Ich habe mir gestern, Herr Kollege Poß, noch einmal die große Zahl von Presseerklärungen von Ihnen und Ihrer Vorsitzenden angesehen. Der Gesamteindruck lautet: viel künstliche Aufregung ohne substantielle, fachlich ernstzunehmende Einwände.
Meine Damen und Herren von der SPD, was Sie zum Steuerpaket der Koalition sagen, ist keine Alternative, sondern eine Variante. Auch Sie kommen nicht um die Erkenntnis herum, daß vor allem die Mineralölsteuer erhöht werden muß, daß man kurzfristig einen Zuschlag zur Einkommensteuer benötigt. Lediglich in der „Inneneinrichtung " dieser Steuervorschläge haben Sie andere Vorstellungen. Bei der Mineralölsteuer sagen Sie: Ja, aber mehr! Beim Zuschlag zur Einkommensteuer sagen Sie: ja, aber ... Das sind also Varianten und keine Alternativen, die einer guten Opposition wohl anstünden.
Die im Solidaritätsgesetz zusammengefaßten Steuerbeschlüsse erfüllen nach unserer Auffassung drei wesentliche Ziele.
Zum einen erfüllen diese Vorschläge die notwendigen fiskalischen Effekte. Mit diesem Steuerpaket können wir bereits im Jahr 1991 - das ist wichtig -, obwohl wir nur ein halbes Jahr Erhebungszeitraum haben, die unabdingbaren 17,7 Milliarden DM erbringen.
Zum zweiten leisten wir mittelfristig durch diese Steuerbeschlüsse einen Beitrag zur verbesserten Struktur unseres Steuersystems. 1952 hatten wir noch einen Anteil von 47,4 % bei den indirekten Steuern. 1990 lag dieser Anteil trotz der Entlastungen durch unsere „Große Steuerreform" noch bei 41,8 %.
Ziel, meine ich, müßte es sein, daß wir wieder ein gutes Stück dem Wert von 1952 näherkommen. Nur dadurch sind langfristig Dynamik und Leistungsbereitschaft in unserem Land sicherzustellen.
Ich bin davon überzeugt, daß die SPD dieser Auffassung sehr gerne zustimmen würde. Ich nehme einmal ein Zitat von Frau Matthäus-Maier aus dem Jahre 1981; damals war sie noch in der FDP. Laut Protokoll sagte sie bei der Begründung der Anhebung der Verbrauchsteuern ausdrücklich - ({6})
- Ich sage ja: Ihr seid schon lange nicht mehr an der Regierung. Es ist schon fast zehn Jahre, so daß man etwas zurückgreifen muß. Und: Der Zeitraum wird auch noch länger werden, bis ihr wieder regiert. - Ich zitiere:
Wir wollen die Steuerstruktur, die sich in den letzten 25 Jahren sehr eindeutig von den indirekten Steuern hin zu den direkten Steuen verschoben hat,
- unter der damaligen Regierung kein Kunststück Dr. Kurt Faltlhauser
also hin zur starken Besteuerung bei der Lohn- und Einkommensteuer, ein wenig in die umgekehrte Richtung korrigieren.
Das heißt: die finanzpolitische Sprecherin der SPD selbst gibt uns die - wie ich meine - richtigen Argumente für die Anhebung der Verbrauchsteuern.
Wir haben mit diesem Paket ein drittes Ziel erreicht. Wir sind davon überzeugt, daß diese Steuererhöhungen die Wachstumsdynamik in unserem Lande nicht beschädigen. Entscheidend hierfür ist vor allem die Befristung des Zuschlages auf die Einkommensteuerschuld.
Helmut Maier-Mannhart hat in der „Süddeutschen Zeitung" vom 2. März - meiner Ansicht nach richtigerweise - darauf hingewiesen, daß der Staat, der sich über die Erhöhung der verschiedenen Steuerarten das Geld holt, dieses Geld ja auch wieder ausgibt
- ich zitiere - :
Der Staat entzieht also nicht das Geld dem Kreislauf, sondern läßt es an anderer Stelle wieder einfließen. Die Nachfrage nach Investitionsgütern dürfte stärker zunehmen, weil die staatlichen Mittel beim Aufbau der neuen Bundesländer doch überwiegend in den investiven Bereich fließen werden.
Ich will zu dieser Aussage des Leiters der Wirtschaftsredaktion der „Süddeutschen Zeitung" hinzufügen: Diese Umlenkung vom komsumtiven Bereich hin zu den Investitionen in den neuen Bundesländern wird nach den Beschlüssen, die die Koalition in der letzten Woche getroffen hat, besonders schnell wirken, weil die Investitionen vor Ort in den Gemeinden schnell greifen werden.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum 7 %igen Zuschlag auf die Einkommensteuerschuld machen. Ich glaube, niemand in der Koalition hat dieses Instrument zur Erfüllung der finanzpolitischen Anforderungen gerne gewählt; denn diese Koalition hat immer auf die Senkung der direkten Steuern gesetzt und nicht auf ihre Erhöhung. Vertretbar wird dieser Zuschlag in unseren Augen nur durch seine Befristung. Die strenge Befristung des Zuschlages auf ein Jahr ist die entscheidende Geschäftsgrundlage für diesen Solidaritätsbeitrag.
({7})
Die Befristung ist es auch, die diesen Zuschlag selbst ordnungspolitisch so strengen Herren wie Herrn Barbier von der „FAZ" erträglich erscheinen läßt. Barbier bezeichnet die Befristung ausdrücklich als ökonomisch vernünftig.
