Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/26/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich eine Delegation des Sejm der Republik Polen unter Leitung des Vizemarschalls des Sejm, Herrn Dr. Jòzef Zych, herzlich begrüßen, die auf der Ehrentribüne Platz genommen hat. ({0}) Ich möchte kurz uns allen sagen: Ich freue mich sehr über den Besuch des Marschalls des Sejm, der heute morgen schon abgereist ist, und des noch anwesenden Vizemarschalls. 1992 ist das Jahr mit den zahlreichsten deutsch-polnischen parlamentarischen Kontakten seit Aufnahme dieser Beziehungen 1989. Das zeigt, daß wir den deutsch-polnischen Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag mit Leben erfüllen. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Besuchen hier in Bonn, im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, daß sich unsere Kontakte weiter intensivieren. Ich freue mich, daß wir auf einem so guten Wege sind. Herzlichen Dank, daß Sie hier sind. ({1}) Gratulieren möchte ich dem Kollegen Rudolf Müller - ich weiß nicht, ob er hier ist -, der heute seinen 60. Geburtstag feiert. Jedenfalls mögen ihn von hier aus unsere herzlichsten Glückwünsche erreichen. Wir wünschen ihm alles Gute. ({2}) Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - Drucksachen 12/3509, 12/3530 - Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({3}) Helmut Wieczorek ({4}) Dr. Nils Diederich ({5}) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1993 ({6}) - Drucksachen 12/3331, 12/3538 -Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({7}) - Drucksache 12/3750 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hermann Schwörer ({8}) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens - Drucksache 12/3332 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({9}) - Drucksache 12/3751 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hermann Schwörer Hans Martin Bury ({10}) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft ({12}) vom 8. Juni 1967 für die Jahre 1989 bis 1992 ({13}) - Drucksachen 12/1525, 12/2503 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Nils Diederich ({14}) Hans-Werner Müller ({15}) Zum Einzelplan 09 liegen je ein Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS/Linke Liste vor. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wünscht zu ihrem Änderungsantrag namentliche Abstimmung. Ob dies die nach der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Geschäftsordnung erforderliche Unterstützung von 34 anwesenden Abgeordneten findet, wird nach der Aussprache festgestellt. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abgeordnete Dr. Nils Diederich.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Mitberichterstatter möchte ich vor Eintritt in die Sacherörterung den Mitarbeitern des Ministeriums ganz herzlich für die intensive Zusammenarbeit danken. Wir haben in diesem Jahr besonders heftige Beratungen gehabt, mit vielem Hin und Her. Ich denke, es gehört sich, daß man den Ministerialbeamten, die versucht haben, ihre Pflicht zu erfüllen, und dies auch getan haben, dankt. ({0}) Wir haben ihnen mit den Kürzungen manches Leid angetan. ({1}) Aber das gehört ja zum Rollenspiel. Meine Damen und Herren, die krisenhafte Entwicklung in der ganzen Bundesrepublik ist nun seit vielen Monaten bekannt. Sie ist schon im Frühjahr dieses Jahres absehbar gewesen. Immer noch ist der Rückgang an Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern größer als der Neuzugang an Arbeitsplätzen. Die Produktion geht immer noch zurück, trotz leichten relativen Wachstums. Die Nachfragekrise ist unübersehbar. Immer stärker macht sich die fehlende Infrastruktur in Ostdeutschland bemerkbar. Die Vermögensgesetzgebung, die die Bundesregierung mit ihrer Formel „Rückgabe vor Entschädigung" zu verantworten hat, ist ein wachsendes und ernst zu nehmendes Investitionshemmnis. ({2}) Die starke Umweltschädigung ist ein weiteres Hemmnis für eine schnelle Entwicklung industrieller Flächen und damit für Investitionen. Die Deindustrialisierung in den neuen Bundesländern schreitet mit Riesenschritten voran. Sie wird von der Treuhand, die ihren Auftrag getreulich erfüllt, so wie ihn die Bundesregierung formuliert hat, geradezu verstärkt. Die Abwanderung vor allem der jungen und qualifizierten Arbeitskräfte aus den neuen Bundesländern, aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Brandenburg, aus den östlichen Gebieten Sachsens, aus Thüringen, hat beängstigende Ausmaße angenommen. Ich weiß nicht, wie eine Nation leben will, in der die Wanderungsbewegung heute bedeutend stärker ist als vor dem Bau der Mauer 1961. ({3}) Uns hat jetzt die Rezession eingeholt, die in den anderen europäischen Ländern schon seit einigen Jahren andauert und die in Deutschland überdeckt worden ist durch die Vereinigungskonjunktur, durch den Nachfrageschub, der mit der Vereinigung einherging. All das sind Dinge, die nicht erst im Oktober oder November 1992 bekanntgeworden sind, sondern die langfristig absehbar waren. Die Regierung hat dennoch dem Parlament im Herbst einen normalen Haushalt vorgelegt, der heute in keiner Weise mehr - auch nach den krampfhaften Nachbesserungsversuchen nicht - der Realität entspricht. ({4}) Noch in der letzten Runde hat die Koalition versucht, in einer großen Streichungsaktion Geld einzusammeln. Bezeichnend ist, daß selbst die Förderung der wirtschaftsnahen Forschung in den neuen Bundesländern, die einer der Motoren für den Wiederaufstieg sein kann, vom Finanzminister nur unter Hinnahme einer globalen Minderausgabe beim Wirtschaftsminister, d. h. zu Lasten anderer Förderungstitel bewilligt worden ist. Die Streichliste der Koalition ist das Ergebnis eines hilflosen Auskehrens in allen Ecken des Haushalts ohne konzeptionelles Gerüst. ({5}) Was da passiert ist, war absurdes Theater. In einer Zeit, in der Konjunktur belebt werden muß, in der Investitionen angeregt werden sollen, werden investive und beschäftigungswirksame Maßnahmen gekürzt. Beispiele dafür sind: Erstens. Die Kürzung der Sanierungsaufwendungen für die Wismut AG um 150 Millionen DM trifft eine besonders schwer geschädigte Region. ({6}) Dies ist keine Einsparung; denn die Verzögerung der Finanzierung verteuert im Ergebnis die Sanierungsanstrengungen in den neuen Ländern und in dieser Region. Die Kürzungen sind strukturpolitisch kontraproduktiv und arbeitsmarktpolitisch inakzeptabel. ({7}) Einer Region mit de facto mehr als 40 % Arbeitslosigkeit wird ein weiterer Beschäftigungsabbau von mindestens 1 000 Arbeitsplätzen verordnet. ({8}) - Lieber Kurt Rossmanith, das trifft sehr genau zu. ({9}) Zweitens. Mit der Kürzung der Mittelstandsförderung um 50 Millionen DM, mit der Kürzung der Städtebauförderung um 38 Millionen DM werden in einer Phase des Konjunkturabschwungs investive Ausgaben gekürzt. Drittens. Consultingmaßnahmen, die gerade für mittelständische Unternehmen - für Unternehmensgründungen und für Aktivitäten gerade in konjunkDr. Nils Diederich ({10}) turell schwieriger Zeit - wichtig sind, werden weiter beschnitten. Das ist der Maßnahmenkatalog, mit dem die Koalition noch an den vorliegenden Haushalt herangegangen ist. Allerdings muß man hinzufügen: Die Tinte, mit der diese Streichungen vollzogen wurden, war noch nicht trocken, als die Bundesregierung nun versuchte, das Steuer herumzureißen. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muß man sich wirklich fragen: Was ist die Aufgabe des Wirtschaftsministers in der Bundesregierung? ({11}) Es ist immer wieder gut, einmal nachzulesen. Ich zitiere: Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen. ({12}) - Der Minister kennt das sehr genau. Das ist die Definition der Wirtschaftspolitik im Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Ich weiß nicht, ob dieses Gesetz überhaupt noch Beachtung findet. Herr Wirtschaftsminister, wir müssen Ihnen bescheinigen, daß Sie jedenfalls Ihre Aufgabe nicht erfüllt haben. ({13}) Ihnen fällt im Rahmen der Politik der Bundesregierung die Koordinierung unter dem Aspekt der wirtschaftspolitischen Wirkung zu. ({14}) Sie haben jedenfalls aus dem Entwurf des Haushaltsplans dieses Jahres nicht das Kursbuch der Nation gemacht. ({15}) Herr Minister, Sie haben im vorigen Jahr eine Einschätzung gegeben, in der Sie über die Rahmenbedingungen gesprochen haben. Sie haben damals z. B. gesagt: Die Ausfuhren der deutschen Wirtschaft fielen zwar zuletzt noch geringfügig höher aus als vor Jahresfrist, der Export werde aber im nächsten Jahr auf Grund der verhaltenen Wirtschaftsentwicklung in den meisten westlichen Industrieländern nicht im gewohnten Maß Motor der Konjunktur sein. Sie haben das gesehen. Sie haben dem aber trotzdem im vergangenen Jahr nichts entgegengesetzt; im Gegenteil: Sie haben sich aus der aktiven Staatspolitik verabschiedet. ({16}) Das entspricht sicher Ihrem frei-marktwirtschaftlichen Bekenntnis. Nun muß man sich allerdings fragen, ob Sie inzwischen Ihre Auffassungen geändert haben oder ob unter dem Druck der Verhältnisse die höhere Einsicht zu einer aktiveren Wirtschaftspolitik geführt hat. Man muß hier fragen: Warum haben Sie nicht schneller reagiert? Warum sind die Vorschläge, die jetzt kurz vor Abschluß der Haushaltsberatungen nachgeschoben werden, die Sie der Öffentlichkeit unterbreitet haben, die der Herr Bundeskanzler gestern hier verkündet hat, nicht bereits mit dem Haushalt für 1993 im Herbst dieses Jahres vorgelegt worden? ({17}) Jeder Monat, den wir verlieren, bedeutet einen Tempoverlust, bedeutet höhere Arbeitslosigkeit sowie den Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten auf ein noch niedrigeres Niveau. Das 6-Punkte-Programm der Regierung ist ein Griff in den Instrumentenkasten, den Ihnen die Sozialdemokraten seit zwei Jahren anzubieten versuchen. Nun greifen Sie natürlich zu den schwachen Werkzeugen. Es wäre hilfreich, wenn wir bereits heute die Vorschläge, über die Sie nun anfangen zu diskutieren, umsetzen könnten, um antizyklische Aktivitäten zu entfalten. ({18}) -Ja, Herr Glos, das ist so eine Sache. Manchmal muß man sich auch überlegen, bestimmte Dinge nicht zu sagen. ({19}) - Man braucht etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Nachdenken ist immer gut. ({20}) Sie haben mit gewaltigen Fanfarenstößen Ihr Amt vor kaum zwei Jahren angetreten. Subventionsabbau hatten Sie verkündet, Herr Möllemann. Warum davon heute keine Rede mehr ist, zeigt uns der Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom 12. November. Dort wird Ihnen bescheinigt - das können Sie nachlesen -: Ihre Bemühungen zeigen letztlich per saldo nur sehr geringe Wirkung. Betrugen die Bundessubventionen im Jahre 1980 noch 61 Milliarden DM, so waren sie 1985 auf 78 Milliarden DM angewachsen und sind seither, mit Ausnahme des Jahres 1989, von Jahr zu Jahr gestiegen und erreichen 1992 im alten Bundesgebiet 86,5 Milliarden DM. Insbesondere der drastische Anstieg bei den Finanzhilfen und bei den Zuschüssen des Bundes für laufende Zwecke und Investitionen machen dies aus. Das zeigt ja wohl die Unwirksamkeit Ihrer Bemühungen im Rahmen der Bundesregierung. Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung lautet das: Die christlich-liberale Regierung hat von Anfang an die Eindämmung der Subventionen als ihr vordringliches Ziel verkündet. Die Umsetzung Dr. Nils Diederich ({21}) stieß allerdings auf erhebliche Widerstände; konkrete Einsparungen wurden kaum erzielt. Angesichts der Finanzprobleme im Zuge der deutschen Vereinigung gewann die Forderung nach einem durchgreifenden Subventionsabbau in Westdeutschland an Dringlichkeit. Es fehlt indes an Konzepten für eine zielgerichtete Verringerung der Subventionen. ({22}) Ihre Anti-Subventionspolitik erweist sich als Sonntagsjägerei.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Diederich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther? ({0})

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn Sie die Uhr anhalten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das tue ich sofort.

Rudi Walther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002424, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Dr. Diederich, nach dem, was Sie hier über die Ausführungen des DIW vorgetragen haben, frage ich Sie: Wie kann es eigentlich passieren, daß dieses Institut die 10 Milliarden DM Subventionskürzungen des Bundesministers Möllemann vom letzten Jahr noch nicht berücksichtigt hat? ({0}) Fällt Ihnen dazu eine Erklärung ein?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist schwierig für ein Institut, etwas zu berücksichtigen, was es de facto nicht gegeben hat. ({0}) Wenn Sie letztlich nicht völlig gescheitert sind, Herr Möllemann, dann deshalb, weil Sie im Zuge der Vereinigung Berlin- und Zonenrandförderung - spaltungsbedingte Subventionen - abbauen konnten. Bei den Finanzhilfen ist hingegen so gut wie nichts gestrichen worden - auch nicht, als vereinigungskonjunkturbedingt die Lage in den Jahren 1990 und 1991 noch günstiger war. Vielleicht sollte man hier einen Satz dazu sagen, daß Berlin wahrscheinlich der Bereich ist, der bis jetzt am meisten als Blutspender für die deutsche Einheit gedient hat. ({1}) Man sollte würdigen, daß der Abbau der BerlinFörderung ein wichtiger Beitrag ist. ({2}) Es ist richtig, daß Berlin auch ein Gewinner ist. Bloß bis jetzt ist das j a noch nicht realisiert. Darauf warten wir noch. ({3}) Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben seit langem gefordert, den Sanierungsgedanken in den Vordergrund der Treuhandpolitik zu stellen. Jetzt endlich verkündet der Bundeskanzler, daß er industrielle Entwicklungskerne erhalten wolle. Dies ist reichlich spät, nachdem viele große Unternehmen plattgemacht oder in die Pleite gefahren worden sind. Wir erwarten, daß sich das Konzept zur Erhaltung der industriellen Kerne auf die positiven Erfahrungen stützt, die wir nach dem Kriege in der Bundesrepublik gemacht haben. Ich glaube kaum, daß die Treuhandgesellschaft - so, wie sie sich derzeit zeigt - heute noch die geeignete Organisation ist, um diese große Sanierungsaktion durchzuführen. ({4}) Wir fordern deswegen die Bundesregierung auf, für die Sanierung der industriellen Kerne direkt Verantwortung zu übernehmen. Die Herausnahme dieser Unternehmen aus der Treuhandgesellschaft und die Überführung in direkte Beteiligungsgesellschaften des Bundes, an denen auch die Länder beteiligt sind, ist, glaube ich, die Aufgabe der Stunde. Allerdings müssen wir eine Reihe von Voraussetzungen schaffen, die notwendig sind. Insbesondere müssen wir weggefallene Märkte ersetzen. Wir müssen die Unternehmen in die Lage versetzen, tatsächlich an den Markt zu kommen. ({5}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Haushalt ist jedenfalls nicht geeignet, die wirtschaftspolitischen Ziele der Erhaltung von Beschäftigung, der Wiederbelebung und des Aufbaus zu erfüllen. ({6}) Die Sozialdemokraten haben ein Investitionsprogramm gefordert. Wir begrüßen, daß Sie einzelne sozialdemokratische Vorschläge aufgenommen haben. Wir bieten die Zusammenarbeit für eine Gemeinschaftsinitiative für Deutschland an. ({7}) Diese Gemeinschaftsinitiative muß der deutschen Einheit eine Perspektive geben, die über den Tag hinausgeht. Die Sozialdemokraten sind zur Zusammenarbeit bereit. Ich muß allerdings sagen: Ihre bisherigen Bemühungen verdienen nur das Urteil „ungenügend". ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Kurt Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) Lieber Nils Diederich, seit dem 3. Oktober 1990 sind wir nicht nur wieder ein Volk - das waren wir auch vorher -, sondern - ich glaube, das ist der wesentlichere Punkt, den wir bei der heutigen Wirtschaftsdebatte berücksichtigen müssen - wir sind auch wieder eine Volkswirtschaft. Das bedeutet, es bestehen unmittelbare und direkte Wechselwirkungen zwischen den wirtschaftlichen Entwicklungen in den alten Bundesländern und in den neuen Bundesländern; das dürfen wir nicht außer acht lassen. Zu dem, was Sie zu Subventionen und ähnlichem gesagt haben, lieber Nils Diederich, werde ich auch einiges sagen. Aber eines vorneweg: Man kann nicht wie Sie beklagen, daß wir hier und da Einsparungen vorgenommen haben, und im gleichen Atemzug sagen: Die Subventionspolitik fassen wir nicht an. ({1}) Lieber Herr Vorsitzender Rudi Walther, allein im Einzelplan 09 haben wir gegenüber dem Regierungsentwurf annähernd eine halbe Milliarde DM, d. h. 400 Millionen DM zusätzlich an Kürzungen vorgenommen, die im Subventionsbereich liegen und die uns sicherlich nicht leichtgefallen sind. Ich werde dazu dann noch einiges sagen müssen, weil hier - leider Gottes, muß ich sagen - aus rein populistischen Gründen von einer Gruppe dieses Hauses wieder ein Antrag gestellt wird, bei dem ich davon ausgehen muß, daß man sich mit der Problematik, die damit zusammenhängt, überhaupt nicht befaßt hat. ({2}) Es steht außer Frage, daß es in einer Zeit, in der die Wirtschaft etwas stagniert und die Wachstumsraten, die wir in den vergangenen Jahren hatten, für die Zukunft nicht mehr so fortgeschrieben werden können, natürlich schwieriger geworden ist, die finanziellen Mittel für unsere Landsleute in den neuen Bundesländern und für den Aufbau der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Ich weiß natürlich, daß, je länger der Prozeß des Wiederaufbaus der ostdeutschen Wirtschaft andauert, desto mehr nicht nur die Bevölkerung in den neuen Bundesländern unter dem Verlust der Arbeitsplätze und den beruflichen Perspektiven leidet; vielmehr wird dieser Prozeß für uns natürlich auch insgesamt teurer. Deshalb ist die wichtigste Aufgabe auch für die neuen Bundesländer, daß wir die Gefahr einer anhaltenden Rezession abwehren und die aktuelle Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft wieder überwinden und in Stärke umwandeln. Die Aussagen des Sachverständigenrates in seinem jüngsten Jahresgutachten haben darauf mit allem Nachdruck hingewiesen. Es kommt darauf an, die sich im Westen abzeichnende oder bereits vorhandene Flaute zu überwinden und in den neuen Bundesländern weiter darauf hinzuarbeiten, daß die produktiven Kräfte aktiviert werden und auch ein wettbewerbsfähiges Angebot entsteht. Dies stellt die Wirtschafts- und die Finanzpolitik in den nächsten Jahren sicherlich vor schwierige Aufgaben, die wir oder insbesondere die Wirtschafts- und die Finanzpolitiker mit zu bewältigen haben. Hier hilft es nicht, einfach in Polemik zu verfallen oder Anträge, die irreal sind, zu stellen. Mit dem Haushalt 1993, den wir morgen in dritter Lesung verabschieden werden, haben sowohl die Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen den Grundstein für diese von uns angestrebte erfolgreiche Konsolidierungspolitik gelegt. Jetzt komme ich auf das, Herr Kollege Diederich, was Sie angesprochen haben: Erst durch Einsparungen in Höhe von mehreren Milliarden DM ist eine noch größere Finanzierung für die neuen Bundesländer möglich geworden. Ich darf Sie schon daran erinnern, daß die Einsparungen, die wir zu Lasten insbesondere der alten Bundesländer vorgenommen haben, für - auch das sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen - die neuen Bundesländer vorgenommen wurden, um dort die wirtschaftliche Entwicklung und auch die Produktivität zu stärken. Das ist das A und O des wirtschaftlichen Aufbaus in den neuen Bundesländern. Wir müssen - wir sagen das auch - natürlich unsere Landsleute in den alten Bundesländern immer wieder darauf hinweisen, daß auch Einschnitte in liebgewordene Besitzstände erfolgen müssen und erfolgen werden. Es fällt uns sicherlich nicht immer leicht, dies zu tun, aber wir haben einfach den Mut dazu, weil wir wissen, wie notwendig ein rascher bzw. ein kontinuierlicher Aufbau auch der Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern ist. Deshalb ergibt sich für die öffentlichen Finanzen die Notwendigkeit einer Sparpolitik, und zwar nicht nur für den Bund. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Nicht nur der Bund hat zu sparen, sondern auch die Länder und die Kommunen, und dies schon in den Jahren 1993 und 1994, aber dies gilt ebenso für den Rest dieses Jahrzehnts. ({3}) Richtigerweise - das haben Sie richtig dargestellt - liegt ein wesentliches Einsparpotential auch nach Auffassung des Sachverständigenrats beim Abbau der Subventionen. Insofern stimme ich mit Ihnen völlig überein, Herr Kollege Diederich.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Diederich?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Nichtanrechnung, Frau Präsidentin.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Rossmanith, ich darf kurz auf ihre Bemerkungen zurückkommen, auch die Länder müßten sparen. Wie beurteilen Sie dann die Tatsache, daß das Land Bayern bei den Steigerungsraten des Haushalts für 1993 einsam an der Spitze liegt? ({0}) Dr. Nils Diederich ({1}) Der Finanzplanungsrat hat unter der Stabführung von Herrn Waigel beschlossen: 3 % ist die Obergrenze. Bayern leistet sich 5,9 %. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das entscheide noch immer ich, Herr Bundesminister. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Diederich, Herr Bundesminister Waigel hat natürlich die richtige Aussage getroffen. ({0}) Ich muß Ihnen zunächst sagen, daß es sich nicht um das Land, sondern um den Freistaat Bayern und die Bayerische Staatsregierung handelt. Ich darf ein bißchen nachhelfen und Ihren Informationsstand insofern ergänzen, als ich Sie bitte, zur Kenntnis zu nehmen, daß der bayerische Staatsminister der Finanzen, Herr Dr. von Waldenfels, angekündigt hat, auch den neuen Haushalt im Rahmen der Größenordnung, die unser Bundesfinanzminister vorgegeben hat, vorzulegen. ({1}) Sicher hat er bei seinen Ressortkollegen die eine oder andere Problematik zu überwinden, aber ich weiß, daß sie auch das in den Griff bekommen und somit ihrer Verantwortung gerecht werden. Herr Kollege Diederich, Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Wir sind notfalls, wenn es sein muß, die letzten Preußen. - Ich glaube, daß unter den alten Bundesländern, die ihre Verantwortung für die neuen Bundesländer nicht nur verbal, sondern auch in Taten zum Ausdruck bringen, der Freistaat Bayern mit an vorderster Stelle steht. ({2}) Wir nehmen deshalb den Abbau der Subventionen sehr ernst. Ich habe eingangs schon erwähnt: Wir haben allein gegenüber dem Regierungsentwurf im Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft noch einmal 400 Millionen DM gestrichen. Damit sind natürlich zum Teil schmerzhafte Einschnitte in bestehende Fördermaßnahmen verbunden. Ich nenne z. B. die Mittelstandsförderung, die Regionalförderung in den alten Bundesländern. Hier sind erhebliche Kürzungen vorgenommen worden. Wir haben schon im vergangenen Jahr das Eigenkapitalhilfeprogramm für die alten Bundesländer gänzlich gestrichen. Ich möchte wiederholen, daß ich diese Streichung nicht als eine Streichung für alle Zeit ansehe, sondern nur als ein Aussetzen bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich unsere Finanzen wieder etwas günstiger entwikkelt haben. Gerade auch das Eigenkapitalhilfeprogramm war und ist nämlich für die Förderung und den Aufbau neuer Unternehmen auch in den alten Bundesländern ein hervorragendes Mittel, um Arbeitsplätze, um Wirtschaftskraft zu schaffen. ({3}) Bei den Kürzungen im Bereich der Mittelstandsförderung haben wir natürlich auch darauf geachtet - das ist die Verantwortung, die wir tragen -, daß die Maßnahmen der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung im Handwerk weitgehend von den Einsparungen ausgenommen werden konnten. Eine qualifizierte Berufsausbildung stellt ja auch eine Zukunftsinvestition dar, die nicht beeinträchtigt werden darf. ({4}) Gerade in den neuen Bundesländern kommt meines Erachtens der Schaffung eines leistungsfähigen Mittelstandes eine entscheidende Bedeutung zu. Wir alle sollten daran denken, daß die Lehrlinge von heute die Meister von morgen sind, d. h. die Selbständigen von übermorgen, die dann wieder Arbeitsplätze schaffen, die dann wieder Lehrlinge ausbilden und auch Facharbeiter beschäftigen können. Es sollte uns allen klar sein, daß die derzeitige Entwicklung, bei der wir mehr Studenten als Lehrlinge haben, sicherlich nicht das A und O für eine florierende Volkswirtschaft darstellen kann. ({5}) In einem weiteren Wirtschaftsbereich wurde im Haushaltsausschuß in der Tendenz einstimmig - das will ich für die Sozialdemokraten einmal mitsagen -, wenn auch im Abstimmungsverhalten nicht so sehr sichtbar, über das Auslaufen einer Subvention im Werftbereich abgestimmt. Wir sind dafür eingetreten, diese Subvention nicht abrupt abbauen bzw. wegfallen zu lassen. Wir haben dies sicherlich nicht leichten Herzens vorgenommen. Man muß einfach berücksichtigen und zur Kenntnis nehmen, daß die Konkurrenzländer ihre eigenen Schiffsbaubetriebe nach wie vor mit massiven Subventionen unterstützen. Eine ersatzlose Streichung dieser bisher gewährten Subvention, die wir ganz deutlich zurückgefahren haben, hätte bedeutet, daß eine ganze Reihe von Betrieben in den Küstenländern ihre Existenz aufs Spiel gesetzt oder wahrscheinlich verloren hätten. Es ist nicht nur der Betrieb - das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten -, sondern es sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Betrieb, die dann zum größten Teil ihre Existenz mitverlieren. Gerade im Küstenbereich sind Ersatzarbeitsplätze mit Sicherheit nicht in Hülle und Fülle vorhanden. ({6}) - Nur, wenn er sich hier mit seiner Presseerklärung etwas konzilianter verhalten und darauf hingewiesen hätte, daß die Union und die F.D.P. gemeinsam, in erster Linie aber die Pressuregroup in der Union für das Werfthilfeprogramm eingetreten ist, dann wäre das, lieber Herr Kollege Weng, etwas fairer gewesen. ({7}) Das wollte ich in dieser Deutlichkeit jetzt nicht sagen. Herr Bundesminister, jetzt muß ich das doch ansprechen: Wir vom Haushaltsausschuß hatten Ihnen am 24. Juni vergangenen Jahres einstimmig einen klaren Auftrag gegeben, die Situation nicht nur als solche darzustellen, wie sie ist und wie ich sie dargestellt habe, sondern bereits im Regierungsentwurf entsprechende Maßnahmen zu treffen. Herr Bundesminister Möllemann, Sie haben das nicht getan. Deshalb mußten wir im Haushaltsausschuß handeln. ({8}) Ich betone noch einmal: Ich wollte das hier nicht sagen. Lieber Herr Kollege Weng, Sie haben mich geradezu dazu aufgefordert. Um der Wahrheit willen, die man in diesem Hause immer sagen muß und die hier auch immer gesagt wird, ({9}) war dies erforderlich. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich, bei meinem Freund Wolfgang Weng immer.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Rossmanith, geben Sie zu, daß der Regierungsetat, der Gesamtentwurf, nicht einem einzelnen Minister zuzuordnen ist, sondern selbstverständlich dem federführenden Finanzministerium und der Gesamtregierung in gleicher Weise? ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Weng, ich stimme Ihnen im Prinzip zu. Nur, für den Haushalt des Ministeriums des Bundesministers für Wirtschaft und für das, was hier erforderlich ist, ist natürlich in erster Linie der Bundesminister für Wirtschaft zuständig. ({0}) Lassen Sie mich, lieber Herr Kollege Roth, etwas zur Wismut GmbH sagen, die wir übernommen haben. Ich will nicht näher darauf eingehen, aber es wäre vielleicht ganz gut, wenn die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die wohl dann auch den Antrag auf namentliche Abstimmung stellen wird und die einen Änderungsantrag vorgelegt hat, auch etwas dazu sagen würde, wer denn der Verursacher dieser Situation ist. ({1}) - Nein, nein, er kann nichts dafür. Kollege Walther, ich habe ihn jetzt nicht in die Verantwortung dafür genommen, im Gegenteil. Nur sollte man darstellen, wer hier die Verantwortung trägt. Es sollte darauf eingegangen werden, daß wir im vergangenen Jahr 13 Milliarden DM an Verpflichtungsermächtigungen eingesetzt haben und daß für die Wismut, d. h. für die Sanierung dieses Gebietes - es schließt Thüringen und Sachsen mit ein - kein einziger Pfennig weniger ausgegeben wird, daß sie aber unter dem Zwang des Haushaltes für das kommende Jahr natürlich zunächst eine Streckung hinnehmen muß, wir aber im kommenden Jahr noch 776 Millionen DM - das ist mehr als eine dreiviertel Milliarde DM - allein für den Bereich Süssmuth - Entschuldigung: Wismut ausgeben. ({2}) Deshalb muß die Wismut GmbH in ihrem Arbeitsprogramm für das nächste Jahr natürlich Prioritäten setzen und bestimmte Stillegungs- und Sanierungsarbeiten strecken. ({3}) - Gleich. Ich möchte dies noch sagen, weil es das Thema abschließt. Wir haben nicht einfach eine Kürzung vorgenommen, weil es uns so gefallen hat und es so einfach ist; wir haben uns informiert. Es erscheint mir wirklich zumutbar, den vorgesehenen Betrag von 926 Millionen DM auf 776 Millionen DM zurückzufahren, da die administrativen Genehmigungsverfahren für die Sanierungsarbeiten ohnehin nur sehr schleppend vorangehen. Ich sage es noch einmal: Ich hoffe, daß diese 776 Millionen DM im kommenden Jahr für die Sanierungs- und Stillegungsarbeiten sinnvoll ausgegeben werden können. Unseren Kollegen aus den neuen Bundesländern - es war ursprünglich eine Kürzung von 200 Millionen DM vorgesehen -ist es mit zu verdanken, daß wir diese Kürzung auf 150 Millionen DM zurückgenommen haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Rossmanith, noch eine weitere Zwischenfrage? ({0}) - Wollen auch Sie zur Erheiterung der Wirtschaftspolitik beitragen?

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rossmanith, würden Sie dem Haus noch einmal ausdrücklich bestätigen, daß an der Wismut AG nicht die Präsidentin Süssmuth beteiligt ist, ({0}) obwohl sie strahlt?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach meinem Kenntnisstand, Herr Kollege Wieczorek, kann ich Ihnen ausdrücklich bestätigen, daß die Präsidentin dieses Hohen Hauses nicht an der Wismut GmbH beteiligt ist.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Wieczorek. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich aber am Schluß doch noch auf die allgemeine Situation eingehen, nachdem ich hier exemplarisch dargelegt habe - ({0}) - Sie sind aber heute morgen schon sehr munter, muß ich sagen, Kollege Struck. ({1}) Doch dieses Lob muß ich Ihnen aussprechen. Es ist natürlich immer erheiternd, wenn der Morgen so erfreulich und so vital anfängt. Der Sachverständigenrat hat uns prognostiziert - und jeder weiß es -, daß wir in den nächsten Jahren schwierige Phasen zu durchlaufen haben. Wirtschaftswachstum in den neuen Bundesländern im kommenden Jahr 7 %, in den alten Bundesländern Null. Ich will diesen, muß ich sagen, auch grammatikalisch unmöglichen Begriff vom Null-Wachstum hier nicht erwähnen. Das heißt aber auch, daß wir alle daran mitarbeiten müssen, unsere Wachstumskräfte wieder zu stärken, und die Voraussetzungen für ein Wiedergewinnen der wirtschaftlichen Dynamik schaffen müssen. Das ist von der Bundesregierung schon eingeleitet worden. Nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern natürlich auch Sie mit Ihrer Vitalität, die Sie heute hier beweisen, sollten sie nachhaltig und nachdrücklich unterstützen. ({2}) Das heißt aber, daß wir hier nicht nur die politischen Rahmenbedingungen entsprechend setzen müssen, sondern das ist auch eine Frage der Tarifpolitik. Es steht mir nicht an, und ich möchte es auch nicht, den Tarifparteien irgendwelche Vorschläge zu machen. Tarifautonomie für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist für mich, wie für alle in diesem Hohen Hause - davon gehe ich aus - höchstes Gebot und unantastbar. Aber eines muß natürlich auch klar sein: daß sich die Tarifparteien auch ihrer Verantwortung bewußt sind, für eine Steigerung der Produktivität in den neuen Bundesländern und für eine Kräftigung unserer Wirtschaft, damit aus diesem Wachstum, das im Moment fast auf Null heruntergefahren ist, auch tatsächlich wieder ein Wirtschaftswachstum wird. Denn eines müssen wir wissen: Der Osten oder die neuen Bundesländer werden nicht dadurch aufgebaut, daß in den alten Bundesländern jetzt die Wirtschaft stagniert. Nur wenn wir miteinander - deshalb habe ich eingangs gesagt: eine Volkswirtschaft - auch wieder dazu beitragen, daß eine entsprechende Wachstumspolitik geschaffen werden kann, werden wir nicht nur die innere Teilung überwinden, an der wir weiter arbeiten müssen, sondern werden wir auch dazu beitragen, daß ein schnelleres Wachstum bzw. auch eine schnellere Anbindung unserer neuen Bundesländer an das Niveau der westlichen Länder möglich wird. Lassen Sie mich deshalb noch einmal darauf hinweisen, daß wir mit diesem Haushalt 1993, insbesondere auch mit den Beschlüssen zum Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft, den richtigen Rahmen gesetzt und die richtigen Beschlüsse gefaßt haben, Beschlüsse, die in die richtige Richtung zeigen und einmal mehr verdeutlichen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen nicht nur vom Aufschwung Ost reden, sondern hierfür auch ganz konkrete Maßnahmen, ganz konkretes Handeln geschaffen haben. Der Einzelplan 09 ist wie der gesamte Haushalt 1993 solide, zukunftsweisend und verfassungsgemäß. Ich bitte deshalb das Hohe Haus um Zustimmung auch für diesen Einzelplan. Ich möchte daran anschließen, daß ich sowohl Herrn Bundesminister Möllemann, Herrn Bundesminister Waigel und dem Haushaltsstaatssekretär Dr. Erich Riedl sowie all ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch denen im Finanzministerium und beim Rechnungshof, sowie meinen Kollegen Mitberichterstattern für die gute Zusammenarbeit und die Mitarbeit während der Haushaltsberatungen danke. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Grünbeck. Darf ich, bevor Sie das Wort ergreifen, kurz noch bekanntgeben: Die Forderung nach namentlicher Abstimmung über den Änderungsantrag des BÜNDNISESS 90/DIE GRÜNEN wird von der SPD übernommen, so daß wir kurz vor zwölf Uhr eine namentliche Abstimmung haben werden. Bitte schön, Herr Kollege.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten das von der Welt bewunderte Wirtschaftswunder und einen Aufschwung ohnegleichen erlebt. Zur Zeit sind aber die weltweiten wirtschaftlichen Entwicklungen in Japan, im asiatischen Raum, in den Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere im Osten Europas von derartigen Veränderungen geprägt, daß dies auch an unserer eigenen nationalen Entwicklung nicht spurlos vorübergehen konnte. Es gibt wohl kein Beispiel in der Wirtschaftsgeschichte, in dem in so kurzer Zeit sich so vieles verändert hat wie in den letzten Jahren. Das ist eine neue Herausforderung an die Politik, aber auch an Unternehmen und Gewerkschaften, an Forschung und Entwicklung, an die Verkehrspolitik und an viele andere Bereiche. Niemand bestreitet, daß die Lage ernst ist. Aber ich würde auch davor warnen, die Lage zu dramatisieren. Weder das Jammern noch das Schimpfen sind jetzt gefragte Rezepte, sondern das gemeinsame Streben nach besten Lösungen. ({0}) Der Wettbewerb um die besseren Lösungen könnte uns, wenn wir das politische Gezänk zurückdrängen, zu einer neuen politischen Kultur führen. Ich gehöre noch zu jener Generation, die den Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt hat. Die Hälfte meines Jahrgangs hat nicht überlebt. Ich kenne das Glücksgefühl, überlebt zu haben. Ich habe gemeinsam mit meiner Familie, die unter schweren Opfern der Vertreibung zu leiden hatte, den Wiederaufbau in der Bundesrepublik miterleben und mitgestalten dürfen. Wir tun gut daran, uns jetzt dieser Zeiten zu erinnern, um die heutigen Ereignisse dann mit dem richtigen Maßstab zu beurteilen. Wir haben nicht nur einen ungeheuren Wohlstand gegenüber der übrigen Welt erreicht, sondern wir haben auch die Ansprüche auf höchstem Niveau zu erfüllen versucht, was auf die Dauer gesehen - und das wußten wir alle - nicht möglich ist. Gefordert ist jetzt wieder eine Mentalität des Ärmel-Aufkrempelns, die der intelligenten Phantasie und der Eigeninitiative freien Raum gibt. Im Augenblick muß man manchmal die Sorge haben, daß hektischer Aktionismus an die Stelle durchdachter sozialer marktwirtschaftlicher Entwicklungen tritt. Vielleicht wäre es gut, wenn wir alle hin und wieder eine Gedenkminute für Ludwig Erhard einlegen würden, der gerade in den kritischen Situationen immer wieder seine Standfestigkeit und seine Bekenntnistreue zur Marktwirtschaft bewiesen und damit zur Stetigkeit der wirtschaftlichen Abläufe und zum Aufbau des Vertrauens beigetragen hat. ({1}) Die Geschichte ist wahr: Als im Juni 1948 die Währungsreform durchgeführt wurde und Ludwig Erhard die Freigabe der Preise erklärte, wurde ihm von General Clay vorgeworfen, er habe seine Kompetenz überschritten, weil Preisveränderungen von den Alliierten genehmigt werden mußten. Darauf soll Ludwig Erhard den legendären Satz gesagt haben: „Ich habe die Preise nicht verändert, ich habe sie freigegeben. " Das war nicht nur das mutigste, sondern auch das größte und schnellste Deregulierungsprogramm der Geschichte. Wir könnten daraus manches für die heutige Situation lernen. Erhard hat damals auch gesagt, daß die Marktwirtschaft nichts bequemes ist, aber es gibt an Stelle der Marktwirtschaft nichts Gerechteres. Und deshalb sollten wir uns zu ihr bekennen. ({2}) Ich erinnere mich gut an die Partnerschaft zwischen den Bundesbürgern und den über zehn Millionen Vertriebenen, die nicht nur ihre Heimat, sondern auch Hab und Gut verloren hatten. Man stand zum großen Teil vor dem Nichts. In einer selten für möglich gehaltenen Solidarität haben damals die Altbundesbürger den Flüchtlingen und Vertriebenen den Start in eine neue Zukunft erleichtert. Mit einer ungeheuren Energieleistung haben wir alle dann in partnerschaftlicher Zusammenarbeit den Wiederaufbau der Bundesrepublik mitgestaltet. Dieser Partnerschaftsgedanke sollte uns eigentlich auch heute mehr bewegen. Er darf vor keiner Hürde haltmachen. Denn wir müssen die Gegensätze in unserer Gesellschaft abbauen und positive Entwicklungen ausbauen. Ich kann in dieser kurzen Redezeit nicht alle Gedanken beschreiben, aber einige, die mich bewegen, darf ich vortragen. Vor uns liegt eine Zeit ungeheurer Veränderungen. Fast alle Branchen sind vom Strukturwandel betroffen. Es muß uns gelingen, die Entbürokratisierung auf allen Ebenen voranzubringen. Wir müssen Regelungen abschaffen oder verbessern, die dem Aufschwung und mitunter sich gegenseitig selbst im Wege stehen. Wir dürfen die Zeiten für Genehmigungsverfahren nicht einfach resignierend zur Kenntnis nehmen, sondern wir müssen sie verbessern. ({3}) Wir müssen die Privatisierung auf allen Ebenen vorantreiben, bei den Kommunen, den Ländern und beim Bund. ({4}) Der Strukturwandel ist besonders in den exportorientierten Branchen erforderlich. Wir alle nehmen betroffen die Absatzkrise in der Automobilindustrie, in der Werkzeugmaschinenindustrie, in der Textilindustrie und in anderen Bereichen zur Kenntnis. Da helfen Erhaltungssubventionen wenig. Hier müssen neue Strukturen bei den Produkten und bei den Märkten gefunden werden. Dies schaffen wir aber nicht durch staatliche Beihilfen allein, sondern nur durch eigene Anstrengung, durch höhere Effizienz, durch Forschung und Entwicklung. Dafür müssen die Rahmen verbessert werden, und deshalb kann die Unternehmenssteuerreform nicht auf die lange Bank geschoben werden. ({5}) Wir müssen erreichen, daß die aufgewendeten Finanzmittel effizient eingesetzt werden. Das kann geschehen, indem wir klar festlegen: Was ist dringend notwendig, was kann man zurückstellen, was kann man streichen? Es gilt also, Prioritäten zu setzen. Für uns Liberale ist die Verringerung der Arbeitslosigkeit das allererste Gebot der Stunde. Dazu gibt es kein besseres Instrument als Investitionen, Investitionen und nochmals Investitionen. ({6}) Aber auch Investitionen brauchen Prioritäten. Es hat keinen Sinn, wenn wir an der Ostsee den westdeutschen Gemeinden die fünfte Reinigungsstufe für das Abwasser vorschreiben, in den östlichen Bundesländern aber noch die Grundansätze für die Verbesserungsmaßnahmen fehlen. ({7}) Es hat auch wenig Sinn, wenn wir über letzte Feinstregulierungen im Westen Europas der Klimaverschlechterung entgegenzutreten versuchen, gleichzeitig aber im Osten Europas eine ungehemmte Energieverschwendung durch mangelhafte Regelungsinstrumente, fehlende Wärmedämmung, fehlende Mengenmessung und damit auch fehlende Preise zulassen. ({8}) Meine Damen und Herren, wir brauchen die soziale Partnerschaft. Ich bin ein großer Verfechter der Mit10616 bestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmen. ({9}) Aber Mitbestimmung ist auch von der Mitverantwortung nicht zu trennen. Hier liegen die Ressourcen, die genutzt werden müssen. Das Vorschlagswesen für Verbesserungen, die Erfindermotivation, das Mitdenken und Mitarbeiten müssen neu aktiviert werden. Dann kommt auch das Mitverdienen dazu, in welcher Form auch immer dies geschieht. ({10}) Darüber muß man gemeinsame Bestrebungen in Gang setzen und auch in politischer partnerschaftlicher Zusammenarbeit eine Lösung suchen. ({11}) Wir brauchen die Partnerschaft zwischen den kleinen und mittleren Betrieben und den großen, regional oft bestimmenden Unternehmen. Großunternehmen beschäftigen heute oft 30 000, 40 000, ja bis zu 70 000 kleine und mittlere Zulieferer, die preisgünstig, flexibel und qualitativ die besten Ergebnisse offerieren. Die hochqualifizierte deutsche Bauwirtschaft wird vorwiegend von kleineren und mittleren Unternehmen getragen. Große Bedeutung haben dabei die freien Berufe, die in allen Bereichen den Strukturwandel konstruktiv und kreativ begleiten. ({12}) Wir brauchen eine Partnerschaft zwischen den politischen Parteien. Ich bin überzeugt, daß uns allen nicht damit gedient ist - und unsere Bürger empfinden das auch zunehmend so -, wenn wir in den Ausschüssen konstruktiv und fair miteinander arbeiten, aber dann im Parlament durch polemische Auseinandersetzungen das Vertrauen in die Parteienlandschaft reduzieren. ({13}) Ich glaube, daß die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme auch international leichter zu lösen sind, wenn wir wirklich begreifen, daß die Zeit gekommen ist, aufeinander zuzugehen und nicht aufeinander losgehen. In wenigen Wochen beginnt der Europäische Binnenmarkt. Das Datum 1. i . 1993 hat schon längst seine Vorläufer. Der europäische Markt ist in Bewegung geraten. Europa rückt zusammen, um den weltweiten Wettbewerb besser zu bestehen. Wenn wir begreifen, daß wir durch das Miteinander die Problemlösung für die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Landes besser gestalten als durch ständiges Gegeneinander, dann wird eine Aufbruchstimmung zu erzielen sein, wie wir sie schon einmal, nach dem Zweiten Weltkrieg, gehabt haben. Graf Lambsdorff hat in der gestrigen Debatte schon auf die wichtigsten Punkte hingewiesen: Bewahrung der wirtschaftlichen Dynamik im Westen, Disziplin bei den öffentlichen Finanzen, Umkehr in der Lohnpolitik in West und Ost, Stärkung des Aufschwungs Ost und Solidarpakt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa streitet jetzt um die besseren Lösungen für eine gemeinsame Zukunft. Die Gemeinschaft führt aber einen friedlichen Streit und hat die jahrhundertelange kriegerische Auseinandersetzung hinter sich gelassen. Ziel muß es jetzt sein, auch die östlichen Länder Europas in diese Gemeinschaft einzubringen und mit einem integrierten Europa zwischen Ural und Atlantik eine friedliche Zukunft für die nächsten Generationen zu gestalten. Machen wir uns an die Arbeit für eine friedliche Zukunft! Es ist eine schwere, aber eine schöne Aufgabe. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Fritz Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundeskanzler Helmut Kohl hat gestern hier wiederholt, was er offenbar auch schon in Schwerin zum Ausdruck gebracht hat: Es geht darum, industrielle Kerne im Osten zu erhalten. Wir freuen uns über diese - wenn auch sehr späte - Einsicht. Wenn sie tatsächlich mit aller Konsequenz befolgt wird, ist sicher auch noch einiges zu retten. Mahnende Stimmen in dieser Richtung hat es ausreichend gegeben. Mir hat besonders gefallen, Herr Grünbeck, daß Sie eben darauf hingewiesen haben, daß an den großen Industrien eine Vielzahl von mittelständischen Kleinunternehmen hängt. Wenn diese Erkenntnis, daß ohne Großindustrie auch ein Mittelstand nicht funktioniert, Raum greift, dann sind wir ein ganzes Stück weitergekommen. Das wurde ja zum Teil verneint. ({0}) Andererseits ist aber heute schon nicht mehr zu übersehen, daß es im Osten eine Deindustrialisierung in hohem Maße gibt. Heute arbeiten im Osten von 1 000 Einwohnern noch ganze 62 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Industrie und im Bergbau. Im Westen sind es doppelt so viele, und vor zwei Jahren waren es im Osten zweieinhalbmal so viele. ({1}) 60 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf 1 000 Einwohner ist ein Maß, das mit Industriestandort eben nichts mehr zu tun hat. Viele Bürgerinnen und Bürger blicken deshalb mit Sorge auf das kommende Jahr. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Haushalts für 1993 schöpft nach unserer Auffassung nicht alle Möglichkeiten aus, diese berechtigten Sorgen wirklich zu entkräften. Die Konstrukteure und Verfechter dieses Haushalts gehen nach unserer Überzeugung einen verkehrten Weg. Sie orientieren sich daran, was kurzsichtige Lobbyisten von Unternehmen für möglich und wünschenswert halten. Ein Lohnverzicht der abhängig Beschäftigten wird zum entscheidenden Dr. Fritz Schumann ({2}) Faktor der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stilisiert. ({3}) - Das ist richtig. Es ist nur ein Teil davon; Sie haben völlig recht. Aber es wird eben zur Zeit hochstilisiert. Die Belange der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben im wesentlichen auf der Strecke. ({4}) - Da brauchen Sie mich nicht zu belehren, Herr Rossmanith. Ich habe damit selber zu tun, und ich versuche, das auch in Ordnung zu bekommen. Und das läuft sogar, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Das Wohlergehen der Unternehmer ist eben Grundanliegen dieser Politik und dieser Regierung. Die Wirtschaftspolitik bleibt damit auf eingefahrenen Gleisen. Diese Gleise waren erfolgreich, solange wirtschaftliche Konjunktur anhielt. Die Produktion von Spitzenerzeugnissen hat Deutschland nach meiner Auffassung und nach unseren bisherigen Erkenntnissen zum maßgeblichen Industrieland und zum „Exportweltmeister" gemacht. Diese Spitzenerzeugnisse waren aber auch nur an Menschen mit guten Einkommen zu verkaufen. Verzicht kam dabei nicht in Frage. Allerdings wurde eine zunehmende Anzahl von Menschen einfach ausgegrenzt. Jetzt steht diese Produktionsweise, jeden Tag ein Stück mehr, im krassen Widerspruch zu den Erfordernissen der Zeit. Nach unserer Auffassung beruht die Leistungskraft in entscheidendem Maße auf der Fähigkeit, für andere Menschen nützliche Dinge herzustellen und Leistungen zu erbringen. Unserer Auffassung nach geht es vorrangig darum, die Voraussetzungen zu schaffen, daß mehr an verteilbarem Einkommen erarbeitet werden kann. Wir fordern, daß die Wirtschaftspolitik die vor der Gesellschaft stehenden Probleme in Angriff nimmt. Das verlangt, die Voraussetzungen zu fördern, daß neue Arbeitsplätze in West und Ost geschaffen werden. Wir sind der Meinung, daß die Umweltlasten in Ost und West, die CO2-Belastung der Atmosphäre, ein notwendiger Verkehrsumbau - nicht zusätzliche Straßen, sondern intelligente Lösungen, die es ermöglichen, in wesentlich größerem Umfang als bisher die Ziele zu Fuß, mit dem Rad und öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen - Aufgaben sind, deren Lösung unaufschiebbar ist und für die genug Arbeitssuchende ihre Leistung anbieten. Die Wirtschaftspolitik sollte mit einschneidenden Maßnahmen Veränderungen wirksam fördern. Dafür könnten auch Unternehmensgewinne genutzt werden; denn die Lasten für die Umwelt werden auch von Unternehmen angehäuft. 600 Milliarden DM jährlich werden nach Untersuchungen des Fraunhofer- Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung an Umweltschäden allein in Westdeutschland angehäuft. Ausgangspunkt für das Angebot von mehr Arbeitsmöglichkeiten in den neuen Ländern müßte die Unterstützung des Ausbaus des Innovationspotentials für die Entwicklung umweltverträglicher Produkte und Technologien bilden. Darauf aufbauend könnten Entwicklungsagenturen und Technologietransferstellen einen wirksamen Beitrag zu den konkreten Erfordernissen in den Regionen leisten. Vorrangige Aufgabe des Staates bleibt es, die für die Schaffung von Arbeitsplätzen erforderliche Infrastruktur zu entwickeln. Von der Entwicklung der Infrastruktur würden bedeutende Impulse für den Erhalt des Industriestandortes Ostdeutschland ausgehen. Das betrifft sowohl die technische Herstellung von Verkehrsmitteln - ich denke dabei insbesondere an die auch in der ehemaligen DDR vorhandenen Erfahrungen im Verkehrsmittelbau, was den schienengebundenen Fahrzeugbau anlangt - und Verkehrsanlagen, dezentralen Energieanlagen, Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen als auch die soziale Infrastruktur zum Ausbau und zur Modernisierung des Wohnungsbestandes, von Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Bildung und der Kultur. Auch in der Unternehmensberatung und insbesondere der konkreten Unterstützung bei der Erschließung und Gewinnung von Absatzmärkten bestehen für die Unternehmen in den neuen Ländern weiter Defizite. Eine staatliche Förderung echter und wirksamer Unternehmensberatung, die an Ergebnissen der Erhaltung und auch Neueinrichtung von Wirtschaftsunternehmen gemessen werden müßte, könnte hier Abhilfe schaffen. Falsche Propheten und Ritter der freien Marktwirtschaft waren genug im Osten. Sie waren im wesentlichen darauf bedacht, ihre eigenen Taschen zu füllen. Die Einbeziehung sanierungsfähiger Treuhandunternehmen in die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" halten wir für überfällig. Auch sollten die Nachteile einer globalen Förderung der Investitionen nicht länger übersehen werden. Wir schlagen vor, für die Investitionsförderung die Anzahl der durch Investitionen entstehenden Arbeitsplätze noch stärker mit zu berücksichtigen, und bitten den Bundeswirtschaftsminister, im Planungsausschuß darauf Einfluß zu nehmen. Es ist nach meiner Auffassung der verkehrte Weg, die Fördermittel im Westen zu kürzen. Vom ursprünglichen Ansatz bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit 425 Millionen DM sind nach Vorschlag der Regierungskoalition noch 350 Millionen DM übriggeblieben. Damit werden 1993 30 % weniger Mittel als 1992 zur Verfügung stehen. Das ist vor dem Hintergrund eines Anwachsens der Arbeitslosigkeit in den alten Ländern auf über 2 Millionen mehr als bedenklich und wird auch höhere Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern zur Folge haben. Die Probleme in West und Ost hängen untrennbar miteinander zusammen. Das ist hier heute schon mehrfach von meinen Vorrednern gesagt worden. Dr. Fritz Schumann ({5}) Es hilft nicht, wenn die Schaffung von Arbeitsplätzen in Eisenach oder Eisenhüttenstadt Arbeitsplätze in den alten Ländern vernichtet. Im Einklang damit ist es auf Grund der Übergangsbedingungen in den neuen Ländern erforderlich, die Umstellung von Betrieben mit absatzfähigen Erzeugnissen zu unterstützen. - Es gibt solche Betriebe. Sie können aber wegen der Probleme, die in der Übergangsperiode bestehen, zur Zeit nicht allein existieren. Dazu sind nach unserer Auffassung Arbeitsplatzsubventionen das gegebene Mittel. Grob geschätzt kostet ein Arbeitsloser den Staat alles in allem 80 % seines Lohnes. Wenn es gelingt, einen Betrieb mit 30 % Lohnkostenzuschuß - und das Ganze noch degressiv - zum Laufen zu bringen, spart der Staat 50 % der andernfalls notwendigen Kosten ein. Eine Schätzung ergab, daß durch je 1 000 DM Lohnzuschuß 4 000 DM an Arbeitslosengeld, Treuhandverlust, Steuer- und Beitragsausfall usw. erspart werden. Das ist alles noch unabhägig davon betrachtet, was es dem einzelnen gibt, daß er arbeiten kann. In diesem Sinne fordern wir, Arbeit zu fördern, um wirtschaftliche Leistungen zu ermöglichen, und nicht zugunsten kurzfristiger und kurzsichtiger Gewinne der Unternehmen Lohnverzicht zu verlangen und Menschen von der Erwerbstätigkeit auszugrenzen. Gestatten Sie mir noch eine kurze Bemerkung zum ERP-Wirtschaftsplangesetz, das heute ebenfalls in der Beratung ist. Die PDS/Linke Liste setzt sich nachdrücklich für die Fortsetzung und die Unterstützung der Umstrukturierung und Anpassung der Seehäfen in Mecklenburg-Vorpommern ein. Die Seehäfen in Mecklenburg-Vorpommern haben heute eine ungüstigere Struktur und Kapitalausstattung als die Seehäfen in den alten Bundesländern, für die ein ERPSeehafenprogramm eingeführt wurde. Dieses Programm wird für die alten Länder fortgeführt; für Mecklenburg-Vorpommern soll es 1993 auslaufen. Wir schlagen vor, daß diese Förderung auch für Mecklenburg-Vorpommern fortgeführt wird. Danke. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben am Dienstag einen aufschlußreichen Eindruck von der finanzpolitischen Seriosität dieser Regierung bekommen. Herr Waigel hat Zahlen für den Papierkorb vorgelegt, und dennoch hat eine Mehrheit dieses Hauses - die Gnade der Technik konnte diese Debatte gerade noch ein paar Stunden verhindern ({0}) einem Verfahren zugestimmt, das alle Haushaltsgrundsätze des Grundgesetzes verletzt. Es ist weder vollständig, noch entspricht es dem Prinzip der Klarheit und Wahrheit. ({1}) Man betrachte nur die Neuverschuldung, die jetzt mit 43 Milliarden DM, Herr Waigel, den ursprünglichen Ansatz noch um 5 Milliarden DM übersteigt - die ganzen Schatten- und Nebenhaushalte nicht eingerechnet; die beherrsche ich als Ostabgeordneter noch nicht. Meine Damen und Herren, in der weltwirtschaftlichen Schönwetterperiode der 80er Jahre - das sind zufällig die letzten zehn Jahre, von denen der Kanzler gestern gesprochen hat - konnte das wirtschaftspolitische Nichtstun keinen großen Schaden anrichten. Nach der Wiedervereinigung hat sich aber die Geschäftsgrundlage für die Wirtschaftspolitik nachhaltig geändert. Die Folgen der wirtschaftspolitischen Ignoranz werden jetzt sichtbar. Selbst die traditionellen Formen der Wirtschaftspolitik wurden in unverantwortlicher Weise vernachlässigt. Neue wirtschaftspolitische Strategien, der Umbruchsituation in den neuen Bundesländern angemessen, waren nicht zu erkennen. Die Vertreter der Bundesregierung glaubten allen Ernstes, daß die Angleichung der Lebensverhältnisse im Selbstlauf erfolgen würde. Das strukturpolitische Versagen der Bundesregierung wurde zuallererst bei der vom Bundesfinanzminister zu verantwortenden Treuhandpolitik sichtbar. Die Treuhandanstalt sieht ihre Aufgabe fast ausschließlich in der Privatisierung der Unternehmen und Betriebe. Die Aufgabe der Sanierung der Wirtschaftseinheiten wird bis auf den heutigen Tag - trotz anderer Beteuerungen - in ihrer Bedeutung unterschätzt. Bei einer Privatisierung ohne vorherige Sanierung bleibt in der Regel jedoch nur ein Bruchteil von industrieller Substanz und Arbeitsplätzen der Unternehmen erhalten. So war absehbar, daß es bei einer Fortschreibung der bisherigen Politik der Treuhandanstalt zu einer weitgehenden Vernichtung der industriellen Kernbereiche Ostdeutschlands kommen würde. Nach der Rede des Bundeskanzlers von gestern habe ich heute früh die Reaktionen darauf der Presse entnehmen können. In Mecklenburg-Vorpommern z. B. machen sich genau die Betriebe Hoffnungen, jetzt zum Kernbereich erklärt zu werden, die durch die gerade erwähnte Vernachlässigung bereits heute alle Experten verloren haben, weil diese in die alten Länder gegangen sind; gute Leute bekommen halt Arbeit. Angesichts der gegenwärtigen Situation kommt dieses Neuankurbeln entschieden zu spät und wird viel teurer, als wenn man es vor drei Jahren getan hätte. ({2}) Meine Damen und Herren, der jüngste strukturund regionalpolitische Schwenk der Bundesregierung kommt in diesem Sinne genau diese drei Jahre zu spät. Die Bundesregierung hat sich bekanntermaßen beharrlich geweigert, die für den wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bundesländer notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wir dagegen haben seit 1990 gefordert, neue industriepolitische Wege zu beschreiten. Die Treuhandanstalt muß den klaren gesetzlichen Auftrag bekommen - auch jetzt noch, gegen Ende ihrer Arbeit -, die ihr anvertrauten Unternehmen zu sanieren, wenn diese nicht sofort - unter Erhalt ihrer Substanz - privatisierbar sind und wenn dies auf mittlere Sicht erfolgversprechend ist. Hierzu gehört auch eine konsequente Altlastensanierung und die ökologische Modernisierung der Unternehmen. Die Arbeit der Treuhandanstalt muß intensiver als bisher mit staatlicher Regional- und Strukturpolitik verzahnt werden. Die Treuhandanstalt muß mit angemessenen finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um notwendige Entschuldungen durchzuführen und die Sanierungsaufgaben zu erfüllen. Das ist die Aufgabe der Stunde! Die vielfältigen finanziellen Ansprüche an das Treuhandvermögen müssen neu bewertet werden. Vorrang gebührt hier der Sanierungsaufgabe und den damit unmittelbar zusammenhängenden Aufgaben. Meine Damen und Herren, die notwendige Neuorientierung der Wirtschaftspolitik bedeutet auch, daß die Subventionspraxis in der Bundesrepublik revidiert werden muß. Geboten ist eine noch deutlichere Senkung der Finanzhilfen und Steuersubventionen in Westdeutschland, um die notwendigen Mittel für den Aufbau der Wirtschaft im Osten aufzubringen. Die neuen Bundesländer benötigen nach der schnellen politischen Einheit viele wirtschaftliche Hilfen, um den ökonomischen Anpassungsprozeß möglichst rasch zu bewerkstelligen und sozial abzufedern. Die anhaltende Strukturkrise in Ostdeutschland zeigt, daß noch für eine lange Zeit Finanzhilfen für den wirtschaftlichen Aufbau benötigt werden. Dabei sind die Mittel vor allem in jene Bereiche zu lenken, die strukturpolitische und regionalpolitische Bedeutung haben. Die Bundesregierung hat trotz ihrer Ankündigung keinen Kurswechsel vollzogen; sie war nicht in der Lage, die Subventionierung der Wirtschaft und anderer Bereiche auf ein ökonomisch vernünftiges Maß zu beschränken. Ich möchte dabei nicht verhehlen, daß die Beschneidung von Besitzständen kein leichtes Unterfangen ist. Deshalb, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Partei, ist es auch nicht besonders glaubwürdig, wenn sich nun ausgerechnet sozialdemokratische Finanzpolitiker zu den schärfsten Subventionskritikern wandeln, nachdem Sie selbst, als Sie an der Regierung waren, diese Subventionen eingeführt haben. Es wirft ein Schlaglicht auf die Glaubwürdigkeit der SPD, wenn Bundespolitiker der SPD den Abbau von Finanzhilfen fordern, während die SPD in den Ländern eben diese Subventionen verteidigt. Meine Damen und Herren, neben dem Versagen der Regierung in wichtigen traditionellen Bereichen der Wirtschaftspolitik muß auch die ökologische Herausforderung zum Ende dieses Jahrtausends als völlig ungelöst betrachtet werden. Die Bundesregierung hat bislang unter allen Industrienationen das ehrgeizigste CO2-Minderungsziel beschlossen, ohne allerdings die dafür notwendige wesentliche Änderung ihrer Energiepolitik vorzunehmen. Die Energie wird in der Bundesrepublik am stärksten subventioniert. Die Unterzeichnung der Klimakonvention 1992 in Rio, deren Anforderung dem langfristigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gleichkommt, unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer effizienten Revolution unseres Energiesystems. Nur der dazu erforderliche tiefgreifende Wandel der Energieerzeugungs- und -verbrauchsstrukturen bietet letztlich die Chance, die sich abzeichnende Umwelt- und Klimakatastrophe abzuwenden. Eine Energiepolitik für eine ({3})lebenswerte Zukunft hat das Ziel und die Aufgabe, grundlegende Innovationen technologischer, rechtlicher und organisatorischer Art einzuleiten und zu begünstigen, um die Energiegewinnung aus Öl, Kohle, Erdgas und Atomenergie durch Energiesparmaßnahmen, KraftWärme-Kopplung und den Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu überwinden. Der „Süddeutschen Zeitung" entnehme ich, daß Herr Möllemann jetzt die Mineralölsteuer aus Umweltgründen erhöhen will. Das ist sicher ein richtiger Schritt, und ich würde mich freuen, wenn er das heute bestätigen könnte. Ich glaube aber, daß er damit wieder um Jahre zu spät kommt. Dieser Weg der Energiepolitik wird von den charakteristischen Großkraftwerks- und Verbundstrukturen weitgehend blockiert, die für die Nutzung der Atomenergie unausweichlich sind. Auch deshalb muß der Ausstieg aus der Atomenergie unverzüglich in die Wege geleitet werden, wodurch jährliche Subventionen in Höhe von nahezu 2 Milliarden DM hinfällig würden. Das würde die halbe Milliarde DM, die Sie gerade erwähnt haben, deutlich überschreiten. Gleichzeitig ist das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 durch eine neue Regelung zu ersetzen, die die Orientierung am gesamt- und einzelwirtschaftlichen least-cost-planning erlaubt. Dies würde eine Umwandlung der heutigen Energieversorgungs- in Energiedienstleistungsunternehmen ermöglichen und zu dezentralen Erzeugungsstrukturen führen. Meine Damen und Herren, bisher hat die Bundesregierung durch ihr engstirniges Festhalten an den verschwenderischen Energieversorgungsstrukturen, die sie mit dem Stromvertrag auch im Osten zu zementieren gedachte, eine weiträumige Investitionsblockade im Energiebereich verschuldet. Die Annahme des vom Bundesverfassungsgericht angebotenen Vergleichs würde schnelle Investitionen in ökologisch sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen modernster Bauart ermöglichen. Das wäre ein für Banken und Kommunen sicheres Geschäft. Wir haben darüber im Bundestag bereits debattiert. Jetzt aber ist es an der Bundesregierung und den Stromkonzernen, dem Vergleich zuzustimmen, um damit dem Aufbauwillen der ostdeutschen Kommunen nicht länger im Weg zu stehen. Die schnelle Umsetzung des Vergleichs ist ein nicht zu unterschätzender Schritt für die effiziente Neuorganisation unseres Energiesystems. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auf unseren Änderungsantrag zum Einzelplan 09 eingehen. Wir fordern die Rücknahme der beabsichtigten Streichung von 150 Millionen DM für die Wismut-Sanierung. Die meisten von Ihnen wissen, daß sich in den dicht besiedelten Bundesländern Sachsen und Thüringen die bisher größte Atommülldeponie der Welt befindet, unter freiem Himmel und auf nicht abgedichtetem Untergrund. Dies sind die Hinterlassenschaften des jahrzehntelangen Uranabbaus von Wismut. Das ist tatsächlich eine der schlimmsten Erblasten, die wir übernommen haben, für die die Bundesrepublik jetzt aber die Verantwortung tragen muß. Ich will darüber nicht diskutieren. ({4}) Die Auswirkungen auf die Menschen in diesen Regionen sind sehr stark und vielfältig. Neben der in der unmittelbaren Umgebung von Halden und Absetzanlagen direkt einwirkenden Gammastrahlung ist die Atemluft mit erheblichen Mengen an Radon, seinen Folgeprodukten und mit schwermetallhaltigen Stäuben belastet. Ich könnte noch viele weitere Probleme auflisten. Wir haben bereits am 12. November über diese Problematik debattiert. Da Sie meinem Antrag vorwerfen, er sei aus Gründen des Populismus gestellt, möchte ich aus der Debatte, die wir am 12. November weitgehend übereinstimmend geführt haben, einige meiner Kollegen zitieren, ohne daß gesagt werden könnte, diese Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe im übrigen mit diesen Kolleginnen und Kollegen gesprochen, und sie haben mir bestätigt, daß sie das, was sie gesagt haben, auch so meinen. So hat Herr Dr. Michael Luther - CDU/CSU-Fraktion - gesagt: Eine Etatkürzung der Wismut würde dazu führen, daß notwendige Sanierungsschritte verlangsamt werden, daß Investoren verunsichert werden können und daß sich der Aufschwung in dieser Region noch schwieriger gestalten wird. Frau Klemmer - SPD-Fraktion - hat gesagt: An Bedarfsmangel kann es nicht liegen. Denn erstens ist der Bedarf dadurch charakterisiert, daß das Sanierungsprojekt, das dort zur Zeit noch weitgehend in der Untersuchungsphase steckt, in der Durchführungsphase mehr Geld verschlingen wird. Herr Türk - F.D.P.-Fraktion - hat erklärt: Nun zur Kürzung des Haushaltsansatzes bei der Wismut GmbH um 150 Millionen DM im Jahr 1993 von 926 Millionen DM auf 776 Millionen DM. Ich muß Ihnen sagen, daß ich, aber nicht nur ich, erst einmal geschockt war; denn der hohe Bedarf in dieser Region ist ganz offensichtlich mehr als begründet. Ich zitiere auch Herrn Kolb, der in dieser Debatte für die Bundesregierung beispielgebend auf die Probleme hingewiesen hat, indem er sagte: Die Streichung von 150 Millionen DM von den für die Altlastensanierungstätigkeit der Wismut GmbH vorgesehenen Zuwendungen wird - das muß ich ganz nüchtern feststellen - zu deutlich spürbaren Einschränkungen der Sanierungstätigkeit der Wismut GmbH führen. Einzelne Projekte werden verschoben werden müssen. ({5}) Es wird letztlich sicherlich auch zu einer Verteuerung des Gesamtprojekts ... führen können. Das ist kein Populismus, das ist der ernstgemeinte Versuch, mit einem deutlichen Signal etwas für die neuen Länder gemeinsam zu tun. ({6}) Sie haben gesagt, im Verkehrsbereich sei es möglich gewesen, weitere Eingriffe zu Lasten unserer Umwelt zu vermeiden. Im Interesse eines umfassenden Schutzes unserer Umwelt bitte ich Sie um Unterstützung unseres Antrages. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Johannes Nitsch.

Johannes Nitsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte damit gerechnet, daß mein Kollege Roth vor mir spricht, aber ich nehme auch diese Reihenfolge gerne an. ({0}) Die Gruppe der Abgeordneten aus den neuen Bundesländern in unserer Fraktion hat im Sommer in Erfurt eingehend darüber beraten, wie wir die Attraktivität des Industriestandortes Deutschland im Ganzen erhalten und weiterentwickeln können. Von unserem Programm sind sehr wichtige Impulse auf die Politik ausgegangen. Ich darf daran erinnern, daß aus dem Programm, das wir „Wohlstand im Osten entwikkeln, im Westen sichern" genannt haben, auch der Solidarpakt hervorgegangen ist. Wir haben ihn damals „Pakt der Vernunft für den Aufbau Ost" genannt. Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß wir in der Debatte über den Einzelplan 09 überprüfen, wie dieses Programm insgesamt gewirkt hat. An erster Stelle des Erfurter Papiers stand die Überlegung, mit welchen Strukturkonzepten der Entindustrialisierung der neuen Bundesländer begegnet werden kann. Die entscheidende Voraussetzung für einen anhaltenden Aufschwung im Osten ist die Sicherung der industriellen Kerne. In diesen industriellen Kernen müssen die Einkommen erarbeitet werden, die es erlauben, die Finanztransfers aus den alten Bundesländern in Zukunft abzubauen. Wie die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten 1992 zu Recht feststellten, ist die befürchtete Entindustrialisierung der ostdeutschen Wirtschaft in der Tat weit fortgeschritten. Ich zitiere: Vom ursprünglichen Produktionsniveau des ostdeutschen verarbeitenden Gewerbes ist nur ein Drittel übriggeblieben. Es gibt viele Unternehmen, die den Umstellungsprozeß bislang nicht gemeistert haben und vermutlich weiter schrumpfen werden oder die Produktion ganz einstellen müssen. Kritisch ist die Lage insbesondere bei den Unternehmen, die stark von den Exporten in die Sowjetunion abhingen. Die Lieferungen sind hier weiter gesunken, und die Erwartung einer baldigen Belebung - auch im Vertrauen auf weitere Hermesbürgschaften - ist einer Ernüchterung gewichen. In der Industrie dürften noch rund 100 000 Arbeitsplätze und damit jeder zehnte vom Export nach Osteuropa und in die GUS abhängig sein. Soweit das Gutachten. Diesen zentralen Punkt für den Aufschwung Ost und für die Menschen in den neuen Bundesländern hat der Bundeskanzler engagiert aufgegriffen und zu seiner persönlichen Sache gemacht. Das ist genau das - davon bin ich überzeugt -, was der Osten jetzt braucht. Die neuen Länder, die Treuhandanstalt, die Gewerkschaften, die Verbände und die Unternehmen selbst müssen jetzt ein Konzept erarbeiten, das die noch vorhandenen Industriekerne erhält. Wir hoffen und wünschen, daß sich mit diesen Ergebnissen aus den Gesprächen zum Solidarpakt ein Programm entwickeln läßt, das genau das leistet. Dafür steht eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung, die fast alle schon in der alten Bundesrepublik angewendet worden sind. Wir haben im Erfurter Programm einige genannt; andere sind im Laufe der Diskussion hinzugefügt worden. Ich erwähne Umsatzsteuerpräferenzen auf der Basis der Wertschöpfung in den neuen Ländern und Lohnzuschüsse für bestimmte Zeiträume. Es wird jetzt Sache der Regierung sein, die geeigneten Instrumente auszuwählen, sie anzuwenden und die noch ausstehenden Entscheidungen zu treffen. Diese sollten jetzt, sollten zumindest sehr bald getroffen werden. Der Herr Bundeskanzler hat gestern in einem anderen Zusammenhang einen Termin genannt: bald, mindestens vor Weihnachten. Ich sehe das auch so. Ich weiß natürlich, daß das nicht so einfach sein wird. Einen weiteren wichtigen Ansatz sehen wir in der sogenannten Als-Ob-Privatisierung. Hierbei geht es darum, daß Treuhandbetriebe, die sanierungsfähig sind, in ihrer Umstrukturierung in einem mittelfristigen Prozeß abgesichert werden. Dabei ist aber ganz wichtig, daß dem Management der Unternehmen möglichst viel Handlungsfreiheit vor Ort eingeräumt wird, um die nötigen unternehmerischen Entscheidungen zu treffen. Die Sicherheit für marktorientierte unternehmerische Konzepte und Entscheidungen ist zu schaffen, und die Befreiung der betroffenen Unternehmen von der Blockade zur Aufnahme unternehmensnotwendiger Kredite bzw. zur Gewährung von Bürgschaften ist herbeizuführen. Mit einer solchen schrittweisen Privatisierung werden wir auf dem angestrebten Weg sicher vorankommen. Hierher gehört auch ganz wesentlich die Erhaltung der anwender- und industrienahen Forschung. Gerade eine breite Produktinnovation ist zur Erreichung wettbewerbsfähiger Produkte, die bei uns hergestellt werden sollen, wesentlich. Die noch vorhandenen 5 000 F- und E-Spezialisten in den 40 Forschungs-GmbHs und weitere Spezialisten in den noch vorhandenen Treuhand-Unternehmen - vor allem im Bereich der Chemie - müssen eine Chance bekommen, aus eigener Kraft wirtschaftlich zu bestehen und zu beweisen, was sie können. ({1}) Dazu müssen sie gleichwertige Startbedingungen einhalten. Alle Restriktionen, die ihre Überlebensfähigkeit in Frage stellen, wie Nichteigentum an Immobilien und Altschulden, sind als erstes rasch zu beseitigen. Dazu gibt es ein Votum der Kommission „Wiederaufbau neue Bundesländer" unserer Fraktion, das auch in unserer Leipziger Beratung durch die Treuhand und die Fraktion unterstützt wurde. Leider sind wir hier etwas in Verzug geraten. ({2}) Ich bitte die Regierung, auf den weiteren terminlichen Ablauf unmittelbar Einfluß zu nehmen. So werden wir dann auch die 200 Millionen DM, die wir in diesem Bereich zusätzlich zur Verfügung stellen, effizient einsetzen können. ({3}) Einen erheblichen und dauerhaften Anstoß für die Belebung innerer Antriebskräfte im Osten und besonders für den Aufbau eines Mittelstandes ist von einem Aufschwung der Bauindustrie, insbesondere des Wohnungsbaus, zu erwarten. Der Bedarf hier ist riesig groß; die Hinterlassenschaften des alten Regimes machen dies überdeutlich. Nach einer Umfrage des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft bei seinen Mitgliedsunternehmen, die rund 3,2 Millionen Wohnungen bewirtschaften, stehen knapp 4 % der Wohnungen „infolge baulicher Schäden" leer. In Dresden ist ein gravierender Verfall wertvoller Wohnungssubstanz zu verzeichnen. Ein besonders schwieriges Problem sind die Altschulden, die sich am Ende unseres Zinsmoratoriums auf 51 Milliarden DM belaufen werden. Für die Bürger in den neuen Bundesländern stellt ihre Wohnung angesichts der schwierigen Anpassungs- und Umstellungsprobleme einen besonders hohen persönlichen Wert dar. Deshalb ist eine Regelung der Altschuldenfrage äußerst dringend. ({4}) Wir können nicht warten, bis über die unterschiedlichen Rechtsauffassungen verbindlich entschieden worden ist. Auszugehen ist dabei vom Auftrag des Einigungsvertrages, die Privatisierung von Wohnungen voranzutreiben, und zwar in freier Entscheidung der Mieter. Das ist sicherlich eine Entscheidung vieler Menschen für das Privateigentum. Die Altschuldenregelung sollte deshalb zunächst im Zusammenhang mit der Privatisierung der Wohnungen erfolgen. ({5}) Die Ausweitung des Verfügungsrahmens für den Wohnungsbau auf 800 Millionen DM ist ein guter Anfang für den Aufschwung der Bauwirtschaft in diesem Bereich. Äußerst wichtig ist auch die Aufstokkung des KfW-Kreditprogramms auf 30 Milliarden DM. Lassen Sie mich noch einige weitere Punkte nennen, die aus dem Erfurter Programm Eingang in den Haushalt und in die Gesetzgebung gefunden haben: Erstens: die 20%ige Investitionszulage für ortsansässige Unternehmer für Investitionen bis zu 1 Million DM, beschränkt auf das verarbeitende Gewerbe und das Handwerk. Darüber sind wir ganz besonders im Hinblick auf den entstehenden Mittelstand erfreut. Wir versprechen uns hiervon auch bessere Voraussetzungen für die Kreditnahme unserer kapitalschwachen Unternehmer. Wir denken, daß sich die Banken im Hinblick auf diese großzügige Investitionszulage den Menschen bei uns gegenüber etwas entgegenkommender verhalten werden. Zweitens: die Verlängerung des Eigenkapitalhilfeprogramms um weitere zwei Jahre. Drittens: die Aufstockung der Mittel für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Viertens: die doch zur Anwendung kommenden Möglichkeiten von Mietkauf und Pachtkauf für Treuhand-Unternehmen. ({6}) Fünftens. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft werden, inwieweit Möglichkeiten geschaffen werden können, Immobilien aus Mietkauf- oder Pachtkaufunternehmen voll beleihungsfähig zu machen, also volle Eigentümerrechte einzuräumen. Sechstens. Die Investitionspauschale wird, wenn sie nicht in Geld kommt, im Hinblick auf die Kommunen zumindest daraufhin zu prüfen sein, inwieweit die Freistellung der Kommunen von Gegenfinanzierungen analog dem Verfahren beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz möglich ist. Siebentens. Mit dem in der nächsten Woche vom Kabinett zu verabschiedenen Artikelgesetz werden wichtige Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen in Gang gesetzt, die eine wesentliche Voraussetzung für den Aufschwung bei uns sein werden. Hier werden die Erfahrungen, die wir aus den Verkehrsprojekten zur deutschen Einheit gewonnen haben, auf weitere Gebiete ausgedehnt. In diesem Zusammenhang muß ich unserem Kollegen Günther Krause ein ganz großes Dankeschön dafür sagen, daß er sich damals in dieser Frage in diesem Hause hat durchsetzen können. Das ist wohl einer der Punkte, bei dem sich Erfahrungen aus dem Hinzukommen der neuen Bundesländer auch für die alten Bundesländer fruchtbringend auf den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt auswirken werden. ({7}) Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang auch - das liegt uns ja ganz besonders am Herzen - die Verdoppelung der Mittel für die Überbrückungsfinanzierung zur Erhaltung der Kulturlandschaft, die ebenfalls Bestandteil unseres Programms war, und die erwähnten zusätzlichen 200 Millionen DM für die industriellen Forschungseinrichtungen. Ich darf hier noch einmal das Junktim zu dem herstellen, was ich bereits gesagt habe: Herr Minister, ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn wir mit der Regelung der Immobilien- und Altschuldenfrage, nachdem wir zunächst den 30. September anvisiert hatten, in diesem Jahr noch zu Rande kämen. Den letzten Punkt, die zusätzlichen Mittel für den Wohnungsbau, die Städtebauförderung und die Ausweitung der KfW-Kredite auf 30 Milliarden DM, habe ich bereits genannt. Insgesamt ist das eine gute Bilanz, zumal da nicht realisierte Punkte weiterhin auf der Tagesordnung stehen. An dieser Stelle muß ich noch auf die Erklärung Ihres Kollegen Schwanitz vom Anfang dieses Monats eingehen, die mich einfach ein bißchen enttäuscht hat. Er hat das Erfurter Programm als in wesentlichen Punkten gescheitert bezeichnet. ({8}) - Das ist wohl nicht wahr. ({9}) Es wäre für die Menschen bei uns sicher besser gewesen, wenn wir das Erreichte so dargestellt hätten und uns gemeinsam um das noch nicht Erreichte kümmerten und bemühten. Einen wesentlichen Punkt noch zum Schluß. Die Zeit - nicht nur meine jetzt hier - für die Umsetzung dieses Programms und des Programms zur Erhaltung der Industriekerne drängt wirklich. Ein halbes Jahr wäre viel zuviel. Ich hatte schon einen Zeitpunkt genannt. ({10}) - Ich wäre sehr erfreut gewesen, wenn es so gekommen wäre. ({11}) Alle aus dem Solidarpakt zu finanzierenden Aufgaben müssen bald auf den Tisch, möglichst noch vor Weihnachten. Den Nachtrag zum Haushalt müssen wir sofort nach dem Abschluß der Gespräche zum Solidarpakt auf den Tisch bekommen, damit beim Wiederaufbau der neuen Bundesländer wertvolle Zeit nicht ungenutzt verstreicht. ({12})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Abgeordnete Wolfgang Roth. ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich habe den Eindruck, wir fühlen uns hier im Wasserwerk verdammt wohl. ({0}) Jetzt möchte ich noch etwas sagen, was wahrscheinlich auch Sie unterstützen werden. ({1}) - Ich möchte mit der Präsidentin und mit Ihnen reden. Ich könnte mich ja auch umdrehen. Frau Präsidentin, ich finde es schrecklich, wie der Herr Architekt Behnisch in diesen Tagen geschmäht wird. Er ist wirklich einer der großen Architekten der Nachkriegszeit. ({2}) Wer beispielsweise seinen Zeltbau in München gesehen hat - da gab es übrigens auch Schmähungen - und den Bau heute sieht, der merkt, was dieser Mann geleistet hat. Er hat in meinem Wahlkreis auch eine Schule gebaut. ({3}) Die heißt erfreulicherweise „Fritz-Erler-Schule". Der Namensgeber ist übrigens mein Vorgänger in meinem Wahlkreis. Das ist ein großartiges Gebäude, das in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Ich sage Ihnen: Was er da drüben gebaut hat, wird jenseits der Kleinlichkeiten und Dümmlichkeiten dieser Tage ebenfalls in die Kulturgeschichte Deutschlands eingehen. ({4}) Meine Bitte ist, etwas sorgsamer damit umzugehen. Übrigens: Ich schmähe auch nicht die Techniker und die Ingenieure des Hauses, die für die Anlage dort verantwortlich sind. Auch Sie haben das Beste gewollt. Ich habe ein bißchen Angst, daß vielleicht in Japan manche über uns lachen. Aber man kann nicht Ingenieure und Techniker aussparen, wenn man auf der anderen Seite in der Weise gegen den Architekten vorgeht. Das ist meine Meinung. Wer da nicht mitmachen will, der wird irgendwann in der gleichen Ecke stehen wie die Kritiker des Zeltbaus in München. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rüttgers?

