Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/11/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Da eine Regierungsbefragung heute nicht stattfindet, rufe ich gleich den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde - Drucksache 12/3656 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Otto Schily auf: Kann die Bundesregierung den Bericht des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL ({0}) bestätigen, in dem es heißt: „Arbeitsminister Norbert Blüm bestätigt das Gerede vom Staatsnotstand und seinen möglichen Folgen: Wenn die SPD sich verweigere, werde das über den Staatsnotstand geregelt"? Beantwortet wird die Frage durch den Bundesminister Dr. Norbert Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Abgeordneter, bei keinem der Zitate ist aus dem Begriff Staatsnotstand eine Kollision mit der Verfassung zu entnehmen. Die Regierung ist auf die Verfassung vereidigt. Jeder Zweifel an der Verfassungstreue des Bundeskanzlers entbehrt jeder Grundlage. Das nehme ich auch für mich in Anspruch. Es ist richtig, daß ich bestätigt habe, daß über den Staatsnotstand geredet wurde. Diese Angabe ist jedoch nicht die Enthüllung eines Geheimnisses, sondern in der Parteitagsrede des Bundeskanzlers vom 26. Oktober nachzulesen, wo es heißt - ich zitiere -: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgehenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ja - ich sage es mit Bedacht - eines Staatsnotstands. Bereits am 24. Oktober hat der Herr Bundeskanzler in einem Interview mit der „Rheinischen Post" auf die Frage nach dem Staatsnotstand geantwortet: In den Augen der Bürger ist der Staatsnotstand eingetreten, wenn der Staat handlungsunfähig ist. Ähnliches hat der Bundeskanzler auch in „Bild am Sonntag" am 25. Oktober gesagt. Darauf habe ich hingewiesen, nicht mehr und nicht weniger. „Wenn die SPD sich verweigere, werde das über den Staatsnotstand geregelt" , das ist nicht meine Wortwahl. Aber auch wenn man „Staatsnotstand" im politischen Sinne mit „Krise" übersetzt, kann niemand wünschen, daß wir unter Krisenbedingungen handeln, und auch unter Krisenbedingungen gelten die Grenzen unserer Verfassung. Herr Abgeordneter, ich möchte noch hinzufügen, daß es mir wichtig erscheint, daß über elementare Fragen unseres demokratischen Staates Konsens hergestellt wird. Deshalb sollte auch die heutige Fragestunde wie die Diskussion in diesen Tagen einschließlich der auf dem Parteitag der SPD dazu beitragen, den notwendigen Konsens der demokratischen Parteien nicht zu erschweren. Ich wünsche mir für dieses Haus wie für den Parteitag eine repressionsfreie Diskussion über die Lösung des Problems Asyl. Das sollten wir uns wechselseitig nicht schwerer machen. Deshalb bin ich auch dankbar für diese Frage, weil sie der Klarstellung dient.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, Sie gestatten mir sicherlich eine kurze Vorbemerkung. Ich möchte dem Herrn Bundesminister ein Kompliment dafür machen, daß er heute persönlich anwesend ist. Ich halte das für einen guten Stil. Das sollte sich bei anderen Kabinettsmitgliedern herumsprechen. Aber nun die Frage, die ich als Zusatzfrage stellen möchte, Herr Bundesminister Dr. Blüm: In dem „Spiegel"-Artikel, der hier in der Frage zitiert ist, heißt es: Wenn die SPD sich verweigere, werde das über den Staatsnotstand geregelt. Sie sagen, das sei nicht Ihre Wortwahl. Hier werden die Worte „über den Staatsnotstand" in Anführungsstriche gesetzt. Wenn es nur darum gegangen wäre, das zu bestätigen, was Herr Kohl schon öffentlich gesagt hatte, wäre es für den „Spiegel" vielleicht nicht des Aufhebens wert gewesen. Hier wird aber ein bestimmter Zusammenhang hergestellt. Die Frage, die sich daran anknüpft: Haben Sie denn diese Darstellung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" irgendwann einmal dementiert oder dementieren lassen? Dr. Norbert Blüm Bundesminister: Nein. Das kann ich hier klar und deutlich sagen. Ich hatte das Problem, Herr Abgeordneter, auch nicht gesehen; denn wenn man „Staatsnotstand" mit „politische Krise" übersetzt, dann habe ich den Unterschied zwischen „in der Krise handeln" und „über Staatsnotstand handeln" für nicht erheblich gehalten. Denn auch eine Krise gibt ja keine Legitimation, die Grenzen der Verfassung unbeachtet zu lassen. Wenn man unter Krisenbedingungen handelt, dann steigen möglicherweise die Risiken der Verfassung. Sonst gäbe es ja nicht den Wunsch nach Verfassungsänderung. Aber ich meine, es kann nicht in unserem Sinn sein, daß über Auslegungen der Verfassung Streit entsteht. Das war der Grund, warum ich mich dem Petitum Grundgesetzänderung angeschlossen habe. Um Ihre Frage klar und deutlich zu beantworten: Ich habe den Unterschied zwischen „über Staatsnotstand handeln" und „in Krise handeln" für nicht so erheblich gehalten, wie Sie ihn halten. Aber ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie mir zu der Erklärung Gelegenheit geben, daß ich aus dem Begriff „Staatsnotstand" nicht die Legitimation für eine Kollision mit der Verfassung nehme.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, diese Antwort ist durchaus zu begrüßen. Aber die zweite Frage, die ich an Sie richten möchte, geht dahin: Sie haben sicherlich auch davon Notiz genommen, daß z. B. ein bayerischer Landesminister wortwörtlich erklärt hat, daß man notfalls auch einen Verstoß gegen die Verfassung in Kauf nehmen müsse, um bestimmte Dinge zu regeln, und daß auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble, in einer Debatte erklärt hat, daß dann, wenn sich die SPD einer Verfassungsänderung verweigere, womöglich eine Verfassungs- und Staatskrise entstehe. In der Tat wird auch hier das Wort „Krise" , nicht das Wort „Notstand" verwendet, wobei das ja ein bißchen changiert. Es wird also ein Zusammenhang zwischen einer Lage, in der eine Verfassungsänderung nicht mit der notwendigen Mehrheit durchgesetzt werden kann, und dem Wort „Notstand" und möglichen Maßnahmen hergestellt, und Ihr Kabinettskollege Herr Bohl hat uns auch in der Fragestunde erklärt, daß man Überlegungen angestellt habe. Er wollte uns allerdings nicht darüber Auskunft geben, welche. Können Sie denn bestätigen, daß im Kabinett Überlegungen angestellt worden sind, was von seiten der Regierung die Konsequenzen sein werden, wenn denn die Staatskrise - wie Sie sich heute ausdrükken - oder der Staatsnotstand - wie sich der Bundeskanzler ausgedrückt hat - eintritt? Dr. Norbert Blüm Bundesminister: Herr Abgeordneter, wenn keine Grundgesetzsänderung zustande käme, könnte das ja nicht Stillstand der Politik bedeuten. Ich sagte, daß dann möglicherweise verfassungsrechtliche Risiken wachsen. Aber die Grenzen der Verfassung sind für jedermann tabu. Das ist unsere gemeinsame Plattform. Deshalb sind Handlungen, die die Grenzen der Verfassung überschreiten, für mich unvorstellbar, und ich kenne auch niemanden, der dies vorgeschlagen hätte. Das Zitat des bayerischen Innenministers kenne ich nicht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Gansel das Wort.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Blüm, Sie gehören - wie ich - zu denjenigen, die in den Zeiten der Großen Koalition vor dem Mißbrauch einer Notstandsverfassung gewarnt haben. Sie wissen, daß der Begriff Notstand nur im Falle eines Angriffs von außen zulässig ist oder dann, wenn im Inneren der Bestand des Bundes oder eines Landes in Gefahr ist. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß jemand mit Ihrer Vorgeschichte, wenn der Kanzler vom Notstand spricht, wenn Ihr Kollege Gerster von einem Asylsichenmgsgesetz auf Grund eines „sozialen Nostandes" spricht, wenn Ihr Kollege von Geldern aus der CDU/CSU-Fraktion für diesen Fall die „Einschaltung eines Notstandsparlaments " fordert, durch das vom „Spiegel" wiedergegebene Zitat von Ihnen, daß Regelungen „über den Staatsnotstand" gesucht werden sollen, elektrisiert werden muß und veranlaßt werden muß, dies, wenn es nicht zutrifft, unverzüglich klarzustellen und vom „Spiegel" eine Klarstellung nicht in Form eines Leserbriefes, sondern in Form einer Gegendarstellung des Bundesministers Norbert Blüm zu verlangen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Abgeordneter, ich habe die Notwendigkeit nicht gesehen. Die Diskussion der letzten Tage hat ja auch außer Zweifel gestellt, daß die Grenzen der Verfassung mit dem Wort Staatsnotstand nicht außer Kraft gesetzt werden. Richtig ist, daß diese Diskussion zur Klarstellung beigetragen hat. Dem möchte ich nichts weiter hinzufügen. In der Tat ist der Begriff Staatsnotstand keine Legitimation, die Grenzen der Verfassung nicht zu beachten. Vielleicht dient unser Frage- und AntwortWechsel dazu, das noch einmal klarzustellen. Diese Klarstellung kann auch dazu beitragen, daß wir die Diskussion über eine mögliche Grundgesetzänderung nicht in einem Klima wechselseitiger Verdächtigungen führen. An der Lösung des Problems müssen wir ja gemeinsam beteiligt sein. Ihr Parteivorsitzender hat in diesem Zusammenhang vom Bestand der Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates gesprochen. Das ist auch nur eine andere Formulierung für das, was ich als Krise bezeichne. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es gibt noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Küster.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben eben in der Beantwortung der Frage meines Kollegen Schily ausgeführt: Es wachsen die verfassungsrechtliDr. Uwe Küster chen Risiken. Ist es möglich, daß Sie das ein wenig interpretieren, damit der Begriff klarer wird?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ja, gern. Unter der Voraussetzung, daß die Grenzen der Verfassung tabu sind, muß dennoch gehandelt werden, wenn eine Grundgesetzänderung nicht zustande käme - was ich nicht wünsche. Dabei könnten durchaus Diskussionen über die Auslegung der Verfassung entstehen. Eine solche Diskussion wünsche ich mir nicht, weil ich glaube, daß die Verfassung und ihre Grenzen außerhalb des Streits der Parteien bleiben sollen. Genau so habe ich es gemeint.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Wagner, bitte.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ob und wann haben Sie mit Herrn Staatsminister Bohl über den „Spiegel"-Artikel gesprochen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nach meinem Gedächtnis glaube ich, noch am gleichen Tage, an dem die Debatte hier stattfand. ({0}) - Vor der Debatte mit Sicherheit nicht! Ich muß noch einmal gestehen, daß ich das Problem, das Sie sehen, nicht gesehen habe. Ich bin dankbar, daß Sie mir Gelegenheit geben, klarzustellen, was meine Meinung ist.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nunmehr rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Norbert Gansel auf: Trifft es zu, daß das Mitglied der Bundesregierung, Bundesminister Norbert Blüm, das Gerede vom Staatsnotstand und seinen möglichen Folgen bestätigt hat und erklärt hat, „Darüber ist gesprochen worden", wenn die SPD sich verweigere, werde das „über den Staatsnotstand geregelt" ({0}), und wie bewertet die Bundesregierung die Äußerung des Bundesministers?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Darf ich die Frage 12 noch einmal hören? Können Sie mir Amtshilfe leisten? ({0}) - Ich dachte, die Fragen 11 und 12 seien identisch, Herr Kollege Gansel. Es war nicht eine Mißachtung der Frage 12. Ich meinte mit meiner Antwort bereits die Fragen 11 und 12 beantwortet zu haben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Haben Sie eine Zusatzfrage Herr Gansel?

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Frau Präsidentin. Ich habe zwar mit dem Kollegen Schily soviel gemeinsam, daß es durchaus vorkommen kann, daß wir die gleichen Fragen stellen, aber dann muß die Bundesregierung vorher fragen, ob sie sie gemeinsam beantworten darf. Nun sind sie aber nicht gleich, denn ich habe nach einer Bewertung dieses Vorgangs durch die Bundesregierung gefragt. Der Hintergrund dieser Geschichte war ja, daß ein gewisser Herr Bohl, Minister im Bundeskanzleramt, hergekommen ist und nicht in der Lage war, zu den Äußerungen des Kabinettsmitglieds Blüm im „Spiegel" Stellung zu nehmen. Ich habe in einem zweiten Teil der Frage nach der Bewertung gefragt. Wenn der Herr Kollege Blüm bisher die erste Häfte meiner Frage beantwortet hat, fehlt immer noch die Antwort auf meine Frage nach der Bewertung. Der Kollege Bohl hat das letzte Mal hier im Plenum behauptet, der „Spiegel" habe dem Bundesminister Blüm die Äußerungen in den Mund gelegt. Ich möchte wissen, ob diese Bewertung der Bundesregierung zutrifft. Also muß einer der Herren herkommen und den zweiten Teil meiner Frage beantworten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Vielleicht kann der Bundesminister zunächst zu Ihrer Frage Stellung nehmen.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Kollege Gansel, es ist richtig, daß der Kollege Bohl in der Fragestunde nicht die Antwort auf die Frage danach geben konnte, was ich gesagt habe. Ich finde, das liegt auch in der Logik von Kabinettszusammenarbeit. Ich muß die Frage danach, was ich gesagt habe, beantworten. Ich habe heute ausdrücklich gesagt: Ich bestätige, daß über den Staatsnotstand gesprochen wurde. Es ist nicht meine Wortwahl, dies „über den Staatsnotstand zu regeln". Ich habe den Unterschied zu der Formulierung „in der politischen Krise handeln" nicht für erheblich gehalten. Ich sage noch einmal: Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, dies zu trennen. Was gibt es da zu bewerten? Ich habe es so nicht gesagt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Die zweite Zusatzfrage, Herr Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das ist meine erste. Der Minister hat gerade meine schriftlich eingereichte Frage beantwortet, und jetzt stelle ich die erste Zusatzfrage. Sie lautet: Kann die Bundesregierung, die ich ja gefragt habe, die Antwort des Kanzleramtsministers Bohl aus der letzten Fragestunde bestätigen, in der es hieß, daß dieses Zitat aus dem „Spiegel" Herrn Blüm offensichtlich in den Mund gelegt worden ist, obwohl Herr Bohl zwar in derselben Fragestunde laut Protokoll die Äußerung von Herrn Blüm weder bestätigen noch dementieren konnte, aber wußte, daß der „Spiegel" es Herrn Blüm in den Mund gelegt hatte? Wenn das zutrifft, wird Herr Bundesminister Blüm nicht nur einen Leserbrief an den „Spiegel" schreiben oder ein freundliches Telefongespräch führen, sondern in Form einer Gegendarstellung dafür sorgen, daß er aus dem Geruch herauskommt, sich verfassungswidrig geäußert zu haben?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich hoffe, daß das Plenum des Deutschen Bundestages der hervorragende Ort ist, an dem ich mich von diesem schweren Verdacht, der mich belasten würde, durch eine Klar10104 stellung befreien kann. Ich finde, hier ist der Ort für die Klärung. ({0}) Ich bin dem Kollegen Bohl dankbar, daß er sich offenbar nicht vorstellen konnte, daß ich so etwas gesagt habe. Das finde ich ganz kollegial. ({1})