Interessant ist jedoch, was dieser Leitartikel der „FAZ", am 26. Februar dazu noch ausführt - ich zitiere - :
({8})
- Hören Sie einmal zu, was er sagt; das ist gerade auf Sie gemünzt. Er sagt:
Es ist gut, daß die Koalition bei der Ausgestaltung der Ergänzungsabgabe nicht auf diejenigen gehört hat,
- damit meint er Sie! die immer nur in Verteilungsgrößen denken können. Die Beschränkung einer solchen Abgabe auf die Besserverdienenden ist nicht aufrichtig. Wenn eine Abgabe wirklich nur die Bezieher hoher Einkommen treffen soll, dann bringt sie nicht viel für den Fiskus.
({9})
Soll sie aber einen zu Buche schlagenden Beitrag erbringen, dann müssen die Besserverdienenden bis hinunter zum jungen Facharbeiter definiert werden. Das sind Mätzchen und Heucheleien, die den Steuerwiderstand eher vergrößern als verringern.
({10})
Diesem Plädoyer für einen Zuschlag für alle und nicht für die sogenannten Besserverdienenden ist noch ein Gesichtspunkt hinzuzufügen, Herr Kollege Poß. Wenn man einen Zuschlag auf Einkommensteuerpflichtige mit einem Einkommen von mehr als etwa
- wie Sie neuerdings sagen - 60 000 DM bzw. 120 000 DM beschränkt, würde das lediglich 1,5 Millionen Einkommensteuerpflichtige betreffen. Nach unserem Konzept ist die Belastung breit gestreut und leistungsgerecht, d. h. diejenigen, die sehr wenig verdienen, zahlen auch nichts oder zahlen nur sehr wenig, und diejenigen, die mehr verdienen, zahlen auch mehr. Die Last ist breit gestreut auf ungefähr 20 Millionen Schultern.
({11})
Das scheint mir die beste Garantie dafür zu sein - unabhängig von der Festlegung der Koalition - , daß diese Ergänzungsabgabe nach einem Jahr tatsächlich ausläuft.
Je mehr eine derartige Abgabe auf nur wenig Besserverdienende konzentriert ist, um so heftiger werden die Forderungen in diesem Land, insbesondere bei der SPD, sein, diese Abgabe zu verlängern.
({12})
- Ich stelle mir jetzt schon, Herr Kollege Gattermann, das Tremolo sozialen Engagements in der Stimme von Herrn Poß oder von Frau Matthäus-Maier vor, wenn sie dann im Frühjahr 1992 gegen das Auslaufen einer Steuer für sogenannte Besserverdienende polemisieren. Genau diese Haltung hat ja dazu geführt, daß die letzte Ergänzungsabgabe im Jahr 1975 von der sozialliberalen Koalition stillschweigend in den Einkommensteuertarif eingearbeitet wurde.
({13})
Das war damals eine saftige Steuererhöhung durch die Hintertür.
({14})
Genau das wollen wir verhindern!
({15})
Meine Damen und Herren, Sie lieben es, unsere große Steuerreform mit den neuen Belastungen zu verrechnen. Dies ist schon im Grundansatz falsch. Die große Steuerreform hat ihrerseits strukturelle Entlastungseffekte. Dem langfristigen strukturellen Entlastungseffekt steht ein kurzfristiger, nur ein Jahr wirkender Belastungseffekt, gegenüber.
Herr Kollege Dr. Faltlhauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Sehr gern, Herr Präsident.
Herr Kollege Faltlhauser, können Sie mir für die Steuerrechtsgeschichtsschreibung noch zu Protokoll des Deutschen Bundestages bestätigen, daß der nach 1975 eingebaute Ergänzungszuschlag selbst durch unsere große Steuerreform immer noch nicht ganz weg ist, daß also die Absenkung lediglich von 56 % auf 53 % und nicht hinunter bis auf 51 %, dem Stand vor der damaligen Ergänzungsabgabe, durchgeführt worden ist?
Dies bestätige ich Ihnen sehr gern, Herr Kollege Gattermann, und ergänze, daß dies nur ein Punkt der besonderen Belastungen ist, die wir von der Steuer- und Haushaltspolitik der alten Koalition immer noch zu tragen haben.
({0})
Lassen Sie mich jetzt noch eine kurze Bemerkung zur Erhöhung der Mineralölsteuer machen. Die Mineralölsteuer ist in einem Ausmaß erhöht worden, das tatsächlich noch vertretbar ist. Das gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, daß wir die Kilometerpauschale von 0,50 DM auf 0,65 DM erhöht haben. Ich meine, die durch diese Steuererhöhungen entstehenden Preissteigerungen halten zu dramatischen Äußerungen, wie man sie von den Verbänden der Automobilindustrie gehört hat, nicht her.
Gegenwärtig beläuft sich der Preis für einen Liter bleifreies Normalbenzin auf etwa 1,10 DM. Dies ist immer noch 0,23 DM weniger als im September 1990, als der Literpreis wegen der beginnenden Spannungen am Golf bei etwa 1,33 DM lag. In der ersten Hälfte der 80er Jahre lag der Durchschnittspreis bei Normalbenzin bei 1,34 DM. Ein Preis von 1,40 DM bis 1,50 DM war damals auch keine Seltenheit.