Dr. Jürgen Rüttgers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001899, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, ich persönlich kann mich Ihrer Einschätzung der Architektur dieses Gebäudes durchaus anschließen. Aber würden Sie mir recht geben, daß bei aller Brillanz und Schönheit der Architektur, das Gebäude auch funktionieren muß?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das habe ich doch gerade gesagt. Sie sind zu früh aufgestanden, als ich das gesagt habe. Sie wollten sich dann wohl nicht wieder hinsetzen, weil Sie dachten: Jetzt muß ich halt doch was sagen. ({0}) - Das ist ja unstrittig, und wir werden auch noch Verbesserungen vornehmen müssen. Aber bitte schön, wir sollten das jetzt nicht so runtermachen, wie das in den letzten Tagen geschehen ist. Ich habe heute früh auch Herrn Bötsch gelesen - zum Glück habe ich ihn nicht gehört -, ({1}) und deshalb wollte ich das gesagt haben. ({2}) - Bitte, Herr Kollege Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, da wir hier nicht über Ästhetik und Kultur, sondern über Wirtschaft, Kosten, Schulden, die Lösung von Zukunftsproblemen diskutieren, frage ich Sie: Wären Sie bereit, auch etwas über die Baukosten, die Entwicklung der Baukosten und die Sparsamkeit zu sagen, die man vielleicht etwas sorgfältiger hätte beachten können? ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin nicht Mitglied des Haushaltsausschusses. Wenn Sie meinen, daß die Mehrheit im Haushaltsauschuß, die ja Sie stellen, da etwas versäumt hat, weil sie nicht in der Lage war, das wirksam zu kontrollieren, dann gebe ich Ihnen recht. Aber das müssen Sie mit Ihren Haushaltsausschußleuten ausmachen. Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf ein ernstes Thema zu sprechen kommen. ({0}) Man zögert, in einer Wirtschaftsdebatte über den Ausländerhaß und die üblen Anschläge auf unsere ausländischen Mitbürger zu sprechen. Daß ich zögere, hat folgenden Grund: Mir ist es zu billig und zu unmenschlich, zu argumentieren: Laßt diese Anschläge, denn sie schaden unserer Wirtschaft. - Das wäre ein falscher Ton. Trotzdem muß ich eines in allem Ernst sagen - das muß ich allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen -: Wer das zuläßt, verstößt nicht nur gegen Grundsätze der Menschlichkeit - das ist schlimm genug -, sondern natürlich auch gegen die Interessen unserer Volkswirtschaft. ({1}) Meine Bitte ist - das sage ich in diesen Saal hinein, aber auch nach draußen -: An jedem Arbeitsplatz, in jeder Nachbarschaftsdiskussion, bei jeder Möglichkeit, auch anschließend in der Kneipe nach dem Fußballspiel, wenn solche Töne anklingen, die eigentlich das Fundament der Anschläge sind - wir alle hören diese Töne; wir alle haben dazu schon geschwiegen -, endlich anzutreten und nicht nur zu sagen, daß wir uns schämen, sondern auch zu sagen, daß es ein tiefer Verstoß gegen das Interesse des deutschen Volkes ist, wenn es so weitergeht. ({2}) Man kann nicht erhobenen Hauptes von „Made in Germany" reden, wenn „Made in Germany" allmählich bedeutet, daß man Brandsätze in Asylheime und in Ausländerheime schmeißt. Das ist nämlich zur Zeit die Stimmung in der Welt. ({3}) Ich sage das mit großer Sorge und gar nicht polemisch in die eine oder andere Richtung; denn wir alle haben da Versäumnisse. Wir haben heute den Haushalt des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf der Tagesordnung. Da bin ich ganz froh, zum Start nicht meine Thesen vertreten zu müssen, sondern Bezug auf das nehmen zu können, was gestern Graf Lambsdorff gesagt sagt, nämlich wir seien in einer Rezession; nein, er meinte sogar, daß es eine tiefe Wirtschaftskrise sein könnte; er hat es später selber relativiert. - Ich sehe das ganz ähnlich. Die Bundesregierung hat die Finanzierung der deutschen Einheit über Kapitalmärkte, über Kredite organisiert. Die Finanzierung auf Pump hat die Deutsche Bundesbank gezwungen, die Zinsen zu erhöhen. Durch diese Zinserhöhung beim Diskont von 6 % im Jahr 1990 auf nun nahezu 9 % ist die Investitionstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beschädigt worden. Insbesondere die Finanzierung der deutschen Einheit über Kapitalmärkte ist nahezu nicht mehr möglich. ({4}) Sie treten in dieser Debatte ständig mit der These auf: Wir haben uns alle geirrt. - Es tut mir leid; diese These muß ich richtigstellen. Ich will jetzt nur einen zitieren, den Sie im Sommer 1990 übrigens besonders geschmäht haben, nämlich Oskar Lafontaine. Er hat damals wörtlich ausgeführt, auch im Bundestag: Ohne Steuererhöhung ist die Finanzierung der deutschen Einheit nicht auf solide Grundlagen zu stellen. ({5}) Ich frage: Hat sich der Herr Lafontaine geirrt, oder haben Sie sich geirrt? ({6}) Versuchen Sie nicht ständig, Reden des Inhalts „Alle sind verantwortlich" zu halten! Nein; Sie sind verantwortlich, Sie sind die Regierung, und Sie haben diese Fehler gemacht! ({7}) Der Sachverständigenrat und alle internationalen Gutachter sprechen zu Recht von der schwierigsten Wirtschaftsphase, die wir in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten haben. Nachdem Sie die Hoffnung für dieses Jahr aufgegeben haben, hoffen Sie nun auf eine Erholung der Konjunktur im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres. Ich kann Sie davor nur warnen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lattmann?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; bitte.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, wollen Sie, wenn Sie Herrn Lafontaine zitieren, auch zitieren, daß er noch viele Monate nach der Einheit die ehemalige DDR zu den sieben führenden Industriestaaten der Welt gerechnet und damit seine völlige Fehleinschätzung der dortigen Lage zu Protokoll gegeben hat?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ach, Sie wissen doch genau, daß das, was Sie sagen, Unfug ist. ({0}) Mit so einem Quatsch will ich mich gar nicht auseinandersetzen. ({1}) Die Hoffnung auf eine automatische Belebung der Weltwirtschaft und damit der nationalen Wirtschaft ist natürlich wenig tragfähig. Woher wollen wir wissen, daß Frankreich, daß Italien, daß die USA ihre Wirtschaftsprobleme schnell überwinden? Meines Erachtens gibt es viele Hinweise darauf, daß sie Strukturprobleme haben, die mit unseren vergleichbar sind. Ich finde: Wir müssen jetzt in der Bundesrepublik Deutschland, bei uns also, eine bessere Wirtschafts- und Finanzpolitik machen und dürfen nicht auf die Weltwirtschaft hoffen. ({2}) Das heißt z. B. Konsolidierung der Staatsfinanzen, ({3}) und zwar an erster Stelle Einsparungen und an zweiter Stelle natürlich, unvermeidbarerweise, auch Erhöhungen bei den Staatseinnahmen. Übrigens hat sich der Sachverständigenrat in der Frage erstaunlicherweise völlig korrigiert; er hat sich unserer Position angeschlossen. ({4}) Er verlangt, wie wir, eine Ergänzungsabgabe. Meine Meinung ist: An der Stelle sollten Sie der SPD und der Opposition dankbar dafür sein, daß sie praktisch Ihre Aufgabe erfüllen, nämlich konkrete Vorschläge zur Stabilisierung der Staatsfinanzen zu machen. ({5}) Ich glaube, daß wir uns ein bißchen intensiver mit den strukturellen Verwerfungen in der Bundesrepublik Deutschland auseinandersetzen müssen. Ich wäre froh, wenn Graf Lambsdorff heute wieder hier wäre, um mit uns über diese Frage zu diskutieren, die er ja gestern behandelt hat. Ich glaube nicht, daß das jetzt nur eine Konjunkturkrise ist. Ich glaube nicht, daß das nur konjunkturelle Verwerfungen sind. Dann könnte man sich ja beruhigt zurücklehnen und sich sagen: Wir haben jetzt sieben oder acht Jahre lang konjunkturellen Aufschwung gehabt; da muß es logischerweise auch mal einen Rückschlag geben. - Ich glaube nicht, daß das unser Problem zur Zeit ist. ({6}) Übrigens glaube ich auch nicht, daß das unser Problem ist, was Sie ständig betonen, nämlich wir hätten zu hohe Löhne, wir hätten zu hohe Lohnnebenkosten, wir seien sowieso zu teuer geworden. Bitte schön, was anderes als hohe Löhne und hohe Nebenkosten soll das reichste Land in Europa denn haben? Wir können nicht Portugal, Spanien und Griechenland spielen, sondern wir wollen ganz bewußt - das ist ja unser Ziel - die höchsten Löhne in Europa haben. ({7}) Der Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat vor einigen Wochen ein Papier mit dem Titel „Strategie für den Standort Deutschland" vorgelegt. Deutschland wird darin wieder - wie in der gesamten Debatte - gekennzeichnet als ein Land mit hohen Löhnen und hohen Lohnnebenkosten, den kürzesten Arbeitszeiten, Kapitalknappheit, einer zu hohen Steuer- und Abgabenlast, zu strengen und damit zu kostenträchtigen Umweltvorschriften usw. usw. ({8}) Gewiß kann man diese Aspekte als Probleme nennen. Aber warum nennt eigentlich ein Bundeswirtschaftsminister, der auf dem Sessel von Ludwig Erhard sitzt, nicht auch die positiven Seiten unserer Volkswirtschaft, die es weiß Gott gibt? ({9}) Wenn ein japanischer Minister so redete, wäre er von seinem Parlament nach wenigen Tage hinweggefegt. ({10}) Wir sollten auch über die positiven Aspekte reden: ({11}) Infrastruktursituation, z. B. die Tatsache, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland mit die beste Berufsausbildung haben, qualifiziertere Arbeitsplätze als jeder Staat in Europa. Wir sollten z. B. darüber reden, daß wir durch die europäische Einheit, die jetzt gekommen ist, im Zentrum eines Raums mit 350 Millionen Menschen - EFTA und EG zusammen - leben. Diese Aspekte zu nutzen, diese Aspekte positiv zu verstärken, das ist meines Erachtens die Aufgabe eines Wirtschaftsministers. ({12}) Der Herr Erhard hat damals immer davon gesprochen, 80 % der Wirtschaftspolitik sei Psychologie. Ich stimme ihm zu. Der Herr Grünbeck hat ihn ja auch zitiert. Herr Grünbeck, können Sie mit dem Herrn Möllemann nicht einmal reden, so daß er den Wirtschaftssubjekten in der Bundesrepublik, den Konsumenten und den Unternehmern, klarmacht, daß es anzupacken gilt und daß es nicht darum geht, zu jammern? Das ist doch die falsche Tonlage, die diese Bundesregierung da ständig bringt. ({13}) Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland von den Voraussetzungen her, von der Fähigkeit unserer Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure her sicher eine Chance, diese Wirtschaftskrise zu bewältigen. Aber ich habe den Eindruck - das geht über dieses Haus hinaus; das geht auch in Richtung auf die Unternehmensetagen -, das wir viel zu wenige unternehmende Unternehmer haben und viel zu viele jammernde Unternehmer. ({14}) - Subventionsnehmende Unternehmer. ({15}) - Ich meine alle, die da betroffen sind. Ich meine übrigens auch uns selbst. Wir beklagen jetzt seit Jahren lange Planungszeiten, Bürokratisierung, Verzögerung bei Investitionsentscheidungen und vieles andere. Ich würde ja gern zusammen mit Uwe Jens und Hans Martin Bury im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages Beschleunigungsgesetze nicht nur für den Osten, sondern auch für den Westen beraten und diskutieren. ({16}) Sie haben ein Deregulierungsgutachten machen lassen, und seither ist Schweigen im Walde. ({17}) Ich habe das im Bundestag schon mehrmals gesagt. Wir haben etwa dreifach längere Planungszeiten und Investitionszeiten als unsere Nachbarländer. Ja, ist das ein Naturgesetz? - Ich finde: Das ist zu gestalten. Wir bieten Ihnen an: ({18}) - Schreien Sie doch nicht so viel! Hören Sie mir zu! Ich biete Ihnen eine gemeinsame Arbeit auf dem Gebiet der Entbürokratisierung und der Deregulierung an, und zwar von der Post bis zur Bahn, von der öffentlichen Bauwirtschaft bis zu den Investitionsentscheidungen der chemischen Industrie. Diese Arbeit sollte zu schnelleren Investitionszeiten führen. Das ist doch ein Angebot. ({19}) - Alle meine Kollegen mit Ausnahme von Frau Fuchs klatschen begeistert. ({20})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kolleg Roth, Frau Fuchs war abgelenkt, sonst hätte sicher auch sie geklatscht. Der Kollege Grünbeck möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; sicher.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, da Sie zu Recht die langen Genehmigungszeiten von Bau- und Investitionsvorhaben beklagen, frage ich Sie: Wissen Sie eigentlich, daß das in die Kompetenz der Länder fällt und daß es die längsten Genehmigungszeiten in den SPD-regierten Ländern gibt?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Grünbeck, lassen Sie doch Ihre Ladenhüter; Sie sind viel besser, als diese Zwischenbemerkungen es zeigen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Auch Kollegin Fuchs würde Sie gern etwas fragen.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Roth, stimmen Sie mir zu, daß, um das umzusetzen, was Sie hier anmahnen, zunächst die Bundesregierung einen Entwurf vorlegen müßte, so daß wir überhaupt erst eine Beratungsunterlage hätten, um im Wirtschaftsausschuß dazu unsere Stellungnahme abgeben zu können?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Fuchs, ich danke für die Zwischenfrage. Wahrscheinlich habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Exakt das wollte ich sagen. Wir haben im Bundestag überhaupt nichts an Beratungsgrundlagen zur Beschleunigung der Investitionsprozesse. Ich mahne das an. Wir werden uns bei den einzelnen Fragen ohnehin schwertun. Aber kommen Sie von der Koalition doch endlich mit Initiativen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Jetzt noch der Kollege Wissmann.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist heute ja schön.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, können Sie mir im Zusammenhang mit Ihrem begrüßenswerten Angebot sagen, warum Sie in den letzten Monaten die Vorschläge von Bundesminister Krause zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten in den neuen Bundesländern abgelehnt haben? ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wissen doch ganz genau, daß ich sie nicht abgelehnt, sondern daß ich ihnen in großem Umfang zugestimmt habe, soweit es vernünftig war. Überall dort, wo Umweltgesichtspunkte verletzt worden sind, habe ich natürlich zusammen mit meiner Fraktion nein gesagt. ({0}) Die künftige Wirtschaftspolitik wird nicht dadurch gestaltet, daß wir im umweltpolitischen Bereich schlechter werden. Sie müßten doch erschrocken aufspringen, wenn er eine so dumme Frage stellt. ({1}) - Nicht jeder kann zu jeder Stunde kulturpolitische Leistungen erbringen. ({2}) Deshalb habe ich den Architekten und nicht mich gelobt. Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank hat die deutsche Industrie zur Zeit liquide Mittel in Höhe von 600 Milliarden DM; ich wiederhole: liquide Mittel in Höhe von 600 Milliarden DM. ({3}) Wenn man diese Zahlen kennt, kann man nicht darüber reden, daß wir primär eine Unternehmenssteuerreform brauchen, um mehr Investitionen herbeizuführen. ({4}) Wir brauchen vor allem mehr aktive und innovationsfreudige und investitionsfreudige Unternehmer. ({5}) - Ich sage: zur Zeit 600 Milliarden DM liquide Mittel in der deutschen Wirtschaft. Diese Summe liegt auf der hohen Kante. Ich könnte auch Firmen und ihren Umfang an liquiden Mitteln nennen. ({6}) - Genau. Darm gibt es Dementis, und in der Regel wird etwa gesagt: Wir haben nicht 20, sondern 23 Milliarden DM auf der hohen Kante. Das ist richtig. ({7}) Ich habe den Eindruck, daß es - das ist ja in der Wirtschaftsgeschichte nicht einmalig, sondern das kam immer wieder einmal vor - nicht nur bei uns im Deutschen Bundestag, bei der Bereitschaft, Investitionsprozesse zu beschleunigen, Erstarrung gibt, sondern daß es auch im Unternehmerlager nicht genügend Investitionsfreude und Innovationsfreude gibt. ({8}) Betrachten wir nur für einen Moment die Entwicklung Großbritanniens in den Jahren nach 1950. Großbritannien war damals weit leistungsfähiger als die Bundesrepublik Deutschland. Es war uns weit voraus. Es ist ganz eindeutig so, daß die Briten danach ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Bequemlichkeit und durch Erstarrung ihrer Strukturen verloren haben. ({9}) Nach meiner Meinung sind wir in einer vergleichbaren Gefahr. Das hängt auch - vielleicht sogar vorwiegend - damit zusammen, daß die Rentabilität der Finanzanlagen zur Zeit weit höher ist als die Rentabilität der Investitionen. ({10}) Das heißt, das Ausruhen auf hohen Polstern ist attraktiver als das Investieren in neue Anlagen und Produktionen. Dies wiederum hängt eng mit der Art und Weise zusammen, wie Sie Finanzpolitik gemacht haben. ({11}) Hohe Erträge im Finanzbereich bedeuten gleichzeitig das Unterlassen von Investitionen im Sachbereich. An dieser Stelle gilt es Änderungen vorzunehmen, nicht bei der Steuerpolitik im engeren Sinn. Es gibt genug Aufgaben für Investitionen in der Bundesrepublik. Mein Vorredner hat die Situation für den Osten dankenswerterweise dargestellt. Das will ich nicht wiederholen; das ist auch nicht nötig. Ich stimme Ihnen völlig zu. Übrigens war ich ein begeisterter Anhänger Ihres Erfurter Programms. Nur: Sie merken gar nicht, daß Sie sich immer über den Tisch ziehen lassen. Sie haben in Ihrem Erfurter Programm die 25%ige Investitionszulage aufgeführt. Jetzt haben Sie 20 % bekommen. Darauf bezieht sich meine Kritik nicht; auch ich habe 20 % und nicht 25 % gefordert. Aber dann haben Sie in Ihrer Fraktion bzw. durch den Herrn Finanzminister folgendes erlebt: eine Begrenzung der Investitionszulage auf 1 Million DM. ({12}) Wenn man im Osten die Industrie aufbauen will, muß man die Industrie insgesamt subventionieren und finanzieren. Man darf aber nicht bei 1 Million DM aufhören. ({13}) Wenn ein Mittelständler heute eine Präzisionswerkzeugmaschine kauft, muß er dafür schon mehr als diese Million bezahlen. Das heißt, im industriellen Bereich erreichen Sie durch die Begrenzung keinen positiven Effekt, keinen Arbeitsmarkteffekt. Sie haben Schaumschlägerei betrieben und ihre eigenen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Osten getäuscht. ({14}) Ich finde es schade, daß Sie sich hier hinstellen und sagen: Ich habe mich durchgesetzt. Nein, Sie haben sich in der wesentlichen Frage von den Strategen im Finanzministerium über den Tisch ziehen lassen. Das ist die Wahrheit. ({15}) Dasselbe gilt für das Thema Investitionspauschale bzw. Zukunftsinvestitionsprogramm. Der Herr Bundeskanzler hat gestern in seiner Antwort auf Herrn Klose gesagt: Wir geben doch viel mehr als 10 Milliarden DM aus. Das stimmt. Herr Klose hat aber zusätzlich 10 Milliarden DM Investitionspauschale für die Gemeinden verlangt. Das war ja der Sinn seiner Aussage. Das war der Beschäftigungseffekt, den er wollte. ({16})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nitsch?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja; gern.

Johannes Nitsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Roth, stimmen Sie mir zu, daß im Erfurter Programm ausdrücklich stand, daß wir die Investitionszulage für Mittelständler gewähren wollten, für ganz kleine Mittelständler, die nichts weiter haben als eine Idee, die kreativ sind, die nichts Beleihungsfähiges besitzen? Wir wollten keine Investitionszulage für Industriebetriebe, sondern wir wollten den vielen Leuten, die eine Idee haben und sich unternehmerisch betätigen wollen, eine Chance geben. Haben wir es mit diesem Programm erreicht oder nicht?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben es exakt nicht erreicht. Sie brauchen doch viele kleinere und mittlere Unternehmen, um im Osten aus dem Arbeitsmarktloch herauszukommen. Wissen Sie überhaupt, was stattfindet? Wir haben bei 6 Millionen Erwerbstätigen - früher waren es 9,5 Millionen - sage und schreibe zum jetzigen Zeitpunkt noch 850 000 industrielle Arbeitsplätze. Es gibt eine Prognose eines ostdeutschen Instituts in Halle, die besagt: Es könnte sein, daß wir Ende des nächsten Jahres sage und schreibe 400 000 Arbeitsplätze in der Industrie im Osten übrig haben. ({0}) Meine Damen und Herren, da reden wir im Deutschen Bundestag noch über Entindustrialisierung. Ich muß sagen: Die Entindustrialisierung im Osten hat stattgefunden. ({1}) Dazu braucht man Investitionsinstrumente. - Hier klatscht mein schwäbischer Landsmann begeistert Beifall. Er ist leider der einzige unter Ihnen. Er hat dasselbe am letzten Mittwoch im Wirtschaftsausschuß vorgetragen. Handel, Dienstleistungsbereiche, Banken und Versicherungen kann man nur finanzieren, wenn es eine industrielle Basis gibt und wenn es Exporte gibt. Sonst braucht man auf Jahrzehnte hinaus Blutzufuhr aus dem Westen in den Osten. Das ist mein Problem. ({2}) Ich sage eines ganz drastisch - in meiner Fraktion hört das nicht jeder gern, vor allem nicht meine Gewerkschaftsfreunde -: ({3}) Ich gäbe gerne Mittel für private Investoren aus, wenn anschließend Arbeitsplätze herauskommen. ({4}) Das ist für mich kein Verteilungsproblem, sondern ein Problem der Beschäftigungspolitik. ({5}) Solche Subventionen haben natürlich ohne Zweifel den Effekt, daß man reichen Leuten etwas in die Tasche gibt. Aber in dieser Phase können wir da nicht differenzieren. Es wäre auch gut, wenn Sie dem Herrn Fink zuhören würden. Er fordert eine drastische Investitionsförderung auf der einen Seite und die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer im Osten auf der anderen Seite. ({6}) Das wäre ein effektives und sozial gerechtes Instrumentarium, ein Instrumentarium der sozialen Symmetrie. ({7}) - Sie schreien: Manna vom Himmel. Das soll heißen, daß Sie Versprechungen machen, ohne an die Finanzierung zu denken. ({8}) Meine Damen und Herren, wir sind diejenigen, die auch in dieser Debatte klar sagen: Wir brauchen keine Steuererhöhungen 1995, sondern eine Ergänzungsabgabe im nächsten Jahr, damit wir die Investitionen im Osten finanzieren können. ({9}) Wir sagen das im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten ({10}) und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger im Westen. Wenn wir nämlich auf Jahrzehnte hinaus - wie sie es im nächsten Jahr werden tun müssen -160 bis 170 Milliarden DM Transferzahlungen von West nach Ost leisten müssen, dann bedeutet das, daß Sie jahrzehntelang dem Steuerzahler im Westen und vor allem dem Beitragszahler - was ohnehin das unfairste ist - in die Tasche greifen. Wirtschaft kann nur bei vernünftigen und soliden Rahmenbedingungen funktionieren, wenn man weiß, wie es im nächsten und im übernächsten Jahr aussieht. Was hören wir jetzt im Bereich der Sozialpolitik? Die Beiträge in der Rentenversicherung werden für ein Jahr gesenkt. Die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung werden auf Dauer erhöht. Im Jahr 1994 haben wir dann die nächste Runde bei den Rentenversicherungsbeiträgen. Stellen Sie sich vor, ich würde regieren, also an Möllemanns Stelle sitzen - was gut wäre -, ({11}) und hätte als Wirtschaftsminister einem derartigen Verschiebebahnhof zugestimmt. Was würden Sie dann bei einer Verschlechterung der Rahmenbedingungen in der deutschen Wirtschaft für ein Theater machen? ({12}) Meine Damen und Herren, Stabilität im Bereich der Sozialabgaben ist nicht nur für die Konsumenten ein bedeutsamer Faktor - weil gerade die kleinsten Leute am meisten zu bezahlen haben -, sondern es ist auch ein wichtiger Faktor auf der Kostenseite. Wenn Sie permanent die Kostensituation der deutschen Wirtschaft beklagen, müßten Sie meiner Meinung nach endlich ein positives Investitionsprogramm für die Industrie im Osten machen. Das ist die Schlüsselfrage. Sie müssen auch Entscheidungen treffen, die unbequem sind. Ich habe das im Bundestag schon einmal gesagt. Aber ich werde es so oft sagen, bis es erledigt ist. Wir haben bei der Investitionsförderung im Osten Abschreibungserleichterungen für den gesamten Bereich der Wirtschaft. Praktisch gesprochen: Wenn die Deutsche Bank in Erfurt ein neues Bankgebäude errichtet, bekommt sie vom Staat etwa 55 % ihrer Investitionssumme erstattet. Meine Damen und Herren, glauben Sie, daß die Deutsche Bank wegen der Investitionsförderung auch nur eine einzige zusätzliche Bankfiliale im Osten errichtet? Meine These lautet, unbequem sein, der Deutschen Bank, Aldi und anderen Einzelhandelskonzernen sagen: Ihr kriegt keine Förderung. Das läuft von allein. Aber dann bin ich für erhöhte Förderung im industriellen Bereich. Denn der Entindustrialisierungsprozeß hat schon stattgefunden. Das ist unsere These. Ich weiß sehr wohl, das ist alles nicht bequem. Aber regieren soll ja nicht bequem sein, sondern soll den Bürgerinnen und Bürgern im Westen wie im Osten dienen. Das ist unsere Aufgabe, nicht jammern und nicht dauernd die Aufgaben und die Probleme verschieben. Vielen Dank fürs Zuhören. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, man ist hier oben gelegentlich gezwungen, im Handbuch zu blättern. Dabei ist mir aufgefallen, daß ein Kollege von uns zwar keinen runden und keinen hohen, aber immerhin doch Geburtstag hat. Kollege Hans Georg Wagner wird heute 54 Jahre alt. Ich gratuliere im Namen des Hauses. ({0}) Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Jürgen Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit Mut, Ideenreichtum und Fleiß haben wir Deutschen schon einmal eine der modernsten Volkswirtschaften der Welt geschaffen, und das auf den Trümmern eines schrecklichen Krieges. Das war kein Wunder, wie manche wohl glauben. Das war das Werk vieler tüchtiger und kreativer Menschen, die wußten, um was es geht, nämlich um ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Es ist jetzt an der Zeit, erneut mit Mut, Ideenreichtum und Fleiß ans Werk zu gehen, um den Rückgang der Wirtschaft im Westen Deutschlands und die Anpassungskrise im Osten zu überwinden. Auch die Herausforderungen der deutschen Einheit werden wir bewältigen, wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen, statt unsere vermeintlichen Verluste und Schwächen nur zu beklagen. Um unsere Ausgangslage werden wir in vielen Teilen der Welt beneidet. Westdeutschland ist immer noch eines der reichsten Gebiete der Welt. Fast neun Jahre stetigen Wirtschaftsaufschwungs haben unsere Kräfte gestärkt. 3,5 Millionen neue Arbeitsplätze wurden in dieser Zeit geschaffen. Das Geldvermögen der privaten Haushalte summierte sich Ende des letzten Jahres auf 3,1 Billionen DM. Wir haben weltweit so ziemlich die kürzesten Arbeitszeiten und das ausgeprägteste Maß an Freizeit. Wir haben mit die höchsten Löhne und Lohnzusatzleistungen. Wir haben ein dichtes und starkes soziales Netz, das die Schwachen auffängt. Wir haben ein Wohlstandsniveau in der alten Bundesrepublik, um das wir weltweit beneidet werden. Wir leben im Westen der Bundesrepublik in einer Infrastruktur, die mustergültig ist. Diese strahlende Seite der Medaille hat aber auch ihre weniger freundliche Kehrseite. Der Erfolg und die vermeintliche Sicherheit haben zu behäbiger Erstarrung, zu dem Mißverständnis, nun seien Ideenreichtum, Fleiß und Mut nicht so sehr vonnöten, und zur Züchtung stetig steigender Ansprüche an den Staat und an die Wirtschaft geführt, schließlich auch dazu, daß in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft - über die Parteigrenzen hinweg - das gesamtwirtschaftliche Leistungsvermögen überschätzt und überstrapaziert worden ist. Dem müssen wir jetzt Einhalt gebieten. Jetzt kommt es darauf an, daß wir unsere Chancen tatsächlich nutzen, statt sie zu verschenken. Es kommt darauf an, gemeinsam anzupacken, statt sich mit kleinlichen Schuldzuweisungen aufzuhalten. ({0}) Das sind wir nicht nur uns selbst, sondern noch mehr den kommenden Generationen schuldig. Zeigen wir also, Herr Kollege Roth, wie Sie es angesprochen haben - ich mag Ihnen in diesem Teil der Rede überhaupt nicht widersprechen -, gemeinsam den Mut, unsere Zukunft aktiv zu gestalten, den Mut, die wirklich enormen Herausforderungen aktiv anzunehmen, auch den Mut, die Kräfte zu bündeln, jenseits aller taktischer Mätzchen und Spielereien, die auch heute morgen immer wieder durchgeschienen sind. ({1}) Dann werden wir es schaffen, die gegenwärtige Konjunkturkrise zu überwinden; dann werden wir es schaffen, den Standort Deutschland zu sichern, für mehr Arbeitsplätze und wachsenden Wohlstand zu sorgen. Konkret: Wir werden es dann schaffen, wenn wir auf allen Ebenen des Staates, bei Bund, Ländern und Gemeinden, die öffentlichen Finanzen nicht weiter überstrapazieren, wenn wir darüber hinaus die Rahmenbedingungen für Investitionen und für wirtschaftliche Betätigung deutlich verbessern. Wir werden das dann schaffen, wenn die Tarifpartner bei ihren Lohnabschlüssen wieder die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen als Richtschnur nehmen, wenn die Gewerkschaften den Weg zur längst überfälligen Flexibilisierung der innerbetrieblichen Organisations- und Produktionsstrukturen freimachen. Es ist wohl wahr, Herr Kollege Roth, es wäre sinnlos, die derzeitige rezessive Entwicklung allein an der Entwicklung der Lohn- und Lohnzusatzkosten festzumachen; aber sie in ihrer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen so abzuhandeln, wie Sie es getan haben, das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Das gilt übrigens nicht nur für die privaten Unternehmen. Ich fand das, was Franz Steinkühler auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall zu diesem Thema gesagt hat, durchaus bedenkenswert. Wie will er in seiner Gewerkschaft den dort proklamierten Ansatz, man müsse - ich sage das jetzt verkürzt - froh sein, in den nächsten Jahren den Besitzstand halten zu können, durchhalten, wenn wir nicht für den Bereich des öffentlichen Dienstes, wo wir selbst Tarifpartner sind - wir, das heißt alle hier im Haus; denn wir stellen ja Bundes- und Landesregierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung -, dafür sorgen, daß man da, wo es die Arbeitsplatzunsicherheit nicht gibt, wo es Arbeitsplatzgarantie gibt, wo die Staatskassen, die Kassen der Arbeitgeber, so angespannt sind, mit einem moderateren Beispiel vorangeht? ({2}) Es hat nichts - gar nichts - mit einer Einmischung in die Tarifautonomie zu tun, wenn der für die wirtschaftliche Entwicklung zuständige Minister darauf hinweist, daß eine Überstrapazierung der öffentlichen Kassen, aber auch eine Überdimensionierung von Lohn- und Lohnzusatzkosten den Staat und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Schwierigkeiten bringt. Meine Damen und Herren, wir werden es dann schaffen, wenn Unternehmer und Manager das ihrige tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu verbessern, also Gewinne auch umsetzen in Innovationen, Investitionen und die Erschließung neuer Märkte. Schwächen der deutschen Wirtschaft, die wir im Moment beobachten, deuten eben auch auf einen Mangel an Kreativität und Innovation in den Unternehmensleitungen der Unternehmen hin, die hier Marktanteile verloren haben. Deswegen sage ich: Eine Gemeinschaftsanstrengung ist notwendig. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Bitte!

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sprachen vor dem letzten Satz das Maßhalten im öffentlichen Dienst an. Ich kann da nicht lockerlassen, Herr Bundeswirtschaftsminister. Wären die Appelle zum Maßhalten im öffentlichen Dienst, die überwiegend an die kleinen Arbeiter, Angestellten und Beamten gehen, nicht glaubwürdiger, wenn die Bundesregierung als erstes bei ihrem Wasserkopf maßhalten würde und von den 62 Staatssekretären, sagen wir einmal, 20 abbauen würde? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Lieber Kollege Roth, als Sie vorhin über die mögliche Zusammensetzung künftiger Bundesregierungen philosophierten, habe ich mir meinen Teil gedacht; ich will das jetzt aber nicht vertiefen; denn das könnte vielleicht weniger freundlich werden. Frau Kollegin Matthäus, die Bundesregierung mit einem Wasserkopf zu vergleichen, finde ich nun wirklich unangemessen. Die Frage der Größenordnung und des Zuschnitts einer Regierung in einem deutlich größer gewordenen Land ist sicher der kritischen Analyse wert, und das wird sicher auch immer wieder geschehen. Aber ich glaube nicht, daß Sie das Problem, über das ich hier spreche, damit adäquat behandeln, daß Sie es auf diesen kleinen Punkt reduzieren.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Fragebedürfnis hat sich gesteigert. Kollege Stockhausen und Kollege Schily möchten ebenfalls Zwischenfragen stellen. Wenn Sie bereit sind, zunächst Herr Kollege Stockhausen!

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Da wir hier in einer Debatte sind, ist das ja wohl klar.

Karl Stockhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002254, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß die Kollegin Frau Matthäus-Maier doch einmal versuchen sollte, in Niedersachsen bei ihrem Parteifreund Schröder darauf hinzuwirken, daß die Postenbeschaffung für die GRÜNEN in der Fraktion aufhört und da mit gutem Beispiel vorangegangen wird und daß vielleicht auch Kollege Rudi Walther aus Hessen einmal prüfen kann, welche Positionen außerhalb des beamtlichen Werdeganges von GRÜNEN besetzt worden sind?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich das einmal so deutlich sagen: Wir kommen jetzt genau in die Art der Debatte hinein, die die Leute draußen ankotzt, ({0}) die keiner mehr hören will. Jeder weiß, daß die öffentlichen Verwaltungsapparate auf allen Ebenen kritisch überprüft werden müssen, daß wir vielleicht manches - und da können wir uns selber an die Brust klopfen; aber bitte auch jeder von Ihnen - überdimensioniert haben. ({1}) Lassen Sie uns den Versuch unternehmen, diese Frage auf allen Ebenen - dort, wo Sie regieren, und dort, wo wir regieren - nüchtern zu überprüfen und dort, wo Einsparungen möglich sind, sie auch vorzunehmen. ({2}) Ich habe keine Lust mehr - das muß ich wirklich sagen -, diese taktischen, billigen Mätzchen in der Debatte weiter fortzuführen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wären Sie dennoch bereit, eine Frage des Kollegen Schily - ich weiß nicht, was er fragen will - zu beantworten?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Das hatte ich ja bereits zugesagt.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie beklagen die mangelnde Innovationsfähigkeit der deutschen Unternehmer. Haben Sie den Eindruck, daß Ihr Unternehmen, die Bundesregierung, besonders innovationsfreudig ist?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ja. ({0}) Ich sprach von den Notwendigkeiten -jetzt ist Herr Schily platt; das ist auch etwas Schönes -, davon, wer einen Beitrag zu den von uns, von mir angeregten Notwendigkeiten, die Kräfte zu bündeln, leisten muß. Ich meine, wir können das schaffen, daß sich in der Tat auf breiter Basis die Einsicht durchsetzt, daß Solidarität - und das hat die Phase der letzten drei Minuten erneut gezeigt - eben nicht nur als Anspruch gegenBundesminister Jürgen W. Möllemann über dem jeweils anderen, sondern als Pflicht für sich selbst zu verstehen ist. Sie haben es schon angesprochen, meine Kolleginnen und Kollegen, es hat die Debatte geprägt - der Bundesfinanzminister hat es in der Rede am Dienstag gesagt, der Bundeskanzler gestern, und es wurde auch von manchen Rednern der Opposition aufgenommen -: Jetzt muß die Politik ein Zeichen setzen und auf diesem Weg mit gutem Beispiel vorangehen! ({1}) Es ist klar, wir können nicht Aufgaben an andere verteilen, wenn wir unsere eigenen Pflichten vernachlässigen würden. Vor allem die unverzichtbare Konsolidierung der öffentlichen Finanzen bei Bund, Ländern und Gemeinden stellt uns vor eine gewaltige Aufgabe. Der von meinem Kollegen Waigel vorgelegte Haushalt 1993 zeigt den festen Willen der Koalition, auf striktem Sparkurs zu bleiben. Dafür gibt es auch keine Alternative. Eine Viertelbillion beträgt heute die Gesamtverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden. Sparen ist nicht nur Bundesangelegenheit; auch die Länder müssen ihr Ausgabenwachsturn zurückfahren, sich an den im Finanzplanungsrat gemeinsam beschlossenen Orientierungsrahmen halten. ({2}) Wir, alle Parteien, die wir hier sind, sind dafür verantwortlich; denn niemand kann - und niemand will hoffentlich - es noch leugnen: Wir sind an der Grenze der Belastungsfähigkeit angelangt. Auch die Bundesbank wird die Leitzinsen ohne eine Rückführung der öffentlichen Defizite, ohne maßvolle, weniger preistreibende Tarifabschlüsse kaum senken können. Dabei wären niedrigere Leitzinsen dringend nötig, um das Wachstum zu stimulieren. Die Folge zu hoher Zinsen: Investitionen unterbleiben, weil das Kapital zu teuer wird, weil es dann lohnender ist, in Wertpapiere statt in Arbeitsplätze zu investieren. ({3}) Unerläßlich ist auch die Verbesserung unserer Standortqualitäten. Auch hier stimmen wir wohl alle überein. Nur dürfen wir da nicht die Instrumente durcheinanderbringen, etwa versuchen, den Strukturwandel in der Wirtschaft mit allen Mitteln, also auch mit hohen Subventionen und mit Protektionismus aufzuhalten. Solche Wandlungsprozesse gehören zu einer Marktwirtschaft wie das Immunsystem zur menschlichen Gesundheit. ({4}) Solche Wandlungsprozesse sind der eigentliche Motor für Wachstum und Innovation. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an der Stelle und bei diesem Stichwort ist in den vergangenen zwei Stunden wieder deutlich geworden, was die Menschen draußen zunehmend an unseren Debatten stört. Der erste Redner der Opposition hat dringend darum gebeten, wir sollten doch beim Subventionsabbau nachhaltiger vorangehen. Sie haben beklagt, die bisherigen Subventionsabbaumaßnahmen seien nicht weit genug gegangen. In den folgenden Beiträgen wurde dann beklagt, daß bei den Werften nicht genug subventioniert wird, daß für Berlin nicht genug getan wird; wahrscheinlich kommt gleich noch jemand zur Kohle usw. Meine Damen und Herren, in diesem Hause herrscht eine Mentalität, die lautet: Baut die Subventionen allgemein, aber nicht irgendwo konkret ab. ({5}) Ich habe das noch zu sehr in Erinnerung. Als wir in konkreten Fällen die Debatte geführt haben, da waren Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, leider jeweils auf der Seite derer, die gegen die Kürzungen waren. ({6}) So kann man nicht überzeugend sein. Herr Kollege Schily, Sie selbst waren ja in der kleinen Minderheit Ihrer Vertretung im Ausschuß, die mich in dieser Frage unterstützt hat. Sie werden doch zugeben, daß Sie in der Minderheit waren. Aber ich messe die Position der Sozialdemokraten schon an ihrer Mehrheitsmeinung.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Diederich?

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, darf ich nur noch darauf aufmerksam machen, daß ich nicht die Verlängerung der Berlin-Subvention gefordert, sondern versucht habe, darauf hinzuweisen, daß Berlin einen wesentlichen Beitrag zu dem Subventionsabbau leistet? Darf ich Sie ergänzend fragen, ob Sie zur Kenntnis nehmen wollen, daß ich als Berliner für einen konsequenten Abbau der überflüssig gewordenen Berlin-Förderung bin?

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Das ist erfreulich. Trotzdem haben Sie kritisiert, daß der Subventionsabbau bislang unzureichend sei. Ich habe darauf hingewiesen, daß Ihre Fraktion dort, wo wir seitens der Bundesregierung weitergehende Vorstellungen vorgeschlagen haben, dagegen vorgegangen ist. Das finde ich nicht glaubwürdig. Meine Damen und Herren, eine andere wichtige Grundlage für eine günstige wirtschaftliche Entwicklung sind überschaubare, langfristig kalkulierbare Entscheidungsgrundlagen für unsere Unternehmen. Alle Entscheidungen, die wir mit dem Paket für den Solidarpakt über die künftigen Rahmendaten der Wirtschaft treffen, müssen eine klare Linie vorgeben und über die nächsten Jahre hinweg Bestand haben. Für mich ist dabei folgendes vorrangig: Wir müssen zunächst die Belastungen für unsere Unternehmen deutlich senken, damit mehr investiert wird und neue Arbeitsplätze entstehen. ({0}) Ich denke dabei sowohl an die Steuern als auch an die Lohn- und Lohnzusatzkosten. Beide sind im interna10632 tionalen Vergleich zu hoch. Es kann doch nicht sein, daß fast alle anderen Industriestaaten ihre Steuersätze senken - Frankreich, Belgien, Spanien -, bei uns in Deutschland dagegen auf Grund des Vorschlags beim Finanzminister für Kürzungen, für Senkungen eine Verteilungs-und Neiddiskussion entbrennt, manche sogar Vorschläge machen, nach denen die Unternehmen noch höher belastet werden sollen. Es wirkt sich zunehmend schädlich aus, daß im deutschen produzierenden Gewerbe für 100 DM Arbeitslohn 90 DM an Personalzusatzkosten gezahlt werden müssen. Diese Kosten entstehen nicht zuletzt durch die Beiträge zu einem in mancherlei Hinsicht nicht sehr effizienten Sozialversicherungssystem, wo Milliardenbeträge auch von einer ausufernden Bürokratie geschluckt werden, statt in eine wirklich wirksame Daseinsvorsorge zu fließen. ({1}) Weder zur raschen Verabschiedung des Standortsicherungsgesetzes mit der Senkung der Einkommen- und der Körperschaftsteuer noch zu den Kostendämpfungsbemühungen im Gesundheitswesen gibt es daher eine vernünftige Alternative. ({2}) Eine Steigerung der Lohnzusatzkosten durch neue Sozialleistungen ist ebenfalls inakzeptabel. ({3}) - Das heißt, Frau Kollegin Fuchs, im Blick auf die von Ihnen aufgeworfene Frage zur Pflegeversicherung kann ich sagen, daß nach dem Willen der Koalition die Pflegeversicherung nach dem Umlagenmodell nur dann kommt, wenn sie mit dauerhaften, berechenbaren und vollständigen Entlastungen an anderer Stelle verbunden wird. ({4}) Meine Damen und Herren, wir müssen Schneisen schlagen in das Dickicht der Gesetze, Verordnungen und Erlasse, die das Wirtschaftsleben bis ins letzte Detail regeln. Wer kann z. B. heute noch den Sinn des Ladenschlußgesetzes erklären, das 1956 erlassen wurde und merkwürdigerweise bis jetzt fast alle Stürme überdauerte, trotz der seitdem unstreitig geänderten Verbrauchergewohnheiten, trotz gesetzlich verkürzter Arbeitzeiten. Wollen wir mit diesem Gesetz etwa auch noch das nächste Jahrtausend beglücken? Wer kann es leugnen, daß unsere Planungs- und Genehmigungsverfahren im internationalen Vergleich deutlich zu lang sind? Für eine mittlere chemische Anlage beträgt das Genehmigungsverfahren z. B. in Belgien 13 Monate, in Japan 20, in Westdeutschland bis zu 70 Monate. Das sind über vier Jahre Differenz. Bis die verstrichen sind, ist das ursprünglich beantragte Projekt vom technischen Fortschritt überholt. So mancher Manager kennt dann die Amtsstube der Genehmigungsbehörde besser als sein eigenes Büro. Meine Damen und Herren, wer kann in Zweifel ziehen, daß es gut wäre, wenn bei der Vermittlung von Arbeit es nicht mehr ein Monopol gäbe, sondern einen faktischen Wettbewerb zwischen Privaten und den Arbeitsämtern? Warum also nicht auch hier Wettbewerb? Ich möchte gern an dieser Stelle einen Gedanken, Herr Kollege Roth, den Sie ansprachen, aufnehmen. Sie sagten, es mache keinen Sinn, unseren Standort schlechtzumachen. Das tut auch keiner, jedenfalls ich nicht. Sie haben dann selber die Schwächen und auch die Stärken genannt. Auch das finde ich vernünftig. Sie haben dabei als eine der Stärken das Bildungswesen genannt. ({5}) Ich wollte gerade sagen, wir sollten uns darauf verständigen, daß dieser Bereich wohl unter beide Felder fällt, unter Stärken und Schwächen. ({6}) Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Das Berufsbildungswesen der Bundesrepublik Deutschland, das duale System, zählt zu ihren Stärken. Deshalb werden wir es in seiner Grundstruktur auch gegenüber etwa vorhandenen Nivellierungstendenzen auf EG-Ebene verteidigen. Da gibt es die eine oder die andere Modernisierungsmöglichkeit unter dem Stichwort Deregulierung. Im großen und ganzen ist es aber leistungsfähig. Genauso richtig ist doch, daß der andere, der akademische Bereich, im Moment nicht zu den Stärken gehört. Es ist nicht hinzunehmen, daß wir derzeit weltweit die jüngsten Rentner und die ältesten Studenten haben. ({7}) Es ist nicht hinzunehmen, daß wir derzeit durchschnittliche Verweildauern bis zum ersten Examen von 14,7 Semestern haben. Auch hier ist eine parteiübergreifende Aktivität deswegen vonnöten, weil in den Bundesländern, die die wesentliche Kompetenz für das Hochschulwesen haben, unterschiedliche Konstellationen bestehen. Ich werbe dafür, daß wir unser Hochschulwesen insoweit modernisieren. ({8}) Das dritte Hauptanliegen, von dem ich sprechen möchte, betrifft den internationalen Freihandel. Wir erleben in diesen Tagen eine Zuspitzung der Diskussion um dieses Thema. Meine Damen und Herren, wir haben vor 14 Tagen im Rahmen der EG durch die Bundesregierung mit dazu beigetragen, daß ein Durchbruch bei den GATT-Verhandlungen möglich wurde. Das war wichtig, das war nötig. ({9}) Auf Grund dieser von Ignaz Kiechle und mir gemeinsam vertretenen Position - ich danke dem Kollegen Kiechle ausdrücklich und herzlich dafür, daß er nicht den Weg gegangen ist, den der eine oder andere seiner Kollegen anderswo derzeit geht - konnte die EG-Kommission einen Abschluß in den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten erreichen. Ich weiß, daß das auch für die deutschen Landwirte Veränderungen bedeutet. ({10}) Ich weiß, daß wir in diesem Licht beispielsweise unsere Anstrengungen für die Agrarstruktur- und Sozialpolitik anders gewichten, als hätten wir den früheren Zustand. Das ist auch notwendig. Aber es wäre ein absurder Sachverhalt gewesen, meine Damen und Herren - und wir hätten dem massiv widersprechen müssen -, wenn wir zur Bewahrung überlebter Protektionismen im Agrarbereich den gesamten internationalen Freihandel aufs Spiel gesetzt hätten. Das geht nicht! ({11}) Es ist doch so, das wir mit den. Überschüssen, den Gewinnen, den Steuereinnahmen, die wir aus dem Bereich von Handel, Handwerk, Industrie und Gewerbe erzielen, die Subventionen für den Agrarbereich finanzieren - und nicht umgekehrt. Auch unsere Bauern wären schwer getroffen, würden wir unsere gesamtwirtschaftliche Leistungskraft durch internationalen Protektionismus schmälern. Deswegen haben wir die richtige Entscheidung getroffen. Ich appelliere von hier aus an die französische Regierung, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den im Rahmen der Ministerräte bislang gefundenen Konsens auch gegen den massiven Druck ihrer Interessengruppen durchzuhalten. ({12}) Natürlich hat - auch im Rahmen der Beiträge des Kollegen Nitsch und anderer - das Thema Aufbau Ost hier einen Schwerpunkt gebildet. Ich kann dem, was Sie gesagt haben, Herr Kollege, weitestgehend zustimmen und möchte deswegen auch nicht alles wiederholen. Ich glaube aber schon, daß es wichtig ist, hier zwei Punkte anzusprechen. Wir haben bislang - und das wird durch die rezessive Entwicklung in Europa, in Amerika und natürlich jetzt auch in Westdeutschland verstärkt - eine nicht hinreichende Größenordnung privater Investitionen in den neuen Bundesländern erreicht. Wir machen mit dramatischen Anstrengungen, mit riesigen Transfers, über die wir uns im wesentlichen ja auch einig sind, alles nur Mögliche, um die Infrastruktur in den neuen Bundesländern zu verbessern: ({13}) Verkehr, Kommunikation und all dies ({14}) - Zum Teil neu zu schaffen. Die öffentliche Investitionsquote verhält sich zwischen Ost- und Westdeutschland pro Kopf der Beschäftigten wie 130:100. Das ist auch notwendig. Die private Investitionsquote hingegen verhielt sich - jedenfalls im letzten Jahr - zwischen West- und Ostdeutschland wie 100 : 60. Bliebe das so, würde der Abstand im Leistungsvermögen größer statt geringer. Deswegen ist es notwendig, jede nur denkbare Möglichkeit zu ergreifen, um private Investitionen anzureizen. Deswegen verstärken wir das Maßnahmenbündel jetzt ja auch. ({15}) Herr Kollege Roth, das sind doch wirklich keine Peanuts, wenn Sie an die Dimensionierung der Gemeinschaftsaufgabe denken, an die Investitionszulage, an die Sonderabschreibungen, an die Mittel der Kreditanstalt, an die ERP-Mittel. Sie wissen doch, daß das kumuliert, also miteinander in Anspruch genommen werden kann. Meine Damen und Herren, was mir viel mehr Sorge macht, ist, daß ein Sachverhalt in diesen Debatten außer Betracht gerät. Es gerät außer Betracht, daß wir mit diesen Anstrengungen die Volkswirtschaft eines ehemaligen kompletten Staatsgebietes modernisieren müssen und wollen, die zu Beginn der Einheit bei 30 % der Leistungsfähigkeit der westdeutschen Volkswirtschaft lag. Das ist in drei Jahren nicht zu machen, ({16}) das wird eben länger dauern, und dies ist auch nicht der Politik anzulasten. ({17}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es vernünftig, die Anstrengungen zur Werbung privater Investitionen zu verstärken, wie wir das jetzt tun.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Roth möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen W. Möllemann (Minister:in)

Politiker ID: 11001520

Ich möchte den Gedanken zu Ende führen, bitte. ({0}) Deswegen ist es notwendig, die sonstigen Rahmenbedingungen zu bessern. Aber ich bitte Sie, liebe Kolleginnen, jetzt bei einem anderen mitzuhelfen, was sich abzeichnet. Es zeichnet sich ab, daß eine neue Neidgrenze zwischen West- und Ostdeutschland entsteht - in einer Zeit konjunktureller Abschwächungen, in der westdeutsche Betriebe kurzarbeiten und in Schwierigkeiten kommen. Wir erleben, daß auch in die Parteien hinein schon dieser Keim des Unfriedens wächst. Ich plädiere nachdrücklich dafür, daß wir weiterhin um Verständnis dafür werben, daß es diesen absoluten Förderschwerpunkt eben nur in den neuen Ländern geben kann, damit sie aufholen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den westdeutschen Bundesländern, Sie werden in allernächster Zeit unter massiven Druck kommen. Das geht schon los. Ich werbe auch dafür, daß auch die westdeutsche Industrie akzeptiert, daß mit diesen gezielten Fördermaßnahmen gewollt Wettbewerber über eine Zeit hinweggebracht werden, potentielle Wettbewerber von morgen. Auch dort stößt dies jetzt in einer zum Teil erstaunlichen Einmütigkeit von Unternehmens10634 leitungen und Betriebsräten auf Widerspruch. Wenn wir das nicht durchhalten - und das war das, was der Bundeskanzler mit dem Stichwort Erhaltung der industriellen Kerne meinte, Erhaltung zum Teil im Moment gegen den Markt, damit Ansatzpunkte bewahrt und gerettet werden -, dann wird in der Tat auch der neu aufgekeimte gewerbliche Mittelstand, das Handwerk, das sich um solche Kerne kristallisiert, in Schwierigkeiten kommen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen das unterstützen, was der Sachverständigenrat vor einigen Tagen zu diesem Thema gesagt hat. Er hat formuliert: Heute wissen wir, daß der eingeschlagene Weg noch länger und steiniger ist, als bisher schon vermutet werden mußte. Aber es sind keine grundlegenden Veränderungen eingetreten, die zur Aufgabe des Kurses zwingen. Alternativen - so weiter der Sachverständigenrat -, die bessere und schnellere Erfolge bei geringeren Risiken versprechen, sind nicht in Sicht. Deswegen bitte ich Sie, die von uns konzipierte Politik weiterhin zu unterstützen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Ernst Hinsken das Wort.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Roth, Sie waren heute sehr aufgebracht. ({0}) Sonst sind Sie etwas ruhiger, wenn es um die Sache geht und wir im Wirtschaftsausschuß des Bundestages das eine oder andere Problem an- und ausdiskutieren. Bei uns in Bayern heißt ein Sprichwort: Wer schreit, ist im Unrecht. ({1}) Ich meine, das unter der Überschrift sagen zu müssen und sagen zu dürfen: Das Ganze ist nichts Neues - viele Worte, Inhalt sehr, sehr wenig. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir momentan als Parlamentarier landauf, landab unterwegs sind, dann ist bei vielen Veranstaltungen Jammern das Gebot der Stunde. Es wurde gerade in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten vermehrt darauf hingewiesen, welch großartige Leistungen die Wirtschaft insbesondere auch für die breite Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland gerade in den letzten zehn Jahren erbracht hat. ({3}) Es kommt doch nicht von ungefähr - das möchte ich besonders erwähnen, weil ich diese Zahlen bisher noch nicht gehört habe -, daß z. B. die Einkommen in den letzten zehn Jahren, auf den einzelnen Bundesbürger bezogen, im Jahresdurchschnitt um 5 % - d. h. nominal insgesamt um 63 % - gestiegen sind. Im gleichen Zeitraum sind die Preise nur um 25,7 % gestiegen. Das heißt, jeder hat heute das Doppelte dessen in der Tasche, was die Preissteigerung in zehn Jahren ausmachte. Meine Damen und Herren, man sollte nicht nur immer jammern, sondern auch einmal das Positive aussprechen und es die Bürger wissen lassen. ({4}) Als aufmerksamer Zuhörer der Debatte in den letzten zwei Tagen habe ich von Ihnen, meine Kollegen von der SPD - ob von Herrn Wieczorek, von Frau Matthäus-Maier oder von Herrn Roth -, außer der Forderung nach Ergänzungsabgabe und Ihrer Suche nach imaginären Gerechtigkeitslücken und starken Schultern, die zusätzliche Belastungen tragen sollen, bisher noch keine Vorstellungen gehört, ({5}) was wir für unsere Wirtschaft, insbesondere auch für unsere mittelständischen Unternehmen tun können, um sie für diesen Wettbewerb fit zu machen. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Einen Moment, Herr Kollege. - Darf ich um etwas mehr Ruhe bitten, ({0}) bis auch der Kollege Waltemathe alle Mitglieder der Bundesregierung begrüßt hat? ({1}) Bitte fahren Sie fort.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Umsatzrendite der Unternehmen ging nach Berechnungen der Bundesbank 1991 auf netto 2 zurück. Gleichzeitig nahmen die Personalkosten um 9 % zu. Dies bedeutet eine Umlenkung der Ausgaben der Unternehmen von Investitionen auf Konsum. Die Spielräume der Unternehmen für Zukunftsinvestitionen werden dadurch immer kleiner. Wir müssen deshalb dafür sorgen, daß die Lohnnebenkosten nicht weiter ansteigen. ({0}) Wenn heute wieder über Sozialleistungen nachgedacht wird, z. B. bei der Pflegeversicherung, müssen wir uns auch ernsthaft darüber Gedanken machen, wie wir eine zusätzliche Belastung der Unternehmen vermeiden können. Bisher habe ich dazu von meinen Kollegen aus der Opposition, insbesondere von der SPD, keine konstruktiven Vorschläge gehört, ({1}) die beschreiben, wo wir ansetzen können, um die längst fällige Pflegefallabsicherung durchführen zu können. ({2}) Bitte kommen Sie einmal mit Vorschlägen an die Öffentlichkeit! ({3}) Ich frage mich auch: Warum wird, wenn in dieser Hinsicht um Kompensationen gerungen wird, nicht auch einmal dahin gehend nachgedacht, ob wir die wöchentliche Arbeitszeit nicht vielleicht wieder um eine Stunde nach oben schrauben, anstatt immer von Verkürzungen der Wochenarbeitszeit zu reden? Auch darüber sollten die Tarifparteien, aber insbesondere auch Sie von der SPD nachdenken. ({4}) Ein Zweites zur zunehmenden Arbeitslosigkeit in Deutschland: Fast zwei Drittel der Arbeitgeberbeiträge für die Bundesanstalt für Arbeit zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit werden von mittelständischen Unternehmen geleistet. Während die Arbeitslosenzahlen in den neuen und inzwischen auch in den alten Bundesländern ansteigen, finden sich auf den Baustellen in ganz Deutschland zunehmend Arbeitskräfte aus Polen und der Tschechoslowakei, die leider Gottes oftmals zu Sklavenpreisen hier arbeiten müssen. Dies ist meines Erachtens der Ausdruck einer Fehlentwicklung, der wir begegnen müssen. Es wird Zeit, daß wir bei der Vermittlung von Arbeitslosen auf einer niedrigeren Qualifikationsstufe endlich auch über die Frage der Zumutbarkeit der Arbeit nachdenken und den damit verbundenen Bürokratismus bei den Arbeitsämtern beenden. ({5}) Es geht, so meine ich, einfach nicht an, daß wir zum Teil Arbeitslose finanzieren, die sich zu fein sind, Arbeiten auf einer niedrigeren Qualifikationsstufe aufzunehmen, während die Wirtschaft gleichzeitig händeringend nach Arbeitskräften sucht. Die gesetzlichen Vorschriften im AFG sind vorhanden. Jetzt kommt es darauf an, daß die Arbeitsämter die Zumutbarkeitskriterien auch konsequent anwenden und dabei von der Bundesanstalt den Rücken gestärkt bekommen. Eine ähnliche Problematik stellt sich im Zusammenhang mit den ABM-Stellen in den neuen Ländern. Wenn heute ein junger Arbeitsloser in den neuen Ländern in einer ABM-Stelle ohne Leistungsdruck mehr verdient als in einem ordentlichen Arbeitsverhältnis, so brauchen wir uns über Fehlentwicklungen nicht zu wundern. ({6}) Ein weiteres Problem, das in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, ist die Überbürokratisierung und Überregulierung unserer Wirtschaft. Mit einem dichten Regelwerk, einem bürokratischen Gestrüpp von Berichtspflichten, Auflagen und Genehmigungsverfahren, hält der Staat diese Unternehmen von ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich wettbewerbsfähige Produkte zu entwickeln und herzustellen, ab. Ich unterstütze deshalb das, was Staatssekretär Göhner gestern gesagt hat, der eine Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren im Immissionsschutz, Naturschutz und Abfallrecht fordert. Ich möchte in diesem Fall die Bitte aussprechen - Frau Fuchs, Sie haben sich vorhin in Form einer Zwischenfrage echauffiert, und auch Kollege Roth hat dies angesprochen -, daß Sie uns gerade bei der Entbürokratisierung zur Seite stehen und sich auch in den eigenen Reihen durchsetzen, damit endlich den Worten Taten folgen und die Bürokratie in gewisser Hinsicht zurückgedrängt werden kann. Denn sie ist das größte Hemmnis für unsere Wirtschaft insgesamt. ({7}) Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch etwas zum Aufbau in den neuen Bundesländern sagen. Unternehmen investieren immer dort, wo sie Gewinn und Absatzchancen sehen. Dies sind sie den bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze übrigens auch schuldig. Nun schlagen Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, als stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion vor, jedem Unternehmer bei Androhung einer Zwangsabgabe die Pflicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Ländern aufzuerlegen. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Ich habe immer gedacht, Sie hätten wenigstens ein bißchen wirtschaftlichen Sachverstand. ({8}) Dies zeugt doch allenfalls von einem bedenklichen geistigen Rückfall in die sozialistische Phantasiewelt, aber nicht davon, daß Sie, die SPD, bereit sind, wirtschaftliche Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hinsken, die Kollegin Matthäus-Maier möchte Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hinsken, ich bin der Ansicht, daß man über das Pro und Kontra eines solchen Vorschlags sehr wohl kritisch diskutieren kann. Er ist sicher ungewöhnlich. Aber würden Sie mir nicht zustimmen, daß wir bei Arbeitslosenzahlen im Osten von zum Teil bis zu 40 % einfach auch über ungewöhnliche Forderungen gemeinsam nachdenken müßten? ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Matthäus-Maier, mit solchen Instrumenten werden Sie die Wirtschaft nicht in die Lage setzen, eine Umpolung vorzunehmen. Ich glaube, wirtschaftliche Anreize, in die neuen Bundesländer zu gehen, wie sie seitens der Bundesregierung in den letzten Monaten und für die mittelständische Wirtschaft insbesondere auch in den letzten Tagen gegeben wurden, sind allemal besser. Das ist der richtige Weg, nicht eine sogenannte Investitionslenkung, wie Sie sich das vorstellen. ({0}) Was wir in den neuen Ländern in erster Linie brauchen, ist, daß auch die Tarifparteien die ökonomischen Realitäten wahrnehmen. Es kann doch nicht wahr sein, daß die Gewerkschaften lieber Betriebsstillegungen in den neuen Ländern hinnehmen, als der Möglichkeit von Tariföffnungsklauseln für bedrohte Betriebe zuzustimmen. Ich greife dabei auf, was Herr Wirtschaftsminister Möllemann vorhin gesagt hat: Hier muß dereguliert werden, hier muß man gegenseitiges Verständnis haben, damit auch die Wirtschaft in den neuen Bundesländern endlich in Schwung kommt, um den Anschluß an die alten Bundesländer zu finden. Das geht auch, wenn wir hier Verkrustungen aufbrechen und diese Wege beschreiten. ({1}) Entscheidend ist, daß wir die Investitionsbedingungen in den neuen Ländern verbessern. Hier möchte ich mich nochmals bei Bundesfinanzminister Waigel dafür bedanken, daß die Aufstockung der Investitionszulage und die Konzentration dieses Instruments auf die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk als deutliche Signale gesetzt wurden und damit der Tatsache, daß der Mittelstand Motor unserer Wirtschaft ist, Rechnung getragen wurde. ({2}) Kollege Nitsch und Kollege Rossmanith haben in ihren Reden darauf bereits umfangreich verwiesen. Ich kann es mir ersparen, darauf näher einzugehen. Ich meine nur, abschließend sagen zu müssen: In Zeiten angespannter Haushaltsverhältnisse muß die öffentliche Hand sparen. Der Bundesfinanzminister hat einen Sparhaushalt vorgelegt, der Einsparungen bis hin zur Stellenkürzung vorsieht. Ich hoffe, daß auch die Lander und Kommunen nachziehen, und meine deshalb auch, darauf verweisen zu müssen, daß es angebracht ist, gerade in den neuen Bundesländern darüber nachzudenken, inwieweit der öffentliche Dienst reduziert werden kann. Es geht einfach nicht an, daß es einige Länder gibt - ohne daß ich sie namentlich nennen will -, die teilweise 100 % mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Land und Kommunen haben als verschiedene alte Länder der Bundesrepublik Deutschland. Hier kann angesetzt werden, hier muß angesetzt werden. Auch in diesem Bereich brauchen wir weniger Bürokratie; mehr Beamte bedeuten aber mehr Bürokratie. Deshalb ist es ein Gebot der Stunde, auch diesbezüglich Kürzungen vorzunehmen und dies nicht nur dem Bundesfinanzminister anzulasten. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hinsken, Ihre Redezeit ist bereits ein Stück überschritten.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Ich bedanke mich dafür, daß Sie für Ruhe gesorgt haben. Es ist jetzt eine namentliche Abstimmung angesetzt. Deshalb strömen viele Kollegen herein. Ich darf zum Abschluß noch sagen, daß ich auf die SPD-Kollegen setze, auf ihre Freunde in den neuen Bundesländern einzuwirken, damit der von mir zuletzt ausgesprochene Wunsch - weniger Bürokratie durch weniger Beschäftigte im öffentlichen Dienst - umgesetzt werden kann. Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit herzlich bedanken. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt entwickelt sich in der Tat wieder die typische Situation vor namentlichen Abstimmungen. Ich lade die Kollegen einschließlich der Parlamentarischen Staatssekretäre herzlich ein, Platz zu nehmen. Es sind noch freie Plätze vorhanden. Wenn Sie stehen bleiben, dann staut es sich hinten im Saal, und der Geräuschpegel steigt. Eine kleine Bitte habe ich noch an die Redner. So wichtige Mitteilungen, Herr Kollege Hinsken, wie Sie sie am Schluß, nachdem bereits das rote Licht leuchtete, noch machten, wären genauso wirkungsvoll, wenn sie innerhalb der Redezeit erfolgten. ({0}) Ich erteile dem Kollegen Martin Bury das Wort.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat die Debatte heute über den Einzelplan 09 und die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mit der Debatte über den ERP-Wirtschaftsplan 1993 verbunden. Dafür gibt es vor allem einen einleuchtenden Grund: Wir sollten hier wenigstens auch über einen erfreulichen Aspekt der Wirtschaftspolitik diskutieren. ({0}) Nicht zuletzt dem Widerstand der SPD ist es schließlich zu verdanken, daß die Bundesregierung die geplante Halbierung der ERP-Förderung rückgängig gemacht hat. Wir hatten wegen der vorgesehenen Kürzung letztes Jahr den ERP-Wirtschaftsplan abgelehnt. Inzwischen hat die Regierungskoalition unsere Hauptforderung erfüllt: Auch im nächsten Jahr werden zinsverbilligte Darlehen für Existenzgründungen, Investitionen und Umweltschutzvorhaben kleiner und mittlerer Unternehmen in Höhe von 14 Milliarden DM - 10 Milliarden DM für die neuen und 4 Milliarden DM für die alten Länder - zur Verfügung stehen. ({1}) Angesichts der dringend notwendigen Existenzgründungen und Investitionen - vor allem, aber nicht nur in den neuen Ländern - ist dies immerhin ein Lichtblick. Mit der Hilfe von ERP-Programmen wurden in den neuen Ländern rund 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und über 1 Million bestehende Arbeitsplätze gesichert. Fast alle Existenzgründer hätten ohne ERP-Mittel den Weg in die Selbständigkeit nicht gewagt bzw. die Investition nicht getätigt. Selbst die Zahl der Darlehensausfälle ist erfreulicherweise außerordentlich gering. ({2}) Damit trägt das ERP entscheidend zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur bei. Es unterstützt gezielt kleine und mittlere Unternehmen, diejenigen, die auch in den alten Ländern die meisten Arbeitsplätze schaffen. ({3}) Die ERP-Förderung ist darüber hinaus mit durchschnittlich 1 900 DM pro Arbeitsplatz aus dem Bundeshaushalt außerordentlich effizient. Selbst wenn man berücksichtigt, daß in den neuen Ländern die meisten geförderten Unternehmen ERP und EKH kombinieren, ist die Bilanz hervorragend. Den Vergleich mit Strukturerhaltungssubventionen in den alten Ländern mag ich an dieser Stelle gar nicht anstellen. Die durch den Zwang zur Haushaltskonsolidierung notwendige Diskussion über die bisherige Subventionspolitik sollten wir jedoch als Chance begreifen. Wir müssen meiner Meinung nach massiv Strukturwandel fördern und nicht vorrangig Strukturerhalt. Nun komme ich zu dem, was Sie, Herr Möllemann, vorhin in Ihrer Rede gesagt haben. Sie nannten die Stichworte Innovation und Kreativität. ({4}) - Ich kann verstehen, daß er auf seine vorherige Rede nicht angesprochen werden möchte. ({5}) Sie haben von der Verantwortung der Gewerkschaften und der Unternehmer gesprochen. Sie haben das alte Klagelied der Löhne und Lohnnebenkosten wieder angestimmt, was das Thema Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft angeht. Dabei müßten Sie, müßte zumindest der Bundeswirtschaftsminister wissen, ({6}) daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft heute sehr viel stärker von unserer Fertigungstechnik, von unserem Management, von dem inneren Frieden in Deutschland, dessen Gefährdung auch die Exportwirtschft gefährdet, bestimmt wird und - was die F.D.P. nie wahrhaben möchte - auch durch den sozialen Frieden bedingt wird. Dies alles ist eben auch mit der Verantwortung der politischen Führung in diesem Lande verknüpft. Aber Sie haben in alter Manier Ihrer Partei so getan, als ob Sie an der Regierung gar nicht beteiligt wären. ({7}) Wo sind die Visionen des Bundeswirtschaftsministers? Wo sind die entsprechenden Strategien? Ich meine Strategien in bezug auf den Strukturwandel sowie beispielsweise in bezug auf den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft. ({8}) Ich denke, daß wir, wenn wir von „End of the pipe"-Technologien wegkommen hin zu Ökotech, zu geschlossenen Kreisläufen, die Basisinnovation für das kommende Jahrhundert hätten. Wo ist der dringend notwendige intensivere Dialog mit allen am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten? ({9}) Wo sind die daraus zu entwickelnden konkreten Maßnahmen? In diesem Zusammenhang und im Rahmen des ERP könnten wir beispielsweise versuchen, die nicht mehr bedarfsgerechten Kredithöchstbeträge und die Umsatzgrenzen der ERP-Programme anzupassen. Dann könnten wir auch den industriellen Mittelstand - zumindest in den neuen Ländern - fördern. Bei einer Verdoppelung der Umsatzgrenze auf 100 Millionen DM und des Kredithöchstbetrages auf 2 Millionen wären schätzungsweise zusätzliche Zinszuschüsse in Höhe von gerade einmal 20 Millionen DM pro Jahr erforderlich. Die Kreditvergabemöglichkeiten ließen sich damit aber immerhin um etwa 2 Milliarden DM steigern. Bei einer tendenziell abnehmenden Zahl von Existenzgründungen in den neuen Ländern könnten zusätzlich gegebenenfalls Mittel innerhalb des ERP umgeschichtet werden, um dem dramatischen Wegbrechen der Industriearbeitsplätze entgegenzuwirken. ({10}) Um so bedauerlicher ist es, daß die Bundesregierung auch in diesem Jahr die Finanzierung des ERP nicht auf eine solide Grundlage gestellt hat. Die Ausgaben des ERP werden inzwischen zu rund 59 % durch Kredite gedeckt. Statt einer Zuführung von Kapital stopft die Bundesregierung mit Zinszuschüssen aus dem Bundeshaushalt wieder nur kurzfristig ein Loch, das im nächsten Jahr wieder entsteht. Die ERP-Fördermöglichkeiten ändern sich dadurch zwar kurzfristig 1993 nicht, aber mittel- und langfristig stehen diese Mittel zum revolvierenden Einsatz nicht mehr zur Verfügung. Das ist auch unter dem wichtigen Aspekt der Kontinuität in der Wirtschaftsförderung wenig hilfreich. ({11}) Wir gehen davon aus, daß die Zusage im Unterausschuß ERP, das Volumen auch im nächsten Jahr wieder in etwa erreichen zu wollen, gilt. - Der Wirtschaftsminister nickt. ({12}) Die SPD-Fraktion verbindet daher die Zustimmung zum ERP-Wirtschaftsplan 1993 mit der Aufforderung an die Bundesregierung, eine Wirtschaftspolitik zu formulieren und umzusetzen, die endlich klare Rahmenbedingungen und langfristige Perspektiven an die Stelle von Show-Effekten und Momenterfolgen setzt. ({13}) Wir stimmen auch dem Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltung des ERP-Sondervermögens zu, der die Refinanzierung des ERP-Sondervermögens verbessert und verbilligt. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, und zwar nicht zur Ausweitung des Kreditanteils, sondern zur Verbesserung der Konditionen und Kreditvergabemöglichkeiten - im Interesse von Mittelstand, Arbeitsplätzen und Umweltschutz. Danke schön. ({14})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Josef Grünbeck, Sie haben das Wort.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in meinem ersten Redebeitrag heute darum gebeten, daß wir Gemeinsamkeiten suchen, und ich habe noch drei Wünsche, die am Ende dieser Debatte angebracht sind. Ich habe Wünsche an die Vertreter der PDS und auch an Sie, Herr Feige: Lassen Sie bitte bei den Vorwürfen an diese Regierung wegen angeblich mangelhafter Unterstützung beim Aufschwung Ost die Bezugnahme auf Ihre eigene Leistungsfähigkeit und auf das Verursacherprinzip nicht außer acht. Anerkennen Sie auch in Anbetracht unserer westdeutschen Steuerzahler einmal die erbrachten Leistungen! ({0}) Zweitens. Lieber Herr Roth, ich habe darum gebeten, daß wir keine Analyse über Schuldzuweisungen machen. Niemand hatte über den Bestand der ehemaligen DDR eine Aufnahme. Niemand hatte ein Lehrbuch. Niemand hatte einen Fahrplan. Niemand hatte einen Terminplan. Heute mit Schuldzuweisungen weiterzuwurschteln wäre verkehrt. Wir wollen ein gemeinsames Handeln. Der Standort Deutschland ist nicht mehr der, der den internationalen Wettbewerbsdruck unbedingt aushält. Wir haben die höchsten Steuern. Wir haben die höchsten Zinsen. Wir haben die niedrigste Arbeitszeit, und wir haben die höchsten Lohnkosten sowie eine starke D-Mark, die uns im Export manchen Kummer bereitet. Drittens. Herr Roth, Sie haben die mangelhafte Innovations- und Investitionsfähigkeit und -bereitschaft der Unternehmen beklagt. Mit wem wollen Sie denn eigentlich die Investitionen machen, wenn nicht mit den Unternehmen? - In diesem Zusammenhang muß ich Ihnen sagen: Es wäre der verkehrte Weg, den Unternehmen jetzt nur die Trägheit bei der Investitions- und Innovationsfähigkeit zu bestätigen noch dazu in einem Vergleich mit England.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Grünbeck, der Kollege Feige würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich wollte die Debatte eigentlich nicht verlängern, Herr Kollege Feige.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Aber das kommt Ihnen ja zugute.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Grünbeck, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir doch immer dann bemüht sind, wenn die Bundesregierung auch wirklich etwas Positives vorzuweisen hat, dieses herauszustellen, aber daß es das gute Recht der Opposition ist, sie immer dann, wenn sie ihren Leistungen nicht gerecht wird, zu kritisieren, und daß Sie mir und uns dieses Recht auch nicht absprechen können?

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Sie verkünden in Ihren Reden immer lehrbuchmäßige Theorien und haben von der praktischen Entwicklung im Grunde genommen keine Ahnung. Ich muß Ihnen das leider einmal sagen. ({0}) Herr Kollege Roth, ich möchte noch Ihren Vergleich mit England und den deutschen Unternehmen richtigstellen. Lesen Sie einmal die Bilanz des Europäischen Patentamtes nach. Dort können Sie nachlesen, wie viele Patente aus deutschen Landen kommen und daß 70 % dieser Patente von kleinen und mittleren Betrieben kommen. In England fehlt die Struktur der kleinen und mittleren Betriebe. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Volkswirtschaften. Deshalb sind wir in unserer wirtschaftlichen Entwicklung auch wesentlich erfolgreicher.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Grünbeck, der Kollege Feige möchte gerne noch eine zweite Frage stellen.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich möchte die Debatte im Interesse des ganzen Parlaments nicht verlängern. Entschuldigen Sie bitte. ({0}) - Herr Feige, lassen Sie Ihren Zeigefinger weg, der greift bei mir nicht mehr. ({1}) Ich bitte Sie darum, daß wir uns bei Vergleichen mit anderen Volkswirtschaften nicht selbst um die Früchte unserer Arbeit bringen, an denen wir doch alle beteiligt waren. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen gesunden Mittelstand, und den sollten wir nicht zurückdrängen. Vielen Dank. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Rainer Haungs.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende unserer Debatte über die Wirtschaftspolitik kann ich feststellen, daß es neben der pflichtgemäßen Kritik der Opposition in der analytischen Untersuchung doch sehr viel Gemeinsames gegeben hat. ({0}) Herr Kollege Roth hat zu Recht beklagt, daß viel zuviel Milliarden in Zinsanlagen fließen und daß zuwenig unternehmerische Aktivitäten stattfinden. Deshalb: Folgen Sie dem Vorschlag im Standortsicherungsgesetz, daß wir die unternehmerischen Risikoinvestitionen, Erträge aus Unternehmen, steuerlich nicht diskreditieren. ({1}) - Nein, ich habe keine Zeit, tut mir leid. ({2}) Es ist doch völlig klar, daß, wenn wir auf Grund der gegenwärtigen Zinsentwicklung so hohe Renditen haben, dies den gewerblichen Investitionen schaden muß. ({3}) Ein Zweites. Sie haben die Infrastruktur zu Recht gelobt und gesagt, daß dies ein Pluspunkt ist. Ich will noch einmal betonen: Setzen Sie Ihre persönliche Meinung in Ihrer Partei durch, und hören Sie von der SPD auf, all das zu hemmen, was den Ausbau der Infrastruktur, von Straßen, von Bahnen, in den neuen und in den alten Bundesländern hindert. ({4}) Dies wäre der beste Beitrag, Positives über unser Land nicht nur zu verbreiten - da stimme ich Ihnen zu -, sondern auch Positives für unser Land zu tun. Wir haben heute drei große Herausforderungen, wahrscheinlich die größten seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Erstens: der konjunkturelle Abschwung. Dies wäre kein Beinbruch. Damit müssen unsere Nachbarn fertig werden. Das werden wir auch bei uns schaffen. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Einen Moment, Herr Kollege. Meine Damen und Herren, in ein paar Minuten ist die namentliche Abstimmung. Bitte nehmen Sie in der Zwischenzeit Platz. Je mehr hinten herumstehen, desto mehr wird auch geredet, und desto schwieriger ist es für den Redner, sich durchzusetzen.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zweitens: der für viele, auch für mich, viel zu langsame Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen in den neuen Bundesländern nach der schöpferischen Zerstörung. Nur, das meiste war schon zerstört. Drittens: die vielfältigen, sich auch widersprechenden Antworten auf die Frage nach dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Hier wurde von meinen Vorrednern sehr viel Richtiges, allerdings auch einiges Schräge gesagt. Ich meine - ich will dies in kurzen Worten erläutern -, daß wir in einer Zeit dynamischer Veränderungen der Weltwirtschaft in der Bundesrepublik einiges an Strukturen verändern müssen; denn sonst führt dies alles zu einer schwierigen Lage und auch zu einer schlechten Stimmung, die wir beklagt haben. Die drei Problemkreise hängen natürlich zusammen. Je schneller wir die Stagnation überwinden, um so einfacher wird der Aufbau in den neuen Bundesländern. Eines freut mich: Konjunkturprogramme früherer Art, wie sie von der SPD immer vorgeschlagen wurden, fordert heute niemand mehr. ({0}) Wir haben in den neuen Bundesländern die öffentlichen Investitionen in einem Maß gesteigert, daß sie konjunkturell auch wirken, dies ist eine Investition für die Zukunft. ({1}) Aber es muß schnell gehen; denn die Ungeduld, die zu Recht vorhanden ist, wird nur beseitigt und Ergebnisse werden nur erzielt, wenn es schnell geht. Deshalb darf dies niemand behindern. Hier wird die Nagelprobe vor allem von der Opposition gefordert. Wir müssen dies tun, obwohl es die öffentlichen Haushalte aufs äußerste anspannt und obwohl viele in den alten Bundesländern sagen, warum können wir nicht auch bei uns Investitionen schneller vornehmen. Von meinem Vorredner wurde es auch gesagt: Es fehlt an produktiven Privatinvestitionen in den neuen Bundesländern. Neue Arbeitsplätze können Sie nicht durch Erhaltung von alten Strukturen schaffen. Vielmehr müssen erstens neue, ortsansässige, einheimische mittelständische Unternehmer ins Risiko gehen, zweitens sich westdeutsche Firmen noch mehr engagieren und drittens auch ausländische Firmen investieren. ({2}) All dem dient das Investitionsprogramm, das von uns vorgelegt wurde. Die Verstärkung aller Mittel, die in die Investitionen gehen, ist richtig. Richtig ist, kurz gesagt, alles, was Investitionen dient und neue produktive Arbeitsplätze schafft. Dabei ist die Ungeduld - auch von Ihnen vorgetragen - verständlich, aber nicht immer hilfreich. Blanker Unsinn ist es, zu behaupten, die Prinzipien der freien Sozialen Marktwirtschaft würden in den neuen Bundesländern nicht die Erfolge haben, die man von ihr erwartet hat. ({3}) - Das wird sehr oft behauptet. Dies ist nicht von heute auf morgen zu machen. Wir haben das nie behauptet, ({4}) und hier brauchen wir keine Aufgeregtheit. ({5}) - Blühende Landschaften sind in meinen Augen nicht dasselbe wie eine mittelständische, mit den alten Bundesländern vergleichbare Wirtschaftsstruktur. ({6}) Lieber Herr Kollege Roth, Sie haben zumindest in einem recht gehabt: Wir haben einen großen Mangel an unternehmerischen Aktivitäten, nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Bundesländern. ({7}) Als Unternehmer darf ich sagen: Dies liegt keineswegs am Mangel an unternehmerischen Möglichkeiten, sondern daran, daß wir in unserer Sozialstruktur eine empfindliche Unternehmerlücke haben. Die werden wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch zu beklagen haben. ({8}) Wir werden die Herausforderungen der Weltwirtschaft nicht bestreiten können, wir werden im Vergleich mit den expansiven, wettbewerbsstarken Konkurrenten zurückfallen, und zwar nicht nur wegen der Standortbedingungen hoher Lohn und hoher Lohnnebenkosten, sondern weil es an unserem Unternehmernachwuchs fehlt. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich darf Sie noch einmal unterbrechen. Meine Damen und Herren, erstens bitte ich auch die Mitarbeiter auf der Regierungsbank, wieder Platz zu nehmen oder in den Aufenthaltsraum zu gehen. Zweitens bitte ich Sie alle noch um wenige Minuten Ruhe vor der Abstimmung, damit der Redner wenigstens verstanden werden kann. ({0}) Bitte fahren Sie fort.

Rainer Haungs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000830, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein Mangel an risikobereiten, leistungsbewußten, engagierten Menschen, die die vielen Zulagen, Hilfen und Vergünstigungen dann auch nutzen, wäre für die weitere Entwicklung sehr hinderlich. Wir werden es nicht schaffen, wenn diese Lücke nicht geschlossen wird. ({0}) Lassen Sie mich auch betonen, daß politische Fehlentwicklungen der Vergangenheit korrigiert werden müssen. Es war in meinen Augen nicht richtig, alles an Regulierungen, Verordnungen, Bestimmungen und Verboten aus dem Westen zu übernehmen. Wir wußten doch selbst - im Bericht der Deregulierungskommission ist es eindrucksvoll niedergeschrieben -, was für ein Gestrüpp an marktwidrigen Regelungen sich bei uns in den Jahren und Jahrzehnten angesammelt hat. Es wäre deshalb ein billiges, wirksames und sogar sehr kostengünstiges Dynamisierungsprogramm für unsere Wirtschaft - da es Tausende an Bürokraten, Funktionären und anderen Kostgängern der Wirtschaft ersparen würde -, wenn wir die Marktwirtschaft nicht nur am Sonntag reden, sondern auch am Werktag in allen Bereichen praktizieren würden. ({1}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Wenn wir uns darüber klar sind, daß wir in den langen Jahren der Hochkonjunktur und des Wohlstandes sehr viel Fett angesetzt haben - überall - und es deshalb nur logisch ist, daß wir jetzt schlanker produzieren und auch verwalten - Stichwort lean production -, dann hat dies nichts mit Sozialabbau zu tun. Es wäre viel zu einfach, heute nur an Löhnen, Feiertagen und Sozialleistungen herumzukritisieren, auch wenn es berechtigt ist. Vielmehr wäre viel gewonnen, wenn wir darangingen, bei den heutigen Herausforderungen die inneren Strukturen der Bundesrepublik zu untersuchen und die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. Dann hätte die Krise, in der wir uns heute befinden, etwas Positives. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ulrich Briefs. ({0})

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal freue ich mich darüber, daß Sie gerade zu meinem Beitrag so zahlreich hereingeströmt sind. Im übrigen, Herr Grünbeck, ein ernstes Wort an Ihre Adresse: Ich finde, die Attacke, die Sie eben gegen den Kollegen Feige vorgebracht haben, war schlicht und einfach primitiv. Sie war eines Vertreters des gesunden Mittelstandes unwürdig. ({0}) Mit dem Haushalt 1993 wird im Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums die grundlegende Fehlanlage der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung nicht korrigiert, sondern verstärkt. Trotz der Entindustrialisierung im Osten - weitgehend Ergebnis des marktwirtschaftlichen Verdrängungswettbewerbs der potenten Westwirtschaft - wird weiter blind auf die Marktkräfte gesetzt. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Briefs, ich darf Sie kurz unterbrechen. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, wer die Anordnung gegeben hat, die Türen aufzumachen. Das erleichtert das Verfahren nicht. Der Kollege Briefs hat noch ein wenig über zwei Minuten Redezeit. Ich bitte, ihm diese zwei Minuten noch zuzuhören. Bitte, fahren Sie fort.

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Statt die Marktwirtschaft entsprechend dem Grundgedanken des Vaters des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, sozial zu kontrollieren, soll weiter dereguliert werden. Statt die marktwirtschaftliche Dynamik dort, wo es notwendig ist, einzudämmen, um weitere ökologische Schäden und insbesondere die Klimakatastrophe zu verhindern, wird diese Dynamik ungeachtet ihrer Folgen angeheizt. Statt bei den wirklichen Kostentreibern in der modernen Produktion, den technologie- und kapitaleinsatzbedingten Fixkosten - in der Investitionsgüterindustrie inzwischen über 50 % der Kosten - anzusetzen, wird weiter auf die Personal- und die Personalnebenkosten eingetrommelt, die in allen führenden Wirtschaftszweigen längst nicht mehr der größte Kostenblock sind. Statt zu fördern, daß sich Arbeitslose im Osten - im Westen natürlich auch - mit Selbsthilfe-Alternativprojekten selbständig machen können, werden die notwendigen AB-Mittel zusammengestrichen, angeblich, weil AB-geförderte Maßnahmen mittelständischen Betrieben Aufträge wegnehmen. Dabei bleiben wichtige ökologische und soziale Aufgaben von dieser umsatz- und produktionswachstumsorientierten mittelständischen Wirtschaft wie auch von der Großwirtschaft völlig unbeachtet. Das konzeptionslose, direkt neben den Notwendigkeiten liegende Gewurstel dieser Bundesregierung findet in der Politik und im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums seine Vollendung. Daß den vollmundigen Ankündigungen von Subventionsstreichungen und Sparpolitik nicht mit Taten Rechnung getragen wird, ist im Vergleich dazu geradezu eine läßliche Sünde. Die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung hat einen Paradigmenwechsel, einen Wechsel im Grundverständnis notwendig. Es ist richtig, nach dem rabiaten Schrumpfungsprozeß der beiden letzten Jahre, den die Bundesregierung und ihre Erfüllungsinstitution, die Treuhandanstalt, zu vertreten haben, im Osten auf Wachstum zu setzen. Aber auch dieses Wachstum muß sozial und ökologisch kontrolliert werden. Dazu gehört insbesondere auch die Förderung des alternativen Arbeitsmarktes. Hier entstehen immer wieder Projekte, in denen Arbeitslose sich zusammentun, um durch selbst organisierte Aktivitäten, mit Phantasie, Erfindungsreichtum und zum Teil in bunten Formen sozial und ökologisch wichtige Aufgaben zu lösen, ohne in die Wachstumsfalle des formellen Sektors der kapitalistischen Marktwirtschaft zu trapsen. Hier hätte die Wirtschaftspolitik auch anzusetzen. Dafür gibt es allerdings im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums auch nicht den geringsten Ansatz. Herr Präsident, ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren! Ich würde Ihnen gern etwas mitteilen. - Ich schließe die Aussprache. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09. Dazu liegt je ein Änderungsantrag der Gruppen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke Liste vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/3827? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/3814. Dafür ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. Erst dann kann über den Einzelplan 09 abgestimmt werden. Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ERP-Wirtschaftsplangesetzes 1993, Drucksachen 12/3331 und 12/3750. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen damit zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens, Drucksache 12/3332. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 12/3751, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist der Gesetzentwurf auch in dritter Beratung einstimmig angenommen. Jetzt stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zum 13. Subventionsbericht, Drucksachen 12/1525 und 12/2503, ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich bekomme soeben die Information, daß auf der Tribüne des Plenarsaals eine Delegation des Kultur10642 Vizepräsident Hans Klein ausschusses der Ungarischen Nationalversammlung Platz genommen hat, die vom Ausschuß für Bildung und Wissenschaft eingeladen worden ist. Da es sich um Kollegen aus dem Land handelt, das einen wichtigen Abschnitt in unserer Geschichte eingeleitet hat, begrüße ich sie besonders herzlich. ({1}) Ich rufe auf: Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr - Drucksachen 12/3512, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst Waltemathe Wilfried Bohlsen Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Ernst Waltemathe das Wort.