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nicht nach der Dankbarkeit gefragt, sondern nach der Bewertung. Ist es zutreffend, daß der „Spiegel" es Ihnen in den Mund gelegt hat, wie Herr Bohl das in der letzten Fragestunde gesagt hat?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Von mir stammt dieses Zitat nicht. Sie können das in Worte kleiden, die Ihnen angebracht erscheinen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt kommt meine zweite Zusatzfrage, Frau Präsidentin. - Da Sie, Herr Kollege Blüm, sehr wohl wissen, daß es ein qualitativer und nicht nur ein sprachlicher Unterschied ist, ob über Staatskrise oder über Staatsnotstand oder Notstand geredet wird, frage ich Sie: Ist in diesem Zusammenhang, wenn man sich bei den Gesprächen im Rahmen der Verfassung bewegen wollte, vielleicht von dem Gesetzgebungsnotstand gesprochen worden? War die Rede davon, daß man über den nach Art. 81 des Grundgesetzes Regelungen treffen wollte?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Kollege Gansel, ich komme zum ersten Teil Ihrer Frage. Das Wort „Staatsnotstand" ist nicht erst in der „Spiegel"Veröffentlichung aufgetreten, sondern mehrere Tage vorher an den von mir bezeichneten Stellen - „Bild am Sonntag", „Rheinische Post" sowie auf dem Parteitag -, ohne daß es offenbar Anlaß zu diesen Mißverständnissen gegeben hat. Erst nach der Veröffentlichung im „Spiegel" gab es diese Mißverständnisse. Ich dachte, sie seien durch die Debatte - auch in der letzten Woche - geklärt. ({0}) - Ich gucke Sie jetzt fragend an, weil ich nicht genau weiß, ob ich alle Teile Ihrer Frage beantwortet habe. ({1}) - Nein. Es ist aber richtig - ich will dies noch einmal betonen -, daß die Politik bei der Verweigerung einer Grundgesetzänderung nicht abdankt. Die Politik muß handeln. Niemand kann uns das wünschen, weil es ein Handeln unter erschwerten Bedingungen wäre. Es wäre ein Handeln, das möglicherweise seine Ziele nicht erreichen kann. Wenn Sie das als Notstand bezeichnen, dann würde ich dem nicht widersprechen. ({2}) - Gut. Ich habe klargestellt, wie ich es verstanden habe.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Eine Zusatzfrage, Herr Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, Sie haben heute ganz eindeutig erklärt, daß Sie sich von dem, was im „Spiegel" berichtet worden ist, absetzen. Hier steht: Darüber ist gesprochen worden, und wenn sich die SPD verweigere, werde das über den Staatsnotstand geregelt. - Eine solche Äußerung - das sagen Sie heute ganz eindeutig - haben Sie nicht abgegeben. Da das ja nun - wie Sie uns heute darstellen - so von Ihnen nicht geäußert worden ist, es aber einen Sinn macht, den Sie selber - vorsichtig ausgedrückt - für problematisch halten, lautet meine Frage: Hat denn irgendein Kabinettsmitglied Sie nach dieser Veröffentlichung im „Spiegel" unmittelbar zur Rede gestellt und darauf hingewirkt, daß Sie das zum frühestmöglichen Zeitpunkt richtigstellen, da zu Beginn der Woche - Montag, Dienstag - darüber in den Tageszeitungen ausführlich berichtet wurde?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Schily, erstens bestätige ich noch einmal ausdrücklich, daß es stimmt, daß ich gegenüber dem „Spiegel" bestätigt habe, daß über Staatsnotstand gesprochen wurde. Zweitens. Kein Kabinettsmitglied hat mich auf diese Formulierung angesprochen, weil offenbar auch andere Kabinettsmitglieder den Unterschied zwischen dem Handeln „über Staatsnotstand" und dem Handeln „in politischer Krise" nach Klarstellung des Wortes Staatsnotstand nicht gesehen haben. Auch ich habe diesen Unterschied nicht gesehen. ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, nur damit wir nicht aneinander vorbeireden und damit das auch für das Protokoll klar ist: Herr Bundesminister, Sie sprachen vom Staatsnotstand. Sie haben aber doch mir gegenüber und auch gegenüber dem Kollegen Gansel deutlich erklärt, daß Sie keinen Zusammenhang zwischen Staatsnotstand und den sich dann daraus ergebenden Regelungen hergestellt haben.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich habe sehr wohl den Zusammenhang hergestellt, daß man auch in Krisen handlungsfähig bleiben muß und daß auch in einer Krisenzeit der Staat unter Beachtung der Grenzen der Verfassung handeln kann.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es nun richtig, was im „Spiegel" steht, oder nicht?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Um es noch einmal zu sagen: Wenn Sie „über den Staatsnotstand regeln" mit „in der Staatskrise regeln" übersetzen, dann ist das sinngemäß richtig. Die Wortwahl, die Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode Bundesminister Dr. Norbert Blüm Sache „über den Staatsnotstand zu regeln", ist nicht meine Wortwahl.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht also nur um „in" oder „über"? ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Küster hat das Wort.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, ich muß noch einmal zu dem Punkt nachfragen, der besagt, daß Sie im Kabinett von „im Rahmen der Auslegung der Verfassung" gesprochen haben. Es geht also darum, daß Sie über die Grenzen der Verfassung gesprochen haben. Haben Sie davon im Zusammenhang mit dem Staatsnotstand gesprochen? Vielleicht wäre es gut, wenn Sie sagen könnten, wer denn die Auslegung der Verfassung vornehmen sollte.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich muß noch einmal präzisieren: Erstens. Ich habe ganz allgemein davon gesprochen, daß auch in der Krise gehandelt werden muß. Das ist nicht meine private Darstellung. Das war sogar Gegenstand der Fragestunde in der vergangenen Woche. In aller Öffentlichkeit ist diese Debatte geführt worden. Es gibt also gar keinen Rückzug ins Kabinett. Davon habe ich gar nicht gesprochen. Zweitens. Über die Verfassung wachen dieses Parlament, der Bundespräsident und das Bundesverfassungsgericht sowie wir alle, jeder Abgeordnete. Ich bin auf die Verfassung vereidigt und beabsichtige nicht, mit meinen Pflichten in Konflikt zu kommen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Wagner, Sie haben das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, warum weigern Sie sich eigentlich, dem „Spiegel" gegenüber eine Gegendarstellung durchzusetzen?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Es geht nicht darum, etwas durchzusetzen. Ich befinde mich zur Zeit in dem Auditorium mit der höchsten Autorität. ({0}) Es geht nicht darum, wie ich mich gegenüber dem „Spiegel" verhalten soll. Gemessen an der Autorität dieses Hohen Hauses halte ich das für eine nachgeordnete Frage. Eine höhere Autorität als dieses Hohe Haus, um ihm gegenüber zu erklären, was ich gesagt habe, sehe ich nicht. ({1}) - Nein.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kubatschka, Sie haben das Wort.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, was haben Sie dann dem „Spiegel" gesagt, und zu wem vom „Spiegel" haben Sie es gesagt? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ich beabsichtige nicht, hier meine Gesprächsteilnehmer preiszugeben. ({0}) Es besteht überhaupt nicht die Veranlassung, hier komplizierte Detektivspiele zu machen. Ich habe dem „Spiegel" gegenüber bestätigt, daß über Staatsnotstand geredet wurde. Das ist es. ({1}) - Selbst mit hohen artistischen Leistungen habe ich weder die Absicht, mich zu winden, noch kann ich es. Ich habe klar und deutlich gesagt, wie ich „Staatsnotstand" verstehe. In dem Sinne habe ich auch keinen Anlaß zur Aufregung gesehen, den Begriff „über Staatsnotstand" so zu interpretieren, daß er von dem Verdacht frei ist, die Verfassung in Gefahr zu bringen. Ich dachte, es sei eine Selbstverständlichkeit zwischen allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses, ({2}) daß die Verfassung tabu ist. Ich habe nicht die Notwendigkeit gesehen, eine Selbstverständlichkeit klarzustellen. ({3}) Ich habe diese Notwendigkeit wirklich nicht gesehen!

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister Blüm, ich gehe jetzt davon aus, daß wir uns ausgiebig mit den Fragen 11 und 12 befaßt haben. ({0}) - Ja, das gibt es oft in Befragungen. ({1}) Es ist immer unterschiedlich, für wen sie nicht zufriedenstellend sind. ({2}) Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Senioren. Die Beantwortung erfolgt durch die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Michael Habermann auf: Warum wurde die vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie und Senioren geplante und für den 4. November 1992 angekündigte Fachtagung „Verschämte Altersarmut" abgesagt?

Roswitha Verhülsdonk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002371

Herr Kollege Habermann, das Bundesministerium für Familie und Senioren hatte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt für den 4. November 1992 die Durchführung eines Fachkolloquiums zum Thema „verschämte Altersarmut" in Aussicht genommen. Wegen der terminbedingten Absage wichtiger Teilnehmer mußte der Gedanke einer solchen Veranstaltung noch in der Vorbereitungsphase fallengelassen werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Erste Zusatzfrage.

Michael Habermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, welche Motivation hat Sie dazu bewogen, die Veranstaltung überhaupt durchzuführen oder, wie sie formulieren, in Aussicht zu nehmen, besteht diese Motivation weiter, und ist deshalb ein neuer Termin ins Auge gefaßt, an dem die Veranstaltung durchgeführt werden soll?

Roswitha Verhülsdonk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002371

Es ist zur Zeit kein neuer Termin ins Auge gefaßt. Die Diskussion, die zu diesem Thema auch im Parlament wiederholt geführt wird, und Anträge, die es zu diesem Thema im Bundestag gibt, haben uns zunächst bewogen, dem Thema nahezutreten. Bei den Gesprächen mit möglichen Referenten hat sich ergeben, daß diese zu dem geplanten Zeitpunkt nicht zur Verfügung standen und daß einige Komplexe auch nicht aufklärbar sind; darüber haben wir heute morgen noch im Ausschuß gesprochen. Deswegen sehen wir im Augenblick wenig Sinn darin, ein solches Kolloquium durchzuführen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zweite Frage.

Michael Habermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie die Referenten benennen, die abgesagt haben, und würden Sie eine Einschätzung dazu abgeben, ob von seiten des Instituts die Veranstaltung trotzdem als durchführbar angesehen wird?

Roswitha Verhülsdonk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002371

Die Frage, was es als durchführbar ansieht, ist eine Frage, die das Institut beantworten muß. Jedenfalls wäre unsere Zusammenarbeit mit dem Institut unter den Bedingungen, die sich ergeben haben, nicht sinnvoll gewesen. Es hat auch keine Vereinbarungen irgendwelcher Art mit Referenten gegeben. Es hat Voranfragen gegeben, ob diese zur Verfügung stehen und ob sie über bestimmte Komplexe dieses Bereichs eine Auskunft geben können, die hinreichend gesichert ist, so daß man damit ein Kolloquium veranstalten kann. Dies fand alles in einem Vorstadium statt, lange bevor überhaupt ein Zeitpunkt erreicht war, an dem man eine solche Veranstaltung öffentlich hätte ankündigen können oder sollen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Habermann, Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gestellt. Ich darf die drei Kollegen hier vorne bitte - die anderen haben auch geduldig gewartet -, daß Sie das, was Sie eben nicht erledigt haben, nicht vor den anderen Fragestellern austragen. ({0})

Michael Habermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In dem ersten Teil meiner zweiten Zusatzfrage habe ich nach den Referenten gefragt, die abgesagt haben.

Roswitha Verhülsdonk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002371

Ich kann sie Ihnen nicht namentlich benennen, da ich die Verhandlungen nicht geführt habe. Es hat auf Arbeitsebene hierzu Gespräche gegeben. Ich könnte das nachprüfen lassen. Im Augenblick kann ich Ihnen die Namen nicht nennen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Weitere Zusatzfragen sehe ich nicht. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich komme zum Gschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit. Frage 14 des Abgeordneten Benno Zierer wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Joachim Günther zur Verfügung. Ich rufe Frage 15 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert auf: Auf welche Umfrage in den östlichen Bundesländern bezog sich Bundesministerin Dr. Irmgard Schwaetzer in ihrer Rede im Deutschen Bundestag am 10. September 1992, aus welcher hervorgeht, „daß etwa die Hälfte der Menschen inzwischen sieht, daß sich die Situation im Wohnungsbereich sichtbar verbessert"? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Joachim Günther, Parl.Staatssekretär bei der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Herr Kollege Dr. Seifert, die Aussage von Frau Minister Dr. Schwaetzer bezog sich auf eine Umfrage des Instituts für Demoskopie, Allensbach, das im Frühsommer 1989 eine aktuelle Bestandsaufnahme zu den Problemen und zur Stimmungslage der Bevölkerung in den neuen Bundesländern vorgenommen hat. Auf die Frage, welche Maßnahmen, bezogen auf den persönlichen Erlebnishintergrund, in den neuen Bundesländern bereits angepackt worden sind, registrierten insgesamt 59 % der Bevölkerung, daß sich die Lage vor Ort bessert und daß es aufwärts geht. Daraus geht hervor, daß die Mehrheit der Bevölkerung Fortschritte sieht. Diese Einstellung gilt nicht nur allgemein, denn etwa 45 % der Befragten in den neuen Bundesländern gaben an, daß in der Wohnung bzw. dem Haus, in dem sie selbst leben, bereits größere Mängel tatsächlich beseitigt wurden. Diese Zahlen belegen, daß nicht zuletzt die Instandsetzungs- und Modernisierungsprogramme der Bundesregierung in den neuen Bundesländern, durch die inzwischen Instandsetzungs- und Modernisierungsaktivitäten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen angestoßen worden sind, auch von breiten Kreisen der Bevölkerung registriert werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär Günther, erst einmal vielen Dank über die Auskunft über Allensbach. Die Erfahrungen, die ich aus vielen Gesprächen mit Mieterinnen und Mietern habe, sagen mir da etwas anderes, aber ich nehme Ihre Information erst einmal zur Kenntnis. Trotz allem frage ich Sie, welcher Art die Verbesserungen im Wohnbereich - ich rede jetzt nur vom Wohnbereich - denn sind, außer das einbruchhemmende Türen eingebaut worden sind und daß die Mieten erheblich gestiegen sind?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Ich glaube, daß in diesem Bereich in großem Umfang Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Wir wissen, daß z. B. der Umbau von Heizungen prozentual gesehen den größten Stellenwert hatte. Wir wissen auch, daß im Bereich der Dachinstandsetzung sehr viel Arbeit geleistet wurde. Ich weiß, daß es in Berlin, in dem der Wahlkreis liegt, aus dem Sie kommen, sicherlich etwas anders aussieht. Wenn man weiß, daß Mittel und Fördermittel des Landes Berlin im Bereich Modernisierung und Instandsetzung zum 31. Oktober dieses Jahres nur zu 34,4 % ausgenutzt wurden, dann kann das sicher einen anderen Eindruck vermitteln.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich würde jetzt am liebsten fragen, welche Möglichkeiten Sie haben, auf Herrn Nagel einzuwirken, daß er das Geld ordentlich ausgibt, aber ich frage das nicht. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Soll ich das jetzt rügen?

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Bitte nicht, Frau Präsidentin. - Ich frage vielmehr, wie die Bundesregierung prinzipiell darauf einwirken will. Zum Beispiel hat der Bausenator Nagel in Berlin auf der ersten Gesamtberliner Stadterneuerungskonferenz mitgeteilt, daß es seiner Auffassung nach mit Unterstützung der öffentlichen Hand auch in den nächsten 20 Jahren nicht möglich sein wird, die notwendigen Sanierungen in Altbaugebieten und bei den Plattenbauten vorzunehmen, was für die Menschen im Grunde nichts anderes heißt, als daß die Mieten gestiegen sind und weiter steigen werden, eine Verbesserung der Wohnung für manchen zu Lebzeiten aber nicht mehr stattfinden wird.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Sie wissen, daß die Bundesregierung ihre Förderprogramme mit den Ländern abstimmt, daß sie sie über Verträge zur Verfügung stellt und das Land natürlich eigenmächtig entscheidet, wie die Förderprogramme im Land umgesetzt werden. Das ist Aufgabe von Herrn Nagel in Berlin und nicht die Aufgabe der Bundesregierung.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Damit sind diese zwei Fragen beendet. Gibt es noch eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert auf: Wie sichert die Bundesregierung, daß Wohnungsunternehmen Ostdeutschlands aus den jetzt vorgesehenen Mietenanhebungen keine Rücklagen für die Altschulden bilden, um kreditfähig zu werden?