Diese Preisschwankungen haben in der Vergangenheit keine ungünstige psychologische Wirkung auf die Autokäufer gehabt. Dementsprechend wird es auch jetzt zu keinen ungünstigen psychologischen Wirkungen auf die Autokäufer bzw. indirekt auf unsere Wirtschaft kommen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
Die Koalition ist fest entschlossen, die außergewöhnlichen Herausforderungen der Jahre 1991 und 1992 solide zu finanzieren und eben nicht durch eine weitere Anhebung der Nettoneuverschuldung auf über 70 Milliarden DM in diesem Jahr. Diese Koalition will den Wiederaufbau der neuen deutschen Bundesländer mit allen finanziellen Möglichkeiten unterstützen. Das vorliegende Steuerpaket ist aus dieser Sicht unverzichtbar und - wie ich in der heutigen Debatte gelernt habe - auch ohne eine Alternative von der Opposition.
({1})
Wir sind davon überzeugt, daß die Bevölkerung - im Gegensatz zu dieser Opposition - durchaus bereit ist, diese Maßnahmen wirklich mitzutragen, zwar nicht mit Freude, aber mit Problemverständnis.
({2})
Meine Damen und Herren, das Wort hat nunmehr Herr Abgeordneter Krziskewitz, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands zeigt sich als ein Vorgang, der in der Geschichte der Vereinigung von Ländern auf ökonomischem Gebiet vergeblich seinesgleichen sucht. Es geht hierbei nicht um ein Aneinanderfügen, um ein Passendmachen unterschiedlich geleiteter, aber ansonsten vergleichbarer Wirtschaftspotentiale, sondern darum, den Übergang der Reste eines auf deutschem Boden gründlich gescheiterten ideologisch begründeten Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepts in eine voll entwickelte, am Weltstandard orientierte Wirtschaft, die soziale Marktwirtschaft eben, zu realisieren.
Alle historischen Vergleiche mit Neuanfängen wie der Währungsreform von 1948 treffen den Kern der Sache nicht.
({0})
Schauen wir doch einmal in ein Adreß- oder Branchenbuch dieser Zeit vor 40 Jahren, so werden wir darin in Ost und West gleichermaßen in jedem Ort, jeder Stadt Dutzende von Gewerken und Betrieben finden, die damals zwar alle mit Schwierigkeiten überhäuft waren, aber eben doch vorhanden waren und den Neubeginn ermöglichten.
Die kommunistische Politik hat in vier Jahrzehnten diese für jede gesunde Volkswirtschaft unabdingbaren Leistungsträger nicht nur eingeengt, sondern bis auf geringfügige Reste liquidiert.
({1})
Der Neuaufbau einer vernünftigen Wirtschaft in Ost- und Mitteldeutschland muß also dort ansetzen, wo das kommunistische Regime vor Jahrzehnten seinen Vernichtungsfeldzug gegen das eigene Volk und Land begann.
({2})
Das ist ein Vorgang, bei dem sich der kräftemäßige und finanzielle Aufwand nur in groben Umrissen erfassen läßt. Vor dieser Problematik stand im Sommer vergangenen Jahres auch die Volkskammer der ehemaligen DDR, als sie versuchte, zum erstenmal in ihrer Geschichte einen Haushaltsplan, der sich an den Realitäten orientierte, aufzustellen. Charakteristisch ist dabei ein Zusatz, der mit großer Stimmenmehrheit
angenommen wurde, nämlich, nach einem Vierteljahr einen Bericht des Finanzministers zum Vollzug des Haushalts zu fordern, um gegebenenfalls eine Neuberechnung verschiedener Eckdaten in Form eines Nachtrags zu veranlassen. In der Tat: Die Zahl und besonders das Gewicht der Unwägbarkeiten erschien uns damals schon so groß, daß es angezeigt war, diesen Beschluß zu fassen.
Lassen Sie mich aus dem Komplex dieser Fragen nur eine herausgreifen, nämlich die weitestgehende Ausrichtung der Volkswirtschaft der ehemaligen DDR auf den Handel mit den ehemaligen RGW-Ländern. Wie Sie wissen, zielten ca. 60 % aller wirtschaftlichen Aktivitäten in diese Richtung. Mit dem völligen Zusammenbruch dieses Wirtschaftssystems in allen Ländern Osteuropas waren auch für die traditionellen Bindungen Voraussetzungen weggefallen, und dies in einer Schnelligkeit, in einer Rasanz, die auch Kenner verblüffte.
Eine wirtschaftliche Neuorientierung muß in dieser Hinsicht nun zweierlei leisten. Einmal muß sie diese Bindungen aufrechtzuerhalten versuchen - sie darf keinen Fadenriß entstehen lassen -, zum anderen muß sie auf die Weltmarktfähigkeit der Produkte orientieren, sowohl was Technologie und Qualität als auch was die Absetzbarkeit angeht.
Ein weiteres Problem. Wie bekannt, sind im vergangenen Jahr ca. 300 000 Klein- und Mittelbetriebe gegründet worden, Anfänge einer mittelständischen Tätigkeit. Viele dieser Betriebe sind nur mit einem geringen Finanzvolumen ausgestattet. Ihre Liquidität ist angespannt. Sie ist auf Aufträge, besonders aus der öffentlichen Hand, angewiesen.
Die 5 Milliarden DM betragende Finanzhilfe an die Kommunen in den neuen Bundesländern zielt meines Erachtens in die richtige Richtung. Es muß gelingen, mit diesem Geld die Attraktivität unserer Länder als Standorte zu erhöhen, sichtbare Zeichen des Neuanfangs zu setzen, gleichzeitig aber auch die private Wirtschaft zu ermuntern.
({3})
Wie bekannt, gelten seit Mitte des vergangenen Jahres für Investoren in den neuen Bundesländern steuerliche Präferenzen. Die Verlängerung dieser Fristen ist eine dringende Maßnahme. Ebenso begrüßen wir die vorgesehenen Sonderabschreibungen für Betriebsgebäude und Ausrüstungsinvestitionen. Diese Sonderabschreibungen lehnen sich weitestgehend an die Sonderabschreibungen des Zonenrandförderungsgesetzes an.