Ernst Waltemathe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002419, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Begrüßt hatte ich Sie ja schon, nicht nur die Bundesregierung. Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Haushaltsberatungen zum Verkehrsetat ablaufen, bitte ich Sie, den Protokollen des Deutschen Bundestages seit 1949 zu entnehmen. Als Redner der Opposition müßte ich nämlich jetzt darstellen, wie mies und total verfehlt die Verkehrspolitik des Herrn Ministers Dr. Krause erscheint und wie man dies aus den Zahlen des Haushalts von 43,8 Milliarden DM - immerhin mehr als 10 % des gesamten Bundesetats - herauslesen kann. Dann kommen meine Kollegen von der Koalition, die sagen werden: Die Opposition hat ja überhaupt keine Ahnung, und einen besseren Verkehrsminister hat es überhaupt noch nicht gegeben. ({0}) Dann wird sich auch der Bundesverkehrsminister an dieses Pult stellen und sich ganz artig bei den Koalitionsabgeordneten bedanken, daß seine großartigen Leistungen gelobt worden sind, und seiner Freude darüber Ausdruck geben, daß die Opposition - leider - nichts zu melden hat. Ich schlage vor, daß wir dieses Ritual heute einmal weglassen. ({1}) Um einen anderen Einstieg zu haben, gehe ich zunächst einmal das Risiko ein, von allen Seiten dieses Hauses verprügelt zu werden. Denn können wir eigentlich so tun, als sei die Beratung des Verkehrsetats eine Routineangelegenheit, die sich über 40 Jahre eingespielt hat, oder ist das Budgetrecht insgesamt tatsächlich ein Königsrecht des Parlaments? Sind Investitionen in die Infrastruktur nach Länderquoten und unabhängig davon, ob es sich um neue oder alte Länder handelt, nach Besitzstandswahrungsmentalität buchhalterisch vorzunehmen, oder müssen Prioritäten im gesamten Bundeshaushalt verschoben werden? Müssen wir beispielsweise in den westlichen Ländern neue Straßengroßprojekte anfangen, oder können wir es uns leisten, darauf - sagen wir einmal - in den nächsten fünf Jahren zu verzichten, um das dafür vorgesehene Bauinvestitionsgeld beispielsweise in ein wirksames Wohnungsbauprogramm oder ein Hochschulausbauprogramm zu stekken? Dabei unterstelle ich, daß, anders als im Westen, in den jungen Bundesländern großer Nachholbedarf besteht und dafür vorgesehene Mittel auch bewilligt werden müssen. Ich sehe jetzt schon den Stapel von Briefen aller möglicher Bürgerinitiativen, aller Wahlkreisabgeordneten aller Fraktionen sowie sämtlicher westlicher Länderverkehrsminister bei mir eintreffen, und alle werden mir bescheinigen, ich hätte die richtige Frage gestellt, die aber leider für die wichtige Umgehungsstraße X, die Flußquerung Y und den bedeutenden Autobahnzubringer Z nicht zuträfe, ({2}) und von einem Berichterstatter des Haushaltsausschusses für den Verkehrsetat dürfe man doch wohl erwarten, daß er sich für die Finanzierung der unbedingt notwendigen Verkehrsprojekte voll und ganz einsetze. Das ist eben das Dilemma, meine Damen und Herren. Selbst das Parlament ist bei seiner Aufteilung in lauter Facharbeitsgruppen und Ausschüsse sowie bei entsprechender Portionierung des Gesamthaushalts in Einzelpläne und Kapitel nicht mehr in der Lage, sich anders zu verhalten als die Besitzstandswahrungsgesellschaft auch: Überall darf etwas weggenommen werden, nur bei mir nicht, und außerdem möge sich die Volksvertretung doch an das halten, was die Regierung sich so vorstellt und ggf. längst mit den Bundesländern und deren Regierungen ausgehandelt hat. Also wird es keine Verschiebungen von Bauinvestitionen aus dem Verkehrshaushalt in den Wohnungsbauetat oder in den Hochschulbauetat geben, und also werden selbst die konsequentesten umweltorientiertesten -ich weiß nicht, ob man das Wort „umweltorientiert" steigern kann - Mitglieder des Bundestages bei grundsätzlicher Ablehnung jeglichen Straßenbaus dafür kämpfen, daß die eine Straße im eigenen Wahlkreis jedenfalls noch finanziert wird. ({3}) Ich gebe zu, meine Damen und Herren: So kann man natürlich auch keine Etatrede halten, obwohl meine Partei, die SPD, in der letzten Woche beschlossen hat, daß zur Politik zuallererst der Mut zur Wahrheit gehört. ({4}) Aber ich frage Sie: Muß ausgerechnet ich der Mutigste sein? ({5}) In der ersten Lesung des Etatentwurfs der Bundesregierung wurde seitens der Regierung behauptet, der Verkehrsetat steige gegenüber dem Vorjahr um mehr als 10 %. Diese Behauptung entspricht nicht dem Mut zur Wahrheit. Denn im laufenden Jahr 1992 stehen für den normalen Verkehrsetat fast 40 Milliarden DM zur Verfügung, zu denen man noch knappe 5 Milliarden DM aus dem Programm Aufschwung Ost rechnen muß. Der jetzt vorgelegte Verkehrsetat 1993 in der Fassung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses beträgt knapp 44 Milliarden DM, also weniger. Das nur wegen der Wahrheit. Ich beklage es nicht. Auch wenn es bei meinen einleitenden Feststellungen möglicherweise so ausgesehen haben könnte, ich wolle den künftigen Bundesverkehrswegeplan schon jetzt vorweg diskutieren, so wird ein Blick in die Haushaltszahlen 1993 zeigen, daß dem nicht so ist. Denn Projekte, die ihren Niederschlag in Haushaltstiteln gefunden haben, entstammen allesamt den alten Planungen des alten Verkehrswegeplans und den Maßnahmen, die mit dem Einigungsvertrag als „Projekte deutsche Einheit" vereinbart worden sind. In den Jahren 1950 bis 1990 flossen in den alten Bundesländern 344 Milliarden DM mehr Bundesmittel in Straßeninvestitionen als in Schieneninvestitionen. In diesem Zeitraum - daran waren mehrere Bundesregierungen aller möglichen Farben beteiligt - wurden allein bundesseitig etwa 150 000 km neue Straßen gebaut. Gleichzeitig wurden aber auch viele tausend Kilometer Bahnstrecken stillgelegt und lediglich ganze 600 km neue Schienenwege in Betrieb genommen. Diese Tendenz setzt sich nach dem Haushaltsentwurf 1993 weiter fort. Während in der Gesamtrepublik 4 Milliarden DM für den Umbau und Ausbau von Autobahnen und weitere 3,4 Milliarden DM für den Bundesfernstraßenneubau vorgesehen sind - der Straßenbauplan insgesamt, der ja auch Instandhaltungskosten, Verkehrszeichen etc. enthält, macht also etwa 10,8 Milliarden DM aus -, sieht die Bundesregierung für den Ausbau von Strecken der Reichsbahn 2,6 Milliarden DM und der Bundesbahn von 2 Milliarden DM vor. Lassen Sie sich also bitte nicht von den Rechentricks des Bundesverkehrsministers täuschen, ({6}) der wahrscheinlich aufzeigen wird, daß für die Reichsbahn 10 Milliarden DM und für die Bundesbahn sogar über 12 Milliarden DM zu Buche schlagen. Das ist alles wahr. Das sind über 22 Milliarden DM. Aber darin stecken über 6 Milliarden DM für gemeinwirtschaftliche Kosten, ({7}) zu gut Deutsch: für das Fahren unter Kosten, weitere 5,5 Milliarden DM für Versorgungslasten - sprich: Pensionen und Altersansprüche -, und bei der Reichsbahn müssen für über 5 Milliarden DM Instandhaltungen nachgeholt und Investitionen für rollendes Material und bestehende Streckensicherung finanziert werden. Der Vorrang für die Schiene bei den Investitionen für den Streckenausbau im Vergleich zum Straßenbau ist also nicht in den globalen Zahlen gegeben, sondern im Gegenteil: Die Investitionen im Straßenbau übersteigen die Investitionen im Schienenwegebau. Und außerdem bauen auch noch Länder und Kommunen Straßen. Ein ganz finsteres Kapitel in diesem Zusammenhang - da bitte ich den Kollegen Fischer, genau aufzupassen - ist der Eiertanz der Koalition um bescheidene Anfänge eines Lärmsanierungsprogramms an bestehenden Schienenwegen. ({8}) Bereits im vergangenen Jahr hat nämlich der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der Hamburger Kollege Dirk Fischer, ein Programm angemahnt und angekündigt: Zum Haushalt 1993 geht es richtig los. Und der Petitionsausschuß des Bundestages hat in diesem Jahr in einem konkreten Fall, in dem lärmgeplagte und gesundheitsgefährdete Bürger, die an einer Strecke wohnen, auf der viel Güter- und Rangierverkehr stattfindet, empfohlen, daß es tatsächlich losgehen soll. Der Bundestag hat sich diesem Votum des Petitionsausschusses angeschlossen - einstimmig angeschlossen. Das war im ersten Halbjahr dieses Jahres. Der Staatssekretär Wolfgang Gröbl hat meiner Kollegin Verena Wohlleben am 19. Juni 1992 schriftlich mitgeteilt, daß der Bundesverkehrsminister für den Haushalt 1993 einen entsprechenden Titel eingebracht habe. Im übrigen hat er darum gebeten, das Parlament möge seine Einflußmöglichkeiten ausschöpfen, damit die Gleichbehandlung von Schiene und Straße erreicht werde; denn für die Lärmsanierung an Bundesstraßen gäbe es bereits Haushaltsmittel seit 1978. Das hat Herr Gröbl geschrieben. Gut gebrüllt, bayerischer Löwe! ({9}) Allerdings hat das Bundeskabinett schon 14 Tage nach diesem Brief keinen einzigen Haushaltstitel für die Lärmsanierung an Schienenwegen beschlossen. Aber das ist ja nicht so schlimm, es gibt ja noch das Parlament. Also hat die SPD-Fraktion im Verkehrsausschuß sowohl bei Bundesbahn als auch bei Reichsbahn bescheidene Haushaltstitel beantragt und mit 150 Millionen und 50 Millionen auch konkrete Zahlen genannt. Das war offensichtlich falsch. Auftritt Fischer im Verkehrsausschuß: Die SPD beantragt zuwenig; deshalb müsse der Antrag abgelehnt werden. ({10}) Ich vermute einmal, daß Herr Fischer gemeint hat, im Bundeshaushalt gäbe es nur noch Milliarden, und deshalb könnten Millionen nicht mehr bewilligt werden. Na, gut. Im Haushaltsausschuß haben wir es dann noch einmal versucht. Aber auch da wurde der Antrag abgelehnt. Begründung: Die SPD beantragt zuviel. ({11}) Also, Bundestagsbeschlüsse haben keinen Wert, Begründungen können wechseln. Aber da gibt es noch den Herrn Gröbl. Der schreibt am 4. November, vor 22 Tagen, erneut an meine Kollegin Wohlleben: Erstens. Leider gäbe es keine Mittel für die Lärmsanierung im Haushalt 1993. Zweitens. Aber der Bundesverkehrsminister werde aus umwelt- und gesundheitspolitischen Gründen das Ziel weiterverfolgen. Drittens. Die parlamentarischen Beratungen des Haushalts seien noch nicht abgeschlossen. - Also da offenbart sich doch ein Stück Verlogenheit konkreter politischer Zusagen, die dieses Parlament einstimmig gemacht hat. ({12}) Zur Bahnreform, die bevorsteht, nur wenige Worte: Die SPD wird bereit sein, sich an den Beratungen aktiv zu beteiligen. In der Sache werden wir dies in einem engen Schulterschluß mit der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands tun. Wir werden uns, wenn in den einzelnen Sachpunkten Einigung erzielt wird, auch einer notwendigen Änderung des Art. 87 des Grundgesetzes nicht verweigern. Das ist aber keine Blankozusage. Herr Minister Krause, ich empfehle Ihnen dringend, sich bei Herrn Schwarz-Schilling anzusehen, wie man es mit der Opposition jedenfalls nicht machen sollte. Sie mögen bitte lernen, daß von vornherein sachgemäße Vorstellungen der Opposition in Ihre Überlegungen einbezogen werden. Das Thema Bahnreform schlägt sich aber im Haushalt 1993 noch nicht nieder; das kann es auch noch nicht. Auf Vorschlag der Kollegen Bohlsen, Zywietz und von mir hat sich der Haushaltsausschuß darauf verständigt, daß diese Beratungen, soweit sie die finanziellen Aspekte anbelangen, am 20. Januar 1993 beginnen werden, um jetzt nicht die Haushaltsberatungen damit zu belasten. Im Zusammenhang mit der ebenfalls bevorstehenden Beschäftigung des Parlaments mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan, der sich auch noch nicht im Haushalt 1993 niederschlägt, macht es wenig Sinn, Bundesmittel der Zukunft, die für den Ausbau von Schienenwegen im Zuge von Hochgeschwindigkeitsstrecken dringend benötigt werden, einfach für eine Transrapidstrecke umzuwidmen, von der nur wenige etwas haben würden, die nur wenig Verkehrsbeschleunigung bringen würde und die weder in das Rad-Schienen-System integriert sein würde, noch mit dem System des Regionalflugverkehrs kooperieren könnte. Da aber auch der Transrapid im Bundeshaushalt noch nicht vorkommt, will ich mir auch dazu weitere Worte jetzt ersparen. Wir haben den Bundesverkehrsminister einvernehmlich und rechtzeitig darum gebeten, uns seine Vorstellungen über die künftige Gestaltung des Flugverkehrs, seine finanziellen, umwelt- und verkehrspolitischen Aufgaben oder Risiken und daraus u. a. herzuleitende Planungskonzeptionen für Verkehrsflughäfen vorzulegen. Auch dieser Themenkomplex kann im Rahmen der diesjährigen Haushaltsdebatte nicht annähernd sachlich erläutert werden. Ich gehe davon aus, daß uns mit Schlagworten allein nicht gedient wäre. Wir werden deshalb auch diese Themengruppe an dem schon erwähnten 20. Januar des nächsten Jahres behandeln, soweit sich der Haushaltsausschuß damit befassen muß. Uns alle darf ich aber daran erinnern, daß wir in diesem Jahr die militärische und zivile Flugsicherung zusammengefaßt haben, außerdem durch ein Gesetz und eine Verfassungsänderung dafür gesorgt haben, daß ab 1. Januar die Flugsicherung nicht mehr von Behörden und Beamten, sondern von einer in öffentlicher Hand befindlichen GmbH neu geregelt wird. Wir erhoffen uns davon eine qualitative Verbesserung, aber auch eine Haushaltsentlastung. Wir sehen aber auch den Zusammenhang zwischen der Höhe der Flugsicherungsgebühren und den Kosten und Ertragssituationen von Flugverkehrsgesellschaften. Nächstes Stichwort: Wasserwege. Gerade was Güterverkehrswege anbelangt, scheint das große Zauberwort „just in time" - ein schönes deutsches Wort - zu lauten; denn Besteller und Versender von Gütern und Waren aller Art wollen sich von Lagerungskosten in ihrem jeweiligen Betrieb befreien und betrachten offensichtlich in erster Linie Bundesautobahnen und auch Schienenwege als rollende Lagerstätten. „Just in time" soll also zum Ausdruck bringen, daß bestellte Ware zu dem Zeitpunkt eintrifft, zu dem sie für die Weiterverarbeitung oder für den Handel benötigt wird. Aber heißt das eigentlich auch, daß Güter innerhalb von 24 Stunden zwischen Bestellung und Lieferung transportiert werden müssen? Unverkennbar bieten Binnenwasserstraßen und auch die Seewege der Küstenschiffahrt insbesondere für unverderbliche Ware große Vorteile ökonomischer und ökologischer Art. Sie sind, bezogen auf die transportierten Warentonnen, energiesparende Wege, und sie erzeugen weniger Landschaftsverbrauch. Es müssen durch entsprechende Rahmenbedingungen und logistische Konzepte mehr Güter insbesondere von den Straßen herunter und auf die Wasserwege heraufgebracht werden. ({13}) Dazu bedarf es gezielter Anreize und einer Forcierung von Güterverkehrszentren für den kombinierten Warenverkehr. Der Seeschiffsverkehr - zweites Stichwort bei den maritimen und wasserpolitischen Themen - ist für eine außenhandelsorientierte Nation lebens- und überlebenswichtig. Mit Bestürzung ist festzustellen, daß nach den eigenen Angaben des Bundesverkehrsministers bzw. der von ihm beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit in diesem Jahr 88 neue, erstmalige Ausflaggungen aus der deutschen Flagge vorgenommen worden sind und daß nur noch etwa 50 % der von deutschen Reedern disponierten Ladungen unter deutscher Flagge geführt werden. Das Gutachten besagt auch, daß das Durchschnittsalter der Schiffe der deutschen Handelsflotte von sechs auf neun Jahre gestiegen ist und daß der Wettbewerbsnachteil der deutschen Flagge bei den Betriebskosten unserer Handelsflotte zwischen 320 und 480 Millionen DM pro Jahr liegt. Angesichts der sich abzeichnenden prekären Lage der deutschen Seeschiffahrt haben die Fraktionen des Bundestages einvernehmlich bereits vor anderthalb Jahren den Bundesfinanzminister aufgefordert, die steuerlichen Rahmenbedingungen so zu setzen, daß wir einerseits auf Direktzuschüsse, sprich: Subventionen, verzichten können, andererseits aber ein Teil der Wettbewerbsnachteile kompensiert wird, was ich eben geschildert habe. Im Gegensatz zu dieser eindeutigen Aufforderung hat sich die Lage bei den ertragsunabhängigen Steuern verschlechtert. Der Bundesfinanzminister hat außerdem keinerlei Beitrag geliefert, um z. B. den Montageerlaß, der die Lohn- und Einkommensteuerabgaben senken würde, für die deutsche Seeschiffahrt anwendungsfähig zu machen. Die Bundesregierung insgesamt und nicht nur der Bundesverkehrsminister möge deshalb erklären, ob sie eine Handelsflotte unter deutscher Flagge für die Bewältigung unseres Außenhandels für notwendig hält. ({14}) Die Untätigkeit des Finanzministers hat dazu geführt, daß das Parlament erneut in den sauren Apfel beißen muß, um einigermaßen auskömmliche Finanzbeiträge für die deutsche See- und Küstenschiffahrt zu bewilligen und dem bereits eingetretenen Ausflaggungstrend entgegenzutreten sowie den Reedern wenigstens etwas Planungssicherheit für ihre wirtschaftlichen Dispositionen zu bieten. ({15}) Der Vorschlag des Haushaltsausschusses, der auch von der SPD mitgetragen wird, obwohl wir eine höhere Summe für erforderlich gehalten hätten, ist mit 115 Millionen DM äußerst knapp bemessen. Rückflaggungen auf die deutsche Flagge sind bei dieser Lage, wie ich befürchte, kaum zu erwarten. Wir und der Verkehrsminister werden zu berücksichtigen haben, daß nach der Sanierung auch die Seeschiffahrt von Mecklenburg-Vorpommern aus eine Zukunftschance haben muß und daß auch dort hoffentlich kurz- und mittelfristig Möglichkeiten für eine mittelständische Küstenschiffahrt durch Reederkapitäne entstehen. Ich möchte mich bei meinen Kollegen Bohlsen und Zywietz für die gute und kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Ich gehe davon aus, daß sich diese Zusammenarbeit auch fortsetzen wird. Ich möchte mich aber auch beim Herrn Bundesverkehrsminister für die Zusammenarbeit mit den Damen und Herren seines Hauses und insbesondere dem neuen Leiter des Haushaltsreferats bedanken. Obwohl aus meinen Ausführungen hervorging, daß Teile des Verkehrsetats auch unsere Zustimmung finden, glauben wir doch, daß der Verkehrshaushalt eine Schlagseite hat, daß er mehr Straßenverkehr verursacht, zur Abkoppelung von Bahn und Schiff beiträgt und zu einem mit dem Schlagwort Beschleunigung getarnten Durchpeitschen von Straßenbauinteressen im Westen unserer Republik und damit zur Verhinderung vernünftiger Verkehrskonzepte beiträgt. Deshalb werden wir den Einzelplan 12 ablehnen. Vielen Dank. ({16})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich unterbreche die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes zur Bekanntgabe des von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Einzelplan 09 auf Drucksache 12/3814. Abgegeben wurden 577 Stimmen, ungültig waren keine, mit Ja haben gestimmt 211, mit Nein 363, Enthaltungen drei. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon: ja: 211 nein: 363 enthalten: 3 Ja SPD Adler, Brigitte Barbe, Angelika Bartsch, Holger Becker ({0}), Helmuth Becker-Inglau, Ingrid Berger, Hans Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf Blunck, Lieselott Bock, Thea Dr. Böhme ({1}), Ulrich Börnsen ({2}), Arne Brandt-Elsweier, Anni Dr. Brecht, Eberhard Büchner ({3}), Peter Dr. von Bülow, Andreas Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula Bury, Hans Martin Caspers-Merk, Marion Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Daubertshäuser, Klaus Dr. Diederich ({4}), Nils Diller, Karl Dr. Dobberthien, Marliese Dreßler, Rudolf Duve, Freimut Ebert, Eike Dr. Eckardt, Peter Dr. Ehmke ({5}), Horst Eich, Ludwig Dr. Elmer, Konrad Erler, Gernot Esters, Helmut Ewen, Carl Ferner, Elke Fischer ({6}), Evelin Fischer ({7}), Lothar Formanski, Norbert Fuchs ({8}), Anke Fuchs ({9}), Katrin Gansel, Norbert Dr. Gautier, Fritz Gilges, Konrad Gleicke, Iris Dr. Glotz, Peter Graf, Günter Haack ({10}), Karl Hermann Habermann, Michael Hacker, Hans-Joachim Hämmerle, Gerlinde Hanewinckel, Christel Dr. Hartenstein, Liesel Hasenfratz, Klaus Dr. Hauchler, Ingomar Heistermann, Dieter Heyenn, Günther Hiller ({11}), Reinhold Hilsberg, Stephan Horn, Erwin Huonker, Gunter Iwersen, Gabriele Jäger, Renate Janz, Ilse Dr. Janzen, Ulrich Dr. Jens, Uwe Jung ({12}), Volker Jungmann ({13}), Horst Kastning, Ernst Klose, Hans-Ulrich Dr. Knaape, Hans-Hinrich Körper, Fritz Rudolf Kolbow, Walter Koschnick, Hans Dr. Kübler, Klaus Dr. Küster, Uwe Kuhlwein, Eckart Lambinus, Uwe Lange, Brigitte von Larcher, Detlev Lennartz, Klaus Dr. Leonhard-Schmid, Elke Lohmann ({14}), Klaus Dr. Lucyga, Christine Maaß ({15}), Dieter Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Dr. Matterne, Dietmar Matthäus-Maier, Ingrid Meckel, Markus Mehl, Ulrike Meißner, Herbert Dr. Mertens ({16}), Franz-Josef Dr. Meyer ({17}), Jürgen Mosdorf, Siegmar Müller ({18}), Michael Vizepräsident Hans Klein Müller ({19}), Rudolf Müller ({20}), Jutta Müller ({21}), Christian Neumann ({22}), Volker Neumann ({23}), Gerhard Dr. Niehuis, Edith Dr. Niese, Rolf Odendahl, Doris Oostergetelo, Jan Opel, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Penner, Willfried Peter ({24}), Horst Dr. Pfaff, Martin Pfuhl, Albert Dr. Pick, Eckhart Poß, Joachim Purps, Rudolf Reimann, Manfred von Renesse, Margot Rennebach, Renate Rixe, Günter Roth, Wolfgang Schanz, Dieter Dr. Scheer, Hermann Schily, Otto Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({25}), Horst Schmidt ({26}), Ursula Schmidt ({27}), Renate Schmidt-Zadel, Regina Dr. Schmude, Jürgen Dr. Schnell, Emil Schreiner, Ottmar Schröter, Gisela Schröter, Karl-Heinz Schütz, Dietmar Schulte ({28}), Brigitte Dr. Schuster, R. Werner Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf Seuster, Lisa Sielaff, Horst Simm, Erika Singer, Johannes Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Sorge, Wieland Steen, Antje-Marie Steiner, Heinz-Alfred Stiegler, Ludwig Dr. Struck, Peter Tappe, Joachim Terborg, Margitta Dr. Thalheim, Gerald Thierse, Wolfgang Titze, Uta Toetemeyer, Hans-Günther Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter Dr. Vogel, Hans-Jochen Voigt ({29}), Karsten D. Wagner, Hans Georg Wallow, Hans Waltemathe, Ernst Walter ({30}), Ralf Walther ({31}), Rudi Wartenberg ({32}), Gerd Dr. Wegner, Konstanze Weiermann, Wolfgang Weiler, Barbara Weis ({33}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen ({34}), Gert Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Westrich, Lydia Dr. Wetzel, Margrit Weyel, Gudrun Dr. Wieczorek, Norbert Wieczorek ({35}), Helmut Wiefelspütz, Dieter Wimmer ({36}), Hermann Dr. de With, Hans Wittich, Berthold Wohlleben, Verena Wolf, Hanna Zapf, Uta Dr. Zöpel, Christoph PDS/Linke Liste Bläss, Petra Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Dr. Fuchs, Ruth Dr. Gysi, Gregor Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Dr. Keller, Dietmar Lederer, Andrea Dr. Modrow, Hans Philip, Ingeborg Dr. Schumann ({37}), Fritz Dr. Seifert, Ilja Stachowa, Angela BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Feige, Klaus-Dieter Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Schenk, Christina Schulz ({38}), Werner Dr. Ullmann, Wolfgang Wollenberger, Vera Fraktionslos Dr. Briefs, Ulrich Nein CDU/CSU Dr. Ackermann, Else Adam, Ulrich Dr. Altherr, Walter Franz Augustin, Anneliese Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Dr. Bauer, Wolf Baumeister, Brigitte Bayha, Richard Belle, Meinrad Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Bierling, Hans-Dirk Dr. Blank, Joseph-Theodor Blank, Renate Dr. Blens, Heribert Bleser, Peter Dr. Blüm, Norbert Dr. Böhmer, Maria Börnsen ({39}), Wolfgang Dr. Bötsch, Wolfgang Bohlsen, Wilfried Borchert, Jochen Brähmig, Klaus Breuer, Paul Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Bühler ({40}), Klaus Büttner ({41}), Hartmut Buwitt, Dankward Carstens ({42}), Manfred Dehnel, Wolfgang Dempwolf, Gertrud Deres, Karl Deß, Albert Diemers, Renate Dörflinger, Werner Doss, Hansjürgen Dr. Dregger, Alfred Echternach, Jürgen Ehlers, Wolfgang Ehrbar, Udo Eichhorn, Maria Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eylmann, Horst Eymer, Anke Falk, Ilse Dr. Faltlhauser, Kurt Feilcke, Jochen Dr. Fell, Karl H. Fischer ({43}), Dirk Fockenberg, Winfried Francke ({44}), Klaus Frankenhauser, Herbert Dr. Friedrich, Gerhard Fritz, Erich G. Fuchtel, Hans-Joachim Ganz ({45}), Johannes Geiger, Michaela Dr. Geiger ({46}), Sissy Geis, Norbert Dr. von Geldern, Wolfgang Gerster ({47}), Johannes Gibtner, Horst Glos, Michael Dr. Göhner, Reinhard Göttsching, Martin Götz, Peter Gres, Joachim Grochtmann, Elisabeth Gröbl, Wolfgang Grotz, Claus-Peter Dr. Grünewald, Joachim Günther ({48}), Horst Frhr. von Hammerstein, Carl-Detlev Haschke ({49}), Gottfried Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer Hauser ({50}), Otto Hauser ({51}), Hansgeorg Hedrich, Klaus-Jürgen Heise, Manfred Dr. Hellwig, Renate Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Hinsken, Ernst Hintze, Peter Hörsken, Heinz-Adolf Hörster, Joachim Dr. Hoffacker, Paul Dr. Hornhues, Karl-Heinz Hornung, Siegfried Hüppe, Hubert Jäger, Claus Jaffke, Susanne Jagoda, Bernhard Dr. Jahn ({52}), Friedrich-Adolf Janovsky, Georg Jeltsch, Karin Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Jüttner, Egon Jung ({53}), Michael Junghanns, Ulrich Dr. Kahl, Harald Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker Keller, Peter Kiechle, Ignaz Kittelmann, Peter Klein ({54}), Günter Klein ({55}), Hans Klinkert, Ulrich Köhler ({56}), Hans-Ulrich Dr. Köhler ({57}), Volkmar Kolbe, Manfred Kors, Eva-Maria Koschyk, Hartmut Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf Dr. Krause ({58}), Günther Dr. Krause ({59}), Rudolf Karl Krause ({60}), Wolfgang Krey, Franz Heinrich Kriedner, Arnulf Kronberg, Heinz-Jürgen Dr.-Ing. Krüger, Paul Krziskewitz, Reiner Lamers, Karl Dr. Lammert, Norbert Lamp, Helmut Lattmann, Herbert Dr. Laufs, Paul Laumann, Karl-Josef Lehne, Klaus-Heiner Dr. Lieberoth, Immo Limbach, Editha Link ({61}), Walter Lintner, Eduard Dr. Lischewski, Manfred Löwisch, Sigrun Lohmann ({62}), Wolfgang Louven, Julius Lummer, Heinrich Maaß ({63}), Erich Männle, Ursula Magin, Theo Dr. Mahlo, Dietrich Marienfeld, Claire Marschewski, Erwin Marten, Günter Dr. Mayer ({64}), Martin Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf Dr. Merkel, Angela Dr. Meseke, Hedda Dr. Meyer zu Bentrup, Reinhard Michalk, Maria Michels, Meinolf Dr. Mildner, Klaus Dr. Möller, Franz Müller ({65}), Elmar Müller ({66}), Alfons Nelle, Engelbert Dr. Neuling, Christian Nitsch, Johannes Nolte, Claudia Dr. Olderog, Rolf Ost, Friedhelm Oswald, Eduard Otto ({67}), Norbert Dr. Päselt, Gerhard Dr. Paziorek, Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich Pfeffermann, Gerhard O. Pfeifer, Anton Vizepräsident Hans Klein Pfeiffer, Angelika Dr. Pfennig, Gero Dr. Pinger, Winfried Pofalla, Ronald Dr. Pohler, Hermann Priebus, Rosemarie Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd Pützhofen, Dieter Rahardt-Vahldieck, Susanne Raidel, Hans Dr. Ramsauer, Peter Rau, Rolf Rauen, Peter Harald Rawe, Wilhelm Reddemann, Gerhard Regenspurger, Otto Reichenbach, Klaus Dr. Reinartz, Bertold Reinhardt, Erika Repnik, Hans-Peter Dr. Rieder, Norbert Riegert, Klaus Dr. Riesenhuber, Heinz Ringkamp, Werner Rode ({68}), Helmut Rönsch ({69}), Hannelore Romer, Franz Dr. Rose, Klaus Rossmanith, Kurt J. Roth ({70}), Adolf Rother, Heinz Dr. Ruck, Christian Rühe, Volker Dr. Rüttgers, Jürgen Sauer ({71}), Helmut Sauer ({72}), Roland Scharrenbroich, Heribert Schätzle, Ortrun Dr. Schäuble, Wolfgang Schartz ({73}), Günther Scheu, Gerhard Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt ({74}), Christian Dr.-Ing. Schmidt ({75}), Joachim Schmidt ({76}), Andreas Schmidt ({77}), Trudi Schmitz ({78}), Hans Peter von Schmude, Michael Dr. Schneider ({79}), Oscar Dr. Schockenhoff, Andreas Graf von SchönburgGlauchau, Joachim Dr. Scholz, Rupert Frhr. von Schorlemer, Reinhard Dr. Schreiber, Harald Schulhoff, Wolfgang Dr. Schulte ({80}), Dieter Schulz ({81}), Gerhard Schwalbe, Clemens Schwarz, Stefan Dr. Schwarz-Schilling, Christian Dr. Schwörer, Hermann Seesing, Heinrich Seibel, Wilfried Seiters, Rudolf Sikora, Jürgen Skowron, Werner H. Dr. Sopart, Hans-Joachim Sothmann, Bärbel Spilker, Karl-Heinz Spranger, Carl-Dieter Dr. Sprung, Rudolf Steinbach-Hermann, Erika Dr. Stercken, Hans Dr. Frhr. von Stetten, Wolfgang Stockhausen, Karl Strube, Hans-Gerd Stübgen, Michael Dr. Süssmuth, Rita Susset, Egon Tillmann, Ferdi Dr. Töpfer, Klaus Uldall, Gunnar Verhülsdonk, Roswitha Vogel ({82}), Friedrich Vogt ({83}), Wolfgang Dr. Vondran, Ruprecht Dr. Waffenschmidt, Horst Dr. Waigel, Theodor Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Warnke, Jürgen Dr. Warrikoff, Alexander Werner ({84}), Herbert Wiechatzek, Gabriele Dr. Wieczorek ({85}), Bertram Dr. Wilms, Dorothee Wilz, Bernd Wimmer ({86}), Willy Dr. Wisniewski, Roswitha Wissmann, Matthias Dr. Wittmann, Fritz Wittmann ({87}), Simon Wonneberger, Michael Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt Zeitlmann, Wolfgang Zierer, Benno Zöller, Wolfgang F.D.P. Albowitz, Ina Dr. Babel, Gisela Baum, Gerhart Rudolf Beckmann, Klaus Dr. Blunk ({88}), Michaela Bredehorn, Günther Cronenberg ({89}), Dieter-Julius Eimer ({90}), Norbert Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Dr. Feldmann, Olaf Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer Dr. Funke-Schmitt-Rink, Margret Gallus, Georg Ganschow, Jörg Genscher, Hans-Dietrich Grünbeck, Josef Grüner, Martin Günther ({91}), Joachim Dr. Guttmacher, Karlheinz Hackel, Heinz-Dieter Hansen, Dirk Dr. Haussmann, Helmut Heinrich, Ulrich Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Hitschler, Walter Dr. Hoth, Sigrid Dr. Hoyer, Werner Irmer, Ulrich Kleinert ({92}), Detlef Kohn, Roland Dr. Kolb, Heinrich L. Koppelin, Jürgen Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Lüder, Wolfgang Lühr, Uwe Dr. Menzel, Bruno Mischnick, Wolfgang Möllemann, Jürgen W. Nolting, Günther Friedrich Dr. Ortleb, Rainer Otto ({93}), Hans-Joachim Paintner, Johann Peters, Lisa Dr. Pohl, Eva Richter ({94}), Manfred Rind, Hermann Dr. Röhl, Klaus Schäfer ({95}), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schmidt ({96}), Arno Dr. Schnittler, Christoph Schüßler, Gerhard Schuster, Hans Dr. Schwaetzer, Irmgard Sehn, Marita Seiler-Albring, Ursula Dr. Semper, Sigrid Dr. Solms, Hermann Otto Dr. Starnick, Jürgen Dr. von Teichman, Cornelia Thiele, Carl-Ludwig Dr. Thomae, Dieter Timm, Jürgen Walz, Ingrid Dr. Weng ({97}), Wolfgang Wolfgramm ({98}), Torsten Würfel, Uta Zurheide, Burkhard Zywietz, Werner Fraktionslos Lowack, Ortwin Enthalten CDU Haschke ({99}), Udo Dr. Luther, Michael F.D.P. Türk, Jürgen Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 09 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist angenommen. Wir fahren in der Aussprache über den Verkehrshaushalt fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Wilfried Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000231, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsberatungen 1993 sind geprägt von unserem festen Willen zu Einsparungen. Bei diesem Diktat knapper werdender Kassen muß natürlich auch der Verkehrshaushalt seinen Beitrag leisten. Zum einen geht es um den Abbau einigungsbedingter Haushaltsdefizite und zum anderen um zusätzliche Einsparungen im Haushalt 1993. Von diesen Einsparungen ist natürlich auch der Einzelplan 12, der Haushaltsplan des Bundesministers für Verkehr, durch eine globale Minderausgabe in Höhe von 465 Millionen DM betroffen. Dies ist rund 1 % des Volumens des Verkehrshaushaltes. Diese Einsparung galt es zu realisieren, wobei auch Kürzungen bei den Investitionsmitteln erforderlich waren. Dabei will ich allerdings anmerken, daß sich der Einsicht in die Notwendigkeit von Einsparungen keiner wird verschließen können. Gleichwohl ist festzuhalten, daß die Verkehrsinvestitionen auch Auswirkungen auf die Baunachfrage wie auch auf den Arbeitsmarkt haben, so daß wir gerade bei den Investitionen den Bogen nicht überspannen dürfen. Dennoch kann festgehalten werden, daß der Verkehrshaushalt trotz dieser globalen Minderausgabe mit einem Gesamtvolumen von 43,87 Milliarden DM weiterhin auf einem hohen Niveau gefahren wird und wir mit voraussichtlich rund 25,6 Milliarden DM im Einzelplan 12 den größten Investitionsanteil haben. Insgesamt darf ich feststellen, daß dieses Investitionsvolumen den weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den alten wie in den neuen Bundesländern sichert. Gestatten Sie mir, daß ich auch noch ein wenig auf die Anmerkungen des Kollegen Waltemathe eingehe, der insbesondere die Lärmschutzmaßnahmen an bestehenden Schienenstrecken angesprochen hat, ein Thema, dessen wir uns sehr wohl bei diesen Beratungen wie auch im Vorjahr angenommen, weil wir es für notwendig gehalten haben. Meine Darlegungen zu den erheblichen Einsparungen machen aber deutlich, unter welchem Gebot die Haushaltsberatungen standen, so daß wir diese Maßnahme finanziell nicht umsetzen konnten; die Notwendigkeit aber erkennen wir. Wie der Kollege Waltemathe habe auch ich als zuständiger Berichterstatter an der Verkehrsausschußsitzung teilgenommen und war überrascht, feststellen zu müssen, daß von der Opposition Änderungsanträge mit einem Aufwuchs von über 1 Milliarde DM eingebracht wurden, ohne daß entsprechende Deckungsvorschläge gemacht wurden. Das bemängele ich. Wenn ich intern nachgefragt habe, woher wir denn die Mittel nehmen sollen, wurde hinter vorgehaltener Hand gesagt: Von den Straßenbaumitteln. Da Herr Waltemathe nach dem Mutigsten gefragt hat, wollen wir ihn heute zum Mutigsten machen und streichen erst einmal die Mittel für Bremen. ({0}) Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema hat der Kollege Waltemathe angesprochen, die Binnenwasserstraßen. Wer meinen letzten Redebeitrag noch im Ohr hat, weiß, daß ich mich nachhaltig für den umweltfreundlichen Weg der Binnenwasserstraßen eingesetzt habe. Dies hat die Koalition immer wieder sehr deutlich untermauert. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, daß die Opposition gegen den Ausbau des Main-Donau-Kanals war. Für uns war es auch schmerzlich, feststellen zu müssen, daß gerade die wichtige Binnenwasserstraße der Ost-West-Verbindung, der Mittellandkanal, einen hohen Ausbaugrad hat, die Rot-Grünen in Hannover aber den Ausbau der Stadtstrecke blockieren, den wir wünschen. Das ist die Widersprüchlichkeit, mit der Sie sich auseinandersetzen müssen, aber nicht wir. ({1}) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir auch, daß ich auf einige Details des Einzelplans 12 eingehe. Ich nenne heute insbesondere einmal die Maßnahmen der Verkehrserziehung und der Verkehrsaufklärung. Dafür ist in diesem Haushalt ein Volumen von 36,1 Millionen DM bereitgestellt. Fakten zwingen den Bund dazu, auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit weiter präsent zu sein, denn wir haben in den neuen Bundesländern nach wie vor eine besorgniserregende Unfallentwicklung und wir erwarten von der Entwicklung des EG-Binnenmarktes Auswirkungen auch auf das Unfallgeschehen in unserem Lande. Die Verkehrssicherheit hängt im wesentlichen von drei Faktoren ab, von sicheren Straßen, sicheren Fahrzeugen und verantwortungsbewußten und rücksichtsvollen Fahrern als Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr. Deswegen kommt der Verkehrserziehung und der Verkehrsaufklärung eine besondere Bedeutung zu. Wir werteten es im Haushaltsausschuß als Erfolg, daß die ursprünglich beabsichtigte Einsparung bei diesem Titel verhindert werden konnte. Eine leichte pauschale Kürzung des ursprünglichen Ansatzes ließ sich jedoch leider nicht verhindern. Mit nunmehr 36,1 Millionen DM für die Verkehrssicherheit ist sichergestellt, daß die bundesweit erfolgreiche Kampagne „Rücksicht kommt an" auch im Jahre 1993 fortgesetzt werden kann. Dabei liegen die Schwerpunkte bei den schwächeren Verkehrsteilnehmern und - das sei nicht unerwähnt - bei den Alkoholdelikten. Bei dieser Gelegenheit will ich noch mal den Dank an diejenigen aussprechen, die erhebliche Arbeit für die Verkehrssicherheit leisten. Hierbei nenne ich insbesondere den Deutschen Verkehrssicherheitsrat und die Deutsche Verkehrswacht mit ihren Landes-, Kreis- und Ortsorganisationen und nicht zuletzt die rund 100 000 ehrenamtlichen Mitarbeiter, die zum Schutze der schwächeren Verkehrsteilnehmer tätig sind. Ihnen Dank zu sagen, sei uns eine Verpflichtung. ({2}) Ohne deren Mitarbeit wäre die Verkehrssicherheitsarbeit nicht zu leisten. . Lassen Sie mich auf einige Haushaltstitel zu sprechen kommen, bei denen wir positive Veränderungen bewirken konnten. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Finanzbeiträge für die Seeschiffahrt, die vom Kollegen Waltemathe bereits angesprochen wurden. Als Abgeordneter von der Küste ist es mir ein besonderes Anliegen, noch einmal auf die Notwendigkeit des Erhalts der deutschen Handelsflotte hinzuweisen, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil Deutschland nun einmal ein stark exportorientiertes Land mit einer Schlüsselfunktion für die maritime Wirtschaft in der Küstenregion ist. Es ist in diesem Zusammenhang unser Bemühen, die Arbeitsplätze Deutscher an Bord deutscher Schiffe zu sichern. Dabei müssen wir allerdings feststellen, daß Seeschiffahrt unter nationaler Flagge ohne staatliche finanzielle Förderung nicht möglich ist. Der Grund liegt in den zu hohen Betriebskosten, der Betriebskostendifferenz. Hier sind insbesondere die Personalkosten im Verhältnis zu denen bei Offenregisterflaggen zu nennen. Daher ist eine geeignete Förderung des Verkehrsträgers Seeschiffahrt durch eine Austockung der Finanzbeiträge erforderlich. Wir konnten hier mehr als eine Verdoppelung erreichen. Ich will den Beteiligten in allen Fraktionen Dank dafür sagen. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Flaggenbindungfrist auf zwei Jahre festgesetzt und für das Folgejahr eine Verpflichtungsermächtigung von 100 Millionen DM eingestellt. Ich meine, daß wir uns bemühen sollten, die Ausflaggung ein wenig zu stoppen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen Titel ansprechen, der zwar nicht den Verkehrshaushalt betrifft, der aber zuvor im Rahmen des Einzelplans 09 behandelt wurde. Das ist die Werftenförderung. Als Abgeordneter von der Küste freue ich mich, daß es auch hier gelungen ist, einige Aufstokkungen durchzusetzen. Auch dies dienst insbesondere dem Erhalt von Arbeitsplätzen an der Küste. Wenn der Bundeskanzler in seinem gestrigen Beitrag gesagt hat, es gibt geheimnisvolle Kräfte, die im Meer wirken und aus dem Meer aufsteigen, wenn es um die Förderung von Interessen der Menschen an der Küste geht, dann darf ich feststellen, daß sich dieses Wort auf Abgeordnete aller Fraktionen bezieht. Allen, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, möchte ich meinen Dank sagen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang noch einmal die Bedeutung des Seeverkehrs. Ich hatte in diesem Sommer Gelegenheit, mit den Berichterstattern des Verkehrsausschusses, Herrn Waltemathe und Herrn Zywietz, Gespräche im schwedischen Verkehrsministerium zu führen. Es ging dabei um den Beitritt Schwedens zur EG und die dadurch entstehenden Auswirkungen auf den deutschen Verkehrsmarkt. Wir müssen feststellen, daß unsere Straßen und unsere Schienen schon jetzt nicht mehr in der Lage sind, die Verkehrsströme bedarfsgerecht zu lenken. Wenn das Verkehrsaufkommen im Transitland Deutschland durch EG-Beitritte weiterer Länder weiter ansteigt, dann müssen wir darüber nachdenken, wie wir bislang nicht ausgelastete Verkehrsträger vermehrt nutzen können. Auf Grund der Gespräche im schwedischen Verkehrsministerium habe ich Gelegenheit genommen, zu einer Verkehrskonferenz nach Emden einzuladen. Dort haben wir die Möglichkeit der Intensivierung des Seeverkehrs zwischen den nordischen Ländern, den norddeutschen Seehäfen und Mittelengland zu besprechen. Ich will dabei feststellen: Es besteht auf schwedischer Seite großes Interesse, den Verkehr über See vermehrt zu nutzen, um damit Verkehrswartezeiten abzubauen und den umweltfreundlichen und kostengünstigen Seeverkehr zu stärken. Ich möchte mit Rücksicht auf die Uhr nur einige wenige Worte zu den Bahnen und zum ÖPNV sagen. Im Verkehrshaushalt 1993 spiegelt sich die Bedeutung der umweltschonenden Verkehrsträger Schiene und Personennahverkehr deutlich wider. Die Haushaltsansätze machen deutlich, daß diese Verkehrsarten unbedingt am künftigen Verkehrswachstum teilhaben müssen. ({3}) Die Schiene - so unsere Formulierung - hat Vorrang vor der Straße. Gerade in diesem Haushaltsjahr ist die Trendwende zugunsten der Schiene sichtbar. Die Investitionsquote der Bahnen liegt im Haushaltsjahr 1993 über der Investitionsquote des Bundesfernstraßenbaus. Unabhängig hiervon besteht allerdings große Sorge über die derzeitige finanzielle Entwicklung der beiden deutschen Bahnen. Auch hierüber müssen wir im Rahmen der zukünftigen Verkehrspolitik noch einmal deutlich sprechen. Durch die derzeitige Konjunkturlage entsteht eine zusätzliche große Belastung in Form von Einbrüchen im Güterverkehr bei den beiden Bahnen. Das macht für mich sichtbar, daß wir das Bemühen verstärken müssen, die Verwirklichung der Bahnstrukturreform vordringlich zu behandeln. Nach einer im Frühsommer von Bahnchef Heinz Dürr angestellten Hochrechnung kostet jeder Monat Verzögerung viele, viele Millionen DM Steuergelder. Darum ist Eile geboten. Wir unterstützen daher Ihre Vorstellungen, Herr Bundesverkehrsminister, die Reform schneller zu verwirklichen, als der Zeitplan es bislang vorsah. Der sprunghafte Zuwachs der Defizite und der Gesamtverschuldung duldet keine Verzögerung und keine Vertagung. Abschließend noch einige Anmerkungen zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Der Bund gibt den Ländern im kommenden Haushaltsjahr Finanzhilfen in einem Volumen von 6,28 Milliarden DM. Das sind immerhin 1,5 Milliarden DM mehr als im Vorjahr. Was die Finanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz angeht, so wird allerdings angestrebt, durch eine Änderung dieses Gesetzes den Anteil der neuen Bundesländer zu Lasten der alten Bundesländer zu verändern. Dies haben wir im Haushaltsausschuß behandelt. Vorsorglich wurde eine qualifizierte Sperre von 800 Millionen DM und von 200 Millionen DM im Rahmen eines anderen Titels eingestellt. Mehr umweltgerechte Mobilität - das will ich abschließend feststellen - ist das Ziel. Wir streben mehr Mobilität für die Wirtschaft und den Bürger an. Dies soll sich nach unserem Willen allerdings umweltgerecht vollziehen. Wir streben die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern an, um die Folgen der Teilung unseres Landes zu überwinden. Ich will den Mitarbeitern des Verkehrsministeriums und des Finanzministeriums herzlichen Dank für die angenehme Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß und mit der Arbeitsgruppe Verkehr sagen. Ich möchte Ihnen raten, dem Einzelplan 12 Ihre Zustimmung zu geben. Damit handeln wir im Interesse von Ost und West. Ich gehöre zu den neuen „Wasserwerkern". Als wir vorgetragen haben, daß wir aus dem Wasserwerk ausziehen, um im neuen Plenarsaal tätig zu werden, habe ich nicht gedacht, daß ich noch einmal hier stehen würde; als Kabarettist vielleicht, aber nicht als Haushälter. Vielleicht ist der Ausfall der Mikrophonanlage im neuen Plenarsaal für uns Anlaß, einen neuen Song zu schreiben: Hörst du mein heimliches Rufen? Wilfried Bohlsen Vielen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat der Abgeordnete Werner Zywietz das Wort.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit soviel kabarettistischem Talent kann ich nicht dienen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Niemand soll sein Licht unter den Scheffel stellen.

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nachdem sich der Kollege Ernst Waltemathe wegweisend, ja fast bahnbrechend ({0}) im Hinblick auf die Beseitigung parlamentarischer Rituale betätigt hat, will ich den Ausdruck meines Gedankenschweißes, nämlich das vorbereitete Manuskript, beiseite legen und in den acht Minuten, die mir zugestanden worden sind, in freier Rede ein paar Anmerkungen zum Haushalt 1993 machen. Ich möchte feststellen, daß der Einzelplan 12, der Verkehrshaushalt, in dem Reigen aller Einzelpläne in der Tat - da hat Graf Lambsdorff recht - ein Haushalt ist, der Mut macht. Er weist vielleicht ein paar Stellen auf, insbesondere unter dem Stichwort „Bahn", die leider immer noch Anlaß zu ein wenig Mißmut geben mögen, aber insgesamt ist es ein Haushalt, der Mut macht, denn es ist der investive Haushalt Nummer eins im Rahmen des Ausgabeverhaltens der Bundesrepublik. Damit ist er der Haushalt, der der Bevölkerung Mut macht, denn Reise- und Bewegungsfreiheit war ja, wenn ich mich recht erinnere, nicht gerade das Hauptschlagwort in der früheren DDR. Wenn man sich frei bewegen kann und bald die entsprechende Verkehrsinfrastruktur vorfindet, dann macht das Mut. Das möchte ich einmal feststellen. ({1}) Es ist auch mutmachend, daß diese Infrastruktur zur Standortqualität in den neuen Bundesländern und zur Verbesserung der Standortqualität in diesem Staat insgesamt beitragen kann. Wenn mich nicht alle Zeichen täuschen, dann wird der ökonomische Wettbewerb für uns allesamt härter. Das Bestehen in diesem ökonomischen Wettbewerb hängt von vielen Faktoren ab. Ein ganz wichtiger Faktor dabei ist auch eine vernünftige, leistungsfähige verkehrliche Infrastruktur. ({2}) Deswegen ist es gut, daß das Volumen dieses Einzelplans steigt. Lieber Ernst Waltemathe, ich möchte mich jetzt nicht an der Diskussion über die Frage beteiligen, ob das ein Trick bei der Betrachtung ist oder ob du das etwas einseitig durch die Oppositionsbrille gesehen hast, wie es sich mit der Steigerungsrate verhält. Wenn man das von Einzelplan zu Einzelplan und von einem Jahr zum anderen betrachtet, dann sieht man jedenfalls, daß das Volumen des Einzelplans um 10 % steigt. Wenn man die Sonderaktivitäten in der Startphase der deutschen Einheit mit betrachtet - das kann man aber nicht auf Dauer tun -, dann hast du recht. Aber das würde ich in der Tat für einen Trick bei der Betrachtung bzw. für eine Oppositionsoptik, nicht aber für eine reale Optik halten. ({3}) Ich erinnere mich hier an die Worte Ihres Fraktionsvorsitzenden, der ja in seiner nachdenklichen Rede gestern so nachhaltig zur Wahrheit aufgerufen hat: zur Teilwahrheit, zur richtigen Wahrheit, zur ganzen Wahrheit, zur reinen Wahrheit, wie auch immer. Wenn wir das alles ganz nüchtern nehmen, dann ist festzustellen, daß das ein steigender Einzelplan ist. Dieser Einzelplan ist eigentlich ein Konjunkturprogramm, speziell ein Konjunkturprogramm Ost; denn die große Zahl der Großprojekte für Schiene, Straße, Kanal wird Beschäftigung insbesondere in den neuen Bundesländern schaffen. Auch das ist gut so. ({4}) So gesehen meine ich, daß dieser große Einzelplan im Zuschnitt richtig ist - auf die Strukturen im einzelnen werde ich noch mit ein paar Gedanken zu sprechen kommen -; er muß auch so zugeschnitten sein. Um das zu erkennen, braucht man nur ein paar Schattierungen der Notwendigkeiten verkehrspolitischer Art in den nächsten zehn Jahren am Horizont abzutasten versuchen. Die eine Aufgabe, der dieser Einzelplan gerecht werden muß, ist die deutsche Einheit, sind die Ost-West-Verbindungen. Es ist aber nicht nur die deutsche Einheit. Es geht auch um die anderen Verkehrswege in den Osten, ob nun Ostsee-Autobahn oder weitergehende Straßen und Eisenbahnverbindungen. Das ist ein zweites Thema. Ich nenne hier den skandinavischen Wirtschaftsraum, den Weg dorthin und das Andocken - so sage ich einmal bildhaft - an die EG. Auch das hat verkehrspolitische Konsequenzen im Ostseeraum und in der Nord-Süd-Bewegung. Alles in allem muß die Verkehrspolitik - wenn ich das richtig sehe - in einem Land wie Deutschland - kein anderes Land hat mehr Nachbarn als wir - dieser Transitrolle von beiden Seiten her gerecht werden. Auf jeden Fall muß unsere Verkehrspolitik angesichts dieser absehbaren Erfordernisse Zug um Zug sozusagen noch europäischer strukturiert werden. Ausgehend von den Teilen eines solchen Bildes möchte ich jetzt noch auf die einzelnen Verkehrsträger - sozusagen zu Lande, zu Wasser und in der Luft - zu sprechen kommen, und zwar zunächst einmal mit Blick auf die Straße, auf den Straßenausbau. Es ist richtig, daß hier ein wesentlicher Teil der Investitionsmittel, und zwar in der Größenordnung von 10 Milliarden DM, eingesetzt wird. Es ist auch richtig - das ist hier schon gesagt worden -, daß wir im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes - das ist übrigens ein Unwort - eine TopleiWerner Zywietz stung erbringen, indem wir die Mittel um 3 Milliarden DM aufstocken. Ob die neuen Bundesländer davon hinreichend profitieren können, ob die Aufteilung also gut funktioniert, lasse ich als Haushälter im Moment einmal offen. Ich kann nur sagen: Aus unserer politischen und parteilichen Sicht wäre es richtig, hier eine Korrektur vorzunehmen. Aber das ist eine Frage an den Bundesrat, eine Frage an die Bundesländer. ({5}) Es geht darum, wieweit sie ihren Sonntagsreden Alltagsbeschlüsse folgen lassen, indem sie liebgewonnene Gewohnheiten bei den Zuwächsen auf Zeit ein wenig aufgeben und die neuen Bundesländer hier, wie es bei den Großmaßnahmen schon der Fall ist, in die Ausbauperspektive einbeziehen. ({6}) Unsere Vorstellungen habe ich damit zum Ausdruck gebracht. In den drei Minuten oder vier Minuten, die mir jetzt noch verbleiben, möchte ich das Stichwort Seeschiffahrt bzw. das Maritime überhaupt ansprechen. Herr Minister, zunächst einmal ist die besondere Betonung des Ausbaus der Bundeswasserstraßen richtig. 2,5 Milliarden DM, grob gesagt, sind dafür vorgesehen. Das sind verkehrspolitische Maßnahmen, die im Blick auf das, was dort transportiert wird, umweltfreundlich und energiesparend sind. Die Hauptader, um die es hierbei geht, ist der Mittellandkanal. Um so befremdlicher ist es, wenn man da im Bereich Hannover nicht mitmacht. Darauf kann sich jeder seinen politischen Vers machen. Auf der einen Seite will man dort die Weltausstellung, auf der anderen Seite will man dort, obwohl der Bund die Mittel bereitstellt, den Mittellandkanal nicht so ausbauen, daß man zweispurig vom Ruhrgebiet nach Berlin gelangt, ohne durch ein Nadelöhr hindurch zu müssen. Das ist schon am Rande eines Skandals, wie ich jedenfalls finde. ({7}) - Danke. Ich bin ja lernfähig: Es ist ein Skandal, ein politischer Skandal, der dort stattfindet. Ein zweites Stichwort nur in aller Kürze. Die Aufstockungen bei den Seeschiffahrtshilfen, die wir vorgenommen haben, sind schon angesprochen worden. Man glaubt es kaum: Auch Parlamente haben hin und wieder ihre eigene Gestaltungskraft. Das ist auch gut so. Aber ganz wichtig ist noch ein anderer Punkt. Diesen möchte ich hier schon exemplarisch anführen. Wir alle haben ja bei vielen Einzelplänen die Feststellung gemacht, daß diejenigen, die uns - häufig ja mit guten Argumenten - darlegen, daß irgendwo aufgestockt werden muß, uns dann, wenn wir dem nachgekommen sind, häufig keines Blickes mehr würdigen und uns keines Dankes mehr für wert erachten, weil sie meinen, es hätte noch ein bißchen mehr sein dürfen. Ich möchte einmal wirklich in aller Fairneß - jedenfalls nach meinen Beurteilungskriterien - feststellen, daß sich der Reederverband zu diesem Kompromiß, der die Notwendigkeiten und Vorstellungen nicht voll abdeckt, in einer Gesamtbetrachtung der finanziellen Möglichkeiten positiv und konstruktiv geäußert hat. Ich finde, auch das ist erwähnenswert. ({8}) Zum Luftverkehr möchte ich nur zwei Punkte ansprechen; die Zeit läuft. Herr Minister, von seiten der F.D.P. unterstützen wir alles, was dem Ziel dient, Privatinitiative und Privatkapital bei den Flughafengesellschaften - ich muß das in einem kurzen Stichwort sagen - zu stärken. Jede Bewegung für mehr Privatkapital ist richtig. ({9}) Es ist nämlich gar nicht einzusehen, daß der Bund, verbunden mit den entsprechenden Verpflichtungen, an allen wesentlichen Flughafengesellschaften eine Beteiligung von 25 % und mehr hält. ({10}) - Auch die bedeutsame Koalitionsvereinbarung gibt in schriftlicher Form die Überzeugung und den Geist der F.D.P. in vollem Umfang wieder. - Hieran wollte ich mit einem Stichwort erinnern. Ich möchte jetzt noch daran erinnern, daß die Lage der Lufthansa - in drei Sätzen kann man dem nicht ganz gerecht werden - schwierig ist. Ich möchte dazu anmerken, daß wir von seiten der F.D.P. mithelfen werden, die Lufthansa aus dieser nicht einfachen Situation herauszuführen. Anmerken möchte ich auch, daß mit Blick auf die Privatisierung, für die wir sind, festzustellen ist: Es kann nicht gut sein, wenn das Bild einer Gesellschaft mit Bundesbeteiligung - sei es nun eine GmbH oder eine AG -, soweit es um ökonomische Kernbereiche geht, über so viele Jahre hinweg im Dunkeln oder im Halbdunkel bleibt. ({11}) Es kann nicht so sein, daß die Gesellschaften immer nur dann ankommen, wenn sie Kapital oder eine Verlustübernahme brauchen. Gerade bei der Privatisierung im Postbereich, bei der anstehenden Bahnreform und auch bei solchen Großunternehmen wie der Lufthansa - ich kann das jetzt nur in Stichworten sagen - müssen wir zu einer anderen Form der Information und des Dialogs kommen. Den Königsweg der Budgetkontrolle können wir nämlich in einigen Bereichen nicht mehr gehen, wenn wir auf der einen Seite privatisieren und auf der anderen Seite wegen des Aktienrechts und des GmbH-Rechts nicht mehr hinreichend erkennen können, was sich tut. Ich halte das für ein sehr ernstes Thema, das an anderer Stelle weiterdiskutiert werden sollte. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter!

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie sprechen ja frei. Dann ist es nicht schwer, schnell zum Schluß zu kommen. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, Sie haben das bei einer anderen Gelegenheit schon einmal ausgenutzt und gesagt, ich könnte ja schnell zum Schluß kommen, weil ich kein Manuskript hätte. ({0}) - Ich habe es im Kopf. Ich komme zum Schluß. Herr Minister, ich möchte betonen, daß wir Sie und Ihr Haus bei den drei großen Bereichen, nämlich bei der Bahnreform - die habe ich jetzt nicht angesprochen; diese Reform ist aber höchst nötig; Bahnreform: Kosten senken, kundenfreundlicher werden -, bei der Beschleunigung des Planungsrechts und bei allem, was auf mehr Privatinitiative, Privateigentum, Privatkapital im Verkehrsbereich hindeutet, mit Nachdruck unterstützen. Seitens des Parlaments haben wir Sie mit guten Finanzmitteln ausgestattet. Ich bin sicher, Sie werden für eine Umsetzung sorgen, bei der die neuen Bundesländer nicht zu kurz kommen, daß Sie das auch so umsetzen werden, daß die Bevölkerung davon nachhaltig Notiz nimmt. Ich würde meinen: Nun bauen Sie mal schön! ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Sie an ein historisches Datum erinnern. Gestern vor 19 Jahren gab es in der Bundesrepublik den ersten autofreien Sonntag. Er löste neun Monate später einen Babyboom aus. Eine so fruchtbare Verkehrspolitik, Herr Minister Krause, würde ich mir gern von Ihnen wünschen. ({0}) Minister Krause klärte bei der Eröffnung des Kongresses der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands in Köln die Anwesenden darüber auf, daß er sich eher als Dienstleistungsminister eines Wirtschaftssystems und weniger als Wunschminister eines Verkehrssystems verstehe. Ich werde dennoch den Eindruck nicht los, daß er - wie manchmal auch der Weihnachtsmann - Wünsche erfüllen will, die der Beschenkte gar nicht hat. Der Beschenkte aber soll sich freuen und dankbar sein, und er versucht dann nach der Bescherung krampfhaft, das Geschenk wieder loszuwerden. Ähnlich sieht das Szenarium jetzt beim Bundesverkehrswegeplan aus: der Verkehrsminister als Weihnachtsmann, der die Projekte reihenweise aus dem Sack holt, und Umweltverbände, Kommunalvertretungen, ökologische Arbeitskreise z. B. von Kirchenbezirken, Bürgerinitiativen, viele Bürgerinnen und Bürger als unschuldig Beschenkte. Manchmal verspricht der Weihnachtsmann in der Adventszeit aber auch etwas, was er bei der Bescherung dann nicht einhält. Minister Krause versprach uns allen eine grundlegende Wende in der Verkehrspolitik. Sein Verkehrshaushalt jedoch ist eine schöne Bescherung. Vorrang der Bahn - so war es auch am Sonntag vor den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern in Köln wieder von Ihnen, Herr Minister Krause, zu hören. Wie sieht es aber damit im Etat aus? ({1}) Kapitel 12 10 - Bundesfernstraßen - schreibt Investitionen für den Bundesfernstraßenbau von rund 8,9 Milliarden DM fest. Dem steht aber nur gut die Hälfte, nämlich rund 4,6 Milliarden DM, für den Ausbau der Schieneninfrastruktur gegenüber. Es bleibt des Ministers mathematisches Geheimnis, wie man in Anbetracht dieser Zahlen von einer Bevorzugung der Schiene sprechen kann. ({2}) Wirtschaftlicher Aufschwung im Osten setzt eine verbesserte Infrastruktur voraus. Das ist ein Argument, mit dem dort kritische Stimmen im Zaum gehalten werden. Kollege Zywietz hat uns hier ja auch damit gedroht. Warum wird dann aber für den Neubau von Bundesautobahnen im Westen mehr als das Vierfache der für den Osten veranschlagten Summe ausgegeben? Beim Neubau von Bundesstraßen ist es sogar mehr als das Fünffache. Abgesehen davon gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele dafür, daß der angebliche Automatismus „gute Verkehrsinfrastruktur - gute wirtschaftliche Entwicklung" so nicht funktioniert. Die Region Eberswalde im Land Brandenburg ist dafür ein Beispiel. In diesem Zusammenhang sei aber auch auf Dresden verwiesen, das wohl zu den infrastrukturell am schlechtesten ausgestatteten Großstädten in den neuen Bundesländern zählt und dennoch mit Abstand eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten aufweist. Nicht ganz zu Unrecht wachsen daher im Osten die Befürchtungen, daß einem großen Teil der vorgesehenen neuen Straßen vorrangig Transitaufgaben zukommen werden, die Arbeitsplätze höchstens an Tankstellen und Imbißbuden bieten. Neue Straßen sollen auch die vielgepriesene Mobilität der Menschen fördern. Machen wir uns doch nichts vor: Schon heute pendeln Hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Richtung Westen - billige Arbeitskräfte für Versandhäuser, Baustellen, Unternehmen in den Wirtschaftszentren der alten Bundesländer. Wie man angesichts der Staus von Mobilität sprechen kann, bleibt mir übrigens schleierhaft. Mecklenburg-Vorpommern weist beispielsweise bereits jetzt ein deutliches Ost-West-Gefälle in der Arbeitslosenstatistik auf. Wollen Sie wirklich diese Art von Mobilität? ({3}) Was bleibt dann für die, die - in der Regel Frauen - auf Grand familiärer Verpflichtungen nicht so flexibel einsetzbar sind? Also: Herr Krause als Dienstleistungsminister für ein Wirtschaftssystem, das kann's wohl auch nicht sein. Die Ursachen dafür, daß sich Krupp, Mercedes, Holzmann und andere als potentielle Investoren im Osten zurückziehen, liegen - das muß man der Ehrlichkeit halber sagen - nicht in seinem Ressort. Aktuelle Beispiele: Audi wird ein Werk in Ungarn statt in Sachsen-Anhalt bauen. Nach einer Presseinformation von DSD geht man - es handelt sich hier um den Aufbau von Recyclinganlagen für Kunststoffverpackungen - nach Bulgarien. Für Unternehmen ist es also billiger, rentabler, dort zu investieren statt in den neuen Bundesländern, weil dort vor allem die Lohnkosten niedriger sind als in den neuen Bundesländern. Werfen wir einen Blick auf das Kapitel 12 18: Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Hier wird der Etat bis einschließlich 1995 zwar aufgestockt, dennoch bleibt nach wie vor unklar, wie sich die Regierung bei der im Rahmen der Bahnreform geplanten und von uns begrüßten Regionalisierung des ÖPNV die Finanzierung durch die Gebietskörperschaften vorstellt. Ich verweise hier auf einen Brief des Deutschen Städtetages vom 16. November, der Ihnen vielleicht auch zugegangen ist - ansonsten stelle ich ihn gern zur Verfügung -, in dem u. a. steht: Würde die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ohne einen ausreichenden, zweckgebundenen und finanzverfassungsrechtlich gesicherten Finanztransfer vom Bund auf die Länder und Kommunen durchgeführt, müßte der lebensnotwendige Nahverkehr in unseren Städten und Regionen drastisch eingeschränkt werden. - Zu diesem Brief haben wir auch eine Broschüre bekommen. Ich möchte Ihnen wärmstens ans Herz legen, diese ausreichend zu studieren. Sieht man sich die betriebswirtschaftliche Rechnung der Bahnen für das Jahr 1992 etwas genauer an, so wird deutlich, daß es bei Bundesbahn und Reichsbahn Umsatzsteigerungen im Personenverkehr in zweistelliger Höhe gibt. Einen drastischen Einbruch dagegen hatte der Güterverkehr zu verzeichnen. Bis Oktober 1992 betrug der Umsatzrückgang allein bei der Bundesbahn rund 1 Milliarde DM. Der Abbau im produktiven Bereich wird als eine Ursache ausreichend strapaziert und muß heute als Begründung für Kürzungen im gesamten Sozialbereich herhalten. Es ist aber höchste Zeit, daß endlich Konsequenzen aus der - so Bahnchef Dürr - gnadenlosen Konkurrenz der Straße gegen die Bahn gezogen werden. Solange die Straße weiter subventioniert wird und es für Unternehmer profitabler ist, ihre Produkte per Lkw statt auf der Bahn zu transportieren, so lange wird die Bahn weiter rote Zahlen schreiben. Wer hier den Schwarzen Peter hin und her schiebt, lehnt selbst klare politische Entscheidungen ab und wird damit an der sich anbahnenden Verkehrskatastrophe mitschuldig. Über die Verwendung von 80 % der GVFG-Mittel entscheiden die Länder mit eigenen Förderprogrammen. So weit, so gut. Ein Skandal aber ist die Festlegung der Länderquoten. Diese werden nämlich nach dem Bestand der im vorvergangenen Jahr zugelassenen Kraftfahrzeuge berechnet. Im Klartext heißt das: Die Länder, die den Kfz-Verkehr fördern, werden belohnt, und die, die sich an ökologischen sowie sozialen Belangen orientieren, sind - wie der Berliner sagt - „Neese" und werden bestraft. Ein Wort noch zu Kapitel 12 02: Allgemeine Bewilligungen. Es enthält u. a. 12 Millionen DM für wissenschaftliche Studien; denn - so heißt es in der Begründung - die Weiterentwicklung der Verkehrspolitik, insbesondere der Erarbeitung längerfristiger Programme, erfordert laufende Untersuchung und Forschung. - Es wäre zu schön, um wahr zu sein, Herr Minister. Sieht man einmal ein bißchen genauer in den Plan, dann erkennt man: Es geht um Investitionsbewertungen, methodische Instrumentarien, analytische Grunddaten, Ordnungsrahmen etc. pp. Nichts von Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten, zum Zusammenhang von Raumordnung und Verkehr oder zu einem Maßnahmekatalog für die CO2-Reduzierung im Verkehrsbereich. Analysen über Möglichkeiten realer Verkehrsvermeidung erwarte ich schon gar nicht. Nun kann es ja sein, daß das Verkehrsministerium inzwischen zur Kenntnis genommen hat, daß man mit Studien dieser Art ganze Straßen pflastern könnte - das stimmt im übrigen auch -; aber dann würde es höchste Zeit, daß die Arbeit der vielen Expertinnen und Experten endlich ernst und als Grundlage für eine neue Verkehrspolitik genommen wird. In der vergagenen Woche führte die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" eine öffentliche Anhörung zum Thema „CO2-Minderung durch Vermeidung von Verkehr" durch. Der Kommissionsvorsitzende, Kollege Dr. Lippold ({4}), erklärte zum Ergebnis der Anhörung: Die zu erwartende weitere Verkehrsexplosion und die Vielzahl der durch den Verkehr verursachten Umweltprobleme, insbesondere das CO2-Problem, sind durch eine verbesserte Technik und Organisation allein nicht zu kompensieren. Um mehr CO2-Reduktion zu erreichen, sind weitere Maßnahmen erforderlich. Dazu zählen Verkehrsvermeidung - jedoch kein Dirigismus - und die Steuerung über den Preis. In diesem Fall greife ich gern einmal auf einen Kollegen der CDU zurück. Selten genug befinden wir uns ja in Übereinstimmung. ({5}) - Ich schätze, Sie befinden sich nicht in Übereinstimmung mit Ihrem Kollegen Lippold; das wird das Problem sein. ({6}) Verkehr kann dort deutlich reduziert werden und ökologisch sowie sozial erträglich gestaltet werden, wo den Bürgerinnen und Bürgern durch kompakte Siedlungsstrukturen ein Leben, Wohnen und Arbeiten in den Städten ermöglicht wird. Fußläufig zu erreichende Verwaltungs-, Dienstleistungs-, Handels- und Freizeiteinrichtungen vermeiden Verkehr und lassen die Städte wieder bewohnbar werden. Hier ist allerdings dringend geboten, die Charta von Athen einer gründlichen Prüfung zu unterziehen und ihre Aussagen zur Entmischung der Stadtstrukturen zu revidieren. Industrieansiedlungen und Gewerbegebiete, angebunden an öffentliche Verkehrsnetze, wie bei der Anhörung u. a. vom bayerischen Vertreter Professor Goppel gefordert, schaffen gute Bedingungen für Verkehrsverlagerung. Alles in allem hat nicht zuletzt die genannte Anhörung der Enquete-Kommission nachdrücklich bestätigt: Auch die Verkehrspolitik dieser Bundesregierung steuert in eine Sackgasse, aus der es nur noch im Rückwärtsgang wieder heraus geht. Nur, fahren Sie nicht zu weit hinein; Sie könnten nämlich sonst hoffnungslos steckenbleiben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Herz schlägt nun einmal ein bißchen mehr für Natur- und Umweltschutz. Alle Kollegen - auch die im Verkehrsausschuß - beteuern immer wieder, daß dies eigentlich ganz wichtig ist. Aber ich glaube, wer über Umweltpolitik in diesem Lande redet, darf sich nicht auf den glücklosen Bundesumweltminister und seinen, wie ich glaube, doch eher Strahlen- oder Atometat beschränken. Umweltpolitik - oder besser: Politik gegen die Umwelt - manifestiert sich hierzulande vor allem in der Wirtschafts- und der Verkehrspolitik. Nicht ohne Grund habe ich meine Redezeit vom Umweltbereich in den Verkehrssektor übertragen, weil ich glaube, daß gerade dieser Verkehrshaushalt entscheidend dafür ist, ob wir Umweltschutz in der Bundesrepublik in Zukunft ernsthaft betreiben können. Zwei Jahre nach Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarungen und zwei Jahre nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers sieht es sehr düster aus für Natur und Umwelt in Ost- und Westdeutschland. Rhetorische Floskeln können eben auf Dauer nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Politiker dieser Regierung praktisch ausschließlich die Zerstörung von Natur und Umwelt fördern. Wenn das sogar die Mitglieder der Enquete-Kommission so herausheben - wie eben zitiert -, dann sollten Sie es ernst nehmen. Zum Ende der ersten Halbzeit der Legislaturperiode werden unsere schlimmsten Befürchtungen in ungeahntem Ausmaß übertroffen. Unter dem durchsichtigen Vorwand für den Aufschwung in den ostdeutschen Bundesländern findet gesamtdeutsch ein umweltpolitischer Salto mortale rückwärts statt. Die Errungenschaften von 20 Jahren Umweltpolitik sollen auf der Müllkippe der Geschichte landen. Hier und heute wird die Verkehrsinfrastruktur zum Einfallstor für Einfaltspinsel gemacht, für Bürokraten, die die Öffentlichkeit oder die Kommunen immer nur als Sand im Getriebe ihrer Maschinerie eingestuft haben. Demokratie und Transparenz, Information und Mitsprache sind für diese Planungsfetischisten genauso Fremdworte, wie es bereits für die entsprechenden Leute in der Planwirtschaft der früheren DDR der Fall war. Beschleunigungsgesetze, Verzicht auf sachgerechte Umweltverträglichkeitsprüfungen, Ausschluß und Täuschung der Öffentlichkeit, Verstöße gegen den Datenschutz, gegen Persönlichkeitsrechte und zu guter Letzt Verfassungsbruch durch Maßnahmegesetze sind die Stationen dieser Reise. Sie sind, wie Herr Schäuble gestern sagte, allerdings nur ein „erster Schritt". Aus einem „mehr Demokratie wagen" ist für diese Regierung und - so leid es mir tut - auch für Teile der Sozialdemokratie in einigen Ländern das „Wagnis Demokratie" geworden. Meine Damen und Herren, unter dem neutralen Titel der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung bereitet diese Regierung derzeit einen Abbau demokratischer Rechte, einen Abbau kommunaler und öffentlicher Beteiligungsmöglichkeiten vor, der seinesgleichen sucht. In der kommenden Woche soll das Kabinett einem Artikelgesetz zustimmen, das weitreichende Veränderungen der Rechtslage anstrebt. So sollen - wie schon im Verkehrrssektor - im Bau-, Umwelt- und Naturschutzrecht Vorschriften ausgesetzt und Fristen verkürzt werden. ({0}) Im Entwurf eines Baulandgesetzes wird der Verzicht auf eine frühzeitige Beteiligung der Bürger bei Planungsvorhaben festgeschrieben. Sieht so Ihre Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes aus, Herr Töpfer? Leider ist er nicht anwesend. Wenn dieses Gesetz durchkommt, können wir aus der Bezeichnung seines Ministeriums den Begriff „Naturschutz" herausnehmen. Hinter dem Schlagwort „Harmonisierung von Bau-und Naturschutzrecht" verbirgt sich doch nichts anderes als Rechtsbruch in großem Ausmaß. Da soll die verwaltungsgerichtliche Überprüfung von Bebauungsplänen ausgesetzt werden, genauso wie auf Raumordnungsverfahren verzichtet wird. Das geht soweit, daß selbst gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichsmaßnahmen etwa für den Geltungsbereich von Bebauungsplänen ausgesetzt werden sollen. Daß in diesem Zusammenhang dann grundsätzlich über eine Straffung und Verkürzung des Verwaltungsrechtsweges nachgedacht wird, ist nicht mehr weiter verwunderlich. Dort steht: alles zeitlich begrenzt, versteht sich. Diese zeitliche Begrenzung bezieht sich auf die Beschleunigungsvorhaben bei der Verkehrswegeplanung in den östlichen Bundesländern, aber es wird inzwischen für die gesamte Bundesrepublik vorbereitet. Die zeitliche Begrenzung wird sich bis zu dem Punkt erstrecken, an dem die letzten Reste der Natur endgültig plattgemacht sind. Wohlgemerkt, meine Damen und Herren: Gegen eine Straffung von Genehmigungsverfahren haben wir ja nichts einzuwenden. Das zeigen auch unsere entsprechenden Initiativen. Aber alle Schritte zur Beschleunigung müssen an den Ursachen ansetzen, etwa an den antiquierten bzw. nicht sachgerechten Abläufen in den Verwaltungen selbst. Die Hauptursache jedoch liegt in der Konzeptionslosigkeit dieser Regierung und leider auch mancher Landesregierung, jedenfalls nicht in der Beteiligung der betroffenen Menschen in diesem Lande. Ich glaube, dort könnten Sie Initiativen für Ihren Aufschwung Ost in den neuen Ländern besonders initiieren. Wenn Bundesminister Schäuble gestern mehr Engagement der Bürger forderte, so ist dem beizupflichten. Aber glauben Sie allen Ernstes, Sie erreichen diese Unterstützung, wenn Sie die Beteiligung der Bürger auf null reduzieren? Meine Damen und Herren, der heute zur Debatte stehende Verkehrshaushalt ist ein Beispiel für eine Politik der Unvernunft, für eine Politik, die die Umweltprobleme als nicht existent betrachtet, verharmlost oder bestenfalls in unverbindlichen Floskeln akzeptiert. Diese Regierung hat bis heute nicht begriffen, daß der maßlose Ausbau der Straßeninfrastruktur nicht kurzfristig den notwendigen wirtschaftlichen Aufschwung in den Regionen bringt. Sie hat erst recht nicht begriffen, daß wir alle diese Gigantomanie schon bald teuer bezahlen werden. Ich glaube, es ist doch wichtig, schon heute über den Bundesverkehrswegeplan und über Transrapid zu sprechen, denn mit diesem Haushalt werden die Weichen - wenn es nur solche wären! -, werden die Straßen dafür gelegt. Mehr als 11 000 Kilometer Autobahnen und Bundesfernstraßen sollen bis zum Jahr 2010 gebaut oder ausgebaut werden. Damit unternimmt die Bundesregierung alles, um das Umweltproblem Nummer eins, den rasant wachsenden Straßenverkehr, weiter zu verschärfen. Es ist schon bezeichnend, daß in der Debatte über den Bundesverkehrswegeplan meiner Einschätzung, wonach der Bundesverkehrsminister mit seiner geplanten Betonorgie in der direkten Tradition der Straßenbaupolitik Hitlerdeutschlands steht, niemand widersprochen hat. Ich hatte es mir damals gewünscht, daß ich mich an dieser Stelle geirrt habe. Die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik bleibt bei einer reinen Symptombehandlung, die an den Ursachen der Erkrankung unseres wuchernden Verkehrssystems nichts ändert. Minister Krause beläßt es mit seinem Verkehrswegeplan bei der Verwaltung ungebremster Verkehrsströme. Vielleicht gelingt es ihm damit, den Verkehrsinfarkt über eine bestimmte Zeit ein wenig hinauszuzögern - die Umweltzerstörung wird von der Bundesregierung hierdurch jedoch aktiv beschleunigt. Statt sofortigen Handlungsbedarf anzuerkennen, wird ein Verkehrswegeplan durchgezogen, der zu einem Anstieg der verkehrsbedingten CO2-Emissionen um über 43 % führen wird. Die Bundesregierung entlarvt ihre Umweltpolitik als irreführende Worthülse. Kommen Sie mir nicht mit 25 bis 30 % bis 2005! So werden Sie es niemals schaffen. Das alles geschieht, obgleich sich die Bundesregierung in Rio verpflichtet hat, die Stabilisierung des heutigen CO2-Gehalts der Erdatmosphäre zu gewährleisten, was nichts anders als den Ausstieg aus der Verwendung fossiler Brennstoffe bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts bedeutet. Die Zeit, in der dieses erreicht werden kann, ist aber nur noch sehr kurz. Viele der von Ihnen geplanten Vorhaben sind neben den ökologischen Folgen auch in anderer Hinsicht widersinnig. So verstößt beispielsweise die vorgesehene A 20, die sogenannte Küstenautobahn, auch gegen die wirtschaftliche Vernunft. Alle ernstzunehmenden raumwirtschaftlichen Untersuchungen weisen auf die fatalen negativen Auswirkungen der A 20 auf die regionalwirtschaftlichen Entwicklungspotentiale des vielleicht strukturschwächsten Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern hin. Wenn von einer Trendwende hin zur Bahn gesprochen wird, dann frage ich mich ausdrücklich, warum Herr Krause angesichts geplanter Sparmaßnahmen als erstes den Vorschlag macht, das Schienenprojekt zwischen Lübeck und Rostock nur noch einspurig zu realisieren und mit Elektronik auszubauen. So ist es den Medien zu entnehmen, und es wurde von Ihnen auch nicht dementiert. Vielleicht, Herr Minister, können Sie auf diese Darstellung in den Medien noch eingehen. Die dort vorgesehene Einsparung in Höhe von 100 Millionen DM scheint genau an der falschen Stelle plaziert worden zu sein. Wenn man schon sparen muß, warum denkt man dann nicht darüber nach, die A 20 gar nicht mehr zu einer Autobahn, sondern zu einer Bundesstraße zu machen? Das wäre meines Erachtens ein guter Ansatz. Ein Argument, warum die A 20 gebaut werden muß - es ist ja nur eines der vielen Argumente -, ist das des wirtschaftlichen Aufschwungs. Aber schauen Sie sich einmal an, welche Argumente die Bürger, die sich - ich gebe es zu - mehrheitlich für die Autobahn ausgesprochen haben, beispielsweise in der „OstseeZeitung" vorbringen: Sie wollen ihre Arbeitsplätze in Lübeck, Hamburg oder Mölln so schnell wie möglich erreichen. ({1}) Das waren die wichtigen Argumente. Dennoch ist es unsinnig. Die Mittel, die für diese Vorhaben eingeplant sind, sollten wir vor allem in die Schaffung von Arbeitsplätzen stecken. Die Worte von Herrn Lehment, dem Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, daß sich die Region Rostock auch ohne diese Küstenautobahn phantastisch entwickelt, sollte uns zu denken geben. Dort wird wahrscheinlich sehr ordentlich und sehr vernünftig geplant und vorbereitet. Erlauben Sie mir zum Abschluß, darauf hinzuweisen - viele andere Punkte lasse ich einfach weg -, wie absurd die Diskussion bei uns im Ausschuß sein kann. Ich will Herrn Waltemathe nicht nachstehen. Wenn der Verkehrswegeplan als erster ökologischer bezeichnet wird - diese Worte nehme ich natürlich sehr ernst -, aber dann alles aus dem urökologischen, was nicht fertig geworden ist, in den neuen ungeprüft übernommen wird, ist das schon irgendwie makaber. So sollten wir nicht miteinander umgehen. Wenn Herr Möllemann und Herr Waigel wirklich sparen wollen - wie ich das sehe, wird dieser Haushalt nicht durchkommen -, dann können sie das im Nachtragshaushalt ganz besonders an dieser Stelle tun. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2}))

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Feige, es gehört zu den guten Gepflogenheiten des Hauses - ich nehme an, das ist Ihnen unbekannt -, Sachverhalte und Personen nicht mit nationalsozialistischen Tatbeständen und Persönlichkeiten zu vergleichen. Ich habe nicht genau zugehört. Ich lasse das überprüfen. Aber wie immer es sei, ob es rügenswert ist oder nicht: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich in Zukunft daran hielten. Denn der Hinweis auf die Fortsetzung der Politik Hitlers ist nicht in Ordnung. ({0}) - Ich gehe jetzt mit Ihnen kein Streitgespräch ein, wie Sie verstehen werden. Ich habe die höfliche Bitte vorgetragen, sich danach zu richten. Nun will der Minister selber noch sprechen. Herr Dr. Krause, ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst dafür bedanken, daß dieser Haushalt in einer sachlichen Form diskutiert wird. Ich denke, wir sind auf einem guten Wege, wenn wir die Verkehrspolitik nicht ideologisch bewerten, sondern uns an Sachverhalten orientieren. Da unsere verehrte Kollegin Enkelmann uns heute eine wichtige Weisheit verkündet hat - „Ohne Verkehr kein Leben" -, verstehe ich nicht, warum wir nicht durch neue Verkehrsbauten mehr Leben erzeugen sollten. Denn der Verkehr bringt Menschen zusammen. Insofern ist dieser Verkehrshaushalt eine wichtige Investition in die Zukunft unseres Landes. ({0}) Frau Kollegin Enkelmann, ich denke, Sie gestatten mir, daß ich trotzdem noch einiges an Aufklärungsarbeit leiste. Der Bundesfernstraßenhaushalt 1993 beläuft sich auf 4,5 Milliarden DM für die jungen Bundesländer und 6,9 Milliarden DM für die westdeutschen Bundesländer. Das hat seine Ursache schlicht und einfach darin, daß wir mit dem beschleunigten Planungsrecht in den jungen Bundesländern eben nicht - wie es der Kollege Feige dargestellt hat - sofort eine wildgewordene Betonpolitik realisieren, sondern mit Planungszeiten von etwa drei bis fünf Jahren die Projekte vorbereiten müssen, so daß der Anteil an Neubauten in den jungen Bundesländern wesentlich geringer ist und wir uns gegenwärtig vor allem darauf konzentrieren, den Ausbau des vorhandenen Fernstraßennetzes - Stichwort: Deckenerneuerung - deutlich voranzutreiben. Ich möchte noch eine andere Unklarheit beseitigen. Ich meine, es dient nicht der Glaubwürdigkeit der Politik, wenn wir permanent unterschiedliche Früchte in der Verkehrspolitik miteinander vergleichen. Realität ist, daß man in einem Haushaltsansatz für ein Jahr eine Verkehrspolitik, die in vierzig Jahren 150 000 km Straßen, aber nur 600 km Schiene neu gebaut hat, nicht auf einen Schlag verändern kann. Für einen Ingenieur läßt sich das relativ einfach begründen: Das vorhandene System muß gewartet und gepflegt werden. Der größte Anteil an den 8,86 Milliarden DM, die für den Straßenbau vorgesehen sind, gehen nicht in den Ausbau, sondern in die Sanierung und Erhaltung vorhandener Strecken. Stichwort: Brückenbauwerke. Die Wahrheit ist - Herr Kollege Daubertshäuser, das ist die Realität, und hier können wir die Dinge wirklich miteinander vergleichen -, daß es uns in diesem Haushalt - wie übrigens schon im Jahre 1992 - gelungen ist, mit dem Ausbau und Neubau der Bundesfernstraßen um 50 Millionen DM unter dem Ansatz für Aus- und Neubau der Eisenbahnstrecken zu liegen. Wir liegen also deutlich darunter. Es gibt noch einen zweiten Punkt. Ich finde, wir sollten ihn nicht schäbig herunterreden. Zur Zeit ist die Deutsche Reichsbahn anerkanntermaßen die größte Baustelle in Europa. Das finanziert diese Bundesregierung. Wir nehmen die Chance eines vernünftigen verkehrspolitischen Neuanfangs wahr, ohne sehr viele Bundesverkehrswegepläne - die in den letzten Jahren in Westdeutschland zu zuvielen Straßen geführt haben - in den jungen Bundesländern tätig zu werden. ({1}) Ich bin sehr dankbar, daß wir in den jungen Bundesländern auf diese Weise viel gestalten können. Übrigens ist interessant, daß sich die Ausgaben nach den Wirtschaftsplänen - nicht nur für die Aus- und Neubauten, die im Bundeshaushalt ausgewiesen sind - immerhin auf 10 Milliarden DM bei der Deutschen Reichsbahn summieren. Deshalb ist sie ja die größte Baustelle in Europa. Es ist vielleicht noch wichtig, darauf zu verweisen, daß allein über den Bundesverkehrshaushalt voraussichtlich über 300 000 Menschen Lohn und Brot finden. Ich möchte einen besonderen Schwerpunkt darauf legen, diesen Etat bei der Haushaltsberatung in die gesamte Verkehrspolitik einzuordnen. Wir gehen davon aus - ich denke, das hat die kollegiale Zusammenarbeit mit den Berichterstattern aller Fraktionen ausgemacht, für die ich mich aufrichtig bedanke -, daß wir mit diesem Haushalt eine verkehrspolitische Wende einleiten. Wir müssen alle miteinander in den nächsten Jahren unser Verhalten deutlich ändern. Es wird nicht mehr funktionieren, Mobilität ausschließlich über das Auto zu gewinnen, sondern wir müssen verstärkt andere Verkehrsmittel nutzen. Das ist ein Stufenprozeß, ein schrittweises Vorgehen. Vier Reformen müssen wir deshalb in dieser Legislaturperiode durchsetzen. Ich bitte Sie dabei um Unterstützung. Das eine ist die Bahnreform. Ich möchte darauf heute aber nicht im einzelnen eingehen. Entscheidend ist, daß es in den vergangenen Jahren zwei Versuche gegeben hat, die Deutsche Bundesbahn zu sanieren. Der eine Versuch war in den 70er Jahren. Damals wollte man die Verwaltung durch sehr grobe Streckenstillegungen sanieren. Das ist nicht gelungen. Das sollten wir feststellen. Beim zweiten Versuch in den 80er Jahren wollte man die Nettokreditaufnahme der Bahn herunterfahren und ist in die Beschäftigung gegangen. Es hat ähnliche Probleme wie in den 70er Jahren gegeben. Diese beiden Ansätze sind also unbrauchbar. Wir müssen daher den Weg in ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen finden. Für mich ist bei der Bahnreform elementar und wichtig, daß die Zielsetzung Trennung von Fahrweg und Betrieb nicht von heute auf morgen realisiert werden kann. Es muß aber Wettbewerb auf der Schiene geben, um den Sanierungsprozeß zu beschleunigen. Durch die Bahnreform werden wir erreichen - diese Zusage kann heute gegeben werden; ich hoffe, daß ich das nach 1994 noch in meinem Amt belegen kann -, daß die Wachstumsbremsen bei der Bahn wegfallen, damit die Eisenbahn stärkere Zuwächse bekommt als der Verkehr insgesamt. Die zweite Reform betrifft das Planungsrecht. Hier möchte ich darum werben, die Gesetzentwürfe zuerst genau zu studieren und nicht gleich demagogisch über sie zu reden. Herr Kollege Feige, zwischen 80 % und 90 % der Bevölkerung stimmen der A 20 in Mecklenburg-Vorpommern zu. Wenn das auch 1994 so bleibt, so haben sich die Investitionen gelohnt, und unsere Arbeit hier im Bundestag war erfolgreich. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Natürlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sprechen von der Reform des Planungsrechts. Nun planen wir eine Strecke zwischen Dortmund, Kassel und Dresden. Wir hören zu unserem Erstaunen, daß die Planungen eingestellt, gestoppt, verlagert werden. Man ist sehr verunsichert, daß die großen. wirtschaftlichen Räume nicht über die Eisenbahn zusammengeführt werden können. Wovon kann man nun ausgehen? Nachdem das Parlament die Entscheidung für den Ausbau dieser Strecke in der letzten Legislaturperiode getroffen hat, sind wir alle sehr daran interessiert, wie es in dieser Frage weitergeht, damit diese Relation realisiert werden kann.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Herr Kollege, ich kann Ihnen jetzt nicht im Einzelfall die Ursache für das eventuelle Stoppen dieser Planungsarbeiten vortragen. Ich gehe davon aus, daß diese Planungsarbeiten vielleicht deshalb gestoppt worden sind, weil wir uns im Bundesverkehrswegeplan über diese Strecke noch nicht einig sind. Dies könnte eine Ursache sein. Ich würde Ihnen aber empfehlen, daß Sie diesen Sachverhalt vielleicht in einem Brief an mich ganz konkret darstellen, und ich würde dann bei der Bahnverwaltung den Versuch unternehmen, mich darüber zu informieren. Ich bekomme im Regelfall von solchen Briefen 30 bis 40 Stück pro Tag, und ich denke, daß die Verwaltung meines Hauses Ihnen dann eine klare Antwort erarbeiten kann.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage? Bitte schön.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich werde das rot ankreuzen, damit Sie wissen, daß es ein dringendes Problem ist. Aus den 30 Briefen können Sie das dann auswählen. ({0}) Wir planen und bauen diese Strecke ja schon. Es ist also kein Problem des Bundesverkehrswegeplanes ({1}), sondern es ist in der Tat so, daß wohl Unternehmen in der Bundesrepublik die Bundesbahn mit der Ausschreibung über den Tisch ziehen wollten. ({2}) Ich frage Sie: Sind Sie daran interessiert, und werden Sie uns unterstützen, den Ausbau dieser Strecke möglichst schnell vorzunehmen? ({3})

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als Fachminister sind zwar bemüht, möglichst viele Details im Kopf zu haben, und ich erinnere mich jetzt an den konkreten Vorgang. Ich will auch das Parlament gern darüber aufklären. Allerdings ist das bei den vielen tausend Investitionsobjekten nicht in jedem Einzelfall möglich. Ich habe mich vorgestern mit dem Problem persönlich befassen müssen. Es ist in der Tat so, daß versucht worden ist, die Verwaltung der Bahn durch ungünstige Angebote - wenn man so will, ist dieser Begriff gerechtfertigt - zu schädigen, und die Entscheidung der Bahn, die jetzt zunehmend unternehmerisch denkt, war natürlich genau richtig, angesichts der Angebote der Bauwirtschaft, die bei entsprechenden Preis-LeistungsVerhältnissen eine Überteuerung ausmachen, eine erneute Ausschreibung mit dem Ziel durchzuführen, daß möglichst schnell, aber billiger weitergebaut wird. Genau dies ist das Ziel: daß preiswerter gebaut wird - nicht billiger! Sonst könnte Herr Feige gleich wieder denken, es gehe um eine Ükologieeinsparung. Genau dies ist das Ziel der Bahnreform, wenn ich das einmal sagen darf.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, wenn Sie die Freundlichkeit haben würden, eine Kopie des Briefes an den Kollegen Urbaniak auch den Abgeordneten Müntefering, Tillmann und Cronenberg zuzuschicken, wäre ich Ihnen sehr verbunden.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Herr Präsident, ich werde natürlich gern dieser Aufforderung nachkommen; aber ich möchte zum Stichwort Bahnreform, wenn Sie das gestatten, an dieser Stelle wirklich gern noch bemerken, daß dies eigentlich ein gutes Beispiel dafür war, wie notwendig die Bahnreform ist, damit von Wirtschaftsunternehmen zu Wirtschaftsunternehmen wesentlich mehr Steuergelder eingespart werden können. Obwohl natürlich alle Verwaltungen und alle Beamten aufrichtig und ehrlich arbeiten, meine ich, daß vielleicht - ich kann es nicht bewerten - das nächste Parlament in Berlin mit Hilfe der Privatfinanzierung neugebaut werden sollte und nicht über die Verwaltung. Aber darüber entscheiden wir ja vielleicht ein andermal. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Planungsrecht zurückkommen. Ich meine, hier muß man offen und ehrlich formulieren, daß die 600 Streckenkilometer in den Planungen natürlich fehlerhaft waren und strafverschärfend hinzukommt, daß die durchschnittliche Planungszeit in Deutschland West bei 15 bis 20 Jahren liegt. Wir können also unmöglich eine Bahnreform durchführen, ohne parallel dazu das Planungsrecht in überschaubare Zeiträume zu verlagern. Unser Ziel ist nicht, Bürgerbeteiligung und Umweltschutz abzubauen, sondern unser Ziel ist, berechenbare Zeiträume für Planungsaufgaben vorzuhalten. Deshalb werden wir, um die Verkehrspolitik vorrangig in Ordnung zu bringen und um gerade umweltgerechteren Verkehrsträgern sehr schnell eine Chance zu geben, das neue Planungsrecht benötigen. Ich möchte auf eine dritte unbedingt notwendige Reform zu sprechen kommen. Wir werden nicht umhin kommen, Privatfinanzierungsmodelle und Gebührenmodelle zu diskutieren - Privatfinanzierungsmodelle natürlich, um uns das Leben im Bundeshaushalt insgesamt einfacher zu machen. Ich hatte gerade gestern abend bzw. gestern nacht die Möglichkeit, dieses Problem mit meinem französischen Kollegen im Detail zu besprechen. Es ist schlicht und einfach so, daß im französischen Haushalt weniger als 50 % der Finanzierung für die eigentlichen Bauleistungen für Bundesfernstraßen bzw. Autobahnen in Frankreich über Steuergelder und Nettokreditaufnahmen getätigt werden. Dies ist doch ein Trend. Es wäre doch ein Weg, wenn wir uns endlich dazu bekennen würden, Haushaltssanierung in Deutschland durch drei Elemente zu erreichen: durch Subventionsabbau, durch Umschichtung natürlich, aber auch durch Privatisierung von Aufgaben, die sozialisiert über 40 Jahre zwar schick vom Staat realisiert worden sind, die wir uns aber so sozialisiert in den nächsten Jahren nicht mehr leisten können, wenn wir vor allem das Problem und die Aufgabe der deutschen Einheit lösen wollen. ({1}) Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Lassen Sie mich zu einer weiteren wichtigen Reform kommen, das ist die Reform in Richtung auf Fiskalharmonisierung. Hier habe ich mir extra auf die heutige Beratung hin einige Unterlagen besorgt, um die umweltfreundliche Politik dieser Bundesregierung im Bereich der Mineralölsteuern der letzten fünf Jahre einmal deutlich darzustellen. Die Mineralölsteuern sind von 1987 auf 1991 bei unverbleitem Benzin um 74 % gestiegen. ({2}) - Entschuldigen Sie, wir reden doch von der Belastung des Bürgers zugunsten des Umweltschutzes, und ich glaube, es ist richtig, darauf hinzuweisen, daß der erste, der vom Umweltschutz sprach, der Kollege Bohlsen unter den Berichterstattern war. Wir haben die Umweltpolitik wirklich zu unserem Markenzeichen gemacht. Wir haben beim verbleiten Benzin einen Zuwachs um 73 %; wir sind heute bei 92 Pf pro Liter, waren 1987 bei 53 Pf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein entscheidender Punkt zur Konsolidierung unserer Eisenbahn wird sein, eine Straßenbenutzungsgebühr für Autobahnen vorrangig einzuführen. Wenn wir diesen Trend weiter verfolgen, dem deutschen Steuerzahler mit permanenten Mineralölsteuererhöhungen in die Tasche zu greifen, werden wir vor allem die ausländischen Lkw-Verkehre durch unser Land noch weiter subventionieren. Die erschreckende Tatsache, die dargestellt worden ist, daß die Bahn gegenwärtig sehr, sehr viel Güterverkehr verliert, ist genau auf diesen Sachverhalt zurückzuführen. Letztendlich ist es normal, daß man durch Europa - und damit durch Deutschland - mit einem vollgetankten Lkw fährt, und die Theorie, die Mineralölsteuererhöhung könne alles tun, läßt sich ganz einfach ad absurdum führen. Wir haben heute in Luxemburg einen Mineralölsteuersatz für Diesel von 30 Pfennig und in Italien von 88 Pfennig, und dazwischen liegen wir, natürlich im oberen Drittel, weil wir immer Musterschüler sind. Die Frage, die sich stellt, ist die, wie wir mit einer solchen Straßenbenutzungsgebühr - zuerst - unseren engen, unseren sehr engen Verkehrsraum vermarkten und wie wir im zweiten Schritt eine streckenbezogene Gebühr auch für die deutschen Autobahnen einführen. Die Frage darf nicht entstehen, ob wir von unserem Bahnreformentwurf abgehen und Nutzungsgebühren für die Eisenbahn wieder einstellen. Dann würden wir von einem vernünftigen marktwirtschaftlichen Weg weggehen und würden eher gegen Verkehrsvermeidungsstrategien reden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, der Abgeordnete Dr. Feige möchte Ihnen eine Frage stellen.

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Es ist mir ein besonderes Vergnügen; denn ich habe meistens die Möglichkeit, mich für Bauprojekte in Mecklenburg einzusetzen, während Herr Feige gegen etwas in Mecklenburg opponiert! ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Also, Herr Dr. Feige, dann verschaffen Sie dem Minister das Vergnügen.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesverkehrsminister, widersprechen Sie damit den Vorstellungen von Herrn Möllemann, die er vor wenigen Tagen geäußert hat, daß eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer für den Umweltschutz notwendig und dringend geboten ist?

