Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/6/1992

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst einmal bittet der Haushaltsausschuß, ihm den bereits überwiesenen Entwurf zum Verwendungsförderungsgesetz mit der Drucksache 12/3159 nachträglich gemäß § 96 der Geschäftsordnung zur Mitberatung zu überweisen. Ich gehe davon aus, daß das Haus keine Einwände dagegen hat und stelle das als beschlossen fest. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsförderungsgesetzes - Drucksache 12/3197 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Frauen und Jugend b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1992 - Drucksachen 12/2427, 12/3448 Berichterstattung: Abgeordnete Engelbert Nelle Günter Rixe Der Ältestenrat schlägt Ihnen als Debattenzeit eine Stunde vor. - Das Haus ist auch damit offensichtlich einverstanden. Dann können wir die Debatte eröffnen. Herr Minister! ({2})

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Minister:in)

Politiker ID: 11001657

Meine Herren von der Opposition, es ist mir so angeraten worden. ({0}) - Verschiedene. Da Sie noch freundliche Gesichter machen, scheinen Sie dieser Idee nicht ganz so abweisend gegenüberzustehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Da es sich um einen Bericht der Bundesregierung handelt, ist es üblich, daß die Bundesregierung dazu zunächst einmal spricht. - Nun gebe ich Ihnen, Herr Abgeordneter, das Wort zur Geschäftsordnung. ({0})

Joachim Hörster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000932, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, es ist nur so, daß wir den Zeitplan so aufgestellt haben, da sonst einige Kollegen mit ihrer Zeit in Bedrängnis kommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann wäre es hilfreich gewesen, wenn Sie uns das auch mitgeteilt hätten, Herr Abgeordneter. Ich kann dies nicht irgendwelchen Intentionen entnehmen. Wir lassen es jetzt so. Herr Minister, Sie bringen Ihren Bericht ein und haben das Wort.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Minister:in)

Politiker ID: 11001657

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Berufsbildungsförderungsgesetz, das mit der vorliegenden Novelle geändert werden soll, ist die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Bundesinstituts für Berufsbildung, das auf dem Gebiet der beruflichen Bildung in der Zuständigkeit des Bundes vielfältige und wichtige Funktionen erfüllt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf die angemessene Lösung, um die rechtlichen Rahmenbedingungen des Berufsbildungsgesetzes an die neuen staatlichen Gegebenheiten anzupassen und aktuellen Anforderungen an die Berufsbildung gerecht zu werden. Kernpunkt der Novelle ist die Einbeziehung der fünf neuen Länder als gleichberechtigte Partner in die Organisationsstrukturen des Bundesinstituts und in die Beratungen seiner Ausschüsse, also die gesetzliche Erweiterung des Hauptausschusses auf 16 Vertreter der dort repräsentierten Gruppen. Bisher waren die neuen Länder in dem wichtigsten Beschlußorgan des Instituts, dem mit Vertretern von Bund, Ländern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzten Hauptausschuß, ohne Sitz und Stimme nur als ständige Gäste vertreten. Nicht minder wichtig ist, die innere Organisation und Arbeitsweise des Bundesinstituts so auszugestalten, daß dem Bedürfnis nach effizienten Arbeits- und Entscheidungsstrukturen Rechnung getragen wird. Wegen der vorgesehenen erheblichen Vergrößerung des Hauptausschusses - es werden in Zukunft 53 anstelle von bisher 38 Mitgliedern sein - und angesichts des mit der Novelle vorgesehenen Aufgabenzuwachses sind flankierende organisatorische Veränderungen notwendig. Auch in Zukunft gewährleistet nur dies die bewährte und im Interesse aller Beteiligten liegende Funktionsfähigkeit des Bundesinstituts. Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, daß in einem fast um die Hälfte seiner jetzigen Mitgliederzahl vergrößerten Gremium Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse erschwert werden, was zu einer von niemandem gewollten Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit führen würde. Allein aus diesem Grund soll ein neues drittes Organ „Ständiger Ausschuß" geschaffen werden, das einen Teil der bisherigen Aufgaben des Hauptausschusses zu dessen Entlastung übernehmen soll. In diesem kleineren, aus 16 Mitgliedern bestehenden Gremium - mit repräsentativer Beteiligung aller im Hauptausschuß vertretenen Gruppen - sollen vor allem die Routineangelegenheiten und die laufenden Geschäfte des Instituts zügig und abschließend behandelt werden. Mit Blick auf die Kritik der Länder möchte ich in diesem Zusammenhang betonen, daß sich die Kompetenzen dieses Organs auf die Behandlung von Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung, wie etwa die Führung des anerkannten Verzeichnisses der Ausbildungsberufe oder die Prüfung und Anerkennung von Fernunterrichtslehrgängen beschränken, während die Beschlußfassung aller wesentlichen Angelegenheiten auch künftig dem Hauptausschuß vorbehalten bleibt. Mit der neuen Aufgabenverteilung bleibt damit einerseits die Funktion des Hauptausschusses als zentrales Beratungs- und Beschlußorgan des Instituts für alle grundsätzlichen Angelegenheiten der Berufsbildung unangetastet, andererseits ermöglicht das neue Organ „Ständiger Ausschuß" qualifizierte, flexible und zügige Entscheidungen bei der Behandlung laufender Sachfragen. Dies ist im Ergebnis keine wesentliche Änderung gegenüber der bereits jetzt im Institut geübten Praxis, spezielle Fragen an einen ebenfalls nur repräsentativ besetzten ständigen Unterausschuß zu überweisen. Was die Aufgaben des Instituts angeht, so mußte die Novelle berücksichtigen, daß auch bei der beruflichen Bildung der internationale Aspekt angesichts der bevorstehenden Europäischen Union und der Öffnung Mittel- und Osteuropas zunehmend an Bedeutung gewinnt. Deshalb sieht der Gesetzentwurf vor, den Aufgabenkatalog des Instituts um die Mitwirkung an der internationalen Zusammenarbeit in der Berufsbildung zu erweitern. Nicht zuletzt auch angesichts dieser künftig noch stärkeren Beteiligung des Instituts an Regierungsaufgaben war es aus verfassungsrechtlichen Gründen notwendig, für diese und andere Fälle, in denen das Institut politisch tätig wird, eine die Verantwortung und Entscheidungsgewalt der Bundesregierung wahrende Regelung zu treffen. Deshalb wurde der selbstverständliche und klarstellende Zusatz aufgenommen, daß das Institut bei der Wahrnehmung von Aufgaben von politischem Gewicht, zu denen auch internationale Aktivitäten zählen, den Rahmen der Bildungspolitik der Bundesregierung zu beachten hat. Ich betone, daß die Bildungspolitik des Bundes nur den Rahmen für die Tätigkeit des Instituts bildet, innerhalb dessen der notwendige Freiraum der Institutsarbeit gewahrt bleibt. Bestimmte Aufgaben, wie etwa die Berufsbildungsforschung, bleiben selbstverständlich auch in Zukunft frei von politischen Bindungen. Meine Damen und Herren, ich habe nur die zentralen Änderungen des Berufsbildungsförderungsgesetzes dargestellt. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus der Gesetzesbegründung. Lassen Sie mich noch einige Sätze zum Berufsbildungsbericht sagen. Ich begrüße die gemeinsame Beschlußempfehlung, die mit großer Mehrheit im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zustande gekommen ist. ({0}) In den neuen Ländern ist das Vermittlungsjahr 1992 Ende September mit einer ausgeglichenen Lehrstellenbilanz zu Ende gegangen: 1 219 noch nicht vermittelten Bewerbern standen 3 232 noch offene Ausbildungsplätze gegenüber. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis. ({1}) Der Ausbildungsstellenmarkt ist von einem wachsenden betrieblichen Ausbildungsangebot, von Tendenzen zu einem Abbau berufsstruktureller Ungleichgewichte sowie von wachsenden regionalen Unterschieden geprägt. Insgesamt reichte das betriebliche Ausbildungsplatzangebot mit 75 100 Plätzen in den neuen Ländern aber noch nicht aus, Nachfrage und Angebot auf dem Ausbildungsstellenmarkt in Ausgleich zu bringen. Hierfür war auch 1992 der Einsatz außerbetrieblicher Ausbildung nach dem Arbeitsförderungsgesetz ({2}) erforderlich. Die Bundesanstalt für Arbeit hat für diesen Ausgleich knapp 21 000 außerbetriebliche Stellen zur Verfügung gestellt. Dies ist nicht nur ein berufsbildungspolitischer Erfolg. Er trägt auch dazu bei, das Vertrauen der Jugendlichen in den neuen Ländern in ihre Zukunft zu stärken, was in der gegenwärtigen Situation aus vielen politischen Gründen besonders wichtig ist. ({3}) Ich darf die alte Zahl in Erinnerung bringen: Im vorigen Jahr waren noch 37 000 außerbetriebliche Plätze erforderlich. Leider habe ich nicht die Zeit, mich mit den anderen Schwerpunkten des Berufsbildungsberichts wie Gleichwertigkeit, berufliche Weiterbildung und internationale Zusammenarbeit, besonders in der EuropäiBundesminister Dr. Rainer Ortleb schen Gemeinschaft und mit den mittel- und osteuropäischen Staaten, näher zu befassen. Es wird aber noch Gelegenheit gegeben sein, darüber zu sprechen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Eckart Kuhlwein das Wort.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Berufsbildungspolitik ist es schon fast eine historische Stunde, wenn Bildungspolitiker und -politikerinnen aus Regierung und Opposition im Deutschen Bundestag eine gemeinsame Beschlußempfehlung für einen Berufsbildungsbericht vorlegen, wie das heute hier geschieht. ({0}) -Beifall von allen Seiten hoffentlich! - Ob allerdings von hier und heute - dem gemeinsamen Bemühen entsprechend -verstärkt Impulse für eine Reform des Berufsbildungssystems ausgehen, wird davon abhängen, was die Bundesregierung, was die Tarifparteien und was die Länder daraus machen. Dennoch darf heute festgestellt werden: Angesichts dunkler Wolken am Horizont der öffentlichen Finanzen rücken die Bildungspolitiker fraktionsübergreifend enger zusammen, um in den bevorstehenden verschärften Verteilungskämpfen erfolgreich die Interessen vor allem der jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland vertreten zu können. ({1}) Daß allerdings unser beständiges Bemühen, die Koalition zum Jagen zu tragen, von Herrn Jork als Schattenboxen bezeichnet wird, das müssen wir dann mit einem Achselzucken ertragen, Herr Kollege. Meiner Fraktion kam es bei dieser Zusammenarbeit vor allem darauf an, daß strukturelle Probleme unseres Berufsbildungssystems stärker als bisher ins Blickfeld der Öffentlichkeit kommen. Dazu gehören die Schaffung einer ausreichenden Zahl betrieblicher - ich betone das: betrieblicher - Ausbildungsplätze in den neuen Ländern, eine Reduzierung der Zahl derjenigen, die versuchen oder gezwungen sind, ohne abgeschlossene Ausbildung ins Arbeitsleben zu treten, die Qualitätssicherung als ständige Aufgabe. Zu den Problemen gehören auch die weit unterdurchschnittliche Ausbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher, die immer noch nicht erreichte förmliche und praktische Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung - das betrifft auch die Möglichkeit des Hochschulzugangs -, und zu den strukturellen Problemen zählen wir ferner die notwendige Modernisierung der Berufsschulen in den neuen und in den alten Ländern sowie die Verbesserung der Aus- und Fortbildung der Berufsschullehrer und die Förderung des Berufsschullehrernachwuchses. Meine Damen und Herren, in den Diskussionen im Ausschuß hat auch die Frage eine Rolle gespielt, ob nicht der Mangel an Auszubildenden in den westdeutschen Ländern bei starkem Andrang an die Hochschulen auf der einen Seite zu einer Facharbeiterlücke und auf der anderen Seite zu einem Überangebot an akademisch ausgebildetem Personal führen könnte. Wir haben die Frage verneint. Wir schlagen schon gar nicht vor, daß hier politisch umgesteuert werden müßte. Selbst wenn eine Lücke bei den Facharbeitern drohte, müßten wir in einem freiheitlichen Bildungssystem den Wünschen der jungen Menschen nach höherer Qualifikation nachkommen. Schließlich haben sie von ihren Eltern gelernt, daß Abitur und Studium noch immer die besten sozialen Chancen versprechen. Viele, die davon abraten, daß so viele Jugendliche studieren, schicken ihre eigenen Kinder selbstverständlich bis zum Abitur und anschließend an die Hochschule. ({2}) Aber die Facharbeiterlücke, die von vielen zitiert wird, ist auch ein Phantom genauso wie die immer wieder geäußerte Befürchtung, wir könnten ein akademisches Proletariat bekommen, wenn künftig 30 % bis 40 % eines Jahrgangs studierten. Die Prognosen von IAB/Prognos bis zum Jahre 2010 sagen eindeutig, daß sich die Struktur der Arbeitsplätze nach Qualifikationsebenen erheblich in Richtung Hochschulabschlüsse und Fachschulabschlüsse verschieben wird. Der Bedarf an klassischen Facharbeitern bleibt vergleichsweise konstant. Der Bedarf an Ungelernten halbiert sich. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß wir trotz des heutigen Andrangs an den Hochschulen im Jahre 2010 in der Größenordnung von einer halben Million zuwenig Akademiker haben werden. Eine große gesellschaftliche Kraftanstrengung wird nötig sein, um Qualität und Attraktivität des dualen Systems zu verbessern und gleichzeitig die Möglichkeiten der Hochschulausbildung auszubauen. ({3}) Die Opposition hat sich darüber gefreut, daß die Koalition beide Bereiche mit uns auf einem „Bildungsgipfel" diskutieren will. ({4}) Wir teilen die Auffassung der Koalition, daß sich dieser Gipfel mit Inhalten und nicht nur mit Finanzen beschäftigen soll. Aber wir sagen auch ganz deutlich: Ohne finanzwirksame Beschlüsse etwa für den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten, die Modernisierung der Berufsschulen und einen expansiven Hochschulentwicklungsplan lohnt sich die Gipfeltour für niemanden. Im übrigen verweisen wir zur Reform der beruflichen Bildung auf die Empfehlungen der Minderheit im Bericht der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik - Bildung 2000", in der eine ganze Reihe von sinnvollen Änderungen des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung vorgeschlagen werden. Wir werden uns nach der für Januar geplanten Ausschußanhörung darüber verständigen müssen, ob wir gemeinsam das duale System auch durch eine Reform dieser Gesetze leistungsfähiger und gleichzeitig attraktiver machen wollen. In diesem Zusammenhang ist auch die Initiative des Bundesrates nicht zu vergessen, im Berufsbildungsgesetz die Bedeutung der Teilzeitberufsschule zu stärken, worüber wir uns ja, Graf Waldburg, in der Enquete-Kommission seinerzeit einig gewesen sind und wozu das Bundesbildungsministerium im Augenblick Schularbeiten zu machen hat. Wir haben allerdings öffentlich wenig darüber gehört, was aus dieser Initiative des Bundesrates geworden ist. Wir beraten heute auch über Änderungen des Berufsbildungsförderungsgesetzes. Aufhänger dafür ist die Tatsache, daß wir seit zwei Jahren fünf neue Länder haben, die - wie es wörtlich heißt - in die Willensbildung des Bundesinstituts für Berufsbildung und seiner Organe einbezogen werden sollen. Dafür wird es höchste Zeit. Aber wir haben uns ja schon daran gewöhnen müssen, daß die Bundesregierung bei der Herstellung der sozialen Einheit mit großen Verzögerungen arbeitet. Was die Bundesregierung nun an Regelungen in dieser Novelle vorschlägt, ist allerdings auch inhaltlich nicht befriedigend. Um die alten Paritäten im Hauptausschuß des Bundesinstituts wiederherzustellen, muß natürlich auch die Zahl der Sitze von Arbeitgebern und Gewerkschaften erhöht werden. Weil nun der Pluralismus offenbar zahlenmäßig nicht ausufern soll, hat die Bundesregierung vorgeschlagen, einen Teil der neuen und alten Vertreter von Ländern und Tarifparteien gleich wieder auf die Reservebank zu setzen. Sie schafft deshalb flugs ein drittes Organ aus nur noch 16 Mitgliedern des Hauptausschusses, das die sogenannten laufenden Aufgaben erledigen soll. Dieser ständige Ausschuß wird als gesetzliche Vorgabe, Herr Bundesminister, von niemandem außerhalb der Bundesregierung gewünscht. Der bisher durch Satzung und durch das Gesetz empfohlene geschäftsführende Unterausschuß hat gut funktioniert. Wir brauchen keine neue gesetzliche Vorgabe und schon gar kein neues Organ als drittes selbständiges Organ in einem vergleichsweise kleinen Institut mit nur rund 400 Beschäftigten. Die neue Vorgabe spricht nicht gerade dafür, daß die Bundesregierung auf Subsidiarität und Selbstregulierung vertraut. Von Mißtrauen gegenüber dem Bundesinstitut und seinen bisherigen Organen zeugen auch andere Bestimmungen des Entwurfs. Es ist nur schwer einzusehen, warum klargestellt werden soll, daß die im Gesetz genannten Aufgaben grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Bildungspolitik der Bundesregierung durchzuführen sind. Abgesehen davon, daß diese Bildungspolitik der Bundesregierung nicht immer klar erkennbar ist, auch für das Institut nicht immer klar erkennbar sein kann, habe ich den Verdacht, daß hier dem Bundesinstitut für Berufsbildung ein Maulkorb umgehängt werden soll. ({5}) Es mag ja sein, daß es gelegentlich Differenzen in der Bewertung der Lage zwischen dem Institut und dem Ministerium gegeben hat. Aber das muß eine Regierung ertragen können, glaube ich, die sich in ihren öffentlichen Erklärungen immer zur Freiheit der Forschung bekennt. Wenn die Regierung gleichzeitig das sogenannte kleine Beratungsrecht des Generalsekretärs streichen will, dann fügt sich das in das Gesamtbild, daß das Bundesinstitut durch diese Novelle des Berufsbildungsförderungsgesetzes stärker an die Kandare genommen werden soll. Meine Damen und Herren, im oben erwähnten Enquete-Bericht finden sich auch Vorschläge zur Novellierung des Berufsbildungsförderungsgesetzes. Davon hat die Bundesregierung keinen aufgegriffen. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß auch dieses Gesetz einer gründlicheren Reform bedarf. Wir sollten deshalb zunächst in einer kleinen Novelle die Aufstockung des Hauptausschusses auf 16 Mitglieder bzw. Stimmen je Gruppe beschließen, und den Entwurf im übrigen an die Bundesregierung mit dem Vermerk zurückgeben, die Schularbeiten etwas gründlicher zu machen. Meine Fraktion stimmt der Überweisung des Gesetzentwurfs an die Ausschüsse zu. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr erteile ich der Abgeordneten Frau Maria Eichhorn das Wort. - Frau Abgeordnete, ich hoffe, daß Sie durch diese Verzögerung heute nicht allzu spät nach Obertraubling kommen.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach Nürnberg zum Parteitag muß ich. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Berufsbildungsbericht zeigt für das Jahr 1991 einen gespaltenen Ausbildungsmarkt. Er ist gekennzeichnet durch das Bestreben, in den neuen Bundesländern ein ausreichendes Ausbildungsangebot zu schaffen. Dies ist auch gelungen und stellt einen großartigen Erfolg dar. In den alten Bundesländern gab es im selben Zeitraum wesentlich mehr Ausbildungsangebote als Nachfrage. 100 Bewerbern standen offiziell 121 Ausbildungsplätze gegenüber. In Wahrheit geht die Schere weiter auseinander, da viele Unternehmen nicht mehr zum Arbeitsamt gehen. Jungen Auszubildenden stehen alle Chancen offen. 130 000 Ausbildungsplätze konnten nicht besetzt werden. Vor allem im Facharbeiterbereich haben damit die Nachwuchsprobleme weiter zugenommen. Das Ansehen eines Berufes hängt maßgeblich von der Bezahlung und den Aufstiegsmöglichkeiten ab. Solange Akademiker im Durchschnitt 80 % mehr als Facharbeiter verdienen und auch der öffentliche Dienst die Karrierechancen von der Vorlage eines Diploms abhängig macht, werden Eltern, weil es ja den Kindern bessergehen soll, ihren Söhnen und Töchtern nicht zu einer Facharbeiterausbildung raten. Sie werden versuchen, ihre Kinder auf das Gymnasium zu schicken. Bei einer Befragung im Herbst 1991 sprachen sich 52 % der Eltern dafür aus, Herr Kollege Kuhlwein, daß ihr Kind das Abitur macht. Diese Eltern sind der Meinung, damit das Beste für ihr Kind zu tun. Ob aber jene Kinder glücklich werden, die einen Weg einschlagen müssen, für den sie nicht geeignet sind? Die hohe Zahl der Studienabbrecher beweist, daß oft der falsche Weg eingeschlagen wird. ({0}) Erst wenn Eltern überzeugt sein können, daß ihre Kinder mit einer abgeschlossenen Lehre gleich viel Ansehen und Einkommen wie mit einer akademischen Ausbildung erreichen können, werden sie sich bei ihrer Entscheidung mehr an den Fähigkeiten des Kindes orientieren, als das heute der Fall ist. ({1}) Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes standen zu Beginn des Jahres 1992 knapp 1,7 Millionen Jugendliche in einer betrieblichen Berufsausbildung. Das sind 3,8 % weniger als im Vorjahr. Die defizitäre Entwicklung der beruflichen Bildung in den alten Ländern wird besonders deutlich, wenn man die Ausbildungsquote vergleicht: 1986 betrug diese Quote 8,9 %, fünf Jahre später lag sie nur noch bei 6,6 %. Obwohl die Chancen für Auszubildenden in den alten Ländern noch nie so gut waren wie 1991, bündelt sich die Ausbildung sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen auf wenige Ausbildungsberufe. Im Jahre 1990 konzentrierten sich 37,2 % der männlichen Auszubildenden auf zehn Berufe. Bei den weiblichen Auszubildenden waren es sogar 54,8 %. In der Rangfolge der zehn am häufigsten gewählten Berufe ist bei den jungen Männern der Beruf Industriemechaniker am begehrtesten. Danach folgen überwiegend Berufe aus dem gewerblich-technischen Bereich. Bei den jungen Frauen gehören die zehn am häufigsten gewählten Berufe durchweg dem kaufmännischen und Dienstleistungsbereich an, wo es wenig Aufstiegsmöglichkeiten gibt. An der Spitze steht der Beruf der Friseurin. Die Anteile junger Frauen in sogenannten Männerberufen sind 1990 leicht angestiegen. Wenn man die Entwicklung im Handwerk verfolgt, zeigt sich dort seit den 80er Jahren ein leichter Zuwachs weiblicher Auszubildender. Dank der vielfältigen Projekte der Bundesregierung zur Berufswahlentscheidung von Mädchen können wir hier eine Verbesserung der Ausbildungsstruktur verzeichnen. Auf diesem Wege wollen wir weitergehen, um Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern. In der früheren DDR wurden vergleichsweise viele Frauen in gewerblich-technischen Berufen ausgebildet. Junge Männer erhielten fast ausschließlich diese Ausbildung. Die wenigen kaufmännischen Ausbildungsplätze wurden überwiegend mit Frauen besetzt. Diese Ausbildungsstruktur zeichnet sich auch heute ab. Viele gewerbliche Berufe haben in den neuen Ländern wesentlich höhere Anteile von Frauen als in den alten Bundesländern. Die Büroberufe, die es in der früheren DDR nicht gab, werden in den neuen Ländern fast ausschließlich von Frauen gewählt. In den alten Ländern dagegen werden die Berufe von Männern und Frauen in diesem Bereich nahezu gleichermaßen nachgefragt. Wir müssen in den neuen Ländern die Chance des Neuaufbaus nutzen, um zu einer breit gefächerten Ausbildungsstruktur zu kommen. Dazu sind die Programme des Bundesministeriums für Bildung gezielt einzusetzen. Eine große Zahl von Ausbildungsberufen ist Voraussetzung für mehr Chancengleichheit von Männern und Frauen im Beruf. Vor allem Frauen wollen den Beruf mit der Familie vereinbaren. Der Ausbau flexibler und familiengerechter Arbeitszeiten, qualifizierte Teilzeitarbeitsplätze, bessere Möglichkeiten des Wiedereinstiegs, familiengerechte Weiterbildungsmöglichkeiten und berufliche Kontakte während der Familienphase helfen, Nachteile in der beruflichen Entwicklung aufzufangen. In der heutigen schnellebigen Zeit ist eine qualifizierte Beufsausbildung eine wichtige Grundlage. Schon Nietzsche sagte: Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens. Ich ergänze: Eine gute Berufsausbildung ist das Rückgrat der Wirtschaft und ein wichtiges Plus in der Diskussion um den Standort Deutschland. Danke schön. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dietmar Keller.

Dr. Dietmar Keller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001077, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 23 Jahre nach Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes und elf Jahre nach Inkrafttreten des Berufsbildungsförderungsgesetzes hätte man das Parlament unter dem Stichwort Berufsbildungsgesetzgebung nach meiner Ansicht weiß Gott mit Gewichtigerem beschäftigen können als mit dem, was hier als Gesetzentwurf vorliegt. So wäre es sehr interessant, zeitgemäß und für die Herstellung der deutschen Einheit bestimmt förderlich gewesen, auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung von 1975 und kurz darauf folgende Gesetzentwürfe sowohl der SPD als auch der F.D.P. zurückzukommen, die damals an der Mehrheit der CDU/ CSU im Bundesrat leider scheiterten. Diese Entwürfe sahen u. a. vor, daß bei Ausbildungsknappheit finanzielle Hilfen für Ausbildungsverhältnisse zu gewähren sind, die zusätzlich begründet werden, oder zur Erhaltung gefährdeter betrieblicher Ausbildungsplätze. Zur Finanzierung dieser Hilfen war eine Bevorschussung durch den Bund und eine Berufsausbildungsabgabe vorgesehen. Wichtiger, als hier über Veränderungen von zumal noch umstrittenen Formalien der Tätigkeit des Berufsbildungsinstituts zu debattieren, wäre es gewesen, sich über die Realisierung des Berufsbildungsförderungsgesetzes unter den besonderen Bedingungen im Osten Deutschlands zu verständigen. Ich meine besonders den § 2 Abs. 2, in dem es heißt: Die Berufsbildungsplanung hat insbesondere dazu beizutragen, daß die Ausbildungsstätten nach Art, Zahl, Größe und Standort ein qualitativ und quantitativ ausreichendes Angebot an beruflichen Ausbildungsplätzen gewährleisten. Jeder, der es wissen will, kann und muß wissen, daß ein solches ausreichendes Angebot in Ostdeutschland nach wie vor nicht gewährleistet ist. Wenn in diesem Jahr auch nicht gleich von einem Bombenergebnis die Rede ist, so spricht man doch wieder von einer erfolgreichen Lehrstellenbilanz. Realitätsferne Gemüter ermitteln den Erfolg, indem sie die Zahl der noch unbesetzten Ausbildungsstellen Ost - 3 237 - der Zahl der bei den Arbeitsämtern vorstellig gewordenen Bewerber gegenüberstellen, denen noch kein Angebot gemacht werden konnte; das sind 1 219. Nach dem erwähnten Gesetzentwurf von 1975 sollten Förderungsmaßnahmen dann einsetzen, wenn das Ausbildungsplatzangebot nicht um 12,5 % über der Nachfrage liegt. Nun benutze ich die gleichen Zahlen wie Sie - offizielle Zahlen, die von den Bundesbehörden veröffentlicht worden sind - und komme natürlich zu einem anderen Ergebnis: Im Berufsbildungsbericht 1992 wurde eine Nachfrage von 140 000 bis 150 000 für das Ausbildungsjahr 1992/93 vorausberechnet, vom Deutschen Gewerkschaftsbund 160 000. Ein quantiativ ausreichendes Ausbildungsplatzangebot - um von der Qualität erst gar nicht zu reden - hätte danach Ausbildungsplätze etwa in der Spannbreite von 150 000 bis 180 000 erfordert, und zwar vor allem betriebliche; denn für außerbetriebliche besteht im Osten Deutschlands kaum ein realer Bedarf. Bei den Arbeitsämtern Ost wurden dagegen nur 74 400 betriebliche Ausbildungsplätze gemeldet. Das ergibt ein Fehl in der Größenordnung von mehreren Zehntausend. Selbst wenn man die auf unerklärliche Weise auf 122 699 geschrumpfte Zahl der bei den Ost-Arbeitsämtern registrierten Lehrstellenbewerber zugrunde legt, ergibt sich ein Fehl von rund 60 000 betrieblichen Ausbildungsplätzen. Hier hat die Bundesregierung Arbeit zu leisten. Solange die Bundesregierung und die Koalitionsparteien den gesetzeswidrigen ostdeutschen Ausbildungsnotstand öffentlich in erfolgreiche Lehrstellenbilanzen umlügen und ihn damit dauerhaft verfestigen, kann ich nur gegen solche Gesetzentwürfe sprechen und habe Schwierigkeiten, ihnen meine Zustimmung zu geben. Danke.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Funke-Schmitt-Rink.

Dr. Margret Funke-Schmitt-Rink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000625, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Die Ausbildungsbilanz in den neuen Ländern weist auch in diesem Jahr ein Rekordergebnis auf: Bis zum 30. September übertraf die Zahl der offenen Lehrstellen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber. Dazu haben auch die 24 überbetrieblichen Ausbildungsstätten und die 21 000 außerbetrieblichen Plätze beigetragen. Das ist also ein hervorragendes Resultat der engagierten Berufsbildungspolitik dieser Bundesregierung. ({0}) Doch gerade der letzte Punkt macht mir Sorge. Im nächsten Jahr wird es die Förderungsmöglichkeit für außerbetriebliche Plätze wohl nicht mehr geben. Natürlich brauchen wir in erster Linie betriebliche Wunschausbildungsplätze. Sollte es aber nicht genug geben, müssen wir uns schon jetzt Gedanken über andere Ausbildungsmöglichkeiten machen. Wir können die jungen Leute nicht alleinlassen. ({1}) Um eine Abwendung der Jugendlichen von der offiziellen Politik zu verhindern, reicht es, wie man in einer neuen Studie von Heitmeyer lesen kann, nicht, daß Jugendliche irgendwie Arbeit haben und von der Straße sind. Es muß vielmehr eine Arbeit sein, in der Jugendliche für ihr persönliches Leben Sinn finden. ({2}) Die im großen und ganzen zufriedenstellende Ausbildungsplatzsituation 1992 darf uns aber über ein langfristiges Grundproblem nicht hinwegtäuschen: Der zunehmende Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern für Ausbildungsplätze in bestimmten Berufsbereichen fordert dringend Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Bildung. Es müssen folgende Ziele anvisiert werden: erstens eine zunehmende Modernisierung der Ausbildung durch neue Lehr- und Lernmethoden, zweitens eine stärkere Differenzierung der beruflichen Bildung nach den individuellen Neigungen und Fähigkeiten der Jugendlichen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich auch das Berufsbildungsförderungsgesetz, das der Minister ja schon ausführlich kommentiert hat. Das bedeutet einerseits, den Leistungsstärkeren eine Alternative zum Gymnasium zu bieten, und andererseits eine bessere Ausschöpfung der Begabungsreserven derjenigen, die bisher ohne Ausbildung geblieben sind, z. B. der Ausländer. Ganz entscheidend wird es sein, der beruflichen Bildung das Image einer minderwertigen Qualifikation mit eingeschränkten Optionen für den einzelnen zu nehmen. ({3}) Wir haben einen guten Anfang mit der Begabtenförderung in der beruflichen Bildung gemacht. Deshalb muß im Rahmen der beruflichen Erst- und Weiterbildung auch der Erwerb formaler Berechtigungen wie in den allgemeinbildenden Schulen ermöglicht werden, z. B. durch Gleichsetzung des Ausbildungsabschlusses mit dem Realschulabschluß und Aufnahme eines Studiums ohne Abitur nach erfolgreicher Berufsausbildung. ({4}) Hinter dem Nachwuchsmangel bei gewerblichtechnischen Fachkräften, bei Ernährungsberufen, bei den Bau-, Metall-, Textil- und Fertigungsberufen stehen nicht nur demographische Entwicklungen, sondern strukturelle Veränderungen, hervorgerufen durch ein verändertes Bildungs- und Berufswahlverhalten junger Menschen. Für 50 % der Jugendlichen ist das Abitur der angestrebte Bildungsabschluß mit der Option Studium. Die Tatsache, daß immer mehr Jugendliche bessere und weiterführende Schulabschlüsse erreichen, hat zu einem Qualifikationsparadox geführt: Bildungszertifikate werden entwertet, sind aber zugleich eine notwendige Voraussetzung für einen gelingenden Berufseinstieg. Die selektive Funktion des allgemeinbildenden Schulwesens - so schon Schelsky -, hat mit dieser Entwicklung ihren Charakter verändert: Schule leistet nicht nur die Vorauswahl für bestimmte Berufslaufbahnen, sondern liest vor allem negativ aus. Betriebe nehmen sich die Besten für ihre Ausbildung und differenzieren immer stärker nach persönlichkeitsbezogenen Merkmalen wie soziale Herkunft, Geschlecht, Aufstiegsdenken oder berufliche Einstellung. Auf den Punkt gebracht: Die weiterführenden Schulen haben ihre statuszuteilende Funktion an die betrieblichen Personalabteilungen verloren, so Ulrich Beck. Damit sind disparitäre Entwicklungen im Übergang von der Schule in den Beruf vorgezeichnet. Das bedeutet einerseits große Chancen, andererseits auch eine Ausgrenzung von Jugendlichen, die über die oben genannten persönlichkeitsbezogenen Merkmale nicht verfügen; z. B. haben 13 % keinen Berufsabschluß. Eine wichtige Gruppe sind hierbei die ausländischen Jugendlichen: Der Anteil der 15- bis 18jährigen in der betrieblichen Ausbildung liegt derzeit bei 35 %, der Anteil ihrer deutschen Altersgenossen bei 70 %. Der Anteil ausländischer Auszubildender betrug 1990 nur 6,7 % bei einem Schulabgängeranteil von 12 %. Sie konzentrieren sich zudem auf wenige oder einfache gewerblich-handwerkliche Berufe und Helferberufe. Überdurchschnittlich vertreten - nämlich bis zu 30 % - sind ausländische Jugendliche demgegenüber in Berufsvorbereitungsmaßnahmen und in der Benachteiligtenförderung. Hier ist die bundesweite Aktion der Kölner IHK unter dem Motto „Ausländerinnen und Ausländer ausbilden" unter der Federführung des BMBW ein ganz wichtiges Signal. ({5}) Fazit: Die Weiterentwicklung des gesamten Berufsbildungswesens muß zwei Ziele verfolgen: erstens die Sicherung des Qualifikationsbedarfs in der sich immer weiter modernisierenden Wirtschaft und zweitens die berufliche Integration benachteiligter Gruppen. Von einer neuen, vom BMBW geförderten Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts, die in einer qualitativ angelegten Längsschnittuntersuchung im Regionalvergleich zwischen München und Duisburg seit 1988 den Übergang Jugendlicher von der Schule in den Beruf begleitet, haben wir erste Ergebnisse, die die obigen Überlegungen bestätigen. Um benachteiligten Jugendlichen, die aus Familien kommen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Starthilfe geben können, doch noch eine qualifizierte Ausbildung zu geben, bedarf es besonderer beruflicher Integrationshilfen, z. B. durch die berufsbezogene Jugendhilfe als Regelaufgabe in der Berufsausbildung. Wenn wir an dem Ziel festhalten wollen, allen Jugendlichen eine Berufsausbildung zu geben, muß unser Berufsbildungswesen um eine sozialpädagogische Komponente verstärkt werden. ({6}) Über eines dürfen wir uns nicht hinweglügen. Jugendliche, die zu den Verlierern um Bildungstitel gehören, haben eine besonders große Distanz zur etablierten Politik, wie wir aus neueren Jugendstudien wissen. Sie sind anfällig für rechtspopulistische Demagogie und gewaltsame Aktionen auf der Straße. Wenn wir nicht aufpassen, können Entfremdung und Gleichgültigkeit in offene Feindseligkeit umschlagen. Vielen Dank. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Günter Rixe.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1982 liegt nun erstmals wieder eine einvernehmliche Stellungnahme der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion zum jährlichen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung auf Ihren Tischen. So etwas konnte es in den letzten zehn Jahren nicht geben, weil Versprechungen und Appelle im Vordergrund einer weitestgehend verfehlten Berufsbildungspolitik der Regierung Kohl standen. Zigtausend junger Menschen - im Jahre 1986 haben fast 200 000 junge Menschen in der alten Bundesrepublik keinen Ausbildungsplatz bekommen - füllten als sogenannte Ungelernte die Beschäftigtenstatistik und tauchten in der Arbeitslosenstatistik wieder auf. Deswegen konnten wir uns hier nie auf eine gemeinsame Erklärung verständigen. Geändert hat sich das erst jetzt, nachdem Sie von der Regierungskoalition feststellen mußten, daß nach der deutschen Einheit mit dieser Politik beim Aufbau in den neuen Ländern nichts mehr funktioniert. Nur durch Zahlenspielereien mit der Berufsberatungsstatistik konnte der statistische Ausgleich zwischen Ausbildungsplatzsuchenden und Ausbildungsplatzangebot hergestellt werden. Die aus 1991 noch nicht in Betriebe vermittelten fast 40 000 Jugendlichen - der Minister hat die genaue Zahl genannt: Es sind 37 500 - wurden dann schließlich noch in eine außerbetriebliche Ausbildung gesteckt, obwohl hier im Hause schon im letzten Jahr kritisiert worden war, daß der Anteil der außerbetrieblichen Ausbildung an der Gesamtausbildung erheblich zu hoch ist. Ich will dies nicht kritisieren, da wir dies alles gemeinsam wollten, aber die Zahlen sprechen für sich. In diesem Jahr - die hervorragende Statistik ist hier soeben wieder vorgestellt worden - sind es wieder 21 000 Jugendliche, die in eine außerbetriebliche Ausbildung müssen, weil eine betriebli10048 che Ausbildung noch nicht zur Verfügung steht. Auch dies stelle ich nur fest. Bei der Betrachtung der Statistik ist schließlich der hohe Anteil von Jugendlichen aus den neuen Ländern nicht zu vergessen, die in den alten Ländern eine Ausbildung aufnehmen müssen, weil es an ihrem Wohnort nicht genug Ausbildungsplätze gibt. Ich weiß, Herr Minister Ortleb, daß Sie mit Statistiken hervorragend umgehen können und das auch heute dem Hohen Haus präsentiert haben. Aber damit helfen Sie keinem Jugendlichen in den neuen Bundesländern. Herr Jork, wenn Sie der SPD letzte Woche in einer Presseerklärung vorwerfen, unsere seit Monaten aufgestellten Forderungen seien nichts anderes als Schattenboxen, so sage ich Ihnen persönlich: Selbst Sie haben die Realität in den neuen Bundesländern immer noch nicht begriffen. Sie sollten sich der Wahrheit nicht verschließen und endlich akzeptieren, daß Ihre Politik zum Aufbau in den neuen Ländern gescheitert ist. ({0}) Wir haben an der Erarbeitung der gemeinsamen Ausschußempfehlung mitgewirkt, weil wir uns davon Einsichten bei Ihnen und Taten seitens der Bundesregierung erhofften. Wir sollten uns heute deshalb nicht gegenseitig Rechthaberei vorwerfen. ({1}) - Ich habe das gegenüber Herrn Jork auch nur festgestellt. Ich habe Herrn Jork persönlich angesprochen. Die ständigen Diskussionen über eine positive Lehrstellenbilanz haben mit der Realität wenig zu tun. Der Druck aus den neuen Ländern, die Sorge um die arbeits- und perspektivlosen jungen Menschen, die in der Gefahr sind, daß sie rechten Verführern in die Arme laufen - hier gebe ich Frau Funke-Schmitt-Rink recht -, das alles hat dazu geführt, daß sich die Politik in diesem Bereich entscheidend ändern muß. Ich sage: Das ist gut so. Ich bin froh darüber, daß in die gemeinsame Beschlußempfehlung zahlreiche Forderungen an die Bundesregierung aufgenommen worden sind, die die SPD-Bundestagsfraktion seit langem erhebt. Meine Damen und Herren, auch wenn wir Ihnen heute eine gemeinsame Beschlußempfehlung vorgelegt haben und darin den Berufsbildungsbericht der Bundesregierung zustimmend zur Kenntnis nehmen, so kann ich Ihnen versichern, daß wir uns mit dieser zustimmenden Kenntnisnahme sehr schwer getan haben. Aber wir haben ihn trotzdem zustimmend zur Kenntnis genommen. Dieser Bericht enthält zu viele Kritikpunkte, die immer noch die Auswirkung der früheren verfehlten Berufsbildungspolitik sind. Liebe Kollegen, ich will an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und all denjenigen ganz besonders danken, die an der Vorbereitung und der Erarbeitung dieses umfangreichen Werkes mitgewirkt haben. ({2}) Tragen Sie, Herr Minister, diesen Dank bitte in Ihr Haus und besonders in das Bundesinstitut für Berufsbildung in Berlin. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in der Beschlußempfehlung davon sprechen, daß die „berufliche Bildung eine zentrale Rolle für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen, den sozialen Frieden, bei der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, bei der Erhaltung und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland" spielt, so sind damit die Aufgabenziele benannt. Berufsbildungspolitische Zukunftsentwürfe, die aufzeigen, wie berufliche Bildung zum Erreichen dieser Ziele beitragen kann, fehlen im Berufsbildungsbericht. Deswegen haben wir das so deutlich in unsere gemeinsame Erklärung geschrieben. Darunter leiden insgesamt nicht nur die vielen gutgemeinten Einzelmaßnahmen, wenn sie nicht in ein Gesamtkonzept eingefügt sind; hierunter leiden auch die jungen Menschen, die zwar eine Ausbildung erfahren, aber nach kurzer Beschäftigungszeit arbeitslos werden, weil sich die Berufe auf Grund der schnellen technischen Entwicklung radikal verändern. Dieser grundsätzliche Mangel in der Berufsbildungspolitik - das Fehlen einer Gesamtkonzeption - ist auch eine Ursache für die Krise in der beruflichen Bildung gewesen. Wenn wir dagegen etwas tun wollen, brauchen wir nur die gesetzlichen Anforderungen an den Berufsbildungsbericht ernst zu nehmen und Perspektiven zu entwickeln. Wo ich gerade die gesetzlichen Regelungen zur Berufsbildungspolitik angesprochen habe, will ich kurz etwas zur Novellierung des Berufsbildungsförderungsgesetzes sagen. Ich halte die Mitwirkung des Bundesinstituts für Berufsbildung, insbesondere des Hauptausschusses, bei der Beratung der Berufsbildung für unverzichtbar. Auch der Bereich der Forschung gehört notwendigerweise dazu. In diesem Bereich mit Gesetzen verändernd einzugreifen, halte ich für falsch. Was andererseits aber schnellstens realisiert werden sollte, ist die gleichberechtigte Teilnahme der neuen Bundesländer am Hauptausschuß. ({4}) Wenn es hier nicht zu Bewegungen auf seiten der Koalitionsfraktionen kommt, ist es mit der heute vielzitierten Gemeinsamkeit schnell wieder vorbei. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, neben der Gesamtkonzeption für einen Berufsbildungsbericht, der für die an der beruflichen Bildung beteiligten Gruppen wirklich Orientierung und effektive Hilfe sein soll, sind auch konkrete Vorschläge zur qualitativen Verbesserung der beruflichen Bildung zu machen. Die SPD-Fraktion hat dazu mehrfach Vorschläge eingebracht. Wir sind jetzt froh, daß viele unserer Forderungen in die Beschlußempfehlung eingearbeitet wurden. Ich nenne beispielhaft nur die Ausweitung der Förderung für ausländische Jugendliche. Zu wünschen wären neben anderen Dingen noch konkretere Aussagen zur Förderung der Ausbildungschancen für Frauen. Das sind für uns Prüfsteine, die wir sehr ernst nehmen. Ganz besonders froh bin ich darüber, daß wir jetzt gemeinsam empfehlen, die Förderung von Lernschwachen im Rahmen der bestehenden Gesetze voranzutreiben. Das schließt die Verkürzung ihrer Ausbildung schlicht aus, was ja auch widersinnig wäre. Damit dürfte die Diskussion um die Einführung von Einfachausbildungen mit Abschluß unter Facharbeiterqualifikation endgültig vom Tisch sein. Ich hoffe es zumindest. ({5}) Über die in diesem Punkt erzielte Einigkeit im Ausschuß bin ich sehr zufrieden. Danke, Herr Nelle. Wir beide haben ein Stück dazu beigetragen. ({6}) Ich hoffe nur, daß die Bundesregierung ihre bisherigen Absichten aufgibt und sich verstärkt der Förderung aller Benachteiligten in der beruflichen Bildung widmet. Auch bezüglich der Forderung nach Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung bin ich der Auffassung, daß die Fraktionen, die das schon seit geraumer Zeit zwar differenziert, aber einig fordern, weiter sind als die Bundesregierung. Denn im Berufsbildungsbericht steht dazu passiv, abwartend, geradezu unterwürfig: Berufsbildungspolitik wird diesen Veränderungsprozeß, der von der Wirtschaft selbst bestimmt wird, unterstützen. Meine Damen und Herren, bevor ich zum Schluß komme, will ich noch einmal darauf hinweisen, daß die Beschlußempfehlung zur Qualitätsverbesserung der beruflichen Bildung zwei Bereiche als besonders notwendig bezeichnet: erstens die Modernisierung der Berufsschulen in den neuen und alten Ländern unter Einschluß der Personalausstattung, zweitens die Finanzierung außerbetrieblicher Ausbildung in den neuen Ländern im Ausbildungsjahr 1993/94 in dem notwendigen Umfang. Das muß auch das Thema auf dem geplanten Bildungsgipfel sein. Die berufliche Bildung gehört nach unserer Auffassung in die dort anstehenden Beratungen einbezogen. Im Ausschuß sollten verbindliche Absprachen zu diesem genannten Punkt erzielt werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Rainer Jork. ({0})