({4})
Mit der Möglichkeit, zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entsprechende Sachkosten in Anrechnung zu bringen, wird eine wesentliche Forderung von Abgeordneten aus den neuen Bundesländern erfüllt. Die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern verlangt eine Neuorientierung regionalpolitischer Förderungen in ganz Deutschland. Wir halten es für unabdingbar erforderlich, daß den neuen Bundesländern ein spürbarer Fördervorsprung eingeräumt wird.
Wir sind uns darüber im klaren, daß all diese Maßnahmen, verbunden mit einer Offensive in der Qualifizierung der juristischen und Verwaltungsarbeit, nur in komplexer Wirkung Frucht tragen können. Es wird hierbei darauf ankommen, im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden praktikable Umsetzungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei sollten auch unkonventionelle Verfahren, wie sie jüngst in der Verwaltungsvereinbarung zwischen Ländern und Bund erprobt wurden, angewandt werden.
Ein weiteres Moment ist meines Erachtens die gegenseitige Deckungsfähigkeit der diesbezüglichen Posten. Des weiteren meine ich, über die Umsetzung bzw. Materialisierung der Vorhaben sollte vor den entsprechenden Ausschüssen regelmäßig Bericht erstattet werden. Der Erfolg unserer Anstrengungen wird um so eher eintreten, je besser es gelingt, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Wir schlagen vor, in den neuen Bundesländern auf regionaler Ebene, etwa auf Landkreisebene, Aufbaustäbe zur Begleitung und Koordinierung aller Förderungen einzurichten, auch unter strukturpolitischen Gesichtspunkten. Ziel dieser Stäbe sollte es sein, Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu koordinieren, einen sozial verträglichen Übergang bei notwendigen Betriebsschließungen zu sichern, öffentliche Investitionen im Infrastrukturbereich mit regionalpolitischen Förderungen zu vereinigen.
Ein weiterer Punkt: Ich schlage vor, bundeseigene Liegenschaften, die für Aufgaben des Bundes nicht benötigt werden, den Kommunen zu übergeben. Bei Überlassung für unmittelbare Verwaltungsaufgaben sollte den Gemeinden und Kommunen ein Preisnachlaß von 50 bis 75 % gewährt werden.
Ich schlage vor - ich sage dies auch als Mitglied des Ausschusses für Fremdenverkehr und als Mitglied der Kommission zur Feststellung des Vermögens der Parteien und Organisationen der ehemaligen DDR - : Es sollte eine Regelung zwischen der Treuhand und dieser benannten Kommission mit dem Ziel erarbeitet werden, die Vermögenswerte und Objekte der FEDI, also der Feriendienstorganisation des ehemaligen Gewerkschaftsbundes der ehemaligen DDR, den in diesen Gebieten liegenden Gemeinden zur Verwaltung und Verwertung zu übergeben.
({5})
Die Saison steht vor der Tür, wir haben hier keine Zeit zu verlieren.
({6})
Es wurde schon wiederholt gesagt: Es ist eine Menge Geld, die hier unterwegs ist. Wir brauchen es, und wir sind froh, diesen Solidaritätszuschlag zu erhalten. Das ist auch der Tenor in den neuen Bundesländern. Es wird aller Anstrengungen bedürfen, diese Summen zu materialisieren. Vielerorts besteht nur ein sehr geringer Planungsvorlauf. Das betrifft insbesondere planungsintensivere Vorhaben auf dem Gebiet der Infrastruktur, beispielsweise im Verkehrsbereich.
Nun hängt es auch in hohem Maße von den Kommunen und Ländern ab, das Investitionsgeschehen in Gang zu setzen. Wir werden nicht nur das Geld brau730
chen, sondern auch ein mutiges Anpacken, Pioniergeist und einen unbedingten Aufbauwillen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch unseren Dank an alle abstatten, die uns durch Solidaritätsbereitschaft, durch Konstruktivität, Beharrlichkeit, aber auch durch Kritik helfen, auf diesem Weg voranzukommen.
Meine Damen und Herren, die Völker Osteuropas schauen auf uns. So hat unser Bemühen gleichsam Modellcharakter für den Übergang der planwirtschaftlichen Systeme in Strukturen einer sozial orientierten Marktwirtschaft.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Wenn jetzt nacheinander drei Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion ans Rednerpult treten
({0})
- wir haben natürlich noch viel mehr -, liegt das einmal daran, daß wir mehr und bessere Argumente als Sie haben, zum anderen liegt es aber auch daran, daß wir mit unserer Zeit besser umgehen können.
({1})
Wir können sie besser einteilen.
({2})
Wer nicht einmal seine Zeit richtig einteilen kann, der kann erst recht kein Geld einteilen, lieber Herr Poß.
({3})
Seit jeher, meine Damen und Herren, ist die Finanzpolitik der CDU/CSU durch drei Eckpunkte bestimmt worden: niedrige Ausgaben, niedrige Kreditaufnahme, niedrige Steuern. Diese Politik, die wir seit 1982 konsequent durchgesetzt haben, führte zu großen Erfolgen. Das Beschäftigungsniveau in Westdeutschland hat ein Maß erreicht, das wir bisher nicht gekannt haben.
({4})
Trotz aller Arbeitsmarktstatistiken können wir feststellen, daß im westlichen Teil Deutschlands praktisch Vollbeschäftigung herrscht.