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Ich werde den Auffassungen des Herrn Möllemann nicht widersprechen; ich lege bloß dar, daß nicht nur aus der Sicht der Verantwortung des Verkehrsministers für die Organisation vernünftiger Verkehre - wir hatten die Diskussion mit der Kollegin Enkelmann -, sondern auch aus der Sicht, daß wir die Eisenbahn fördern wollen, das althergebrachte Bild, Deutschland sei eine Käseglocke und wir könnten weiter so tun, als könnten wir mit der Käseglocketheorie „Mineralölsteuererhöhung" alles erledigen, absolut falsch ist; das habe ich Ihnen nachzuweisen versucht. Das führt nämlich zu den Situationen - und die möchte ich hier schildern -, daß Züge, die aus Osteuropa kommen, an der deutsch-polnischen Grenze stoppen und daß an der deutsch-polnischen Grenze von Zügen auf Lkw umgeladen wird, weil der Bürger im Lande auf Grund der 74prozentigen bzw. 73prozentigen Zuwachsrate bei der Mineralölsteuer in den letzten fünf Jahren heute genötigt ist, diese Subventionierung vor allem des internationalen Lkw-Verkehrs durch Deutschland zu bezahlen. Ich meine, wir sollten in unserem Haushalt auch an dieser Stelle Subventionen abbauen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Kollege Feige, Sie wollen eine Zwischenfrage stellen? - Bitte.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, anerkennen Sie denn wenigstens dieses als eine zusätzliche Möglichkeit, den ökologischen Vorhaben, die Sie für die Verkehrspolitik als Markenzeichen signalisiert haben, nachzukommen?

Dr. Günther Krause (Minister:in)

Politiker ID: 11001203

Ich gehöre zu den Menschen, die lieber step by step vorgehen, als nur über etwas zu reden. Ich denke, ich konnte in den letzten zwei Jahren mit meinem Politikansatz nachweisen, daß Verkehrspolitik - mit dem Grundkonzept des Bundesverkehrswegeplanes und der entsprechenden Reform, in Schritten gedacht - auch wirklich nachvollziehbar ist. Eine Mineralölsteuererhöhung in der jetzigen Situation - das will ich deutlich sagen - kann ich weder aus der Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland noch auf Grund der Gefahren, denen Deutschland als Dienstleister im Verkehr in den nächsten Monaten ausgesetzt sein wird, verstehen. Allerdings gehe ich da von einem naturwissenschaftlich-intellektuellen Ansatz aus. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Bundeshaushalt 1993 leisten wir einen guten Ansatz, um unseren verkehrspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden, und um vor allem die Standortsicherungen in den jungen Bundesländern zu gewährleisten. Da die Autobahnen und der Verkehrswegebau in den jungen Bundesländern angesprochen wurden, möchte ich hier doch noch einmal deutlich sagen: Neben Briefen, die sich auf einzelne Bauvorhaben beziehen, sind bei mir auch sehr viele Anfragen von potentiellen Investoren und zunehmend auch von solchen ostdeutschen Bürgern eingegangen, die ihren Handwerksbetrieb zu einem mittelständischen Unternehmen ausbauen wollen. Die Argumentation, daß eine Autobahn von Rostock nach Lübeck ausschließlich in ihrer Funktion als Fahrweg benutzt wird, ist deshalb nicht überzeugend, weil man darüber hinaus z. B. auch Produkte, die in Rostock erzeugt werden, viel kostengünstiger - und damit auch mit wesentlich geringeren Lohnstückkosten - nach Lübeck transportieren kann. Vergessen Sie im übrigen nicht, daß es natürlich ein Witz ist, Herr Feige, wenn gesagt wird, ich setzte mich in Mecklenburg-Vorpommern für die Kürzung einer Investition ein. Sie müßten eigentlich davon ausgehen, daß „BMV" auch „Bundesministerium Mecklenburg-Vorpommern" heißt. ({1}) Also wird der Schienenweg von Lübeck nach Stralsund natürlich zweispurig ausgebaut, wie das Bundeskabinett es schon im Februar 1991 beschlossen hat. Vielen Dank.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Einzelplan 12 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz - Drucksachen 12/3507, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Thea Bock Dr. Wolfgang Weng ({0}) Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksachen 12/3519, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Dr. Wolfgang Weng ({1}) Hans Georg Wagner Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Debatte und gebe zunächst dem Abgeordneten Dr. Hans de With das Wort.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1991 waren es drei Menschen, die Fremdenhaß und rassistischen Krawallen zum Opfer fielen. In diesem Jahr sind es, wie wir wissen, schon 16. Die tödliche Chronik allein für diesen Monat liest sich nach einer Agenturmeldung - ich zitiere - so: 12. November: Zwei Skinheads treten in Wuppertal nach einem Streit einen arbeitslosen Metzger zu Tode und stecken ihn in Brand. 21. November: Ein vermutlich Rechtsradikaler ersticht in BerlinMarzahn einen Jugendlichen aus der Hausbesetzerszene. 23. November: In Mölln sterben zwei türkische Frauen und ein türkisches Mädchen bei einem Brandanschlag auf ihr Haus. Unmittelbar nach dem Anschlag geht ein Anruf bei der Feuerwehr mit nationalsozialistischen Parolen ein. Hinzu kommt der 24. November: In Bad Salzuflen wird ein Türke von maskierten jungen Männern zusammengeschlagen und mit einem Messer schwer verletzt. Es wird kaum mehr davon Kenntnis genommen. Wir können von Glück reden, daß er noch lebt. Und vor fast genau zwei Jahren hatte es begonnen: Skinheads in Eberswalde erschlugen einen Mann aus Angola. Ortsnamen sind inzwischen Fanale einer neuen rechtsradikalen Gewaltseuche: Hoyerswerda, Quedlinburg, Rostock und jetzt Mölln. Seit mehr als einem Jahr brennt es in Deutschland beinahe jede Nacht. Brutale Gewalt, Fremdenhaß, aber auch ohnmächtige Wut gehen um. Wir müssen sagen, was ist. Jeden Tag muß das öffentliche Bewußtsein geschärft und der Letzte aufgerüttelt werden. Und natürlich ist es gut, daß in Mölln der Generalbundesanwalt eingeschritten ist. Ich füge hinzu: im ganzen erst zum zweitenmal gegen den Rechtsradikalismus. Es muß rasch, es muß rascher ermittelt werden. Die Strafrahmen sind keineswegs ausgeschöpft worden. Auch wenn ich es hier immer wiederhole und es vielen bekannt ist, es muß immer und immer wieder gesagt werden: Wer Brandsätze in bewohnte Häuser wirft, begeht einen Mordversuch, mindestens einen Totschlagsversuch. ({0}) Das sind - bei Gott - keine derben Streiche. Das sind schwerste Verbrechen, die uns vom Dritten Reich Gebrannten die Schamröte ins Gesicht treiben. Es geht auch nicht an - und das ist nicht minder wichtig -, daß die Rechtsextremen mit Hakenkreuzfahnen, mit dem Hitler- oder dem sogenannten Kühnen-Gruß durch die Straßen marschieren, auf den Mattscheiben erscheinen und bei allem oder vielem unbehelligt bleiben. Ebensowenig kann hingenommen werden, daß Zeugen, wenn sie aus einem Gerichtsgebäude ziehen und Hitler-Parolen rufen, nicht strafrechtlich verfolgt werden, noch dazu, wenn sie aus einem Prozeß gegen Rechtsradikale kommen. In der „Schweriner Volkszeitung" - ich sage das nicht von ungefähr - vom 14. November heißt es z. B. - ich zitiere wörtlich -: Sie machten draußen ihrem Ärger Luft. Das Lied „SA marschiert" singend und „Heil Hitler!" rufend zogen sie vom Justizgebäude durch die Breitscheidstraße in Richtung Platz der Freiheit in eine Gaststätte. Was sie taten, steht unter Strafe. Wir können nur hoffen, daß sie tatsächlich wirklich nachdrücklich verfolgt werden. Denn das ist das Unterfutter, auf dem blanker Terror wächst und gewachsen ist. Nur - und das sage ich auch -: Hier sind nicht nur Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte aufgerufen, sondern ebenso auch Justizminister- und Innenministerkonferenzen. Gefragt sind auch Kultusministerkonferenzen und vor allem Erzieher, Eltern und auch wir Älteren, die wir in unseren Kindertagen dies alles schon einmal erlebt haben. Unsere Gesellschaft ist gefordert. Das Toleranzgebot darf nirgendwo - aber auch wirklich nirgendwo - ein Fremdwort sein. Gewiß, wir sind uns über alle Parteigrenzen hinweg im Grunde einig; Gott sei Dank! Nur sollten wir uns nicht kleinlich parteipolitisch beharken mit Vorwürfen wegen fehlender oder verfehlter Gesetzesänderungen hier oder dort. Wir Sozialdemokraten sind zu jedem Gespräch, zu jeder Mitarbeit bereit, auch - Hans-Ulrich Klose hat das gestern schon gesagt - zur Überprüfung des Gesetzesinstrumentariums. Letztlich geht es zudem um den Erhalt des Gewaltmonopols des demokratischen Staates. Die Weimarer Republik ging auch deshalb unter, weil der Staat das Hochschaukeln des Sich-gegenseitig-Bewaffnens nicht hindern konnte und die Autorität des Staates unter den Schmährufen der Rechten versunken ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Justizetat gibt für beckmesserische Buchhalterei gemeinhin nichts her. Er ist klein, gemessen an den Haushalten anderer Ministerien, und auch diesmal wieder traditionell sparsam angelegt. Ich nehme bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit wahr, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der Justiz herzlich Dank zu sagen. ({1}) Das gilt für die Überstunden, um das einmal zu sagen, zugunsten der neuen Länder genauso wie für das stete Ausharren im Rechtsausschuß, das sie oft hinnehmen mußten. Die Ministerin kann ich allerdings nicht ganz ungeschoren davonkommen lassen. Auch Sie haben, was ich seit Jahren gegenüber Ihren beiden Vorgängern gesagt habe, noch immer keinen Gesetzentwurf zur Bestrafung der Vergewaltigung auch in der Ehe eingebracht, verbunden mit den erforderlichen Änderungen bei den dazu gehörenden Sexualdelikten; für mich eigentlich nicht verständlich. ({2}) Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wie steht es eigentlich mit der Reform des Kindschaftsrechtes? Im Grunde hat der Juristentag in Hannover vor wenigen Wochen dazu schon ein gut Teil an Hausarbeiten geleistet. Wir werden am Dienstag - davon gehe ich aus - einen entsprechenden Antrag in unserer Fraktion beschließen. Das sind Defizite, die Sie sich mit anrechnen lassen müssen. Auf der anderen Seite haben Sie als Verantwortliche für das Justizressort - jetzt kommt es etwas dicker - es hinnehmen müssen, daß die Koalitionsfraktionen Ihnen in der letzten Sitzungswoche ein Gesetz zur Verlängerung der unseligen Kronzeugenregelung - ich kann es wohl nicht anders sagen - aufgedrückt haben, und zwar mit dem Ziel, dieses noch in dieser Woche durch das Parlament zu peitschen, um das Auslaufen des Gesetzes zum 31. Dezember dieses Jahres doch noch aufzufangen, zu verhindern. Wir Sozialdemokraten haben dazu gestern im Rechtsausschuß ein Anhörungsverfahren beantragt, weil es einfach nicht angeht, daß dieses höchst umstrittene Gesetz ohne öffentliche Bewertung mit einem bloßen Federstrich verlängert und innerhalb von nur 14 Tagen durch den Bundestag gejagt wird. ({3}) Diese Verfahrensweise ist in der Tat eine Zumutung. Hatten Sie, Frau Ministerin, zu der Verlängerung der Kronzeugenregelung noch am 6. November nein gesagt, so haben wir nichts von Ihnen zu der Frage gehört, ob denn nicht endlich anstelle der 0,8Promille-Regelung in den alten Ländern eine 0,5Promille-Regelung mit Fahrverbot bei Alkoholgenuß für ganz Deutschland eingeführt werden soll. ({4}) Bis zum 31. Dezember gilt in den neuen Ländern noch die sogenannte 0,0-Promille-Regelung, in den alten, wie erwähnt, noch die 0,8-Promille-Bestimmung. Es liegen Anträge der SPD und des Bundesrates zur Vereinheitlichung - jetzt inzwischen auch einer zur Verlängerung - vor. Ich frage Sie: Warum schweigen Sie hierzu, Frau Ministerin? Wir wissen, wieviel tödliche Verkehrsunfälle durch Alkoholgenuß verursacht werden und in welchem hohen Maße der Alkoholgenuß bei Verkehrsunfällen mitspielt. Es ist furchtbar, und es ist jede Maßnahme gerechtfertigt, den Versuch zu unternehmen, den Alkoholgenuß herunterzudrücken. ({5}) Hat bei Ihnen vielleicht die CSU zu sehr gedrückt? ({6}) - Wenn Sie nein sagen, um so besser; dann sagen Sie gleich, was Sie wollen, und stimmen Sie dem, was ich ausgeführt habe, zu. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien haben eine Ewigkeit gebraucht, um ein Gesetz zur Bestrafung der Geldwäsche einzubringen. Es ist inzwischen verabschiedet. Nur, das dazu gehörende Gewinnaufspürungsgesetz steht noch immer nicht im Bundesgesetzblatt. Ich will zwar zugeben, daß das Bundesministerium der Justiz hier nicht federführend zuständig ist. Aber es ist die Bundesregierung mit der Bundesministerin der Justiz, die hier aus übertriebener Angst vor den Banken nicht bereit war, die Registrierungsschwelle für Bankabhebungen entsprechend zu senken, und damit das Inkrafttreten des Gesetzes erheblich verzögerte. ({7}) - Diesen Eindruck muß ich haben. - Was wir Ihnen mühsam abzutrotzen versuchen, ist in den Vereinigten Staaten, dem, wie man sagt, kapitalistischen Staat der Erde schlechthin, seit Jahren Gesetz und damit längst zur Bekämpfung der Drogenkriminalität wirksam. Defizite gibt es auch im Bereich des Umweltstrafrechts. Insbesondere die Anhörung des Rechtsausschusses in Weimar hat dies erneut belegt. Ich erinnere an die Nuklearstraftatbestände. Diese müssen verbessert werden, der Art nach und was den Strafrahmen anlangt. Denn auch bei uns müssen wir erkennen, daß sogenannte Nuklearstrafdelikte nicht mehr selten sind. Im Bereich des Strafrechts waren Sie, Frau Ministerin, in einem anderen Feld sonderbar zögerlich. Wir hatten vor Jahr und Tag eine Große Anfrage zur Meinung der Bundesregierung über unser Sanktionenrecht eingebracht, also zur Frage, ob die Strafarten und Strafmaße noch unserer Zeit entsprechen. Das Kabinett hat die Antwort gerade erst beschlossen. Inzwischen haben wir eine weitere Große Anfrage zur sogenannten Massenkriminalität eingebracht. Ich frage mich, ob die Antwort hier erneut ähnlich lange dauert. Es geht mir nicht um die Förmlichkeiten der Behandlung einer Parlamentsanfrage, obwohl man auch darüber rechten könnte. Es geht darum, daß die Öffentlichkeit merkt, daß die in letzter Zeit enorm gestiegene Massenkriminalität - vom Autodiebstahl über den Hauseinbruch bis zum Straßenraub - energischer und besser bekämpft wird. Ich kündige schon jetzt an, daß wir im nächsten Jahr eine weitere Große Anfrage einbringen werden, nämlich eine zur Schwerkriminalität. Nicht nur Umfragen bestätigen: Bei den Besorgnissen der Bürger über die Zunahme der Kriminalität spielt die Angst, selbst Opfer zu werden, eine zunehmend wichtige Rolle. Weil ich gerade vom Autodiebstahl gesprochen habe, will ich noch folgendes sagen. Sie konnten der gestrigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung" entnehmen, daß im Jahre 1991 Autos im Wert von 850 Millionen DM gestohlen worden sind und daß es im Jahre 1992 sehr wahrscheinlich 1,2 Milliarden DM werden. Das ist ein ganz enormer Anstieg. Dabei wissen wir aus Veröffentlichungen, daß es sehr wahrscheinlich möglich ist, mit einem Aufwand von nur etwa 200 DM einen Autodiebstahl besser als bisher zu verhindern oder auf jeden Fall sehr erheblich zu erschweren. Aber ich muß Sie fragen: Warum haben Sie noch nicht dafür gesorgt, daß es zu einer entsprechenden Änderung mit einer Auflage in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung kam? Ist Ihnen das gleichgültig? Dazu bedarf es keiner großen Kraftanstrengung; aber geschehen ist nichts. Ich nenne aber noch eine Reihe anderer Defizite. Wann endlich kommt das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, also die Möglichkeit, vom SEDRegime durch Verwaltungsunrecht und im Bereich des beruflichen Fortkommens geschädigte Bürgerinnen und Bürger der vormaligen DDR zu rehabilitieren? Und wie steht es mit dem schon lange angemahnten Entschädigungsgesetz? Solange ein früherer Hausbesitzer in den neuen Ländern nicht weiß, welche Entschädigung er für sein Haus bekommt, das er jetzt dem Staat überläßt, wird er es ewig vorziehen, zu sagen „Ich will das Haus", und darum kämpfen. Das wird auf der anderen Seite zur Folge haben, daß jemand, der investieren will und um ein Grundstück nachsucht, es schwerer haben wird, weil er weiß, da ist einer, der um sein Grundstück kämpft. Das heißt: Das Fehlen eines solchen Entschädigungsgesetzes bedeutet indirekt, daß der Aufschwung Ost erheblich verzögert wird. Wie steht es mit der weiteren Bekämpfung der „Umwandlungsseuche" - so muß ich es wohl nennen -, der Lust Kapitalkräftiger, preisgünstige Mietwohnungen in luxussanierte Eigentumswohnungen umzuwandeln, um die Altmieter hinauszuekeln? Wir denken dabei aber nicht nur an München oder Berlin, sondern das findet auch schon in Mittelstädten statt. Die entsprechenden Gesetzentwürfe von uns liegen vor; aber die Bundesregierung - das hat wieder die letzte Rechtsausschußsitzung vom Mittwoch dieser Woche bewiesen - hat dabei offenbar überhaupt keine Eile. Sie haben, Frau Ministerin, in der ersten Lesung des Haushalts - gewissermaßen als Einstandsrede - in einem längeren Exkurs von der Notwendigkeit der Bewahrung der Grundrechte und der Sicherung der Freiheitsrechte gesprochen und dabei besonnenes Handeln gefordert - ich zitiere Sie -, „das die Balance von Freiheit des Bürgers auf der einen und Schutz des Bürgers vor Mißständen und Gewalt auf der anderen Seite nicht einseitig zu Lasten der Freiheit des Bürgers verschiebt". Das hat uns gut gefallen, sage ich unumwunden. Dafür stehen wir. Nur: Dafür muß man auch kämpfen, auch in einer Bundesregierung. Wenn der Bundesminister der Verteidigung plötzlich davon spricht, daß er durch ein einfaches Gesetz den Kampfeinsatz deutscher Zerstörer in der Adria bei der Blockade Restjugoslawiens erlauben will - er hat es gestern abend erstaunlicherweise ein klein wenig relativiert -, und der Bundesminister des Auswärtigen, Ihr Vorgänger, mit dem Hinweis widerspricht, dies gehe ohne eine Grundgesetzänderung nicht, was auch unser Standpunkt ist, frage ich: Warum schweigen Sie dazu? Für eine Antwort wären wir dankbar. ({8}) Die Justiz und die Rechtspolitik finden sich nur selten in den Schlagzeilen, sie sind Tagesgeschäft. Rechtsstaatlichkeit ist eine Daueraufgabe und eignet sich nicht zur Effekthascherei. Nicht selten müssen wir mangelndes Verständnis und noch mehr Unpopularität über uns ergehen lassen, um rechtsstaatliches Bewußtsein als Grundvoraussetzung für Gerechtigkeit entwickeln zu helfen. Da lesen wir zum Honekker-Prozeß: Schon zwei Angeklagte ausgeschieden! Wird der Prozeß zur Farce? - Und andere meinen, Honecker hätte man besser zu seiner Frau nach Chile fahren lassen sollen, da es ja ohnehin nicht zum Urteil komme oder gar mit einem Freispruch zu rechnen sei. Hier kann ich mit allem Ernst nur feststellen: Erstens. Es handelt sich nicht um einen sogenannten politischen Prozeß, sondern um die Anklage gegen einen Mann, der dringend bzw. hinreichend des mehrfachen Totschlags verdächtig ist. Zweitens. Solange ein Angeklagter verhandlungs-und haftfähig ist, muß verhandelt und an der Untersuchungshaft - so die Voraussetzungen vorliegen - festgehalten werden, gleichgültig, ob es sich um einen früheren Staatsmann handelt oder nicht. ({9}) Drittens. Die Bundesregierung hat - und wir haben sie dabei stets unterstützt - richtig gehandelt, als sie alles in ihren Kräften Stehende tat, daß Honecker aus Moskau rückgeführt wurde, damit ihm hier der Prozeß gemacht werden konnte wie jedem anderen, der aus der Bundesrepublik geflüchtet war. Viertens und letztens. Staatsanwalt und Gericht können sich bei ihren Verfahrensschritten nicht danach richten, was der eine oder andere für opportun hält. Sie haben jeden Schritt danach auszurichten, was Gesetz und Recht verlangen. Und genau das tun unsere Richter in Berlin. Wir können ihnen nur den Rücken stärken. Vielen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Michael von Schmude.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn bei Ihnen, Herr de With, für Ihre Ausführungen bedanken, die Sie hier zu den schrecklichen Gewalttaten in unserem Land gemacht haben. Wir befinden uns hier in Gemeinsamkeit in der Beurteilung dieser Vorgänge. Nun gilt es, daß alle demokratischen Kräfte in unserem Land für den Grundsatz streiten, daß in unserem Land nie wieder Gewalt vor Recht gehen darf. ({0}) Aber es gilt jetzt natürlich auch, gemeinsam schnell die entsprechenden Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Übereinstimmung, meine Damen und Herren, gab es bei den Berichterstattern weitestgehend - fast vollständig - auch bei den Haushaltsberatungen zum Einzelplan 07. Zwar blieben die Sozialdemokraten ihrer alten Tradition treu und lehnten die Ansätze für die Wehrstrafgerichtsbarkeit ab, ({1}) aber - dies ist ja kein Novum - wir sind ihnen mit einer Kürzung dieser Ansätze ein bißchen entgegengekommen. ({2}) Selbst bei einer so schicksalsschweren Entscheidung, ob man etwa „sprachwissenschaftliche Begleituntersuchungen von maskulinen und femininen Personenbezeichnungen in der Rechtssprache" fördern sollte oder nicht, haben wir Einvernehmen erzielt. ({3}) Bei zunächst sehr unterschiedlichen Auffassungen von Frau Kollegin Bock einerseits und Kollegen Dr. Weng, immerhin Vorsitzender des Bundes liberaler Männer Deutschlands, andererseits ({4}) gelang es uns dann doch, den Haushaltsansatz von zunächst 100 000 auf 25 000 DM einvernehmlich zurückzuführen. Das Haushaltsvolumen des Einzelplans 07 liegt nunmehr bei 732,46 Millionen DM und entspricht mit seiner Steigerungsrate von 2,5 % genau den Eckwerten des Gesamthaushalts. Erfreulich ist auch die beachtliche Einnahmesteigerung von 301 Millionen auf 343 Millionen DM; denn damit erreicht dieser doch kleine und alles in allem recht bescheidene Haushalt einen Eigenfinanzierungsgrad von fast 50 %. Zurückzuführen ist diese Entwicklung u. a. auf einen starken Anstieg der Einnahmen beim Deutschen Patentamt. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, daß das Ministerium meiner langjährigen Forderung nachgekommen ist und einen Referentenentwurf zur Änderung des Gebührengesetzes beim Patentamt vorbereitet hat. Inhaltlich geht es um die von mir geforderte Einspruchsgebühr bei abgelehnten Anträgen. Dies wird nicht nur zu Mehreinnahmen führen, sondern vor allem zu einer entscheidenden Arbeitsentlastung. Diese Entwicklung haben wir auch schon beim Europäischen Patentamt in München festgestellt. ({5}) Eine Sorge haben wir im Bereich des Patentamtes hinsichtlich des starken Kostenanstiegs für die Ausbildung der Patentanwaltsbewerber. Immerhin stiegen die Kosten in den letzten drei Jahren von 1,2 Millionen auf 2,8 Millionen DM. Die Ursache liegt in dem geradezu inflationären Anstieg der Bewerber. Waren es vor drei Jahren noch 39, sind es jetzt bereits 93 Bewerber. Wir werden uns hier etwas überlegen müssen. Der Aufgabenbereich des Bundesjustizministers hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet. Wir haben dieser Tatsache durch einen Stellenzuwachs von rund 28 % Rechnung getragen. Quer durch das Haus sind Ausgabenzuwächse durch die Wiedervereinigung entstanden. Eine neue Abteilung mit 19 Planstellen, die sich ausschließlich um einigungsbedingte Fragen kümmert, ist eingerichtet worden. So haben wir denn angesichts begrenzter Personalressourcen auch Aufgabenverschiebungen für einen bestimmten Zeitraum hinzunehmen. So sind die Aufwendungen für die Reformaufgaben im Justizbereich für das neue Jahr um 400 000 DM zurückgenommen worden. Bei der Erforschung und Erfassung von Rechtstatsachen gewinnen einigungsbedingte Themen an Gewicht. So stellen wir für Untersuchungen der Justiz in der ehemaligen DDR 120 000 DM und für Reformvorhaben auf dem Gebiet der Bereinigung von SED-Unrecht, Herr de With, weitere 50 000 DM zur Verfügung. Vor einem Jahr hatte ich hier in der Haushaltsdebatte vorgeschlagen, eine Wanderausstellung „Justiz in der DDR" einzurichten, um über Stellung, Struktur und Verhalten der Justiz im SED-Unrechtsstaat zu informieren. Vorbild ist dabei für mich die von uns seit Jahren bereits erfolgreich betriebene Ausstellung „Die Justiz im Nationalsozialismus". ({6}) - Herr Kollege Roth, diese Ausstellung sollten Sie sich vielleicht einmal anschauen. - Erstmals werden für die Ausstellung „Justiz im DDR-Staat" nunmehr 575 000 DM bereitgestellt; für die Folgejahre weitere 1,25 Millionen. Wir haben als Berichterstatter - quer durch die Fraktionen - das Geld durch Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt gemeinsam besorgt. Ich bin sicher, daß diese Ausstellung einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung des Justizunrechts in der früheren DDR leisten wird. Ebenfalls quer durch die Fraktionen haben wir vor mehr als einem Jahr die Einrichtung einer Tagungsstätte der Deutschen Richterakademie Trier in Schloß Wustrau, Brandenburg, begrüßt. Wir haben dafür im Haushalt 3 Millionen DM als Baukostenzuschuß und weitere 1,2 Millionen für laufende Kosten vorgesehen. Dieser Ansatz ist nach wie vor gesperrt, da mit den alten Bundesländern keine Übereinstimmung erzielt werden konnte, in welcher Form sie sich hier an der Mitfinanzierung beteiligen. Es ist geradezu entwürdigend, daß der Länderegoismus erneut ein so wichtiges Vorhaben blockiert. ({7}) Der Aus- und Fortbildungsbedarf der Richter in den neuen Ländern ist ausgesprochen groß und dringend, und es ist nicht einzusehen, daß die alten Länder nicht ihren Anteil - wie übrigens auch bei der Einrichtung in Trier - mittragen sollen. Der Bund kann sich nicht alle Lasten der Einheit von den Ländern aufdrängen lassen. ({8}) Einen erheblichen Mangel an Solidarität seitens der Länder haben wir auch festzustellen, wenn es um den Ausbau der Stiftung Europäische Rechtakademie in Trier geht. Nur wenige Länder sind bisher bereit, sich daran zu beteiligen. Wir haben im Bundeshaushalt einen Leertitel aufgenommen, um zu dokumentieren, daß wir gewillt sind, einen angemessenen Beitrag zu leisten, und zwar unter der Voraussetzung, daß sich die Länder beteiligen und daß ein tragbares Finanzierungskonzept gefunden wird. Bei einem so insgesamt doch übersichtlichen und zudem gut geführten Haus wie dem des Justizministeriums fällt es den Haushältern manchmal schon schwer, Herr Kollege Reddemann, noch Einsparmöglichkeiten zu finden. Wir haben bei der Unterrichtung der Bevölkerung allerdings feststellen müssen, daß bezüglich der Mietrechtsinformationen des Ministeriums keine Abstimmung mit dem Wohnungsbauministerium erfolgte, das ebenfalls eine Hochglanzbroschüre mit fast gleichem Inhalt verlegt hat. Wir müssen darauf bestehen, daß hier künftig Abstimmung zwischen den Häusern Platz greift.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr von Schmude, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering beantworten?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön, Herr Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Sie gerade, Herr Kollege, über den Wohnungsbau sprechen, frage ich Sie: Stimmen Sie der Forderung der Sozialdemokraten zu, daß im Bereich der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen schnell etwas passieren muß; und wie sehen Sie da das Handeln der Bundesregierung?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin der Meinung, wir müssen sehr schnell den Wohnungsbestand - soweit dies möglich ist - in den neuen Bundesländern privatisieren, damit durch Eigeninitiative und Privatgeld Wohnungen renoviert und saniert werden und wir damit nicht nur die Wohnraumsituation verbessern, sondern auch beschäftigungspolitische Impulse auslösen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Frage des Abgeordneten Müntefering.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe mich möglicherweise ein bißchen undeutlich ausgedrückt. Mir ging es um einen bestimmten Tatbestand, nämlich die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen - insbesondere in Westdeutschland - mit der Konsequenz, daß luxusmodernisiert wird und Mieter verdrängt werden. Wir meinen - ich denke, Sie auch -, es muß schnell etwas passieren. Aber die Koalition ist offensichtlich nicht handlungsfähig. Wie sehen Sie das als Sprecher der CDU/CSU?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe hier keinen direkten und akuten Handlungsbedarf, ({0}) weil wir Mieterschutzgesetze haben, die soweit gehen, daß sie auch die Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung für viele Jahre blockieren. Da gibt es keine Zugriffsmöglichkeit. Die Gerichtsurteile zeigen das ganz eindeutig. In den neuen Bundesländern ist der Kündigungsschutz noch stärker, noch mehr verbessert worden als bei uns. Ich sehe hier zur Zeit keinen Handlungsbedarf. ({1}) Wir haben bei den Haushaltsberatungen aber auch beanstandet, daß Instandsetzungsarbeiten an EDV-Anlagen, z. B. beim Bundeszentralregister in Berlin, mit Stundenlöhnen - hören Sie gut zu - von bis zu 786 DM z. B. an Sonn- und Feiertagen bezahlt werden mußten. Ich will heute noch nicht der Frage nachgehen, ob dieselbe Firma, die auch für unsere Mikrofonanlage im neuen Plenarsaal verantwortlich ist, für die Reparatur dieser Anlage etwa ähnliche Stundensätze berechnet oder ob das alles unter Gewährleistung läuft. Aber fest steht, daß sich der Bundesrechnungshof mit den Abrechnungssätzen dieser Firmen dringend beschäftigen muß; denn auch andere Ministerien haben Wartungsverträge abgeschlossen, die dieselben Stundensätze zugrunde legen. Hinter dem so harmlos klingenden Titel beim Kapitel 704 „Generalbundesanwalt, Verwaltungskostenerstattung an die Länder" - nunmehr 5 Millionen DM - verbindet sich u. a. die Erstattungsleistung des Bundes an die Länder für Häftlinge, die in Staatsschutzstrafsachen einsitzen. Zur Zeit handelt es sich um 87 Personen - 26 davon in Untersuchungs- und 61 davon in Strafhaft. Die Kosten für den Bund belaufen sich auf zur Zeit 2,7 Millionen DM jährlich, wobei allerdings die alten Bundesländer ganz beträchtliche Erhöhungen rückwirkend zum ersten Januar 1991 fordern. Wir haben vorsorglich dafür weitere 500 000 DM veranschlagt. Es liegt leider auf der Hand, daß gegen die Zunahme extremistischer Gewalttaten von rechts und auch von links in unserem Land voraussichtlich weitere Mittel in den nächsten Jahren bereitgestellt werden müssen. Als eine besondere Hilfe für die mittel- und osteuropäischen Staaten ist im Frühjahr dieses Jahres vom Bundesjustizministerium eine neue deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit ins Leben gerufen worden. Wir haben hierfür ganz erheblich Mittel, nämlich 6,4 Millionen DM, im Haushalt. Diese Mittel wurden allerdings teilweise mit einer Sperre belegt, weil das Konzept dieser Stiftung überarbeitet werden muß, damit sich der gute Zweck voll entfalten kann. Erhebliche personelle und auch finanzielle Kapazitäten sind im Justizhaushalt auch 1993 wieder für den Aufbau des einheitlichen Rechtsstaats in den neuen Bundesländern vorgesehen. Gleiches Recht gilt inzwischen in ganz Deutschland. Aber die Herstellung gleicher Rechtsverhältnisse braucht leider noch Zeit. Für den Aufbau des Rechtsstaats - insbesondere für die Entsendung von Richtern, Staatsanwälten, Rechtspflegern, für das sogenannte Pensionärsmodell und auch für die EDV-mäßige Ausstattung der Grundbuchämter - haben wir wiederum einen großen Betrag, diesmal 107,5 Millionen DM, eingeplant. Diese Hilfe hat sich als außerordentlich erfolgreich ausgewirkt, wenngleich - ich sage das auch hier mit kritischer Anmerkung - die Arbeit in manchen Grundbuchämtern unzumutbar lange dauert. Eigentumsumschreibungen, die bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen, kommen immer noch vor. Schriftliche Anfragen an die Grundbuchämter werden zum Teil gar nicht beantwortet. Diese Zustände müssen dringend beseitigt werden; denn wir wissen alle, wie wichtig gerade die Arbeit der Grundbuchämter für den wirtschaftlichen Wiederaufbau, aber auch für die Herstellung des Rechtsfriedens in den neuen Bundesländern ist. ({2}) Es bleibt zu überlegen, inwieweit durch Zusammenarbeit mit den Ländern Schwachstellen kurzfristig behoben werden können. Auf jeden Fall werden wir auch über das Jahr 1993 hinaus Hilfestellung in diesem Bereich zu leisten haben. Die alten Bundesländer sind aufgefordert, die Fortsetzung ihrer bisherigen Mithilfe schnell zu präzisieren. Wenngleich - Herr de With hat darüber gesprochen - bereits eine Reihe wichtiger Gesetze zur Regulierung von DDR-Unrecht verabschiedet wurde, so bleibt für uns als Gesetzgeber doch noch einiges zu tun. Ich nenne hier vor allem das Entschädigungsgesetz; lange diskutiert, aber von uns immer noch nicht verabschiedet. ({3}) - Ja, meine Damen und Herren, ich höre jedes Jahr immer sehr aufmerksam zu. Herr de With mahnt Gesetze an. Zum Teil sind sie in Arbeit. Zum Teil stehen sie sogar kurz vor der Verabschiedung. Das ist auch das Geschäft der Opposition. Dafür habe ich Verständnis. Nur, ich unterstelle jetzt auch, daß Sie natürlich auch die Schwierigkeiten kennen, warum das eine oder andere Gesetz noch nicht entscheidungsreif ist. Wir haben im Bereich des Entschädigungsgesetzes eine Lösung zu finden, die dem Gedanken der Wiedergutmachung ebenso gerecht wird wie dem Gedanken einer fairen Ausgleichsleistung. Das Ganze muß eines Tages auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Das Ganze muß auch noch in den Finanzrahmen eingepaßt werden, der uns vorgegeben wurde. ({4}) Ich wünsche mir, daß wir mit Nachdruck gemeinsam bei dieser schwierigen Aufgaben vorankommen und eine Lösung finden, die von allen getragen werden kann. ({5}) Das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz hat den Investoren, die in den neuen Bundesländern investieren wollen, zusätzliche Möglichkeiten gegeben, ihre Vorhaben auch bei ungeklärten Eigentumsverhältnissen durchzusetzen. In anderen Fällen, in denen die Menschen nur auf die Rückübertragung warten, gibt es nach wie vor Unmut über Verzögerungen. Ich kann immer wieder - auch hier - nur darauf verweisen, daß es unabhängig von den gesetzlichen Regelungen auch die Möglichkeit der einvernehmlichen Rückgabe gibt, wenn sich alle Beteiligten - vom Alteigentümer bis zum Amt für offene Vermögensfragen, vom Hypothekengläubiger, über die Mieter, über die Gemeinde und die Nachfolgeorganisation der Gebäudewirtschaft - an einen Tisch setzen und einen Interessenausgleich vornehmen; denn dann wird die Rückübertragung - und dafür gibt es ja schon viele Beispiele - unkonventionell und schnell erfolgen können. Bei der Diskussion über das Entschädigungsgesetz wird mehr und mehr deutlich, daß gerade im Bereich der Landwirtschaft mit einer Barentschädigung der Alteigentümer weder dem Gedanken der Wiedergutmachung Rechnung getragen wird noch die gewünschten wirtschaftlichen Effekte erzielt werden. Der Gedanke, auch den sogenannten Bodenreformgeschädigten deshalb anstelle einer Barausgleichsleistung Grund und Boden zu geben, gewinnt in der laufenden Diskussion mehr und mehr an Gewicht. Auch Landwirtschaftsminister der neuen Länder zeigen sich für solche Vorstellungen aufgeschlossen, verlangen allerdings - dafür habe ich volles Verständnis -, daß Pachtverträge selbstverständlich respektiert werden. Die Anweisung des Bundesfinanzministers an die Treuhand, unverzüglich langfristige Pachtverträge in den neuen Bundesländern abzuschließen, bringt endlich Ruhe in die Diskussion und ermöglicht nun eine Entschädigungsregelung, die nicht mehr wie bisher von den Existenzsorgen ostdeutscher Wieder- und Neueinrichter überschattet wird. Das Bundesjustizministerium hat auch in diesem Bereich bereits wichtige Vorarbeiten für den noch ausstehenden Gesetzentwurf geleistet. Dafür möchte ich mich ebenso wie für die gesamte Arbeit, die das Haus in den letzten zwei Monaten geleistet hat, herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bedanken. ({6}) Bedanken möchte ich mich auch bei den Mitberichterstattern, Frau Kollegin Bock, bei Ihnen, und Herrn Dr. Weng, dafür, daß wir kollegial und im wesentlichen einvernehmlich den Positionen zugestimmt haben. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, stimmen dem Justizhaushalt uneingeschränkt zu. Schönen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng das Wort.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Haushalt des Justizministeriums haben den Haushaltsausschuß und Berichterstatter in gewohnter Sorgfalt bearbeitet. Ich will hier vor allem dem Kollegen von Schmude - Sie haben ihn soeben gehört - für seine außerordentlich engagierte und sachkundige Aufgabenerfüllung danken. Ihn wünsche ich noch manchen anderen Ministerien, möglichst auch CDU-geführten, als Hauptberichterstatter des Haushaltsausschusses. ({0}) Ich möchte die Chance meiner heutigen Rede zu ein paar Fragen an den Rechtsstaat nutzen, die man dem Nicht-Rechtsgelehrten verzeihen mag. Der Herr Bundeskanzler hat gestern davon gesprochen, daß sich Macht in unserem Lande auf viele Schultern verteilt. Er hat sich im wesentlichen auf die erste, die zweite und die sogenannte vierte Gewalt bezogen. In einer Phase allgemeinen Umbruchs kann aber auch die dritte Gewalt nicht im Elfenbeinturm verharren. Eine wichtige Säule unserer Demokratie ist die Unabhängigkeit des Rechts. Die Unabhängigkeit unserer Gerichtsbarkeit wird von niemandem in Zweifel gezogen. Bei der Unabhängigkeit der Rechtspflege ist die Diskussion über die politische Weisungsbefugnis an Staatsanwaltschaften leider wieder zum Erliegen gekommen. Warum eigentlich, wo doch auch der Eindruck der Abhängigkeit schädlich ist? Bei der Einweihung des neuen Plenarsaals - gern hätte ich meine heutigen Ausführungen dort gemacht - hat uns unser oberster Richter eine ganze Reihe bedenkenswerter Worte gesagt. Gerade Herrn Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Herzogs Worte über die demokratischen Parteien und deren Notwendigkeit haben uns gutgetan. Bei seinen Worten zur Finanzierung dieser Parteien fühlte ich mich als Parteischatzmeister mehrfach betroffen. Was soll ich in dem derart sensiblen Bereich Parteispenden eigentlich jenen Bürgern erklären, die bereit sind, die politischen Parteien finanziell zu unterstützen? Dasselbe Verfassungsgericht, das vor ein paar Jahren das Parteiengesetz in allen wesentlichen Punkten für rechtens erklärt hat, teilt in diesem Jahr mit, daß das gleiche Gesetz in allen wesentlichen Punkten verfassungswidrig sei. Ich weiß ja, daß Parteispender unterhalb eines gewissen Geldbetrags Vertrauensschutz genießen. Aber ich gebe ehrlich zu: Da das Verfassungsgericht die Parteien auf die Spendenbereitschaft unserer Bürger im einzelnen verweist, wäre ich schon sehr neugierig, in welchem Umfang höchste Richter in der Vergangenheit demokratische Parteien persönlich finanziell unterstützt haben. ({1}) Rechtsstaat muß formaler Rechtsstaat sein, Recht ist zwangsläufig Formalrecht, ({2}) nicht irgendwelcher Opportunität ausgeliefert, wie das Herr Kollege de With in anderem Zusammenhang vorhin vorgetragen hat, auch dann, wenn mancher Bürger etwas anderes darunter versteht oder zumindest so lange verstanden hat, bis er selbst mit dem Rechtssystem konfrontiert war. Aber Recht darf natürlich kein Selbstzweck werden. Außerhalb der unveränderbaren menschlichen Grundrechte ist Recht veränderbar. Die Mehrheit dieses Hauses „macht" das Recht. Eine qualifizierte Mehrheit kann auch unsere Verfassung ändern. Aus guten Gründen wird derzeit an einer umfangreichen Revision der Verfassung gearbeitet. Ich appelliere an die besonders verantwortlichen Rechtspolitiker: Der Bevölkerung, aber auch ihren Parlamentskollegen ist mit einer reinen Paragraphendiskussion nicht gedient. ({3}) Die Debatte über das Asylrecht macht das derzeit besonders deutlich. Wir brauchen die politische Diskussion über unsere Ziele, und es ist Sache der Rechtspolitiker, insoweit als besonders ausgebildete „Handwerker" oder „Kopfwerker" den politischen Willen der Mehrheit in Paragraphen zu fassen. ({4}) Ein wichtiger Aspekt der Rechtssicherheit ist die Zeitnähe der Verfahren. Eine zu intensive Belastung der Rechtswege und ein zu großer Verzug bei der Rechtsgewährung können den Rechtsstaat beschädigen. Deshalb muß das Verfahrensrecht der übertriebenen Rechthaberei zu Lasten des Rechtsstaats Grenzen ziehen. Die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft zeigt, daß bei zu vielen Menschen in Deutschland der Wille zur Unterwerfung unter Recht und Gesetz ins Wanken kommt. Gerade weil auch die Rechtsfindung eine Abwägung ist, ist Unterwerfung aber sehr wichtig. Wenn sich bei der Waage der Justitia eine Schale senkt, heißt das ja nicht, daß in der anderen keine Gewichte, keine gewichtigen Gründe und Argumente wären. Wie bei jeder Entscheidung finden sie eben im Urteil keine Berücksichtigung. Trotzdem muß nicht bei jeder Kleinigkeit durch vier Instanzen prozessiert werden. Der Verzicht auf unnötige Prozessiererei gehört zu einem System, in dem bei wichtigen Entscheidungen der Rechtsweg und seine Garantie unverzichtbar bleiben. Dr. Wolfgang Weng ({5}) Meine Fraktion stimmt dem Etat des Justizministeriums, dem Etat unserer engagierten und geschätzten Justizministerin. ({6}) in der Überzeugung zu, die notwendigen finanziellen Voraussetzungen für die politische Flankierung des Rechtsstaats im Bereich Justiz zu schaffen. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat sich in den letzten Wochen wiederholt für eine konsequente Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien ausgesprochen. Das findet meine volle Unterstützung. Ihrem Aufruf, „die Fundamente unseres freiheitlichen Rechtsstaats vor einer antiliberalen, populistisch motivierten Erosion von rechts zu schützen", stimme ich zu. Das Verfahren beim Einbringen der Kronzeugenregelung zeigt allerdings auch, wie schwach offenbar die Stellung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger im Kabinett ist und wie wenig ihre Vorstellungen die Rechtspolitik bestimmen. Mir fehlt im übrigen der Glaube, daß man dem in der Bundesregierung mittlerweile dominierenden Geist des einkalkulierten Verfassungsbruchs, sei es bei der Vorbereitung eines sogenannten Asylsicherstellungsgesetzes, sei es bei der Vorbereitung eines Entsendegesetzes über den Einsatz der Bundeswehr bei militärischen Aktionen im Ausland am Grundgesetz vorbei, allein mit Worten begegnen kann. Ich vermag auch nicht zu übersehen, daß der regierungsoffizielle Kurs, einen Rachefeldzug gegen Hunderttausende in Ostdeutschland zu organisieren, einst maßgeblich vom Bundesminister der Jusitz Klaus Kinkel mit initiiert wurde. ({0}) - Wir sind doch nicht Genossen, mein Herr. Wir alle wissen um das erschreckende Bild von Gewalt. Übersehen wird aber allzu oft, daß es dabei nicht nur um rassistische und neonazistische Gewalt auf der Straße geht. Die Reaktion von Politikern dieser Bundesrepublik auf die Gewalt von rechts ist manchmal fast ebenso schlimm wie die Gewalt selber. Wir haben es sicher mit Merkmalen eines nationalen Notstands zu tun. Auslöser dafür sind aber nicht die Asylsuchenden, sondern Neonazis und Rassisten. Allerdings meine auch ich, daß keine Verschärfung des Rechts erforderlich ist, sondern eine konsequente Anwendung; Herr de With hat darauf schon hingewiesen. Man hat angesichts der Regierungspolitik in keiner Weise den Eindruck, sie wolle diesen Notstand beheben, sondern sie nutzt ihn ganz augenscheinlich, um einen Rechtsruck in ihrer eigenen Politik zu unterstützen. Thomas Geisen schrieb treffend im „Kölner StadtAnzeiger" vom 27. Oktober 1992: Den Klatschern von rechts leiht der Politiker sein Ohr, den Pfeifern von links haut er eins drauf. Mit dem Gerede vom notwendigen Kampf gegen Rechts- und Linksradikalismus - gestern wieder Hermann Otto Solms und heute Herr von Schmude - verzerren Regierungspolitiker die Realität des tatsächlich stattfindenden demokratischen Kampfes gegen rassistische Menschenjagden und neonazistische Randale. Wenn man schon, wie gerade Werthebach, Analogien zwischen dem Niedergang der Weimarer Republik und heute sich abzeichnenden Gefahren in der Bundesrepublik sieht, dann sollte man genauer hinsehen und sich vor untauglichen Analogien hüten. Wir haben nun einmal als Deutsche die geschichtliche Erfahrung hinter uns, daß sich im Zeichen der regierungsoffiziellen Beschwörung des Notstands und des angeblichen Kampfes gegen links und rechts die Weimarer Republik zu einem autoritären Staat wandelte, der dann 1933 dem Nazifaschismus gar keinen ernsthaften demokratischen Widerstand mehr leisten konnte. ({1}) Wenn heute schon Regierungspolitiker vom Staatsnotstand als Rechtfertigung für eine Mißachtung des Verfassungsrechts reden, womit müssen wir dann rechnen, wenn die Bundesrepublik Deutschland womöglich in den nächsten Jahren im Gefolge der Deindustrialisierung Ostdeutschlands und einer wirtschaftlichen Depression tatsächlich in die Phase einer ernsthaften wirtschaftlichen und politischen Krise eintritt! Es geht jedoch nicht nur um derartige Gefahren für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Für mich ist es, offen gesagt, immer wieder befremdlich, wie wenig tief verwurzelt rechtsstaatliches Denken bei vielen Politikern, durchaus auch bei vielen Rechtspolitikern und Juristen, in Westdeutschland ist. Das betrifft gerade politische Entscheidungen und Gesetzesvorlagen, die aus dem Jusitzministerium kommen, um den anlaufenden Rachefeldzug gegen die politische Klasse der DDR zu forcieren. Die Art und Weise des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit - ich bitte Sie, das sehr sorgfältig zu überlegen - im Vergleich zum früheren Umgang mit der NS-Vergangenheit muß bei vielen, auch bei vielen in Ostdeutschland, zwangsläufig die Vorstellung hervorrufen, daß Neonazismus immer noch eine läßliche Sünde ist. ({2}) Kein deutscher Justizminister hat die Auslieferung prominenter Naziverbrecher wie Eichmann oder Mengele erzwungen. Als die Bundesregierung sich aber entschloß, Erich Honecker den Prozeß zu machen, begann eine gnadenlose Jagd. Herr de With hat heute schon sein Einverständnis mit dem Urteil erklärt. ({3}) Ich sehe in einer Rechtsprechung, die an die Stelle des DDR-Rechts Überpositives Naturrecht setzen will, eine Gefahr für Rechtsstaatlichkeit. ({4}) Der Grundsatz „nulla poena sine lege" steht nach meiner Auffassung nicht zur Disposition. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Reddemann, Sie haben nicht das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Könnten Sie sich vielleicht artikuliert am Mikrophon aussprechen? Dann können wir uns unterhalten. ({0}) Wir sehen mit Besorgnis, wie die Rechtspolitik auf diese Weise auch in Gestalt von Berufsverboten in Ostdeutschland zu einem Instrument der Rache und Einschüchterung wird. Rechtsstaatlichkeit ist immer konkret. Sie ist bedroht, wenn ein Wissenschaftsminister im Freistaat Sachsen eine Liste mit dem Namen von über 800 Hochschullehrern, die mit Berufsverbot in Sachsen belegt sind, produziert, mit der Empfehlung, sie auch in keinem anderen Bundesland einzustellen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende von Sachsen, Fritz Hähle - das möchte ich zum Abschluß noch zitieren - hat gesagt, der Skandal sei: Die Mächtigen von einst berufen sich im Rechtsstaat auf Kündigungsschutz und Datenschutz, während ihre Opfer keinerlei Rechtsansprüche geltend machen können. Ich meine: Der Rechtsstaat muß für alle gelten; sonst ist er keiner. Ich sehe in der gegenwärtigen Rechtspolitik die Gefahren einer Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien. Weil wir für den inneren Frieden, gerade für den Rechtsfrieden, in Ostdeutschland eintreten, lehnen wir den Etat des Justizministeriums ab. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Reddemann das Wort.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Ich möchte nur mein Bedauern ausdrücken, daß jemand, der, wie der Kollege Heuer, dem System der SED und dem Nichtrechtsstaat so gefolgt ist, mit derartigen Unverschämtheiten in diesem Hause versucht, einen Rechtsstaat lächerlich zu machen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zur Antwort gebe ich Professor Heuer das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Zuerst möchte ich fragen, ob der Ausdruck „Unverschämtheit" nicht zurückgewiesen werden kann. Zweitens. Es hat keinen Sinn, ewig mit mir über meine Vergangenheit zu reden. Ich bin hier, um heute bestimmte Ostinteressen zu vertreten und um mich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Ich möchte Ihnen noch einmal sagen: Ich habe das Recht dazu; ich bin dazu gewählt; und ich werde das machen, ob Ihnen das gefällt oder nicht. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile der Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, das Wort und wäre dankbar, wenn das Haus ihr zuhören würde.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, mit solchen Äußerungen zeigen Sie, Herr Heuer, daß Sie die Ostinteressen gerade nicht wahrnehmen. ({0}) Was sachlich zu den Aufgaben und dem Haushalt des Justizministeriums heute hier geäußert worden ist, zeigt, wie ernst wir die Aufgaben nehmen und wie ernsthaft wir nach wie vor angesichts der Herausforderungen arbeiten, um rechtsstaatlich dazu beizutragen, daß wir nach der äußeren Einheit auch die innere Einheit vollziehen können und dort, wo noch Leistungen erbracht werden müssen - auch im gesetzgeberischen Bereich -, dies mit allem Nachdruck, aber auch mit der erforderlichen Sorgfalt tun. ({1}) Ich möchte mich bei den Vorrednern ganz herzlich für ihre freundlichen Worte über die Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums bedanken. Das tut ihnen angesichts der Anforderungen, denen sie nicht nur in den letzten paar Monaten ausgesetzt waren, sehr gut. Wenn ich eine Prognose wage, glaube ich, daß es auch in den nächsten Monaten leider nicht anders werden wird. Die Arbeitsbelastung liegt seit einigen Jahren weit über dem, was normalerweise an Aufgaben auf das Justizressort zukommt. Zu den Zahlen meines Haushalts hat Herr von Schmude alles gesagt. Ich bedanke mich für die sehr konstruktiven, teilweise natürlich auch Kürzungen enthaltenden Vorschläge, die von den Berichterstattern gekommen sind. Das Justizministerium verpflichtet sich angesichts der hohen finanziellen Lasten unseres Staates zu höchster und allerstrengster Haushaltsdisziplin. Wir werden trotz Kürzungen im Sachund auch im Personalbereich alles tun, um die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft des Ministeriums nicht zu tangieren. Zu dem, was hier an Versäumnissen erwähnt worden ist, möchte ich in einigen Stichworten kurz etwas sagen. Es zeigt sich, daß es neben den Aufgaben, die wir vorantreiben, keine eigentlichen Versäumnisse gibt. Denn wir können nicht alles auf einmal leisten. Ich kann natürlich nicht allein das leisten, wofür ich gar nicht federführend zuständig bin. Da arbeiten wir zusammen. Ich denke an das Entschädigungsgesetz. Ich erwähne das Gewinnaufspürungsgesetz und auch das Umweltstrafrecht, das ja schon seit einiger Zeit in der gesetzgeberischen Beratung ist, wozu selbstverständlich im parlamentarischen Raum noch Vorschläge oder auch entsprechende Formulierungshilfen von unserer Seite kommen können.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Ministerin, sind Sie bereit, auf eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann zu antworten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ja.

Dr. h. c. Gerhard Reddemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001790, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Minister, da Sie gerade die Frage des Entschädigungsgesetzes angesprochen haben, darf ich die Frage stellen: Wann können wir mit einem Vorschlag Ihres Hauses zur Regelung der Probleme der Zwangsausgesiedelten rechnen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ich wäre auf diesen Punkt sogleich zu sprechen gekommen, darf ihn aber nun vorziehen. Die Regelung für die Zwangsausgesiedelten wird nicht im Entschädigungsgesetz verankert werden, sondern in das Gesetz eingeordnet werden, das sich mit der beruflichen und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung im Zusammenhang mit DDR-Unrecht befaßt. Es geht, abgekürzt, um das zweite SEDUnrechtsbereinigungsgesetz. Auch Herr de With hat es eingefordert. Der Referentenentwurf liegt vor. Wir besprechen ihn gerade mit den Ländern. Unsere Zeitplanung sieht vor, den Gesetzentwurf Anfang nächsten Jahres ins Kabinett zu bringen. ({0}) Ich darf an dieser Stelle deutlich machen, daß es mir sehr am Herzen liegt und sehr wichtig ist, für erlittene Vermögensnachteile und Enteignungen Entschädigungen und Ausgleichsleistungen zu geben. Dafür brauchen wir auch das Entschädigungsgesetz. Genauso wichtig ist es aber, daß wir auch für die immateriellen Schäden Lösungen zu finden versuchen. Nicht in jedem Fall wird das eine angemessene Entschädigung, ein angemessener Ausgleich sein. Aber wir wollen deutlich machen, daß uns dieser Versuch, DDR-Unrecht aus 40 Jahren wiedergutzumachen, genauso wichtig ist, auch wenn dies nicht in vollem Umfang möglich ist. Wir wollen zeigen, wie ernst es uns mit dieser Aufgabe ist, weil auch sie ein Teil davon ist, daß es zu einer inneren deutschen Einheit kommt. Damit darf ich noch ein weiteres Gesetzgebungsvorhaben ankündigen, das zwar nur die kurze Bezeichnung „Sachenrechtsbereinigung" trägt, das aber dennoch von der Komplexität und den Anforderungen her auch nicht innerhalb von einigen Monaten als Gesetzentwurf formuliert werden kann. ({1}) Dieses Vorhaben, das wir gerade auf der Grundlage von Diskussionsentwürfen mit den Ländern erörtern und besprechen, wollen wir Anfang nächsten Jahres als Gesetzentwurf vorlegen. Ich glaube, gerade diese beiden Vorhaben zeigen, daß sie 1993 verabschiedet werden müssen. Auch wenn wir gewisse Übergangsregelungen im Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz haben, ist es wichtig, daß die Menschen in den neuen Ländern wissen, was denn da nach Ablauf gewisser Fristen auf sie zukommt. Wir werden im Jahr 1993 bestimmt einige Male die Gelegenheit haben, gerade unter Rechtspolitikern uns mit einzelnen Punkten zu beschäftigen. ({2}) Unabhängig von diesen einheitsbedingten rechtlichen Aspekten und parallel zur fachlichen Begleitung der Arbeit der Verfassungskommission werden die Reform des Kindschaftsrechts, die Bekämpfung des Mißbrauchs unserer Kinder sowie die umfangreiche Überarbeitung des Rechts der freien Berufe Schwerpunkte unserer Arbeit sein. Zum Stand der Reform des Kindschaftsrechts liegen im Moment erste Ergebnisse der interdisziplinären Arbeitsgruppen vor. Ich weiß, der Deutsche Juristentag hat sich damit beschäftigt, und Frau von Renesse hat Vorschläge gemacht. Auch da sehen wir, daß es sehr schwierig ist, die gesamte komplexe Reform innerhalb eines Jahres in Gesetzesformulierungen zu verankern. Wir werden deshalb, gerade was die Fragen der Amtspflegschaft und des Unterhaltsrechts betrifft, versuchen, Aspekte vorzuziehen, damit wir Ihnen in dieser Legislaturperiode auch in diesen Fragen ausformulierte Vorschläge vorlegen können. ({3}) Aber all diese Aufgaben werden überlagert von aktuellen straf- und verfassungsrechtlichen Forderungen, die im Hinblick auf die Asyldiskussion, die Bekämpfung des mörderischen rechten Terrors und der organisierten Kriminalität erhoben werden. Zu den Gesprächen und Verhandlungen zum Asylrecht, die ab morgen intensiv stattfinden werden, will ich mich genausowenig wie die Redner der letzten Tage äußern. Nur eines möchte ich nachdrücklich zu bedenken geben. Was immer wir am Ende unserer Diskussionen und Gespräche beschließen mögen, mit der Änderung des Grundrechts auf Asyl allein werden wir den rechten Terror nicht verhindern können. ({4}) Die rechten Extremisten werden ihren Haß auf jeden, den sie nicht als Deutschen empfinden, auch in Zukunft nicht danach bemessen, ob er aus politischen oder anderen Gründen bei uns Zuflucht fand oder bei uns geboren wurde. Es kann nicht oft genug gefordert werden, daß wir die rechten Gewalttäter mit allen Mitteln des Strafrechts, mit aller Härte und Entschiedenheit bekämpfen müssen. Wir dürfen dabei kein Instrument des Rechtsstaates ungenutzt lassen, um die Welle rechtsextremistischer Gewalt zu brechen. Uns steht dafür ein Strafrecht zur Verfügung, das bei Brandanschlägen und Mordversuchen Freiheitsstra10670 fen bis zu 15 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafen möglich macht. Ich weiß mich der Unterstützung der Justizminister der Länder sicher, daß das Straf- und Strafprozeßrecht an folgenden Stellen zu ergänzen ist: Die Anordnung von Untersuchungshaft gegen gewalttätige Landfriedensbrecher muß erleichtert werden. Ein deutliches Signal an die haftrichterliche Praxis ist es, wenn zukünftig beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr auf die Regelvoraussetzung einer Vorverurteilung verzichtet wird. Gegen die Verwendung neonazistischer Zeichen durch gewalttätige Gruppen muß verschärft vorgegangen werden. Angesichts immer häufiger anzutreffender Verfremdungen und Verzerrungen von Nazisymbolen erscheint es sinnvoll, das Verwenden solcher Kennzeichen zusätzlich unter Strafe zu stellen. ({5}) Zur Verhängung gerechterer Strafen müssen die Strafrahmen der Körperverletzungsdelikte und des Landfriedensbruchs überprüft werden. Dabei ist nicht nur festzustellen, ob die Höchststrafe etwa bei der schweren Körperverletzung nach § 224 des Strafgesetzbuchs anzuheben ist, sondern auch, ob nicht in einigen Tatbeständen die Einführung einer Mindeststrafe sinnvoll wäre. Ich will dazu noch in diesem Jahr konkrete Vorschläge unterbreiten, die es erleichtern sollen, der feigen und auch menschenverachtenden Täter habhaft zu werden und sie einer gerechten Strafe zuzuführen. ({6}) In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich, wenn die Bundesanwaltschaft auch bei der Bekämpfung des rechten Terrorismus ihre Kompetenzen ausschöpft und Ermittlungsverfahren einleitet, wie es heute gegen elf Beschuldigte wegen des Verdachts der Gründung bzw. der Mitgliedschaft einer rechtsextremistischen Vereinigung eingeleitet worden ist. ({7}) Die Bundesanwaltschaft kann von meiner Seite aus mit jeder Art von Unterstützung rechnen, die sie benötigt, um bei der Verfolgung rechtsextremer Taten mitzuwirken. ({8}) Gegebenenfalls sollten wir uns nicht davor scheuen, die Verfahrenszuständigkeiten des Generalbundesanwalts zu erweitern, um sein gesammeltes Erfahrungswissen in eine effektivere Verfolgung terroristischer Gewalttaten einbringen zu können. Aber letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird uns allein das Strafrecht nicht weiterhelfen, um gegen rechten Extremismus vorzugehen. Es soll nicht Panikmache sein, aber es sind ganz offensichtlich nicht wenige, es sind bereits zu viele, die den nationalistisch-rechtsextremen Virus in sich tragen. Was wir mit Justiz und Polizei bewirken können, ist, Exzesse, Ausschreitungen und Pogrome zu verhindern. Die Gefahr für unseren Staat ist damit aber nicht gebannt. Das ist der Grund, warum ich sehr entschieden dafür werbe, daß nicht nur wir - aber gerade auch die Politik - keinen Zweifel daran lassen sollten, daß die Fundamente und Prinzipien unseres freiheitlichen Rechtsstaats in ihrem Kernbestand nicht angetastet werden dürfen. Vielen Dank. ({9})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt und zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Einzelplan 07, den Geschäftsbereich des Bundesministers für Justiz, in der Ausschußfassung. Wer stimmt für diesen Einzelplan? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Einzelplan angenommen. Wer stimmt für den Einzelplan 19 des Bundesverfassungsgerichts in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimmenthaltungen ist der Einzelplan 19 einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt III 31 und 32 auf: 31. hier : Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - Drucksachen 12/3510, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Sigrid Hoth 32. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Brigitte Adler, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zur bilanziellen Entlastung von landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Ländern - Drucksachen 12/2317, 12/3234 Berichterstattung: Abgeordneter Ulrich Junghans Zum Einzelplan 10 liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendeine Art des Widerspruchs? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem dem Kollegen Ernst Kastning das Wort.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Kiechle, ich kann mir vorstellen, daß Sie nach den hektischen Schlußberatungen im Haushaltsausschuß vor zwei Wochen einen Seufzer ausgestoßen haben, nämlich: Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Auch der Deutsche Bauernverband hätte Anlaß, das Ergebnis der Haushaltsberatungen grundsätzlich positiv zu werten. ({0}) Immerhin ist der Regierungsentwurf des Agraretats von 14,378 Milliarden DM im Ergebnis nur um 107 Millionen DM gekürzt worden. Von diesen Streichungen entfallen 100 Millionen DM auf die Agrarstrukturpolitik im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe. ({1}) - Das ist zwar bedauerlich, Herr Kollege Diller, aber ich denke, es ist vertretbar, vertretbar deshalb, weil diese Summe bei den überbetrieblichen Maßnahmen verkraftet werden kann, ohne daß es Einbrüche bei einzelbetrieblicher Förderung geben muß. Die Aufteilung der Kürzung im Verhältnis von 80 : 20 auf alte und neue Bundesländer kann meines Erachtens ebenfalls verantwortet werden. Die Umkehrung dieser Relation hätte allerdings unseren Protest hervorgerufen. ({2}) - Ach, Herr Gallus, nachher wird es für Sie vielleicht kräftiger und besser. Herr Minister, der bittere Kelch ist auch an Ihnen und der deutschen Landwirtschaft wohl noch nicht endgültig vorübergegangen, wenn ich daran denke, daß es einen Nachtrag geben wird, der ja angeblich mit den Kürzungen auch vor gesetzlichen Leistungen nicht haltmachen wird. Das heißt: Auch im Agraretat sind dann dramatische Kürzungen nicht auszuschließen, Kürzungen, die vielleicht dann auch in die Substanz von Ausgleichsmaßnahmen oder auch in die Agrarsozialpolitik gehen könnten. Denn mir fällt im Moment nicht ein, wo man stärker hineingehen könnte. Aber Ihnen muß da wohl noch etwas einfallen. Diese beiden eben genannten Bereiche machen immerhin rund 60 % des gesamten Etats aus. Ich glaube auch, daß die Agrarfinanzierung der nächsten Jahre - was jetzt nicht unmittelbar haushaltsrelevant ist - zudem noch enormen Risiken ausgesetzt ist, zu denen sich die Bundesregierung bisher ausschweigt und von denen auch sonst kaum jemand spricht. Es ist aber keineswegs so, daß die Probleme nicht auf dem Tisch liegen. Zumindest Sie, Herr Minister, kennen sie. Zum Beispiel braucht die EG spätestens ab 1993 mit der Vollendung des Binnenmarktes und mit dem Wegfall der Grenzkontrollen ein neues agrarmonetäres System. Die letzten Tage haben gezeigt, daß Änderungen der Währungsparitäten - das ist hier das Stichwort - keineswegs der Vergangenheit angehören. Da es Ihr erklärtes Ziel ist, Sitzung, Einkommensverluste der deutschen Landwirtschaft aus europäischen Währungsoperationen auszugleichen, könnten auf den Bundeshaushalt eines Tages enorme Ausgaben zukommen. Man kann sich ausrechnen, was ein Punkt Veränderung der Währungsparität - oder wenn es einmal zu einer Aufwertung der D-Mark kommen sollte - für Folgen hätte. Das sind mehrere hundert Millionen und, je nachdem, welches System in der EG zum Zuge kommt, möglicherweise Milliarden. Herr Kiechle, ich war so fair, Sie vorzuwarnen. Ich fordere Sie hier auf, hierzu heute im Plenum doch ein paar Sätze zu sagen. Denn es ist ein Thema, das uns sehr bald akut beschäftigen wird. ({3}) - Wenn Charly kommt, freue ich mich immer. Aber lenkt mich nicht ab, sonst läuft mir die Redezeit davon, Helmut. Zu der seit langem überfälligen Reform der Agrarsozialpolitik liegt jetzt endlich der Diskussionsentwurf eines Gesetzes vor. Es ist zutreffend, Herr Minister, wenn in diesem Entwurf festgestellt wird: „Agrarsozialpolitik ist nicht nur Sozialpolitik, sondern auch Agrarstruktur- und Einkommenspolitik. " Es ist klar: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft muß sozial abgefedert werden. Aber, Herr Minister, Sie müssen, auch wenn das Kabinett in der nächsten oder übernächsten Woche darüber befinden wird, offen erklären, was diese Reform kosten wird. Können sich die Landwirte - und vor allem die Bäuerinnen - wirklich darauf verlassen, daß das Programm finanziert werden kann? Ich weiß natürlich, daß aus dem degressiven Auslaufen der Ausgleichsmaßnahmen ab 1994 freiwerdende Mittel für diesen Zweck eingesetzt werden sollen. Aber reichen diese Mittel aus? Und wird dieser Finanzierungsplan nicht möglicherweise dem Versuch der Ordnung des Finanzchaos der Bundesregierung anheimfallen? Herr Kiechle, ich rate Ihnen deshalb - da ich selbst für eine Agrarsozialreform bin, meine Fraktion auch -, mit diesem Vorhaben inhaltlich sehr sorgsam umzugehen und möglicherweise noch vorhandene versicherungsrechtliche Ungereimtheiten rechtzeitig zu bereinigen. Ich denke da z. B. an die Obergrenze für den Beitragszuschuß. Angesichts der angekündigten Stürme auf bestehende Leistungsgesetze außerhalb der Landwirtschaft muß dieses Gesetz in jeder Beziehung wetterfest sein, wenn es denn im Vergleich zu anderen sozialen Maßnahmen in dieser Gesellschaft bestehen soll. ({4}) Meine Damen und Herren, die Kollegin Albowitz hat zu Beginn der Haushaltsberatungen von einer Komödie gesprochen. Das hatte zwar einen etwas anderen Zusammenhang, aber ich will im Bild bleiben. Wenn ich den Blick auf die Agrarpolitik für die ostdeutschen Länder lenke, dann könnte man da eher von einer Tragödie sprechen. In der „Agrarpolitischen Bilanz 1992" Ihres Ministeriums steht: „Die deutsche Einheit hat die Agrarpolitik der Bundesregierung seit 1990 vor völlig neue Aufgaben gestellt." Das festzustellen war verdammt keine schwere Aufgabe, Herr von Hammerstein. Aber wenn Sie die Bilanz lesen, Herr von Hammerstein, werden Sie feststellen, daß es da, wo es um politische Leistung geht, die Bilanz leider auch - ich sage: auch - vom Versagen der Bundesregierung zeugt. Ein Jahr lang wurde in Ihren Kreisen, Herr Bredehorn, über die Verwertung bisheriger volkseigener landwirtschaftlicher Flächen geredet, noch nicht einmal gestritten. ({5}) - Innerhalb der Koalition. Mir stand es im Fachausschuß oft genug bis hier, weil, wie man so schön auf dem platten Land sagt, um den Kern der Dinge herumgeeiert wurde. ({6}) Ich habe den Eindruck, daß hier Rücksichtnahmen auf die Interessen von Großgrundbesitzern das politische Handeln gelähmt haben. ({7}) - „Großgrundbesitzer" sagte ich. Das ist für mich ebenso kein Schimpfwort wie der Begriff Kleingärtner. Nicht daß wir uns jetzt falsch verstehen. - Dieses Nichtstun, Herr Gallus, war ein Investitionshemmnis erster Güte in den neuen Ländern. ({8}) Sie wissen, daß Sie Landwirte, die allein oder in Kooperation einen Neubeginn gewagt haben, damit verunsichert haben, daß Planen in die Zukunft nicht möglich war. Dabei wäre es ja verdammt nötig, ein Mindestmaß an Verstetigung und Sicherheit in die Entwicklung hineinzubringen. Die rechtzeitige langfristige Verpachtung landwirtschaftlicher Nutzflächen wäre dazu ein entscheidender Beitrag gewesen. ({9}) Sie wissen, daß wir das oft genug gefordert haben. Natürlich bin ich froh darüber, daß nun die Übereinkunft der Agrarminister der neuen Länder mit der Bundesregierung zur langfristigen Verpachtung endlich Bewegung in die Sache zu bringen scheint. Ich weiß allerdings nicht, was in der Gerster-Kommission - ich weiß nicht, ob das die Gruppe „Agrar" der Union war - heute morgen besprochen worden ist und was da noch an Empfehlungen herauskommen wird. Ich hoffe, daß es nichts Negatives ist. Die bisher bekannten Überlegungen der Koalitionsparteien zum Landerwerbs- und Siedlungsprogramm dagegen sind noch unzureichend. Ich finde, es ist schlimm, daß hier möglicherweise Geld ausgegeben werden soll, das keine wirtschaftlichen Effekte im Sinne des Aufschwungs zur Folge haben wird. Dafür ist möglicherweise Geld da, nicht jedoch - wie Sie immer sagen - für die Lösung der Altschuldenproblematik. Eine sachgerechte Wertberichtigung zur Verbesserung der betrieblichen Rahmenbedingungen für umgewandelte und umstrukturierte landwirtschaftliche Betriebe wäre ein Fortschritt. Ich verweise hierzu auf unseren Antrag, der nachher noch zur Abstimmung steht, den die Koalition im Fachausschuß allerdings kurzerhand abgelehnt hat. Ich muß auch hier sagen: Ich habe es nicht glauben wollen, aber je mehr ich Protokolle des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten studiere und je öfter ich mich dort habe sehen lassen, desto mehr verdichtet sich bei mir leider der Verdacht, daß Vertreter bestimmter Gruppen der westlichen Agrarlobby mehr Einfluß auf die Politik der Bundesregierung haben als diejenigen Abgeordneten der Koalition aus Ostdeutschland, die den Sorgen und Nöten der Betroffenen weitaus näher sind. ({10}) - Herr Hornung, ich will nicht über Ihre Rolle als Ausschußvorsitzender hier im Plenum reden; das können wir unter uns ausmachen. Ich weiß, daß die Treuhandanstalt inzwischen mit der Tilgung von Altkrediten begonnen hat; das will ich gar nicht leugnen. Jedoch wissen Sie auch, Herr Hornung, daß die Entschuldungsquote noch völlig offen ist. ({11}) Sie wissen, daß die von uns angesprochenen Probleme noch immer nicht spürbar gemildert, geschweige denn beseitigt sind. Übrigens möchte ich mit Blick in Richtung Osten gerne erfahren, Herr Minister, ob das Wort vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Haschke, der jetzt als Abgeordneter mir hier gegenübersitzt, gehalten wird, der nämlich den ostdeutschen Betrieben in den nächsten beiden Jahren 300 Millionen Mark für die Ablösung von Inventarbeiträgen versprochen hat. Der Haushalt 1993 weist nur einen Leertitel aus. Dessen finanzielle Auffüllung hängt von großen Unwägbarkeiten bei den geplanten, aber von der EG noch nicht genehmigten Ausgleichsmaßnahmen ab. Die für 1993 angedachten 200 Millionen DM wurden von der Koalition bereits wieder um 20 Millionen DM gesenkt. Meine Damen und Herren, ich denke, zumindest ein symbolisches Zeichen der Unterstützung der Ostdeutschen, ({12}) das keine zig Millionen kostet, könnte die Bundesregierung mit der Entscheidung über den Standort der neuen Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe setzen. ({13}) Entgegen dem immer wieder verbreiteten Gerücht, er nehme seine Richtlinienkompetenz nicht wahr, hat der Bundeskanzler tatsächlich in diesem Sommer entschieden, die Fördermittel des Bundesministers für Forschung und Technologie und die des Ministers für Landwirtschaft zu bündeln und diese Agentur zu schaffen. ({14}) Ich sage Ihnen: Dieses Vorhaben ist nicht falsch. Ich kann dem etwas Positives abgewinnen; damit habe ich nie hinterm Berge gehalten. ({15}) - Schlagen Sie sich dabei nur nicht selbst tot, Herr Gallus; seien Sie vorsichtig. Es kommt demnächst so etwas wie ein Kabinettsrevirement. - Ich kann dem etwas Positives abgewinnen, wenn es sich dabei nicht ausschließlich um das Lieblingskind von Herrn Minister Krause handelt, Rapsöl als Treibstoffersatz zu propagieren. Es gibt viele andere, bislang weniger bekannte Möglichkeiten, nachwachsende Rohstoffressourcen ökologisch vernünftig zu entwickeln und deren wirtschaftliche Nutzung zu fördern. ({16}) Damit könnte zugleich - hören Sie genau zu, was ich sage; ich gebe Ihnen kein grünes Licht für alles, was Sie da vielleicht wollen - der Landwirtschaft in bestimmten Regionen mit entsprechender Bodeneignung und bei Anwendung sinnvoller Anbaumethoden geholfen werden. Herr Minister, springen Sie über Ihren eigenen bayerischen Schatten: Diese Einrichtung gehört in eines der neuen Bundesländer. ({17}) Ich weiß, warum ich hier den bayerischen Schatten genannt habe, und auch andere wissen das. In dieser Haushaltsdebatte kann der Stand der GATT-Verhandlungen selbstverständlich nicht ausgeklammert werden. Zwar ist - um einen Kommentar einer Zeitung zu zitieren - „die Zitterpartie noch nicht zu Ende", aber mit dem Kompromiß zwischen der EG und den USA vom letzten Wochenende gibt es eine reale Chance, den Ausbruch eines offenen und folgenschweren Handelskrieges zu vermeiden. ({18}) - Ich sage: Diese Bundesregierung hat vieles nicht gewollt; dennoch hat sie nach der deutschen Einheit im Ergebnis viel Schaden angerichtet. Das ist nicht eine Frage des Wollens, sondern dessen, was man wegräumt, ohne es zu wollen, weil man nicht aufpaßt, Herr Kollege Hornung. ({19}) Ich denke, Handels- und Wirtschaftspolitiker aller Fraktionen dieses Hauses sollten bei dem großen Jubel, in den sie jetzt ausbrechen, nicht übersehen, daß damit die innereuropäischen Folgen und die Folgen für die Landwirtschaft noch nicht völlig beseitigt sind. Mich hat es manchmal ein bißchen geärgert, daß sehr leichtfertig gesagt wurde: Abschließen, und die Landwirtschaft interessiert uns dabei nicht. Auch wenn sich der Kompromiß auf den ersten Blick generell im Rahmen der Maßnahmen der EG-Agrarreform bewegt, werden die Bauern Opfer bringen müssen. Dennoch darf uns Politiker die Behauptung des Freiherrn von Heereman nicht blenden, der schon verkündet hat, durch den GATT-Kompromiß seien Millionen von Arbeitsplätzen bedroht. Ich denke, es gilt, hier im Bundestag festzuhalten: Ausgleichszahlungen, Herr Minister, als das grundlegende Instrument der Agrarreform der EG ({20}) sind dem Kompromiß grundsätzlich nicht zum Opfer gefallen. - Herr Hornung, ich trage keinen Rock, und ich heiße nicht Frau Matthäus-Maier. Ich weiß nicht, was sie gesagt hat. Ich habe aus wichtigem Grunde nicht zuhören können. Aber ich gehe einmal zu ihren Gunsten und gegen Sie davon aus, daß sie im Grundsatz nichts anderes gesagt hat. Es gilt, festzuhalten, daß Ausgleichszahlungen als grundlegendes Instrument der EG-Agrarreform dem Kompromiß nicht grundsätzlich zum Opfer gefallen sind. Ich denke, das sieht auch der Herr Minister so, wenn er das genau betrachtet. Ein Scheitern der GATT-Verhandlungen mit der Folge eines Handelskrieges und einer schärfer werdenden Wirtschaftskrise würde auch für die europäische Landwirtschaft weit bösere Folgen haben. ({21}) Ich bin übrigens davon überzeugt, da ich nicht nur mit Landwirtschaftsfunktionären, sondern auch mit praktizierenden einzelnen landwirtschaftlichen Unternehmensinhabern spreche, daß nüchtern denkende landwirtschaftliche Unternehmer das auch ganz genau wissen. Ich teile, Herr Minister, Ihre Einschätzung, die Sie vor ein paar Tagen verkündet haben, daß wir die jetzigen Konditionen nicht noch einmal bekommen werden. Um so mehr fordern wir Sie auf, dafür zu kämpfen, daß dieser Kompromiß in der EG akzeptiert wird, und dafür zu kämpfen, daß die Gemeinschaft bei den weiteren GATT-Verhandlungen mit einer Stimme spricht. Die französische Sonderrolle in der EG-Agrarpolitik wird auf Dauer nicht ohne Schaden für die weitere europäsiche Entwicklung bleiben. Aus diesem Grunde ist hier auch der Bundeskanzler als Regierungschef in der Pflicht. Die Diskussion - meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß - über die Folgen des GATT-Kompromisses machen aber auch deutlich, daß die Bundesregierung trotz ihrer dauernden allgemeinen Verlautbarungen, fortgesetzt durch örtliche Abgeordnete aus Ihren Reihen in den Wahlkreisen, über die Bedeutung ländlicher Räume kein Konzept zu deren Entwicklung hat. Unser Kollege Horst Sielaff hat dieser Tage zu Recht darauf hingewiesen, bei Produktionsrückgängen und damit bei Einschränkungen in einem wichtigen wirtschaftlichen Bereich im ländlichen Raum sei es um so wichtiger, zu wissen, wie diese Situation von der Politik gesamtwirtschaftlich aufgefangen werden soll. Herr Minister - ich appelliere auch an die gesamte Bundesregierung -: Versuchen Sie etwas mehr als bisher, diese wichtige Frage überzubringen und auf den Tisch der Beratungen zu legen. Meine Damen und Herren, schon angesichts dieser von der Bundesregierung nicht erfüllten Bringschuld, aber vor allen Dingen wegen ihrer Unfähigkeit, der ostdeutschen Landwirtschaft eine bessere Perspektive zu geben, kann man dem Einzelplan 10 nicht zustimmen. ({22}) Frau Präsidentin, darf ich noch einen Satz sagen?

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege, da Sie noch 52 Sekunden haben, können Sie auch noch zwei Sätze sagen.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ertönte eben der Zwischenruf „sehr wenig". Ich habe vor ein paar Jahren einmal den Vizepräsidenten Heinz Westphal gebeten, der Ältestenrat möge einmal ein Gutachten, eine Untersuchung zu der Frage in Auftrag geben, warum liebenswerte, angenehme Kolleginnen und Kollegen, mit denen man sich in Ausschußsitzungen, in Gesprächen sehr sachlich unterhalten kann, plötzlich andere Menschen sind, wenn sie diese beiden Stufen betreten haben. Ich habe mich bemüht, so zu bleiben, wie ich vorher war; aber da kam der Zwischenruf „sehr wenig". Vielleicht denken Sie einmal über das nach, was ich eben gesagt habe. Schönen Dank. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich glaube, die Gründe können wir auch ohne Gutachten einigermaßen nachvollziehen. Nun hat der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich im Namen aller hier versammelten Haushaltsund Agrarpolitiker der CDU/CSU-Fraktion dem geschätzten Kollegen Rudolf Müller, dem früheren Vorsitzenden des Agrarausschusses, zu seinem 60. Geburtstag sehr herzlich gratulieren und ihm alles Gute wünschen. ({0}) - Jetzt kam der Zwischenruf des Kollegen Weng, der Kollege Kalb sollte auch im Namen des Kollegen Rind, der leider nicht anwesend sein kann, gratulieren. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nachdem das Präsidium heute schon einmal gratuliert hat, sagen Sie ihm das dann bitte auch noch in meinem Namen. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mache ich natürlich gerne. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die agrarpolitische Situation wird sich auf Grund der Ereignisse von 1990 bis 1992 grundlegend ändern. Zum einen wurde die Agrarpolitik im Zuge der Wiedervereinigung vor völlig neue Herausforderungen gestellt, und zum anderen wird die in diesem Jahr beschlossene EG-Agrarreform tiefgreifende Folgen und Veränderungen nach sich ziehen. Die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern befindet sich in einem schwierigen Anpassungsprozeß, ist dabei aber bereits gut vorangekommen. Der Bund hat die Umstrukturierung nach Kräften unterstützt. Herr Kollege Kastning, von 1990 bis Ende dieses Jahres werden hierfür rund 12 Milliarden DM in die neuen Länder geflossen sein. Auch im Haushaltsjahr 1993 ist z. B. im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" eine überdurchschnittliche Mittelzuweisung vorgesehen. Allein der Bund wird durchschnittlich ca. 70 000 DM je Betrieb für die Bewältigung des Anpassungsprozesses und die Schaffung der dringend erforderlichen Infrastruktur bereitstellen. Das ist eben keine Tragödie, sondern eine ganz beachtliche Leistung. Bemerkenswert ist, daß nicht nur die Umstrukturierung der ehemaligen LPGen abgeschlossen werden konnte, sondern in der Zwischenzeit auch rund 13 000 Landwirte ihren Betrieb selbständig und eigenverantwortlich führen können. ({0}) Die Agrarstruktur der östlichen Bundesländer mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von derzeit 355 ha unterscheidet sich aber nach wie vor vollkommen von der der westlichen Bundesländer. ({1}) Daraus werden sich zwangsläufig Rückwirkungen auf die Landwirtschaft und die agrarpolitische Orientierung in den alten Bundesländern ergeben. Allerdings können die Strukturen in den neuen Ländern nicht zum Leitbild für die Landwirtschaft in den westlichen Bundesländern erhoben werden. Das wäre aus sozioökonomischen und sozioökologischen Gründen nicht vertretbar und würde die gewachsenen, die ländlichen Räume prägenden und stabilisierenden Strukturen gefährden. ({2}) Den größten Kostenblock im Einzelplan 10 stellt die Agrarsozialpolitik dar. Mit über 6,8 Milliarden DM ist dieses Kapitel allein schon höher dotiert als beim Amtsantritt von Ignaz Kiechle der gesamte Agraretat. Die Agrarsozialpolitik ist ein ausgezeichnetes Instrument, die Landwirtschaft von Kosten zu entlasten und damit die verfügbaren Einkommen zu verbessern. ({3}) Manchmal habe ich leider den Eindruck, unsere Bauern sind sich des Werts dieser Leistungen nicht ausreichend bewußt, und sie nehmen sie allzu leicht als Selbstverständlichkeit hin. ({4}) Für die Altershilfe der Landwirte sind im vorliegenden Haushalt 3,820 Milliarden DM vorgesehen. ({5}) 77 aller Leistungen für die Altershilfe werden durch den Bundeshaushalt abgedeckt. Ohne diese Hilfe wäre die Last der Alterssicherung für die Landwirtschaft nicht zu tragen. Bekanntlich funktioniert in der landwirtschaftlichen Alterssicherung der sogenannte Generationenvertrag nicht, da ein großer Teil der nachwachsenden Generation auf Grund des Strukturwandels andere Alterssicherungssysteme finanziert. Insofern auch das muß klargestellt werden stellen die hohen Bundeszuschüsse für die landwirtschaftlichen Alterskassen ähnlich wie bei der Knappschaft nicht nur eine direkte Hilfe für die Landwirtschaft, sondern auch eine indirekte Entlastung der anderen Rentenversicherungsträger und ihrer Beitragszahler dar. ({6}) Bundesregierung und Koalition messen der Förderung nachwachsender Rohstoffe eine hohe Bedeutung bei. Kollege Kastning hat dazu das Wesentliche gesagt. Die Konzentration der Mittel und die Bildung einer Fachagentur sollen die Wirksamkeit in Forschung, Entwicklung und Markteinführung verbessern. Ich bitte alle, über ihren jeweiligen Schatten zu springen und bei der Standortwahl nur das Ziel und die Bewältigung der bevorstehenden Aufgabe im Auge zu haben. ({7}) Die CDU/CSU-Fraktion hat eine eigene Kommission eingesetzt, die sich mit besonderer Aufmerksamkeit und besonderem Nachdruck dem Thema der nachwachsenden Rohstoffe widmen wird. Wir wollen bei den Bauern keine übertriebenen Erwartungen wecken. Wenn die EG aber davon ausgeht, daß in den kommenden Jahren 10 Millionen ha - manche sprechen sogar von 20 bis 30 Millionen ha - aus der Nahrungsmittelproduktion herausgenommen werden müssen, werden wir nachwachsende Rohstoffe schon allein deswegen brauchen, um das Land sinnvoll nutzen und unter Kultur halten zu können. ({8}) - Ein bißchen Geduld! Den nachwachsenden Rohstoffen kommt auch aus ökologischen Gründen zunehmende Bedeutung zu. ({9}) Die Agrarpolitik stand und steht 1992 ganz im Zeichen der EG-Agrarreform und der GATT-Verhandlungen. In diesen Tagen wird sehr heftig über den zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft am vergangenen Wochenende erzielten Kompromiß diskutiert. In Paris gab es heute nacht sehr stürmische Diskussionen und andere Vorgänge, und die dortige Regierung hat angekündigt, unter Umständen von einem Vetorecht Gebrauch zu machen. Bei allem, was wir aus Paris hören, sollten wir aber nicht nur auf die teilweise etwas schrillen Töne, sondern auch auf die Zwischentöne achten. Auch bei uns gibt es Forderungen, unsere Regierung sollte sich ebenso verhalten und eine Ablehnung androhen. Trotz aller Emotionen und Besorgnisse werden wir aber die Verhandlungsergebnisse sehr nüchtern betrachten müssen und uns vor allen Dingen auch die Frage stellen müssen, ob es auch nur eine geringe Chance gibt, zu einem späteren Zeitpunkt ein besseres Ergebnis zu erzielen. Da habe ich erhebliche Zweifel, ({10}) - wir sind uns ja völlig einig! Ich kann mir nicht vorstellen, daß es mit der neuen Administration in den Vereinigten Staaten leichter sein wird, bessere Ergebnisse in unserem Sinne zu erzielen. In dieser Einschätzung werde ich bestärkt durch die Beurteilungen und Analysen nicht nur von europäischer, sondern auch von japanischer Seite. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß wir im Zuge sich abschwächender Konjunktur auch national zunehmend unter Druck geraten. Die jahrelange Hängepartie hat die Sache nicht erleichtert. Die Landwirtschaft braucht Sicherheit darüber, daß die im Zuge der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik ergriffenen Maßnahmen und die in Aussicht gestellten Ausgleichszahlungen für unsere Landwirte Bestand haben. ({11}) Daß ein erfolgreicher Abschluß der GATT-Runde im wohlverstandenen Gesamtinteresse liegt, braucht nicht extra betont zu werden. Allerdings wundere ich mich schon etwas darüber, daß es gelungen ist, den Eindruck zu erwecken, als ginge es im GATT nur um die Schwierigkeiten auf dem Agrarsektor. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Agrarpolitik muß sich vielfacher Kritik stellen. Die Politik wird beinahe für alle Entwicklungen verantwortlich gemacht, auch für solche, die sie nicht oder kaum beeinflussen kann. Die Gesetzmäßigkeiten des Marktes sind auch mit dem Einsatz von noch so viel Geld nicht außer Kraft zu setzen. Die Marktordnungsausgaben sind in den zurückliegenden Jahren dramatisch gestiegen. Die Mittel für den Einzelplan 10 konnten in den zurückliegenden zehn Jahren für die alten Bundesländer - nur das ist vergleichbar - nahezu verdoppelt werden. Am Geld allein liegt es bestimmt nicht. Manchmal hat man den Eindruck, der Überschuß und die Überversorgung stellen uns vor größere Probleme als die Unterversorgung. ({12}) Deshalb wurde von allen Seiten, auch vom Berufstand, die Notwendigkeit einer Kursänderung in der europäischen Agrarpolitik nicht nur anerkannt, sondern sogar gefordert. Es wird auch deutlich, daß nicht alle Forderungen, die auf uns zukommen, so schlüssig sind. So wurde z. B. vor der Agrarreform gefordert, Mengenbegrenzungen statt Preissenkungen vorzunehmen. Jetzt - aktuell in diesen Tagen - hört sich das nach den GATT-Beschlüssen etwas anders an. Weiter wird an sich die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Direktzahlungen beklagt. Gleichzeitig aber werden der Ausgleich für Preiseinbußen und Entgelte für landeskulturelle Leistungen gefordert. Das alles soll dann möglichst gerecht sein, was ohne bürokratischen Aufwand jedoch nicht möglich ist. Zugleich beklagt man dann aber diesen bürokratischen Aufwand. Man fordert eine aktive Preispolitik, wendet sich gleichzeitig wiederum gegen die enormen Ausgaben für Intervention und Exportsubventionen. Ich will damit nur darauf hinweisen, daß hier manches eben doch etwas widersprüchlich ist. Was mich manchmal sehr bedrückt, ist, daß es auf Grund der ungeheuren Interessenunterschiede innerhalb der Landwirtschaft so schwer geworden ist, eine einheitliche Linie zu finden. Ich habe erst in der letzten Woche wieder an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Es ist einfach schwer zu verstehen, daß, wenn zehn Leute diskutieren, zwölf verschiedene Meinungen vertreten und Forderungen erhoben werden. ({13}) Es sollte doch möglich sein, daß man sich überlegt und klar analysiert, was die Politik ändern muß und was wir gemeinsam tun können, und daß wir dann eine gemeinsame Zukunftsstrategie entwickeln. Aber die Hoffnung auf einen unbegrenzten Mengenzuwachs bei garantierten Preisen zu richten, halte ich für verfehlt. ({14}) Agrarwirtschaft heißt nicht nur, Nahrungsmittel zu produzieren. In einem der am dichtesten besiedelten Länder der Erde mit höchstem Wohlstandsniveau kommt der Landwirtschaft eine sehr viel weitreichendere Bedeutung und Aufgabe zu. Ordnungsgemäße Landbewirtschaftung und damit Erhalt einer intakten Natur- und Kulturlandschaft stellt heute eine wichtige infrastrukturelle Leistung für die gesamte Gesellschaft dar. ({15}) Wir müssen also gemeinsam die Aufgabe der Landwirtschaft in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft neu definieren und ihre Leistung honorieren. ({16}) Allerdings erweist sich die unterschiedliche Zuständigkeit für Markt, soziale Sicherung und Naturschutz und die relativ harte Grenzziehung zwischen den Zuständigkeiten der EG, des Bundes und der Länder zunehmend als Problem, da andererseits bäuerliches Wirtschaften von vielen Faktoren beeinflußt wird, jedenfalls bei uns immer stärker von Naturschutz- und Umweltpolitik. ({17}) - Das will ich ja gar nicht bestreiten. - Hier haben wir mit dem Problem der unterschiedlichen Zuständigkeiten und auch der unterschiedlichen Ableitung von bestimmten Programmen gewisse Schwierigkeiten. Ich bedaure es in dem Zusammenhang, daß der soziostrukturelle Einkommensausgleich degressiv gestaltet werden muß, weil er andererseits einen guten Sockel für ein flächenbezogenes Bewirtschaftungsentgelt dargestellt hätte.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kastning?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kalb, ich möchte Sie zwar nicht von der Ihren Darlegungen zugrunde liegenden Grundlinie abbringen, aber ich möchte im Hinblick auf Ihre Ausführungen bezüglich der Ebenen und Zuständigkeiten, die Sie vorhin gemacht haben, nur die Frage stellen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß es innerhalb einer Bundesregierung, die ja eine gewisse Organisationsstruktur hat, wenigstens möglich sein sollte, über den kleinen Ansatz einer Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe hinaus dazu zu kommen, daß die einzelnen Segmente der Politik aufeinander abgestimmt werden und daß für den ländlichen Raum etwas mehr zustande gebracht wird. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Kastning, das wird ja permanent versucht ({0}) und dort, wo es realisierbar ist, auch gemacht. Aber ich sehe beispielsweise darin Probleme, daß die EG für den Markt zuständig ist, daß wir bezüglich der Agrarsozialpolitik und auch zum Teil für den Markt zuständig sind und daß die Länder für den Umwelt- und Naturschutz zuständig sind. Es gibt natürlich Leistungen an die Landwirtschaft, die aus den Anforderungen an den Naturschutz heraus begründet sind. Andere Leistungen ergeben sich auf Grund der Neuordnung des Marktes oder auf Grund von Marktbeschränkungen usw. Daraus wiederum ergeben sich die geschilderten Kompetenzschwierigkeiten. Insofern macht uns die EG-Kommission immer wieder neue Schwierigkeiten bei der Genehmigung. ({1}) - Das ist das gute Recht eines sonst von mir sehr hochgeschätzten und geachteten KleingartenbesitBartholomäus Kalb zers, wie er vorhin selber zum Ausdruck gebracht hat. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf fortfahren: Mit dem vorliegenden Agraretat leistet der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich das Menschenmögliche für unsere Landwirtschaft. ({3}) Ich habe vorhin auf die Entwicklung des Agraretats in den zurückliegenden zehn Jahren hingewiesen. Diese zehn Jahre Agrarpolitik sind untrennbar mit Ignaz Kiechle verbunden. ({4}) Trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Meinungsunterschiede und trotz manch harter Auseinandersetzungen und vielleicht auch, lieber Ignaz Kiechle, manch bitterer Erfahrung, der Sie sich hier im Parlament, aber noch mehr draußen im Lande stellen mußten, wird man sagen dürfen - immer gemessen an dem, was man realistischerweise von der Politik und vom Agrarminister verlangen und erwarten durfte -: Es waren zehn gute, zehn erfolgreiche Jahre. Der Minister hat einen ungeheuren Einsatz gezeigt. ({5}) Dafür möchte ich Ihnen im Namen unserer Landesgruppe, unserer Fraktion und der Koalition ganz, ganz herzlich danken. ({6}) - Nein! - Lieber Herr Minister, ich weiß auch, daß es selbst in der Opposition Leute gibt, die Sie mögen und die Sie schätzen. Wir hoffen, daß den vergangenen zehn guten Jahren - trotz aller Veränderungen - weitere gute Jahre folgen mögen. Herzlichen Dank. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun spricht die Kollegin Dr. Sigrid Hoth.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir fast auf den Tag genau vor einem Jahr in diesem Hause über den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten debattierten, herrschte große Unsicherheit über die weitere Entwicklung der EG-Agrarreform und über den Ausgang der GATT-Verhandlungen. Die erfolgte Verständigung auf die Eckwerte einer Reform der gemeinsamen EG-Agrarpolitik war eine wesentliche Voraussetzung, um im Streit mit den USA, aber auch mit den anderen Exporteuren von Agrarprodukten einen Kompromiß erzielen und die Gefahr eines Handelskrieges bannen zu können. ({0}) Von dieser Stelle aus fordere ich alle Gegner des Kompromisses auf, nicht auf Grund kurzfristiger, egoistischer oder nationaler Überlegungen die sich auf Grund des Kompromisses bietende Chance zur Wiederbelebung der Weltkonjunktur zu versäumen. ({1}) Dabei geht es doch nicht darum, die Bauern der Industrie zu opfern. Auch wenn dieser Vorwurf häufig zu hören und zu lesen ist, so wird er deswegen doch nicht berechtigter. ({2}) Unstreitig ist doch, daß wir auf einen erfolgreichen Abschluß der Uruguay-Runde angewiesen sind, ({3}) um - nicht nur in Deutschland - eine Rezession abzuwenden. ({4}) Dies ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, um der Landwirtschaft auch in Zukunft mit beträchtlichen Finanzmitteln einen sozialverträglichen Strukturwandel zu ermöglichen. ({5}) Wer einen Abschluß der GATT-Verhandlungen mit dem ausschließlichen Hinweis auf die Lage der Landwirtschaft zu blockieren versucht, vergißt zudem, daß die Agrarpoliltik ein Bestandteil allgemeiner Wirtschaftspolitik ist. Er vergißt, daß eine Regierung die Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung trägt. Er vergißt, daß die Öffnung der Märkte am dringendsten für die Länder der sogenannten Dritten Welt vonnöten ist. Einerseits Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe an diese Länder zu zahlen, darüber zu reden, wie man die Zuwanderungsströme regulieren kann, und andererseits Entwicklungschancen für diese Länder ungenutzt zu lassen, ist für mich einfach unehrlich. ({6}) Zum hoffentlich endgültigen Abschluß der Verhandlungen mit den USA nur noch ein Satz: Nicht zuletzt die Kritik der Bauern hier wie dort ist Anzeichen dafür, daß ein Kompromiß gefunden worden zu sein scheint, der allen Seiten erhebliche Abstriche an den eigenen Positionen abverlangte, der aber gerade deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, von allen Seiten tragbar sein sollte.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Hoth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oostergetelo?