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Herr Kollege, die Bundesregierung hat rechtlich keine Möglichkeit, unmittelbar auf die Verwendung von Mieterlösen der Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern Einfluß zu nehmen. Dies gilt auch nach der zum 1. Januar 1993 bestehenden Mietanhebungsmöglichkeit. Angesichts des erheblichen Instandsetzungsbedarfs dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, daß sich die Wohnungsunternehmen so verhalten, wie Sie dies in Ihrer Frage unterstellen. Auf Grund des Moratoriums fallen bis Ende 1993 Zinsforderungen aus Altschulden nicht an. Die Bundesregierung bemüht sich im übrigen um eine schnelle Lösung dieses Problems; sie fordert jedoch die Mitwirkung der neuen Länder, an deren Bereitschaft es im Moment noch fehlt.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, die Frau Ministerin hat ja ausdrücklich gesagt, daß sie wollen, daß die Wohnungsunternehmen jetzt keine Rücklagen aus den Mieterhöhungen bilden. Sie haben gerade gesagt, daß Sie darauf keinen Einfluß haben. Insofern ist das offenbar eine Luftblase der Frau Ministerin. Der Bundesregierung ist doch bekannt, daß Wohnungsunternehmen, die mit ungeklärten sogenannten Altschulden belastet sind, nicht im gleichen Umfang kreditwürdig sind wie andere Wohnungsunternehmen. Warum täuschen Sie dann die Menschen, indem Sie einerseits sagen, daß die Mieterhöhungen für die Instandsetzungsmaßnahmen notwendig sind, andererseits die Wohnungsunternehmen überhaupt nicht in der Lage sind und vor allem nicht in der Pflicht stehen, diese Mehreinnahmen tatsächlich für die Instandsetzung von Wohnungen zu verwenden?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß es eine Luftblase unserer Ministerin ist, wie Sie es ausdrücken. Die Antwort hier war: Es besteht keine rechtliche Möglichkeit, dies den Wohnungsunternehmen vorzuschreiben. Wie Sie wissen, bin ich in den neuen Bundesländern sehr viel unterwegs und kenne die Wohnungsunternehmen eigentlich relativ gut. Ich weiß, daß die Wohnungsunternehmen in dieser Phase auch auf Grund der Mietangleichung und der Instandsetzungsbeiträge bestrebt sind, die Umsetzung in der Richtung vorzunehmen, daß sie die Mittel in die Instandsetzung, in die Werterhaltung fließen lassen und daß sie nicht Rücklagen bilden, um eventuelle Zinsen zu zahlen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Haben Sie noch eine zweite Zusatzfrage? - Darf ich, weil mir das heute besonders auffällt, vielleicht sagen: Die Vorbereitungen, bis wir zur Fragestellung kommen, sind extrem lang. Vielleicht können wir schneller zur Fragestellung kommen; denn es ist Fragestunde.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin. Vielleicht bin ich von den vorhergehenden Rednern angesteckt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ja, das kann sein. Deswegen sage ich es für alle.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich nehme das, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, jetzt erst einmal zur Kenntnis und frage ganz konkret, ob Sie mir eine Auskunft darüber gehen können, wieviel der Mehreinnahmen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften durch die Mieterhöhungen zum 1. Januar 1991 tatsächlich für Instandsetzungs- und Modernisierungsleistungen ausgegeben worden sind - in Prozent oder absolut, das ist mir egal.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Sie meinen die Mieterhöhung zum 1. Oktober 1991. Das bedeutete eine Grundmieterhöhung um eine DM pro Quadratmeter. Mit der Grundmiete, die dann im Durchschnitt 2 DM pro Quadratmeter betrug, waren die Unternehmen im wesentlichen lediglich in der Lage, laufende Kosten zu decken. Davon waren größere Instandhaltungsmaßnahmen noch nicht durchführbar.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich sehe dazu keine weiteren Zusatzfragen. Danke schön, Herr Staatssekretär. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Rainer Jork wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Beantwortung durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald. Als erstes die Frage 18 des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz: Wie beabsichtigt die Bundesregierung die mit der Verabschiedung des Delors-II-Papiers eintretenden Steuermindereinnahmen des Bundes von über 12 Milliarden DM ({0}) aufzufangen, und welche Auswirkungen ergeben sich für die mittelfristige Finanzplanung?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Danke sehr. - Herr Kollege Augustinowitz, die Bundesregierung ist bei den noch laufenden Verhandlungen über das DelorsPaket II mit anderen Mitgliedstaaten der Auffassung, daß der geltende Eigenmittelplafond von 1,20 % des Bruttosozialprodukts solange wie nur eben möglich beizubehalten ist. Die hierfür erforderlichen Mittel sind in der Finanzplanung enthalten. Auch die Bundesregierung tritt für eine Weiterentwicklung der Gemeinschaft ein. Allerdings ist sie der Auffassung, daß sich auch die Europäische Gemeinschaft an den finanziellen Realitäten in den Mitgliedstaaten orientieren muß. Damit nicht vereinbar sind die Forderungen der EG-Kommission, die Finanzausstattung der Gemeinschaft ab 1993 in erheblichem - ich betone: in erheblichem - Umfang zu vergrößern.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zusatzfrage, Herr Augustinowitz.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. - Sie hatten mir in einer schriftlichen Antwort bereits mitgeteilt, daß sich die Forderungen der EG-Kommission bis 1996 auf 12 Milliarden DM belaufen werden. Unterstellt, es würde weniger, wird es aber dennoch eine Mehrbelastung geben. Wie soll das im Bundeshaushalt denn finanziert werden?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Staatssekretär.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Ich durfte ja sagen, daß wir in guter Gemeinsamkeit mit den Partnerländern in der Gemeinschaft zunächst davon ausgehen, daß wir den Plafond bei 1,20 % festhalten können. Dafür haben wir Vorsorge getroffen. Ich habe den Eindruck, daß sich die Kommission in jüngster Zeit ein wenig bewegt. So hat Herr Delors gerade vor wenigen Tagen zu erkennen gegeben, daß er den Finanzplanungszeitraum bis 1999 strecken wird. Das ist ein erster, wenn auch kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zweite Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber ich habe Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß darüber hinausgehende Anforderungen an den Bundeshaushalt nicht in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen sind? Dr. Joachim Grünewald, Pari. Staatssekretär: In der mittelfristigen Finanzplanung gehen wir von dem geltenden Plafond aus, der ganz unstreitig für 1993 und 1994 ausreicht. Weitere Entscheidungen sind nicht gefallen.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber das ist nicht drin?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Die 1,2 %. Das ist ja ein dynamischer Prozeß wegen der Orientierung am Bruttosozialprodukt.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber nicht die erhöhten Anforderungen?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Dem haben wir ja nachhaltig widersprochen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir kommen zur Frage 19: Trifft es nach dem Buchstaben des Vertrages zu, daß Deutschland - gemäß des Artikels 109j Abs. 4 des Vertrages über die Europäische Union - bei der Entscheidung bezüglich des Eintritts in die dritte Stufe der Währungsunion von Staaten, welche die Konvergenzkriterien selber nicht erfüllen, überstimmt werden könnte, und Deutschland daraufhin - zusammen mit diesen Staaten - in die dritte Stufe eintreten müßte?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Gemäß Art. 109j Abs. 4 des Vertrages über die Europäische Union wird die Entscheidung darüber, welche EG-Mitgliedstaaten die Konvergenzkriterien erfüllt haben und in die dritte Stufe der Währungsunion eintreten können, von den Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit getroffen. In Ihrer Frage unterstellen Sie, daß sich eine qualifizierte Mehrheit der Staats- und Regierungschefs vertragswidrig verhalten könnte und auch solche Mitgliedstaaten in die Union eintreten läßt, welche die Konvergenzkriterien nicht erfüllt haben. Die Bundesregierung ist nicht bereit, sich an derartigen Spekulationen zu beteiligen. Um dennoch keine Unklarheit oder gar Unruhe aufkommen zu lassen, darf ich sagen, daß mir die von Ihnen angenommene Situation als extrem unwahrscheinlich - um nicht zu sagen: ausgeschlossen - erscheint. Zur Zeit reicht ein weiteres großes und ein kleines EG-Land, um zusammen mit Deutschland eine solche Entscheidung zu verhindern. Eine Verletzung der Vertragsbestimmungen durch die eklatanteste Mißachtung der Konvergenzkriterien hieße, die Währungsunion auf Sand zu errichten. Für die Bundesregierung entfiele die politische Geschäftsgrundlage für die Errichtung einer Währungsunion überhaupt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Erste Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich habe in meiner Frage bewußt von dem Buchstaben des Vertrages gesprochen. Nach dem Buchstaben des Vertrages - das frage ich Sie - ist es doch wohl richtig, daß dies theoretisch passieren kann. Es geht mir nicht um die Praxis. Es geht mir darum, daß dies theoretisch geschehen kann.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Das kann theoretisch nicht geschehen; denn über die Frage, ob, wer und wann die Konvergenzkriterien erfüllt, entscheiden, wie soeben gesagt, die Verhandlungschefs, nachdem vorher die Finanzminister ihren Vorschlag unterbreitet haben. Dann setzt das übliche Stimmverfahren in der EG ein. Von den 76 Stimmen - so viele sind es wohl - reichen 23, um eine Entscheidung wider die vereinbarten Konvergenzkriterien und wider Geist und Sinn des Vertrages zu verhindern, also drei Länder. Das könnte z. B. Deutschland mit Frankreich und Luxemburg oder den Niederlanden sein,

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zweite Zusatzfrage.

Jürgen Augustinowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich will es noch einmal probieren, um auf den Kern der Frage zu kommen. Es geht mir nicht darum, was passieren könnte und welche Stimmen man hinzurechnen kann. Es geht mir vielmehr darum: Wenn Deutschland keinen Partner in dieser Situation bekäme, ist es nach dem Buchstaben des Maastrichter Vertrages so, daß uns andere Staaten vertragswidrig in die dritte Stufe bringen könnten, und wir hätten, wenn wir uns an den Buchstaben des Vertrages halten, nicht die Möglichkeit zu widersprechen.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Ich durfte ja soeben schon sagen, die Bundesregierung lehnt es wirklich ab, sich an solchen Spekulationen über ein breites vertragswidriges Verhalten unserer EG-Partner weiter zu beteiligen. ({0}) Ich habe zusätzlich gesagt - aber nur prophylaktisch -: Wenn das so geschehen würde, was ich für ausgeschlossen halte, dann wäre die Geschäftsgrundlage für die Wirtschafts- und Währungsunion entfallen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Keine Zusatzfragen? - Dann kommen wir zur Frage 20 des Abgeordneten Norbert Gansel: Besteht zwischen der einen Tatsache, daß die Oberfinanzdirektion Kiel Ermittlungsverfahren nach dem Außenwirtschaftsgesetz wegen der ungenehmigten Lieferung von U-Boot-Fertigungsunterlagen nach Südafrika am 10. Februar 1986 eingeleitet und am 5. November 1992 eingestellt hat, und der anderen Tatsache, daß am 5. November 1992 im Deutschen Bundestag die Beantwortung meiner parlamentarischen Anfrage zu diesen Ermittlungsverfahren anstand, ein kausaler Zusammenhang, und in welcher Weise war die Bundesregierung mit der Einstellung der Ermittlungsverfahren befaßt?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Herr Kollege Gansel, Teil eins Ihrer Frage kann ich nur mit einem ganz klaren Nein beantworten. Ein Zusammenhang zwischen Ihrer parlamentarischen Anfrage vom 30. Oktober 1992 und deren mündlicher Beantwortung in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 5. November dieses Jahres und der Einstellung des Bußgeldverfahrens gegen Angehörige und ehemalige Angehörige der Firmen HDW, Kiel, und IKL, Lübeck, durch die Oberfinanzdirektion Kiel als zuständige Verwaltungsbehörde besteht schlicht nicht. Ich darf nochmals auf meine Antwort auf Ihre schriftliche Anfrage für den Monat August hinweisen, aus der doch zweifelsfrei erkennbar ist, daß der von Ihnen vermutete Zusammenhang gar nicht bestehen kann. Zu Teil zwei Ihrer Frage. Die OFD Kiel hat das Bußgeldverfahren als zuständige Verwaltungsbehörde gemäß § 46 Abs. 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes und § 38 Abs. 3 des Aúßenwirtschaftsgesetzes eingestellt, da die Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht für das Vorliegen einer außenwirtschaftlichen Ordnungswidrigkeit ergeben haben. Der Bundesminister der Finanzen hat die von der Oberfinanzdirektion Kiel vorgenommene Beweiswürdigung zur beabsichtigten Verfahrenseinstellung im Rahmen der Fachaufsicht geprüft und dieser zugestimmt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß es in der ganzen ominösen U-Boot-Affäre, in der es so viele Zufälle gab, nur ein weiterer Zufall ist, daß nach sechseinhalb Jahren Ermittlung, also nach über 2 000 Tagen, das Verfahren ausgerechnet an dem Tag eingestellt wurde, als ich im Bundestag eine Anfrage dazu eingebracht hatte?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Ja. ({0}) Ich kann Ihnen, Herr Kollege Gansel, diesen Zufall nur bestätigen. Die lange Ermittlungszeit, die Sie in Ihrer Frage indirekt kritisieren, spricht für die Sorgfalt der Ermittlungsbehörden, ({1}) ob nun der Staatsanwaltschaft oder der Oberfinanzdirektion in Kiel. Aus meiner Antwort, in der ich Ihnen mitgeteilt habe, daß die OFD Kiel beabsichtigt, das Verfahren einzustellen, können Sie doch ersehen, daß es einen Zusammenhang schlicht und einfach nicht geben konnte.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zweite Frage.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schade, die Karnevalswoche ist immer sitzungsfrei; dann kann ich keine Anfrage dazu stellen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das wollten schon andere in dieser Woche am 11. 11., 11.11 Uhr.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, das ist ja noch ein Zufall in dieser ganzen Affäre. Meine zweite Zusatzfrage lautet: Trifft es zu, daß unter der Fachaufsicht der Bundesregierung in dem Ermittlungsverfahren wegen der ungenehmigten Lieferung von U-Boot-Plänen nach Südafrika, über die Mitglieder der Bundesregierung vorher informiert waren, zuerst eine Geldbuße in Höhe von 50 000 DM verhängt werden sollte und daß dann mit Zustimmung der Bundesregierung im Verlauf von sechs Jahren die Rechtsauffassung geändert wurde, so daß nach sechs Jahren das Verfahren eingestellt werden konnte, und stimmt es, daß zwischendurch mögliche Gesetzesverstöße verjährt sind und deshalb Ermittlungen eingestellt worden sind?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Bei dem Bemühen um eine sachgerechte Antwort lasse ich die von Ihnen wertend getroffenen Feststellungen etwa über die Kenntnisse dieses Geschäftes außen vor. ({0}) Ich lege schon Wert auf diese Feststellung. Im übrigen gilt, daß sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Oberfinanzdirektion Kiel in eigener Verantwortung ihre Ermittlungen zu führen hatten und sie auch geführt haben und daß die Fachaufsicht, die beim Bundesminister der Finanzen liegt, in diese Verfahren nicht eingegriffen hat. Deswegen kann ich die Frage, ob der Bundesminister der Finanzen konkret auf eine Entscheidung der Ermittlungsbehörde Einfluß genommen hätte, mit einem klaren Nein beantworten.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Fragestellerin Frau Abgeordnete Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Entscheidung zu veröffentlichen bzw. uns zur Verfügung zu stellen? Wir hätten sie gerne.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Vom Prinzip her ja, aber der Bundesminister der Finanzen ist, was die Ermittlungsverfahren anbelangt, nicht Herr des Verfahrens gewesen. Das gilt insbesondere mit Sicht auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die Straftatbestände geprüft hat und keinen hinreichenden Tatverdacht gefunden hat, und das gilt auch für die OFD. Ich werde rechtlich prüfen lassen, ob es eine Möglichkeit gibt, Ihnen unseren zustimmenden Bescheid zur Einstellung mitzuteilen, und werde das dann unverzüglich veranlassen. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte, Kollege Lennartz.

Klaus Lennartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001319, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß das BMFT als Rechtsaufsicht für die OFD Kiel zuständig ist, und haben Sie demzufolge nicht die Möglichkeit, darauf einzuwirken, daß uns die Entscheidung einschließlich der Begründung zur Verfügung gestellt wird, damit sich darum nicht wieder Zufälle ranken bzw. Hypothesen formuliert werden können?

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Hinter Ihren Fragestellungen verbirgt sich erkennbar die Enttäuschung darüber, daß sich auf allen Ebenen und in allen Verfahren kein begründeter Tatverdacht ergeben hat. Auch führt nicht der BMFT, Herr Kollege, die Fachaufsicht über die OFD Kiel, sondern der BMF; wir führen sie. Ich habe Ihnen eben angekündigt, daß ich im Rahmen der Herrschaft über das Verfahren nach den Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts und der Geschäftsordnung des Bundestages eine Überprüfung veranlassen werde, ob wir Ihnen insoweit die Gründe, die zur Einstellung geführt haben, mitteilen können. ({0}) - Aber bitte sehr.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Keine weiteren Zusatzfragen? - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit sind wir mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen am Ende. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Erich Riedl zur Verfügung. Die Fragen des gesamten Geschäftsbereichs sollen schriftlich beantwortet werden. Es handelt sich urn die Fragen 21 und 22 des Kollegen Klaus Harries, um die Fragen 23 und 24 der Frau Renate Schmidt ({0}), urn die Fragen 25 und 26 unseres Kollegen Horst Kubatschka und um die Fragen 27 und 28 des Vizepräsident Helmuth Becker Kollegen Reinhard Weis. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, daß Sie zur Verfügung gestanden haben. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Bernd Wilz zur Verfügung. Die Frage 29 der Kollegin Uta Zapf wird als erste aufgerufen: Um welche Modernisierungen handelt es sich, die für die in die Türkei zu liefernden Flugzeuge der Bundeswehr, RF-4E Phantom, von der Firma MBB/DASA vorgenommen werden, und auf welche Kosten belaufen sich diese Umrüstungen?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Ich beantworte die Frage der Kollegin Zapf wie folgt: Im Auftrag und zu Lasten der türkischen Regierung wird die deutsche Aerospace AG DASA an 33 Luftfahrzeugen des Typs RF-4E Phantom eine Grundüberholung der Maschinen nach US-Standards einschließlich Strukturreparaturen und lebensdauerverlängernde Maßnahmen durchführen. Außerdem wird das Aufklärungsradar APQ 99 in seiner Leistungsfähigkeit verbessert. Der Gesamtauftrag der türkischen Luftwaffe bei der DASA umfaßt ein Kostenvolumen von ca. 53 Millionen DM.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Zusatzfrage, Frau Kollegin Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie geschildert haben, was bei der DASA gemacht wird, würde ich Ihnen gerne die Frage stellen, ob grundsätzlich eine Umrüstung der RF-4E Phantom zum Kampfbomber möglich ist und welche Versicherungen die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag geben kann, daß diese Flugzeuge von der Türkei nicht in einer anderen Rolle als der eines Aufklärungsflugzeuges eingesetzt werden.

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Frau Kollegin Zapf, das ist im Grunde genommen die Beantwortung Ihrer zweiten schriftlich gestellten Frage: Die Flugzeuge werden die Fähigkeit zu optronischer und radargestützter Aufklärung besitzen. Sie verfügen waffentechnisch nicht über eine Kampfrollenbefähigung. Eine diesbezügliche Nachrüstung durch die Türkei kann ohne fremde Unterstützung ausgeschlossen werden. Sie könnte nur mit hohem baulichen Aufwand durch Staaten mit entsprechendem technischem Niveau, z. B. durch die USA, Israel oder Deutschland, durchgeführt werden. Wir selber werden dies nicht tun.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Zapf, das war exakt die Beantwortung der Frage 30: Welche militärischen Fähigkeiten werden diese umgerüsteten/modernisierten RF-4E Phantom bei Lieferungen an die Türkei haben, und ist eine Nachrüstung der RF-4E Phantom durch die Türkei auf eine Kampfrollenbefähigung möglich?

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe noch ein paar Zusatzfragen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ja, noch zwei, wenn Sie wollen. Bitte, Frau Kollegin.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte die Zusatzfrage stellen, über welche Bewaffnungen die RF-4E Phantom in der Version, wie sie bislang in der Bundeswehr genutzt wird, verfügt und welche Bewaffnungen bei der Lieferung an die Türkei zum Ausrüstungspotential gehören.