({5})
Das Einkommensniveau und der Lebensstandard sind so hoch wie in kaum einem anderen Land
({6})
Die Sozialleistungen sind auf einem so hohen Stand gehalten, wie sie in kaum einer anderen Volkswirtschaft anzutreffen sind.
({7})
- Lieber Herr Kollege von der PDS, wenn ich hier schon das Vergnügen bereite, Ihre Zurufe zu beantworten, dann
({8})
hören Sie auch wenigstens zu. - Es gibt in Westdeutschland praktisch Vollbeschäftigung.
({9})
Wer dies bestreitet, lebt nur von Zahlen, aber nicht in der Realität. Es ist unmöglich, in Hamburg ausreichend Schweißer für die Werften zu bekommen. Es ist in Hamburg unmöglich, ausreichend Kräfte für das Hotel- und Gaststättengewerbe zu bekommen.
({10})
In einer Situation, in der die Betriebe die Arbeitskräfte, die sie benötigen, nicht bekommen, sage ich, dies ist Vollbeschäftigung. Da soll einer auftreten, der das bestreiten möchte.
({11})
Herr Abgeordneter Briefs, ich möchte Sie ernsthaft bitten, sich erstens in Ihren Zwischenrufen zu mäßigen und zweitens nicht mehr zu reden als der Redner.
({0})
Meine Damen und Herren, die Finanzpolitik muß uns auch in die Lage versetzen, in den neuen Bundesländern die notwendigen Finanzmittel für den Aufbau zur Verfügung zu stellen. Ohne die Erfolge unserer Finanz- und Steuerpolitik in den letzten acht Jahren wären die Investitionen in die Zukunft Ostdeutschlands, die heute getroffen werden müssen, in diesem Umfang nicht möglich.
Wir können feststellen: Unsere Politik schaffte optimale Rahmenbedingungen zur Finanzierung des Aufbaus im wiedervereinigten Deutschland. Es gibt deswegen keinen Anlaß, die genannten Eckpunkte unserer Finanzpolitik zu ändern. Die jüngsten steuerpolitischen Beschlüsse der Bundesregierung und der Koalition stellen wohl eine vorübergehende Delle, aber nicht eine grundsätzliche Richtungsänderung unserer Politik dar.
Richtig ist: Trotz der zu beschließenden Steuererhöhungen bleibt die Steuerquote niedriger als die Belastung, die wir - am Ende der sozialliberalen Koalition - bei der Regierungsübernahme vorfanden.
({0})
Betrug die Steuerlast 1982 23,7 %, so erreichte sie 1990 mit 22,5 % einen historischen Tiefpunkt. Und sie wird auch zum Ende der mittelfristigen Finanzplanung 1994 mit 23,2 % niedriger sein als bei der Regierungsübernahme durch die CDU/CSU im Jahre 1982.
({1})
- Das war ein kontinuierlicher Rückgang in der Steuerquote, Herr Poß, die immer unter dem lag, was Sie uns hinterlassen haben.
Auch die sparsame Ausgabenpolitik wird fortgesetzt. Im Schnitt der 70er Jahre wurden die Bundesausgaben Jahr für Jahr um 10 % gesteigert. Unter der Regierung Kohl betrug dieser Steigerungssatz durchschnittlich nur 2 %. Auch in den nächsten Jahren wird der Ausgabenzuwachs in diesem außerordentlich kleinen Rahmen bleiben.
Die Subventionsquote ist heute ebenfalls deutlich niedriger als vor zehn Jahren.
Die Neuverschuldung, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, meine Damen und Herren, wurde in den letzten Jahren von 2,4 % im Jahre 1982 auf 0,85 % im Jahre 1989 gesenkt. Nach der vorübergehenden Belastung durch die deutsche Einheit, die im Regierungsentwurf 1991 mit 2,7 % zu Buche schlägt, sinkt auch diese Quote am Ende der mittelfristigen Finanzplanung wieder auf 1 %. Damit wird die gewaltige, einmalig anfallende Aufgabe, Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in Ost und West, mit einer Neuverschuldungsrate bewältigt, die nicht wesentlich höher liegt als die Quote, die die Sozialdemokraten benötigten, um ein ganz normales Haushaltsjahr zu finanzieren.
({2})
Das ist eine finanzpolitische Leistung.
({3})
Dagegen ist die SPD mit ihrer Steuerpolitik
({4})
unglaubwürdig. Das Beklagen der jetzt von uns vorzunehmenden Steuererhöhungen ist scheinheilig. Schon vor anderthalb Jahren, unmittelbar nach Öffnung der Mauer, forderten die Sozialdemokraten zusätzliche Steuern, obwohl kein Mensch erkennen konnte, welcher Finanzbedarf sich in den nächsten Monaten entwickeln würde.
({5})
Für die SPD war die Steuererhöhung das erste Mittel,
({6})
zu dem gegriffen werden sollte. Für uns sind Steuererhöhungen das letzte Mittel. Wir versuchen, solange es geht, auf Steuererhöhungen zu verzichten. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Sozialdemokraten und uns.
({7})
Diese Anmerkung veranlaßt zu einer Zwischenfrage, die Sie bitte beantworten wollen. Ich stoppe die Zeit, selbstverständlich.
Herr Kollege Uldall, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD auf ihrem Bundesparteitag im September in Berlin die Reihenfolge Einsparungen, Abbau von Subventionen, Umschichtungen usw. festgelegt hat und daß die Ergänzungsabgabe als eine Form der Steuererhöhung erst zum Schluß genannt wurde?