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, gerade weil ich das teile, was Sie zum GATT gesagt haben, frage ich Sie: Kann ich davon ausgehen, daß Sie als Mitglied der Regierungskoalition alles tun werden, um darauf hinzuwirken, daß wir den Forderungen der Franzo10678 sen nicht nachgeben, sondern daß wir alle auf die Einhaltung dieses Abschlusses drängen? ({0})

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß ich all das, was ich in meinen Reden zum Ausdruck bringe, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten unterstütze. ({0}) Andererseits - hier gehe ich wiederum mit dem Bauernverband konform - trägt die Bundesregierung auch Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Lage der deutschen Landwirtschaft. ({1}) Ein Blick in den zu verabschiedenden Haushalt macht deutlich, daß sich die Bundesregierung dieser Verantwortung auch bewußt ist. ({2}) - Hören Sie mir jetzt zu! Dann kommen Sie zu dem gleichen Ergebnis. Im Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stehen für das kommende Jahr mehr als 14 Milliarden DM zur Verfügung. Im Laufe der Beratungen wurden Einsparungen in Höhe von knapp 107 Millionen DM vorgenommen, und zwar überwiegend bei den Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe. Dennoch wird der Haushalt für 1993 im Vergleich zum laufenden Jahr um 2,3 % steigen. Diese Steigerung kommt nicht zuletzt dem Ausgleich der weggefallenen Entlastung der Landwirtschaft über die Umsatzsteuerregelung zugute. Dafür stehen 1993 insgesamt 2 Milliarden DM zur Verfügung. Für 1994 und 1995 betragen die Aufwendungen 1,8 Milliarden DM bzw. 1,7 Milliarden DM. Letztere bedürfen allerdings noch der Abstimmung mit der EG, bevor die gesetzliche Grundlage für die Auszahlung der Mittel geschaffen werden kann. Bei den Verhandlungen zur gemeinsamen Agrarreform konnte bei den EG-Partnern aber bereits eine positive Grundhaltung in dieser Frage erzielt werden. Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß kein Nachteil für die deutsche Landwirtschaft entstehen wird. Als Entschädigung für verlorene Inventarbeiträge im Beitrittsgebiet können davon bis zu 180 Millionen DM geleistet werden. Für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" stehen weiterhin 2,6 Milliarden DM bereit. Im übrigen wird der größte Anteil der Aufwendungen im Einzelplan 10 für die landwirtschaftliche Sozialpolitik aufgewendet. Er beläuft sich mittlerweile auf mehr als 50 % bzw. fast 7 Milliarden DM. Die inzwischen recht konkreten Vorstellungen über die Reform der Agrarsozialpolitik finden meine Zustimmung. Als Haushälterin möchte ich jedoch die mit der Reform befaßten Kollegen bitten, bei ihren weiteren Überlegungen die dauerhafte Finanzierbarkeit des agrarsozialen Sicherungssystems fest im Auge zu behalten. ({3}) Insofern, liebe Kollegen, begrüße ich die Absicht, die Alterssicherung zukünftig auf wirkliche Landwirte zu beschränken, um Mitnahmeeffekte wie z. B. bei der landwirtschaftlichen Krankenversicherung künftig auszuschließen. ({4}) Ein weiterer Bereich, dem wir zukünftig unsere Aufmerksamkeit verstärkt widmen sollten, ist die Förderung der Agrarwirtschaft. Auch ich, liebe Kollegen, möchte in diesem Zusammenhang einige Worte zu dem speziellen Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe sagen. Noch ist die Konkurrenzfähigkeit nachwachsender Rohstoffe im Vergleich zu konventionellen Energieträgern zwar nicht gegeben; ({5}) aber es besteht hier ein erhebliches Entwicklungspotential. Deshalb haben wir in den Beratungen zum kommenden Haushalt beschlossen, die Einrichtung einer Fachagentur zu unterstützen ({6}) - Sie haben recht, daß wir wirklich erst einmal gemeinsam abwarten sollten, was die bringt -, deren Aufgabe es ein soll, Produktions-, Absatz- und Verwendungsmöglichkeiten nachwachsender Rohstoffe zu verbessern und die öffentliche Förderung zu koordinieren. Ich erwarte aber, Herr Minister, daß entsprechend den Beschlüssen der Förderalismuskommission diese Fachagentur auch wirklich in den neuen Bundesländern ihren Standort findet. ({7}) - Kollegen aus den neuen Bundesländern sind ja wohl in allen Fraktionen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der Beratungen der letzten Wochen ging es jedoch auch darum, schnell und unbürokratisch auf unvorhersehbare Ereignisse wie z. B. auf die Auswirkungen der Dürrekatastrophe zu reagieren. Die Bundesregierung hat nach kurzer Beratung beschlossen, für die betroffenen Betriebe 200 Millionen DM bereitzustellen. Auf die neuen Bundesländer entfallen davon 180 Millionen DM. An dieser Stelle möchte ich bemerken, daß die Bereitstellung finanzieller Mittel im Bundeshaushalt zur Unterstützung der Bauern jedoch nur dann wirkDr. Sigrid Hoth sam werden kann, wenn die Umsetzung in den Ländern entsprechend durchgeführt wird. Insofern erfüllt mich schon mit Bitterkeit, wenn mir die Landwirte aus Sachsen-Anhalt berichten - das wird in den anderen neuen Bundesländern nicht anders sein -, daß mit Stand vom Oktober 1992 lediglich die Anpassungshilfe für das erste halbe Jahr ausgezahlt worden ist, während die Stillegungsprämie, die Investitionszulage, die Mitverantwortungsabgabe, die Zinsverbilligung und die Zuschüsse für benachteiligte Gebiete sowie auch die Landesmittel zur Dürrehilfe noch ausstehen. Daß, Herr Kollege Kastning, ist eine wirkliche Tragödie. Angesichts der zur Zeit zum Teil sehr ernsten finanziellen Situation in den landwirtschaftlichen Betrieben fordere ich deshalb die Landesbehörden und -ämter auf, alles daranzusetzen, um die schnellstmögliche Auszahlung der bereitgestellten Mittel an die Landwirte zu sichern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluß möchte ich Ihnen sagen, daß die F.D.P.-Fraktion dem vorgelegten Haushalt zustimmt und daß ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danke. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster spricht nun unser Kollege Dr. Fritz Schumann.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDS/Linke Liste verschließt sich vor dem Hintergrund gesamtwirtschaftlicher Schwierigkeiten und angespannter Staatsfinanzen nicht dem Erfordernis eiserner Sparsamkeit. Auch wir halten Einsparungen für unverzichtbar, allerdings auf anderen Feldern als die Bundesregierung. Das ist sicherlich auch verständlich. Frau Kollegin Hoth, ich kann Ihnen hier sagen, daß auch wir im Interesse des Welthandels, der Weltwirtschaft und vor allem auch der vielen Länder der Dritten Welt den Abschluß der GATT-Verhandlungen für sehr wichtig halten und deswegen mit dem gefundenen Agrarkompromiß einverstanden sind, auch wenn es manchmal schmerzt, wenn man als Landwirt Flächen stillegen muß. Aber man muß hier ganz deutlich sagen: Im Interesse des Welthandels ist das sicherlich richtig. Weitaus wichtiger und nachhaltiger als die Versuche der Konsolidierung der Staatsfinanzen per Rotstift ist aber, daß die Bundesregierung endlich bessere Bedingungen schafft, damit die Wirtschaft florieren kann. Dann kommt auch Geld in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen und sicherlich auch zu den Menschen. Leider liegen auf diesem Feld die Hauptversäumnisse dieser Bundesregierung, und zwar auch auf dem agrar- und ernährungswirtschaftlichen Gebiet. ({0}) Wie aber soll Geld in die Kassen kommen, wenn in Ostdeutschland in dem Zeitraum von Januar bis September 1992 z. B. die Pro-Kopf-Fleischerzeugung nur noch 43,8 % des Niveaus der alten Bundesländer erreichte? ({1}) - Darauf komme ich gleich, Herr Hornung. - Sie betrug einmal das 1,6fache. ({2}) - Frau Jaffke, Sie wissen doch genau, daß die ostdeutschen Bürger vielleicht sogar mehr essen als die westdeutschen. Das haben sie früher schon getan. Ich komme gleich darauf. Die Folgen sind Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Tierproduktion, in der Schlachtung und in der Verarbeitung und damit Vergrößerung der Arbeitslosigkeit, die dem Bund zusätzliche Ausgaben verursacht, und sind Betriebe, die weniger Steuern zahlen, also geringere Haushaltseinnahmen. Es ist sicherlich eine unbestrittene Tatsache - damit komme ich darauf zurück -, daß die Neubundesbürger nicht weniger essen als die alten Bundesbürger. Das heißt, hier, wie auf anderen Gebieten, versorgt der Westen den Osten in erheblichem Maße mit. ({3}) - Herr Hornung, Staatssekretär Gallus hatte recht, als er jüngst das Ausmaß des Rückgangs der Viehbestände als anomalen Zustand charakterisierte und die Befürchtung aussprach, daß die Schere zwischen Viehaufkommen auf der einen Seite und Schlacht- und Verarbeitungskapazitäten auf der anderen Seite immer weiter auseinanderklafft. Nur, Herr Gallus, sollte man nicht sagen, man hätte das nicht voraussehen können. Herr Gallus, Sie sind ein intelligenter und ein sehr engagierter Mensch. ({4}) Ich hätte von Ihnen deshalb wirklich etwas anderes erwartet. ({5}) Nicht nur wir, sondern auch die ostdeutschen Bauernverbände haben frühzeitig und wiederholt vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Sie ist in erster Linie das Resultat von Rahmenbedingungen, die den Aufschwung mehr behindern als fördern. Das muß man hier deutlich sagen. Obwohl in diesem Hause schon des öfteren darauf verwiesen wurde, daß fehlende langfristige Pachtverträge für Treuhandflächen, die Belastung mit Altschulden ohne Gegenwert sowie eine schleppende Teilentschuldung, die ahistorische Regelung der Vermögensauseinandersetzung in novellierten LAG - das muß man deulich sagen -, die Entwertung, der Verlust und der Abfluß von Betriebskapital, eine unvorstellbare Bürokratie bei der betrieblichen Förderung und bei der Erlangung von Neukrediten die Dr. Fritz Schumann ({6}) Anpassung, die Umstrukturierung und den Aufschwung massiv erschweren, wurden bisher kaum Konsequenzen gezogen. ({7}) Heute ist ja gesagt worden - offenbar hat auch der Agrar-Arbeitskreis der Koalition darüber beraten -, daß das Entschädigungsgesetz jetzt so weit auf die Reihe gebracht worden ist, daß zumindest zunächst eine langfristige Verpachtung vorgeschaltet wird und daß dafür die Treuhand bzw. die BVVG den Auftrag erhält. Ich halte es für wichtig, daß das jetzt endlich kommt. Aber das ist sehr spät - Herr Hornung, das wissen auch Sie -, und es hat viele Unsicherheiten verursacht. ({8}) Wahrscheinlich ist das auch noch nicht einmal endgültig. Es ist doch eine Schande, wenn, wie die Treuhand jüngst verkündete, der Abschluß der Teilentschuldung nicht vor Mitte 1993 zustande kommt. Damit wird die für Investitionen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unerläßliche Aufnahme von Neukrediten wiederum hinausgezögert. Wenn nicht endlich die Weichen in Richtung Erreichung höherer Betriebsergebnisse gestellt werden, kann auch nicht genügend Geld in die Haushalte fließen und verteilt werden. Wie verkorkst die Rahmenbedingungen sind, zeigt die Presseerklärung des Thüringer Landwirtschaftsministeriums, nach der die Flurneuordnung in Thüringen Jahrzehnte dauern wird. Ich habe es nachgerechnet: Sie würde mit der derzeitigen Flurneuordnung genau 172,5 Jahre dauern. Das ist kein Witz, sondern traurige Realität. ({9}) Bei solchen Rahmenbedingungen kann man, glaube ich, gut und gern auf die für die Flurneuordnung vorgesehenen Mittel nicht nur für 1993, sondern auch für die Folgejahre verzichten. Aber zurück zum Ausgangsbeispiel: Die Hauptursache des überdimensionierten Viehbestandsabbaus liegt darin, daß die meisten Betriebe auch am Beginn des dritten Wirtschaftsjahres nach der Währungsunion gezwungen sind, von der Substanz zu leben, ihr Vermögen zu verzehren trotz erreichter Kostensenkung und realisierter höherer Erzeugerpreise, die es - da muß ich Ihnen recht geben - natürlich gibt. Der Grund: Die erreichte Ergebnisverbesserung der ostdeutschen Landwirtschaft wird durch den Subventionsabbau aufgefressen. Immerhin betrug dieser im Wirtschaftsjahr 1991/92 gegenüber 1990/91 rund 50 %. Mit dem Wegfall der Anpassungshilfen für 1993 würde diese Politik fortgesetzt, obwohl die Anpassungsprobleme - auch darüber sind wir uns sicherlich einig - bei weitem noch nicht gelöst sind.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Könnten Sie bitte zum Schluß kommen.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe nur noch einen Satz, Frau Präsidentin.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wunderbar.

Dr. Fritz Schumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002114, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Unsere Gruppe hält gemäß ihrem Antrag deshalb die Weitergewährung von Anpassungshilfen für notwendig. Sie sollten nicht von vornherein als Geschenk des Staates gelten, sondern an Kriterien der Ergebnisverbesserung geknüpft werden. ({0}) Bei nicht erreichter Verbesserung wären sie zurückzuzahlen, d. h. der Staat soll das Geld nicht in Fässer ohne Boden stecken. ({1}) Aber ohne Hilfen würde vieles schlimmer und in der Konsequenz sehr viel teurer. Danke schön. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Ignaz Kiechle, das Wort.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind ja drei Begriffe, die die Schwierigkeiten der Agrarpolitik ganz kurz kennzeichnen. Das ist - nicht nur in den neuen Bundesländern - der große Umstrukturierungsprozeß. Das sind die Anpassungen, die auf Grund der EG-Agrarreform, die unvermeidlich war, nunmehr anstehen und sich erst ab dem nächsten Jahr voll auswirken. Das sind letztlich die Konsequenzen aus den GATT-Regelungen - das ist dann ein weltweites Problem -, die nach Auffassung wohl aller im Haus unumgänglich notwendig sind. Daß wir bei der Lösung solcher Probleme keinen Glaubenskrieg um Einzelmaßnahmen oder einzelne Haushaltspositionen im Bereich Landwirtschaft brauchen, dürfte, so meine ich, allen klar sein. Was wir brauchen, ist Schulterschluß. Um den möchte ich bitten, und zwar nicht im Interesse einer oder mehrerer Parteien, sondern weil die Landwirtschaft diesen Schulterschluß der demokratischen Parteien nötig hat. Sie bedarf der Hilfe; denn es gibt so viele Probleme und so viele Schwierigkeiten, daß man das nicht allein auf ihrem Rücken austragen kann. ({0}) Die Reform der EG-Agrarpolitik stellt unsere Landwirtschaft schon vor große Herausforderungen. Die einigungsbedingten Kosten sind ja auch nicht gerade so, daß wir sagen könnten, das seien Kleinigkeiten. Sie stellt uns vielmehr vor einmalige Finanzierungsfragen. Man sollte das auch nicht einfach verteilen nach dem alten Schema: Die Opposition ist für nichts verantwortlich, und die Regierung ist an allem schuld. Ganz im Gegenteil: Wer das tut, hat die Zeichen der Zeit ganz bestimmt nicht erkannt. Parteipolitisches Taktieren liegt mir ohnehin fern. Aber in dieser Zeit ist es bei der Agrarpolitik ganz bestimmt nicht angebracht. Insofern möchte ich auch Ihnen, Herr Kastning, dafür danken, daß Sie ein paar Punkte - wenn auch kritisch; das ist Ihr gutes Recht - angesprochen haben. Handeln ist das Gebot der Stunde, und wir haben doch gehandelt. Wir haben den Etat für Landwirtschaft in der Zeit von 1983 bis 1992 mehr als verdoppelt. Wir haben diesen Etat 1993 immerhin noch einmal um 2,3 % auf 14,3 Milliarden DM erhöht. Das ist mehr als anderes der Beweis für und Ausfluß von Taten, die man zu tun bereit ist. Reden nützt keinem Landwirt etwas. Immerhin entfallen davon rund 2,5 Milliarden DM auf einigungsbedingte Ausgaben. Das ist ein Ergebnis, das wir, glaube ich, ohne Wenn und Aber vorzeigen können. Insofern haben wir Wort gehalten. Wir setzen unsere Politik für die Landwirtschaft auch konsequent fort. Das heißt, finanzieller Schwerpunkt bleibt beispielsweise die Agrarsozialpolitik. Mit einer Steigerungsrate von mehr als 12 %, einer Steigerung auf rund 6,8 Milliarden DM fließt 1993 fast die Hälfte der gesamten Etatmittel in diesen Bereich. Unsere Landwirtschaft wird damit bei den Beiträgen zu einer solchen sozialen Absicherung auch weiterhin in erheblichem Maße entlastet. Wir werden in dieser Legislaturperiode die Reform der agrarsozialen Sicherung abschließen. Oft angemahnt, vom Parlament unter bestimmten Kriterien ausdrücklich gefordert, wird das nun geschehen. Wir machen das -

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Minister Kiechle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kastning?

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Wenn Herr Kastning mir erlaubt, diesen Satz noch zu beenden, dann sage ich ja dazu. Wir machen das, um die Beiträge für die Alterssicherung möglichst stabil zu halten, um die effektive Beitragsbelastung für den einzelnen Betrieb gerechter und familienfreundlicher zu gestalten und um den Bäuerinnen eine eigenständige Sicherung anzubieten. Herr Kollege Kastning, vergessen Sie Ihre Frage nicht. Sie haben vorhin schon eine Frage dazu - eine sehr berechtigte - gestellt. Die Kosten kann ich Ihnen natürlich in D-Mark nicht genau sagen, aber sie werden bei rund 700 Millionen DM pro Jahr liegen. Daß das einer sorgfältigen Finanzplanung bedarf, ist mir klar. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen - das ganze Haus möchte dies sicherlich auch -, daß diese Mittel seriös über absehbare Zeit, d. h. so lange, wie wir uns das vorstellen können, gesichert sind. ({0}) Dazu bedarf es nicht nur der Abstimmung mit dem Parlament, sondern auch der mit dem Finanzminister. Dies ist geschehen. Sie dürfen versichert sein: Über den Weg insgesamt, also darüber, woher die Mittel kommen und wie sie gesichert werden, müssen wir zwar noch einmal reden, aber es gibt dafür eine gute Basis. Bitte schön, Herr Kollege.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Als jemand, der seit zwei Jahren zwischen dem Wunsch steht, der Landwirtschaft natürlich zu helfen, und dem Druck der Haushälter insgesamt - das ist ja eine ehrenwerte Gesellschaft von mehr als 30 Abgeordneten -, immer wieder zu gucken, wo man Geld sparen kann, habe ich mich über Ihren Satz gefreut, daß Sie die Politik fortsetzen, die gewährleistet, daß Geld für die Agrarpolitik, auch für die soziale Sicherung, da ist. Ich möchte Sie, Herr Minister, um der Seriosität willen fragen: Sind Sie wirklich fest davon überzeugt, daß dieser gemäßigte Aufwärtstrend des Agraretats über Ende Januar/Anfang Februar 1993 hinaus Bestand haben wird? Ich will hinzufügen, damit keiner andere Spekulationen anstellt: Ich meine damit den Nachtragshaushalt.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Das war ja auch eine Ihrer Fragen. Meine Antwort lautet, bezogen auf die Agrarsozialpolitik auch für die kommenden Jahre, ja. Da bin ich völlig sicher. ({0}) - Ich kann das nicht für den gesamten Haushalt sagen. Das kann niemand, der seriös argumentieren will. Wir sehen in der Gemeinschaftsaufgabe übrigens einen weiteren Schwerpunkt unserer Agrarpolitik. Der Ansatz wird im Jahre 1993 auf 2,63 Milliarden DM erhöht. Damit werden wir vor allem auch den Problemen bei der Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Ländern Rechnung tragen. Insgesamt werden 1993 1,745 Milliarden DM für Ausgleichsmaßnahmen für die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt. Der Löwenanteil dieser Mittel wird für die Anschlußregelung des 3 %-Umsatzsteuerausgleichs benötigt. Obwohl diese Maßnahme 1992 letztmalig zur Anwendung kommen sollte, haben wir im Rahmen des Agrarreformpakets von der EGKommission eine Protokollerklärung erwirkt, nach der eine zeitlich befristete degressive Fortführung geprüft wird. Wir werden 1993 bis zu 180 Millionen DM aus diesen Bereichen - Entschädigungsleistungen für verlorene Inventarbeiträge - bereitstellen. Freiwerdende, wegen EG-Regelungen nicht mehr auszahlbare Finanzmittel aus dieser Regelung wollen wir, soweit möglich, weiter für die Landwirtschaft einsetzen, ({1}) besonders in den Bereichen der Sozialpolitik und Gemeinschaftsaufgabe. ({2}) Während wir also für das kommende Haushaltsjahr Vorsorge für eine Fortsetzung der Einkommenshilfen getroffen haben, warten wir noch darauf, daß die SPD ihren vielen vollmundigen Erklärungen zugunsten direkter Einkommensübertragungen auch Taten folgen läßt, und darauf, daß sich die SPD-Länder nun endlich dazu durchringen, ihren Beitrag für die Anschlußregelung des 3 % -Umsatzsteuerausgleich 1992 zu leisten. ({3}) Wir werden vor allem auch unsere Anstrengungen im Bereich nachwachsender Rohstoffe verstärken; denn mittel- bis langfristig braucht unsere Landwirtschaft auf Grund der begrenzten Nahrungsmittelmärkte Produktions- und Verwendungsalternativen für ihre Produkte. Ich füge hinzu: Auch die Umwelt braucht möglichst viele für sie freundlich und günstig zu handhabende Rohstoffe. ({4}) Für Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben stehen 1993 Projektmittel in Höhe von rund 55 Millionen DM zur Verfügung. Sie werden ab 1993 ausschließlich im Agrarhaushalt veranschlagt. Ihre Koordinierung erfolgt durch eine Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe. Diese Fachagentur ist schon mehrere Male angesprochen worden. Meine Damen und Herren, wenn Sie einem alten Fahrensmann - ich bin immerhin über 20 Jahre in diesem Parlament - überhaupt etwas glauben - was ich nicht weiß -, dann kann ich Sie nur darauf hinweisen: Diese Fachagentur soll von seiten des Bundes mit rund 2 Millionen DM im Jahr subventioniert werden. Das Bundesland, in dem diese Fachagentur letztlich ihren Sitz hat, sollte denselben oder einen etwas höheren Betrag aufbringen. ({5}) Diese Fachagentur hat nur dann einen Sinn und bringt den Bauern in ganz Deutschland nur dann etwas, wenn sie bereits nach drei Monaten funktionsfähig ist. Wir haben keine Zeit für eine zweijährige Aufbauphase und solche Scherze. Wenn man einen solchen Standort findet, das Land seinen Beitrag leistet und Fachleute aus Wirtschaft, Politik und sonstigen Bereichen schnell berufen sind und dort arbeiten können, funktioniert das Ganze in drei Monaten. Für mich ist derjenige Standort der richtige, wo dies am ehesten gewährleistet ist. Für Projekte, die diese Agentur vergeben kann, stehen über 50 Millionen DM zur Verfügung. Sie können in ganz Deutschland realisiert werden. Sie werden wahrscheinlich in den neuen Bundesländern in weitaus größerem Umfang realisiert als in den alten Bundesländern, weil in den neuen Bundesländern die dafür notwendige großflächige Landwirtschaft zur Verfügung steht. So sollten wir handeln, statt dabei irgendeine Ideologie zu verfolgen. ({6}) Wir haben mit der EG-Agrarreform für die nachwachsenden Rohstoffe einen wichtigen Schritt getan. Jetzt können auf der gesamten stillgelegten Fläche über Getreide hinaus fast alle gängigen Ackerkulturen für den Nichtnahrungsbereich angebaut werden, und dennoch erhalten unsere Bauern die volle Stillegungsprämie. Das Jahr 1993, meine Damen und Herren, wird für unsere Bauern und die Landwirtschaft eine Vielzahl tiefgreifender Veränderungen bringen. Wir können es nicht ändern, wir können nur versuchen, die Entwicklung zu steuern. Mit der ersten Stufe der Agrarreform beginnen wir den Einstieg in eine neue Agrarpolitik, nämlich mehr direkte und weniger indirekte Einkommenspolitik. Europa und wir erhoffen uns davon erstens eine spürbare Entlastung der Agrarmärkte und zweitens eine wirksame Stabilisierung der Einkommen unserer Landwirtschaft sowie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt. Wir werden die Folgen der Reformbeschlüsse genau im Auge behalten und dabei auf eine ausgewogene Entwicklung vor allem bezüglich des Einkommensausgleichs und der Marktentlastung achten. Es ist unser fester Wille, dafür zu sorgen, daß unsere Landwirtschaft - damit meine ich auch die deutsche, aber nicht nur sie - auch zukünftig ihre wichtigen Aufgaben erfüllen kann. Deshalb dürfen auch die GATTVerhandlungen die Beschlüsse zur EG-Agrarreform nicht in Frage stellen. Am 18. und 19. November 1992 hat die EG hierzu in wichtigen Fragen mit den USA einen globalen Kompromiß gefunden. Dabei wurden gegenüber den ersten Angeboten der USA durchaus entscheidende Verbesserungen erzielt. In der Ölsaatenfrage verpflichtet sich die EG, nach Anwendung des üblichen Stillegungssatzes eine Anbaufläche von maximal 4 360 000 ha einzuhalten. Das entspricht bei dem derzeitigen Ertragsniveau rein rechnerisch einer Produktion von über 10 Millionen t Ölsaaten. Ölsaaten als nachwachsende Rohstoffe können nach dieser Vereinbarung zusätzlich bis zu einer Menge von 1 800 000 t angebaut werden. Die bei dem derzeitigen Ertragsniveau zulässige Produktionsmenge liegt damit insgesamt mit rund 12 Millionen t sehr nahe bei der jetzigen Produktionsmenge. Die Ausgleichszahlungen im Rahmen der EGAgrarreform unterliegen eindeutig nicht einer Abbaupflicht im GATT. ({7}) Damit wurde eine unserer wichtigsten Forderungen von den USA akzeptiert. Bei Substituten wurde eine Konsultationspflicht - das ist ein bißchen wenig, aber immerhin viel mehr, als wir bisher hatten, nämlich nichts - bei Überschreiten einer Basisimportmenge von rund 16,5 Millionen t vereinbart. Leider konnten wir die Produktbündelung bei Rücknahme unserer Agrarexporte um 21 % nicht erreichen. Zusammenfassend kann nach einer ersten Bewertung der bisher bekanntgewordenen Ergebnisse - das muß man auch hinzufügen - davon ausgegangen werden, daß sich die Ergebnisse des bilateralen Kompromisses im Rahmen der Reformbeschlüsse bewegen. Sie sind ohne Zweifel nicht ausschließlich erfreulich, sondern beinhalten sozusagen Licht und Schatten zugleich. Alles in allem können wir allerdings auch im Interesse Europas und eines funktionierenden Welthandels dem Kompromiß unsere Zustimmung nicht einfach versagen. Das ist keine Frage der Begeisterung, sondern letztlich eine Frage der politischen Vernunft. Wer immer diese Vereinbarungen zu Fall bringt oder bringen will, muß auch die Verantwortung dafür tragen. ({8}) Herzlichen Dank sagen möchte ich den Abgeordneten des Haushaltsausschusses und des Ernährungsausschusses sowie den Abgeordneten der Koalition und der Opposition, die sich besonders den schwierigen Fragen nationaler, europäischer und weltweiter Agrarpolitik widmen. Ich darf Ihnen versichern, daß die Bundesregierung unsere Landwirtschaft auch weiterhin mit größtem Einsatz auf ihrem schwierigen Weg unterstützen wird. Ich bitte daher das Hohe Haus urn die Zustimmung zum Einzelplan 10. Eine letzte Dreiviertelminute möchte ich nutzen, um zum Thema GATT ein Wort zusätzlich zu sagen. Ich fürchte, daß Frankreich, das eine sehr harte Haltung einnimmt - gemäß dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag wäre die Tatsache, daß man ein Veto überstimmt, mit anderen Konsequenzen verbunden, die man sehr wohl abwägen muß, bevor man solche Gedanken auch nur hegt, geschweige denn sie äußert; das kann ein Verband leicht, aber ein Staat nicht -, den Versuch unternimmt, durch Hinauszögern der Verhandlungen und durch eine gewisse Härte in der verbalen Auseinandersetzung zu erreichen, daß die Preise für Getreide schlicht und einfach ohne jeden Schutz dem Weltmarktpreis angepaßt werden, dafür die direkte Einkommenssubvention noch einmal ein bißchen erhöht wird und im übrigen jede Verpflichtung für „set aside", also zu einer Beschränkung der Produktion dann entfällt, weil man ohne Exportsubventionen ja so viel exportieren darf, wie man will. ({9}) Das wäre eine Politik, die den deutschen Bauern nicht entgegenkäme; denn heute haben wir wenigstens bei 23 DM eine Mindestsicherung. Das müssen alle bedenken, die jetzt auf dem einen Bein laut hurra schreien und andererseits von der Bundesregierung verlangen, sie solle sich dem Veto anschließen. So einfach liegen die Dinge nicht. ({10}) - Ich habe es hier öffentlich gesagt. Ich habe sehr wohl gewußt, warum ich das hier sage. Ich bedanke mich noch einmal bei Ihnen allen. Ich hoffe, daß wir unsere Agrarpolitik in den Grundsätzen gemeinsam zugunsten der deutschen und der europäischen Bauern fortsetzen können. ({11})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier hat um das Wort zu einer Kurzintervention gebeten.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren von der Koalition, ich höre von meinen Kollegen und auch von anderswo, daß Sie sich dort, wo ich nicht anwesend bin, kritisch über mich und das, was ich zu den EG-Agrarexportsubventionen sage, äußern. Ich gebe Ihnen also hier, wo ich anwesend bin, die Gelegenheit, sich auch kritisch zu äußern bzw. zu sagen, was Ihnen nicht gefällt. Ich meine folgendes - das habe ich auch gestern beim Kanzleretat gesagt -: ({0}) Ich meine, unter dem Gesichtspunkt des dringend notwendigen Sparens müssen u. a. auch die EGAgrarexportsubventionen gekürzt werden. Wenn ich Zeit habe, benutze ich zur Verdeutlichung folgendes Beispiel. ({1}) Die EG-Kommission hat im letzten Frühjahr den Export von 100 000 t Rindfleisch nach Brasilien genehmigt. Die Kosten für die EG beliefen sich pro Kilo auf etwa 6 DM. Der Preis für die Brasilianer betrug etwa 1 DM. Die Subvention pro Kilo machte also 5 DM aus. Das halte ich fiskalisch nicht für möglich. ({2}) - Sie rufen der Präsidentin zu, das sei nicht zulässig. Aber Sie haben gerade wieder meinen Namen in die Debatte geworfen, und mein Kollege Kastning war so nett, darauf zu antworten. ({3}) Das ist fiskalpolitisch unsinnig. Es ist entwicklungspolitisch unsinnig, weil es die Ausfuhrmöglichkeiten der anderen Länder kaputtmacht. ({4}) Es ist umweltpolitisch unsinnig, weil es die Überschußproduktion fördert. Es ist schließlich agrarpolitisch unsinnig, weil nur der kleinere Teil des Geldes bei den Bauern landet. ({5}) Außerdem sage ich immer dazu - das sage ich auch hier -: Das kostet in der EG etwa 25 Milliarden DM. Wenn wir das herunterfahren, haben wir natürlich nicht alle diese Milliarden zur Verfügung. Denn ein Teil der eingesparten Mittel muß selbstverständlich als Transferleistung an die Bauern gezahlt werden. Jetzt sagen Sie mir, was Sie gegen diese Position haben, und sagen Sie das hier und nicht immer hinterrücks, wenn ich nicht dabei bin. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Jetzt, liebe Kollegin Matthäus-Maier, ist Schluß. Es waren zwei Minuten - falls es irgendwelche Irritationen gibt - und zwei Sekunden. Das ist im Rahmen des Läßlichen. Zum anderen steht in unserer Geschäftsordnung nicht, worauf sich Kurzinterventionen zu beziehen haben. Kurzinterventionen sind zu allem auf dieser Welt möglich. Sie sind sogar zu Äußerungen von Kollegen aus der eigenen Fraktion möglich. Es gibt nur eine einzige Beschränkung: Sie dürfen maximal zwei Minuten dauern. Insoweit habe ich mich korrekt verhalten. Wie die Äußerung der Kollegin Matthäus-Maier zu bewerten ist, ist Sache der anwesenden Mitglieder. Sie sind dabei in Ihrem Gewissen vollständig frei. Nunmehr schließe ich die Aussprache zu diesem Einzelplan. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste zum Einzelplan 10 auf der Drucksache 12/3828. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag bei einigen Enthaltungen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 10 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist damit angenommen. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der SPD zur Entlastung von landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Ländern auf den Drucksachen 12/2317 und 12/3234 ab. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Antrag abzulehnen. Wer stimmt für diese Empfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung angenommen. Jetzt rufe ich auf: Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksachen 12/3522, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Carl-Ludwig Thiele Dazu liegen vier Änderungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu irgendwelche Änderungswünsche? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster der Kollegin Thea Bock das Wort.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland ist in ein bedrohliches Ungleichgewicht geraten. Eine Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum ist nicht mehr gewährleistet. Was wir uns aber gerade in dieser Zeit des sozialen Unfriedens überhaupt nicht leisten können, ist die Zunahme von Frust und Wut auf diesen Staat. ({0}) Es ist unbestritten, daß auch und nicht zuletzt durch mangelnde Versorgung mit Wohnraum und durch eine schlechte Wohnsituation sowie in einem tristen Wohnumfeld die Unzufriedenheit der Menschen wächst. ({1}) Wir haben in den letzten Tagen sehr über die Ursachen von Gewalt nachgedacht - es wurde von Erziehung und Ausbildung geredet -, um dem beizukommen. Wir haben uns gefragt: Wo kommt die Gewaltbereitschaft her, und warum ist die Hemmschwelle so gesunken? ({2}) - Ich bin auch auf die Familie gekommen. ({3}) Aber u. a. spielt auch die Wohnsituation eine Rolle. ({4}) - Es geht darum, daß die Menschen keine Wohnung mehr finden. ({5}) Ich bin froh, daß wir die Neue Heimat noch haben. Sie kann so steuern, daß auch sozial Schwache noch eine Wohnung finden. Wer nicht erkennt oder nicht erkennen will, daß die Ursache für Gewalt auch in dieser Situation liegt, wer jetzt nicht mit Hochdruck daran arbeitet, ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen, und trotz dieser Erkenntnis die entsprechenden Mittel im Einzelplan 25 nicht erhöht, der - ich sage das, auch wenn es hart klingt - macht sich mitschuldig an der Entwicklung, die in den letzten Monaten in der Bundesrepublik Deutschland deutlich geworden ist. ({6}) Der Einzelplan 25 in seiner heute vorliegenden Fassung -- ich weiß, daß demnächst noch irgend etwas kommt - macht deutlich, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, diese erkennbaren Probleme anzunehmen und entsprechend Mittel im Haushalt umzuschichten. Die Ausgaben sind 1993 sogar noch um 3 Millionen DM niedriger als 1992. ({7}) Auch die Sozialdemokraten sagen: Wir müssen sparen, aber nicht in diesem Bereich und schon gar nicht in Zeiten abflauender Konjunktur. Denn es ist eine Binsenweisheit - das wissen wir alle -, daß Investitionen im Baubereich die Konjunktur beleben. Sie können nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß in der Bundesrepublik 2,5 Millionen Wohnungen fehlen. Diese Zahl lesen Sie selber in Statistiken. Bis zum Jahre 2000 prognostiziert die unabhängige Wohnungsbaupolitische Kommission des Deutschen Volksheimstättenwerkes eine Erhöhung der Haushalte um 4,2 Millionen. Das würde bedeuten: Um auf dem schon jetzt nicht ausreichenden Niveau zu bleiben, müßten pro Jahr mindestens 500 000 Wohnungen gebaut werden. Zugleich verdeutlicht eine genaue Betrachtung der bisherigen Entwicklung: Es sind noch nie so wenige Wohnungen gebaut worden wie unter der Ägide dieser Bundesregierung. ({8}) In den letzten zehn Jahren der sozialliberalen Koalition wurden 4,4 Millionen Wohnungen fertiggestellt. Dann kam die Wende, die auch zu einer Wende auf dem Wohnungsmarkt führte. Von 1982 bis heute - auch das sind zehn Jahre - sind nur 2,9 Millionen Wohnungen gebaut worden. Ich sehe nicht, wie Sie, die regierende Koalition, mit Ihrer verfehlten Wohnungspolitik Ihr Wahlversprechen aus dem Jahre 1990, nämlich bis zum Jahre 1994 zusätzlich 2 Millionen Wohnungen zu bauen, einlösen wollen. ({9}) Aber das ist nicht mein Problem. Das müssen Sie dann Ihrer Bevölkerung erzählen. ({10}) - Nein, Ihrer. ({11}) - Es steht fest: Die Regierung hat den Wohnungsbau schleifen lassen. Daran führt kein Weg vorbei. ({12}) Wer jetzt nicht einsieht, daß diese Wohnungsnot bekämpft werden muß, tut mir fast leid. Bis 1982 wurden noch durchschnittlich 140 000 Sozialwohnungen jährlich gebaut, und Sie haben es geschafft, daß das auf 50 % reduziert worden ist; zur Zeit sind es noch 70 000 Wohnungen im Jahr. Das ist eine Bilanz, die vernichtend ist. Ich will das noch mit ein paar weiteren Zahlen erhärten. 1991 wurden ca. 65 000 Sozialwohnungen gebaut, aber zugleich fällt pro Jahr bei 150 000 Altwohnungen die Sozialbindung weg. Es geht also weiter in der Spirale nach unten, und zur Zeit gibt es nur noch 2,8 Millionen Sozialwohnungen. Das sind bei einem Wohnungsbestand von ca. 27 Millionen Wohnungen in den Westländern nur etwa noch 10 %. ({13}) Gleichzeitig sind die Mieten für nicht preisgebundene Wohnungen - besonders, aber nicht nur in unseren großstädtischen Ballungsgebieten - schon nicht mehr zu bezahlen. Die Menschen geben heute im Schnitt 34 % ihres Nettoeinkommens für Mieten aus, ({14}) und viele Wohnungen auf dem freien 'Wohnungsmarkt sind für normal- und geringverdienende Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht mehr erschwinglich. ({15}) Immer mehr Menschen werden aus ihren Wohnungen verdrängt. Insbesondere in den Ballungszentren können Arbeitnehmerfamilien eine angemessene Wohnung kaum noch bezahlen. Diese Situation, die durch den aufgezeigten stetigen Abbau des Wohnungsbaus entstanden ist, indem die Regierung den Wohnungsbau kontinuierlich nach unten fährt, wird noch durch weitere Versäumnisse verschärft. Viele Familien haben auf Grund der geltenden Einkommensgrenzen, die seit mehr als zehn Jahren nicht angepaßt worden sind, heute überhaupt keine Berechtigung zum Bezug einer Sozialwohnung mehr. Vor zehn Jahren haben ungefähr 70 % eine öffentlich geförderte Wohnung beanspruchen können; heute sind es nicht einmal mehr 30 %. ({16}) - So gut geht es uns? Da fragen Sie einmal, was die Leute draußen dazu sagen! Die haben nicht deshalb den Anspruch nicht mehr, weil sie genug verdienen, sondern weil Sie die Grenze nach oben nicht angepaßt haben. ({17}) - Aufhetzen! - Diese Menschen sind nun schutzlos dem freien Wohnungsmarkt ausgesetzt. Auf Grund der Knappheit steigen die Mieten und steigen immer weiter, und Sie schieben im Grunde genommen Ihre politische Verantwortung auf den Markt ab. Aber auch das funktioniert nicht so, wie Sie sich das vorstellen; denn trotz der weiter steigenden Mietentwicklung engagieren sich die Investoren nicht im Wohnungsneubau, sondern verständlicherweise lieber im Erwerb von Bestandswohnungen. Weil und solange der Erwerb von Bestandswohnungen steuerlich begünstigt ist, wird der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und damit der Vernichtung von preisgünstigen Wohnungen nur weiter Vorschub geleistet. Nach einer Umfrage des Deutschen Städtetages hat die Zahl der geplanten Umwandlungen beträchtlich zugenommen. Allein die Anzahl der im dritten Quartal dieses Jahres beantragten Abgeschlossenheitserklärungen überstieg die in den Jahren 1990 und 1991 jeweils erteilten Bescheinigungen.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Bock, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mahlo gestatten?

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche; aber was glauben Sie, wer sich, wenn die gebrauchten Eigentumswohnungen nicht mehr steuerbegünstigt sind, aus der Mittelschicht Eigentumswohnungen überhaupt noch erlauben kann?

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Mahlo, es ist bekannt, daß nicht nur diejenigen aus der Mittelschicht, die jetzt eine Wohnung haben, dieses Instrument nutzen, sondern daß sich in erster Linie eine große Gruppe von Spekulanten gebildet hat, die genau auf diesem Gebiet arbeiten. ({0}) Ich spreche von dieser Umwandlung, gerade auch in Ballungsgebieten. Ich kenne die Viertel in Hamburg, wo das passiert, wo alteingesessene Mieter mit günstigen Mieten jetzt neuen Eigentümern weichen müssen und aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Das ist einfach eine Tatsache; die können sie hier nicht wegreden. ({1}) Die Bundesregierung tut in diesem Moment nichts, und die Bundesbauministerin warnt noch vor einer Dramatisierung dieser Situation. Die Situation ist für die Betroffenen dramatisch! ({2}) Wir haben Konzepte vorgelegt, um dies zu beenden; die brauchen Sie nur aufzugreifen. Ich sage es hier noch einmal: Die Bundesregierung ist mitverantwortlich dafür, wenn Wohnraumnot in Deutschland zum sozialen Sprengsatz wird. Eine Million Menschen in der Bundesrepublik - in unserer reichen Bundesrepublik - sind heute von Obdachlosigkeit bedroht oder sind bereits obdachlos. ({3}) - Das sind nicht alles Penner; das sind normale Leute. Sie müssen sich Schicksale von Obdachlosen angukken. Da sind teilweise Akademiker dabei, die durch Krankheit oder sonst unverschuldet in Not geraten. Schlimm ist für mich, daß Sie die Mittel noch weiter herunterfahren wollen. Wenn man sich die mittelfristige Finanzplanung anguckt, wird deutlich, daß Sie nach der nächsten Bundestagswahl noch weiter reduzieren wollen, und zwar auf nur noch 1,8 Milliarden DM. Während die Menschen Angst haben, keine bezahlbare Wohnung zu finden, schrumpft der Wohnungsetat im Jahr 1993 bei gleichzeitiger Erhöhung der Baukosten. Damit nicht genug, um die Steuerlücke, die plötzlich aufgetaucht ist, zu füllen, geht die Koalition bei ihren Kürzungsvorschlägen wirklich nach dem Rasenmäherprinzip vor. Z. B. fällt die Städtebauförderung für Westdeutschland dem Rotstift zum Opfer. Bis 1997 werden der Städtebauförderung einschließlich der Kürzung 1993 insgesamt 380 Millionen DM entzogen. Das entspricht einer Kürzung von 27 %, und die Summe, die in den ursprünglichen Regierungsentwurf eingestellt war, war ohnehin schon urn ungefähr die Hälfte niedriger als 1992. Dies bedeutet den Kollaps der Städtebaupolitik in den Städten und Gemeinden. Es geht hierbei nicht um die Kürzung von „Unser Dorf soll schöner werden" -Programmen; die Städtebauförderung ist ein entscheidendes Instrument, um gerade in Großstädten, dort, wo die Situation am brisantesten ist, die Sicherung und Erweiterung des Wohnungsbestandes zu bewirken. ({4}) Stadterneuerung muß zur Sicherung von bezahlbaren Wohnungen beitragen. Wer Städten und Gemeinden die Mittel hierfür kürzt, schränkt ihre Instrumente ein. Diese Mittelkürzung ist auch nicht durch private Investoren aufzufangen. Aus ordnungspolitischen Gründen braucht jede Stadt Regelungsinstrumente, um die Ziele der Sicherung und Erweiterung des Wohnungsbestandes zu gewährleisten, ganz besonders in sensiblen Stadtbereichen. Außerdem gebe ich hier einmal zu bedenken: Bisher hat jede Mark an öffentlicher Förderung 7 bis 8 Mark an Privatinvestitionen nach sich gezogen. ({5}) -Jawohl, das stimmt. Dieser Multiplikatoreffekt wird durch die konzeptionslose Kürzung der Koalitionsparteien zunichte gemacht, und durch die Streichung von insgesamt 380 Millionen DM für die Städtebauförderung West gefährden Sie, meine Damen und Herren von der regierenden Koalition, zudem gerade im mittelständischen Gewerbe Tausende von Arbeitsplätzen und verstärken dadurch die wirtschaftliche Rezession. ({6}) Wenn man sich das vor Augen führt, dann sind Sie mit Ihrer Brechstangenliste überall mit 10 % herangegangen und haben offenbar überhaupt nicht über die Konsequenzen nachgedacht. Frau Ministerin, noch vor einem Monat haben Sie das genauso gesehen. Ich zitiere aus der „Allgemeinen Bauzeitung" vom 30. Oktober 1992: Als außergewöhnlich wichtige innenpolitische Aufgabe bezeichnete Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer die Städtebauförderung. Für die alten Länder sind jeweils 380 Millionen DM vorgesehen. Mit ihrer direkten und indirekten Anschubfinanzierung erweise sich die Förderung städtebaulicher Maßnahmen als den Arbeitsmarkt belebend, sagte Schwaetzer. Ich frage Sie, Frau Ministerin - das ist einen Monat her -: Sieht so verläßliche Politik aus? Die Gemeinden und Städte haben geplant. Sie haben sich auf Ihre Aussage verlassen. Die können ihre Pläne in die Schublade packen. ({7}) - Sie hat Angst, so? - Wir brauchen wirklich ein Konzept, ein Gesamtkonzept, um den Wohnungsbestand zu erhöhen, zu erhalten und sozial gerecht zu nutzen. Ich wollte Ihnen, Frau Ministerin, im Haushaltsausschuß zwei Millionen DM für die Jahre 1993 und 1994 dazugeben. Diese Mittel sollten als Ausgaben für Darlehen an Länder für den Einsatz als Baudarlehen im ersten Förderungsweg und als Ausgaben für Zuweisungen an Länder für Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus einschließlich der Modernisierung und Instandsetzung in den neuen Ländern verwendet werden. Gut, Sie wollten das Geld nicht haben. Also tragen auch Sie die politische Verantwortung dafür, wenn der Frust und die Wut der Wohnungssuchenden in diesem Lande zunimmt. ({8}) Ich will das nicht. Ich habe auch Angst davor. Deshalb weise ich Sie ausdrücklich darauf hin, daß in diesem Bereich ganz anders gearbeitet werden muß. ({9}) Es ist noch viel schlimmer in unseren neuen Bundesländern. Zwei Jahre nach der deutschen Einheit wird die Suche nach bezahlbaren Wohnungen in den neuen Bundesländern immer hoffnungsloser. Sozial Schwächere, Familien mit geringem Einkommen, kinderreiche Familien und alleinerziehende Frauen sind besonders hiervon betroffen. Der Wohnungsneubau in den ostdeutschen Ländern ist fast völlig zusammengebrochen. Angesichts dieser Situation können wir Sozialdemokraten nicht verstehen, daß der Verpflichtungsrahmen für den Wohnungs- und Städtebau in den neuen Ländern um 1,1 Milliarden DM geringer bestückt ist als im Jahre 1992. Es geht aber nicht nur um Geld. Wir sehen, in Ostdeutschland wird durch die verfehlte Eigentums- und Altschuldenregelung die Chance vertan, den Wohnungsbestand schnell instandzusetzen und damit auch viele ortsgebundene Arbeitsplätze zu schaffen. Das spekulative Horten von Bauland blockiert den Neubau von Wohnungen und führt dazu, daß auf der „grünen Wiese" gebaut wird. Auch eine Bodenreform ist nach Meinung der SPD dringend notwendig. Aber auch da ist bei Ihnen nichts in Sicht. Wir müssen registrieren, daß trotz eines Fehlbestandes von 1 Million Wohnungen und eines enormen Investitionsbedarfes wegen qualitativ schlechter Bausubstanz in den neuen Bundesländern die Bautätigkeit dramatisch rückläufig ist. 1991 wurden lediglich 25 000 Wohnungen gegenüber noch 62 000 Wohnungen im Jahre 1990 fertiggestellt. Im laufenden Haushaltsjahr 1992 werden voraussichtlich wieder nur 25 000 Wohnungen gebaut. ({10}) Wer angesichts dieser Tatsache von einer boomenden Bauwirtschaft im Wohnungsbau spricht, verkennt schlicht die reale Situation. Im Gegenteil, vielen Handwerksbetrieben in den neuen Bundesländern fehlen Anschlußaufträge, obwohl die Wohnungsunternehmen sofort große Instandsetzungs-, Instandhaltungs- und Modernisierungsaufträge vergeben könnten, denn die öffentlichen Förderprogramme, die hier immer gelobt werden, laufen an den Wohnungsunternehmen vorbei, weil diesen wegen der immer noch unklaren Altschuldenfrage und der unklaren Eigentumsverhältnisse die notwendigen Eigenmittel für die Inanspruchnahme dieser Programme fehlen. ({11}) Die meisten Mieter warten somit vergebens auf die Verbesserung der Wohnung. Da passiert überhaupt nichts und die Mieten steigen. Ich komme nun zur Altschuldenfrage. Das ist wirklich ein Trauerspiel. ({12}) - Diese Sprüche - „Sie müssen einmal hinfahren"! Wissen Sie denn, wie oft ich dort war? Wie können Sie denn einen solchen Quatsch sagen?! ({13}) - Qualitativere Zwischenrufe fallen Ihnen wohl nicht ein. ({14}) Die Bundesregierung erweist sich auch bei dieser Altschuldenfrage als völlig unfähig, als handlungsunfähig. Monatelang wird dieses Problem vor sich hergeschoben. Die Mitglieder der Bundesregierung sagen überall etwas anderes.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Bock, würden Sie auch noch eine Zwischenfrage des Kollegen Krause gestatten?

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, jetzt nicht mehr. Es hat mir gereicht. ({0}) Die Bundesregierung hat in Kauf genommen - Sie müssen sich das von mir sagen lassen, wie schön, daß sie jetzt zuhören müssen, wenn Sie auch sonst die Augen und Ohren zumachen -, daß die Wohnungsunternehmen auf Grund der Nichtregelung der Altschuldenfrage für die Modernisierung des Wohnungsbestandes nicht einmal eigens für dieses Programm aufgelegte Kredite von der Kreditanstalt für Wiederaufbau bekommen. Die Bundesregierung hat mit den Altschulden nichts zu tun, lautet die stereotype Antwort immer, wenn wir gefragt haben. Dann hat sie sich in ein babylonisches Sprachgewirr verrannt. CSU-Finanzminister Waigel fährt der F.D.P.-Bauministerin öffentlich über den Mund - und umgekehrt. ({1}) Seit kurzem und wiederholt fordert die Bundesbauministerin, der Bund müsse das Moratorium für die Altschulden bis 1996 verlängern und sich über den Kreditabwicklungsfonds am Schuldendienst beteiligen. Postwendend wurde Frau Bundesbauministerin Schwaetzer vom Bundesfinanzminister immer wieder zurückgepfiffen. Der Bund dürfe, so die Meinung des Bundesfinanzministers, überhaupt nicht mit den Altschulden belastet werden. Die Bauminister in den ostdeutschen Ländern fordern wiederum die Bundesregierung auf, endlich mit einem Konzept zu kommen, das die Altschuldenfrage regelt. ({2}) - Ein Konzept ist nicht in Sicht. ({3}) - Wo liegt ein Konzept auf dem Tisch? Wir reden über den Haushalt - jetzt. Das hat uns ja so geärgert. Hier liegt überhaupt nichts vor. Was im Bundeshaushalt nicht eingestellt ist, interessiert mich heute gar nicht. Wir wollten verschieben, dann hätten Sie vorher mit Ihren Konzepten kommen können. Ich rede hier nicht über ungelegte Eier. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin Bock, Sie müßten dann zum Ende kommen.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Frau Präsidentin. Ich glaube, dieses Problem ist so groß, daß ich eine Stunde lang viele, viele andere Probleme hätte ansprechen können. Ich glaube, ich habe aber aufgezeigt, daß so viele Probleme gelöst werden müssen, daß wir diesem Haushalt in keinem Fall zustimmen können. Danke. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Jetzt der Kollege Pützhofen.

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich stimme der Frau Kollegin Bock, mit der mich ein gutes Arbeitsverhältnis verbindet, ausdrücklich zu, wenn sie sagt, - ({0}) - Das ist immer die Sache mit den Relativsätzen. Man muß immer warten, bis der Hauptsatz und der Nebensatz zu Ende sind. Wir beraten mit dem Einzelplan 25 einen Haushalt, der mit seinen nüchternen Daten ganz elementar und ganz direkt in das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger eingreift. Insofern sind wir uns einig. Er berührt die Wohnung als eine der Grundvoraussetzungen menschenwürdigen Lebens und die Frage eines lebenswerten Umfeldes. ({1}) - Des Menschenrechtes ebenfalls. Dieser Haushalt ist Ausdruck der großen Verantwortung, die der Bund in den Bereichen Raumordnung, Wohnungs- und Städtebau übernimmt. Die Einsicht in die sozialen, aber auch die wirtschaftlichen Herausforderungen, die sich hier stellen, hat die Haushaltsberatungen bis jetzt geprägt. Das gilt für die Beratungen im Fachausschuß wie im Haushaltsausschuß gleichermaßen. Aber die Beratungen im Plenum scheinen wohl offensichtlich anderen Regeln zu unterliegen. Während das im Haushaltsausschuß relativ sachlich ablief, leben wir hier im Plenum wohl ganz offensichtlich von Übertreibungen. Deshalb lassen Sie mich zumindest zwei Dinge auch einmal zuspitzen, liebe Thea Bock: Erstens. Nach den düsteren Schilderungen des Staates durch Sie müßte sich dieses Land ja eigentlich entleeren. Das Gegenteil ist der Fall. Immer mehr wollen rein. Jedenfalls ist die Zahl der emigrationswilligen Deutschen eher eine Zahl, die man vernachlässigen kann. Der zweite Punkt, den ich zuspitzen will: Die sozialdemokratischen Berührungsängste bei der Umwandlung von Sozialwohnungen scheinen zumindest da ihre Grenzen zu haben, wo in Hamburg hochdotierte SAGA-Mitarbeiter im Wohnbestand der SAGA wohnen, ihre Wohnung für 160 000 DM umbauen lassen, während drüben eine alte Dame nach wie vor noch mit einer Kohle- und Koksheizung auskommen muß. ({2}) Ich sage ganz bewußt, liebe Thea Bock: Ich habe das genauso zugespitzt wie der Vortrag zugespitzt war, den ich soeben gehört habe.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Pützhofen, ich habe hier den Wunsch nach zwei Zwischenfragen, zuerst vom Kollegen Diederich und dann von der Kollegin Bock. Lassen Sie diese zu?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beide sind mir gleich lieb, wenn sie mir nicht angerechnet werden, aber die von der Thea noch lieber.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nein, freilich nicht.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pützhofen, ist Ihnen aus der Demographie zufällig entgangen, daß es keine massive Abwanderung aus Deutschland gibt, daß es aber gleichwohl eine massive Abwanderung aus den neuen Bundesländern gibt und daß dies sowohl mit der Frage der Arbeitsplätze, aber auch mit der Frage der allgemeinen Lebensumstände, also auch der Wohnung, zusammenhängt?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist richtig, Herr Kollege, daß das ein Tatbestand ist, der stattfindet. Das wissen wir. Aber das ist ein Tatbestand, der die allgemeinen Lebensumstände betrifft, für die wir zugegebenermaßen nach 40 Jahren sozialistischer Herrschaft in den ersten zwei Jahren nicht sofort und in vollem Umfang die Verantwortung übernehmen können, wo wir aber dabei sind, die Situation zu verbessern. Danke.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun die Kollegin Bock.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pützhofen, stimmen Sie mir zu, daß Sie jetzt eben einen sogenannten SAGA-Fall geschildert haben, der durch nichts erhärtet worden ist, und daß es einen Untersuchungsausschuß gibt und daß wir es für eine parlamentarische Gepflogenheit halten, bevor nicht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß den Fall untersucht hat, nicht darüber zu reden. ({0})

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Bock, ich stimme Ihnen zu, daß dies ein Bericht ist, den ich den Medien entnommen habe und der, sage ich jetzt einmal, möglicherweise zugespitzt ist, und der in der gleichen Weise zugespitzt ist wie Ihr zwanzigminütiDieter Pützhofen ger Vortrag soeben zum Wohnungsbau in der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Die wirtschaftliche Bedeutung des Einzelplans 25 liegt vor allen Dingen in dem Beitrag, den gerade dieser Haushalt zu einem kontinuierlichen bauwirtschaftlichen Wachstum leistet. Meine heimatliche „Westdeutsche Zeitung" hat vorgestern von Wachstumsraten berichtet, die im Westen immerhin bei über 4 % liegen und im Osten über 22 % betragen und sich weit über denen bewegen, die die Bauwirtschaft für das Jahr 1992 eigentlich erwartet hat. Das widerlegt das, was hier soeben eingebracht wurde. ({1}) Mit diesem Haushalt sorgen wir nun dafür, daß die Bauwirtschaft wichtige Stütze der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bleibt. Das gilt vor allen Dingen in den neuen Ländern, in denen die Bauwirtschaft die Vorreiterrolle für die gesamte Konjunktur übernehmen muß. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt, und wir werden ihn mit den Entscheidungen des Haushalts 1993 unterstützen und verstärken. Die öffentliche Diskussion über den Wohnungsmarkt ist derzeit geprägt von dem Stichwort Wohnungsmangel oder von dem Stichwort Wohnungsnot. Wir haben soeben Beispiele dafür gehört. Dabei mag man sich über den Begriff Wohnungsnot angesichts einer Pro-Kopf-Versorgung im Westen mit rund 37 Quadratmetern Wohnfläche noch streiten. Ich halte aber nichts von dem Streit um Begriffe. Tatsache ist, daß das Wohnungsangebot im Westen und erst recht im Osten der Nachfrage nicht entspricht; das ist richtig. Das geht zu Lasten der Einkommensschwächeren; das geht zu Lasten der Familien mit Kindern; das geht zu Lasten der Alleinerziehenden. Deshalb sind wir gefordert, hier die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, auch was öffentliche Fördermaßnahmen anlangt. Dem wird dieser Haushalt mit seinem Schwerpunkt in der Förderung des sozialen Wohnungsbaus allerdings gerecht. Die Gründe für die Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt sind vielfältig, und sie sind bekannt. Zu nennen sind die Zuwanderung aus Osteuropa, natürlich auch die Asylproblematik. Allein in den vergangenen drei Jahren mußte dieser Wohnungsmarkt mehr als drei Millionen Zuwanderer verkraften. Hinzu kommt eine stark gestiegene Wohnungsnachfrage auf Grund der Wohlstandsentwicklung. „Auflockerungsbedarf" heißt das etwas sarkastisch. Wir haben uns in den vergangenen Jahren pro Kopf und Jahr j eweils einen halben Quadratmeter Wohnfläche mehr geleistet, einen halben Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf und Jahr in diesem Land! Gesellschaftliche Wandlungen tun ein übriges. Ich nenne nur die stark zunehmende Zahl der Haushalte, vor allem der Ein- und Zwei-Personen-Haushalte, deren Wohnflächenbedarf ja besonders hoch ist. All dies sind Entwicklungen, die wir mit Haushaltsentscheidungen nicht beeinflussen können. Mit Haushaltsentscheidungen können wir nur versuchen, den aus diesen Entwicklungen resultierenden Folgen für den Wohnungsmarkt zu entsprechen. Das haben wir mit dem Haushalt 1993 getan. Allerdings, es geht eben nicht nur um Haushaltsentscheidungen. Von ebenso großer Bedeutung sind die rechtlichen Rahmenbedingungen; denn alleine mit öffentlichen Mitteln sind die Wohnungsmarktprobleme auch nicht im Ansatz zu lösen. Wenn wir insgesamt im Westen und im Osten etwa 600 000 Wohnungen bauen wollten, dann ist dies, vorsichtig gerechnet, ein Investitionsvolumen von ungefähr 150 Milliarden DM. Das kann - das ist schnell ersichtlich - nur zu ganz geringen Teilen aus Haushaltsmitteln finanziert werden. Die Lösung kann deshalb nur die private Investition bringen. Dazu müssen wir die richtigen Rahmenbedingungen in Gang setzen. Es sind vernünftige mietrechtliche Rahmenbedingungen gefordert, die dem privaten Investor Sicherheit geben. Das tun wir mit den in der parlamentarischen Beratung befindlichen mietrechtlichen Änderungen. Ich denke, es ist aber auch notwendig, daß wir ein weitverbreitetes Bild in der öffentlichen Meinung endlich einmal zurechtrücken. Gerade in Zeiten des Wohnungsmangels besteht Gefahr, daß Vermieter mit dem Begriff „Spekulant" versehen werden. Meine Damen und Herren, angesichts der im Vergleich zu anderen Anlagemöglichkeiten nicht gerade üppigen Rendite im Wohnungsbau ist das sicherlich kein besonderer Anreiz, sich am Wohnungsmarkt zu engagieren. Zu den zentralen Rahmenbedingungen für eine positive Wohnungsmarktentwicklung gehört das Bau- und Bodenrecht. Im vergangenen Jahrzehnt mag es Gründe für eine restriktive Baulandausweisung gegeben haben. Heute ist erkennbar, daß wir uns von diesen Restriktionen so schnell wie möglich trennen müssen. ({2}) Dazu brauchen die Gemeinden das notwendige gesetzliche Rüstzeug. Es wird ihnen mit dem in der nächsten Woche im Bundeskabinett zur Beratung anstehenden Wohnbaulandgesetz in die Hand gegeben. Es gehört aber nicht nur gesetzliches Rüstzeug dazu, sondern auch das Wollen und der Mut, Baulandausweisungen auch gegen Widerstände durchzusetzen. ({3}) Wir erleben in unseren Städten ja oft genug, daß sich unter der Überschrift „Stopp dem Landschaftsverbrauch" diejenigen zu Wort melden, die vorher zu ihren eigenen Gunsten bereits die Landschaft in Anspruch genommen haben, nun aber weitere Flächenausweisungen verhindern. Ja, es gehört leider heute Mut dazu, für nachwachsende Generationen die gleichen, guten Wohn- und Lebenschancen einzufordern, die vorher andere gehabt haben. ({4}) Meine Damen und Herren, mit Blick auf die Begrenztheit der öffentlichen Mittel müssen wir versuchen, das, was zur Verfügung steht, so wirkungsvoll wie irgend möglich einzusetzen. Dies gilt vor allem für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Da können wir nach 50 Jahren nicht mehr bei den gleichen Förderstrukturen verharren, die den gewandelten Anforderungen des Wohnungsmarktes einfach nicht mehr entsprechen. Der Bund hat mit dem dritten Förderweg, mit der vereinbarten Förderung, ermöglicht, die Zahl der geförderten Wohnungen zu erhöhen und zugleich auch die soziale Treffsicherheit zu verstärken. Auf diesem Feld sind wir allerdings darauf angewiesen, daß die Bundesländer, die ja eine Kernverantwortung für den sozialen Wohnungsbau tragen, mitziehen. Ich möchte insbesondere die sozialdemokratisch regierten Bundesländer auffordern, auch in diesem Bereich ideologische Scheuklappen abzulegen und diese neuen Förderwege mitzugehen. ({5}) Wir sind uns übrigens in diesem Punkt mit der Wohnungswirtschaft völlig einig, und ein Verband wie der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft steht ja nun weiß Gott nicht im Verdacht, alle Maßnahmen, die die Bundesregierung durchführt, zu beklatschen. Diesmal sind wir uns mit diesem Verband einig. Wir haben im Wohnungsbau - besser: in der Förderung des Wohnungsbaus - schon in den vergangenen Jahren viel geleistet. Dies werden wir fortsetzen und mit dem Haushalt 1993 steigern. Nun will ich Ihnen einmal einige Vergleichszahlen nennen, Frau Kollegin Bock; sie ist leider nicht mehr hier. Im Haushalt 1989 wurden an Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau 300 Millionen DM bereitgestellt. Im Haushalt 1993 sind es 3,7 Milliarden DM. Im Haushalt 1989 wurden knapp 50 000 neue Sozialwohnungen gefördert. Im Haushalt 1993 erreichen wir ein Fördervolumen - anders, als Sie es gesagt haben, Frau Kollegin Bock - von rund 130 000 Wohnungen. Hier von Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus durch die Bundesregierung zu sprechen, halte ich für abwegig. Auch die Entwicklung von Baufertigstellungen und Baugenehmigungen spricht für sich. Wir können schon in diesem Jahr allein in den alten Bundesländern ein Fertigstellungsvolumen von fast 400 000 Wohnungen erreichen und werden diese Zahl im nächsten Jahr sogar noch übertreffen. ({6}) Eine der wesentlichen Stützen für den Wohnungsbau ist heute und in der Zukunft die Eigentumsbildung. Hier hatten wir in den vergangenen Jahren einen leichten Rückgang zu verzeichnen. Inzwischen ist dank der massiven Verbesserung der steuerlichen Fördermöglichkeiten seit Beginn dieses Jahres auch hier die Entwicklung wieder steil aufwärts gerichtet. Die Eigentumsbildung muß und wird gerade in den neuen Ländern eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der Wohnsituation übernehmen. Daneben spielt neben dem Neubau die Privatisierung eine wesentliche Rolle. Wohnen in privatem Eigentum - das wird von manchen nicht gern gehört - bringt eben ein Höchstmaß an Leistungsbereitschaft und auch ein Höchstmaß an Investitionsbereitschaft. ({7}) Wir haben schon im vergangenen Jahr und in diesem Jahr versucht, diesen Prozeß in Gang zu bringen. Er ist auf große Schwierigkeiten gestoßen. Das gebe ich gerne zu. Sie waren begründet in den eigentumsrechtlichen Fragen, in den vielfältigen rechtlichen Problemen, die mit der Aufteilung und Umwandlung in Wohneigentum verbunden sind. Es gibt auch Grenzen - das wissen wir -, die durch die Bausubstanz, durch die Plattenbauten hervorgerufen werden. Da stoßen wir auf Grenzen, was die Privatisierung anbetrifft. Wir mußten zunächst Modelle entwickeln, die sicherstellen, daß bisherige Mieter durch den Erwerb ihrer Wohnung nicht in unvertretbare wirtschaftliche Risiken gestürzt werden. Um so wichtiger war es, daß wir immerhin mit 31 Modellprojekten erwiesen haben, wie diese Wege aussehen können. Sie haben sich inzwischen als erfolgreich erwiesen. Deshalb setzen wir auch im kommenden Jahr den Weg der Privatisierung des Wohnungsbestands in den neuen Ländern konsequent fort. ({8}) Meine Damen und Herren, in der begleitenden Kritik der Opposition zu diesen Haushaltsberatungen ist immer wieder unterstellt worden, der Bund werde mit seinen Entscheidungen in diesem Bereich den sozialen Verpflichtungen nicht gerecht. Es wird behauptet - ich habe das neulich in der „Frankfurter Allgemeinen" vom Kollegen Großmann gelesen, der sich da vollmundig geäußert hat -, dem sozialen Wohnungsbau und dem Wohngeld drohe der Abbau. Die jetzt für den Haushalt festgeschriebenen Zahlen belegen eindeutig das Gegenteil. ({9}) Sie sind Garant dafür, daß Wohnungen und Wohnen bezahlbar bleiben, daß der Wohnung in ihrem Charakter als Sozialgut ebenso Rechnung getragen wird wie ihrem Charakter als Wirtschaftsgut. Im Blick auf die Wohngeldleistungen gilt das vor allem für die neuen Bundesländer. Die im Vergleich zum Westen außerordentlichen Wohngeldleistungen waren und sind die soziale Flankierung der ebenso notwendigen mietrechtlichen Entscheidungen. Gerade diese Mietentscheidungen erfordern allerdings politischen Mut. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir die Wohnsituation wirklich verbessern wollen, sind wir eben zu diesen mietrechtlichen Entscheidungen gezwungen, sind diese eben unausweichlich. Beim überwiegenden Teil der Bevölkerung in den neuen Ländern haben wir sogar Verständnis dafür gefunden. Meine Damen und Herren, das Schwergewicht der Leistungen in den Bereichen Raumordnung, Städtebau und Wohnungsbau im Haushalt 1993 muß ohne Zweifel in den neuen Ländern liegen. Hier stehen wir vor Aufbauaufgaben, die meines Erachtens bis zu ihrer vollen Bewältigung noch eine ganze Generation in Anspruch nehmen werden. Diese Aufgaben werden auch nur in der Grundordnung einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft zu lösen sein. Die verfallende Bausubstanz in den neuen Ländern, die wir von Ihnen geerbt haben, ist der beste Beweis dafür, wohin eine allein staatlich gelenkte, dirigistische Wohnungspolitik führen muß. Wenn wir in den neuen Ländern neben der Verbesserung des Wohnungsbestands, neben der Privatisierung auch den Wohnungsneubau enscheidend voranbringen wollen, dann müssen wir zuallererst auch die Baulandfrage lösen. Meine Damen und Herren, hier ist offenkundig in den vergangenen beiden Jahren viel zuwenig geschehen. Im Blick auf die Baulandausweisungen stand in den neuen Ländern fast ausschließlich die Ausweisung von Gewerbeflächen im Vordergrund. Ich verstehe ja die Gründe. Sie liegen einmal in dem vermeintlichen Interesse der Gemeinden. Da ist das Prinzip Hoffnung zu nennen, Hoffnung auf die schnelle Schaffung von Arbeitsplätzen, Hoffnung bei der Versorgung mit Einzelhandelsbetrieben. Die finanzielle Belastung der Kommunen durch die Ausweisung solcher Gewerbeflächen hielt sich in Grenzen. Teilweise wurden die Erschließungskosten ja auch noch vom Investor voll übernommen. Auf der Investorenseite herrscht auch wieder das Prinzip Hoffnung. Auf der Investorenseite war es die durch hohe steuerliche und direkte Förderung gestützte Erwartung auf relativ kurzfristig erzielbare Rendite.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Pützhofen, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert gestatten?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich, bitte, wenn mir die Zeit nicht angerechnet wird.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Pützhofen, weil Sie von Baulandausweisung sprechen, die im Osten notwendig sei: Wissen Sie denn nicht, daß mindestens 70 bis 80 % des Wohnungsbedarfs im Osten gedeckt werden können, indem Häuser, die dort leerstehen, saniert werden? Man braucht also gar nicht viel neues Bauland. Oder wollen Sie die Gegend dort auch noch zubetonieren?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wir haben ja im Westen solche Entwicklungen genauso erlebt, wie wir sie jetzt im Osten erleben. Wenn Sie zum falschen Zeitpunkt bei der Baulandausweisung auf die Bremse treten, werden Sie mit einem Time-lag von zehn Jahren erleben, daß Sie den Wohnungsbestand nicht mehr schaffen können, der dann notwendig ist. ({0}) Daß heißt, neben das, was Sie zu Recht sagen, daß nämlich die Sanierung des Wohnungsbestands betrieben werden muß, muß die Ausweisung von Wohnbauland treten. Was ich im Augenblick im Osten unseres Vaterlandes feststelle, ist, daß mit aller Gewalt auf die Ausweisung von Gewerbeland hingearbeitet wird, die Ausweisung von Wohnbauland dagegen deutlich zurücktritt. Meine Damen und Herren, das ist eine Entwicklung, der wir jetzt unbedingt entgegensteuern müssen. Bereits heute ist offenbar, daß wir ein Überangebot von Gewerbeflächen in den neuen Ländern haben. Das gilt besonders für Gewerbeflächen, die für Einkaufszentren und ähnliches vorgesehen sind. Das Angebot an gewerblichen Flächen in diesem Bereich liegt - das habe ich gesagt - deutlich über dem, was vergleichbar in den westlichen Bundesländern zur Verfügung steht. Ich will es etwas überspitzt darstellen: Das Verhältnis von Gewerbeflächen zu Wohnsiedlungsbereichen entwickelt sich dort zunehmend ungesund. Das kann meiner Meinung nach nicht undifferenziert weiter gefördert werden. Not tut in allererster Linie die Ausweisung von Wohnbauland. Darauf müssen wir auch die zur Verfügung stehenden Mittel in anderen Einzelplänen, Frau Ministerin, konzentrieren. Auch wenn in den vergangenen Jahren auf Grund der Wohnungsmarktentwicklung die unmittelbaren wohnungspolitischen Fragen sehr stark im Vordergrund standen, ist die Förderung des Städtebaus, die Förderung von Stadtsanierung, die Förderung von Stadterneuerung von unverändert großer Bedeutung. ({1}) - Auch im Westen. Auch dem werden wir mit den Haushaltsentscheidungen für 1993 gerecht. Das sage ich trotz der Entscheidung, in den alten Bundesländern für das Jahr 1993 neue Sanierungsmaßnahmen nicht anzusetzen. ({2}) - Warten Sie, ich will Ihnen das gleich erklären. Das bedeutet im Haushalt 1993, wie Sie ja wissen, eine Reduzierung des Haushaltsansatzes um 38 Millionen DM. Ich habe aber - deshalb verstehe ich die Überraschung bei der ganzen Sache nicht - bei der Einbringung des Haushalts am 10. September bereits darauf hingewiesen, daß wir nach 40 Jahren Städtebau in der alten Bundesrepublik darüber nachdenken müssen, ob die erreichten Standards in den alten Ländern einerseits und die Probleme in den neuen Ländern andererseits nicht zu einer noch deutlicheren Verlagerung von Haushaltsmitteln in Richtung neue Länder führen müssen. Das, was ich damals angekündigt habe, wird jetzt praktiziert. ({3}) Wir können nicht mehr - darin stimme ich meinem Fraktionsvorsitzenden ausdrücklich zu - alle Verteilungskämpfe nur noch mit Mitteln aus dem Zuwachs beantworten. Dieser Meinung ist auch die SPD, ausgenommen bei konkreten Maßnahmen. ({4}) Liebe Kollegin Bock, wir haben bei jedem Einzelplan bei dieser Haushaltsberatung immer das gehört, was Sie soeben gesagt haben: Es muß gespart werden, aber nicht bei diesem Einzelplan. - Wo soll denn dann gespart werden? ({5}) Ihre beiden Abteilungen Matthäus-Maier und Bock müssen Sie einmal koordinieren. Auf der einen Seite wird die Schuldenausdehnung beklagt, auf der anderen Seite werden laufend neue Mittel gefordert. Man kann nicht grundsätzlich sagen: Sparen ja, aber nicht bei diesem Einzelplan, und das dann bei jedem Einzelplan erklären. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Pützhofen, würden Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Bock gestatten?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn mir auch die nicht angerechnet wird, ja. Ich habe nur noch zwei Minuten.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich habe vorhin die Uhr nicht wieder eingeschaltet. Darum werde ich Ihnen fetzte eine halbe Minute anrechnen und die andere halbe Minute nicht.

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, Sie sind -

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Zu gütig, nicht? Dieter Pützhofen ({0}): - großartig. ({1})) Ich werde Sie auf allen Plätzen und Straßen dieser Republik loben. ({2}) - Doch, nach dem bayerischen Parteitag sollte man das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bitte schön.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pützhofen, es ist richtig, daß im Haushaltsausschuß zum sozialen Wohnungsbau ein Erhöhungsantrag gestellt worden ist. Sie haben pauschal behauptet, daß überall Erhöhungsanträge gestellt worden seien. Können Sie mir noch einen einzigen Einzelplan nennen, bei dem die SPD einen Erhöhungsantrag gestellt hätte?

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe gesagt: Sie haben zu allen Einzelplänen gesagt, hier könne nicht gespart werden, sondern irgendwo anders. Da Sie das bei jedem Einzelplan gesagt haben, funktioniert das System nicht. Das ist der Punkt. ({0}) Frau Kollegin Bock, Sie haben bei den Mehrforderungen, die Sie bei diesem Haushaltsplan gestellt haben, von mir zwei Dinge gesagt bekommen, die ich Ihnen gern wiederholen möchte. Das rechne ich jetzt aber bitte auf diese Fragestellung an, Frau Präsidentin. Ich habe Ihnen erstens gesagt: Die Menge des Möglichen ist nur eine Teilmenge der Grundmenge des Wünschenswerten. ({1}) Zweitens habe ich Ihnen gesagt: Es ist in der früheren Zeit so gewesen, daß Sie zumindest für die Erhöhungsanträge Deckungsvorschläge gemacht haben. Das haben Sie in diesem Jahr noch nicht einmal gemacht. Früher haben Sie jeweils auf den Verteidigungsetat verwiesen, aber diesmal haben Sie im Wohnungsbaubereich etwas gefordert, ohne einen Deckungsvorschlag zu machen. ({2}) Lassen Sie mich fortsetzen. Natürlich ist es nicht erfreulich, wenn wir in den alten Bundesländern 1993 keine neuen Sanierungsmaßnahmen beginnen. Natürlich ist das nicht erfreulich; da bin ich Kommunalpolitiker genug, um das zu wissen. Das bringt mir auch im Vorstand des Deutschen Städtetages Erhebliches an Kritik ein. Aber bevor wir jetzt wieder das tun, was Sie soeben gemacht haben, nämlich Chaos, Kollaps und Untergang zu rufen, schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Es ist richtig, daß im Rahmen der Städtebauförderung in den alten Ländern 1993 mit Bundesmitteln kein neues Projekt begonnen werden kann. Ob damit bereits eine Aussage für 1994 getroffen ist, wird die Haushaltsentwicklung des kommenden Jahres zeigen. Aber ebenso richtig ist, daß die Städtebauförderungsmittel für die neuen Bundesländer von 380 Millionen DM auf 620 Millionen DM im Jahre 1993 ansteigen. ({3}) - Wenn Sie mir, Herr Kollege Großmann, als Aachener - ach nein, Sie sind ja jetzt Würselener - schon nicht Beifall klatschen, dann erwarte ich wenigstens den Beifall von den soziademokratischen Kollegen aus den neuen Ländern; ({4}) denn wir haben die Sanierungsmittel von 380 Millionen DM auf 620 Millionen DM im Jahr 1993 ansteigen lassen. Angesichts dieser Steigerung von einer Einstellung der Städtebauförderung zu reden ist Unsinn. Das Engagement für die Städtebauförderung ist erhalten geblieben. ({5}) - Schreiben Sie mir einen Brief, Herr Großmann. Ich beantworte ihn. ({6}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsentwurf 1993, den wir hier beraten, gibt schließlich auch in bezug auf die Haushaltsseite ein ganz wichtiges Signal in Richtung Berlin. Mit diesem Einzelplan, mit diesem Haushalt fällt der Startschuß für den Ausbau Berlins zur Bundeshauptstadt. Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mitarbeitern für die Arbeit an diesem Einzelplan. Ich bedanke mich in der gleichen Weise beim Finanzminister und seinen Mitarbeitern für die Arbeit an diesem Einzelplan. Mein letzter Dank gilt meinen Mitberichterstattern Thea Bock und Carl-Ludwig Thiele für die kritische und fachkundige Zusammenarbeit. Für Thea Bock muß ich das aber auf die Sitzungen des Haushaltsausschusses beschränken. Herzlichen Dank. ({7})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Dr. Walter Hitschler das Wort.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Kollegin Bock hat sich heute in einer Art der Schwarzmalerei befleißigt, wie wir sie gelegentlich der Boulevardpresse entnehmen können. Sie hat dabei ein Bild gezeichnet, das nicht der wirtschaftlichen Realität entspricht. ({0}) - Frau Bock, Sie versuchen immer noch, das Ammenmärchen zu verkaufen, daß die Bundesregierung in den achtziger Jahren bewußt die Mittel für die Wohnungsbauförderung heruntergefahren hat. In Wirklichkeit ist es so gewesen, daß die Nachfrage an den Wohnungsmärkten ganz einfach nicht vorhanden war. ({1}) Wir hatten in vielen Teilmärkten Leerstände zu verzeichnen. Gerade die Wohnungsbauminister der SPDregierten Bundesländer haben uns aufgefordert, das Wohnungsbauministerium aufzulösen. Sie waren der Auffassung, wir müßten Rückbau betreiben. ({2}) Sie selber haben in ihren eigenen Länderhaushalten die Mittel sehr viel stärker zurückgeführt, als das der Bund getan hat. Da sollte man ein bißchen bei der Wahrheit bleiben. Es ist aber in der Tat richtig, daß dann Ende der achtziger Jahre ein starker Nachfrageanstieg stattgefunden hat, dem wir heute durch politische Begleitmaßnahmen gerecht zu werden versuchen. Aber in diesem Zusammenhang müssen Sie ganz einfach zugeben und sehen - das hat Herr Kollege Pützhofen soeben sehr überzeugend ausgeführt -, daß die Bauwirtschaft in der Bundesrepublik, und zwar im Westen, zu einer eindeutigen Stütze unserer Konjunktur geworden ist, daß die Bauwirtschaft ein Bauvolumen von 460 Milliarden DM bewegt, daß das Volumen in der Bauwirtschaft im Westen um 4 % gesteigert worden ist, also über der Wachstumsrate der normalen Wirtschaft gelegen hat und daß darunter die Wohnungswirtschaft einen Steigerungsanteil von 13 gehabt hat. Es gab also einen Rückgang bei anderen Sparten der Bauwirtschaft und einen starken Anstieg bei der Wohnungswirtschaft. ({3}) Die Baufertigstellungszahlen sind von knapp 200 000 im Jahre 1989 innerhalb von vier Jahren auf fast 400 000 in diesem Jahr gestiegen. Somit hat es innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren fast eine Verdoppelung der Ausbringung der Bauwirtschaft gegeben, während wir Mitte der achtziger Jahre noch verzeichnen mußten, daß viele Baufirmen mangels genügender Aufträge in Konkurs geraten sind. So gesehen erleben wir eine neue Blüte, gerade auch durch den Wohnungsbau verursacht. ({4}) All dies geschah in den vergangenen Jahren bei äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Wir hatten und haben einen sehr hohen Fremdkapitalzins, allerdings - gottlob - jetzt mit etwas sinkender Tendenz. Dadurch, daß die Kommunen kein entsprechendes Bauland zur Verfügung stellten, hatten wir enorm steigende Baulandpreise und auch sehr stark steigende Baukosten. Trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen sind die Zahlen für den Wohnungsbau in die Höhe gegangen. Die Zahlen lassen das auch für das nächste Jahr erwarten. Wir werden im nächsten Jahr wahrscheinlich zum erstenmal die Grenze von 400 000 fertiggestellten Wohneinheiten deutlich übersteigen. Ich will nicht so euphorisch sein, schon von 450 000 zu reden. Das wäre vielleicht ein bißchen zu euphorisch. Aber in jedem Fall werden wir die Grenze von 400 000 Wohneinheiten deutlich übersteigen. Nun können Sie mit Recht sagen: Das ist angesichts der großen Nachfrage, die wir haben, noch nicht genug. Aber dies zeigt doch die Tendenz, daß es aufwärts geht in diesem Sektor und daß auch damit gerechnet werden kann, daß auf Grund der günstiger werdenden Rahmenbedingungen - wir haben nämlich jetzt einen geringeren Anstieg der Baukosten zu verzeichnen; wir haben leicht sinkende Tendenzen bei den Fremkapitalzinsen und auch bei den Baulandpreisen - die weitere Entwicklung positiv ist. Der Sachverständigenrat rechnet für das Jahr 1993 ebenfalls insbesondere in der zweiten Hälfte - mit einem Wachstum. Dieses Bild zeigt doch, daß die wohnungspolitische Begleitung durch diese Bundesregierung - ich schließe da die ehemalige Bauministerin Hasselfeldt und unsere jetzige Bauministerin, Frau Dr. Schwaetzer, ein - richtig war. Es sind die richtigen wohnungsbaupolitischen Entscheidungen getroffen worden. Das zeigt, daß die Wohnungsbaupolitik der jetzigen Regierung insgesamt positiv zu bewerten ist. ({5}) Wir stellen fest, daß die Steuerungsmittel, die Instrumente, die wir einsetzen - die steuerliche Förderung sowohl für den Mietwohnungsbau als auch für das selbstgenutzte Eigentum - völlig ausreichend sind. Die Direktförderung, die wir betreiben, führt zu steigenden Zahlen - auch bei den Sozialwohnungen. Man muß natürlich auch hier einmal darauf hinweisen, daß im wesentlichen auch die Lander in der Verantwortung stehen, in ihren Förderrichtlinien solche Modelle zu entwickeln, daß möglichst viele Wohnungen gebaut werden. Leider wird der dritte Förderweg nicht immer in der richtigen Weise genutzt. Wir dürfen erwarten, daß durch die Zurverfügungstellung militärischer Liegenschaften auch das Baulandproblem etwas entschärft wird und daß durch das Freiwerden von Zehntausenden von Wohnungen, die bisher von Angehörigen der alliierten Streitkräfte genutzt wurden, eine erhebliche Zahl von zusätzlichen Wohnungen den Wohnungsmärkten zugeführt werden kann, die zu einer deutlichen Entlastung beiträgt. ({6}) Frau Dr. Schwaetzer hat eine Initiative zur Förderung eines Wohnbaulandgesetzes angekündigt, in dem eine ganze Fülle von Maßnahmen enthalten sein werden, die Sie bereits aus den Pressedarstellungen kennen und die geeignet sein werden, den Kommunen Hilfestellung zu geben, um diesen Engpaß, mit dem wir es eindeutig zu tun haben, zu überwinden. Damit übernimmt der Bund im Prinzip eine Reparaturfunktion im Hinblick auf Fehlleistungen von Ländern und Kommunen, im Hinblick auf unterlassene Entscheidungen, dort rechtzeitig entsprechende Planungen in die Wege zu leiten. Hier müssen wir, obwohl wir dafür eigentlich gar nicht zuständig sind, das ausbügeln, was dort im Prinzip versäumt wurde. Im Osten, in den neuen Bundesländern, ist die Bauwirtschaft zum Motor der Konjunktur geworden. Dort haben wir es mit Wachstumsraten von über 20 % zu tun. Da stellen sich natürlich andere ganz besondere Aufgaben, die ich nur ganz kurz kennzeichnen will: Erstens. Wir haben es mit einem riesigen Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf zu tun. Dafür stellen wir erhebliche zinsverbilligte Mittel über KfWKredite zur Verfügung. Wir haben natürlich, Herr Dr. Seifert, einen enormen Nachholbedarf beim Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern, die eben in Zeiten der DDR dort nicht errichtet wurden. Wir brauchen drüben in den neuen Ländern keine Sozialwohnungen zu bauen; wir müssen dort Eigentumsmaßnahmen betreiben. Eine der zentralen Aufgaben wird eine Veränderung der Wohneigentumsstruktur in den neuen Ländern sein. Hier müssen wir die Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestands anstoßen. Ich glaube, das Angebot des Bundes an die Länder und an die Kommunen in der Altschuldenfrage, das entgegen Ihrer Meinung inzwischen auf dem Tisch liegt, ist fair. Wir meinen auch, daß die Mietanpassung bei großzügiger sozialer Absicherung durch das Sonderwohngeld Ost dazu führen wird, daß wir die Probleme, die drüben bestehen, sich allmählich in eine marktwirtschaftliche Wohnungsordnung einzugewöhnen, lösen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Hitschler, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Dr. Seifert zu beantworten?