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Frau Kollegin Zapf, wir liefern außer diesen 33 Maschinen, von denen ich eben berichtet habe und grundüberholt werden, 13 weitere Maschinen an die Türkei, aber nur zur Ersatzteilverwertung. Wir liefern die Maschinen so, wie sie sind, d. h. ohne besondere Bewaffnungen. ({0}) - Einmal die 13, die sowieso nur zur Ersatzteilverwertung in Betracht kommen, und die anderen in der Version, daß sie grundüberholt sind, wie ich das eben dargestellt habe. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Frau Kollegin Zapf, noch eine Zusatzfrage?

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine habe ich noch. - Welche Garantien kann die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag geben, daß die RF-4E Phantom von der Türkei nicht in der Auseinandersetzung mit der kurdischen PKK bzw. im Grenzbereich Türkei/Irak eingesetzt wird?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Wie Ihnen bekannt ist, Frau Kollegin Zapf, haben sowohl der Außenminister als auch der Verteidigungsminister hinreichend klargestellt, welche Position die deutsche Seite vertritt. Hierüber gibt es auch einen Notenaustausch. Danach ist völlig eindeutig geklärt, daß solche Flugzeuge nicht gegen die PKK oder zu innenpolitischen Zwecken, sondern ausschließlich zu NATO-Zwecken eingesetzt werden können.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Eine Zusatzfrage des Kollegen Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob die türkische Seite Auskunft darüber gegeben hat, wo die 33 Phantom stationiert werden sollen, und gibt es über die Stationierung und die Aufgabe dieser Phantom in der künftigen Luftverteidigung der Türkei eine schriftliche Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der türkischen Regierung?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Herr Kollege Erler, diese Fragestellung geht teilweise in Details. Ich schlage deshalb schriftliche Beantwortung vor.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Die letzte Zusatzfrage in der Fragestunde hat der Kollege Koppelin, bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, sich beim AG 51 kundig zu machen, ob meine Informationen zutreffen, daß sich dort türkische 10112 Deutscher Bundestau - 12. Wahlperiode Jürgen Koppelin Offiziere nach der Besichtigung der Phantom über Abwurfeinrichtungen für Bomben an den Maschinen erkundigt haben?

Bernd Wilz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002521

Herr Kollege Koppelin, ich bin sehr gerne bereit, mich darüber sachkundig zu machen. Ich werde Ihnen meine Erkenntnisse dann mitteilen.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Fragestunde. Alle anderen eingereichten Fragen werden nach der Geschäftsordnung behandelt. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Beitrag der zentralen Berliner Demonstration zum Abbau von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt Die Fraktion der F.D.P. hat diese Aktuelle Stunde verlangt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Sie noch einmal auf unsere Regeln für die Aktuelle Stunde aufmerksam machen. Nach der Geschäftsordnung können alle Kolleginnen und Kollegen Redebeiträge bis zu fünf Minuten halten. Ich weise auch auf die Folgen des Eingreifens von Vertretern der Bundesregierung oder des Bundesrates hin, wenn diese länger als zehn Minuten reden. Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Als erster hat unser Kollege Dr. Otto Graf Lambsdorff das Wort.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Für dieses Gebot unserer Verfassung haben wir zur Demonstration nach Berlin aufgerufen; für dieses Gebot unserer Verfassung sind die Menschen nach Berlin gekommen. Noch am vergangenen Donnerstag erwarteten wir 50 000 Teilnehmer, und dann kamen mehr als 300 000 aus allen Teilen Deutschlands. Es kamen Deutsche und Ausländer, Alte und Junge, Unternehmer und Gewerkschafter, Christen und Juden, Demonstrationserfahrene und solche, die nie zuvor in ihrem Leben an einer Demonstration teilgenommen haben. Sie haben gezeigt: Das Demonstrationsrecht gilt für alle. Ein Demonstrationsmonopol für Chaoten gibt es nicht. ({0}) 300 000 Menschen sind nach Berlin gekommen, um der Welt zu zeigen: Die Deutschen wehren sich gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus und gegen Rassismus. Die Deutschen haben diese Haltung am darauffolgenden Montag noch einmal unterstrichen. Nie zuvor sind so viele Menschen zusammengekommen, um des schrecklichen Beginns der Judenverfolgung im Dritten Reich zu gedenken. In dieser großen Teilnahme lag auch eine Antwort an die Chaoten, an den „Mob im Lustgarten", wie die „Washington Post" ihn nannte. Wir überlassen unseren demokratischen Staat nicht der Straße, und weil wir das nicht tun, gehen wir selbst auf die Straße. ({1}) Die F.D.P. dankt den Hunderttausenden, die für das anständige Deutschland in Berlin und anderswo Zeugnis abgelegt haben. Sie dankt Richard von Weizsäcker für seine Schirmherrschaft der Berliner Veranstaltung. ({2}) Meine Damen und Herren, es war ein schlimmes Bild, als Bundespräsident, Bundeskanzler und viele andere niederträchtig und feige angegriffen wurden. Gegen solchen Pöbel muß der Staat das ihm gegebene Gewaltmonopol mit aller Härte, härter als bisher einsetzen. Für die F.D.P. gibt es dabei keinerlei Unterschied zwischen linkem und rechtem Pöbel. Ob linke Autonome oder rechte Faschisten, ihnen werden wir nicht erlauben, das wiedervereinte, das demokratische Deutschland zu zerstören. ({3}) Herr Präsident, manches wird zu klären sein, z. B. bezüglich der Vorbereitung und Organisation der Veranstaltung - die Fehler wurden oben gemacht, nicht von den Polizisten vor Ort -, ({4}) der zunächst völlig verfälschenden Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ({5}) und der notwendigen Strafverfolgung gegen die unverschämten Lobpreisungen der gewaltsamen Störung auf einer Berliner Pressekonferenz der sogenannten Autonomen am Montag. ({6}) Trotz all dieser Mängel und mancher unwürdigen Szene hat die Berliner Demonstration aber doch gezeigt: Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland - das ist der Unterschied zu Weimar - eine überwältigende Mehrheit von Demokraten, die für die Menschenrechte und gegen Fremdenfeindlichkeit, für die demokratische Ordnung und gegen die Herrschaft der Gewalt offensiv eintreten. ({7}) Sie bekräftigen mit uns allen gemeinsam: Die Würde des Menschen ist unantastbar. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Hans-Jochen Vogel das Wort.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auf die Welle der Gewalt müßten nicht nur die Politik, sondern unsere ganze Gesellschaft und alle ihre Institutionen mit einem entschiedenen und gemeinschaftlichen Nein antworten; das war unsere gemeinsame Forderung. Diese Antwort ist am Sonntag in Berlin eindrucksvoll gegeben worden. Denn die Botschaft von Berlin war nicht, daß es dort, wie in den meisten anderen Metropolen, einige hundert verblendete Fanatiker gibt, die jede Gelegenheit nutzen, um das von ihnen gehaßte Gemeinwesen zu provozieren. Das war nicht neu. Das Neue und Wesentliche des letzten Sonntags war, daß über 300 000 Menschen zusammengekommen sind, um sich zur Wahrung der Menschenwürde zu bekennen und zugleich deutlich zu machen, daß sie sich persönlich für den Zustand unseres Gemeinwesens verantwortlich fühlen ({0}) und daß sie mit dem Staatsoberhaupt an der Spitze in dieser Frage - was sie auch sonst trennen mag - einen breiten Konsens quer durch die Parteien, die Kirchen, die Gewerkschaften und die Unternehmensverbände verkörpern. Es war die Verkörperung eines Konsenses, dem sich - ich bedauere das - von den demokratischen Parteien allein die CSU verweigert hat. ({1}) Diese Willensbekundung, der in Köln und in anderen Städten weitere gefolgt sind und für die es in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik nur wenige Beispiele gibt, war deutlicher, als viele es erwartet hatten. Das, meine Damen und Herren, war und ist die Botschaft, nicht die Provokation durch die Fanatiker und auch nicht, daß einige von uns vorübergehend in Bedrängnis geraten sind. ({2}) Es geht auch nicht um die Frage, ob und welche Fehler etwa die Polizei oder die Veranstalter gemacht haben. Ich bekenne: Mir erscheint das gegenwärtig sekundär. Statt dessen möchte ich, gerade unter dem Eindruck dieser Demonstration, für meine Person den Polizeibeamten danken, die unter schwierigen Bedingungen ihre Pflicht tun und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, nicht um ihres Vorteils willen, sondern dem Gemeinwesen zuliebe. ({3}) Die meisten ausländischen Medien haben das verstanden und ihren Lesern -- dafür bin ich dankbar - die entscheidende Botschaft übermittelt. Von den deutschen Medien hielten einige die Provokationen für die wichtigere Nachricht. ({4}) Ich füge hinzu: Es war legitim, daß an Politiker durch Transparente und Zuruf vor allem von jungen Menschen die Frage gerichtet wurde, wie sie es mit dem Art. 16 halten und ob sie wirklich einen Staatsnotstand mit der Folge bejahen, daß die Verfassung nicht mehr mit der bisherigen Sorgfalt beachtet werden muß. Das müssen Demokraten ertragen können; das war legitim. Gewaltanwendung war jedoch nicht legitim; sie war strafbar. ({5}) Jetzt muß sich erweisen, ob der Konsens in Berlin nur ein Konsens für zwei oder drei Stunden war oder ob er weiter trägt und ob die Politik jetzt entschieden handelt. Wir Sozialdemokraten wollen das. Wir wollen, daß die bedingungslose Ächtung jeder Art von Gewalt unumkehrbar wird. ({6}) Wir wollen, daß unverzüglich Maßnahmen zur Inangriffnahme der drängendsten Probleme ergriffen werden, und zwar unter strenger Beachtung der Verfassungsregeln und der völkerrechtlichen Verpflichtung und unter wahrheitsgemäßer Darstellung der Grenzen dessen, was wir beeinflussen können und was wir nicht beeinflussen können. ({7}) Wir müssen damit Schluß machen, den Menschen vorzugaukeln, daß wir allmächtig seien und daß es nur dieses oder jenes Beschlusses bedürfe, und dann sei das Problem gelöst. Der übermäßig lange Verbleib von nicht berechtigen Asylbewerbern in unserem Land ist dabei nur eines von mehreren Problemen. Die Finanzierungs- und die Schuldenproblematik, deren Ausmaß in erschreckender Weise von Tag zu Tag deutlicher wird, und der Zusammenbruch der Produktionsstrukturen und die damit verbundene Massenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern sind nicht minder wichtig. Wir wollen, daß die Parteien und wir im Bundestag angemessener miteinander umgehen. Lassen Sie mich in vollem Ernst sagen: Wer in Berlin gemeinsam demonstriert hat, darf Probleme nicht länger zur Bekämpfung des jeweiligen Gegners instrumentalisieren und mit dem Gedanken spielen, er könne anderen seinen Willen unter Inanspruchnahme eines angeblichen Staatsnotstands aufzwingen. Das muß der Vergangenheit angehören. ({8}) Wir wollen, daß alle rechtsstaatlichen Mittel zur Bekämpfung der Gewalt eingesetzt werden. Natürlich ist auch die Gesetzgebung ein verfassungsmäßiges Mittel. Das bestreitet niemand. Aber der Bundespräsident hat recht, wenn er, wie geschehen, sagt, jetzt sei es wichtiger, die Gewissen als die Gesetze zu schärfen. Entscheidend bleibt, daß wir das Vertrauen der Menschen in unser Gemeinwesen bewahren und es, wo es verlorenzugehen droht, wiederherstellen. Dazu gehört, daß wir die Wahrheit sagen und daß wir handeln. Die Menschen, die in Berlin und anderswo auf die Straßen gegangen sind, erwarten das. Sie haben ein Recht, das von uns zu erwarten und zu verlangen. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Dr. Rita Süssmuth das Wort.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Mir liegt daran, daß wir hier im Parlament zu einer gemeinsamen Stellungnahme kommen. Ich schließe mich denen an, die gesagt haben: Wir haben Achtung vor denen, die demonstriert haben; wir danken ihnen, und wir machen weiter. Das ist unsere erste und wichtigste Aufgabe. ({0}) Wer am Sonntag abend meinte, die Menschen hätten resigniert - sie hatten zu Recht Tränen in den Augen -, der irrte. Sie haben am Montag weitergemacht; es waren wiederum 200 000 Menschen. Hier ist soeben gesagt worden, was sie damit ausdrücken wollten: Ihr Gewissen ist geschärft. Sie zeigen damit deutlich: Wir stehen gegen die Gewalt auf, wir lassen sie nicht zu. Keine Demonstration ersetzt eine parlamentarische Entscheidung, aber sie ist ein wirksames und wichtiges Zeichen für all diejenigen, die von uns sagen: Ihr seid Sympathisanten, Schweigende; ihr sagt nicht, wo die Mehrheiten stehen. Am Sonntag und Montag sind die Mehrheiten deutlich zum Ausdruck gekommen. Auch ich möchte hier nicht rechten über die Frage der Organisation und der Polizei. Das mag in Berlin geklärt werden. Ich habe ein ganz anderes Anliegen. Mir ist wichtig: Es war ein wichtiger Anschauungsunterricht für uns. Was wir dort unmittelbar erlebt haben - das Auftreten der Chaoten, die Arbeit der Polizei -, hat uns die Wirklichkeit gezeigt, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Ich denke, das war ein wichtiges Lehrstück für uns alle. ({1}) Hier wird deutlich, wie dreist und frech diejenigen aus der sogenannten autonomen Szene, die Radikalen dem Staat ins Gesicht schlugen, daß sie uns herausfordern und daß wir ihnen zeigen müssen: Wir sind stärker als alle Chaoten, die versuchen, diesen demokratischen Rechtsstaat auszuhöhlen oder zu schwächen. Das ist unsere Aufgabe im Parlament zusammen mit allen gesellschaftlichen Kräften. Die Chaoten haben zwar auf der Kundgebung kurzfristig obsiegt, aber sie werden nicht obsiegen; sie haben durch die große Demonstration der Menschen nicht obsiegt. Da war die Mehrheit eindeutig woanders. ({2}) Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch kurz sagen: Gewalt ist wie eine bösartige Krankheit - ein Wahn, die totale Verarmung des Gefühls, des Mitgefühls mit anderen -, weil sie Menschen schädigt und vernichtet. Sie ist für mich eine schlimme Form menschlichen Versagens, eine radikale Form des Egoismus, bei der nicht die Bereitschaft besteht, den anderen zu respektieren, bei der weder Vernunft noch Toleranz gegeben ist. Deswegen ist es sehr wichtig, daß wir wissen: Die Gewalt findet immer einen Anlaß, loszuschlagen. Jetzt sind die Ausländer ein willkommener Anlaß. Ist er beseitigt, dann findet sie einen anderen. Deswegen gilt es, ihr mit allen Mitteln entgegenzutreten. Dazu gehört für mich die Auseinandersetzung mit den Ursachen von Gewalt, die Erziehung zur Gewaltlosigkeit, zum besseren Umgang mit Konflikten ohne Gewalt, denn es gibt in keiner Situation einen Grund für den Einsatz von Gewalt. So wichtig es ist, daß Menschen nicht schweigen, daß sie aufstehen und sich der Gewalt widersetzen, so wichtig ist es auch, daß wir die richtige Antwort geben: Die Demokratie muß wachsam, mutig und entschlossen reagieren. Dabei muß sie mit Vernunft abwägen, die Menschenrechte achten und die Gerechtigkeit aller im Auge haben. Dies ist die Schwierigkeit, aber auch die besondere Chance der Demokratie, die wir hier ergreifen müssen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt unserer Frau Kollegin Andrea Lederer das Wort.