Dr. - Ing. Rainer Jork (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die CDU ist gewohntermaßen sachlich. Ich werde erst einmal versuchen, auf das Anliegen einzugehen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Berufsbildungsbericht fand im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zustimmende Kenntnisnahme - wir sprachen bereits davon -, auch mit den Stimmen der SPD. Dieser Bericht widmet einen erheblichen Anteil den neuen Bundesländern. Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Mühe macht, die Anlagen zum Bericht zu lesen. In der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft wird gemeinsam festgestellt, „daß im Jahr 1991 weitere Fortschritte erreicht wurden in dem Bestreben, für die Jugendlichen in den neuen Ländern ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot zu schaffen". Wenn wir von „weiteren Fortschritten" sprechen, dann ist das ein Ausdruck der Kontinuität, die - nach einigem Überdenken - die SPD nun auch anerkannt hat, einer Kontinuität, die die Bundesregierung über die letzten Jahre gezeigt hat. ({0}) Alle hier wissen, daß es in Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern, noch Wünsche zur Qualität der Ausbildung, zum Anteil der betrieblichen Ausbildungsplätze und zur Berücksichtigung weiblicher Lehrlinge gibt. Ich bin aber froh über den erreichten Stand der Vergabe von Lehrstellen in den neuen Bundesländern. Durch den Abbruch handwerklicher Traditionen und Erfahrungen und den Zusammenbruch der über 40 Jahre unter Quarantäne gehaltenen ostdeutschen Wirtschaft ist es in den neuen Bundesländern für die Arbeitnehmer besonders schwierig, gefragte Qualifikationen über eine Lehre oder über Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen anzubieten. Hier ist wohl noch länger die Hilfe aller Partner gefragt. Insofern ist hier und im Bereich der Weiterbildung eine Effektivitäts- und Qualitätskontrolle über geeignete Rückmeldesysteme vor allem bei den Arbeitsämtern unverzichtbar. Einige Angaben zur Lehrlingsausbildung aus dem Land Sachsen und meinem Wahlkreis. Diese Angaben sind zwei Wochen alt und insofern im Zusammenhang mit den Diskussionsbeiträgen der Vorredner interessant. Die Berufsberatung im Arbeitsamtsbezirk Dresden registrierte 4 779 Bewerber für Ausbildungsstellen - darunter 200 mit gelöstem Lehrvertrag - und am 30. September 1992 davon 42 noch nicht vermittelte Bewerber, übrigens zu gleichen Teilen männlich und weiblich. Ich sehe das im Diskussionsbeitrag von Frau Eichhorn widergespiegelt. Demgegenüber stehen noch 95 unbesetzte gemeldete - allerdings überbetriebliche - Ausbildungsstellen. Von gemeldeten 3 120 Ausbildungsstellen sind nur etwa 10 % - genau 304 - überbetrieblich. Ganz konkret müssen Betriebe - wie das Kunststoffwerk Ottendorf-Okrilla, das Arzneimittelwerk Dresden GmbH und das Kolping-Bildungszentrurn in Radeberg - ein Defizit an Interessenten für die angebotenen Berufe feststellen. Es fehlen also bereits punktweise für bestimmte Berufe Lehrlinge. Das betrifft u. a. Lehrstellen für Kunststoff-Formgeber - es werden dort Teile für VW und Opel hergestellt -, Chemielaboranten und Elektriker, also anspruchsvolle und interessante Berufe. Trotzdem bleibt aus meiner Sicht noch ein Anliegen offen, das die Kollegin Funke-Schmitt-Rink angesprochen hat. Nach dem Einigungsvertrag können letztmalig Bewerber für das Ausbildungsjahr 1992/93 neu in eine Förderung der außerbetrieblichen Ausbildung nach dem Arbeitsförderungsgesetz aufgenommen werden. Die mit § 40 c Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes für die DDR beschriebene Förderung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze muß aus meiner Sicht durch spezifische Programme und Fördermaßnahmen fortgeführt werden, um Schwierigkeiten, die im kommenden Jahr auftreten können, rechtzeitig zu begegnen. Ich weiß, daß man sich darüber bereits Gedanken macht. In Sachsen bewährten sich die landeseigenen Ausbildungsplatzförderungsprogramme. Sie zielen darauf ab, Ausbildungsverhältnisse zu erhalten, die ein Zuendeführen strukturfremder Ausbildungsverhältnisse ermöglichen. Für jedes förderfähige Berufsausbildungsverhältnis kann ein Zuschuß von 10 000 DM gewährt werden. An diesem Beispiel wird erkennbar, wie durch ein konstruktives Zusammenspiel und Selbstverständnis zwischen Bund und Ländern für die Betroffenen gute Ergebnisse erzielbar sind. So konnten jedenfalls in Sachsen 5 400 Berufsausbildungsverhältnisse in mittelständischen Betrieben, die über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden, erhalten werden. Vor allem konnten auch Behinderte, sogenannte Konkurslehrlinge und junge Frauen eine Förderung erfahren. Die SPD sollte die eigenen Landesregierungen ermutigen, in der Lehrstellenförderung das zu tun, was für CDU-geführte Länder selbstverständlich ist. Darm wird die Frage eben nicht für 1992 verschärft, Herr Kollege Kuhlwein, wie Frau Fischer per Presseerklärung suggerieren will, die behauptet hat, daß noch in diesem Jahr eine Verschärfung auftritt. Gestatten Sie mir bitte, erneut festzustellen: Das ist einfach ein Schattenboxen, wie ich es genannt habe. Sie fordern etwas ein, was bereits erfüllt und unstrittig ist. Das ist einfach eine Verkohlerei derjenigen, die die Presseerklärungen lesen sollen. Wenn Sie die Möglichkeit haben, die Erklärungen Ihrer Genossinnen und Genossen zu lesen, werden Sie die Hintergründe erfahren. Ich bin gern bereit, Ihnen eine Kopie zu geben, falls das wegen der Unterschiede zwischen rechts und links in Ihrer linken Partei nicht funktionieren sollte. ({1}) Ich schlage vor: Nehmen Sie sich selbst ernst! Ich kann Ihnen versichern: Wir nehmen Sie, die Opposition, ernst, weil wir Sie auf der Grundlage unseres Demokratieverständnisses für unverzichtbar halten. ({2}) Am 1. Januar 1993 wird ein Assoziierungsabkommen mit Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei in Kraft treten. Der Blick auf die osteuropäischen Länder relativiert unsere Probleme, motiviert, auch dort zu helfen. Ich schlage vor, daß wir uns im Ausschuß in Auswertung der erfolgten Reisen auch dazu Gedanken machen. Danke. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Meckelburg. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Eckardt, Sie wissen natürlich: Über die „erfolgreiche" Politik der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gibt es so viel nicht zu berichten. Deshalb erspare ich mir das. Das können Sie ja tun. Wir kommen heute möglicherweise zu einer gemeinsamen Beschlußempfehlung über den Berufsbildungsbericht 1992, aber nicht etwa deshalb, weil wir große Einsichten hatten, sondern weil die SPD eingesehen hat, daß hier nach vielen Jahren des Lamentierens und Kritisierens doch einige Erfolge zu verzeichnen sind, so daß endlich die notwendige Zustimmung erfolgen sollte. ({0}) Obwohl ich nach dem Beitrag von Herrn Rixe die Gefahr gesehen habe, daß das wieder ein bißchen kritischer wird - es fällt Ihnen ja auch schwer -, sollten wir versuchen, den Weg gemeinsam zu gehen. Die berufliche Bildung hat sich nämlich in den kommenden Jahren in mehrfacher Hinsicht zu bewähren. Ich meine, die heutige Debatte und auch die gemeinsame Beschlußempfehlung zeigen, daß die Berufsbildungspolitik der Bundesregierung die richtigen Akzente setzt, um für die Herausforderungen der 90er Jahre gewappnet zu sein. Es gibt eine ganze Reihe von Herausforderungen, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben. Es bleibt das vorrangige Ziel, in den neuen Bundesländern ein neues Berufsbildungssystem weiter aufzubauen, das leistungsfähig ist und einen modernen Standard aufweist. Es ist in den ersten schwierigen Jahren auch gelungen - darüber haben wir in den letzten Jahren hier heftigst debattiert -, das duale System der beruflichen Bildung Zug um Zug auszubauen. Wir sind noch nicht fertig, aber wir sind Zug um Zug weitergekommen. Es ist auch gelungen, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot für die jungen Leute in den neuen Ländern bereitzustellen. Es war klug, Herr Rixe, daß sich die Bundesregierung nicht von den ständigen Kassandrarufern und Krisenherbeiredern hat beirren lassen. Wir sind vielmehr beharrlich den Weg der Sozialen Marktwirtschaft gegangen. Das bedeutet die Priorität betrieblicher Ausbildungsplätze, wo immer das möglich ist. Herr Kuhlwein, Sie haben das eben hier als besonderen Schwerpunkt der SPD dargestellt. Ich hatte bisher den Eindruck, daß Sie in früheren Zeiten eher bereit waren, staatliche Maßnahmen durchzuführen. Wir waren es, die immer gesagt haben: Überall dort, wo es möglich ist, sollte betrieblich ausgebildet werden. Wenn wir heute in dieser Auffassung übereinstimmen, um so besser; das hilft in den neuen Ländern sicher mehr als Krisengerede, ({1}) - Wir werden sicherlich noch einiges zu tun haben. Ich will noch einen Blick auf die alten Bundesländer werfen. In den alten Bundesländern besteht in der Tat die Herausforderung, daß sich die Schere zwischen dem Bildungs- und dem Beschäftigungssystem nicht weiter öffnen darf. Wir müssen Sorge dafür tragen, daß der notwendige Fachkräftenachwuchs ausgebildet wird, damit unsere Wirtschaft auch in Zukunft leistungsfähig bleiben kann. ({2}) Die gegenwärtige Situation ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: deutlich weniger Lehrstellenbewerber, als Ausbildungsplätze angeboten werden; in den letzten fünf Jahren gab es einen Rückgang der Zahl der Ausbildungsplatzbewerber in Industrie und Handel von 840 000 auf 780 000; im Handwerk gab es einen Rückgang von 700 000 auf 530 000. Herr Kuhlwein, das Stichwort heißt Facharbeitermangel. In einer Untersuchung gaben 40 % aller Betriebe einen Mangel an Lehrstellenbewerbern an. Wenn Sie meinen, die Facharbeiterlücke sei ein Phantom, kann ich nur sagen: Das ist nicht so. Wenn wir Ihrer Auffassung folgten, wären wir Phantasten. Wir sind aber Realisten und haben den Blick für die Wirklichkeit. Das heißt, wir müssen uns auch um die Behebung des Facharbeitermangels kümmern. Auch dort wird staatliches Handeln allein nicht genügen, um die notwendigen Korrekturen herbeizuführen. Notwendig ist ein gemeinsames Handeln mit der Wirtschaft, um die Attraktivität der beruflichen Bildung zu steigern. Auch die Tarifpartner sind gefordert. Beispielweise muß die berufliche Weiterbildung ein integrierter Bestandteil des Berufslebens werden. Auch die Wirtschaft ist gefordert: Sie muß bessere Aufstiegsmöglichkeiten für qualifizierte Mitarbeiter schaffen, die den Weg über die berufliche Ausbildung gegangen sind. Wir alle sind letztlich gefordert; denn wir müssen das Abschlußdenken aus den Köpfen der Menschen herausbekommen. Nicht nur Abitur oder Hochschulstudium entscheiden über Qualität und gesellschaftliche Anerkennung eines Menschen. Auch die Politik ist gefordert, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu bewirken. Qualifizierten Absolventen der beruflichen Ausbildung sind verstärkt Durchstiegsmöglichkeiten zu Studiengängen zu verschaffen. Wer den Berufsausbildungsweg wählt, darf sich dadurch nicht schon im Zeitpunkt der Wahl von weiteren Chancen ausgeschlossen fühlen; oft ist es ja nur ein Gefühl. ({3}) Neben der Benachteiligtenförderung muß auch die Begabtenförderung in der beruflichen Bildung weiterhin verstärkt werden. Es ist der Bundesregierung hoch anzurechnen, daß sie dies auch in schwierigen Zeiten begonnen hat. Im letzten Jahr waren Sie, meine Damen und Herren von der SPD, noch bereit, die Mittel für die Begabtenförderung zu streichen und woanders unterzubringen. Wir haben aber unseren Weg konsequent fortgesetzt, weil wir Qualifizierten die Chance eröffnen wollen, zu besseren Abschlüssen zu kommen. Hier ist Begabtenförderung in der beruflichen Bildung genau der richtige Weg. ({4}) Wir müssen auch neue Modelle qualifizierter Berufsausbildung, wenn sie sich bewährt haben, bundesweit übernehmen. Ich denke dabei besonders an die Berufsakademien, wie sie in Baden-Württemberg erfolgreich eingeführt worden sind. ({5}) Sie, meine Damen und Herren von der SPD, müssen in den von Ihnen regierten Ländern Ihren Beitrag dazu leisten. Sie müssen die Bremsklötze wegschlagen, damit auch hier mehr Attraktivität geschaffen wird. Lassen Sie mich zum Schluß auf zwei oder drei Dinge eingehen - wir werden im Ausschuß noch darüber zu diskutieren haben -, die mit dem Berufsbildungsförderungsgesetz zu tun haben. Ich kann zunächst keine großen Schwierigkeiten sehen, das Gremium funktionsfähig zu erhalten. Aber wenn nach dem Hinzukommen der neuen Bundesländer die Parität erhalten werden soll, wird das Gremium sehr groß und eigentlich arbeitsunfähig. Es geht also darum, dieses Gremium effizient zu gestalten. ({6}) Der Ständige Ausschuß bleibt paritätisch besetzt. Hier geht es nicht darum, Herr Kuhlwein, Mißtrauen gegen das BIBB auszusprechen, sondern um eine effiziente Gestaltung der Arbeit. Ein letztes Wort zu etwas, was mich ein bißchen gestört hat: Wenn Sie den Eindruck haben, Herr Kuhlwein, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dem Bundesinstitut für berufliche Bildung, ein Maulkorb umgehängt werden soll, kann ich das nur zurückweisen. Es hat in der Tat Äußerungen des einen oder anderen aus dem BIBB gegeben, die Kritik gefunden haben. Nur, wer über seine Kompetenzen hinausgehend aus dem BIBB bellt, braucht sich nicht zu wundern, daß Kritik angebracht wird. ({7}) Das gibt die Möglichkeit, den Maulkorb hier einzuführen. Sorgen wir gemeinsam dafür, daß das Bellen aufhört. Dann schaffen wir auch in diesem Gremium Gemeinsamkeit. ({8}) Dies werden wir sicherlich im Ausschuß beraten. Jetzt sollten wir nach zehn Jahren die gemeinsame Beschlußempfehlung verabschieden. Schönen Dank. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg des Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/3197 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es Änderungsvorschläge? - Das ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Berufsbildungsbericht 1992. Sie liegt Ihnen auf den Drucksachen 12/2427 und 12/3448 vor. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltung der Gruppe PDS/Linke Liste angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a bis d und den Zusatzpunkt 6 auf: 14. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Achim Großmann, Iris Gleicke, Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunft des Wohnens in den neuen Ländern - Drucksachen 12/2195, 12/3158 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Nachbesserung des Wohngeldsondergesetzes - Drucksache 12/3473 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie und Senioren c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Umwandlung der sogenannten Altschulden der Wohnungswirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern und in Ostberlin in Fördermittel des Bundes - Drucksache 12/3474 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({1}) Rechtsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert. Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS/Linke Liste Expertenkommission Wohnungspolitik - Drucksache 12/3565 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie und Senioren ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Martin Bury, Achim Großmann, Norbert Formanski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bericht der Bundesregierung über das Zusammenwirken finanzwirksamer, wohnungspolitischer Instrumente ({4}) - Drucksachen 12/1277 ({5}), 12/2795 Berichterstattung: Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy Otto Reschke Zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist so offensichtlich, daß ich es als beschlossen feststellen kann. Bevor wir die Debatte beginnen, möchte in den Staatssekretär Torsten Wolfgramm bitten, die Geburtstagscour - ich nehme an, um eine solche handelt es sich - zu beenden; ich gratuliere von dieser Stelle.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Im Hintergrund unserer heutigen Debatte stehen die Große Anfrage der SPD „Zukunft des Wohnens in den neuen Ländern" und deren absolut unzulängliche Beantwortung durch diese Bundesregierung. ({0}) Schon der Umfang unserer Anfrage macht deutlich, welch vielfältige Probleme die Kommunalpolitik, die Wohnungswirtschaft, die privaten Vermieter und die Mieterinnen und Mieter in den neuen Bundesländern beschäftigen. Die Beantwortung durch die Bundesregierung macht lediglich deutlich, wie wenig fundiertes Wissen über diese Probleme besteht. Ich will Ihnen ja gerne zugestehen, daß in einigen Fällen kein statistisches Material vorhanden ist und daß es auch nicht immer in der Hand des Bundes liegt, dieses zu erheben. Aber zwei Jahre nach der deutschen Einheit ist kein einziges der anstehenden Probleme gelöst, ({1}) sind nicht einmal Weichen für einen sozialen und zukunftsfähigen Wohnungsmarkt in den neuen Ländern gestellt. Der Wohnungsbau in den neuen Ländern ist fast vollständig zusammengebrochen. Diese Bundesregierung ist nicht in der Lage, die von ihr selber geschaffenen Investitionshemmnisse, etwa das falsche Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung", zu beseitigen. Sie blockieren mit Ihrem ideologischen Festhalten an diesem Prinzip den wirtschaftlichen Aufschwung und gefährden den sozialen Frieden. ({2}) Trotz des Fehlbestands von ca. 1 Million Wohnungen - das bedeutet einen jährlichen Neubaubedarf von 120 000 Wohnungen - und des enormen Bedarfs an Investitionen in eine qualitativ schlechte BausubIris Gleicke stanz ist die Bautätigkeit dramatisch rückläufig. Ein Wiederanstieg der Beschäftigtenzahlen in der Bauwirtschaft ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil, vielen Handwerksbetrieben fehlen Anschlußaufträge, obwohl die Wohnungsunternehmen sofort große Instandsetzungs-, Instandhaltungs- und Modernisierungsaufträge vergeben könnten. Wer angesichts dieser Tatsache daherkommt und von einer boomenden Bauwirtschaft im Wohnungsbau redet, verkennt die reale Situation. Die nach wie vor offene und strittige Frage der Altschulden der Wohnungswirtschaft ist ein weiteres Investitionshemmnis. ({3}) Statt dieses Problem endlich anzupacken, verschleppen Sie es und tragen damit zu seiner Verschärfung bei. Denn mit jedem Tag wird dieser Schuldenberg ein Stück höher. Dabei ist nicht einmal geklärt, ob diese Schulden überhaupt rechtmäßig sind. ({4}) Ich frage mich, wie lange Sie eigentlich noch brauchen, um herauszufinden, wie diese Schulden entstanden sind. Nichtsdestotrotz jagt gerade zu diesem Problem eine Presseerklärung der Frau Bauministerin die andere. Um das Chaos perfekt zu machen, erklärt der Bundesfinanzminister genau das Gegenteil. Sie haben die Wohnungswirtschaft, die Vermieter und Mieter in den neuen Ländern getäuscht, als Sie behaupteten, daß die Erlöse aus der Mieterhöhung nicht zur Bedienung der Altschulden, sondern allein zur Instandsetzung, Instandhaltung und Modernisierung eingesetzt würden. ({5}) Tatsache ist, daß es auch über diese zentrale Frage weder einen Kabinettsbeschluß noch eine Vereinbarung mit den ostdeutschen Ländern gibt, die die Bundesregierung bindet. Auch die öffentlichen Förderprogramme laufen an den Wohnungsunternehmen vorbei, weil eben gerade durch die ungeklärte Altschuldenfrage und die ungeklärten Eigentumsverhältnisse die notwendigen Eigenmittel für die Inanspruchnahme dieser Programme fehlen. Aber statt diese Hemmnisse zu beseitigen, fällt dieser Regierung nichts weiter ein, als das Programm Aufschwung Ost für den Wohnungs- und Städtebau im Bundeshaushalt 1993 nicht zu verlängern. Das ist unter diesen Voraussetzungen eine Katastrophe. ({6}) Das Verhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Zweiten Grundmietenverordnung für die neuen Länder hat ein weiteres Mal gezeigt, daß sie die wichtigen Probleme der Menschen in den neuen Ländern nicht mit der gebotenen Sensibilität und einer angemessenen Beteiligung der Betroffenen lösen kann. ({7}) Aber Sie haben sich nicht nur bei den Annahmen der Einkommenssteigerungen total verrechnet; von diesen Einkommenssteigerungen profitiert ja nur ein Viertel der Erwerbstätigen. ({8}) Erst gehen Sie bei Ihren tollen Berechnungen von einer weiteren Einkommenssteigerung aus, und dann diskutieren Sie fröhlich über Lohn- und Gehaltsverzicht. Damit ändern sich auch die Annahmen für das Sonderwohngeld, und darum geht es. Mit dieser Politik gefährden Sie selber die soziale Flankierung der Mieterhöhungen. Als ob es damit noch nicht genug wäre, stellt der Finanzminister das Wohngeld für Einsparungsmaßnahmen im Bundeshaushalt zur Disposition. Sie haben sich selber die Grundlage für die Zweite Grundmietenverordnung zerstört. Ich frage Sie, Frau Bauministerin: Wo bleibt Ihre klare Absage an den Finanzminister? Ich fordere Sie hier und heute auf, klar zu sagen, was Sie unternehmen werden, um diesen sozialpolitischen Horror abzuwenden. Entspricht dieses Tohuwabohu Ihrer Auffassung von solider Politik? Auf dem Bau nennt man eine solche Arbeitsweise treffend „Pfusch". Ich nenne das einen sozialen Skandal. ({9}) Die SPD hat für Sie die Hausaufgaben gemacht. Unser Entschließungsantrag liegt Ihnen vor. Wir fordern im Interesse der neuen Länder einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik. ({10}) Im Klartext fordern wir erstens zusätzlich zu den bisher bereitstehenden Mitteln 10 Milliarden DM im Jahr für ein auf zehn Jahre angelegtes Zukunftsinvestitionsprogramm Ost. Daraus müssen u. a. der soziale Wohnungsbau und die Sanierung von Plattenbauten gefördert werden. Zweitens fordern wir eine Umfinanzierung der Altschulden in Anlehnung an den sozialen Wohnungsbau der alten Bundesrepublik. Das heißt niedrige Verzinsung und Tilgung bei langen Laufzeiten und befristete Aussetzung dieser Zins- und Tilgungsleistungen. Dafür gewähren die Wohnungsunternehmen langfristige Mietpreis- und Belegungsbindungen. Das garantiert einen angemessenen Bestand an sozial gebundenen Wohnungen auch nach 1995. Drittens. Bei der Privatisierung von Wohnungen erhalten die Mieter das Vorkaufsrecht. Das Gemeineigentum wird vor dem Verkauf instandgesetzt und modernisiert. Das ist ein faires Angebot. Viertens. Das Entschädigungsgesetz muß her. Schluß mit dem unsinnigen Rückgabeprinzip! Die Städte und Gemeinden erhalten sofort das Recht zur Ausweisung von Sondergebieten mit besonderer Bedeutung. Für diese Sondergebiete können Vermö10054 Iris Gleicke gensansprüche grundsätzlich nur noch entschädigt werden. Die Kommunen müssen endlich handlungsfähig werden. Was sich derzeit abspielt, ist aberwitzig. ({11}) Fünftens. Schutz der Mieter vor unangemessenen Mietpreissteigerungen, die dadurch entstehen, daß sich Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen anhäufen! Da brauchen wir dringend Regelungen. Die Eigenleistungen der Mieter dürfen bei der Berechnung der Beschaffenheitszuschläge nicht berücksichtigt werden. Es ist doch Irrsinn, daß diejenigen, die unter schwierigen Bedingungen etwas an ihrer Wohnung getan haben, im nachhinein dafür mit höheren Zahlungen bestraft werden. ({12}) Das versteht kein Mensch mehr. ({13}) - Das ist leider so. Sechstens. Keine Kürzungen der Leistungen nach dem Wohngeldgesetz oder dem Wohngeldsondergesetz. Wer da rangeht, verkennt die Stimmungen und spielt mit dem Feuer. Siebentens. Progressionsunabhängiger Abzug von der Steuerschuld bei der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums. Das ist wohnungswirtschaftlich effizienter und sozial gerechter. ({14}) Gleichzeitig Erhöhung der Mittel für den Eigentumserwerb im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Achtens. Beschleunigung der Planungs- und Entscheidungsabläufe im Wohnungsbaubereich. Die frühzeitige und ausreichende Bürgerbeteiligung und die geordnete städtebauliche Entwicklung werden gewährleistet. Überflüssige bürokratische Hindernisse müssen schleunigst beseitigt werden. Das, Frau Ministerin, sind unsere Forderungen. Die Menschen bei uns in den neuen Ländern haben einen Anspruch darauf, daß in der lebenswichtigen Wohnungsfrage endlich nach einem klaren Konzept gearbeitet wird. Sie hatten Zeit genug. Aber Sie haben keines. Ihre Wohnungspolitik, Frau Ministerin, kommt mir vor wie ein halbfertiges Haus. Da werkelt alles fröhlich vor sich hin. Da kommt der Maler, bevor die Wände verputzt sind; da wird das Parkett verlegt, bevor noch das Dach gedeckt ist. Das alles ist natürlich sehr teuer, und irgendwann geht der Bauherr pleite. Das, verehrte Frau Ministerin, nennt man dann eine Bauruine. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dietmar Kansy. ({0})

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Gleicke, im Lauf dieser Debatte wird zu einigen Sachpunkten noch etwas zu sagen sein. Ich weiß, wie Sie zu dem SED-Regime gestanden haben, und habe einen großen Respekt vor Ihrer Arbeit hier in Bonn. Aber Sie fangen an einer Stelle zwei Jahre nach der Wiedervereinigung an und blenden alles aus, was gewesen ist. ({0}) - Nein. Wir müssen uns, wenn wir heute über die Wohnungsbausituation in den neuen Bundesländern ausführlich reden, doch noch einmal die Fakten überlegen, wie es denn gewesen ist. Das ist jetzt gerade zwei Jahre her. ({1}) - Zur PDS komme ich sogleich. Das sind in dieser Situation nämlich die Oberschlauen. Fakt ist: Die Wohnfläche ist mit pro Kopf knapp 26 m2 mehr als 10 m2 geringer als im Westen. ({2}) Fakt ist, daß 23 v. H. Wohnungen zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung nicht über ein Bad oder eine Duschgelegenheit verfügten. ({3}) Fakt ist, daß 30 v. H. über keine Innentoilette verfügten. Fakt ist, daß das Durchschnittsalter dieser Wohnungen 58 Jahre beträgt. Das ist im Bereich von Investitionen ganz wesentlich. In den alten Bundesländern wurden nur 30 % aller Wohnungen vor 1948 gebaut. ({4}) - Hören Sie sich das bitte in Ruhe an! Dies ist ein Stück DDR-Erblast aus dem Sektor Wohnungspolitik. ({5}) Während in den alten Bundesländern 30 % der Wohnungen vor 1948 gebaut worden waren, waren es in der Ex-DDR doppelt so viele, nämlich 59 %; allein 42 % vor 1919. ({6}) Bei der letzten Wohnungszählung der DDR wiesen 65 % aller Gebäude Schäden auf, und 16 % waren so stark baufällig, daß der Erhalt stark gefährdet war. Das war die Situation 1990, im Jahr der Wiedervereinigung. ({7}) - Ich kann hier doch nicht Wunder bewirken. ({8}) Was Sie, Herr Kollege Seifert, betrifft: Sie, Ihre Vorgängerpartei, die SED, hatten über Jahre versprochen, bis 1990 sei die Wohnungsfrage als soziales Problem gelöst. ({9}) Die Bilanz habe ich soeben genannt. Das einzige, was 1990 gelöst worden ist, und das ist gut, ist die SED-Frage, Frau Kollegin Höll. Aber die Wohnungsfrage haben Sie nicht gelöst. ({10}) Nachdem Sie hier über 20, 30 Jahre als Kurpfuscher versagt haben, spielen Sie den Wunderdoktor und kommen mit einem Antrag nach dem anderen. Nein, die Menschen in den alten und in den neuen Bundesländern haben über das Ergebnis Ihrer Wohnungspolitik gemeinsam gewitzelt. Es hieß: Trümmer schaffen ohne Waffen. Das ist der Punkt Null der Wohnungspolitik in Ostdeutschland gewesen. Darüber diskutieren wir jetzt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Kansy, der Abgeordnete Reschke möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, sie zu beantworten?

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr. Anschließend möchte Herr Dr. Seifert eine Zwischenfrage stellen.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kansy, Sie wollen und können doch nicht leugnen, ({0}) daß die Produktion von neuen Wohngebäuden und von Wohnungen von etwas über 120 000 Einheiten im Jahr 1988 auf in diesem Jahr vermutlich 20 000, 25 000 Einheiten zurückgefallen ist. Das ist eine Situation, die vor dem Hintergrund des hohen Bedarfs, des schlechten Bestands und der Wohnungsnot, die drüben herrscht, kaum haltbar ist.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Reschke, da wir beide Fachleute sind, brauche ich das überhaupt nicht zu leugnen. Wir haben übereinstimmend gesagt: Was nutzen uns denn Zehntausende neugebaute Wohnungen im Jahr, wenn uns Hunderttausende verfallen? Wir haben jetzt in den ersten Jahren sämtliche milliardenschweren Mittel - wir können Ihnen die Liste nachher noch einmal vorlesen - zunächst einmal in das Stoppen des Verfalls gesteckt. Daß der Wohnungsneubau zur Zeit schwach ist, betrübt uns alle. Aber die Grundentscheidung, bei einer begrenzten Mittelmenge zunächst einmal den Verfall zu stoppen, ist doch richtig und von allen getragen worden. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Seifert, nun haben Sie die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, während ich so freigebig beantworte, springt die Uhr hier auf dem Rednerpult von 8 auf 7 usw.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Kansy, die Anlage ist noch nicht in Ordnung. Sie können aber versichert sein, daß ich Ihnen entsprechende Gutschriften kurzfristig mitteilen werde und Sie die geplante Redezeit erhalten. Herr Dr. Seifert, bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kansy, Sie haben sich ein bißchen darüber beschwert, daß ich hier ununterbrochen Anträge stelle. Wie sehen Sie denn das, wenn jemand, der sich in der DDR zwar dazu stellt, daß er in der Nachfolgepartei der SED ist, aber seinerzeit keine Verantwortung trug, jetzt in diesem Deutschen Bundestag ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Lassen Sie den Fragesteller ausreden!

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

-, wie neulich erst gesagt wurde, Vertreter des gesamten deutschen Volkes ist und sein Recht wahrnimmt, hier im Sinne seiner Wählerinnen und Wähler Anträge zu stellen? Halten Sie es nicht für normal?