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Dr. Hitschler, darf ich Sie bitte einmal fragen, was der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern, von dem Sie sprachen, unmittelbar mit der Schaffung von Eigentum aus dem Bestand zu tun hat? Das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Sie haben es in einem Satz gesagt.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da haben Sie in der Tat recht. Das hat mit der Schaffung von Eigentum aus dem Bestand in der Tat nichts zu tun. Aber es besteht ein enormer Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern, weil diese den Wünschen der Bürger drüben in den neuen Ländern entsprechen. ({0}) Sie möchten in Ein- und Zweifamilienhäusern und nicht ausschließlich in Mietskasernen wohnen. Wir möchten mit der Privatisierung aus dem Bestand den einkommensschwächeren Mietern drüben die Gelegenheit geben, ihre Wohnung, in der sie wohnen, zu einem sozial verträglichen Preis und nicht zu den Preisen zu kaufen, die drüben von den Wohnungsbaugesellschaften gegenwärtig als Phantasiepreise in die Welt gesetzt werden. ({1}) Zu solchen Preisen kann man Privatisierung in der Tat nicht betreiben; da gebe ich Ihnen recht. Zum Schluß möchte ich darauf hinweisen, daß bei diesem Etat von über 8 Milliarden DM - das scheint mir besonders symptomatisch zu sein - der investive Anteil immerhin 46 % beträgt. Das heißt, 46 % aller Mittel aus diesem Haushalt fließen in Investitionen. Das zeigt, daß von diesem Haushalt, zu dem ich Ihre Zustimmung erbitte, doch erhebliche Impulse für unsere Wirtschaft ausgehen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Hitschler, wenn ich nicht gebranntes Kind aus SED-Zeiten wäre, würde ich Ihre Rede vielleicht ganz nett finden. ({0}) Das „Es geht aufwärts" kommt mir sehr, sehr bekannt vor. Aber warum sollte der Einzelplan 25 realistischer sein als der gesamte Haushaltsentwurf? ({1}) - Na ja. - Nimmt man die Presseerklärung der Ministerin zur Hand, dann sieht man tatsächlich nur Erfolge. Die Wohnungssituation in Deutschland ist ja auch wirklich erfolgreich, nämlich für Haus- und Grundstücksbesitzer, also die „übergroße Mehrheit" der gesamten Bevölkerung, nicht nur im Osten. KataDr. Ilja Seifert strophal ist die Lage nur für die paar Mieterinnen und Mieter, für die Alleinerziehenden, für die Menschen mit Behinderungen oder für wohnungssuchende Studenten. Für Obdachlose, die gerade wieder einmal planmäßig zu erfrieren beginnen, spielt die Wohnungslage sowieso keine Rolle, denn sie haben ja keine Wohnung. Also schreitet eine verhinderte Außenministerin fröhlich voran, die keine Träne übrig hat angesichts zigtausendfacher Obdachlosigkeit - davon haben Sie, Herr Hitschler, nämlich nicht gesprochen -, angesichts 3 Millionen fehlender Wohnungen und angesichts explodierender Mieten, die zunehmend mehr Menschen zu Wohngeld- oder Sozialhilfeempfängern machen. Seit Beginn der 80er Jahre ist die Zahl der gebauten Wohnungen rückläufig, bis 1989 im Westen viel stärker als im Osten. Im gleichen Zeitraum stiegen die Mieten schneller als die Einkommen und als die allgemeine Preisentwicklung. ({2}) Dies ist das Ergebnis, wenn man allein auf Marktkräfte schwört, statt sich als Staat auf die Sozialpflichten zu besinnen. Es wurde von Ihrem Fraktionsvorsitzenden darauf hingewiesen, daß alle nur von Rechten sprechen und keiner von Pflichten. Ich spreche von den Pflichten des Sozialstaats. Die Gruppe PDS/Linke Liste bekräftigt ihre Auffassung, daß, obwohl inzwischen alle Parteien eine Wohnungsnot in Deutschland konstatieren, der Haushalt 1993 verdeutlicht, daß die Bundesregierung nicht einmal den Versuch macht, die in Deutschland zunehmende Wohnungsnot zu bekämpfen. Von dem im vergangenen Jahr groß angekündigten wohnungspolitischen Konzept der Regierung redet inzwischen niemand mehr; es wäre auch vergebliche Liebesmühe. Für die direkte Förderung des Wohnungsbaus sind wie in den vergangenen Jahren im Vergleich zu anderen Etatbereichen lächerliche Summen vorgesehen, und das im Wissen, daß auch der finanzielle Spielraum der Länder und Kommunen für den Wohnungsbau eher geringer wird, anstatt zu wachsen. Statt den Kommunen vorzuwerfen, daß nicht alle Fördertöpfe voll ausgeschöpft werden, sollte sich die Regierung fragen, warum das so ist. Gerade für ostdeutsche Kommunen sind Eigenleistungen von einem Drittel der Bausumme zum Teil illusorisch; die vielen ungeklärten Eigentumsfragen tun das übrige. Mehr noch: Die rapide sinkenden Ansätze im Haushaltsplanentwurf für die Wohnungsbauförderung machen deutlich, daß die Regierung auf diesem Gebiet einen Crashkurs fährt. De facto soll die Wohnungsbauförderung auf massive Steuergeschenke für die Reichen reduziert werden. Wir fordern demgegenüber, endlich mit der Ausarbeitung und Realisierung eines nationalen Wohnungsbauprogramms zu beginnen, das diesen Namen auch verdient. Dafür sind die Prioritäten in den öffentlichen Haushalten neu zu setzen. Wir sind für eine effektive und leistungsfähige Bau- und Wohnungswirtschaft. Aber in erster Linie sind wir dafür, daß das Recht auf bezahlbare Wohnungen für alle als Menschenrecht durch die praktische Politik verwirklicht wird. Dies ist nur mit einem umfassenden nationalen Wohnungsbauprogramm für ganz Deutschland - die Probleme bestehen nicht nur im Osten - zu erreichen. Städtebauliche, ökologische und soziale Aspekte sollten dabei ebenso wie die Schaffung von Arbeitsplätzen und, bitte schön, auch die Ankurbelung der Konjunktur gleichrangig beachtet werden. Unsere Forderung ist daher, mittelfristig mindestens 8 % des Volumens der öffentlichen Haushalte für die Verwirklichung dieses Menschenrechts einzusetzen. Auf dem Wege dorthin sollte bereits durch die Verdoppelung der 1993 für die Wohnungsbauförderung, für das Wohnumfeld und für den Ausbau der sozialen Infrastruktur angesetzten Beträge ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, besinnen Sie sich doch auf Ihre kommunale bzw. regionale Herkunft und Bindung, die uns nämlich verpflichtet, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger dort zu vertreten. Prüfen Sie bitte unter diesem Gesichtspunkt die vorliegenden Änderungsanträge der PDS/Linke Liste zum Einzelplan 25 und nicht nur unter dem ideologischen Vorbehalt „Was von der PDS kommt, wird sowieso abgelehnt". Bei aller Akzeptanz finanzieller Engpässe wäre die Annahme der Anträge „Programm zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland" und „Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen" ein erster Schritt zu einer Wende in der Wohnungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, zu einer Wende in die richtige Richtung. Der dritte Änderungsantrag betrifft die sogenannten Altschulden der Wohnungswirtschaft. Nach Auffassung des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft, des Deutschen Städtetages und anderer Verbände, gestützt u. a. auf das Rechtsgutachten von Herrn Scholz, handelt es sich dabei keineswegs um echte Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern nur um Rechengrößen im System der DDR-Planwirtschaft. Die Belastung der Wohnungsbaugesellschaften und der Wohnungsgenossenschaften mit diesen rd. 36 Milliarden DM fiktiver Schulden, die zudem durch Wucherzinsen Jahr für Jahr um weitere 4 bis 5 Milliarden DM anwachsen, hätte verheerende Folgen. Insofern würde ein Aufschub, ein Moratorium auch nicht viel nützen. Vor allem für die neueren Wohnungsbestände müßten zur Bedienung des Kapitaldienstes die Quadratmetermieten bis zu 10 DM je Monat angehoben werden. Der Vorschlag des Bundesfinanzministers, die Altschulden bei 350 DM pro Quadratmeter zu kappen, macht die Sache nicht viel besser, denn pro Quadratmeter müßten dann immer noch mehr als 3 DM für den Kapitaldienst aufgebracht werden. Auch bei diesem Rechenexempel wäre der Spielraum für die Wohnungsunternehmen, Kredite für die Instandsetzung oder Modernisierung aufzunehmen, gleich null, vom Neubau ganz und gar abgesehen. Letztendlich wären sie gezwungen, ihren Wohnungsbestand zu verkaufen. Das aber wäre zugleich für die ostdeutschen Kommunen das Ende ihrer Möglichkeiten, sozial dringliche Wohnungsprobleme entsprechend dem fortgeltenden Gesetz über Belegungsrechte zu lösen. Verantwortungslos ist das schändliche Spiel der Regierung mit dem kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbestand im Osten. Die sozial unverträglichen Mieterhöhungen zum 1. Januar 1993 und logischerweise zum 1. Januar 1994, wenn die weiteren Dinge hinzukommen, sowie die Umlage von Instandsetzungs- und Modernisierungskosten werden die Mieten mehrheitlich über das Niveau von Westmieten, von Mieten westdeutscher Sozialwohnungen heben. ({3}) - Herr Kansy, Sie werden es ja in der Praxis sehen. Viele Menschen in Ostdeutschland sind der Meinung, in einer Sozialwohnung zu leben. Dies wäre auch Rechtens, sind doch die meisten Wohnungen aus Mitteln des Staatshaushaltes der DDR bezahlt worden. Trotzdem werden entsprechend dem sogenannten Einigungsvertrag alle DDR-Wohnungen in den freien Wohnungsmarkt überführt. Damit gibt es in Ostdeutschland bei Vernachlässigung der wenigen nach 1990 gebauten Sozialwohnungen keine Wohnung mit Sozialbindung mehr. Die Folgen sind heute nur erahnbar. Statt in dieser Situation alles zu tun, um den kommunalen Wohnungsbestand zu erhalten, soll er nun mit Regierungsgewalt privatisiert werden. Die Mehrzahl der ehemaligen DDR-Bürger wird mit dem Kauf ihrer Wohnung überfordert sein. Aber es geht auch gar nicht darum, den Menschen, die ihre Wohnung kaufen möchten, dies zu ermöglichen. Die Privatisierungsvorhaben der Bundesregierung sind ein Jahrhundertgeschäft für die Immobilienbranche. Durch die Privatisierung der DDR-Wohnungen werden genausowenig Wohnungen neu geschaffen wie durch Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen. Die Wohnungsnot wird zunehmen, privates Geld und Steuergeschenke fließen in den vorhandenen Wohnungsbestand und nicht in den dringend benötigten Wohnungsneubau. Das können christlich, sozial und demokratisch gesonnene Menschen doch nicht wollen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Verzögerungstaktik zur Regelung der sogenannten Altschuldenproblematik endlich aufzugeben und sozialverträgliche Regelungen herbeizuführen. Das beste wäre nach unserer Überzeugung, die betreffenden Beträge in unverzinsliche Fördermittel des Bundes umzuwandeln mit der Maßgabe, daß die betreffenden Wohnungen mit entsprechender Mietpreisbindung und Belegungsbindung im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes umgewandelt werden. In diesem Sinne hat die PDS/Linke Liste mit dem Antrag zur Umwandlung der sogenannten Altschulden und dem vorliegenden Änderungsantrag zum Haushaltsplan einen Vorschlag auf den Tisch dieses Hohen Hauses gelegt. Meine Damen und Herren, daß die PDS/Linke Liste dem Einzelplan 25 nur unter Berücksichtigung unserer Änderungsanträge zustimmen kann, ist wahrscheinlich naheliegend. Ich werde bei der derzeitigen menschenrechtsverletzenden Wohnungspolitik ({4}) nicht wort- und tatenlos zusehen. Zunehmend mehr Mieterinnen und Mieter werden sich wehren. Menschenrecht ist nun mal unteilbar; da beißt die Maus keinen Faden ab. Man kann das nicht nur auf die DDR beziehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Seifert, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Ihnen über das rote Licht signalisiere, daß Sie seit geraumer Zeit Ihre Redezeit überschritten haben.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sie dürfen mich darauf aufmerksam machen, Herr Präsident. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Krause ({0}) das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Rudolf Karl Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erstens. Herr Dr. Seifert, die Sozialbindung ist das Wohngeld, was erstmalig für Mieter und auch für Wohneigentümer gilt. Zweitens. Frau Bock, es gibt Wohnungen in den neuen Ländern, die verschuldet sind. Sie sind fast alle nach 1960 gebaut. Alle in ordentlicher Bauweise von 1920 bis 1960 gebauten Wohnungen sind im Prinzip schuldenfrei. Warum werden diese nicht privatisiert? Nicht weil soviel Schulden drauf sind, sondern weil die postsozialistischenWohnungsverwaltungsgesellschaften kein Interesse daran haben, sich durch eine Privatisierung arbeitslos zu machen. ({0}) Nächster Punkt. Es gibt einen Bauboom im Wohnungsbau in den neuen Ländern, dort, wo es sich um privates Wohneigentum handelt und wo keine Bürokratie ihre Hand dazwischen hat. Es gibt Zehntausende neu erschlossener Wohnungen durch Bezug von leerstehenden Häusern auf dem Lande. Dort klappt es sehr gut, und gerade dort sind ja die 20 % Steigerung. ({1}) Wohnungsbaugenossenschaften sind keine Genossenschaften im Sinne des deutschen Genossenschaftsgesetzes. Wir werden dort ein ähnliches Genossenschaftsanpassungsgesetz brauchen, wie wir es in der Landwirtschaft haben, damit das Ziel erreicht wird, gegen den Willen der postsozialistischen Verwaltungseinrichtungen auf Wunsch der Mieter zu privatisieren. Überall dort, wo es sich um privates Wohneigentum handelt, haben wir bereits einen Bauboom. Die Sache ist so ernst, daß man es unserer Bevölkerung sagen muß. Wer Wohngeld verschweigt, ist einfach unredlich. Dr. Rudolf Karl Krause ({2}) Ich danke den Oppositionsparteien, daß sie es uns mit diesen Auslassungen so leicht machen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zu einer Erwiderung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrter Herr Kollege, Sozialbindung ist doch nicht auf das Wohngeld zu reduzieren, sondern hat etwas damit zu tun, daß die Kommunen Belegungsrechte und dergleichen haben. Über Wohngeld brauchen wir doch nicht extra zu reden; das macht man in jeder anderen Rede auch. Vielen Dank.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Hitschler, es tut mir schrecklich leid: Auf eine Kurzintervention kann nicht mit einer Kurzintervention geantwortet werden. Lediglich der Redner hat die Möglichkeit, noch einmal darauf einzugehen. Sie sind von Dr. Krause nicht angesprochen worden. Das ist Ihr Pech. Sonst könnte ich es anders gestalten. Nunmehr hat die Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Dr. Schwaetzer, das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt 1993 dokumentiert, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen den enormen Herausforderungen des aufs höchste angespannten Wohnungsmarktes Rechnung tragen. Es ist ein Haushalt, der diese großen Anstrengungen in allen seinen Teilen dokumentiert. Ich möchte ganz besonders die Tatsache herausheben, daß wir mit den Mitteln für den Sozialen Wohnungsbau in einer Höhe von insgesamt 3,7 Milliarden DM einen Verpflichtungsrahmen des Bundes erreicht haben, der viel höher ist, als er Anfang der 80er Jahre war. Das zeigt doch, daß diese Bundesregierung das tut, was notwendig ist und was nach den Kräften der in der Tat sehr schwierigen Finanzlage zu verantworten ist, um genau dort anzusetzen, wo auch wir den großen Bedarf sehen, nämlich dafür zu sorgen, daß Familien mit Kindern eine Wohnung bekommen können. Frau Bock, ich stimme Ihnen in einem zu, nämlich darin, daß die Wohnungssuche, die über längere Zeit erfolglos verläuft, zu enormen Frustrationsgefühlen führen muß und damit auch zu einer Verunsicherung in bezug auf die gesamte gesellschaftliche Struktur. Gerade deswegen haben wir das wohnungspolitische Programm vom Herbst des vergangenen Jahres aufgelegt. Herr Seifert, das Programm ist im Herbst des vergangenen Jahres für 1992, 1993 und 1994 beschlossen worden. Damit finden Sie es selbstverständlich auch im Haushalt wieder. Das macht deutlich, das ist ein Haushalt der kontinuierlichen Anstrengungen und ein Haushalt der Stetigkeit. Aber Frau Bock, ich muß Ihnen auch sagen: Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind im wesentlichen falsch. Das betrifft vor allem die Bauvolumina, es betrifft auch die Mietbelastung. Da ich aber leider weniger Redezeit als Sie habe, werde ich Ihnen das in einem Brief mitteilen, den ich auch der Öffentlichkeit zugänglich machen werde. Ich möchte Ihnen allerdings in einem Punkt widersprechen -und da bedaure ich es, daß Sie wieder den Zahlen, die Ihnen sicherlich Herr Großmann geliefert hat, auf den Leim gegangen sind -, ({0}) nämlich den Durchschnittszahlen über die Wohnungsbauförderung der 80er Jahre. ({1}) - Bevor Sie sich zu Zwischenfragen melden, sollten Sie erst einmal zuhören, was dazu zu sagen ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Ministerin, das heißt, Sie sind nicht bereit zu antworten - später?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Später. - Ich möchte die Kollegin Bock darauf hinweisen, daß der sozialdemokratische Bausenator von Hamburg 1988 - wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie damals noch in der Hamburger Bürgerschaft; da hat Hamburg nicht einen Pfennig für den sozialen Mietwohnungsbau ausgegeben -({0}) in der Bürgerschaft ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß vor dem Hintergrund leerstehender Wohnungen jeder Pfennig für den sozialen Mietwohnungsbau ein verschwendeter Steuergroschen gewesen wäre. Das ist die Situation gewesen. Insofern bringt diese Durchschnittszahl, die Sie da immer zitieren, überhaupt nichts, denn sie verschleiert nur die Wahrheit. ({1}) Deswegen ist es wichtig, darauf zu achten, daß wir die Anstrengungen, die wir seit 1988 mehr als verdoppelt haben, auch auf diesem sehr hohen Niveau weiterführen. Das werden wir auch tun. Die Erfolge stellen sich in der Tat ein. Wir werden mit 380 000 bis 400 000 Fertigstellungen allein in diesem Jahr auch eine Verdoppelung der Fertigstellungszahlen seit 1988 erreicht haben. Dieses müssen wir auf einem sehr hohen Niveau und auch noch auf einem höheren Niveau über etliche Jahr fortführen, um die zweifellos sehr schwierige Lage bewältigen zu können. ({2}) Das tun wir sowohl im sozialen Wohnungsbau als auch mit den Mitteln der Eigentumsförderung. Die Zuwachsraten bei den Eigenheimgenehmigungen von etwa 10 % bei Einfamilienhäusern und von annähernd 20 % bei Zweifamilienhäusern zeigen doch, daß hier nicht nur der Eigentumsgedanke in den Augen der Bevölkerung ganz vorherrschend ist, sondern daß wir hier auch enorme Zuwachsraten haben und damit einen wichtigen Ansatzpunkt zur Bewältigung der Probleme; übrigens vor allen Dingen bei Familien mit mittleren Einkommen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Ministerin, sind Sie nun bereit, eine Frage zu beantworten?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Aber bitte, und bitte nicht anrechnen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Frau Abgeordnete Bock.

Thea Bock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, stimmen Sie mir zu, daß es eine Diskriminierung einer Haushälterin ist, wenn Sie einer Haushälterin den Vorwurf machen, daß ein Dritter die Zahlen aufschreibt? ({0}) Und glauben Sie, daß das der Zusammenarbeit sehr förderlich ist? Ich hatte den Eindruck, daß wir auch in den Berichterstattergesprächen sehr offen und kollegial miteinander umgegangen sind. Es würde mich freuen, wenn Sie diesen Vorwurf zurücknehmen würden. - Danke.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Bock, ich unterstelle mal, daß Sie auch eine Antwort haben wollen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich an die Sitten des Hauses halten würden und die Antwort stehend entgegennähmen.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Liebe Frau Bock, ich bestätige Ihnen sehr gerne, daß wir gerade bei den Berichterstattergesprächen und auch im Haushaltsausschuß eine sehr sachliche und vernünftige Diskussion geführt haben. Ich habe von dieser Diskussion in Ihrer Rede heute, außer dem Beginn, leider nichts wiedergefunden. ({0}) Lassen Sie mich hinzufügen: Ich glaube, den größten Frust erleiden die Bürger unseres Landes bei Fensterreden hier im Deutschen Bundestag. ({1}) Deswegen hätte ich mir gewünscht, daß wir auf der gleichen Ebene weiter so miteinander umgegangen wären. Deshalb noch einmal die Bestätigung, daß Durchschnittszahlen auch Wahrheit verbergen und verschleiern können. Als Haushälterin sind Sie nicht für Durchschnittszahlen der Wohnungsbautätigkeit in den 80er Jahren zuständig, das vermute ich mal. Das wird Ihnen vielmehr ein anderer geliefert haben. Aber damit sind Sie eben genau an der Wahrheit vorbeigegangen. Meine Damen und Herren, nur ein Wort zur Städtebauförderung West. Es ist alles richtig, Frau Bock, was Sie zitiert haben. Ich stehe auch dazu. Deswegen möchte ich noch einmal unterstreichen: Die Städtebauförderung West ist für ein Jahr bei den Neuzusagen unterbrochen, sie wird bei den gegebenen Zusagen selbstverständlich weitergeführt und auch weiter finanziert, und es wird auch wieder neue Zusagen im Westen geben. Aber eines ist auch klar: Wenn ich den Sanierungsbedarf von Stralsund, Schwerin, Erfurt, Meißen, Dresden, von all diesen Städten sehe und ihn mit Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, München, Köln vergleiche, dann muß ich wirklich sagen: Es geht hier nicht in erster Linie um den Ausbau West, sondern es geht um den Aufbau Ost. ({2}) Aufbau Ost, meine Damen und Herren, das ist in der Tat die ganz große Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn ich mir die Situation im Wohnungsbestand im Osten ansehe, so kann ich verstehen, daß viele Bürger sich wünschen, es ginge schneller. Wir können heute sagen, daß in etwa 25 % der Wohnungen mit den ersten notwendigen Sanierungen begonnen worden ist. Ein Teil der Sanierungsmaßnahmen ist abgeschlossen. Aber wir wünschen uns natürlich alle, daß es schneller geht. Zwei Drittel der Bevölkerung sehen es auch, sie konstatieren, daß es losgegangen ist und daß saniert wird. Wir werden auch hier im Haushalt 1993 zusätzliche Akzente für den Aufbau Ost setzen. Gerade weil die Sanierung des Bestandes so sehr im Vordergrund steht, werden wir die Mittel für die zinsverbilligten Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau auf 30 Milliarden DM aufstocken. Dies ist eine große Investitionsspritze, die ganz notwendig ist. Wichtig ist allerdings auch, daß die Mietenanhebung zum 1. Januar 1993 den Wohnungsunternehmen die nötigen Mittel liefert, um zusätzliche Kredite auch finanzieren zu können. Damit das alles in Gang gesetzt wird, ist eine Regelung der Altschuldenfrage notwendig. Hierzu hat Herr Waigel bereits gesprochen. Herr Großmann, ich nehme an, Sie haben hier gesessen; ich habe Sie allerdings nicht gesehen. Aber wenn Sie Herrn Waigel zugehört hätten, dann hätten Sie die Elemente des Angebots der Bundesregierung gehört. ({3}) Es ist notwendig, die Altschulden bei einem bestimmten Betrag - nach unserer Vorstellung 350 DM pro Quadratmeter - zu kappen. Es ist notwendig, den Wohnungsunternehmen und Genossenschaften für mehrere Jahre eine Überbrückungshilfe zu gewähren, weil sie zunächst nicht in der Lage sind, die Zinsen aus ihren eigenen Einnahmen zu finanzieren. Es ist notwendig, daß der Fonds, der aus den gekappten Beträgen gebildet wird, auch aus Privatisierungserlösen gespeist wird. Wir müssen dafür sorgen, meine Damen und Herren, daß wir eine gemeinsame Verantwortung für die Finanzierung der Überbrückungshilfe und auch des Fonds zwischen Bund und neuen Ländern herstellen. Das bedeutet, daß jetzt die neuen Länder am Zuge sind. Wir haben unser Angebot auf den Tisch gelegt, die Bauminister haben gesagt, die neuen Länder tragen Verantwortung. Die Finanzminister haben sich bisher verweigert. Sie sind jetzt am Zuge. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß wir zusätzliche Akzente im Haushalt 1993 setzen. Insofern, Herr Großmann, müssen Sie Ihren Zwischenruf vielleicht korrigieren. Wir werden auch im Bereich Städtebauförderung die Mittel für Planungskosten und Erschließungsmaßnahmen gegenüber dem Haushalt 1992 aufstocken. Das ist im Parlament auch bereits diskutiert worden. Wir werden sie für ein Erschließungsprogramm für Wohnungsbauland aufstocken. Wir werden zusätzliche Mittel für die Privatisierung zur Verfügung stellen. Wir werden die Eigentumsförderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus zu einem Schwerpunkt machen und hier ein Modellprogramm zur Selbsthilfe im Siedlungsbau ebenfalls auf den Weg bringen. Wir fördern den Neubau von Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau. Wir werden im nächsten Jahr ein Plattenbausanierungsprogramm starten, um hier den dringendsten Bedarf, der sich aber noch über viele Jahre erstrecken wird, zu decken. Alles dies, meine Damen und Herren, macht sehr deutlich, daß diese Bundesregierung ihrer Verantwortung nachkommt, die sie gegenüber den Bürgern und ihren Erwartungen in den neuen Bundesländern hat. Zum Schluß möchte ich den Haushältern für die konstruktive Mitarbeit sehr herzlich danken, die bei diesen zweifellos sehr schwierigen Haushaltsberatungen notwendig gewesen ist. Der Haushalt des Bauministeriums setzt Akzente, die notwendig sind. Er setzt Akzente für die Bewältigung riesiger Probleme. Ich bin davon überzeugt, daß wir auf einem guten Weg sind - im Interesse der Bürger, die darauf warten. Ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir können nunmehr zur Abstimmung kommen. Ich lasse zuerst über die Änderungsanträge der Gruppe PDS/Linke Liste abstimmen, und zwar zunächst über die Drucksache 12/3829. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste? - Dagegen? -Stimmenthaltungen? - Dann ist bei einer Enthaltung und bei Zustimmung der PDS/ Linke Liste der Änderungsantrag durch den Rest des Hauses abgelehnt. Wir stimmen ab über den Änderungsantrag auf Drucksache 12/3830. Wer stimmt dafür? - Dagegen? Wer enthält sich? - Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 12/3831. Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt. Wer stimmt für die Drucksache 12/3834? ({0}) - Alles Änderungsanträge der PDS/Linke Liste. Andere Änderungsanträge habe ich nicht vorliegen. Also noch einmal: Wer ist für den Änderungsantrag auf der Drucksache 12/3834? - Dagegen? - Enthaltungen? - Mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung? - Dagegen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Ich rufe nunmehr auf: Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 12/3516, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Dr. Sigrid Hoth Der Ältestenrat schlägt eine Debattenzeit von einer Stunde vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Zunächst darf ich dem Abgeordneten Hans Georg Wagner das Wort erteilen, der sich sogar an seinem Geburtstag erlaubt, hier zu sprechen. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch, Herr Abgeordneter! ({1})

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! So oft wie heute ist mir noch nie zum Geburtstag gratuliert worden. Ich bedanke mich bei allen Seiten des Hauses, auch beim amtierenden Präsidenten. ({0}) - Da bin ich mir nicht so sicher. Denn in vielen Punkten waren wir uns ja bei der Beratung des Haushaltsplans des Umweltministers einig. Eigentlich kann man bei der Betrachtung des Haushalts des Bundesumweltministers nur Mitleid haben. Einem Vertreter der Opposition stellt sich die Frage, ob zu einem solch schmalbrüstigen Haushalt überhaupt die Mühe lohnt, sich intensivere Gedanken zu machen, statt einfach, schlicht, kurz und bündig nein zu sagen. Es ist schon ein Jammer, wie die Koalition mit dem Bundesumweltminister umgeht: Zunächst kann er sich beim Bundesfinanzminister nicht durchsetzen, sein Haushalt wird drastisch gekürzt, im Kabinett werden ihm leere Versprechungen gemacht, und dann langen die Haushälter der Koalition noch einmal hin. Mit minus 6 % gegenüber dem Haushalt 1992 geht Herr Töpfer in das Jahr 1993. Erschwerend für die Arbeit, fürwahr! Und mit welchem Verkündigungstourismus hat er sich geplagt, Versprechungen bis in den letzten Flekken dieser Erde gemacht, Zusagen vielerorts, Hoffnungen erweckt - und nun das! Wenn nicht die Medien alles berichtet hätten, könnte man auf den Gedanken kommen, Klaus Töpfer habe dies alles nur geträumt. Aber im Gegenteil: Alle Verkündigungen sind belegbar. Und doch bewegt mich der Gedanke, wie es um den Gemütszustand eines solchen weltweit blamierten Umweltmessias bestellt sein muß. Ich habe volles Verständnis dafür, daß er jetzt zielgerichtet eine neue Karriere bei den Vereinten Nationen anpeilt. Hier ist wirklich nichts mehr zu bestellen, und Erfahrungen als Job-hopper hat er nun einmal in langen Jahren gesammelt. ({1}) - Nicht nur im Saarland, gnädige Frau. Als infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl flugs ein Umweltministerium gegründet wurde, wollte man damit Aktivitäten vortäuschen, deren Umsetzung man eigentlich nicht im Sinne hatte. ({2}) Die Haushaltsrealität für die Umweltpolitik dieser Bundesregierung könnte organisatorische Veränderungen innerhalb der Bundesregierung bewirken. Nachdem die Bedeutung des Umweltministeriums durch die Koalition - auch durch Sie, Frau Albowitz - auf die Größe einer Abteilung eines anderen Ministeriums herunterfinanziert wurde, kann man sich durchaus eine Wiedereingliederung als Fachabteilung ins Innenministerium vorstellen. Zumindest die Kosten der Führungsebene des Ministeriums könnte man dabei einsparen. Denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht mehr weitergehen. ({3}) - Darüber reden wir in Saarbrücken, nicht im Deutschen Bundestag. Aber wir können das gern tun, falls ich die Zeit dazu habe. Dabei hat gerade die Umwelt, die Natur, für unsere Erde den höchsten Rang in der menschlichen Werteskala. Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft ist die Aufgabe Nr. 1. Denn wer die Umwelt wirksam schützen will, muß bei den Schadensursachen ansetzen. Es kommt beispielsweise darauf an, weniger Energie zu verbrauchen. Dabei gilt die Devise: Wer Energie verschwendet, soll dafür zahlen, wer Energie spart, soll belohnt werden. Bei diesem Thema zeigt sich in brutaler Deutlichkeit die Handlungsunfähigkeit des Bundesumweltministers. ({4}) - Hatten Sie eine Zwischenbemerkung gemacht? ({5}) - Ja, das merken Sie als ständig im Flugzeug befindlicher natürlich nicht, daß Energiepolitik ein ganz wesentlicher Teil der Umweltpolitik ist. Vielleicht lesen Sie da mal etwas nach, Herr Bundesminister! ({6}) Er verkündet zwar tapfer, oftmals unterstützt auch von der SPD, viele gute Dinge. Nur: Wenn es ans Umsetzen geht, entweicht die heiße Luft. ({7}) Da fordert er europaweite Aktivitäten - zu Recht -, muß aber akzeptieren, daß zunächst einmal abgewartet werden muß, wie die Vereinigten Staaten und Japan beispielsweise über eine Energiesteuer denken, die er europäisch betrieben hat. Das ist ja eine Aktivität, auf die Sie recht stolz sind, und sie gehört auch zu Ihrem Ressort. Umweltkommissar Ripa de Meana schämte sich sogar, das Ergebnis der Verhandlungen auf dem Umweltgipfel in Rio de Janiero überhaupt zu vertreten. Er blieb einfach zu Hause. Nicht so unser Kanzler und unser Umweltminister. Sie nutzten die Gelegenheit, weltweit damit anzugeben, was bei uns schon alles möglich sei. Nur: In allen Fällen drängen sich am Ende doch die Wirtschaftsinteressen vor die Umweltinteressen, und allen vielen Worten folgen keine konkreten Taten. Als schließlich die OECD seine, d. h. Töpfers Energiesteuer beschloß, regten sich auch dort sofort besorgte Stimmen, die Wettbewerbsnachteile für die europäische Wirtschaft ausmachten. Schnellstens wurde wiederum ein Vorbehalt eingebaut. Erst wenn auch die energiesteuerfreien Konkurrenten aus Ostasien, insbesondere Korea und Taiwan, sich klimapolitische Zügel anlegen, kann der Klub der Reichsten - nämlich wir - tun, was ökologisch vernünftig ist. Dabei hätte der Minister, wollte er seinen eigenen Ansprüchen gerecht werden, darauf verweisen müssen, daß sich umweltbedingte Standortnachteile schnell in Vorteile umwandeln können, wie beispielsweise die Technikentwicklung im Bereich der Kohlekraftwerke und ihrer Nachsorge belegt. Deutsches Know-how - das wissen Sie; Sie haben das ja selbst betrieben, etwa in der Ukraine - bei der Rauchgasentschwefelung, bei Entstickungsanlagen ist Weltspitze und wird zunehmend zu einem Exportschlager. ({8}) Sie, Herr Minister, haben unlängst bei der Vorstellung des neuen Umweltprogramms der CDU von der „Eigenbedeutung der Natur" gesprochen. Nur: Die Umsetzung Ihres an sich richtigen Ansatzes wird durch die Eigenbedeutung der Ökonomie erheblich geschmälert. Wer die Eigenbedeutung der Natur durchsetzen will, muß auch deutlich sagen, daß dies nur gelingt, wenn die Eigenbedeutung der Ökonomie reduziert wird. Hierzu ist ein Wertewandel erforderlich. ({9}) Sieht man Ihren Haushalt, Herr Minister, in dieser Zielrichtung durch, erschrickt man angesichts der Realitäten: Es bleibt dabei aber auch überhaupt nichts mehr von dem übrig, was nach Ihren Worten geschehen soll und was nach den Beschlüssen der Koalition sein dürfte. Nun ist ja mittlerweile klar, daß wir im Frühjahr 1993 über Nachbesserungen zum Haushalt werden reden müssen. Sie haben also noch Zeit, sich einmal sichtbar durchzusetzen - im Interesse unserer Umwelt. Falls Sie sich erneut nicht durchsetzen sollten, dann empfehle ich Ihnen im Interesse Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, das von Ihnen vorgestellte Kapitel „Umwelt" des CDU-Programms im Frühjahr 1993 gar nicht erst zur Diskussion freizugeben. Es wäre, wie Ihr Haushalt, reine Makulatur. ({10}) Nachdem der Rotstift der Koalitionssparer auch vor Ihrem Personalhaushalt nicht haltgemacht hat, ist dem Ministerium ein solcher Substanzverlust entstanden, daß in der Tat die Umwandlung in eine Fachabteilung des Innenministeriums der eigentliche Weg der Wahrheit in der Umweltpolitik wäre. Wir von der SPD wissen natürlich um die mißliche Finanzsituation, in die Sie die Bundesrepublik Deutschland durch Nichtbeachtung, ja durch Diffamierung warnender Stimmen getrieben haben. Von daher sind umweltpolitische Zielsetzungen natürlich und zwangsläufig ebenfalls den Finanzen anzupassen, aber nicht, wie jetzt geschehen, hoffnungslos unterzuordnen. Ihr Haushalt, Herr Bundesumweltminister, hält einer umweltpolitischen Prüfung in keinster Weise stand. Meine Damen und Herren, wenn ich von der Energiepolitik gesprochen und einige kritische Anmerkungen gemacht habe, darm auch vor dem Hintergrund der Rede von Herrn Töpfer am 28. Oktober 1992 in Berlin vor der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit. ({11}) - Wenn Sie sagen, das gehöre nicht zu Ihrem Haus, dann frage ich mich, was Sie dort zu diesem Thema zu reden haben. Wenn die Rede wirklich so gehalten worden ist, wie Sie veröffentlicht wurde, dann ist dies eine Demaskierung der wirklichen Absichten der Bundesregierung in der Energiepolitik. Es wird auch verständlich, warum die Koalition bis heute die Einsetzung der sogenannten UeberhorstKommission verhindert. Man will nämlich gar keinen Konsens mit der SPD, sondern tut nur so. ({12}) Und ich füge hinzu: Bei anderen diskutierten Namen - etwa Professor Birkhofer - haben die Sozialdemokraten ganz erhebliche Probleme, da mitzumachen. Wenn es zu einem Konsens kommen soll, dann überlegen Sie sich andere Namen, falls Sie nicht mit Herrn Ueberhorst überkommen wollen. Man will die Zukunft der Stein- und Braunkohle - so Töpfer -, die Förderung der alternativen Energiearten und die Zustimmung dazu an den weiteren Aus- und Umbau der Kernenergie binden. Das ist mit der SPD nicht zu machen. ({13}) Wer schon die Bildung einer Kommission - Frau Albowitz, Sie waren ja mitbeteiligt -, die einen nationalen Konsens in der Energiepolitik vorbereiten soll, von vornherein blockiert, beweist seine energiepolitsiche Bewegungslosigkeit. Es ist einfach leichtsinnig, immer nur die Steinkohle im Zusammenhang mit der CO2-Belastung zu erwähnen. Wer den Hauptverursacher der CO2-Belastung weltweit, nämlich das Mineralöl, das mit 50 % beteiligt ist, nicht nennt, wirkt als Umweltminister nicht gerade glaubwürdig. ({14}) Eigentlich sollte das Vorhandensein eines Wirtschaftsministeriums und eines Umweltministeriums in einer Regierung mithelfen, den Widerspruch von Ökonomie und Ökologie aufzulösen oder wenigstens zu minimieren. Sieht man sich demgegenüber das tatsächliche Regierungshandeln an, erkennt man, daß in der Realität letztlich der Wirtschaftsminister stets das letzte und damit das entscheidende Wort hat. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das Bundesnaturschutzgesetz. Im übrigen, Herr Minister, haben Sie heute die Chance, ein Jubiläum zu begehen: Es wäre heute das 25. Mal, wenn Sie erneut die baldige Vorlage des Bundesnaturschutzgesetzes ankündigen würden. ({15}) - Das an meinem Geburtstag, in der Tat. Auch forschungspolitisch soll der Bundesumweltminister 1993 trockengelegt werden. Gegenüber dem Haushalt 1992 wurden die Forschungsmittel um 17,5 % gekürzt, also um fast ein Fünftel. Auch dies ist, Herr Minister, ein Substanzverlust, der die Aufrechterhaltung eines eigenständigen Ministeriums in Frage stellt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Koalition den Bundesumweltminister mit dem straffen und schroffen Streichen disziplinieren möchte, da er stets weltweit unterwegs ist und nicht dort arbeitet, wo er seine eigentlichen Aufgaben zu erfüllen hat. Wenn es noch eines Beweises für diese Haltung bedarf, verweise ich auf den Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom gestrigen Mittwoch, in der steht: „Urteil gegen Bonner Umweltpolitik", „Trinkwasserrichtlinie der EG zu spät umgesetzt". Der Luxemburger Gerichtshof hat die Bundesregierung verurteilt, da sie dieses Konzept, das schon seit 1980 auf dem Tisch liegt, zu spät umgesetzt hat. - Das ist ein Beweis dafür, daß man Ihre weltweiten Aktivitäten, Herr Minister, beschneiden möchte, damit Sie im Lande die Arbeit erbringen, die im Interesse der Bevölkerung eigentlich notwendig wäre. Aktionismus und Verkündigungstourismus des Ministers beengen immer mehr seine eigenen umweltpolitischen Handlungsfähigkeiten. Er hat sich haushaltspolitisch selber handlungsunfähig gemacht. Dabei potenzieren sich täglich die Umweltbelastungen, wird die Nahrungskette immer menschengefährdender, werden die notwendigen Lösungen immer weiter hinausgeschoben, Abfall droht uns zu erstikken, Gauner betrügen den Staat durch illegale Müll10702 transporte ins Ausland. Das ist die tägliche Realität, eine brutale Realität. ({16}) In dieser Phase erleben wir einen Bundesumweltminister, der seine politische Verantwortung durch ständig neue Ankündigungen wahrzunehmen glaubt. Dies schadet einer ernsthaften Umweltpolitik. Die Sauberkeit unserer Flüsse und Bache, d. h. ihre Wiederherstellung, ist ein riesengroßes Problem, dem die Bundesregierung viel zuwenig Bedeutung zumißt. Oder nehmen Sie die neuesten Waldschadensberichte: Der Wald stirbt weiter, wie alle Berichte ausnahmslos ausweisen. Nur sind wir alle - ich betone: wir alle! - in den letzten Jahren bezüglich des Waldsterbens zur Tagesordnung übergegangen. Deshalb muß für die Erhaltung unserer Natur wieder ein stärkeres Problembewußtsein entwickelt werden. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der eigentlich nicht Herrn Töpfer, sondern Frau Schwaetzer betrifft. Ich meine die nach wie vor drohende Zersiedlung unserer Landschaft. Mit immer neuen Wohnungsbauprogrammen, die nur auf Neubauten abstellen, geht eine weitere Zersiedlung der Landschaft einher, gegen die eigentlich alle sein müßten. ({17}) Der hohe Neubaubedarf im Wohnungsbau muß mit äußerster Sorgfalt gedeckt und geplant werden, so daß dadurch nicht ständig weitere Flächen belastet werden. Noch stärker müssen wir Ausgleichsmaßnahmen sichern. In diesem Punkt unterstützen wir den Bundesumweltminister gegenüber der Städtebauministerin ausdrücklich. In der Tat muß der Renovierung alter Bausubstanz Vorrang vor blindwütigem Neubau auf der grünen Wiese eingeräumt werden. Nun hat der Minister wirklich Pech: Heute geht durch die Presse, daß der Bundeswirtschaftsminister in das Umweltgeschäft einsteigen möchte. Möllemann will die Mineralölsteuer aus Umweltgründen erhöhen. Auch Sie haben das schon einmal gefordert, allerdings mit einer anderen Zielrichtung. Sie, Herr Töpfer, haben einen ganz anderen, einen richtigen Ansatz in diesem Bereich. Jetzt haben wir den Widerspruch: Wirtschaftsminister - Umweltminister, wer setzt sich letztlich durch? Ich sage heute: In einem Jahr hat sich Möllemann durchgesetzt, und der Bundesumweltminister ist erneut auf der Strecke geblieben. Auf der Strecke geblieben sind Sie auch gestern in Kopenhagen, Herr Minister. Es ist von Ihnen groß angekündigt worden, was Sie alles durchsetzen wollen. Außer einer kleinen Verkürzung haben Sie inhaltlich überhaupt nichts durchgesetzt, obwohl Sie der Meinung waren, daß jetzt endlich der Durchbruch hätte erzielt werden müssen. ({18}) - Ach so, das ist natürlich interessant. Jetzt sind es die Sozialisten in Frankreich, die dagegen waren. Heute morgen waren die Sozialisten in Frankreich und in Spanien in Ordnung; es seien gute Sozialisten, hieß es, und jetzt sind es wieder schlechte Sozialisten. Sie müssen sich schon auf eine Formel einigen. Für mich gibt es nur gute Sozialisten und gute Sozialdemokraten, keine schlechten - damit Sie es genau wissen. ({19}) Ich sage noch einmal: Herr Töpfer hat zwar versucht, in Kopenhagen eine Linie hineinzubringen, aber er ist auch dort - wieder einmal - europaweit gescheitert. Im übrigen habe ich Verständnis, daß er jetzt versucht, hier den Flattermann zu machen und jenseits des großen Teichs eine neue Karriere zu beginnen. Ich würde ihm, wenn es ihm gelänge, viel Glück wünschen, weil dort dann einer säße, der aus dem Saarland kommt. Aber ich habe meine Zweifel, ob das funktioniert. ({20}) - Der drängt sich nicht nach New York. Oder haben Sie andere Nachrichten? Dann wäre ich völlig überrascht. Dann müßte ich sofort in das Saarland zurück; denn dann gäbe es dort neue Posten zu verteilen. Vor einiger Zeit hat Herr Minister Töpfer in einem Interview gesagt: Jetzt wird es ernst. - Ich will angesichts der fortgeschrittenen Zeit darauf verzichten, hier jetzt all die schönen Einzelheiten vorzulesen, die seinerzeit verkündet, versprochen und der staunenden Bevölkerung übermittelt worden sind. Nur, alles, was gesagt wurde, wurde nicht gemacht. Wenn Sie Ihren Haushalt ansehen, der jetzt ein Volumen von etwas mehr als 1,2 Milliarden DM hat, wenn man die Reduzierung beim Personal bedenkt, die wirklich wehtut - denn der Substanzverlust ist offenkundig -, wenn man die Probleme kennt, die insbesondere in den neuen Ländern entstanden sind, wenn man weiß, welche großen Aufgaben das Umweltbundesamt, das Strahlenschutzamt und andere Ämter wegen der Altlasten haben, deren Beseitigung in den neuen Ländern nun einmal von uns übernommen werden muß, dann ist es eigentlich unverständlich, daß die Koalition den Haushalt so zusammenstreicht, daß er wirklich nur noch der Größe einer Fachabteilung eines anderen Ministeriums entspricht. Ich bitte Sie um volles Verständnis, daß wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine solche Umweltbeleidigung in Form des Bundesumwelthaushaltes nicht mitmachen können. Vielen Dank. ({21})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Dr. Briefs das Wort. ({0})

Dr. Ulrich Briefs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000266, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident, schönen Dank für den prominenten Platz. Aber ich hatte natürlich erwartet, daß sich, wenn ich erneut am Ende reden kann, der Saal wieder füllt. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leben des Menschen beruht auf dem ständigen Stoffwechsel mit der Natur. Jede menschliche Tätigkeit und jede Lebensäußerung sind daher auch umweltrelevant. Erst mit dem Aufkommen der modernen Industrie, des modernen Verkehrs und der auf Massenkonsum beruhenden entsprechenden Lebens- und Konsumweise sind die Umweltbelastungen entstanden, die den Planeten für Menschen unbewohnbar zu machen drohen. Die Umweltbelastung und die Umweltzerstörung sind durch Maßnahmen zu bekämpfen, die in den Poren des gesellschaftlichen Lebens, an den Ursachen dieser Zerstörung ansetzen. Das sind viele Elemente unserer Verbrauchs- und Lebensweise, z. B. der Hausmüllanfall. Es sind Dinge wie die zum Teil schwachsinnige Werbung, die erstens desinformiert, zweitens zur Konsumsteigerung mit eskalierendem Ressourcenverbrauch verführen soll und die drittens zudem 2 % aller Umweltbelastungen verursacht; denn in Deutschland werden sage und schreibe 2 % des Bruttosozialprodukts allein für Werbung ausgegeben. Die Mittel für ökologisch orientierte Verbraucheraufklärung und -erziehung dagegen umfassen gerade einen Bruchteil dieser Summe. Um Ökologie entsprechend der Verursachung von ökologischen Schäden zum allgemein praktizierten Prinzip in allen Lebensbereichen zu machen, müssen daher entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Das ist weder im Bundesetat insgesamt noch im Haushalt des BMU der Fall. Noch schwieriger sind aber die Probleme mit den Hauptverursachern ökologischer Schäden, mit der Wirtschaft, speziell der Industrie, und dem Verkehr. Das BMU, dessen Etat angesichts der Dringlichkeit ökologischer Probleme sowieso ein Kümmerdasein fristet - z. B. im Vergleich zum Verkehrs-, sprich: Autostraßenausbauhaushalt -, sieht für die notwendigen ökologischen Umbauprozesse des Verkehrssystems und der Industrie kaum Mittel vor. Die Mittel fehlen deshalb, weil die Konzepte fehlen. Die Konzepte fehlen, weil die ökologischen Ziele fehlen. Die fehlenden ökologischen Konzepte und Ziele wiederum machen das BMU zum Ankündigungsministerium, zum Alibiministerium, fast ohne faktische Durchsetzungs- und Realisierungsmacht. Die Abschiebung der Umweltproblematik in dieses Alibiministerium verhindert übrigens, daß eines der wichtigsten Elemente ökologischer Umbaupolitik realisiert wird: die umfassende und rechtzeitige ökologische Mitbestimmung am Arbeitsplatz und in den Betrieben. Daß wichtige Beiträge zur Ökologie, aber auch im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik zu erbringen sind, dort aber nicht erbracht werden, entzieht selbst kleinen ökologischen Fortschritten wiederum den Boden. Die Forschungs- und Technologiepolitik ist nach wie vor auf die industriepolitische Inzucht ({0}) von mächtigen High-Tech-Sektoren hin orientiert, die jedoch die ökologischen Probleme verschärfen. High Tech - genüßlich zitieren- ist High Dreck, wie der F.D.P.-Fraktionsvorsitzende Döring aus Baden-Württemberg sagt. High Tech bringt aber auch hohe Risiken mit sich. Deshalb ist - so Greenpeace - die geplante Novellierung des Gentechnikgesetzes gefährlich. Der Schutz der Menschen und der Natur wird von dieser Bundesregierung auf dem Altar des wirtschaftlichen Wachstums geopfert. ({1}) Spitzentechnologien machen Spitzenvorkehrungen zum Schutz der Umwelt notwendig, aber nicht nur zum Umweltschutz, sondern auch zum Datenschutz. Der Umweltverschmutzung entspricht nämlich die Innenweltverschmutzung durch mangelhaften Datenschutz. Die Privatisierung der Bundespost wird mit dem Ziel betrieben, das Wirtschaftswachstum zu fördern. ({2}) Allein das ist ökologisch in hohem Maße zumindest problematisch. Diese Privatisierung bedroht aber auch die Vorkehrungen zum Datenschutz und zur sozialen Beherrschung der Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Telekom, der Postdienst und die Postbank ({3}) müssen daher auch wegen ihrer Infrastrukturaufgaben weiter unter öffentlicher Kontrolle bleiben. Herr Präsident, ich danke Ihnen. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich dem Abgeordneten von Schmude das Wort.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen des Kollegen Briefs will ich nicht näher eingehen. Wenn ihm an einer sachlichen Auseinandersetzung gelegen wäre, würden wir uns gelegentlich einmal im Haushaltsausschuß darüber unterhalten können. Da er aber fast nie anwesend ist, ist das nicht möglich. ({0}) Dem Kollegen Wagner möchte ich auch von dieser Stelle aus ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Lieber Hans Georg, weiterhin alles Gute! Ich verbinde das auch mit einem Dank für die gute, kollegiale Zusammenarbeit. ({1}) Dann muß ich aber auch schon ein bißchen Wasser in den Wein gießen. Nicht alles, was hier vom Kollegen Wagner vorgetragen wurde, hält der Wahrheitsprüfung stand. Das beginnt eigentlich schon damit, daß er gesagt hat, er habe an seinem Geburtstag noch nie so viele Glückwünsche bekommen wie heute. Im vorigen Jahr fand die Aussprache über den Einzelplan 16 auch an seinem Geburtstag statt. Ich bin mir ganz sicher, daß es damals genauso viele Glückwünsche gegeben hat. ({2}) Meine Damen und Herren, eine Geburtstagsrede war das aber auch nicht. Zu der konstruktiven Beratung im Haushaltsausschuß, bei der wir in fast allen Punkten Einvernehmen erzielt haben - die Kollegin Hoth von der F.D.P. bestätigt das -, stehen die Aussagen vom Kollegen Wagner hier in einem völligen Widerspruch. Ich meine schon, daß man hier nicht mit Wiederholungen und der Äußerung, der Minister sei auf der Strecke geblieben, argumentieren kann. Nein, die Wahrheit ist wegen Oberflächlichkeit auf der Strecke geblieben, lieber Kollege Wagner! Dem Haushalt des Bundesumweltministers wird man nicht gerecht, wenn man nur oberflächlich über die einzelnen Positionen hinweggeht. Meine Damen und Herren, wir haben Übereinstimmung erzielt, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in vier wichtigen Bereichen umweltpolitischen Herausforderungen zu stellen hat. Ich meine zuerst den ökologischen Handlungsbedarf in den neuen Bundesländern. Wir stehen hier vor einer großen Bewährungsprobe. Wir haben hier eine Vorbildfunktion, an der wir auch im Ausland gemessen werden. Die zweite Aufgabe ist unsere umweltpolitische Zusammenarbeit mit den ehemaligen Ostblockstaaten. Ich sage gleich dazu: Die Hoffnungen, die auf uns gerichtet werden, sind größer als das, was wir bei realistischer Betrachtungsweise an Hilfe erbringen können. Drittens denke ich an den europäischen Einigungsprozeß, der zu einer weiteren Harmonisierung der Umweltgesetzgebung führen wird. Der vierte Bereich sind die globalen Umweltprobleme, die Gefahren für die Erdatmosphäre und die Weltmeere. Der ökologische Aufbau in den neuen Bundesländern, d. h. die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auf dem Gebiet der Umwelt, wird - das war uns von Anbeginn an klar - einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen. Die Bestandsaufnahme, die wir machen, ist noch nicht abgeschlossen. Sie zeigt, daß Gesundheitsschutz und Gefahrenabwehr besonders dringliche Probleme darstellen. Darüber hinaus ist die Beseitigung von Altlasten eine wichtige Voraussetzung für Investitionen. Der Herr Bundesminister hat dankenswerterweise sehr schnell eine erste Bestandsaufnahme zur Umweltsituation vorgelegt, ({3}) mit der Eckwerte für die ökologische Sanierung und Entwicklung vorgegeben wurden. Die Bestandsaufnahmen bezüglich der Altlasten laufen jedoch weiter. Dies gilt insbesondere für die Liegenschaften der ehemals sowjetischen Streitkräfte. Inzwischen sind in den Industrieregionen der ostdeutschen Bundesländer Sanierungskonzepte nicht nur erarbeitet worden, sondern sie werden auch bereits umgesetzt. Mit dem Bau und der Sanierung von insgesamt 35 kommunalen und 24 industriellen Kläranlagen, die sich im wesentlichen auf das Elbeeinzugsgebiet konzentrieren, werden zunächst einmal die größten Defizite im Gewässerschutz beseitigt. ({4}) Im Rahmen des Ostseesanierungsprogramms liegen fertige Pläne für insgesamt 27 Kläranlagenprojekte vor. Im Etatansatz „Investitionen zur Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen" haben wir im neuen Haushaltsjahr 4 Millionen DM Barmittel und weitere 40 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen. Unter anderem wollen wir damit den Bau eines deutsch-polnischen Klärwerks in Swinemünde fördern, das auch drei deutsche Nachbargemeinden auf der Insel Usedom mit entsorgen wird. ({5}) Ich glaube, diese Anlage kann auch für weitere grenzüberschreitende Zusammenarbeit Vorbildcharakter haben. ({6}) Bis 1996 werden wir mit der GroBfeuerungsanlagensanierung in den neuen Bundesländern eine Senkung der Staubbelastung um 1,3 Millionen t pro Jahr und eine Senkung der Schwefeldioxydbelastung um 4,2 Millionen t pro Jahr erreichen. Von dieser Sanierung werden insgesamt 278 Großfeuerungsanlagen erfaßt: 10 Braunkohlegroßkraftwerke, 142 Industriekraftwerke und 126 Heizkraftwerke. ({7}) Im wesentlichen handelt es sich dabei um eine Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen. Darüber hinaus sind entsprechend der TA Luft bis zum 1. Juli 1994 fast 7 000 luftverunreinigende Anlagen in den neuen Bundesländern zu sanieren. Die Altlastensanierung wird vorrangig in den besonders belasteten Regionen durchgeführt. Dabei wollen wir die modernste Technologie nicht nur anwenden, sondern versuchen, sie nach erfolgter Sanierung dort möglichst auch anzusiedeln. ({8}) Interessant ist in diesem Zusammenhang - das unterstreicht eindrucksvoll die Erfolge unserer Umweltpolitik, Herr Minister -, daß der japanische WirtschaftsMichael von Schmude minister eine Zusammenarbeit zwischen japanischen und deutschen Firmen auf dem Gebiet der Umwelttechnologie für wünschenswert hält - man höre! -, weil wir Deutsche auf diesem Gebiet weltweit führend sind. ({9}) Als konkrete Maßnahmen zur Altlastensanierung sind geplant: sechs Bodenbehandlungszentren im Großraum Halle/Leipzig mit immerhin 1,5 Milliarden DM Investitionsvolumen, fünf thermische Anlagen zur Behandlung kontaminierter Böden mit nochmals rund 1 Milliarde DM Investitionsvolumen und darüber hinaus insgesamt mehr als 50 Deponien, Sonderabfalldeponien sowie Untertagedeponien mit einem Investitionsvolumen von noch einmal 8 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, die Untersuchungen und Sanierungsmaßnahmen in den Uran-Bergbaugebieten werden vorangetrieben. Allein die Verdachtsflächen umfassen 1 500 Quadratkilometer, ({10}) auf denen 3 000 zum Teil radioaktive, zum Teil auch schwermetallführende Abraumhalden vorhanden sind. Das ist eine schlimme Hinterlassenschaft der früheren DDR. Für die Zusammenarbeit mit den GUS- und MOEStaaten sind 1993 für Beratungshilfe 5,1 Millionen DM vorgesehen. Wir werden die Ausbildung von Mitarbeitern der Kernkraftwerke der Länder der GUS und der MOE-Staaten in Greifswald fortsetzen. ({11}) - Eine sehr gute Investition, Herr Kollege Roth. - In dem dortigen ehemaligen Kernkraftwerk der früheren DDR, das wir aus Sicherheitsgründen sofort nach der Wiedervereinigung stillgelegt haben, bestehen auf Grund der vorhandenen Simultananlage hervorragende Schulungsmöglichkeiten, die sehr stark frequentiert werden. Die Beschlüsse auf dem jüngsten G-7-Gipfel von München in diesem Jahr bringen der Bundesrepublik neue Aufgaben. Wir leisten einen Beitrag zu einem multilateralen Sicherheitsfonds für die Verbesserung der technischen Sicherheit von Kernkraftwerken sowjetischer Bauart in Höhe von 21 Millionen DM. Darüber hinaus stellen wir im Haushalt 1993 für den gleichen Zweck - für bilaterale Hilfe - weitere 5 Millionen DM an Barmitteln und 32 Millionen DM in Form von Verpflichtungsermächtigungen bereit. Wir begrüßen es mit Nachdruck, daß nun auch andere Länder - wie übrigens auch die Europäische Gemeinschaft - bereit sind, sich an der Verbesserung des Sicherheitsstandards dieser Kernkraftwerke zu beteiligen. Zusätzlich haben wir für die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit noch weitere 14,4 Millionen DM vorgesehen. Das ist eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 5 Millionen DM. Die Eckwerte für den Gesamthaushalt 1993 wirken sich auch auf den Haushalt des Bundesumweltministers aus. Mit 1,26 Milliarden DM Volumen liegt der Etat zwar um 5,7 % unter dem Ansatz des Vorjahres, aber Ihre Kritik, lieber Herr Kollege Wagner, steht auf schwachen Füßen. Wir hatten 1992 einen Anstieg dieses Etats um 11,9 % zu verzeichnen. Weiterhin muß man sehen, daß die Ausgaben des Bundes für den Umweltschutz eben nicht nur aus diesem Etat gespeist werden, sondern sich auf verschiedene Einzelpläne verteilen. Danach geben wir 1993 für den Umweltschutz insgesamt 8,48 Milliarden DM aus, was einer Steigerung von 6 % gegenüber 1992 entspricht. ({12}) Dies, lieber Herr Kollege Wagner, wäre auch Ihnen bei einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Daten des Haushalts nicht verborgen geblieben. Der Bund vergibt darüber hinaus in ganz erheblichem Umfang Kredite für Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes; diese werden nicht im Bundeshaushalt erfaßt. Allein gut 2 Milliarden DM stammen aus dem ERP-Sondervermögen; Umweltschutzkredite der Banken des Bundes haben einen Umfang von zusätzlich 1,5 Milliarden DM. Darüber hinaus haben die Umweltschutzmaßnahmen des Bundes eine ganz erhebliche Anstoßwirkung für Folgeinvestitionen, die ich gar nicht alle aufführen kann. Grundlage der umweltpolitischen Maßnahmen dieser Bundesregierung ist das Verursacherprinzip. Die Ausgaben des produzierenden Gewerbes und des Staates für Abfallbeseitigung, Gewässerschutz, Luftreinhaltung usw. belaufen sich 1993 - hochgerechnet - auf 43 Milliarden DM. Das entspricht einer jährlichen Steigerungsrate von 5 %. Diese Zahl unterstreicht mehr als alles andere, daß wir uns auf einem überaus erfolgreichen Weg befinden, eine ökologisch verträgliche Soziale Marktwirtschaft zu entwickeln. ({13}) Diese Erfolgsbilanz kann sich weltweit sehen lassen. Wir haben im Bereich der Gewässerreinhaltung große Fortschritte gemacht. Die Wasserqualität der Elbe hat sich innerhalb kurzer Zeit nachhaltig verbessert. ({14}) Bei der Entsalzung der Werra kommen wir voran. Wir haben für 1993 21 Millionen DM an Haushaltsmitteln für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Wir konnten durch Sparmaßnahmen erreichen, daß zur Verringerung von Umweltbelastungen statt der im Regierungsentwurf vorgesehenen 180 Millionen DM 208,8 Millionen DM eingesetzt wurden. ({15}) Diese zusätzlichen Mittel stehen ausschließlich für Maßnahmen in den neuen Bundesländern zur Verfügung. Damit können wir nicht nur Pilotprojekte, sondern auch, wie das Ministerium es wünscht, Anlagen fördern, die jeweils dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Ich stelle abschließend fest: Die SPD hat im Haushaltsausschuß keine eigenen Kürzungsvorschläge gemacht, sondern die Vorstellungen der Koalition akzeptiert. Darüber hinaus - auch das ist ein Novum - sind im Haushaltsausschuß von den Sozialdemokraten keine Anträge auf Ausgabenerhöhungen gestellt worden, lieber Herr Kollege Wagner. Ich möchte das ausdrücklich betonen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr von Schmude, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Schnell zu beantworten?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, gerne. - Bitte schön.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verhelfe Ihnen zu etwas mehr Redezeit. - Kollege von Schmude, ist Ihnen bekannt, warum die Elbe zur Zeit weniger verschmutzt ist? Kann das daher rühren, daß die ganzen Industriebetriebe zusammengebrochen sind?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einige Industriebetriebe sind stillgelegt worden. Grund für die vergleichsweise höhere Wasserqualität der Elbe ist nicht nur, daß Betriebe zusammengebrochen sind, sondern das liegt auch daran, daß wir darauf hingewirkt haben, daß Betriebe ihre umweltschädliche, belastende Produktion einstellen. Darüber hinaus sind Kläranlagen in Betrieb gegangen. ({0}) - Selbstverständlich ist das so! - Es sind auch neue Kläranlagen im Bau, deren Inbetriebnahme eine Verbesserung der Gewässerqualität zur Folge haben wird. ({1}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Noch im Vorjahr hat die SPD Mehrausgaben im Geschäftsbereich des Bundesumweltministers von 570 Millionen DM gefordert und dafür nur 25 Millionen DM Deckung vorgeschlagen. Wenn man bedenkt, daß rund 200 Millionen DM Haushaltsmittel ohnehin nicht ausgegeben werden konnten, dann zeigt sich, wie wenig realitätsbewußt die Sozialdemokraten in diesem Bereich gewesen sind. ({2}) Die SPD müßte auf Grund ihrer positiven Begleitung der Haushaltsausschuß-Beratungen dem Einzelplan 16 eigentlich zustimmen. Wir von der Union jedenfalls tun dies und bedanken uns bei Bundesminister Professor Dr. Klaus Töpfer für seine hervorragende Arbeit auf dem Gebiet der Umweltpolitik. Schönen Dank. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr hat die Abgeordnete Frau Dr. Sigrid Hoth das Wort.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der hier zu beratende Haushalt des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zählt volumenmäßig zwar zu den kleineren Haushalten, er ist jedoch im Laufe der Haushaltsberatungen unter Wahrung der gesetzten Prioriäten, nämlich die Erfordernisse der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte mit den Ausgabewünschen und -erfordernissen in Einklang zu bringen, stark verändert worden. - Herr Wagner, ich bedaure sehr, daß diese Prioritäten Ihnen anscheinend nicht ganz klar gewesen sind. - So wurden erhebliche Umschichtungen vorgenommen. Der Etat wurde um 28,9 Millionen DM gekürzt, so daß nunmehr noch 1,26 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Die erfolgreiche Durchführung von Maßnahmen im Umweltschutz ist jedoch nicht allein von der Höhe der bereitgestellten Mittel, sondern in großem Umfang von der Effizienz ihrer Verwendung und den gegebenen Rahmenbedingungen abhängig. Deshalb ist auch der von den eingesetzten parlamentarischen Beratungsgruppen und von Bundesminister Töpfer vorgeschlagene Maßnahmenkatalog zur Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, insbesondere für immissions- und abfallrechtliche Zulassungsverfahren, zu begrüßen; er sollte schnellstens umgesetzt werden. Die bisher bekannten Vorschläge beinhalten keine Absenkung der derzeitigen Standards im Umweltschutz, sondern sollen die Vereinfachung und Beschleunigung von Zulassungsverfahren ermöglichen. Sie bewirken gleichzeitig eine Verbesserung der Umweltbedingungen und eine Attraktivitätssteigerung für den Wirtschaftsstandort neue Bundesländer. Da für alle Veränderungen von Genehmigungsverfahren jedoch die Zustimmung der Länder notwendig ist, appelliere ich von dieser Stelle aus an die Mitglieder des Bundesrates, im Interesse der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie im Interesse der schnellstmöglichen Angleichung der Umweltinfrastruktur und der Umweltbedingungen den Verfahrensvereinfachungen, die wirklich keine Abstriche im Umweltschutz bedeuten, ihre Zustimmung zu geben. ({0}) Ein weiteres Problem für den praktischen Umweltschutz in den neuen Bundesländern besteht darin, daß die Schadensverursacher häufig nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können. So gibt es z. B. nach heutigem Kenntnisstand in den neuen Bundesländern ca. 50 000 Altlastenverdachtsflächen. Allein die Kosten für Gefährdungsabschätzung ({1}) - das ist kein Thema zum Lachen, Herr Kollege! -, Erstuntersuchung und Gefahrenabwehr werden auf 7 Milliarden DM beziffert. Langfristig wird mit zweistelligen bis dreistelligen Milliardenbeträgen gerechnet, ohne daß dabei die Kosten für die Aufarbeitung der militärischen Altlasten und der Rüstungsaltlasten berücksichtigt sind. Deshalb ist es notwendig, einen Prioritätenkatalog zu erarbeiten, durch verwaltungsorganisatorische Maßnahmen die notwendige Koordinierung zu erreichen und auch die Umsetzung der Bund-LänderDr. Sigrid Hoth Vereinbarungen über die Finanzierungsregelung zu sichern. Sicher ist es auch sinnvoll, diese Altlastenbeseitigung gemäß § 249h Arbeitsförderungsgesetz in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durchführen zu lassen, da gerade im Altlastenbereich die Sanierung dringlich und ohne Förderung kaum zu bewältigen ist. Die Sanierung ökologischer Altlasten ist gleichwohl ein riesiges Aufgabengebiet für mittelständische Unternehmen, insbesondere für solche aus den neuen Bundesländern, denen diese Aufgaben zunehmend auch übertragen werden sollten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der Haushaltsberatungen konnten wir jedoch auch erhebliche Verbesserungen der finanziellen Mittel für die neuen Bundesländer erreichen. ({2}) - Hören Sie mir doch erst einmal zu! - So wurden für Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen 29 Millionen DM mehr und somit nunmehr 207,8 Millionen DM etatisiert. Diese Mittel sollen für Demonstrationsprojekte in großtechnischem Maßstab zur Verfügung stehen, in den neuen Bundesländern aber auch für Umweltschutz-Sofortmaßnahmen, die den neuesten Stand der Technik demonstrieren, eingesetzt werden können. ({3}) Angesichts der schweren Umweltschäden und der mangelhaften Infrastruktur ist dies unbedingt notwendig. Man wird sich jedoch darauf einstellen müssen, daß die im Einigungsvertrag geforderte Angleichung der Umweltbedingungen noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Dies zu akzeptieren wird um so schwerer fallen, je mehr in den alten Bundesländern der ohnehin bestehende gewaltige Vorsprung ausgebaut wird. Zwar habe ich mich als Bürgerin der neuen Bundesländer in meinem Vortrag bisher vorrangig auf die enormen Probleme meiner engeren Heimat konzentriert; aber ich habe dies nicht zuletzt deshalb getan, weil Umweltverschmutzung nicht an regionalen Grenzen, Ländergrenzen haltmacht und in absehbarer Zeit weitreichende, wenn nicht sogar globale Auswirkungen zu erwarten sind. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den im Lauf der Haushaltsberatungen eingestellten Betrag zum multilateralen Fonds für die Verbesserung der Sicherheit von Kernkraftwerken sowjetischer Bauart in Höhe von 21 Millionen DM und die Verpflichtungsermächtigungen ({4}) in Höhe von 43 Millionen DM für 1994 erwähnen. - Wenn Sie nicht wissen, was das ist, dann sollten Sie vielleicht den Umweltetat gründlich lesen, bevor Sie nachher dazu reden. Ich erkläre Ihnen das aber gern. Die Beteiligung an diesem im Jahre 1993 zu gründenden Fonds mit einem über drei Jahre verteilten Gesamtvolumen von 600 Millionen DM bedarf in diesem Hause eigentlich keiner weiteren Diskussion, da sie der Sicherung der Kernkraftwerke der sowjetischen Bauarten dient. Das entspricht unserem ureigenen Sicherheitsinteresse. ({5}) Deshalb sollte die Bereitstellung dieser Mittel nicht in einer solchen Art und Weise diskutiert werden. ({6}) Die dafür zur Verfügung gestellten Mittel mußten jedoch ebenfalls an anderer Stelle eingespart werden. Obwohl insofern viele wichtige Aufgaben zurückgestellt werden mußten, glaube ich, daß unter Wahrung der bereits angeführten Prioritäten mit diesem Haushalt der Rahmen so gesetzt wurde, daß wir auf dem richtigen Weg sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Dr. Hoth, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily zu beantworten?

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja; bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte schön.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben hier hervorgehoben, daß Mittel zur Hebung des Sicherheitsstandards der sowjetischen Atomkraftwerke nach dem Tschernobyl-Modell bereitgestellt werden. Könnten Sie uns sagen, welche Maßnahmen genau damit finanziert werden sollen?

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Mittel sind auf Bitten des Umweltministeriums erst für 1993 bereitgestellt worden. Welche Maßnahmen damit im einzelnen durchgeführt werden können, kann der Umweltminister sicher besser beantworten als ich. Es geht in erster Linie darum, den Zustand der kerntechnischen Anlagen zu sichern. ({0}) Ich muß hinzufügen: Ich bin kein Fachmann, ({1}) kein Physiker und kein Betreiber kerntechnischer Anlagen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Kollegin, der Abgeordnete Schily möchte eine Nachfrage stellen.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse die Nachfrage zu.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, meinen Sie nicht auch, daß man dann, wenn man über die Bereitstellung von Mitteln berät und entscheidet, genau wissen muß, für welche Maßnahmen diese Mittel vorgesehen sind? ({0})

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Tatsache, Herr Kollege, daß Sie diese Nachfrage hier stellen, zeigt mir, daß auch Sie den Umweltetat und die Erläuterungen im Detail nicht gelesen haben. ({0}) Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich die einzelnen Maßnahmen nicht konkret hier vortragen kann, weil mir der Etat zur Zeit nicht vorliegt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun haben wir noch den Abgeordneten Diller als Zwischenfrager. Sie können fortfahren oder die Zwischenfrage zulassen, wie Sie wollen.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse auch diese Frage zu.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, verehrte Kollegin. - Da Sie nicht in der Lage sind, sich genau zu erinnern, wofür das Geld verwendet werden soll, wie kommen Sie denn eigentlich dazu, abzuschätzen, daß die bereitgestellten Mittel überhaupt ausreichend sind? ({0})

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe nicht davon gesprochen, daß die bereitgestellten Mittel ausreichend sind, sondern ich habe - Sie können das im Protokoll nachlesen - die Summe von 21 Millionen DM erwähnt, die für das Jahr 1993 bereitgestellt worden ist, ({0}) und ich habe erwähnt, daß für 1994 43 Millionen DM bereitgestellt worden sind. Ob diese Mittel ausreichen, ist sicher erst dann zu diskutieren, wenn das Konzept des Umweltministeriums vorliegt und in seinen konkreten Auswirkungen besprochen werden kann. Wir werden dann sicher im nächsten Jahr bei den Haushaltsberatungen über die Höhe dieser Mittel befinden müssen. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, nun fahren Sie in Ihrer Rede fort.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Ich bleibe bei der Auffassung, daß es bedauerlich ist, daß wir infolge der gesetzten Prioritäten viele wichtige Aufgaben zurückstellen mußten. Ich glaube, daß wir trotzdem auf dem richtigen Weg sind, auf dem Weg zu einer ökologischen Marktwirtschaft, die zu umweltgerechteren Produkten und Produktionen führt, auf dem Weg zur Umsetzung der Konferenz von Rio, und zwar vor allem in den Bereichen Umwelt und Verkehr sowie Energie und Umwelt, und auch auf dem Weg zu einer konsequenten Abfallpolitik. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ohne die kritischen Zwischenfragen von seiten der SPD hätte mein Schlußsatz so gelautet, daß ich allerdings der Ansicht bin, daß wir auf diesem Weg nur mit recht kleinen Schritten vorwärtsschreiten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns jetzt mit einem der traurigsten Kapitel dieser Haushaltsberatungen, ({0}) und das in einem Jahr, in dem in Rio Versprechungen über Versprechungen gemacht wurden. Ihre, Herr Töpfer, habe ich ja noch halbwegs ernst genommen; beim Kanzler hatte ich da schon in Rio meine Schwierigkeiten. ({1}) - Wenn Sie alle durcheinandersprechen, kann ich leider nichts verstehen. War bereits im Etatentwurf des Umweltministers eine Reduzierung um 3,5 % für 1993 vorgesehen, so soll dieser Schrumpfetat jetzt noch weiter gekürzt werden, und zwar auf 1,259 Milliarden DM. Das entspricht einer Reduzierung gegenüber dem Vorjahr um real 6 %. Während der Jäger 90 weiter am Haushalt nagt, während im Forschungs- und Technologiehaushalt Milliarden für Atomtechnologie verbraten werden, wird der Umwelt der Hahn zugedreht. Sie, Herr Minister, sehen dabei mit traurigen Augen zu. Oder sehen Sie etwa schon weg? ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Herren, etwas ruhiger! - Bitte schön.

Wolfgang Engelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000474, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das ist freundlich von Ihnen. Ich möchte hier konkret und aus aktuellem Anlaß den Ausstieg aus dem unsinnigen europäischen Brüter-Projekt von der Bundesregierung einfordern. Einen entsprechenden Antrag hat die PDS/Linke Liste inzwischen eingebracht. Die britische Regierung hat mit ihrem Ausstieg aus diesem Faß ohne Boden ({0}) mehr Realitätssinn bewiesen als Herr Riesenhuber, der Experte für Science Fiction, oder auch die Atompyromanen in Frankreich. Was wir heute und in Zukunft brauchen, sind keine Eurobrüter, die schon in der Projektphase immer höhere Kosten, Inflation und später Atommüll erbrüten. Was wir brauchen, sind z. B. Investitionen und Forschungsmittel für eine umweltfreundliche Energieversorgung in den Kommunen, und zwar gerade in denen in Ostdeutschland. Hier hätten wir die Chance für einen tatsächlichen Neuanfang. Frau Kollegin Hoth, Sie haben gerade von Effizienz der im Etat enthaltenen Mittel gesprochen. - Gerade im Osten ließe sich durch Sanierungsprojekte viel für die Umwelt und viel gegen Massenarbeitslosigkeit tun. ({1}) Nötig wären hier Mittel für ABM-Stellen im Naturschutz und für Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet, die langfristig Tausende von Dauerarbeitsplätzen schaffen könnten. Mit Beispielen für solche Projekte habe ich Sie in den Ausschüssen und hier im Plenum bereits ausreichend genervt. Sollten Sie noch Bedarf haben, können Sei mich jederzeit fragen. ({2}) Notwendig ist die Sanierung von Seen und Flüssen. Viele, die durch die Reduzierung der Braunkohleförderung ihre Arbeit in den Revieren der Lausitz und in Bitterfeld verloren haben, könnten mit Mitteln aus dem Umweltetat in der Sanierung von Altlasten eine sinnvolle Beschäftigung finden, wenn dies politisch nur gewollt wird. Wir brauchen Mittel für die Anschubfinanzierung von innovativen Entwicklungen, wie es z. B. der Öko-Kühlschrank der dkk-Scharfenstein ist. Aber was passiert, ist, daß bei den meisten Treuhandunternehmen zuallererst die Forschungs- und Entwicklungsabteilung, also die Abteilung, die die Chance geboten hätte, tatsächlich neu in die Produktion einzusteigen, geschlossen worden ist. ({3}) Wir brauchen natürlich ebenso Mittel für die Sanierung der geschundenen Landschaft im Ruhrgebiet, wo eine mehr als 100jährige Ausplünderung von Menschen und Umwelt ihre Spuren hinterlassen hat, die dort nur notdürftig zugedeckt wurden. Ich nenne hier die Altlasten um Dortmund herum, damit hier nicht nur einseitig über Ostaltlasten geredet wird. Ein besonderes Kapitel ist die Sanierung der militärischen Hinterlassenschaften. Giftgasgranaten, Munition jeder Art und hochgiftige Sprengstoffe im Boden, zum Teil noch aus dem letzten Weltkrieg, sind lebensgefährliche Altlasten, die dringend beseitigt werden müssen. Dies gilt auch für die militärischen Hinterlassenschaften in den Kasernen der GUS-Westtruppe, für Depots der US-Armee und für Flugplätze der britischen Rhein-Armee, z. B. in Wildenrath, die nun geräumt werden und durch jahrzehntelangen sogenannten militärischen Normalbetrieb ein ökologisches Desaster hinterlassen. Die Bundesregierung aber streicht den viel zu knappen Mittelansatz des BMFT für die Herrichtung von freigegebenen militärischen Liegenschaften um 100 Millionen DM auf gerade 40 Millionen DM zusammen. Die Hoffnung vieler Gewerbetreibender auf schnellstmögliche Ansiedlung gerade im Osten, z. B. im Kreis Bernau mit zahlreichen Liegenschaften der GUS-Truppen, kann so wohl begraben werden. Offensichtlich ist es wichtiger, neue Autobahnen in die Landschaft zu fräsen, als tatsächlich Bedingungen für die Entwicklung mittelständischen Gewerbes zu schaffen. Daß „Immer mehr Straßen" ohnehin oberste Priorität hat und der Schutz der Umwelt im Verkehrsbereich sowieso hinten runterfällt, haben wir schon heute mittag ausgiebig debattiert. Uns ist nicht klar, welche Rolle Herr Töpfer im „Großen Umwelt-Streichkonzert" der Regierung eigentlich spielt. ({4}) Vielleicht spielt er auch im falschen Stück, oder Theo hat nicht die richtigen Noten dabei. Die zarten Panflötenmelodien des Umweltministers gehen unter, wenn der Finanzminister den Bayerischen Defiliermarsch nach Art des BDI mit der Kesselpauke spielt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Feige.