Andrea Lederer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001301, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir begrüßen, daß über 350 000 Menschen an der Demonstration in Berlin teilgenommen haben. Wir begrüßen ferner, daß am folgenden Tag, wie schon erwähnt, weitere 200 000 demonstriert haben und daß auch in den letzten Wochen und Monaten demonstriert wurde, als Parteien, Verbände etc. noch nicht dazu aufriefen. Aber wir begrüßen diese Anzahl der Demonstrantinnen und Demonstranten nicht nur, weil es eine Manifestation gegen Rassismus war, sondern auch deshalb, weil es auch und folgerichtig eine Manifestation gegen die Änderung oder Abschaffung des Art. 16 des Grundgesetzes war. ({0}) Die PDS hat in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder ein deutliches Signal und Handeln der verantwortlichen Politikerinnen und Politiker gegen den Rassismus gefordert. Deshalb haben wir die Demonstration begrüßt und unterstützt. Auch wenn wir die Politik der Bundesregierung für den aufkommenden Rechtsextremismus und Rassismus mitverantwortlich machen, wollten wir ausdrücklich, daß von den höchsten Organen dieses Staates ein Signal gegen den Rassismus gesetzt wird. Wir empfinden weder Genugtuung noch klammheimliche Freude über die Angriffe auf den Bundespräsidenten. Steinwürfe lehnen wir ab. Die lautstarke Störung betrachten wir als politische Dummheit, und zwar deswegen, weil sie für das Ziel der Demonstrantinnen und Demonstranten kontraproduktiv war und jetzt vor allem denjenigen, die mitverantwortlich für die Situation in diesem Lande sind, den Vorwand liefern, ein falsches Bild zu entwerfen, nämlich das Bild einer angeblich großen Einigkeit von über 300 000 Menschen mit der Regierung und ihrer Politik und auf der anderen Seite, wie es unisono in den Medien heißt, ein paar hundert Störern. So war es eben nicht. Die Differenz verläuft an anderer Stelle: Es gab die Gesamtheit der Demonstranten, die gegen den Rassismus auf die Straße gingen, und es gab gleichzeitig die übergroße Mehrheit der Demonstranten, die nicht nur für Art. 1, sondern auch für Art. 16 des Grundgesetzes demonstrierten. Die Demonstration war deshalb auch eine Demonstration gegen die Regierungspolitik. Die Heuchelei, die Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, vorgeworfen wurde und wird, besteht u. a. in folgendem: Die Regierung und die sie tragenden Parteien haben sich erst dann und nur darum zu dieser Demonstration bereitgefunden, nachdem und weil die Besorgnisse im Ausland über die Vorgänge in Deutschland einen Punkt erreicht haben, bei dem politischer und wirtschaftlicher Schaden erzeugt wird. Ich erinnere nur an die Bemerkungen aus den Reihen der Industrie, in denen von geschmälerten Exportchancen die Rede ist, oder ich denke an Außenminister Kinkel, der jetzt überall in der Welt auf Menschenrechtsverletzungen in der Bundesrepublik angesprochen wird. Die Demonstration sollte diese Besorgnisse im Ausland zerstreuen, beruhigen und das Bild von Deutschland schönen. Das geschönte Bild ist insofern nicht zustande gekommen, als sich die Demonstration eben auch gegen die Politik der Bundesregierung richtete. Wer es dann wagt, kurz danach die Demonstration wegen dieser Meinungsäußerung als Flop zu bezeichnen, derweil aber die Abrißbirne gegen das Asylrecht weiter schwingt und den Rassismus auch noch mit unerträglichen Ausfällen über Asylmißbrauch und Staatsnotstand weiter fördert, der zeigt eigentlich, daß der Vorwurf der Heuchelei an mancher Stelle durchaus berechtigt war. Um jetzt davon abzulenken, wurde die Empörung über die Zwischenfälle in einem Maße aufgeputscht, wie es umgekehrt im vergangenen Jahr bei weit über 3 000 rechtsextremistischen Gewalttaten nicht oder nur selten der Fall war. Jeder weiß, daß bei der Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus mit absoluter Verdummung gearbeitet wird. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU bitten, mir zu belegen, wo Herr Diepgen nach dem rassistischen Terror in Hoyerswerda, Hünxe oder Rostock „Tränen des Ärgers in den Augen" hatte, wie er das jetzt am Rande des Abendbüfetts bei der Demonstration kundtat. Wer nur deswegen auf die Beschwörung des Art. 1 des Grundgesetzes ausweicht, weil er den Art. 16 gar nicht mehr unangetastet lassen will, wer dem Rassismus schmeichelt, wer eine Woche vor dieser Demonstration damit beginnt, Roma und Sinti aus diesem Land zu deportieren, der muß sich allerdings nicht wundern, wenn er auf der Demonstration am Sonntag nicht nur Beifall geerntet hat. Die Menschen, die wollen, daß endlich etwas gegen Rassismus getan wird und Flüchtlinge und andere Ausländer in unserem Land keine Angst mehr haben müssen, sind klüger, als Regierung und Parteien meinen. Sie akzeptieren keine Heuchelei. Deshalb sagen auch wir: Hören Sie auf damit und lassen Sie die Finger vom Grundgesetz! Dann wird bei der nächsten Demonstration garantiert niemand mehr auf den falschen Gedanken kommen, Ihnen das erst mit Trillerpfeifen und Eiern verständlich machen zu müssen. Wir sagen noch eines ganz nüchtern: Mit dieser und den anderen Demonstrationen ist noch lange nicht genug getan. Denken wir einmal an die Anzahl der Mitglieder aller Parteien, die dazu aufgerufen haben, sowie die Vertreter der Medien. Dann könnten nämlich die 300 000 nur der Anfang sein, den ganz alleine die Friedensbewegung vor ein paar Jahren gegen die Raketenstationierung geschafft hat. Wir sind ganz sicher: Wenn die Zumutung entfällt, daß eine Demonstration gegen den Rassismus nur die Begleitmusik für einen reibungsloseren Abbau des Asylrechts ist, dann werden es noch viel mehr. Dafür werden wir kämpfen. ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile jetzt unserem Kollegen Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Demonstration am 8. November hat zweierlei gezeigt. Sie war zum einen ein eindrucksvolles Zeichen, wie viele Menschen in unserem Land bereit sind, das Grundgesetz zu bewahren und zu verteidigen und dafür zu demonstrieren. Sie war zum anderen unzweifelhaft auch ein schwarzer Sonntag im deutschen Herbst. Um das gleich am Anfang meiner Rede deutlich zu unterstreichen: Auch wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, verurteilen ganz eindeutig diese Randale und diese Randalierer. Eier und Tomaten sind keine Argumente, allenfalls hilflose Zeichen von ohnmächtiger Wut oder aggressivem Frust oder die Vorzeichen von Terror oder brutaler Gewalt. Vielleicht sollten wir uns mit der Zerrissenheit dieser Demonstration beschäftigen, um die Zeichen deutlicher zu sehen und zu analysieren. Auf der einen Seite haben wir eine große Volkspartei, die es nicht versäumt, bei gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer zu bekunden, daß sie Verständnis für die Bürger habe, die sich gegen diese Überbevölkerung wehren. Auf der anderen Seite möchte sich die gleiche Partei in einer Demonstration an die Spitze derer setzen, die in diesem Lande gegen Ausländerhaß demonstrieren. ({0}) Werner Schulz ({1}) Vielleicht ist die CSU in dieser Frage ehrlicher. Sie ist der Demonstration ferngeblieben, die eigentlich den Konsens deutlich zeigen wollte, den unsere demokratischen Parteien in diesem Lande fragen. Die Frage an die CSU ist, ob sie sich von diesem Konsens verabschiedet hat und wohin die CSU im Schlepptau der Republikaner in diesem Lande driftet. ({2}) Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Land offensichtlich keine demokratische Demonstralionskultur wie in Frankreich, wo Politiker mit Bürgerinnen und Bürgern auf die Straße gehen und dafür eintreten, daß sie an der Demokratie des Landes nicht rütteln lassen. Unsere Politiker wirken, mit Verlaub gesagt, sehr hilflos, wenn sie sich plötzlich zu der Spitze einer Demonstration gesellen, aus der Seitenstraße des Reichstags kommend. Die Straße ist nicht das Parlament mit Präsidium, Saaldienern und Geschäftsordnung, sondern die Straße hat ihre Spontaneität. Man muß die Gesetze der Straße beachten, glaube ich. ({3}) - Ich rede von etwas, von dem ich sehr viel verstehe, Herr Rüttgers. Denn wir haben am 4. November 1989 der deutschen Öffentlichkeit eine Demonstration vor Augen geführt, die friedlich war, die gewaltfrei war und die auch Andersdenkende hat zu Wort kommen lassen, und die sind dort ausgepfiffen worden. ({4}) Leute wie Schabowski und Wolf sind dort ausgepfiffen worden. Ich sage Ihnen: Es ist unehrlich, wenn Sie sich hinter dem Schirmherrn verstecken, obwohl Sie dort Ihre Politik vor den Menschen vertreten müßten. Der Bundeskanzler hätte sprechen müssen, um die Akzeptanz seiner Politik im Volk zu prüfen. ({5}) Ich denke, hier ist ein markanter Punkt in dieser Demonstration. Um eines deutlich zu machen: Bonn oder Berlin ist nicht Weimar. Es zeigt vielleicht nur den Unwillen oder die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, die Grundrechte überzeugend zu verteidigen, und läßt Zweifel an der Stabilität der Demokratie aufkommen. Ich glaube auch nicht, daß wir die Medien schelten sollten. Denn die Berichterstatter sollten wir nicht für so einfältig halten, daß sie nicht merken würden, daß das Problem der Deutschen nicht ein paar hundert Kreuzberger Chaoten sind, sondern die Halbherzigkeit, mit der Regierende schutzbefohlene Flüchtlinge in diesem Land gegen die rechtsradikale Gewalt verteidigen. ({6}) Mir ist unverständlich - darüber muß man in Berlin diskutieren -, warum die Polizei so zögerlich gehandelt hat. Ich glaube, hier sind eindeutige Versäumnisse zu beklagen. Das gehört untersucht. Ich denke nicht, daß wir das Demonstrationsrecht verschärfen müssen, daß wir das Instrumentarium ändern sollten. Es ist ausreichend. Es ist kein hilfreicher Beitrag, wenn Herr Bötsch darüber nachsinnt, bei der Polizei Gummigeschosse einzuführen. Was wäre denn gewesen, wenn neben Eiern und Tomaten noch Gummiprojektile durch die Berliner Luft geflogen wären? Ich bitte Sie, das zu überlegen. ({7}) Vizepräsident Helmuth Becker Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteilt, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen: Auf der Diplomatentribüne haben der Parlamentspräsident von Bangladesch, Herr Shaikh Razzaque Ali, und seine Delegation Platz genommen. Ich begrüße Sie im Namen aller Mitglieder des Deutschen Bundestages. Nachdem Sie Ihren Besuch im Bundesland Baden-Württemberg hinter sich haben, freuen wir uns auf die Bonner Begegnung mit Ihnen. Wir hoffen, daß Ihr Besuch in Deutschland - darunter die heutigen Zusammentreffen mit der Präsidentin und den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages - Ihnen nützliche Gespräche und Eindrücke ermöglicht. Wir verfolgen das Schicksal Ihres Landes und seines Parlaments mit großer Anteilnahme. Ich wünsche Ihnen weiterhin einen fruchtbaren und angenehmen Aufenthalt in Deutschland und viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit zu Hause. ({8}) Nächster Redner ist unser Kollege Peter Hintze. ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Mitglieder der SPD! - Entschuldigung, Herr Präsident. ({0}) Mein erstes Wort in dieser Debatte soll der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gelten. Ich möchte mich bei Ihnen ausdrücklich dafür bedanken, daß Sie in Ihren Sonderzügen so viele Mitglieder der CDU mitgenommen haben. Ich finde das prima. Herzlichen Dank dafür zu Beginn meiner Rede. ({1}) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie ist unsere Bewertung nach den Ereignissen des vergangenen Sonntags? Wir haben eben den Versuch einer Umdeutung durch den Herrn Kollegen Schulz gehört. Herr Kollege Schulz, ich finde, daß sich Ihre moralischen Urteile über Kollegen dieses Hauses und der Versuch der Umdeutung dieser Demonstration selbst disqualifizieren. Ich möchte das hier nicht weiter kommentieren. ({2}) Ich habe am Sonntag in Berlin erlebt, wie wir gemeinsam aus den Gewerkschaften, den kirchlichen Gruppen, aus Vereinen und politischen Parteien ein Zeichen gesetzt haben. Bei allen Unterschieden in Sachfragen haben wir gezeigt: Wir stellen uns schützend vor alle Menschen in unserem Land, die von ausländerfeindlicher Gewalt bedroht sind. Diese Demonstration war wichtig und richtig. ({3}) Ich möchte den vielen Menschen aus Deutschland, die daran teilgenommen haben, auch sagen, daß wir ihnen danken. Auf ihren klaren Gesichtern spiegelte sich die Meinung der überwiegenden Mehrheit der Deutschen wider. Das ist das wahre Gesicht der Deutschen, nicht die Fratzen der Schläger und Brandstifter. Für die CDU ist und war die Demonstration kein Handlungsersatz. Das war uns vor und in Berlin klar. Mit Demonstrationen allein ist kein Rechtsstaat zu machen. Dazu brauchen wir wirksame Gesetze, ihre konsequente Umsetzung und die Unterstützung durch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Wer gewalttätig gegen Menschen vorgeht, wer Häuser in Brand setzt und Fremdenhaß schürt, wer mit Baseballschlägern auf Mitmenschen eindrischt, der ist ein Krimineller und muß unnachsichtig verfolgt werden. ({4}) Dafür sind wir auf die Straße gegangen, und unser 350 000faches Zeichen lassen wir nicht von einigen hundert Extremisten beschmutzen. ({5}) Eines aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat uns der vergangene Sonntag auch unübersehbar gelehrt: Alle Reden, es gebe keine linksradikale Gewaltszene mehr in Deutschland, sind auf traurige Weise widerlegt worden. ({6}) Was wir am Sonntag erlebt und was wir vor aller Welt erlitten haben, ist der tobende linksradikale Mob. ({7}) Die Feinde der Demokratie sind Rechts- und Linksextreme. ({8}) Der rechte Mob, der mit Brandanschlägen Menschen in Furcht und Schrecken versetzt, hat die linksextremistische Szene nicht abgelöst. Rechts- und Linksextreme haben ein gemeinsames Ziel: den Angriff auf unseren demokratischen Staat. ({9}) Gegen die Gewalt der Extremisten brauchen wir das gemeinsame Handeln aller Demokraten. Wenn hier Zwischenrufe von der PDS kommen, muß ich sagen: Die Transparente, die Sie mit sich herumgetragen haben, waren einfach beschämend, wenn man bedenkt, was Ihre Vorgänger in Pankow den Menschen in Deutschland angetan haben. ({10}) Es wird viel über die Polizei gesprochen. Ich möchte für die Union sagen: Es kann nicht wahr sein, daß jetzt eine breite Diskussion über richtige und falsche Polizeitaktik geführt wird, als sei die Polizei für den Ausbruch extremistischer Gewalt verantwortlich. ({11}) Ich sage für die Union: Wir danken jedem Polizeibeamten für seinen mutigen Einsatz in Berlin. ({12}) Es ist jetzt drei Jahre her, daß eine rote Diktatur auf deutschem Boden trotz Mauer und Schießbefehl vom Freiheitswillen der Menschen überwunden wurde. Wir werden es nicht zulassen, daß dieser Sieg der Freiheit durch Gewalttäter von links oder von rechts beschädigt wird. Aufgabe aller Demokraten ist es, gemeinsam den bösen Anfängen zu wehren. Ich danke Ihnen. ({13})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine sehr verehren Damen und Herren, ich erteile jetzt das Wort dem Herrn Staatsminister beim Bundeskanzler, unserem Kollegen Bernd Schmidbauer.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Würde des Menschen ist unantastbar. In Berlin wurde am 8. November ein überzeugendes Bekenntnis zu diesem Grundpfeiler unseres Staates abgelegt. Mehr als 300 000 deutsche und ausländische Mitbürger und Mitbürgerinnen aus allen gesellschaftlichen Gruppen, mit unterschiedlichem weltanschaulichen und politischen Hintergrund haben sich friedlich zusammengefunden, um dieses Bekenntnis abzulegen. Diese Menschen wissen sich einig in der radikalen Absage an jeden Extremismus und an jegliche Gewalt. Ich finde, dies ist das beeindruckende Ergebnis der Demonstration vom vergangenen Sonntag, das vorangestellt werden muß, wenn wir uns mit den höchst beklagenswerten Ausschreitungen befassen, zu denen es an diesem Tage auch gekommen ist. Ich sage bewußt „auch"; denn der überwiegende Verlauf der Veranstaltung war störungsfrei. Ich weiß, wovon ich rede. Ich war zusammen mit dem Bundeskanzler auf dem Weg zu Fuß vom Brandenburger Tor zum Demonstrationsplatz. Ich muß Ihnen auch sagen: Entgegen den Behauptungen vieler Medienvertreter waren wir keinen Angriffen ausgesetzt. Es flogen zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle keine Steine, keine Eier, keine Farbbeutel. Ich möchte der Vollständigkeit halber hinzufügen, daß der Bundeskanzler nicht Zuflucht in einem Auto gesucht hat, sondern die Kundgebung bis zum Schluß neben der Bühne verfolgen konnte und anschließend im Gespräch mit den Bürgern das Gelände über die Brücke verlassen hat, und zwar ohne Belästigung. Er konnte anschließend auf einem Spaziergang die Stimmung der Bürger sehr direkt erfahren. Ich sage dies, weil in der Berichterstattung vorwiegend nur der unfriedliche Teil der Demonstration stattgefunden hat. Ich sage auch: Dies war der schlimme Teil am Sonntag. Einigen hundert eingeschworenen Feinden unserer Demokratie, unterstützt von vielleicht ebenso vielen Sympathisanten, die ihnen Deckung und Hilfe gaben, ist es gelungen, durch Gewalttätigkeiten die Kundgebung nachhaltig zu stören. Mit Steinen und anderen Wurfgeschossen schleuderten sie ihren blinden Haß gegen unseren Staat und seine Vertreter heraus. Pfeifend und grölend übertönten sie zeitweise die Stimmen für Ausländerfreundlichkeit und Toleranz und zeigten so der Weltöffentlichkeit die wutverzerrte Fratze des Extremismus. Ich möchte von dieser Stelle aus allen in Berlin eingesetzten Sicherheitskräften für ihr engagiertes und besonnenes Auftreten in dieser Situation danken. Trotz der massiven Gewalttätigkeit brauchen wir keinen verletzten Kundgebungsteilnehmer zu beklagen. Den 21 Polizeibeamten vom Bund und aus Berlin, die bei ihrem Einsatz für die Sicherheit der friedlichen Demonstration Verletzungen erlitten haben, gelten unsere besten Genesungswünsche. ({0}) Meine Damen und Herren, ob das sicherheitspolitische Konzept für die Demonstration fehlerfrei war, muß in den zuständigen Berliner Gremien untersucht werden. Ich bin sehr dafür, daß das untersucht wird. Ich möchte aber feststellen: Viele, die jetzt den Berliner Sicherheitsbehörden Vorwürfe machen, haben nach dem erfolgreichen Einsatz der Polizei in München - auch hier weiß ich, wovon ich rede, weil ich zugegen war -, wo vergleichbare Ausschreitungen verhindert werden konnten, mit Empörung den „Polizeistaat" ausgerufen. ({1}) Ich finde das auch nicht hilfreich. ({2}) - Ich darf Ihnen den Satz noch einmal vorlesen, wenn er Sie so ärgert: Viele, die jetzt den Berliner Sicherheitsbehörden Vorwürfe machen, haben nach dem erfolgreichen Einsatz der Polizei in München, wo vergleichbare Ausschreitungen verhindert werden konnten, mit Empörung den „Polizeistaat" ausgerufen. ({3}) Anlaß für die entschlossene Absage der Bürger an jede Gewalt waren die abscheulichen menschenlebenverachtenden Aktionen gegen Ausländer durch rechtsextremistische Gewalttäter. Der Anstieg rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten hat die Entwicklung - dies sage ich auch sehr deutlich linksextremistischer Militanz dem Blick der Öffentlichkeit weitgehend entzogen - zu Unrecht, wie Berlin am Sonntag gezeigt hat. Erkenntnisse der Behörden für Verfassungsschutz belegen: Linksextremisten wenden zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele nach wie vor in großem Umfang Gewalt an. Die körperverletzende Gewalt hat dabei, wenn man von früheren Terrorakten der RAF absieht, ein bisher kaum gekanntes Maß an Brutalität erreicht. Die von linksrextremistischen Gewalttätern angerichteten Sachschäden gehen in die Millionen. ({4}) Wir haben es bisher bundesweit mit etwa 4 000 militanten Autonomen zu tun, die unserem Staat und ihren Vertretern - das haben die Angriffe selbst auf den Bundespräsidenten gezeigt - mit kampfbereiter Unversöhnlichkeit gegenüberstehen. Ihr Ziel ist klar: die Vernichtung unseres Staates. Wer genau zugehört hat, hat am häufigsten den Ruf „Deutschland verrecke!" vernommen. Auch dies war, wenn Sie genau hingehört haben, eine Demonstration. Ihre Angriffe sind keine Spontanaktionen, und der Überfall im April dieses Jahres auf Gerhard Kaindl in Berlin hat gezeigt, daß diese Mordaufrufe auch ernst gemeint sind. Ich sage dies alles, um zu verdeutlichen, daß wir es mit einem etwa gleichgewichtigen Potential von links wie von rechts zu tun haben. ({5}) - Ich kann Ihre Reaktion überhaupt nicht verstehen, wenn ich feststelle, daß die Gewalt von links und rechts das gleiche Potential ausmacht. ({6}) - Ich sage dies alles, um zu verdeutlichen, daß wir es mit einem gleichgewichtigen Potential von links wie von rechts zu tun haben. Gemeinsam ist Rechten wie Linken - auch wenn sie sich wechselseitig zum Vorwand für ihre Angriffe nehmen - die nackte Brutalität und Gewalt sowie die Entschlossenheit, unser Gemeinwesen als unregierbar vorzuführen. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. ({0})