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das halte ich nicht für normal. Jeder kann hier Anträge stellen. Ich möchte nur dem Märchen nicht Vorschub leisten, daß die PDS mit der Vergangenheit ach überhaupt nichts mehr zu tun hat. Das geht von der Parteiführung bis zu einigen Mitgliedern dieses Bundestages, von denen bekannt ist, daß sie informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. ({0}) Das ist wichtig, und ich lasse mich davon nicht abbringen. Wenn wir über die Riesenprobleme der Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland reden, müssen wir erst einmal darüber reden, unter welchen Bedingungen wir als gemeinsames deutsches Parlament überhaupt starten konnten. ({1}) Da sind gewaltige Investitionen erforderlich. Die sind so enorm, daß die Schätzungsbreite sehr groß ist. 500 Milliarden DM sind das unterste; viele sagen: 700 Milliarden, 800 Milliarden DM; manche: 1 Billion DM. Es stimmt: Die neugegründeten Wohnungsunternehmen sind natürlich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Wir haben seitens der Bundesregierung eine ganze Reihe von Förderungsmaßnahmen auf den Weg gebracht, um in dieser Übergangszeit ein leidliches Wirtschaften zu ermöglichen. Und jetzt, Frau Kollegin Gleicke, komme ich zum Thema Mieten. Sie wissen genau so gut wie alle anderen, die Wohnungspolitik in diesem Hause machen, daß ohne eine Anhebung der Mieten es nicht gelingt, diese Herkulesarbeit zu leisten. Weil das so ist, wundere ich mich immer wieder, mit welch frag10056 würdigen Argumenten eine Mietobergrenze, die die Bundesregierung im Einvernehmen mit allen ostdeutschen Bundesländern gesetzt hat, ins Zwielicht gebracht wird. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß sich alle Ihre Argumente immer auf das Pro-Kopf-Einkommen beziehen. In der DDR haben in über 90 % der Haushalte die Frauen mitgearbeitet. ({2}) - Richtig; sie konnten das; das ist klar. In der alten Bundesrepublik haben keine 50 % der Frauen mitgearbeitet. Sie setzen nun immer - und das ist bestenfalls nicht zu Ende gedacht, gegebenenfalls unseriös - das Pro-Kopf-Einkommen in Vergleich zu den Mieten. Sie müssen die Haushaltseinkommen vergleichen. Das ist die reale Grundlage, auch dann, wenn in der Übergangszeit AB-Maßnahmen oder gar Arbeitslosigkeit eingetreten sind. Die Zahlen sind nicht von der Bundesregierung und nicht von der Bauministerin erfunden worden, sondern vom Statistischen Bundesamt festgestellt. Sie sagen schlicht und ergreifend: Der reale Anstieg des Einkommens im zweiten Halbjahr 1990 gegenüber 1989 - dazwischen lag die Wirtschafts- und Währungsunion - betrug bei Arbeitnehmerhaushalten - zwei Verdiener, zwei Kinder - 18 %, bei einem Einpersonen-Rentnerhaushalt 41 %. In den Jahren 1990/91 entwickelten sich diese Zahlen auf 27 % bei einem Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalt und 33 % beim Rentnerhaushalt. ({3}) - Ihre Stimme ist wirklich relativ angenehm, aber ich möchte doch jetzt erst vortragen. ({4}) Diesen genannten Einkommenssteigerungen standen nun unter Berücksichtigung des Wohngeldes durchschnittliche Preissteigerungen - einschließlich der Mietanhebung vom 1. Oktober 1991, Frau Kollegin - in Höhe von gut 17 % gegenüber. Ich gehöre zu den Leuten im Deutschen Bundestag, die wirklich versuchen, alles zu tun, was in Richtung der neuen Bundesländer machbar ist. Ich habe aber auch noch ein Stückchen Verantwortung für meine Wähler in Hannover. Es ist einfach die Wahrheit: Die Einkommenssteigerungen waren in diesen Jahren 1990, 1991 und 1992 sichtbar größer im Vergleich mit den Preissteigerungen einschließlich der Mieten. Das wird selbst dann so sein, wenn die nächste Stufe der Mieterhöhung am 1. Januar 1993 in Kraft tritt. ({5}) - Wir diskutieren in West-Deutschland, Frau Kollegin, deswegen derzeit über Lohn- und Gehaltsverzicht, weil wir von einer Welle überrollt werden, die uns die Altlasten dieses Systems hinterlassen haben, und nicht, weil wir aus Jux und Dollerei sozial einschneidende Maßnahmen ergreifen wollen. ({6}) - Ach, ein bißchen Lebhaftigkeit am Morgen, Herr Professor Dr. Hornhues, schadet doch nicht! Fakt ist, daß zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung die Menschen in den neuen Bundesländern nur 4,8 % ihres Einkommens für Mieten aufwenden mußten. Wir wissen aber doch, daß es ein sehr niedriges Einkommen war. Da wurde von der zweiten Lohntüte geredet, und damit wurden die Einkommen untengehalten. ({7}) Diesen niedrigen Mietquoten entsprach das niedrige Einkommen. Jetzt haben wir den Prozeß der Einkommenssteigerung in erheblichen Stufen der Anpassung für die arbeitende Bevölkerung und die Rentner. Deswegen kann die politische Leitlinie doch nur sein, daß es das Ziel des Mietanpassungsprozesses ist, bei Abfederung durch das Sonderwohngeld Ost die Mieten entsprechend den Einkommenssteigerungen schrittweise so anzuheben, daß bei vergleichbaren Einkommen und vergleichbaren Wohnungsstandards vergleichbare Mietbelastung entsteht. Dies ist die im Einvernehmen mit den Regierungen aller neuen Bundesländer die Generallinie unserer Politik für die Mieten in den neuen Bundesländern. Dennoch gibt es immer wieder die Angstkampagnen. Ich möchte nun nicht ein berühmtes Boulevard-Blatt nennen, das gestern wieder grauenvolle Fälle geschildert hat, so daß einem fast die Tränen in die Augen treten. Da weist jemand, der allein in einer 90-m2-Wohnung lebt, nach, daß er mit dem Wohngeld nicht auskommt. Das schafft auch keiner in München, in Wanne-Eickel, in Eßlingen oder in Flensburg. Es sind andere Instrumente gefragt, um das in Einklang zu bringen. ({8}) Richtig ist, daß ab 1. Januar 1993 die derzeitige durchschnittliche Kaltmiete von 2,00 DM um 0,75 DM bis maximal 2,10 DM, bei Eigenheimern 2,40 DM, im Durchschnitt also um 1,80 DM angehoben wird. Diese rund 4 DM pro m2 im Monat als Nettokaltmiete sind Miethöhen, von denen Mieter in den alten Bundesländern nur träumen können, denn bei ihnen ist es doppelt und dreifach so hoch. Das ist aber erforderlich. Wenn hier argumentiert wird, die Mieten seien höher als im Westen, so ist das böswillig und fügt nicht zusammen, sondern reißt neue Wunden auf.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sind Sie noch einmal bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie müssen warten, bis die rote Lampe dauerhaft leuchtet.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die rote Lampe leuchtet, bitte nicht die Internationale singen!

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielleicht wollen Sie? Es ist ja möglich. Bei Ihnen leuchtet sie heute länger als bei mir. Ich habe zwei Fragen. Sie haben davon gesprochen, daß in den neuen Bundesländern viele Menschen einfach in zu großen Wohnungen leben. Das ist tatsächlich ein Problem, und ich freue mich, daß Sie es angesprochen haben. Ich würde aber gem Lösungsvorschläge von Ihnen hören. Leipzig ist z. B. in Sachsen die Stadt mit dem höchsten Anteil an älterer Bevölkerung. Wir haben einen sehr schlechten Wohnungsbestand. Es gibt aber bisher keine Erfassung des Wohnraums danach, was noch sozialer Wohnraum ist. Es gibt keine Erfassung von kleinen Wohnungen. Einem sechzigjährigen Menschen ist sicher nur dann zuzumuten, aus seinem Gebiet auszuziehen, wenn er altersgerechten Wohnraum erhält. Eine genügende Anzahl kleiner Wohnungen ist nicht vorhanden. Es würde mich interessieren, wie Sie mit diesem Problem umzugehen gedenken. Meine zweite Frage -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Kollegin, ich habe den Eindruck, Sie verwechseln Frage und Kurzintervention.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mich würde interessieren: Sie haben darauf verwiesen, daß die Mieten steigen müssen, um die Wohnungen sanieren zu können. Ihnen ist aber sicher bekannt, daß bisher von den Mietsteigerungen relativ wenig bei den kommunalen Wohnungsgesellschaften ankommt, da die Frage der Altschulden noch nicht gelöst ist und das meiste für die Zinsdeckung genutzt werden muß. Ich muß seit zwei Jahren bedeutend mehr für meine Neubauwohnung bezahlen, ohne daß ein Stück daran verbessert wurde. Es wird sich auch in den nächsten zwei Jahren da überhaupt nichts tun.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich fange mit dem letzten an. Zur Zeit ist noch kein Pfennig aus den Altschulden in Ihren Mieten drin. Das kommt eben davon, wenn man Propaganda macht und zum Schluß selber das glaubt, was man erzählt. Die politische Herausforderung ist: Was machen wir am Ende des Moratoriums, am Ende des nächsten Jahres? ({0}) - Nun ist es aber wirklich genug! Lassen Sie mich mal reden!

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Lassen Sie bitte den Redner zu Ende sprechen.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Genau das ist doch die Frage, die die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung in Riesenschritten zu lösen im Begriff sind. ({0}) - Ja, Herr Kollege Müntefering. Was die großen Wohnungen, die von Einzelpersonen bewohnt werden, betrifft, Frau Kollegin: Dies ist nicht vom Bund zu lösen. Da muß, wie es auch in westdeutschen Städten ist - auch wenn es ein bißchen dauert -, notfalls mit kommunalen Tauschbörsen oder ähnlichem sichergestellt werden, daß nicht eine vierköpfige Familie in einer 40-m2-Wohnung wohnt und eine einköpfige in einer 90-m2-Wohnung. Das kann in einer Republik mit 80 Millionen Menschen nicht das Bundesparlament lösen. ({1}) - Nein, Herr Müntefering. Ich danke Ihnen. Ich bin mit meiner Beantwortung damit zu Ende. Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zu den Altschulden sagen; der Kollege Rau wird ausführlich darauf eingehen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Absicht der Bundesbauministerin, nach Auslaufen des Altschuldenmoratoriums 1993 diese Schulden nicht auf die Mieten umzulegen. Wir stehen zu dem sogenannten Magedeburger Kompromiß. Die Mieten reichen heute noch nicht einmal aus, um die normalen Bewirtschaftungskosten einzubringen. Das ist das Problem. Um die Unternehmen nicht zu überfordern, können in den ersten Jahren die Investitionsmöglichkeiten der Unternehmen, die erstmals mit der Mieterhöhung zum 1. Januar eine Investierungschance haben werden, nicht voll genutzt werden. Bisher reicht es noch nicht einmal zur ganz normalen Bewirtschaftung. Es geht darum, diesen Unternehmen ihre Investitionsmöglichkeiten nicht dadurch zu nehmen, daß zu diesem Zeitpunkt schon ein Schuldendienst von ihnen übernommen werden muß. Lassen Sie mich zum Abschluß noch kurz folgenden Gedanken anführen. Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, daß es im Gebiet der früheren DDR unmittelbar nach dem Wirksamwerden des Einigungsvertrages nicht zu einer Eigenbedarfskündigungswelle kommt. Wie Sie wissen, haben wir in unserem Antrag eine dreijährige Verlängerung vorgesehen. Das ist auf Grund der gegenwärtigen Situation notwendig. Nicht notwendig, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, war die von Ihnen gestern provozierte Kampfabstimmung über die Zweifamilienhäuser. Wir hatten Sie im Ausschuß gebeten, diese Frage in das Hearing einzubeziehen, das in wenigen Wochen zum 4. Mietrechtsänderungsgesetz stattfinden wird. Nein, Sie wollten ohne sachliche Grundlage entscheiden. Spielen Sie hier jetzt nicht den Märtyrer. Solche schwerwiegende Eingriffe ins Mietrecht kann man nicht aus der Pistole machen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies war einleitend eine Darstellung der Gesamtsituation aus der Sicht meiner Fraktion. Manche Fragen, Frau Kollegin Gleicke, die Sie angesprochen haben, wer10058 den der Kollege Rau und der Kollege Otto gleich aufnehmen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wohnungsproblem entwickelt sich im Westen wie im Osten Deutschlands immer mehr zu einem Prüfstein dafür, wie dieser Staat, wie diese Gesellschaft zur Sicherung sozialer Menschenrechte steht. Darum geht es meines Erachtens. Unzweideutig muß ich feststellen, daß die gegenwärtige Bundesregierung absolut unwillig erscheint, gegen die zunehmende Wohnungsnot ernsthaft etwas zu unternehmen. Mehr noch: Die rapide sinkenden Ansätze für die Wohnungsbauförderung im Haushaltsplanentwurf machen deutlich, daß die Regierung auf diesem Gebiet einen Crash-Kurs fährt. De facto soll die Wohnungsbauförderung auf massive Steuergeschenke für die Reichen reduziert werden. Wir von der PDS/Linke Liste fordern demgegenüber seit längerem, endlich mit der Ausarbeitung und natürlich Realisierung eines nationalen Wohnungsbauprogramms zu beginnen, das diesen Namen auch verdient. Dafür wären in den öffentlichen Haushalten wirklich neue Prioritäten zu setzen. Heute aber geht es laut Tagesordnung um ein sehr aktuelles Thema, das vor allem die Bürgerinnen und Bürger in den ostdeutschen Ländern betrifft, und zwar um die zum 1. Januar 1993 wirksam werdende zweite große Mieterhöhung. Wir haben dazu mehrere Anträge eingebracht. Natürlich wäre es das Beste, auf eine erneute Mieterhöhung zum gegenwärtigen Zeitpunkt ganz und gar zu verzichten, nachdem die erste bei den meisten noch gar nicht verkraftet ist. Mieten auf Westniveau bei Ostlöhnen, Ostrenten und Ostwohnungsstandard - Herr Kansy sprach gerade sehr eindrucksvoll davon, aber nicht davon, daß sich hier irgend etwas verbessern würde - vertragen sich nun einmal nicht miteinander. Wenn eine solche Forderung bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag zur Zeit nicht durchsetzbar ist, dann sollte das Hohe Haus zumindest auf Schadensbegrenzung bedacht sein. An dieser Stelle will ich gleich sagen, daß wir dem von der SPD vorgelegten Entschließungsantrag zur Großen Anfrage in fast allen Punkten zustimmen. Als Minimallösung ist das immerhin etwas. Bei der Schadensbegrenzung ist zuerst unsere Forderung auf Nachbesserung des Wohngeldsondergesetzes zu nennen. Wenn die Bundesregierung von einer deutlichen Erhöhung der Einkommen in den ostdeutschen Ländern ausgeht, so mag das in etlichen Fällen ja zutreffen. Ich freue mich für jede und jeden, der mehr bekommt. Hinter diesen Durchschnittswerten verbergen sich aber Hunderttausende von Einzelschicksalen, geprägt von Dauerarbeitslosigkeit, von der nicht selten alle Familienmitglieder betroffen sind, vom Abstieg von der Arbeitslosenunterstützung in die Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, von nicht dynamisierten Renten. Hinzu kommt, daß vor allem viele Seniorinnen und Senioren in Wohnungen leben, die für sie auf Grund der Familienentwicklung zu groß geworden sind; meine Kollegin sprach gerade davon.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Dr. Seifert, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Aber die Frau Abgeordnete Philipp möchte eine Zwischenfrage stellen. - Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Ingeborg Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mich würde interessieren, in welchen Punkten keine Übereinstimmung mit der Auffassung der SPD besteht. Das hätte ich gerne erläutert; mir ist das nicht klar.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, würden Sie freundlicherweise die Antwort stehend entgegennehmen. - Danke schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

In dem Entschließungsantrag der SPD fehlt mir ein klarer Hinweis darauf, daß die Entscheidung zur zweiten Mieterhöhung zwar mit der Zustimmung der ostdeutschen Länder gefällt worden ist, aber gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Zweitens wäre es ein Gebot der Redlichkeit, darauf hinzuweisen, daß die bereits bei der Einführung des Wohngeldsondergesetzes von der SPD und der PDS erhobene Forderung jetzt aufgegriffen wird. Es ist ein Gebot der Redlichkeit, zu sagen, daß wir das damals auch schon gefordert haben. ({0}) - Das würde ich ja gerne tun. Leider ist das eine Zeitfrage. ({1}) - Diese Kritik akzeptiere ich ja; sie ist berechtigt. Es tut mir ja selbst leid, wenn ich nicht da sein kann. ({2}) - Ich tue es ja, wo immer ich kann, aber immer geht es eben nicht. Unsere Forderung ist deshalb, das Wohngeldsondergesetz so nachzubessern, daß in all diesen Fällen auch nach der nächsten Mieterhöhung das real verfügbare Familieneinkommen - Herr Kansy, Sie merken, wir haben Ihre Argumentation durchaus begriffen - unter Beachtung der allgemeinen Inflationsrate gegenüber dem 1. Januar 1991, d. h. zum Zeitpunkt der ersten Mieterhöhung, nicht absinkt und daß so bittere Härten vermieden werden. Wenn die Bundesregierung mit ihrer Vermutung zur Eigentumsentwicklung recht haben sollte, müßten sich die Aufwendungen dafür in ziemlich engen Grenzen halten. Ein zweiter Punkt der Schadensbegrenzung betrifft die sogenannten Altschulden. Frau Gleicke hat das schon sehr eindrucksvoll dargestellt. Nach AuffasDr. Ilja Seifert sung des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft, des Deutschen Städtetages und anderer Verbände handelt es sich dabei keinesfalls um echte Schulden im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern um Rechengrößen innerhalb des Systems der DDR-Planwirtschaft. Die Belastung der Wohnungsbaugesellschaften und der Genossenschaften mit diesen rund 35 Milliarden DM fiktiven Schulden, die zudem durch Wucherzinsen Jahr für Jahr um weitere 4 bis 5 Milliarden DM anwachsen, hätte verheerende Folgen. Wir brauchen jetzt eine Entscheidung, damit endlich für die Zukunft Planbarkeit besteht. Vor allem für die neuen Wohnungsbestände müßten zur Bedienung des Kapitaldienstes die Quadratmeter-Mieten auf bis zu 10 DM je Monat angehoben werden. Der Spielraum für Wohnungsunternehmen, Kredite für die Instandhaltung oder Modernisierung aufzunehmen, wäre gleich Null, von Neubau gar nicht zu reden. Letztendlich werden sie gezwungen, ihren Wohnungsbestand zu verkaufen. Das aber wäre zugleich für die ostdeutschen Kommunen das Ende ihrer Möglichkeiten, sozial dringliche Wohnungsprobleme entsprechend dem nach wie vor geltenden Gesetz über die Belegungsrechte zu lösen. Diese sogenannten Altschulden sollen offenbar zur ökonomischen Brechstange gemacht werden, um die vor allem von der F.D.P. angestrebte Privatisierung durchzupauken, die auf herzlich wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung stößt. ({3}) - Das ist richtig, ja. - Das können weder christliche noch andersdemokratische und sozial gesonnene Menschen wollen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Verzögerungstaktik in der sogenannten Altschuldenproblematik endlich aufzugeben und sozialverträgliche Lösungen herbeizuführen. Das Beste wäre nach unserer Überzeugung, die betreffenden Beträge in unverzinsliche Fördermittel des Bundes mit der Maßgabe umzuwandeln, daß die betreffenden Wohnungen mit entsprechender Mietpreis- und Belegungsbindung im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes umgewandelt werden. Was dieses Geld angeht, so vermögen wir überhaupt nicht einzusehen, wieso die Folgen der katastrophalen Plattmachepolitik der Treuhand über einen Kreditabwicklungsfonds realisiert werden sollen, während für die dubiosen Altschulden der Wohnungswirtschaft letztendlich die Mieterinnen und Mieter in den ostdeutschen Ländern aufkommen sollen. Zum Abschluß noch eine Bemerkung zum Einsatz der unabhängigen Expertenkommission Wohnungspolitik durch die Regierung: Zum generellen Nutzen oder Unsinn einer solchen Vorgehensweise möchte ich keine Polemik mehr entfalten. Schon zu DDR-Zeiten gab es ja den Slogan: Wenn man nicht mehr weiter weiß, bildet man einen Arbeitskreis. Aber wenn es denn schon eine solche Expertenkommission geben soll, dann doch bitte wenigstens entsprechend dem Beschluß des Bundestages und nicht nach dem Strickmuster einer offenbar sehr einäugigen Bundesbauministerin. In der von Ihnen, Frau Minister, berufenen unabhängigen Kommission sind Mieterinnen und Mieter bzw. Mieterorganisationen überhaupt nicht vertreten. Außerdem ist sie ausschließlich mit Bürgern aus Westdeutschland bestückt, und eine Frau wird man unter den Kommissionsmitgliedern vergeblich suchen. Wir verlangen, daß diese Kommission um wenigstens sechs Mitglieder ergänzt wird, deren Berufung geeignet ist, die Geburtsfehler der jetzt berufenen Kommission zu heilen. Der entsprechende Antrag liegt Ihnen vor; ich würde mich freuen, wenn Sie wenigstens dem zustimmen könnten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Lisa Peters. ({0})

Lisa Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Herren und meine Damen! Ich bin Mitglied des Bauausschusses des Bundestages, aber ich weiß nicht, ob diese steile Anhebung dort von der Berufsgenossenschaft schon abgenommen ist oder noch nicht. Ansonsten muß das, denke ich, bald geschehen; denn an diesen Querrillen bricht sich irgend jemand einmal die Beine. ({0}) Ich möchte nicht die erste sein. Meine sehr verehrten Herren und meine Damen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Iris Gleicke, wir beide verstehen uns ja sonst ganz gut, aber heute morgen hast du schön draufgehauen. Ich werde das nun wieder ein bißchen in die Waage bringen. Ich denke, wohnen zu können, eine Wohnung zu haben, bedeutet sehr viel, wenn nicht alles! Die Wohnung ist ein Gut, das erforderlich und unentbehrlich ist. Wir Menschen brauchen ein Zuhause, Geborgenheit, eine Heimat. Ich will das ruhig so ausführen. Die Wohnung ist der Lebensmittelpunkt der Familie, sie gibt uns Halt und ist auch Voraussetzung dafür, überhaupt eine Arbeit aufnehmen zu können. Sie gibt uns große Sicherheit. ({1}) Ich denke, so weit sind wir uns einig. Wohnungen sind in Ost und West nicht in ausreichender Zahl vorhanden; ein zu knappes Angebot führt zwangsläufig zu höheren Mieten. Damit ist einiges beantwortet. Ich denke aber, daß von allen Seiten große Anstrengungen zur Verbesserung der Wohnungssituation unternommen wurden, daß inzwischen schon alle Kräfte gebündelt und auch Mittel bereitgestellt sind. So weit sind wir uns vielleicht auch noch einig. ({2}) Trotzdem - und nun komme ich darauf - ist es nicht möglich, die Fehlentwicklungen, die durch jahrelange Mißwirtschaft in der ehemaligen DDR, den heutigen neuen Ländern, entstanden sind, von heute auf morgen zu beheben. ({3}) Wer dies behauptet, sagt nicht die Wahrheit. Und das werfe ich auch der SPD vor. Frau Gleicke, Sie haben das in Ihrer Anfrage nämlich so geschrieben. ({4}) - Ich bin ja noch nicht ganz fertig! Es ist nicht möglich, gravierende Fehler, die 40 Jahre lang gemacht worden sind, von heute auf morgen zu ändern. Ich denke aber, daß wir gemeinsam eine ganze Menge ändern können. Hier sind nämlich alle gefragt, die privaten Bauherren und auch -damen - so steht das in den Baugenehmigungsanträgen noch nicht -, die Eigenheimbauer, die Häuslebauer, die Genossenschaften, die Wohnungsunternehmen, die Gemeinden und Städte, die Länder und der Bund! Sonst geht das überhaupt nicht. Und ich meine, daß ein Gegeneinanderarbeiten, wie wir das sehr oft machen, uns auch nicht weiterbringt, sondern diese Probleme können wir nur miteinander lösen. Damit werden wir auch zum Erfolg und damit zur Beseitigung der größten Wohnungsnot kommen. ({5}) - Ich bin doch immer noch nicht fertig! Ich denke, auch hier würde mehr Gemeinsamkeit über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg zu besseren Erfolgen und damit in der Praxis zu mehr renovierten und fertiggestellten Wohnungen führen. ({6}) Die Wohnungssituation in den neuen Ländern ist in der Tat brisant. Gute alte Bausubstanz wurde in der Vergangenheit vernachlässigt, sie ist verfallen, teilweise nicht mehr bewohnbar. Die Wohnungen weisen wenig Komfort auf, es muß saniert und modernisiert werden, die Wohnungen müssen erst einmal wieder bewohnbar gemacht werden. Ich schließe mich da den Ausführungen von Herrn Kansy an. Die Frage, die zur Altbausubstanz gestellt worden ist, hat Herr Kansy sehr gut beantwortet. Hier ist nicht viel Zeit zu verlieren. Auch da sind wir uns einig. Jedes weitere Jahr des Nichtstuns gefährdet die Substanz. Der Wohnungsneubau in der ehemaligen DDR, meine Herren und meine Damen, ist überwiegend in Plattenbauweise erfolgt. Diese Bauten sind nach meiner Ansicht gnadenlos und ohne jede umsichtige Planung in die Gegend gesetzt worden, sie haben keinen Qualitätsstandard. Die Konzentration von Neubauten in den Randzonen der Städte fand ohne städtebauliche Einbindung statt. Das Wohnumfeld fehlt in der Regel völlig. Menschen brauchen nach meiner Ansicht zum Leben und zum Wohnen aber Atmosphäre. Sie haben einen Anspruch darauf, denn Nüchternheit und Trostlosigkeit im Wohnumfeld sind auf Dauer nicht zu ertragen. Sie machen sogar krank. Die niedrigen Mieten in der ehemaligen DDR -und das ist ja immer wieder Ihr Thema, Herr Seifert - ließen Reparaturen, Verbesserungen, Investitionen überhaupt nicht zu. Wir müssen diese Versäumnisse jetzt in verstärkter Form nachholen, und wir wollen sie eigentlich aufholen. Das erwartet man auch von uns. Der Weg, der bisher eingeschlagen worden ist, ist nach unserer Meinung richtig. Mittel sind bereitgestellt. Sie werden restlos in Anspruch genommen. Ich denke da z. B. an die KfW-Programme. Sicher, es kann nur ein langsames Herantasten sein. Es war und ist sehr schwierig, den Übergang von einem planwirtschaftlichen System in einen freien und sozialen Staat zu finden. Die Menschen in den neuen Ländern müssen sich völlig umstellen. Dies ist nicht einfach, erfordert Zeit, auch viel Geduld, viel Verständnis, auch von unserer Seite. Ich glaube, Sie nehmen mir das ab. Sie wissen, daß ich sehr oft dort bin, und ich versäume nicht eine Besuchergruppe meiner 16 Kollegen und Kolleginnen, die hier in Bonn zu Hause sind, um mit ihnen zu diskutieren. Nur so, denke ich, können wir das hinüber- und herüberbringen. Ich glaube, diesen Appell können wir an alle richten: Da muß wesentlich mehr getan werden! Wir könnten es besser begreifen, wir könnten es besser verstehen, wenn auch Leute, die im Westen wohnen, manchmal diesen Weg wahrnehmen würden. Die Verwaltungen in den Gemeinden, Städten und Ämtern haben die Anfangsschwierigkeiten überwunden. Das ist mein Eindruck. Es wurde in großem Umfang Verwaltungshilfe geleistet. Es ist beraten, informiert, geschult worden. Wir haben das am Mittwoch im Bauausschuß wieder gehört. Ich möchte hier noch einmal erwähnen, daß die Partnergemeinden, die Länder und der Bund, aber auch einzelne Bürger und Bürgerinnen sehr viel getan haben. Auch muß berücksichtig werden, daß es in den neuen Ländern keine Planungen gab, daß das alles jetzt erst aufgearbeitet, in Angriff genommen, nachgeholt werden kann und damit erledigt werden muß. Hier weise ich ganz besonders auf die Planungshoheit der Gemeinden und Städte hin. Es geht einfach nicht an, daß wir in Bonn nur alles beklagen, während die Dinge in Wirklichkeit vor Ort geregelt werden müssen. Das möchte ich einfach einmal sagen. ({7}) 20 Jahre bin ich jetzt in der Kommunalpolitik, und wir haben unsere Städte gestaltet. Genauso gut können sie - ich meine jetzt nicht Sie, sondern Ihre Kolleginnen und Kollegen in den neuen Ländern - dort die Städte gestalten, wenn sie die Ärmel aufkrempeln und alles das in die Tat umsetzen, was unser PlanungsLisa Peters recht hergibt. Und das alles kann man auch sehr schnell machen. ({8}) - Ja, ich habe jetzt aber nicht von den Menschen gesprochen, Iris, sondern von den gewählten Vertreterinnen, die dort in den Kreisen und Gemeinden sitzen. Sicher, in Aufbauphasen muß man länger arbeiten, und es wird auch alles schwieriger. Doch die Gelder, die wir bereitgestellt haben, können nur Ertrag bringen, wenn auch die Länder ihren Beitrag leisten und einen Anteil dazusteuem sowie durch kluge und intelligente Programme über Nutzung der einzelnen Förderwege zu mehr fertiggestelltem Wohnraum kommen. Wir müssen das hier nicht noch einmal ausdiskutieren. Sie wissen, daß wir an dem dritten Förderweg hängen, da mit dem dritten Förderweg wesentlich mehr Wohnungen bereitgestellt werden könnten. Die Programme werden sicherlich in Anspruch genommen, aber nun sind auch diejenigen an der Reihe, die einen Großteil der Wohnungen besitzen. 80 % der Wohnungen sind nämlich in kommunalem Besitz oder im Besitz von Wohnungsgenossenschaften. Dort muß etwas getan werden. Die Eigentumsfragen dürften jetzt nicht mehr die große Rolle spielen. Wir haben das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz hier durch den Bundestag gebracht, es gibt auch weitere Gesetze, und die müssen vor Ort angewandt werden. Bezüglich der Frage der Altschulden gehe ich davon aus, daß Frau Ministerin Schwaetzer dazu noch Stellung nehmen wird, so daß ich das hier nicht abhandeln muß. Aber auch dazu ist eines zu sagen: Auch hier sind die Länder gefragt. Sie können sich ihrer Verantwortung nicht immer entziehen. Die Mieter der kommunalen und der genossenschaftlichen Wohnungen werden es nicht hinnehmen, wenn nichts geschieht. Sie werden ihre Ansprüche stellen - das ist hier schon gesagt worden - und nach meiner Ansicht auch stellen können. Das wird nach der zweiten Mieterhöhung am 1. Januar 1993 noch stärker ausgedrückt werden. Meine Herren, meine Damen, Mieter in den neuen Ländern haben bisher fast alles nur positiv und verständnisvoll aufgenommen. Sie haben Verständnis für die Mieterhöhungen aufgebracht. Ich denke, dafür haben wir zu danken. ({9}) Sie nahmen das ihnen zustehende Wohngeld in Anspruch. Sie haben längst eingesehen, daß man nur so dem akuten Wohnungsmangel beikommen kann. Ich denke, hier war die gute Informations- und Aufklärungsaktion des Bauministeriums hilfreich. Ganz ausdrücklich, Frau Schwaetzer, möchte ich mich herzlich bei Ihnen, bei Ihren Staatssekretären sowie bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Hauses bedanken. ({10}) Sie haben gezeigt, daß man offensiv und ehrlich an diesen sensiblen Bereich herangehen kann und daß diese Arbeit auch Früchte trägt. Ich denke, das Thema Mieterhöhungen, abgestützt durch die Wohngeldzahlungen, haben wir hier abgeschlossen. Kündigungen können durch Verlängerung des Kündigungsschutzes um weitere drei Jahre im Moment nicht eintreten. ({11}) 1994 muß man dann darüber neu nachdenken. Für uns - das ist sehr wichtig, und das ist auch schon angesprochen worden - hat die Privatisierung einen ganz hohen Stellenwert. Die Modellvorhaben - wenn es in diesem Bereich bisher auch nur wenige Wohnungen sind - zeigen uns, daß es geht. Wir wissen aber auch aus anderen Bereichen - das hat mit den Modellvorhaben nichts zu tun -, daß eine große Anzahl von Wohnungen derzeit privatisiert wird. ({12}) Herr Staatssekretär Günther hat dort sehr viel zuwege gebracht. Ich bin deshalb nicht mehr bereit, diese Schwarzmalerei, die hier immer wieder passiert, weiterhin mitzumachen. Mieter wollen ihre Wohnung kaufen. Wenn man viele Gespräche führt, dann stellt man immer wieder fest, daß auch Mieter in Plattenbauten ihre Wohnung kaufen wollen. ({13}) - Sie mögen da ja abwinken. Bevor wir weiterhin verunsichern, sind klare Berechnungen notwendig. Eine eigene Wohnung ist eine unheimlich große Sicherheit. ({14}) Das weiß jeder von uns, der eine eigene Wohnung hat oder über eine Wohnung verfügt. Eine gekaufte Wohnung ist auf Dauer preiswerter, und es ist auch eine gute Kapitalanlage. Auch das muß man immer wieder sagen. Man muß den Wohnungsbaugesellschaften und den Wohnungsgenossenschaften immer wieder deutlich sagen, daß durch den Verkauf von Wohnungen das notwendige Kapital flüssig wird. Das ist auch heute schon möglich. Auch vor dem Hintergrund der Altschuldenproblematik kann man Verträge machen, die dieses und jenes ausweisen. Jeder, der in dem Bereich tätig ist, weiß, daß das geht. Gestatten Sie mir jetzt noch ein Wort zum Umfeld der Wohnungen. Auch hier sind die Gemeinden und Städte in der Verantwortung. Die Räte und die Gemeindeverwaltungen sollten etwas tun. Mit großen Ideen und mit Kreativität kann man etwas machen. Man kann Menschen überzeugen, man kann Menschen aktivieren. Man muß das meiner Ansicht nach nur wollen. Natürlich muß viel Geld investiert werden. ({15}) Vor der Verausgabung von Mitteln sind jedoch Eigenverantwortlichkeit, Mitdenken und sorgfältige Planung erforderlich. Die Reisen mit dem Bauausschuß, die wir in den letzten fast zwei Jahren durchgeführt haben, haben uns doch gezeigt - da waren wir, wenn wir uns hinterher in Ruhe und Frieden unterhalten haben, immer einer Meinung -, daß das auch in Ihren Gemeinden und Städten sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Wenn wir aus einer Stadt herausgefahren sind -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Peters, der rote Hinweis „Präsident" hat hier die gleiche Bedeutung wie im alten Plenarsaal.

Lisa Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Den habe ich überhaupt nicht gesehen, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig. - Wir haben dann gesehen, daß es wirklich darauf ankommt, wie die Gemeinden das handhaben. So, denke ich, werden auch Ihre Gemeinden und Dörfer in einigen Jahren dastehen. Es kommt auf die kommunalen Vertreter an. Herr Präsident, ich achte jetzt auf das rote Licht, spare mir den Schluß meiner Rede und gehe einfach davon aus, daß dann, wenn wir das wollen, das alles zu schaffen ist, wenn das auch nicht in einem Jahr, in zwei Jahren oder in fünf Jahren der Fall sein wird, sondern einen längeren Zeitraum beanspruchen wird. Ich denke, wir müssen einfach darauf achten - auch im Westen ist nicht alles Glanz und Gloria -, daß wir das hinkriegen. ({0}) - Nein, der kommt jetzt nicht! Da geht es um den Bereich der Dorferneuerung und der Städtebauförderung. Auch hier ist viel getan worden und wird noch mehr getan werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die Abgeordnete Christina Schenk hat nun das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zukunft des Wohnens in den neuen Bundesländern ist davon abhängig, ob es gelingt, die ausschließlich - das sage ich ganz klar - ideologisch begründeten wohnungspolitischen Grundsätze, durch die die Wohnungsnot im Westen verursacht wurde, wenigstens zum Teil vom Osten fernzuhalten. Herr Kansy, ich bin mit Ihnen überhaupt nicht einer Meinung, wenn Sie Herrn Seifert vorwerfen, daß er so tut, als ob es im Osten keine Probleme gibt - was er im übrigen nicht getan hat -, wenn Sie hier im Gegenzug so tun, als ob das Wohnungsproblem hier im Westen in irgendeiner Weise adäquat gelöst worden wäre. ({0}) - Ich möchte darüber jetzt nicht diskutieren. Auch ich sehe mich gezwungen, hier einiges geradezurücken. Zunächst möchte ich sagen, daß die wohnungspolitische Situation im Osten keineswegs nur jammervoll ist. Die Tatsache, daß sich weit über ein Drittel aller Wohnungen im Osten - es sind ca. 2,4 Millionen Wohnungen - zur Zeit in der Hand kommunaler Gesellschaften befindet, und die Tatsache, daß das Privatisierungskonzept der Regierung gescheitert ist, bergen in sich große Chancen. Weit über ein Drittel des Bestandes, das ist im Vergleich zu Westdeutschland ein enormer Anteil. Hier sind es nur knapp über 7 % aller Wohnungen, die als Sozialwohnungen gelten können. Die große Chance, die der große Bestand an Wohnungen, der sich in kommunaler Hand befindet, in sich birgt, liegt in der Möglichkeit, diese Wohnungen in soziale Mietwohnungen umzuwandeln, wobei erstmalig auch neue Konzeptionen für einen wirklich sozialen, für einen echten sozialen Mietwohnungsbau realisiert werden könnten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete Schenk, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Hitschler zu beantworten?