Dr. Klaus Dieter Feige (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000523, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen, weil ich mir dachte: Was lohnt es sich, für 1 Milliarde DM hierherzukommen? ({0}) - Moment, moment! Nicht etwa deshalb, weil ich nicht der Meinung wäre, daß dies einer der wichtigen Haushalte ist, sondern deshalb, weil ich glaube, daß die eigentliche Umweltdebatte heute früh stattgefunden hat, als der Verkehrshaushalt und der Wirtschaftshaushalt beraten worden sind. Da sind nämlich die Ursachen für das gelegt, was mit dem Haushalt von Herrn Töpfer ausgeräumt werden soll. ({1}) Vergleichen wir das doch einfach einmal: Herr Möllemann und Herr Krause haben zusammen etwa 60 Milliarden DM, und das soll nun mit dieser gut 1 Milliarde DM aufgeräumt werden. - Ich bin also zutiefst entsetzt. Ich finde auch die Diskussion, die Art, wie wir an diesen Haushalt herangegangen sind, ein bißchen peinlich. Erinnern wir uns doch an die Diskussion im Umweltausschuß, in der wir gemeinsam - fraktionenund gruppenübergreifend - gefordert haben - ich erinnere mich noch sehr gut an die Worte von Herrn Baum -: Dieser Haushalt muß größer werden. - Herr Töpfer, Sie erinnern sich gewiß daran, daß sogar ich mich kämpferisch für die Erhöhung Ihres Haushalts eingesetzt habe, ganz einfach deshalb, weil ich nicht einsehe, daß wir da zurückstehen. ({2}) Und was ist passiert? - Soeben höre ich, daß nicht einmal die Koalition dieses Votum aus einem mitberatenden Ausschuß aufnimmt und etwas einbringt. Es gelingt Ihnen, daß alle den Eindruck haben müssen: Keiner hat ein Interesse daran gehabt, daß dieser Haushalt größer wird. - Das stimmt in diesem Sinn einfach nicht! ({3}) Ich habe nicht vor, die vielen Kommentare, die es schon zu Details gibt, zu untermalen. Der Umweltausschuß hat also debattiert und gejammert. Herausgekommen ist nichts. ({4}) Nun höre ich wieder die vielen Zahlenspielereien, höre, daß massenweise Milliarden in den vielen anderen Haushalten enthalten sind. ({5}) Es wäre wirklich peinlich, wenn Sie auch noch den Bundesverkehrswegeplan, den Herr Krause für den ersten ökologischen hält, oder möglicherweise gar alle Truppenübungsplätze unter „Ökologie und Umwelt" einsortieren wollten. Dann könnten Sie gleich auch den ganzen Haushalt von Herrn Rühe dazunehmen, und dann wäre das ganz phantastisch. - Solche Zahlenspielereien bringen uns nichts. Wir müssen die Realitäten sehen, wie sie sind. ({6}) Ich zitiere Herrn Töpfer, der mich in der Debatte vom 10. September gefragt hat: Stimmen Sie mir zu, daß es eine gute Arbeitsteilung ist, daß der Umweltminister das vorzulegende Sanierungskonzept unabhängig beurteilt, die Finanzlast dann aber beim Besitzer, in diesem Fall beim Bundeswirtschaftsminister, aufzunehmen ist? - Es geht um die Sanierung der Wismut. - Dazu muß ich sagen: Nein, da kann ich nicht zustimmen. Als wir die Große Anfrage zur Wismut-Sanierung debattiert haben, haben alle gesagt: Es muß mehr Geld dafür da sein; die 150 Millionen DM reißen Löcher. - Und heute ist - mit den Voten aller Fraktionen - wieder nichts passiert! Das wird nicht weiterbringen. Wir erhoffen uns ja etwas von den anderen Ministern und deren Haushalten. Aber wenn man bei Ihnen immer weiter stutzt und wenn Sie irgendwann nichts mehr zu verwalten haben, dann wird auch Ihre vielbeachtete Aufsicht dort nichts bringen. Also: Kein Geld, kein Geld, kein Geld. Da lese ich heute früh erfreut, daß einer eine Idee hat, nämlich der Herr Möllemann. In der „Süddeutschen Zeitung" steht: Mit der für einen Wirtschaftspolitiker überraschenden Forderung nach einer höheren Mineralölsteuer schwenkt Möllemann auf die Linie von Bundesumweltminister Klaus Töpfer ({7}) ein. Töpfer macht sich aus Gründen der Energieeffizienz ebenfalls für höhere Energiepreise stark... Bei einem Treffen am 8. Dezember wollen beide Minister über das Thema sprechen. Das finde ich toll. Da hat also mal einer eine Idee. Ob das geistiger Diebstahl ist, ist mir völlig egal; in der Politik liegt die Verjährungsfrist für geistigen Diebstahl ja bei zehn Minuten. Es kommt nur darauf an, daß er eine gute Idee aufgreift. ({8}) Ich frage Herrn Möllemann heute: Wie sieht es nun aus? Stehen Sie zu dem Wort? - Und Herr Möllemann schweigt. Er hatte die Chance, heute darauf zu antworten. ({9}) Weitere Zitate: Lambsdorff sagte, eine höhere Kreditaufnahme und Steuererhöhungen in den Jahren 1993 und 1994 kämen als Finanzierung des Aufbaus Ost nicht in Frage. Ausgenommen sei aber eine Anhebung der Mineralölsteuer: „Das kann auch vor 1995 sein." Und: Die Umweltministerkonferenz hält eine deutliche, spürbare und sofort wirksam werdende Erhöhung der Mineralölsteuer für erforderlich. Usw. usw. Was ist denn nun los? ({10}) Der eine möchte sie für Verkehr, der andere für Umwelt. Weiß überhaupt noch jemand, ob es zu dieser wirklich sinnvollen Mineralölsteuererhöhung kommt? Nehmen wir einfach einmal die Worte von Herrn Krause von heute, der sich dazu geäußert hat, daß diese Konflikte, die hier offen sind und die die Bürger in diesem Lande sehr beunruhigen, ausgeräumt werden. Da sagt also Herr Krause: Ich kann sowohl aus der Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland als auch aus den Gefahren, daß Deutschland als Dienstleister im Verkehr ... den Ansatz einer Mineralölsteuererhöhung in dieser Situation überhaupt nicht verstehen. An späterer Stelle: ... mit der „Käseglockentheorie Mineralölsteuererhöhung" sei nicht alles zu machen. Er könne diese Forderung überhaupt nicht verstehen, „allerdings gehe ich da von einem naturwissenschaftlich intellektuellen Ansatz aus". ({11}) Meint Krause, der Möllemann sei ein Depp? Das ist doch die Aussage! Ich bitte Sie, Herr Töpfer: Vielleicht können Sie als wirklich kompetenter Mann klar etwas dazu sagen: Wie wird es in Zukunft aussehen? Wird es zu einer solchen Erhöhung kommen? ({12}) Die Bürger in diesem Lande wollen sie. Die Wirtschaft braucht sie. Wir müssen endlich klar wissen: Gibt es eine neue Steuerlüge oder nicht? Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Staatsminister für Energie, Umwelt und Bundesangelegenheiten des Landes Hessen, Joschka Fischer, das Wort. ({0}) Staatsminister Joseph Fischer ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man hier zuhört, kann einem der Bundesumweltminister fast schon leid tun. ({2}) Wenn man den Haushalt liest, dann möchte man fast in Tranen ausbrechen. ({3}) Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Dabei ist es eigentlich bitter ernst; denn wenn man die Lage der Umwelt, den Stand der Umwelpolitik heute betrachtet ({4}) - in Deutschland! -, dann muß man feststellen, daß die Umweltpolitik mehr und mehr unter die Räder der Wirtschaftskrise zu geraten droht. Darum halte ich es für wichtig, an Hand des Haushalts über die Lage der Umwelt zu diskutieren. Die Frage, die der Bundesumweltminister beantworten muß, ist: Was gilt eigentlich noch in der Umweltpolitik dieser Bundesregierung? ({5}) Das ist die entscheidende Frage! ({6}) Gilt das, was der VCI-Vorsitzende, Herr Hilger, von den Farbwerken Hoechst als Maßgabe abgegeben hat, daß nämlich für zehn Jahre eine Ökopause einzutreten hat, oder gilt noch, was der Bundesumweltminister überall verkündet? ({7}) Wenn ich mir den Haushalt von Herrn Töpfer anschaue - darüber ist heute schon sehr viel gesagt worden -, dann, Herr Kollege Töpfer, würde mich schon interessieren, wie es sich mit Ihren großen Ankündigungen unter dem Stichwort Klimaschutz verträgt, daß der Verkehrshaushalt um fast 10 % erhöht wird, während ihr Haushalt am meisten gerupft wurde, nämlich um 6 %. ({8}) Es mag ja sein, daß wir das nicht auf den ersten Blick nachvollziehen können, ({9}) sondern daß das nur dieser verehrte Herr, der Ihnen in der zweiten Runde nochmals fast doppelt soviel rausgerupft hat wie der Finanzminister, das begreift. Aber es wäre interessant, von Ihnen zu hören, worin der Klimaschutzaspekt der Ausweitung des Verkehrshaushalts und der überproportionalen Kürzung des Umwelthaushalts besteht. ({10}) Was, Herr Töpfer, ohne jeden Zweifel Ihre Umweltpolitik auszeichnet, ist, daß Sie allemal gute Werbung machen. ({11}) Anläßlich der letzten Bundesratssitzung konnte man etwa dem „FAZ-Magazin" eine Anzeige mit der Überschrift „Rio gegen Baumtod" entnehmen. ({12}) - Das hat mich überhaupt nicht getroffen, sondern erfreut. In dieser Anzeige heißt es: Um den Wald in den Entwicklungsländern zu schützen, stellt die Bundesregierung in ihrem Tropenwaldprogramm jährlich rund 300 Mio. DM zur Verfügung. ({13}) In Deutschland wurde der Startschuß für eine ökologische Waldwirtschaft - hört! hört! nicht erst in Rio gegeben. Seit 1982 werden zahlreiche Maßnahmen zur Luftreinhaltung durchgeführt. Beispielsweise konnte der Ausstoß von Schwefeldioxid allein in den 80er Jahren um 60 Prozent reduziert werden. ({14}) Staatsminister Joseph Fischer ({15}) Der Ausstoß von Staub ging um 40 Prozent zurück. Auch bei Stickoxiden wurden wichtige Erfolge erzielt. ({16}) Jetzt geht es darum, die Kohlendioxidemissionen erheblich zu vermindern. ({17}) Vor Rio dabei - nach Rio erst recht. Wenn Sie mehr über Rio und unsere Umwelt wissen wollen, dann schreiben Sie an Bundesumweltminister Dr. Klaus Töpfer. ({18}) Ich hoffe, Sie klatschen jetzt gleich auch, wenn ich einen Bericht von Landwirtschaftsminister Kiechle zitiere. Wenige Tage später stieß man bei der Zeitungslektüre darauf, daß von Ihrem Kollegen Kiechle der Öffentlichkeit hier in Bonn der Waldschadensbericht vorgestellt wurde. Die „Süddeutsche Zeitung" schrieb am 13. November 1992 „Waldschadensbericht meldet weitere Verschlechterung - Forstbesitzer werfen Bundesregierung Untätigkeit vor - Minister Kiechle: Zu viele Schadstoffe gelangen in die Umwelt / Zustand der Bäume in Ostdeutschland sehr ernst". Ich zitiere weiter - jetzt klatschen Sie merkwürdigerweise nicht mehr -: Die vor allem durch die Schadstoffe in Luft und Boden verursachten Waldschäden haben in Deutschland weiter zugenommen. Wie Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle bei der Vorstellung des Waldzustandsberichts 1992 in Bonn sagte, sind inzwischen 68 Prozent der Bäume geschädigt. Das sind vier Prozentpunkte mehr als 1991. Der Anteil der deutlich geschädigten Bäume nahm um zwei Prozentpunkte auf 27 Prozent zu. „Der Zustand des deutschen Waldes hat sich 1992 leider verschlechtert", faßte der CSU-Politiker die Ergebnisse zusammen. Das sind die harten Fakten. Das andere war teure Werbung, Hochglanzwerbung. ({19}) Da erwarten wir eine Erklärung, Herr Bundesminister, wie sich das miteinander verträgt. Die „Frankfurter Rundschau" überschrieb am 20. Oktober 1992 einen Artikel mit den Worten: „Auch der Katalysator half dem Wald nur wenig - Schadensbilanz 1992 vorgelegt / Bloß fünf Prozent der älteren Buchen tragen noch volles Laub" . ({20}) Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", die ja nun wirklich über jeden grünen Verdacht erhaben ist, Herr Kollege Töpfer, ({21}) kam am 13. November 1992, nachdem sie die Erfolge bei der Vermeidung von Schwefeldioxidemissionen betont hatte, zu der wichtigen Erkenntnis: „Diese Erfolge jedoch werden fast aufgehoben, weil die Stickoxyde aus dem Verkehr - trotz der Einführung des Katalysators - weiter wachsen. " Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" fuhr fort: „Drastische Maßnahmen scheinen dennoch nötig, selbst wenn sie schmerzlich sind. " Die drastische Maßnahme dieser Bundesregierung besteht darin, den Haushalt des Bundesumweltministers um 6 % zu kürzen und den Haushalt des Verkehrsministers um fast 10 % zu erhöhen. Das versteht diese Bundesregierung offensichtlich unter ökologisch drastischen Maßnahmen. ({22}) Die Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz mit der Landwirtschaftsklausel ist, glaube ich - es mag ja sein, daß das noch nicht bis zu mir durchgedrungen ist -, schon in der letzten Legislaturperiode angekündigt worden. Wir haben davon eigentlich nichts mehr gehört. ({23}) Bodenschutzgesetz, Umweltinformationsgesetz, Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung des UVP-Gesetzes - man fragt sich: Wo bleibt das alles gegenwärtig? Die CO2-Abgabe, einer der Kernbereiche in der Koalitionsvereinbarung dieser Bundesregierung und auch einer der Kernbereiche unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes, den sich dieser Bundesumweltminister völlig zu Recht aufs Panier geschrieben hat, ist vertagt. Sie wurde zuerst nach Brüssel vertagt; von Brüssel wurde sie nach Washington vertagt; und man weiß nicht, wohin sie von Washington aus noch weitervertagt wird. ({24}) Sie kommt nicht. Auch die Mineralölsteuererhöhung spielt eine entscheidende Rolle. Man stellt sich auch die Frage: Wo bleibt die Smog-Verordnung nach § 40 Abs. 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes? Die Wärmenutzungsverordnung, die Chemikalienverbotsverordnung, die Dioxinverordnung - alles angekündigt. Das hat sich nicht die Opposition ausgedacht, sondern das sind alles Ankündigungen des Bundesumweltministers. Ich wäre davon ja überzeugt, wenn er uns jetzt mitteilte, welches der Sachstand ist. Er wird immer wieder sagen: Der Referentenentwurf ist fast fertig, wir stehen kurz vor der Kabinettseinbringung bzw. es ist im Kabinett eingebracht worden, aber ich bin dort auf die Ökologen Waigel und Möllemann gestoßen! Das ist dann in der Regel das Ende vom Lied. ({25}) Man könnte dies weiterführen. Ich erinnere auch an die Abfallabgabe. Der Bundesumweltminister wird sich gleich hier hinstellen und sicher auch auf das Staatsminister Joseph Fischer ({26}) hinweisen, was er außerhalb von Haushaltsveranschlagungen tatsächlich erreicht. ({27}) Wenn das richtig ist, sollte man meines Erachtens dem Bundeskanzler dringend zu einem Wechsel in der Ressortbesetzung raten. Dann wäre Herr Töpfer nämlich der ideale Sanierer für die Bereiche, in denen hohe Subventionen vorhanden sind. Er müßte die Industrie dann tatsächlich dazu bewegen, Subventionsabbau im Sinne freiwilliger Leistungen zu betreiben. Das ist ja im wesentlichen das, was er sich zugute hält. Ich habe vorhin gesagt, das alles sei eigentlich zum Lachen. In Wirklichkeit ist es zum Weinen, ({28}) weil der Zustand der Umwelt in diesem Lande - das hat der Waldschadensbericht klargemacht - nach wie vor traurig ist. Die Behauptung, wir hätten einen Spitzenplatz bei der Umweltsanierung und im ökologischen Umbau dieser Industriegesellschaft, ({29}) kann man jetzt an Hand harter Zahlen - sowohl des Waldschadensberichts als auch der Haushaltszahlen - verifizieren. Dabei stellt man fest: Die Umweltpolitik hat bei dieser Bundesregierung die Schlußlichtfunktion. Sie ist die rote Laterne im Haushaltsgeleitzug dieser Bundesregierung. ({30}) - Wollen Sie wissen, wie groß unser Umwelthaushalt für Hessen ist, ein Land mit 5,5 Millionen Einwohnern? Unser Umwelthaushalt beträgt über 400 Millionen DM. Rechnen Sie das einmal proportional auf das um, was der arme Kollege Töpfer hier vorzuweisen hat. Dann werden Sie diese Frage nicht noch einmal stellen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatsminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hoth zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich stimme Ihnen zu, daß die Senkung des Umweltetats sehr bedauerlich ist. Ich persönlich als Berichterstatterin für diesen Etat hätte gern eine Erhöhung gesehen. ({0}) Herr Minister, können Sie mir aber zustimmen, daß erstens die reichen alten Bundesländer einen weit größeren finanziellen Spielraum für die Verwirklichung umweltpolitischer Maßnahmen haben, da sie sich bisher stets geweigert haben, einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung der deutschen Einheit zu leisten? ({1}) Herr Minister, können Sie mir zweitens zustimmen, daß es umweltpolitisch eigentlich falsch ist, in den alten Ländern immer mehr Mittel für den Umweltschutz bereitzustellen, während - wir haben alle ausführlich darüber debattiert - in den neuen Bundesländern erheblich mehr Mittel für den Umweltschutz bereitgestellt werden müßten? ({2}) Staatsminister Joseph Fischer ({3}): Frau Kollegin Hoth, ich glaube, wir sind da gar nicht so weit auseinander. ({4}) Wir sind nur in dem Punkt auseinander, daß Sie sagen, die alten Bundesländer hätten sich bisher verweigert. Ich darf Sie darauf hinweisen: Wir hatten das Konzept einer Abfallabgabe. Diese Abfallabgabe sollte in der Größenordnung von Milliardenbeträgen vom Bund und von den Ländern gemeinsam aufgebracht und zur Altlastensanierung eingesetzt werden. Die alten Länder waren bereit - Hessen hat sich immer dafür verwendet , auf Grund der besonderen Belastungen, die den neuen Ländern auferlegt sind, für einen längeren Zeitraum, etwa fünf Jahre, 40 % des Aufkommens aus dieser Abfallabgabe auf dem Weg von Staatsverträgen an die neuen Bundesländer abzutreten. ({5}) - Nein, das können wir nicht. ({6}) - Herr Präsident, ich höre das sehr gerne. Voraussetzung ist, daß Sie das Zuhören und das Antworten auf die Fragen nicht auf meine Redezeit anrechnen. Ich weise die Behauptung zurück, die alten Bundesländer hätten sich der Solidarität verweigert. ({7}) Ich füge sogar hinzu - völlig ungeschützt -, daß ich auch in der Umweltpolitik für eine Vorrang-OstPolitik bin, ({8}) d. h. für die Überlegung, wieweit es sinnvoll wäre, das Nordseeschutzprogramm - das ich überhaupt nicht kritisiere, sondern das ich richtig finde - auf das Elbe-Einzugsgebiet zu konzentrieren, inwieweit wir Staatsminister Joseph Fischer ({9}) hier also bestimmte gesetzliche Änderungen vornehmen sollten. ({10}) Ich bin nämlich der Meinung, daß eine in Leipzig oder Halle eingesetzte Mark wesentlich mehr bringt, als wenn wir sie in Frankfurt, Kassel, Gießen und Stuttgart einsetzen. ({11}) Dasselbe gilt natürlich für Straßenbaumittel und andere Verkehrsinvestitionen. ({12}) Ich bin der klaren Meinung: Wer jetzt im Westen noch Straßenbau betreibt, der hat sie nicht mehr alle. - Jetzt dürfen Sie klatschen. ({13}) Denn die hessische CDU fordert verstärkten Straßenbau im Westen, meine Damen und Herren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatsminister, die Kollegen klatschen natürlich nicht auf Ihre Anweisung hin. Die Frau Kollegin Dr. Hoth möchte gerne nachfassen. ({0})

Dr. Sigrid Hoth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000965, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, kann ich auf Grund Ihrer Ausführungen davon ausgehen, daß von Ihnen demnächst konkrete Maßnahmen vorgeschlagen werden - und im Bundesrat versucht wird, diese Maßnahmen umzusetzen -, deren Finanzierung schwerpunktmäßig von den alten Ländern getragen wird - und nicht wie bisher vom Bund - und die ausschließlich den neuen Ländern zugute kommen? ({0}) Staatsminister Joseph Fischer ({1}): Frau Kollegin Hoth, wir haben darüber etwa mit dem Kollegen Sickmann aus Thüringen gesprochen. Es gab eine Initiative auf der letzten UMK. Ich konnte wegen unseren Haushaltsberatungen nicht dort sein. Wir in Hessen sprechen uns dafür aus. Aber es ist kein Geheimnis, daß eine Mehrheit unter den alten Bundesländern hier anders denkt. Ich sage Ihnen nochmals: Ich bin der festen Überzeugung - deswegen habe ich es auch öffentlich gesagt -, daß wir gerade im Umweitsanierungsbereich, aber auch bei allen anderen Infrastrukturinvestitionen und auch bei Wissenschaftsinvestitionen eine Politik des Vorrangs Ost machen sollten, und zwar aus fachlichen Gründen, andererseits aber auch wegen der Tatsache, daß es, wenn wir in den neuen Bundesländern innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine moderne Infrastruktur investiv hinbekommen, zu einem selbsttragenden Aufschwung kommt. Dieser selbsttragende Aufschwung ist für mich die Voraussetzung, daß es nicht zu einer dauerhaften Zweiteilung in Deutschland mit schlimmen politischen Folgen kommt. Ich hoffe, wir können uns auf solch eine Position auch über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg einigen. Worauf wir uns allerdings nicht einigen können, das ist die Schwächung der Umweltpolitik in dieser Bundesregierung. ({2}) Wir können nicht akzeptieren, daß auf der einen Seite verkündet wird, Klimaschutz habe oberstes Ziel zu sein - die Gründe hat der Kollege Töpfer hier jeweils wunderbar dargestellt -, und auf der anderen Seite, wenn es Ernst wird, wenn Mittel zugunsten des Klimaschutzes umgeschichtet werden müßten, wenn Strukturen verändert werden müssen, etwa in der Verkehrspolitik - der Bundesverkehrswegeplan ist das Gegenteil von Klimaschutzpolitik -, ({3}) regelmäßig gekniffen wird. Ich befürchte, wenn ich diesen Haushalt sehe - da mag bei mir überhaupt keine Freude aufkommen -, daß neben allen Differenzen in einzelnen Sachpunkten die Umweltpolitik in der sich abzeichnenden Wirtschaftsrezession kaum noch eine Chance haben wird, innerhalb dieser Bundesregierung das nötige Gewicht zu bekommen. Das wird Konsequenzen haben. Es hat schlimme ökologische Konsequenzen. Es wird letztendlich auch Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland haben. Wenn wahr wird, was Bundeskanzler, VCI und andere verkündet haben, nämlich daß für zehn Jahre mit Umweltinvestitionen, mit notwendigen rahmenrechtlichen Veränderungen und ähnlichem mehr Schluß sein soll, werden wir um zehn Jahre zurückfallen, ({4}) Wir müssen den ökologischen Umbau auch in der Wirtschaftskrise weiter vorantreiben. Der Haushalt, den Sie heute hier vorlegen, fährt in die völlig falsche, in die entgegengesetzte Richtung. Es ist ein Haushalt des ökologischen Rückwärtsgangs. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Klaus Töpfer, das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist unbestritten: Der Unterhaltungswert des Kollegen Fischer ist umgekehrt proportional zu der Sachaussage, die er einbringt. ({0}) Das hat er heute erneut wundervoll gezeigt. Über den Unterhaltungswert des Kollegen Wagner braucht man gar nicht zu streiten, geschweige denn über die Sachaussage, die er gebracht hat. Von daher hatten wir eben eine große Bandbreite. ({1}) Wir alle in diesem Hohen Hause sind uns darüber einig, daß die Qualität der Umweltpolitik in der Durchsetzung des Verursacherprinzips liegt. ({2}) Aber alle fragen beim Haushalt, wieviel Gemeinlastprinzip wir durchgesetzt hätten. Ist es überhaupt schon jemandem aufgefallen, daß da eine große Diskrepanz gegeben ist? ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Diller, Sie haben im Moment wirklich nicht das Wort.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Aber er nimmt es sich außerordentlich gern, Herr Präsident. Ich werde durch ihn sicherlich gut beraten. Das Schwierige ist - hier sehen Sie die Konsequenz, die wir haben -, Umweltpolitik nach dem Verursacherprinzip durchzusetzen. Denn dabei müssen diejenigen zahlen, die die Verursacher sind. Deswegen lese ich im Augenblick in den Wirtschaftsteilen der deutschen Zeitungen nicht gerade einen Lobgesang auf den Bundesumweltminister, sondern ich sehe an jeder Ecke und Kante, daß wir eine verursacherorientierte Umweltpolitik durchgesetzt haben. Mir wird der Vorwurf gemacht, daß wir damit eine Standortbelastung für die Wirtschaft bewirken, und nicht, daß wir sie in ganz besonderer Weise entlasten. Werden Sie sich bitte darüber einig, was Sie wollen. Wir setzen das Verursacherprinzip durch. Das ist zugegebenermaßen sehr schwer. Aber es ist auch richtig. Denn nur über das Verursacherprinzip verändern wir Preise. Wenn wir Preise verändern, verändern wir erstens das Verhalten und zweitens die Technik. Darüber haben wir nicht nur mehr als einmal geredet, sondern wir haben es auch gemacht, meine Damen und Herren. ({0}) Vielleicht ist es dem Kollegen Fischer entgangen, aber es ist dennoch so: - ({1}) - Wenn ich mit der Frau Kollegin Matthäus-Maier spreche, höre ich bei anderen auch nicht zu. Dafür habe ich volles Verständnis. Das ist eine hinreichende Erläuterung. Vielleicht ist ihm folgendes entgangen - deswegen will ich ihn daran erinnern -: Wir haben die von ihm soeben zitierten Minderungen der Luftbelastung bei Schwefeldioxid, bei Staub und bei Stickoxiden dadurch erreicht, daß wir eine Verordnung gemacht haben, und nicht dadurch, daß wir Haushaltsmittel bereitgestellt haben. Wir haben damit 25 Milliarden DM bewegt. Sie sind über Energiepreise bezahlt worden, wie es richtig ist, und nicht über Haushaltsmittel. Das ist der entscheidende Unterschied. ({2}) Diese Politik wollen wir weiterführen. Herr Kollege, wir brauchen ein Ministerium nicht dafür, um Haushaltsmittel besser zu verteilen. ({3}) sondern um verursacherorientierte Politik zu machen und andere dafür zahlen zu lassen, was sie an Umweltschäden hinterlassen haben. ({4}) Das ist richtig. Daher kann ich das, was die Kollegin Hoth gesagt hat, nur unterstreichen. ({5}) Es ist zu unterstreichen, daß das in den jungen Bundesländern nicht klappt. Es klappt deswegen nicht, weil erstens die Verursacher nicht mehr da sind - Frau Enkelmann hat einen bedeutsamen Beitrag dafür geliefert und weil zweitens die Bürgerinnen und Bürger in den jungen Bundesländern noch nicht die Einkommen haben, um verursacherorientierte Preise zu zahlen. Also machen wir das dort anders. Wir haben z. B. - darüber ist heute noch kein Wort verloren worden - eine Regelung über die ökologischen Altlasten bekommen, nämlich eine Aufteilung der Finanzmittel bei Großprojekten von 25 % zu 75 % zu Lasten des Bundes. Ich sage Ihnen dazu, damit Sie das mitnehmen können, daß wir für Sanierungsmaßnahmen im Braunkohletagebau dadurch 1,5 Milliarden DM pro Jahr verfügbar machen. 75 % davon zahlt der Bund, 25 % zahlen die Länder. Genauso werden wir diese Großprojekte in der Chemie machen. Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrem Fraktionskollegen Rappe danach, was er davon hält, daß wir in einem Braunkohlebüro die Koordinierung machen, um Altlastensanierung nicht nur zu bereden, sondern mit dem dafür richtigen Ansatz über die Treuhand ganz konkret durchzuführen. ({6}) Gleiches machen wir bei den Altlasten, die nicht auf Großprojekte bezogen sind. Dort ist die Aufteilung 60 % zu 40 % zu Lasten des Bundes. Es gibt jährlich 1 Milliarde DM für die nächsten zehn Jahre, also 10 Milliarden DM für die Altlastensanierung in den jungen Bundesländern. Ich meine, das ist eine dringende Notwendigkeit. Zur Klimapolitik. Meine Damen und Herren, wir haben einen Kabinettsbeschluß zur Minderung um 25 % bis 30 %. Wo setzen wir die erste Priorität? Wir setzen sie dort, wo man am schnellsten und am wirksamsten vorankommt, nämlich bei der dringend notwendigen Umstrukturierung der Energieversorgung in den neuen Bundesländern. Die alte DDR war Vizeweltmeister in der Pro-Kopf-Emission von CO2. Wir haben im letzten Jahr der DDR 320 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert und verstromt, mit der Folge der CO2-Emission. Wir gehen jetzt in neuen Braunkohlekraftwerken auf etwa 100 Millionen t zurück, wiederum nicht in irgendeinem Haushalt, sondern über die Energieversorgungsunternehmen finanziert und durch Preise zu bezahlen, und das ist richtig, meine Damen und Herren, weil damit Energiesparen endlich einmal eingefordert wird. Was wollen Sie denn eigentlich mehr haben, meine Damen und Herren? ({7}) Das ist doch eine in sich ganz schlüssige Politik. Ich kann Ihnen sogar sagen, Herr Kollege Fischer, daß wir durch diese Umstellung in den jungen Bundesländern in der Energiepolitik etwa 15 bis 17 % Co2-Einsparungen bekommen. Das ist doch völlig richtig, daß wir dort anfangen. Erstens dient es den Menschen in den jungen Bundesländern; zweitens ist dort die Mark am besten eingesetzt, weil sie am schnellsten eine Minderung ermöglicht. Sie sagen doch dauernd, wir sollten das über Energiepreise machen. Das tun wir, und dann kritisieren Sie, daß im Haushalt keine Budgetmittel für Klimaschutz enthalten sind. Machen wir es über Preise - und Sie haben immer und immer wieder über Preise geredet -, dann kommen Sie doch nicht und sagen, das müsse im Haushalt enthalten sein. Dies wäre genau der umgekehrte Ansatzpunkt. ({8}) Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß die Bundesregierung ihren Kabinettsbeschluß zur Minderung um 25 bis 30 % CO2-Ausstoß aufgekündigt hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Wir arbeiten intensiv daran, ihn umzusetzen, und wir werden das erreichen. Es ist für mich ganz unstrittig, daß wir in den jungen Bundesländern ansetzen mußten, und das werden wir, wie ich meine, vernünftig voranbringen. Wir kommen endlich dazu, daß wirklich im Verkaufspreis von Waren auch die Entsorgungskosten enthalten sind. Ich will nicht in irgendeinem Haushalt Geld für Abfallbeseitigung wiederfinden, sondern das muß reprivatisiert werden, und im Verkaufspreis einer Ware muß auch der Kostenansatz dafür drin sein, was diese Ware kostet, wenn sie entsorgt wird. ({9}) Das ist ökologische Marktwirtschaft, meine Damen und Herren, nur hat man das an der einen oder anderen Stelle noch nicht ganz mitbekommen. ({10}) - Wir sind dabei, das durchzuführen. Es gibt genug Diskussionen darüber. Interessanterweise ist diese Diskussion mit den Kollegen der Bundesländer auch in einer hohen Weise sachlich und gut, wenn wir in unserer Kaminrunde zusammensitzen und darüber diskutieren, wie wir das alles machen. Da sehe ich diese Unterschiede nur sehr bedingt. Kollege Wagner hat an seinem Geburtstag - zu dem ich ihm natürlich auch herzlich gratuliere - ein sehr bemerkenswertes Beispiel einer sachlichen Rede gehalten, die, davon bin ich überzeugt, selbst den Adressaten im Saarland so nicht erreichen wird. Aber er wird es immer wieder gern versuchen. Ich werde die Nervenkraft aufbringen, diese 20 Minuten zu überstehen. Das schaffen wir immer wieder, Herr Kollege Wagner. Das ist wirklich erfreulich. Heute morgen ist gefragt worden: Wo macht ihr ernst mit der Deregulierung? Damit machen wir ernst. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist sicherlich heiß umstritten und diskutiert und kritisiert, und - nebenbei - doch nicht nur von der Wirtschaft. Sprechen Sie erneut einmal mit Ihrem Kollegen Rappe vom Industrieverband - nein, von der Industriegewerkschaft Papier, Chemie, Keramik. - Sie bringen mich ganz durcheinander; das können Sie doch nicht machen. - Die sagen dann auch: Augenblick einmal, sind wir denn nicht so weit, daß wir tatsächlich die externen Kosten zu internen machen, aber dann unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa und damit Arbeitsplätze aufs Spiel setzen? Nicht nur die von Ihnen immer wieder herausgearbeiteten großen Herrn wie Hilger von Hoechst, sondern auch die Vorsitzenden der Gewerkschaften fragen nach: Wie machen wir das denn, daß es wirklich ökologische Entlastung und Sicherung von Arbeitsplätzen bedeutet? Ich habe keine Kritik daran zu nehmen, daß man sehr genau nachprüft: Was tun wir, um die Kreislaufwirtschaft durchzusetzen? Können wir das tun, ohne daß alle anderen folgen? Das kann ich nicht als eine Majestätsbeleidigung ansehen, sondern als eine notwendige kritische Überprüfung dessen, was wir vorlegen. Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, das durchzusetzen. Ich sage noch einmal: All dies ist nicht Ankündigung, sondern Tatsache. Faszinierend ist ja, daß mir diejenigen, die davon betroffen sind, permanent vorwerfen, ich machte zuviel, und die, die nicht betroffen sind, sagen: Ich kündige etwas an. Also unterhalten Sie sich einmal mit denen, die betroffen sind, um dann wirklich zu sagen, was wir für eine umweltpolitische Weiterentwicklung hinter uns gebracht haben. ({11}) Meine Damen und Herren, gänzlich faszinierend ist es, sich die Darstellung der Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition zur globalen Umweltpolitik anhören zu dürfen. Das war wirklich ganz besonders bemerkenswert, Herr Kollege Wagner. ({12}) Zu sagen, daß wir jetzt sogar in Kopenhagen gescheitert seien, ist wirklich die Umkehrung dessen, was Tatsache ist. ({13}) - Das habe ich mir angewöhnt, Herr Kollege Wagner; ja sicher, deswegen. Das Gegenteil ist nun wirklich der Fall. Wenn Sie sich einmal damit beschäftigen, wissen Sie es. Wir haben 1985 den Ausstieg in einer Verordnung angekündigt und am 1. August 1991 auf Ende 1995 festgelegt. Da war man weltweit noch der Meinung, man könne das frühestens im Jahr 2000 machen. In Kopenhagen ist man jetzt endlich weltweit auf unser Ausstiegsdatum gekommen, nicht deswegen, weil andere das gewollt haben, sondern weil wir das eingefordert haben, und in der Zwischenzeit ist es uns möglich geworden, 1993 damit zu Ende zu kommen. Es wäre wirklich notwendig, daß Sie einmal die Position der Bundesregierung in der weltweiten Umwelt-Außenpolitik zur Kenntnis nehmen würden, damit Sie sehen, daß wir das, was wir in Rio in Gang gesetzt haben, wirklich weiter verfolgen. ({14}) Meine Damen und Herren, viele haben Zeitungen zitiert. Offenbar ist das gut und richtig; also werde auch ich es machen. Vor 14 Tagen ist in der Wochenzeitung „Die Zeit" ein schöner Artikel unter der Überschrift „Von Japan und Deutschland lernen" erschienen. ({15}) - Nein, „Von Japan und Deutschland lernen" steht da. Das sind nur drei Spalten; man kann das also relativ schnell zur Kenntnis nehmen. Der Autor dieses Artikels ist interessant. Der Autor dieses Artikels ist Bill Clinton, der gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, der sich als Vizepräsidenten den guten Kollegen Gore genommen hat. Wenn ich mit das vornehme - das kann man sich fast einrahmen und an seine Bürowand heften lassen: „Von Japan und Deutschland lernen" -, dann lese ich da z. B.: Wir haben im Wahlkampf gehört, übertriebener Umweltschutz sei einer der Hauptgründe für den Niedergang unserer Volskwirtschaft und die Amerikaner müßten zwischen einer gesunden Umwelt und einer starken Volkswirtschaft wählen. Beides, so wird behauptet, können wir nicht haben. Diese Wahlmöglichkeit führt in die Irre. Es geht weiter: Unsere Konkurrenten - also Japan und Deutschland -haben begriffen, daß eine gesunde Umwelt und eine gesunde Volkswirtschaft einander nicht widersprechen, sondern zusammengehören. Er fährt fort: Die Beweise liegen auf dem Tisch. Bedeutende Märkte sind uns Amerikanern bereits verlorengegangen. 1980 hielten die USA noch drei Viertel des Weltmarkts für Solartechnologie in den Händen; 1990 haben deutsche und japanische Konkurrenten unseren Anteil auf 30 % gedrückt. Früher haben wir die restliche Welt mit unserer Technologie zur Kontrolle von Luftverschmutzung versorgt; heute müssen wir 70 % dieser Technologie einführen. Ich kann gern weiter zitieren. Meine Damen und Herren, dies ist die Bewertung, die Bill Clinton dieser Umweltpolitik macht. ({16}) - Darauf habe ich gerade gewartet, daß Kollege Schily jetzt, wo es gerade ein bißchen spannend geworden war, durch einen dazu eigentlich nicht ganz passenden Zwischenruf die Aufmerksamkeit ablenken würde. Das ist eine alte rhetorische Qualität; die kennen wir bei Ihnen. Das ist auch insgesamt eine ganz interessante und gute Sache. Nur kann mich das nicht davon abhalten, eines festzuhalten, meine Damen und Herren: daß wir Umweltpolitik wirklich so gemacht haben, wie es schwerer ist, als nur nach Haushaltsmitteln zu suchen, sie so zu machen, daß Verursacher dadurch belastet werden, und das bei den Belastern in einem international schwerer gewordenen Wettbewerb durchzusetzen. Das ist wirklich eine schwierige, aber dringlich notwendige Arbeit; denn nur so kommen wir zu einer ökologischen Volkswirtschaft und nicht zu einer, die über das Gemeinlastprinzip eigentlich alle das zahlen läßt, was einige verursachen. Das ist in der Tat nicht unsere Politik. Wer so den Haushalt beurteilt, beurteilt ihn immer falsch. Sie werden es mit Sicherheit im nächsten Jahr wieder genauso machen, und wir werden eine verursacherorientierte, ökologische Volkswirtschaft durchsetzen. ({17})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile dem Abgeordneten Müller ({0}) zu einer Kurzintervention das Wort. Ich bitte aber sehr darum, die Debatte nicht noch einmal zu eröffnen. Wir liegen in der Zeit schon sehr, sehr weit zurück. Ich wäre sehr daran interessiert, daß wir die vielen Menschen, die im Hause tätig sind, nicht auch heute abend wieder zu lange beschäftigen.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesumweltminister, Sie stellen zu Recht heraus, daß die Frage des Klimaschutzes eine Frage der Menschheit ist und es gerade hier darauf ankommt, daß die Politik seriös ist und nicht trickst. Die Bundesregierung hat Ende 1990 beschlossen, die energiebedingten CO2-Emissionen um 25 bis 30 % und um einen deutlich höheren Ansatz in den neuen Bundesländern zu reduzieren. Das steht im Kabinettsbeschluß. Gleichzeitig haben Sie zu diesem Kabinettsbeschluß erklärt: Die Bundesregierung wird unabhängig von der Festsetzung internationaler Rechtsinstrumente national eine CO2-Abgabe einführen. Das ist sozusagen die Ausgangssituation, mit der Sie in den Wahlkampf gegangen sind. Michael Müller ({0}) Sie haben ein Jahr später einem Kabinettsbeschluß „Eckpunkte für die Energieversorgung im vereinigten Deutschland" zugestimmt. Dort haben Sie mit Ihrer Stimme festgeschrieben, daß die CO2-Emissionen im Jahre 2000 stagnierten und nicht reduziert werden. Das ist die Konsequenz dieses Beschlusses. Sie haben zum zweiten - auch das müssen Sie sehen - in der Zwischenzeit einen Brief des Bundeskanzlers vor die Nase gesetzt bekommen, in dem er an den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie schreibt: Eine nationale Abgabe ist nicht mehr vorgesehen. Dann geht es weiter: Tyll Necker hat Bedenken geäußert gegen die wirklich sehr harmlose Vorlage der EG-Kommission zur Reduktion von CO2.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Müller, ich darf Sie bitten, sich kurzzufassen.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da schreibt er: Die Bundesregierung wird bei den weiteren Beratungen für eine europaweite CO2-Abgabe die deutsche Industrie nicht beeinträchtigen. Herr Umweltminister, wenn Sie Clinton zitieren, zitieren Sie seinen wichtigsten Satz: Es ist Zeit für einen Wechsel. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Die Zeit für den Wechsel hat uns Herr Kollege Fischer schon beantwortet. Er hat nämlich gesagt: Für die nächsten zehn Jahre wird nichts mehr passieren. Er hat uns also die nächsten zehn Jahre der Regierung zugeschrieben. Insofern ist auch er der Meinung, daß die Zeit für den Wechsel nicht da ist. Zur Frage der CO2-Reduzierung: Ich bin Ihnen ja außerordentlich dankbar, Herr Kollege Müller, daß Sie noch einmal danach gefragt haben. Damit kann ich klarmachen: Wir bleiben bei der Verminderung von 25 bis 30 %. Daß wir auf 30 % gegangen sind, haben wir mit dem deutschen Einigungsprozeß verbunden. Vorher war eine 25%ige Minderung vorgesehen. Wir haben das entsprechend erhöht. Zum zweiten: Wir sind natürlich nicht der Meinung, daß jeder Sektor, aus dem CO2-Emissionen kommen, gerade 25 % erreichen muß. Der Verkehr liegt etwa bei 20 % der gesamten CO2-Belastungen in Deutschland. ({0}) - Sie meinen doch mit Sicherheit den Straßenverkehr. Den habe ich genannt, und der liegt bei etwa 20%. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Müller, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie wenigstens zuhören würden.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Wir haben da unterschiedliche Meinungen. Das kann man sicherlich austragen. Selbst wenn ich auf Ihre 27 % gehe, kann ich nur sagen: Unsere CO2-Konzeption, die jedem zum Lesen vorliegt, sagt aus, daß wir bei dem Sektor eine Stabilisierung der CO2-Emissionen haben. Der gesamte Minderungsansatz bleibt also bestehen. Wenn wir den Verkehrsbereich stabilisieren können, ist das im Einklang mit der Gesamtminderungsrate von 25 bis 30 %. Genau das ist unsere Aussage, und sie bleibt auch so. Ich kann Ihnen deutlich sagen: Wir werden von unserer Zielsetzung nicht abweichen, und wir werden sie umsetzen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Müller, ich möchte Sie allen Ernstes bitten, sich einigermaßen zu mäßigen und zurückzuhalten! ({0}) Zu einer persönlichen Erklärung erteile ich dem Abgeordneten Ulrich Klinkert das Wort.

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, als umweltpolitischer Sprecher meiner Fraktion hätte auch ich mir einen etwas höheren Haushalt des Bundesumweltministers gewünscht, ({0}) dies vor allen Dingen natürlich für Projekte der ökologischen Sanierung der neuen Bundesländer. Aber die Haushaltslage ist nun mal so, wie sie ist. Steuereinnahmen kann man sich nicht wünschen. Man muß sie gewissenhaft errechnen, und das ist gemacht worden. Trotzdem gab es eine wesentliche Nachbesserung ohne eine Belastung des Haushalts des Bundesumweltministers. Klaus Töpfer hat die Zahlen erwähnt: 1 Milliarde DM für allgemeine ökologische Altlasten, 1,5 Milliarden DM für das Megaprojekt Braunkohlesanierung. Weitere Megaprojekte sind in Vorbereitung. ({1}) Dies alles ist ein Mehrfaches dessen -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Klinkert, § 31 unserer Geschäftsordnung gibt Ihnen das Recht, zur Abstimmung eine Erklärung abzugeben und nicht einen erneuten Debattenbeitrag zu leisten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das bei Ihren Formulierungen ein bißchen berücksichtigen würden.

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich danke für den Hinweis. Ich sage also, daß ich diesem Haushaltsentwurf zustimmen werde, und versuche zu begründen, daß es keine Alternative dazu gibt und von der Opposition auch keine genannt wurde. Ich habe, bevor ich meine Entscheidung zur Zustimmung getroffen habe, auf Ihre Alternative gewartet. Da ist die einzige gekommen, die immer kommt, und die ich für primitiv halte, weil immer nur verlangt wird, daß im Osten weniger Straßen gebaut werden. Denn zu einer gesunden Ökologie gehört auch eine gesunde Ökonomie. Und die verlangt nun einmal eine funktionierende Infrastruktur. Vielen Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, nun können wir zur Abstimmung kommen. Ich bitte diejenigen, die dem Einzelplan in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Niemand. Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den Rest des Hauses angenommen. Ich rufe Punkt III 35 auf: Einzelplan 30 Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie - Drucksachen 12/3523, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dietrich Austermann Zu diesem Geschäftsbereich liegt ein Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste vor. Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit von einer Stunde. Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam: Die Stunde darf auch unterschritten werden. Das Verfahren kann auch beschleunigt werden, indem sich der eine oder andere entschließt, seine Rede zu Protokoll zu geben. Zunächst erteile ich Herrn Dr. Emil Schnell das Wort,

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, auch die vielen Nichthaushälter zu dem Geschäftsbereich Forschung und Technologie begrüßen zu können. Ich weiß nicht, ob der Finanzminister noch zugegen ist. ({0}) Herr Minister, von Ihrem Kollegen Töpfer kam ein sehr vernünftiger und plausibler Vorschlag, wie er sich selbst einsparen kann. Er hat gesagt, durch das Verursacherprinzip ließen sich die Probleme alle lösen. Ich erwarte von Minister Riesenhuber ähnliche Vorschläge, wie er sich selbst einsparen kann: Vielleicht geht das auch in Richtung Verursacherprinzip; denn die Sachen, die Sie verursachen, gehen auch in die Richtung. Ich möchte Ihnen sagen, wie das Ritual hier ablaufen wird. Das war schon die ganze Zeit so. Es wird so sein, daß der Kollege Austermann nach mir sagen wird, was der Minister alles Hervorragendes geleistet hat, was für tolle Sachen er gemacht hat. Was immer das auch sei, ich bitte niemand, neugierig zu sein. Der Kollege Zywietz wird sagen, welche hervorragende Dinge dort gelaufen sind. Dann wird zum Schluß Minister Riesenhuber ähnliches sagen. Er wird den Kollegen Austermann und Zywietz sehr, sehr danken für alles, was sie getan haben. ({1}) Er wird dann in eine Endlosschleife übergehen, indem er erzählt, was er in letzter Zeit in seinem Hause alles Tolles verbrochen hat. So wird das ablaufen, und so ist es immer. Das ist nicht befriedigend. Die Haushaltsberatungen, meine Damen und Herren, sind beendet bzw. für kurze Zeit unterbrochen, da, wie wir gehört haben, der Nachtragshaushalt noch vor Weihnachten kommen soll, zumindest wenn es nach Möllemann geht. Ich bin bereit, durchaus auch in der Vorweihnachtszeit Haushaltsberatungen durchzuführen, um die Frage „Aufschwung Ost" abzuklären, und sehe an der großen Zustimmung meiner Fraktion, daß auch sie bereit wäre, Haushaltsberatungen für diesen guten Zweck durchaus auch in der Vorweihnachtszeit zu machen. ({2}) Denn die wirklich großen Herausforderungen, meine Damen und Herren, sind im Haushaltsentwurf und in den Haushaltsberatungen nicht enthalten. Das gilt für viele Einzelpläne, auch für den des Ministers Riesenhuber. Es zeigt sich hier ganz klar: Dem Forschungsminister hat die Kraft und offensichtlich auch der letzte Wille zum Umsteuern gefehlt. Er befindet sich damit im Würgegriff des Finanzministers. ({3}) Er steht damit stellvertretend für Koalition und Regierung. Wir haben in den letzten Wochen wirklich mit großem Aufwand wenig erreicht. Das kann nicht befriedigen. Ich sage Ihnen - und die Kollegen wissen es selbst -, wir haben in einzelnen Titeln ein paar Tausender, auch einmal einige Millionen DM hin- und hergeschichtet; wir haben uns darum gestritten. Die Fachausschüsse haben sich in einen angeregten Zustand versetzen lassen; viele tausend Betroffene haben sich sehr, sehr nach vorne gewagt und haben versucht, durch ihren Einfluß bestimmte Dinge zu ändern. Zum Schluß wissen wir doch, daß über globale Einsparungen, über globale Minderausgaben - in Größenordnungen - all diese kleinen Einsparvorschläge letztlich über den Haufen geworfen werden. Damit ist die Schwerpunktsetzung, die wir zum Teil vorhatten - das werden mir meine Kollegen auf Grund der Erfahrungen der Vorjahre bestätigen müssen -, in einigen Bereichen hinfällig. Da muß man fragen: Was sollen diese Haushaltsberatungen, wenn das so abläuft? Herr Kollege Austermann, Herr Kollege Zywietz, Sie waren auch mit dem Gedanken schwanger gegangen - zumindest noch beim Berichterstattergespräch -, daß zum Nachtragshaushalt eventuell noch Signale hinsichtlich einer Verstärkung der Mittel für die neuen Länder für den Bereich Forschung und Technologie kommen können. Das hat sich leider nicht bewahrheitet. Insofern war, glaube ich, nicht nur ich enttäuscht, sondern auch meine Kollegen waren etwas enttäuscht. ({4}) Ich sehe dem Gesicht von Minister Riesenhuber an, daß auch er enttäuscht war und ist. ({5}) Meine Damen und Herren, der Plafonds des Forschungsministers liegt noch immer unter 10 Milliarden DM. Alle sind sich einig, daß das nicht ausreichen kann, zumal neue Schwerpunktsetzungen nicht zu erkennen sind. Professor Simon empfahl der Regierung: Wenn das Geld knapp ist, muß man Prioritäten setzen, d. h. Kürzungen im Bereich der bemannten Raumfahrt und Umschichtungen hin zur Umwelt- und Energieforschung; da können wir voll mitgehen und zudem noch weitere Probleme anmahnen. Ich denke dabei an die IT-Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die Gentechnologieanwendung - ich verweise hier auch auf die aktuelle Diskussion - und nicht zuletzt die Kernenergie- und Fusionsforschung. Das sind Bereiche, bei denen man sparen kann, bei denen man aber auch zulegen muß. ({6}) - In bestimmten Bereichen Kernenergie- und Fusionsforschung -- sollte man, denke ich, sparen, ({7}) und in anderen Bereichen sollte man das Ersparte vielleicht drauflegen; ({8}) vielleicht findet das Ihr Verständnis. Was der Minister dagegen macht, ist ein Versteckspiel mit Haushaltsmitteln für die Weltraumfahrt bzw. die Weltraumforschung, bei der DARA, bei der DLR, bei der GUS-Hilfe, bei anderen Projektträgern und schließlich bei der ESA. Der Mediendienst der Fraunhofer-Gesellschaft sagt zur Sinnhaftigkeit der Raumfahrtforschung folgendes - hören Sie ruhig zu -: Der wissenschaftliche und ökonomische Nutzen der Raumfahrttechnik ist im Vergleich zu dem in anderen Bereichen der Spitzenforschung allenfalls durchschnittlich, wenn nicht unterproportional. Die Ausstrahlungseffekte in andere Wirtschaftszweige sind offensichtlich nicht so hoch, daß sie einen besonderen Aufwand an öffentlichen Fördermitteln für die Raumfahrt begründen könnten. - Das ist übrigens ein Ergebnis einer Studie im Auftrag des BMFT und der DARA. Ich denke, bei den Weltraumprojekten kann es nur um folgendes gehen: erstens um Verzicht auf bestimmte Projekte, zweitens um Streckung von Projekten, drittens um weltweite Kooperation. Im Weltraumbereich kann man noch kräftig sparen; es ist allerdings notwendig - ({9}) - Sie haben gespart in vorsichtigen kleinen Portionen; da ist aber wesentlich mehr drin, Herr Finanzminister. Ich denke, Sie werden beim nächstenmal genauer hinschauen, das dann aber nicht wegnehmen, weil der Forschungshaushalt das an anderer Stelle tatsächlich braucht. Das scheint Ihnen nicht so richtig klar zu sein. ({10}) Es ist allerdings notwendig, das auch den europäischen Partnern zu sagen, die eigentlich nur darauf warten, klar zu hören, daß die Deutschen das Geld für die nächsten zehn Jahre dafür nicht im bisherigen Umfang zur Verfügung haben werden. Das Geld geht nach Europa; keiner weiß so genau, wo es bleibt. Für die nationale Forschung bleiben in dem Bereich nach Abzug der Personalkosten - hören Sie bitte gut zu - ganze 18 %. ({11}) - Sie müssen sich auch anstrengen, um zuzuhören; das ist doch völlig klar. Sie können auch qualifizierte und intelligente Zwischenfragen stellen; ({12}) dagegen habe ich überhaupt nichts, aber das wird wohl nicht passieren. Wenn Herr Riesenhuber sagt, Hermes sei nicht finanzierbar, dann stimmt das ausnahmsweise fast. Aber er sagt das nicht so; er sagt, wir machen ein Technologieprogramm daraus. Er trickst damit im wesentlichen herum, was das Zeug hält. Die geringe Steigerung des Haushalts um ca. 2,1 % ist symptomatisch für die Einstufung von Forschung und Technologie in den Köpfen der Regierungsmitglieder. ({13}) - Sie gehören auch mit dazu. Die Steigerung in den nächsten Jahren um 0,8 % laut mittelfristiger Finanzplanung sagt endgültig alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, nämlich daß Forschung und Technologie einen abnehmenden Stellenwert haben. ({14}) - Weil Sie offensichtlich etwas damit zu tun haben. Sie sind der Würger dieses Plafonds. Wer denn sonst? ({15}) Sparen ist wichtig. ({16}) Das aber bei den schon sehr engen, reduzierten Projektmitteln zu machen, zeigt, daß der Minister bei seinen politischen Gestaltungsmöglichkeiten am Ende ist. Es ist letztlich ein „Weiter so" mit weniger Mitteln. ({17}) Ich komme nun zu speziellen Problemen von Forschung und Technologie besonders in den neuen Ländern. Auch wir sind der Meinung, daß nur eine stabile Wirtschaftsentwicklung in den alten Ländern die Voraussetzung für den erfolgreichen Aufschwung Ost sein kann, ({18}) Das bezieht sich auf die Wirtschaft, die Industrieforschung und gleichermaßen auf die Grundlagenforschung, die Technologieentwicklung usf. Ohne Forschung hat die Industrie im Osten keinerlei Chance. Es wird auf Dauer ohne Forschung und ohne die zügige Umsetzung von Forschungsergebnissen keine neuen weltmarktfähigen Produkte geben, zumal die alten Ostmärkte auf absehbare Zeit nicht mehr existieren und wir verstärkt in die Westmärkte vordringen müssen. Ich möchte zuerst am Beispiel der Forschungs-GmbH zeigen, was in den neuen Ländern zur Zeit schiefläuft. Herr Kollege Professor Diederich ist heute vormittag nur mit einem Satz darauf eingegangen; ich möchte hier detaillierte Ausführungen machen. Wir hatten einmal 104 Forschungs-GmbH; zur Zeit sind es noch 47. Man kann zusehen, wie es wöchentlich weniger werden. Die gesamte Forschungslandschaft in den neuen Ländern wurde evaluiert. Eine wesentliche Aussage dieser Evaluierung ist, daß der ostdeutschen Forschung neben der Gründung von Blaue-Liste-Instituten, Großforschungseinrichtungen und der Anbindung an Bundesforschungsanstalten sowie der außeruniversitären Forschung in Forschungs-GmbH eine Grund- und Anschubfinanzierung gewährt werden muß, um die Möglichkeiten innovativer Entwicklung im industriellen Bereich zu erhalten. Diese Forschungseinrichtungen befinden sich in Treuhandbesitz und sind damit nur eingeschränkt wirtschaftlich handlungsfähig. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats sahen vor, eine degressiv zu staffelnde Anschubfinanzierung, ausgehend von 74 % - innerhalb von fünf Jahren auf 33 % des Budgets sinkend -, zu gewähren. Das steht bis heute aus und ist nach den Erklärungen des Wirtschaftsministers auf Grund fehlender Mittel nicht mehr vorgesehen. So weit so schlecht. Der Forschungsminister hat die Empfehlung des Wissenschaftsrates ziemlich ernstgenommen und entsprechend gehandelt. Das ist kein Grund zur Euphorie, aber im Vergleich zu seinen Ressortkollegen erwähnenswert. Der Landwirtschaftsminister und der Wirtschaftsminister haben dies komplett ignoriert. Wesentliche Projektmittel kommen aber aus den letztgenannten Ressorts. Der Wirtschaftsminister hat nun einmal Verantwortung für die industrienahe Forschung in den neuen Ländern. Er nimmt sie nicht wahr. In den Beratungen des Haushaltsausschusses kam schon fast peinlich zum Ausdruck, daß die Minister Möllemann und Kiechle das genannte Problem überhaupt nicht erkannt und für voll genommen hatten. Ich denke, das ist ein untragbarer Zustand, und ich fordere die Kollegen von der Koalition auf, die noch bestehenden Forschungs-GmbH mit der industrienahen Forschung in den alten Ländern gleichzustellen und sie gerecht zu behandeln. Das heißt, die empfohlene Grundfinanzierung muß sichergestellt werden, und die Projektfördermittel, von denen diese Einrichtungen zur Zeit ausschließlich überleben sollen, das aber nicht können, müssen beibehalten werden. Es bedarf keiner sonderlich großen Anstrengung, und man braucht auch nicht unanständig viel Geld, um das Problem zu lösen. Der Wille muß allerdings vorhanden sein, und es muß auch einmal gelingen, zwischen mehreren Ressorts eine Abstimmung dazu zustande zu bringen. Wenn der schwarze Peter zwischen Möllemann, Kiechle und auch dem Forschungsminister, der im Prinzip nicht verantwortlich ist, hier und dort aber etwas tut, hin- und hergeschoben wird, kann man das Problem nicht lösen, und ich denke, die Zeit für die Betroffenen läuft in diesem Bereich dramatisch ab. ({19}) Im Sechs-Punkte-Programm von Minister Waigel ist von 100 Millionen DM für 1993 und 1994 für die industrienahe Forschung die Rede. Wir erwarten mit Nachdruck, daß dieses Geld auch genau für den hier genannten Bereich, also für die Sockelfinanzierung der Überlebenden, bereitgestellt wird. Ich denke, daß ich dazu nachher auch von den Kollegen aus der Koalition etwas hören kann. Was sind nun die Probleme der umgewandelten AdW-Einrichtungen: Blaue Liste, Großforschungseinrichtungen, Max-Planck- oder Fraunhofer-Einrichtungen? Die Mittel für Investitionen fehlen in Größenordnungen. Das ist bekannt. Gerätebeschaffung, Gebäudesanierung, Neubau sind vordringliche Angelegenheiten. Für die Einstellung von Spitzenleuten als Führungspersonal in den neuen Forschungseinrichtungen fehlen entsprechende Gehälter, um entsprechend gute Leute zu bekommen. Ich freue mich mit Ihnen gemeinsam, daß wir im Ausschuß unkonventionell die C-4-Problematik gelöst haben. Wichtig ist gleichermaßen die Bereitstellung von Wohnraum für wissenschaftliche Führungskräfte, von Wissenschaftlerwohnheimen und Begegnungszentren. Das ist ein dringender Hinweis an Länder und Kommunen, die hier auch Verantwortung tragen und handeln müssen. Ein weiteres Problem ist die Durchmischung von Wissenschaftlern aus den neuen und den alten Ländern, aber auch aus dem Ausland. Leider zeigt sich jetzt zunehmend, daß der Anteil von Wissenschaftlern aus den neuen Ländern besonders in Leitungsbereichen nicht entsprechend eingehalten wird. ich bitte das im Blick zu behalten und die daraus resultieren10722 den Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen. Sie wissen ja, Vorurteile lassen sich nicht widerlegen. Auch muß klargestellt werden, wie die Zukunftsaussichten aller entstandenen Forschungseinrichtungen aussehen, d. h. auch, wie die Forschergruppen später angebunden werden oder zu Institutionen werden. Man muß auch darüber nachdenken, wie das Mißverhältnis von Blaue-Liste-Einrichtungen und Großforschungseinrichtungen gegenüber den alten Ländern in Ordnung gebracht werden kann. Da geht es schließlich auch um ungerechte Haushaltsmittelbelastungen der neuen Länder. Man muß darüber nachdenken, ob nicht z. B. mehr Aninstitute zu gründen sind, um auch mehr qualitativ hochwertige Forschungskapazitäten zu retten. Ein Wort noch zu Bessi II: Ich denke, wir haben hier im Ausschuß den Forschungsminister auf den Pfad der Tugend gezwungen, indem einvernehmlich der Hinweis kam, daß Bessi II in den neuen Ländern, in Adlershof, wo ohnehin schwerwiegende Probleme bestehen, anzusiedeln ist. Er ist dem gefolgt. Hätten wir das nicht gemacht, wäre das - so nehme ich an - irgendwo in Bayern gelandet. Das war ja vorgesehen, und ich habe auch schon gesehen, wie er umkippte. Ich denke, daß das Problem so gut gelöst ist. Es ist im Prinzip das einzige neue Großforschungsgerät in den neuen Ländern und stellt sicherlich damit auch einen gewissen Kristallisationspunkt für die umgebende Forschungslandschaft dar. Ich bin ganz froh, daß wir das so erreicht haben. Wir haben auch hier sozusagen den Minister aus dem Waigelschen Würgegriff befreit. ({20}) Das sind einige Fragen, die ich hier aufgeworfen habe, die spätestens im nächsten Jahr voll beantwortet werden müssen. „Die Grundlagenforschung ist weltweit Spitze", schreibt der BMFT in einer Pressemitteilung. ({21}) Nach einem Zahlenvergleich kann das ja sein, aber die Frage ist, was man mit all den schönen Ergebnissen anfängt. Sie schreiben selbst: Angesichts der immer knapper werdenden Haushaltsmittel muß sich die Grundlagenforschung gerade im Hinblick auf ihre bisher vorzügliche Dotierung in finanzieller Hinsicht in Deutschland mehr denn je bemühen, auch dem Bürger den Sinn, Nutzen und Stellenwert der Grundlagenforschung klarer als bisher zu verdeutlichen. Sie muß eine Offensive der Verständlichkeit starten, um dem Bürger den Nutzen der Grundlagenforschung am konkreten Projekt darzulegen. Hierauf hat der Bürger und Steuerzahler ein Anrecht. ({22}) Man könnte meinen, Herr Minister Riesenhuber will zu den Haushältern überwechseln. Er müßte dann als erstes die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit dramatisch kürzen, ({23}) damit seine Beamten im Hause wieder zur normalen Arbeit übergehen können, und das Jammerlied von fehlenden Planstellen wäre damit zugleich erledigt. Er hätte auch längst darauf Einfluß nehmen können, die Verzahnung von Grundlagenforschung und industrieller Anwendung zu befördern, was sicherlich ein Hauptproblem ist, wenn es darum geht, die vielen guten Grundlagenforschungsergebnisse möglichst schnell in die industrielle Anwendung umzusetzen, was in Deutschland ein Problem ist und in Zukunft verstärkt ein Problem sein wird, da wir wissen, daß der weltweite Wettbewerb härter wird. Ich möchte abschließend den Mitberichterstattern und den Beamten des Forschungsministeriums für ihre hilfreiche Arbeit danken. Wir lehnen den Einzelplan 30 ab. ({24})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Solange der Finanzminister hier war, hatte ich etwas Schwierigkeiten, dem Kollegen Schnell zu antworten, weil er behauptet hat, der Forschungsminister befände sich im Würgegriff desselben. Wenn man den Haushalt genau kennt, lieber Kollege Schnell, wird man das nicht bestätigen können. Ich scheue mich allerdings jetzt nicht, das zu sagen, weil der Finanzminister nicht hier ist. Ich glaube, der Forschungsetat ist ganz anständig behandelt worden. Es sind eine Menge Mittel da ({0}) - nein, nein, das brauche ich überhaupt nicht abzulesen, Herr Diederich -, ({1}) mit denen man viel Vernünftiges durchsetzen kann. Wenn ich mir jetzt vorstelle - ich sage das besonders für die Zuschauer, weil man ja manchmal den Eindruck hat, hier werde pausenlos nur gestritten -, was wir, die Kollegen Mitberichterstatter, gemeinsam in dem Bereich des Wahlkreises des Kollegen Schnell, Potsdam und Umgebung/Berlin, und überhaupt in den neuen Bundesländern erreicht haben, was dort durchgesetzt worden ist, ({2}) nicht weil sich einer etwas zugeschoben hat, sondern weil es sachlich und forschungspolitisch gerechtfertigt war ({3}) - wenn man das vergleicht, schneidet er besser ab -, dann würde der Kollege Emil Schnell wahrscheinlich ganz rot werden, weil er ein schlechtes Gewissen hätte, was alles durchgesetzt werden konnte. ({4}) Ich glaube, es wäre auch für die Bürger von Interesse, zu erfahren, daß die Forschungspolitik im Hinblick auf die neuen Länder einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn gemacht hat, um dort die Forschungslandschaft neu zu strukturieren, zu reorganisieren und bessere Voraussetzungen für die Zukunft der Wissenschaftler und der gesamten Forschungsstruktur in den neuen Bundesländern zu schaffen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Austermann, mit diesen Bemerkungen haben Sie offensichtlich eine Frage provoziert. Herr Dr. Schnell, bitte schön.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Präsident, das war schon eine schwerwiegende Anschuldigung. Kollege Austermann, würden Sie bestätigen, daß ich in meiner Arbeit als Berichterstatter und im Haushaltsausschuß bemüht bin, nicht ausschließlich für meinen Wahlkreis irgendwelche positiven Dinge zu erreichen, sondern für die gesamte deutsche Forschungslandschaft, und würden Sie auch sehen, daß Sie in Ihrem Wahlkreis in der Vergangenheit auch besondere Aktivitäten entfaltet haben und daß das sicherlich bei mir wesentlich unterproportional zu betrachten ist?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Emil, ich halte es in der gegenwärtigen Situation für völlig legitim, daß Kollegen aus den neuen Bundesländern mit Nachdruck darauf dringen, einen Ausgleich im Bereich der Forschungslandschaft in Deutschland herzustellen. Ich halte das für richtig. Wir unterstützen das. Der Kollege Zywietz hat das im Haushaltsausschuß immer mitgemacht. ({0}) Meine Damen und Herren, anläßlich der Einbringung des Forschungshaushalts habe ich unterstrichen, daß die Forschungspolitik den Auftrag hat, dem kostenintensiven Standort Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb einen festen Spitzenplatz zu sichern. Ich habe einiges zu den Aufgaben gesagt. In den letzten zweieinhalb Monaten seit der Einbringung des Forschungsetats haben sich die Rahmenbedingungen erheblich verschärft. Ich will ein Zitat dafür als Beispiel nehmen. Es geht um eine Aussage des Präsidenten der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, der als Reaktion auf die Rezessionsgefahr unter anderem gefordert hat, in Deutschland Fortschrittsbremsen entscheidend zu lockern; nur mit neuen Technologien könnten wir auf internationalen Märkten bestehen. Ich hätte mir gewünscht, daß der Kollege Schnell zu dem Thema Fortschrittsbremsen, zur Einstellung der SPD zum Thema Gentechnik heute etwas gesagt hätte. Ich kann mich noch erinnern, daß im Jahre 1990 allein im Bundesrat von seiten der SPD 211 Einwendungen gekommen sind, um das Gentechnikgesetz zu verbessern. ({1}) Das kann nicht das Ziel sein, wenn man tatsächlich vorankommen will und diese Fortschrittsbremsen wegräumen will. Ein Beispiel dafür dürfte die Mikroelektronik sein. Die staatlichen Impulse seit Mitte der 80er Jahre haben nicht dazu führen können, daß sich bestimmte Elektronikunternehmen auf Dauer mutig nach vorne gewagt haben. Es dürfte nicht zu leugnen sein, ({2}) daß angesichts der starken Position japanischer und amerikanischer Chipproduzenten Sorge um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen informations- und kommunikationstechnischen Industrie angebracht ist. Deutschland braucht eine eigenständige, weltweit tätige und wettbewerbsfähige informations- und kommunikationstechnische Industrie. ({3}) - Sie teilen offensichtlich diese Auffassung, Frau Kollegin. Meines Erachtens kann unsere Industrie weder auf eine eigene Produktionsstätte für Speicherchips in Europa verzichten noch auf eine Eigenproduktion von mikroelektronischen Bauteilen oder Produktionsgeräten. Sie ist eine entscheidende Voraussetzung, um eine moderne Produktion anwendungsspezifischer Chips, also von ASICs, aufnehmen zu können. Hier ist vor allem die angewandte Forschung bedeutsam. Die Mittel müssen dort verstärkt werden. Ich glaube, wir können ganz generell sagen: In der gegenwärtigen Situation müssen wir dazu kommen, daß wir schneller - wie das Professor Syrbe auf einer Veranstaltung heute vormittag gesagt hat - vom Gedanken zum Produkt kommen: von dem, was sich Forscher ausgedacht haben, zu einem marktfähigen Produkt, das wirtschaftsmäßig umgesetzt wird und das die Wettbewerbssituation für die deutsche Industrie und die deutschen mittelständischen Betriebe verbessert. ({4}) Dazu muß meines Erachtens die Forschungspolitik, die Mikroelektronikpolitik einen entscheidenderen Beitrag leisten. Aber wir erwarten natürlich auch, daß die Industrie einmal gefaßte Ziele, die sie sich selber vorgegeben hat, durchsetzt und durchhält. So sollte meines Erachtens bald eine klare Aussage zum Thema 64-Megabit-Chip kommen. Es geht darum, ob der tatsächlich bis 1995 oder 1996 in Deutschland produziert wird. 1993 sollte auch die Entscheidung bekanntgegeben werden, ob der neue Chip in Regensburg oder in der Nähe von Paris gefertigt werden würde. ({5}) - Nein, ich glaube, daß die neuen Bundesländer eher ein geeigneter Standort wären. Der Bund kann nicht Forschungsprojekte unterstützen, wenn die Unternehmen den Mut verlieren, sie durchzuführen. Wir sollten dabei bleiben: Wenn die europäische Elektronikindustrie bereit ist, eine neue Produktionsanlage für die Chips, den Rohstoff der Zukunft, zu errichten, dann sollte dies in den neuen Bundesländern mit einer vernünftigen Unterstützung geschehen. Meine Damen und Herren, Prognosen der OECD sehen die Elektronik im Jahr 2000 an der Spitze aller Industriezweige mit der Mikroelektronik als Antriebsfeder. Wenn der Staat schon fördern soll, dann muß dies auch vorrangig der Wettbewerbsfähigkeit unserer Firmen dienen. Das muß dann auch - anders als sich JESSI jetzt zu entwickeln scheint - zu einer Plattform für die europäische und die deutsche Industrie werden, denn es geht ja um Marktanteile. Ganz wesentlich müssen dabei kleine und mittlere Unternehmen unterstützt werden, die intelligente Produkte brauchen und herstellen. Ich glaube, es ist erfreulich, nach der letzten Sitzung des Treuhandausschusses in Dresden festzustellen, daß mit Hilfe der Treuhandanstalt eine Neustrukturierung der Mikroelektronik in den neuen Bundesländern begonnen worden ist; unbefriedigend sicher, was die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, aber von der Grundstruktur her sicher richtig. ({6}) Lassen Sie mich nach der Mikroelektronik ein zweites Thema ansprechen. Es ist das Thema Raumfahrt. Nach der Einbringung des Haushalts konnte inzwischen auch Klarheit über die Weiterentwicklung der europäischen Raumfahrt gewonnen werden. Hier haben sich die Rahmenbedingungen in mehrfacher Hinsicht geändert. Die ehemalige Sowjetunion steht als künftiger Partner bereit. Kosten können durch eine europäische Zusammenarbeit gespart, größere Technologiesprünge erzielt werden. Herr Minister, wir begrüßen ausdrücklich die Ergebnisse der Granada-Konferenz, die eine Neudefinition und Beschränkung des ESA-Programms gebracht hat. Es wird jetzt klargestellt, was gemacht werden soll. Es ist klargestellt worden, was nicht gemacht werden soll. Mir persönlich scheinen die 130 Millionen für ein HERMES-Nachfolgeprogramm oder - wie immer man das nennt - Technologieprogramm immer noch zu hoch zu sein. Aber es ist wichtig, daß wir international bzw. europäisch Klarheit haben. Ich glaube, man muß auch deutlich sagen, daß ein wesentlicher Teil von dem, was dort investiert wird, nach Deutschland zurückkommt. ({7}) Es bleibt dabei, daß sich Deutschland über die ESA an verschiedenen Projekten beteiligen wird. Die Verpflichtung aller Beteiligten bleibt darzustellen, daß diese enormen Ausgaben für den Bereich Raumfahrt eine Bringschuld sind: Dem Bürger muß immer wieder deutlich gemacht werden, wo dafür konkret der Nutzen liegt. Lassen Sie mich einen dritten Punkt ansprechen. Es ist der Beitrag der Forschung für eine umweltfreundliche Energiegewinnung. Vorhin fand die Umweltdebatte statt. Es wurde kritisiert, daß der Umweltetat zu klein sei. Ich meine, daß Umweltminister Töpfer überzeugend argumentiert hat, daß es nicht nur um Geld geht, sondern daß auch Vorschriften Wesentliches bewirken können. Wir können darüber hinaus deutlich machen, daß der Forschungsetat immerhin auch an die 350 Millionen für ökologische Forschung bereitstellt. Aber wir haben auch die Aufgabe, für eine bessere, umweltfreundlichere Energiegewinnung zu sorgen. Die Kernenergie hat heute ihren festen Platz bei der Stromerzeugung in der Bundesrepublik. Ihr Anteil beträgt ca. 30 %. An der Entwicklung und dem Aufbau hatte das Forschungsministerium in den letzten Jahrzehnten erheblichen Anteil. Immerhin wurden 41 Milliarden DM seit 1956 für die Förderung der Kernforschung und der Kerntechnik aufgewendet; darunter auch viele Beiträge für die Errichtung von Forschungsreaktoren. Wenn man das weiß, sieht man natürlich die besondere Verpflichtung, die daraus entsteht, heute mit ganzer Kraft auch andere Energieträger entsprechend zu unterstützen; insbesondere nachdem man weiß, daß durch Rückbau- und Stillegungsmaßnahmen der Haushalt des BMFT in den folgenden Jahren ganz deutlich belastet wird. Allein für Rückbaumaßnahmen wird im nächsten Jahr mit rund 300 Millionen DM gerechnet. Dies ist übrigens überhaupt kein Anlaß für Sozialdemokraten, dicke Backen zu machen, wenn man ganz genau weiß, daß ein wesentlicher Teil der Projekte, die wir nun zurückbauen und entsorgen müssen, zu Zeiten von sozialdemokratischen Bundeskanzlern ins Werk gesetzt wurden. ({8}) Ich glaube, daß es wichtig ist, daß wir darauf hinweisen, welches enorme finanzielle Belastung aus dieser Politik entsteht, ohne daß ich damit nicht noch einmal unterstreiche: Wir werden einen wichtigen Beitrag zu einer besseren und zu einer umweltfreundlicheren Energieversorgung ohne die Kernenergie auf absehbare Zeit nicht leisten können. Ich möchte nun etwas zu anderen umweltfreundlichen Energieträgern der Zukunft sagen. Seit vielen Jahren investieren wir in erneuerbare Energien. Wir haben immerhin erreicht, daß die Windenergie mit Hilfe des Forschungshaushalts zu einer wirtschaftlichen Stromquelle entwickelt werden konnte. Aber sie wird selbstverständlich nicht der Energieträger der Zukunft sein. Gleiches gilt für die Photovoltaik und die Wasserstofftechnologie, die sich in den nächsten Jahren noch nicht als Alternativen anbieten. - Versuche mit Rapsöl und Bioethanol konnten noch keine abschließenden Ergebnisse bringen. Aber ich meine wohl, daß es nach dem Zwischenbericht, Herr Minister, den Sie vor kurzem vorgelegt haben, durchaus angebracht ist, daß wir die guten Ansätze verstärken. Es gibt gute Ansätze im Bereich der Nutzung von Biomasse für erneuerbare Energie. Machbarkeitsstudien sind auf dem Weg. Ich wünsche mir als nächstes Ziel in diesem Bereich das erste Biomasse- oder Biokraftwerk mit Unterstützung des Forschungsministeriums. Wenn man weiß, welche Flächen in absehbarer Zeit aus der Landwirtschaft - aus der landwirtschaftlichen Produktion, aus der Nahrungsmittelproduktion - genommen werden - allein 5 Millionen ha in der Bundesrepublik -, dann weiß man, welche Kapazität dort zur Verfügung steht, um z. B. Biomasse als Energieträger zu nutzen. Ich halte dies für richtig und wichtig, zumal wir dann auch die Möglichkeit haben, den Landwirten einen Weg zu eigenem Einkommen zu schaffen ({9}) und ihnen das zukommen zu lassen, was ihnen tatsächlich zusteht. Die Voraussetzungen in den neuen Bundesländern, aber auch in Osteuropa sprechen ebenfalls dafür, diesen Weg zu verstärken. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Ich habe zum Thema Gentechnologie etwas gesagt. Auch hier sind wir ein Stückchen weiter als vor zwei Monaten. Wir haben unsererseits die Absicht erklärt, bis zur Sommerpause des nächsten Jahres ein neues Gentechnikgesetz mit den entsprechenden Verordnungen zu erlassen. Dies ist unbedingt erforderlich für Mensch und Umwelt, um die Biotechnologie vernünftig zu nutzen. Es darf nicht mehr sein, daß Naturwissenschaftler aus der Bundesrepublik abwandern müssen, weil sie hier nicht die Arbeit leisten können, die im Interesse neuer Produkte dringend geboten ist. Wir werden das Gesetz im nächsten Jahr verabschieden. Ich hoffe hier auf Unterstützung aller Einsichtigen. ({10}) Der Bundesrat darf nicht wieder technikfeindliche Stoppsignale setzen. Es muß verhindert werden, daß einzelne Landesverwaltungen oder Regierungspräsidenten, wie z. B. in Köln, im Genehmigungsverfahren ihre eigene Forschungspolitik betreiben. Der neue Forschungsetat setzt aber auch deutliche Zeichen für den Aufbau und Ausbau der Forschung in den neuen Ländern. Ich habe einiges nicht nur zum Standort Potsdam, sondern auch zu den neuen Bundesländern insgesamt gesagt. 1993 stehen 1,75 Milliarden DM zur Verfügung. Hinzu kommen die Mittel des Hochschulerneuerungsprogramms - 188 Millionen DM - und für den Bau, die Sanierung und die Gerätebeschaffung in außeruniversitären Forschungseinrichtungen - ein Betrag, der vom Redner der Opposition vergessen worden ist -, 50 Millionen DM in bar. Im Haushaltsausschuß haben wir gemeinsam dazu beigetragen, weitere 100 Millionen DM an Verpflichtungsermächtigungen einzustellen. Wenn ich das alles addiere und das abziehe, was für die nachwachsenden Rohstoffe in den Agraretat gegangen ist, komme ich auf eine Größenordnung des Forschungsetats von rund 10 Milliarden DM. Angesichts der Aufgaben, die unsere Wirtschaft, unsere Forschungspolitik hat, sicher nicht zuviel, aber angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen sicher auch nicht zuwenig. Wir haben in den neuen Bundesländern einiges erreicht. Viele Institute sind neu geschaffen worden; es gibt 25 neue Technologiezentren. Eine Fülle innovativer Unternehmen zeigt, daß die Entwicklung neuer Produkte in Richtung mehr Wettbewerb weist. Es gibt 9 Fraunhofer-Institute, 14 Außenstellen und eine ganze Reihe von Instituten der Max-PlanckGesellschaft; 27 Institute stehen allein im neuen Haushalt. Bezieht man Industrieforschung und Hochschulerneuerung ein, haben wir insgesamt ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann. Wir haben in den Beratungen im Haushaltsausschuß in der Tat deutliche Akzente bei den erneuerbaren Energien, der Mikroelektronik, der Meerestechnik einschließlich der Schiffstechnik gesetzt. Wir haben ebenfalls klare Aussagen zu anderen Bereichen gemacht, auch zu einem Projekt, das wir dringend für unterstützungsbedürftig halten: der Gewinnung von Rohstoffen im Off-shore-Bereich. Wir haben deutlich gemacht: Unsere Unterstützung für den Technologietransfer muß wieder stärker werden. Das sind keine Subventionen, sondern das ist Zukunftsvorsorge. Wir brauchen eine behutsame Kurskorrektur: mehr angewandte Forschung, weniger Grundlagenforschung, mehr Prosa, weniger Lyrik. „Was bekomme ich an Erkenntnissen?" muß eher gefragt werden. Wir müssen schneller vom Gedanken zum Produkt kommen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Mit den eindeutigen Schwerpunkten bei Informationstechnik und Mikroelektronik, Materialforschung und Verarbeitungstechnologie, Biotechnologie und Medizin, Energietechnik und Umwelttechnologie sowie Verkehrstechnik und Raumfahrt gibt es ein schmaleres Spektrum als früher. Es gibt weniger klare Ziele, aber dafür sind diese deutlicher definiert. Wir sind der Meinung, das Forschungsministerium, der Minister hat eine gute Arbeit geleistet, was ihm übrigens auch in Umfragen bestätigt wird, die ich gerne einmal erwähnen möchte. Deshalb stimmen wir diesem Etat, von uns kräftig verstärkt, für das Jahr 1993 mit voller Kraft zu. Herzlichen Dank. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Werner Zywietz. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gute Kräfte werden bei uns häufig eingesetzt. Das ist halt so. Wir sind eine Leistungspartei. ({0}) - Soll ich nun sagen, das kann ich verstehen? Aber ich werde mich nicht ablenken lassen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Phase der, wie ich es sehe, größten Herausforderung für deutsche Politik seit langem, nämlich der Vervollkommnung der deutschen Einheit und auch der Vervollkommnung des europäischen Marktes, brauchen wir nicht eine Klagementalität, wie ich sie aus den einleitenden Darlegungen seitens der SPD doch sehr deutlich herausgehört habe, und auch nicht eine Wettbewerbsverteilungsmentalität, sondern eine Fortschritts- und Leistungsmentalität. ({1}) Diese ist im rauher gewordenen Wettbewerb um ökonomische und wissenschaftliche Spitzenpositionen äußerst erforderlich, denn leistungsfähige Länder um uns herum sind nicht gerade langsam, sondern sehr tüchtig. Der gute Ruf Deutschlands und das Bild vom tüchtigen, verläßlichen Deutschland war neben anderen Eigenschaften immer auch gepaart mit hoher Leistungsfähigkeit im dualen Bildungssystem, im beruflich orientierten Bereich, aber vor allem auch im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Aber wir alle wissen, solche guten Plätze sind immer hart umkämpft. Es gibt keinen Erbanspruch darauf, sondern das muß immer wieder erkämpft werden. Gerade dieser Haushalt legt Grundlagen, die uns eine faire Chance geben, einen solchen Spitzenplatz im wissenschaftlichen und forschungspolitischen Wettbewerb zu erhalten. Nach dem, was ich gehört habe, ist - entgegen dem, lieber Emil Schnell, was du heute zum Ausdruck gebracht hast - zumindest in der Fraktionsspitze der SPD erfreulicherweise die Erkenntnis etwas gewachsen - ich habe mir das aus der Rede des Fraktionsvorsitzenden Klose notiert -: Wir müssen mehr auf Produkte der neuen Generation setzen. ({2}) Da kann ich nur sagen: Sehr wahr. Diese Erkenntnis können wir - so entnehme ich dem Beifall - auf allen Seiten unterschreiben. Man muß das jetzt nur organisieren und richtig auf den Weg bringen. ({3}) - Ja, das hat so seine Schwierigkeiten. Daran sind nämlich viele beteiligt, und Zukunft ist immer ungewiß. Sich sozusagen anzunähern hat so seine Schwierigkeiten. Es ist wichtig, daß wir den Weg vom Erkennen zum menschlichen Nutzen organisieren, konzentrieren und zuordnen. Da gibt es die Beteiligten, die Forscher, da gibt es aber auch die Wirtschaft, die Manager, die Verantwortlichen der Wirtschaft, und da gibt es politisch Verantwortliche. In diesen Tagen ist immer soviel vom Soliarpakt die Rede, den ich gar nicht in Abrede stellen will. Aber gerade in der jetzigen Zeit des härteren Wettbewerbs und der knapperen ökonomischen Ressourcen scheint mir ein weiteres Bemühen - wir bemühen uns zweifelsohne auch jetzt schon -, einen solchen Forschungspakt wirklich effizient zu machen, sehr vonnöten zu sein. Bildhaft gesprochen - wenn es mir nicht verübelt wird -, möchte ich meinen, man braucht so etwas wie ein Trüffelschwein, das herausfindet, welches die Produkte von morgen und übermorgen sind. Das steht ja nirgends an der Wand geschrieben. Wer könnte denn dieses Trüffelschwein sein? ({4}) Nun kann man sagen: Wer sich mit der Wissenschaft beschäftigt, hat am ehesten ein Gefühl und einen Eindruck davon, welche Produktlinien - Mikroelektronik, Optik, Biotechnologie, was immer es auch sein mag - diese Zukunft haben könnten. Aber auch die Industrie ist hier sehr gefordert. Die Politik muß auch darauf hören, welche Zeichen von denen kommen, die auch Forschung - sogar den wesentlichen Teil - betreiben, nämlich auf die Industrieunternehmen. Die Signale aus der Marktnähe für das, was Menschen in der Zukunft brauchen, müssen in der Politik aufgenommen, verstärkt und unterstützt werden, wenn das Werk - so möchte ich einmal sagen - gelingen soll. Wir sind dabei, das hinzubekommen. ({5}) Lieber Kollege Emil Schnell, das ändert auch nichts daran, daß der Finanzanzug - aus Gründen, die ich nicht weiter ausführen muß - in der Tat ein bißchen sparsamer als in der Vergangenheit ist. Aber auch da gibt es zwei Bilder. Man kann sagen: Der Anzug muß immer größer werden, dann wächst auch die Körperfülle. Aber das sieht weder gut aus, noch ist das zum Schluß sonderlich leistungsfähig. Man kann auch sozusagen ein umgekehrtes Bild nehmen und sagen: Den Anzug proportionieren wir auf einen gut trainierten Körper, auf einen wissenschaftlichen Körper. Das macht auch Sinn. Ich will dieses Bild nicht überstrapazieren, d. h. aus dem sportlichen Körper soll nicht eine schwindsüchtige Wissenschaftsfigur werden. Aber nur „mehr, mehr" zu sagen, was die Finanzen anbelangt, heißt noch lange nicht, die Leistungsfähigkeit gesteigert zu haben. Deswegen würde ich die doch etwas pauschale Kritik, die Finanzmittel reichen nicht, es gibt Versäumnisse im Wissenschaftsbereich, mir nicht zu eigen machen. Im selektiven Sparen liegt auch eine Chance. Aber man muß es nicht mit dem Rasenmäher machen, man muß gutes Saatgut - was Wissenschaft für den wirtschaftlichen Forschritt ist - haben. Man soll Saatgut allerdings nicht verspeisen. Das macht man nur in der größten Not, aber dann hat man sich auch um seine Zukunft gebracht. Wenn man die Saatkartoffeln verspeist und nicht in den Boden bringt, dann ist es um die Zukunft eigentlich geschehen, dann wird es ganz schlimm. Also muß man sehen, daß dieses Saatgut schön selektiv in den Boden kommt. ({6}) - Nein, aber mein Vater war Landwirt. Das genügt. Glauben Sie mir, an dem Bild ist eine Menge dran. Wir bemühen uns, dieses Saatgut nicht nur in den richtigen Branchen einzubringen, sondern auch in Gesamtdeutschland. Ein paar Schlußbemerkungen zu den kritischen Anmerkungen der SPD. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, daß wir die Chancen für eine Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern, in der Ex-DDR, nicht wahrgenommen hätten. Wenn ich alle Daten zusammenlege, wird deutlich: Die Zahl der Stellen ist erhöht. Vom Bund sind 730 Millionen DM für den Haushalt 1993 vorgesehen. Die Länder mit ihren Anteilen bringen es auf etwas über 1 Milliarde DM. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können: 1992 pro Forschungsplatz 36 000 DM, im neuen Haushalt pro Forschungsplatz im Schnitt 46 000 DM. Die qualitative Abstützung des Handwerkszeugs wird dadurch besser. Das soll ja das Bild sagen. Als ich kürzlich durch das sympathische Potsdam gefahren bin, lieber Emil, habe ich kaum noch ein repräsentatives Haus gesehen, an dem nicht „Forschungsinstitut für ... " stand. Dort scheinen alle besseren Immobilien für forschungspolitische Einrichtungen vergeben zu sein. Dort und in der weiteren Umgebung von Berlin herrscht daran also kein Mangel.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Zywietz, sollten Sie es einmal schaffen, wenn ich während einer Haushaltsdebatte präsidiere, ohne Aufforderung das Rednerpult zu verlassen, dann gebe ich Ihnen einen halben Liter aus. ({0})

Werner Zywietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002612, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, das ist ein äußerst verführerisches Angebot. Ich habe den Eindruck, wir sehen uns heute noch wieder. Ich sage: Wir haben für eine Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern Gutes getan und werden im Haushalt 1993 noch mehr leisten. Weiter möchte ich feststellen: Die F.D.P. ist sehr zufrieden, daß wir für den Haushalt 1993 Akzente gesetzt haben, wie sie der Kollege Austermann skizziert hat. Der meiner Meinung nach zu großzügige Aufwuchs in der Luft- und Raumfahrt wird auf ein erträgliches und notwendiges Maß zurückgeschraubt. All dies sind Zeichen, die uns mit Hoffnung erfüllen. Das Ressort, ausgestattet mit diesen Mitteln und Möglichkeiten, ist bei Ihnen, Herr Minister, in den besten Händen. Wir danken Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Ingeborg Philipp.