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Wenn Sie, Frau Däubler-Gmelin, einmal einen Zwischenruf machen würden, den ich akustisch verstehen kann, würde ich Ihnen gern etwas dazu sagen. Aber dann machen Sie das in der Form, in der das hier üblich ist. ({0}) - Vielleicht haben Sie nicht zugehört. ({1}) Ich habe Ihnen erklärt, was ich von den Rechtsradikalen halte. ({2}) - Lesen Sie bitte das Protokoll nach und behaupten Sie, wenn Sie nicht aufgepaßt haben, jetzt nicht, daß dies von mir nicht gesagt worden sei! ({3}) Uns ist aufgetragen, dafür zu sorgen, daß der Gewalt der Straße Einhalt geboten wird, daß alle Menschen bei uns sicher leben können und daß sich die Fratze der Brutalität - ich wiederhole mich - nicht vor das Gesicht unseres friedliebenden Landes schiebt. ({4}) Da ich noch eine Minute Zeit habe, will ich Ihnen das noch einmal verdeutlichen: Wir haben in den letzten Monaten verfolgt, wie die Brutalität von rechts die Straße regiert hat, wie gegen Ausländerheime - unter Mißachtung von Menschenleben durch die rechte Seite - brutal vorgegangen worden ist. Ich habe dann vorhin hinzugefügt, daß wir nach den Vorkommnissen vom vergangenen Sonntag gegenüber der anderen Seite nicht blind sein dürfen. ({5}) Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob Molotowcocktails oder Pflastersteine geworden werden. ({6}) Es ist bezeichnend für Sie, daß Sie diese Diskussion so interpretieren. Wer Pflastersteine wirft, ist um kein Haar besser als der, der Molotowcocktails wirft. Er verachtet Menschenleben und geht gegen Menschen entsprechend vor. Das ist, so glaube ich, auch Ihnen am Sonntag deutlich geworden. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich erteile das Wort jetzt unserer Frau Kollegin Margitta Terborg.

Margitta Terborg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie erlauben, möchte ich das Thema dieser Aktuellen Stunde ganz unpolitisch angehen. Ich habe die Ereignisse von Berlin selbst miterlebt: die siebenstündige Fahrt in die Hauptstadt, die Versammlung vor der Gethsemane-Kirche, den fröhlichen Marsch zum Lustgarten, die Chaoten, die das Treffen der Demokraten verdüsterten, das abrupte Ende der Kundgebung. Die Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis waren an diesem Tag über 20 Stunden auf Achse. Einige über 70jährige waren dabei, einige zum erstenmal in ihrem Leben auf einer Demo. Als ich sie anderentags fragte, ob sie die Fahrt bereut hätten, bekam ich eine ebenso offene wie entwaffnende Antwort: Margitta, wir sind noch müde, aber wir sind stolz, dabeigewesen zu sein. ({0}) Das hat mich fast zu Tränen gerührt. Da hampeln wir in Bonn und anderswo oft wie die Rumpelstilzchen herum, und dennoch setzen unsere Bürger auf unsere Demokratie, auf unsere Verfassung, haben das Bedürfnis, sich zu artikulieren, und wollen ihr Deutschland nicht beschädigen lassen; denn diese haben es aufgebaut, meine Damen und Herren. Diese Bürger sind übrigens durchaus nicht mit allem einverstanden, was wir tun. Sie haben Vorbehalte, wie sich aus vielen Transparenten ergab. Sie haben die Sorge, daß wir mit unserem Grundgesetz nicht pfleglich umgehen könnten - Vorbehalte, die ich mitunter teile. Und da waren Ausländer am Straßenrand, die unseren Zug skeptisch und hoffnungsvoll zugleich beobachteten. Kurz, es war eindrucksvoll. Es waren in Berlin über 300 000, die auf die Straße gegangen sind - fünfmal mehr, als die Planer erhofft hatten. Tags darauf war es noch einmal eine viertel Million Menschen, die in Köln, in Dresden, in München und anderswo für die Grundrechte, für Toleranz und Menschenwürde demonstrierten. Es mag Ihnen sentimental vorkommen, aber mich hat das glücklich gemacht. Dieses Parlament hat zu vielen Anlässen diesem und jenem gedankt. Einige Vorredner haben es auch heute schon getan, ich möchte es auch tun. Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern, die in diesen Tagen das bessere Deutschland präsentierten. ({1}) Ich danke nicht den Medien, denen ein Ziegelstein eine Nachricht wert ist, für die aber 350 000 Menschen eine Begleiterscheinung sind. ({2}) Ich danke den verantwortungsbewußten Berichterstattern des Auslands, die die Ereignisse durchaus richtig gewichtet haben. ({3}) Ich danke nicht den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die für die Übertragung eines Tennisspiels ihr Programm noch allemal ändern würden, nicht aber für eine staatsbürgerliche Lehrstunde. ({4}) Ich danke dem Herrn Bundespräsidenten, der sich von den Steinewerfern nicht beirren ließ. Ich danke nicht jenen Kollegen, denen in dieser Situation nichts anderes einfällt, als nach neuen Gesetzen zu schreien. ({5}) Ich habe noch meine Mutter im Ohr, die ich in der Nacht nach der Demonstration anrief. Sie war in heller Aufregung. Nach den Fernsehausschnitten mußte sie ja befürchten, daß auch ihre Tochter beschädigt sei. Es war mir natürlich nichts geschehen, nicht einmal, als unsere Gruppe den jungen Chaoten das Einsickern in die Gefahrenzone verwehrte. Die Halbwüchsigen haben abgedreht, als sie unsere Entschlossenheit spürten. Ich bin eigentlich ganz glücklich. Denn es hat sich gezeigt, daß diese Republik 40 Jahre nach der Staatsgründung eben doch nicht Weimar, sondern bemerkenswert stabil ist. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, nächste Rednerin ist jetzt unsere Frau Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen. Bevor ich ihr das Wort erteile, möchte ich ihr ganz herzlich gratulieren. Sie hat heute Geburtstag. ({0})

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die freundlichen Wünsche. - Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wenn Hunderttausende auf die Straße gehen und für Menschenwürde und Toleranz demonstrieren, dann ist das großartig. Es erfüllt mich mit Genugtuung und großer Dankbarkeit. Es ist vor allem dem Bundespräsidenten zu danken, daß er durch die Übernahme der Schirmherrschaft im entscheidenden Moment wieder einmal einen Weg gewiesen hat. Unter diesem Schirm können sich viele Deutsche versammeln, die sonst durchaus nicht immer einer Meinung sind. Die Berliner Demonstration gab ziemlich genau eine Stimmung in der Bevölkerung wieder, die ich in den vergangenen Wochen häufig erlebt habe. Die meisten sind es einfach leid, daß Krawallmacher, rechtsextreme Kriminelle und Ausländerfeinde unseren Rechtsstaat in Frage stellen, den inneren Frieden bedrohen und das äußere Bild verdüstern. ({0}) Und so waren es eben alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen, die in Berlin - und nicht nur dort - auf die Straße gegangen sind. Doch dann ist etwas schiefgelaufen: Die Krawallmacher beherrschten scheinbar die Szene. Das Staatsoberhaupt so attackiert und so abgeschirmt zu sehen, das war schlimm. Aber das ist ja nun wahrlich nicht der überwältigen Mehrheit der Demonstranten anzurechnen. Die Berliner Veranstalter müssen sich schon fragen lassen, wann sie wohl das kleine Einmaleins der Versammlungsmengenlehre lernen werden: Die eigenen Leute immer nach vorn - das wissen wir doch eigentlich. ({1}) Unsere Fernsehanstalten müssen sich fragen lassen, ob die Pflicht zur objektiven Berichterstattung derart mit Füßen getreten werden darf, daß die Ereignisse über dieses Medium völlig verzerrt wiedergegeben wurden. Die Zeitungen - das ist hier schon gesagt worden -, vor allem die ausländischen Zeitungen, waren da im großen und ganzen zum Glück näher an der Wahrheit. Wir Politiker müssen uns allerdings auch einmal fragen, in welchem Umfang wir selber zur Verzerrung der Wirklichkeit und zur Polarisierung in unserem Land beigetragen haben. Diese Polarisierung hat wohl bei keinem anderen Thema so verhängnisvolle Formen angenommen wie bei der Diskussion über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und deren Überwindung. Die Sorge, mißverstanden zu werden, läßt offenbar nicht mehr bei allen Raum dafür, sich über alles Trennende hinweg auf grundlegende Gemeinsamkeiten ohne Wenn und Aber ganz selbstverständlich zu verständigen und zu einigen. „Wer nicht schießen will, muß reden." Dieser Satz, den Hans-Dietrich Genscher wieder und wieder gesagt hat, hat für die Außenpolitik unseres Landes während der vergangenen 20 Jahre viel Zustimmung erhalten und auch große Erfolge gebracht. Ich wünsche mir, daß diese außenpolitische Maxime - selbstverständlich abgewandelt - nun auch in unserer Innenpolitik Einzug hält und daß endlich der Dialog der Gehörlosen beendet wird, dessen Zeugen wir schon zu lange sind. Dieser Maxime zu folgen bedeutet nichts anderes, als beharrlich einen Dialog zu führen, ohne den anderen zu diffamieren; es bedeutet, ein Ziel zu formulieren, einen Kompromiß zu finden und ihn schließlich durchzusetzen. Übrigens: Wer den Kompromiß von vornherein als Zeichen der Schwäche ablehnt, hat von demokratischen Gepflogenheiten nichts begriffen. ({2}) Deshalb braucht man nicht gleich alles in Nebelschwaden der Harmonie einzuhüllen. Schließlich gehört Meinungsvielfalt zur lebendigen Demokratie. Aber daß man damit angemessen umgehen muß und auch mit Meinungsverschiedenheiten und Konflikten leben kann, ohne sich gegenseitig der Dummheit, der Lüge oder der Infamie zu beschuldigen, auch das könnte eine Botschaft der Bürgerinnen und Bürger auf der Berliner Demonstration gewesen sein. ({3})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Ich erteile unserer Kollegin Frau Abgeordneten Dr. Angela Merkel das Wort.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Berliner Demonstration am Sonntag hat ein beeindruckendes Zeichen gesetzt. Rund 300 000 Menschen haben für etwas demonstriert. Schon das war für mich ein guter Grund. Sie haben für das Zusammenleben mit Ausländern und für die Würde jedes einzelnen Menschen demonstriert. Es war eine Demonstration für das tragende Grundprinzip unseres demokratischen Rechtsstaats. Ich meine, zu solch einer Demonstration für unseren Staat müssen jeder Politiker und jeder Bürger bereit sein. Ich freue mich, daß es so viele waren. ({0}) Die Berliner Demonstration hat aber bei mir auch Ängste hervorgerufen. Sie hat gezeigt, wie leicht es ist, eine überwältigende Masse von friedlichen Menschen zu terrorisieren. Relativ kleinen, aber militanten, gut organisierten und entschlossenen Gruppen in Berlin ist es gelungen, das friedliche Bild einer Demonstration zu zerstören, eine Mehrheit zu überwältigen und viele leider auch einzuschüchtern. Deshalb muß ich Ihnen sagen: Für mich verlaufen die Gräben dort, wo es um den Gegensatz zwischen Demokratie und der Bereitschaft zur Gewaltanwendung geht. Ich bin ein bißchen bedrückt, daß es an manchen Stellen gerade bei der SPD keinen Beifall gab, als es gegen Linksradikale ging, ({1}) daß es aber dann Beifall gab, wenn es gegen Rechtsradikale ging. ({2}) - Liebe Frau Däubler-Gmelin, ich muß Ihnen ganz ruhig sagen, und ich bitte, daß Sie mich das in aller Ruhe aussprechen lassen: ({3}) Als jemand, der eher unter einer linken als einer rechten Diktatur gelebt hat, muß ich Ihnen sagen, daß nicht verständlich ist, was Sie hier an Historischem aufgebaut haben und warum Sie zwischen den Extremisten solche Unterschiede machen. ({4}) Für mich spielen sich die Extremisten von links und von rechts gegenseitig in die Hände. Diese Leute lassen sich nicht auf die Gleichheit der Mittel in der politischen Auseinandersetzung ein. ({5}) Diese Leute sind nicht bereit - ich bitte Sie, mich sprechen zu lassen -, die demokratischen Spielregeln zu akzeptieren. Deshalb sind sie eine Gefahr für alle, die Auseinandersetzungen friedlich austragen wollen. Herr Schulz, wenn Sie die Demonstration vom 4. November 1989 mit dem, was am Sonntag stattgefunden hat, vergleichen, dann bitte ich Sie, zu berücksichtigen, daß z. B. der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg - nicht beim Sprechen - mit Steinen attackiert wurde. Ich sehe keine Möglichkeit eines Vergleichs mit der Demonstration am 4. November. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Jeder muß sich hier verständlich machen können. Frau Angela Merkel hat das Wort.