Das deckt sich überhaupt nicht mit dem, was Sie in den letzten Jahren an Finanzpolitik hier praktiziert haben. Lieber Herr Poß, dann muß ich die Antwort wiederholen: Das deckt sich überhaupt nicht mit dem, was Sie hier immer praktiziert haben. Wir haben die Steuersenkungen 1986, 1988 und 1990 immer gegen den Widerstand der Sozialdemokraten durchgesetzt.
({0})
Sie sind und bleiben die Steuererhöhungspartei. Davon kommen Sie nicht herunter.
({1})
Noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Poß?
Gerne!
Herr Kollege Uldall, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und in den Protokollen einmal nachzulesen, daß wir uns nicht generell gegen Steuersenkungen ausgesprochen haben, daß wir uns - im Gegenteil - über Jahre sogar für Steuersenkungen, speziell für Durchschnittsverdiener, vehement eingesetzt haben, daß wir allerdings die Ausgestaltung Ihrer Steuersenkung nie mitgemacht haben? So pauschal können Sie das nicht feststellen. Ich bitte Sie, sich hier sachkundig zu machen, falls es Ihnen nicht mehr im Gedächtnis sein sollte.
Ich habe ein hervorragendes Gedächtnis.
({0})
Ich kann mich z. B. an die Rede des Kollegen Rapp erinnern, der zwar in dieser Legislaturperiode dem Bundestag nicht mehr angehört, der aber Redner Ihrer Fraktion zu dem großen Steuersenkungspaket gewesen ist. Er hat uns in sehr dramatischer Form beschworen, die Steuern um Gottes willen nicht zu senken. Wir haben das Gegenteil gemacht. Das Ergebnis ist so blendend ausgefallen, wie es niemand von uns erwartet hat. Wir waren zwar sicher, daß es gut laufen würde. Aber daß es so gut gelaufen ist, Herr Poß, hat niemand von uns vorausgesehen. Insofern müssen Sie sich den Schuh leider anziehen: Sie haben keine einzige Steuersenkung mitgetragen. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn das in Zukunft bei Ihnen anders würde.
({1})
Nun hat der Abgeordnete Faltlhauser um eine Zwischenfrage gebeten. Bitte sehr.
Herr Kollege Uldall, eingedenk der Tatsache, daß die Aufzählung der ganzen Steuererhöhungen unter der SPD den wesentlichen Teil Ihrer Redezeit in Anspruch nehmen würde, darf ich Sie fragen, ob Sie wissen, daß in der Regierungszeit der SPD - die FDP muß ich leider hinzufügen, Herr Gattermann - die Umsatzsteuer dreimal erhöht wurde, zweimal, 1978 und 1979 - für 1981 war sie geplant -, die Mineralölsteuer insgesamt viermal, 1972, 1973, 1978 und 1981, erhöht wurde, die Tabaksteuer dreimal, 1972, 1977 und 1982, die Branntweinsteuer insgesamt fünfmal, 1972, 1976, 1977, 1981 und 1982. Die übrigen Steuererhöhungen kann ich nicht aufzählen, weil dies meine Fragezeit überanspruchen würde. Aber würden Sie die von mir aufgezählten bestätigen?
Ich kann sie durchaus bestätigen und möchte - ohne Anrechnung auf meine Redezeit, Herr Präsident - die Frage des Kollegen Dr. Faltlhauser noch dahin gehend beantworten, daß dies bei den Sozialdemokraten natürlich durchaus konsequent gedacht war; denn die Sozialdemokraten haben ja immer die Auffassung vertreten: je höher der Staatsanteil, desto besser für den Staat.
({0})
Deswegen mußte natürlich auch für diesen Staatsanteil eine ständig höhere Steuerquote erhoben werden. Insofern waren die Sozialdemokraten konsequent.
Meine Damen, meine Herren, die Sozialdemokraten waren sehr schnell mit der Forderung nach Steuererhöhungen bei der Hand. Wenn man der SPD-Forderung damals gefolgt wäre und die Steuern schon vor einem Jahr erhöht hätte, so wären die Mehreinnahmen heute längst verfrühstückt.
({1})
Eine erneute Steuererhöhung wäre notwendig. Durch dieses Hinauszögern einer Steuererhöhung haben wir für die Bürger die Belastungen im vergangenen Jahr deutlich gering gehalten.
Herr Präsident, meine Damen, meine Herren, CDU/ CSU und FDP haben im letzten Sommer gesagt: Wir brauchen keine Steuererhöhungen. Heute sagen wir: Wir brauchen Steuererhöhungen. Bei allen Erklärungen und bei allen Erläuterungen, die man hierzu geben kann, hat dies - das sage ich hier ganz offen - unsere Glaubwürdigkeit nicht erhöht.
Was muß nun die CDU/CSU tun, um in der Finanzpolitik weiterhin glaubwürdig zu bleiben? Sie muß durch die jetzigen Beschlüsse zeigen, daß es sich um einmalige Korrekturen handelt, die nicht zu einer grundsätzlichen Änderung der Steuerpolitik bei uns führen. Das bedeutet im einzelnen:
Erstens. Die Beschränkung der Ausgaben muß oberste Priorität behalten.
Zweitens. Der von der Koalition beschlossene Subventionsabbau in Höhe von 10 Milliarden DM muß zügig umgesetzt werden. Hierbei haben wir hohe Erwartungen an den Wirtschaftsminister, auf dessen Initiative das ursprüngliche Einsparungsziel von 6,5 Milliarden DM auf 10 Milliarden DM erhöht wurde.
({2})
Drittens. Die Berlinförderung und die Regionalförderung müssen in dem von der Koalition festgelegten Rahmen abgebaut werden. Für eine Verschiebung der vereinbarten Terminvorgaben sehe ich keinen Anlaß.