Ingeborg Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vor uns liegende Jahr 1993 ist ein Jubiläumsjahr besonderer Art: Wir treten in das dritte Jahrtausend unserer Zeitrechnung ein. Es ist nämlich ein Zeitrechnungsfehler von sieben Jahren passiert. Das Jahr 1993 ist wirklich das 2 000. Geburtsjahr von Jesus. Zu einem solchen Zeitpunkt sollte ein großer Wunsch frei sein, ein großer Wunsch an die Forschung: Sie sollte aktiv für den Frieden auf unserer Erde arbeiten. Ich weiß, daß sehr viel geistige und auch emotionale Kraft gebraucht wird, um das herbeizuführen. Welche Gedanken bedrücken jene Menschen, die den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des 20. Jahrhunderts aktiv mitbestimmt haben? Da ist zunächst eine moralisch hochbrisante und erschrekkende Bilanz zu ziehen: zwei Weltkriege, die den wissenschaftlich-technischen Fortschritt sehr fragwürdig umgesetzt haben - mit Giftgas im Ersten Weltkrieg und Atombomben im Zweiten Weltkrieg. Dazu kommen der High-Tech-Krieg am Golf und die technisch verfeinerte und auf den höchsten Entwicklungsstand gebrachte übliche Waffentechnik. Was sind das für Fortschritte! Auch heute wird mit Waffenexporten ein gutes Geschäft gemacht, werden hohe Gewinne erzielt. In Jugoslawien, der Türkei und anderen Spannungsgebieten werden Menschen mit deutschen Waffen umgebracht. Wir wissen das und lassen es geschehen, weil wir ohnmächtig sind. Wir sollten unseren Erfindungsgeist besser auf Hochtechnologien zum Ausschalten und Unwirksammachen konventioneller Waffen konzentrieren. Es geht nicht um die eigene Bewaffnung von Bundesbürgern hinter der Wohnungstür - wie es in Amerika schon lange üblich ist mit Waffen, die denen der Angreifer gleichen, sondern mit Waffen, die eine Blockierung von Angriffswaffen bewirken. Die Bearbeitung dieser Aufgabe wurde wahrscheinlich noch nicht mit Nachdruck öffentlich eingefordert. Sie ist aber dringend notwendig. Waffenblokkierungsgeräte sind Bedarfsartikel geworden. Sie könnten ein Exportgut werden, das Arbeitsplätze schaffen und hohe Absatzmöglichkeiten haben kann und das den Frieden auf unserer Erde sichern hilft. Der erfinderische Geist der Menschen ist reich. Es wird eine lösbare Aufgabe sein. Natürlich müssen dafür viele, viele Kräfte eingesetzt werden. In unserer Zeit einer eskalierenden Gewalt müssen wir grundsätzlich neue Wege beschreiten. Das Heimzahlen mit gleicher Münze geht einfach nicht mehr. Es ist moralisch schon lange überholt. Auch staatliche Gewalt ist überholt. Wir brauchen eine sanfte Gewalt, welche die Menschen nicht verletzt. Aggressivität kann auch psychologisch beeinflußt werden, z. B. durch Polizisten, die gut ausgebildete Psychologen und mit Abwehrwaffen ausgerüstet sind, die nicht verletzen, sondern nur kampfunfähig machen. Auf Gewaltabwehr und Gewaltausübung trainierte Polizisten sind emotional überfordert. Auch Polizisten sind unsere Mitmenschen, die wir vor Schaden bewahren müssen. Aber das gilt auch für unsere jungen Leute und unsere Kinder. Sie müssen in eine friedliche Zeit hineinwachsen können. Horrorfilme und Gewaltszenen dürfen ihr Leben nicht mehr begleiten und vergiften, sondern die Probleme des Friedenschaffens zwischen den Menschen müssen ihr Denken und Fühlen bewegen. Wir brauchen ein friedliches drittes Jahrtausend. 2 000 Jahre Kriege und Konflikte reichen. Wir müssen den Sprung in eine friedliche Welt schaffen. Dafür hat zehn Jahre vor Marx der glaubwürdige Christ Wilhelm Weitling eine wichtige Vorarbeit geleistet. In seinen Büchern und Schriften orientiert er auf Arbeit und Genuß für alle, auf das Prinzip „nicht strafen, sondern heilen" und auf Gewaltlosigkeit. Diese Gedanken sollten wir praxiswirksam umsetzen. Ich wünsche mir, daß viele von uns die revolutionären Anforderungen des Christentums ernst nehmen und mit dem allgemein üblichen Vorteildenken Schluß machen. Um unserer selbst und unserer Kinder willen brauchen wir Menschen, die, wie Bischof Mitzenheim sagte, das Nebeneinander und auch Gegeneinander in ein Miteinander und Füreinander verwandeln. Erst dann werden wir die verlorengegangene Lebensfreude in das Leben vieler zurückholen können. Schon Bertha von Suttner sagte: „Habt doch endlich den Mut zur Liebe!" Diesen Mut wünsche ich vielen von uns und einen großen Erfindungsreichtum für die Gestaltung des Friedens zwischen den Menschen. Danke. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Bundesminister für Forschung und Technologie, Dr. Riesenhuber. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Gerhard Pfeffermann kennt mich genau. Er weiß seit ungefähr 30 Jahren, was ich sicher nicht tun werde, besonders deshalb, weil meine Rede erst entsteht, indem ich zuhöre, was die Kollegen sagen. Ich möchte zum Niveau des Haushalts gar nicht mehr viel sagen. Herr Kollege Austermann hat das mit großer Präzision dargelegt. ({0}) - Und Herr Schnell. Er gab nämlich Herrn Austermann die Gelegenheit, zu korrigieren, was hier falsch gesehen worden ist. ({1}) Insofern ist es eine wichtige Leistung gewesen. Ich will nicht die Zahlen im einzelnen durchgehen. Ich muß ganz offen sagen, daß wir noch mehr Geld sinnvoll ausgeben könnten, auch in Bereichen wie etwa der industriellen Forschung, Herr Kollege Schnell. Aber der Kern der Sache ist, daß wir unter schwierigen Verhältnissen einen Haushalt erstellt haben, der es nach seinem Volumen und seiner Struktur erlaubt, Forschung in Deutschland voranzubringen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, das hat Herrn Dr. Schnell schnell veranlaßt, eine Frage zu stellen.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie sind alle so zufrieden. Wie kann man dann folgendes erklären: Nicht nur Sie, sondern auch die Kollegen von der Koalition haben durchaus versucht, den Haushalt noch um eine gewisse Größe vernünftig aufzustocken. Weshalb wird, nachdem das nicht geglückt ist, diese Zufriedenheit zur Schau gestellt?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Lieber Herr Schnell, es gibt zwei Ebenen der Debatte. Die erste ist, daß man versuchen muß, für den Bereich, für den wir Verantwortung tragen, das Bestmögliche zu erreichen. Die zweite hat das gleiche Gewicht: Wir müssen Respekt haben vor der sehr schwierigen Situation des Gesamthaushalts, wo wir nur mit Kompromissen zu einer vernünftigen Lösung kommen können. Deshalb freue ich mich über das, was jetzt mit einer guten Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß erreicht worden ist. Aber ich freue mich über jede Mark, die der Haushaltsausschuß in seiner Weisheit und Güte mir in künftigen Verhandlungen geben kann. Wir können sie dringend für die Aufgaben brauchen, vor denen wir stehen. ({0}) Das heißt, wir werden, Herr Schnell, noch öfter gezwungen sein, uns entscheiden zu müssen. Dann kommen wir auch zu sehr grundsätzlichen Entscheidungen, etwa zur Frage, ob wir mehr in den Konsum oder mehr in die Zukunft stecken wollen. Das wird eine Frage sein, die auch über den Forschungshaushalt hinaus grundsätzlich gestellt werden muß. Nun fragt der Herr Kollege Zywietz in dem Zusammenhang, wie man unter den Bedingungen knapper Haushalte Prioritäten setzt. Das ist eine richtige Frage: sie ist von einer anderen Seite auch von Herrn Schnell aufgegriffen worden. Es ist eindeutig, daß wir mit großer Konsequenz seit 1982 Prioritäten gesetzt haben. Die Nukleartechnik ist wieder genannt worden. Bei Nukleartechnik haben wir die Projekte seit 1982 auf ein Sechstel zurückgefahren, bei Kohleforschung auf ein Drittel; nicht, weil ich etwas gegen Nukleartechnik oder Kohle hätte, sondern deshalb, weil wir die neuen Prioritäten dort setzen müssen, wo neue Aufgaben für uns entstehen. Wir haben auch im letzten Haushalt einen stetigen Zuwachs der prioritären Bereiche gehabt. Hier ist Umweltforschung angesprochen worden, auch in Anknüpfung an die Debatte, die soeben mit Herrn Töpfer geführt worden ist. In der Umweltforschung haben wir den Ansatz wieder überproportional gesteigert. Bei Gesundheit, bei Ökologie, bei Klimaforschung haben wir Steigerungsraten von jeweils um die 7 %. Im Haushalt des Forschungsministers hatte die Vorsorgeforschung 1982 einen Anteil von 9 %; jetzt ist sie mit 18 % beteiligt. Dort, wo der Staat Verantwortung trägt, setzen wir einen Bereich von Prioritäten, weil wir eine Verantwortung für unsere Umwelt haben. Das haben wir in einer überzeugenden Weise angegangen. Wo wir noch weiter einschneiden können, müssen wir uns genau anschauen. Das wird eine schwierige Debatte sein. Herr Austermann hat nachdrücklich für die erneuerbaren Energien plädiert. Hier haben wir einen enormen Haushalt, verglichen mit konkurrierenden Nationen. Können wir das weiter tun? Sollen wir das weiter tun? Können wir darauf verzichten? So kritisch und schmerzhaft werden die Fragen sein. Bei Umwelttechniken sind viele Fragen abgearbeitet, andere müssen wir noch angehen. Die Altlasten in den neuen Bundesländern gehören zu den Fragen. Wo schneiden wir hier noch schärfer ein? Das heißt, wir haben in den vergangenen Jahren das Profil geschärft. Wir werden es auch noch weiter schärfen. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß wir unter den Bedingungen von sehr knappen Haushalten versuchen müssen, Prioritäten zu setzen. Das gilt auch für die Techniken. Wir haben einiges im Bereich der neuen Techniken aufgebaut. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung bei der Informationstechnik, die der Kollege Austermann vorgetragen hat. Wenn wir jetzt von den Technologien des 21. Jahrhunderts sprechen und dafür schon 250 Millionen DM eingesetzt haben, dann ist das ein sehr beachtlicher Betrag, der auch eine überproportionale Wachstumsrate bedeutet. Die Frage ist, wie man die Strategie im ganzen anlegen soll. Herr Zywietz hat gefragt: Wie soll man die neuen, richtigen Bereiche finden? Er hat mich liebenswürdigerweise einerseits mit einem hypothetischen Trüffelschwein verglichen, andererseits hat er die Schlankheit von Körpern gewürdigt. Das sind beides richtige Betrachtungsweisen. ({1}) Bei der Frage, wie man die neuen Themen findet, wenn wir von Techniken sprechen, gibt es, glaube ich, nichts Besseres als den Markt. Wir haben uns immer darauf verlassen, daß die Verantwortung der Unternehmer hier die Themen und Techniken findet. Je mehr der Staat versucht, Zukunft vorzugeben, desto geringer wird Dynamik und Kreativität. Deshalb haben wir es von unten her aufgebaut. ({2}) Was wir bei dieser Strategie entwickelt haben, ist eine Vielfalt von Fragestellungen, über die wir an anderer Stelle diskutiert haben. Wir versuchen, das beste Wissen aus unterschiedlichen Bereichen frühzeitig heranzubringen. Die Großmann-Kommission, die Delphi-Umfrage bei 3 000 Experten, die Untersuchungen, die wir über ISI machen lassen, viele Gesprächskreise mit unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, die Gesprächskreise mit der Industrie, mit den Forschungschefs der Wirtschaft - dies alles ist der Versuch, viele Trüffelschweine auf einen fruchtbaren Eichenwald loszulassen, die dann glücklich nach Hause ziehen, weil sie was gefunden haben. ({3}) Was sich hier entwickelt, ist nicht etwa eine Strategie, bei der der Staat die Ziele vorgibt. Aber er gibt Voraussetzungen und Instrumente. Hier ist die Frage gestellt worden - sie ist zu Recht gestellt worden -: Wie setzen wir die Ergebnisse um? Auch hier ist es zuerst eine Frage an die Wirtschaft. Auch der Wirtschaftssachverständigenrat weist in seinem letzten Gutachten darauf hin, daß die Wirtschaft die Verantwortung hat, aus Grundlagenforschung Neues zu entwickeln, und daß der Staat dafür einzustehen hat, daß die Grundlagenforschung stark und gut ist. Ich will jetzt nicht wiederholen, was zu den Zahlen gesagt worden ist. Wir haben eine exzellente Grundlagenforschung. Ich akzeptiere, daß wir in diesem Jahr bedauerlicherweise keinen Nobelpreisträger gehabt haben. Die Grundlagenforschung ist exzellent mit hochengagierten Forschern, mit einem Glanz in der internationalen Community, der auch für die Zukunft tragfähig ist. Die Forschung weiß, daß sie in Jahren knapper Haushaltsmittel nicht mehr alles kriegen kann, was wünschenswert oder interessant wäre. Aber sie weiß auch, daß die Zukunft und das, was sie erreichen will, von ihrer eigenen Kreativität und ihrem Unternehmungsgeist abhängen wird. Bei der Umsetzung kann der Staat an einigen Stellen etwas machen. Wir haben die Auftragsforschung begonnen, damit Unternehmen und Institute überhaupt enger zusammenarbeiten. In den neuen Ländern bauen wir jetzt die gleichen Strukturen von vornherein auf, damit sie sich gemeinsam entwickeln und aufeinander zugehen, damit sie miteinander vernetzt sind, damit sie sich gegenseitig tragen. Wir haben die Kooperation beim Austausch von Personal entwickelt. Wir haben Strategien entwickelt, bei denen gemeinschaftliche Projekte aufgebaut worden sind. Sie können sehen, was in den vergangenen Jahren in Deutschland entstanden ist, etwa beim Verbundprojekt Eureka, wie Euro-Laser im Maschinenbau wirksam geworden ist mit einer neuen Generation von Lasern, wie sich Fertigungstechniken, neue Materialien am Markt durchgesetzt haben, und zwar aus der Grundlagenforschung entwickelt. Nun räume ich ein, daß das Tempo der Umsetzung bei uns noch nicht so schnell ist, wie es sein müßte. Ich hätte es auch gern schneller. Der Staat kann nur an einigen Stellen Voraussetzungen schaffen und die Zusammenarbeit organisieren, z. B. mit den Kollegen aus den anderen Ressorts. Bei den nachwachsenden Rohstoffen setzen wir das z. B. zusammen mit dem Landwirtschaftsministerium um über die Agentur, die wir jetzt gründen werden und mit der wir das vermarkten wollen. Mit dem Verkehrsminister reden wir über unser Projekt Prometheus, aber dann von der „intelligenten Straße" her, einer Straße, bei der eine von intelligenter Informationstechnik geprägte Infrastruktur schnellen Verkehrsfluß gewährleistet und Unfälle vermeidet. Wir reden mit dem Umweltminister über die Techniken, um sie bei der Sanierung von Altlasten einzusetzen. Wir entwickeln neue Techniken bei Buna, wir entwickeln neue für die unterschiedlichsten Bereiche kontaminierter Böden. Wir sprechen mit dem Postminister über das digitale Autotelefon. Er hat es durchgesetzt und eingeführt. Wir haben die Projekte Anfang der 80er Jahre begonnen. Das gilt genauso für den digitalen Hörfunk. Das ist ein Riesenmarkt mit enormen Chancen. Wenn der Staat die Voraussetzungen schafft - und wir schaffen sie in einem Zusammenspiel der Ressorts -, dann werden wir neue Märkte und Produkte bekommen. Hier hat der Staat Ausgaben als Voraussetzung für die Entwicklung der Märkte, aber nicht in der Bestimmung der Inhalte der Märkte und der Ziele. So sind wir es in der Bundesregierung in einer geteilten Verantwortung, aber in einer engen Zusammenarbeit angegangen. Es ist zu Recht bemerkt worden - Herr Austermann hat darauf hingewiesen -, daß wir durch Gesetze, z. B. durch das Gengesetz, neue Rahmenbedingungen schaffen müssen. Wir werden das auch schaffen. Wenn ein Pakt zur Forschung eingefordert worden ist, dann könnte er in diesem Zusammenhang heißen: Wir schaffen die Rahmenbedingungen durch ein Gengesetz, daß die Forschung ermöglicht, ermutigt und voranbringt. Die Wirtschaft konzentriert sich darauf, auch in der Industrie und auch in der Produktion unter den neuen Bedingungen Forschung aufzubauen. Es kann nicht sein, daß wir Rahmenbedingungen schaffen, die dann von der Forschung, aus der Wirtschaft, aus den Unternehmen, aus der Wissenschaft nicht offensiv aufgegriffen werden. Beides gehört zusammen, und beides gehört zu dem Verständnis, von dem wir reden. ({4}) Zum Reden gehört auch, daß jeder auch aus seiner Verantwortung heraus spricht. Die Wirtschaft beklagt manchmal das technikfeindliche Klima in Deutschland. Hier hat die Politik einiges zu sagen, aber die Wirtschaft und die Wissenschaft genauso. Man glaubt nur den Leuten, die kompetent und aus eigener Verantwortung die Sache kennen, d. h. denen die vertrauensschaffend zu den Fragen sprechen können. Der Sachverständigenrat hat darauf hingewiesen, daß es eine der wesentlichen Aufgaben ist, die technikfeindliche Stimmung in Deutschland zu bekämpfen. Das Starren auf wirkliche oder vermeintliche Restrisiken - sagt der Sachverständigenrat - führt dazu, daß die wirklichen Risiken des Verzichts auf eine Technik nicht mehr erkannt werden. Und dann wird die Landschaft schwierig und gefährlich. ({5}) Wenn wir ein Höchstmaß an Sicherheit und Umweltschutz erreicht haben, dann muß das die Voraussetzung dafür sein, daß jetzt die neue Technik entsteht. Nun hat Herr Schnell gesagt, das sei in den neuen Ländern noch nicht in dem Maße angegangen worden, wie das wünschenswert sei. Herr Schnell, der Zuwachs bei den neuen Ländern ist jetzt, glaube ich, 7,5 %. Das ist ein Vielfaches des Zuwachses im Haushalt. Die absolute Summe liegt bei über 1,7 Milliarden. Wir haben ein Hochschulerneuerungsprogramm, das Wissenschaftler-Integrationsprogramm, wir haben ein neues Investitionsprogramm für die Institute, bei denen der Bund drei Viertel zahlt und die Länder nur ein Viertel. Wir haben in den Bereichen, in denen der Bund gestalten kann, in großer und umfassender Weise Voraussetzungen geschaffen. Aber ich weiß natürlich, daß wir bei der Industrieforschung, bei den Forschungs-GmbHs ein Problem haben. Aber dieses Problem ist durch Staatsgeld nicht zu lösen. Heute schon ist es so, daß jeder zweite Forscher durch BMFT-Mittel bei der marktorientierten Forschung unterstützt wird. Ja, wie weit sollen wir noch gehen? 340 Millionen DM! Sie sprachen von den Forschungs-GmbHs. Hier haben wir mit der Treuhand eine Strategie vereinbart, die die große Zahl der Forschungs-GmbHs einzeln evaluiert und festgestellt hat, wo man privatisieren und umsetzen kann. Wir haben eine Förderung von neugegründeten technikorientierten Unternehmen aufgebaut. Wir haben da eine Vielfalt von neuen Aufgaben. Aber die Arbeit kann nur von den Menschen selbst getan werden. Man darf nicht nach dem Geld schauen, das von hier überwiesen wird, man muß auf die eigene Arbeit schauen, die man anlegt. Die Zukunft entsteht nur aus der Arbeit, aus dem Unternehmungsgeist der Leute in den Betrieben und in der Wissenschaft in den neuen Ländern. So haben wir hier im Westen die Republik aufgebaut, und so werden wir im Osten das Land aufbauen. Wir helfen mit Geld; aber die Zukunft entsteht aus eigener Arbeit und aus Zielbewußtsein. Da wollen wir ermutigen, wo immer es geht. ({6}) Sie haben auf die Frage Weltraum hingewiesen. Herr Austermann hat dies so umfassend kommentiert, daß ich es jetzt eigentlich gar nicht mehr aufdröseln will. In der Tat: Es ist uns nach einem Diskussionsprozeß über fünf Jahre gelungen, in Granada ein Konzept zu erhalten, das Dauerhaftigkeit verspricht. Ich sage nicht, daß alle Probleme gelöst sind. Wir werden noch Probleme haben, gewichtige Probleme. Aber wir haben eine Strategie angelegt, die den finanziellen Vorgaben entspricht. Wir sind jetzt in einem kontrollierten Bereich. Wir haben Strukturen eingesetzt, um die Kostenentwicklung zu kontrollieren. Wir haben Beschlüsse für die Projekte getätigt, die wir brauchen. 220 Millionen DM sind von der ESA für die Zusammenarbeit mit den GUS-Staaten eingeplant, weil wir hier eine langfristige Partnerschaft haben wollen. ({7}) - Jawohl, aber rechnen Sie dies einmal nach dem heutigen Kurs in Rubel um. Wenn ein Wissenschaftler dort 25 D-Mark im Monat hat, ist das ein enormer Anstoß und eine Möglichkeit, Strukturen zu verändern und langfristige und dauerhafte Kooperationen aufzubauen, die wir wollen. In dieser Zeit wäre es elementar falsch gewesen, irgendeinen Zweifel an der Festigkeit unserer Zusammenarbeit mit den USA, unserem alten und starken Partner, zu lassen. Deshalb war es richtig, Columbus und vor allem das angedockte Labor durchzuziehen. Deshalb war es richtig, das Programm schlanker zu machen, Geld zu sparen. Aber es war auch richtig, hier eine Partnerschaft verläßlich zu halten, und dies haben wir gemacht. Es war richtig, daß wir die Erdbeobachtungen als einen Schwerpunkt mit wachsender Bedeutung neu eingeführt haben. Es war richtig, daß wir das Wissenschaftsprogramm angehoben haben und auf der Linie halten, die wir jetzt haben. Es war auch richtig, daß wir Hermes zu einem Technologieprogramm gemacht haben. Denn darin steckt die Chance, die neuesten Techniken, die Rußland entwickelt hat, in eine gemeinsame europäische Strategie zu integrieren. ({8}) - Es ist nicht zu spät. Es ist die eigentliche Chance, hier Kompetenz einzubeziehen und in Bereichen, in denen Rußland stark ist, eine dauerhafte Partnerschaft mit Rußland zu entwickeln. Ich stimme denen zu, die gesagt haben, daß wir auf eine Strategie hinauswollen, die langfristige weltweite Kooperationen ermöglicht. Die Projekte sind groß, und wir haben eine Welt, in der die Konkurrenz der Blöcke im alten Sinne nicht mehr gilt, in der die Voraussetzungen gegeben sind, weltweit zusammenzuarbeiten, in der gemeinsame Probleme und gemeinsame Chancen mit gemeinsamer Bündelung der Kräfte erreicht werden können. Es ist eine Welt, in der wir friedlich zusammenarbeiten können und friedlich zusammenarbeiten müssen. Das ist die Voraussetzung für die technische Zusammenarbeit. Aber auch die technische Zusammenarbeit kann Frieden über längere Fristen sichern. Mir scheint es eine eindrucksvolle Sache zu sein, mit welcher Begeisterung und Offenheit die russischen Wissenschaftler die Partnerschaft suchen. Ich habe gestern wieder Besuch von Professor Prochorow gehabt, einem Nobelpreisträger aus Moskau, der mit seinem Institut eine exzellente Forschung betreibt. Er hat mit mir über die Probleme und über die Not gesprochen, in denen Rußland und die Forschung dort jetzt sind. Er hat jedoch mehr über das gesprochen, was sie bei uns als Partnerschaft gefunden haben, ausgehend von alten Verbindungen zu der alten DDR und ihren Instituten, weitergeführt mit Firmen und Instituten in den neuen Ländern. Das scheint mir die Chance für die Zukunft zu sein: Partnerschaft aufzubauen aus gemeinsamen Aufgaben und gemeinsamen Zielen, aus dem gemeinsamen Willen, eine Welt mit einer enormen Vielfalt von Problemen, aber auch an Chancen und an Zukunft zu gestalten. In diesem Geist, in dem Geist der Verantwortlichkeit und der weltweiten Partnerschaft wollen wir unseren Teil mit einbringen. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Gruppe PDS/Linke Liste, der Ihnen der Drucksache 12/3835 vorliegt. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der SPD, der CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Wer nun für den Einzelplan 30 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist der Einzelplan 30 angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation - Drucksachen 12/3513, 12/3530 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Werner Zywietz Rudi Walther ({0}) Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Stunde Debattenzeit vor, die auch diesmal unterschritten werden kann. Wir nehmen also auch Reden zu Protokoll. Aber wenn Sie grundsätzlich damit einverstanden sind, verständigen wir uns zunächst einmal auf diese Debattenzeit. - Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Arne Börnsen das Wort.

Arne Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre sicherlich interessanter, wenn wir heute über das Ergebnis dessen sprechen könnten, was morgen beginnen soll, nämlich die hoffentlich letzten Verhandlungen über die mögliche Postreform II. Heute, am Vorabend dieser Verhandlungen, wird sicherlich vieles verschwiegen, was an diesem Thema und am Einzelplan 13 sowie mit den damit verbundenen Themen eigentlich spannend wäre. Aber sicherlich bietet dies auch die Möglichkeit, daß wir einige Gründe nennen, die zu der Notwendigkeit geführt haben, über eine Postreform II zu diskutieren. Vielleicht kann auch einiges zu dem klargestellt werden, was in der Öffentlichkeit heute an Eindrücken herrscht und warum diese Postreform II nach meiner Überzeugung notwendig ist. Es wird insbesondere auch durch den Bundespostminister immer wieder darauf hingewiesen, daß nach seiner Meinung 1982 eine technisch desolate und finanziell angeschlagene Bundespost von ihm übernommen wurde. Das ist mit den Tatsachen überhaupt nicht in Übereinstimmung zu bringen. Wenn man die Jahresberichte der Deutschen Bundespost aus dem Jahre 1982 und davor betrachtet und dem die Ergebnisse der Bundespostunternehmen von 1991 und 1992 gegenüberstellt, dann stellt man fest, daß im Jahre 1982 und in den Jahren davor eine finanziell gesunde Deutsche Bundespost geführt wurde, während das heute nicht mehr der Fall ist. ({0}) Einer der Gründe dafür, daß wir die Postreform II machen müssen, ist ja auch die Tatsache, daß die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der Post nicht mehr gesichert ist. Sonst würden Sie doch drei Jahre nach der Postreform I nicht schon wieder eine solche Reform anfassen. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die wesentlichen technischen Entwicklungslinien - Datenübermittlung, Digitalisierung, Erprobung der Glasfaser, neue Dienste wie Telefax, Service 130 und Satellitendienst - von den Amtsvorgängern von Herrn Schwarz-Schilling erdacht, eingeleitet und umgesetzt wurden, nämlich von Herrn Gscheidle und Herrn Matthöfer. Das, was in den letzten zehn Jahren von Herrn Schwarz-Schilling in die Praxis umgesetzt Arne Börnsen ({1}) werden konnte, ist von seinen Vorgängern eingeleitet worden. Darauf sollte hier einmal hingewiesen werden. Meine Damen und Herren, wenn wir offen und ehrlich mit diesem Thema umgehen wollen, dann sollten Sie von der Verfälschung, die in der Politik leider manchmal üblich ist, abweichen und zu den Realitäten -- was Ihre Amtsvorgänger eingebracht haben - zurückkehren. Meine Damen und Herren, als 1982 der Regierungswechsel kam, wurde eine der wenigen neuen technischen Entwicklungen eingeleitet, nämlich die Breitbandverkabelung. Das ist einer der wenigen Dienste, die in den vergangenen zehn Jahren wirklich neu eingesetzt wurden. Das Ziel war offensichtlich und eindeutig: Ohne Rücksicht auf Kosten und Erträge wurde ein Dienst forciert und sollte flächendeckend eingeführt werden, der von Anfang an katastrophale Kostendeckungsgrade aufwies. Meine Damen und Herren, das ist auch kein Wunder: Herr Schwarz-Schilling war in der Zeit, bevor er Postminister wurde, medienpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Das erste, was die Jahre in seiner Amtszeit beherrschte, war Medienpolitik und weniger Postpolitik. Wenn wir die Zielsetzung von damals einmal mit den Realitäten von heute vergleichen, dann werden wir feststellen, welche große Lücke zwischen dem, was erwartet wurde, und dem, was heute eingetreten ist, klafft. Ob das, was medienpolitisch durch die Breitbandverkabelung eingeleitet wurde, gerade von Ihnen so uneingeschränkt gutgeheißen werden kann, das wage ich einmal zu bezweifeln. Wenn ich daran denke, mit welchen großen Worten 1982 davon gesprochen wurde, daß durch die Initiativen, durch die Breitbandverkabelung ein Investitionsstau aufgehoben werde, muß man doch fragen, ob diese Behauptung von damals heute überhaupt noch ernst genommen werden kann. Tatsache ist, daß die finanziellen Auswirkungen auf die Postunternehmen, heute auf die Telekom, negativ waren, daß eine der Ursachen - nicht die Hauptursache, aber eine der Ursachen - für das mangelnde Eigenkapital in den wesentlichen und erheblichen Investitionen im Bereich der Breitbandverkabelung zu suchen sind. Festzustellen ist, daß die Flächendeckung, die damals angestrebt wurde, inzwischen aufgegeben ist. Festzustellen ist weiterhin, daß die technologische Entwicklung die Breitbandverkabelung inzwischen überholt hat. Meine Damen und Herren, es kann natürlich darauf hingewiesen werden, wie es in den „Neuen Postpolitischen Informationen" geschieht, daß die Deutsche Bundespost/Telekom im europäischen Vergleich führend ist. Insgesamt hat die DBP/Telekom - steht hier - mehr Kunden in ihren Kabelfernsehnetzen als alle übrigen europäischen Länder zusammen. Grund dafür ist sicherlich auch das gute PreisLeistungs-Verhältnis. Wenn man ein solches künstliches Preis-Leistungs-Verhältnis auflegt ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten, dann kann das allerdings so behauptet werden. Aber die Kostenunterdeckung wird weiterhin von der Telekom getragen werden müssen. - Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Sondergutachten des Bundesrechnungshofes. Aber ich schenke mir einmal die Begründung; wir wissen das sowieso alle. ({2}) - Laß gut sein, Gerd; wir sprechen hier über wesentliche Momente und nicht über Randbedingungen. Meine Damen und Herren, dann kam 1987 die Initiative zu dem Poststrukturgesetz I, mit dem Ziel der Schaffung der Post 2000, mit dem Ziel, die Post fitmachen zu wollen für die Zukunft. Ich bestreite nicht einige Kernpunkte, die auch in der Gesetzesinitiative, die Anfang der 70er Jahre nicht realisiert werden konnten, enthalten waren. Aber ich muß heute, drei Jahre nach Inkrafttreten der Poststrukturreform I feststellen, daß der Infrastrukturauftrag gefährdet ist, und zwar auf Grund mangelnder politischer Zielvorgaben, auf Grund der Gefährdung der finanziellen Basis insbesondere der Telekom durch Erosion der Monopole und nicht zuletzt auf Grund politischer Eingriffe und Regulierungen zu Lasten der Unternehmen. Die Konsequenz: Die Beibehaltung der heutigen Struktur der Telekom gefährdet den Infrastrukturauftrag und die Absicherung des Monopols. Aufgabe für uns ist aber, diese Zielsetzungen zu sichern. Für uns als SPD ist die Sicherung des Infrastrukturauftrages, also eine flächendeckende Bereitstellung moderner Leistungen der Post und Telekommunikation, eine unverzichtbare staatliche Aufgabe. ({3}) - Ich bedanke mich ausdrücklich. Die vergangenen drei Jahre bestätigen, daß die gegenwärtige Struktur der Bundespostunternehmen und der politischen Rahmenbedingungen ungeeignet ist. Es ist z. B. zu kritisieren, daß die Monopole dem Bund übertragen sind und daß es seiner Entscheidung, in diesem Fall der Entscheidung des Ministers obliegt, in welcher Form die Monopole von den Unternehmen wahrgenommen werden können. Die Telekom z. B. hat jedoch keinen Anspruch auf diese Monopole. Ich möchte hier noch einen wesentlichen Punkt nennen, der für uns und für mich persönlich entscheidend ist, wenn es um die Frage geht, ob wir uns an einer Postreform II beteiligen sollten, falls die entsprechenden Eckpunkte, die wir versuchen wollen zu diskutieren, eine solche Beteiligung rechtfertigen. Das ist die Postversorgung auf dem Lande. Der Bundestag hat im Jahre 1981 einstimmig ein Konzept zur Postversorgung auf dem Lande beschlossen und damit die Grundsätze der Amtsstellenorganisation und die Voraussetzung für das Aufheben ortsfester Amtsstellen vorgegeben. Die Unternehmen der Post und der Postbank handeln heute so, als ob es diesen politischen Willen des Gesetzgebers nicht gäbe. Wir müssen feststellen, daß die Aufteilung der Post und der Postbank, verursacht durch die Poststrukturreform I, dazu geführt hat, daß die damit verbundene Kostenorientierung die Postunternehmen zwingt, Arne Börnsen ({4}) eine Berechnung der Inanspruchnahme der Schalterdienstleistungen von Post durch die Postbank vorzunehmen, mit dem Ergebis, daß die Postbank mit 1,9 Milliarden DM pro Jahr belastet werden soll. Wir wissen, auch wenn diese Summe durch Sie, Herr Minister, reduziert worden ist, daß, wenn diese Summe in dieser Größenordnung beibehalten wird, die Existenz der Postbank gefährdet ist, daß die Postbank geradezu gezwungen wird, zu prüfen, ob sie im Amtsstellennetz der Post verbleiben kann oder ob es für sie nicht rentabler ist, eine eigene Vertriebsorganisation aufzubauen. Wenn dieses der Fall ist, dann wird die Post nicht mehr in der Lage sein, die heutige Struktur der Poststellen auf dem Lande sicherzustellen. Dann - das muß man ganz offen sagen - ist die Struktur existentiell extrem gefährdet und ist die Postversorgung auf dem Lande nicht mehr aufrechtzuerhalten, jedenfalls nicht mehr in der gegenwärtigen Struktur. ({5}) - Das mag ich zum drittenmal sagen, Herr Kollege. Wenn es allerdings dazu kommt, verehrter Freund, dann werden Sie die Prügel draußen durch die Bürger bekommen, die nicht mehr ihre Poststellen im Lande, auf der Fläche haben. Die Frage lautet, meine Damen und Herren: Haben wir Möglichkeiten, eine solche Erosion der Postversorgung auf dem Lande zu verhindern? Wir wissen, daß in den Diskussionen, die wir geführt haben, solche Modelle erarbeitet worden sind. Für mich ist eine der entscheidenden Fragestellungen, ob wir eine gemeinsame Konzeption finden können, daß diese den Bürger direkt betreffende Dienstleistungsversorgung aufrechterhalten wird. Wir können uns keine akute Gefährdung dieser Infrastrukturversorgung leisten. Deswegen zwingt uns diese Entwicklung zum Handeln. Wir stehen auch vor der Frage, ob wir die negative Entwicklung, die, wie geschildert, durch eine mögliche Verweigerung von uns mitverantwortet werden muß, akzeptieren wollen oder ob wir durch eine kritische Bereitschaft zur Mitgestaltung bewirken wollen, daß die Post tatsächlich fitgemacht wird für die Zukunft. Ich hoffe, daß uns dies gelingen wird. Herzlichen Dank. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Manfred Kolbe das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sparen lautete ein Motto dieser Haushaltsdebatte. Ich glaube, der Einzelplan 13 hat seinen Beitrag dazu geleistet. Nach dem Eckwertebeschluß der Bundesregierung vom 5. Mai soll die Ausgabensteigerung bis 1996 auf plus 2,5 % jährlich begrenzt werden. Diese Forderung hätte der Einzelplan 13 mit lediglich 2,1 % sogar übererfüllt, wenn jetzt nicht aus dem Einzelplan 60 die Personalkosten Ost rein technisch umgebucht worden wären. So sind wir zu einer Ausgabensteigerung von 3,3 % gelangt, 18 Millionen DM mehr als 1992, 559 Millionen DM Ausgabevolumen. Diese Einsparleistung ist aber dennoch sehr hoch einzuschätzen, da die überproportional gestiegenen Personalkosten im Einzelplan 13 einen Anteil von 45 % gegenüber lediglich 12 % im Durchschnitt des Bundeshaushalts ausmachen. Bei den Einnahmen ist die Ablieferung der drei Unternehmen der Deutschen Bundespost die bei weitern wichtigste Position. Sie sinkt auf Grund gesetzlicher Festlegungen und Vereinbarungen mit dem Bundesfinanzminister von 9,1 Milliarden DM in 1992 auf 7,2 Milliarden DM in 1993. Abgesehen von der allgemeinen Finanzverwaltung und der Bundesschuld ist damit der Einzelplan 13 der Einzelplan mit den höchsten Einnahmen. Ausgabenseitig ist der Einzelplan 13 ein reiner Verwaltungshaushalt. Die Personalkosten steigen um 13,1 %, die sächlichen Verwaltungskosten um 10,1 %, die Investitionen um 1 %. - Soweit ein paar einführende Daten. Im Mittelpunkt der Haushaltsberatungen stand der Bericht des Bundesrechnungshofes über die Prüfung der Organisation und Personalausstattung des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Das Bundesministerium wurde, wie allgemein bekannt, 1989 im Zuge der Postreform I organisatorisch völlig umgestaltet. Nach dem Postverfassungsgesetz blieben ihm die politischen und hoheitlichen Aufgaben, während die betrieblichen und unternehmerischen Aufgaben den drei neu errichteten Unternehmen der Deutschen Bundespost übertragen wurden. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat deshalb am 27. September 1989 den Bundesrechnungshof gebeten, die Organisation des Bundesministeriums zu überprüfen und empfohlen, die Zahl der Abteilungen zu überdenken und Kleinstreferate möglichst zu vermeiden. Dieser Bericht wurde im September 1992 in die laufenden Haushaltsberatungen eingebracht. Nach den Prüfungserkenntnissen des Bundesrechnungshofes sind die allgemeinen Organisationsgrundsätze beim Bundesministerium nicht hinreichend beachtet, für die Aufgabenwahrnehmung sind zu viele Abteilungen, Unterabteilungen und Referate eingerichtet worden. Demgegenüber hat der Bundespostminister die kritisierte Organisation mit der Aufgabenvielfalt, seiner politischen Verantwortung sowie der anstehenden Postreform II begründet. Als Ergebnis seiner Prüfung hat der Bundesrechnungshof vorgeschlagen, von insgesamt 451 Stellen 52 einzusparen, von denen allerdings die Hälfte, 26 Stellen, bereits mit kw-Vermerken versehen war. Wir haben dann sehr intensiv im Rechnungsprüfungsausschuß, im Unterausschuß, und dann im Haushaltsausschuß darüber beraten und uns entschieden, noch einmal zusätzliche 14 Planstellen, insgesamt also 40 Planstellen zu streichen bzw. mit nackten kw-Vermerken zu versehen. ({0}) - Herr Esters, nackt bedeutet natürlich, daß der Planstelleninhaber immer noch bekleidet im Ministerium erscheint. ({1}) - Ja, Herr Esters, wir haben uns auch bemüht zu sparen. Es freut mich, daß Sie das anerkennen. Danke. Insbesondere im Spitzenbereich konnten wir drei von neun B-6-Stellen und acht von 34 B-3-Stellen einsparen. ({2}) - Danke. Als zusätzliche Härte für das Bundespostministerium habe ich es allerdings empfunden, daß über diese weitgehenden Einsparungen hinaus auch noch die 1 %ige generelle Stelleneinsparung gefordert wurde. Diese Einsparung hat das Ministerium überproportional getroffen. Als Fazit bleibt festzuhalten, Sparen ist auch bei obersten Bundesbehörden und bei Spitzenpositionen möglich. Und das ist gut so. Deshalb möchte ich anregen, daß wir derartige Organisationsprüfungen durch den Bundesrechnungshof auch einmal in anderen Häusern durchführen, um zum einen Gerechtigkeit unter den Häusern walten zu lassen und weil zum anderen nach Aussagen des Bundesrechnungshofes im Ausschuß für Post und Telekommunikation auch andere Ministerien eventuell gegen diese Organisationsgrundsätze verstoßen sollen. Ein anderer Schwerpunkt dieser Beratungen in den letzten drei Tagen war der Aufbau Ost. Hier müssen auch weniger das Ministerium als die Unternehmen der Deutschen Bundespost, insbesondere die Telekom einen wesentlichen Beitrag leisten. Ähnlich wie die Investitionen im Verkehrsbereich haben die Investitionen für die Telekommunikation eine doppelte Funktion. Einerseits sollen sie so rasch wie möglich die Kommunikationsinfrastruktur im Osten dem Westniveau annähern. Insofern spielt auch der Zeitfaktor eine große Rolle. Andererseits sollen Investitionen der Telekom mit einem Volumen von rund 55 Milliarden DM bis 1997 aber auch mittelständischen Firmen, insbesondere ostdeutschen Existenzgründern einen Start in die Marktwirtschaft ermöglichen. ({3}) Obwohl der Ausbau der Telekommunikation von ganz entscheidender Bedeutung ist, spielt er in der sehr lebhaften Debatte um den Aufbau Ost in den letzten Monaten politisch doch eine untergeordnete Rolle. Warum ist dies so? Dies ist deshalb so, weil die Telekommunikation einer der Bereiche ist, wo es im Osten Deutschlands wirklich energisch und schnell aufwärts geht. Dafür möchte ich Ihnen auch an dieser Stelle ganz herzlich danken. ({4}) Wir diskutieren in dem einen oder anderen Bereich über einen Kurswechsel, hier diskutiert niemand über einen Kurswechsel. Danke. ({5}) Bis 1997 baut die Deutsche Bundespost Telekom das Fernmeldenetz im Osten mit einem Investitionsvolumen von rund 55 Milliarden DM zum modernsten Telekommunikationsnetz der Welt aus. 1991 sind 550 000 neue Telefonanschlüsse, darunter 150 000 Anschlüsse für Geschäftskunden und 1992 rund 600 000 neue Telefonanschlüsse eingerichtet worden. Bis Ende dieses Jahres werden wir in den östlichen Bundesländern gut 3 Millionen Telefonanschlüsse haben. Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung sind dies fast doppelt so viele wie vor der Einheit. ({6}) Wenn alle Bereiche so erfolgreich wären, könnten wir uns wahrhaft glücklich schätzen. ({7}) - Herr Kollege, das ist ein Bereich, bei dem man wirklich nur loben kann. ({8}) Das ist leider nicht bei allem so. Damit darf ich auch zu einem kritischen Punkt kommen, zum zweiten Aspekt dieses Investitionsvolumens, zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Diese öffentlichen Investitionen haben natürlich auch die Aufgabe, den Mittelstand im Osten anzukurbeln. Mit diesen 55 Milliarden DM können wir bis 1997 einiges bewirken. Wie sieht es da aus? ({9}) Die drei großen Postunternehmen vergeben in diesem Jahr schätzungsweise Aufträge in Höhe von rund 24 Milliarden DM. Bis Mitte 1992 waren davon nur Aufträge in Höhe von rund 1,25 Milliarden DM an Firmen in den östlichen Bundesländern gegangen. ({10}) Hochgerechnet auf das Jahr sind das rund 10 %. ({11}) Ende September 1992 war es noch etwas kritischer. Da betrug das Auftragsvolumen Ost 1,693 Milliarden DM und ist damit im dritten Quartal unter die 10-%-Marke gesunken, so daß wir am Jahresende unterhalb der 10-%-Marke liegen. ({12}) - Herr Kollege Rose, das sollten wir versuchen, gemeinsam zu ändern. Hier würde ich Ihnen gerne für die Zusammenarbeit danken, wie wir auch immer gut zusammenarbeiten. ({13}) Leider sieht es auch in anderen Ressorts ähnlich aus. Hier hat sich der Kollege Nitsch mit seiner Arbeitsgruppe zum Solidarpakt sehr verdient gemacht. Diese Zahlen stammen vom Kollegen Nitsch. Im GeschäftsManfred Kolbe bereich des Bundesministers des Innern sollen lediglich 8 % des Auftragsvolumens und beim Bundesminister der Verteidigung nur 3 % des Auftragsvolumens an Firmen in die östlichen Bundesländer gehen. Die 3 % beim Bundesminister der Verteidigung haben sicher ihre Gründe, doch sind es trotzdem zuwenig. Eine positive Ausnahme bildet lediglich das Bundesverkehrsministerium. Dort gehen ohne die Deutsche Reichsbahn 42 % des Auftragsvolumens an Finnen im Osten. ({14}) Wenn wir uns darauf verständigen können, daß hier für uns alle ein Betätigungsfeld liegt, glaube ich, wäre es ein Erfolg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Kolbe, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, das kann ich einem Fraktionskollegen schlecht verwehren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann bitte schön, Herr Bartholomäus Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolbe, können wir uns darauf verständigen, daß für alle öffentlichen Aufträge die begünstigenden Ausschreibebedingungen für Unternehmen im Osten gelten und damit natürlich auch für die Unternehmen der Deutschen Bundespost?

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das war eine kurze und knappe Antwort. Bitte fahren Sie fort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Aufschwung Ost verläuft derzeit gespalten; ich glaube, das haben meine Ausführungen exemplarisch gezeigt. Handel und Dienstleistungen gehen gut. Die Versorgung mit Dingen des alltäglichen Lebens - das war ja jahrzehntelang das Thema in der ehemaligen DDR - spielt in der politischen Diskussion keine Rolle mehr. Demgegenüber - das zeigt auch die Auftragsvergabe - bricht die Produktion weitgehend zusammen. Die Industrie erreicht nur noch 30 % des Volumens der Industrie in der ehemaligen DDR. Man muß sagen, in manchen Landstrichen steht die Entindustrialisierung teilweise bevor. Hier müssen wir alle massiv gegensteuern. Auch der Bundeskanzler hat sich ja vor zwei Tagen ganz dezidiert zum Erhalt industrieller Kerne bekannt. Ein Mittel zum Erhalt industrieller Kerne ist die Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand, hier in concreto: durch die drei Postunternehmen. Der Aufschwung im Osten liegt im Interesse aller Deutschen. ({0}) Den Deutschen im Westen ist es kaum zumutbar, noch jahrzehntelang Sozialtransfers in der Größenordnung von 50 Milliarden DM - wie in diesem Jahr - oder in welcher Höhe auch immer, zu leisten. Das ist, wie gesagt, auf Dauer nicht zumutbar. Den Deutschen im Osten ist es aber auf Dauer auch nicht zumutbar, von diesen Transfers zu leben. ({1}) Auch sie wollen ihren Wohlstand selber erarbeiten. ({2}) Deshalb sollten wir ihnen Gelegenheit dazu geben. Deshalb ist der Aufbau Ost auch eine gesamtdeutsche Aufgabe. Ich möchte mich zum Abschluß noch bei meinen beiden Mitberichterstattern, bei dem Herrn Vorsitzenden Walther und dem Kollegen Zywietz, bedanken. Ich möchte mich ferner für die gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern Ihres Ministeriums bedanken, Herr Bundesminister. Ich bitte Sie, den Einzelplan 13 in der Ausschußfassung anzunehmen. Danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nun der Abgeordnete Jürgen Timm.

Jürgen Timm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002329, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Kollege Börnsen hat es schon gesagt: In den nächsten beiden Tagen sollen in Sachen Post entscheidende Dinge geschehen. Herr Börnsen, um es einmal ganz konkret zu sagen: Es macht ja keinen Sinn, sich hinter der Postreform I zu verstecken. Vor allen Dingen der Minister braucht sich nicht dahinter zu verstecken, denn damals wäre es aus liberaler Sicht ja gar nicht denkbar gewesen, die notwendigen Schritte schon zu unternehmen, nämlich die Post zu privatisieren und zu diesem Zweck das Grundgesetz zu ändern. So weit sind wir ja noch nicht einmal heute. Die Postreform I war also ein wichtiger Schritt auf dem Wege dahin, die notwendige Transparenz zu schaffen. Ich gebe Ihnen recht: Die Transparenz ist ja erst dadurch geschaffen worden, daß die drei Postunternehmen so weit verselbständigt wurden, daß man überhaupt erkennen konnte, wie sich die Einnahmen und Ausgaben darstellen. Es ist natürlich immer sehr leicht zu kritisieren, daß Unternehmen wie beispielsweise die Postbank oder der Postdienst noch keine schwarzen Zahlen schreiben können. Dafür gibt es verschiedene - auch staatspolitische - Gründe wie z. B. die Abführung an den Bundeshaushalt. ({0}) Wir hätten zwar schon vor längerer Zeit dafür sorgen können, daß es solche Abführungen heute nicht mehr gibt, aber die Postreform I war eben nicht anders durchzusetzen, da sie nur mit der Mehrheit der Regierungskoalition - gegen den Widerstand der Opposition - verabschiedet werden konnte. Es sollte sichergestellt werden, daß hier ein Ende absehbar ist. Das ist ja auch durchaus positiv. Im übrigen möchte ich persönlich, um das noch anzufügen, den Breitbandkabelanschluß, der mittlerweile bei mir zu Hause installiert wurde, nicht missen, denn jetzt kann ich wirklich selbständig und frei entscheiden, was ich im Fernsehen sehen will. ({1}) - Einschließlich abschalten. ({2}) Aber die Vielzahl der Möglichkeiten und die Qualität der technischen Übertragung sind doch etwas anderes als das, was einem vorher geboten wurde. Ich gebe Ihnen recht: Es ist manches dabei, was mehr des Abschaltens als des Ansehens würdig ist. Die große Auswahl ist aber positiv zu beurteilen. ({3}) Im übrigen hätten wir uns ja auch damals schon darauf verständigen können, mehr Monopole abzuschaffen. Dann hätten wir nicht das Problem gehabt, z. B. bei der technischen Ausrüstung in den neuen Bundesländern noch mehr Privatlizenzen zu vergeben, sie vor allen Dingen schneller zu vergeben und sie von der Genehmigung durch den Monopolträger freizustellen. Das alles war nicht möglich. Es ist zwingend erforderlich, die Postreform II so schnell wie möglich und so konsequent wie möglich zu verwirklichen und die notwendigen Weichenstellungen vorzunehmen. Ich kann Sie nur dazu auffordern. Wir sitzen ja morgen und übermorgen an einem Tisch und werden darüber verhandeln. Dann werden wir sehen, wie weit wir kommen. ({4}) Die drei Postunternehmen haben unterschiedliche Probleme. Die Telekom ist unser bestes Pferd im Stall und sorgt dafür, daß die Post insgesamt als gutes Unternehmen darzustellen ist. Daß wir den Postdienst und die Postbank mit weniger guten Seiten haben, zwingt uns, zu überlegen, wie wir das ändern können. Bezüglich des Postdienstes ergeben sich meiner Ansicht nach keine schlechten Aussichten. Die Lage dort wird sich ganz sicher schnell verbessern, auch wenn z. B. das Ergebnis des Jahres 1991 in den neuen Bundesländern noch sehr schlecht war, weil die großen Investitionen, die dort zu tätigen waren, noch gar nicht abgeschlossen werden konnten. Das gleiche gilt für die Telekom, die mit großem Einsatz etwas Modernes schafft und auch schon viel verwirklicht hat, aber noch nicht alles erreichen konnte. Auch in diesem Bereich war das Ergebnis gar nicht so gut. Bei der Postbank haben wir ein ganz großes Problem am Halse. Wir müssen uns nämlich überlegen, was wir in Zukunft aus der Postbank machen sollen. Das ist die entscheidende Frage. Es gibt ganz sicher eine Methode, ihr ein Ende zu bereiten, nämlich indem man ihr keine Zukunftsperspektiven einräumt. Das ist die Position der F.D.P.: Wir müssen auch der Postbank eine Zukunftsperspektive eröffnen. ({5}) Dann haben wir auch die Sicherheit, daß sie parallel zum Postdienst als ein selbständiges Unternehmen existieren kann. Wenn wir einmal beide Unternehmen nebeneinanderstellen, dann, meine ich, können wir auch durchaus erwarten, daß sie selber in der Lage sind, zu vereinbaren, wie sie miteinander umgehen möchten. Wenn sie nicht einmal das können, dann frage ich mich, was für AGs wir eigentlich schaffen. Aber wir sind ja noch nicht soweit. Wir diskutieren noch darüber. Ich habe Ihnen gesagt, wie wir die Sache sehen. Ich denke, es ist schon viel Zeit ins Land gegangen. Man hätte manches früher erreichen können, wenn man es schneller und mit mehr Übereinstimmung hätte anpacken können. Offensichtlich war die Zeit dafür nicht reif. Ich hoffe, daß die Zeit in den nächsten Tagen dafür reif ist. Wenn wir das erreicht haben, was wir uns als Ziel gesetzt haben, und wenn wir das dann auch im parlamentarischen Raum durchgesetzt haben, dann sind wir auch in der Lage, den drei Unternehmen klare Funktionen zuzuweisen und einen Infrastrukturauftrag zu kreieren. Dann sind wir auch in der Lage, die Postunternehmen für die zukünftige technologische Entwicklung fit zu machen, und dann sind wir auch in den Stand versetzt, den Staat mit seiner großen Macht, soweit es nur irgend geht, aus diesen Unternehmen herauszuhalten. Es war ja, meine ich, bisher unser Ziel, das übereinstimmend formuliert worden ist, den politischen Einfluß auf die Unternehmensgestaltung zu beenden. Dann können wir den politischen Einfluß nicht wieder durch die Hintertür einführen. Wir jedenfalls werden das zu verhindern suchen. Ich hoffe, Sie alle machen mit. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Peter Paterna das Wort.

Peter Paterna (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist einer Haushaltsdebatte angemessen, sich in erster Linie mit Zahlen zu beschäftigen, und das will ich tun. Dann wollen wir einmal gucken, wie gesund das Pferd ist, von dem Sie gerade geredet haben, und ob es Sie, bevor es endgültig zusammenbricht, noch einmal tritt. Das Fernmeldewesen galt anderthalb Jahrzehnte als Huhn, das goldene Eier legt, und zwar so viele, daß es den notleidenden Schwestern bedenkenlos noch genügend abgeben kann. Diese Zeiten sind vorbei: Die roten Zahlen rücken in greifbare Nähe. Wenn der Minister glauben machen will, dies sei in erster Linie oder ganz überwiegend einer zusätzlichen Belastung auf Grund der deutschen Einheit zuzuschreiben, dann ist das eine Täuschung der Öffentlichkeit. Ich will das hier aus Zeitgründen nicht im einzelnen vorrechnen. ({0}) - Es läßt sich deswegen sehr leicht beweisen, weil, lieber Herr Kollege, die Postunternehmen mit zwei getrennten Haushaltsplänen arbeiten, einem Ost- und einem West-Plan. Da können Sie genau ablesen, was wäre, wenn die deutsche Einheit nicht zustande gekommen wäre. ({1}) Das läßt sich leicht nachweisen. Für 1993 erwartet die Telekom keinen Nettogewinn. Der Schuldenstand durchbricht erstmals die 100-Milliarden-DM-Grenze. Die Umsatzrendite wird im kommenden Jahr von 13 % auf 12 %, die Eigenkapitalquote von 24 % auf 23 % zurückgehen. Sie liegt dann bereits 10 % unter dem gesetzlichen Mindestsoll. Das ist Ihr gesundes Pferd im Stall, lieber Herr Timm. ({2}) Der Finanzminister hat kein Geld, um die Verpflichtungen des Eigentümers zu erfüllen. Im wesentlichen der Minister und nur zu einem kleinen Teil der Vorstand haben auch zu verantworten, daß die Postbank praktisch pleite ist. Ein Jahrzehnt lang sind eine Modernisierung der betriebsinternen Strukturen und ein kundenorientierter Ausbau der Dienstleistungen verschlafen worden. Die wirtschaftliche Lage des Postdienstes ist besser als ihr Ruf. Würde der Finanzminister anders als seine elf EG-Kollegen die gelbe Post nicht mit 10 % vom Umsatz abkassieren, würde sie - wenn auch nur ganz kleine - schwarze Zahlen schreiben. Das neue Frachtkonzept hat einige Chancen, in eine wettbewerbsfähige Zukunft zu führen. Daß es so überstürzt entwickelt und umgesetzt wird, ist im wesentlichen eine Folge der Untätigkeit des verantwortlichen Ministers während seiner ersten acht Amtsjahre. Da ist nämlich auf diesem Sektor gar nichts passiert. Die Erfolgschancen des in der Entwicklung befindlichen Briefkonzepts lassen sich noch nicht zuverlässig einschätzen. Daß das Schalterkonzept völlig in der Luft hängt, ist Folge der Tatsache, daß der verantwortliche Minister entgegen den Warnungen auch von Sachverständigen aus seiner eigenen Fraktion mit der Trennung von Post und Postbank ein bis heute nicht beherrschbares Chaos angerichtet hat. ({3}) Nun zu einigen Teilaspekten der Telekom: Der Telefonnetzdienst Privatkunden hat einen geschätzten Jahresumsatz von 18,5 Milliarden DM. Er ist belastet durch stark defizitäre analoge Anschlüsse, einen hohen Anteil an Gesprächen im Billigtarif und am nicht kostendeckenden Ortstarif und zusätzlich bedroht durch Substitutionseffekte vom Mobilfunk. Für das Jahr 1998 rechnet Telekom intern mit einem Verlust pro privatem Hauptanschluß von 50 DM. Der Umsatz mit Anschlüssen von Geschäftskunden und Großkunden des Telefonnetzdienstes wird zwar als profitabel eingeschätzt. Bis zu 25 % des Umsatzes sind aber durch eine mögliche Erosion des Telefondienstmonopols und einen Ausbau privater Netze bedroht, so daß mit Wachstumsraten zwischen minus 0,8 % und günstigstenfalls 3,8 % pro Jahr gerechnet wird. Problematisch ist, daß der Anteil von Sprache, Text, Daten oder Bild nicht bekannt ist. Wenn man so mangelhaft Kundenbedürfnisse analysiert, kann man auf den Ergebnissen natürlich auch keine zukunftsträchtigen Strategien aufbauen. Ein besonders ärgerliches Kapitel - von meinem Kollegen Börnsen schon angesprochen - ist das Thema Breitbandverkabelung. Ich will nur die Zahlen nachtragen. Im Geschäftsfeld Breitbandverkabelung werden pro Jahr 1,9 Milliarden DM umgesetzt. Davon ist 1 Milliarde DM Verlust. Was das mit einem soliden kaufmännischen Verhalten zu tun hat, Herr Minister - Sie haben inzwischen mit 10 Milliarden „Tuttifrutti" und anderes mit den Gebühren des Telefonkunden subventioniert -, kann ich nur sehr schwer nachvollziehen. Zum Lächeln scheint mir da wenig Anlaß zu sein. Die medienpolitische Bewertung dieser Veranstaltung ist eine Geschmacksfrage. Die will ich anderen überlassen. Statt der verordneten Vielfalt gibt es jedenfalls für meinen Geschmacksnerv mehr Einfalt. Weitere Verlustbringer sind sogenannte Informations- und Operatordienste - zu deutsch: überwiegend die Auskunft - mit einem jährlichen Betriebsergebnis von minus 760 Millionen DM, Telekomservice mit einem rechnerischen Verlust von 700 Millionen, öffentliche Telefonstellen mit einem jährlichen Betriebsergebnis von minus 400 Millionen und das Endgerätegeschäft mit Privatkunden mit einem Minus von ca. 450 Millionen pro Jahr. Lieber Kollege Timm, bevor Sie wieder ein Pferd begutachten, schauen Sie ihm einmal aufs Maul und unter die Hufe. Dann werden Sie die faulen Stellen besser erkennen, als wenn Sie nur auf das glänzende Fell starren. Andere Geschäftsfelder mit kleineren Umsatzvolumina lasse ich aus Zeitgründen hier weg. Ich will aber darauf aufmerksam machen, daß es mir außerordentlich bedenklich erscheint und einmal wirklich genau analysiert werden muß, ob man weiter verantworten kann, daß bei einem Umsatzvolumen von . derzeit 47 Milliarden DM 30 Milliarden DM pro Jahr investiert werden. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Es geht mir nicht um den Teil Ost. Dieser ist politisch nicht strittig. Das ist so in Ordnung. Da kann man auch nicht Umsatz und Investitionen vergleichen. Aber wenn Sie im Westteil 44 Milliarden Umsatz und 20 Milliarden Investitionen haben, dann scheint mir bei dieser Relation einiges aus dem Lot gegangen zu sein. Wenn man, weil einem die Analyseinstrumente fehlen, nicht einmal auf zwei, drei Milliarden genau weiß, ob man an den richtigen Stellen investiert, dann bedarf dieses dringend kritischer Nachprüfung, weil hier sonst Schuldenberge mit Erblasten für die Zukunft aufgehäuft werden, die die Telekom wirklich in ernste Existenznöte bringen können. Ich nenne diese Einzelheiten nicht, um damit in erster Linie den neuen Vorstand und Aufsichtsrat zu kritisieren. Ich kritisiere vielmehr, daß hier durch den verantwortlichen Minister eine Erblast von bedrohlicher Größenordnung aufgetürmt worden ist. Die Versäumnisse, transparente Kosten- und Ergebnisrechnungen, wirksame Management-, Akquisitions- und Controlling-Instrumente zu schaffen, lassen sich nicht in kurzer Zeit beheben. Die zehn Jahre lang ver10738 schleppte Überarbeitung der Tarifstrukturen wird demnächst bei der Telekom zu ähnlich schmerzlichen Korrekturen führen wie gerade beim Postdienst für Drucksachen. Das ist nämlich im wesentlichen auch eine Folge von Nichtstun während der 80er Jahre und von politischer Feigheit. Auf die Schwachstellen der Leistungs- und Kostenrechnung habe ich immer wieder hingewiesen. Das war bislang vergeblich. Seit der viel gelobten Postreform ist die Lage noch skandalöser geworden. Es ist nämlich so, daß die Wirtschaftspläne von den Vorständen und Aufsichtsräten beschlossen werden. Der Minister hat die Genehmigungspflicht. Das Parlament bekommt die Wirtschaftspläne allerdings nicht zu sehen. Insofern gibt es überhaupt keine Möglichkeit, nachzuprüfen, inwieweit er seiner Verantwortung gerecht wird. Ich halte dies für einen außerordentlich bedenklichen Zustand. ({4}) - Herr Kollege, Sie sind ja Jurist, wie ich mir habe sagen lassen. Dann müßten Sie wissen, daß es einen Art. 65 im Grundgesetz gibt-mit der Ministerverantwortung vor dem Parlament. Wenn Sie wissen wollen und beurteilen wollen, ob dieser Minister seiner Verantwortung gerecht wird, dann bedarf es bestimmter Informationen, die dem Parlament nicht vorenthalten werden dürften. Wir werden lediglich im Anhang mit ein paar Globalzahlen abgespeist. Der Teufel steckt aber im Detail. Einige solcher Teufel habe ich Ihnen hier in Zahlen vorgeführt. Daß ich diese Zahlen als Parlamentarier nicht auf ordentlichem Wege bekomme, sondern hintenherum besorgen muß, ist der eigentlich bedenkliche Zustand. Erschwerend kommt dann noch hinzu - das ist ein gravierender Mangel an diesem System -, daß der Minister per Verwaltungsanweisung die Monopolgebühren und Wettbewerbsbedingungen ohne jede demokratisch legitimierte Kontrolle regulieren kann. Wenn dies zu jährlichen Einnahmeverlusten von mehreren Milliarden DM führt, dann ist auch dies nicht länger erträglich. Es sind schon ein paar Gedanken auf den morgigen Tag verschwendet worden. Ich will mich hier nicht in Wahrsagerei versuchen. Aber wenn das Spiel so läuft, daß der Minister deshalb so vehement seine Vorliebe für Aktiengesellschaften entdeckt, obwohl er vor drei Jahren Privatisierungspläne noch als böswillige Unterstellung gebrandmarkt hat - dafür habe ich viele Zitate -, dann könnte das darauf zurückzuführen sein, daß ihm inzwischen gedämmert ist, daß es um seinen Nachruf relativ schlecht bestellt ist, wenn die, Öffentlichkeit merkt, welchen Substanzverzehr er hier bei diesen Unternehmen betrieben hat, die er als wirtschaftlich gesunde Unternehmen von der SPD übernommen hat. Wenn der Gang an die Börse nur ein Verschleierungsversuch hinsichtlich dieser Verantwortung ist, dann werden wir uns daran jedenfalls nicht beteiligen. Vielen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Minister für Post und Telekommunikation, Dr. Schwarz-Schilling.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Minister:in)

Politiker ID: 11002128

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten Jahrzehnten sind Übertragungstechnik, Datenverarbeitung und Bürokommunikation in revolutionärer Weise zusammengewachsen. Wir haben einen technologischen Sprung erlebt, wie er bisher eigentlich nur vor hundert Jahren bei der Erfindung des Telefons gemacht wurde. Es ist weltweit eine Revolutionierung der Märkte entstanden. Dienste und Produkte sind in unvorstellbarer Weise gegenüber früher zu dem Telefon hinzugetreten. Das Telefon war über Jahrzehnte hinweg ein schwarzer Kasten mit einer Leitung. Heute ist es ein riesiges Netz mit entsprechend zahlreichen Diensten. Telekommunikation ist zum größten Wachstumsmarkt geworden. Gerade in unserer konjunkturellen Lage haben wir allen Anlaß, dafür zu sorgen, daß dieser Wachstumsmarkt als Lokomotive erhalten bleibt. Wir haben genügend andere Bereiche mit strukturellen Verwerfungen, die wir nie in Ordnung bringen können, wenn wir nicht auch einige Wachstumsbereiche nicht nur schützen, sondern fördern, damit sie sich weltweit nach vorn entwickeln. ({0}) Nur das schafft im übrigen Arbeitsplätze. In einer Zeit, in der viele Reden über Arbeitsplätze gehalten werden, ist es das Wichtigste, daß dieser Bereich vorankommt; denn dort werden jeden Tag Arbeitsplätze geschaffen. ({1}) Auf Grund dieser Entwicklung ist in den anderen Ländern eine Aufbruchphase entstanden. In den Vereinigten Staaten ist in den 70er Jahren der quasi Monopolist AT & T durch Prozesse mit IBM gezwungen worden, zu deregulieren. Das heißt, Vielfalt ist entstanden. Wir haben mehr als sieben „bell operating companies" bekommen, die voll selbständig und heute weltweit aktiv sind und damit den Wachstumsmarkt der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet in unvorstellbarer Weise in Gang gebracht haben. In Großbritannien ist im Jahre 1981 die erste Postreform - auch auf Grund der Entscheidungen in den Vereinigten Staaten - erfolgt, in Japan zur gleichen Zeit. Meine Damen und Herren, es ist interessant, festzustellen, wie die einzelnen Lander reagiert haben. In fast allen Ländern, in denen sich die Telekommunikation in staatlicher Verwaltung befand, ist die Reform in zwei Schritten erfolgt: erster Schritt „Herauslösung aus staatlicher Administration und Überführung in eigenständige Unternehmen", zweiter Schritt „Privatisierung". In Australien: der erste Schritt 1989, der zweite Schritt 1992. In Dänemark: der erste Schritt 1987, der zweite Schritt 1992. In Frankreich: der erste Schritt 1990 - aus diesem Grunde ist der zweite Schritt noch nicht getan worden. In Großbritannien: der erste Schritt 1981, der zweite 1984. Island gehört zu den Ländern, die noch keinen Schritt getan haben. Man merke sich sehr wohl, welche Länder nichts gemacht haben. In Italien war die Telekommunikation schon immer ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit staatlichen Anteilen, quasi teilprivatisiert. In Japan: erster Schritt schon 1952, zweiter Schritt 1985. In Kanada gab es schon immer die Privatisierung. In Luxemburg - wie in Island -: kein Schritt. In Neuseeland: 1987 der erste Schritt, 1990 der zweite. In den Niederlanden: 1989 der erste Schritt, 1990 der zweite. In Österreich: kein Schritt. Ich wiederhole die drei Länder, die keinen Schritt getan haben: Island, Luxemburg und Österreich. In Portugal: 1990 der erste Schritt, 1991 der zweite. In Schweden war der erste Schritt nicht notwendig, denn es gab dort schon immer ein eigenständiges Unternehmen. Der zweite Schritt, die Privatisierung, ist 1991 erfolgt. In der Schweiz: der erste Schritt 1992; dadurch konnte der zweite noch nicht erfolgen. In Spanien: schon seit 1924 Privatisierung. Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten hatte ich gerade genannt. Meine Damen und Herren, angesichts dieses Szenarios und der Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland den ersten Schritt 1989 gegangen ist, möchte ich betonen, lieber Herr Kollege Börnsen, daß die Logik, weil wir nun einen zweiten Schritt täten, müßte hier vorher alles schiefgelaufen sein, weltweit widerlegt ist. Das ist reine Polemik, das wissen Sie ganz genau. ({2}) Meine Damen und Herren, nachdem wir die erste Postreform gemacht hatten, haben wir gesagt, daß wir sie Mitte der 90er Jahre auf den Prüfstein stellen, um dann den zweiten Schritt zu gehen. Das waren die Aussagen, die ich selber gemacht habe. Die Weltgeschichte verläuft allerdings nicht nach dem Zeitplan der Postreform in Deutschland. So ist es gekommen, daß wir im Jahre 1990 nicht der Implementierung unserer ersten Postreform Priorität eingeräumt haben, sondern sich das gerade eingesetzte neue Management durch die Wiedervereinigung Deutschlands zunächst um eine ganz andere Priorität zu kümmern hatte, nämlich um den Wiederaufbau der fünf neuen Bundesländer. Plötzlich entstand eine weltweite Situation der Liberalisierung, indem in ganz Osteuropa, in den baltischen Staaten bis hin zu den GUS-Staaten eine Liberalisierung und Deregulierung mit einer entsprechenden Aufteilung der Märkte stattfand. Die internationalen Carrier, die zur Stelle sind, werden die Märkte bekommen, nicht die anderen, die dazu nicht in der Lage sind. Aus diesem Grunde ist die Frage, wo wir stehen werden, außerordentlich brenzlig. Wir sind diese. erste Priorität - ich bin dankbar, daß das anerkannt worden ist - mit Konsequenz angegangen. Ich möchte Herrn Kolbe durchaus auf die Frage nach den Aufträgen antworten. Wir haben im Jahre 1991 39 000 Aufträge im Werte von 2,4 Milliarden DM an Handel, Handwerk, mittelständische Industrie und Unternehmen mit Geschäftssitz in den neuen Bundesländern vergeben. ({3}) - Unmittelbar. An den Handel, das Handwerk und die mittelständische Industrie gingen davon allein ca. 30 000 Aufträge mit einem Gesamtwert von einer Milliarde DM. Das widerlegt übrigens auch die Behauptungen, es gebe zu große Stückelungen, so daß die kleinen Unternehmen nicht teilhaben könnten. Durch Existenzgründungen und ähnliches mehr sind mindestens 50 000 bis 80 000 Arbeitsplätze außerhalb der Postunternehmen geschaffen worden. Nun sagen Sie, das sei zuwenig, und die 10 %Grenze werde nicht erreicht. Wir können aber doch bei der Betrachtung der 10 %-Grenze nur diejenigen Leistungen rechnen, die in den fünf neuen Bundesländern auch erbracht werden. Es können doch nicht die 20 Milliarden im Westen, die zum großen Teil hochwertige Digitaltechnik beinhalten - die einzelnen Unternehmen haben bis zu zwei Milliarden DM an Entwicklungskosten zu tragen -, auf die fünf neuen Bundesländer übertragen werden. Das ist völlig ausgeschlossen. Es besteht gar keine Angebotsmöglichkeit für die Unternehmen in den neuen Ländern. Diejenigen Unternehmen, die Angebote machen wollten, müßten eine Milliarde DM investieren oder Lizenzen nehmen. Das einzige, was funktioniert, ist, daß die Unternehmen, die in diese Entwicklungen investiert haben, heute Gott sei Dank auch in den fünf neuen Bundesländern Unternehmen übernehmen und daß bereits zunehmend die High-Tech-Zulieferungen von ihren Standorten aus erfolgen. Das sind SEL in Arnstadt, Siemens in Leipzig und andere mehr. Das ist ein Prozeß, der natürlich nicht innerhalb von ein paar Monaten abläuft. Es ist vielmehr ein langwieriger Prozeß: Ausbildungen müssen vorgenommen werden, entsprechende technologische „Klimaanlagen" und ähnliches mehr müssen geschaffen werden, damit dies alles funktioniert. Ich bin insofern wohlgemut angesichts dessen, daß in diesem Jahr zwischen 2,4 Milliarden und 2,5 Milliarden DM durch solche Aufträge direkt in die fünf neuen Bundesländer fließen. ({4}) - Das ist zuwenig? Dann kann ich Ihnen als Alternative nur nennen: Wir warten, bis weitere Unternehmen in den fünf neuen Bundesländern Angebote in dieser Größenordnung unterbreiten können. Dann müssen wir unsere Pläne, im Telefonbereich in den nächsten Jahren durch entsprechende Leitungs- und Digitaltechnik in den fünf neuen Bundesländern eine Modernisierung vorzunehmen, strecken. Dann können in den fünf neuen Bundesländern im nächsten Jahr eben nicht 800 000, sondern nur 200 000 Anschlüsse erstellt werden. ({5}) - Das wollte ich damit eigentlich zum Ausdruck gebracht haben. Das Wichtigste ist das Tempo, weil es auf die gesamte Volkswirtschaft Auswirkungen hat. Ich möchte betonen: Die Deutsche Bundespost ist der größte Auftraggeber in den fünf neuen Bundesländern. Das sollte man auch einmal anerkennen. ({6}) Lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Die technologischen Entwicklungen, von denen wir hier gesprochen haben, gehen im Westen voll weiter. Die Welt bleibt ja nicht stehen, weil wir die Wiedervereinigung haben. Wir haben die Digitalisierung, das ISDN, den Mobilfunk, die Satelliten, die Glasfaser. Wir müssen in den westlichen Bundesländern rund 18 bis 20 Milliarden DM investieren, damit Deutschland als Standort im Wettbewerb des europäischen Marktes bestehen kann. Wir müssen 20 plus 10 Milliarden DM, also insgesamt 30 Milliarden DM, investieren, d. h. in diesen fünf Jahren annähernd 200 Milliarden DM. Das ist die größte Finanzbelastung - das ist richtig -, die die Bundespost jemals erlebt hat. Sie werden in keiner Rede von mir gefunden haben, daß ich im Jahre 1982 von der Bundespost als einem im finanziellen Bereich maroden Unternehmen gesprochen habe. Meine Kritik bezog sich damals auf technologische Rückstände: beim Kabel, beim Satelliten, bei den Glasfasern und ähnlichen Bereichen. Diese Aufholjagd haben wir in den 80er Jahren veranstaltet. Die Eigenkapitalquote, die ich damals übernommen habe, die 43 % betrug, haben wir bis 1989 voll gehalten, obwohl wir die Investitionen von 12 Milliarden DM auf 20 Milliarden DM pro Jahr erhöht haben. Das war die Leistung. Von daher gesehen verstehe ich die Kritik überhaupt nicht. Wenn Herr Paterna sagt, das könne man alles auseinanderrechnen, möchte ich ihn bitten, sich die Jahre 1988 und 1989 genau anzuschauen. Vor der Umwandlung stand die Bundespost bei 43 % Eigenkapital, und diese Umwandlung ist, wie ich eben dargelegt habe, ohne jegliche Verringerung des Eigenkapitals gelungen. Das ist die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den 80er Jahren, die das ermöglicht hat. Dafür danke ich. ({7}) Diese Leistungen können wir allerdings wirklich nur durch ein börsengängiges Unternehmen erbringen, also unter Kapitalzufuhr aus dem privaten Bereich. Sie meinen vielleicht, das könnte auch der Staat. Wenn Sie einmal regieren, ({8}) würden Sie wahrscheinlich die staatlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen, um bei der Bundespost entsprechende Verbesserungen herbeizuführen. ({9}) Darf ich Sie daran erinnern, daß dieses leider Gottes ein Muster aller Regierungen ist, ob Sie regieren oder ob wir regieren. Das ist leider Gottes so. Das möchte ich hier auch ganz selbstkritisch anmerken. Damals, zu Ihrer Zeit, als Sie in Haushaltsschwierigkeiten gekommen sind, hat der Finanzminister Matthöfer die Abgabe auf den Umsatz von 62/3 % auf 10 % erhöht. Dabei ist es bis heute geblieben. Von daher gesehen ist es unfair zu sagen, das sei eine Sache dieser Regierung. Ich hätte mich auch gefreut, wenn wir das schneller hätten zurückdrehen können. Aber in der Lage, in der wir uns heute befinden, ist davon wohl nicht auszugehen. Deshalb muß die Deutsche Bundespost von diesem Auf und Ab der staatlichen Wirtschaft völlig unabhängig werden, weil ein so riesiges Unternehmen nach ganz anderen Gesichtspunkten Investitionen und Marktbearbeitungen vornehmen muß. Das ist nicht mit dem Konjunkturzyklus des Staatshaushalts der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung zu bringen. Das ist der Grund. Deswegen sage ich: Die Aktiengesellschaft ist wohl die richtigere Möglichkeit, weil dann verhindert wird, daß sich der Staat die Sachen interventionistisch holt, wenn es ihm paßt oder wenn er es notwendig hat, dann aber wieder ein bißchen Erleichterung gewährt, wenn es ihm möglich ist. Meine Damen und Herren, wir haben es mit rasanten Veränderungen der Märkte zu tun. Sie haben ganz andere Gründe, lieber Herr Paterna, als etwa die Regulierungstätigkeit. Da Sie ein guter Zahlenmensch sind, hätte ich von Ihnen gern einmal die Aufschlüsselung der mehreren Milliarden Mark, die durch die Regulierung verlorengehen. Vom Vorstand der Telekom habe ich dies noch nicht bekommen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das, was dort an Preisen reduziert wird, ist eine Konsequenz aus dem zunehmenden Wettbewerb und den internationalen Strukturen, die weit über das hinausgehen, was ich überhaupt als Regulierung angeregt oder verordnet habe. Wenn ich es irgendwo getan habe, dann deshalb, um die Telekom wenigstens in Schritten an den Wettbewerb heranzuführen, damit sie nicht eines Tages von einem riesig hohen Preisniveau mit einem Schlag eine Bauchlandung macht. Davor sollte man sie bewahren. Wir wissen auch, daß die Bundespost nicht in der Lage ist, alle Anforderungen zu erfüllen, die große internationale Unternehmen heute stellen. Wir haben eine Gruppe von Wettbewerbern. Hier gehen der Telekom auf Grund fehlender Serviceleistungen und zu hoher Entgelte laufend Marktanteile verloren. Da die Telekommunikation nicht das Kerngeschäft dieser Unternehmen darstellt, dürfte hier für die Telekom ein künftiger Markt für systemintegrierte Lösungen liegen. Zu dieser Gruppe der Wettbewerber zähle ich beispielsweise Amadeus, die Dresdner Bank, die Commerzbank, VW. Das sind alles Dinge, die der Telekom verlorengehen, weil sie nicht das passende Angebot hat. Warum hat sie dieses nicht?

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Struck?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, darf ich Sie fragen, wieviel Zettel Sie noch zu verarbeiten beabsichtigen? Wäre es nicht auch Ihrer Meinung nach angemessen und ein Gebot der Höflichkeit gegenüber den nachfolgenden Kollegen, daß Sie Ihre Redezeit endlich einhalten?

Dr. Christian Schwarz-Schilling (Minister:in)

Politiker ID: 11002128

Ich bedanke mich für diese Belehrung. Ich glaube allerdings, daß es auf Grund der Weggabelung, vor der wir in diesen Tagen in Fragen der Telekommunikation stehen, ganz gut ist, wenn einige, die sich sonst damit nicht so nahe beschäftigen können, über diese Fragen informiert werden. ({0}) - Das will ich gerne tun. Meine Damen und Herren, die Eilbedürftigkeit, die hier gegeben ist, ergibt sich aus dem Zwang der internationalen Entwicklungen. Wir müssen auch die Quersubventionierung schnellstens abbauen, weil die Telekom nicht in der Lage ist, diese auf Dauer zu bezahlen. Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Börnsen: Das Herausziehen von Postdienst und Postbank aus der Fläche ist nicht unsere Politik. Bei der Postreform II werden wir auch die Erfahrungen, die wir in den letzten zwei Jahren gewonnen haben, positiv in diesem Sinne zu verwerten haben. Da werden Sie bei uns auf eine absolut positive Antwort stoßen. Das ist kein Punkt, über den wir streiten müssen. Die entsprechenden Schalternutzungen müssen wir gemeinsam in die Lösung dieser Frage einbringen. Morgen beginnen die entscheidenden Verhandlungen. Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß wir nur dann in der Lage sind, der Verantwortung für die Zukunft dieser Unternehmen gerecht zu werden, wenn wir das beste Modell herbeiführen. Ich möchte hier keine Ausführungen dazu mehr machen; Sie wissen ganz genau, welche Auffassungen ich dazu habe. Wir werden jetzt die einzelnen Argumente miteinander austauschen. Wir werden auch die Infrastruktur - das ist ebenfalls ein Anliegen von Ihnen - wohl bedenken. Ich muß Ihnen allerdings sagen, daß sich bei entwickelten Industriestaaten die Akzente etwas verlagern: Nicht die Grundversorgung, nicht die Infrastruktur fehlt, sondern die Frage wird sein, ob differenzierte maßgeschneiderte Angebote und die Vielfalt der Dienstleistungen von der Telekom kommen, damit die künftigen Märkte bedient werden. Das wird die Aufgabe sein. Die andere Frage wird im Grunde genommen von sekundärer Bedeutung sein. Die Erosion des Monopols wird damit zwangsläufig fortschreiten. Wir versuchen, das durch Pflichtleistungen, durch Infrastrukturaufträge entsprechend auszubalancieren. Das haben wir auch gegenüber privaten Unternehmen gemacht. Jetzt stehen wir vor einer Wegscheide. Die eine Möglichkeit ist, die Dinge aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts bis in das 21. Jahrhundert hineinzutragen, und zwar mit einem Unternehmen, das auf eine Verwaltung zugeschnitten ist und keine Leistungsgesichtspunkten entsprechenden Aspekte aufweist. Die andere Möglichkeit ist, wir ziehen nun endlich auch die Konsequenzen, die andere Länder, und zwar kleinere und weniger bedeutende Länder, längst gezogen haben. Ich glaube, es wird wirklich Zeit, daß im Lande Ludwig Erhards moderne Werkzeuge, Wettbewerbsfähigkeit und technologische Pionierleistungen den Unternehmen wieder möglich werden. ({1}) Das hätte unsere Volkswirtschaft bitter nötig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telekom haben für ihre eigene Tätigkeit verdient, daß sie die gleichen Voraussetzungen wie diejenigen Unternehmen haben, die ihnen heute als Meßlatte im Wettbewerb gehalten werden. Nur das ist ein faires Angebot. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Minister hat seine Redezeit um mehr als sieben Minuten überschritten. Das will ich hier nur anmerken. Sie wissen selbst, wie die verfassungsmäßigen Rechte der Regierung sind. Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt dem Einzelplan 13 in der Ausschußfassung zu? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Einzelplan 13 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 37 der Tagesordnung auf: Haushaltsgesetz 1993 - Drucksachen 12/3590, 12/3591 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Borchert Adolf Roth ({0}) Dr. Wolfgang Weng ({1}) Helmut Wieczorek ({2}) Helmut Esters Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll entgegen der ursprünglichen Absicht eine ganz kurze Debatte stattfinden. Ich erteile daher das Wort zunächst unserem Kollegen Christoph Matschie.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie heute schon sehr viele Reden über sich ergehen lassen mußten, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit doch noch auf einen Gegenstand lenken, der etwas über den Tellerrand unserer nationalen Grenzen hinausweist. Die SPD-Fraktion bringt auf Initiative der jungen Abgeordneten den Antrag ein, den Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit 1993 um 2 Milliarden DM aufzustocken. ({0}) und diese Erhöhung durch Einsparungen im Gesamthaushalt zu finanzieren. Ich habe mir sagen lassen, daß man das „globale Minderausgabe" nennt. Der Antrag, den wir vorlegen, steht im Zusammenhang mit einem Entschließungsantrag zur dritten Lesung, der vorsieht, die Mittel für Entwicklungspolitik bis zum Jahr 2000 auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts zu erhöhen. Die 2 Milliarden DM Aufstockung für 1993 stellen also einen ersten Schritt dar. Das Versprechen der Industriestaaten zum 0,7 %Ziel der Entwicklungszusammenarbeit besteht seit zwanzig Jahren. Der Deutsche Bundestag hat am 5. März 1982 einstimmig beschlossen, die 0,7 % baldmöglichst zu erreichen. Damals betrug der Anteil für Entwicklungszusammenarbeit 0,48 % des Bruttosozialprodukts. 1993 wird er nach den bisherigen Planungen weit darunter liegen. Der Bundeskanzler hat im Juni dieses Jahres bei sener Rede zum Erdgipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio gesagt: Kommende Generationen werden unser Handeln in erster Linie daran messen, ob wir unserer Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung und auch zur Bekämpfung der Armut nachgekommen sind. In ihrem Interesse wollen wir alle diese lebenswichtige Aufgabe fortan in den Mittelpunkt der internationalen Politik stellen. Er hat in Rio ferner gesagt: Wir bekennen uns zur Verstärkung der öffentlichen Entwicklungshilfe und bestätigen ausdrücklich das 0,7 %-Ziel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier nicht um irgend etwas, es geht um gewaltige Herausforderungen, ja letztlich um das gemeinsame Überleben in der einen Welt. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, daß durch den Zusammenbruch des Ostblocks weitere Quasi-Entwicklungsländer hinzugekommen sind. Ich weiß, daß es mit mehr Geld allein nicht getan ist. Ich weiß, daß die Entwicklungsländer selbst einen gewichtigen Beitrag leisten müssen. Aber ohne mehr Geld wird es nicht gehen. ({1}) Die in Kopenhagen gerade beschlossene magere Ausstattung des Montreal-Fonds, der den Entwicklungsländern beim Ausstieg aus der ozonzerstörenden FCKW-Produktion helfen soll, ist in meinen Augen ein Skandal. ({2}) Laut Weltbank benötigen die Entwicklungsländer jährlich zusätzliche Hilfen in Höhe von 120 bis 160 Milliarden DM, um die in Rio beschlossenen Maßnahmen zur Erhaltung der Erde und der Überwindung des Elends zu finanzieren. Die bisherige Entwicklungszusammenarbeit deckt knapp die Hälfte. Übrigens hat der Direktor des Internationalen Währungsfonds, Herr Camdessus, der nicht gerade des jugendlichen Leichtsinns zu bezichtigen ist, ({3}) in Rio die Überzeugung geäußert, daß die Industriestaaten über genügend Geld verfügen, um diese Hilfe zu geben. Voraussetzung sei allerdings, daß wir unsere „abartigen Ausgaben für militärische und protektionistische Ziele" einstellen. ({4}) - Ja, er hat „abartig" gesagt. ({5}) Im Haushalt 1993 stehen 50,8 Milliarden DM für Verteidigung, 44,2 Milliarden DM für Verkehr, aber nur knapp 8,5 Milliarden DM für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung. Der Bundeskanzler wollte in Rio die Bewahrung der Schöpfung und die Bekämpfung der Armut „in den Mittelpunkt der internationalen Politik stellen". ({6}) Die Zahlen, Herr Kollege Waigel, sprechen eine andere Sprache. ({7}) Rhetorische Klimmzüge an Rednerpulten allein reichen nicht aus, die Aufgaben der Zukunft zu bewältigen. ({8}) - Im neuen Plenarsaal war es schlecht, und der Bundeshaushalt sieht noch schlechter aus. ({9}) Herr Finanzminister, ich glaube, wir brauchen außer diesen rhetorischen Klimmzügen auch Taten. Die müssen sich auch in diesem Haushalt niederschlagen. Ich bitte Sie deshalb alle, unserem Antrag zuzustimmen. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Jetzt hat unser Kollege Adolf Roth das Wort.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fürchte - bei allem Respekt vor dem Anliegen des jungen thüringischen Kollegen Matschie und seiner MitAdolf Roth ({0}) unterzeichner -, daß er weder der von ihm vertretenen Sache nach der SPD einen Gefallen getan hat. ({1}) Daß er der SPD keinen Gefallen tut, muß uns nicht weiter beschweren. Aber, Herr Kollege Matschie, wenn in einem so besonderen Anliegen 32 Kollegen der SPD-Fraktion und deren Fraktionsvorsitzender Klose einen so spontanen, unabgestimmten und in der Sache wahrlich unüberlegten Antrag - darauf komme ich noch - einbringen, hätte ich wenigstens erwartet, daß die Unterzeichner dieses Antrags heute abend hier im Saal sind. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Struck?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Roth, wollen Sie so freundlich sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sich um einen von der SPD-Bundestagsfraktion beschlossenen Antrag handelt, und wollen Sie bitte freundlicherweise auch zur Kenntnis nehmen, daß z. B. der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Klose genauso wie der Fraktionsvorsitzende der CDU aus terminlichen Gründen an dieser Debatte heute nicht mehr teilnehmen kann?

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Struck, ich bin bereit, hier alles möglich zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) Nur kann ich eine Stilwidrigkeit dieser Art, ({1}) überfallartig eine Stunde vor Beginn einer an sich anders verabredeten Debatte ({2}) diesen Antrag hier unterzuschieben, in dieser Form nicht akzeptieren. Hier sind viele Haushaltskollegen. Jetzt möchte ich den wenigen verbliebenen Zuhörern dieser Debatte folgendes sagen: ({3}) Sie waren einmal Haushälter. Sie haben diesen Antrag mit unterschrieben. ({4}) Außer dem Kollegen Jungmann haben die anderen interessanterweise nicht persönlich unterschrieben. Am gestrigen Abend war die Debatte über den Entwicklungshaushalt hier anberaumt. Die Berichterstatter der Fraktionen haben einvernehmlich hier zu Protokoll gegeben, daß wegen der gründlichen Aussprache zum Einzelplan 23 im Haushaltsausschuß eine zusätzliche, gesonderte Beratung hier im Hohen Hause nicht notwendig sei, und sie haben ihre Reden gestern abend hier zu Protokoll gegeben. Heute abend wird auf dem Umweg über das Haushaltsgesetz eine Einzelplananhebung um sage und schreibe knapp 20 % ohne sachliche Begründung hier vorgelegt. ({5}) Das ist nicht im Sinne dessen, was wir an sachlicher Zusammenarbeit hier gepflegt haben. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, entweder tritt Ruhe ein, oder wir unterbrechen die Sitzung. ({0}) Die Sache ist ganz einfach.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, über das gemeinsame Ziel der Entwicklungspolitik herrscht hier soviel Einvernehmen, daß ich eigentlich erwartet hätte, daß wir im Blick auf die Dimension dieses Themas auch zu einer seriösen Zusammenarbeit in diesem Hause gefunden hätten. Ich habe selbstverständlich - das ist unsere Pflicht als Vertreter der Regierungskoalition - Ihr Sofortprogramm, beschlossen vor einer Woche auf einem Sonderparteitag, gelesen. Da steht nichts anderes drin, als der Bundeskanzler in Rio für die Bundesrepublik Deutschland erklärt hat, ({0}) nämlich daß die öffentlichen entwicklungspolitischen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 2000 schrittweise auf 0,7 % des Bruttosozialproduktes erhöht werden sollen. Nur eines haben Sie nicht hinzugefügt; aber das hat der Bundeskanzler in Rio getan, und das ist auch in dieser Woche in diesem Hause diskutiert worden: Wir haben vor dem Hintergrund unserer Probleme mit der Einheit Deutschlands und vor dem Hintergrund historischer Umbrüche in Europa, über das klassische Ausgangsziel der Hilfe für den entwicklungsbedürftigen Süden hinausgreifend, uns ein großes gemeinsames Ziel in Europa gestellt, nämlich eine Hilfe für die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und für die anderen Staaten in Mittel- und Osteuropa. Die Bundesrepublik Deutschland - ich darf Ihnen das nur kurz in Erinnerung bringen - hat bis zur Stunde in diesem Leistungskatalog für die GUS-Staaten und für die anderen Länder in unserer osteuropäischen Nachbarschaft sage und schreibe 100 Millionen DM an Leistungen erbracht und zugesichert. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte jetzt meinen Gedanken zu Ende führen!

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nein, dann muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Redezeit ohnehin abgelaufen ist, und ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.

Adolf Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001889, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe das eben anders gesehen. Jetzt läuft sie ab. Ich möchte feststellen, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen, und ich möchte die SPD auffordern, zur Seriosität der Beratungen zurückzukommen. Wir vertreten hier unsere deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger und Steuerzahler. Niemand kann 2 Milliarden DM ohne irgendeinen Vorlauf in einem Jahr sauber für Entwicklungshilfeprojekte ausplanen, die es auf dem Reißbrett überhaupt noch nicht gibt. Dies ist ein reiner Show-Antrag, der dem Anliegen unserer Entwicklungspolitik nicht gerecht wird. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Jetzt hat das Wort der Kollege Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man mit einer gewissen Vorgabe zu diesem Antrag hier ins Plenum gekommen ist und der Debatte bisher gefolgt ist, fällt es nicht ganz leicht, die Vorgabe einzuhalten, da nicht ganz klar ist, wie ernst das Anliegen war, ob hier ein wirklich ernstes Anliegen mit einer ungeeigneten Methode vorgetragen wird oder ob hier etwas ganz anderes stattfindet. Die Sache ist nicht ganz einfach. ({0}) Ich stelle folgendes fest: Zu der Frage globaler Minderausgaben habe ich mich in meiner Etatrede geäußert. Ich habe den Kollegen Zander von der SPD im Auge, und zwar aus der Zeit, in der wir gemeinsam Berichterstatter waren, ({1}) der die einzige globale Minderausgabe im Bundesetat mit mir zusammen immer heftig kritisiert hat, weil eine globale Minderausgabe im Grundsatz eigentlich parlamentarische Rechte abgibt. Ich habe gut begründet, warum wir im laufenden Etat für das Jahr 1993 bei den globalen Minderausgaben die eine oder andere Änderung vornehmen mußten. Aber eine globale Minderausgabe in der Weise einzusetzen, wie das dieser Antrag plant, ist tatsächlich nicht zumutbar. Der zweite Teil betrifft eine Mehrausgabe in dieser Höhe. Meine Damen und Herren, Kollege Roth hat es gesagt: Sie können eine solche Mehrausgabe, die nicht irgendwo ordnungsgemäß verplant ist, die nicht ordnungsgemäß diskutiert ist, tatsächlich nicht als zumutbar ansehen. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist das hier der reine Schauantrag? Geht es hier um das übliche Rollenspiel: Man braucht noch ein bißchen, was man nachher der Öffentlichkeit erzählen kann, damit man sagen kann, was für ein guter Mensch man gewesen ist!? ({2}) Mir fällt es deshalb etwas schwer, weil ich, ehrlich gesagt, nicht ganz sicher bin, ob nicht hier die SPD-Fraktion, das Establishment, die Herren, die das alles gut im Griff haben, die jungen Kollegen, die das mit diesem Antrag vielleicht ganz ernst meinen, absichtlich in etwas hineinlaufen lassen. ({3}) Wenn das so wäre, dann wäre es besonders unangenehm. Ich erinnere mich, Frau Kollegin Titze, gut an die Zeit, als Sie noch ganz neu hier waren und gesagt haben, Sie wollten eine Reihe von Dingen anders machen. Gerade Sie wollten eine Reihe von Dingen anders machen, als hier das übliche Rollenspiel wäre. Ich habe dann aber am Schluß festgestellt: Es geht leider vielleicht doch nicht so leicht, wie Sie es sich wohl selbst gedacht haben. Jedenfalls findet es nicht statt. Ich finde es schade, wenn die jungen Kollegen hier in irgend etwas hineinlaufen. Wenn sie wissen, was sie tun, kann man das locker ablehnen, weil es wirklich der Versuch ist, die Bürger draußen zu verdummen; dieser Versuch ist nicht erforderlich. Wir haben das vorhin unten in anderem Zusammenhang gesagt: Derjenige, der meint, wenn er sich im Wahlkreis besonders aufführt, sich möglichst weit von Geflogenheiten entfernt, dann nützt ihm das: er wird sich täuschen. Er wird sich wundern, wenn der Wähler ihm dann die entsprechende Quittung gibt. Ich drehe es einmal um, meine Damen und Herren. Ich habe den SPD-Parteitag noch ganz gut in Erinnerung. Da hat Herr Rau unter donnerndem Jubel gesagt: Kanzlerkandidat, Herr Engholm, das ist nichts; aber Kanzler, das ist etwas! Es heißt auch, und die Äußerungen des Herrn Engholm lassen darauf schließen, daß er Kanzler werden will. Mal unterstellt, er wäre das, dann wäre ein solcher Antrag der SPDFraktion hier sicher nicht gekommen, weil er bis ins Letzte unseriös ist. ({4}) - Jede Logik, die in diese Richtung führt, Herr Rüttgers, ist natürlich erlaubt. Ich bin noch nicht am Ende. Das Warum ist begründet. Ich habe mir dann überlegt: Wenn dieser Antrag seriös ist, dann muß man gucken; wer alles ihn unterschrieben hat. Dann fällt auf: Es ist eigentlich nur ein Haushälter dabei. Bei allen, die unterschrieben haben, ist nur ein Haushälter. ({5}) Dr. Wolfgang Weng ({6}) Wenn er nicht dabei gewesen wäre, dann wäre mir die Ablehnung noch leichter gefallen, und ich hätte gesagt: Es hat noch nicht einmal ein Haushälter mit unterschrieben. Aber Kollege Jungmann hat das mit unterschrieben, und damit entfällt die Begründung der Unseriosität mangels Haushälter. ({7}) Es ist aber - es ist ja immer gut, wenn man einen Schritt weiter geht - unter denen, die unterschrieben haben, keiner der Haushälter, die für den Bereich wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig sind - das ist ja der eine Teil, den dieser Antrag betrifft -, und es ist keiner der Haushälter dabei, der den Bereich Allgemeine Finanzverwaltung oder Bundesschuld vertritt. Das ist der zweite Teil. ({8}) Die Sachkundigen, diejenigen, die von der Sache etwas verstehen, haben nicht unterschrieben. ({9}) Kollege Struck hat sich, wenn ich das richtig sehe, hinter „Klose und Fraktion" versteckt. ({10})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege Weng, es ist ja hochinteressant; nur Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie noch um einen Schlußsatz.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident; die Redezeit ist tatsächlich abgelaufen. Ich glaube, daß alles, was ich hier gesagt habe, klarmacht, daß wir nicht in der Lage sind, unter diesen Umständen diesem Antrag zuzustimmen, und ich bitte die verantwortungsvolle Mehrheit dieses Hauses, mir zu folgen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3809. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. ({0}) Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3810 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/3857 ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie vorher abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über das Haushaltsgesetz 1993 einschließlich des Gesamtplans in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Das Haushaltsgesetz 1993 ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe nun Tagesordnungspunkt III. 38 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1992 bis 1996 - Drucksachen 12/3100, 12/3541, 12/3759 - Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Borchert Dr. Wolfgang Weng ({3}) Helmut Wieczorek ({4}) Adolf Roth ({5}) Helmut Esters Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 12/3759. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Ich nehme an dieser Stelle einen Zuruf des Kollgen Pfeffermann auf: Die beiden letzten Tagesordnungspunkte wurden in Abwesenheit der Gruppe PDS/ Linke Liste und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN behandelt. Ich sage das vorsorglich wegen etwaiger Einwendungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. November 1992, 8.00 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.