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte in meinen weiteren Ausführungen noch darstellen, was ich meine, und ich möchte Sie bitten, mir zuzuhören. Wir können gegebenenfalls im Anschluß über diese Konzepte diskutieren. ({0}) - Das ist auch ein bißchen schwierig, Herr Kansy, wenn man in einer Gruppe ist, die nur acht Personen umfaßt. ({1}) - Hören Sie doch auf, mir hier Vorwürfe zu machen, die einfach unfair sind. ({2}) Wir schlagen vor, die Altschulden, die auf den kommunalen Wohnungsverwaltungen lasten, mit Hilfe von Bundesbürgschaften in nachrangige langfristige Baudarlehen umzuwandeln. Der Kapitaldienst, d. h. Zins und Tilgung, wird durch Aufwendungssubventionen von Bund und Ländern getragen. Dadurch, daß die Altschulden in nachrangige Hypotheken umgewandelt werden, kommen die kommunalen Gesellschaften erst wieder in die Lage, neue Kredite aufzunehmen, die sie zum Zwecke der Instandsetzung und Modernisierung dringend benötigen. Das ist hier schon des öfteren festgestellt worden. Die ehemals volkseigenen Wohnungen können dann als soziale Mietwohnungen im Besitz der Kommunen bleiben und bei einkommensabhängigen Mieten dauerhaft Haushalten mit niedrigem Einkommen vorbehalten bleiben. ({3}) Mit der Forderung nach einer dauerhaften Bindung unterscheiden wir uns ausdrücklich von dem Entschließungsantrag der SPD, in dem nur langfristige Bindungen gefordert werden, und noch deutlicher vom Antrag der PDS, der sich mit der Frage der Länge der Bindung nicht auseinandersetzt. Aber vielleicht ist das nur einfach noch nicht zu Ende gedacht. ({4}) Für uns kommt nur eine dauerhafte Bindung in Frage; denn was von langfristigen Bindungen zu halten ist, zeigt die Erfahrung mit den sozialen Mietwohnungen, die im Westen der Republik in den 50er Jahren gebaut und in den 80er Jahren alle aus der Bindung herausgefallen sind, was unbestreitbar mit Ursache für die heutige Wohnungsnot im Westen ist. Wir brauchen eine dauerhafte Miet- und Belegungsbindung des Bestandes der ehemals volkseigenen Wohnungen, wir brauchen das Belegungsrecht der Kommunen, und wir brauchen einkommensabhängige Mieten in diesem Bestand, um den Mieterinnen und Mietern dort den ganzen Krampf und Kampf mit Wohngeld und späteren Fehlbelegungsabgaben zu ersparen. Unter einkommensabhängigen Mieten verstehen wir im Gegensatz zu Frau Schwaetzer, die den gleichen Begriff in der letzten Zeit des öfteren benutzt hat, nicht einen fixen, für alle gleichen Prozentsatz vom Einkommen, sondern eine aus dem jeweiligen Einkommen bezahlbare Miete. Das heißt, daß der prozentuale Anteil vom Einkommen, der von den Haushalten für die Miete aufgewendet werden muß, bei niedrigen Haushaltseinkommen wesentlich niedriger liegen muß als bei Haushalten mit höherem Einkommen. Zur Verdeutlichung: Wenn in einem Haushalt 1 800 DM im Monat verdient werden, dann ist ein Mietanteil von 25 % erträglich. Die Rentnerin mit 600 DM Rente wird jedoch bei einem Mietanteil von 25 % weit unter die Armutsgrenze gedrängt werden. Das gilt vor allem dann, wenn man berücksichtigt, daß ihr Wohngeldantrag wegen der bürokratischen Reibungsverluste in der Regel erst ein halbes Jahr nach der Mieterhöhung bewilligt wird. Einkommensabhängige Mieten haben gegenüber Wohngeld und Fehlbelegungsabgabe eine Reihe von Vorteilen. Die einkommensabhängige Miete wird zu Beginn des Mietverhältnisses in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Einkommen für eine bestimmte Zeit festgelegt. Wir können uns noch darüber einigen, wie lang diese Zeitspanne sein soll. Nach Ablauf dieser Zeitspanne wird das Einkommen überprüft und die Miete, falls notwendig, nach unten oder nach oben angepaßt, wobei die Obergrenze bei der Marktmiete liegen sollte. Dieses System ist mit weniger Bürokratie und mit weniger Reibungsverlusten verbunden als das System von Wohngeld und Fehlbelegungsabgabe. Für Mieterinnen und Mieter hat es den Vorteil, daß sie nicht extra auf ein Amt rennen müssen, um dort eine Art Sozialhilfe zu beantragen; denn nichts anderes ist das. Es hat ja auch Gründe, warum etwa 50 % der Berechtigten die ihnen zustehenden Leistungen nicht in Anspruch nehmen. ({5}) Des weiteren hat dieses System den Vorteil, daß die Mieterinnen und Mieter nicht vier Monate oder sechs Monate auf die ihnen zustehenden Leistungen warten müssen, sondern von Beginn an nur die Miete zahlen, die ihrem individuellen Leistungsvermögen entspricht. Die einkommensabhängige Miete kann am besten da realisiert werden - das ist klar -, wo sich Wohnungsbestände in kommunaler Hand befinden. Der Bestand der ehemals volkseigenen Wohnungen ist dafür ausgesprochen ideal. Meine Damen und Herren, es gibt aus unserer Sicht keine sozial verantwortbare Alternative zum Erhalt der ehemals volkseigenen Bestände in kommunaler Hand. Wenn die Bundesregierung ihrem aus dem Zweiten Wohnungsbaugesetz resultierenden Auftrag „... die Wohnungsversorgung ... namentlich derjenigen Wohnungssuchenden sicherzustellen, die hierzu nicht selbst in der Lage sind", nach allen gravierenden Fehlern, die sie sich im Westen geleistet hat, jetzt wenigstens im Osten gerecht werden will, dann muß der Bestand der ehemals volkseigenen Wohnungen in der Hand der Kommunen bleiben und in Sozialwohnungen umgewandelt werden. Die Zahl der Haushalte mit niedrigem Einkommen wird im Osten der Republik, ebenso wie im Westen, mit Sicherheit nicht kleiner, sondern größer werden. Was den künftigen Neubau von Sozialwohnungen betrifft, bin ich äußerst skeptisch. Er wird nicht sehr umfangreich sein; schon deshalb, weil im Osten etwas erlaubt ist, was im Westen nicht geht, nämlich der Einsatz der Mittel des sozialen Wohnungsbaus für den Erwerb und die Sanierung von Altbauten. Die Hoffnung auf eine große Zahl sozialer Neubauwohnungen ist daher trügerisch. Deswegen ist es dringend notwendig, den Bestand an Wohnungen, den die öffentliche Hand jetzt noch hat, zu erhalten. Zur Altschuldenfrage: Das Schuldenmoratorium ist eine große Lüge. Die Kommunen werden nie in der Lage sein, die Altschulden zu bezahlen. Die Schulden - inklusive der Zinsen - werden immer größer. Alle Mittel, auch die aus Mieterhöhungen, werden in den Kapitaldienst fließen, und die Kommunen werden keine müde Mark mehr für Instandsetzungen und Modernisierung übrig haben. Der Bestand wird verfallen müssen, wenn wir uns, da nicht etwas anderes einfallen lassen. Es ist auch keine Frage, der die Regierung mit finanzpolitischen Ausreden begegnen kann. Es gibt keine vernünftige Alternative zur Rettung dieses Wohnungsbestandes. Die Sanierung - darüber besteht vielleicht Einigkeit - ist schon aus ökologischen Gründen nicht aufschiebbar. Niemand hier im Saal kann mir erzählen, daß dafür kein Geld da wäre. Wenn das Privatisierungskonzept der Regierung für die ehemals volkseigenen Wohnungen realisierbar gewesen wäre oder hätte realisiert werden können, hätte der Fiskus einen sehr hohen Steuerausfall infolge der Steuersubvention nach § 7 Abs. 5, über den im Osten auch Käufe von Mietwohnungen aus dem Bestand subventioniert werden, verkraften müssen. Das Wohngeld, das ins Leere läuft, wenn es nicht dazu genutzt wird, die Wohnung vor dem Verfall zu retten, kostet Bund und Länder auch Milliarden. Es wird für den Wohnungsbau in Deutschland nicht unbedingt zu wenig Geld eingesetzt, aber auf jeden Fall wird es falsch eingesetzt. Eine verbindliche Aussage darüber, wieviel das eigentlich ist, war von der Bundesregierung bisher nicht zu erhalten. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere von der SPD, aus mehreren Gründen, von denen ich einige bis jetzt schon genannt habe, finden wir Ihren Entschließungsantrag weder von seinem analytischen Gehalt noch von seinen Forderungen her überzeugend. ({6}) Abgesehen davon kann gerade der SPD der Vorwurf nicht erspart werden, der Regelung „Rückgabe vor Entschädigung" selbst zugestimmt zu haben, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem sie infolge der Zweidrittelmehrheit, die für den Einigungsvertrag erforderlich war, die Macht dazu hatte, dieses Unglück, ja diese ausgesprochene Dummheit zu verhindern. Das gleiche gilt auch für die Mieterhöhungen im Osten. Auch hier hat die SPD der Regierung die Macht dazu gegeben, genau das zu tun, was sie heute beklagt. Läge die Entscheidungsgewalt über die Mieterhöhungen beim Bundestag oder bei den Länderparlamenten, könnten die Mieterhöhungen heute an die Bedingung der Modernisierung geknüpft werden. Was jetzt erreicht wurde, erzeugt nur Angst und Chaos. Unsereins kann sich nur wundern, wenn in Ihrem Antrag steht, daß die Mieterhöhungen vom 1. Januar 1993 noch sozial verträglich seien.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Schenk, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. Wir werden unsere Vorstellungen in der nächsten Zeit in einem eigenen Antrag zum Erhalt der ehemals volkseigenen Wohnungen in kommunaler Hand und deren kostendeckender Bewirtschaftung noch konkretisieren, und wir erlauben Ihnen allen heute schon, dann daraus abzuschreiben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich erteile nunmehr der Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Frau Dr. Schwaetzer, das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte als erstes festhalten, was als Konzept für die Wohnungswirtschaft im Osten unseres Landes - zumindest bei denjenigen, die dem Einigungsvertrag zugestimmt haben - Konsens sein sollte, und ich denke, auch Konsens ist. Erstens. Die Wohnungswirtschaft ist schrittweise in die Soziale Marktwirtschaft zu überführen. Das ist die Grundlage für die Mietenreformschritte, die wir bisher einvernehmlich beschlossen haben. Zweitens. Die Sanierung des Bestandes ist voranzubringen. Drittens. Der Neubau von Wohnungen ist dringend in Gang zu bringen. Viertens. Die Privatisierung des Bestandes muß Priorität haben. ({0}) - Das steht so im Einigungsvertrag. Sie haben dem nicht zugestimmt. Fünftens. Die Hemmnisse, um dies alles in Gang zu setzen, sind zu beseitigen. Ich denke, soweit können wir uns sicher einig sein. Ich glaube, wenn man dieses Riesenprogramm sieht, dann sind wir uns auch einig, daß dies eine Generationenaufgabe ist, die nicht in zwei Jahren - das war die Zeit, die wir bisher zur Verfügung hatten - bewältigt werden konnte. Insofern erscheint es mir zumindest verfrüht, davon zu sprechen, daß irgendeiner der Ansätze, die da gemacht worden sind, gescheitert sei; ({1}) denn dies kann ja überhaupt nicht sein. So lang war die Zeit bisher noch nicht. ({2}) - Frau Gleicke, Wohnungspolitik eignet sich wirklich nicht für eine Dreschflegelparty. So haben Sie aber leider heute die Debatte angefangen. ({3}) Ich würde gern noch einmal daran erinnern, was Herr Herzog zur Einweihung dieses Plenarsaals gesagt hat. ({4}) Er hat darauf hingewiesen, daß Übertreibungen dazu führen, daß sich die Bevölkerung der Politik und den Politikern entfremdet. ({5}) - Ihre Übertreibungen, Frau Gleicke, das hat man an der Reaktion gemerkt, wurden selbst von Ihren eigenen Kollegen in der SPD nicht besonders ernst genommen. Ich finde es schade, daß wir eine Debatte so beginnen. Wir haben die Weichen gestellt - in der Sanierung und in der Modernisierung. 25 % der 7 Millionen Wohnungen sind im Grundsatz mit öffentlichen Fördermitteln bisher schon saniert worden bzw. wurde bei ihnen die Sanierung in Angriff genommen. 67 % der Bevölkerung - sagt eine Allensbachumfrage vom August dieses Jahres - stellen das auch fest. Wenn man den Kollegen, die im Osten sind und das eigentlich auch sehen sollten, hier zuhört, dann hat man den Eindruck, sie gehen entweder mit geschlossenen Augen durch das Land oder sie sehen etwas anderes als die Bevölkerung der östlichen Bundesländer. ({6}) Ich habe auf jeden Fall in den Diskussionen, die ich in den letzten acht Wochen auf vielen Marktplätzen im Osten geführt habe, festgestellt, daß diese Aktivitäten zur Kenntnis genommen werden. Das ist auch gut so. Im Bestand werden derzeit 25 000 Wohnungen neu geschaffen. Das ist ein Anfang. Es ist nicht genug, aber es ist ein Anfang. 31 Modellversuche für die Privatisierung sind angelaufen. Einige davon sind bereits abgeschlossen. Das heißt: Auch die Privatisierung läuft an. Wir arbeiten sehr gezielt an der Beseitigung der Hemmnisse. ({7}) - Tropfen auf den heißen Stein - zu dem Punkt komme ich jetzt. Wenn ich sehe, woran sich die Fundamentalkritik der Opposition festmacht, dann ist das einerseits das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung. Das ist ein Prinzip, dem die Sozialdemokraten beim Einigungsvertrag selber zugestimmt haben. ({8}) Wir haben dieses Prinzip in zwei Schritten, die notwendig waren, verändert in Richtung Vorfahrt für Investitionen. All das, was nach dem Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes in den ostdeutschen Bundesländern jetzt geschieht, zeigt eben, daß genau dieses Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz greift. Das heißt, daß die Vorfahrt für Investitionen wirklich durchgreifend ist. ({9}) Die zweite Fundamentalkritik entzündet sich an den Mitteln. 10 Milliarden DM werden hier pro Jahr gefordert. Wir haben in den Bundeshaushalt 3,7 Milliarden DM allein für den Osten eingestellt. Für die anderen haben Sie kein Finanzierungskonzept geliefert, auch insgesamt in Ihrer Finanzpolitik nicht. Das heißt, es ist nichts anderes als unseriös. So muß es auch behandelt werden. Die Förderprogramme des Bundes werden - weiter können wir sie im Moment nicht festschreiben - in der mittelfristigen Finanzplanung festgeschrieben und aufgestockt. Festgeschrieben ist eine Milliarde DM für den sozialen Wohnungsbau, vorwiegend einzusetzen für die Modernisierung und Sanierung, aber auch für den Neubau und, dies mit einem spezifischen Schwerpunkt, für den Eigenheimbau. Genau für diesen Bereich werden wir den Ansatz im nächsten Haushalt noch einmal aufstocken. Es sind in den ersten beiden Jahren vom Bund insgesamt 1,6 Milliarden DM für 20 %ige Zuschüsse zur Modernisierung eingesetzt worden. Das MW-Programm ist mit einer Summe von 15 Milliarden DM bereits weit überbucht. Deswegen werden wir das MW-Programm im nächsten Haushalt noch einmal deutlich aufstocken, damit all die Anträge, die eingereicht werden, auch tatsächlich bedient werden können, damit zinsgünstige Kredite für die Modernisierung und Instandsetzung zur Verfügung stehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Ministerin, sind Sie bereit, die Zwischenfrage des Abgeordneten Hitschler zu beantworten?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Ja, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Minister, wenn Sie uns hier über die Umsetzung der Förderprogramme in den neuen Ländern berichten, sind Sie bereit, hier auch zu differenzieren und uns zu bestätigen, daß sich die Regierung in dem Land des so hochgelobten Herrn Ministerpräsidenten Stolpe nicht in der Lage sah, alle für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellten Mittel für Zwecke des Wohnungsneubaus, der Instandsetzung und der Modernisierung umzusetzen, sondern diese Gelder teilweise anders verwendet hat? ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Abgeordneter Hitschler, ich bin gerne bereit, Ihnen das zu bestätigen, weil ich mich auf eine Pressekonferenz des brandenburgischen Wohnungsbauministers - SPD - beziehen kann, der selber den Offenbarungseid geleistet und das auch so ausgedrückt hat. Das ist allerdings auch darauf zurückzuführen, daß sich Brandenburg an die sehr komplizierten Förderbestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen angehängt hat, was völlig unzureichend ist, und sich nicht an die Empfehlung der Bundesregierung für die Ausgestaltung von Förderprogrammen hält. Das führt dazu, daß dort die Fördermittel bedauerlicherweise nicht ausgeschöpft werden können. Wir brauchen insgesamt eine Kraftanstrengung für den ganz entscheidenden Schritt der Mietenreform, die am 1. Oktober des letzten Jahres eingeleitet worden ist. Übrigens: Eine sehr deutliche Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert diesen ersten Schritt nicht nur, sondern sagt, daß er notwendig gewesen ist. Niemand freut sich über eine Mietenanhebung. Deswegen ist das, was am 1. Januar auf die Mieter zukommt, sicherlich nicht einfach zu verkraften. Das war auch der Grund, weshalb wir in sehr langen Gesprächen mit den Bauministern der ostdeutschen Bundesländer - auch hier wieder unter Einschluß der sozialdemokratischen Bauminister des Landes Brandenburg und des Landes Berlin - in Magdeburg festgelegt haben, wie dieser Mietenschritt auszusehen hat. Frau Gleicke, die Sozialdemokraten haben dem im Bundestag zugestimmt. Jetzt höre ich, daß sie sich abseilen. ({0}) Ich kann nur sagen, dies ist offensichtlich Flucht vor dem, was notwendig ist. Ich sage Ihnen, so werden Sie die Regierungsfähigkeit nie erlangen. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle zitieren, was der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft zu den jetzt hinausgehenden neuen Mietenbescheiden in einer Presseerklärung von gestern gesagt hat. Der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft stellt also fest, daß, verteilt auf die nächsten acht bis zehn Jahre, mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 500 bis 600 Milliarden DM gerechnet werden kann, wenn die jetzt beschlossenen Mietenanhebungsschritte zeitgerecht umgesetzt werden können. Dies, meine Damen und Herren, ist genau der Betrag, der für den notwendigen Instandsetzungsbedarf ausgerechnet worden ist. Selbstverständlich zahlen ihn nicht die Mieter alleine, sondern die umfangreichen Programme von Bund und Ländern helfen dabei. Daß die Mieter nicht überfordert werden, ist besonders wichtig. Deswegen haben wir noch einmal das Sonderwohngeld Ost verbessert. Frau Schenk, ich wäre sehr daran interessiert, zu wissen, woher Sie denn die Zahlen für Ihre Behauptung haben, daß 50 % der eigentlich Anspruchsberechtigten ihr Wohngeld nicht in Anspruch nehmen. Dies ist uns völlig unbekannt. Im Gegenteil: Alle Befragungen haben ergeben, daß im Osten ein noch höherer Anteil der eigentlich Anspruchsberechtigten, nämlich zwei Drittel, an manchen Orten bis zu 90 %, das Wohngeld tatsächlich beantragt und bekommt und daß das Wohngeld eben nicht als ein Almosen gesehen wird, sondern als das, was es ist, nämlich ein Rechtsanspruch auf eine Sozialleistung, die dringend notwendig ist, damit Wohnen bezahlbar bleibt. ({2}) Ich will übrigens nur am Rande darauf hinweisen, daß bei gleichem Einkommen und bei gleicher Miete ein Rentner Ost doppelt soviel Wohngeld bekommt wie ein Rentner West. Es ist schon mühsam, das dem Rentner West zu erklären. Wir halten das für eine Übergangszeit für akzeptabel. Ich will allerdings nicht verhehlen, daß dies natürlich auch zu Nachfragen Anlaß gibt. Ich möchte aber vor allen Dingen deutlich darauf hinweisen, daß, wer immer verschweigt, daß die Mietenanhebung nicht nur von dem Anspruch auf Wohngeld, sondern von einem noch deutlich verbesserten Wohngeld begleitet wird, Ängste schürt. ({3}) Offensichtich will derjenige die Menschen auf seine Mühlen lenken, wie z. B. der Berliner Mieterbund. Manchmal denke ich, er muß das machen, denn er verschweigt, daß es Wohngeld gibt. ({4}) Er bringt Rechenbeispiele ohne Wohngeld, lanciert sie in die Öffentlichkeit und schürt dadurch natürlich Ängste. Ich vermute, daß er hofft, damit noch mehr Mitglieder zu bekommen. ({5}) Aber ich muß sagen, wenn das die Methode der Auseinandersetzung in der Demokratie werden sollte, dann, finde ich, muß man hier dringend zur Umkehr aufrufen. Diese Mietenanhebungen werden ausschließlich in die Investitionen gehen. Die Grundlage ist dafür in Magdeburg gelegt worden. Die Bundesregierung hat das nie in Zweifel gezogen. Notwendig ist dafür allerdings auch die Lösung der Altschuldenfrage. Hier möchte ich noch einmal deutlich unterstreichen, daß bereits im Frühjahr die Bundesregierung den Ländern Verhandlungen angeboten hat. ({6}) Die Länder haben sich von Anfang an diesen Verhandlungen verweigert. Das Angebot der Bundesregierung ist ein Verhandlungsangebot. Verhandlungsangebote werden von der Bundesregierung nie nach dem Motto gemacht: Vogel, friß oder stirb. Sie sind vielmehr Angebote zum Verhandeln. Nur braucht man einen Partner zum Verhandeln. Die Länder haben sich dem verweigert. Deswegen kann ich nur sagen, die Länder Ost betreiben ein schändliches Spiel auf dem Rücken der Mieter, wenn sie sich diesen Verhandlungen weiter verweigern. ({7}) Deswegen ist es wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Bundesregierung den Finanzminister und mich beauftragt hat, spätestens bis Mitte Dezember ({8}) unsere Vorschläge, unsere Lösung voranzubringen, damit diese Frage noch bis Jahresende geklärt werden kann.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie beantworten gern die Frage des Herrn Abgeordneten Maaß?

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Wenn ich die Zeit dafür noch habe, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. Ich kann sie ohnehin nicht einschränken; aber ich rechne das nicht an.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Ja, danke.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr.

Dieter Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, könnten Sie dem Hause erklären, welche Gründe die Länder gehabt haben, die Verhandlungen zu verweigern, und könnten Sie vielleicht hinzufügen, daß die Länder von Parteien regiert werden, die auch Ihrer Regierungskoalition angehören? ({0})

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Mit dem zweiten habe ich überhaupt keine Probleme. Das macht die Sache nicht schöner und auch nicht besser. Weshalb die Länder die Verhandlungen verweigert haben, liegt, glaube ich, eigentlich auf der Hand. Sie haben gehofft, daß sie dieses Problem politisch bei der Bundesregierung abladen können. ({0}) Das allerdings ist genau der falsche Weg; denn abgeladen wird so etwas immer auf dem Rücken der Mieter. ({1}) Deswegen kann ich nur noch einmal nachdrücklich an die Länder appellieren, sich hier endlich auf den Kurs der Vernunft zu begeben. Meine Damen und Herren, diese Frage muß geregelt werden, sie muß geklärt werden. Sie ist, damit die Investitionen laufen, sicherlich eine ganz große Vorbedingung. Die Wohnungspolitik ist die zentrale Aufgabe dieses Jahrzehnts. Deswegen hat die Bundesregierung hier finanziell entsprechende Prioritäten gesetzt. Richtig ist allerdings auch, daß Wohnungspolitik von ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen beeinflußt wird. Da sich diese Rahmenbedingungen in ihrer Wechselwirkung verändern, hat die Bundesregierung eine Expertenkommission beauftragt, sich damit zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Die Bundesregierung ist gerne bereit, jeden Vorschlag für die Aufnahme weiterer ausgewiesener Experten und Expertinnen im Wohnungswesen zu prüfen. Es ist übrigens nicht zutreffend, daß aus dem Bereich der Mieter niemand in der Expertenkommission ist. Aber wir haben überhaupt keine Verbandsvertreter drin, sondern ausschließlich verbandsunabhängige Experten. Da ist übrigens auch aus dem Bereich der Mieter und aus dem Bereich des Mietrechts ausreichend Sachverstand vertreten. Daß die Politik der Bundesregierung Erfolge zeigt und daß vor allen Dingen, Frau Schenk, die Situation im Westen nicht so düster ist, wie Sie das hier immer malen - sie ist dramatisch -, gibt es genügend Anzeichen. Für 80 % der Bevölkerung im Westen ist die Wohnungssituation besser, als Sie sie je in Ihrem eigenen Leben erlebt haben. Deswegen ist es wichtig, daß mit der Ankurbelung und der Förderung des Neubaus auch für die anderen neuer Wohnraum geschaffen wird. Hier haben wir Erfolge zu verzeichnen. Zuwachsraten in der Fertigstellung von 25 % sind zu verzeichnen: dieses Jahr 380 000 bis 400 000, im nächsten Jahr weit über 400 000 Fertigstellungen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Liebe Frau Ministerin, es tut mir schrecklich leid. Sie reden auf Kosten der nachfolgenden Koalitionsabgeordneten. Ich kann Ihnen das Wort nicht entziehen; aber es ist wirklich etwas peinlich.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Minister:in)

Politiker ID: 11002120

Herr Präsident, dies ist der Ausweis dessen, was die Bundesregierung an Erfolg - mit der Unterstützung der sie tragenden Koalitionsfraktionen - vorzuweisen hat. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Lucyga. ({0}) - Oh, là, là!

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war kein guter Einstand. Frau Peters, Sie haben mit dem etwas unvollkommenen Bauwerk recht. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Insbesondere für Sie, Frau Ministerin: Erfolgsmeldungen gehören sicher zu Ihrem Job, und als gelernte DDR-Bürgerin habe ich auch eine ganz spezifische Erfahrung damit, zwischen den Zeilen das Gras wachsen zu hören. ({0}) Da habe ich eigentlich nichts anderes gehört als das, was wir schon wissen: Es herrscht trotz anderslautender Erklärungen in der Bundesrepublik Deutschland zu einem beträchtlichen Teil Wohnungsnot. Ernstzunehmende Umfragen belegen es, daß für den Durchschnittsbürger der alten Bundesrepublik die Sorge um die Wohnung mittlerweile sehr weit oben auf der Liste seiner Sorgen steht. Diese Sorge wird in Ostdeutschland nur noch von der Sorge um den Arbeitsplatz übertroffen. Ganz grundlegende existentielle Nöte sind es also, die die Bürger bewegen. Aber ich habe manchmal den Eindruck, daß die Bundesregierung dies gar nicht so recht zur Kenntnis nehmen will. Weiter, Frau Ministerin, Herr Kansy und Frau Peters: Zu Ihren Beobachtungen zur Befindlichkeit der Mieter und der Bürger, mit denen Sie gesprochen haben. Ich habe andere Beobachtungen gemacht. Aber das liegt wahrscheinlich auch daran, daß Sie mehr mit den Betuchten sprechen und wir mehr mit den anderen. ({1}) Fakten und Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, was den Wohnungsfehlbestand angeht. Zu Jahresbeginn wurde noch von einem geschätzten Fehlbestand von 2,5 Millionen Wohnungen in ganz Deutschland ausgegangen, davon 1 Million in Ostdeutschland. Inzwischen wird schon von einem Fehlbestand von 2,7 Millionen Wohnungen gesprochen, und zum Jahresende werden 3 Millionen angesagt. Das heißt, man kann förmlich zusehen, wie dieser Fehlbestand wächst. ({2}) Rund 700 000 Menschen sind faktisch obdachlos. Das ist dort besonders erschütternd, wo es sich um Frauen handelt, zu denen fast immer ja auch Kinder gehören. Wo die bisherige Wohnungspolitik so sichtbar das Problem nicht in den Griff bekommen hat, ist radikales Umsteuern angesagt. Aber die Bundesregierung setzt nach wie vor auf Eigentumsbildung und auf Markt, so als ob es einen funktionierenden Wohnungsmarkt überhaupt gäbe und als wäre an seine Stelle nicht längst die Verwaltung von Mangel getreten. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung eine GroBe Anfrage der SPD-Fraktion zur Zukunft des Wohnens in den neuen Ländern beantwortet, das heißt: zu großen Teilen nicht beantwortet. Denn wer diese Ausarbeitungen liest, hat den Eindruck, als würde hier allzu oft um den heißen Brei herumgeredet. Zumindest aber bleiben schon durch die Art der Behandlung von Problemen viele Fragen offen oder werden neue Fragen provoziert. So frage ich mich z. B., wie denn das Wohnungsproblem im Osten gelöst werden soll, wenn erkennbar wird, daß das Problembewußtsein oft gar nicht da ist. Aber vielleicht würde ich auch auf diese Frage eine Variation des nachzulesenden Stereotyps bekommen: „Auch zu diesem Sachverhalt liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor". ({3}) Frau Ministerin, Ihr Bezug auf den Einigungsvertrag: Es ist schon ein Stück Geschichte, aber auf jeden Fall haben Sie zitiert, daß laut Einigungsvertrag auch Neubau und die schrittweise Angleichung dringend angesagt sind. Darüber wollen wir uns im folgenden unterhalten, wie es mit dem dringenden Neubau und mit der schrittweisen Angleichung aussieht. Denn über Fakten wie die Anzahl von Restriktionsfällen im Wohnungsbestand - ein Riesenproblem -, den Anteil nicht mehr bewohnbaren Wohnungsbestandes, die Anzahl der dringlich Wohnungssuchenden - ein ganz schlimmes Kapitel - oder die Anzahl der Obdachlosen können keine Aussagen gemacht werden, und in der Antwort können auch keine konkreten Angaben auf die Frage nach den Fertigungszahlen im Wohnungsbau 1991 bzw. den geschätzten Fertigstellungen für 1992 und 1993 gemacht werden. Dabei genügte z. B. ein Anruf beim Mieterbund Mecklenburg-Vorpommern, um - bezogen auf Mecklenburg-Vorpommern - die Anzahl der Fertigstellungen zu ermitteln: Seit 1991 wurden bisher ganze 750 Wohnungen gebaut. Dem stehen allein in der Stadt Rostock, in der ein Zehntel der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns lebt, 12 000 Wohnungssuchende gegenüber, davon 4 000 mit Dringlichkeitsantrag. In ganz Mecklenburg-Vorpommern sind es 48 000 Wohnungssuchende, davon 15 000 mit Dringlichkeitsstempel. Das alles ist der Bundesregierung laut Drucksache 12/3158 nicht bekannt! Noch im Jahre 1990 - also noch größtenteils zu Zeiten der nicht mehr existierenden DDR - wurden in Mecklenburg-Vorpommern immerhin noch 9 779 Wohnungen fertiggestellt. Die in der Ausarbeitung der Bundesregierung wiederholt und vorbeugend abgegebene Rückversicherung, das Wohnungswesen der neuen Länder habe eine Riesenerblast aufzuarbeiten - was im übrigen auch niemand ernsthaft bestreitet -, ist aber zumindest in diesem Punkt überholt: Daß der öffentlich geförderte Wohnungsbau in den neuen Ländern rapide zurückgegangen und beinahe zum Erliegen gekommen ist, das ist keine Erblast mehr. Das fällt in die Verantwortung der jetzigen Bundesregierung. ({4}) Diese Negativbilanzen können auch durch inflationären Gebrauch von Begriffen wie „Aufschwung Ost" oder - etwas bescheidener - „Aufbau Ost" nicht vernebelt werden. Wenn Bundesregierung und Koalitionsfraktionen diese Lage mit dem notwendigen Ernst zur Kenntnis genommen hätten, dann hätten sie wohl auch unsere Forderung auf Weiterführung des besonderen Kündigungsschutzes der ostdeutschen Mieter für fünf Jahre annehmen müssen. Denn auch nach der nun von der Regierungsmehrheit festgelegten Verlängerung auf drei Jahre ist doch noch längst keine Entwarnung für den Wohnungsmarkt zu erwarten, wie die eben genannten Zahlen wohl deutlich gemacht haben. In dieser Situation eskalierender Wohnungsnot müßten allein in Ostdeutschland jährlich 100 000 Wohnungen gebaut werden - davon 50 000 Sozialwohnungen -, wenn in den nächsten zehn Jahren das Problem der Wohnungsnot überhaupt gelöst werden soll. Tatsächlich aber hinken die Fertigstellungen diesem geschätzten Bedarf schon einmal zu 75 hinterher. Um so mehr - so sollte man annehmen - sollte dann zumindest eine bedarfsgerechte Bestandspflege des Vorhandenen angesagt sein, und zwar dort, wo die Wohnungswirtschaft Ostdeutschlands zuständig ist. Denn um überhaupt eine funktionierende Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland zu erhalten, brauchen gerade die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen doch massive Unterstützung. Um so weniger ist das zermürbende Verwirrspiel um die nach wie vor strittigen Altschulden der Wohnungswirtschaft in den neuen Ländern nachzuvollziehen. Bei diesem Schwarzer-Peter-Spiel tickt auch eine sozialpolitische Zeitbombe, denn die Unentschlossenheit und die Handlungsschwäche der Bundesregierung können die Wohnungsunternehmen und damit auch die Mieter in den neuen Ländern sehr teuer zu stehen kommen. Wenn sich die Regierung hier nicht bald zu einer politischen Lösung des Problems durchringt, ist absehbar, daß von den ohnehin finanziell schon hochbelasteten Mietern demnächst noch zwei bis drei DM pro Quadratmeter lediglich für den Kapitaldienst der Altschulden aufgebracht werden müssen. ({5}) - Ja, bis jetzt sehe ich nur das Schwarze-Peter-Spiel zu Lasten der Länder, und ich kann sehr gut verstehen, daß die Länder die Verhandlungen ernsthaft führen möchten. ({6}) Es ist sozialpolitisch unvertretbar, die Verantwortung zu verschieben. Nur: Bisher ist gar keine sinnvolle Lösung angeboten worden. - Herr Hitschler, Sie möchten etwas fragen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ja, bitte schön, Herr Abgeordneter Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Dr. Lucyga, wie erklären Sie sich es denn eigentlich, daß die Lander die ihnen vom Bund zur Verfügung gestellten Fördermittel für den Neubau von Wohnungen nicht für den Neubau von Wohnungen verwendet haben?

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das kann ich Ihnen sagen. Es gibt ein Investitionshindernis par exczellence für den Neubau: Die Kommunen und die Länder kämpfen um die ihnen zustehenden Immobilien, sie kämpfen gegen das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" ({0}) Wenn ich Ihnen einmal aufzeichnete, was in der Stadt Rostock blockiert ist, dann würde Ihnen schlecht werden. Kommen Sie einmal mit, sehen Sie sich das an! ({1}) Unser Vorschlag, die Altschulden der Wohnungswirtschaft z. B. analog zum sozialen Wohnungsbau in der alten Bundesrepublik mit Niedrigzinssatz zu behandeln, d. h. als öffentliche Fördermittel mit niedriger Verzinsung und Tilgung bei langen Laufzeiten umzustellen, unterscheidet sich nur wenig von den Vorschlägen, wie sie von ostdeutschen Ländern gemacht werden, unter anderem von Ministerpräsident Vogel in Thüringen, der ganz Ähnliches fordert. Solange die Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland sämtlich an ihrer ungeklärten Perspektive kranken - jetzt komme ich noch einmal auf die Investitionshindernisse zu sprechen -, gibt es einen unvertretbaren hohen Investitionsstau - und das in einer Branche, die gewissermaßen im Startloch für Investitionen steht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Schwaetzer zu beantworten? Dr. Christine Lucyga: Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Frau Abgeordnete.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Abgeordnete Lucyga, würden Sie mir zustimmen, daß es richtig ist, daß die Gemeinden Gewerbeland ganz offensichtlich schon in großem Umfang ausgewiesen und erschlossen haben und daß die Probleme im Zusammenhang mit dem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung" auf dem Gebiet offensichtlich klärbar waren, während eine darauf gerichtete Aktivität der Gemeinden beim Wohnungsbauland nicht gegeben ist, und würden Sie mir weiter zustimmen, daß daran - bedauerlicherweise - eine unterschiedliche Prioritätensetzung der Gemeinden abzulesen ist, die wir dringend ändern sollten? Das wollen wir auch tun, indem wir ihnen die Erschließungskosten zahlen.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe die Beobachtung gemacht und mir auch bestätigen lassen, daß bei Gewerbeland sehr häufig nicht restitutionspflichtige Flächen vergeben wurden, während beim Wohnungsbestand sehr viele Rückgabeansprüche zu berücksichtigen sind. ({0}) - Das sind immer Einzelfälle, die wir uns sehr genau ansehen müssen. Ich habe das, was Sie gerade gesagt haben, durch eigenen Augenschein nicht bestätigt bekommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Wenn Sie dazu bereit sind, hat nun der Abgeordnete Hitschler noch einmal das Wort zu einer Zwischenfrage. - Bitte schön.

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Dr. Lucyga, wie erklären Sie sich, wenn Sie Verwaltungshindernisse hier so sehr hervorheben, daß die neuen Länder 600 bei den Landesämtern für offene Vermögensfragen vorliegende Bewerbungen abgelehnt haben?

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Woher haben Sie diese Information?

Dr. Walter Hitschler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000910, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist eine Auskunft, die ich vom Bundesverteidigungsministerium auf eine Frage bekommen habe, die ich an die Bundesregierung gerichtet habe. Laut dieser Auskunft haben sich von den Offizieren, die nach dem Personalstärkegesetz ausscheiden und sich vorzeitig zur Ruhe setzen, 600 bei den Landesämtern für offene Vermögensfragen beworben. Keine einzige Bewerbung ist bisher angenommen worden. Können Sie mir erklären, wieso?

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es steht mir nicht an, die Entscheidung der Personalämter hier ohne nähere Kenntnis zu kritisieren. Möglicherweise liegt es an der fehlenden Eignung der Bewerber. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Fahren Sie nun bitte in Ihrer Rede fort.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich fahre jetzt fort, damit wir noch zu Ende kommen. Ich habe gehört, einige Kollegen hätten schon vorsorglich auf die Fahrpläne geschaut. Ich darf, damit wir den Zusammenhang wieder vor Augen haben, meinen letzten Satz wiederholen: Solange die Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland sämtlich an ihrer ungeklärten Perspektive kranken, gibt es einen unvertretbaren hohen Investitionsstau - und das in einer Branche, die gewissermaßen im Startloch für Investitionen steht. Solange die notwendigen Beleihungsspielräume für die Wohnungsunternehmen blockiert werden - durch Altschulden, durch Restitutionsansprüche auf Grund der politischen Fehlentscheidung „Rückgabe vor Entschädigung" und durch die Schwierigkeiten bei der Übertragung von Wohnungsvermögen und von Grund und Boden, die sämtlich die Kreditwürdigkeit der Wohnungsunternehmen gefährden -, brauchen wir nicht auf Investitionen in die Wohnungswirtschaft zu hoffen. ({0}) Zu den wirklich drängenden Fragen von Mieterschutz und Entwicklung des Wohnungsmarktes, also der Zukunft des Wohnens in den neuen Ländern, ist kaum etwas Konkretes gesagt worden. Wir haben aus der Antwort der Bundesregierung weder erfahren, wie die Wohnungsunternehmen finanziell handlungsfähig werden sollen, noch haben wir erfahren, wie der soziale Wohnungsbau wirksam gefördert werden soll oder wie Mieter vor Verdrängung oder finanzieller Überforderung nachdrücklich geschützt werden sollen. Wer die in den letzten Tagen öffentlich geführten Debatten über die Sparpläne der Koalition verfolgt hat, dem muß sich geradezu die Frage aufdrängen, wie denn die soziale Flankierung des Wohnens künftig aussehen soll, wenn die Ankündigungen des Kabinetts wahr werden, wonach der schmerzhafteste Schnitt bei den sozial Schwächsten, den Sozialhilfeempfängern, gemacht wird. Wir sehen die soziale Flankierung des Wohnens bei den einkommensschwachen Mietern gefährdet, deren Einkommensentwicklung weit hinter der Mietenentwicklung zurückbleibt. Besonders mit Blick auf die neuen Bundesländer möchte ich sagen, daß ich daran zweifele, ob die Einkommensentwicklung dort konkret ins Kalkül gezogen wird. Denn, Herr Kansy, Ihre Einkommensberechnungen gehen immer vom Idealfall aus. Das kenne ich noch aus DDR-Zeiten. Da wurde immer die statistische Durchschnittsfamilie mit zwei Verdienern, zwei Kindern und den entsprechenden Zuschüssen zugrunde gelegt. Aber in Wirklichkeit müssen Sie doch von den vielen Alleinlebenden, von den Vorruheständlern, von den alleinerziehenden Frauen ausgehen, die es schwer genug haben, sich durchzuschlagen. Das ist für mich eine repräsentative Gruppe, an die ich zuerst denken muß, wenn es um Hilfen geht, und die man auch nicht aus dem Blickfeld verlieren darf, damit sie nicht „hinten herunterfällt" Für viele Mieter, die die Ankündigung der Mieterhöhung ab Januar 1993 jetzt erhalten, ist die Schmerzgrenze wirklich erreicht - das um so mehr, als für immer noch ostdeutschen Wohnungsstandard bei gegenwärtig stagnierenden Osteinkünften jetzt fast durchgängig Westmieten bezahlt werden müssen. ({1}) Da bleibt vom sozialen Besitzstand Wohnung nichts mehr übrig. Das wird auch eine zahlenmäßig große Gruppe von Mietern schmerzlich zu spüren bekommen, über die wir wiederholt gesprochen haben. Sie werden ab 1. Januar 1993 bar jeden Kündigungsschutzes dastehen und praktisch auf einem Pulverfaß sitzen, nämlich die Mieter in Zweifamilienhäusern, für die der besondere Kündigungsschutz nach dem Willen der Bundesregierung ab 1. Januar 1993 aufgehoben werden soll.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin, ich darf daran erinnern, daß Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben, auch unter Abrechung der Zwischenfragen. Ich würde Sie also bitten, jetzt wirklich zum Schluß zu kommen.