Viertens. Der jetzt zu beschließende Solidarbeitrag darf nur für zwölf Monate erhoben werden. Es darf daraus nicht eine dauerhafte Anhebung der Steuertarife erfolgen, so wie der Kollege Faltlhauser dies als SPD-Praxis der 70er Jahre beschrieben hat.
Fünftens. Die Rückführung der Steuerquote muß weiter energisch betrieben werden. Dazu gehört auch, daß die Gewerbekapitalsteuer und die doppelt gezahlte betriebliche Vermögensteuer gestrichen werden.
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Unsere exportorientierte Wirtschaft darf nicht schlechter gestellt werden als ihre Wettbewerber in England, USA oder Japan. Es wäre ein großer Fehler, wenn man der völlig unsachlichen Neiddiskussion der Sozialdemokraten folgte und das Vorhaben einer Unternehmenssteuerreform zurückstellte.
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Beide Steuern treffen die Substanz der Unternehmen. Deswegen heißen sie auch Substanzsteuern. Wenn die Substanz aber verbraucht ist, wie dies bei zahlreichen Unternehmen in Ostdeutschland der Fall ist, wo es gar keine Substanz gibt, wo Substanz nie vorhanden war, besteht durch diese Steuern eine unmittelbare Gefahr für die Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze. Insofern müßten gerade die Gewerkschaften Vorkämpfer für eine Streichung dieser Steuern sein.
Zum Schluß kommend sage ich, meine Damen und Herren: Die Finanzbeschlüsse sind angesichts der aktuellen Herausforderungen an unser Gemeinwesen unverzichtbar. Mit Augenmaß haben wir das kleinere Übel gewählt. An der langfristigen Finanzpolitik der CDU/CSU wird sich aber nichts ändern.
Vielen Dank.
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Nun hat der Abgeordnete Buwitt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vierter Redner der CDU in Folge kann man fast nur alles bestätigen, was die Vorredner gesagt haben. Trotzdem wird es sicher einige kleine Differenzen geben; denn wir stehen am Anfang einer Diskussion, wenn auch am Ende des heutigen Tages.
Mit dem vorgelegten Steueränderungsgesetz 1991 ist in Art. 3 auch die Änderung der Berlinförderung angesprochen. Meine Damen und Herren, Berlin war
seit Ende des Krieges Prüfstein für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander. Die Bundesrepublik - hier muß ich sagen: die alte - ist, egal unter welcher politischen Führung, den Verpflichtungen, die sie in großer Solidarität zu Berlin auf sich genommen hat, über Jahrzehnte hinweg nachgekommen. Berlin war, ist und wird auch in Zukunft das Symbol für die deutsche Einheit sein.
Aber nicht nur das: Berlin ist auch Gradmesser dafür, wie gut es uns gelingen wird, die Lebensverhältnisse in den neuen Ländern zu verbessern und denen in den alten Ländern auf Dauer anzugleichen. Die Gleicheit der Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik herzustellen ist unsere durch das Grundgesetz gegebene Verpflichtung, den Weg dafür zu ebnen das Ziel des Steueränderungsgesetzes 1991.
Den Berlinern ist klar, daß die Förderung abgebaut werden muß. Unsere Hauptstadt will keine finanzielle Sonderrolle unter den deutschen Großstädten einnehmen. Doch die Förderung darf erst dann wegfallen, wenn auch die Gründe für ihre Schaffung nicht mehr vorhanden sind; denn anderenfalls ist eine wirtschaftliche Instabilität Berlins mit Folgen für das gesamte Beitrittsgebiet vorprogrammiert.
Der Bund hat der Wirtschaft und der Bevölkerung Berlins durch das Berlinförderungsgesetz Steuererleichterungen, Investitions- und Einkommenshilfen gewährt, um die durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen. Die Berlinförderung war kein Geschenk des Bundes, sondern der Ausgleich für Standortnachteile, die alle in Berlin, Wirtschaft und Bevölkerung, auf sich nehmen mußten.
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Die staatliche Teilung Deutschlands gehört zu unser aller Freude der Vergangenheit an. Die wirtschaftlichen Standortnachteile Berlins können jedoch nur langsam abgebaut werden. Die Wirtschaftsstruktur der Stadt ist nach 40jähriger Teilung fast ausschließlich auf das Bundesgebiet ausgerichtet, nicht jedoch auf die Einbringung in den neuen Absatzmarkt des Beitrittsgebietes. Es bedarf erheblicher struktureller Veränderungen, damit Berlin die wirtschaftliche Entwicklung im Beitrittsgebiet positiv beeinflussen kann.
Besonders hart würde es die Berliner Wirtschaft und die Bürger treffen, wenn wirklich zum 1. Juli dieses Jahres, zum gleichen Zeitpunkt wie dem des Inkrafttretens des Solidarbeitrags, auch die Berlinzulage für Arbeitnehmer um 2 % gekürzt würde. Dies wäre in einer für Berlin schwierigen Zeit eine doppelte Belastung für die Bürger. Die Bürger mit niedrigem Einkommen würde dies besonders treffen; denn sie haben die Zulage aus dem Berlinförderungsgesetz in ihre finanzielle Planung einkalkuliert, sie für ihren Schuldendienst eingeplant und wären durch eine gleichzeitig eintretende Doppelbelastung überfordert. Auch sie haben Anspruch auf Vertrauensschutz und müssen Gelegenheit haben, sich auf die neue finanzielle Situation einzustellen.
Die vorgelegte Änderung des Berlinförderungsgesetzes ist in dieser Fassung kontraproduktiv. Sie gefährdet den wirtschaftlichen Aufschwung nicht nur im Großraum Berlin, sondern auch in der gesamten Region.