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Demokratie bedeutet Vielfalt: Vielfalt der Meinungen und der Interessen und der Gruppen. Demokratie bedeutet auch Streit und Konflikt. Aber Demokratie kann nicht bestehen, wenn die grundlegenden Regeln der Auseinandersetzung mißachtet werden. ({0}) Wer zu diesem minimalen Konsens nicht bereit ist, der lehnt die Demokratie ab, der will etwas anderes, sei es Anarchie oder auch totalitäre Herrschaft. Deshalb muß unsere Demokratie auch wehrhaft sein und sich zum staatlichen Gewaltmonopol bekennen. Ein Staat, der auf den Einsatz seiner Machtmittel verzichtet, der sich nicht wehrt, ist ohnmächtig. ({1}) Er wird auf die Dauer von immer weniger Menschen respektiert, ja er wird schließlich verachtet. ({2}) Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen dafür sorgen, daß nicht eine Minderheit der Mehrheit in diesem Staat ihren Stempel aufdrücken kann. Unsere Polizei muß aktiv verhindern, daß der Terror der Straße das Bild dieser Republik bestimmt. Politiker aller demokratischen Richtungen müssen ihr dabei den Rücken stärken. Unsere Justiz muß in aller Schärfe deutlich machen, daß dieser Staat eine Verletzung der Spielregeln nicht gleichgültig hinnimmt. Als Gesetzgeber müssen wir darauf dringen, daß bestehende Gesetze in ihrem vollem Umfang angewendet werden. Erst dann ist der Ruf nach neuen Gesetzen für mich akzeptabel. ({3}) Als Bürger müssen wir demonstrieren, daß dieser Staat unser Staat ist, den wir uns nicht kaputtmachen lassen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Das Wort erhält der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Herr Präsident, habe ich das Wort? ({1})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, darf ich daran erinnern, daß das Wort dem Herrn Staatssekretär erteilt ist. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte ganz bewußt auch als Staatssekretär im Verfassungsministerium zunächst gern noch einmal all denen sehr herzlich danken, die am Sonntag in Berlin für unser Grundgesetz, für unsere freiheitliche Demokratie, für die Menschenrechte und gegen Gewalt, Fremdenhaß und Antisemitismus demonstriert haben. Ich danke ganz besonders für das Bundesinnenministerium auch allen Polizeibeamten, die zum Schutz friedliebender Demonstranten ihre Pflicht getan haben. Ganz, ganz herzlichen Dank! ({0}) Für das Innenministerium möchte ich gern noch einmal ganz kurz sechs Aufgaben beschreiben, die sich gerade nach den Ereignissen am Sonntag stellen. Erstens. Das Demonstrationsrecht muß mit allen rechtsstaatlichen Mitteln geschützt werden, denn es gehört zu den Bürgerrechten im freiheitlich-demokratischen Staat. Wir müssen uns einig sein: Die Straßen und Plätze unseres Landes dürfen nicht den Chaoten und Gewalttätern überlassen sein. ({1}) Zweitens. Die Polizei und alle anderen Sicherheitskräfte müssen wissen, daß sie für ihren gesetzlichen Einsatz die volle Unterstützung der politischen Führung haben. ({2}) Das gilt gerade in dieser Situation. ({3}) Denn angesichts der militanten Extremisten ist ja für Polizei und alle Sicherheitskräfte entschlossener und umfassender Einsatz zum Schutz der friedlichen Burger geboten. Drittens. Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern muß gerade auch von uns im Parlament unterstützt werden, um Extremisten von rechts und links aufzuspüren und zu bekämpfen. Ich sage auch: Wenn die Beweise ausreichen, dann müssen extremistische Organisationen sofort verboten werden. ({4}) Gerade durch solches Handeln müssen Signale für die Stärke des Rechtsstaates gesetzt werden. Ich denke, das ist wichtig. Viertens. Die Prüfung unserer Gesetze muß ohne Vorurteile geschehen. Ich denke z. B., meine Damen und Herren - da sollten wir uns doch einig sein -, ({5}) an den Bereich des Landfriedensbruchs. Wer Gewalttäter - das haben wir leider sehen müssen - in unverantwortlicher Weise unterstützt, muß wissen, daß unser Staat das nicht hinnimmt, sondern entsprechende Strafe droht. ({6}) Fünftens. Persönlicher Einsatz für freiheitliche Demokratie und Toleranz muß von uns allen noch weiter verstärkt werden. Ich rufe alle Verantwortlichen auf, insbesondere auch die, die mit unseren jungen Menschen umgehen: Zum Beispiel in Schulen, in der politischen Bildung, in der Jugendpresse muß dies geschehen. Das Bundesministerium des Innern wird ein entsprechendes Aktionsprogramm verstärken. Die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung sowie alle anderen Bildungsträger sind in diesem Bereich verstärkt gefordert. Freiheitliche Demokratie und Toleranz wollen täglich gelernt und gelebt werden. Das gehört auch zu dem, was wir alle uns miteinander als Verantwortliche sagen müssen. ({7}) Sechstens und letztens. Die Ursachen für Überforderungen der Bürger müssen aufgespürt und, wo erkannt, auch beseitigt werden. Da muß man halt auch sagen: Wir sind nun alle gefordert, auch Überforderungen im Asylbereich abzubauen und zu beseitigen. Das sagen uns die Bürger jeden Tag; das gehört sicherlich auch zu den Lehren, die wir zu verstehen haben. Ich meine, meine Damen und Herren - das ist das Positive -, gerade nach der Botschaft der über 300 000 vom letzten Sonntag in Berlin sind alle Verantwortlichen in Parlament und Regierung aufgerufen, gemeinsam offensiv für unseren freiheitlichen Rechtsstaat einzutreten. Ich denke, die Botschaft heißt: Unser Staat ist auf die Solidarität der Demokraten angewiesen. Diese sollten wir alle gemeinsam praktizieren. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nun erteile ich unserer Frau Kollegin Ulrike Mascher das Wort.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Über 300 000 Menschen, viele sicher zum erstenmal, hatten sich aufgemacht, um durch ihre Beteiligung an der Berliner Kundgebung, zu welcher der Bundespräsident aufgerufen hatte, zu zeigen: Wir wollen mit Ausländern friedlich zusammenleben. Wir wollen eine Politik des Ausgleichs und der Toleranz unterstützen. Nicht nur in Berlin, auch in Köln, in Dresden, in München und in vielen Orten unseres Landes haben Menschen in den letzten Tagen ihre bequeme Zuschauerposition zu Hause verlassen und versucht, sich einzumischen, und ihre Bereitschaft gezeigt, für die Botschaft unserer Verfassung einzustehen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. " ({0}) Ich finde es ermutigend, wenn viele junge Menschen in Dachau gemeinsam mit Josef Felder, dem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, der 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat, gegen Gewalt, gegen die Jagd auf Menschen, gegen den Mord an Menschen demonstrieren. Leider sind die Bilder von der Auseinandersetzung zwischen Polizei und den Randalierern medienwirksamer. Das Bild des Bundespräsidenten hinter den Schutzschilden der Polizei ist einprägsamer als Worte, die in Kommentaren von der überwältigenden Mehrheit der friedlichen Demonstranten gesprochen haben. Auch wenn die Bilder häufig einprägsamer sind, sollten wir Politiker die Wirkung unserer Worte und Reden bedenken. Ich warte immer noch - auch als bayerische Abgeordnete - auf ein nachdenkliches, ein klärendes Wort des bayerischen Ministerpräsidenten, der durch seine Argumente, warum er der Berliner Kundgebung fernbleibt, den Chaoten und Randalierern die Stichworte geliefert hat. ({1}) Ich möchte hier meine Kollegen und Kolleginnen von der CSU direkt ansprechen: Finden Sie es nicht beschämend, wenn der bayerische Ministerpräsident genauso wie die Randalierer von Berlin von einer scheinheiligen Veranstaltung gesprochen hat oder wenn sich Franz Schönhuber ermutigt fühlt, seine Sympathie für die Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten zu bekunden? ({2}) Bei allem Zorn darüber, daß es in Berlin nicht gelungen ist, die friedliche Demonstration von 300 000 Menschen von gewalttätiger Störung freizuhalten, darf die Reaktion darauf doch nicht der alteingeübte Reflex sein: Verschärfung des Demonstrationsrechts, Erweiterung der Vorschriften gegen Landfriedensbruch, Verlängerung der Kronzeugenregelung oder gar die Bewaffnung der Polizei mit Gummigeschossen. Damit ist, wie die Erfahrung zeigt, politisch oder scheinbar politisch motivierter Gewalt nicht beizukommen. ({3}) - Ich lebe in München, Herr Geis. - Auch das bayerische Muster anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels, friedliche Demonstranten einzukesseln und in politischen Gewahrsam zu nehmen, kann nicht das Modell sein. Bei den Diskussionen der nächsten Wochen kommt es darauf an, daß wir die Chance für ein breites Bündnis gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit, wie es in Berlin erkennbar wurde, nicht wieder um eines vermeintlichen tagespolitischen Vorteils willen verspielen. ({4}) Frau Merkel, ich bedaure es, daß Sie nicht bereit sind zu erkennen, daß es einen Unterschied zwischen der Störung einer Kundgebung und den Morden und Mordversuchen an Asylbewerbern gibt. ({5}) Zu dem zweiten Punkt, von dem Sie gesprochen haben: Ich habe Herrn Staatssekretär Schmidbauer zugehört und bei ihm verstanden, daß Bundeskanzler Helmut Kohl nicht angegriffen wurde. ({6}) - Gott sei Dank, ich bin froh darüber. Sie haben offenbar etwas anderes wahrgenommen. ({7}) Unsere Debatte in den nächsten Wochen zur Behandlung des Flüchtlingsproblems, zum Umgang mit den Asylbewerbern muß zeigen, daß es den Parteien der Berliner Kundgebung ernst ist mit der Ablehnung von Gewalt und Ausländerfeindlichkeit und daß der erste Satz unseres Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar" nicht nur an Sonntagen gilt. ({8})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Jetzt hat unser Kollege Werner Skowron das Wort.

Werner H. Skowron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen etwas zeigen. - Es kommt morgen heraus. Es ist ein furchtbares Bild. Hier steht - eine große Zeitung -: „Demokratie unter Druck" ({0}) -Jawohl, auch ich war dort in Berlin. Ich bin Berliner. Ich habe dort in der Masse gestanden. Als das passierte, machte sich Bestürzung breit. Aber die Bestürzung dauerte nur geringe Zeit. Darm war Zorn da, Zorn gegen diese Eierwerfer, gegen diese Steinewerfer. ({1}) Aber ich folge nicht dem, was hier steht: „Demokratie unter Druck". Denn die 350 000 haben doch bewiesen, daß die Demokratie bei uns lebt und stark ist. Wir sind nicht unter Druck, schon gar nicht von Eierwerfern. ({2}) Meine Damen und Herren, am Wochenende bot sich der Weltöffentlichkeit von Berlin aus eine einzigartige Willensbekundung deutscher Bürgerinnen und Bürger gegen Ausländerfeindlichkeit, Haß und Gewalt. Annähernd 350 000, weit mehr als erwartet - ich denke an 80 000 bis 100 000 -, setzten dabei endlich ein deutliches Zeichen in Sachen Sicherung der Würde des Menschen. Ich habe viele gesehen - das möchte ich unterstreichen, da ich sie kenne -, die unter Bedingungen zu dieser Demonstration gekommen sind und sie mitgemacht haben, die es nahegelegt hätten, daß sie besser zu Hause geblieben wären; denn sie waren krank. Auch das zeigt, wie wichtig diese Demonstration in den Augen der Bürgerinnen und Bürger war. Ich möchte an dieser Stelle als Berliner ({3}) all denjenigen, die friedlich demonstriert haben, ein recht herzliches Dankeschön sagen. ({4}) Auch im Rahmen einer bürgernahen Großdemonstration folgten namhafte Politiker - einige haben heute schon geredet - über Parteigrenzen hinweg der Einladung der Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie stellten sich an die Spitze dieses Demonstrationszuges und brachten damit auch ihren Willen zum Ausdruck, Probleme zu lösen. Allein das Zustandekommen, aber insbesondere die große Beteiligung an dieser Demonstration ist ein riesiger Erfolg für die Demokratie in Deutschland. Dieser Erfolg kann auch nicht durch die Tatsache in Abrede gestellt werden, daß es ca. 300 bis 400 - vielleicht waren es auch 500 - Autonomen trotz umfangreicher Vorbereitungen der Veranstalter und der Polizei durch gewaltsames Handeln gelungen ist, die Veranstaltung zu stören. Wieder einmal wurde die nicht vorhandene Konsensfähigkeit dieser Kräfte - ich möchte sogar sagen: deren bürgerfeindliche Haltung - deutlich. ({5}) Um so wichtiger ist es, die Ergebnisse dieser Großdemonstration richtig zu bewerten und daraus entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen. Klar und deutlich möchte ich für mich - und sicherlich für alle im Haus - noch einmal sagen: Radikalismus bzw. Extremismus ist kein Mittel, bestehende Mißstände zu beseitigen, Probleme zu lösen, Politik- oder Parteiverdrossenheit zu artikulieren. ({6}) In unserer Demokratie ist kein Platz für linke oder rechte Chaoten. Wir werden all denen, die da meinen, sich durch Steinwürfe Gehör verschaffen zu müssen, mit der vollen Breite der uns zur Verfügung stehenden gesetzlichen Möglichkeiten entgegentreten. ({7}) Auch künftig wird es Demonstrationen dieser Größenordnung geben. Darauf müssen wir vorbereitet sein, ({8}) Unter Zugrundelegung der Erfahrungen vom letzten Sonntag sind wir alle --- ich betone: alle - angehalten, uns über neue oder schon mögliche Maßnahmen, die sozusagen neu aufgelegt werden müssen, zu unterhalten und darüber nachzudenken, in welcher Weise wir sie anwenden müssen. Übrigens sei den Kritikern dieses Polizeieinsatzes und ähnlicher Polizeieinsätze in Erinnerung gerufen, daß die Polizeitaktik bei derartigen bürgernahen Großveranstaltungen weder einen überdimensionalen Sicherheitsgürtel zwischen Rednertribüne und Demonstranten noch den Einsatz von Gummigeschossen durch die Polizei vorsieht. Man stelle sich einmal die Wirkungen einer im Falle einer solchen Konfrontation zwischen der Polizei und den Chaoten entstehenden Panik vor. Eine ganz andere Frage ist, ob man nicht durch eine bessere Vorbereitung dieser Veranstaltung die Störungen hätte verhindern können, ob man vor allem hätte verhindern können, daß der Pöbel bis in die erste Reihe kommt. Deshalb müssen meines Erachtens die zu erarbeitenden Maßnahmen auf den vorbeugenden Bereich und besonders auf die strafrechtliche Verfolgung begangener Taten zielen. Neben der Ausschöpfung der bereits bestehenden Bestimmungen sehe ich die Schwerpunkte auf gesetzgeberischer Seite vor allem in der Erweiterung der Vorschriften des Landfriedensbruchs, der Verlängerung der Kronzeugenregelung und der Erweiterung der Voraussetzungen des § 112 der Strafprozeßordnung. ({9})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist längst überschritten. Bitte kommen Sie zum Schluß,

Werner H. Skowron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002184, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. Ich möchte noch ein Wort zur Polizei sagen. Was den Einsatz der Sicherheitskräfte vor und während der Demonstration in Berlin anbelangt, ist festzustellen, daß die Beamten durch ihr korrektes und umsichtiges Verhalten wesentlich zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen und die Eskalation der Gewalt möglicherweise eingedämmt haben. Ich möchte an dieser Stelle auch der Polizei Dank sagen. Ich hoffe, daß wir so etwas in Zukunft nicht wieder erleben müssen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Jetzt erhält das Wort Herr Senator Peter Radunski. Senator Peter Radunski ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Wort aus Berlin. Die Bürgerinnen und Bürger Berlins haben ihre politische Verantwortung in der Hauptstadt Deutschlands angenommen. Ich glaube, Sie sind mit mir der Meinung, daß die 350 000 Teilnehmer bei der Berliner Demonstration dafür eine deutliche Sprache sprechen. ({1}) - Darauf komme ich gleich, Herr Conradi. Die verantwortlichen Politiker in Berlin haben hier das richtige Gefühl gezeigt, als sie zu dieser Demonstration aufriefen, zu der die Bürger in Scharen gekommen sind. Aber die Mängel in der Veranstaltungsorganisation haben das Bild getrübt. Die Feinde Senator Peter Radunski ({2}) unserer Demokratie konnten sich austoben - diesmal von links, aber zum Gefallen von rechts. ({3}) Vor allem haben die Mängel bei der Durchführung der Veranstaltung den Herrn Bundespräsidenten als Schirmherrn der Veranstaltung einer Situation ausgesetzt, die nicht der Würde seines Amts und nicht dem Inhalt seiner großen Rede entsprach. Im Namen des Berliner Senats möchte ich mich dafür bei Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor diesem Hohen Haus ausdrücklich entschuldigen und ihm dafür danken, daß er trotz der Krawalle und Angriffe mit Zivilcourage u ad Stil seine Rede durchgestanden hat. ({4}) Wir Berliner haben wieder gespürt, was es bedeutet, Hauptstadt Deutschlands zu sein. Die Verantwortlichen in der Berliner Politik spüren natürlich, daß an sie andere Maßstäbe gelegt werden. Aber auch wenn es wegen organisatorischer Mängel auf der Veranstaltung am Sonntag Rückschläge gegeben hat: Wir sind fest entschlossen und bereit, den Ansprüchen, die an uns gestellt werden, künftig besser zu entsprechen. Deshalb nehmen wir Kritik an dieser Veranstaltung auf, aber wir bitten und verlangen auch, daß es Hilfe und Verständnis für die großen Aufgaben der zusammenwachsenden Hauptstadt Berlin gibt. ({5}) Die Bürgerinnen und Bürger Berlins haben ihre Verantwortung - das ist auch eine Botschaft des Sonntags - angenommen und der Welt gezeigt, daß die Demokratie von ihnen aktiv unterstützt wird. Berlin - das war am Sonntag eine Hauptstadt der Demokraten. ({6}) Demokratie ist die Theorie, daß gewöhnliche Menschen außergewöhnliche Dinge tun können, hat der amerikanische Publizist James Reston einmal gesagt. Ich glaube, das trifft auf die Berliner Bürger an diesem Sonntag zu. Was uns aber alle empört - auch mir steckt die Wut noch in den Knochen -, ist doch die Tatsache, daß wir eine zum Greifen nahe Sternstunde der deutschen Demokratie vor uns hatten, die von wenigen Krawallmachern verdunkelt wurde, weil Managementfehler bei der Veranstaltungsvorbereitung den Krawallmachern praktisch die Gelegenheit boten, auf den Fernsehschirmen der Welt ein anderes Bild von dieser Demonstration zu vermitteln. Wer sich aber in den Demonstrationszügen bewegt hat, hat einen sonntäglichen, friedlichen, harmonischen Spaziergang mit gleichgesinnten Bürgern erlebt, die aktiv für Demokratie und Menschenrechte eingetreten sind. Ich hatte das gute Gefühl - wie lange nicht auf einer politischen Veranstaltung -, mich innerhalb einer Mehrheit von gleichgesinnten Demokraten zu bewegen. ({7}) Wer für unsere Demokratie eintritt und für sie demonstriert - das ist eine wichtige Lehre -, darf nicht dem Gefühl der Ohnmacht ausgesetzt werden, daß ihn andere, nämlich die Feinde der Demokratie, stören und seine Demonstration, sein Demonstrationsrecht jederzeit kaputtmachen können. Deshalb müssen Polizei und Veranstalter neben allen rechtlichen Vorkehrungen auch vom Management her stärker dafür Sorge tragen - die gängigen Regeln all dieser Veranstaltungen kennen wir ja alle -, daß Krawallmacher nicht in die vorderste Reihe gelangen und die ganze Stimmung einer Veranstaltung prägen können, vor allen Dingen vor den Fernsehschirmen. Deshalb bekennen wir aus Berlin, daß die Initiatoren und der Veranstalter, die Polizei, aber auch der Senat ohne Zweifel organisatorische Fehler gemacht haben, die hätten verhindert werden können, und daß wir dadurch leider eine nicht ganz so funkelnde und klare Sternstunde der Demokratie hatten, wie sie hätte sein können. Mit dieser großen Bürgerdemonstration von Berlin, die inzwischen viele Nachfolger in größeren und kleineren Städten der Bundesrepublik gefunden hat, zeigen wir Deutschen, daß wir diesmal wachsam sind. Eine Demokratie ohne Demokraten, wie die Weimarer Republik genannt wurde, wird es auf deutschem Boden nicht mehr geben. ({8}) Auch das, meine Damen und Herren, ist eine Lehre vom Sonntag: Wenn Politiker Orientierung geben, mutig Flagge zeigen, Position beziehen, dann folgen ihnen die Bürger. Die 350 000 Teilnehmer von Berlin sind auch eine Lehre für das Verhalten der politisch Verantwortlichen. Wir müssen Sorge tragen, daß der Asylmilibrauch vermieden wird, daß die Gewalttäter in der Demokratie die Härte des Gesetzes trifft und daß diejenigen, die demokratische Spielregeln verletzen, wie Feinde der Demokratie behandelt werden. ({9}) Wir alle sind schon oft auf Demonstrationen mitmarschiert, meine Damen und Herren. Am Sonntag aber haben wir Kombattanten, Mitdemonstranten erlebt - vielleicht zu Hunderttausenden -, die vielleicht zum erstenmal auf einer Demonstration waren. Ich habe aber auch jene beobachtet - das gilt gerade für Berliner -, die sich seit den 50er und 60er Jahren zum erstenmal auf einer Demonstration bewegt haben. Sie alle wollten sagen: Wir wollen unsere Demokratie unterstützen. Wir sind gegen jede Gewalt und für Menschenrechte. Nun fand an diesem Sonntag, am 8. November, die erste große bundesweite Demonstration in der wiedervereinigten Hauptstadt statt. Unter den 350 000 Teilnehmern waren Menschen, die aus allein Teilen der Bundesrepublik Deutschland angereist waren; praktisch jeder zehnte Berliner hat daran teilgenommen. Auch finde ich es bemerkenswert, daß Repräsentanten aus allen Bereichen der Gesellschaft in einer breiten und eindrucksvoll demonstrativen Zahl an Senator Peter Radunski ({10}) dieser Demonstration teilgenommen haben. Dies haben wir im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland sehr selten. Es war eine geschlossene Demonstration der Deutschen für Demokratie, für Menschenrechte und gegen Gewalt. Die erste große Demonstration in Berlin gehörte den Demokraten; das sollte das Symbol bleiben. ({11}) Im wiedervereinigten Deutschland ist Berlin die Hauptstadt der Demokraten, und die Demokraten sind die Mehrheit in Deutschland. Danke. ({12})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Unser nächster Redner ist der Kollege Dr. Uwe Küster.