Dr. Christine Lucyga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001381, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß: In einer Situation erheblichen Wohnungsmangels und spürbarer Existenzunsicherheit in Ostdeutschland wird ohne Not eine Entscheidung getroffen, die an der realen Situation von ungefähr 200 000 Mietern völlig vorbeigeht. Wer in dieser Situation explodierende Mieten bei stagnierenden Einkünften zuläßt ({0}) und dann noch den Mieterschutz aushöhlt, gefährdet ein kostbares Gut: den sozialen Frieden. Der aber ist, wie wir alle wissen, eine Produktivkraft ersten Ranges. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat unser Kollege Rolf Rau das Wort.

Rolf Rau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Lucyga, Sie haben mit den Fragen, die Sie gestellt haben, soeben wieder auf die Tränendrüsen gedrückt. Ich will mit meinem Beitrag einmal versuchen, ein paar Antworten in den Raum zu stellen; vielleicht hilft uns das ein Stückchen weiter. ({0}) Die Altschulden oder auch die Buchwerte im Wohnungsbau in den jungen Bundesländern sind - da sind wir uns einig - ein zentrales Hindernis für Investitionen in der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft und damit ein Hemmnis auf dem Weg zur Baukonjunktur. - Wir kennen uns in Deutschland ja aus; wir wissen ja, was los ist. - Gleichzeitig sinkt die Wohnqualität und für viele Bürger damit auch das Verständnis für eine den Erfordernissen gemäße Mietpreisentwicklung. Einige von Ihnen werden sich daran erinnern, daß bereits am 14. Juni 1991 in diesem Hohen Hause - besser gesagt: im Wasserwerk - von mir das Wort zu dieser Frage genommen wurde. Richtig ist, daß in dieser Zeit eine ganze Reihe von Erkenntnissen hinzugekommen sind. Entscheidend ist jedoch, daß wir bis zum heutigen Tag - dazu bekennen wir uns - noch keine umfassende Lösung haben. Wie soll es nun weitergehen? Meine Einstellung ist, daß wir bei der Frage der Altschulden die unterschiedlichsten Formen sehr differenziert beachten müssen. Die gravierendsten Unterschiede bestehen offensichtlich zwischen den Wohnungsbaugenossenschaften und den privatisierten kommunalen Wohnungsgesellschaften mit den früheren volkseigenen Wohnungen. In den Genossenschaften haben die Mieter zu DDR-Zeiten bereits einen bestimmten Teil mitfinanziert. Herr Seifert ist leider nicht mehr da, ich möchte es aber trotzdem sagen: Die Genossenschaften haben zu DDR-Zeiten schon Kredite der Staatsbank der DDR gezeichnet, die dann gewandelt worden sind. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ergibt sich aus den Baujahrgängen, die eine sehr differenzierte Altkreditbelastung aufweisen. Gehe ich davon aus, daß die Wohnungsgröße im Durchschnitt 60 qm beträgt, so ergibt sich, daß die Altschulden pro Wohnung 12 570 DM ausmachen. Das ist eine Zahl, die nicht erschrecken dürfte. Erschreckend ist vielmehr, daß die Belastungen der Wohnungsbauten beispielsweise aus den Jahren 1985 bis 1989 im Durchschnitt bei 48 000 DM und von 1980 bis 1984 bei 31 000 DM pro Wohnung liegen, während die Belastung für die Jahrgänge davor, zurückgehend bis ins Jahr 1960, zwischen 18 000 und 7 000 DM differiert und für die Jahrgänge vor 1960 entsprechend weiter absinkt. Ausgehend von den obengenannten Schulden ergeben sich einschließlich Zinsfuß von zwei Jahren rund 44 Milliarden DM bei rund 3,5 Millionen Wohnungen. Diese komplizierte Situation verdanken wir der Industriepreisreform der ehemaligen DDR, die - um ihre Kombinate über Wasser zu halten - den Wohnungswert seit dem Jahre 1980 in mehreren Etappen von ursprünglich rund 60 000 Ostmark auf rund 110 000 Ostmark getrieben hat, ohne den Wert der Ware zu verbessern. Das heißt, das Wirtschaftsgut Wohnung hat eine unsolide Ausgangsbasis, da die Qualitäten mit den Preisen nicht übereinstimmen. Dies kann man in letzter Instanz nicht unmittelbar auf den Bürger abwälzen. Indirekt ist jede Entscheidung, die wir treffen, ein Eingriff in die Tasche des Bürgers. Insofern ist es richtig, daß wir in Verantwortung gegenüber dem Bürger in Ost und in West gründlich darüber nachdenken, wie einerseits eine Entlastung der Wohnungswirtschaftsbetriebe und eine Belastung für die Mieter und andererseits eine Belastung für den gesamtdeutschen Steuerzahler ausgewogen dargestellt werden. Ich gehe davon aus, daß das Ergebnis des Treff ens der Bauminister der ostdeutschen Länder in Magdeburg zur Regulierung der Mietpreisbildung auch für die Jahre 1993 und 1994 Gültigkeit haben muß. Eine verpflichtende Entnahme aus Mieterlösen zur Tilgung der Altschulden wäre nicht klug. Diese Mittel müssen vielmehr bis Mitte 1995 für Investitionen eingesetzt werden. Freiwillige Zahlungen jedoch schließe ich nicht aus. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, daß von der Belastung durch die Altschulden auch ein Kreis von Privatpersonen betroffen ist, der zu DDR-Zeiten durch Sanierungsauflagen in Schulden getrieben worden ist, und man nicht übersehen darf, daß diese Reichsmarkschulden noch auf den Objekten lasten. Darüber möchte ich heute aber nicht weiter sprechen. Mit dem Erfurter Papier und bei den Beratungen innerhalb der Fraktion und der Koalition haben wir uns, insbesondere die ostdeutschen Abgeordneten der CDU/CSU, speziell in der Arbeitsgruppe 3 - Aufbauhilfe neue Bundesländer -, mit dem Bundeskanzleramt, dem Bau- und dem Finanzministerium sowie den F.D.P.-Kollegen mit Fragen wohnungspolitischer Entwicklung auseinandergesetzt. Unter uns ist unbestritten, daß die eben genannte Altschuldenlösung im Einvernehmen mit den Ländern rasch erreicht werden muß. Das heißt, bis Ende des Jahres 1992 sind die Entscheidungen durch die Bundesregierung herbeizuführen. Die Probleme, die sich durch die eben aufgezeigten Überspitzungen ergeben, müssen mit Kappungsgrenzen belegt sein. Im Gegensatz zu vorhergehenden Überlegungen halte ich es für besser, daß die Entlastungen auf der Unternehmensbasis und nicht objektbezogen erfolgen. Das heißt, daß man auch innerhalb der Genossenschaften und Gesellschaften die unterschiedlichen Belastungen ausgleichen kann. ({1}) Die Altschuldenentlastung ist aus meiner Sicht auch mit der Privatisierungsbereitschaft in den Unternehmen in Verbindung zu bringen. Es kann bei solchen Entscheidungen nicht nur nach Bonn gesehen werden - das ist eine Erkenntnis, die ich in vielen Beratungen gewonnen habe -; man muß sich vielmehr auf seine eigenen Entscheidungsmöglichkeiten besinnen. ({2}) Die kommunale Entscheidungshilfe beginnt bei der preisgünstigen Abgabe des Bodens für die Wohnungen. Hinzu kommen müssen Lösungen im Hinblick auf Infrastrukturmaßnahmen. Die Privatisierung in Verbindung mit der Sanierung ist ein guter Weg zur Verbesserung des Wohnraumstandards in jeder Stadt oder Gemeinde, und sie ist auch von dort aus zu organisieren. Um die eben genannte Privatisierung fortzuführen, ist es im Rahmen des Solidarpaktes dringend geboten, daß mindestens 150 Millionen DM auch für das Jahr 1993 für die Bürger der jungen Bundesländer bereitgestellt werden. ({3}) Im Rahmen der Förderhilfe ist das KfW-Programm fortzuführen. Die Ministerin sprach schon davon, daß - man muß auch dies wissen - von den 150 Millionen DM im Bereich der Privatisierung nur etwa 18 000 bis 20 000 Wohnungen gefördert werden können. Das heißt, man muß den im Rahmen der Privatisierung begonnenen Trend - es ist auch ein Stück Vertrauen der Bevölkerung in die Entscheidung notwendig - weiter ausbauen, da ansonsten die Möglichkeit der Privatisierung nicht ausreicht. Die Erfahrung lehrt aber, daß es 1991 sehr spärlich losgegangen ist und die bereitgestellten Mittel auch im Jahre 1992 noch nicht abgeflossen sind, weil der Prozeß der Privatisierung auch aus Gründen der Zurückhaltung in den Kommunen sehr schleppend in Gang gekommen ist. Gerade deshalb muß im kommenden Jahr die Kraftanstrengung erhöht werden. ({4}) - Frau Gleicke, ich habe schon letztes Mal gute Beispiele genannt. Um den Wohnungsbau in Schwung zu bekommen, muß nach meiner Ansicht dann, wenn über die Kappungsgrenze entschieden ist, eine Schuldanerkenntnis erfolgen, damit die Hypothekeneintragungen dazu führen, daß die Wohnungen belastbar sind und die Genossenschaft investieren kann. Die Investitionen der Wohnungswirtschaftsunternehmen sind im Bereich der Sanierung dringend erforderlich. Genauso erforderlich aber ist die weitere Fortführung der Modernisierung. Hier muß klar sein, daß sich der Modernisierungszuschlag von 11 % auch mietwirksam umsetzt. Die Aufklärung über die Verantwortung und die Rechte der Mieter - dasselbe hat auf der Vermieterseite zu erfolgen - ist eine wichtige Maßnahme, die unsere gesamte Entscheidungsfindung begleiten muß. Der wirtschaftliche Anschub für das Handwerk, die Baustoffindustrie und den Mittelstand in seiner Gänze wäre das Ergebnis. Ich könnte mir vorstellen, daß z. B. in Wohnungsbaugenossenschaften - dankenswerterweise liegt mir ein Vorschlag aus Sachsen vor - Möglichkeiten gesucht werden, wie Mieter unter Sicherung des Dauerwohnrechtes - dies ist bei der Genossenschaft per Statut geregelt - eine finanzielle Beteiligung bei der Modernisierung und Sanierung vornehmen können. Das heißt: Die Mieter erhöhen ihre Einlagen, und die Genossenschaft kann diese Mittel dann auch zur Tilgung der Altschulden verwenden. Bei diesem Mix von Beteiligung der Genossenschaft und der privatrechtlichen Seite sind wir in der Lage, den Erhalt der Wohnungen beschleunigt zu gewährleisten. Voraussetzung ist allerdings - das möchte ich dem Finanzministerium mitgeben -, daß der Bürger, der bereit ist, eine Baukostenbeteiligung auf sich zu nehmen, genauso behandelt wird wie z. B. ein Bürger, der eine Eigentumswohnung erwirbt oder baut. Hierüber sollte in den nächsten Tagen verhandelt werden, weil es eine Lösungsform ist, die den Bestand der Wohnungsbaugenossenschaften mit 1,4 Millionen Wohnungen begleiten könnte. Letztendlich sollten zögerliche und unbewegliche Wohnungswirtschaftsbetriebe durch den Bund von ihrer Wohnungslast befreit und diese Wohnungen auf den freien Markt gebracht werden, um eine Verrottung dieser Wohnungen zu verhindern. Von einem Kündigungsschutz der Mieter über drei Jahre begleitet, gewährt das den Bürgern eine zusätzliche Sicherheit. Wir alle sind uns darüber im klaren, daß bei der Frage der Privatisierung und der Schuldenentlastung ein konstruktiver Katalog angeboten werden muß, damit die Wohnqualität und letztendlich die Zufriedenheit der Bürger hergestellt wird. Die Möglichkeit der Begleitung von bereitwilligen Investoren könnte dabei eine neue Qualität erfahren. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Die Bundesregierung ist nicht gescheitert, sie ist mit uns auf gutem Wege. Vielen Dank. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Ulrich Janzen das Wort.

Dr. - Ing. Ulrich Janzen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001020, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion, die eine der Grundlagen unserer heutigen Debatte bildet, hat die Überschrift: „Zukunft des Wohnens in den neuen Ländern". Diese Überschrift dürfte eigentlich keine Frage mehr sein - darin stimme ich mit dem Kollegen Rau überein -; es ist vielmehr an der Zeit, daß sie zum Programm der Regierung wird. Das als kleine Vorbemerkung. ({0}) Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche veröffentlichte der „Spiegel" die neuesten Umfrageergebnisse zur politischen Meinungsbildung der Bürger in unserem Land. Unter den vielen Tabellen und Grafiken fand ich eine, deren Aussage mich einigermaßen überrascht hat. Auf die Frage nach der Dringlichkeit der politischen Lösung aktueller Probleme nannten die westdeutschen Bürger die Lösung der Wohnungsfrage schon an fünfter Stelle, nach der Ausländerproblematik, der Frage der Jugend und der Drogen, der Arbeitslosigkeit und den Umweltfragen. Die Ostdeutschen ordneten die Wohnungsfrage erst an vierzehnter Stelle unter insgesamt fünfzehn Fragen ein, nach der Arbeitslosenproblematik an erster Stelle, der wirtschaftlichen Entwicklung, der Ausländerfrage, aber auch nach Themen wie Lebensverhältnisse, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Chancen für die Jugend, Renten und anderem. Das ist schon beachtlich und verleitet zu unterschiedlichen Interpretationen. Zum einen könnte man z. B. rückschließen, das politische Mitdenken bei Tagesproblemen, die die gesamte Gesellschaft berühren, sei im Osten weitaus stärker ausgeprägt als im Westen der Bundesrepublik, wo in erster Linie der eigene Wohlstand und das persönliche Umfeld den Schwerpunkt der Interessen der Bürger darstellen. Aus dem Umfrageergebnis könnte man aber auch ablesen, daß alle bisherigen Behauptungen, die Ostdeutschen lebten in einer bedauernswerten Umgebung, z. B. in den grauen Schachteln von Marzahn, und möchten lieber heute als morgen dort ausbrechen, falsch sind. Verhängnisvoll wäre allerdings die Interpretation, der eingeschätzte dringende Bedarf an Wohnungen im Osten sei in Wirklichkeit gar nicht vorhanden. Vielmehr wären die Wohnverhältnisse im Westen verheerend, weil eben dort die Häuser marode und die Wohnungen zu klein sind, und deshalb müßte der Schwerpunkt bei der Betrachtung schnellstens anders gesetzt werden. Im Gegenteil: Die Wohnungsfrage ist im Osten zu einer politischen Aufgabe allerhöchster Priorität geworden, nicht allein wegen der Mietendiskussion, der Altschuldenfrage und der Fehlentscheidung „Rückgabe vor Entschädigung". Die Wohnungsfrage in den neuen Ländern muß endlich als Grundsatzproblem der Politik anerkannt werden und darf nicht, wie bisher, von Quartal zu Quartal nur von Parolen begleitet werden, die die aufgestauten Tagesfragen lösen sollen. ({1}) Es fehlt nämlich nach wie vor ein durchgreifendes Gesamtkonzept für den Wohnungsbau. Nach meinen bisherigen parlamentarischen Beobachtungen - das sind, glaube ich, auch Ihre, Kollege Kansy - wage ich zu behaupten, daß das Bauministerium sowohl im politischen wie auch im materiellen Bereich im Regierungslager unterbewertet wird. Ich möchte nur einmal daran erinnern, daß es noch nicht allzulange her ist, als man dieses Ministerium überhaupt abschaffen wollte, und daß es noch heute in den meisten Bundesländern keinen Bauminister gibt, sondern diese Aufgabe als kleiner Nebenverdienst von anderen Ressorts mit erledigt wird. Hier erscheint mir für die zu lösenden Aufgaben in den nächsten Jahren ein baldiger Umdenkungsprozeß erforderlich. ({2}) Ich frage mich auch: Warum gibt es eigentlich einen so wichtigen und weitreichenden Bundesverkehrswegeplan und jetzt hoffentlich auch bald ein Schienenwegeausbaugesetz, und weshalb wird in der Wohnungsbau- und Regionalplanung alles mehr oder weniger dem Selbstlauf überlassen und nur von Hoffnungen und Wünschen begleitet, es möge wohl auch ohne ein festes Programm klappen? ({3}) Bei diesem Zustand muß man sich tatsächlich schon über die Noch-Gelassenheit der Bevölkerung in den neuen Ländern wundern. Diesen Zustand gilt es deshalb schnellstens zu verändern. Sicherlich ist es nicht falsch, wenn man hin und wieder einmal über die Landesgrenzen zu den Nachbarn schaut und die dort gemachten Schularbeiten einfach abschreibt oder auswertet. Frau Ministerin Dr. Schwaetzer hat dies in Form einer Analyse der niederländischen Wohnungsbaupolitik getan und die Arbeitsgruppe der SPD des Bauausschusses hat sich Anfang September ebenfalls vor Ort informiert. Ein Ergebnis der Reise ist die Feststellung, daß in den Niederlanden im Wohnungsbereich schneller und billiger gebaut wird als in der Bundesrepublik. Das Billiger-Bauen hat natürlich wie eine Medaille eine Vorder- und eine Rückseite, die beide zu betrachten sind. Einmal ist es die unterschiedliche Qualität, die genauer untersucht werden muß und nicht blindlings übernommen werden darf. Weniger Quadratmeter an Wohnfläche, geringere bauphysikalische Eigenschaften und einfachere technische Ausrüstungen wären zu nennen. Ich warne deshalb vor dem Vorschlag einer einfachen Übernahme dieses Komplexes kostensparender Elemente im Wohnungsbau als pauschaler Tendenzempfehlung für die Zukunft. Für derartig kostendrückende Vorschläge erhielten übrigens Architekten in der DDR den Nationalpreis, wohnten aber selbst nicht in derartigen Wohnungen. Das haben wir noch gut in Erinnerung. ({4}) Weit schlimmer aber wäre bei einer geplanten nachlassenden Qualität im Wohnungsbau für die neuen Länder die damit zunehmende Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in beiden Teilen Deutschlands, und das stehen wir politisch nicht durch. Von unserem Besuch in den Niederlanden konnten wir jedoch andere berücksichtigenswerte Erkenntnisse mitbringen. Die dortigen Baumethoden haben uns teilweise beeindruckt, weil sie rationell und in häufiger Wiederholung besonders zeitsparend und damit billiger sind. Auch die Planungskosten liegen unter denen, die wir hier kennen, weil eben auch die Projekte mehrfach verwendet werden, vor allem aber, weil die Bürokratie nicht so ausgeprägt ist wie bei uns. ({5}) Ein Blick in eine andere Richtung war mir vergönnt, als ich kürzlich am 41. Kongreß des Internationalen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in Israel teilnehmen konnte. In Israel ist zu sehen, mit welcher Kraft in kürzester Zeit Städte- und Wohnungsbau als komplexe Planung von der Regierung begriffen und gefördert wurden. Man erkennt das Programm, man spürt die gewollte Urbanität und auch das Bemühen um wirtschaftliche und humane Lösungen. Dazu an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung. Israel hat ca. 4,5 Millionen Einwohner, und es hat in den letzten zwei Jahren 400 000 Zuwanderer aufgenommen. Der Eindruck, den ich dabei mitgenommen habe, ist: Es sind die gleichen Probleme wie bei uns, aber es gibt gewollte programmatische Lösungen. Eine weitere wichtige Erkenntnis auf dem Kongreß war die von der allgemeinen Abkehr von der Desurbanisierung und der Rückkehr zur zentralisierten Raumgesellschaft. Es geht dann nicht mehr um Einfamilienhausparzellen, sondern um Geschoßbauten im städtischen Raum. Ich schlußfolgere für uns, daß sich diejenigen, die trotzdem immer noch ein Eigenheim möchten, dieses bauen sollen, wenn sie es sich leisten können. Auf Staatskosten, mit Fördermitteln aus den Steuergeldern derjenigen, die das nicht können, ist so das dringend notwendige Wohnungsbauprogramm nicht machbar, zumal zur gleichen Zeit das Geld für die Lösung des Obdachlosenproblems fehlt. Die Ursachen der Obdachlosigkeit sind übrigens vielschichtig. Das heißt jedoch nicht, daß sie nicht beherrschbar sind. Leider mehren sich die Anzeichen dafür, daß sich nun auch im Osten Deutschlands neben den Drogen und der Immunschwächekrankheit AIDS die dritte Seuche des ausgehenden Jahrhunderts, nämlich die Obdachlosigkeit, auszubreiten beginnt. Ich frage die Regierung, und zwar nicht nur im Blick auf die neuen Länder: Wo sind das Programm und das Konzept gegen diese politisch so gefährliche Seuche? Trennen wir uns doch bitte endlich von dem Glauben, daß alles das, was bisher in den alten Bundesländern richtig war, auch für die Lösung der neuen, um ein Vielfaches komplizierteren Aufgaben der Zukunft ausreicht. Wir müssen alle umdenken, nicht nur in Ostdeutschland. - Frau Peters, dieser Satz ist besonders eine Antwort auf Ihre optimistiche Berichterstattung. So ist z. B. das komplexe urbane Bauen zur Lösung der Wohnungsfragen, um die wir uns hier heute bemühen, nicht nur die Aufgabe der Planer am Reißbrett, es ist auch nicht nur eine Aufgabe der Regionalplanung mit privaten Initiativen, sondern es ist in erster Linie eine Aufgabe weitsichtiger Planung in der Politik, dies aber nicht in Form einer Wunderkiste mit Fördermitteln, sondern als Programm mit konkreten Bestimmungen. Seit November 1989 ist in Deutschland alles anders, aber vor allem alles schneller geworden. Wenn es uns nicht bald gelingt, noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen, werden dies eventuell andere tun und den Führerstand besetzen. Ich prophezeie Ihnen, daß der Zug, in dem wir alle sitzen, dann entgleisen wird. ({6})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Norbert Otto das Wort.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wohnungen sind für die Menschen ein wichtiges, ja ein lebensnotwendiges Sozialgut. ({0}) Wohnungen können auch nicht schlechthin wie Kühlschränke, Autos oder Fernsehapparate auf dem Markt gehandelt werden. ({1}) - Warten Sie! Ich komme schon noch dazu. - Auch der sozial Schwächere, der sich also kein Haus bauen kann, der sich keine Eigentumswohnung kaufen kann und der keine hohen Mieten bezahlen kann, muß ein Recht auf das sogenannte Dach über dem Kopf haben. ({2}) Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat der Staat Sorge zu tragen. Der Staat hat Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sich ein sozial verträglicher Wohnungsmarkt entwickeln kann. Ich bitte Sie aber, das nicht zu verwechseln mit sozialistischer Planwirtschaft, mit sozialistischer Wohnungswirtschaft, wie wir sie 40 Jahre erlebt haben. ({3}) So gesehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich, aus der Landeshauptstadt Thüringens kommend, viel Sympathie für den Entschließungsantrag der SPD. Ich kann hier eine ganze Reihe von Positionen feststellen, die mit meiner persönlichen Meinung übereinstimmen. ({4}) Nun, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wird in der Politik das eigentliche Problem oft durch politische Polemik übertüncht und verfälscht. ({5}) Bei dem heute vorgelegten Entschließungsantrag ist das auch so. Wie anders kann man sonst die Aussage in Punkt 1 dieses SPD-Antrags werten, die ich zitiere: Die Politik der Bundesregierung ist auch bei der Gestaltung dieses für die Menschen lebensnotwendigen und für die wirtschaftliche Entwicklung zentralen Bereichs - das ist bezogen auf die Wohnungspolitik - gescheitert. ({6}) Bis heute ist in den ostdeutschen Bundesländern kein Wohnungsproblem gelöst. Ich werde in meinen weiteren Ausführungen mit einigen Zahlen die Aussage belegen, daß das so nicht stimmt. Deswegen kann ich diesem Entschließungsantrag trotz des eigentlich positiven Ansatzes nicht zustimmen. Ich kann mich da nur wundern. Offensichtlich sind unsere SPD-Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern mit Scheuklappen in ihren Wahlkreisen, in ihren Ländern umhergegangen. ({7}) Liebe Freunde aus der SPD, speziell aus den neuen Bundesländern, Sie müßten es doch am besten wissen, welchen katastrophalen Wohnungsbestand, welches Heer von Wohnungssuchenden wir in die deutsche Einheit eingebracht haben. ({8}) Über 50 % des ostdeutschen Wohnungsbestandes sind mit erheblichen Mängeln behaftet bzw. nicht Norbert Otto ({9}) mehr bewohnbar. Wir Ostdeutschen hatten 10 Quadratmeter weniger Wohnraum pro Kopf. In meiner Heimatstadt waren 1990 über 10 000 Wohnungssuchende registriert. Das läßt sich doch nicht alles übers Knie brechen, das läßt sich doch nicht alles in zwei Jahren lösen. Wir haben verfallene Innenstädte und sterile Neubaukomplexe in die deutsche Einheit eingebracht. ({10}) - Aber wahrscheinlich nicht solche. Kommen Sie einmal nach Erfurt; ich zeige Ihnen einmal die 40 000 Wohnungen, die auf der grünen Wiese ohne Gaststätte, ohne soziale Einrichtungen gebaut worden sind. ({11}) Das möchte ich hier einmal sehen; in der Größe habe ich das hier noch nicht gesehen. ({12}) - Die führende Rolle der SED war auch in der Stadtverordnetenversammlung klar, und die haben Sie ganz eindeutig wahrgenommen. ({13}) - Lesen Sie einmal die Dokumente. Das wurde alles unter Führung der „Partei der Arbeiterklasse" gemacht, und es wurde nichts anderes geduldet. Wer diese Auswirkung 40jähriger sozialistischer Wohnungsbaupolitik noch nicht kennt, sollte sich z. B. einmal in Erfurt umsehen. Die Besucher dieser Stadt erkennen aber auch - hier weise ich auf die Entwicklung hin -, wie sich Erfurt im Aufbruch befindet. Wie in vielen Städten und Gemeinden in den neuen Bundesländern werden aus Mitteln der Städtebauförderung und des Denkmalschutzes zerfallene, unbewohnte und historisch wertvolle Häuser wieder instand gesetzt, und so wird neuer Wohnraum geschaffen. ({14}) Schauen Sie sich das in Erfurt an. Besucher aus allen Parteien - ob sie uns wohlgesonnen sind oder nicht - gucken neidisch auf diese Stadt, sehen den Aufbruch in dieser Stadt und bestätigen uns: Hier ist der Aufbauwille der Bevölkerung spürbar zu sehen. ({15}) 2,3 Milliarden DM wurden in den letzten zwei Jahren für die Städtebauförderung in den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt. In großem Umfang werden Wohnscheiben und Hochhäuser der Plattenbauweise modernisiert. Gucken Sie sich auch das in Erfurt an. ({16}) Ich habe das am eigenen Leib verspürt. Ich wohne in so einer Wohnscheibe, wo gerade modernisiert wird. Ich nehme aber die Umstände gerne in Kauf, weil ich dann hinterher eine ordentliche und gut bewohnbare Wohnung habe. ({17}) Die Aufholjagd zur Schaffung gleicher Wohnverhältnisse zwischen Ost und West wird sicherlich noch viele Jahre andauern. Wir sollten bei der Beschäftigung mit unseren ostdeutschen Problemen nicht vergessen, daß es erhebliche Wohnungsprobleme auch in den alten Bundesländern gibt, die u. a. durch den ungezügelten Zuzug ausländischer Bürger entstanden sind. ({18}) Bei allem Verständnis für die objektiven Probleme, die sich in den jungen Bundesländern aus 40jähriger verfehlter Wohnungspolitik ergeben haben, gibt es aber auch eine Reihe subjektiver Mängel und Fehler, die sich auf die Entwicklung der Wohnungswirtschaft hinderlich auswirken.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Otto, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Janzen?

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eigentlich nicht; ich möchte die Zeit nicht ausdehnen. Viele Kollegen wollen nach Hause fahren. Wir verlängern dadurch nur die Plenarsitzung. Bei allem Verständnis für die objektiven Probleme möchte ich auf die subjektiven Mängel hinweisen: So muß z. B. endlich Klarheit über die Altschuldenproblematik geschaffen werden. In den neuen Bundesländern stehen viele Wohnungsbauunternehmen in den Startlöchern und wollen investieren. Aber die Unsicherheit, was mit den Altschulden wird, führt dazu, daß die Modernisierung und Neuschaffung von Wohnraum verzögert werden. Die finanziell vertretbare Übertragung des kommunalen und landeseigenen Grund und Bodens an die Wohnungsbaugenossenschaften muß endlich vollzogen werden. Hier danke ich unserer Bundesbauministerin, Frau Schwaetzer, für die Aussage auf der GDW-Tagung in Erfurt. Sie hat dort zum wiederholten Male gesagt, daß dieses Vermögen zu einem symbolischen Preis von 1 DM zu übertragen sei. Nur, die Landesregierungen und die Kommunen brauchen wahrscheinlich einmal einen ordentlichen Anstoß, damit das auch vollzogen wird. Viele Neubaugebiete wurden ungeachtet der Eigentumsverhältnisse auf der grünen Wiese an unseren Stadträndern gebaut. Vielfach fordern jetzt die Alteigentümer ihren Grund und Boden, auf dem Hochhäuser, auf dem Wohnscheiben stehen, zurück. Das funktioniert nicht. Aber sie wollen Entschädigun10076 Norbert Otto ({0}) gen haben. Das seit langem in der Diskussion befindliche Entschädigungsgesetz muß auf den Tisch. Hier muß auch Klarheit geschaffen werden. Die Klärung der Eigentumsverhältnisse geht weiterhin schleppend voran. In meiner Stadt liegen über 10 000 ungeklärte Restitutionsanträge beim Magistrat vor. ({1}) Die Folge davon - da können wir diskutieren, wie wir wollen - sind leerstehende Wohnungen, sind leerstehende Häuser. ({2}) Solange die Eigentumsverhältnisse nicht absolut klar sind - da können wir ein Investitionsvorfahrtsgesetz und alles mögliche machen -, wird dort nicht oder nur in Ausnahmefällen investiert. ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf ein anderes Problem hinweisen. Viele Bürger und Bürgerinnen aus den jungen Bundesländern hatten sich in den vergangenen Jahren eine Fluchtstätte aus der tristen DDR-Wohnlandschaft geschaffen. An den Stadträndern entstanden in erheblichem Umfang Sommerhaussiedlungen, die sogenannten Datschen. Diese Datschen sind nicht mit den Schrebergärtnerhäuschen in der alten Bundesrepublik zu vergleichen. In den Datschen wohnten Menschen den ganzen Sommer über, oft das ganze Jahr, nahmen einige Unbequemlichkeiten in Kauf, aber hatten ein kleines eigenes Häuschen. Sie sind damit der bedrückenden Betonsiloatmosphäre unserer Neubaugebiete entflohen. Viele Bürger haben sich diese Datschen zu vollwertigen Wohnungen ausgebaut. Sie wären auch bereit, unter Aufgabe ihrer Stadtwohnungen in diese Häuser umzuziehen. Diese Absicht wird aber durch die übernommenen bundesdeutschen Gesetze verhindert. Durch eine entsprechende Neuregelung könnten aus meiner Sicht in erheblichem Maße Wohnungen frei werden sowie Familien in ihren kleinen Häuschen ein zufriedenes Wohnen gesichert werden. Alle meine dahin gehenden Bemühungen scheiterten bislang am Bauordnungsrecht, am Baugesetzbuch, an der Bundeskleingartenordnung und weiteren diversen Vorschriften. Ich möchte hier das zuständige Bundesministerium bitten, ausnahmsweise, sehr schnell und unkompliziert eine bürgerfreundliche Sonderregelung auf den Beschlußweg zu bringen, ({4}) um sowohl die Sicherheit für die Weiternutzung der Sommerhäuser als auch eine mögliche unkomplizierte Umnutzung dieser Häuser zu gewährleisten. ({5}) Im Moment sieht es so aus, daß nach der Bundeskleingartenordnung, die am 1. Januar 1993 in Kraft tritt, diese Häuschen nicht mehr bewohnt werden dürfen. Das würde bei unseren Datschenbesitzern, bei unseren Kleingärtnern einen Aufstand nach sich ziehen. Ich möchte rechtzeitig darauf hinweisen; das habe ich auch schriftlich wiederholt bei den entsprechenden Ministerien getan. In den vergangenen zwei Jahren seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit sind im Vergleich zu der Situation von 1989 sichtbare Fortschritte im Wohnungs- und Städtebau in den neuen Bundesländern erreicht worden. Erhebliche Fördermittel wurden zur Verfügung gestellt, Maßnahmen zur Neuordnung des Mietrechtes und zur Herstellung treffsicherer Fördermaßnahmen sind eingeleitet.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Otto, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der letzte Satz.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wunderbar.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zielrichtung für einen sozialverträglichen und finanzierbaren Wohnungsbau sind abgesteckt. Lassen Sie uns in Gemeinsamkeit und ohne Parteipolemik dieses Ziel angehen! Vielen Dank. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht mehr vor. Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 12/3620. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Instrumentenbericht der Bundesregierung auf den Drucksachen 12/1277 ({0}) und 12/2795 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen nun zu den Überweisungen. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/3473, 12/3474 und 12/3565 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sie sind alle damit einverstanden? - Dann sind diese Überweisungen einstimmig so beschlossen. Ich rufe nun Punkt 15 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates zu dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . Transparenz über Reisen des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen - Drucksachen 12/612 ({1}), 12/2665 Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Rede vereinbart worden. Ich sehe dazu auch Vizepräsidentin Renate Schmidt diesmal wieder keinen Widerspruch. - Darm ist das so beschlossen. In eröffne die Aussprache und erteile als erster der Kollegin Ingrid Köppe das Wort.

Ingrid Köppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001159, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eineinhalb Jahre sind seit der Einbringung unseres Antrages vergangen, die Geheimhaltung um Reisen von Bundestagsabgeordneten aufzuheben. Das Beratungsverfahren verzögerte sich trotz kontinuierlichen Drängens. Die Hoffnung, nach eineinhalb Jahren ernsthafter Beratung müsse doch etwas Gewichtiges geschaffen werden, ist irrig; das Gegenteil ist der Fall. Aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Während der Beratungsdauer von eineinhalb Jahren reiste der Bundestag in alle Welt, von Macao bis Ulan Bator, von Nepal bis Feuerland. Die Medien haben immer wieder breit darüber berichtet. Den Tenor kennen wir alle: „Unsere Vielflieger in Bonn", „Reisebüro Bundestag", „Die Lustreisen", „Geheimniskrämerei" , „Bonner Reisen immer teurer, aber geheim" usw. Ich könnte das noch beliebig fortsetzen. Woher kommt dieser Ruch des Geheimnisvollen, der Selbstbedienung auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen? Woher kommt der Vorwurf, Politiker unternähmen teure Lustreisen und handelten angesichts allgemeiner Sparappelle insofern doppelzüngig? Wer glaubt, daß die Medien einfach die öffentliche Politikverdrossenheit zu bedienen versuchen oder gern Politiker demontieren, stellt sich dem Problem meiner Auffassung nach nicht vollständig. Wir müssen bereit sein zu erkennen, daß diese Art der Berichterstattung nur verfangen kann, weil der Bundestag aus diesem Thema tatsächlich ein großes Geheimnis macht. Der Bundestag hat sich bisher nicht der Notwendigkeit gestellt, über die Reisetätigkeit offen zu informieren und so eine Bewertung zu ermöglichen; nicht nur erstmals durch die Abgeordneten selbst, sondern auch durch die Bürger und Bürgerinnen, die all dies 1993 mit wohl etwa 21 Millionen DM finanzieren. So erst entsteht nämlich die Lage, daß im Grunde kein Abgeordneter in seinem Wahlkreis sagen kann: Das Gremium A ist mit B Abgeordneten soundso lange in Land C gereist, um bei Gesamtkosten von soundsoviel Mark Erkenntnisse für das parlamentarische Vorhaben Y zu gewinnen, was ich aus folgenden Gründen für angemessen halte. Heute erhalten ja noch nicht einmal die federführenden Haushälter intern die verlangten Informationen, um die Reisekostenansätze prüfen zu können. Auch künftig soll offenbar alles beim alten bleiben, wenn man der Beschlußempfehlung folgen würde. Hiernach sollen lediglich die allen Abgeordneten bekannten Haushaltsansätze für Reisekosten aller Art in zwei gesonderten Mitteilungen zusammen mit der Gesamtzahl aller Reisen und einer Aufzählung der Zielländer wiederholt werden. Danach müssen die Spekulationen gegenüber den Volksvertretern erst recht ins Blaue schießen nach dem Motto: Welcher Ausschuß war denn das mit der Bangkok-Reise? Was mag das gekostet haben? Was mögen die da gewollt haben, und was hat es ihnen gebracht? Ich fordere, hier mehr Offenheit walten zu lassen, die Angaben weiter zu differenzieren und eine konkrete Zuordnung der Informationen vorzunehmen. Ein Beispiel: Fast jeder wird einsehen, wenn sich z. B. der Innen- oder der Finanzausschuß bei Bedarf und möglichst zur Kostenersparnis etwa in Nassau über die Geldwäscheprobleme informieren läßt, weil sie im Bundestag gerade ein entsprechendes Gesetz beraten. Ohne diese Zusatzinformationen würde das Reiseziel Bahamas jedoch sicher einiges Stirnrunzeln hervorrufen. Damit sei die Zielrichtung unserer Einwände nur beispielhaft angedeutet. Aus diesem Grunde halte ich die Beschlußempfehlung für inakzeptabel und bitte Sie, unserem Änderungsantrag zu folgen. Noch eine abschließende Bemerkung zu der Ausschußempfehlung, deren Text vollen Umfangs auf die Vorlage des Präsidiums zurückgeht. Wenn es dort heißt, allen Abgeordneten seien schließlich die Berichte über Delegationsreisen schon heute zugänglich, so muß ich dies inzwischen als glatten Hohn empfinden. Ich wollte daraufhin die Probe aufs Exempel machen und habe sowohl beim Präsidium als auch bei den Aussschüssen die aus dieser Wahlperiode vorliegenden Berichte angefordert. Ebenso wie einige Ausschüsse lehnte die Präsidentin glatt ab. Ihre haarsträubende Begründung lautete, ich hätte die Passage wohl mißverstanden; lediglich im Einzelfall und bei berechtigtem Interesse könnten bestimmte Reiseberichte überlassen werden. Wenn dies anders gehandhabt würde, liefe dies der geplanten Neuregelung, also der heute zur Abstimmung stehenden Regelung, zuwider. Dieser Vorgang zeigt besser als alles andere, was hier im argen liegt und warum die von uns vorgeschlagene Verfahrensweise notwendig ist. Ich danke Ihnen. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächste hat die Kollegin Brigitte Baumeister das Wort.