Ich möchte noch einmal betonen, daß es nicht um den Abbau der Berlinförderung an sich geht, sondern lediglich um den vom Kabinett vorgelegten Zeitrahmen. Ich werde in der Ausschußberatung dafür werben, daß dieser Zeitrahmen ausgedehnt wird.
Herr Abgeordneter Gattermann möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte sehr.
Herr Kollege, bei allem Verständnis für das, was Sie hier vortragen: Sehen Sie denn nicht, daß der Konflikt, der darin besteht, daß derjenige der im - ehemaligen - Ost-Berlin wohnt und in West-Berlin arbeitet, diese Zulage bekommt, sein Ostberliner Nachbar, der nur die Hälfte verdient, aber nicht, unter Berücksichtigung der sozialen Belange, die Sie angesprochen haben, zügig angegangen und gelöst werden muß?
Herr Kollege Gattermann, ich habe mich viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, als daß ich dieses Problem nicht sehe. Aber ich sehe auf der anderen Seite natürlich auch das Problem, daß die wirtschaftliche Entwicklung der Beitrittsländer und der gesamten Region Berlin als Schrittmacher braucht und deshalb die Entwicklung in Berlin nicht in Frage gestellt werden darf.
Ich selber hatte bereits zum Ausdruck gebracht, daß die Berlin-Förderung selbstverständlich abgebaut werden muß. Es geht aber nicht um den Abbau, sondern es geht um die zeitlichen Schritte und um das Zusammenfallen der einzelne Maßnahmen zu dem Zeitpunkt 1. Juli.
Es ist also nicht so, daß Berlin nicht bereit wäre, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Gesundung Ostdeutschlands zu leisten. Vielmehr wollen wir gerade eine Lokomotivwirkung in dieser Region entfalten. Wir glauben, daß eine schwierige wirtschaftliche Situation in Berlin dies nicht gewährleisten kann.
Ich glaube darüber hinaus, daß es nicht nur zum Wohle der Deutschen ist, wenn wir eine Stabilisierung im Beitrittsgebiet erreichen, sondern daß dies auch einen erheblichen Einfluß auf den europäischen Einigungsprozeß und den angestrebten Binnenmarkt haben wird. Wir werden daran gemessen werden, wie wir die vorhandenen und sicher sehr schwerwiegenden Probleme bewältigen können.
Die Ausstattung der neuen Bundesländer mit finanziellen Mitteln ist aber nicht allein Sache der Bundesregierung. Auch die Regierungen der alten sowie der neuen Bundesländer sind gefordert, ihr Mögliches zu tun, um den Menschen und der Wirtschaft zum jetzigen Zeitpunkt zu helfen.
Als ein überaus gutes Zeichen werte ich, daß die Regierungen der alten Bundesländer ihre Zurückhaltung aufgegeben haben und die fünf neuen Länder durch eine gleichberechtigte Beteiligung an der Umsatzsteuer finanziell unterstützen wollen.
Ich möchte an dieser Stelle - auch Herr Minister Waigel hat es heute morgen getan - die Fortschritte in der Treuhandanstalt hervorheben. Es ist so leicht, etwas zu kritisieren; aber es ist eine schwierige Aufgabe, die die Treuhandgesellschaft zu erfüllen hat. Deshalb sollte man, meine ich, die Fortschritte, die dort in der letzten Zeit erzielt worden sind, dankend anerkennen.
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Unter sehr schwierigen Umständen haben die Mitarbeiter ungewöhnliche Aufgaben zu bewältigen, Aufgaben, bei denen sie sich auf keinerlei Erfahrungswerte stützen konnten und auch in Zukunft nicht stützen können.
Wir werden uns in der nächsten Zeit mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen beschäftigen, damit die Arbeit der Treuhandanstalt zügiger und unter größerer Akzeptanz in der Bevölkerung vonstatten gehen und der Weg für neue Investitionen freigemacht werden kann.
Wenn man die heutige Debatte verfolgt hat, mußte man bei vielen Beiträgen das ungute Gefühl haben, daß der Streit im Vordergrund stand, aber nicht die betroffenen Menschen. Wir haben hier eine Aufgabe zu erfüllen. Die Menschen aus den neuen Bundesländern werden diese Debatte mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, um zu erfahren, wie wir uns die Zukunft dieses Landes vorstellen. Ihre Meinung sollte uns nicht gleichgültig sein. Die vor uns liegenden Aufgaben sind nicht geeignet für Profilierung und Parteienstreit. Es kann nicht richtig sein, daß wir die Menschen, die einen hohen persönlichen Preis für die politische Entwicklung der Nachkriegszeit gezahlt haben weiter verunsichern und ihnen das Gefühl der Bevormundung geben.
Unsere Aufgabe ist es vielmehr, ihnen ihre Selbstzweifel zu nehmen, ihnen zu helfen, ihnen Mut für die Zukunft zu geben, ihnen die Übergangszeit zu erleichtern und die gesamte Bundesrepublik zu einem blühenden, sozial befriedigten Gemeinwesen zu entwickeln. Wir sollten versuchen, dieses gemeinsam zu tun.
Recht herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich möchte Sie nun noch bitten, den Überweisungsvorschlägen zu den Zusatztagesordnungspunkten 1 bis 3 zuzustimmen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 12/219 bis 12/221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen feststellen.
Nun bleibt mir nur noch übrig, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 13. März, 9 Uhr einzuberufen. Wir setzen dann die Aussprache über das Haushaltsgesetz 1991 und den Finanzplan des Bundes 1990 bis 1994 fort.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.