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ereignisse in Berlin haben verständlicherweise ein großes Echo im In- und Ausland gefunden. Erfreulicherweise haben die meisten Berichterstatter das Eintreten der über 300 000 Bürger für die Würde des Menschen in den Mittelpunkt gestellt, nicht die Störaktion einer verschwindenden Minderheit. Auf den Beitrag von Herrn Schulz, der jetzt schon nicht mehr anwesend ist, eingehend, möchte ich sagen: Diese über 300 000 Bürger, die sich friedlich und freundlich zum Versammlungsplatz begeben haben, geben mir Hoffnung. Es war eine sehr schöne Demonstration. Es war kein schwarzer Sonntag; da widerspreche ich ganz eindeutig. ({0}) Es gibt aber auch andere Stimmen. Die Berliner Zeitung „Neue Zeit" schreibt - ich zitiere -: Der Aufruf zur Demonstration war ein Ausweis von Schwäche. Ein Staat, der seine Bürger auf die Straße ruft, darf sich nicht wundern, wenn diese dort vorzugsweise gegen ihn agieren. Diese Interpretation geht am Kern der Sache vorbei. Es ist ein Zeichen der Stärke des Gemeinwesens, wenn Politiker und Bürger gemeinsam für den fundamentalen Wert der Menschenwürde auf die Straße gehen. Ich denke, dieses Zeichen hätte schon früher gesetzt werden müssen. Die Bürger haben nicht gegen den Staat demonstriert, sondern gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus. „Für die Achtung der Menschenwürde" war der Aufruf. Leider vertreten auch führende Politiker den von mir zitierten Standpunkt der „Neuen Zeit". Die Stellungnahmen des bayerischen Ministerpräsidenten Streibl und des CSU-Vorsitzenden Waigel, die diese Demonstration schon im Vorfeld für überflüssig erklärt haben, zeigen ein völlig verfehltes Politikverständnis. Für sie ist die Sache sehr einfach: Politik wird von oben ausgeübt und hat alle Probleme vom Tisch zu schaffen; dann braucht auch nicht mehr demonstriert zu werden. Ich sehe auch einen deutlichen Unterschied zwischen der Rede der Bundestagspräsidentin und denen unserer Kollegen Schmidbauer und Frau Merkel. Ich möchte diesen Unterschied hier ausdrücklich hervorheben; es gibt also durchaus auch Bedenkliche in den Reihen der CDU/CSU. ({1}) Den Damen und Herren in der CDU/CSU muß entgegengehalten werden, daß sich Ausländerfeindlichkeit und Rassismus nicht per Gesetz oder Verordnung aus der Welt schaffen lassen. Wir dürfen politische Handlungsfähigkeit nicht mit politischer Kultur verwechseln. Es ist ein Zeichen politischer Kultur, meine Damen und Herren, wenn Hunderttausende zusammen mit führenden Repräsentanten aus den Ländern und aus dem Bund gegen Ausländerfeindlichkeit eintreten. Die Achtung der Menschenwürde läßt sich nicht verordnen, sie muß gelebt werden. Offensichtlich hat das nicht jeder verstanden oder will das nicht verstehen, weil er um sein politisches Überleben gegen die Republikaner kämpfen muß. ({2}) Meine Damen und Herren, ich halte es für einen großen Fehler, die Demonstration in Berlin mit der laufenden Zuwanderungs- und Asyldebatte zu vermengen. Wer das tut, spielt mit dem Feuer; denn gegen Menschenverachtung müssen wir zu jeder Zeit vorgehen, unabhängig von dem realen Problemdruck, der in Deutschland in der Asylbewerberfrage offensichtlich besteht. Wir müssen eine offene Politikverdrossenheit zur Kenntnis nehmen, die sich zu einem nicht geringen Teil an der ungelösten Frage der Zuwanderung, des Asylrechts und an vielen anderen Problemen festmacht. Wer das nicht wahrhaben will, hat sich weit von der vorherrschenden Stimmungslage in Deutschland entfernt. Die Bevölkerung erwartet von den demokratischen Parteien vernünftige Lösungen. Sie hat Anspruch darauf. ({3}) Auch meine Partei kann und wird sich dieser Verantwortung nicht entziehen. Wir werden auf unserem Sonderparteitag eine Konzeption auf den Tisch legen und verabschieden, die eine Gesamtkonzeption für die Zuwanderungsproblematik beinhaltet, nicht eine völlig losgelöste Veränderung des Grundgesetzes. Eines sollte dabei aber klar sein - das sollten die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU ausdrücklich wissen -: Eine Abschaffung oder substantielle Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl wird es mit uns Sozialdemokraten nicht geben. ({4}) Über die Beschleunigung der Verfahren und die Verhinderung des Asylmißbrauchs haben wir Sozialdemokraten gestritten. Das Meinungsbild wird in einer Woche feststehen. An die Adresse von Frau Lederer gerichtet, möchte ich ganz eindeutig sagen: Auf dieser Demonstration in Berlin, auf die ich jetzt gern noch einmal zurückkommen möchte, habe ich Befürworter der Beibehaltung des Art. 16 in der derzeitigen Fassung gesehen. Ich habe ebenfalls eine große Menge von Kolleginnen und Kollegen, von Bürgerinnen und Bürgern gesehen, die für eine Änderung waren. Sie haben sich dort friedlich verhalten und diesen Gegensatz ausgehalten. Eines hat sie geeint: der Spruch „Die Würde des Menschen ist unantastbar". Ich möchte ganz deutlich sagen: Hier wurde etwas auf den Kopf gestellt. Das möchte ich zurückweisen. ({5})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Den Schlußsatz!

Dr. Uwe Küster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die CDU/CSU sollte endlich aufhören, zu glauben, daß wir mit einer Grundgesetzänderung alle Probleme bezüglich der Zuwanderung oder der Asylbewerber lösen können. Sie geben eine falsche Ansicht wieder. Herr Hintze, ich glaube, Sie sollten eines zur Kenntnis nehmen: Es gibt todsicher einen Unterschied zwischen Trillerpfeifen und Baseballschlägern. ({0})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Nun erteile ich dem Kollegen Norbert Geis das Wort.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CSU hat an dieser Demonstration nicht teilgenommen, ({0}) weil sie der Auffassung ist, daß mit einer Demonstration der Rechts- und der Linksextremismus nicht bekämpft werden können. Der Außenminister hatte recht, als er feststellte, daß die Bilder der Gewalt von dieser Demonstration unserem Volk schweren Schaden zugefügt haben. Es ist auch richtig, daß eine - sicher kleine - Gruppe von Linksextremisten die Chance genutzt hat, den Bundespräsidenten, hohe Repräsentanten unseres Staates, 350 000 Demonstranten und eigentlich unser ganzes Volk vorzuführen, zu terrorisieren und mundtot zu machen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundespräsident hat Repräsentanten unseres Staates um sich gesammelt, damit sie für die Würde des Menschen demonstrieren. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen - und niemand wird es ernsthaft bezweifeln -, daß die Repräsentanten unseres Staates schon immer für die Würde des Menschen gestanden haben. Das gilt auch für den ganz und gar überwiegenden Teil unserer Bevölkerung. Unsere Bevölkerung tritt für die Würde des Menschen ein, und zwar nicht nur für die Würde eines Deutschen, sondern für die Würde aller Menschen. Daran kann auch kein Zweifel bestehen. ({2}) Aber die Würde des Menschen, wie sie in unserem Grundgesetz festgehalten ist, verlangt auch, daß der Staat jede Gelegenheit nutzt, dafür Sorge zu tragen, daß sie auch eingehalten wird. Dazu bedarf es der Entscheidungskraft und Handlungsfähigkeit. Demonstrationen nützen dabei sehr wenig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Menschen in Berlin haben gegen die Gewalt demonstriert, und dennoch hat sich unserem Gedächtnis das Bild von der Gewalt am meisten eingeprägt. Aber dieser Eindruck ist falsch. Die Menschen in unserem Land sind bedingungslos gegen Gewalt. Sie lehnen Gewalt entschieden ab. Das gilt für den allergrößten Teil unserer Bevölkerung. In Wirklichkeit können wir auf unsere Demokratie stolz sein. Nicht so schnell werden wir in der Welt eine Demokratie finden, in der die Würde des Menschen und seine Freiheit so geachtet, so garantiert und so praktiziert werden wie in der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Die Deutschen sind auch nicht ausländerfeindlich. Das weiß das Ausland nicht erst seit der Demonstration vom Sonntag. 90 % der Weltbevölkerung achten unser Volk ob seiner Leistung nach dem Krieg, und über 60 % all derer, die nach Europa kommen, wollen am liebsten in der Bundesrepublik Deutschland wohnen. Ich sehe auch nicht die Gefahr eines neuen Antisemitismus in unserem Land. Alle Vorstellungen und immer wieder beschworenen Ängste, es könnte sich so etwas wie die nationalsozialistische Machtergreifung mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben, sind gegenstandslos. Die ganz überwiegende Mehrheit unseres Volkes verurteilt entschieden die Gewalttaten des Nationalsozialismus. Wir sollten allerdings erkennen, daß Weimar zwei Seiten hat, zum einen die Seite nach 1933, zum anderen aber auch die Zeit vorher. Die deutsche Katastrophe hat nicht erst am 30. Januar 1933 begonnen, ({4}) sondern in der Zeit der Weimarer Republik, als die Demokratie niederging und sich im Volk Ängste breitmachten, daß die Politik nicht in der Lage sei, die vitalen Interessen der Bevölkerung zu wahren. Genau dieselben Anzeichen - wenn die Ergebnisse von Umfragen richtig sind - zeigen sich auch jetzt. Die Bevölkerung fürchtet, daß die Politiker nicht in der Lage sind, die vitalen Interessen unseres Volkes zu wahren. Deshalb geht es nicht um Demonstrationen, sondern darum, daß wir entschieden handeln und uns entschieden für die Interessen unserer Bevölkerung einsetzen. Es geht darum, daß wir endlich das Asylproblem lösen. Es geht darum, daß wir endlich die Polizei rechtlich in die Lage versetzen, der organisierten Kriminalität wirklich zu begegnen. Und es geht darum, daß wir die Polizei in ihrem Kampf gegen die Verbrechen, gegen Links- und Rechtsextremisten. unterstützen. Vorhin ist es schon erwähnt worden: Als die Ordnungskräfte in München beim Weltwirtschaftsgipfel ganz entschieden gegen die Demonstranten vorgegangen sind, wurde die Polizei beschimpft. Der bayerische Ministerpräsident, der sich schützend vor seine Polizei gestellt hat, wurde verhöhnt. ({5}) Aber Max Streibl hat recht: Es geht nicht um Demonstrationen, sondern um politisches Handeln. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Ortwin Lowack.

Ortwin Lowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001379, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich hielte es für einen fatalen Fehler, wenn weiterhin die wahren Hintergründe sowohl der Demonstration wie auch der Debatte verschwiegen würden. Ich würde gern an die Rede anknüpfen, die Roman Herzog hier gehalten hat. Er hat deutlich und sehr feinsinnig herausgestellt, daß wir in der Politik uns viel zu sehr mit Einzelheiten befassen, während die Bürger längst dabei sind, wieder grundsätzliche Fragen zu stellen und von der Politik Antworten zu erwarten. Ich möchte Sie fragen: Spielt nicht bei allem, womit wir im Augenblick zu tun haben, die aktuelle Politikunfähigkeit der Politik, die Unfähigkeit, Fragen zur praktischen Politik zu beantworten, eine entscheidende Rolle? Spielt nicht eine Rolle, daß wir immer weniger Vorbilder nicht nur im familiären Bereich, sondern vor allem auch in der Politik haben? Spielt nicht eine Rolle, daß wir bis heute noch keine Standortbestimmung für das geeinte Deutschland gefunden haben, indem einmal die deutschen Interessen, die Aufgaben oder auch die Zukunft umschrieben werden? Führt das nicht genau zu der Orientierungslosigkeit gerade junger Menschen, die wir beklagen? Spielt nicht eine Rolle, daß man junge Menschen mit einer Hypothek aus einer Vergangenheit belastet, für die sie nichts können? Wir müssen aus der deutschen Vergangenheit lernen; aber eine Stigmatisierung damit, daß man Deutscher ist, wäre falsch. Hier spiegelt sich gerade bei der Reaktion junger Menschen einiges wider. ({0}) Es kann doch nicht wahr sein, daß wir Deutschen die meisten Asylbewerber in Europa - zwischen 70 % und 80 % - aufnehmen und im Ausland beschimpft werden, statt daß man sagt: Die Deutschen tun alles, was sie tun können. Auch das muß die deutsche Politik einmal deutlich klarstellen. Ich beklage auch, daß wir uns in einer Situation befinden, in der sich der Rechtsstaat allmählich aufzulösen beginnt. Ich kann mich sehr genau erinnern, wie sich die Union nach 13 Jahren sozialliberaler Koalition beklagt hat, die registrierten Vergehen und Verbrechen hätten von einer auf zwei Millionen zugenommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, inzwischen werden wir dieses Jahr sechs Millionen registrierte Vergehen und Verbrechen und eine nicht mehr faßbare Dunkelziffer erleben. ({1}) Hier müssen wir einsetzen. Es reicht doch nicht, zu sagen, die Justiz und die Polizei müßten irgend etwas tun. Die Politik muß entscheiden! Und noch etwas: Wenn die Politik keine Antworten auf die Fragen findet und meint, sie müsse auf die Straße gehen - was für viele Bürger absurd erscheinen muß -, dann öffnet sie die Straße in Zukunft für politische Entscheidungen. Das sollten wir uns überlegen, bevor wir uns hier manchmal in Einzelheiten verlieren, die keine fundamentale Antwort auf die natürlichen Fragen der Menschen zum Inhalt haben. ({2})

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000127

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 12. November 1992, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.