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Frau Köppe, Sie sind sich mit mir darin einig, daß Reisen ausdrücklich auch zu den Aufgaben von Politikern als Mitglied des Deutschen Bundestages gehören. Ich begrüße es ausdrücklich, daß die Annahme der Beschlußempfehlung im Präsidium einstimmig erfolgt ist. Sie hat nämlich zum Ziel, Auskunft über die Anzahl der Reisen, über die Zielländer und über die Gesamtkosten zu geben. Leider wird das Thema von anderer Seite - hier möchte ich Sie ausdrücklich erwähnen hochgeredet. Politikverdrossenheit wird damit ins Spiel gebracht. Es wird auch ausdrücklich suggeriert, daß es sich um Urlaubsreisen handele. Dies, sehr verehrte Frau Köppe, haben Sie mit Ihrem Beitrag eigentlich nur unterstützt. Dagegen wird in der Industrie jede Reise eines Kaufmanns, eines Verantwortlichen als vernünftige und auch zweckmäßige Diensthandlung akzeptiert. Auch hier - ich komme aus der Industrie - ist es unüblich, über die Zahl der Personen, über die Dauer der Dienstreise und gar über die Inhalte Bericht in der eigenen Firma zu erstatten. Kongresse und Konferenzen erfordern nun einmal die persönliche Anwesenheit der Teilnehmer. Ebenso wie im Wirtschaftsleben sehr kostenbewußt mit diesen Reisen umgegangen wird, wird auch - das ist eine Tatsache - mit unseren Mitteln verantwortungsbewußt und zweckentsprechend umgegangen. Dieser Maßstab ist von den übrigen Parteien im Deutschen Bundestag noch nie in Frage gestellt worden. In dem Maße, in dem die weltweite Verständigung, die Komplexität zugenommen hat, in dem auch die politische Vernetzung zugenommen hat, muß die Chance einer globalen Verständigung auch von der Politik wahrgenommen werden. Damit hat jeder Politiker, insbesondere der Bundespolitiker die Pflicht, internationale Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Wir leben auf einem immer stärker verflochtenen Globus. Persönliche Kenntnisse über die Belange der Menschen sind unverzichtbare Voraussetzung für einen intensiven Austausch. Diese Tatsache gilt insbesondere für unsere Politik. Einerseits müssen wir bei anderen Verständnis für unser Land wecken und pflegen. Wir müssen andererseits, wenn wir reisen, auch Verständnis für die Belange der Menschen in den jeweiligen Ländern aufbringen, und wir müssen die Eindrücke revidieren, die möglicherweise durch die Presse gegangen sind. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Ich selbst war in diesem Jahr in Japan, weil ich als Mitglied des Forschungsausschusses des Deutschen Bundestages ein starkes Interesse für die Informations- und Kommunikationstechnik habe und weil ich vor Ort kennenlernen wollte, wie das Zusammenspiel zwischen Politik einerseits, Hochschule und Industrie andererseits letztendlich funktioniert. Frau Köppe, wenn wir dieses Wissen nicht vor Ort erlangen können, wenn wir dies nicht auch durch Gespräche in Erfahrung bringen können, dann, glaube ich, hätten wir unser Ziel im Deutschen Bundestag vefehlt. Daher gilt auch für mich: Die Bundespolitik darf nicht an der Grenze unseres Landes aufhören.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Köppe?

Brigitte Baumeister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000112, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, bei einer Redezeit von fünf Minuten ist das unnötig. Ich möchte gerne fortfahren. Im Zuge der europäischen Einigung, der multinationalen Beziehungen und der weltweiten Friedenssicherung sind Kontakte zu anderen Ländern unabdingbar. Wir erkennen, daß es Problembereiche gibt - ich darf Ihnen nur einige nennen, nämlich den Umweltbereich, den Bereich der Konfliktbekämpfung und den Bereich der Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen -, die einfach eines intensiven Kontakts bedürfen. Nur im direkten Gespräch läßt sich in der Regel wirkungsvoll - das ist, glaube ich, ein gemeinsames Anliegen - über Demokratisierung und Einhaltung der Menschenrechte reden. ({0}) - Ich habe Ihnen das vorhin deutlich gemacht. Ich komme darauf noch zu sprechen. Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, Informationen über die Arbeit der Parlamentarier zu erhalten. Die Bürger sind berechtigt, über Reisen der Bundestagsabgeordneten etwas zu erfahren. Genau dem trägt, wie wir glauben, die Beschlußempfehlung zu dem Antrag Rechnung. Andererseits gibt es Gespräche mit ausländischen Partnern, die mit einer gewissen Sensibilität und unter Vertraulichkeit geführt werden müssen. Sonst würde das Ergebnis, das wir gemeinsam erzielen wollen, mit Sicherheit gefährdet werden. Das ist der Punkt, auf den wir abheben sollten. Auslandsreisen, sehr verehrte Frau Köppe, lassen sich mitnichten in eine Kosten-Nutzen-Analyse pressen. Denn wie wollen Sie den Nutzen, den Vorteil einer solchen Reise in einer Kosten-Nutzen-Analyse ausdrücken? Uns allen ist bekannt, daß für die Genehmigung einer Reise strenge Kriterien gelten. Reisen werden nur genehmigt, wenn sie im ausschließlichen Interesse des deutschen Parlamentes durchgeführt werden. Sie wissen auch, daß es eine sogenannte Berichtspflicht gibt. Außerdem - das möchte ich betonen - stehen die damit verbundenen Kosten - wie im übrigen alle Ausgaben des Parlamentshaushaltes - der Prüfung durch den Bundesrechnungshof offen. Ich meine, der Antrag in der vorliegenden Form wird dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit in hinreichendem Maße gerecht. Gleichzeitig trägt er dem Anliegen nach sensibler Behandlung von Daten Rechnung. Ich bin froh, daß durch den Antrag und die Beschlußempfehlung ein entscheidender Schritt zur Versachlichung der Diskussion um dieses Thema erreicht worden ist. Ich bitte deshalb um Zustimmung zur Beschlußempfehlung zu diesem Antrag. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich möchte der guten Ordnung halber darauf hinweisen, daß das rote Lämpchen auf dem Rednerpult dasselbe bedeutet wie immer: Die Redezeit ist abgelaufen. Das sage ich allen, weil es offensichtlich etwas matt leuchtet und nicht zur Kenntnis genommen wird. Sie ersparen mir, jedesmal wieder einzugreifen. Nun hat der Kollege Dr. Peter Struck das Wort, der von seinem Platz aus spricht.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Köppe, Sie haben zur Begründung Ihres Antrags eine, wie ich finde, sehr populistische und auf dumpfe Vorurteile der Bevölkerung über die Reisen von Bundestagsabgeordneten oder Mandatsträgern orientierte Rede gehalten. Ich bedauere das. Ich kann für meine Fraktion erklären, daß die Beschlußempfehlung des Ältestenrates genau dem entspricht, was wir für richtig halten. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu dieser Beschlußempfehlung.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Damit hat der Kollege Struck alle überzogene Zeit wieder hereingeholt. Jetzt spricht der Kollege Manfred Richter.

Manfred Richter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001835, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die F.D.P.-Fraktion bitte ich um Zustimmung zur Beschlußempfehlung des Ältestenrats, mehr Transparenz bei Reisen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages gegenüber den Steuerzahlern und Steuerzahlerinnen sicherzustellen. Dem Anliegen des Antragstellers wird damit weitgehend Rechnung getragen. Ich glaube nämlich - auch wenn mir nach dem Beitrag von Frau Köppe erhebliche Zweifel gekommen sind -, daß es den Antragstellern insgesamt nicht darum gegangen ist, die Notwendigkeit von Dienstreisen grundsätzlich in Frage zu stellen. Ich sehe auch keine Veranlassung, uns wegen unserer Reisen zu rechtfertigen. Offenheit für unsere Arbeit darf nicht als Rechtfertigung oder gar Entschuldigung mißverstanden werden. Wer sich entschuldigt, klagt sich an. Für eine Anklage besteht gewiß keine Veranlassung. Reisen ist Bestandteil unserer Arbeit. In einer Welt, in der das Netz der internationalen Verflechtungen immer dichter wird, läßt sich Politik nun einmal nicht ausschließlich vom Schreibtisch aus machen. Als Parlamentarier brauchen wir den Erfahrungs- und Informationsaustausch aus erster Hand. Einseitige Information ist in den seltensten Fällen objektiv. Informationsvielfalt ist Bestandteil einer pluralistischen Gesellschaft. Politik ist ein kontinuierlicher Prozeß der Meinungsbildung. Persönliche Gespräche sind gerade im Ausland ein wichtiges Element der Vertrauensbildung. Wir wollen nicht nur uns informieren, sondern wir müssen unsererseits auch informieren, gerade bei der aktuellen innenpolitischen Situation der Bundesrepublik Deutschland. Es kann also nicht nur um die parlamentarische Umsetzung der Reiseerkenntnisse gehen, wie das im ursprünglichen Antrag formuliert war. Deshalb dürfen Ausschußdelegationsreisen nicht ausschließlich im Zusammenhang mit aktuellen politischen Themen gesehen werden, mit denen sich der entsprechende Ausschuß gerade beschäftigt. Aber auch das ist notwendig, um den Informationsvorsprung der Exekutive annähernd auszugleichen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden meistens in Ausschußberichten festgehalten und finden dann auch in der Gesetzgebung ihren Niederschlag. Informationen sind aber keineswegs eine Einbahnstraße. Der Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist Wählerauftrag und führt zwangsläufig zu Auslandsdienstreisen. Darüber läßt sich nicht streiten. Außerdem ist das seit zehn Jahren bis auf zwei Fälle gar nicht mehr Gegenstand von parlamentarischen Initiativen gewesen. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages hat bei der Genehmigung von Dienstreisen offensichtlich strenge Maßstäbe angelegt. Ich bin ziemlich sicher, daß auch im Jahre 1993 Dienstreiseanträge entsprechend kritisch gewürdigt werden. Die Haushaltsansätze für Dienstreisen sind jedermann zugänglich. Das ist schon ein Beitrag zur Transparenz. Der nunmehr zu erstellende Bericht wird ein Weiteres tun, etwaige Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Reisetätigkeit von Abgeordneten zu zerstreuen. Vielleicht ist das auch eine Anregung für die Bundesregierung und für die Landesregierungen, Auslandsreisen ihrer Beamten ähnlichen Regelungen zu unterziehen. Von Lustreisen - das wird sich durch den Bericht bestätigen - kann nicht die Rede sein. Die Teilnahme z. B. an Sitzungen des Europarates, der Interparlamentarischen Union, der NATO, der Westeuropäischen Union oder der Parlamentarischen Versammlung der KSZE - um nur einige zu nennen - ist selten vergnügungsteuerpflichtig. Sie dient der Interessenvertretung der Bürger unseres Landes. Vielen Dank. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Ingrid Köppe auf Drucksache 12/3632. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ältestenrates? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist damit bei einer Stimmenthaltung und einer Gegenstimme angenommen. Ich rufe Punkt 16 sowie Zusatzpunkt 7 der Tagesordnung auf: 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Glotz, Günter Verheugen, Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neugestaltung der deutschen Rundfunklandschaft - Drucksache 12/2749 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Auswärtiger Ausschuß ZP7 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. Nationaler Hörfunk - Drucksache 12/3623 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1}) Auswärtiger Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Vizepräsidentin Renate Schmidt Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile dem Kollegen Dr. Joseph-Theodor Blank das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die deutsche Wiedervereinigung hat auch in unsere Medienlandschaft Bewegung gebracht. Mit ihr erledigt sich der Programmauftrag des Deutschlandfunks. Mit der Aufhebung des Besatzungsrechts muß für den RIAS Berlin eine neue Rechtsgrundlage geschaffen werden. Nicht zuletzt müssen Funktion und Aufgaben von DS Kultur, einem Programm des ehemaligen DDR-Rundfunks, neu definiert werden. Schnell war deshalb 1990 die Idee geboren, aus diesen drei Programmen einen bundesweiten Hörfunk zu machen. Schnell war auch der Programmauftrag definiert: den schwierigen Prozeß des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenwachsens in Ost und West zu begleiten und Verständnis füreinander zu wecken. Dann allerdings ließen sich die Ministerpräsidenten rund zwei Jahre Zeit, ohne sich über die Kernfragen eines nationalen Hörfunks einigen zu können. Erst Mitte dieses Jahres verständigten sich zunächst die Länder untereinander und dann am 25. Juli die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler auf die Grundzüge einer Verfassung des nationalen Hörfunks. In der dazwischenliegenden Zeit hatten die Medienplaner in den Staatskanzleien und Funkhäusern Hochkonjunktur. Konkurrenzängste der etablierten öffentlich-rechtlichen Anstalten, unterschiedliche Vorstellungen einzelner Landesregierungen und nicht zuletzt divergierende Interessen von Bund und Ländern waren ausschlaggebend für die Entwicklung unzähliger Organisationsmodelle. Mittlerweile liegt der Kompromißvorschlag eines sogenannten modifizierten Körperschaftsmodells vor, zustande gekommen im Wege mühsamer Konsensfindung. Bund, Länder und die betroffenen Rundfunkanstalten haben zwischenzeitlich entsprechend der getroffenen Vereinbarung einen Gründungsausschuß für den zukünftigen nationalen Hörfunk gebildet. Dieser Gründungsausschuß hat sich vor 14 Tagen konstituiert und mit seiner Arbeit begonnen. Die Länder haben den Entwurf eines Staatsvertrags zur Errichtung der Körperschaft ausgearbeitet, den die Ministerpräsidentenkonferenz vor wenigen Tagen, nämlich am 28. Oktober, zustimmend zur Kenntnis genommen hat. Da die Länder dem Vorschlag des Bundes, die Errichtung der Körperschaft und die Überleitung von Deutschlandfunk und RIAS in einem gemeinsamen Bund-Länder-Staatsvertrag zusammenzufassen, nicht gefolgt sind, hat die Bundesregierung einen gesonderten Überleitungsvertrag entwerfen müssen, der allerdings erst nach grundsätzlicher Einigung über die finanziellen Bedingungen der Überleitung in die fachliche Abstimmung gehen kann. Ich sage hier klar und deutlich: Die laufenden Bund-Länder-Verhandlungen werden nicht erfolgreich abgeschlossen werden können, wenn nicht entscheidende Veränderungen am Entwurf des Länderstaatsvertrags vorgenommen werden. ({0}) Nach dem Entwurf der Länder soll das DeutschlandRadio weder in den rundfunkpolitischen Grundversorgungsauftrag einbezogen, noch sollen sein Bestand und seine weitere Entwicklung garantiert werden. Diese strukturellen Defizite müssen ausgeräumt werden, wenn dem nationalen Hörfunk nicht von vornherein jede faire Entwicklungschance genommen werden soll. Nur durch eine ausdrückliche Verankerung des Grundversorgungsauftrags und die Einräumung einer Bestands- und Entwicklungsgarantie im Staatsvertrag kann sichergestellt werden, daß der nationale Hörfunk auch die benötigten zusätzlichen Frequenzen für eine bundesweite terrestrische Verbreitung seiner zwei Programme erhält. Mit einer Ausstrahlung über Mittel- und Langwelle ist es nicht getan. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der Gebührenzahler seit dem 1. Januar 1992 monatlich 0,75 DM für einen Rundfunk zahlt, den er zur Zeit überhaupt nicht und in Zukunft nur regional begrenzt empfangen kann. Wir jedenfalls wollen keinen weitgehend zuhörerfreien nationalen Rundfunk. ({1}) Ich sage deshalb mit allem Bedacht an die Adresse der Länder: Solange nicht die Lebensfähigkeit des nationalen Hörfunks staatsvertraglich gesichert ist, wird jedenfalls meine Fraktion einer Überleitung von Deutschlandfunk und RIAS Berlin in Länderhoheit nicht zustimmen. Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern und die Beratungen im Gründungsausschuß müssen jetzt schnell zum Erfolg führen. Das sind wir nicht nur den Gebührenzahlern, sondern auch den Mitarbeitern der drei Programme schuldig, denen endlich eine sichere berufliche Perspektive gegeben werden muß. Fixtag ist für meine Fraktion der 1. Juli 1993. Wir jedenfalls sind bereit, alles daranzusetzen, bis zu diesem Zeitpunkt die Arbeitsfähigkeit des nationalen Hörfunks herzustellen. Meine Damen und Herren, das Bundesrundfunkgesetz muß auch in einer weiteren wichtigen Frage novelliert werden. Die Deutsche Welle muß eine der hohen Bedeutung des Auslandsrundfunks angemessene und zeitgemäße Rechtsgrundlage erhalten. Mit der Übernahme des früheren RIAS-Fernsehens ist es zwar gelungen, in relativ kurzer Zeit ein deutsches Auslandsfernsehen auf die Beine zu stellen; allerdings ist ein Sechsstundeninformationsprogramm nach meiner Auffassung noch zuwenig. Wir brauchen mittel-bis langfristig einen leistungsfähigen deutschen Weltfernsehkanal, der in der Lage ist, ein informationsorientiertes Zwölf- bis Achtzehnstundenprogramm nach dem Vorbild etwa von BBC World Television Service anzubieten. Unstreitig ist, daß die Deutsche Welle in die Lage gesetzt werden muß, dem Ausland ein umfassendes Bild des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Dr. Joseph-Theodor Blank Lebens in Deutschland, und zwar in Hörfunk und Fernsehen, zu vermitteln. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deswegen die Bundesregierung gebeten, noch in diesem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der sich aus unserer Sicht insbesondere an folgenden drei Punkten orientieren sollte. Erstens. Die Deutsche Welle braucht eine gesetzlich geregelte Globalfinanzierung. Nur so können auf Dauer die Unabhängigkeit und die Autonomie des Senders gesichert werden. Zweitens. Die Inlandssender sollten in das Eigentum der Deutschen Welle übertragen werden, da ein derartiger Eigenbetrieb zu erheblichen Kosteneinsparungen führen wird. Drittens. Durch die Übernahme von RIAS TV und der Fremdsprachenredaktionen des DLF bedarf es einer zufriedenstellenden Regelung des Problems der unterschiedlichen Vergütungen der Mitarbeiter. Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, daß wir bei anhaltender Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten die einigungsbedingte Neuordnung in der deutschen Rundfunklandschaft bewerkstelligen und die anstehenden Gesetzgebungsarbeiten zügig werden zu Ende führen können. Herzlichen Dank. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Und nun hat unser Kollege Hans Gottfried Bernrath das Wort.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich mich verspätet hatte. Ich bin im Augenblick eine Art Asylopfer. Ich bin derzeit voll an diese Thematik gebunden. Ich will mich mit wenigen Sätzen auf die Frage des nationalen Hörfunks und die Vorbereitungen auf den Hörfunk hin beschränken. Ich kann mich dabei auf Dr. Blank beziehen, der, wenn man nicht nur den Worten zuhört, sondern auch dem Duktus, jetzt entschlossen zu sein scheint, zusammen mit der Koalition und der Bundesregierung den Knoten zu durchschlagen und die Länder, die durch die CDU regiert werden - es sind ja nicht mehr viele -, zu einem Kompromiß zu bringen und damit diese Entschlossenheit, die Sie demonstriert haben, in Handlung umzusetzen. Sonst werden wir nicht weiterkommen. Der nationale Hörfunk kommt nicht recht voran. Schon im März dieses Jahres haben die Regierungschefs der Länder den Zusammenschluß nach diesem modifizierten Körperschaftsmodell zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft unter dem Dach von ARD und ZDF beschlossen. Die Chefs der Staatskanzleien sind beauftragt worden, den Staatsvertrag zu entwerfen. Aber es ist keine Unterzeichnung in Sicht. Das beklagen Sie, das beklagen wir. Der Entwurf des Staatsvertrags ist auch bei der letzten Zusammenkunft der Ministerpräsidenten wieder einmal lediglich zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Damit kommen wir nicht weiter. Das ist unbefriedigend; da stimmen wir überein. Ich bin jetzt der Hoffnung, daß wir auf der Basis unseres Antrags, aber auch auf der Basis des von Ihnen kurzfristig nachgeschobenen Koalitionsantrags vielleicht doch noch die Gelegenheit haben, auf parlamentarischer Ebene einen Impuls zu vermitteln, der zu umsetzbaren Ergebnissen führt. Wenn man der Frage nachgeht, warum es bei den Verhandlungen so hakt, landet man leider-wie so oft beim Bund. Es gibt Streit um Nebensächlichkeiten, die uns daran hindern voranzukommen. Ich nenne beispielsweise den Streit um die Gebäude, um die Versorgungsansprüche der Mitarbeiter - das sind für die Mitarbeiter natürlich wichtige Fragen - und um den Personalabbau. Das ist alles wichtig und richtig, aber die Verhandlungen ziehen sich zu lange hin. Sie müssen nun zu einem Ergebnis gebracht werden. In der Zwischenzeit warten im übrigen die Mitarbeiter auf diese Ergebnisse. Die qualifizierten Mitarbeiter orientieren sich bereits in andere Richtungen, was für den Start des nationalen Hörfunks katastrophale Folgen haben könnte; denn gerade in der Startphase entscheiden sich die Hörer, ob sie regelmäßiger einschalten oder nicht und damit dieses neue Angebot annehmen oder nicht. Aus der Rechtsform, die wir gewählt haben, ergeben sich Verpflichtungen, und wir verbinden damit völlig zu Recht hohe Qualitätsansprüche. Die abschließende Unterzeichnung ist zeitlich noch nicht kalkulierbar. Sie könnte auch noch etwas dauern. Darum sind wir unzufrieden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch noch einmal, daß es bisher nicht gelungen ist, eine explizite Regelung in die Entwürfe aufzunehmen, ob die Programme der Grundversorgung zuzuordnen sind oder nicht. Ich halte auch das mit Blick auf den gesellschaftlichen Auftrag der neuen Körperschaft, also des nationalen Hörfunks, für bedauerlich. Aber das ist ja heilbar; vor allen Dingen dann, wenn wir uns hier im parlamentarischen Raum verständigen. Noch eine Bemerkung zum Koalitionsantrag. Darin steht sicherlich einiges Erstaunliche. Der Bundestag soll unter recht großzügiger Auslegung der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten an die Länder appellieren, im Gründungsausschuß für den nationalen Hörfunk die offenen Fragen zügig und konstruktiv zu beraten. Da müssen wir bei uns Einvernehmen herstellen und damit faktisch auf die Länder einwirken. Wir müssen den Ländern natürlich sagen - Sie haben es angesprochen -, daß sie, wenn wir überhaupt in die Breite kommen wollen, auch Frequenzen zur Verfügung stellen müssen. Ich sehe darin auch einen letzten Versuch Ihrerseits, die von Ihnen regierten Länder einzubinden, denn es ist wohl nicht zu bestreiten, daß Bayern oder BadenWürttemberg sich nicht in der Lage sahen, technisch nutzbare Frequenzen für den nationalen Hörfunkbereich bereitzustellen. Die Regierungskoalition sollte jetzt nicht versuchen, hier nun ihre Frustration abzureagieren, sondern unmittelbar einwirken und konstruktive Lösungen anbieten, denen sich die in Frage kommenden Länderregierungen nicht mehr entziehen können. Dennoch sind wir uns darin einig, daß wir nicht mehr lange warten können und gemeinsam diese Arbeit leisten müssen. Wir brauchen diesen Hörfunk gerade in der gegenwärtigen Phase angesichts der Bedingungen, denen sich unsere Gesellschaft gegenübersieht. Denn der nationale Hörfunk soll entscheidend dazu beitragen, die innere Mauer zwischen den Menschen in Ost- und Westdeutschland abzubauen; das kann er aber nicht, wenn wir ihn vorher nicht etablieren und damit zu einem funktionierenden Instrument machen. An alle Länder gerichtet möchte ich deutlich sagen, daß sie gut beraten wären, wenn sie so schnell wie möglich, sozusagen als Auftaktimpuls nach einem Gründungsintendanten suchten, der tunlichst nicht aus den drei Häusern kommen sollte, die das Ganze dann füttern sollen. Er soll unabhängig in diese neue Anstalt hineingehen. Sie müssen sich darüber bewußt sein, daß der nationale Hörfunk eine Aufgabe ist, an der sich zeigt, ob die Zusammenarbeit im föderalistischen Gebäude funktioniert, ob wir handlungsfähig und verständigungsfähig sind. Wir als Bundesparlamentarier müssen die Regierung in ihrer Verantwortung für diese Kompromißbereitschaft unterstützen. Es wäre unerträglich, wenn die beiden Programme tatsächlich erst am 1. Januar 1994 auf Sendung gehen könnten. Ein wertvoller Beitrag zur Überwindung der gegenwärtigen inneren Blockade in der Gesellschaft und zur Näherung zwischen Ost und West wäre bis dahin nicht möglich. Das würden alle, auch die Hörer bedauern. Danke schön. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Ich möchte noch einmal auf dieses kleine rechte rote Lämpchen hinweisen, das hin und wieder blinkt. ({0}) - Beinahe zwei Minuten, Herr Kollege Bernrath. ({1}) - Ja, es ist an derselben Stelle und leuchtet auch genauso wie bisher. ({2}) - Ach so, dann darf ich insbesondere auch meine Fraktion darum bitten, einmal den Blick auch kurz nach rechts zu wenden, aber nur kurz, nur ganz kurz! ({3}) Als nächster hat nun der Kollege Konrad Weiß das Wort.

Konrad Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002461, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, auch ich werde stark nach rechts gucken, um die Zeit zu beachten. Der Koalitionsantrag, der uns vorliegt, erstaunt mich auch, und ich nehme ihn mit Befriedigung zur Kenntnis, denn ich denke, daß damit die Forderungen gestellt werden, die gestellt werden müssen. Sieht man sich das bisherige Verfahren an, kommen Zweifel auf, ob die Verantwortlichen einen nationalen Hörfunk wirklich wollen und ob sie ihn vor allem nach den Grundprinzipien eines demokratisch strukturierten Rundfunks ernsthaft verwirklichen wollen. Von 40 Hörfunkratsmitgliedern werden fast 50 % von den Regierungen von Bund und Ländern entsandt. Auch in dem alle fünf Jahre neuzubestimmenden Verwaltungsrat ist eine 50prozentige Staatsquote vorgesehen. ({0}) Diese vorgesehene Zusammensetzung der Gremien spricht nach meiner Meinung dem verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatz der Staatsferne hohn. Mich erinnert das fatal an das staatliche Rundfunkkomitee der DDR, in dem auch Parteivertreter das Sagen hatten. Dazu sollten wir es nicht kommen lassen. Die Bildung des Gründungsausschusses geriet dann auch zur Satire, weil unbedingt ein Regierungsbayer vertreten sein mußte, dem flugs ein Regierungsbrandenburger zur Seite gesetzt wurde, damit der parteipolitische Proporz gewahrt blieb. Sodann wurden aber dem Brandenburger ebenso wie einem CDU-Kollegen schnell das Stimmrecht entzogen, damit die plötzlich gefährdete Parität zwischen Bund- und Ländervertretern wiederhergestellt ist. Das Ganze ist absurd. Wie erklärt sich, daß kein Vertreter der ostdeutschen Bundesländer in das Leitungsgremium gewählt wurde? Entweder nimmt man die Hauptaufgabe des nationalen Rundfunks, seine integrative Funktion, nicht ernst oder man hält Ostdeutsche für unfähig oder unwürdig, in den Gremien des nationalen Rundfunks verantwortlich mitzuarbeiten. Wenn sich diese westdeutsche Arroganz als vorherrschende Haltung im nationalen Hörfunk erweisen sollte, dann ist sein letztes Sendestündlein nicht mehr fern. Bei meinen Erfahrungen über den Umgang der Altbundesrepublikaner mit dem von der frei gewählten Volkskammer geschaffenen Rundfunkgesetz der DDR bin ich zwar nicht mehr darüber erstaunt, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Exerzierplatz parteipolitischer Querelen geworden ist. Ich bin aber immer wieder darüber erstaunt, mit welcher Unverfrorenheit das geschieht. Auch auf andere Fragen gibt es bisher keine befriedigende Antwort. Was wird mit den wenigstens 450 Millionen DM an Gebühren geschehen, die bis zum Sendebeginn - nur Optimisten sprechen hier noch vom Juli 1993 auf dem Sonderkonto von ARD und ZDF eingegangen sein werden? Ich unterstütze nachträglich Ihren Vorschlag, diese Gebühren den jetzt in Betrieb befindlichen Sendern DS Kultur und RIAS, die dieses Geld dringend brauchen, zukommen zu lassen. Wie soll die möglichst gleichwertige terrestrische Verbreitung der Programme der neuen Anstalt aussehen? Es gibt wirklich keine Anzeichen dafür, daß einige ARD-Hörfunkanstalten auf die dafür notwendigen UKW-Frequenzen verzichten werden. Ich denke, Konrad Weiß ({1}) nicht jeder ARD-Sender muß vier oder gar fünf Programme haben, ({2}) es genügen auch drei Sender; dafür sollten die Frequenzen aber der nationalen Hörfunkanstalt zur Verfügung gestellt werden. Ein letzter Satz, Frau Präsidentin: Ist es wirklich so schwer, eine so einfache Sache wie die Vereinigung von drei Sendern unter einem Dach schnell und vernünftig zu bewerkstelligen? Ich bin der Überzeugung, in der freien Wirtschaft wäre diese Fusion schon längst erfolgreich geschehen und sie wäre kostensparend, effizient und im Sinne der Hörerinnen und Hörer. ({3})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Und nun der Kollege Hans-Joachim Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Der Stein, den sie gegen andere erhoben, wird auf ihre eigenen Füße fallen." Man muß schon den alten Mao zitieren, um den abwegigen Vorwurf der SPD zu kommentieren, der Bund blockiere die Gründung des nationalen Hörfunks. Tatsache ist, daß sich die Ministerpräsidenten der Länderjahrelang nicht über die Eckpunkte des nationalen Hörfunks einigen konnten. Deshalb kann ich dem Kollegen Glotz eigentlich nur zustimmen, der in einer Pressemitteilung vom 29. September dieses Jahres kritisch bemerkte - ich zitiere -: „Die Länder verbummeln wertvolle Zeit beim Aufbau des nationalen Hörfunks." Es erstaunt dann aber doch, wenn heute ein SPD-Antrag mit genau gegenteiliger Stoßrichtung vorgelegt wird. Beenden wir aber das Schwarzer-Peter-Spiel und wenden wir uns der Zukunft zu! Wir alle sind uns offensichtlich darin einig, daß jetzt gehandelt werden muß, im Interesse der inneren Einheit Deutschlands, im Interesse der Beschäftigten aller drei bisherigen Sender und nicht zuletzt auch im Interesse der Gebührenzahler, die bis heute schon mehr als eine Viertelmilliarde Mark für ein Phantom gezahlt haben. ({0}) Aus tiefer Überzeugung setzen wir Liberale uns für einen profilierten und erfolgreichen nationalen Hörfunk ein. Aus Verantwortung gegenüber dem Deutschlandfunk und dem RIAS sowie deren Mitarbeitern sind allerdings noch mindestens zwei Kernfragen zu klären, bevor der Bund diese Sender den Ländern übertragen kann. Herr Kollege Bernrath, es handelt sich hier keineswegs nur um Nebensächlichkeiten. - Herr Kollege Bernrath, wenn Sie mir vielleicht Ihr geschätztes Ohr für eine Sekunde leihen würden! - Es handelt sich hier durchaus um Kernfragen, die noch geklärt werden müssen. Die Fragen, die Sie angesprochen haben, machen immerhin die Kleinigkeit von 850 Millionen DM aus. ({1}) Die Fragen, die ich jetzt erwähnen werde, sind inhaltlich sehr wichtig, und ich kann der Rede des Kollegen Weiß wirklich nur voll zustimmen. Die erste der beiden Kernfragen: Die Zukunft des nationalen Hörfunks muß dauerhaft gesichert sein. Ihm muß deshalb wie allen übrigen öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Bestands- und Entwicklungsgarantie zukommen. Es verheißt nichts Gutes, wenn ARD und ZDF von den bisher rund 1 500 Mitarbeitern der drei Sender mehr als die Hälfte, nämlich rund 800, freisetzen wollen. Dies begründet den bösen Verdacht, daß der nationale Hörfunk zur Abspielstation für olle ARD-Kamellen verkümmern soll. Ich sage Ihnen, wir wollen keinesfalls einen Wurmfortsatz von ARD und ZDF, sondern die volle redaktionelle Unabhängigkeit des nationalen Hörfunks. ({2}) Nur so, meine Damen und Herren, läßt sich das hohe journalistische Niveau der drei bisherigen Sender bewahren. Zweitens. Wir wollen keinen Geistersender. Jeder Rundfunkteilnehmer in Deutschland muß zumindest eines der beiden Programme in guter Qualität empfangen können, sonst kann der nationale Hörfunk seinen Integrationsauftrag nicht erfüllen. Deshalb müssen die überversorgten ARD-Anstalten ausreichende UKW-Frequenzen an den nationalen Hörfunk abtreten. ({3}) Dies geht nur, wenn einige Ministerpräsidenten, insbesondere aus dem südlichen Teil unserer Republik, ihrer bisherigen Kirchturmpolitik bei der Frequenzvergabe abschwören. ({4}) Diese beiden von uns erwähnten Kernfragen sind auch im neuesten Staatsvertragsentwurf noch nicht befriedigend geregelt. Dieser Entwurf ist auch ansonsten nicht frei von Skurrilitäten. Mich würde beispielsweise brennend interessieren, wie die katholische Kirche die geforderte Frauenquote bei der Besetzung des Hörfunkrates erfüllen soll. Die Ministerpräsidenten werden also unbedingt noch einige Korrekturen vornehmen müssen - Frau Präsidentin, ich bin gleich fertig. Ich bin gespannt, wie die katholische Kirche das leisten wird. Das werden wir sehen. ({5}) Lassen Sie mich abschließend sagen, meine Damen und Herren: Damit der nationale Hörfunk schnellstmöglich auf Sendung gehen kann, bedarf es - das haben alle Vorredner betont - der Kooperation und des Konsenses aller Beteiligten. Ich sage sehr bewußt: Wer sich in eifersüchtigen Kompetenzhubereien ergeht und die anderen Beteiligten zu brüskieren Hans-Joachim Otto ({6}) sucht, der verzögert den erfolgreichen Start des gesamten Unternehmens. ({7}) Keiner darf hier auf seinem hohen Roß sitzen bleiben. Ein Staatsvertrag muß schließlich - daran möchte ich erinnern - noch 16 Landesparlamente und den Bundestag passieren. Die F.D.P. im Bund und in den Ländern ist zu einem vernünftigen Kompromiß bereit. Wir alle, meine Damen und Herren, sind es den Beschäftigten und den Hörern des nationalen Hörfunks schuldig. Danke schön. ({8})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat die Kollegin Angela Stachowa das Wort.

Angela Stachowa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002211, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge zur Neugestaltung der deutschen Rundfunklandschaft betrachte ich als einen berechtigten Versuch, eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung mit Hilfe des Deutschen Bundestages voranzutreiben. Dieses an und für sich positive Unterfangen sollte aber nicht so halbherzig vollzogen werden. Wenn im Ergebnis der heutigen Beratung die Anträge an die Ausschüsse überwiesen werden, so wäre meine Bitte, daß diese doch auch etwas näher hinter die Kulissen dieser angemahnten Regelung schauen. Natürlich handelt es sich bei dieser Entscheidung der Länder um Fragen, die ähnlich wie im Bereich der Kultur zuvörderst die Kompetenzen der Länder berühren. Bei der Schaffung eines nationalen Hörfunks werden aber eindeutig auch Bundeskompetenzen tangiert. Eine überregionale öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die den Steuerzahler Geld kostet, muß auch dem Steuerzahler in jeder Hinsicht gerecht werden. Das heißt z. B., daß diese Programme von jedem Steuerzahler in gleich guter technischer Qualität empfangen werden können, von Hamburg bis München, von Rostock bis Dresden, natürlich in UKW- Qualität. Aber es gibt Meldungen, daß dieses nicht so garantiert werden könne und auch Sorge, daß in einer solch zentralisierten Anstalt die Belange der Bürger und die demokratische Mitsprache zu kurz kommen könnten. Zugleich stellt sich auch die nicht unwichtige Frage, ob diese Programme ohne Werbung auskommen können. Zweitens. Diese neue öffentlich-rechtliche Körperschaft unter dem Dach von ARD und ZDF soll, wie es heißt, einen wesentlichen Beitrag zur verbesserten Kommunikation zwischen den Menschen in den neuen und den alten Bundesländern leisten. Dazu gehört meines Erachtens auch, daß die Personalstrukturen ost- und westgemäß sind. Ich höre da vielfach von Befürchtungen und Ängsten, daß DS Kultur nach vier Entlassungswellen heute nichts weiter als ein Alibi für die „nationaler Hörfunk" genannte Arbeitsplatzsicherungsmaßnahme für den Deutschlandfunk und RIAS 1 sein könnte. Sollte sich nun auf höherer Ebene wiederholen, was in den Ländern zum Teil sehr kritisch bemerkt wurde, nämlich, daß neue Regionalsender im Osten Deutschlands im Prinzip Regionalstudios alter etablierter Sender aus Westdeutschland sind? Meine Damen und Herren, was ich damit in dieser kurzen Zeit sagen will: Der Deutsche Bundestag sollte sich seine eigene Meinung über die Vorhaben im Zusammenhang mit der Errichtung eines nationalen Hörfunkprogrammes herausbilden und die Konsensbildung in den Bund-Länder-Verhandlungen aktiv unterstützen. Dem federführenden Ausschuß unterbreite ich den Vorschlag, die Zweckmäßigkeit einer öffentlichen Anhörung aller Beteiligten zu diesem Thema zu prüfen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat als letzter der Kollege Günter Verheugen das Wort.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion ist ein halbes Jahr alt, und in der Zwischenzeit hat sich in der Tat etwas verändert, so daß ich gar keine Probleme habe, einen Antrag, der ursprünglich die medienpolitische Verantwortung der Bundesregierung anspricht, jetzt dazu zu benutzen, an die medienpolitische Verantwortung der Länder zu appellieren. Das ist auch dringend notwendig, nicht nur in dem Zusammenhang, über den wir bisher diskutiert haben: nationaler Hörfunk. Die medienpolitische Verantwortung der Lander ist beispielsweise auch im Zusammenhang mit der Entwicklung im privaten Fernseh- und Hörfunkbereich anzusprechen, wo wir von Medienpolitik eigentlich gar nicht mehr reden können, sondern wo es eigentlich nur noch um Standort- oder Industriepolitik geht, mit verheerenden Konsequenzen für Inhalt und Qualität der Programme, die uns angeboten werden. ({0}) Wir alle wissen, daß die elektronischen Medien eine ganz zentrale Bedeutung in einer modernen Demokratie für die Meinungsbildung und die Bewußtseinsbildung haben. Darum ist es meiner Meinung nach wirklich notwendig, daß wir bei passender Gelegenheit einmal eine etwas größere medienpolitische Debatte führen, in der wir uns über die Entwicklung gerade im elektronischen Medienbereich einmal sehr ernst unterhalten. ({1}) Ich möchte gerne noch unterstreichen, daß es nach unserer Auffassung in der Tat nicht hingenommen werden kann, daß der künftige nationale Hörfunk ein Sender sein soll, der in weiten Teilen unseres Landes unter Ausschluß der Öffentlichkeit sendet. Das war nicht der Sinn der Unternehmung. ({2}) Es ist sicherlich notwendig und gut gewesen, daß alle Fraktionen hier deutlich gemacht haben, daß sie wollen, daß der nationale Hörfunk seine integrierende Rolle gerade beim Zusammenwachsen der früheren Teile Deutschlands, die jetzt vereinigt sind, auch tatsächlich spielen kann. Es gibt eine Reihe von Problemen, die hier noch nicht angesprochen worden sind. Ich will auf eines hinweisen: Die Europa-Redaktionen des Deutschlandfunks sind nach den getroffenen politischen Entscheidungen dazu bestimmt, von der Deutschen Welle übernommen zu werden. Dieser Beschluß konnte bisher nicht vollzogen werden. Mitarbeiter dieser Redaktionen befinden sich in einem völlig unklaren Zustand. Das ist weder für sie selbst noch für das Programm, das sie machen, von Vorteil. Ich plädiere hier sehr eindringlich dafür, daß wir, wie wir es schon beim Fernsehen gemacht haben, indem wir das Fernsehen des RIAS der Deutschen Welle bereits zugewiesen haben - mit Erfolg; ich werde gleich noch etwas dazu sagen -, nun auch die Fremdsprachenredaktionen des Deutschlandfunks in die Deutsche Welle integrieren, damit dieses Haus seine zur Zeit laufende Umstrukturierung und Umgestaltung abschließen kann und nicht darauf warten muß, bis die Länder sich endlich mit dem Bund in der Frage einig geworden sind, wie der nationale Hörfunk aussieht. Noch ist der Deutschlandfunk eine Bundesrundfunkanstalt. Wir haben die Verantwortung und die Zuständigkeit dafür. Die Bundesregierung ist ohne weiteres in der Lage, diese Entscheidung vorher zu treffen, da ja Konsens darüber besteht, daß es so sein soll. Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Deutschen Welle. Ich bin sehr dankbar für das, was Kollege Blank gesagt hat: daß es dringend notwendig ist, bei dem neuen Gesetz die Globalfinanzierung zu verankern. Der jetzige Zustand, daß unser Auslandssender finanziell praktisch in der Abhängigkeit von Bundesregierung und Haushaltsausschuß steht, ist mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit von Rundfunkanstalten nicht zu vereinbaren. Dieser Zustand ist verfassungswidrig. ({3}) Wir müssen ihn so schnell wie möglich beenden. Ich möchte die Aufmerksamkeit der geschätzten Kolleginnen und Kollegen gerne darauf richten, daß die Deutsche Welle, die als einzige Bundesrundfunkanstalt bleiben wird, jetzt begonnen hat, ihren Programmauftrag deutlich auszuweiten und jetzt mit einem weltweiten Fernsehprogramm beginnt. Es verdient die Aufmerksamkeit des Bundestages, sich mit diesem weltweiten Fernsehprogramm zu beschäftigen. Ich glaube, es ist notwendig, daß die Bundesrepublik Deutschland auf diesem anspruchsvollen, schwierigen und umkämpften Medienmarkt mit einem Programm präsent ist, das sich gegenüber den zahlreichen Angeboten anderer Länder behaupten kann. Zur Zeit reichen die personellen und finanziellen Möglichkeiten der Deutschen Welle dazu nicht aus. Ich glaube auch nicht, daß wir bei der derzeitigen Haushaltssituation in der Lage sein werden, ein so umfangreiches weltweites Fernsehprogramm zu finanzieren. Es wird also notwendig sein, eine enge Kooperation zwischen der Bundesrundfunkanstalt Deutsche Welle, der ARD und dem ZDF anzustreben. In einem Verbund halte ich es ohne weiteres für möglich, ein solches Programm herzustellen und auch auszustrahlen. Man sollte hier keine falschen Berührungsängste haben. Es ist notwendig, daß wir uns nach außen so präsentieren, wie wir sind, daß wir die Instrumente der elektronischen Medien im Interesse unseres Landes nutzen. Deshalb bitte ich noch einmal darum, daß dieses Haus und die Bundesregierung in Zukunft dieser Bundesrundfunkanstalt größere Aufmerksamkeit schenken. Ich danke Ihnen. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 12/2749 und 12/3623 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch diesmal wieder damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt unserer heutigen Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Pläne der Bundesregierung zu Steuererhöhungen und Einschnitten im sozialen Bereich Diese Aktuelle Stunde hat die Fraktion der SPD gefordert. Ich eröffne dazu die Aussprache und bitte, in der Aktuellen Stunde die Fünf-Minuten-Redezeit einzuhalten. Ich weise noch einmal darauf hin, daß ich ansonsten unbarmherzig den Schluß herbeiführen werde. Als erster hat Kollege Joachim Poß das Wort.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Finanzpolitik dieser Bundesregierung kommt man sich wie im Tollhaus vor. Das Durcheinander nimmt zu, das Chaos wird jeden Tag schlimmer. Die Regierung streitet sich, daß die Fetzen fliegen. Dem Bundesfinanzminister glaubt niemand mehr seine Zahlen. Biedenkopf wirft Waigel irreführende Angaben vor, so heißt heute eine Überschrift bei DPA. Die Presse schreibt: „Die Haltbarkeit von Waigels Worten läßt sich inzwischen nur noch in Stunden messen." Der Präsident des Bundesrechnungshofes warnt sogar vor einer Währungsreform. Eine so dramatische und verzweifelte Warnung hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben. Ein Firmenchef, Herr Staatssekretär, dem so etwas von seinem Wirtschaftsprüfer attestiert würde, müßte zusammen mit seinem Finanzchef den Hut nehmen. ({0}) Diese Bundesregierung hat auch noch den letzten Rest von Glaubwürdigkeit verspielt. Diese Bundesregierung ist in den schwierigen Zeiten, in denen wir uns befinden, handlungsunfähig. Diese Regierung hat abgewirtschaftet. Wir haben einen Regierungsnotstand. Das Durcheinander dieser Bundesregierung ist eine schlimme Zumutung für unsere Bürger und eine schwere Belastung für unsere Wirtschaft. Diese Bundesregierung ist der Standortnachteil Nummer eins in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Die Bürger, aber auch die Wirtschaft haben kein Vertrauen mehr in die Handlungsfähigkeit dieser Bundesregierung. Leider ist dem Bundeskanzler seine Stunde der Wahrheit wieder nur zu einer Fortsetzung des Täuschungsprozesses geraten. Zur Wahrheit gehören nämlich zuallererst eine ehrliche Bestandsaufnahme der wirtschafts- und finanzpolitischen Fehler der letzten zwei Jahre und eine realistische Einschätzung der gegenwärtigen finanzpolitischen Situation. Auf dieser Basis müssen dann die notwendigen wirtschafts- und finanzpolitischen Prioritäten für die nächsten Jahre gesetzt werden. Die Bürger und die Wirtschaft haben ein Recht darauf, umgehend zu erfahren, auf welche Steuererhöhungen und sonstigen zusätzlichen Belastungen sie sich einstellen müssen. Leider haben sich der Bundeskanzler und auch die zuständigen Minister Waigel und Möllemann bei ihren neuen Ankündigungen schon wieder in heillose Widersprüche verstrickt: Steuererhöhung 1995 oder 1994 oder 1993; Autobahngebühren 1994; Anhebung der Mineralölsteuer; Verlängerung des Solidaritätszuschlags - alles ist ihnen inzwischen zuzutrauen, aber eben alles ohne Konzept. Kommen Sie doch bitte hier ans Mikrofon und erklären dem deutschen Volk klipp und klar, was Sie wollen! ({2}) Zur Wahrheit gehört, daß man ehrlich zugibt, daß die bisher beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen vor allem Bürger mit kleinem und mittlerem Einkommen belasten, während gleichzeitig für die Wohlhabenden die Vermögensteuer gesenkt wird. Warum leugnet der Bundesfinanzminister nach wie vor die selbst von einigen CDU-Politikern und von den finanzwissenschaftlichen Instituten festgestellte Gerechtigkeitslücke? Doch nur, weil er das Ergebnis der ungerechten und unsozialen Steuerpolitik dieser Bundesregierung vor den Bürgern verschweigen will. Für die von der Bundesregierung geplante Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes, auch wenn sie in einem ersten Schritt auf Gewerbetreibene beschränkt wird, ist nicht nur kein Geld da, durch sie würde die ungerechte Steuerpolitik der Bundesregierung vollends zu einem Skandal. ({3}) Für jeden gerecht denkenden Menschen ist es doch unbegreiflich, daß in unserer im Prinzip wohlhabenden Gesellschaft die Steuererhöhungen und auch die neuen Sparvorschläge von Herrn Waigel stets die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft treffen, ({4}) während die Wohlhabenden durch immer neue Steuergeschenke ihren Wohlstand ständig vermehren können. Präsident Bush, der ebenso wie Sie vor den Wahlen falsche Versprechungen abgegeben hat, ist mit seiner Politik, durch die die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer geworden sind, gescheitert. Auch bei uns haben immer mehr Menschen das berechtigte Gefühl, verschaukelt zu werden und immer weiter unter die Räder zu kommen. Das bringt übrigens immer mehr Bürger dazu, sich von der Politik abzuwenden. Damit wird die Politik der Bundesregierung zunehmend zu einem Risiko für die Stabilität unserer Demokratie. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächster hat das Wort unser Kollege Peter Harald Rauen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die bekannten Übertreibungen der Opposition, Herr Poß, will ich am Ende ganz kurz eingehen. ({0}) - Bei diesen Übertreibungen würde Ihnen hier im Saal kaum einer zuhören. Wir sollten ins Grundsätzliche hineingehen, und das will ich mit meiner Rede tun. ({1}) Unser Wohlstand beruht auf dem Können und dem Fleiß von Millionen Menschen, die arbeiten gehen und von ihrem verdienten Geld Steuern und Abgaben zahlen. Wenn diese Menschen das Gefühl haben, daß der Staat ihnen zu viel wegnimmt, werden sie die Leistung mindern oder gar verweigern. Wenn sich darüber hinaus der Staat um zu viele Dinge selbst kümmert, werden Kreativität, Einfallsreichtum und Erfindungsgeist abgewürgt. In der Finanzpolitik werden diese Wahrheiten durch zwei Begriffe besetzt: durch die Steuer- und Abgabenquote, die in diesem Jahr mit ca. 42 % eine historische Höchstmarke erreichen wird, ({2}) und die Staatsquote, die in diesem Jahr bei über 50 % ebenfalls eine vorher nie gekannte Höchstmarke haben wird. Daß dies so ist, verdanken wir einem höchst erfreulichen historischen Ereignis, der deutschen Wiedervereinigung. Dennoch sind diese Erscheinungen Gift für unsere Volkswirtschaft, für die Konjunktur und für die Arbeitsplätze. 1982 war nach 13 Jahren die sozialliberale Regierung mit einer Steuer- und Abgabenquote von 40,4 % und einer Staatsquote von 49,8 % finanz-, wirtschafts- und sozialpolitisch am Ende. ({3}) Das Erfolgsrezept der Union und ihres Finanzministers Stoltenberg, um aus diesem Tal herauszukommen, war einfach und faszinierend zugleich: ({4}) Anstieg der öffentlichen Ausgaben aller Gebietskörperschaften und Sondervermögen im Durchschnitt der Jahre 1982 bis 1989 um 3,2 %; Anstieg des nominalen Bruttosozialprodukts im gleichen Zeitraum um 5,1 %; Rückgang der Staatsquote auf 45,3 % und Rückgang der Steuer- und Abgabenquote auf 38,4 %. Meine Damen und Herren, mit dem Geld, das der Staat durch diese Entwicklung den Privaten mehr in der Tasche beließ, wurden in dem genannten Zeitraum über 3,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Mit den Steuern und Abgaben, die dadurch zusätzlich in die Kassen des Staates flossen, konnte dieser neue soziale Leistungen, eine Steuerreform und letztlich auch die ersten großen Herausforderungen der deutschen Einheit finanzieren. Wer in der aktuellen Diskussion um den richtigen Weg diese Zusammenhänge nicht sieht, hat nichts verstanden. Höhere Steuern und Abgaben mindern die Leistungsbereitschaft der Menschen, erdrosseln die Konjunktur und vernichten Arbeitsplätze. Der Staat muß sparen, die Wirtschaft muß florieren. Dazu gibt es keine Alternative. Vernünftig zu sparen, soziale Übertreibungen abzubauen und nicht mehr gerechtfertigte Subventionen zu streichen ist für die Menschen kein Problem. Dies wird es erst in den Köpfen von Politikern und Funktionären. In einem Land, in dem das Sozialbudget - wie im letzten Jahr - mit 766 Milliarden DM schon 66 % der Bruttolohn- und Gehaltssumme ausmacht, einem Land mit der geringsten Arbeitszeit, den meisten Urlaubs-, Feier- und Fehltagen, der längsten Studienzeit und dem niedrigsten Rentenalter, den kürzesten Maschinenlaufzeiten und dem Unsinn, mit 80 000 DM pro Arbeitsplatz den Kohlebergbau zu subventionieren, in einem solchen Land, meine Damen und Herren, wäre Sparen kein Problem. Das ist das Land, in dem wir leben und als Politiker Verantwortung tragen. Man müßte nur vernünftig sein wollen und bei allen politischen Gegensätzen die dümmlichen und den Neidkomplex schürenden Streitereien unterlassen, die letztlich dazu führen, daß sich die Menschen noch mehr von den Parteien entfernen. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Als nächstes hat nun die Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Grund für die Beantragung der Aktuellen Stunde zu den Steuererhöhungen durch die SPD ist mir leider etwas unklar. Finanzpolitisch und steuerpolitisch sehe ich in vielen Bereichen keine großen Unterschiede zwischen SPD und CDU. Es wäre schön, wenn einiges heute noch beantwortet werden könnte. Der CDU-Parteitag hat vor einer Woche mit großer Mehrheit die zunächst nicht näher ausgeführten Steuerpläne des Bundeskanzlers angenommen und damit Steuererhöhungen ab 1995 sowie drastischen Einschnitten in das schon sehr grobmaschige soziale Netz zugestimmt. Nach Einschätzung des SPD-Fraktionschefs Klose werden diese Steuererhöhungen 1995 nicht ausreichen. Es sei zu überlegen, so Klose vor einer Woche in einer AFP-Meldung wörtlich, ob man zu einem früheren Zeitpunkt einsetzen müßte. Klose vertritt hier nicht mehr und nicht weniger als die beschleunigte Umsetzung des CDU-Kurses ({0}) - das ist für mich eine Frage -, übrigens assistiert vom IG-Chemie-Vorsitzenden Herman Rappe. Kaum war der SPD-Antrag, die Investitionspauschale für Ostdeutschland zu erhöhen, vom Tisch, da warf Frau Matthäus-Maier der Bundesregierung am Mittwoch zum wiederholten Male vor, ihr fehle die Kraft zum Sparen. Ein Wort darüber, wo und wieviel gespart werden soll, blieb sie allerdings schuldig. Der CDA-Boss und stellvertretende Vorsitzende des DGB, Ulf Fink, erklärte gegenüber der „Leipziger Volkszeitung", beim Zeitpunkt für Steuererhöhungen dürfe es keine Tabus geben. Auch für diesen Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind also Steuererhöhungen eine klare Sache. Nüchtern und realistisch betrachtet, verbirgt sich hinter allen diesen Erklärungen wohl ein Versprechen der SPD, die Politik der CDU fortzusetzen, allerdings formvollendeter und mit unverbrauchtem Führungspersonal. Selbstverständlich streuen CDU und SPD Beruhigungspillen unter das murrende Fußvolk. Beide sprechen von einem sogenannten Solidarpakt, der die Menschen glauben machen soll, jetzt würden die Kosten der Einheit endlich sozial gerecht finanziert. Medienwirksam haben jetzt insbesondere CDU-Politiker eine Gerechtigkeitslücke zu Lasten der Bezieher kleinerer Einkommen entdeckt. Modellhaft wurde bei der Lufthansa vorgeführt, was sich Arbeitgeber, etablierte Parteien und Teile der Gewerkschaften unter einem Solidarpakt vorstellen: Reallohnsenkung, längere Arbeits- und Maschinenlaufzeiten und untertarifliche Bezahlung. Die Gerechtigkeitslücke soll offenbar durch eine Gerechtigkeitslüge ersetzt werden. Ein Verzicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Anteile am Produktivitätszuwachs konnte in Deutschland bisher nur im Faschismus durchgesetzt werden. Jetzt soll ein solcher Verzicht freiwillig erfolgen. Damit stehen wir gegenwärtig auch vor dem tiefsten Tief der deutschen Gewerkschaftsbewegung seit dieser Zeit. Bundeskanzler und CDU begründen die für 1995 geplanten Steuererhöhungen mit dem Hinweis auf die Bewältigung einer angeblichen SED-Erblast. Die Strategie scheint klar zu sein: Alle, die Steuererhöhungen und Sozialabbau mit diesem Argument begründen, setzen offensichtlich auf einen kollektiven Gedächtnisschwund in der Bevölkerung. Das richtet sich an die Regierung. Die Bundesrepublik krankt jedoch an ganz anderen Erblasten: Die öffentlichen Haushalte werden bis 1996 einen Schuldenberg von 2,2 Billionen DM aufgetürmt haben. Fazit: Eine DDR reicht nicht aus, um die Restsumme von 1,8 Billionen DM aus der Nicht-DDR-Erbmasse zu erklären. Die BRD hat sich an der Annexion der DDR nicht verhoben. Der Bund hat nicht nur einigungsbedingte Ausgaben, sondern auch Mehreinnahmen sowie Minderausgaben durch den Abbau teilungsbedingter Etatansätze. Auch die zur Finanzierung der Einheit erhöhten Steuern entlasten den Bundeshaushalt. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages hat öffentlich erklärt, zusätzliche Belastungen müßten diejenigen auf sich nehmen, die bislang von der Einheit profitiert hätten. Wer sind diese Gewinner und Absahner? Die PDS/Linke Liste erinnert daran, daß die Vereinigung der westdeutschen Wirtschaft einen Boom bescherte, der ihr über die weltweit einsetzende Wirtschaftskrise hinweghalf. ({1}) Innerhalb von vier Jahren - von 1987 bis 1991 - wuchs das Geldvermögen westdeutscher Produktionsunternehmen um das Zweieinhalbfache auf 1,67 Billionen DM. Die Nettogewinne westdeutscher Banken erreichten 1991-vor allem durch die starke Ausweitung des profitablen kurzfristigen Kreditgeschäfts mit Unternehmen und Privaten - mit 12 Milliarden DM ein Rekordniveau. Um zu verhindern, daß der Kreditbedarf in Ostdeutschland westdeutschen Kapitalanlegern weiterhin horrende Zinsgewinne beschert, schlägt die PDS/Linke Liste eine auf fünf Jahre angelegte Anleihe mit Zeichnungspflicht für Banken, Versicherungen, den Handel sowie für vermögensstarke Privathaushalte vor, die nicht verzinst wird. Zu Steuererhöhungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt es klare Alternativen. Wir fordern, die ab 1993 wirksame Senkung der Vermögen- und Gewerbesteuer, die den Unternehmern Steuergeschenke von jährlich 4,5 Milliarden DM bescheren würde, zurückzunehmen. Ferner treten wir dafür ein, dem westdeutschen verarbeitenden Gewerbe einen Solidaritätszuschlag zur Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland abzuverlangen. Des weiteren sind für die Kappung des Ehegattensplitting, eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende sowie eine Arbeitsmarktabgabe für Beamte und besserverdienende Selbständige. Zusammen mit Subventionskürzungen, einer effektiveren Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Haushaltskürzungen könnten auf diesem Wege jährlich mindestens 100 Milliarden DM aufgebracht werden, wodurch Steuererhöhungen überflüssig gemacht würden. Ich danke Ihnen. ({2})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Hermann Rind das Wort.

Hermann Rind (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Höll, ich will nicht in aller Breite und Tiefe auf Ihren Beitrag eingehen. Aber eine Bemerkung möchte ich ja nun doch machen. Wenn Sie hier vorrechnen - es klang so an -, daß die Schuldenlast, die im Bundeshaushalt in den nächsten Jahren auftauchen wird, nur zu einem geringen Teil aus der Erblast herrührt, die das sozialistische System in der ehemaligen DDR hinterlassen hat, dann können wir uns gerne einmal im Finanzausschuß darüber unterhalten, wieviel dies ist. Neben den Schulden, die wir übernehmen und übernommen haben, vergessen Sie völlig die Lasten für die Zukunft und die sozialen Ausgleichsmaßnahmen, die wir seit der deutschen Einheit leisten. Wenn Sie das alles im Transfersystem vom West nach Ost einmal zusammenzählen, dann wissen Sie, daß Ihre Aussage hier nicht so im Raum stehenbleiben kann und absolut falsch ist. ({0}) Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten lehnen Steuererhöhungen für die Jahre 1993 und 1994 ab. Das Bundeswirtschaftsministerium, alle Forschungsinstitute und die Verbände der Wirtschaftsunternehmen gehen für 1993 von einem zumindest sehr flachen Konjunkturverlauf aus. Jedem volkswirtschaftlich gebildeten Politiker ist einsichtig, daß Steuererhöhungen, gleichgültig, welcher Art, in einer solchen Phase wirtschaftlicher Entwicklungen prozyklisch wirken und die Abschwungstendenzen wie ein Schwungrad verstärken. Dies ist unser Votum für die Jahre 1993 und 1994. Damit könnte ich im Grunde genommen fast das Rednerpult verlassen; denn im steuerpolitischen Teil haben Sie ja nur nach den Plänen der Bundesregierung und damit der Koalition gefragt. Ich sage Ihnen. Dies ist unsere Position zum Thema Steuererhöhungen. Fest steht jedoch, daß ab 1995 die Verbindlichkeiten des Kreditabwicklungsfonds sowie die bis dahin aufgelaufenen Schulden der Treuhandanstalt mindestens 400 Milliarden DM betragen werden, die aus den Haushalten von Bund und Ländern bedient werden müssen. Hinzu kommt ab 1995 die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs durch Einbeziehung der neuen Länder in das Finanzausgleichssystem. Sicherlich kann heute ohne hellseherische Begabung noch niemand sagen, welche Ausgaben sich aus diesen gewaltigen Summen jährlich für die Haushalte ergeben und wie sich die Lasten auf Bund und Länder verteilen. Fest steht aber, daß es sich um eine Größenordnung von mindestens 40 Milliarden DM handeln wird, die bei diesem Volumen trotz aller Einsparungen nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden können. Um den Bürgern und der Wirtschaft verläßliche Angaben über die mittelfristige Entwicklung zu geben, haben wir vor diesem Szenario Steuererhöhungen ab 1995 grundsätzlich zugestimmt. „Grundsätzlich" heißt, daß die F.D.P. für die Haushalte ab 1993 und für das Jahr 1994 dem Sparen den Vorrang gibt und nur für die dadurch nicht abzudeckenden Teile aus diesen Altlasten aus der ehemaligen DDR ab 1995 Steuererhöhungen für zulässig hält. Wie hoch diese Steuererhöhungen ausfallen werden, läßt sich daher auch erst nach der Verabschiedung des Haushalts 1993 und der mittelfristigen Finanzplanung sagen. Dies wird Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres möglich sein. Dann und erst dann können und sollen auch Aussagen darüber gemacht werden, welche Steuern erhöht werden. Persönliche Vorstellungen einzelner Politiker, welche Steuern erhöht werden sollen, entsprechen nicht der Auffassung der F.D.P.-Fraktion, sondern sind nichtabgestimmte persönliche Auffassungen. Ich halte nichts davon, schon jetzt laut darüber nachzudenken, welches steuerliche Instrumentarium 1995 eingesetzt werden soll. Ein solches Vorgehen führt zu Irritationen und dadurch zu einer Zurückhaltung bei Verbrauch und Investitionen, die wir gerade jetzt am wenigsten brauchen können. Die Finanzpolitiker der F.D.P. setzen - und dies ist die einzige Aussage, die ich zu der Frage, in welchem Bereich Steuererhöhungen anzusiedeln sind, mache - dabei mehr auf die indirekten Steuern als auf Zuschläge zu den direkten Steuern. Aber ich wiederhole: Wir sollten hier die gemeinsam zu tragenden Steuererhöhungen ab 1995 in der Koalition klären, erst die CDU/CSU-Fraktion für sich und die F.D.P.- Fraktion für sich, dann dies zusammentragen, eine einheitliche Meinungsbildung herbeiführen und gemeinsam mit einem steuerpolitischen Konzept ab 1995 auftreten. Dies ist allerdings dringend notwendig. Ich glaube, bis dieses Konzept vorliegt, sollen und müssen wir vermeiden, hier mit persönlichen Vorstellungen, aus welcher Richtung und Partei auch immer, eine Stimmung und Haltung zu erzeugen, die dem Ziel der Stabilisierung der wirtschaftlichen Rahmendaten, die jetzt am wichtigsten ist, kontraproduktiv entgegenläuft. Dies ist mein Petitum. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Joachim Grünewald das Wort.

Dr. Joachim Grünewald (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000739

Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wissen Sie, lieber Kollege Poß, die Finanz- und Steuerpolitik - das ist eine Berufserfahrung, die ich in vielen Jahren gemacht habe - ist der Polemik nicht zugänglich. ({0}) Deswegen verstehen wir uns in Sachfragen ja auch so gut. Und wer da Polemik versucht und das auch noch unter einer falschen, tendenziösen Überschrift zu dieser Aktuellen Stunde, muß, lieber Herr Poß, dabei ganz einfach Schaden nehmen. Denn es geht doch hier überhaupt nicht um Steuererhöhungen, und es geht auch gar nicht um Einschnitte in das soziale Netz, sondern es geht um Dinge, die Sie mit keinem Wort erwähnt haben: Es geht um die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung in ganz Deutschland, und es geht insbesondere um die Finanzierung der Wiedervereinigung. ({1}) Auch das haben Sie keines Wortes für würdig gefunden. Wir mußten in den letzten zwei Jahren vor dem Hintergrund des glücklichen Ereignisses der Wiedervereinigung natürlich wiederholt Anpassungen vollziehen, ohne damit unsere finanzpolitischen Grundsatzentscheidungen revidieren zu müssen. Wir wären doch auch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das, was nachweislich in den 80er Jahren für die Finanz- und Steuerpolitik so richtig und so gut war, was von Ihnen gar nicht bestritten werden kann, in den 90er Jahren für Gesamtdeutschland als nicht mehr richtig ansehen würden. ({2}) Die Entwicklungen sind zuerst günstiger verlaufen, in den letzten Tagen und Wochen aber leider ungünstiger. Ich bringe Ihnen in Erinnerung, daß wir für 1991 ursprünglich eine Neuverschuldung von 70 Milliarden DM vorgesehen hatten, wovon wir Gott sei Dank nur 53 Milliarden DM gebraucht haben. Für das Jahr 1993 - das wurde schon erwähnt - sind nun die Konjunkturerwartungen nicht nur bei uns, sondern weltweit zum Teil drastisch zurückgenommen worden. Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen nur noch mit einem Wachstum von 0,5 % in den alten Bundesländern. Wir als Bundesregierung gehen noch von 1 % aus. Die Konsequenzen, die sich daraus für unseren Haushalt ergeben, sind schon ins Gewicht fallend. Unter diesen veränderten Bedingungen müssen wir in der Finanzpolitik in den kommenden Tagen und Wochen über zwei Bereiche entscheiden: Zum einen geht es um die konkreten Haushaltsprobleme des Jahres 1993. Zum anderen müssen wir für einen längerfristigen Zeitraum bis 1995 entscheiden, wie unter den Stichworten Finanzausgleich und Erblastfinanzierung unsere großen nationalen Aufgaben zu lösen sind. Für den Bundeshaushalt 1993 ergeben sich seit dem Kabinettsbeschluß folgende Änderungen: Auf der Ausgabenseite ergeben sich Mehranforderungen durch zunächst nicht vorausschätzbare Risiken. Die ungünstige wirtschaftliche Entwicklung erfordert sofort zusätzliche Hilfen für die jungen Länder. Und Sie wissen ja auch, mit welcher Intensität das von uns allen, von allen Parteien, eingefordert wird. Die schwächere Wirtschaftsentwicklung wird für den Bund zu Einnahmeausfällen in der Größenordnung von 6 bis 8 Milliarden DM führen. Wie reagieren wir darauf? Zwangsläufige Mehrausgaben und die erweiterte Unterstützung für den Aufschwungsprozeß im Osten sollen durch Einsparungen und Umschichtungen vollständig ausgeglichen werden. Das Konzept mit einem Einsparvolumen von 3,2 Milliarden DM liegt auf dem Tisch. Was auf Grund der Wachstumsabschwächung bei den Einnahmen fehlt, wird im wesentlichen zu einer Erhöhung der Kredite führen. Das ist sachgerecht, Frau Matthäus-Maier, und auch konjunkturgerecht. Mittelfristig geht es um die großen Probleme des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und der Erblastfinanzierung. Der gerade gewählte neue Präsident des Bundesrates, Oskar Lafontaine, hat soeben zu Recht im Bundesrat formuliert, daß das die größte Bewährungsprobe in der Geschichte des Bundesrates überhaupt sei. Daran sieht man, welche Dimension das Ganze hat. Wir brauchen eine föderale Konsolidierungsstrategie, um in allen öffentlichen Haushalten äußerste Sparsamkeit durchzusetzen. Dabei geht es keineswegs um einseitige Einschnitte ins soziale Netz, sondern um den Verzicht auf einen Zuwachs, der leider für viele auch von uns selber schon zur falschen Selbstverständlichkeit geworden ist. Frau Dr. Höll, lassen Sie mich nur eine Zahl nennen, wenn Sie von der „Gerechtigkeitslücke" sprechen: Fakt ist, daß im Augenblick 28,1 % der Lohn- und Einkommensteuerzahler 71,8 % des Gesamtsteueraufkommens erbringen. Da wäre ich doch etwas vorsichtiger, bei diesem unserem gerechten Steuersystem von „Gerechtigkeitslücken" zu sprechen. Und, Frau Höll, lassen Sie mich auch das noch sagen, wenn Sie die Erblasten bestreiten: Das ist doch unser Problem! Kreditabwicklungsfonds 140 Milliarden DM, Treuhandanstalt 250 Milliarden DM! Gukken Sie sich doch die D-Mark-Eröffnungsbilanz der Treuhandanstalt einmal an! Das ist mit weit über 520 Milliarden DM vom Volumen her die größte in der nationalen und internationalen Wirtschaftsgeschichte überhaupt! Das wäre aber noch nicht so schlimm. Das Schlimme ist das Ergebnis, daß ein Fehlbetrag von 209 Milliarden DM ausgewiesen werden mußte. Es geht darum, daß wir zunächst einmal ganz massiv sparen und daß die Steuererhöhung - da schließe ich mich dem Kollegen Rind herzlich gern an - allenfalls die Ultima ratio sein darf, die erst in Frage kommt, wenn wir alles an Einsparungen und Umschichtungen vorgenommen haben. Denn daß gerade in dieser aktuellen konjunkturellen Situation eine Steuererhöhung und allein schon die Diskussion darüber Gift für die Konjunktur ist, darin stimmen wir doch wohl überein. Herzlichen Dank. ({3})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Ottmar Schreiner das Wort.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mit einem Zitat beginnen: Dort sagten die einen dies, die anderen das, und die Versammlung war in Verwirrung, und die meisten wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren. Die Apostelgeschichte Kapitel 19 Vers 32 hat mit diesem Satz das finanz-, wirtschafts- und sozialpolitische Chaos dieser Bundesregierung offenbar mit großer Weitsicht vorausgeahnt und mutig angesprochen. ({0}) -Es geht um die Goldschmiede in Ephesus. Lesen Sie die Stelle bitte nach! Weder weit- noch einsichtig hat Finanzminister Waigel vor wenigen Tagen zur Begründung der in seinem Hause diskutierten weiteren Einschnitte ins soziale Netz formuliert: Die Leistungsfähigkeit des sozialen Netzes ist mit der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft in Einklang zu bringen. Das muß man so kommentieren: Entweder weiß Herr Waigel nicht, wovon er redet, ({1}) oder er stellt erneut die Wahrheit auf den Kopf. ({2}) Der Bundesfinanzminister hat nämlich vergessen, hinzuzufügen, daß es gerade die Bundesregierung ist, die die Leistungsfähigkeit des sozialen Netzes hemmungslos mißbraucht und es in seiner Grundsubstanz gefährdet. Ich werde Ihnen das zu erklären versuchen. Völlig systemwidrig hat die Bundesregierung gerade die Sozialversicherungen und deren Beitragszahler zu den Hauptfinanciers der deutschen Einheit gemacht. ({3}) Bereits unter Einrechnung des Solidaritätszuschlags, der 1991 24 % und 1992 19 % der Belastungen der privaten Haushalte mit den Transfers von Westdeutschland nach Ostdeutschland ausmachte, betrug der Anteil der Sozialversicherungen am Gesamttransfer von Westdeutschland nach Ostdeutschland 1991 57 % und 1992 56 %. Die Zahlen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung - Gerechtigkeitslücke, Herr Staatssekretär! -: Die Arbeiterhaushalte zahlen 4 % ihres Monatseinkommens als Solidarzuschlag für Ostdeutschland, Selbständigen- und Freiberuflerhaushalte gerade 1,5 %. Was hat das noch mit Gerechtigkeit zu tun?! ({4}) Sie machen die Sozialversicherungskassen zu den Melkkühen der deutschen Einheit und schonen die anderen, die über wesenlich mehr Geld verfügen. Und dann wundern Sie sich, wenn die Sozialversicherungen in schwere Wasser geraten. ({5}) - Die Zahlen werden von niemandem bestritten. Sie müßten dann glaubwürdig andere Zahlen darstellen. Allein die Rentenversicherung zahlt in diesem Jahr mehr als 12 Milliarden DM reine Transferleistungen nach Ostdeutschland, die Arbeitslosenversicherung rund 30 Milliarden DM reine Transferaufkommen von West nach Ost. Das sind reine Beitragsleistungen der Arbeitnehmer. Die anderen gesellschaftlichen Gruppen sind in keinster Weise beteiligt. ({6}) - Sie können das nicht bestreiten. Nicht einmal Sie können das bestreiten. ({7}) Der Bauchredner des sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf, Professor Meinhard Miegel vom Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft, ein Parteifreund von Ihnen, hat vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt - ich zitiere Herrn Miegel -: Das Gerechtigkeitsdefizit ist bedingt durch den unsinnigen Versuch, die Rekonstruktion der ostdeutschen Volkswirtschaft über die Arbeitslosenversicherung organisieren zu wollen. Das aber ist eine Aufgabe der Steuerpolitik, und natürlich müßten dabei die Belastungen gerecht verteilt werden. So Professor Miegel, Bauchredner von Herrn Biedenkopf. ({8}) Wen wollen Sie denn noch als Kronzeugen von uns aufgefahren bekommen, um die Unsinnigkeit und die soziale Schieflage Ihrer Politik zu dokumentieren? Und anschließend stellen Sie sich dann hierhin und bestreiten das. Das gleiche gilt im übrigen für die Rentenversicherung; das gleiche gilt für die geplanten Verschiebebahnhöfe von der Arbeitslosenversicherung in die Rentenversicherung. Um so früher werden die eh schon notwendigen Beitragserhöhungen dargelegt werden müssen. Sie können mit uns gerne über einen Solidarpakt reden, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wenn Sie bereit sind, daran mitzuwirken, die soziale Schieflage der Finanzierung der deutschen Einheit zu korrigieren. Der Finanzminister ist ja eine Art Robin Hood im Kopfstand. Der Robin Hood hat versucht, die Reichen ein bißchen anzugehen, um den Armen zu helfen. Der Bundesfinanzminister wählt genau den umgekehrten Weg. Das einzige, was ihn mit Robin Hood verbindet, ist die Räubereigenschaft. ({9}) Der zweite Punkt, der für uns Sozialdemokraten von zentraler Bedeutung ist, ist die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das wirkich ein Armutszeugnis allerersten Grades dieser Regierung ist: Wir geben 1992 über 30 Milliarden DM nach Ostdeutschland zur Finanzierung der verschiedenen Formen von Nichtbeschäftigung - und das angesichts der Tatsache, daß der Arbeitsbedarf geradezu auf der Straße liegt. Das Problem ist also: Zuwenig geht in Investitionen, und viel zuviel geht in konsumtiven Verhalten. Diese Bundesregierung muß doch irgendwann zu einem Konzept dafür kommen, wie wir nicht nur die Massenarbeitslosigkeit in Ostdeutschland, sondern auch die wachsende Arbeitslosigkeit in Westdeutschland bekämpfen wollen. Arbeitslosigkeit ist eine wesentliche soziale Basis von Rechtsradikalismus. ({10}) Arbeitslosigkeit ist auch eine soziale Basis für Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit gerade bei jungen Menschen. Diese Bundesregierung hat nicht ansatzweise ein beschäftigungspolitisches Konzept. Lassen Sie mich schließen. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wenn Sie bereit wären, die soziale Schieflage zusammen mit uns zu bekämpfen, wenn Sie bereit wären, ein Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit vorzulegen, dann hätten Sie uns Sozialdemokraten an Ihrer Seite. ({11}) Wenn Sie bereit wären - das abschließend -, darauf zu verzichten, das unstreitig vorhandene Asyl- und Zuwanderungsproblem ({12}) zu einem parteipolitischen Instrument zu machen, um den Parteitag der Sozialdemokratischen Partei in der übernächsten Woche

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Schreiner, Sie haben schon über sechs Minuten geredet. Jetzt ist Schluß!

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- zu einem Ergebnis zu bringen, das Ihnen nicht nutzt, dann, kann ich Ihnen nur sagen,

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Schluß!

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- hätten Sie auch uns zur Seite, wenn Sie eben zu einer vernünftigen Sachdiskussion zurückfinden würden. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun kommt der Kollege Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zurückkehren - - Warum springt die Uhr auf „vier Minuten", Frau Präsidentin? In der Sekunde, in der ich beginne, springt die Uhr auf „vier Minuten" . Offenbar muß ich jetzt alles das wiedergutmachen, was der Kollege Schreiner überzogen hat.

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Lieber Kollege, es sind nun vier Minuten und 44 Sekunden. Wenn Sie Vizepräsidentin Renate Schmidt von jetzt an reden, dann haben Sie tatsächlich noch beinahe die vollen fünf Minuten. ({0})

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, daß die Redezeiten hier eben nicht adäquat verteilt wurden. Ich habe das auch vorhin bei meinem Kollegen Rauen gespürt. Ich habe den Eindruck, daß das bei Herrn Schreiner anders gesehen wurde. Trotzdem möchte ich zu einer sachlichen Auseinandersetzung über die Finanzpolitik zurückkehren und mich von der Asylpolitik zur Steuerpolitik bewegen. Ich halte fest, daß das, was die Union auf ihrem Bundesparteitag beschlossen hat, im Grunde den Beifall der Sozialdemokraten finden müßte; denn das Ziel ist nichts anderes als das, was Sie immer wieder gefordert haben, nämlich zusätzliche Steuern. Wir haben gesagt: „als letztes Mittel im Jahr 1995", während Sie das in den letzten Jahren permanent gefordert haben, erst jüngst wieder in der Finanzausschußsitzung in der vergangenen Woche, ({0}) Für uns ist eine Steuererhöhung nicht ein Mittel, von dem in Form einer Vorratssteuererhöhung Gebrauch gemacht wird, wie es die Sozialdemokraten immer gefordert haben. Vielmehr ist das für uns das letzte Mittel. Davon darf erst dann Gebrauch gemacht werden, ({1}) wenn alle Möglichkeiten zum Sparen ausgeschöpft sind. Die vorgelegte Streichliste von 3,2 Milliarden DM kann nur ein erster Anfang sein. Ich sage deswegen ganz klar: In den kommenden Monaten werden weitere Sparschritte hinzukommen müssen. Es werden auch weitere Schritte beim Abbau von Steuervergünstigungen erfolgen müssen. Hier werden wir in den nächsten Monaten das vorlegen müssen, was wir jetzt in der Eile nicht mehr in den Haushalt einarbeiten können. Lassen Sie mich auch festhalten, daß ein Vorziehen von Steuererhöhungen auf die Jahre 1993 und 1994 mit uns nicht stattfinden wird. Ich möchte zu einem wichtigen Punkt, nämlich zur Höhe des Haushaltsdefizits, etwas sagen. Das Haushaltsdefizit wird nur in dem Umfang erweitert, wie es im Lauf dieses Sommers zurückgenommen wurde, als die Steuerschätzungen erhöht werden konnten. Damals nahm das Finanzministerium in der mittelfristigen Finanzplanung eine Korrektur in die Richtung vor, daß die Neuverschuldung herabgesetzt wurde. Wenn jetzt erkannt wird, daß diese erwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen nicht eintreten, dann kann man doch logischerweise diesen Abbau der Neuverschuldung aus dem Sommer jetzt wieder zurücknehmen. Insofern ist dies ein richtiger Weg. Aber ich sage auch: Das darf nicht über diese ursprüngliche Grenze in der mittelfristigen Finanzplanung hinausgehen. ({2}) Herr Poß hat über das Standortsicherungsgesetz gesprochen. Es mag tatsächlich widersinnig scheinen, in einer Zeit, in der über Steuererhöhungen gesprochen wird, ein Gesetz über die Senkung der Unternehmensteuern vorzulegen. Aber das scheint nur widersinnig zu sein. Dies ist nämlich ein Gesetz, mit dem unsere Position als führendes Exportland gesichert werden soll. Angesichts der bevorstehenden Schaffung des europäischen Binnenmarkts müssen wir die Rahmenbedingungen für unsere Unternehmen wettbewerbsgerecht gestalten. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören auch die Unternehmensteuern. Diese Reduzierung der Unternehmensteuern erfolgt in diesem Gesetz aber aufkommensneutral. Deswegen sollten Sie sich einen Ruck geben und diesem Gesetz zustimmen. Ich halte fest, daß dieses Standortsicherungsgesetz von uns, wie geplant, über die parlamentarischen Hürden gebracht werden wird. Die wirtschaftliche Lage und die Finanzpolitik sind in einer schwierigen Phase. Ich bin aber sicher, daß wir alle miteinander mit gutem Willen und mit Sachorientierung in der Lage sein werden, diese Probleme gemeinsam zu meistern. Vielen Dank. ({3})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Kollege Uldall, Sie haben vorhin indirekt die unterschiedlichen Redelängen kritisiert. Bisher hat kein Kollege - einschließlich Ihrer Person - seine Redezeit überzogen. Die Ausnahme bildete nur der Kollege Schreiner. Das war nicht korrekt. Ich habe versucht, ihn dreimal zu mahnen. Er hat leider Gottes meine Großzügigkeit mißbraucht. ({0}) - Es ist völlig ausgeschlossen, daß ich nicht zu hören bin. Allerdings war es bei der Phonstärke Ihres Beitrags, Kollege Schreiner, ein bißchen schwierig, sich Gehör zu verschaffen. Das gebe ich ohne weiteres zu. ({1}) Ich habe keinen Kollegen ungerecht behandelt. Die Aufzeichnung zeigt das eindeutig. Nur der Kollege Schreiner hat aus einem letzten Satz drei letzte Sätze gemacht. Dies halte ich für nicht in Ordnung. Nun kommt die Kollegin Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Stunde der Wahrheit über die finanziellen Belastungen, die auf den Bundeshaushalt zukommen, wird allenthalben angemahnt. Endlich sollen Zahlen auf den Tisch; die notwendigen, möglicherweise harten Maßnahmen ebenso. Die Koalition hat sich ans Werk gemacht. Noch ehe die für den prognostizierten Haushaltszuwachs von 2,5 % erforDeutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 118. Sitzung. Borm, Freitag, den 6. November 1992 10093 derlichen Sparvorschläge durchgesetzt sind, werden auf Grund neuerer und ungünstigerer Daten weitere Einschnitte diskutiert. Die vereinbarten Kürzungen von einem Volumen von 3,2 Milliarden DM zeigen eine schon verloren geglaubte Entschlossenheit. Aber: Dies wird nicht ausreichen. In der Arbeitslosenversicherung klafft noch eine Lücke von etwa 2 Milliarden DM, hervorgerufen durch die nachlassende Konjunktur. Da der Haushalt nicht weiter belastet werden soll, erwägt man, die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung um 0,2 % anzuheben und in der Rentenversicherung, die derzeit erfreulicherweise über etwas mehr als die Mindestreserve verfügt, entsprechend zu senken. Ein pfiffiger Vorschlag, sollte man meinen: Die Beitragszahler merken nichts, die sozialen Sicherungssysteme helfen einander, die schwierige Zeit wird überbrückt. Wird sie das? Wie sinnvoll sind diese Überlegungen? Ich hege große Zweifel. 1994 werden die Beitragssätze ohnehin steigen; nach den Aussagen der Rentenversicherungen von heute 17,7 % auf etwa 18,5 %. Dies basiert auf den Daten der Bundesregierung für die Jahre 1993 und 1994. Diese Daten werden aber von der Rentenversicherung bestritten. Sie hält diese Daten für zu optimistisch, was das Wirtschaftswachstum und die Zahl der Beschäftigten anlangt. Es könnte also durchaus sein, daß eine Beitragssatzsteigerung um 1 % auf 18,7 % notwendig wird. Dieser schon dramatische Sprung vergrößert sich, wenn für 1993 gesenkt wird. Damit wird die Diskussion um Lohn und Lohnnebenkosten in Deutschland wieder hell aufflammen. Da machen wir nun eine höchst schwierige und strittige Gesundheitsreform, um die Krankenversicherungsbeiträge im Zaum zu halten. Da quälen sich die Verantwortlichen um mögliche .Kompensationen bei der Pflegeversicherung. Warum machen wir uns diese Mühe? Nur, weil wir, zumindest die CDU/CSU und die F.D.P., begriffen haben, daß Lohnkosten die Chancen deutscher Produkte auf dem Weltmarkt bestimmen und daß Arbeitsplätze davon abhängen. Es ist nicht harmlos, wenn der Gesetzgeber den Schleusenwärter zwischen sozialen Sicherungssystemen spielt, um den Wasserspiegel auszugleichen. Die Rentenreform sieht einen Automatismus der Beitragssatzanpassung an die Liquidität der Rentenversicherung vor, damit der Gesetzgeber nicht eingreift. Beim ersten Sturm schon werfen wir diese Grundsätze über Bord. Ich warne vor diesem Griff in die Rentenkasse. Er verschafft nur vorübergehend Luft. Wir sollten die Bürger wenigstens hier nicht in Unruhe versetzen. Die Risiken müssen jeweils in den dafür vorgesehenen Versicherungen getragen werden. Jetzt gerät angesichts der immensen Schwierigkeiten im Osten und der einknickenden Konjunktur im Westen die Arbeitslosenversicherung unter Druck. Die Leistungen in diesem Bereich sind im AFG wirklich hinlänglich gestutzt worden. Mehr ist nicht drin. Wenn Beitragssatzsteigerungen vermieden werden sollen, dann muß über mehr Abgaben und die richtige Verteilung der Lasten in der Arbeitsmarktpolitik nachgedacht werden. Zu Recht wird in der Öffentlichkeit darauf hingewiesen, daß derzeit Selbständige und Beamte an der Finanzierung der Arbeitsmarktpolitik nicht beteiligt sind. Ich gebe zu: Eine höhere Abgabenlast ist für die Wirtschaft, die ja Antrieb und Impulse braucht, die falsche Nahrung. Beitragserhöhungen aber sind Gift. Ich bedanke mich. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat die Parlamentarische Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk das Wort.

Roswitha Verhülsdonk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002371

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier, laut Ihrem Antrag, über Pläne zu Einschnitten im sozialen Bereich. Dazu möchte ich mich äußern. Das Wort Sozialabbau ist zwar hier heute noch nicht gefallen, aber man hört es ja allerorten, aus Ihrem Bereich und auch von draußen. Damit möchte ich mich auseinandersetzen. Richtig ist: Die Bundesregierung betreibt einen gewaltigen Sozialaufbau, nämlich den notwendigen Sozialaufbau in den Gebieten unserer Republik, in denen 40 Jahre sozialistische Herrschaft einen zutiefst unsozialen Zustand hinterlassen haben. Dies wird offenbar von vielen immer noch verdrängt, leider auch von der Opposition. Herr Kollege Schreiner, ich halte es für völlig in Ordnung, daß auch unsere sozialen Sicherungssysteme in die Solidarität mit unseren neuen Mitbügern und in den Sozialaufbau einbezogen worden sind. Sie wissen genau, daß es keinen anderen Weg gibt, als so zu verfahren. Jedenfalls beweist ja die Rentenhöhe in den neuen Ländern, wie segensreich diese Entscheidungen gewesen sind. ({0}) Die Rentenversicherung wird auch aus Steuermitteln finanziert. Die haben Sie in Ihrer Rechnung ganz außen vor gelassen. Jetzt komme ich zu meinem Thema zurück. Wir alle, hier im Haus und draußen, müssen diesen Aufbau gemeinsam betreiben. Wir wollen deshalb einen Solidarpakt. Ich höre, Sie wollen ihn ja auch. Es gibt also einen breiten Konsens. ({1}) Im Rahmen eines Solidarpakts wird sicher alles auf den Prüfstand gestellt werden müssen, auch die sozialen Leistungen einschließlich der Sozialhilfe. Aber Solidarität bedeutet natürlich ebenso, daß niemandem Sonderopfer zugemutet werden, auch nicht den Sozialhilfeempfängern. ({2}) - Hören Sie mir zu. Ich setze mich mit dem Thema ja gerade auseinander. Ich halte nichts von grobschlächtigen Einschnitten ins soziale Netz, auch und ganz und gar nicht in der Sozialhilfe. ({3}) - Hören Sie doch zu, Herr Kollege! Gerade bei diesem letzten Netz der sozialen Sicherung müssen die notwendigen Überprüfungen fachkundig und behutsam vorgenommen werden. In den letzten Tagen war häufig von den Regelsätzen der Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe in der Öffentlichkeit die Rede. Richtig ist, daß durch Beschluß der Ministerpräsidenten - die Länder sind dafür zuständig - das Bemessungssystem für die Regelsätze neu gestaltet und infolgedessen die Regelsätze in den Jahren 1990 bis 1992 überproportional angehoben worden sind. Zur Kompensation dieser Mehrkosten haben die Ministerpräsidenten gleichzeitig bestimmte Einsparungen in der Sozialhilfe gefordert, die in einem von meinem Ministerium erarbeiteten Referentenentwurf berücksichtigt worden sind. Darüber hinausgehenden Einsparungsforderungen stehe ich ganz persönlich, steht meine Ministerin ebenso wie mein Haus, sehr kritisch gegenüber. Wichtig ist, daß wir uns die Hauptgruppen von Sozialhilfeempfängern differenzierter anschauen. Eine Gruppe hebt sich da sehr deutlich von den anderen ab, nämlich die Gruppe der Asylbewerber und der kurzfristig geduldeten Ausländer. Die Zahl der zu dieser Gruppe Gehörenden hat sich von 1980 bis 1990 mehr als verfünffacht. Ihr Anteil beträgt jetzt 27 % aller Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese Gruppe wächst seitdem weiter kräftig. Dies hat, wie wir wissen, vielerlei Gründe. Einer davon ist sicher, daß unsere Leistungen der Sozialhilfe eine erheblich bessere Existenzsicherung bedeuten, als die meisten Asylbewerber in ihren Heimatländern zur Verfügung haben. Daß dies zur Einreise locken kann und dann sicher auch zum Hierbleiben reizt, liegt auf der Hand. ({4}) Gerade heute kann man in der Presse schöne Beispiele dafür lesen. Im Bundesministerium für Familie und Senioren ist bereits ein Gesetzentwurf erarbeitet worden, der für dieses Thema Lösungen vorschlägt. Er ist bereits im Ausschuß erörtert und von den Koalitionsfraktionen aufgegriffen worden. Das läuft also bereits in die richtige Richtung. Bei anderen Empfängergruppen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Leistungskürzungen kein geeigneter Weg. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß jemand in diesem Haus die Leistungen für alleinerziehende Mütter oder Väter und ihre Kinder kürzen oder zumindest einfrieren möchte. Ich kann mir dies auch nicht für Rentner, insbesondere für Rentnerinnen, vorstellen, wenn deren niedrige Rente durch Sozialhilfe aufgestockt werden muß, auch nicht für Familien, deren Ernährer langfristig arbeitslos oder krank ist. Wenn davon die Rede ist, daß alle, auch die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, einen Einkommensausgleich für die Preissteigerungen in den nächsten Jahren im Portemonnaie vorfinden sollen, dann dürfen wir die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, nicht davon aus- „sparen" - aussparen im doppelten Sinn. Trotzdem ist bei der Sozialhilfe im Sinne einer kritischen Überprüfung einiges zu tun, nämlich Strukturverbesserungen, die sowohl einzelnen Sozialhilfeempfängern zugute kommen, wo es gerechtfertigt ist, die aber auch kurzfristig und insbesondere mittelfristig zu nicht unerheblichen Einsparungen führen werden. Ich möchte stichwortartig einige Punkte nennen, die mir dazu einfallen. Erstens: Verstärkte Hilfe zur Vermeidung und Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit insbesondere durch eine individuellere Bearbeitung und durch gezielte Beratung in den Sozialämtern, die gleichzeitig allerdings von einigen bürokratischen Wucherungen zu entlasten sind. Dieser Vorschlag wird übrigens auch von der gesamten Fachwelt schon seit langem erhoben. Zweitens: Eine konsequentere Reaktion auf Mißbrauchsfälle. Ich will die Gefahr des Mißbrauchs nicht unnötig dramatisieren; aber es darf z. B. nicht weiterhin so sein, daß die Erschleichung von Leistungen der Sozialhilfe etwa durch vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben weithin praktisch folgenlos bleibt. Drittens: Verbesserte Möglichkeiten, arbeitslose und manchmal nicht mehr arbeitsgewohnte Sozialhilfeempfänger - es sind oft gerade die Jungen - durch Anreize und Angebote wieder in Arbeit zu bringen, wenn nötig auch durch sanften, aber deutlichen pädagogischen Druck. Gerade manchem jungen Menschen müssen wir seine Verantwortung für sein eigenes Leben zurückgeben. Viertens: Für eine sinnvolle und gleichzeitig kostensparende Weiterentwicklung einer treffsicheren Sozialhilfe ist es unbedingt erforderlich, die statistische Datenlage zu verbessern und die Forschung zu verstärken. Auch hier im Bundestag konnten wir bisher manche Fragen von Kollegen zu statistischen Daten nur sehr unzureichend beantworten, weil dafür die Grundlagen fehlen. Sozialhilfe darf insoweit nicht mehr ein viel zuwenig analysiertes Feld unserer sozialen Sicherung bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies waren nur einige, wenn auch besonders wichtige Stichworte zu dem Thema Sparen - ich habe mich hier auf die Sozialhilfe beschränkt, weil diese in der öffentlichen Diskussion ist -; es waren Stichworte zu einem angemessenen, aber auf Zeit deutlichen Sparen. Ich habe sie nicht erst für die heutige Debatte zusammengestellt. Nein, diese Vorschläge wurden in meinem Ministerium vorgedacht und sind in den kürzlich vorgelegten Referentenentwurf, der auch in der Öffentlichkeit bekannt ist, eingegangen. Die Aufgaben, die wir auf diesem Feld zu lösen haben, sind also bereits angepackt worden. Vielen Dank. ({5})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Professor Dr. Nils Diederich das Wort.

Dr. Nils Diederich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000382, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Verhülsdonk, ich habe eine Menge gelernt; ich wußte noch nicht, daß die Staats- und Finanzkrise, in die Sie die Bundesrepublik gebracht haben, durch fehlende Statistiken verursacht worden ist. ({0}) Ich denke, daß wir Ihr Angebot, in den Solidarpakt einzutreten, gern annehmen wollen. Wir haben aber immer gesagt: Zunächst ist ein Kassensturz notwendig. Der Kanzler hat nun die Stunde der Wahrheit angekündigt, nur um mit neuen Legendenbildungen und neuen Verschleierungen zu beginnen. So kann man einen Sozialpakt natürlich nicht eingehen. ({1}) Ich habe mir, während Sie geredet haben, zwei beliebige Seiten aus dem Pressedienst von heute herausgerissen. Da steht: Biedenkopf wirft Waigel irreführende Angaben vor. Möllemann fordert Neuauflage des Solidarzuschlags, also Steuererhöhungen. - Einer der Kollegen aus der Koalition hat aber gesagt: Auf keinen Fall. - Der Rechnungshof schließt eine Währungsreform nicht aus. Mayer-Vorfelder kritisiert Erhöhung der Neuverschuldung. Wir erwarten, daß sich diese Regierungskoalition wieder als handlungsfähig und verhandlungsfähig erweist, bevor wir über einen gemeinsamen Solidarpakt sprechen können. Die heutige Aktuelle Stunde soll der Aufgabe dienen, daß wir Ihnen noch einmal den Spiegel vorhalten, damit Sie vielleicht nachdenken und die Voraussetzungen schaffen, die notwendig sind. Ich möchte hier im wesentlichen zwei Legenden entgegentreten, die der Kanzler aufrechtzuerhalten versucht. Die eine ist, daß die Einnahmeverbesserungen, also Steuererhöhungen, erst für 1995 notwendig sind, um die sogenannten Altlasten des SED-Staates finanzieren zu können. Ich denke, das ist eine Irreführung der Bürger; denn die sogennanten Altlasten des SED-Staates treten nicht erst dann auf. Die Wahrheit ist doch, daß diese Altlasten - der Kreditabwicklungsfonds, die Treuhandanstalt und die Probleme im Wohnungswesen - da sind. Sie fallen nicht vom Himmel. Sie waren mit der Einheit bereits programmiert. Wir wußten alle spätestens seit dem Einigungsvertrag, daß es diese Schattenhaushalte und Sondervermögen gibt. Ich gebe zu, daß sich alle, im gesamten politischen Spektrum, etwas über die Größenordnung getäuscht haben. Aber wir wissen mindestens seit dem Verlauf des Jahres 1991, wie die wahre Situation ist. Sie hätten handeln müssen. Jetzt nehmen Sie Kredite auf, die wesentlich dazu beitragen, den Staat noch mehr zu verschulden: Sie haben die Weichen in Richtung auf den Verschuldungsstaat gestellt. Wir haben gerade in diesen Tagen wieder Diskussionen über die Nettoneuverschuldung. Es wird immer davon geredet, daß es vielleicht 38 oder 44 Milliarden DM im nächsten Jahr sein sollen. Der Finanzminister klopft sich auf die Schulter und sagt: Es ist weniger als im Vorjahr. Sie vergessen bloß immer, hinzuzurechnen, daß auch die 30 Milliarden DM für die Treuhandanstalt, die wir brauchen, um die Aufgaben zu finanzieren, in die Nettoneuverschuldung hineingehören, und zwar ganz massiv. ({2}) Sie werden mir nicht sagen, daß das Polemik ist, Herr Grünewald. Das ist einfach eine Feststellung. Sie versuchen, diese Altlasten in den Schattenhaushalten zu verstecken, um dann zu sagen: 1995 fallen sie vom Himmel und sind beim Bundeshaushalt. Wir müssen die Probleme heute lösen. Wir lassen auch nicht zu, daß Sie versuchen, über die nächste Wahl zu kommen, um dann dem Wähler zu sagen: Nun mußt du die Steuern zahlen. Das wäre eine erneute Steuerlüge, ein erneuter Betrug am Wähler. ({3}) Ich wollte über einen zweiten Punkt sprechen. Die Altlasten, die wir mit uns schleppen, sind nicht alles Altlasten des SED-Staates. Sie sind zum Teil in der Konstruktion der Währungsüberleitung zur D-Mark begründet. Sie haben es unterlassen, vieles zu konsolidieren. Sie haben Buchschulden zu Realschulden gemacht. Vieles wäre vermeidbar gewesen. Ich denke, es ist jetzt tatsächlich die Stunde der Wahrheit, indem wir einsehen, daß die Überschuldung heute da ist, daß die Probleme jetzt gelöst werden müssen, und daß Sie sich dazu bekennen müssen, daß wir die Solidaraktion der Deutschen jetzt brauchen und nicht erst in zwei Jahren. Lassen Sie uns darüber gemeinsam reden und ein gemeinsames Konzept finden, dann können wir die Lösungen herbeiführen! Aber so, wie Sie es machen, geht es nicht. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Dieter Pützhofen das Wort.

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU hat auf ihrem Parteitag in Düsseldorf ein Papier mit dem Ziel verabschiedet, dem Aufschwung Ost eindeutig die Vorfahrt vor dem Ausbau West zu geben. Das ist der richtige Weg. Ich kann mir vorstellen, daß diesen Weg die SPD mitgeht. Man könnte über den weiteren Weg streiten, wenn jede Fraktion dazu ein Konzept vorlegen würde. Das ist leider bis heute nicht überall der Fall. Für die CDU/CSU ist das beste Aufbauprogramm Ost eine wachsende Wirtschaft in ganz Deutschland. Hier muß man manchmal in die eigene Partei hinein sagen, daß es den neuen Bundesländern nicht um so besser geht, je schlechter es den alten Bundesländern geht. Nur in einer dynamischen Entwicklung sind die Herausforderungen, die mit dieser Aufgabe verbunden sind, zu schultern. Da sich die deutsche Wirtschaft zur Zeit in einem konjunkturellen Tal befindet, müssen wir staatlicherseits alles tun, um die Rahmenbedingungen für angemessenes wirtschaftliches Wachstum weiter zu verbessern. Dazu gehören klare Aussagen über die Finanzpolitik, auch dann, wenn sie unangenehm sind. Dazu gehört die Einhaltung der Linie der Eckwertebeschlüsse vom Mai dieses Jahres. 2,5 % sind für den Bundeshaushalt für 1993 und im mittelfristigen Zeitraum die Obergrenze. Sinn gibt dieses ehrgeizige Programm aber nur, wenn auch die kommunale Ebene und die Länder bei diesem Spar- und Konsolidierungskurs mitmachen. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren, die Städte und Länder nennen, die heute noch wie selbstverständlich über sechs- und mehrprozentige Steigerungen in ihren Haushalten diskutieren, als fänden die gewaltigen Tranferleistungen und Leistungsverpflichtungen, die wir zur Zeit haben, auf einem anderen Stern statt. ({0}) - Ich weiß, worüber ich rede, Frau Kollegin. Ich könnte Ihnen Städte nennen, die acht- und neunprozentige Steigerungen vornehmen. Für dringend notwendige Vorhaben im Osten unseres Landes ist es erforderlich, durch Einsparungen und Umschichtungen in den öffentlichen Haushalten insgesamt die erforderlichen Mittel freizubekommen. Neben den unmittelbaren Kürzungen im Beratungsverfahren des Haushaltsausschusses - ich glaube, daß wir hier rund 6 Milliarden DM einsparen werden - ist es in einem zweiten Schritt notwendig, ein drastisches Sanierungs- und Sparkonzept für alle Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen vorzulegen. Das erfordert auch Eingriffe bei gesetzlichen Leistungen und anderen gesetzlichen Verpflichtungen. Wer von den Leistungsträgern Opfer verlangt, der kann auch Opferbereitschaft von den Leistungsempfängern erwarten. ({1}) Hinzu kommt aber, daß wir im mittelfristigen Zeitraum bis 1995 eine Lösung für die immensen Erblasten aus der SED-Zeit finden müssen. Genaue Zahlen werden wir ja 1994/95 erfahren. Der heutige Kassensturz weist eine Last von rund 400 Milliarden DM aus. Ich halte übrigens diese Zahl für noch etwas zu optimistisch, und das, Frau Dr. Höll, ist Ihr Mist, den wir heute beseitigen müssen, ({2}) der Mist der SED und ihrer Günstlinge. Es ist erkennbar, daß das aus heutiger Sicht nicht alles aus den laufenden Haushalten der Gebietskörperschaften finanziert werden kann. ({3}) - Zur Bewältigung dieses betrügerischen Bankrotts der SED, deren Nachfolgeorganisation Sie sind, stehen verfassungsrechtlich nur begrenzt Instrumentarien zur Verfügung. Über sie ist in den letzten Wochen heftig diskutiert worden. Ich sage es ganz offen: Ein solches Instrument wäre eine Steuererhöhung ab 1995, und wenn diese steuerliche Belastung auf die Abtragung der Erblast begrenzt wird, halte ich sie für eine vertretbare Lösung. Aber ich lege Wert auf die Reihenfolge: erstens Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, zweitens Einhalten der Eckwerte in allen öffentlichen Haushalten, drittens Umschichten und Sparen zugunsten des Aufschwungs Ost, viertens Steuern für das Abtragen der Erblast. ({4})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat der Kollege Dietrich Sperling, der vom Platz aus spricht, das Wort.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Read my lips", sagte der gerade abgewählte amerikanische Präsident bei seinem vorletzten Wahlkampf, um zu verkünden, daß keine Steuern erhöht würden, und sein Imitator in deutschen Landen sprach dann dasselbe. Nun ist der eine abgewählt; auf die Abwahl des anderen müssen wir noch eine Weile warten. ({0}) Aber wenn wir denn ins Wochenende gehen, sollten wir uns daran erinnern: Auf dem CDU-Parteitag sind zwei bedeutende Worte - vielleicht sogar noch ein paar mehr - gesprochen worden. Das eine lautete, man brauche Einnahmeverbesserungen. Fürwahr, ein hübsches Wort! Und unser CDU-Parteivorsitzender als Kanzler qualifizierte sich vom Steuerlügner zum Wortakrobaten um. Meinen herzlichen Glückwunsch für dieses Wochenende! Die Umqualifizierung findet auch weiterhin statt. Das andere Wort, das er dort sprach - es wird inflationär werden, nehme ich an; es ist es schon -, lautete, er habe Fehler begangen. ({1}) Und nun kommt die eigentlich spannende Frage, die in dieser Aktuellen Stunde auch von ihm hätte beantwortet werden sollen: Welche Fehler waren es, und was wäre als Fehlerkorrektur anschließend nötig gewesen? ({2}) Denn bisher habe ich nicht ein einziges Mal gehört, was auf die begangenen Fehler eigentlich als Korrekturpolitik folgen müßte. Deswegen ganz kurz in drastischen Worten: Der Kanzler ist sowohl Flaschenhals wie Pfropfen - bei einem Investitionsstau, den er selber verursacht hat. Er hat gesagt, die deutsche Einheit ließe sich aus der Portokasse finanzieren. Ein grandioser Irrtum! Dann hat er eine Politik verfolgt, die da lautete: Wir geben Eigentum zurück, statt zu entschädigen - mit dem Ergebnis eines Vollbeschäftigungsprogramms für westdeutsche Juristen, das unproduktiver und kostenträchtiger gar nicht sein könnte. ({3}) Wann wird dieser Fehler korrigiert? ({4}) Wir warten vergebens. Der Kanzler fährt hin und weiht Automobilfabriken ein. Aber wenn eine Lastwagenfabrik abgesagt wird, ist er nicht mehr zur Stelle. ({5}) Wo bleibt die Klarheit und Wahrheit für die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen im anderen Teil Deutschlands? Da wird von der Erblast geredet. Lassen wir einmal die beiseite, die das Erbe angetreten haben, was die Vermögensverhältnisse der Partei angeht. Sie müßten eigentlich auch für das geradestehen, was da das politische Erbe an Lasten ist. ({6}) Aber neben den Erblastbeklager Kohl tritt nun auch der Erblastvermehrer Kohl. Denn daß die Erblast drückender und schwerer wird, dies haben Sie mit der Investitionsstaupolitik zu verantworten, die Sie selber betrieben haben und die zu korrigieren Sie nicht bereit sind. ({7}) Und deswegen sind es nicht mehr nur Honeckers Milliarden, die das deutsche Volk in Zukunft zu finanzieren haben wird, es sind auch Kohls Milliardensummen, die zu finanzieren sind. ({8}) - Mir hat Peter Conradi versichert, dieses Haus sei nicht auf Polemik angelegt, die Statik sei gefährdet. Der Holzstoß dort zeigt an, daß an diesen Warnungen Conradis vielleicht etwas ist. Deswegen nehmen Sie meine Worte nicht als Polemik. Es ist eine bittere Wahrheit, ein bißchen scharf ausgesprochen. ({9}) Der Kanzler hat sich mit seinem Verweis auf die Portokasse, aus der die deutsche Einheit bezahlt werden könne, als Wunderheiler stilisiert. Geworden ist aus ihm ein Quacksalber, was diesen Prozeß angeht. ({10}) Damit müßte nun eigentlich Schluß sein. Diejenigen, die hier zuerst gesprochen haben, Herr Grünewald und Herrn Rauen, hätten ihre Reden einmal auf dem CDU-Parteitag halten sollen. Dann hätten sie erlebt, daß der Kanzler mit seiner Forderung nach Steuererhöhungen oder Einnahmeverbesserungen durchgefallen wäre. So überzeugend haben sie ja dagegen gesprochen, daß man dieses Wort in den Mund nimmt: Es ist doch Gift für die Konjunktur. ({11}) Aber Gift für die Konjunktur ist der Zinssatz, den Sie mit Ihrer Verschuldungspolitik der deutschen Wirtschaft aufgebürdet haben, nicht nur der deutschen - lesen Sie doch nach! -, auch der europäischen Wirtschaft. Unsere Zinstreiberei durch eine Verschuldungspolitik hat doch dazu geführt, daß wir nicht nur in Deutschland eine Misere der Konjunktur erleben, sondern auch in anderen Ländern. Die Verantwortung dafür, die deutsche Einheit so finanzieren zu wollen, wie Sie es versucht haben, die tragen Sie nun, und leider reichen die Wirkungen mit dem Gift der Zinshöhe weiter als Deutschlands Grenzen. Machen Sie sich dies bitte klar, wenn Sie sagen, Sie hätten Fehler begangen. Fragen Sie danach, wie Sie diese Fehler korrigieren wollen. Sagen Sie es dem deutschen Volk ehrlicher. Tun Sie nicht so, als habe die Stunde der Wahrheit auf dem Parteitag aufgehört. Hören Sie auf mit den aktuellen Stunden der Wahrheitsverschleierung hier. ({12})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Nun hat als letzter in dieser Aktuellen Stunde der Kollege Manfred Kolbe das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand hier-jedenfalls in meiner Fraktion, aber ich nehme an, auch bei den anderen - will Steuererhöhungen aus Lust und Tollerei - ich glaube, da sind wir uns einig -, wie gesagt, schon gar nicht meine Fraktion. Ich darf noch einmal an das gigantische Steuersenkungsprogramm 1986, 1988 und 1990 erinnern. ({0}) Das waren Steuerentlastungen von über 40 Milliarden DM. Die Steuern wären heute ohne dieses Programm wesentlich höher, Frau Matthäus-Maier, und wir hätten auch nicht den Spielraum, die Steuern vielleicht zu erhöhen. Zumindest das müßten Sie einräumen. Seit zwei Jahren haben wir aber eine andere Situation. Wir haben die Wiedervereinigung unseres Landes. Man muß immer wieder daran erinnern: Auch der Osten ist ein Teil Deutschlands, und er hat den größeren Teil der Last des von allen zu verantwortenden Krieges getragen. ({1}) Herr Schreiner geht gerade. Aber, Herr Schreiner, das ist auch das, was die Menschen im Osten der CDU nicht vergessen, daß nämlich unser Kanzlerkandidat damals - anders als Ihr Landsmann - nicht primär nach den Kosten der Einheit gefragt hat, sondern die Einheit gewollt hat. ({2}) - Sie reden vom Tragen der Kosten. Genau: Wir tragen diese Kosten. ({3}) - Herr Poß, lassen Sie mich weitermachen, hören Sie zu! Ich kann gar nicht oft genug betonen, daß die Einheit nicht nur Kosten verursacht, sondern auch eine Riesenchance bietet. ({4}) Wir sollten nicht immer nur irreführende Bruttotransfers auflisten, ({5}) sondern endlich einmal einen Status „Kosten und Chancen der Einheit" erstellen. ({6}) Die Menschen im Westen zahlen zwar teilweise für die Einheit, aber sie haben auch große Vorteile durch die Einheit. Ich denke nur an das Wirtschaftswachstum 1990/91. In diesen beiden Jahren wurde im Westen jeweils eine knappe Million neuer Arbeitsplätze geschaffen. Das wäre ohne die Einheit nicht möglich gewesen. ({7}) Die Konjunkturdelle, die wir im Augenblick haben, hätten wir ohne die Einheit schon früher gehabt. Wie finanzieren wir die Einheit? Drei Grundsätze müssen wir beachten: Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Stetigkeit. ({8}) - Da hätten Sie, Herr Kollege, auf dem letzten CDU-Parteitag als Gast dabeisein müssen; da hätten Sie es erfahren. Zur Ehrlichkeit: Dem Bundeskanzler gebührt Dank für seine mutigen Äußerungen ({9}) zur Steuererhöhung auf dem letzten CDU-Parteitag. ({10}) Liebe Kollegen, niemand will - ich darf es wiederholen - Steuererhöhungen, aber sie sind für eine Übergangszeit unvermeidbar. ({11}) - Dasselbe. - Wer uns heute der Lüge zeiht, Herr Poß, der muß natürlich auch sagen, daß er schon 1990 den Zusammenbruch der Sowjetunion vorausgeahnt hat. Das wird wahrscheinlich niemand getan haben. Zweiter Grundsatz: Gerechtigkeit. Wir haben 1992 Nettotransfers von 106 Milliarden DM. Davon ist - leider viel zuwenig beachtet - die knappe Hälfte kreditfinanziert, so daß sie aus der Belastungsrechnung herausfällt. 47 Milliarden DM werden durch Beiträge - die Hälfte davon durch die Arbeitnehmer - und nur 10 Milliarden DM durch Steuereinnahmen finanziert. Hier besteht, so meine ich, Handlungsbedarf. Dritter Grundsatz: Stetigkeit. Wir brauchen den Status „Kosten und Chancen der Einheit", und wir müssen die Einheit langfristig finanzieren. Die Menschen sind zu Opfern bereit; man muß sie nur fordern. Hierfür brauchen wir - dazu appelliere ich an alle - den Solidarpakt. Wir alle sind gefordert, die innere Einheit Deutschlands herzustellen: Es sind die Länder gefordert, die sich bei der Finanzierung der Einheit bisher sehr vornehm zurückgehalten haben, die mit der Einheit sehr gut gefahren sind, aber im gleichen Atemzug - so Herr Schröder aus Niedersachsen - sagen, die Belastungen müßten endlich aufhören. Es sind die Tarifpartner gefordert. Die Forderung nach 10,5 % Einkommensverbesserung im öffentlichen Dienst vom Mai 1992 paßte einfach nicht in die Landschaft. Und auch die Bundesregierung ist gefordert. Der Bundeskanzler hat nach der Kabinettsitzung am Mittwoch gesagt, es seien zusätzliche Einsparungen und zusätzliche Aufbaumaßnahmen erforderlich. Darüber werden wir in den nächsten Monaten beraten. ({12})

Renate Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002016

Wir sind damit am Ende unserer Aktuellen Stunde angekommen. Ich muß Sie noch auf etwas hinweisen, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen: Gestern ist bei Tagesordnungspunkt 8 durch ein Versehen ein nicht wirksam eingebrachter Antrag zu einer internationalen Initiative zur Rettung bedrohter Menschenleben an die zuständigen Ausschüsse überwiesen worden. Da dieser Antrag, wie gesagt, nicht wirksam eingebracht war, ist auch die beschlossene Überweisung gegenstandslos. Wir sind nunmehr auch am Ende unserer heutigen Tagesordnung angekommen. Ich berufe die nächste Sitzung des deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. November 1992, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Auf Wiedersehen! Die Sitzung ist geschlossen.